TRIBUS
LINDEN-MUSEUM STUTTGART
STAATLICHES MUSEUM FÜR VÖLKERKUNDE
JAHRBUCH
BAND 35, 1986
TRIBUS
JAHRBUCH DES LINDEN-MUSEUMS
Nr. 35, Dezember 1986
LINDEN-MUSEUM STUTTGART
STAATLICHES MUSEUM FÜR VÖLKERKUNDE
Stuttgart 1986
Herausgeber: Linden-Museuin Stuttgart - Staatliches Museum für Völkerkunde
Hegelplatz 1 - D-7000 Stuttgart 1 - F. R. Germany
Redaktion: Dr. Klaus J. Brandt
Dr. Ingrid Heermann
Fachbezogene Beratung: Abteilungsleiter des Linden-Museums Stuttgart
Fotos des Linden-Museums Stuttgart: Ursula Didoni
Die Verfasser der Aufsätze und Buchbesprechungen sind für den Inhalt
ihrer Beiträge allein verantwortlich
Titelbild: Gesichtsmaske pwoom itok der Kuba (Zaire)
Holz, Stoff und Bastmaterial, Perlen und Kaurischneckenbesatz
Humboldt-UnLvo^'hit zu Berlin
r.
Druck: Vaihinger Satz+Druck GmbH, 7143 Vaihingen/Enz
Copyright: Linden-Museum Stuttgart
Dezember 1986
ISSN 0082-6413
Inhaltsverzeichnis
Bericht über das Linden-Mufeum im Jahre 1985 7
Aufsätze
Köpke, Wulf: Töpfer, Ton und Teufel -
Über Religion und Magie der spanischen Töpfer 41
Bautze, Joachim: Eine Garuda-Standarte aus Kota
im Linden-Museum Stuttgart 57
Dütting, Dieter: The Vase of Eighty-Eight Glyphs:
Implications for the Decipherment of the Maya Script 83
Zerrnickel, Maria: Das ala-elek-kurte - eine Kleinkinderschutzkleidung 105
Kaufmann, Christian: Maschenstoffe und ihre gesellschaftliche Funktion
am Beispiel der Kwoma von Papua Neuguinea 127
Buchbesprechungen
Allgemein
Bianchi, Ugo: Transition Rites. Cosmic, Social and Individual Order (Hartmut Zinser) 177
Duerr, H. P.: Sedna oder die Liebe zum Leben (G. Bleibtreu-Ehrenberg) 177
Das Gupta, T. K.: Beiträge zur Museumsdidaktik am Beispiel einer ethnographischen
Sammlung (S. Schiede) 178
Farrington, I. S. (Ed.) Prehistoric Intensive Agriculture (D. H. R. Spennemann) 179
Snoy, P. (Hrsg.): Ethnologie und Geschichte (F. Kußmaul) 182
Thiel, J. F.: Religionsethnologie (H. Zinser) 182
Truhart, P.: Regents of Nations, Part II (K. Rauwolf) 183
Afrika
Agthe, J. u. K. Strauss: Waffen aus Zentral-Afrika (J. Abbink) 189
Braukämper, U.: Die Kambata (P. Daffa) 185
Dinslage, S.: Kinder der Lyela (L. Vischer-Roost) 186
Tietmayer, E.: Frauen heiraten Frauen. Studie zur Gynaemie in Afrika
(I. Hahner-Herzog) 188
Thiel, F. J. et al.: Ehe die Gewehre kamen. Traditionelle Waffen in Afrika (J. Abbink) 189
Thiel, F. J. u. H. Helf: Christliche Kunst aus Afrika (K. Volprecht) 190
Wente-Lukas, R.: Handbook of ethnic units in Nigeria (H. Forkl) 192
Islamischer Orient
Azadi, S. u. P. A. Andrews: Mafrash (D. H. G. Wegener) 193
Siid-/Sudostasien
Ames, F.: The Kashmir-Shawl and its Indo-French Influence (J. Bautze) 194
Barbier, J. P.: Indonesian Primitive Art (A. Sibeth) 196
Casey, J. A.: Medieval Sculpture from Eastern India (C. Bautze-Picron) 197
Hotze, I.: Darima? Kemana? Leben auf der Insel Bali (U. Ramseyer) 199
Ostasien
Heberer, Th.: Nationalitätenpolitik und Entwicklungspolitik in den Gebieten
nationaler Minderheiten in China (H. Schmidt-Glinzer) 200
Läufer, B.: Kleinere Schriften, Teil III (E. v. Mende) 201
Veit, W.: Siegel und Siegelinschrift der Chou, Ch’in und Han-Dynastie
(J. Hildebrand) 201
Ozeanien
Davidson, J.: The Prehistory of New Zealand (D. H. R. Spennemann) 202
Gesch, P. F.: Initiative und Initiation. A Cargo Cult Typ Movement in the Sepik
(M. Schindlbeck) 204
Amerika
Anton, F.: Altindianische Textilkunst aus Peru (A. Schulze-Thulin) 206
Döring, J.: Kulturwandel bei den Nordamerikanischen Plainsindianern
(A. Schulze-Thulin) 207
Donnan, Chr. G.: Early Ceremonial Architecture in the Andes (M. Tellenbach) 209
Lachota, H.: Die Rolle des Hundes bei den südamerikanischen Indianern
(A. Schulze-Thulin) 212
Kaalund, B.: The Art of Greenland - Sculpture, Crafts, Painting (A. Schulze-Thulin) 212
Das Linden-Museum Stuttgart
im Jahr 1985
Zur Situation des Museums
Seit dem 12. Juli 1985 ist das Linden-Museum wieder voll in Funktion. An diesem
Tag wurde im Beisein zahlreicher illusterer Gäste das Museum wiedereröffnet, wie
geplant in seinen beiden unteren Ausstellungs-Stockwerken, wo die Abteilungen
Amerika, Südsee, Afrika und Orient trotz größter Zeitnot so gut wie fertig
vorgestellt werden konnten. Ministerpräsident Lothar Späth, Oberbürgermeister
Manfred Rommel und Ministerialdirigent Prof. Herbert Fecker gaben in ihren
Reden der Freude darüber Ausdruck, daß das Museum nach siebenjähriger Schlie-
ßung nun wieder für sein Publikum da ist. Die offizielle Feier fand am Vormittag
statt, am Abend folgte dann das große Museumsfest mit nahezu 2000 Gästen, die
von Minister Prof. Dr. Helmut Engler, Bürgermeister Dr. Gerhard Lang und Prof.
Dr. Wolfgang Meckelein begrüßt wurden. Auch in ihren Reden kam die Freude
über das gelungene Werk zum Ausdruck.
Bei beiden Veranstaltungen hatte der Direktor des Hauses Gelegenheit, allen am
Umbau und Aufbau Beteiligten noch einmal sehr herzlich zu danken: dem Herrn
Ministerpräsidenten wie dem Herrn Oberbürgermeister, den Damen und Herren
im Finanzministerium und seinen nachgeordneten Dienststellen, im Ministerium
für Wissenschaft und Kunst, in der Verwaltung der Landeshauptstadt Stuttgart, wie
den beiden Parlamenten. Der Dank galt auch dem Hochbauamt und den Männern
vom Bau, den beiden Ausstellungsgestaltern, Knut und Uwe Lohrer und ihren
Mitarbeitern. Schließlich, und nicht zum wenigsten war zu danken den Bedienste-
ten des Museums, die in den letzten Monaten vor der Eröffnung alles geben
mußten, um rechtzeitig fertig zu werden.
Eine große, noch im letzten Bericht angesprochene Sorge wurde uns bald genom-
men: Auch die drückende Hitze dieser Julitage konnte die Stuttgarter und die
Bürger des Landes nicht davon abhalten, das Museum sehr bald und in sehr großer
Zahl zu besuchen. Es ging schon in den ersten zwei Wochen, vor dem Beginn der
Sommerferien, sehr lebhaft zu, und zeitweilig hatten wir vormittags bis zu 300
Schüler auf einmal in den Ausstellungen, ein manchmal schon bedrohliches Ge-
wusel.
Diesen Erfolg verdanken wir nicht nur unserer Arbeit und einer sehr intensiven
Betreuung der verschiedenen Medien, sondern vor allem den verschiedenen
Medien und ihren Vertretern selbst, die großartig mitgewirkt haben, und denen
auch an dieser Stelle nocheinmal sehr herzlich gedankt sei, den Stuttgarter Zeitun-
gen, denen im Lande, den überregionalen, wie den Rundfunk- und Fernseh-
anstalten.
Bis zum Ende des Jahres hatten wir 142054 gezählte Besucher in den Ausstellun-
gen; über Einzelbeobachtungen in diesem Zusammenhang soll nachher berichtet
werden. Eine große Zahl von Führungswünschen kam auf uns zu, und wir hatten
alles zu tun, um mit eigenen Kräften und speziell trainierten Hilfskräften den
Wünschen der Schulen wie von Gruppen der Erwachsenenbildung gerecht zu
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TRIBUS 35, 1986
werden. Unserer neuen Abteilung für Museumspädagogik und Öffentlichkeitsar-
beit muß in diesem Zusammenhang das größte Lob ausgesprochen werden. Ganz
besonders danken aber darf ich unseren Besuchern, die das Linden-Museum fast
durchweg mit Begeisterung aufgenommen haben, obwohl da und dort noch nachge-
arbeitet werden mußte und muß. Wie früher, so ist das Museum auch heute wieder
ein Platz, an dem man vor allem eine große Zahl von Familien mit Kindern treffen
kann, die größte unserer Besuchergruppen überhaupt.
Die ersten vier Abteilungen stehen also und sind für das Publikum geöffnet. Die
Arbeit geht seit dem Ende der Sonimerpause im gleichen angespannten Tempo
weiter, denn zum 75jährigen Jubiläum des heutigen Museums, möglichst am 28.
Mai 1986, sollen die beiden noch fehlenden Abteilungen, Südasien und Ostasien,
dem Publikum übergeben werden. Weil sich auch hier wieder unliebsame Verzöge-
rungen eingeschlichen haben, wird es zeitlich ähnlich knapp werden, wie im
vergangenen Jahr. Erschwerend kommt diesmal dazu, daß wir nicht die Mittel dazu
haben, wieder mit einer Reihe externer Hilfskräfte zu arbeiten, sondern versuchen
müssen, die Aufgabe mit eigenen Kräften zu bewältigen.
Daneben gehen die Bauarbeiten im Hause weiter, vor allem im Dachgeschoß, wo
wir uns entschließen mußten, von der ursprünglichen Planung abweichend, einen
vorher für Magazinzwecke vorgesehenen Raumtrakt mit zusätzlichen Werkstätten
und Büros zu belegen. Wir danken allen bei den beiden Ministerien und bei der
Stadt, wie bei den beiden Parlamenten Beteiligten, daß Sie unseren Vorschlag
akzeptiert und die erforderlichen Mittel rasch zur Verfügung gestellt haben. So darf
davon ausgegangen werden, daß die Bauarbeiten im ganzen bis Ende Herbst 1986
abgeschlossen sein werden. Wenn dies der Fall ist, verdanken wir diesen Umstand
nicht nur den vorher Genannten und dem Hochbauamt, sondern auch Herrn Dr.
Kalter, der noch immer als Baubegleiter die koordinierenden Arbeiten in der Hand
hat. Es wird also möglich werden, daß der aus Altersgründen ausscheidende
Direktor seinem Nachfolger ein fertiges Haus übergeben kann.
Ausstellungen und Öffentlichkeitsarbeit
Nach dem oben Gesagten versteht es sich von selbst, daß neben den neuen
Dauerausstellungen keine Wechselausstellungen aufgebaut werden konnten, die
nur Teile des ohnehin knappen Personalkörpers von der großen Aufgabe abgezo-
gen hätten. Wichtiger war es, daß die Restaurierungswerkstätten wie das Fotolabor
die große Zahl der im Zusammenhang mit den Schausammlungen anfallenden
Arbeiten bewältigte und bewältigt. Wichtiger war es auch, daß die Wissenschaftler
sich so weit wie möglich in den Führungsbetrieb und in andere Bereiche der
Publikumsbetreuung einschalteten.
Oben war die Rede von den zahlreichen Besuchern, die zu uns gefunden haben. An
144 Öffnungstagen waren es 142054 Personen. Dabei hat sich herausgestellt, daß
die Besucherfrequenz an den einzelnen Tagen ungemein verschieden war: dienstags
waren es durchschnittlich 891, mittwochs 893, an den verlängerten Donnerstagen
(geöffnet bis 20 Uhr) 863, freitags 627, samstags 684 und an Sonntagen 1925.
Wie zu erwarten, brachten die Sonntage die meisten Besucher, und wir haben
gemerkt, daß im bisherigen Ausstellungsgelände eine Besucherzahl von 3000 am
Tag durchaus zu verkraften ist, daß 3500 Besucher aber schon einige Schwierigkei-
ten bringen. Dies wird sich ändern, wenn auch das dritte Ausstellungsstockwerk
offen ist und die Besucher sich dann besser verteilen. Zu unserem nicht geringen
Erstaunen bilden Gruppen nur einen relativ geringen Teil unserer Besucher.
Schulen und Erwachsenengruppen der verschiedensten Art machen nur etwa 11%
aus, wobei wir feststellen konnten, daß die Gruppen aus Stuttgart und die Externen
sich ungefähr die Waage halten. Bei den Einzelbesuchern wissen wir nicht, welche
aus Stuttgart, und welche von auswärts kommen, wohl aber, daß der Einzugsbe-
reich nicht nur Stuttgart und sein Umfeld ist, sondern Baden-Württemberg im
ganzen, aber auch andere Bundesländer und das benachbarte Ausland.
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Bis zum Ende des Jahres 1985. also in etwa 5'A Monaten, wurden 752 Gruppen mit
insgesamt 16214 Personen durch Teile der Ausstellungen geführt, wobei museums-
eigene Kräfte etwa die Hälfte dieser Führungen übernehmen konnten. Die Exter-
nen haben sich erstaunlich rasch in ihren Aufgabenbereich eingearbeitet, und ich
darf meinen eigenen Mitarbeitern wie den fremden sehr herzlich für diese schöne
und notwendige Arbeit danken.
Unter unseren Besuchern waren immer wieder Gäste der Landesregierung und der
Stadtverwaltung, einzeln oder in Gruppen, die vom Staatsministerium wie von der
Stadt zum Besuch des Museums an uns weitergegeben wurden. Es waren zahlreiche
Gäste aus verschiedenen Teilen Afrikas darunter, aus Südasien und aus Papua New
Guinea. Der Personenkreis, durchweg herausgehobene Vertreter ihres Landes,
war von dem, was wir aus ihren Ländern zeigen, außerordentlich angetan. Der
Botschafter eines afrikanischen Landes sagte mir auf meine Frage, ob er glaube,
daß sein Land bei uns gut und richtig präsentiert sei, spontan: »Ich fühle mich hier
zu Hause.« Einige andere afrikanische Gäste zeigten sich enttäuscht darüber, wenn
ihre Länder in den Ausstellungen nicht gezeigt werden. Der Regierungssprecher
eines ostafrikanischen Landes, dem ich auf eine entsprechende Bemerkung sagte,
daß wir aus seinem Heimatland keine Objekte besitzen, forderte mich auf. so rasch
als möglich in seinem Lande zu sammeln; er sei bereit, uns dabei tatkräftig zu
unterstützen. Der Vertreter eines westafrikanischen Landes, das wir jetzt auch
nicht zeigen können, war befriedigt, als wir ihm berichten konnten, daß wir gute
Sammlungen haben, die aus Raumgründen jetzt nicht mit eingebaut seien, daß wir
aber in den nächsten Jahren eine große Sonderausstellung zu diesem Thema
veranstalten werden. Zwei Herren aus Papua New Guinea meinten spontan, es sei
ein Glück, daß das bei uns gezeigte Material überhaupt gesammelt sei, denn nur
einige wenige Objekte hätten eine Chance gehabt, bis heute erhalten zu bleiben,
wenn damals, in der deutschen Kolonialzeit, keine Sammlungen angelegt worden
wären. Ähnliche Äußerungen hörten wir auch von einigen anderen Seiten.
Ich glaube, daß diese Reaktionen von zum überwiegenden Teil führenden Vertre-
tern der Herkunftsländer außerordentlich bemerkenswert sind, stehen sie doch im
krassen Gegensatz zu vielem, was so durch die Gazetten und andere Medien
verbreitet wird, und auch im Gegensatz zu dem, was einige von uns gelegentlich
von sich geben.
Andere Teile der Öffentlichkeitsarbeit sind die nach wie vor durchgeführten
Vorträge der ehemaligen Trägergesellschaft (Gesellschaft für Erd- und Völker-
kunde zu Stuttgart e.V.), die jetzt im neuen Wannersaal stattfinden und eine
erfreuliche Resonanz finden.
Das Museum selbst veranstaltet donnerstags abends Führungen und anschließend
Veranstaltungen verschiedener Art, Vorträge, Gesprächsrunden, Musik, Tanz u.ä.
An den Sonntagvormittagen führen wir vorläufig Kulturfilme und andere vergleich-
bare Arbeiten vor, später sollen zu diesem Zeitpunkt auch wieder Vorträge
stattfinden.
Dieses dichte Beiprogramm hat einen vielleicht noch kleinen, aber äußerst interes-
sierten Kreis von Menschen enger an das Museum gebunden, und diese Arbeit
kann sicher noch intensiviert werden, vor allem dann, wenn es gelingt, die sehr
engagierte, aber jetzt sicher einigermaßen überlastete Gruppe der Museumspäda-
gogen zu ergänzen.
Die Publikationstätigkeit des Hauses war im Berichtsjahr aus verständlichen Grün-
den sehr eingeschränkt. Allein die Hauszeitschrift TRIBUS konnte wieder erschei-
nen, und den beiden Redakteuren, Herrn Dr. Brandt und Frau Dr. Heermann,
darf ich für diese zusätzliche Arbeit sehr danken.
Auch im Jahr 1985 waren eine Reihe längerfristiger Leihgaben verschiedenen
Institutionen zur Verfügung gestellt, nämlich dem Institut für Völkerkunde der
Universität Tübingen, den Städtischen Museen Freiburg, dem Reiß-Museum
Mannheim, dem Zoologischen Garten in Saarbrücken , der »Partnerschaft Äthio-
pien« in Schloß Bauschlott, dem Zentralasien-Institut der Universität Bonn und der
Katalogisierung Orientalischer Handschriften in Marburg. Schließlich liegen in
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TRIBUS 35, 1986
Heidelberg unsere Japan-Malereien aus der Sammlung Baelz, die dort im Kunst-
historischen Institut bearbeitet werden.
Anläßlich der Wiedereröffnung des Museums waren einige Stuttgarter Firmen
bereit, in ihren Schaufenstern für das Linden-Museum zu werben. Wir haben ihnen
mit einer Reihe von Ausstellungsstücken dabei geholfen. Für diese Hilfestellung
dürfen wir sehr danken der Commerzbank Stuttgart, der Juwelier-Firma Jacobi,
dem Möbelhaus Schildknecht, dem Teppichhaus Daiß, Weise’s Hofbuchhandlung
und der Buchhandlung Engel & Streffer.
Obwohl etwa 90% unserer Sammlungsbestände noch ausgelagert waren und sind,
konnte eine Reihe von Leihgaben-Wünschen für fremde Ausstellungen befriedigt
werden: Das Museum für Völkerkunde München bekam eine größere Gruppe
afrikanischer Keramik, ebenso das Heetjens-Museum in Düsseldorf; dem Übersee-
museum in Bremen überließen wir Material aus der Westsahara, dem Museum für
Völkerkunde in Frankfurt/M Afrika-Material. Das Museum Rietberg der Stadt
Zürich erhielt Guro-Material von der Elfenbeinküste und das Joslyn Art Museum
in Omaha/USA eine Reihe von Amerika-Stücken. Der Akademie der Künste in
Berlin überließen wir eine Reihe guter, alter chinesischer Schauspielergewänder,
und der Landesbank in Stuttgart Nomadenschmuck aus Ägypten. Weitere Leihga-
ben stellten wir zeitweilig der Volkshochschule in Schwäbisch Hall, dem Heimat-
museum in Höfingen, dem Soetanja Dirdjosoesanto in Stuttgart und dem hiesigen
Theaterhaus zur Verfügung. Schließlich hatten wir die Gelegenheit, bei der hiesi-
gen Antiquitätenmesse für das Linden-Museum zu werben mit einer kleinen
Ausstellung verschiedener Materialien innerhalb der Messe.
Wir haben unsererseits vom hiesigen Naturkundemuseum für die Afrika-Ausstel-
lung zwei Stoßzähne eines Elefanten und ein Pantherfell als Leihgabe über-
nommen.
Es darf mit Dank bestätigt werden, daß die Leihgaben pfleglich behandelt und gut
zurückgekommen sind, auch vom Verkehrsamt der Stadt Stuttgart, das uns die
Möglichkeit einräumte, an einem wichtigen Platz in der Stadt anläßlich der Wieder-
eröffnung des Museums mit Objekten zu werben.
Erwerbungen
Im Gegensatz zum Vorjahr war die Ergänzung der Sammlungen rein numerisch
weniger erfolgreich, aber es ist doch gelungen, z.T. bei Sammelreisen, z.T. aus
dem Markt und durch Stiftungen von verschiedenen Seiten, schöne Ergänzungen
der vorhandenen Bestände zu beschaffen. Insgesamt handelt es sich um 1051
Inventarnummern, von denen auf Afrika 87 entfallen, auf den islamischen Orient
86, auf den südasiatischen Raum 305, auf Ostasien 458, auf die Südsee 90 und auf
Amerika 125.
Diese gegenüber dem Vorjahr deutlich geringere Zahl hat mehrere Ursachen:
Einmal war das Geld knapper, zum anderen hatten wir wohl auch nicht die Zeit,
uns um Erwerbungen in dem Maße zu bemühen, wie das in normalen Jahren der
Fall war. Es kommt aber noch ein Drittes dazu: Für die meisten Gebiete existieren
jetzt ziemlich breit angelegte Basis-Sammlungen, denen nun Spitzen aufgesetzt
werden müssen. Daß diese, nur im Handel oder aus Privatsammlungen zu beschaf-
fen, wesentlich teurer sind als Objekte normaler Qualität, versteht sich am Rande.
Deshalb werden die Erwerbungsziffern in Zukunft wohl etwas geringer ausfallen,
selbst bei gleicher finanzieller Ausstattung.
Die vorher angesprochenen Sammelreisen korrigieren das numerische Bild deutlich
nach oben. Sie wurden durchgeführt nach Indonesien, Papua Neuguinea und
Japan. Allein von diesen Reisen stammen 228 Objekte, durchweg gutes, dokumen-
tiertes Material. Wie in vielen vorausgegangenen Jahren zeigt sich auch jetzt wieder
der Sinn dieser Reisen und der Gewinn für unser Museum. Schade, daß diese
Möglichkeit an anderen Museen kaum existiert!
Von den 87 Objekten, die den Afrika-Sammlungen zugingen, stammt der überwie-
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Thai-Keramik (Auswahl).
Weiß- bis braunglasiertes Steinzeug,
teils mit Unterglasurdekor.
Höhe: 3bis 32 cm.
Sukhothai und Sawankhalok, Thailand,
13.-15. Jahrhundert.
Inv.-Nr. SA 38289 L bis SA 38468 L.
gende Teil, mindestens an qualitätsvollen Arbeiten, wieder aus dem Kongo-Gebiet.
Hier ist es uns gelungen, vor allem eine Reihe von sehr guten Masken aus alten
Sammlungen zu übernehmen, und zwar aus verschiedenen Teilen des Zaire. Dazu
kam auch einiges an figürlichem Material, vor allem aber noch eine größere Anzahl
von Metallarbeiten aus dem Nordkongo und von sehr gutem, in engerem Sinne
ethnographischem Material. Aus Gabun erwarben wir eine sehr gute Türe, die die
vorhandenen Bestände glücklich ergänzt. Kamerun ist unter den Erwerbungen des
Berichtsjahres mit einigen charakteristischen, außerordentlich reizvollen Textilien
vertreten. Aus ganz verschiedenen Gebieten konnten wir unsere Sammlung an
Primitivgeld deutlich ergänzen.
Seit Jahren schon war es unsere Absicht, die großen Lücken unserer West-Afrika-
Bestände nach und nach mit guten Sammlungsteilen aufzufüllen. Im Berichtsjahr
gelang es, einige charakteristische Arbeiten zu erwerben, die vor allem von den
Baule und Senufo stammen. Im Hinblick auf das ganze Gebiet wird in den
kommenden Jahren noch viel getan werden müssen, anders als im Hinblick auf den
Kongo, wo unsere Sammlungen jetzt nach unserer Meinung nicht mehr allzuviele
Schultertopf, Messingtreibarbeit, Ghasni,
Afghanistan, 12. Jahrhundert. Höhe: 42 cm.
Gravierter Dekor mit Sphyngen,
Löwengreifen und Schriftbändern
mit Segenswünschen.
Inv.-Nr. A38223 L.
Lücken aufweisen, vor allem, wenn man an Kunstwerke denkt.
Die Zuwächse für die Orient-Sammlungen erstreckten sich mit einer einzigen
Ausnahme wieder auf Material aus dem asiatischen Teil, nämlich dem Iran,
Afghanistan, sowjetisch Mittelasien und Pakistan. In der Verfolgung unserer
Absicht, bei den Hochkultur-Gebieten möglichst die ganze historische Tiefe mit zu
sammeln, erwarben wir aus der vorislamischen Zeit 21 Objekte, die diese Samm-
lung ganz wesentlich ergänzen. Die Stücke stammen aus Iran und Afghanistan, und
sie umfassen einen Zeitraum von nahezu 2000 Jahren, bis zum Beginn der islami-
schen Zeit. Besonders erfreulich ist eine Gruppe nordafghanischen Materials, das
sich in eine kleine, bereits bestehende Sammlung hervorragend eingliedert und es
jetzt erlaubt, einen Überblick über mehr als 2000 Jahre bronzezeitliches Schaffen
zu geben, bis in die frühe Eisenzeit.
Wer unsere Orient-Ausstellung kennt, weiß, wie gut unsere Ghasnaviden-Samm-
lung inzwischen ist; sie konnte im Jahr 1985 vor allem durch eine Reihe von
Metallarbeiten weiter verstärkt werden. Darunter ist ein großer ScfiulteFtopf zu
nennen, der den hohen Stand der Metallarbeiten in diesem frühen islamischen
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TRIBUS 35, 1986
Bereich dokumentieren kann. Dasselbe gilt für ein Pectorale, Silber mit Kupfer-
tauschierung, das sicher aus fürstlichem Besitz stammt.
Seit einer Reihe von Jahren versuchen wir, Architekturteile und Architektur-
schmuck zu sammeln, und zwar aus der Erkenntnis heraus, daß dieses Material in
den Herkunftsländern mehr und mehr verschwindet - nicht durch Abtransport,
sondern weil man »moderne« Bauten anstelle der traditionellen haben will. In
diesem Jahr konnten wir aus einer jetzt verschwundenen Grabmoschee im Punjab
eine Deckenrosette und vier Fenstergitter erwerben, die in die frühislamische Phase
gehören und hervorragende Beispiele der damaligen Kunst bilden.
Neben dem Genannten kamen eine Reihe von im engeren Sinne ethnographischen
Objekten ins Haus, Ergänzungen bestehender Sammlungen aus Afghanistan und
Mittelasien.
Rein numerisch entfiel ein Löwenanteil an Erwerbungen auf Südasien. Hier
konnten praktisch alle Bereiche ergänzt werden, freilich mit ganz verschiedenem
Gewicht. Das Mutterland der ganzen Kulturentwicklung, Indien selbst, verdient
unsere besondere Aufmerksamkeit, und nach der Sammelreise des Vorjahres
konnten wir auch 1985 aus den verschiedensten Zeiten wieder Ergänzungen
beschaffen. Ganz besonders froh sind wir darüber, jetzt ein einköpfiges Shiva-
Linga aus der frühen Guptazeit zu haben (dem sich im Jahr 1986 übrigens ein
vierköpfiges zugesellt). Hier konnten zwei der wichtigsten Desiderata unserer
Sammlung religiöser Kunst aus Indien beschafft werden. Ein charakteristisches
Gandhara-Relief kam dazu und eine sehr gute Bronze aus der Pala-Kultur. Es
wurden aber auch die späteren Phasen der indischen Entwicklung nicht übersehen:
Aus Kashmir erwarben wir eine Gruppe von Miniatur-Malereien, aus der frühen
Moghul-Zeit eine bemalte Moscheetür und aus verschiedenen Bereichen Silber-
arbeiten.
Nepal und Tibet sind in den Neuzugängen vor allem mit Kultgerät, einem Silber-
gürtel und einer holzgeschnitzten Maske vertreten. Aus Thailand erwarben wir eine
Keramik-Sammlung mit 180 Teilen, eine auch von den Typen her reich gegliederte
Sammlung von Sukhothai- und Sawankhalok-Material. Schließlich sind die Indone-
sien-Objekte zu nennen. Hier handelt es sich vorwiegend um Batak-Material,
Silberschmuck, Textilien und beschnitzte Holzteile. Dazu kommen einige moderne
Beispiele balinesischer Malerei.
Der Sammlungskomplex Südasien ist der letzte, der systematisch angegangen
werden konnte. Daher, und weil die Komplexität der Kulturen hier ganz besonders
groß ist, wird in diesem Bereich noch sehr viel getan werden müssen, bis wir die
sehr unterschiedlichen, reich differenzierten Kulturen des gesamten Raumes wenig-
stens in Auswahl adäquat darstellen können.
Von den 458 Inventar-Nummern, die Erwerbungen aus Ostasien zufallen, stammen
116 Objekte allein von einer Sammelreise des Referenten nach Japan. Es handelt
sich um Porzellan, Steinzeug, Lack und manch anderes, durchweg wohl edozeitli-
ches Material, das unsere schon jetzt gute und reiche Sammlung aus dieser Zeit
glücklich ergänzt. Ähnlich erfreulich ist die Stiftung einer kompletten Ausstellung
rezenten Materials, die wir der Japan-Foundation verdanken.
An Einzelobjekten konnten wir vor allem noch ein buddhistisches Holzschnittbuch
aus dem 14. Jahrhundert und eine Lackmalerei aus dem 17. Jahrhundert erwerben.
Nicht der Zahl, wohl aber der Bedeutung nach, waren die Zuwächse an chinesi-
schem Material bedeutender. Unter den 44 Objekten dieser Provenienz waren
allein 29 Keramiken aus verschiedenen Zeiten, von denen hier songzeitliche
Qingbai-Ware und mingzeitliches blau-weiß Porzellan genannt sein mögen. Drei
erstklassige Gläser aus dem 18. Jahrhundert müssen erwähnt werden, und einige
Holzschnittbücher aus dem 14., 15. und 17. Jahrhundert mit verschiedener Thema-
tik. Und schließlich konnten wir erfreulicherweise unsere herausragende Lack-
sammlung ergänzen mit Beispielen aus Phasen, die bis jetzt noch weithin fehlen. Es
sind zwei herausragende Song- bzw. Yüan-Lacke und einige Objekte aus dem
18. Jahrhundert.
Die 90 Objekte, die der Südsee-Sammlung zugewachsen sind, stammen weit
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TRIBUS 35, 1986
überwiegend von einer Sammelreise der Referentin ins Sepik-Gebiet. Die Objekte
waren weithin bestimmt für die Einrichtung unseres jetzt in der Ausstellung
stehenden Männerhauses aus diesem Gebiet. Es handelt sich also um rezentes
Material der verschiedensten Art. Als Einzelstücke konnten wir einige Objekte aus
anderen Teilen New Guineas wie aus Neubritannien erwerben. Dazu kam eine
Fidschi-Keule mit Maori-Omamenten und ein Brustschmuck aus Hawaii.
Die vergleichsweise große Zahl (125) der Amerika-Zugänge resultiert vor allem aus
der Erwerbung einer Sammlung präkolumbischer Stein- und Knochen-Artefakte
aus dem nördlichen Chile, eine Gruppe, die in unseren Sammlungen bisher ohne
Vergleichsbeispiel ist. Dazu kommen aus dem südamerikanischen Bereich 19 alt-
peruanische Stücke, im Gegensatz zum Vorjahr keine Keramiken, sondern durch-
weg Textilien, Metall- und Holzarbeiten. Besonders erfreulich ist dabei, daß wir 6
Inkastücke erwerben konnten, Objekte aus einer bisher in den Sammlungen relativ
schwach vertretenen Zeit.
Meinen Mitarbeitern darf ich auch im Rahmen dieses Berichts wieder für ihr
Engagement bei der Ergänzung ihrer Sammlungen danken. Ich weiß, daß bei
weitem nicht alle Wünsche erfüllt werden konnten, aber das ist wohl in allen
Museen so. Die Referenten geben im Anschluß ihre Erwerbungsberichte, Herr Dr.
Hans Joachim Koloß (H.-J. K) für Afrika, Herr Dr. Johannes Kalter (J. K.) für die
Orient-Abteilung, Herr Dr. Gerd Kreisel (G.K.) für Südasien, Herr Dr. Klaus J.
Brandt (K.J. B.) für Ostasien, Frau Dr. Ingrid Heermann (I.H.) für die Südsee
und Herr Dr. Axel Schulze-Thulin (A. S.-T.) für Amerika. Außer ihnen darf ich
auch den Restauratoren danken, die uns bei der Entscheidung für manche Erwer-
bung hilfreich zur Seite gestanden haben.
Sehr danken möchte ich wieder meinen Kollegen von den anderen Staatlichen
Kunstsammlungen und den Herren der Kunstabteilung im Ministerium für Wissen-
schaft und Kunst, wie dem Herrn Minister selbst. Sie alle haben die Wünsche des
Museums mit kritischer Aufgeschlossenheit verfolgt und uns in vielen Fällen
geholfen.
Afrika-Abteilung
Obwohl es schon seit Jahren das Ziel der Afrika-Abteilung ist, die weniger
umfangreichen Sammlungen des westafrikanischen Kulturraums vorrangig zu för-
dern, ist im Berichtsjahr aufgrund günstiger Angebote noch einmal eine größere
Zahl von Werken aus Zaire gekauft worden. Von besonderer Bedeutung ist dabei
der Erwerb einiger qualitätvoller Masken, von denen einige schon seit Jahren zu
den wichtigsten Desiderata der Abteilung zählen: von den Yaka eine hemba-Maske
aus der Region Kimbau, von den Pende eine m6«ya-Krankenmaske, von den Kuba
eine lapukpuk- und eine pwoom üo/c-Maske, von den Songe eine kifwebe-Maske
und schließlich noch eine bedeutende Maske aus dem bwami-Bund der Lega.
