TRIBUS 35, 1986
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denen die Gemälde und Kalligraphien von den Meistern
signiert und von den Sammlern gekennzeichnet wurden,
oder an die auch heute noch weit verbreitete Methode,
mit Siegeln offizielle Dokumente zu beglaubigen. Man
nimmt dabei wohl oft diese Sitte einfach zur Kenntnis,
ohne sich weiter über die jahrtausendealte Geschichte
der Siegelschneidekunst in China Gedanken zu machen.
Mit seinem Buch hat Veit nun wesentliche Anstöße zu
einer intensiven Beschäftigung mit diesem bisher nur
mangelhaft erforschten Bereich der chinesischen Kunst
gegeben.
Über manche Entwicklungsstufen der Schrift in China
sind wir bereits recht wohl informiert, so z.B. über die
Inschriften auf Bronzen oder Orakelknochen der Shang-
Dynastie. Erst in den letzten Jahren wurde es aber
überhaupt möglich, dank neuer Funde, ein genaueres
Bild über die Schrift auf Siegeln oder aber auch die
alltägliche Schrift der Zhanguo- und Han-Zeit zu gewin
nen. Dies ist aus der Zusammenstellung der Ergebnisse
zahlreicher Grabungen chinesischer Archäologen zu er
sehen, die Veits Arbeit zur Grundlage dienten.
Um kurz das Thema des Buches zu umreißen, sollen die
Hauptpunkte des Inhalts hier genannt sein. Der Einlei
tung, in der Veit die zeitliche Einschränkung begründet,
folgt in Kapitel 2 eine Zusammenfassung vor allem Han-
zeitlicher Textstellen über Staats-, Beamten- und Privat
siegel, sowie ihre Verwendung. Im 3. Kapitel werden wir
mit der Entstehungsgeschichte der Siegel vertraut ge
macht und können uns über die Möglichkeiten der Datie
rung informieren. Ausführlich lernen wir im 4. Abschnitt
die allgemeine Entwicklung der chinesischen Schrift von
den Anfängen im Neolithikum bis zur Entstehung der
sogenannten Kanzleischrift, der li-shu in der Han-Zeit
kennen. In Kapitel 5 befaßt sich Veit mit den Herstel
lungsmethoden, den Formen und Materialien der Siegel,
deren Schriftformen das Thema des 6. Kapitels sind.
Gefolgt wird der Textteil von einer Bibliographie und
einem umfänglichen Bildanhang mit zum Teil äußerst
schlechten Abbildungen, die vielleicht besser umgezeich
net worden wären.
Der Leser wird mit Freude feststellen, wie differenziert
der Autor sein Thema angeht, welch große Sorgfalt er
darauf verwendet, sowohl Siegel, als auch Schriftformen
zeitlich und regional einzuordnen. Das wird besonders an
den Datierungsversuchen deutlich, die Veit an den 1972
und in den darauffolgenden Jahren entdeckten handge
schriebenen Texten aus Mawangdui bei Changsha in der
Provinz Hunan unternimmt und die ihn zu einer präzisen
Bestimmung der Entstehungszeit der verschiedenen
Handschriften kommen läßt, besonders mit Hilfe von
Analysen der Schriftformen (S. 126ff.).
In diesem Zusammenhang ist es natürlich auch lobens
wert, daß versucht wird, die Inschriften auf Ritualbron
zen und Siegeln auch von einem aesthetischen Gesichts
punkt her zu betrachten. Dabei hat allerdings zuweilen
die Phantasie Herrn Veit doch wohl zu weit getragen, da
sie ihn künstlerisches Wollen vermuten läßt, wo es in
diesem Maße nicht zu finden ist (bes.S. 145/146).
Eine Kehrseite der besonderen Konzentration, die Veit
auf sein Thema wendet, ist eine bedauerliche Einseitig
keit, die sich besonders in Details zeigt. Wie schön wäre
es beispielsweise gewesen, hätte er bei dem seltsamen
Phänomen der Siegel aus Gräbern, in welche die Zeichen
seitenrichtig eingeschnitten wurden, so daß der Abdruck
seitenverkehrt erscheinen mußte, nicht nur vermerkt,
das zeige, daß es sich um Grabbeigaben handele. Wäre
hier nicht die Assoziation mit der Vorstellung vom Jen
seits als einer verkehrten Welt naheliegend? (S. 153)
Auch wäre das Bild abgerundeter gewesen, hätte uns der
Autor wenigstens einen kurzen Blick auf die Vorstellun
gen gewährt, die im Westen mit Siegeln verbunden wur
den (eine Zusammenfassung des Artikels über Siegel in
Grimms Wörterbuch Band 16, S. 895-903 hätte genügt).
Ein wiederum sehr erfreulicher Aspekt der Arbeit ist
leider ebenfalls durch einen strukturellen Fehler um
wölkt. Es geht aus der gesamten Arbeit immer wieder
hervor, daß wir es bei der Schrift auf Siegeln keineswegs
stets mit einer archaischen und erstarrten Form zu tun
haben, sondern, daß von der Zhanguo- bis zur Han-Zeit
die Siegelinschriften ständig von der alltäglichen Schreib
weise beeinflußt wurden. Vor der Vereinheitlichung der
Schrift unter den Gin und Han kamen derartige Einflüsse
eher auf Beamtensiegeln zum Tragen, bei denen es be
sonders auf schnelle und klare Lesbarkeit ankam. In der
Han-Zeit gingen solche Neuerungen häufiger von den
Privatsiegeln aus, während die Siegel für die höheren
Beamten meist in staatlichen Werkstätten hergestellt
wurden, in denen eine sehr einheitliche und ziemlich
archaische Schriftform üblich war.
Diese und andere Entwicklungsstränge wären im Buch
von Veit sicherlich wesentlich klarer geworden, hätte er
nicht die Struktur durch eine zu große Zahl von Einzel
beschreibungen vernebelt. Zumindest eine Zusammen
fassung am Ende jedes Kapitels wäre sicher von Nutzen
gewesen. In ähnlicher Weise störend ist die Aufteilung
des Berichtes über die allgemeine Schriftentwicklung und
über die auf Siegeln in zwei verschiedenen Kapitel. Auch
die Aufsplitterung der Datierungskriterien für Siegel auf
Kapitel 3 und 6 ist nicht motivierbar.
Insgesamt gesehen erfahren wir aber sehr viel über frühe
Formen der Siegel, und man kann sich ein gutes Bild
über die Traditionen machen, aus denen sich die späten
Siegel und Siegelschriftformen erklären lassen. Auch
über ihre Verwendung, besonders in den Beziehungen zu
Fremdvölkern, ihre Formen und Materialien kann man
sich umfassend informieren. (Als kleine Ergänzung sei
hier auf den Fund eines Han-zeitlichen Siegels aus Glas
verwiesen: WW 1985/12, S. 59, Abb. 9, S. 58).
Wir haben also ein durchaus lesenswertes Handbuch zur
Siegelkunde vor uns, das allerdings durch seine struktu
rellen Tücken in seinem Wert etwas beeinträchtigt wird.
Joachim Hildebrand
Davidson, Janet:
The Prehistory of New Zealand. Auckland:
Longman and Paul, 1984. iv & 270 Seiten,
157 Abbildungen.
Die frühen 80er Jahre sind eine Zeit der großen Zusam
menfassungen. Monographien, die die Vorgeschichte ei
ner Region oder eines Kleinraumes zusammenfassend
abhandeln, erscheinen in großer Zahl. In diesem Rah
men ist auch Janet Davidsons Werk, »The prehistory of
New Zealand«, zu sehen.