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Analecta et Additamenta
Anthropos 61. 1^66
Schon das (zu niedrig!) geschätzte Hirnvolumen von ca. 75 Kubikzoll (= ca. 1230
ccm), „das die von Morton für Polynesische und Hottentotten-Schädel gegebene mittlere
Kapazität ist“, war seinerzeit für Huxley Grund genug, demNeanderthaler eine besondere
stammesgeschichtliche Bedeutung abzusprechen (p. 180); „In keiner Weise können d a '
her die Neandertal-Knochen als die Überreste eines zwischen Affe und Mensch in d el
Mitte stehenden menschlichen Wesens angesehen werden. Höchstens beweisen sie die
Existenz eine Menschen, dessen Schädel etwas auf den Affentypus zurückgeht, ebenso
wie eine Brieftaube, Pfauentaube oder Purzeltaube zuweilen das Gefieder des ursprüng'
liehen Stammes def Columba livia anlegt“. Hier wird also bereits auf sekundäre Thero-
morphie erkannt - ganz im Gegenteil zu den zwischen Huxley und unserer Zeit liegenden
so zahlreichen Versuchen, dem Neanderthaler eine primäre Theromorphie zuzuschreiben
und ihn entsprechend aus falsch verstandenem Evolutionsdenken heraus auch in geistig er
Hinsicht zu degradieren.
Schon seinerzeit verschaffte Huxleys reserviertes Urteil ihm das uneingeschränkte’
Lob des Antidarwinianers K. E. von Baer (1886/326), der trotz voraufgehender Kritik
aus anderen Gründen gern zugesteht: „Es ist ein schöner Beweis von der Wahrheitsliebe
und dem vorurteilsfreien Sinn des Herrn Professor Huxley, daß er zwei ... Schädel, ••• ^ ie
von manchen Naturforschern für solche Affenmenschen erklärt sind, nicht als solch 6
anerkennt.“
Auf uns wirkt heute dieses vor ca. 100 Jahren formulierte Gutachten HüXLeV
über den Neanderthaler geradezu modern, da - angesichts der inzwischen viel bess er
bekannten Variationsbreiten sowohl des heutigen Menschen wie des Neanderthaler 5
wir uns bereits fragen müssen, mit welchem Recht wir dem Neanderthaler die Syst 6111
bezeichnung „sapiens“ überhaupt noch vorenthalten dürfen. So zeitlos gültig könn eI |
demnach Urteile einer so zeitbedingten (d. h. „Jeweilsbilder“ - Heberer - liefernde 1
Wissenschaft sein, wenn sie mit der Vorsicht und Umsicht formuliert werden, die wabi er
Wissenschaft ziemt. ^
Im ganzen also bestätigt sich vollauf, daß Huxleys „Evidences“ auch heute no
„mit hohem Genuß und erheblichem Gewinn studiert werden können, wie HebeRER
Herausgeber anfangs sagt, dem abschließend für die neue Herausgabe dieses Werkes eli
Wort aufrichtiger Anerkennung gebührt.
Literaturverzeichnis
von Baer K. E.
1886 Studien aus dem Gebiete der Naturwissenschaften. Braunschweig.
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1844 Vestiges of the Natural History of Creation. London.
Clark R. E. D.
1954 Darwin und die Folgen. Wien.
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1864 Briefe gegen den Materialismus. Stuttgart.
Fuhlrott C. , uI v
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1861 Natural Selection not Inconsistent with Natural Theology. London.
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