Besonders zu nennen ist auch eine Frauenfigur mit einem Kind von den Nsapon-
sapo. Bei den übrigen Stücken aus dem Zaire handelt es sich überwiegend um
schön gestaltete bzw. verzierte Gebrauchsgegenstände. Von den Kakongo konnte
ein Schwert, vermutlich aus dem 17. Jahrhundert, erworben werden, dazu eine
kleine Signalpfeife aus Elfenbein in Form einer Hand. Die in den letzten Jahren
erheblich ausgebaute Tschokwe-Sammlung konnte durch einen figürlich verzierten
Zeremonialstab ergänzt werden. Weitere wichtige Erwerbungen waren eine
Tabakspfeife in Form eines menschlichen Kopfes von den Yaka, ein aus Holz
geschnitzter kleiner Kopf von den Pende, und von den Kuba eine Rückenstütze aus
Holz in Form eines Vogels, ein Holzschwert, ein Tongefäß, eine Trommel, eine
Mütze und ein Zeremonialbesen, beide mit Kaurischnecken und Perlen verziert.
Für den Bereich des östlichen Zaire stehen ein Zeremonialspeer von den Songe, ein
mit Perlen und Federn besetzter bambodji-Aufsatz von den Luba, ein Katanga-
Kreuz, ein Palmölgefäß und eine Trommel von den Tabwa, die beide mit in Kreisen
aufgelösten Gesichtern verziert sind, und eine mit Kaurischnecken besetzte Mütze
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TRIBUS 35, 1986
Rückenstütze in der Form
eines stilisierten Vogels.
Holz, braun patiniert.
Länge: 58 cm. Kuba (Zaire).
Inv.-Nr. F53453.
und ein Fetisch von den Lega. Der nördliche Zaire ist mit einer hölzernen Glocke
von den Azande, einer Tabakspfeife und einem Fußring nebst Matrize von den
Ngbaka vertreten. Für die Charakterisierung der modernen Entwicklung konnte
schließlich eine kleine Sammlung von Kinderspielzeug erworben werden, das aus
Draht besteht und vermutlich im westlichen Zaire entstanden ist.
Ein besonders interessanter Zugewinn gelang für die ohnehin bedeutende Gabun-
Sammlung, nämlich eine mit figürlichen und geometrischen Ornamenten verzierte
Tür von den Mitsogho. Von den Dualla im südlichen Kamerun stammt das Modell
einer Piroge, das dem Linden-Museum von der Familie eines ehemaligen deutschen
Kaufmanns in Kamerun gestiftet wurde. Die umfangreichen Sammlungen des
Kameruner Graslandes wurden durch drei Männergewänder und zwei Bahnen des
berühmten »royal cloth« ergänzt.
Für Westafrika konnten diesmal nur einige wenige, dennoch wichtige Einzelstücke
angeschafft werden: von den Baule (Elfenbeinküste) ein schöner Zeremonialhok-
ker und ein anthropomorphes Goldgewicht; von den Senufo (Elfenbeinküste) ein
verzierter Gefäßdeckel in Form einer Schildkröte, und aus Niger zwei Wasserkale-
bassen mit einem Tragholz. Nach vielen Jahren ist es jetzt möglich geworden,
unsere alte und bedeutende Buschmann-Sammlung zu ergänzen: durch eine
Schmuckkette und einen Lendenschurz aus Leder.
Eine besonders wichtige Neuerwerbung gelang schließlich durch den Kauf einer
Sammlung afrikanischen Primitivgeldes vor allem aus West- und Zentralafrika,
durch die die bereits große Kollektion vorkolonialer Geldformen weiter ausgebaut
wurde.
Insgesamt verzeichnete die Afrika-Abteilung 87 Neuzugänge im Jahre 1985, von
denen ein Großteil bereits in der neuen Dauerausstellung gezeigt wird. H.-J. K.
18
Waschgarnitur, zweiteilig, Messing,
teilweise verzinnt mit graviertem Dekor,
Kokand, Russisch-Mittelasien,
spätes 19. Jahrhundert.
Durchmesser des Beckens: 38,5 cm.
Höhe der Kanne: 34 cm.
Inv.-Nr. A 38278 La+b.
Orient-Abteilung
Die Zahl der Neuzugänge der Orient-Abteilung lag mit 86 Stücken leicht über der
des Vorjahres. Im wesentlichen handelt es sich um systematische Ergänzungen und
Abrundungen der seit Anfang der 70er Jahre kontinuierlich ausgebauten Samm-
lungsgebiete. Herausragende Neuerwerbungen erhielt der islamkundliche Teil der
Sammlung auf dem Gebiet des Architekturschmuckes und frühislamischer Metall-
arbeiten.
An vorislamischem Material des iranischen Raumes erwarben wir 21 Stücke, im
einzelnen 14 Kleinbronzen wie Haarpfeile, Siegel u.ä. aus der Umgebung von
19
TRIBUS 35, 1986
Reihengebetsteppich, Kelimtechnik,
Baumwolle, Hyderabad, Pakistan,
spätes 14. Jahrhundert.
Größe des Ausschnitts: 64 x 131 cm.
Der Ausschnitt zeigt eine stilisierte
Moschee. Im Zentrum der
Mihrab-Nische ein Lebensbaum
unter einer Moscheelampe.
Inv.-Nr. A 38270 L.
20
'
m.r-
Hängerolle mit Darstellung der »Königin-
mutter des Westens« (Xi Wang-mu),
begleitet vom Hirsch des Langen Lebens.
Seidenstickerei auf blauem Seidengrund.
China. Maße: 153x71,1 cm.
Kangxi-Ära (1662-1722).
Inv.-Nr. OA22348L.
21
TRIBUS 35, 1986
Daulatabad (12.-8. Jahrhundert v.Chr.), einige Luristanbronzen, darunter eine
Scheibennadel mit einem Männerporträt und einen Amulettanhänger in Form eines
Kamels, um 1000 v. Chr. Aus medischer und achaemenidischer Zeit stammen eine
Standartenspitze mit Pferdeprotomen sowie eine aus Kupferblech getriebene
Omphalosschale. In die sasanidische Zeit ist eine getriebene Silberscheibe mit
Steinböcken am Lebensbaum zu datieren.
Die islamkundliche Sammlung wuchs um 35 Stücke an. Besonderes Gewicht legten
wir schon in der Sammeltätigkeit der Vorjahre auf Architekturschmuck. Aus einem
Grabbau des Süd-Punjab konnten wir eine geschnitzte Deckenrosette und vier
Fenstergitter erwerben, deren Dekor noch eindeutig in frühislamisch-arabisch
überprägter Tradition steht. Aus dem Inventar der Fürsten und der Oberschicht
stammen mittelalterliche Metallarbeiten des ostislamischen Raumes, die wir in den
letzten Jahren erwarben. Auch dieser Sammlungsteil wurde systematisch ausge-
baut. An herausragenden Stücken sind hier zu nennen ein 42 cm hoher, getriebener
Schultertopf mit eingravierten Schriftfriesen und umlaufenden Bändern von
Mischwesen wie Sphingen, Harpyen und Greifen, ein getriebenes Becken mit
silbertauschierten Nashi-Inschriften (Ghasni, 12. Jahrhundert) sowie ein mit ausge-
schnittenen, aufgenieteten Beschlägen verziertes Kästchen und die mit floralem
Dekor in Kartuschen und Inschriften geschmückte Abdeckhaube einer Speise-
schale aus der Zeit des Sultanats von Delhi (14. Jahrhundert). Mit Sicherheit aus
fürstlichem Besitz stammt ein großes halbmondförmiges Pektorale, eine gravierte
Silbertreibarbeit mit Kupfertauschierung (Ghasni, 12. Jahrhundert).
Zum Themenbereich Religion erwarben wir einen ungewöhnlich variantenreich
gestalteten Reihengebetsbaumwollkelim (Dari) aus der großen Moschee von
Hyderabad in Pakistan (14. Jahrhundert).
Unsere in engerem Sinne völkerkundliche Sammlung wurde um 17 Objekte
ergänzt. Ein lange gesuchtes Desiderat war eine hölzerne Korantafel mit Malerei,
die Abschlußarbeit eines Koranschülers aus einer nordwestmarokkanischen Stadt.
Die übrigen Stücke stammen aus Afghanistan und Mittelasien. Besonders bemer-
kenswert sind hier ein wohl noch in das 17. Jahrhundert zu datierendes turkmeni-
sches Zaumzeug aus grünem Eselsleder mit gravierten Eisenbeschlägen, eine
Waschgarnitur aus Kokand und eine im Susani-Stil gestickte Abdeckung eines
Kohlebeckens aus Buchara. J. K.
Südasien-Abteilung
Im Berichtsjahr wurden für die Südasien-Abteilung insgesamt 305 Objekte erwor-
ben, die sich folgendermaßen auf die einzelnen Regionen verteilen: aus Indien 57,
Sri Lanka 1, Nepal und Tibet 9, Südostasien (Festland) 181 und Indonesien 57.
Unter den indischen Objekten verdienen einige Einzelstücke und Sammlungen
besondere Erwähnung. Ein kleines fragmentarisches Reliefpaneel aus Gandhara
zeigt den »in die Hauslosigkeit ziehenden« Siddhärtha auf frontalgerichtetem
Pferd. Aus der frühen Guptazeit stammt ein einköpfiges Sivaiinga der Mathura-
Schule (Abb. S. 25), das diese wichtige Kategorie hinduistischer Kultfiguren
hervorragend vertritt. Dargestellt ist Siva als Yogin mit Asketenfrisur, in der sich
Schmuckstücke und eine Mondsichel befinden.
Als Seltenheit kann die Bronzefigur einer sitzenden Manasä DevI der Pälakunst
bezeichnet werden. Im Schoß der Göttin sitzt ihr Sohn Astika, zwei Näginls sowie
die Götter Ganesa und Yama auf seinem Büffel (?) umgeben sie (Abb. S. 23).
Die Textilmalerei eines Garuda auf einer fragmentarischen Seidenstandarte als
Insignum der Herrscher von Kota, Rajasthan, aus der Mitte des 19. Jh. (Abb. S. 24,
siehe auch den Beitrag im Aufsatzteil), sowie ein neunteiliger Satz kashmirischer
Buchillustrationen von ca. 1830 mit Avatära-Darstellungen Visnus - beides sind
Geschenke - ergänzen den Bestand des Linden-Museums an Beispielen indischer
Miniaturenmalerei. Aus dem moghulzeitlichen Agra, Nordindien, stammt eine mit
Blumenmotiven beschnitzte Moschee-Tür (Anfang 17. Jahrhundert, Abb. S. 15),
22
TRIBUS 35, 1986
Garuda, Fragment einer Standarte
der Herrscher von Kota, Rajasthan,
Nordindien. Malerei auf Seide.
Außenmaße: 71 x 67 cm.
Schule von Kota, um 1810.
Inv.-Nr. SA 38569.
24
Phallisches Siva-Kultbild (Ekamukhalinga).
Sandstein, Höhe: 57 cm, Mathura, Anfang
5. Jahrhundert.
Inv.-Nr. SA 38227 L.
25
TRIBUS 35, 1986
aus Südindien eine silberne Amulettdose mit kleinem, fünfköpfigem Sivaliiiga,
weitere 7 Silberamulette aus Rajasthan und - emailliert - aus Himachal Pradesh.
Aus dem buddhistisch-lamaistischen Ritus und Kunstschaffen Nepals und Tibets
stammen u.a. ein kupfergetriebener Klappaltar mit Teilvergoldung, ein dreiteiliger
Satz kupferner Opferlöffel, ein silbernes, fünfteiliges Ringstufen-Mandala zum
Aufhäufen von Reisopfern, zwei Eisen-P’urpas, einer davon mit überfangenem
Griff und Vogelfigur als Aufsatz (ca. 14. Jahrhundert), sowie ein feingliedriger
Silbergürtel mit Vergoldung. Schlicht, aber höchst ausdrucksvoll ist ein Hirschkopf
als lamaistische Tanzmaske aus Holz geschnitzt.
Die Objekte aus Südostasien stehen zahlenmäßig voran dank einer ISOteiligen
Sammlung thailändischer Keramik, die insgesamt 21 Gefäßtypen der Sukhothai-
und Sawankhalok-Waren enthält, v.a. Becher und Schalen mit und ohne Fuß,
Teller, Dosen, Kugelgefäße, Henkelösengefäße, Langhalsflaschen, die spezifisch
südostasiatischen Kendi sowie eine Tüllenkanne. Vertreten sind Gefäße mit Sela-
don-Glasur, weißer bis brauner Glasur, teils mit Unterglasurdekor (Auswahl Abb.
S. 2).
Als Einzelstück ist ein hölzerner Ahnenpfosten der Jarai, Südvietnam, mit durch-
brochen geschnitzter Figur in Hockstellung zu erwähnen.
Aus dem indonesischen Raum konnten zahlreiche Objekte der Batak erworben
werden. Ein großes holzgeschnitztes Giebelstück in Rautenform der Toba, vier
Kettikat-Tücher derselben Herkunft sowie eine dokumentierte 41teilige Schmuck-
sammlung vor allem aus dem Karo-Batak-Gebiet, ferner zwei Baumwoll-Sarongs
mit broschierten Metallfäden aus Lampong bzw. Palembang ergänzen unsere
Sumatra-Bestände, ein phallusähnliches hölzernes Trinkhorn mit Affendarstellung
stammt aus Kalimantan, desgleichen wahrscheinlich eine in sich verdrehte Wild-
wuchs-Schnitzfigur mit angebundener Kalebasse.
Drei großformatige Tuschmalereien auf Karton im Stil der balinesischen Batuan-
Schule der vierziger oder fünfziger Jahre zeigen mythologische und dörfliche
Szenen. Als ältestes Objekt sei schließlich das Steinrelief einer Durgä Mahisäsura-
mardinl aus der Majapahit-Periode Ostjavas erwähnt. G. K.
Ostasien-Abteilung
Das Jahr 1985 war für die Ostasien-Abteilung, was die Zahl der Neuzugänge
betrifft, wiederum sehr erfolgreich. Der Zuwachs belief sich diesesmal zahlenmäßig
auf mindestens 458 Objekte. Darin ist vor allem die Stiftung des japanischen
Staates durch die Japan Foundation enthalten, die dem Linden-Museum zu Beginn
des Berichtsjahres eine komplette Ausstellung schenkte, die unter dem Titel »Wie
verpacke ich fünf Eier - Kunst des Verpackens in Japan« von Mai 1981 bis Ende
1984 durch insgesamt acht deutsche und sechs ausländische Ausstellungsorte in der
Schweiz, Holland, Belgien und Israel gereist war. Zu dieser Ausstellung war sowohl
ein deutsch- als auch französischsprachiger Katalog mit 288 Nummern und ebenso-
vielen Schwarzweiß- bzw. Farbabbildungen erschienen.
Weitere 116 Gegenstände sind das Ergebnis einer Sammelreise nach Japan in der
Zeit vom 14. November bis 21. Dezember 1984. Es handelt sich hier im einzelnen
um 66 Blauweiß-Porzellane, neben den japanischen auch vier chinesischen
Ursprungs, aus dem 17. bis 19. Jahrhundert, zwei Gefäßen aus Steinzeug des 17. bis
19. Jahrhunderts, 23 Gegenstände aus Holz bzw. Lack, fünfzehn Kämme und
Haarnadeln, sieben Objekte aus Metall, zwei Textilstücke und ein koreanischer,
mit Haifischhaut bespannter Kasten aus dem 19. Jahrhundert.
Weitere zehn Gegenstände sind ebenfalls japanischer Herkunft, sechs davon wur-
den gestiftet, darunter auch die erste japanische Lackarbeit, eine um 1600 datier-
bare runde Dose, die in der Technik des kamakura-bori hergestellt wurde. Diese
stellt eine Art »falscher Schnitzlack« dar, bei dem der Holzkern beschnitzt und
abschließend überlackiert wurde, der Dekor also nicht, wie sonst beim Schnitzlack
üblich, in eine entsprechend dick aufgetragene Lackschicht eingeschnitzt ist.
26
Fußschale mit Untersatz.
Porzellan mit blaßblauer, transparenter Südliche Song-Zeit (1127-1278).
Glasur. China. Flöhe (zusammen): 8,5 cm. Inv.-Nr. OA 22324 a+b L.
Eine andere wichtige private Spende bildet die spätestens in das frühe 15. Jahrhun-
dert datierbare gemalte Kopie einer Original-Querrolle von 1310 mit ikonographi-
schen Darstellungen und Erläuterungen der verschiedenen Bodhisattvas und budd-
histischen Schutzgottheiten, wie sie im esoterischen Buddhismus für den Kult
Verwendung fand.
Elnter den vier Ankäufen ragen ein buddhistisches Holzschnittbuch mit dem
Originaleinband heraus, das Teil der 1383 vom Tempel Köfuku-ji in Nara herausge-
gebenen Ausgabe des »Daihannya-haramitta«-Sütra ist, und eine Darstellung vom
Inneren eines Hauses im Vergnügungsviertel, die Okumura Masanobu (1686-1764/
68) zugeschrieben wird und um 1640 zu datieren ist.
Die bedeutenderen Erwerbungen wurden jedoch für die China-Sammlungen getä-
tigt, die insgesamt 44 Neuzugänge verzeichnen konnte, darunter acht gestiftete
Gegenstände. Die Keramikbestände vermehrten sich um 29 Objekte, sechs davon
gespendet, die den zeitlichen Rahmen vom Neolithikum mit einem kleinen bemal-
ten Tongefäß aus dem Ende des 3. Jahrtausends v. Chr. bis zum frühen 19.
Jahrhundert umspannen. Darunter befinden sich eine Reihe von Gefäßen, wie etwa
die sechs song-zeitlichen Qingbai-Gefäße, eines davon eine Kanne mit einem
kleinen, plastisch modellierten Löwen als Deckelgriff, und zehn Blauweiß-Porzel-
lane aus der Zeit um 1640 und ein sehr großer Blauweiß-Teller mit Johanneums-
marke aus dem ehemaligen Besitz des sächsischen Königs August dem Starken, die
Lücken in den Samlungen schließen helfen.
Ferner wurden drei Gläser, eine Vase und ein Schalenpaar, alle mit einer eingeritz-
ten Qianlong-Marke (1736-1795), und zwei buddhistische Holzschnittbücher ange-
kauft, die in die Jahre 1301 bzw. 1479 datiert sind, und ein aus acht Heften
bestehendes Holzschnittwerk, um 1588 datierbar, über chinesische Tuschstücke mit
zahlreichen Schwarzweiß-Holzdrucken.
27
TRIBUS 35, 1986
Döschen mit eingepreßtem Päonien-Dekor
in Flachrelief.
Graues Steinzeug mit grüner, transparenter
Glasur, Yue-Ware. China.
Durchmesser 8,7 cm.
Nördliche Song-Zeit (960-1126).
Inv.-Nr. OA22329 L.
Eine großformatige Seidenstickerei mit der Darstellung der »Königinmutter des
Westens«, Xi Wang-mu, begleitet von dem Hirschen der Unsterblichkeit, aus der
Kangxi-Ära (1662-1722) gelangte neben einer großen, reich beschnitzten Elfen-
beinvase aus dem späten 19. Jahrhundert als Spende in die Sammlungen.
Fünf Lackarbeiten bilden seit dem Erwerb der großen chinesischen Lacksammlung
von Fritz Low-Beer Anfang 1978 die bedeutendsten Zugänge auf diesem Samm-
lungsgebiet. Es handelt sich hier im einzelnen um einen mit Braunlack bedeckten
Untersatz für eine temmoku-Teeschale aus der späten Song- bzw. Yuan-Zeit
(13.-14. Jahrhundert), eine große neuneckige Dose mit Personen- und Tier- bzw.
Pflanzendarstellungen in Perlmutteinlagen, sog. »laque burgaute«, aus der Zeit um
1500, eine rechteckige Dose mit verschiedenfarbigen Steinauflagen aus der Kangxi-
Ära (1662-1722), eine runde Dose mit dreifarbigem Schnitzlackdekor aus der
zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts und als wichtigste Erwerbung, nicht nur auf
diesem Gebiet, sondern für das gesamte Berichtsjahr überhaupt, ein großer Teller
aus der Yuan-Zeit (1278-1368) mit einem schwarzen Schnitzlackdekor, bestehend
aus zwei Reihern, die über einen Grund mit Malvenblüten und -blättern fliegen.
Dieser Teller gehört zu einer kleinen, mindestens vierzehn Stücke umfassenden
Gruppe vergleichbarer schwarzer Schnitzlacke mit ockerfarbenem Grund, denen
allen der Dekor - zwei fliegende Vögel über einem dichten floralen Grund -
gemeinsam ist. K.J.B.
30
Großer Teller, zwei fliegende Reiher Yuan-Zeit (1278-1368).
über einem mit Malven bedeckten Grund. Inv.-Nr. OA 22343 L.
Schwarzer Schnitzlack mit ockerfarbenem
Untergrund. China. Durchmesser: 32,4 cm.
Südsee-Abteilung
Der Erwerbungsbericht verzeichnet für das Jahr 1985 die für die Südsee-Abteilung
nicht geringe Zahl von 90 Zugängen. Diese Zahl ergibt sich allerdings aus der
Tatsache, daß die auf einer Sammelreise zum Sepik in Papua Neuguinea Ende 1984
erworbenen Stücke erst im vergangenen Jahr eintrafen und inventarisiert werden
konnten.
Nur zwei alte Stücke wurden für die Abteilung angekauft: ein Schmuck von Hawaii
(Abb. S. 39) und eine mit Maori-Motiven beschnitzte Fidji-Keule (Abb. S. 40). Bei
dem Schmuck handelt es sich um eine wichtige Ergänzung unserer Sammlungen,
um einen ehemals den Männern der führenden Familien vorbehaltenen Brust-
schmuck lei niho paloao. Er besteht aus einem aus Elfenbein gearbeiteten haken-
förmigen Anhänger, der an einer »Kette« getragen wurde, die aus vielen aus
Menschenhaar gearbeiteten Strängen besteht. Die Keule gehört zu den wenigen
bekannten Stücken, bei denen eine nach Form und Gestaltung eindeutig von Fidji
kommende Keule von Maori-Künstlern überarbeitet und mit Spiral-Verzierungen
an Schaft und Stil versehen wurde. Unbekannt ist bis jetzt, ob diese Keulen nach
ihrer Verarbeitung von Maori oder auf Fidji benutzt worden sind.
Einige weitere alte Stücke gingen uns aus dem Nachlaß des Missionars Fellmann zu:
31
Vorratstöpfe und Kochschale.
Ton, bemalt.
Aibom, Mittelsepik, Papua Neuguinea.
Besonders zu erwähnen sind hier ein Schmuck von Neubritannien und zwei Speere
mit Knochenabdeckungen auf der Speerspitze neben einigen Keulen und anderen
Geräten. Dankbar sind wir auch für einige Objekte aus dem Hochland von Papua
Neuguinea, die zusammen mit Stücken aus anderen Sammlungsgebieten ins Haus
kamen. Den Stiftern danken wir auch hier sehr herzlich.
Auf der Reise zum Sepik wurden insgesamt 71 Stücke erworben, daneben nicht
inventarisierte Baumaterialien, wie der Giebel für das nachgebaute Männerhaus in
der Dauerausstellung. Dabei handelt es sich zum einen um Alltagsgerät: tönerne
Kochschalen und Töpfe aus Aibom (Abb. s.o.), Holzschemel aus verschiedenen
Orten, Netz- und Basttaschen der Frauen, eine Sagorutsche usw. Zur Ausstattung
des Männerhauses wurden neben einigen als touristisch anzusprechenden Masken,
Flöten und Kalkbehältern auch ein Rednerstuhl aus Korogo erworben, daneben
heute für die Holzbearbeitung verwendete Metallwerkzeuge mit traditioneller
Schäftung, Alltaggerät aus dem Männerhaus usw. Besonders glücklich war der
Erwerb eines zwar nicht mehr gebrauchstüchtigen, aber sehr gut erhaltenen Frau-
enbootes aus Aibom, das neben einer kleinen Schnitzerei vorn - die häufig
auftretende Krokodildarstellung - rundum im Flachrelief beschnitzt ist, was dieses
Boot auch in Aibom aus der großen Zahl der noch täglich verwendeten Boote
heraushebt. I. H.
33
TRIBUS 35, 1986
Anthropomorphes Figürchen aus Walroß-
Elfenbein, Eskimo, Beringstraße, Alaska,
18./19. Jahrhundert. Höhe: 9,5 cm.
Inv.-Nr. M 32190.
Amerika-Abteilung
Gemessen an vergangenen Erwerbungsjahren war 1985 hinsichtlich der Neuzu-
gänge für die Amerika-Abteilung eher bescheiden, wenn auch die Sammlungskom-
plexe, die sammlungspolitisch innerhalb dieser Abteilung im Vordergrund stehen,
ergänzt und erweitert werden konnten. Vier Objekte stammen aus Nordamerika,
eine Sammlung Knochen- und Steinmaterial (108 Positionen) kommt aus Chile.
Das qualitative Gewicht der Erwerbungen liegt auf 19 Stücken aus verschiedenen
altperuanischen Kulturen.
Nordamerika: Eine der Aufgaben der Amerika-Abteilung besteht darin, die außer-
halb der Prärien und Plains liegenden Kulturregionen sammlungsmäßig zu verstär-
ken. Wir sind hier 1985 ein kleines Stück weitergekommen. Neben einem Schnee-
messer (bzw. Eskimo storyteller knife) aus Walroß-Elfenbein wurde ein anthropo-
morphes Elfenbein-Figürchen von der Beringstraße erworben, das eine bereits
vorhandene weibliche Figur aus dieser Region ergänzt (Abb. s. o.).
Obwohl sich das Linden-Museum Stuttgart vornehmlich als kulturhistorische Insti-
tution versteht, hat die Amerika-Abteilung 1985 ein Objekt zeitgenössischen
Kunstschaffens erworben. Für den Einführungsraum zur neuen Amerika-Dauer-
ausstellung suchten wir ein Stück, das - stellvertretend für die moderne Indianer-
kunst Nordamerikas insgesamt - auf die traditionelle Kontinuität in manchen
Bereichen kulturellen Ausdrucks weisen sollte. Ein solcher Kunstgegenstand wurde
in Form einer Mondmaske des Künstlers Calvin Hunt (Kwagiulth bzw. Kwakiutl)
gefunden.
Das vierte der 1985 erworbenen Stücke aus Nordamerika ist präkolumbisch. Es ist
eine Platte aus rötlichem Sandstein mit einer eingravierten, stilisierten mensch-
lichen Figur. Sie wird der Mimbres-Kultur zugeschrieben und datiert etwa
800 n. Chr.
Alt-Peru: Erfreulich an dem Neuzugang aus dem Mittleren Andenraum ist, daß
sechs Stücke aus dem Inka-Horizont stammen, sind doch Objekte aus diesem
Kulturbereich nur schwer zu erhalten. Es sind dies zwei polychrome textile Köcher
und ein ebenfalls mehrfarbiges Textilstück; sodann zwei kleine Holzteller mit
aufgeklebten Federmustern sowie ein Helm aus Silberblech. An Textilien sind noch
zwei Streifen mit figürlichen Mustern aus der Chancay-Kultur und eine Mütze, die
dem Huari-Horizont zuzurechnen ist, anzuführen. Eine anthropomorph geschnitzte
Holzfigur wird Nazca zugeschrieben. Fünf Tumi (Sakral- und/oder Operationsmes-
ser) mit figürlich gestalteten Griffen, eines mit Einlegearbeiten, stammen aus der
Chimü-Kultur.
Alt-Chile: Im Berichtsjahr konnte das Museum eine aus dem Rahmen fallende,
nichtsdestoweniger interessante Sammlung erwerben, die vornehmlich aus Stein-
spitzen und unterschiedlichem Knochenmaterial besteht und aus präkolumbischen
Gräbern nahe der Küstenstadt Taltal (ca. 700 km nördlich von Santiago) stammt.
Die Stücke wurden 1947 ausgegraben. Neben den erwähnten Pfeil-, Speer- und
Lanzenspitzen aus Stein handelt es sich um zwei Ketten aus Stein- und Muschelper-
len, einem Pfeifenköpfchen aus gebranntem Ton und einem Angelhaken aus
Kupfer. Die Knochengegenstände setzen sich aus Spitzen, Spatel, Glätter, Pfrie-
men, Ahlen, Röhrchen und Angelhaken zusammen. A. S.-T.
Stiftungen und Spenden
Wie aus den Erwerbungsberichten hervorgeht, verdanken wir auch in diesem Jahr
eine ganze Reihe von Sammlungszugängen wieder den Stiftungen von Institutionen
und Freunden des Museums. Es waren im Berichtsjahr nicht so spektakuläre
Objekte darunter wie im vorausgegangenen, aber es war eine große Zahl durchaus
erfreulicher und wichtiger Ergänzungen unserer Sammlungen, für die ich allen
Stiftern auch an dieser Stelle sehr danken darf.
Nicht nur im Hinblick auf Sammlungen ist zu danken, sondern auch im Zusammen-
hang mit finanziellen Zuwendungen: Die Bosch-Stiftung hat uns auch in diesem
Jahr dabei unterstützt, die Restaurierung unserer Lacksammlung in Japan weiter-
zuführen und zu einem guten Ende zu bringen, und die Breuninger-Stiftung
finanziert weiter die Bearbeitung unserer großen Sammlung edozeitlicher japani-
scher Malerei. Diesen beiden Stiftungen gilt für ihr fortlaufendes Engagement
unser aufrichtiger Dank.
Außer den beiden genannten Stiftungen danken wir für die Überlassung von
Sammlungsgut folgenden Damen und Herren bzw. Firmen:
Herbert und Hildegard Adler, Bonn
Winnie Brugger, Tübingen
Margot Bussau, Stuttgart
Joerg Drechsel, Karlsruhe
Marion Hammer, Bigorio/Tessin
Dr. Hiller, Korntal
Japan Foundation, Tokyo
Susan Levinson, New York
Dr. Marx, Biberach
Charles J. Massar, Brüssel
Saeed Motamed, Frankfurt/Main
Jaap Polak, Amsterdam
Dr. W. M. Schmidthals, Hamburg
Frau Dr. Weber, Stuttgart
Hans Weihreter, Augsburg
35
TRIBUS 35, 1986
Mit Geldbeträgen wurde das Museum unterstützt von:
Robert Bosch GmbH, Stuttgart
E. Breuninger GmbH & Co., Stuttgart
Buhmiller, München
Daimler-Benz AG, Stuttgart
Deutscher Bücherbund, Stuttgart
J. Eberspächer, Esslingen
Olaf Jung, Nürtingen
Dipl.-Ing. Erhard Junghans, Stuttgart
Landeszentralbank, Stuttgart
Eugen Liesch, Stuttgart
Malerwerkstätten Helmut Lutz, Stuttgart
Metropolitan Center für Far Eastern Studies, Kyoto
Albert und Ursula Schmidt, Stuttgart
Helene Schoettle, Stuttgart
TWS, Stuttgart
Wieland-Werke AG, Ulm
Württembergische Hypothekenbank, Stuttgart
Württembergische Kommunale Landesbank, Girozentrale, Stuttgart
Württembergischer Sparkassen- und Giroverband, Stuttgart
Diesen Damen, Herren und Einrichtungen gilt unser aufrichtiger Dank.
Museumsinterne Arbeiten
Es versteht sich, daß die museumsinternen Arbeiten im Berichtsjahr vor allem auf
den Aufbau der neuen Schausammlungen hin ausgerichtet waren und noch sind.
Wie bereits im letzten Bericht gesagt, war es unmöglich, selbst bei Zuziehung
externer Restauratoren das ganze ausgestellte Sammlungsgut durchzurestaurieren;
dies wird bei den im Frühjahr dieses Jahres zu eröffnenden Ausstellungen nicht
anders sein. Wir werden aber wohl so weit kommen, daß das Material der
Ausstellungen konservatorisch nicht gefährdet ist und ab Sommer des Jahres dann
nach und nach vollends bearbeitet werden kann. Jedenfalls sind die Restauratoren
mit den Vorarbeiten für die Objekte der Schausammlungen auch jetzt voll beschäf-
tigt. Dies gilt genauso für die Fotoabteilung. Auch hier fällt es schwer, alle in die
Ausstellungen zu bringenden Stücke vorher ausreichend fotografisch zu dokumen-
tieren.
Nachdem im Vorjahr der neue Lagerraum für die Bibliothek übernommen werden
konnte, konnten jetzt auch der Arbeitsraum der Bibliothekarin und der künftige
kleine Lesesaal übernommen und eingerichtet werden. Schade, daß der Lesesaal
noch nicht genutzt werden kann, weil die personelle Ausstattung, aber auch der
weitgehende Mangel an einer Lesesaal-Bibliothek dies verhindern.
Die Arbeit in den Sammlungsmagazinen ist vor allem nach dem 12. Juli weiter
vorangetrieben worden. Es kann sich dabei freilich nur um vorläufige Arbeiten
handeln, weil das Gros der Sammlungen, rund 90%, erst ab Herbst 1986 sukzessive
zurückgelagert und neu magaziniert werden kann, wobei jetzt klar ist, daß wir
mindestens einen Teil des jetzigen Ausweichlagers auch in Zukunft für Großob-
jekte und reine Studiensammlungen benötigen werden. Die vorbereitenden Arbei-
ten für die Neumagazinierung sind im Gange, wenigstens so weit die Inanspruch-
nahme unseres kleinen Personalkörpers durch den Aufbau der künftigen Schau-
sammlungen dies nicht verhindert. Wir hoffen, daß ein Teil des Materials, vor allem
auch das Archivmaterial, noch in diesem Jahr zurückgelagert werden kann, so daß
Materialstudien im Hinblick auf Bestandskataloge besser vorangetrieben werden
können. Froh sind wir darüber, daß unsere internen Arbeiten durch die Bauhand-
werker jetzt wesentlich weniger tangiert werden, weil - vom Lastenfahrstuhl
36
abgesehen - die Bereiche zwischen Museum und Baustelle jetzt fast überall deutlich
getrennt sind.
