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MARIA ZERRNICKEL
Das ala-elek-kurte* - eine Kleinkindschutzkleidung
An Objektbeispielen der Orient-Textilsammlung
im Linden-Museum Stuttgart.
Einleitung
Das Thema behandelt einen wichtigen Teil der Kleinkindkleidung, mit der ver
schiedene magisch-religiöse, soziale, kulturelle Entwicklungen und Vorstellungen
verbunden sind. Die Entstehung und Gestaltung dieser Art von Kleidung ist nur im
Zusammenhang mit einem Fragenkomplex, der im einzelnen noch nicht genügend
erforscht ist, zu klären. Es erscheint uns notwendig, eine kurze Erläuterung zu
folgenden Fragen zu bringen:
1. Stellung und Rolle der Frau in den orientalisch-islamischen Gesellschaften; Ehe,
Mutterschaft und die damit verbundenen Aufgaben, Verantwortungen der
betroffenen Frau in der Großfamilie;
2. Vorstellungen und das Wissen über den Glauben an den bösen Blick.
Wir können uns damit aus Platzmangel in diesem Beitrag nur kurz befassen.
Stellung und Rolle der Frau
Die Frauen waren seit Jahrtausenden bis in die Gegenwart hinein in eine patriar
chalisch aufgebaute Familie dem Mann untergeordnet. Jahrhunderte andauernde
patriarchalisch-islamische Ordnung prägte nicht nur das Wesen der Frau, sondern
auch des Mannes. In sich gekehrt lebten Frauen und Männer streng nach Brauch,
Sitte und nach den Geboten des Korans, der oft ihre einzige Kulturquelle war.
Durch das islamische Recht, den Schariat, sind die Männer den Frauen übergeord
net (Koran, Sure 4, 43), weil sie für ihren Unterhalt sorgen. Sie sind ihnen
außerdem an Vernunft, Frömmigkeit, Weisheit und Glaubensstärke überlegen.
Dem Mann gebührt die Autorität, die Frau hat die Pflicht zum Gehorsam.
Obwohl den Frauen eine untergeordnete Rolle zukommt, hängt der gesamte
Haushalt entscheidend von ihrer Arbeit ab. Sie gebären und betreuen, erziehen die
Kinder, kochen, spinnen, weben, knüpfen, walken Filz, nähen, sticken, waschen,
melken und verarbeiten die Milch, sie helfen in der Landwirtschaft. Dadurch
können sie im fortgeschrittenen Alter in der Familie mitreden und mitentscheiden.
Generell kann gesagt werden, daß die Familie die mächtige Zelle war, in der die
Männer sich frei fühlten, die Frauen aber ein abhängiges Dasein führten. Kinder
sind sichere Werte, die Männern zur Würde und Frauen zur Ehre gereichten. Eine
Geburt ist ein freudiges Ereignis im Leben der Familie, obwohl im Bezug auf das
Geschlecht des Neugeborenen erhebliche Unterschiede gemacht werden; der Sohn
ist als Nachfolger, Erbe angesehen, für ihn wird ein großes Fest (ogly-toj) veranstal
tet. Das Mädchen dagegen, wird als »Zeitgast« empfunden, es bleibt ja nur bis zu
seiner Heirat in der Familie.
* Die turkmenischen Wörterverzeichnisse und Erklärungen dazu sind im Anhang zu finden.