Eine mißliche personelle Situation in unserer Verwaltung bringt es mit sich, daß das
jetzige Personal stark überlastet ist. Ihnen wie den anderen Mitarbeitern im
technischen wie im administrativen Bereich danken wir sehr dafür, daß sie trotz
immer wieder neu auftauchender, oft technischer, Schwierigkeiten, wie sie ein so
tiefgreifender Umbau mit sich bringt, unverdrossen an ihrer Arbeit sind.
Dies gilt ganz gewiß nicht zum wenigsten auch für die Museums-Pädagogen und
ihre Helfer, eine Reihe von Praktikanten, die wir in der letzten Zeit hereinnehmen
konnten. Dieser auf dem Schnittpunkt von interner Arbeit und Öffentlichkeitsar-
beit angesiedelten Gruppe danke ich sehr dafür, daß sie nichts von einem Acht-
stundentag hält.
Personelle Veränderungen
Selbstverständlich hat es im personellen Bereich während des Jahres 1985 eine
große Zahl von Veränderungen gegeben schon allein dadurch, daß wir für die
Schausammlungen während der Laufzeit, aber auch schon in der Zeit des Aufbaus,
Aufsichtspersonal brauchten und brauchen. Eine Reihe wenig glücklicher und
ungünstiger etatrechtlicher Bestimmungen bläht diesen Personenkreis stark auf und
läßt die Einzelnen bei oft verschwindend geringen Dienstzeiten kaum eine innere
Beziehung zu ihrem Arbeitsplatz finden.
Aber nicht nur im Hinblick auf Aufsichtspersonal haben sich Veränderungen
ergeben, sondern Erfreuliches wie Unerfreuliches ist auch vom Stammpersonal zu
berichten. Im wissenschaftlichen Bereich ist - wie schon im Vorjahr gesagt - Herr
Dr. Wolfgang Mey seit Neujahr als Museumspädagoge und PR-Referent bei uns
tätig. Unterstützt wird er durch Frau Sonja Schiede M. A., die in diesem Bereich
seit dem 1. März als Volontärin tätig ist. Beide haben sich mit Feuereifer in ihre
Arbeit gestürzt und bilden nicht nur unter sich ein gutes Team, sondern arbeiten -
anders als das in manchem anderen Museum der Fall ist - auch mit den übrigen
Wissenschaftlern gut zusamen. Bedauerlicherweise hat uns Herr Dr. Hans-Joachim
Koloß am 1. Dezember, nach dreizehnjähriger Tätigkeit am Linden-Museum,
verlassen, um die Afrika-Stelle unseres Hauses mit der Stelle des Leiters der
Afrika-Abteilung am Berliner Völkerkunde-Museum zu tauschen. Wir alle haben
seinen Weggang bedauert und wünschen ihm an seinem neuen Wirkungskreis
ebensoviel Freude und Erfolg, wie er dies hier hatte. Zum Jahresende ist Herr
Achim Sibeth M. A. ausgeschieden, der zwei Jahre lang als Volontär bei uns tätig
war. Verlassen hat uns auch Herr Jozef Michalak, seit zehn Jahren Museumsarbei-
ter in unserem Haus. Wir haben ihn sehr ungern verloren, aber gegen zunehmendes
Alter ist man nicht gefeit. An seiner Stelle stehen jetzt Herr Hirmer und Herr
Walchhofer, denen wir ein gutes Hineinwachsen in ihre Aufgabenbereiche wün-
schen.
Verlassen haben uns nach dem 12. Juli nach und nach auch die Aushilfskräfte, die
wir für die Vorbereitung der Ausstellungen hatten einstellen können, nämlich Frau
Gamp, Frau Hack und Studenten der hiesigen Kunstakademie. Nur Frau Müller
konnten wir bis zum 31. März dieses Jahres halten. Wir danken allen Ausgeschiede-
nen und Ausscheidenden für ihren Einsatz in unserem Hause sehr.
Auslandsreisen
Auch im Jahr 1985 konnten neben kürzeren Reisen ins europäische Ausland einige
Reisen in die betreffenden Arbeitsgebiete vorgenommen werden, diesmal zum
guten Teil als Urlaubsreisen. So war Herr Dr. Kreisel zusammen mit Frau Dr.
Heermann während ihres Urlaubs im Herbst (vom 4. September bis 11. Oktober
1985) zu einer Studienreise in Südost-Asien (Bangkok, Java und Bali). Herr Achim
37
TRIBUS 35, 1986
Keule von den Fidji-Inseln,
mit Maori Motiven überschnitzt.
Holz, patiniert.
Fidji bzw. Neuseeland,
wahrscheinlich 19. Jahrhundert.
Inv.-Nr. S41342L.
Sibeth M.A. war während seines Jahresurlaubs (vom 10. September bis 31.
Oktober 1985) wie im Vorjahr in Nord-Sumatra, und Herr Dr. Mey in Sri Lanka.
Herr Dr. Brandt war vom 5. November bis 15. Dezember in Japan.
Herr Dr. Kreisel und Frau Dr. Heermann wollten vor allem einen Eindruck von
Zentral- und Ost-Java wie von Bali gewinnen, Gebieten, die in den Sammlungen
des Hauses seit einer Reihe von Jahren gut vertreten sind, wo aber die Dokumenta-
tion fast völlig gefehlt hat. Dokumentarische Unterlagen zu beschafften, war
deshalb eines der Reiseziele.
In einem benachbarten Gebiet hat Herr Sibeth gearbeitet. Wie im Vorjahr unter-
nahm er eine privat finanzierte Reise zu den Batak in Nord-Sumatra (Indonesien,
vom 10. September bis 2. November 1985) und untersuchte traditionelle und
moderne figürliche Holzschnitzkunst der Toba- und Karo-Batak. Im Verlauf dieser
Reise konnte er für das Linden-Museum eine Schmucksammlung Zusammentragen,
die zum größten Teil aus dem Karo-Batak-Gebiet stammt. 41 Objekte wurden
38
Brustschmuck lei niho paloao.
Walelfenbein, menschliches Haar,
Bastmaterial.
Hawaii, 19. Jahrhundert.
Inv.-Nr. S 41341.
erworben und in bezug auf Herkunft und Verwendung dokumentiert; Ringe,
Armreifen, Ohranhänger und Halsketten aus Silber, z.T. auch vergoldet, aus
Gelbmetall und Kupfer bilden den wichtigsten Bestandteil der Sammlung. Hier
konnte unsere Batak-Sammlung in einem wichtigen Bereich ergänzt werden, zumal
der Schmuck der Karo-Batak bislang fast völlig fehlte.
Herr Dr. Mey war vor seinem Eintritt ins Linden-Museum schon fünfmal in Sri
Lanka und hatte die Absicht, seine Felduntersuchungen wenigstens im Rahmen
einer kurzen Reise weiterzuführen, seine Verhandlungen wegen eines kleinen
Lokal-Museums weiter zu betreiben und parallel dazu eine Sammlung von Masken
und dazugehörenden Kostümen für das Linden-Museum zu beschaffen. Das Lin-
den-Museum ist dabei, beim Aufbau dieses kleinen Museums im Südwesten von Sri
Lanka mit Rat und Tat zu helfen.
Herr Dr. Brandt wollte aus Japan die letzten restaurierten Lackarbeiten zurückho-
len, Materialien für die jetzt aufgebauten Teile eines japanischen Gehöfts beschaf-
39
TRIBUS 35, 1986
fen und gleichzeitig auch im Rahmen des Möglichen edozeitliches Material sam-
meln. Daß er bei dieser Gelegenheit eine Reihe von Lacken moderner Lackmeister
finden konnte, ist ein besonders glücklicher Umstand.
Schlußbemerkung
Es ist für einen Museumsleiter ein gutes Gefühl, wieder Publikum im Hause zu
wissen, und ein besonders gutes, zu sehen, daß die aufgebauten Ausstellungen von
den Gästen in erfreulich hohem Maße angenommen werden. In etwas mehr als 8/2
Monaten hatten wir mehr als 200000 Besucher - eine Zahl, die vor dem Umbau
auch nicht entfernt erreicht wurde, und an die wir selbst kaum zu denken gewagt
hatten. Die Stuttgarter und die »Landeskinder« der näheren und weiteren Umge-
bung haben das Haus also nicht vergessen, und es hat den Anschein, daß die
Mundpropaganda wirkt. Darüber freuen wir uns ganz besonders und hoffen, daß es
wenigstens in dieser Frequenz weitergeht. Wir erhoffen uns von der Eröffnung der
beiden letzten Abteilungen, Südasien und Ostasien, nicht nur einen weiteren
Besucherschub, sondern auch, daß damit Personenkreise an das Haus herangeführt
werden können, die ihm bisher noch fern stehen.
Immer wieder haben wir gehört, und noch viel häufiger erfahren, daß der Kontakt
zwischen dem Museum und einschlägigen Sammlern nicht fruchtbar werden könne,
weil das Museum keine und vorher nur geringe Ausstellungsmöglichkeiten hatte.
Wir wissen, daß es in Stuttgart und im Land eine Reihe von Sammlern und guten
Sammlungen gibt, und daß ihre Zahl noch viel größer sein könnte, wenn sich die
Interessierten an das Sammeln herantrauen würden. Jeder mit kulturellen Dingen
Befaßte und erst recht jeder Museumsmann müßte wissen, welche Bedeutung den
privaten Sammlern und ihren Sammlungen zukommt. Von dieser Erkenntnis bis
hin zu der Entscheidung, vom Museum her den Sammlern wo irgend möglich und
erwünscht zu helfen, kann nur ein kleiner Schritt sein. Und weil Sammlungen selbst
den Sammlern nicht immer Freude machen, solange nur sie selbst diese sehen,
sollte man versuchen, im Laufe der Jahre eine Reihe von Ausstellungen mit
Material aus privaten Sammlungen innerhalb des Landes zusammen zu bringen, um
so das Sammeln, die Sammler und indirekt auch das Museum selbst zu fördern.
Wir wollen auch den Versuch wagen, einigermaßen fest etablierte Gruppen und
Kreise, so z.B. mit außereuropäischen Phänomenen befaßte Institutionen, dem
Haus zuzuführen in der Hoffnung, das Museum so zu einem Treffpunkt all derer
werden zu lassen, die sich mit kulturellen Problemen der Fremden befassen, oder
sich wenigstens dafür interessieren. Dies soll nicht in Form von happenings u.ä.
geschehen, sondern in Form von Vorträgen und anderen kulturellen Veranstaltun-
gen, die gemeinsam mit den jeweiligen Gruppen durchzuführen wären.
Ein gutes Gefühl ist es auch zu wissen, daß eine jetzt schon achtjährige Phase ihrem
Ende zugeht, die des Umbaus und der Sanierung. Wenn dies vollends vorbei ist und
auch die große Aufgabe der Rücklagerung und Neumagazinierung der Sammlun-
gen abgeschlossen ist, wird sich das Haus neuen Zielen zuwenden können, die nach
meiner Überzeugung vor allem im wissenschaftlichen Bereich liegen müssen, und
hier besonders in der Erarbeitung sehr fundierter Bestandskataloge unserer wich-
tigsten Objektgruppen. Friedrich Kußmaul
WULF КОРКЕ
Töpfer, Ton und Teufel -
Über Religion und Magie der spanischen Töpfer
»Es hat schon seinen besonderen Grund, wenn Goethe in ... >Faust<...
den Mephisto sagen läßt: >Wir kommen erst aus Spanien zurück, dem
schönen Land des Weins und der Gesänge.< Damit wird zweifellos auf
besondere mephistophelische Beziehungen zur iberischen Halbinsel
angespielt... sollte doch - wie die Fama behauptete - der Teufel in der
altehrwürdigen Universitätsstadt Salamanca sogar eine förmliche
Dozentur besitzen.« (Johanni, Glossar zum Spanischen Aberglauben,
1968: 10)
Religion, Magie und Töpferei
Innerhalb der reichen Literatur zur Keramik Spaniens und seiner Nachbarländer
gibt es vergleichsweise wenig Arbeiten zur traditionellen Volkskeramik. Der über-
wiegende Teil dieser Veröffentlichungen ist einseitig stilkritisch-kunstgeschichtlich
ausgerichtet.1 Die wenigen Arbeiten, die sich mit der Herstellung und Verwendung
von Gebrauchsgeschirr befassen, haben fast ausschließlich die technischen Aspekte
der Fertigung und des Vertriebs zum Gegenstand. Man ist bisher auf diesem Gebiet
noch kaum zu einer mehr »emischen« Forschungsweise übergegangen.
Töpferinnen und Töpfer wurden daher bislang selten danach gefragt, welche
Aspekte ihnen bei der Fabrikation wichtig erschienen.2 Tut man das, zeigen sich
z.T. ganz andere Gewichtungen, als vorher in der Literatur von wissenschaftlicher
Seite vermutet.3 Fast ausgeklammert sind in den bisherigen Veröffentlichungen die
sozialen und psychischen Gegebenheiten, unter denen die Töpfer arbeiten, d.h.
über die Person, welche die vielbewunderte Keramik herstellt, erfährt man, über
ihre eng eingrenzbare Funktion als Produzent hinaus, kaum etwas. Es wird aller-
dings auch in Spanien immer schwieriger, über den Töpfer in seiner traditionellen
Stellung als dörflicher Handwerker etwas zu erfahren. Das soziale Umfeld ändert
sich rapide, und auch seine Stellung wandelt sich rasch. Entweder sinkt der
Keramiker zum dörflichen Proletarier herab oder er wird »Kunsthandwerker« mit
geändertem Kundenkreis, anderer Funktion und letztlich auch geänderter Produk-
tion, wobei sich selbstverständlich auch sein Status im Dorf wandelt.
Ein besonders interessanter, aber auch schwierig zu erfragender Aspekt der kera-
mischen Fertigung ist dort, wo nicht allein die Sphäre des rein Praktischen, sondern
auch die des Metaphysischen berührt wird, d.h. wo nach Ansicht der Töpfer
göttliche oder dämonische Kräfte die Arbeit der Keramiker beeinflussen.
Doch so interessant dieses Gebiet ist, so spärlich sind die Mitteilungen in der
Literatur darüber. Auch für Spanien gilt, was Drost bereits für Afrika feststellte:
»Die im Verhältnis zur weiten Verbreitung relativ geringe Zahl der Belege dürfte
weniger ein tatsächliches Fehlen derartiger (sc. magischer) Verhaltensweisen
widerspiegeln, sondern vielmehr darauf zurückgehen, daß die Mehrzahl der vor-
handenen Berichte nach einer nur flüchtigen und ausschnittweisen Beobachtung
des Herstellungsprozesses entstanden ist. Zur Erforschung derartiger Einzelheiten
bedarf es aber eines intensiven Studiums aller Arbeitsphasen, das sich möglichst
41
TRIBUS 35, 1986
über einen längeren Zeitraum erstrecken sollte. Dazu kommt, daß es sich, im
Gegensatz zu den rein technischen Arbeitsgängen, oft um streng gehütete Berufs-
geheimnisse handelt, über die daher nur schwer etwas zu erfahren ist.«4
Erste Aufmerksamkeit auf dieses Gebiet der Keramikforschung richteten für den
Bereich des westlichen Mittelmeergebietes bereits Hampe/Winter (1965)5, Vossen
(1972)6 und Martinez (1965)7. Daneben gibt es einige verstreute Angaben in der
Literatur, die ich im folgenden auch benutzt habe. Eine übergreifende Darstellung
der magischen und religiösen Vorstellungen* der Töpfer des westlichen Mittelmeer-
gebietes steht bislang noch aus. Das Vorliegende möchte zu einer solchen erste
Anhaltspunkte liefern.
Religion und Magie der spanischen Töpfer
Bei meinen ersten Befragungen9 erschienen die magisch-religiösen Vorstellungen
der Töpfer zunächst nur als Kuriosum am Rande. Anfänglich verneinten die
meisten das Vorhandensein derartiger Gedanken und Praktiken, Informationen
ergaben sich eher zufällig. Erst bei meinen Reisen 1980/81 hatte ich das Vertrauen
einer Reihe von Keramikern so weit gewonnen, daß sie mit mir über diese Dinge
ausführlicher sprachen. Dabei kam oft zum Ausdruck, wie sehr die Töpfer sich
während des Fertigungsprozesses dem unberechenbaren Walten höherer Mächte,
seien es Gott und seine Heiligen, seien es Hexen und Teufel, ausgeliefert fühlen.
Das gilt besonders für den Augenblick des Geschirrbrandes, in dem die Keramik als
besonders gefährdet angesehen wird. Die Sorge der Töpfer, sich dabei auch
spirituell abzusichern, ist mehr als verständlich, wenn man bedenkt, was für sie am
Gelingen eines Brandes hängt: in der Regel nicht weniger als die gesamte Exi-
stenz.10 Doch nur in etwa fünfzig der insgesamt ca. 240 besuchten Töpferorte in
Spanien (siehe Karte) ergaben sich solche Gespräche.
In den übrigen Orten bekam ich aus unterschiedlichen Gründen11 keine diesbezügli-
chen Informationen. Das bedeutet jedoch nicht, daß man dort keine magischen
Praktiken kennt. Aber nicht nur mangelnde Auskunftsbereitschaft verwehrt oft den
Einblick in die magische Vorstellungswelt der Töpfer, nicht selten weiß der
Fragende zunächst auch nicht, wie er die Fragen zu stellen hat, denn der Bereich
der magischen Praktiken ist nicht so leicht faßbar wie der Ablauf des Produktions-
prozesses.
Ein Überblick zeigt, daß das vorliegende Material sehr unterschiedlich ist und einer
Gliederung bedarf. Diese kann angesichts der relativ schmalen Ausgangsbasis nur
eine vorläufige sein, sie ermöglicht aber eine erste Orientierung, die weiterführen-
den Untersuchungen zugute kommen kann. Zunächst ist zu unterscheiden:
I. Was wird geschützt, bzw. worauf wird Segen herbeigerufen (»Gegenstand des
Schutzes/Segens«)
II. Wie wird geschützt bzw. Segen herbeigerufen (»Art des Schutzes/Segens«)
Gegenstand des Schutzes sind/ist
1. der Töpfer während seiner Arbeit,
2. die Arbeitsräume einschließlich des Brennofens,
3. die Ware während des Fertigungsprozesses.12
Zu 1.: Von einem besonderen magischen Schutz des Töpfers für seine Person ist
nichts bekannt geworden. Es ist anzunehmen, daß die Handwerker sich der
gleichen Amulette usw. bedienen wie die übrige Bevölkerung, ohne daß sie speziell
auf den Beruf zugeschnitten wären.
Zu 2.: Die Räume der Töpfereien scheinen, wenn überhaupt, mit den gleichen
magischen oder religiösen Riten und Zeichen geschützt zu werden wie die Wohn-
räume. Das sind z.B. Palmzweige, Heiligenbilder, Kreuze (Abb. 1, vgl. auch
Abb.4) und alljährliches Besprengen während der Karwoche von Werkstatt, Öfen
und Geräten mit Weihwasser oder Bestreuen mit geweihtem Salz.13 Ob z.B.
Bauopfer vorgenommen oder an (versteckten) Stellen Pentagramme, Hufeisen o.ä.
angebracht werden, konnte ich nicht ermitteln. Das andernorts übliche schadenab-
Köpke: Töpfer, Топ und Teufel
1
Chipude/Tenerife (Spanien).
In den Türsturz des Töpferofens
ist ein Kreuz eingemeißelt.
wehrende Annageln toter Raubvögel oder einer getrockneten Silberdistel an der
Tür14 war nicht zu beobachten.
Zu 3.: Nur für den Fertigungsabschnitt des Geschirreinsetzens und -brennens
erhielt ich von den Töpfern Angaben über magisch-religiöse Vorkehrungen.15 Diese
magischen und religiösen Verrichtungen, Vorstellungen und Zeichen (d.h. die »Art
des Schutzes/Segens«) lassen sich in sechs Gruppen einteilen:
a) Segenssprüche
b) Stoßgebete
c) Verstümmelte Wunschformeln
d) Segenszeichen/apotropäische Zeichen
e) Weihe-, Opferhandlungen, Votivgaben
f) Meidungsgebote
Magisch-religiöse Vorkehrungen der spanischen Töpfer beim Geschirrbrand
a) Segenssprüche
In mindestens 17 Töpferorten'6 empfiehlt man, wenn der Ofen gegen Ende des
Brandes geschlossen wird, mit einem Segensspruch den Ofen und das Brenngut
Gott, oder, seltener, einem der Heiligen. Dieser Spruch wird überall leicht abge-
wandelt und teilweise mit verkürztem Text gesprochen, doch ist der Grundgedanke
überall derselbe. Eine komplette Fassung ist aus Ubeda/Jaen überliefert:17
»Alabado sea el Santísimo
Sacramento del Altar.
En el nombre del padre,
del Hijo y del Espíritu Santo.
Por siempre sea bendito y alabado.
El Señor te quite lo que te sobre
y te ponga lo que te falte«.18
Gewöhnlich spricht man in den anderen Orten nur die zwei letzten Zeilen der
43
TRIBUS 35, 1986
Formel.19 In Segorbe/Castellon ruft man den Patron der dortigen Töpfer, San
Antón, mit diesen zwei Zeilen um Hilfe an, in Manises/Valencia eine ungenannte
Heilige. In Loja/Granada wünscht sich der Töpfer beim Brand des ersten Ofens in
einer neuen Saison, daß Gott die folgenden Brände gleichmäßig (gut) ausfallen
lassen möge.20
b) Stoßgebete
In anderen Orten verfährt man unzeremonieller und befiehlt seinen Ofen Gott nur
in einem Stoßgebet oder in einem Vaterunser, so in Guadix und Orgiva/Granada,
Magallön/Zaragoza und Potries/Valencia. In der Regel betet man bei der Beendi-
gung des Brandes, wenn jede weitere Beeinflussung des Brennergebnisses von
menschlicher Seite aus ausgeschlossen ist. In Andujar/Jaen schließt man den Ofen
mit einem »Sea lo que Dios quiere« (— Gottes Wille geschehe). Die Töpfer in
Traiguera/Castellon legen alles in Gottes Hände - »a las manos de Dios«, in
Almuñecar/Granada bittet man Gott um Hilfe - »Que Dios me ayude«. In Motril/
Granada wünscht man sich schlicht Gelingen von Gott - »Dios, que me salga
bueno«, in Alba de Tormes/Salamanca wendet man sich mit den gleichen Worten
an die heilige Apollonia (»Sta. Polonia bendita«). Die Töpfer in Piera/Barcelona
beten: »Deu hi faigi mas que mesaltres. Amen. (= Gott mach es besser als wir es
können), wobei sie ausdrücklich angeben, daß das geschieht, um die bösen Geister
(»demonios«) vom Ofen fernzuhalten.
c) Verstümmelte Wunschformeln
Manche der Handwerker nannten einen mehr oder weniger karikierenden, gebets-
artigen Spruch, den sie angeblich beim Ende des Brandes hersagen. So soll ein
Töpfer in Bujalance/Cordoba sagen: »Malo sea y bien te venda« (= Mögest du
schlecht/billig hergestellt werden und dich gut/teuer verkaufen lassen). Ähnlich
drücken sich die Töpfer in Puente de Arzobispo/Toledo aus.21 Den umgekehrten
Wunsch äußert man in Buño/La Coruña, wenn man vor Brandbeginn sagt: »Vamos
a cocer as ollas, Dios te las ponga boas« (= Laßt uns die Töpfe brennen, Gott möge
sie gut machen). In Alba de Tormes/Salamanca wünscht man, Gott möge die Töpfe
im Ofen in Brot verwandeln (»Dios te haga pan, en el horno estás). In Jiménez de
Jamuz/Leon ruft man mit einer Bitte gleichen Inhalts die Heilige Jungfrau an.22
Ganz schlicht sagt man dort angeblich im Winter, wenn die Gefahr eines mißrate-
nen Brandes besonders groß ist: »Que salga buena, hasta mañana« (= Auf daß es
gelinge, bis morgen).
Es war nicht herauszufinden, ob diese Sprüche eher scherzhaft gemeint sind und ob
sie in der mitgeteilten Form auch tatsächlich gebraucht werden. Z.T. schien es mir
so, als ob sie nur mitgeteilt würden, um eine durch die Fragestellung ausgelöste
Verlegenheit der Befragten zu verdecken23 und nicht zugeben zu müssen, daß man
sich mit derartigen, als »altmodisch« betrachteten Dingen befaßt, deren Notwen-
digkeit man gleichwohl nicht ganz leugnen mag. In der Regel dürfte man es aber
hier mit echten Wunschformeln zu tun haben, die nur im Laufe der Generationen
ihren ursprünglichen Wortsinn verloren. Es ist nicht auszuschließen, daß sie
dennoch weiterhin im früheren »Gebrauchssinn« verwendet werden, d.h. daß trotz
ihrer karikierenden Form ihre rituelle Kraft noch als so stark angesehen wird, daß
man diese Formeln nicht weglassen könnte, ohne das Gelingen des Brandes zu
gefährden.
d) Segenszeichen/apotropäische Zeichen
In mindestens 33 der besuchten Orte (siehe Karte) bringt man vor Beginn des
Brandes oder unmittelbar nach dem Ende des Feuerns Kreuze am Ofen an.24 In La
Galera/Tarragona wird das letzte eingetragene Stück mit einem Kreuz versehen. In
Puente de Arzobispo/Toledo fertigt man aus einigen der dreifüßigen Brennhilfen
ein Kreuz an, das man am Ofen befestigt.25 Einige Töpfer gaben an, sich vor dem
Brand zu bekreuzigen, bzw. mit der Forke, die zum Schüren gebraucht wird, ein
Kreuz über den Ofen zu schlagen.26 In Pereruela/Zamora tut man das, wie die
Köpke: Töpfer, Ton und Teufel
Ubeda/Jaen (Spanien).
Mit hellem Ton bei Brandende über dem
Schürloch aufgemaltes griechisches Kreuz.
La Galera/Tarragona (Spanien).
Der Töpfer öffnet nach dem Abkühlen
des Ofens das vermauerte Schürloch.
Darüber mit hellem Ton ein lateinisches
Kreuz, das vor dem Zumauern
(bei Brandende) aufgemalt wurde.
Foto: R. Vossen.
Töpferinnen mitteilten, um den Ofen vor Behexung zu schützen. Meist wird erst ein
Kreuz geschlagen, wenn der Brand beendet ist und von Seiten des Menschen nichts
mehr getan werden kann.27 Entweder bekreuzigt sich der Töpfer oder er segnet den
Ofen mit der Forke. Die Töpfer in Toved/Zaragoza meinten, auf diese Weise das
Eindringen des Teufels in den Ofen zu verhindern. Gerne malt man mit hellem Ton
ein griechisches oder lateinisches Kreuz2* neben oder auf das bei Brandende
zugemauerte Schürloch (Abb. 2, 3).29 In Alba de Tormes/Salamanca bringt man
statt des griechischen ein Krückenkreuz, in Lucena/Cordoba ein im Kreis freiste-
hendes Kreuz10 an.
Die Töpfer wenden diese Kreuze, wie sie sagen, an, um Unheil abzuwehren, den
Teufel abzuschrecken und sich Gottes Obhut anzuvertrauen. Lediglich in Pere-
ruela/Zamora und La Victoria/Tenerife wurde ausdrücklich auf Gefahr von Seiten
der Hexen hingewiesen. In Pereruela schützt vor Hexen, wie ich in einem Fall
beobachten konnte, ein Kreuz in Form eines Besens mit einer quergenagelten
Latte, der in die Brennkammer gestellt wurde, wo er verbrannte.
In Tobarra/Albacete waren 1971 am Ofen zwei farbige Handabdrücke zu erkennen,
über deren Bedeutung jedoch nichts zu erfahren war.31
45
TRIBUS 35, 1986
e) Weihe-, Opferhandlungen, Votivgaben
Aus einigen Orten an der spanischen Ostküste ist bekannt, daß dort jeder Brand
mit Lorbeerzweigen, die am Palmsonntag geweiht wurden, entzündet wird.32 In
Piera/Barcelona läßt man jedes Jahr zu diesem Zweck ein ganzes Lorbeerbäum-
chen weihen, um immer Vorrat zu haben. In Quart/Gerona wird sowohl bei der
Beendigung des Eintragens der Ware als auch bei Brandende geweihter Lorbeer
verbrannt.
f) Meidungsgebote
Nicht der christlichen Vorstellungswelt entstammt das Gebot, das aus einigen
Glasurtöpfereien belegt ist.33 Dort dürfen sich menstruierende Frauen während
eines Glasurbrandes dem Ofen nicht nähern, da sonst der Bleifluß, das Schmelzen
der Glasur, aufhöre. Die Töpfersfrauen überwachen die Einhaltung dieses Tabus
auch bei anderen Frauen nachdrücklich. Einige Töpfer berichteten mir, daß sie die
Wirkung der Verletzung dieses Gebotes schon erlebt hätten. Der Schrühbrand, der
ohne Glasur stattfindet, ist hiervon nicht betroffen. Interessant ist in diesem
Zusammenhang vielleicht auch, daß in den Regionen, wo die Frauen töpfern, sie
das Brennen der Ware, ob glasiert oder unglasiert, den Ehemännern oder Brüdern
überlassen. Mir ist allerdings nicht bekannt, ob eine Verletzung dieser Regel
»überirdische« Sanktionen nach sich zieht.
Der Sonntag wird von den Töpfern, wie auch von der übrigen ländlichen Bevölke-
rung, nicht besonders geheiligt, er gilt im Gegenteil einigen Töpfern sogar als
bevorzugter Brenntag. Die Vermeidung bestimmter Tage ist nicht zu belegen.
4
Grottaglie/Taranto (Italien).
Kreuze und Heiligenbilder (am Pfeiler)
in der Töpferwerkstatt.
46
Köpke: Töpfer, Ton und Teufel
Religion und Magie bei den Töpfern des westlichen Mittelmeergebietes
Die hier für Spanien genannten magisch-religiösen Vorstellungen und Praktiken
sind keineswegs eine Besonderheit der dortigen Töpfer. Auch ihre Kollegen in den
umliegenden Ländern haben eine gleichartige Geisteshaltung.34
Über den magischen Schutz des Töpfers ist kaum etwas bekannt. Selbstverständlich
schützen sich die Berbertöpferinnen z. B. in Marokko, wie die meisten Frauen dort,
durch Tatauierungen und Schmuckamulette gegen »Bösen Blick« und ähnliche
Übel,35 doch geschieht das ohne besonderen Bezug auf ihr Handwerk. Arbeits-
räume und Brennanlagen schützt man im Maghreb durch Anbringung einer hamsa
(»Fatmahand«) in verschiedenen Formen oder durch Aufhängen eines Pferde-,
Esels- oder Maultierschädels oder eines Hufeisens.36
In den christlichen Nachbarländern dürften die Schutzmaßnahmen für die Arbeits-
räume die gleichen wie in Spanien sein, doch liegen hierzu nur aus Italien einige
Belege vor. In etlichen Töpfereien ist außen am Ofen37 oder in der Feuerkammer
(Abb. 5)38 ein Kreuz angebracht. Darüber hinaus bringen verschiedene Töpfer
gehörnte Kuhschädel, Bocks- oder Widderhörner oder eine fratzenhafte Maske am
Ofen an. Sie sollen den »Bösen Blick« (»malocchio«, »fascino«) abwehren. Nicht
selten hängen Maske oder Hörner dem christlichen Kreuz gegenüber.39 In Werk-
stätten in Grottaglie/Taranto konnte ich Heiligenbilder, Palmzweige und (z.T. in
die Wände eingeritzte) Kreuze beobachten (Abb. 4).
Alle befragten Töpfer waren, wie in Spanien, der Meinung, daß der Vorgang des
Geschirreinsetzens und -brennens eines besonderen magischen Schutzes bedürfe.
Den spanischen vergleichbare Segenssprüche sind aus Portugal40 und aus dem
Maghreb41 bekannt.
Stoßgebete sind zahlreich aus dem Maghreb42 und vor allem aus Italien belegt. Dort
ruft man beim Geschirrbrand verschiedene Heilige an: San Biagio, Sant’Antonio di
Padova, Sant’Isidoro (alle gegen den Neid [»malocchio«] der Konkurrenten)43,
Santo Martino44, San Francesco di Geronimo, San Francesco di Paola, die Seelen im
Fegefeuer (!), den Heiligen Geist, San Ciro, Santa Rita da Cascia45, Sant’Antonio
Abbate46, San Rocco47. In Grottaglie konnte ich beobachten, daß gegen Schluß des
Brandes jede eingeworfene Schaufelladung Brennstoff unter das Patronat eines
Heiligen gestellt wurde. Am Schluß rief der Heizer laut: »E lu Signuri cu la binitici«
(= Der Herr möge es segnen), was alle Anwesenden laut wiederholten.48
Die von mir als »Verstümmelte Wunschformeln« bezeichneten Sprüche sind in der
Literatur nicht angeführt. Entweder schienen sie den Befragern nicht wert aufge-
nommen zu werden, oder es gab sie nicht. So konnte ich z.B. in apulischen
Töpfereien derartige Sprüche nicht aufzeichnen, die Beschwörungen der Heiligen
werden dort augenscheinlich sehr ernst genommen.
Aus Frankreich49 und Italien50 sind Segenszeichen und übelabwehrende Symbole
beim Geschirrband in Form von Kreuzen bekannt. Im Maghreb dienen die bereits
genannten Talismane und Amulette der Zauberabwehr auch während des
Brandes.51
Weihe- bzw. Opferhandlungen werden aus Portugal und Italien mitgeteilt. In
Portugal richten sie sich erklärtermaßen gegen Hexen und schädliche Einflüsse
durch »Bösen Blick«.52 In Italien verbrennt man, ähnlich wie in Spanien, geweihte
Palmzweige oder Blumen vom Schmuck des Heiligen Grabes am Karfreitag.53
Darüber hinaus verbrennt man mancherorts ein Heiligenbildchen.54 In Grottaglie/
Taranto werden neue Öfen regelrecht von einem Priester getauft. Das geschieht
unmittelbar vor dem ersten Anzünden. In Anwesenheit des Meisters, seiner
Familie und aller Werkstattangehörigen wirft der Pate die erste Schaufel voll
Brennstoff ein, die Patin die zweite.55 In der Kabylei formen die Töpferinnen
Votivkeramik, die verkleinert die von ihnen getöpferten großen Gefäße darstellen
soll. Sie brennen sie zu Hause im Herd und stellen sie in nahegelegenen Heiligtü-
mern auf. Sie erhoffen so einen günstigen Einfluß der Heiligen auf den Verlauf des
Brandes.56
Meidungsgebote kennt man nur aus dem Maghreb. Hier darf bei einigen Töpferin-
47
TRIBUS 35, 1986
5
Grottaglie/Taranto (Italien).
In die Rückwand der Feuerkammer
des Ofens eingeritztes lateinisches Kreuz
zur Abwehr des »Bösen Blicks«.
nen der Brand nur in Gegenwart vertrauter Verwandter stattfinden, um Schadens-
zauber auszuschliessen. Aber sogar dieser Personenkreis wird nicht immer zugelas-
sen.57 Bei den Töpfern der Zaer in Marokko existieren bestimmte Tabuwörter, die
man während des Brandes nicht aussprechen darf, ohne das Brenngut zu ge-
fährden.58
Religion und Magie anderer Töpfer
Auch Töpfer anderer Kulturen zeigen ähnliche bzw. parallele Denkweisen wie die
der westlichen Mittelmeerregion, besonders in der Betonung der Notwendigkeit
eines magischen Schutzes beim Brand. Aus der Fülle der Beispiele seien hier nur
einige Belege aus Deutschland51', Japan60 und verschiedenen Gegenden Afrikas61
genannt.
Das afrikanische Material, das Drost zusammenstellte, zeigt allerdings auch Unter-
schiede. So gibt es hier neben den magischen Vorschriften für den Brennvorgang
auch solche, die sich auf Tongewinnung und -aufbereitung sowie Gefäßherstellung
beziehen. Aber der Verstoß gegen diese Vorschriften rächt sich in der Regel
ebenfalls durch Ausfälle beim Brennen. Die Meidungsgebote, insbesondere die
sexueller Natur, stellen in Afrika augenscheinlich ein durchdachtes, umfassendes
System dar und wirken nicht, wie in Spanien eher akzidentiell.
Dämonen und Töpfer - Schlußbetrachtung
Die Bereiche, über die ich bei den spanischen Töpfern am meisten erfuhr, waren
die, in denen christliche Gebärden, Segenszeichen oder Gebete eine Rolle spielten.
Es sind dies natürlich auch die kirchenoffiziell sanktionierten, gleichsam »abgeseg-
neten« volksreligiösen Äußerungen, derer die Töpfer sich, nachdem sie durch
vorsichtiges Ausfragen zu ihrer Erleichterung herausgefunden hatten, daß ich der
gleichen Konfession angehöre wie sie, nicht genieren zu müssen glaubten. Daß
Gesten, Zeichen und Gebete nicht nur verwendet werden, um den Segen Gottes
48
Köpke: Töpfer, Ton und Teufel
und der Heiligen für das Gelingen herabzurufen, sondern auch als Zaubermittel
gegen böse Geister usw., wurde, wenn überhaupt, nur zögernd mitgeteilt. Nur in
Pereruela und La Victoria gaben die Töpferinnen an, daß etwas gegen Hexen
unternommen wird. Die Angabe galt aber nicht eigenem Tun, sondern dem der
Nachbarn. Furcht vor dem »Bösen Blick« wird überhaupt nicht erwähnt.
Vergleicht man das spanische Material mit dem aus den Nachbarländern, fallen
einem Parallelen auf, insbesondere in Portugal und Italien. Aber hier spielen
Hexen und »Böser Blick« eine weitaus größere Rolle. Die spanischen Töpfer
scheinen im Vergleich mit den Kollegen aus den umliegenden Gebieten, besonders
aber mit denen Afrikas oder Japans, höchst undramatisch und diesseitig an ihre
Arbeit zu gehen.
Zieht man allerdings zu den Befragungsergebnissen von den spanischen Kerami-
kern noch die volkskundliche Literatur über Art und Verbreitung des allgemeinen
»Aberglaubens« in Spanien hinzu, wird rasch deutlich, daß die Aussagen der
Töpfer wahrscheinlich »gefiltert« waren, daß nur ein Teil des ganzen Komplexes
»Magie und Religion« angesprochen wurde. Keinesfalls darf man sich aber nach
den Ergebnissen meiner Befragung der Vorstellung hingeben, die Magie sei ein
unbedeutender Teil des Töpferhandwerks. Mit Sicherheit läßt sich nur sagen, daß
hier ein großer und wichtiger Komplex angesprochen wurde, der noch weitgehend
der Bearbeitung harrt. Einige Beispiele aus dem allgemeinen Repertoire der
volksreligiösen und -magischen Vorstellungen auf der iberischen Halbinsel mögen
das im Vergleich verdeutlichen. So ist z.B. der Hexenglaube bis heute weit
verbreitet, ebenso die Furcht vor Schaden durch den »Bösen Blick«.62 Gegen beides
versucht man sich durch eine Vielzahl von Amuletten usw. zu schützen.63 Von
Töpfern sind sie mir nicht bekannt geworden. Nur in einigen Fällen wird aus
Portugal und Spanien über die Abwehr von Verzauberungen durch Kreuze oder
Weihwasser berichtet,64 bei den Töpfern nimmt diese Möglichkeit der Abwehr
breiten Raum ein. Von den zahlreichen Holzarten mit angeblich magischen (guten
oder schlechten) Eigenschaften, die z.B. Felgueiras nennt,65 sind mir bei den
spanischen Töpfern bis auf geweihten Lorbeer und Palmsonntagsolivenbaumzweige
überhaupt keine bekannt geworden. Von den portugiesischen Töpfern weiß man
wenigstens, daß sie außerdem noch Rosmarin und Seidelbast zur Abschreckung
von Hexen benutzen.66 Von dem unbedingten Meidungsgebot des Verbrennens von
Feigenholz z.B. erhielt ich im portugiesischen Barcelos keine Mitteilung, obgleich
es, wie Felgueiras schreibt, gerade in der dortigen Bevölkerung sehr strikt beachtet
wird.67 Auch andernorts in Spanien und Portugal nannten die Töpfer derartige
Tabus nie.
Im Volksglauben gibt es, wie auch für die nordafrikanischen Töpferinnen belegt
(vgl. Fn. 58), eine Reihe von unglückbringenden Tabu Wörtern,68 doch erfuhr ich sie
ebenfalls in keinem Fall von den Töpfern, ebensowenig schienen sie Vertrauen in
die auf der iberischen Halbinsel üblichen Omina wie Vogelflug zu haben.69 Daß
man über Hexen nicht spricht, ist nicht verwunderlich, kann doch der Volksmei-
nung nach ihre bloße Erwähnung sie zu Unheil bringenden Tätigkeiten veranlas-
sen.70 Die Hexen sind eine sehr ernst zu nehmende Bedrohung, da sie nicht nur
mittels des »Bösen Blicks« Schaden anrichten, sondern auch das Wetter, insbeson-
dere Regen machen können.71 So ist es erstaunlich, daß zahlreiche Abwehrzauber,
die dem Volk geläufig sind, wie die mit der Hand ausgeführte Gebärde der »Feige«
gegen Verhexen oder das Hufeisen72 bei den Töpfern nicht beobachtet werden
konnten.
Allgemein verbreitet, sowohl bei der Dorfbevölkerung als auch bei den Töpfern, ist
der Gebrauch des Weihwassers und des geweihten Salzes, mit denen nicht nur die
Öfen der Töpfer, sondern auch die häuslichen Herde besprengt bzw. bestreut
werden, um Dämonen fernzuhalten.73 In einigen Regionen gilt das Feuer als
besonders rein und verehrungwürdig,74 in Galicien meint man sogar, es sei aus dem
Munde eines Engels gekommen und dürfe daher nicht verunreinigt werden.75
Soweit scheint der Respekt der Töpfer nicht zu gehen.
Nach dem Gesagten wird deutlich, wie wenig die Töpfer eigentlich über ihre
49
TRIBUS 35, 1986
magischen Vorstellungen mitgeteilt haben dürften: Nur das »Zivilisierteste«, als
»unbedenklich« Eingestufte wurde allem Anschein nach dem auswärtigen Frager
mitgeteilt.76 Kein Widerspruch hierzu ist die Nennung des für unsere Begriffe
abstrusen Meidungsgebotes für menstruierende Frauen beim Glasurbrand: Für die
Töpfer hat das nichts mit Religion oder Magie zu tun, sondern ist ein schlichtes
Naturgesetz,77 das man auch Fremden ohne Scheu nennen kann.
Die zögernden Aussagen der Töpfer stehen in eklatantem Gegensatz zur Fülle und
Vehemenz des spanischen Volksglaubens. Es ist kaum anzunehmen, daß die
Töpfer, oft sehr nachdenkliche, introvertierte Leute, besonders »rational« sein
sollten, wenn es ihre dörfliche Umgebung überhaupt nicht ist.
Abschließend kann festgestellt werden, daß Magie und Religion im Zusammen-
hang mit der Töpferei nicht nur für außereuropäische, sondern auch für europäi-
sche vorindustriell geprägte Kulturen große Bedeutung haben. Es eröffnet sich hier
ein großer Forschungsbereich, der in Zukunft unbedingt zu berücksichtigen ist.
Man macht sich oft nicht klar, daß auch für Länder wie Spanien, mutatis mutandis,
dasselbe gilt, was Drost schon für die »Naturvölker« Afrikas notierte: »Die
Tatsache, daß oft nicht die praktisch-technische Beherrschung des Handwerks
allein, sondern der Besitz einer bestimmten »Medizin« oder die Beachtung eines
Gebotes oder Tabus die Gewähr für den erfolgreichen Arbeitsablauf gibt, ist für
viele Handwerke ... charakteristisch«.78 Nach dem vorher Gesagten gilt diese
Aussage, will mir scheinen, auch uneingeschränkt für die Töpferei Spaniens.
Anmerkungen
1 Das habe ich bereits an anderer Stelle aus-
führlich dargelegt, siehe Köpke 1985: 25ff.
2 Siehe hierzu meine ausführliche Kritik in
Köpke 1985: 45 und Köpke/Graf 1986.
3 Vgl. Köpke 1985: 47f. und Köpke/Graf
1986.
4 Drost 1964: 103.
5 Hampe/Winter 1965: 198f.
6 Vossen stellt in 1972 b: 61 unter der Rubrik
1.15.5 »Religiöse und abergläubische Vor-
stellungen und Praktiken im Ablauf des
Töpfereiprozesses« seines »Fragebogens«
auch schon die Forderung nach systemati-
scher Aufnahme der religiösen Aspekte.
Vgl. auch Vossen 1972 a: 41 f.
7 Martinez 1965: 257-263, 271-281.
8 Bewußt wird hier auf den schwammigen
Begriff »Aberglaube« verzichtet. Vgl. die
Abgrenzung von »Aberglaube« zu »Volks-
glaube« und »Religion« bei Gottschalk
1965: 154-158. Ähnlich bei Bausinger
1966: 8: »Die Bezeichnung Aberglaube ...
muß doch mit einem Fragezeichen verse-
hen werden.«
9 Seit 1973 bin ich Mitglied einer Arbeits-
gruppe zur Erforschung der spanischen
Töpfereitradition unter Leitung von Rüdi-
ger Vossen, Museum für Völkerkunde,
Hamburg, gefördert von der DFG. Meine
erste Spanienreise in diesem Rahmen er-
folgte von April bis September 1973. Wei-
tere Fahrten erfolgten im Juli 1974, im Ok-
tober/November 1980 und im April/Mai
1981. Hinzu kommen Besuche in einigen
portugiesischenTöpfereien und Aufenthal-
te im Mai 1983 und November/Dezember
1984 in Töpfereien in Apulien/Italien.
10 Köpke 1985: 21. Vgl. hierzu die eindrucks-
volle Schilderung von durch Fehlbrand rui-
nierten Töpfern bei Macedo Correia 1968/
1969: 50.
11 Meist Zeitmangel, aber auch Unwilligkeit
der Informanten, zu diesem Punkt Anga-
ben zu machen. In Montehermoso/Caceres
wußte man nur noch, daß magisch-religiö-
se Praktiken früher im Ort gebräuchlich
gewesen waren, ohne sie angeben zu kön-
nen. Die Töpfer von Malaga meinten, ihre
Töpferei sei so alt, daß sie keine Magie
benötige.
12 Es gibt auch Gefäße mit magischen Eigen-
schaften oder Funktionen. Sie sind in der
Regel für den Verkauf und nicht für den
Eigengebrauch des Töpfers bestimmt. Im
Vorliegenden sind sie daher nicht von spe-
ziellem Interesse. Der Kuriosität halber
seien einige hier aufgeführt: Z. B. ist in
eine Wassertrinkschale aus Mota del Cuer-
vo/Cuenca innen eine Schlange hineinmo-
delliert, die angeblich das Wasser rein hält.
In Talavera/Toledo fertigt man Fayence-
schalen an, die den »Bösen Blick« bzw.
den Teufel abwehren sollen. Zahlreich
sind z.B. aus Apulien/Italien Gefäße mit
religiöser und/oder magischer Bestimmung
belegt, ganz abgesehen von irdenen Heili-
genbildern und -figuren. Vgl. hierzu Cuo-
mo di Caprio 1982: 247ff. Magische,
50
Köpke: Töpfer, Ton und Teufel
glücksbringende Bedeutung hat auch eine
Tonpfeife in Gestalt eines Buckligen aus
Grottaglie/Taranto (Italien).
13 So werden in Breda und S. Jaime/Gerona,
Piera/Barcelona, Aledo/Murcia und Sor-
bas/Almeria die Öfen jeden Karfreitag
vom Priester mit Weihwasser besprengt
und mit geweihtem Salz bestreut. Zu
Weihwasser, geweihtem Salz, Palmzwei-
gen, Lorbeerzweigen in Wohnungen vgl.
Amades 1957: 283, 452, 455; Irimia/Fern-
andez 1976: 34; Jimeno 1976: 24,28; Satru-
stegui 1970: 94 f., 98 f. In Sorbas wird ein
neuer Ofen zudem vor dem ersten Anzün-
den mit Weihwasser geweiht.
14 Filipetti/Trotereau 1979: 104f.; Berruezo
1963: 264.
15 Lediglich in La Victoria/Tenerife wird vor
dem Kneten ein Kreuz über den Ton ge-
schlagen, Köpke 1974: 411. - Darauf, wel-
che Bedeutung der Brand für die Töpfer
besitzt, wurde bereits früher hingewiesen,
vgl. Fn. 10. Auch in der Literatur erhält
man gewöhnlich nur Hinweise auf den Ge-
brauch von Magie in diesem Produktions-
abschnitt.
16 Alcala/Jaen, Alcora/Castellon, Andujar/
Jaen, Ateca/Zaragoza, Consuegra/Toledo,
Daroca/Zaragoza, La Atalaya/Gran Cana-
da, Loja/Granada, Manises/Valencia, Mo-
nachil/Granada, Ocana/Toledo, Puebla/
Toledo, Purullena/Granada, Salvatierra/
Badajoz, Segorbe/Castellon, Sorbas/Al-
meria, Ubeda/Jaen.
17 Garcia Serrano 1974: 424. Ich selber hörte
nur vereinfachte oder verstümmelte Ver-
sionen dieser Formel.
18 Zu deutsch: »Gelobt sei das Allerheiligste
Sakrament des Altars. Im Namen des Va-
ters, des Sohnes und des Heiligen Geistes.
In Ewigkeit sei Preis und Lob. Der Herr
nehme von dir, was zuviel ist und füge
hinzu, was dir fehlt.«
19 So in Alcala, Alcora, Andujar, Ateca,
Consuegra, Monachil, Ocana, Purullena,
Salvatierra. Abwandlungen benutzt man in
Daroca (»Alabado sea Dios, por siempre
sea alabado« und dann die letzten zwei
Zeilen wie in Ubeda), in Sorbas (»Que
Dios le heche lo que te farte si es que te
farte algo«) und in Puebla (»Si te dejao
falto de lena, Dios te ponga lo que te falta
y si te dado mas que debido, Dios te quite
lo que te sobra«), Silvan 1973: 171 zitiert
den Spruch aus einem nicht genannten Ort
in Kastilien in dieser Version: »Dios que
todo lo puede, quite lo que sobre y anade
lo que falte, para que nuestra tarea no se
fracase.«
20 »Dios quiera que cuando cueza el ultimo
de la temporada esté como ahora.«
21 »Dios me da mal genero y buena venta.«
22 »La Virgen venga por el bollo, que el pan
ya está en el horno.«
23 Völlig unklar bleibt die Funktion eines
Spruches, den man in Loja/Granada sagt,
wenn ein Brand zu mißlingen droht: »Si
sale con barba San Antón, si no la Purísi-
ma Concepción«, was etwa bedeutet, daß,
wenn der Brand mißlingt, San Anton ver-
antwortlich sei, wenn er gelingt, die Mut-
te rgottes.
24 AlbadeTormes/Salamanca, Alacala/Jaen,
Alcora/Castellon, Aledo/Murcia, Anduj ar /
Jaen, Arrabal/Valladolid, Ateca/Zarago-
za, Bailen/Jaen, Camporreal/Madrid, Chi-
pude/Tenerife, Chinchilla/Albacete, Con-
suegra/Toledo, Daroca/Zaragoza, Espar-
raguera/Barcelona, Fresno de Cantespino/
Segovia, Jimenez de Jamuz/Leon, La Ga-
lera/Tarragona, La Victoria/Tenerife, Lo-
ja/Granada, Lucena/Cordoba, Monachil/
Granada, Motril/Granada, Ocaña/Toledo,
Orgiva/Granada, Pereruela/Zamora, Pie-
ra/Barcelona, Potries/Valencia, Puente de
Arzobispo/Toledo, Quart/Gerona, Tajue-
co/Soria, Toved/Zaragoza, Ubeda/Jaen,
Villarrobledo/Albacete.
25 Griffith 1965: 125.
26 In Potries/Valencia, Andujar, Ubeda/
Jaen, Tajueco/Soria. In Daroca/Zaragoza
zieht man auf einer Steinplatte vor dem
Schürloch Kreuzlinien.
27 Alcora, Aledo, Andujar, Ateca, Chipude,
Bailen, Camporreal, Esparraguera, Fres-
no, Loja, Ocaña, Orgiva, Villarrobledo,
Quart, Motril, Alcala, Jimenez, Pereruela,
Toved. Häufig wird außerdem noch eines
der im Vorhergehenden angeführten Ge-
bete gesprochen.
28 »crux immissa«, Koch 1936: 20.
29 Arrabal, Chinchilla, Daroca, Fresno, La
Galera, Monachil, Ubeda.
30 »Weihekreuz«, Koch 1936: 24.
31 1971 wurde Tobarra von Rüdiger Vossen
besucht. Er fotografierte damals die Hand-
abdrücke, die wie eine hamsa an einem
marokkanischen Haus wirken. Ich selbst
konnte bei meinem Besuch 1981 keinen
solchen Abdruck sehen. Der jetzige Töp-
fer wußte angeblich auch nichts über die
Anwendung der Hand als Abwehrsymbol
und hielt auch sonst nichts von Segenssprü-
chen usw. Zwischen 1971 und 1981 hat in
der Töpferei ein Generationswechsel statt-
gefunden.
32 Esparraguera/Barcelona, Piera/Barcelona,
Potries/Valencia, Quart/Gerona, S. Julian/
Barcelona, Traiguera/Castellön.
33 Almuñecar/Granada, Consuegra/Toledo,
Orgiva/Granada, Sorbas/Almeria, Villa-
franca/Cordoba, Ubeda/Jaen. Wahr-
scheinlich ist dieses Tabu viel weiter be-
kannt als hier belegt werden kann. Leider
erhielt ich erst zu einem Zeitpunkt Kennt-
nis von dieser Meidungsvorschrift, als ich
51
TRIBUS 35, 1986
auf meiner letzten Spanienreise die mei-
sten Glasurwarentöpfereien bereits be-
sucht hatte.
34 Angesichts des unbefriedigenden For-
schungsstandes in diesen Nachbarländern
sind jedoch die Angaben viel spärlicher als
für Spanien. Für Portugal gibt es Angaben
aus zwei Orten, für Frankreich aus einem
Ort, für (Süd)-Italien aus elf Orten und für
den Maghreb aus neun Orten bzw. von
berberischen Stämmen oder von Wohnge-
bieten mehrerer berberischer Stämme.
35 Mündliche Mitteilung von Rüdiger Vos-
sen, Hamburg.
36 Bel 1918: 34f.
37 Belvedere/Kalabrien (Hampe/Winter
1965: 78), Seminara/Kalabrien (dies.: 96),
Grottaglie/Apulien (Cuomo di Caprio
1982: 292).
38 Grottaglie/Apulien.
39 Belvedere/Kalabrien: Bocksgehörn gegen-
über Kreuz (Hampe/Winter 1965: 78), Bi-
signano/Kalabrien: Widdergehörn (dies.:
80f.), Grottaglie/Apulien: Gehörnter Rin-
derschädel (Cuomo di Caprio 1982: 295),
Paternö/Sizilien: Tonmaske in Form eines
Männerkopfes mit Schnurrbart (Hampe/
Winter 1965: 124), Pontecorvo/Latium:
Gehörnter Rinderschädel (dies.: 48), Se-
minara/Kalabrien: Horn über Ofen, neben
Kreuz und Fratzenmaske (dies.: 96).
40 So zitiert Seiles Paes 1942: 357 aus Vilar de
Nantes: »Em nome do Padre, do Filho e
do Espirito Santo. Amen. Nosso Senhor
nos ajude a cozer a louça. P. N. A. M. pelas
aimas.«
41 Daß jede Arbeit, so auch der Brand, mit
einer Anrufung Gottes (Bismilläh) begon-
nen wird, ist für jeden frommen Moslem
eine Selbstverständlichkeit. Belegt ist die-
se Anrufung nur aus Guellala/Tunesien
(Combes/Louis 1967: 73). In Nabeil/Tune-
sien hat man einen dem spanischen ähnli-
chen Spruch vor dem Brand: »bism illäh.
Rabbi yoclah’« (= Im Namen Gottes, er
möge es geben, daß der Brand gelingt)
(Lisse/Louis 1956: 58). Ganz ähnlich beten
die Frauen der Chaouia (Gaudry 1929:
207).
42 Die Töpferinnen am Djebel Amour und
bei den Ksel/Algerien verbinden die Anru-
fung Gottes mit einer Verwünschung der
Feinde, die den Erfolg des Brandes durch
die Magie des »Bösen Blicks« gefährden:
»Au nom de Dieu! Que Dieu répande ses
grâces et ses bénédictions sur le messager
de Dieu! Que Dieu fasse crever l’oeil des
envieux!« (in der französischen Überset-
zung von Gaudry 1961: 298).
43 Palumbo 1951: 33.
44 Alle in der Werkstatt Anwesenden sind am
Ofen versammelt, der Heizer ruft laut:
»Santu Martinu, cu l’avanza« oder »cu ve-
gna« (Cuomo di Caprio 1982: 179).
45 Palumbo 1951: 33 f.
46 Im Volksmund »del fuocco« genannt. Man
ruft ihn in Ruffano/Apulien zu Hilfe, wenn
während des Brandes etwas zu mißlingen
droht: »Sant’Antonio, aiutasi tu in questo
difficile momento del nostro lavoro« (Pal-
umbo 1953: 34). Cuomo di Caprio 1982:
179 erwähnt, daß der Heizer bei Branden-
de ausruft: »Sant’Antonio cu la coci« und
alle Anwesenden wiederholen: »Cu la
coci«.
47 In Torrepaduli/Apulien (Palumbo 1953:
35).
48 Gleiches berichtet Cuomo di Caprio 1982:
179.
49 Roussillon/Dauphine, mündliche Mittei-
lung von Bettina Hoffmann, Berlin.
50 In Sant’Andrea/Kalabrien ritzt man nach
dem Zumauern des Schürlochs beim
Brandende ein Kreuz in die Lehmschicht,
mit der die Steine bedeckt werden (Ham-
pe/Winter 1965:93). In Grottaglie/Apulien
macht der Heizer vor Beendigung des
Brandes mit der Schaufel ein Kreuzzeichen
über den Ofen. Anschließend beginnt er
mit der oben beschriebenen Anrufung der
Heiligen.
51 Vgl. Gaudry 1929: 208 und 1961: 298, Bel
1918: 34f.
52 Macedo Correia 1968: 54f. berichtet, daß
in Barcelos kein neuer Ofen in Betrieb
genommen worden sei, ehe man in ihm
nicht einige Blätter eines (nicht näher be-
zeichneten) magischen Krautes verbrannt
habe, um ihn von bösen Geistern und vom
»Bösen Blick« zu befreien. Unregelmäßi-
gen Brand oder den Anfall von übermäßig
viel Ausschuß in einem Ofen, der bisher
zufriedenstellend gearbeitet hatte, schrieb
man Zaubererinnen (»feiticeiras«) oder
den Auswirkungen des »Bösen Blicks« zu.
Als Gegenmittel bediente man sich des
Weihwassers oder verbrannte Salz oder die
Blätter von »alecrim« (Rosmarinus off.),
»rosmaninho« (Lavandula stoechas) oder
»trovisco« (Daphne). Außerdem wurden
die Heiligen oder die Seelen im Fegefeuer
um Hilfe angerufen.
53 Cuomo di Caprio 1982: 180.
54 Cuomo di Caprio 1982: 180 teilt das für
Cutrofiano/Apulien mit. Ich beobachtete
dies in Grottaglie/Apulien.
55 Cuomo di Caprio 1982: 141 f. Die im Text
fehlende Ortsangabe erhielt ich mündlich
von der Verfasserin.
56 Musso 1971: 93.
57 Gaudry 1929: 208 und 1961: 298.
58 So schadet es dem Brenngut, wenn man
ausruft: »Ya khali« (= O Onkel mütter-
licherseits) oder »teherres« (= es ist zer-
brochen) (Herber 1931: 2). Nach Herber
existieren zahlreiche dieser Tabuwörter,
52
Köpke: Töpfer, Ton und Teufel
jedoch gibt er leider keine weiteren an.
59 Schwarz 1982: 23, Kerkhoff-Hader 1980:
149.
60 Jahn/Petersen-Brandhorst 1984: 171 f.,
180 f.
61 Drost 1964: 104-109.
62 Amades 1957: 274, Berruezo 1963: 264,
Caro Baroja 1950: 264, Candamo 1959:
s.p., Felgueiras 1969: 174, Fuenmayor
Gordon 1959: 122, Irimia/Fernandez 1976:
25ff., 31 f., 37, 40, Johanni 1968: 10f.,
46f., Ribeiro 1964: 8-15, Risco 1963:
229-232, Rodriguez 1971: 181-204, Wei-
land 1945: 207, 230, 267.
53 Amades 1957: 283, 452-55, Candamo
1959: s.p., Felgueiras 1969: 169, 173, Iri-
mia/Fernandez 1976: 34, Ribeiro 1964:
8-15, Satrustegui 1970: 98 f., Taboada Chi-
vite 1974: 400f., Weiland 1945: 267.
64 Amades 1957: 283, Candamo 1959: s.p.,
Irimia/Fernandez 1976: 34, Jimeno Jurio
1976: 28, Satrustegui 1970: 98 f., Taboada
Chivite 1974: 400f., Ribeiro 1964: 8, 14f.,
Weiland 1945: 132, 261, 268.
65 Gegen »coisas malévolas« und »espiritos
ruins« schützen Allium ampeloprasum,
Melissa officinalis und Rosmarinus offici-
nalis (»alecrim«) (Felgueiras 1969: 164).
Das Holz von Juglans regia hat magische
Kräfte, die Nüsse dieses Baumes schützen,
wenn sie dreigeteilte Schalen haben, vor
Hexen (ders.: 168). »A oliveira e o lourei-
ro ... säo verdadeiros amuletos na-
turais...« (ders.: 170). Holz von Ficus ca-
rica bringt Unglück, es darf in der Nähe
von Vieh oder in Siedlungen nicht ver-
branntwerden (ders.: 171). Lavandula spi-
ca und Rosmarinus off. dienen zum Aus-
räuchern bei Verhexungen und Verzaube-
rungen (ders.: 173f.). AuchCytisus,einem
bevorzugten Brennmaterial der Töpfer,
Daphne und Ruta chalepensis werden star-
ke magische Kräfte zugeschrieben (ders.:
175-179). Über Reste eines Baumkultes in
Spanien, insbesondere über die starke
Verehrung der Eiche, berichtet Caro
Baroja 1950: 68. Ähnliche, wenn auch we-
niger umfassende Angaben wie bei Felgu-
eiras finden sich auch bei Ribeiro 1964: 10,
14.
66 Vgl. Anm. 52. Macedo Correia 1968/1969:
55 berichtet darüber hinaus, daß sich in
seiner Jugendzeit bei den alten Töpferöfen
die Rauchabzugslöcher häufig mit Ruß-
rückständen verstopften, wodurch sich Ga-
se bildeten, die sich entzündeten. Nach
Ansicht der Töpfer bedeuteten die Flam-
men Hexen, die um den Ofen tanzten.
Man setzte mit dem Feuern aus (wodurch
natürlich der Gasüberschuß sofort zurück-
ging) und verbrannte »alecrim«, »rosman-
inho« oder »trovisco«, wie auch bei den
anderen genannten Gelegenheiten.
67 Felgueiras 1969: 171. Es ist allerdings auf-
fällig, daß bestimmte Holzsorten (beson-
ders von Obstbäumen) nie für einen Kera-
mikbrand verwendet werden, doch muß
die Klärung der Gründe hierfür, die auch
technischer Natur sein können, einer
späteren Arbeit Vorbehalten bleiben.
68 Als schädlich gilt beispielsweise die Er-
wähnung einer Schlange (culebra) (Johan-
ni 1968: 48).
69 Ribeiro 1964: 11.
70 Amades 1957: 274.
71 Amades 1957: 294, Rodriguez Lopez 1971:
165 ff. Eine Frage, der nachzugehen wäre,
ist, inwieweit die Töpfer selbst, wie stellen-
weise Schmiede und Hirten, als Hexeriche
gelten (Amades 1957: 455).
72 Amades 1957: 454 f.
73 Satrustegui 1970: 92, 94f., 98 f.
74 Irimia/Fernandez 1976: 37, Rodriguez Lo-
pez 1971: 129ff., Taboada Chivite 1974:
390 f.
75 Taboada Chivite 1974: 390.
76 Es fällt sofort auf, daß, sowie der Kontakt
des Befragers zu den Töpfern sehr eng ist,
wie etwa beim Töpferssohn Macedo Cor-
reia, viel weitgehendere Dinge zur Sprache
kommen als mir oder anderen Forschern
gegenüber. Bei einem längeren Aufenthalt
in einem Töpferort dürfte es jedoch auch
für einen nicht einheimischen Interessen-
ten möglich sein, das Vertrauen der Kera-
miker in größerem Maße zu gewinnen als
es mir bei meinen meist relativ kurzen
Besuchen möglich war. Trotz aller geschil-
derten Schwierigkeiten halte ich es für
möglich, durch gezielte, geduldige Nach-
forschungen weit mehr über die religiösen
und magischen Vorstellungen der Töpfer
in Spanien herauszufinden als ich hier dar-
gestellt habe.
77 So wurde mir vielerorts erzählt, daß men-
struierende Frauen z. B. nicht buttern oder
einmachen und kein Brot backen dürfen.
Den gleichen Glauben kennt man auch in
Mitteleuropa: »Stengel bringt schon die
Ansicht, daß eine foemina menstrualis das
Bier sauer werden lasse, und in Thüringen
heißt es: Wenn eine Frau die Menstruation
hat, soll sie keine Brauerei betreiben,
sonst schlagen Bier, Wein und Essig um«
(Hoffmann-Krayer/Bächthold-Stäubli
1927: 1516). »Wie bei Wein und Bier
herrscht auch in Bezug auf Milch der Glau-
be, daß eine menstruierende Frau sie ge-
rinnen mache« (dies. 1934/1935: 267).
78 Drost 1964: 103.
53
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55
JOACHIM BAUTZE
Eine Garudastandarte aus Kota
im Linden-Museum*
Außerhalb Kotas1, eines 16312 unabhängig gewordenen Königreiches mit gleichna-
miger Hauptstadt in Rajasthan (Indien), gibt es wahrscheinlich in keiner anderen
öffentlichen Sammlung eine historische Standarte jenes Reiches, wie die hier
vorzustellende (Farbtafel S. 47 und Abb. 1). Das aber ist nicht der einzige Grund,
warum wir dem 71x67 cm (Höhe vor Weite) messenden, bemalten Stück Stoff
(Inv.-Nr. SA38569) unsere Aufmerksamkeit widmen. Diese Standarte, genauer
gesagt dieses Teil einer Standarte in Form eines Fahnenfragmentes, spiegelt
einerseits eine in vorchristliche Zeit zurückreichende Tradition Indiens wider,
andererseits repräsentiert sie im wahrsten Sinne des Wortes einen unabhängigen
indischen Staat vor der englischen Machtübernahme im Jahre 1877. Wir erwähnen
hier das Jahr 1877, weil in diesem Jahr der bodenständigen rajputischen Heraldik
durch Einführung neuer, in England konzipierter Standarten ein Ende gesetzt
wurde. Wie weiter unten gezeigt werden soll, ist der englische Entwurf der
Kotastandarte noch heute zumindest in Form eines Briefkopfes im Gebrauch.
Es ist behauptet worden, daß Fahnen im Sinne einer Standarte mit Sicherheit eine
Erfindung der Chinesen oder Inder seien.3 Der interessierte Leser wird jedoch
vergeblich nach publizierten historischen indischen Fahnen aus der Zeit vor 1900
suchen: zum einen ist das indische Klima der Konservierung der Wind und Wetter
ausgesetzten Stoffe nicht dienlich, zum anderen waren die wenigsten Museen an der
Sammlung derartiger Reichsinsignien interessiert.4
Die Unterscheidung zwischen einer »Standarte« und einer »Fahne« ist in Indien
schwierig, da vor allem in der spätmittelalterlichen Zeit eine Fahne oft an einer
Standarte befestigt war und das auf der Spitze der Standartenstange plastisch
dargestellte Symbol oder Symboltier auch auf der Fahne abgebildet sein konnte, die
an der Standartenstange angebracht war, wovon später noch die Rede sein wird.
Aus diesem Grunde möchten wir die Bezeichnung »Standarte« in bezug auf das zu
beschreibende Objekt des Linden-Museums dem Begriff »Fahne« vorziehen, zumal
in der altindischen Tradition der auf dem Standartenfragment des Linden-Museums
dargestellte Garuda figürlich auf der Spitze einer Standartenstange befestigt war.
Wir haben hiermit vor der Beschreibung des Objektes die Identifikation des
dargestellten mythischen Vogels vorweg genommen, um diesem in der Beschrei-
bung einen Namen zu geben.
Was ist ein Garuda? In dem Kapitel »of animals in Indian Art« in seinem Buch
»Beast and Man in India« schreibt John Lockwood Kipling: »The bird of ancient
myth, Garuda, ..., is a Hindu conventionalisation of aquiline forms from which
eagle character is usually omitted. In bazaar prints... he flies or serves as a steed to
Wir danken der Stiftung Volkswagen-
werk, Hannover, für die 30monatige För-
derungsdauer zur Erforschung der Wand-
malereien in Bundi und Kota. Ganz be-
sonderen Dank schulden wir Herrn G.
Kreisel vom Linden-Museum Stuttgart,
der uns die reichhaltige Sammlung rajpu-
tischer Objekte zeigte.
57
TRIBUS 35, 1986
Vishnu in one of his forms, and sometimes he appears as half man half bird«.5 Im
selben Werk lesen wir im Kapitel »Of Animais and the Supernatural«: »An
enumeration of the fabulous creatures invented by Eastern fancy would be a long
business... Many of them are kin to the stränge creatures of the monkish bestiaries
of medieval Europe, the herring gutted menageries of heraldry, and the poetry of
all the world. ... the Garuda, often shown as a winged man with a bird’s head... are
only a few of a mighty and most fantastic host.«6 Wir erfahren auch, daß der Garuda
im Wappen des Maharaja von Mysore erscheint.7 Die Kotastandarte kannte J. L.
Kipling wohl nicht, aber er dürfte einer der wenigen gewesen sein, der sich zu
damaligen zeitgenössischen Darstellungen jenes in der Regel terioanthropomorph
dargestellten mythischen Vogels äußerte.
»Garuda« ist vom altindischen Verb »gr«8 ableitbar, was »verschlingen« bedeutet.
Diesen Namen bekam er als Herr aller Vögel, wohl weil er nach dem Schlüpfen aus
dem Ei wie das allverzehrende Feuer erstrahlte, und die Götter ihn in einem langen
Hymnus u.a. als Feuer und Sonne verehrten.9 Sein Bruder ist Aruna, der Lenker
des Sonnenwagens. Garuda ist der Feind aller Schlangen (Nägas), weswegen er
auch als Verschlinger der Schlangen verstanden werden kann, denen er in den
Darstellungen der früheren indischen Kunstperioden nachstellt.10 Garudas Feind-
schaft mit den Schlangen wird durch mehrere Textpassagen in den Epen erklärt11
und reicht bis in die vedische Zeit zurück. Erst in epischer Zeit sehen wir eine
Verbindung mit dem Gott Visnu. Im Rämäyana und Mahäbhärata sollen wir
angeblich erfahren, daß Garuda zum Reittier und zur Standarte Visnus erkoren
wird.12 Als Standarte Visnus (bzw. Väsudevas) wird er auf einer Säule erwähnt, die
einst einen Garuda auf dem Kapitell trug. Es ist dies die Besnagar Säule aus dem
ersten vorchristlichen Jahrhundert, die den Griechen Heliodoros als Stifter der
Säule erwähnt.13 Wir sehen den Garuda aber nicht nur als Standarte auf der Spitze
einer steinernen Säule, wir erkennen ihn in vorchristlicher Zeit auch als bewegliche
Standarte, die von einem Reiter getragen wird, wie etwa auf zwei erhaltenen
skulpierten Pfeilern der Umzäunung des Stüpa von Barhut aus dem Anfang des
vorchristlichen Jahrhunderts.14 Da der Steinzaun von Barhut einem buddhistischen
Kultobjekt zugeordnet war, möchten wir an dieser Stelle auf eine Bemerkung von
N. P. Joshi hinweisen, der erwähnte, daß Garuda in der frühen Steinplastik als
dekoratives Motiv bei den Hindus, Buddhisten und Jainas erscheint,15 und der
König, dem in Barhut die Garudastandarte zur Seite getragen wird, nicht zwingend
ein Verehrer Väsudevas bzw. Visnus gewesen sein muß.16 Die altindische Bezeich-
nung für die Garudastandarte heißt »Garudadhvaja«.17
Die meisten Könige der Guptazeit (etwa 4.-6. Jahrhundert) ließen sich zusammen
mit einer Garudastandarte auf ihren Münzen prägen.18 Dabei ist der Garuda in der
Regel frontal auf der Spitze einer Stange dargestellt, wie er auch auf einem
Terrakottasiegel aus der Zeit Kumäragupta I (etwa 414-455) erscheint.19 Nur
wenige Jahrhunderte später zeugen zahlreiche Skulpturen der Päla-Zeit von der
Beliebtheit der Garudastandarte in Bihar und Bengalen. Auf einer entsprechen-
den, noch erhaltenen Säule sehen wir eigentlich zwei Garudas, die Rücken an
Rücken auf der Säulenspitze sitzen und ihre Handflächen in Verehrung zusamenge-
legt haben.20 Selbstverständlich gibt es auch rundplastisch dargestellte, einzelne
Garudadarstellungen von derartigen Säulen,21 wie sie etwa in Nepal noch vor allem
während des 17. und 18. Jahrhunderts in Stein gemeißelt oder aus Metallen
gegossen wurden.22 Dabei sollten wir nicht vergessen, daß es auch in Nepal einzelne
Garudadarstellungen in Bronze gab, die vielleicht sogar einen eigenen Kult bean-
spruchen durften, sofern sie nicht eine Beifigur einer größeren Visnubronze dar-
stellen.23
Wie schon erwähnt informiert uns das Mahäbhärata darüber, daß Garuda zum
Reittier (vähana) Visnus wurde, die ältesten Zeugnisse der indischen Steinplastik
reichen in diesem Falle aber kaum vor den Beginn der Guptazeit zurück.24 Ab der
Guptazeit gibt es dann zahllose Bildwerke aus Indien, Nepal und später auch aus
Südostasien, die uns Gott Visnu teils alleine, teils mit seiner Gattin auf den
Schultern bzw. auf dem Rücken des Garuda zeigen.
58
Bautze: Eine Garudastandarte aus Kota
Die wohl älteste Malerei eines Garuda auf indischem Boden befindet sich an der
Decke des überdachten Eingangs zum eigentlichen Tempel im Kailasa von Elura
aus dem 8. Jahrhundert.25 Die Malerei dürfte jedoch erheblich später entstanden
sein. Keinen Datierungsschwierigkeiten begegnen wir jedoch bei weiteren, zweidi-
mensionalen Darstellungen Garudas in Form von Kupferplattengravuren, die
datierte Kupferplatteninschriften aus dem 10. und 11. Jahrhundert begleiten. Im
Gegensatz zur Wandmalerei in Elura trägt der Garuda der erwähnten Inschriften
keinen Visnu auf seinen Schultern und ist genau in das Jahr 949 A. D. datiert.26 Die
entsprechenden Garudas der Jahre 969, 974, 1019-1020, 1022 und 1055 ähneln
einander sehr: Der Kopf jeder Figur ist in Dreiviertelansicht wiedergegeben und
zeigt Anzeichen des sogenannten »hervortretenden Auges« (protruding eye), d.h.
das Auge der dem Betrachter abgewandten Gesichtshälfte beginnt über die Profilli-
nie des Gesichtes hinauszuragen.27 Sein Gesicht gleicht einem Menschen, wie
überhaupt seine ganze Gestalt mehr einem Menschen als einem Vogel nachempfun-
den wurde. Nur die spitze Nase, die beiden Flügel und die mit der linken Hand
gehaltene Schlange identifizieren ihn eindeutig als den Herrn der Vögel. In zwei
Gravuren zu Inschriften hat er schließlich die Handflächen zusammengelegt wie
seine Zeitgenossen auf den Säulen in Bihar und Bengalen.28 In Europa wurde der
Garuda übrigens auch durch Gravuren, oder besser gesagt durch Kupfer und
Stahlstiche29 bekannt, die die indische Mythologie dem abendländischen Leser
illustrieren sollten.
Garudadarstellungen sind in der Miniaturmalerei äußerst zahlreich, weswegen wir
nur auf drei Darstellungen hinweisen möchten, die zu verschiedenen Zeiten und
höchstwahrscheinlich auch an verschiedenen Orten entstanden sind und alle drei
mehr oder weniger eine gemeinsame Textpassage illustrieren, in der der Raub eines
Wunschbaumes durch Visnu-Krsna beschrieben wird (Pärijätaharana).30
Eine der ältesten rajputischen Illustrationen der Legende aus dem Bhägavata
Puräna dürfte in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts entstanden sein. Sie wurde
mehrfach publiziert.31 In ihr ähnelt der Garuda in bezug auf die Beinhaltung und die
Gestaltung der Flügel noch sehr den erwähnten Garudadarstellungen auf den
Kupferplatteninschriften. Seine Füße jedoch sind den Greifen eines Vogels nach-
empfunden. Sein im Profil dargestellter Kopf nimmt die Gestaltung der späteren
Garudas vorweg: Stirnpartie, Haare und Ohren sind einem menschlichen Kopf
nachempfunden, der gebogene Schnabel aber einem Vogel ohne Andeutung einer
menschlichen Nase oder eines Mundes. Seine Körperfarbe ist gelb und er trägt
Krsna als Visnu mit einer seiner Frauen auf einem vielblättrigen Lotos, den er mit
beiden Händen über seinem Kopf balanciert.
Eine weitere Darstellung, an die wir erinnern wollen, wurde nicht weniger häufig
publiziert und entstand im kaiserlichen Moghulatelier etwa 1590 als Illustration
derselben Episode im Harivamsa.32 Der Garuda ähnelt dem der vorangehend
beschriebenen Darstellung, aber seine Körperfarbe ist grün, sein Auge erscheint
halb vogelartig und halb menschlich, seine Flügel sind realistischer dargestellt und
schlagen nach dem Elefanten Indras, und er hält ein Attribut Visnus, den Lotos,
mit der rechten Hand. Krsna und seine beiden Gefährten sitzen auf dem Rücken
des mythischen Vogels, der wie von oben herab fliegend dargestellt ist. Nur die
wenigsten Garudas aus den kaiserlichen Moghulateliers wurden mit einem eigenar-
tigen Kompromiß aus menschlichem Mund und menschlicher Nase und vogelarti-
gem Schnabel versehen.33
Die dritte und letzte Vergleichsminiatur entstand im sogenannten Paharigebiet im
18. Jahrhundert.34 Der Garuda dieser Malerei vereinigt in sich frührajputische und
moghulische Darstellungstraditionen: Er ist von fleischfarbigem Inkarnat, aber
seine Flügel und sein kreisrunder Kopf sind grün. Das Ohr vermag mit dem Ohrring
noch an ein menschliches Ohr zu erinnern. Sein Auge ist das eines Vogels und so ist
sein roter Schnabel es auch. Im Gegensatz zu den beiden anderen erwähnten
Garudas ist er vierarmig. Seine vordere Rechte stützt das linke Schienbein des auf
seinen Schultern sitzenden Visnu, seine hintere rechte Hand hält einen bauchigen,
metallenen Topf, der wohl an den von ihm einst geraubten, Unsterblichkeit
59
TRIBUS 35, 1986
verleihenden Nektar erinnern soll. Um den vorderen rechten Unterarm hat er eine
Schlange gewickelt. Die hintere linke Hand stützt die Begleiterin Krsnas, während
die vordere Linke die Funktion eines Steigbügels wahrnimmt und Krsnas Ferse vom
linken Fuß stützt. Die Beine mit den Greifenfüßen sind in der archaischen Flughal-
tung angewinkelt.
Die Garudastandarte des Linden-Museums
Vor dem Hintergrund der rasch skizzierten Garudastandartentradition Indiens und
der ebenso nur schemenhaft angedeuteten Darstellungstradition in der Miniatur-
malerei Nordindiens, möchten wir nun die Garudastandarte des Linden-Museums
(Abb. 1) beschreiben, bevor wir ihre kunsthistorische Entwicklung, ihre Funktion
und ihre Stellung in der Geschichte des Staates Kota erläutern.
Beschreibung des Standartenfragmentes
Garuda fliegt von rechts unten etwa diagonal nach links oben.35 Seine beiden Arme
hat er in angewinkelter Haltung nach vorne gestreckt, seine Flügel sind ausgebreitet
und seine Beine hat er soweit es ging angewinkelt. Er fliegt vor einem hellen, etwa
zinnoberroten Hintergrund. Sein großes, fast lanzettförmiges Auge läßt kaum Platz
zwischen dem roten Schnabel und dem Ohr, das wie das Ohr eines Menschen
gestaltet ist. Felgenartig schmal umgibt die Iris die große runde schwarze Pupille,
die nach oben gerichtet zu sein scheint. Ein schmales Augenlid wird fast von der
schweren Wulst über dem Auge bedrängt; eine Braue oder Wimpern hat der
Künstler nicht angedeutet. Die untere Augenumgrenzung weist zwei Auslappungen
auf, die an die obere Augenpartie einer Nachtigallenart erinnern (Bulbul).36 Der
gebogene Schnabel hat im oberen Teil ein tropfenförmiges Nasenloch und der
Form nach könnte er einem Papageienschnabel entlehnt sein,37 die Wulst im oberen
Teil des Schnabels wäre aber dann wohl eine Erfindung des Künstlers. Eine Art
Hahnenkamm, der Form nach an gewisse altrömische Legionärshelme erinnernd,
wölbt sich in 13 einander überlappenden, praktisch in Flugrichtung an Größe
abnehmenden Segmenten vom Schnabelwulst bis hinter das Ohr auf dem annä-
hernd ovalen, nach oben gereckten Kopf. Zwischen Auge und Ohr lugt unter dem
Hahnenkamm eine schwarze Haarlocke hervor, die den helmartigen Eindruck des
Kopfkammes verstärkt. Ein Ohrring mit zwei großen, grauweißen Perlen, die eine
kleinere rote auf einem rundgebogenen Stück Schmuckdraht umrahmen, hängt
vom durchstochenen Ohrläppchen herab. Eine enganliegende Perlenkette umgibt
den sehr kurzen Hals zwischen Kopf und Flügelansatz. Wie beim Haushahn hängen
vom Schnabel zwei Hautbeutel herab, werden aber von der dem Betrachter
zugewandten, schwarzen Umrißlinie des Gesichtes halb verdeckt.
Der linke, fast rechtwinkelig angezogene Arm beginnt unmittelbar am Nacken, von
dem ein zunächst sehr schmaler, zum Ende hin breiter werdender Schal, vom
Flugwind gegen die Flugrichtung und hinter den Flügeln nach oben geweht wird.
Die schmale Borte des Schales umsäumt eine Kette von annähernd quadratischen
Vierecken, auf deren Diagonalenschnittpunkte abwechselnd ein rotes und ein
grünes, kleineres Viereck eingesetzt wurde.38 Nach einer undekorierten Zone hinter
dem letzten Viereck der Sequenz folgt am verbreiterten Schalende eine Borte aus
kurzen Fransen. Den linken Oberarm umschließt ein Oberarmschmuck (Bazu-
band)39 mit zwei (von wahrscheinlich drei) runden Scheiben, denen jeweils ein an
der Farbe erkennbarer Rubin bzw. Smaragd aufgesetzt wurde. Dachziegelartig sich
überlagernde, in den Umrissen angedeutete Federn bedecken den Unterarm. Die
linke, leicht vom Handgelenk abgeknickte Hand hält eine kurzschaftige Keule40 mit
längsgerippter, am Stiel oben und unten wie von aufgelegten Blütenblättern jeweils
konzentrisch umrahmten Kugel, mit einem runden Knauf am Schaftende und auf
der Spitze. Den Handrücken schmückt eine sogenannte Handblume (»Hathphul«)41
mit der entsprechenden Befestigung am Handgelenk, dem Zeigefinger und dem
kleinen Finger. Der Daumen und die beiden verbleibenden mittleren Finger der
60
Bautze: Eine Garudastandarte aus Kota
Garuda, Fragment einer Standarte
der Herrscher von Kota, Rajasthan,
Nordindien. Malerei auf Seide.
Außenmaße: 71 x 67 cm.
Schule von Kota, um 1810.
Inv.-Nr. SA 38569.
sowohl linken als auch rechten Hand sind mit bis zur Fingerwurzel aufgesteckten
Ringen versehen.42
Vom rechten Arm sehen wir nur die Hand mit dem Handgelenk und den Unterarm
in Höhe des Ellbogens. Den Unterarm verdeckt größtenteils der Kamm auf dem
Kopf, während der Oberarm vom rechten Flügel überdeckt wird. Die rechte Hand
ist entsprechend der linken geschmückt. Sind beim Halten der Keule alle Finger der
linken Hand beteiligt, so wird das Schneckengehäuse nur mit Daumen und Zeige-
finger der rechten Hand in Position gehalten. Die verbleibenden drei Finger sind
wie zu einer Faust auf die Handfläche gelegt, die bei beiden Händen dem Betrach-
ter abgewandt ist. Das Schneckengehäuse weist mit der sich verjüngenden Spirale
auf die Daumen- und Zeigefingerwurzel und stellt, wie die Keule (gadä), ein
Attribut (saiikha) Visnus dar.
Die Flügel sind verhältnismäßig kurz und sind so dargestellt, als ob sie aus einem
Stück bestünden. Somit kann genau genommen aus dieser Perspektive kaum der
61
TRIBUS 35, 1986
rechte vom linken Flügel unterschieden werden, da in dieser Flughaltung der Blick
auf die eigentlichen Flügelansätze versperrt ist. Der mittlere Teil der beiden Flügel
besteht aus goldenen, runden, sich schuppenartig überlagernden Federn mit grü-
nem Saum. Dieser Teil ist im Umriß einem mit der gerundeten Spitze schräg nach
links unten weisenden linken Herrenschuhabdruck nicht unähnlich, es könnte zum
Vergleich auch eine Nierenform in Betracht gezogen werden. Blattförmige Federn
bedecken die der Flugrichtung zugewandten Teile der Flügel. 27 silberne Federn
mit Spuren grünen Farbauftrags umsäumen das äußere Ende beider Flügel und die
der Flugrichtung abgewandten Teile des mittleren, beide Flügel verbindenden
Flügelteils. Von der jeweiligen Flügelspitze bis zur Mitte auf dem Rücken des
Wappenvogels werden die Federn stetig kleiner. Die einzelnen Federn überlappen
sich so, daß immer der Kiel der Feder sichtbar bleibt, der schließlich, von der
kleinsten Feder bzw. von innen bis nach außen auf die Flügelspitzen gesehen, etwa
lotrecht zur Flugrichtung steht. Nur die etwa mittlere Feder über dem Rücken, die
von zwei etwas kleineren Federn flankiert wird, zeigt den Kiel in ihrer Mitte. Sollte
diese Feder als Unterscheidungsmerkmal von rechtem und linkem Flügel einzuset-
zen sein, so entfallen 14 silberne Federn, die an die Darstellungen der Bananenblät-
ter in Bundikalam-Malereien des 18. Jahrhunderts erinern, auf den linken und nur
12 Federn auf den rechten Flügel, die mittlere Feder nicht mitgerechnet.
Das bis zu den Füßen herabreichende Beinkleid (Dhotl) erstrahlt weiß und silbern.
Der in Falten zusammengelegte Teil der Dhotl wurde zwar durch die Beine
hindurch gezogen, aber nicht, oder nur zum Teil, in die Schärpe oberhalb des
Gesäßes gesteckt, so daß ein Stück des gefalteten Beinkleides vom Gesäß absteht
und nach oben geweht wird. Ein doppelspurig weiß punktierter Saum markiert das
Ende der Dhotl, die so gelegt wurde, daß am Gesäß ein Spalt entstand, der drei
langen Schwanzfedern erlaubt, ins Freie zu treten. Die drei Federn wirken wie ein
goldenes, zentrales Band mit zwei ebenso breiten, silbernen Borten, das sich zum
wehenden Ende hin leicht verbreitert. Das herabhängende Ende der um die Hüfte
gelegten Schärpe ist wie das Ende des Schals gestaltet und flattert neben der dem
Betrachter zugewandten Gesäßhälfte. Schwer zu deuten bleibt ein weißumrandetes
ovales Feld auf dem Oberschenkel, dem konzentrisch mehrere Reihen weißer
Punkte eingesetzt sind. Die Fußgelenke werden von je einem Fußring umschlossen,
der wie das um das Handgelenk gelegte Teil der Handblume aussieht: drei in einer
Reihe nebeneinander angebrachte Edelsteine in einer jeweils breiten, runden
Goldumrahmung. Die äußere, mittlere und innere Zehe des einem Vogel nachemp-
fundenen Fußes läßt keinen Zwischenraum. Was beim Vogel sonst die hintere Zehe
wäre, geriet bei dem Garuda verhältnismäßig kurz zur Darstellung. Die Krallen
sind zwar spitz, aber kurz. Vom rechten Fuß ist nur noch die hintere Zehe erhalten.
Wie die Arme und der Kopf sind auch die nichtbedeckten Teile der Beine golden
mit Spuren von aufgetragener, grüner Farbe.
Bemerkungen zur Technik des Farbauftrags
Auf die je nach Lichteinfall orange- bis zinnoberrote Seide wurde die Fläche und
der Umriß des Garuda mit Gummiarabikum gemalt. Für den Körper des Wappen-
vogels wurde in erster Linie Blattgold vor Trocknung des Gummis aufgetragen.
Ebenso wurde mit dem Silber für die Flügel-, Schwanzfedern und dergl. verfahren.
Das Silber ist im Laufe der Zeit grau geworden, ein direkter Lichteinfall vermag
aber auch noch das Silber wie das Gold zum Glänzen zu bringen. Die Farben Rot
(etwa für den Schnabel), Schwarz (zur Hervorhebung der Konturen und Binnen-
gliederung der Federn), Weiß (für die sonst silberne Schneckenschale oder Dhotl
und Perlen) und Grün (zur Andeutung der gefiederten Körperteile) wurden zum
Schluß auf das Blattgold bzw. Silber aufgemalt.
Erhaltungszustand
Das Gewebe wurde an mehreren Stellen mit etwas dunklerem und matten Stoff
durch Annähen ausgebessert. Das ursprüngliche Gewebe ist vielerorts brüchig und
an einigen Partien, wie etwa an der Spitze der drittgrößten Feder des rechten
62
Bautze: Eine Garudastandarte aus Kota
Flügels, an zwei Stellen über den beiden größten Federn desselben Flügels und am
unteren umnähten Saum in der Nähe des linken Knies vertikal etwa ein bis vier
Zentimeter aufgeschlissen. Der Stoff wurde einem entsprechend großen Stück
Tuch aufgenäht, mit umgeschlagenem, etwa 1,5 cm breitem Randsaum. Ein Teil
des rechten Fußes und des Schwanzfederterzetts fehlt, ebenso Teile der Federn am
linken Flügel. Der grüne Farbauftrag scheint größtenteils abgeblättert zu sein.
Gemessen am Verwendungszweck dieses Standartenfragmentes und an der Tech-
nik des Farbauftrags auf labilem Material ist die Malerei relativ gut erhalten.
Gebrauch und Bedeutung der Standarte
Zum besseren Verständnis des Gebrauchs und der Bedeutung der Kotastandarte
sei ein Blick auf die Rolle der Standarte unter den Moghuln, die Kotas Unabhän-
gigkeit von 1631 ratifizierten, erlaubt. Eine »Beifallsbegrüßung der Standarten«
beschrieb Babur schon 1502,43 die Maler unter Akbar haben diese Begebenheit
auch mehrfach in Szene gesetzt.44 Der Hofchronist Akbars informiert uns in einem
Kapitel über die königlichen Insignien auch über die Standarten: »The ’Alam or
Standard. When the king rides out, not less than five of these are carried along with
the Qür (a collection of flags, arms, and other insignia, which follow the king
wherever he goes), wrapped up in scarlet cloth bags. On days of festivity, and in
battle, they are unfurled. The Chatrtoq, a kind of ’Alam, but smaller than it, is
adorned with the tails of Thibetan yaks. The Tumantoq is like the Chatrtoq, but
longer. Both insignia are flags of the highest dignity, and the latter is bestowed upon
great nobles only. The Jhandä is an Indian flag. The Qür necessarily contains a flag
of each kind; but on great occasions many are displayed.«45 Fahnen zählen also
schon bei Akbar zu den Standarten, die noch in abgewandelter Form im 19.
Jahrhundert bei Schlachten, wie z. B. gegen die Engländer während des Aufstandes
1857, in Gebrauch waren.46 Von den königlichen Insignien und Fahnen, die William
Irvine aufzählt und anhand indischer Quellen erläutert,47 werden die meisten von
europäischen Reisenden, die zwischen dem 17. und dem 19. Jahrhundert in Indien
weilten, beschrieben48 oder von indischen Malern in Werken des frühen 17. bis zum
19. Jahrhundert verewigt.49 M. Gentil reproduziert Moghulstandarten, die auf
Elefanten getragen werden und aus einer Stange bestehen, an deren oberem Ende
ein Emblem plastisch dargestellt ist, was nochmals auf der Fahne, die an der jeweils
selben Stange angebracht ist, in bestickter oder bemalter Form wiederholt wird.50
Die Miniaturmalereien zeigen, daß in einer Prozession51 oder Schlacht52 die Standar-
ten meistens hinter dem Kaiser bzw. Herrscher transportiert wurden. Es gibt aber
eine besondere Standarte, die im allgemeinen im vorderen Teil einer Prozession zu
suchen ist: dies ist eine bestimmte Fahne, bzw. ein Fahnenpaar, das stets auf dem
Rücken von Elefanten getragen wird. Im Unterschied zu den meist dreieckigen
Fahnen, die so schmal sein können, daß sie die Form eines Wimpels annehmen,53 ist
diese Fahne annähernd quadratisch mit drei übereinander in einigem Abstand
angenähten, wimpelartigen Zipfeln an der vertikalen, nicht mit der Stange verbun-
denen Seite.54 Peter Mundy hat 1632 eine entsprechende Prozession gesehen, und
davon eine kommentierte Skizze angefertigt.55 Bei den beiden Fahnen zeigt jeweils
eine Fahne das Emblem des Moghulreiches der Zeit: Einen Löwen vor einer
Sonne, wie es schon auf einer europäischen Karte des Moghulreiches von 1619
erscheint.56 Auf der zweiten Fahne ist ein Simurgh dargestellt, wie er von oben
kommend einem Drachen entgegenfaucht57 oder nur ein Simurgh. Es scheint, als ob
nachts die Fahnenstandarten nicht zum Einsatz kamen.58
Zusammenfassend stellen wir fest, daß 1. der Garuda ein Standartenemblem mit
weit zurückreichender Tradition ist, 2. der oberste Dienstherr des Rao von Kota
eine Standarte in Form einer Fahne auf einem Elefanten in der vordersten Reihe
einer kaiserlichen Prozession tragen ließ und 3. daß die Fahne nicht einzipfelig war
und entweder mit der Sonne (mit einem Löwen) oder einen mythischen Vogel
(Simurgh) in goldener Ausführung bestickt bzw. bemalt war.
63
TRIBUS 35, 1986
2
Standarte Kotas um 1701, Wandmalerei,
Chattar Mahal, Kota.
Nach diesen weiteren kurzen Vorbemerkungen sind wir eher in die Lage versetzt,
uns mit der Entwicklung der eigentlichen Kotastandarte auseinanderzusetzen.
Die älteste uns bekannte Darstellung einer Kotastandarte entnehmen wir einer
1701 datierten59 Wandmalerei im sog. Chattar Mahal von Kota60 (Abb. 2).61 Die auf
einem Elefanten gehaltene Fahne weist zwei Zipfel auf und zwei übereinanderlie-
gende, golden strahlende Sonnen auf dunkelrotem Grund. Die Sonnendarstellung
läßt sich sowohl von der Moghulstandarte als auch von dem Ursprung der Vorfah-
ren der königlichen Familie von Kota erklären, die dem Sonnengeschlecht (sürya-
varpsa)62 zugehört. Oft erscheint die Sonne im Zentrum ausgemalter Kuppeln oder
Decken in Bundi, Kota, Indargarh und anderen Städten des ehemaligen Königrei-
ches von Bundi/Kota mit ausgemalten Räumlichkeiten.63
Die erste datierbare Darstellung einer Garudastandarte entdecken wir jedoch erst
in einer von »Gumäni« gemalten Miniaur, die ein Jagdereignis des Jahres 1778
darstellt.64 Wie in der Wandmalerei des Chattar Mahal (Abb. 2), wird auch hier die
Standarte auf einem Elefanten gehalten, der sich etwas abseits vom Jagdgeschehen
befindet. In der Form gleicht diese Standarte der hier in Abb. 7 reproduzierten. Ein
weiteres Bild desselben Malers ist 1779 datiert und zeigt die Garudastandarte Kotas
auf einem Elefanten an der Spitze einer Prozession am oberen Bildrand.65 Bevor wir
aber die Form der vollständigen Standarte beschreiben, erläutern wir die Entwick-
lung des Garudabildes im Bundikalam, d.h. in der unter einem Bundiherrscher
entwickelten Malschule. Diese Erläuterung muß weiteren Betrachtungen zur Ent-
wicklung der Garudastandarte Kotas vorangestellt werden, da in einem erst kürz-
lich erschienenen, großformatigen Band zur Geschichte und Malerei Kotas, das den
Namen des Prinzen von Kota auf der Titelseite trägt, folgende Behauptung
aufgestellt wurde: »Contrary to the belief that several paintings depicting garuda
64
Bautze: Eine Garudastandarte aus Kota
3
Garuda mit Visnu und Laksml,
Wand- bzw. Deckenmalerei, Badal Mahal,
Bundi, um 1620.
usually with Vishnu-Lakshmi (sic) belong to the Bundi school, it may be pointed
out these are all Kotah paintings.«66
Abgesehen einmal davon, daß eine »Kota school« ohne entsprechende Beischriften
bei Miniaturen oft nur schwer von einer Miniaturmalerei der »Bundi school«
unterschieden werden kann, da die erstgenannte Malschule nur ein Idiom der
zweiten darstellt, kann mit Hilfe von weit außerhalb der Grenzen Kotas entstande-
nen Wandmalereien oben zitierte Behauptung entkräftet werden.
Die älteste Darstellung des fliegenden Garuda im Bundikalam ist eine um 1620
entstandene Wandmalerei in der östlichen Halbkuppel des sog. Badal Mahal
innerhalb des Palastkomplexes von Bundi (Abb.3).67 Dieser Garuda wurde in ein
Feld gesetzt, das in Beziehung zu setzen ist mit anderen Feldern gleicher Größe, die
entweder zwei Simurghs oder einen Simurgh über einem Drachen wie in einer
erwähnten Standarte aus der Regierungszeit Jahangirs68 zeigen.69 Eine weitere, vor
der Entwicklung der Garudastandarte Kotas gemalte Darstellung eines Garuda mit
»Passagieren« gibt es im sog. Supari Mahal im Palastkomplex von Indargarh70
(Abb.4). Diese Wandmalerei befindet sich in der Kuppel eines Raumes unterhalb
einer im Kuppelzentrum dargestellten Sonne.71 Die Malerei entstand etwa um 1680.
Der »Ur-Garuda« des Bundikalam,72 den wir in Bundi selbst sehen73 (Abb. 3) verrät
in seiner für rajputische Verhältnisse naturalistischen Darstellung seine kunsthisto-
rische Abstammung vom Garuda des Moghulateliers, auf die bereits hingewiesen
wurde.74 Sein Blick ist entschlossen und kein Detail seiner Gestalt läßt die Erinne-
rung an einen Haushahn oder einen Papageien wach werden. Die Schwanzfedern
sind voneinander getrennt und nicht wie zu einem einzigen Band zusammengesetzt.
Rote und weiße Blüten entläßt er hinter sich in den fast schwarzen Nachthimmel
wie ein Düsenflugzeug den Kondensstreifen. Auf seinem Rücken trägt er den Gott
65
TRIBUS 35, 1986
4
Garuda mit Visnu und Laksml,
Wand- bzw. Deckenmalerei, Supari Mahal,
Indargarh, um 1680.
Visnu, der mit seiner Gattin Laksml auf einem runden Lotosblütenblattpolster
Platz genommen hat und mit drei seiner vier Hände jeweils seine ringförmige
Wurfscheibe (cakra), seine Kriegstrompete (sahkha) und seine Keule (gada)
emporhält. Garuda ist mit einer Blütengirlande geschmückt, von der ein Teil über
der roten Dhotl am rechten Oberschenkel zu sehen ist. Wahrscheinlich dürfte das
unerklärbare Detail an vergleichbarer Stelle des Linden-Museums-Garudas, das
auch bei der Garudastandarte des Kota-Museums deutlich zu sehen ist (Abb.8),
auf diese Blütenkette zurückführbar sein.
Der Garuda mit dem göttlichen Paar in Indargarh (Abb. 4) stellt ein Bindeglied
zwischen dem »Ur-Garuda« Bundis und den Garudas der Kotastandarten dar: seine
Arme sind in Flugrichtung gestreckt und nicht an den Körper gelegt wie bei dem
»Ur-Garuda«, er trägt die Schneckenschale Visnus und die drei langen Schwanzfe-
dern sind wie zu einem Band vereint. Vom Garuda der Kotastandarten trennen ihn
aber die naturalistischer dargestellten Flügel, die weit ausschreitenden Beine und
der Kamm auf dem Kopf, der dem »Ur-Garuda« entlehnt ist.
Die älteste, eindeutig als Garuda identifizierbare Darstellung eines »passagierlo-
sen« Vogelwesens stammt ebenfalls aus dem sog. Badal Mahal von Bundi und
entstand etwa zwischen 1640 und 1680. Die Malerei befindet sich in der linken
Bogenlaibung einer Nische, auf deren Rückwand eine Darstellung der Vibhäsa
Räginf5 gemalt ist.76 Der Garuda begleitet den Gott Visnu, der den König der
Elefanten von einem angreifenden Krokodil befreit, indem er im Flug mit seiner
Wurfscheibe das den Elefanten beißende Reptil unschädlich macht. Visnu kam
dem Elefantenkönig zu Hilfe, da dieser einer seiner Verehrer war. Diese Episode
ist unter dem Namen »Gajendramoksa«, d.h. »die Befreiung des Elefantenkönigs«
bekannt und existiert in mehreren Versionen.77 Die Darstellung des wurfscheiben-
66
Bautze: Eine Garudastandarte aus Kota
5
Fliegender Garuda, Wandmalerei,
Badal Mahal, Bundi, um 1640-1680.
6
Fliegender Garuda, Wandmalerei,
Lakshmi Narayan Tempel, Kota, um 1800.
67
TRIBUS 35, 1986
schleudernden Visnu, des mit Lotosblüten im Rüssel winkenden Elefanten und des
angreifenden Krokodils setzte der Künstler im Badal Mahal in die rechte Nischen-
laibung. Eine weitere Garudadarstellung, die zwar mit der eben beschriebenen
verglichen werden kann, aber keinen Zusammenhang zum Gott Visnu erkennen
läßt, wurde ebenfalls in eine linke Bogenlaibung einer Nische im Badal Mahal
gemalt, auf deren Rückwand sich eine Darstellung der Gauda Malhära Räginl78
befindet (Abb.5).79 Hier fungiert der Garuda als Übermittler der göttlichen Bot-
schaft, die dem einsam in einem Pavillon meditierenden Asketen überbracht
werden soll. Diese Darstellung eines fliegenden Garuda ist als Prototyp der
Garudas der Kotastandarten anzusehen. Zwar ist er noch ungeschmückt, seine
Hände halten keine Attribute, sein »Bart« entspricht noch dem des »Ur-Garuda«,
seine Schwanzfedern sind einzeln erkennbar und sein Aussehen erinnert an keinen
Haushahn oder Papagei, aber die nach vorne gestreckten Hände, die Beinhaltung
und die Perspektive, aus der der Künstler diesen Garuda gemalt hat, leiten zu den
Garudas der Kotastandarten und Miniatur- und Wandmalereien des 18. und 19.
Jahrhunderts über (vergl. Abb.7).
Maharao Bhim Singh von Kota attackierte und besiegte im Februar 1720 die Stadt
Bundi, d.h. die Hauptstadt des älteren Bruderstaates. Dabei wurden nicht nur
Teile des Palastes von Bundi demoliert, es wurden auch die Staatsinsignien erobert
und nach Kota gebracht. Zu den berühmtesten Staatsinsignien Bundis gehörte eine
orangene Fahne, die Rao Ratan einst von Jahangir in Anerkennung seiner großen
Tapferkeit geschenkt bekam.811 Zwar gibt es eine Malerei, in der zwei einzipfelige
Fahnen vor einer in einem Tragstuhl transportierten, mit »rävajl rata(na)jl« über-
schriebenen Person einher getragen werden, aber leider sind die Fahnen nicht
koloriert, um sie als die vom Kaiser verschenkten Staatsinsignien identifizieren zu
können.81 Die in den Wandmalereien aus der Zeit Rao Ratans erhaltenen Fahnen
ähneln mit dem Yakschweif auf jeder Fahnenstangenspitze sehr den zweizipfeligen
Fahnen unter Akbar, sind aber durchweg von roter oder gelber Farbe ohne
Binnenzeichnung und dreizipfelig bzw. zweifach geschlitzt.82 Ob etwa daher Jahan-
gir nur das Privileg verschenkte, Fahnen in diesen Farben in Prozessionen zu zeigen
oder ob tatsächlich nur ein bestimmtes Banner gemeint ist, bleibt unklar. Auf jeden
Fall soll Maharao Bhim Singh bei der Eroberung Bundis jene von Jahangir an Rao
Ratan gegebene Fahne mit nach Kota genommen haben,83 was den rot-orangeroten
Stoff der Kotastandarten erklären könnte. Auch soll Maharao Bhim Singh den
Garuda zum Staatsemblem gemacht haben,84 wofür ein überzeugender historischer
Beweis noch aussteht. Die erste uns bekannte Darstellung eines Garuda in Kota
entstand zur Regierungszeit Arjun Singhs, d.h. dem Nachfolger Bhim Singhs,
zwischen 1720 und 1723. Der Garuda bildet darin den Rücken eines Kompositele-
fanten, auf dem Krsna mit den chrakteristischen Gesichtszügen Arjun Singhs
reitet.85 In der Tat sehen wir Arjun Singh bei der Verehrung Krsnas86 als Haupt-
thema einiger Miniaturmalereien, und der Garuda ist, darauf sei noch einmal
hingewiesen, das Reit- bzw. Symboltier Visnus bzw. Krsnas.
In einer ganzen Reihe von Miniaturmalereien begegnen wir dem Keule und
Schneckenschale haltenden Garuda, wie er mit Visnu und Laksml durch den
Nachthimmel fliegt. Visnu hält dabei u.a. immer einen Pfeil mit sichelförmiger
Spitze und einen Bogen.87 In all diesen Miniaturen sieht der Garuda genauso aus
wie auf den Kotastandarten, weswegen wir nach dem Text fragen, der derartigen
Miniaturmalereien zu Grunde liegt, da keine Malerei mit einem identifizierenden
Vers oder dergl. versehen ist. Auch in einer anderen Miniaturmalerei des Bundika-
lam, in denen der Garuda über eine Landschaft mit dem göttlichen Paar bei auf-
bzw. untergehender Sonne hinwegfliegt und anstelle von Keule und Schnecken-
schale Pfeile und Bogen trägt,88 entspricht die Darstellung des mythischen Vogels
denen der Garudastandarten Kotas. Nur in einer Variante des Themas, in der
Garuda mit einem zweiarmigen Visnu-Krsna und seiner Gattin gerade vom Boden
abheben will und entweder ein Schild und Schwert mit einer Hand und mit der
anderen die Schneckenschale89 oder einen Bogen und ein Schild trägt,90 ist der
Vogel mit völlig menschenartigen Füßen ausgestattet. Augenscheinlich ist auch
68
Bautze: Eine Garudastandarte aus Kota
diese Variante von keinem Text begleitet. In einer anderen Variante fliegt Garuda
mit beiden Händen je ein Pfeilbündel haltend über eine Landschaft und trägt dabei
eine dunkelhäutige, achtarmige Gottheit im Panzerhemd durch die Lüfte, wobei
seinem Passagier weibliche Züge in der Darstellung nicht abzusprechen sind,1,1 der
Garuda aber dem der Kotastandarten entspricht. Welchem Text sind all diese
Bilder zuzuordnen,92 welcher Text liegt dem Garuda der Kotastandarte zu Grunde?
Das Government Museum von Kota hat in der Sammlung ein mit 1190 Folios und
einigen tausend Miniaturmalereien illustriertes, vollständiges Bhägavata Puräna
Manuskript, das im Bundikalam gemalt und 1759 datiert ist.” Ab Folio »bhä° da° u°
25« wird die Parijäta Härana-Legende erzählt94 und mit kleinformatigen Miniaturen
illustriert, die zeigen, wie Krsna mit einer seiner Gattinnen ähnlich den oben
erwähnten Miniaturen auf Garuda durch die Lüfte fliegt. Zwar sind die Hände des
Garuda an dieser Stelle des Manuskriptes leer, aber, mit Ausnahme derjenigen
Garudas mit der achtarmigen Gottheit, bietet sich hier eine Textstelle zur Interpre-
tation der übrigen oben erwähnten Miniaturmalereien an. In einer anderen Illustra-
tion desselben Manuskriptes stürzt Garuda von oben herab fliegend sich auf fünf
züngelnde Schlangen,95 trägt aber keine Gegenstände wie auf der Standarte und
kommt daher kaum als textliche Vorlage in Frage. In einer Illustration zur
Gajendramoksa-Episode (Bhag. P. 8.2.1.-4.25) fliegt Garuda mit einer weißen
Blütengirlande in jeder Hand Gott Visnu entgegen, der gerade mit seiner rechten
hinteren Hand seine Wurfscheibe auf das in den linken Vorderfuß des Elefanten
beißende Krokodil schleudern will. Genauso sehen wir Garuda mit zwei Girlanden
in einer Gajendra Moksana-illustrierenden Wandmalerei am sog. Lakshmi-
Narayan-Tempel im Palastkomplex von Kota (Abb. 6).96 Die Gegenüberstellung
mit Abb. 5 macht deutlich, wie sich vom 17. zum 18. Jahrhundert das Aussehen
eines im Bundikalam gemalten Garuda verändert hat. Mit Girlanden an den
Handgelenken, aber schon mit der Schneckenschale in der rechten und der Keule in
der linken Hand fliegt er Visnu in einer unpublizierten Gajendra Moksa-Illustration
im Museum für Indische Kunst Berlin (MIK I 5737) entgegen, die analog eines
unpublizierten, in Kota illustrierten Manuskriptes in der British Library97 etwa um
1806 entstanden sein dürfte. In der Miniatur des Museums für Indische Kunst
Berlin hat Garuda ein Lotospolster auf seinem Rücken, wie auch in einer etwa
zeitgenössischen, mehrfach publizierten Gajendra Moksa-Illustration, wo Garuda
schon das Schneckengehäuse in der linken und die Keule in der rechten Hand hält.98
In einer hochformatigen Miniaturmalerei selben Themas trägt Garuda einen Pfeil
mit sichelförmiger Spitze und einen Bogen, während der vor ihm fliegende Visnu
mit erhobener rechter Hand seine felgenartige Wurfscheibe schleudert.912 Pfeile und
einen Bogen trägt Garuda ebenfalls in einer etwa in der ersten Hälfte des 19.
Jahrhunderts entstandenen, unpublizierten Wandmalerei in der »Chitrashala« von
Bundi.100 Einen Pfeilköcher mit der linken und die Keule mit der rechten Hand trägt
Garuda in einer Gajendra-Moksa Wandmalerei im Raum mit dem annähernd
quadratischen Grundriß im Bara Devtaji ki Haveli in Kota.lul In einer Wandmalerei
in einem anderen Raum desselben Havelis fliegt Garuda mit der Keule in der
rechten und der Schneckenschale in der linken Hand Visnu hinterher.102 Mit dem
zweiarmigen Visnu auf dem Rücken fliegt Garuda in einer Gajendra Moksa-
Wandmalerei im Bara Mahal von Kota103 dem Elefantenkönig entgegen und hält
dabei einen Bogen in der rechten und einen Pfeil in der linken Hand. Bei der
Gestaltung des Garuda der Kotastandarte dürfte am ehesten daher von Illustratio-
nen der Gajendra Moksa-Episode ausgegangen worden sein. Die Kotaherrscher
des frühen 18. Jahrhunderts waren selbst Krsnaverehrer, die das Motiv des Visnu,
der seinem Anhänger mit Waffengewalt zur Hilfe eilt, wenn diese erfleht wird, in
Form des Standartengaruda sich zum Leitbild machten. Die Besiegung des älteren
Bruderstaates Bundi und eine Promotion im Rang Bhim Singhs unter dem Moghul-
kaiser verliehen Kota dasjenige Selbstvertrauen, das als Voraussetzung zur Schaf-
fung einer eigenen Standarte anzusehen ist: Kota hatte sich gewissermaßen selbst,
bzw. mit Hilfe Visnus, aus den Klauen des dominierenden Nachbarstaates Bundi
befreit. Auch als Zeichen dieser Befreiung ist der Garuda Kotas zu werten. Die
69
Könige Kotas wurden damit quasi selbst zum Gott, zum Gott Visnu, dem, als
Väsudeva, der Garuda schon in vorchristlicher Zeit zur Standarte wurde, wie
eingangs erwähnt:1'14 der Garuda der Standarte fliegt mit dem König wie der Garuda
bei der Befreiung des Elefantenkönigs mit dem Gott Visnu.
Eine Vorstellung vom Einsatz und Aussehen einer vollständigen Garudastandarte
in Kota vermitteln in erster Linie Wandmalereien, da hier dem Künstler genügend
Malfläche zur Verfügung stand, die es ihm erlaubte, lange Aufmärsche und
Prozessionen in allen Details zu malen. Abb.7 zeigt ein Detail einer solchen
Prozession, die ein Künstler etwa um 1815 auf einem 2,52 m langen und 0,66 m
hohen Wandstück im Bara Devtaji ki Haveli gemalt hat.1(15 Die Garudastandarte
erscheint zweimal: auf dem hinteren Elefanten, der mit drei Reitern besetzt ist, von
denen in der Abbildung z.T. nur die Füße zu sehen sind, und auf einem vorderen
Elefanten, auf dem zwei Personen sitzen. Dies sind der Elefantenführer, der im
Nacken des Elefanten sitzt und der Standartenhalter hinter ihm. Die orangerote
70
Bautze: Eine Garudastandarte aus Kota
7
Garudastandarte in einer Prozession,
Wandmalerei, Bara Devtaji ki Haveli,
Kota, um 1815.
8
Garudastandarte (Fragment)
Government Museum, Kota.
Fahne läßt nur ein Drittel der Stange zum Halten frei. Von der Spitze der
Fahnenstange fallen zwei schmale Bänder herab. Die Fahne hat drei Zipfel und
zeigt den ohne Verwendung von Goldauftrag gemalten Garuda in Marschrichtung
fliegend in der oberen Hälfte des Fahnentuches. Der Garuda des Linden-Museums
dürfte von der dem Betrachter verdeckten Seite einer derartigen Standarte stam-
men, für die wahrscheinlich zwei entsprechend bemalte Fahnentücher zusammen-
genäht waren. Abb.8, das einzige, mit dem vorgestellten Stück des Linden-
Museums vergleichbare, Kotastandartenfragment aus dem Government Museum
von Kota,106 stammt von der Fahnenseite der Abb. 7. Die Grundfarbe des Fahnen-
stoffes ist von blassem orangenen Farbton mit einem Garuda, der mit einem fast
grell zu nennenden Grün und Rostrot bemalt ist. Das Kota Museum-Fragment ist
zwar vollständiger in bezug auf die Füße und Schwanzfederenden des Garuda, aber
die grobe Zeichnung und ein kaum sichtbarer Goldauftrag zeugen von einem
späteren Entstehungszeitpunkt. Eine in schwarzer Tusche ausgeführte, wohl als
71
TRIBUS 35, 1986
Schablone dienende, 61,6x69,2 cm (Höhe vor Breite) messende Zeichnung eines
Garuda auf Papier muß in diesem Zusammenhang erwähnt werden, da sie dem
Kota Museum-Fragment stilistisch sehr nahe steht.107
Die beiden Elefanten mit den Garudastandarten führen eine Prozession Maharao
Umed Singhs (1770-1819) an, an der eine Kamelschwadron, ein kleines Artillerie-
korps mit zwei Kanonen, eine Abteilung Reiterei, Musikanten, Fahnenträger zu
Pferde und zu Fuß, Palankinträger, ein Infanterieregiment in Uniformen nach
europäischem Muster, usw. usw. teilnehmen. Maharao Umed Singh reitet hoch zu
Elefant am Ende des zweiten Drittels dieses eindrucksvollen Aufmarsches. Am
Ende dieser Prozession schließt auf gleicher Höhe eine 2,68 m lange und 0,59 m
hohe Wandmalerei von Umed Singhs Holifeierlichkeiten an,l0s die nur von einer
Garudastandarte auf einem Elefanten mit zwei Reitern angeführt wird. Ein Blick
auf eine 1828 datierte Wandmalerei im Bara Mahal109 zeigt ebenfalls nur einen
Elefanten mit einer Garudastandarte (Abb.9), der der folgenden Prozession110
voranschreitet. Auf dem zentralen Elefanten reitet Prithvi Singh, jüngerer Bruder
des Vorgängers von Maharao Ram Singh, Kishor Singh, und Vater von Maharao
Ram Singh. Im Zusammenhang mit allen anderen unpublizierten Prozessionsdar-
stellungen, in denen zwei Elefanten den Prozessionszug anführen, ergibt sich, daß
zwei Elefanten mit je einer Garudastandarte nur dem König Vorbehalten waren,
sofern er nicht an einer Holiprozession teilnahm, wo wir auch unter Maharao Ram
Singh (1827-1866) nur einen Elefanten mit einer Garudastandarte sehen.111
Anders als die Garudadarstellungen auf den Standarten in den Wandmalereien des
Devtaji ki Haveli wurde der Garuda in Abb.9 mit Goldauftrag gemalt und ähnelt
so dem Stück im Linden-Museum. Auch der rote Farbton des in Abb.9 reprodu-
zierten Banners läßt sich am besten damit vergleichen, wenn nicht das Rot beider
72
9
Garudastandarte im Einsatz,
Wandmalerei, Bara Mahal, Kota, um 1828.
Bautze: Eine Garudastandarte aus Kota
Garudastandarte in einer Prozession,
Wandmalerei, Anand Mahal,
Kota, um 1870.
Standarten sogar übereinstimmt. Die Garudas der Standarten halten immer je eine
Keule und eine Schneckentrompete in ihrer Hand, wobei nicht vorgeschrieben zu
sein scheint, mit welcher Hand welches Attribut gehalten werden soll. Nur durch
das Fehlen des wehenden Schalendes unterscheidet sich der Garuda der 1828
datierten Wandmalerei im Bara Mahal, weswegen wir das Linden-Museum-Frag-
ment der Garudastandarte Kotas in die Mitte des 19. Jahrhunderts datieren
möchten.
Auch die wohl längste Darstellung einer Prozession in Kota wird von zwei Elefan-
ten angeführt, auf denen jeweils ein Träger der Kotastandarte neben zwei anderen
Reitern sitzt. Diese Prozessionsdarstellung befindet sich als Wandmalerei im
Anand Mahal des Palastkomplexes von Kota. Sie ist schon deswegen interessant,
weil am Ende des Aufmarsches auf vier Elefanten verteilt die Fischstandarte mit
den dazugehörigen Insignien getragen wird, was wieder eine direkte Verbindung zu
den erwähnten Prozessionen der Moghulkaiser erkennen läßt.112 Obwohl in dieser
Prozession Maharao Ram Singh dargestellt ist, wurde sie erst in der Regierungszeit
von Maharao Shatrushal (1866-1889) gemalt, den wir in anderen, im Vergleich zur
Prozessionsdarstellung stilistisch homogenen Wandmalereien sehen. Dem ersten,
publizierten Elefanten mit der Kotastandarte"3 folgt ein zweiter, auf dem die wohl
ebenfalls als Staatsinsignium zu interpretierenden Trommeln geschlagen werden.
Auf dem dritten Elefanten wird die zweite Garudastandarte der Prozession getra-
gen (Abb. 10). Auf beiden Standartenfahnen hält der Garuda mit seinem Schnabel
eine Schlange gepackt, deren Schwanzende an das Schalende der erhaltenen
Standartenfragmente erinnert und wohl von letzterem ableitbar ist. Daneben war
die Schlange immer schon ein Attribut Garudas, noch bevor er Visnu zugeordnet
wurde. Der Goldauftrag fehlt bei den Garudastandarten im Anand Mahal völlig.
73
TRIBUS 35, 1986
11
Von Lord Lytton im Auftrag Königin Rao Madho Singh Museum, Kota.
Viktorias 1877 an den Herrscher Kotas
übergebenes Banner,
Das Ende der klassischen Kotastandarte kam wohl 1877, als während der »Imperial
Assemblage« in Delhi Banner nach englischem Muster an die »Ruling Chiefs of
superior rank, who are entitled to salute«114 unter zeremoniellem Aufwand verteilt
wurden. Die Zeremonie wird in einer zeitgenössischen Quelle mit folgenden
Worten beschrieben: »The banner of the Chief, richly blazoned with his armorial
bearings, surmounted with the Imperial (d.h. britischen) Crown, was then brought
in by Highland soldiers, and planted in front of the throne. The Viceroy descended
from the Dais, and, advancing with the chief towards the banner, addressed him in
the following words: I present Your Highness with this Banner, on which are blazed
the armorial bearings of your family, as a personal gift from Her Majesty the
Queen, in commemoration of Her assumption of the title of Empress of India. Her
Majesty trusts that it may never be unfurled without reminding you, not only of the
close union between the Throne of England and your loyal and princely house, but
also of the earnest desire of the Paramount Power to see your dynasty strong,
prosperous, and permanent.«"5 Auch durch Abwesenheit konnte sich kein Rajpu-
tenfürst dieser Bannerverteilung entziehen: »They (gemeint sind die Banner, d. V.)
are also being supplied to Chiefs of similar rank, who were not present at the
Assemblage.«"6 Wir erwähnen dies deshalb, weil der Maharao von Kota an der
»Imperial Assemblage« von 1877 nicht teilnahm, er aber dennoch ein Banner
bekam, das heute im Rao Madho Singh Museum, City Palace Kota, ohne das
74
Bautze: Eine Garudastandarte aus Kota
Originalgestänge mit der englischen Krone ausgestellt wird (Abb. 11). Eine Male-
rei, in der der Garuda noch stilisierter erscheint als im Zentrum dieses »Banners«,
befindet sich im Bowring Album der India Office Library, London.117 Das Motto
des Spruchbandes wird darunter folgendermaßen transskribiert und übersetzt:
»Agnerapi (sic!) tej se - By the power of fire and water.« Das »Banner« wird dann
im selben Album folgendermaßen erklärt: »Coat of Arms of the Mahäräu of Kötah
(C) / gules a Gärüda or vested of the same plumed vert, / holding a mace of the
second in dexter, a conch-shell in / sinister hand / CREST Demi-man (Bhll) issuant
of flames holding a / sword in dexter and bow in sinister hand all proper I
SUPPORTERS Dragons / MOTTO Sri Krishna sevak or Agnerapi tej se / LAM-
BREQUINS gules and or 24d.«118 Der Einfluß der europäischen Heraldik ist bei
diesem »Banner« unverkennbar und bedarf keiner gesonderten Beschreibung. Der
englische Künstler suchte und fand das zweite Schalende des Garuda, das in den
erhaltenen Standarten nie zur Darstellung gelangte. Die beiden europäischen
Drachen halten mit bleckender Zunge das Wappen mit dem um fast 23° gedrehten
Garuda fest in ihren Krallen und symbolisieren so die englische Vormacht.
Im Briefkopf des Maharao von Kota erscheint die englische Variante des Wappens
von Kota heute noch,119 der Garuda ist in ihm kaum wiederzuerkennen. So endet
die Tradition einer für Kota äußerst bedeutsamen Zeit des Selbstbewußtseins, in
der nach dem Vorbild der Moghulkaiser die Staatsstandarte den Aufmarsch der
Armee anführte. Maharajkumar Brijraj Singhji von Kota hat jedoch die alte
Standarte nicht vergessen und sie in Gold auf den Einband seines erwähnten,
großformatigen Buches prägen lassen.
Anmerkungen
1 Zur Geschichte und geographischen Lage
der Stadt und des ehemaligen Reiches siehe
Bautze, J.: Drei Miniaturmalereien aus Ko-
ta im Linden-Museum. In: TRIBUS, Jahr-
buch des Linden-Museums, Nr. 34, Dezem-
ber 1985, pp. 89-120, Anmerkungen 14
und 16. Dort nicht aufgeführt wurden: The
Hind Rajasthan or the Annals of the Native
States of India, compiled by M. N. Mehta
and M. N. Mehta, Bhadarwa, 1896 (Nach-
druck: New Delhi, 1985), Vol. I, pp.
334-345 und Singh, Brijraj: The Kingdom
that was Kotah, New Delhi, 1985. Zur Ge-
schichte Kotas um die Jahrhundertwende
siehe Näräyana, jagata: Kota ke mahäräva
ummedasimha dvitlya evam unaka samaya,
kotä, 1983.
2 Meistens wird 1625 als das Jahr angegeben,
in dem Kota vom Staate Bundi, zu dem es
gehörte, unabhängig wurde. Rao Ratan
von Bundi (1607-1631) hätte jedoch kaum
hingenommen, daß sein Reich geteilt wird,
zumal er den höchsten Rang unter dem
Moghulkaiser einnahm, den ein rajputi-
scher König einnehmen konnte. Der Zweit-
älteste Sohn Rao Ratans, Madho Singh,
erhielt erst unter Shah Jahan, d. h. in jedem
Falle nach 1627, dem Todesjahr Jahangirs,
Kota und Palaita als »Jagir«. Zum Begriff
»Jagir« siehe u.a. Wilson, H. H.: A Glossa-
ry of Judicial and Revenue Terms..., Lon-
don, 1855 (Nachdruck: Delhi, 1968), p.
224. Daß Kota erst zur Regierungszeit Shah
Jahans einen gewissen Rang von Eigenstän-
digkeit erhielt bestätigen Tod, J.: Annals
and Antiquities of Rajasthan... 3 Bände,
hsg. von W. Crooke, London (usw.) 1920,
Band III, p. 1521 und Syämaladäsa (, Kavi-
räjä): Vlra vinoda, 2 Bände in 4 Teilen,
Udaipur, 1886, Band II, Teil 3, p. 112,
ferner Gahalota, Jagadlsasimha: Räjapütä-
ne kä itihäsa, dvitlya bhäga, kotä, p. 42.
Abdul Hamid Lahori erwähnt im Padshah-
namah, Vol. I-A, p. 401, Donnerstag, den
I. Dezember 1631 als das Datum der Tei-
lung von Bundi und Kota folgend Sarkar,
J. : A History of Jaipur c. 1503-1938, revi-
sed and edited by Raghubir Sinh, Hyderab-
ad, 1984, p. 203, Anm. 4.
3 Encyclopaedia Britannica, Chicago (etc.),
1964, Vol. 9, p. 399.
4 Es scheinen nur die entsprechenden Stan-
darten des Calico Museums in Ahmedabad
publiziert worden zu sein, siehe Irwin, J.
und Hall, M.: Indian painted and printed
Fabrics, Ahmedabad, 1971 (Historie Texti-
les oflndia at the Calico Museum, Vol. I),
Cat. nos. 182-184 und Plate 86. Zum Ver-
gleich mit letzterer Abbildung siehe auch
Brijraj Singh, op. cit., die unnumerierte
Abbildung neben fig. 12.
5 Beast and Man in India. A popular Sketch
75
of Indian Animals in their Relations with
the People. London und New York, 1891,
p. 371 f.
6 Ibid. p. 393.
7 Ibid. p. 372.
8 Monier-Williams, M.: A Sanskrit-English
Dictionary, Oxford, 1899 (Nachdruck: Ox-
ford University Press, 1970), p. 348. Siehe
aber Mayrhofer, M.: Kurzgefaßtes etymo-
logisches Wörterbuch des Altindischen,
Band 1, Heidelberg, 1956, S. 325f.
9 Mahäbhärata I, 20ff. Vergl. die englische
Übersetzung von J. A. B. van Buitenen:
The Mahäbhärata, 1 The Book of the Be-
ginning, Chicago and London, 1973, p.
78 ff.
10 Vergl. etwa den am Ohrring erkennbaren,
einer fünfköpfigen Schlange nachstellen-
den Garuda am Osttor von Stupa Nr. 1 in
Sanchi, mittlerer Architrav, Innenseite,
abgebildet u.a. in Marshall, F. and Fou-
cher, A.: The Monuments of Sänchl, III
Vols., (reprint: Delhi, 1982), Vol. II, Plate
46. Die Tore des Stupa Nr. 1 von Sanchi
sind etwa um 50 n.Chr. zu datieren. An
Hand von Architekturfragmenten der
Kunstschule von Mathura unter den Ku-
shanas (etwa 2.-3. Jahrhundert n.Chr.)
kann gezeigt werden, wie der in der Regel
mit einem Ohrring geschmückte Garuda
tatsächlich die teilweise mehrköpfig darge-
stellten Schlangengottheiten (Nägas) mit
seinem raubvogelartigen Schnabel packt,
vergl. etwa Joshi, N. P.: Catalogue of the
Brahmanical Sculptures in the State Mu-
seum, Lucknow (Part I), Lucknow, 1972,
p. 25f. und Figures 17-19. Auch in der
Kunstschule von Gandhara im Nordwesten
des Subkontinents, die etwa zeitgleich mit
der Kunstschule von Mathura existierte,
sehen wir den Garuda hauptsächlich als
Verschlinger von Schlangen, die anthropo-
morph wie »Schlangenmädchen« (Nägaka-
nyäs) oder Nägas dargestellt sein können.
Im Schnabel des Garuda ist aber in der
Regel eine teriomorph dargestellte Schlan-
gengottheit erkennbar, die mit einem der
Opfer verbunden sein kann. Vergl. die
Abbildungen in Foucher, A.: L’Art Gré-
co-Bouddhique du Gandhara, 2 Vols, Pa-
ris, 1905-1918 (ohne den Indexband) Vol.
II, figs. 318-321; Ingholt, PL: Gandhäran
Art in Pakistan, New York, 1957, nos.
350-351 oder Czuma, S. .1. und Morris,
R.: Kushan Sculpture: Images from Early
India, Cleveland, Ohio, 1985, Cat. no. 95.
11 Für eine geraffte Zusammenfassung der
epischen und puranischen Quellen in be-
zug auf Garuda siehe Mani, V.: Puränic
Encyclopaedia, A Comprehensive Dictio-
nary with Special Reference to the Epic
and Puränic Literature, Delhi (etc.), 1975,
p. 281 ff. Siehe auch Ruben, W.: Garuda,
76
In: The Journal of the Bihar Research
Society, Vol. XXVII, 4, p. 485 oder Ba-
nerjea, J. N.: The Development of Hindu
Iconography, Calcutta, 21956, p. 529ff.
12 Moeller, V.: Die Mythologie der vedi-
schen Religion und des Hinduismus. In:
Wörterbuch der Mythologie, hsg. von H.
W. Haussig, Stuttgart, p. 76
13 Abgebildet u.a. in Bachhofer, L.: Frühin-
dische Plastik, München, 1929, Tafel 14.
Zusammenfassend zur Bedeutung dieser
Säule siehe Jaiswal, S.: The Origin and
Development of Vaisnavism (Vaisnavism
from 200 B. C. to A. D. 500), Delhi, 1967,
p. 170f. Vergl. auch Härtel, H.: Archaeo-
logical Evidence on the early Väsudeva
Worship, In: Orientalia Iosephi Tucci Me-
moriae Dicata, Roma (im Druck, ange-
kündigt für 1987), Istituto Italiano per il
Medio ed Estremo Oriente, Serie Orienta-
le Roma, Vol. LVI, part 2.
14 Abgebildet u. a. in Coomaraswamy, A. K.:
La Sculpture de Bharhut, Paris, 1956 (An-
nales du Musée Guimet, Bibliothèque
d'Art. Nouvelle Serie: VI), Planche I, fig.
2 bzw. Planche V, fig. 15 und Planche V,
fig. 16.
15 N. P. Joshi, op. cit., p. 25
16 S. Jaiswal. op. cit., p. 172.
17 Zur Standarte in Indien siehe: Thapliyal,
U. P.: The Dhvaja (Standards and Flags of
India - A Study), Delhi, 1983.
18 Siehe z.B. Altekar, A. S.: Catalogue of
the Gupta Gold Goins in the Bayana Ho-
ard, Bombay, 1954, unter »Garudadhvaja«
im Appendix IV, p. 339 als Richtlinie für
die sehr zahlreichen Abbildungen in die-
sem Band. Die Garudastandarte erscheint
auch auf Kupfermünzen der Guptazeit.
19 Eine verhältnismäßig großformatige Ab-
bildung dieses Siegelabdrucks befindet sich
in Glasenapp, H. von: Indien, München,
1925 (Der indische Kulturkreis in Einzel-
darstellungen), Abbildung 128. Siehe auch
Banerjea, J. N.: The Development of Hin-
du Iconography, Calcutta, 21956, Plate
XXVIII, fig. 1.
20 Sanyal, N.: A Tour in Dinajpur and Rang-
pur, In: Varendra Research Society’s Mo-
nographs No. 4, July, 1930, pp. 24-31,
figs. 2-3, gegenüber p. 28. Andere dop-
pelseitige Garudadarstellungen von ver-
gleichbaren Säulen sind u.a. reproduziert
in: Dutt, K.: Antiquities of Northwest
Sundarban, In: Varendra Research Socie-
ty’s Monographs No. 4, pp. 3-17, fig. 10;
Haque, E.: Treasures in the Dacca Mu-
seum, Part One, Dacca, 1963, p. 28; In the
Image of Man. The Indian perception of
the Universe through 2000 years of pain-
ting and sculpture, London, 1982, No. 359,
p. 199; Casey, J. A.: Medieval Sculpture
from Eastern India. Selections from the
Bautze: Eine Garudastandarte aus Kota
Nalin Collection, Livingston, New Jersey,
1985, No. 29, abgebildet auf Seiten 54-55
und No. 59, farbig reproduziert auf Seiten
88-89, um nur einige zu erwähnen.
21 Siehe etwa Banerji, R. D.: Eastern Indian
School of Mediaeval Sculpture, Delhi,
1933 (Archaeological Survey of India, New
Imperial Series Vol. XLVII), Plate LXXI
(h), und Plate XCI (b); Majumdar, R. C.:
The History of Bengal Vol. I. Hindu Pe-
riod, (reprint:) Patna, 1971, Plate LXV,
no. 157; Huntington, S. L.: The »Päla-
Sena« School of Sculpture, Leiden, 1984
(Studies in South Asian Culture, Vol. X),
figs. 245-246; Bhattacharyya, M.: Art in
Stone: A Catalogue of Sculptures in Malda
Museum, Malda, 1982, Plate IX, fig. 2;
Archaeological Survey of India, Annual
Report for the Year 1924-25, Plate
XXXVIII (b); Archaeological Survey of
India, Annual Report for the Year
1925-26, Plate LX (b) und (c), um wieder
nur einige zu erwähnen. Vergl. auch die
»Garuda-Pillar Inscription of the time of
Näräyänapäla«, In: Mukherji, R.: Corpus
of Bengal Inscriptions..., Calcutta, 1967,
pp. 150-163.
22 Für einen Vertreter dieses Typs siehe z. B.
Banerjee, N. R.: Nepalese Architecture,
Delhi, 1980, frontispiece (datiert 1637).
23 Pal, P.: Nepal - Where the Gods are
young, New York, 1975, No. 86.
24 Einen der ältesten Vertreter dieses Typs
besaß das heutige Museum für Indische
Kunst Berlin, vergl. Härtel, H.: Indische
Skulpturen Teil I: Die Werke der frühindi-
schen, klassischen und frühmittelalterli-
chen Zeit, Berlin, 1960 (Veröffentlichun-
gen des Museums für Völkerkunde Berlin,
Neue Folge 2, Abteilung Indien 1), Tafel
15.
25 Kramrisch, S.: A Survey of Painting in the
Deccan, London, 1937, Plate V, die Dar-
stellung unten links.
26 Shah, U. P.: More Documents of Jaina
Paintings and Gujarati Paintings of Six-
teenth and later Centuries, Ahmedabad,
1976 (L. D. Series 51), fig. 1.
27 Ibid., figs. 2, 3, 5, 4 und 11.
23 Ibid., fig. 9 und 16.
29 Siehe z.B. Jancigny, M. D. de und Ray-
mond, M. X.: Inde, Paris, 1845 (L’Uni-
vers. Histoire et Description de tous les
Peuples), Planche 6, gegenüber p. 190.
30 Z.B. Bhägavata Puräna X, 59, 39ff.
31 Beach, M. C.: Painting and the Minor
Arts, In: The Arts of India and Nepal: The
Nash and Alice Heeramaneck Collection,
Boston, 1966, pp. 97-185, No. 146a, p.
101, farbig (= Sanford, D. T.: Identifica-
tion of three Miniatures in the Nash and
Alice Heeramaneck Collection, In: Arti-
bus Asiae, Vol. 32,1970, kp. 42ff. fig. 1 -
The Art of India - An Historical Profile.
Selections from the Los Angeles County
Museum of Art, Northridge, California,
1975, No. 36 = Heeramaneck, A. N.: Ma-
sterpieces of Indian Painting from the for-
mer Collections of Nash M. Heeramaneck,
o. O., [1983], col. Plate VI).
32 Skelton, R.: Mughal Paintings from Hari-
vamsa Manuscript, In: Victoria and Albert
Museum Yearbook II, London, 1970, pp.
41-54, fig. 5 (- Banerjee, P.: The Life of
Krishna in Indian Art, New Delhi, 1978,
fig. 202 = Das, A. K.: Dawn of Mughal
Painting, Bombay, 1982, col. Plate IX =
Isacco, E. (Hsg.): Krishna the Divine Lo-
ver. Myth and Legend through Indian Art,
London and Boston, 1982, col. Plate p. 161
= Topsfield, A.: An Introduction to In-
dian Court Painting, London, 1984, col.
Illustration 8, p. 17)
33 P. Banerjee, op. cit., fig. 266.
34 Randhawa. M. S.: Basohli Painting, Delhi,
1959, col. Plate 15.
35 Die durch den Flug verursachten Wind
wehenden Kleidungsstücke lassen eher ei-
nen Abwärtsflug vermuten, der Vergleich
mit Malereien, die eine Garudastandarte
im Einsatz zeigen, wird klarstellen, daß
der Garuda tatsächlich nach oben fliegt.
36 Vergl. Ali, S. and Ripley, S. D.: Hand-
book of the Birds of India and Pakistan.
Compact Edition, Delhi (etc.), 1983, Plate
66, No. 7 »Yellow-eared Bulbul«.
37 Ibid., etwa Plate 40, Nos. 3 (Large Para-
keet) oder 4 (Indian Lorikeet).
38 Wahrscheinlich sollen dadurch Smaragde
und Rubine angedeutet werden. Mit Edel-
steinen versehene Kleidungsstücke waren
in Indien gebräuchlich.
39 Folgend fig. 292, Plate 43 in: Hendley, T.
H.: Indian Jewellery, In: The Journal of
Indian Art. Vol. XII, Nos. 95-107, 1909.
Diese Bezeichnung ist auch heute noch im
Gebrauch, vergl. Sotheby’s New York (sa-
le of) Indian, Himalayan, South-East
Asian Art and Indian Miniatures, 20./21.
9. 1985, lot 553.
40 Zur Form dieser Keule vergl. Egerton,
W.: An illustrated Handbook of Indian
Arms..., London, 1880 (reprint: Bang-
kok, 1981), Plate 1, No. 35. Die an dieser
Stelle unter der Bezeichnung »Shushbur«
reproduzierte Keule (»globular mace«)
stimmt nicht mit der Schlagwaffe überein,
die unter »Shashpa« im A'In-i-Akbarl von
Abü '1-Fazl ’Alläml auf Tafel XII gegen-
über p. 116 im ersten Band der englischen
Übersetzung von H. Blochmann in der
Überarbeitung von D. C. Phiilott (reprint:
New Delhi, 1977) abgebildet wird. Eine
ebenfalls in bezug auf die äußere Gestal-
tung gut vergleichbare Keule erscheint
zweimal in einer Moghulminiatur zur per-
77
TRIBUS 35, 1986
sischen Übersetzung des Mahäbhärata, die
den Keulenzweikampf zwischen Bhima
und Duryodhana illustriert. Siehe Mode,
H.: Kunst in Süd- und Südostasien, Dres-
den und Moskau, 1979, Farbabbildung 97,
S. 150. Wie eine Stahlkeule, mit allerdings
etwas längerem Schaft, tatsächlich ausge-
sehen hat, illustriert lot 360, abgebildet auf
p. 140 in: Christie’s (sale of) Islamic, In-
dian, South-East Asian Manuscripts, Mi-
niatures and Works of Art, 11./12. June
1984.
41 Vergl. T. H. Hendley, op. cit., Plate 33,
fig. 222 (»Diagram shewing Arm Orna-
ments worn by Hindu ladies in Rajputana
and Malwa«), No. 6. Für ein sehr ausgear-
beitetes Stück dieser Art siehe Jenkins, M.
and Keene, M.: Islamic Jewelry in the
Metropolitan Museum of Art, New York,
1982, No. 65, p. 122.
42 Entweder ist die Darstellung an dieser
Stelle sehr inakkurat, weil die Verbindung
zum Ring auf den Zeigefinger nicht nach-
führbar ins Bild umgesetzt wurde, wie
auch die Halterung der »Handblume« der
rechten Hand nur mit Mühe und Phantasie
zu rekonstruieren ist, oder aber es gab
einen Handrückenschmuck, der derartig
mit einem Handflächenschmuck kombi-
niert und entsprechend befestigt war, daß
auf die Halterung am kleinen Finger und
dem Ringfinger verzichtet werden konnte.
4:' Bäbur-Näma (Memoirs of Bäbur), transla-
ted from the original Turki Text... by A.
S. Beveridge, 2 Vols., (reprint:) New Del-
hi, 1979, p. 154f.
44 Suleiman, H.: Miniatures of Bäbur-Näma
(B. L. London, Or. 3714), Tashkent, 1970,
col. Plate 20 (= Goetz, H.: Bilderatlas zur
Kulturgeschichte Indiens in der Grossmog-
hulzeit, Berlin, 1930, Tafel 27, Abb.75).
Randhawa, M. S.: Paintings of the Bäbur
Nämä (National Museum), New Delhi,
1983, col. Plate 4.
45 Ä’In-i-Akbari, op. cit., p. 52. Der Begriff
»Our« wird im selben Band auf p. 116
ausführlicher erläutert.
46 »Die Aufständischen fochten unter ihren
englischen Fahnen, aber auch mehrere
mohammedanische Standarten aus grüner
Seide fielen in unsere Hände.« Forbes-
Mitchell, W.: Erinnerungen an den großen
Aufstand 1857 bis 1859 einschließlich des
Entsatzes, der Belagerung und Einnahme
von Lucknow... In: Inglis, L. und Forbes-
Mitchell, W.: Erinnerungen aus dem Indi-
schen Aufstand 1857/58, bearb. von E.
Braunholtz, Hamburg, 1908 (Bibliothek
wertvoller Memoiren, 6. Band), pp.
175-375; das Zitat ist Seite 243 ent-
nommen.
47 Irvine, W.: The Army of the Indian Mog-
huls: Its Organization and Administration,
In: Journal of the Royal Asiatic Society,
July 1896, pp. 509-570, siehe pp.
534-538. Unter demselben Titel erschien
1903 sein Buch, das 1962 in New Delhi
nachgedruckt wurde. Das Kapitel »Flags
and Insigns« wird dort von Seite 31-35
abgehandelt.
48 Mundy, P.: The Travels of Peter Mundy in
Europe and Asia, 1608-1667. Vol. II: Tra-
vels in Asia. Ed. by R. C. Temple, Lon-
don, 1914 (Hakluyt Society, second series,
No. 35), p. 199. Bernier, F.: Travels in the
Mogul Empire A. D. 1656-1668, transla-
ted by A. Constable, revised by V. A.
Smith, London (etc.), 1916, p. 266f. Ma-
nucci, N.: Storia do Mogor or Mogul India
1653-1708, transl. by W. Irvine, 4 Vols.
(reprint:) New Delhi, 1981, Vol. II, p. 65L
Careri, J. F. G.: A Voyage Round the
World... Part III, In: Indian Travels of
Thevenot and Careri, ed. by S. Sen, New
Delhi, 1949 (Indian Records Series), p.
221.
49 Sotheby & Co., Catalogue of Important
Mughal Miniatures, 26. 3. 1973, lot 6, col.
Plate p. 11. Kheiri, S.: Indische Miniatu-
ren der islamischen Zeit, Berlin, (1921),
Abb. 18 (= Kühnei, E.: Miniaturmalerei
im islamischen Orient, Berlin, 1923 [Die
Kunst des Ostens, Band VII], Abb. 110 =
Kühnei, E. und Ettinghausen, R.: Indische
Miniaturen, Berlin, 1933 [Bilderhefte der
Islamischen Kunstabteilung, Heft 1], Abb.
9 = Kühnei, E.: Indische Miniaturen, Ber-
lin, 21937, Abb. 6 = Kühnei, E.: Indische
Miniaturen aus dem Besitz der Staatlichen
Museen zu Berlin, Berlin, 1937, Farbtafel
2 = Kühnei, E.: Indische Miniaturen, Ber-
lin, 1946, Farbtafel 2 = Anand, M. R. und
Goetz, H.: Indische Miniaturen, Dresden,
1967, Farbtafel 6 = Hickmann, R.: Ge-
schichte der indischen Miniaturmalerei,
In: Miniaturen, Volks- und Gegenwarts-
kunst Indiens, Leipzig, 1975 [Der indische
Kunstkreis in Gesamtschau und Einzeldar-
stellungen], Farbabbildung 61 = Hick-
mann, R.: Indische Albumblätter - Minia-
turen und Kalligraphien aus der Zeit der
Moghul-Kaiser, Leipzig und Weimar,
1979, Farbtafel 19). S. Kheiri, op. cit.,
Abb. 14 (= E. Kühnei 1937, op. cit., Farb-
tafel 9 = E. Kühnei 1946, op. cit., Farbta-
fel 9 = R. Hickmann 1975, op. cit., Abb.
66 = R. Hickmann 1979, op. cit. Farbtafel
31). Binyon, L. and Arnold, T. W.: The
Court Painters of the Grand Moguls, Lon-
don (etc.), 1921, Plate XXL E. Kühnei
und R. Ettinghausen 1933, op. cit., Abb.
10 (= H. Goetz 1930, op. cit., Tafel 21,
Abb. 60 = E. Kühnei 21937, op. cit., Abb.
8 = M. R. Anand und H. Goetz, op. cit.,
Farbtafel 7). Falk, T. and Archer, M.:
Indian Miniatures in the India Office Li-
78
Bautze: Eine Garudastandarte aus Kota
brary, London (etc.), 1981, col. Plate 5.
Archer, W. G.: Indische Miniaturen,
Recklinghausen, 1960, Tafel 18 (= Pat-
naik, N.: A Second Paradise. Indian
Courtly Life 1590-1947, London, 1985,
No. 9, col. Plate p. 54). Gascoigne, B.:
The Great Mughals, London, 1971, col.
Plate p. 144. Losty, J. P.: The Art of the
Book in India, London, 1982, col. Plate
XXXII. Vergl. auch folgende Werke, die
nicht im kaiserlichen Moghulatelier, bzw.
nicht im 17. Jahrhundert entstanden sind:
Welch, S. C.: Mughal and Deccani Minia-
ture Paintings from a Private Collection,
In: Ars Orientalis, Vol. 5, 1963, pp.
221-233, Plate 15 (= Sotheby & Co., Ca-
talogue of Fine Indian and Persian Minia-
tures and a Manuscript. Selected from the
well-known collection of Cary Welch, 12.
6. 1972, lot 46). S. Kramrisch, op. cit.,
Plate XVIII. Mittal, J.: »Portfolio«, In:
Märg, Vol. XVI, No. 2, »Deccani Ka-
lams«, 1963, fig. 13 (Falttafel zwischen pp.
22-23). Christie’s (catalogue of) Islamic,
Indian, South-East Asian Manuscripts,
Miniatures and Works of Art, 11.6. 1986,
lot 160. Metcalfe, T.: Reminiscences of
Imperial Dehlie, In: The Golden Calm,
ed. by M. M. Kaye, New York, 1980,
Farbtafel zwischen pp. 150-159, oberes
Register. N. Patnaik, op. cit., no. 12, col.
Plate p. 64.
50 Gentil, M.: Mémoires sur lTndoustan ou
Empire Mogol, Paris, 1822. Die Standar-
ten werden auf p. 61 f. beschrieben und
sind auf der Widmungsseite am Kopf des
Textes reproduziert. Diese Reproduktion
ist auch nachgedruckt in: Filliozat, J.: In-
dien - Völker und Traditionen, Osna-
brück, o. J., S. 213. Von links nach rechts
sind dargestellt: Die offene Hand (Pan-
jah), die Waage (MIzän), die Sonne (Äft-
äb), der Löwe (Sher-marätib), eine zur
Fischstandarte gehörende Kugel und die
Fischstandarte (Mähi-o-marätib). Die
Schreibweisen der persischen Bezeichnun-
gen richten sich nach W. Irwine, op. cit.
51 Strzygowski, J. und Glück, Heinrich: Die
indischen Miniaturen im Schlosse Schön-
brunn, Wien, 1923, Tafel 6 (oberes und
mittleres Feld). Strzygowski, J. et al.:
Asiatische Miniaturenmalerei im Anschluß
an Wesen und Werden der Mogulmalerei,
Klagenfurt, 1933 (Arbeiten des I. Kunsthi-
storischen Institutes der Universität Wien,
Band L), Tafel 9, Abb.29 (= Duda, D.:
Islamische Handschriften I, Tafelband,
Wien, 1983 (Österreichische Akademie
der Wissenschaften, Philosophisch-Histo-
rische Klasse, Denkschriften, 167. Band),
Abb.465, siehe auch Anmerkung 49.
52 J. Strzygowski und H. Glück, op. cit.,
Farbtafel lia (= J. Strzygowski et al., op.
cit., Tafel 12, Abb.35).
53 Die »Wimpel« werden in den wenigsten
Fällen auf Elefantenrücken getragen,
vergl. Richard, F. et al.: A la Cour du
Grand Moghol, Paris, 1986, Planche en
col. p. 46, No. 17, mit zwei weiteren Publi-
kationsverweisen und Jahoda-Troschke:
Die Restaurierung der Mogulminiaturen
im Millionenzimmer von Schloß Schön-
brunn, In: Texte - Noten - Bilder, Aus-
stellung der Österreichischen Nationalbi-
bliothek, Wien, 1984, pp. 93-107,
Abb. 19, rechtes Fragment.
54 Brown, P.: Indian Painting under the Mug-
hals, Oxford, 1924 (reprint: New York,
1975), col. Plate XXXI und Detail Plate
LXII (= Chaitanya, K.: A History of In-
dian Painting, Manuscript, Moghul and
Deccani Traditions, New Delhi, 1979, Pla-
te 42 = U. P. Thapliyal, op. cit., Plate 38).
N. Patnaik, op. cit., No. 5, col. Plate p. 44.
35 P. Mundy, op. cit., Falttafel gegenüber p.
195. Daß in Mundys Skizze die Fahnen
zwei Zipfel haben und auf beiden Fahnen
das Emblem des Moghulreiches dargestellt
ist, soll nicht verwundern, da P. Mundy
sich in der Heraldik der Moghuln naturge-
mäß nicht auskannte.
56 Die Karte von William Baffin, siehe Roe,
T.: The Embassy of Sir Thomas Roe to
India 1615-19, ed. by W. Foster, London,
1926, Faltkarte gegenüber p. 496. Siehe
auch Gole, S.: India within the Ganges,
New Delhi, 1983, p. 58 und ders. A Series
of Early Printed Maps of India in Facsimi-
le, New Delhi, 21984, Karte 12.
57 Derselben Darstellung begegnen wir in
den Wandmalereien Rao Ratans von Bun-
di (1607-1631). Auf dem 23. Deutschen
Orientalistentag 1985 in Würzburg haben
wir die entsprechenden Deckenmalereien
vorstellen können. Ein Artikel mit dem
Titel »Deckenmalereien Ost-Rajasthans
im 17. Jahrhundert am Beispiel des »Badal
Mahal« in Bundi« befindet sich seitdem für
den Supplement VII des 23. D. O. T. im
Druck.
58 Das bei N. Patnaik reproduzierte Beispiel
illustriert eine Hochzeitsprozession für
Dara Shikoh. In allen Kopien eines bisher
verschollenen Blattes, das eine nächtliche
Prozession anläßlich der Hochzeit des
Prinzen zeigt, fehlen die Fahnen völlig.
Siehe 1) Treasures of Islam, ed. by T.
Falk, Geneva, 1985, No. 156, col. Plate p.
175 mit weiterem Publikationsverweis (Pri-
vatsammlung). 2) K. Chaitanya, op. cit.,
Plate 32 bzw. Caroll, D.: The Taj Mahal,
New York, 1972, col. Plate p. 80 (National
Museum, New Delhi). 3) 5000 Jahre Kunst
in Pakistan, Darmstadt, 1962, Nr. 475,
Farbtafel (National Museum, Karachi). Es
ist aber unklar, ob es sich bei all diesen
79
TRIBUS 35, 1986
Kopien nur um die linke Seite einer auf
zwei Seiten konzipierten Komposition
handelt.
59 Vergl. Bautze, J.: A Contemporary and
inscribed equestrian portrait of Jagat Singh
of Kota, In: Deyadharma, Studies in Me-
mory of Dr. D. C. Sircar, ed. by G. Bhat-
tacharya, Delhi, 1986, pp. 47-64, beson-
ders p. 52 und Anmerkung 30.
60 Chattar Mahal, Garh von Kota, östlicher
Raum, Westwand, Nordecke.
61 Wir danken Herrn Brijraj Singh von Kota
für die in den letzten fünf Jahren erteilten
Fotografiergenehmigungen für private Tei-
le der Palastanlage und die erwiesene
Gastfreundschaft.
62 Zusammenfassend zu diesem Thema sie-
he: Gahalota, Jagadlsasimha: Räjasthäna
ke räjavamsom kä itihäsa (Die Geschichte
der Königsgeschlechter von Rajasthan, in
Hindi), Jodhapura, 1980.
63 Für ein Beispiel aus Bundi siehe Saran, S.:
Glimpses of the Hara Capital..., In: the
India magazine, Vol. 3, No. 8, July 1983,
pp. 8-16, Illustration p. 14 oben.
64 Singh, Brijraj: The Kingdom that was Ko-
tah, Paintings from Kotah, New Delhi,
1985, col. Plate II.
65 Beach, M. C.: Rajput Painting at Bundi
and Kota, Ascona, 1974 (Artibus Asiae
Supplementum XXXII), PI. CXIX. Wegen
der schwachen Reproduktionsqualität ist
nicht erkennbar, ob der Garuda schon in
der Standarte eines im selben Band unter
Plate CXVIII reproduzierten Bildes darge-
stellt ist. Das Bild soll 1777 datiert sein.
66 Brijraj Singh, op. cit., p. 14.
67 Im Feld F, unseres unter obiger Anmer-
kung 57 erwähnten Artikels.
68 Siehe weiter oben, Anmerkung 54, das
erste Beispiel.
69 Zum Einfluß des Simurghs und des Dra-
chens der Moghulkunst auf die Kunst Bun-
dis siehe unseren unter Anm. 57 erwähn-
ten Artikel.
70 Indargarh, Distrikt Kota, Tehsil Pipalda,
Rajasthan.
71 Im Uhrzeigersinn gesehen befindet sich
Garuda in Gesellschaft von 1. Indra auf
Airävata, 2. SarasvatI auf Hamsa, dahinter
eine stehende Dienerin, 3. Siva mit dem
Stier auf einer Elefantenhaut zusammen
mit ParvatI und Ganesa, 4. Räma, Sltä und
Laksmana im von 4 Engeln geflogenen
Puspakavimäna, 5. Hanumän, 6. Durgä
auf dem Löwen und 7. GajalaksmT.
72 Der Bundikalam (kalam = Stil bzw. Stiel,
wie der Stiel eines Mal- oder Schreibgerä-
tes) ist ein unter Bundiherrschern, zu-
nächst in enger Anlehnung an die Erzeug-
nisse nichtimperialer Moghulwerkstätten
geschaffener Malstil, der sich im Südosten
des heutigen Rajasthan in viele örtliche
Idiome aufspaltete und sich bis zum 19.
Jahrhundert am Leben erhielt.
73 Wir weisen auf diese Tatsache hin, da die
ältesten, im Bundikalam gemalten Erzeug-
nisse 1591 nicht in Bundi, sondern in Chu-
nar bei Benares entstanden.
74 Siehe oben, Anmerkung 32.
75 Für im Bundikalam des 17. Jahrhunderts
gemalte Darstellungen dieser Räginl vergl.
folgende publizierte Miniaturmalereien:
1. Vatsyayan, K.: The Bundi Glta-Govin-
da, Varanasi, 1981, Plate XI.
2. Davidson, J. L.: Art of the Indian Sub-
continent from Los Angeles Collections,
Los Angeles, 1968, No. 117, p. 79.
3. Pal, P.: Court Paintings of India 16th -
19th Centuries, New York, 1983, col.
Plate R 34.
4. Khandalavala, K. / Moti chandra / Pra-
mod Chandra: Miniature Painting: A
Catalogue of the Exhibition of the Sri
Motichand Khajanchi Collection...,
New Delhi, 1960, No. 34a, p. 38, fig. 40.
76 Badal Mahal, Ostwand, Südecke.
77 Für die entsprechenden epischen und pu-
ränischen Textstellen, eine Edition und
Übersetzung einer Version siehe Grünen-
dahl, R.: Das Gajendramoksana-Kapitel
in den Visnudharma-Handschriften text-
kritisch hergestellt und untersucht. Berlin,
1980 (Maschinenskript, Magisterarbeit).
78 Für im Bundikalam des 17. Jahrhunderts
gemalte Darstellungen dieser Räginl siehe
folgende publizierte Miniaturmalereien:
1. Waldschmidt, E. und R. L.: Miniatures
of Musical Inspiration in the Collection
of the Berlin Museum of Indian Art.
Part II, Berlin, 1975 (Veröffentlichun-
gen des Museums für Indische Kunst
Berlin, Vol. 5), fig. 137, p. 383, col. (=
Härtel, H. et al.: Museum für Indische
Kunst Berlin, Katalog 1971, Ausgestell-
te Werke, Berlin, 1971, Farbtafel S. 34.
2. Kramrisch, S.: Manifestations of Siva,
Philadelphia, 1981, p. 236.
3. Christie’s 12. 10. 1978, lot 82, p. 32,
Plate 21.
4. J. L. Davidson, op. cit., No. 126, p. 84
(= Bedekar, V. H.: Stylistic Approach
to Indian Miniatures, Baroda, 1979, Pla-
te 14, No. 36.)
5. Gangoly, O. C.: Rägas and Räginls, A
Pictorial and Iconopgraphic Study... II
Vols., Calcutta, 1934, Vol. II, Plate
VIII, fig. C (= Känodiyä, G.: Räjasthä-
nl upasailiyom para vihamgama drsti,
In: Kalä Nidhi No. 5, 1949, pp. 27-35,
Abb. gegenüber p. 30 = Ebeling, K.:
Ragamala Painting, Basel (etc.), 1973,
fig. 283).
6. J. L. Davidson, op. cit., No. 125, p. 84.
7. Barrett, D. und Gray, B.: Indische Ma-
lerei, Genf, 1963, Farbtafel S. 142.
80
Bautze: Eine Garudastandarte aus Kota
79 Badal Mahal, Nordwand, Ostecke.
80 J. Tod, op. cit., Vol. III, p. 1487: »(Jahan-
gir) gave him (Rao Ratan) the grand yel-
low banner to be borne in state processions
before his own person, and a red flag for
his camp; which ensigns are still retained
by his successors.« Auf p. 1527 ist dann
von einer »orange flag« die Rede, vergl.
weiter unten Anmerkung 83.
81 Das Bild ist publiziert in: Welch, S. C.:
Indian Drawings and Painted Sketches,
16th through 19th Centuries, New York,
1976, No. 40, pp. 82-83, s/w-Reproduk-
tion. Wir haben die Originalzeichnung in
Hyderabad sehen können; auf den Fahnen
findet sich keine Andeutung von Farbe.
82 Für ein typisches Beispiel von Fahnen der
Akbarzeit siehe Sotheby’s Catalogue of Fi-
ne Oriental Miniatures and Manuscripts,
10. 10. 1977, lot 27, col. Plate p. 19 (=
Treasures of Islam, op. cit., No. 124, col.
Plate p. 150).
83 J. Tod, op. cit., Vol. Ill, p. 1527. Vergl.
jedoch Sarmä, M. L.: Kotä räjya kä itihä-
sa, II Vols., Kotä, 1939, Vol. I, p. 299f. wo
bei der Aufzählung der von Bhim Singh
erbeuteten Gegenstände nicht vom Banner
Jahangirs die Rede ist.
84 Brijraj Singh, op. cit., p. 14.
85 Diese Miniatur befand sich in einer anony-
men englischen Privatsammlung.
86 Siehe folgende publizierte Beispiele: 1) So-
theby & Co., 12. 12. 1976, op. cit., lot 112
(= Sotheby’s Catalogue of Fine Oriental
Miniatures..., 13./14. 4. 1976, lot 102, Pla-
te gegenüber p. 17 = Indian Paintings from
the 17th to 19th centuries including examp-
les from Rajasthan, the Punjab Hills, the
Deccan and other areas, London, 1977,
No. 36 = Christie’s (Catalogue of) Indian
Miniatures and Watercolours, 3. 7. 1980,
lot 46, p. 20). 2) Sotheby & Co., Catalogue
of Fine Oriental Miniatures and Manus-
cripts, 11. 7. 1973, lot 175, p. 38. 3) Brijraj
Singh, op. cit., col. Plate IV.
87 Siehe z.B. 1) Archer, W. G.: Rajput Mi-
niatures, from the Collection of Edwin
Binney, 3rd, Portland, 1968, no. 15, p. 30.
2) Maggs Bros. Ltd., Oriental Miniatures
& Illumination, Bulletin No. 21, Vol. VI,
part 3, March 1973, No. 230, p. 160. 3)
Sotheby’s Catalogue of Fine Oriental Mi-
niatures and Manuscripts, 10. 10. 1977, lot
60, p. 40. 4) Christie’s (Catalogue of) In-
dian, Himalayan, South East Asian, Isla-
mic Works of Art and Indian Miniatures,
8. 7. 1982, lot 123, Plate 5.
88 Archer, W. G.: Indian Painting in Bundi
and Kotah, London, 1959, No. 9, fig. 21
(= Chaitanya, K.: A History of Indian
Painting - Rajasthani Traditions, New
Delhi, 1982, Plate 70). Dieses Blatt ent-
stammt einem Album, von dem sich weite-
re Folios in der Bodleian Library, Oxford,
und dem Musée Guimet, Paris, befinden.
89 Sotheby’s 10. 10. 1977, op. cit., lot 62, p.
43.
90 Dieses Bild befindet sich in der Privat-
sammlung von Maharajkumar Brijraj
Singh von Kota und wurde bisher nur als
Farbpostkarte von der Druckerei Vakils in
Bombay publiziert.
91 Vergl. folgende publizierte Beispiele: 1)
Indian Miniature Paintings, Doris Wiener
Gallery, New York, 1970, No. 22, p. 21.2)
Pal, P. and Glynn, C.: The Sensuous Line,
Indian Drawings from the Paul F. Walter
Collection, Los Angeles, 1976, No. 20, p.
28; die Pfeilbündel fehlen in dieser Skizze,
die Handhaltung deutet aber an, daß sie in
einem fortgesetzteren Stadium der Zeich-
nung dem Garuda in die Hände gegeben
werden sollten. 3) Sotheby’s (Catalogue
of) Fine Oriental Manuscripts and Minia-
tures, 15. 10. 1984, lot 84.
92 Garudadarstellungen auf im Bundikalam
gemalten Miniaturen, die vor 1720 entstan-
den, wurden in diese Betrachtung nicht
eingeschlossen.
93 Shastri, M. M.: Catalogue & Guide to
Government Museum, Kota, Jaipur, 1961,
Cat. No. 471, Zur Datierung siehe die 8.
Tafel, unteres Folio und Brijraj Singh, op.
cit., fig. 31.
94 Der Colophon, der nicht mit roter Farbe
hervorgehoben ist, liest: »iti srlbhägavate
mahäpuräne dasamaskamdhe pärijätaha-
rane narakädivedho näma ekonasasti-
tamah«
95 Dies ist eine Illustration der Episode, in
der Garuda mit dem Näga Käliya zusam-
mentrifft.
96 Die Wandmalerei befindet sich rechts über
dem Eingang und dürfte etwa um 1800
entstanden sein. Der Tempel ist an den
Außenwänden mit verschiedenen Wand-
malereien versehen und wurde im kunsthi-
storischen Kontext bisher nie erwähnt.
Der Tempel steht auf dem Gelände eines
Mädchenpensionats.
97 Der Colophon liest: »sarpvata 1863 sake
1728 miti mägha sukla 13 bhrguväsare«.
Wir sind Herrn Jerry Losty dankbar, der
uns auf dieses Manuskript aufmerksam ge-
macht hat. Miniaturen dieser Hs. sind illu-
striert in Lauf, D.I.: Das Bild als Symbol
des Tantrismus, München, 1973, Farbillu-
stration auf dem Umschlag, Abbildungen
9, 10 und 20.
98 W. G. Archer 1959, op. cit., fig. 30 (=
Montgomery, G. and Lee, S. E.: Rajput
Painting, New York, 1960, no. 35, p. 42 =
Czuma, S.: Indian Art from the George P.
Bickford Collection, Cleveland, 1975, No.
86 = Christie’s [Catalogue of] Important
Islande and Indian Miniatures, 19. 4. 1979,
81
TRIBUS 35, 1986
lot 67, Plate 10).
99 McGregor, J. R.: Indian Miniature Pain-
tings from West Coast Private Collections,
San Francisco, 1964, No. 43, Plate VIII.
100 Nordostwand, Zone B, Maße: 66,5 x 48,5
cm (Höhe vor Breite) in einer Nische.
101 Auch diese Wandmalerei ist unpubliziert.
Sie befindet sich auf der Südwand besag-
ten Raumes unterhalb der Deckenkehle
(Zone D) und mißt 42 x 57 cm (Höhe vor
Breite). Das Bild entstand etwa 1810-15.
102 Bara Devtaji ki Haveli, auf der Nordwand
des 4,35 x 3,97 m messenden Raumes, Zo-
ne B, Hochformat.
103 Bara Mahal, Garh von Kota, östlicher
Raum, Ostwand, Zone C, genau über
dem Durchgang zum Balkon. Datiert zwi-
schen 1827 und 1829.
104 Siehe Anmerkung 13.
105 Bara Devtaji ki Haveli, Kota, Raum mit
dem annähernd quadratischen Grundriß,
Nordwand, Zone C über der Tür. Das
Detail zeigt einen Ausschnitt aus der
Nordostecke. Reproduziert mit freundli-
cher Genehmigung von Herrn Devta
Shridhar Lai, Kota.
106 Reproduziert mit freundlicher Genehmi-
gung des Directors, Department of Archa-
eology and Museums in Rajasthan, Herrn
P. L. Chakravarty. Das Stück hat die Ka-
talognummer 10 im bereits zitierten Kota
Museum Katalog von Madan Mohan Sha-
stri (»Garuda-dhwaja-Kota Emblem. Size:
4' x3'«), Akzessionsnummer 1954; 162.
107 P. Pal and C. Glynn, op. cit., No. 21, p.
29. Das Stück ist mit »ca. 1750-1775«
sicher zu früh datiert worden.
108 Auch diese Wandmalerei ist unpubliziert.
Zur thematischen, unter Maharoa Ram
Singh entstandenen Parallele in Form ei-
ner Malerei auf Papier siehe Topsfield,
A.: Paintings from Rajasthan in the Natio-
nal Gallery of Victoria, Melbourne, 1980,
col. Plate No. 7 (= Desai, V. N.: Life at
Court: Art for India’s Rulers, 16th - 19th
Centuries, Boston, 1985, No. 96, p. 118
[seitenverkehrt]). Wegen der begrenzten
Malflächen konzentrierte sich der Maler
hier auf das Wesentliche und verzichtete
auf die Darstellung der Garudastandarte.
109 Zur Publikation dieser Inschrift siehe un-
seren Artikel im letzten TRIBUS (34,
1985), Anmerkung 126.
110 Ein größeres Stück dieser Wandmalerei ist
in nur mittelmäßiger Reproduktionsquali-
tät publiziert in M. C. Beach, op. cit.,
Plate CIX. Die Malerei befindet sich im
östlichen Raum, Ostwand, links vom
Durchgang zum Balkon.
111 In einer die Größe einer Wandmalerei fast
übertreffenden Malerei auf Stoff
(4,45x2,59 m, Höhe vor Weite), die den
Besuch von Maharao Ram Singh 1842 in
Delhi illustriert, sehen wir erwartungsge-
mäß zwei Garudastandarten auf zwei Ele-
fanten an der Spitze der Prozession ver-
teilt. Da bei einer Reproduktion in DIN A
5 Größe dieses gigantischen Stoffbildes
sämtliche Einzelheiten verloren gehen,
verweisen wir nur am Rande auf die Re-
produktion in Brijraj Singh, op. cit., 40.
Eine bessere Reproduktion, die in einem
Detail die beiden Garudastandarten er-
kennen läßt, befindet sich in Welch, S. C.:
India, Art and Culture 1300-1900, New
York, 1985, No. 285, col. Plate pp.
432-433.
112 Die Fischstandarte wird heute im Rao
Madho Singh Museum von Kota ausge-
stellt, siehe Brijraj Singh, op. cit., fig. 12.
113 Ibid., fig. 23.
114 Talboys Wheeler, J.: The History of the
Imperial Assemblage at Delhi, held on the
1st January, 1877,... (reprint:) Delhi,
1982, p. 59.
115 Ibid., p. 58f. Für ein Muster eines dieser
»Banner« siehe die Tafel gegenüber der
Seite 56 im selben Band. Zum Text siehe
auch Lord Roberts of Kandahar: Forty-
one Years in India, II Vols., London,
1897, Vol. II, p. 94.
116 J. Talboys Wheeler, op. cit., p. 59, wo
auch sehr richtig bemerkt wird: »The di-
stribution of banners was regarded with
peculiar favour. The presentation of a
banner has been accepted as one of the
insignia of investiture from a remote anti-
quity.« Queen Victoria hatte sich damit
praktisch an die Stelle des Moghulkaisers
gesetzt.
117 Mss Eur G 38, Vol. I, No. 24. C. der
Lewin Bentham Bowring Collection. Die-
ses Album entstand im 19. Jahrhundert.
Die Malerei ist farblich nicht genau. Das
Spruchband ist im Original elfenbeinfar-
ben, im Bowring Album jedoch blau.
118 Ibid., No. 24 D. Frau Bautze-Picron hat
uns freundlicherweise auf diese unpubli-
zierte, zeitgenössische Erklärung des
»Banners« von Kota hingewiesen.
119 Uns liegt die Kopie eines vom Sekretär
des Königs an den Prinzen (Maharajku-
mar Brijraj Singh) von Kota gerichteten
Schreibens vom 17. 3. 1981 vor, das Ein-
zelheiten über unsere Fotografiergeneh-
migungen im privaten Teil des Palastkom-
plexes von Kota regeln soll. Der Prinz
weilte zu der Zeit gerade in Delhi, weswe-
gen der Sekreär seines Vaters uns ein ent-
sprechendes Schreiben gab. Die englische
Beschriftung im Oval des Briefkopfes
liest: »Private Secretary To H. H. The
Maharao - Kotah -«. Eine Stilisierung des
Wappens ist publiziert in Gahalota, jaga-
dlsasimha: räjapütäne kä itihäsa, dvitiya
bhäga, kotä, jodhapura, 1960, p. 12.
82
DIETER DOTTING
The Vase of the Eighty-eight Glyphs:
Implications for the Decipherment of the Maya Script
In the decipherment of the hieroglyphic script of the classic Maya culture of the
ancient Mexican and Guatemalan lowlands a certain frame of widely accepted, not
necessarily proven »readings« has emerged; it turns out to be exceedingly difficult
to go beyond these because of our inability to cope with the lost patterns of Mayan
religious-mythological thought. This inability is felt deeply especially if we try to
inquire into the strange underworld scenes on polychrome vases with their abbre-
viated, telegraphic glyph texts. Without doubt the script is a mixed system of
logograms or word signs (main component) and of a restricted number of logo-
syllabic signs (minor phonetic component, mainly of later development). Some of
the more important graphemes seem to be bi- or polyvalent, having both a
morphemic-logographic and a phonetic value, the latter usually but not always
derived from the former (Diitting 1985 a). Examples of polyvalent signs are T501
(morphemic nab/ha’, phonetic ba), T528 (morphemic haab/tun, phonetic cu),
T585a (morphemic bix/pix, phonetic be/bi), T669a,b (morphemic kab/kam?, pho-
netic ka)'. The divergence in interpretations between different researchers is caused
to a considerable degree by different readings of the major syntactic affixes (like
T23 = na or al, T130 = aan or wa), and by a different attitude towards substitutions
of glyphic elements, which could be based on purely phonetic or on semantic
principles.
In the attempt to decipher a logographic script one is often condemned to end up in
a blind alley, which can only be avoided by frequently questioning one’s own
results, at least as long as no criteria of proof are available. Probably one such blind
alley is my former assignment of the values tzem, »chest«, tzen-, »sustain, suste-
nance«, to the »double comb« grapheme T630 (Diitting 1972), even though both
the iconic aspect (T630 looks like the ribs of a chest) and the semantic requirements
were well fulfilled. T630 is closely associated with the Moon Goddess who can be
conceived as the goddess who »sustains children«. She is also the one who »gives
birth to children«, and it is this function to which grapheme T630 seems to refer.
Recently I have shown (Diitting 1983) that T630 is not an allograph of T25: 25, ca-
ca, as widely assumed, but that it is related to T563a, zi\ »firewood, gift« (in my
opinion a correct decipherment of T.S. Barthel based on considerations of
H. Beyer), from which it cannot be distinguished in the Codices2. For this and other
reasons I based my new reading of T630 on Yucatec zih-, »birth, be born«, Kekchi
zih-, »originate«.
In the magnificent, but largely undeciphered text of the »Vase of the 88 Glyphs«, a
* The author is very much indebted to Prof. Matthias Schramm, Geschichte der Naturwissen-
schaften, University of Tübingen, who performed the computations presented in this paper.
He gratefully acknowledges the roll-out photographs of the »Vase of the 88 Glyphs«,
provided by Justin Kerr, New York, and the constructive help and criticism of Dr. Kornelia
Kurbjuhn, New York, in editing the manuscript.
83
Diitting: The Vase of the Eighty-eight Glyphs
Mayan polychrome bowl, No. 11 of the November Collection of Maya Ceramics
(Robicsek and Hales 1982: 38) (Fig. 1), the goddess or a noble lady bearing her
name is entitled ix.uh.zih.na/an in the passage S4-V at the end of section 2 (see
below), a title reminiscent of lx Uh Zihnal, Lady Moon-Birth, known from the
Ritual of the Bacabs, p. 107 (Roys 1965: 37):
S4 51: 115.192: 145v: 59, »in her house of office is«
R5 4.738a, na.cay, »the mother of the fish (= human embryos?)«
S5, T1 1000b. 181-630: 23, ix.uh.zih.na/an?, »Lady Moon who gave birth
to/ whose gift are the houses/lineages (of)«3
T2 116.522.116: 116, »men (522 = uinic) with the mirror
(116-116 = ne-n[eJ)«A
T3, T4 »worm bird«.177, (a lineage title?) / 565var
T5, U 682b.630-1000b, »Lady Moon who gave birth to«
V 116.522.116: 116, »men with the mirror«?.
This text appears after a lengthy reference (M1-R4) to the »seating« or inaugura-
tion of a historical Maya lord on 1 Ahau 8 Cumku (9.14.5.4.0), a passage that starts
with the glyphs:
Ml, M2 1 Ahau 8 Cumku (9.14.5.4.0)
M3 229.1011: 126, »its restingplace has reached«?5
M4 513.59: 126, xoc/tzic.ti.ih, »the count from the back/(past)«
M5 644b: 178.181, chum-la-(a)h, »seated is«
N1 113.?: ?, ta..., »in the (line of...)«
01 653[526?]: 526.23, (name of lord)
N2 117.»worm bird«, (a lineage title?, same as T3)
0 2 95.769a: 126, ek.ch’en?-ih, »the star is in/(goes into) the cave/well«6.
It has been proposed by Robicsek and Hales (1982: 38) that the lord named by
glyph Ol, and also by glyph b3, 95.653[526?]: 526, in a »death passage« discussed
below, is identical with the lord mentioned in a text of the Naj Tunich cave, Group
IVm (Fig. 2):
A1,A2 8 Men (8) Kayab (9.15.12.9.15)
A3 45: 82, glyph D event
A4 95.653[526?]: 526, (name of lord)
B1 33.168a: 579.130, (emblem glyph)7
B2-B4 632.520: 102 - 18.565a: 136 - 520: 25.114.
The date A1/A2 is written 8 Men 9 Kayab which is not possible in the Long Count. I
regard it as a conflation of two consecutive dates, 8 Men 8 Kayab (9.15.12.9.15) and
9 Cib 9 Kayab (9.15.12.9.16). Related dates are linked in Naj Tunich, Group Ha,
with the date 3 Ahau 3 Mol (9.15.10.0.0)8, and therefore are fixed in the Long
Count with reasonable security (see Stone 1983). If the lord mentioned in A 4 is
identical with the one referred to on the »Vase of the 88 Glyphs« (glyphs Ol, b3),
one is obliged to agree with Robicsek and Hales that the most likely LC position of
the accession date 1 Ahau 8 Cumku is 9.14.5.4.0, and that the vase might have
originated in the Naj Tunich - Nim Li Punit - Pusilha region. On the vase the lord’s
name is not associated with an emblem glyph to confirm this placement.
The distance between the dates 9.14.5.4.0 (Vase of the 88 Glyphs) and 9.15.12.9.15
and .16 (Naj Tunich cave) implies comparable lunar mansions'': 9835d/9836d= 360
sidereal months = 120 triple sidereal months (precisely 9835d.80) and roughly 333
lunations (9833d.69). This can be another kind of support for the suggestion that one
person and not two with same name is the protagonist of the two dates. The possible
reference to the Moon Goddess in the passage following the lord’s inaugural text on
the »Vase of the 88 Glyphs« might be related in some way to this timespan of 120
triple sidereal months. The goddess may have been regarded as the lord’s ance-
stress. One could argue also that the name lx Uh Zihna refers to the lord’s mother,
although the passage is not preceded by the supposed »child of mother« indicatory
compound discussed below. Rather, the passage concerned with her is preceded by
a mysterious text that twice mentions »blood-descendants« and »owner? (tah in
Yucatec) of precious things (kan-)«:
85
.4,;
TRIBUS 35, 1986
Rl, SI 36.1016, kan-kik?.yum, »beloved blood (-descendants)
of the fathers« - ?. 130
R2, S2 36.1016, kan-kik?.yum - IV.575: 713a: 23, can.noh.lah-an?
R3 122: 150.281: 23, tah.kan.(nalan), »owner of precious things«?
S3 VII.74: 49: 59[585a]: 102, uuc.mah.lem?.ti.b(e)-al
R4 113.281: 23, ta(h).kan.(na/an), »owner of precious things«?.
Before continuing the discussion of the »Vase of the 88 Glyphs« I will consider the
meaning of the »Glyph D event«, T45:82, the event associated with the dates
9.15.12.9.15/ 9.15.12.9.16 of the Naj Tunich text. T45:82 corresponds to one
variant of glyph D of the Lunar Count (Fig. 2d) and also appears in the initial date
1.14.3.3(12), 9 Eb 10 Muan of the »Vase of the 88 Glyphs« (C2) to indicate a
calculated current moon age of 12d, XII.45:82:126. The question arises whether
T45: 82 refers to the disappearance of the last, or to the rebirth of the new, current
moon as a base of counting the age of the current moon.
Affix T45 appears only in monumental and ceramic inscriptions. In the Codices it
seems to be replaced by affix T166 (Fig. 2b), the head of God D’s, Itzam Na’s
centipede forehead appendage (Fig. 4a). On Vase No. 7 of the November Collec-
tion (Robicsek and Hales 1982: 30) the aged Itzam Na is depicted, seated on a
throne covered with sky-band symbols. His forehead appendage substitutes a T45
head for the T166 head of the Codex Dresden examples. This confirms that the two
graphemes are allographs with no difference in meaning.
The prefix T152/Z13 of Itzam Na’s name glyph T152.1009c: 23/ Z13.146:79 has as
upper part affix T166 and is the glyphic counterpart of the god’s centipede
appendage. Therefore, it is more reasonable to interpret T152/Z13 (Codices) as the
Yucatec tzimez, »centipede«, than as the Yucatec itzam, »lizard, iguana« (Knoro-
zov 1967: 85), especially since there is a (garbled?) form Tzimna of God D’s name
(Lounsbury 1984: 176). Itzam.na, »lizard house«, probably is not the correct
translation of God D’s name glyph T152.1009c: 23, whose main sign T1009c was
regarded as a silent deity determinative. T152 in sculptured texts is interpreted as a
»shield«, and may not be related to »centipede«. For the »centipede head« T45/166
I suggest a reading tzim, which I extend to the near homophonic pair tzem/tzen, the
values formerly applied to T630. This extension accounts quite well for the
occurrences of affixes T45/166 (the root tzim itself is unproductive in the Mayan
languages); it is further suggested by the rare vowel shift tzimes —• tzemez,
centipede10.
I interpret the Glyph D variant T45: 82 as tzem-il, »flaqueza«, as a reference to the
moon’s »fading«, its last visibility before conjunction". This reading is applied to a
text from Copan Altar Q (Maudslay, Archaeology I, Plate 93). There the date12
(9.17.5.0.0) 6 Ahau 13 Kayab, 775-Dec-25, moon age 27d, is followed by the glyphs:
T45.?: 575, »it vanishes (T45 = tzem?) the great one (575 = noh?)« / 126.174: 530,
possibly a reference to the moon (D6-E2). After addressing the current Copan
lord New-Sun-at-Horizon (F2-F4) the text continues with a DN 3.4 leading to the
date (9.17.5.3.4) 5 Kan 12 Uo, 776-Feb-27, moon age 3d, followed by a reference to
the moon’s rebirth, T1.534: 670 - 87.174: 530 (E5-F6).
On Copan Altar Z (Maudslay, Archaeology I, Plate 112) the invisible moon seems
to be referred to after the New Moon/conjunction date 9.17.0.0.0, 771-Jan-20,
moon age od, a day with a small partial solar eclipse:
B2, A3 13 Ahau 18 Cumku (9.17.0.0.0)
B3 679a.45: 575, i(t).tzem.noh?, »at the bottom vanishes the great one«?
Cla 61.756[568], hol-(l)om.zotz’, »(she is) beheaded by the bat«13
Clb 131:683b: 142, (reference to the moon).
Note Yucatec (Motul): it = el suelo de qualquier vasija, hondon o suelo de
qualquier cosa. Proto-Choi (Kaufman, Norman): it = bottom.
The Glyph D event T45: 82 of Naj Tunich, Group IVm, on the date 8 Men (8)
Kayab (9.15.12.9.15), 734-Dec-28, moon age 8d, therefore can be interpreted as
86
Dotting: The Vase of the Eighty-eight Glyphs
2
a) affix T45, b) affix T166, c) affix T152/
Z13, d) lunar count glyphs 10D, OC of Dos
Pilas Stela 16, A5/B5 (drawing by Ian Gra-
ham), e) Naj Tunich cave, Group IVm,
glyphs A3-B1 (drawing by Andrea Stone),
f) affix T114
tzem-il, »flaqueza«, a severe illness of the lord T95.653[526?]: 526, which might
have led to his death on this or one of the following days.
Another Glyph D event recorded in the Naj Tunich cave, Group Ha (A1-B4)
(Stone 1982: Fig. 2), is linked with the date 1 Men 13 Pax (9.15.7.7.15), 738-Dec-14
(moon age 28-29d). Venus had one of its last days of visibility as Morning Star, 33d
before Sup. Conj. on 739-Jan-16: 1 Men 13 Pax (9.15.7.7.15) / 2.10.5, (DN) / 3
Ahau 3 Mol (9.15.10.0.0) / 45:82:142?, tzem-il, »its vanishing« / 12.109: head,
(reference to the Morning Star?)14.
The date 9.15.10.0.0, 741-Jun-26 (moon age 8-9d), precedes the date 8 Men (8)
Kayab (9.15.12.9.15) of Group IVm by 915d = 31 lunations (915d.45).
In Codex Dresden 21b, almanac 44 (Fig. 3a), the young Moon Goddess is shown
together with God L and with animals representing constellations. In columns 2 and
4, where T166.1026 (tzem?.coolel, the vanishing lady) is the »spouse/wife«
(126.552: 24, a/hj-tan-il) of the »dog« (559.568, tzu-l/uj) and of a »heavenly deer«
(IV.84: 671.521, can... chij.uinic?), the augury is negative (10.648:25/15.736: 140).
In column 3 we recognize T 114b. 1026 (xac?.coolel, the sustaining/ food-providing
lady) as »spouse« of the »armadillo« (679b.558: 669a, i-ba-chfaj), an animal which
digs in the earth, the augury is positive (III.567: 130).
A distinction T114a = T508 (two strokes inserted) and T114b = Z83 (three strokes
inserted) is suggested by the date 7 Chicchan (18) Pax (9.15.8.8.5) of Naj Tunich,
Group lb, written VII.508: 125 / XIX.602: 114b (see drawing 65, Fig. 6, of Stone
1983). The Pax glyph T602: 114b, pa-x(a), suggests a phonetic value xa of T114b, a
87
TRIBUS 35, 1986
reading which I extend to the logographic values xac/xaac, »sustaining, providing
with food; seeking food«15.
A negative statement is made by combining T 114b with T166 in almanac 63, Codex
Dresden 44b-45b, column 1:
190.25.181, baat?.ca-ah, »thunder? is making« / 794, the Zip monster /
504.544: 136, akab.kin.may?, »the gift during night and day« /
648.526: 251, kaz.cab.(ba), »evil to the land« / 114b.166: 24.126, xac?.tzem.il.ah,
»they seek food those who have grown thin/ who are starving« / 75.84: 663, »woe?
(75) to the maize seed (84: 663)«16.
On the other hand, if T166 is prefixed to the glyph of the maize seed, T84: 663, the
effect is positive. Same almanac, column 3: T 190.25.181 / 794 / 326[544] - 326[504],
»day and night darkening with clouds«? / 166.84: 663, tzen?.yinah(il).ixim?, »our
sustenance, the maize seed« / 162: 506.501, zul?.kan.ha , »banquet? of food
(maize) and drink (chocolate)«.
With Mopan tziim-/Yucatec tz’am-, »dip in water, soak, submerge«, one could
consider a reading T166.84: 663, tzurn? .yinah(il) .ixim, »watering the maize seed«,
but the inclusion of these values would demand that the Maya script is more flexible
in the phonetic dimension than assumed so far.
The second part of the Glyph D event is T82, an allograph of T24 read as il by
Thompson (1950). In a recent publication Lounsbury (1984: 179) proposed a
phonetic value ne and a morphemic value nen, »mirror«, for T24, a) because T24 is
the affix version of main sign T617 (read by him as nen, mirror) and b) because it
substitutes for T23 (na) in suffix positions (see below). As an allograph of T24, T82
should have a phonetic value ne as well which one could consider to extend to the
complementary -en. In the Glyph D variant T45: 82 the T82 suffix then functions as
a silent phonetic complement -enl-em of T45, tzem.
I am not satisfied with this solution. In the compound T544:528.548:24, kin.
tun.yaab.il, »drought« (e.g. Codex Dresden, weather almanac, p.73b-71c), T24
has the value il. T528 and T548 are both bivalent for logographic tun and haab (see
Fox and Justeson 1984: 53). Furthermore, as shown by these authors (op.cit.,
p. 47), the compound III.668.103, ox.chaac.al (Codex Madrid 68b), is replaced (on
p.72b) by III.668.24, ox.chaac.Vl, in an almost identical passage. A ne/en reading
of T24 does not allow this substitution.
There is a context in which a reading T24-24, ne-n(e), »mirror«, is completely out
of place, the passage C1/C2 of Monjas Lintel 3 A, Chich’en Itza: T13.102: 565c, u-
al.ta, »raised up is the lancet (= penis)« / 126:23:24:24, hi-nah.il-il, »seed of the sin/
vice« / 1000v:608:23, mehen.toon.(na), »semen of the penis« / 168b: 533v: 130?,
»(of the) headchief«. The flint-lancet (ta) and penis (toon) are associated metapho-
rically in the Ritual of the Bacabs (Roys 1965: 3); note Yucatec (Motul): ilil = vicio;
mehen = semen virili (metaphorice), besides other meanings.
Lounsbury is right in regarding T24 and T617 as allographs. While I agree with him
that T617 is a sign for »mirror«, I doubt that the »mirror« in God K-s forehead was
nen in the sacred, ritual language of the inscriptions. Possibly there was a ritual term
for »mirror«, derived from il, »to see«, which is lost now (note that in Totontepec
Mixe the term ixun, »mirror, crystal«, is derived from ix-, »to see«). In the pottery
standard glyph sequences, passages that treat the fate of the deceased in the
underworld, the initial clause can be interpreted (with T617, illhil, in Dotting 1980:
112) as T229.617: 126, ah.il-ah = a.hil-ah, »he came to rest« / 1014a.18, »(in the
realm of) the aged (T18/17 = noh?) Grandfather (T 1014a = mam)/God N«. This
reading of T229.617: 126 makes use of the Chorti (Cholan?) a-set of pronominals
which employs a for third person singular and plural instead of u (MacLeod 1984:
258). If, as I assume, T229 is bivalent for ah (male prefix, agentive) and ac-, »set in«
(Yucatec), one could translate also T229.617: 126, ac.hil-ah, »it begins/sets in the
resting«. T229 is an allograph of the »turtle« head T743 which functions as the
logographic ac (»turtle« among others) besides being a phonetic (h)a in the Yax-ha
emblem compound T16: 743.
The supposed substitution T23/T24 in suffix positions remains a difficult problem.
88
Dütting: The Vase of the Eighty-eight Glyphs
Examples are Itzam Na’s name glyph T152.1009 c: (23/24), the »wife« glyph
T126.552: (23/24), and the supposed »child of father« glyph Tl. 122:535: (24/23). In
the first compound the status of T23 is different from that in the latter ones, it is not
a silent phonetic complement if the name really is to be read itzam. na. T 1.122: 535:
(24/23) can be paraphrased in Yucatec as u.kak.mehen.(nelna), or with T24, il, as
u.kak.mehen-il, »his fiery/glorious son«. In the latter case the »capped ahau« T535
need not correspond to a word ending with -n, like Yucatec mehen, »man’s son«,
Lounsbury’s (1984) reading of T122: 535. T126.552:(23/24) can be read a(h)-tan.
(na/ne), »wife«, with the suffix as a silent phonetic indicator to shift the reading of
T552 from kat to tan. T552 probably is bivalent for the morphemic values tan,
»amidst«, and kat, »cross over«. By reading T24 as il/Vl one would translate
T126.552: 24 and its variant T126.565b: 24 (never with T23 suffix) as a(h)-tan-il,
»his wife«.
Codex Dresden 65b-69b, almanac 70, shows in col. 11, p.68b (Fig. 3b), the rain
god Chaac and the young Moon Goddess on a mat embracing each other in the act
of coition, the final act of their wedding ceremony, as revealed by the text above:
T238.667: 23, »awakened is? (238-23 = ah-an?) humidity (667 = ak)«'1 /
12.238.552[95]: 23, haw?.a(h)-tan.(na), »it lies face up the wife (of)«, or »he
concludes the wedding (ceremony)« / 668.103, »Chaac«. Note Yucatec (Motul):
haual atancii = cerrarse velaciones. I regard affix T12, which resembles the »death-
collar« worn by Underworld deities (see Coe and Kerr 1982: Vase No. 60), as
bivalent for ah (male prefix, agentive) and haw-, »lie face up; cease, conclude« (not
xul, »end«, as suggested in Dütting 1978: 43)18.
I now return to the »Vase of the 88 Glyphs«. The inaugural date (9.14.5.4.0) 1
Ahau 8 Cumku, 717-Jan-23, moon age 6d, is separated by l,398,680d = 479x2920d
(Octaeteris cycles) from the zero date of the Long Count, (13.0.0.0.0) 4 Ahau 8
Cumku, Julian Day 584,285, -3113-Sep-8 (Julian). Theoretically the position of
Venus in its synodic cycle should be comparable on the two dates. On 717-Jan-23
(9.14.5.4.0) Venus was Evening Star, 142d before Inf. Conj. on 717-Jun-14 and 153d
after Sup. Conj. on 716-Aug-23. Matthias Schramm kindly computed planetary,
solar and lunar positions (the latter corrected for parallax) in ecliptic and horizontal
coordinates (ecliptic longitude X, ecliptic latitude /3, azimuth Az, altitude h) for 717-
Jan-23, 181' local time, at the geographical coordinates of Naj Tunich (-89°. 13 west
longitude, 16°. 17 north latitude). His programs are based on the elements published
in the introduction to Tuckerman’s tables (1964: 13):
X ß Az h
Venus 344°. 00 -0°.91 69°. 03 34°.59
Jupiter 317°.00 -0°.90 70°. 08 7°. 60
Mars 306°.34 -1°.08 70°. 19 -3°.06
Moon 23°.1 -5°.0 48°. 3 73°. 1
a Arietis 19°.77 9°. 93 95°. 25 68°.78
Sun 307°. 84 - 71°.24 -1°.53
Mars was invisible and almost at conjunction with the Sun. Jupiter was setting
heliacally in the west on 717-Jan-24, 10d before its conjunction with the Sun on 717-
Feb-3. The heliacal setting of Jupiter requires an arcus visionis of 7°.4 (Neugebauer
1938) as the necessary minimal distance in the altitudes (h) of Jupiter (above
horizon) and Sun (below horizon) to make the planet become invisible in the
evening. The accession date 9.14.5.4.0 therefore is precisely the date of Jupiter’s
heliacal setting, an event possibly referred to by glyph 02 (see accession clause
discussed above)19.
On 9.15.12.9.16, 743-Dec-29, moon age 9d, the second day of the Glyph D event
recorded in Naj Tunich, Group IVm, the Moon was in an ecliptical position (in the
constellation Aries of the Old World zodiac, close to a Arietis) comparable to that
89
TRIBUS 35, 1986
120 triple sidereal months earlier on 9.14.5.4.0. Celestial coordinates for 743-Dec-
29, 18h local time:
Moon
a Arietis
Sun
X /3
24°. 7 5°.3
20°. 13 9°.93
281°.58
Az
278°.8
253°. 84
67°. 40
h
80°. 7
86°. 63
-5°.07
The previous day at 18h the Moon (8d old) was in longitude 11°.4 and in latitude 5°.l.
The historical date 9.14.5.4.0 is preceded by a mythical text of 31 glyphs. It starts
with the IS date (A1-C4) 1.14.3.3.(12), 9 Eb 10 Muan, J.D. 830,237, -2439-Jan-
24. This is the birthday of a divine ancestor of the lord seated on 9.14.5.4.0. The
distance between these dates is l,152,728d, precisely 3156 solar (Julian) years (a
365d.25) - ld. The number corresponds also to 42191 sidereal months (1152728d.l)
and to 39035 lunations (1152726d.5), theoretically implying comparable positions of
the moon (of same age) with respect to stars of the ecliptic on the two dates.
The IS is written entirely in head variants. The Baktun and Katun numeral
coefficients are clearly recognizable. The Tun and Uinal coefficients are given by
different heads, despite the fact that both represent numeral 3. The 12 Kin
statement is oppressed for lack of space. The LC position 1.14.3.3.12 is confirmed
by the glyphs of the G cycle and Lunar Count set between the Tzolkin position 9 Eb
and the Haab position 10 Muan: G9, F; 12D, 0C, X2, A10. Both, a moon age of
12d and a lunation number 0 (= 1) in a cycle of 6 lunations are in line with
prehistorical lunar numbers recorded at Palenque, e.g. Foliated Cross-Tablet, IS
1.18.5.4.0, 10D, 5C. The distance of 29,528d between 1.14.3.3.12 and 1.18.5.4.0
corresponds to 1000 lunations - 2d and to 166 cycles of 6 lunations + 4 lunations:
12D - 2d = 10D; 0C (= 1C) + 4C = 5C.
The IS 1.14.3.3.12 is followed on our vase by the birth clause (B5, C5), T229.1011:
126 / 740: 126.181, poc-ah.ih, »washing (at birth) the descendant/grandchild«
(reading of T740 based on the homophonic poc, »wash«, and poc, »toad«), and by
three heads (D-F) that name the deity born.
The compound T229.1011:126 probably is equivalent in meaning to
T229.617a:125:360 which on Tikal Stela 31 is inserted in A12 between the IS date
9.0.10.0.0 (including glyphs of Lunar Count) and the event T846[520].59. The
compound could denote ah.il-ah = a.hil-ah, »it came to rest (the count)«, this in
analogy to the reading proposed for the initial glyph of the pottery rim sequences20.
The T229 prefix of these compounds is never replaced by affix T12, notwithstan-
ding their common value ah. On the other hand, T229 substitutes only in a single
case for T12 in the DN introductory glyph T 1.573: 12. The reason may be the
suggested secondary values of these affixes, which relate T229 (ac besides ah) to a
»beginning«, and T12 (haw besides ah) to an »end«.
After the birth-clause the Vase text continues (G-J): T757inv: 116.89? / 25.528P,
ca(l).tunlhaab, »voice of the Tuns/Haabs« / 2.115: 765b, »place (115 = ti?) where
the star enters (2.765b = ek.oc)« / 1008, xib, »(the realm of) fear«, i.e. the
Underworld. The following three compounds (K1-K2) are damaged. In L2 we
recognize Coe’s (1973: 43) »worm bird« encountered already in N2 and T3 (see
above), possibly a variant of T533, ahau. The mythical text closes with a reference
to the mother of the god born on 1.14.3.3.12, Venus Evening Star. A DN
introductory glyph leads then to the initial date of the historical section:
K3 95.617a: 136, ek.il.may?, »the star takes care of the gift«?
L3 86: 522, hach?.uinic, »the true man«?21
K4 126.19:670:140?, (»child of mother« indicatory glyph)
L4, K5 1000b.2 - 617a.86: 1040v[503], Venus-Evening Star
L5 204.573: 12, u.hel.ah = u.hel.lah, »its change comes to an end«
M1, M2 1 Ahau 8 Cumku (9.14.5.4.0)
The glyphs of Venus Evening Star, whose female nature is mentioned nowhere else,
were discussed in Dütting (1984: 19).
92
Dütting: The Vase of the Eighty-eight Glyphs
The precise reading of the suggested »child of mother« compound at K 4 is one of
the mysteries of the Maya script. Crucial to its decipherment is a reasonable reading
of the hand grapheme T670. An opposition between the hand T670 and the hand
T713a, lah, »end, completion, death«, is suggested by almanac 26 of Codex
Dresden 6c-7c: In col.l the Death God holds a skull surrounded by droplets (a
bloody skull?) with a T713a hand, in column 2 his opponent, the creator god Itzam
Na (God D; note centipede appendage at forehead) holds T25: 25 surrounded by
droplets with a T670 hand (Fig. 4a). On Vase 7 of the November Collection
(Robicsek and Hales 1982: 30) Itzam Na on his heavenly throne faces a skeletal
deity head placed on a huge cloth-covered vessel. His hand is again of type T670.
Therefore the T670 hand is one of the characteristics of Itzam Na.
The T670 action is linked with the child-bearing Moon Goddess as well; in almanac
52, Codex Dresden 22c-23c, col.6, the goddess, burdened with two children, is
addressed in the text above (Fig. 4b): T162: 501.506, »banquet/choice? of drink and
food« / 584: 670, »her selecting? (670) the lords/first ones (584)« / III.567: 130,
ox.oc-aan?, »very good things have entered«? / 1026, coolel, »the lady/mistress«.
Previously considered readings of T670 are pul-, »drop, cast forth (in birth); carry,
bear« (Dütting 1981: 186), and kub-, »entrust (someone) to, deliver« (Dütting
1984: 46). The first reading has the desired meaning only in Yucatec, not in the
Cholan languages, where pul- means »to burn«. While I consider now a reading
T670 = (y)et-, »mark, select«, and T670T40/178 = (y)et-al, »insignia«, the pul
reading still remains an interesting alternative. The (y)et- reading of T670 is based
on the following lexical entries: Yucatec (Motul): et, ah = tener, llevar o traer en las
manos, y llevar o tener assi candelas, ciriales, cruz o pendón; etel = en compañía;
etail = amigo; etkikel = consanguíneo, pariente cercano; etkin = cosa semejante
con otra, o igual assi; etkintah — comparar o hacer semejante; etoc = compañero en
camino; etpat = cosa semejante; comparar, igualar, asimilar; etp’iztah = comparar,
cotejar; etzah/etezah = mostrar o descubrir o revelar lo que no se veia, o lo que
estava encubierto. Mopan (Ulrich, de Ulrich): yeetic = escoger, elegir; yeeta’an —
elegido, escogido; et’oc = amigo, compañero, familia; et’octic = acompañar. Cholti
(Moran): etoc = amigo, compañero. Chol (Aulie): yejtal = marca, foto; ejtalal —
semejanza; i yejtal wocol = agüero; etel = trabajo, encargo. Tzeltal (Ara/Guz-
man): yetal — devisa, insignia; etaltez = sellar, señalar. Cakchiquel (Saenz): et =
señal, signo; etal = señal, signo, apellido, familia; etar — tener descendencia; etaj =
medir, tomar medidas; etamaj = conocer, entender. Quiché (Edmonson): etah =
measure, indicate, signal, trace; etal = marker; et — sign, measure, time; etam =
know, understand. Pocomchi (Mayers): rehtalil = retrato, señal; eht’al = saber.
Kekchi (Sedat): Irletalil = seña; etanc = señalar o medir tareas. Tojolabal (Lenkers-
dorf): yejtal — señal.
In Yucatecan manuscripts we encounter passages like Book of Chilam Balam of
Tizimin 16r, prophecy for Katun 11 Ahau: yetbal canal ual, canal utz’ub, »held up
in display are the heavenly fan, the heavenly bouquet« (Roys 1954: 37), the fan and
bouquet being symbols of rank and authority in Yucatan; or Ritual of the Bacabs,
ms. p. 105: uet u lac, »1 grasp the bowl« (Roys 1965: 36).
In particular the expressions in the Quichéan languages are suited well to account
for Itzam Na’s hand T670 which I relate to his function as creator (Thompson 1970:
204f.), the one who »marks, selects and measures« in creating the universe, the one
who »has knowledge«.
Yaxchilan Lintel 3 (Graham, von Euw 1977) (Fig. 5) shows the Yaxchilan lord Bird-
Jaguar together with a companion, both holding God K-insignia. The event glyphs
(Dlb-C2) that follow the date (9.16.5.0.0) 8 Ahau 8 Zotz' (Al-Dla) read:
1.60b: 757, u.kax?-ba, »their getting prepared«?22 / 59:533:670 - 516a: 103, »for (59
= ti) presenting (516: 103 = ac’.ta) the insignia (670 = yet/al/) of the lords (533 =
ahau)«.
The reading T516a, b and T743[516b], ac’, »give, present« (Dütting 1985, follo-
wing a suggestion by N. Grube), reflects only the Cholan / Tzeltalan languages, not
Yucatec. The »turtle« head T743, a(c), one of Landa’s values for A, functions in
93
5
Yaxchilan Lintel 22, glyphs B3-B4
(drawing by Ian Graham)
the compound T743[516b] as a phonetic complement. The date 9.16.5.0.0 is the 4
Tun anniversary of Bird-Jaguar’s accession.
The description of accession events is sometimes reduced to »the lord’s holding a
God K-insignia«, as for instance on Quirigua Stela E (west), A1-B9: 9.14.13.4.17,
12 Caban 5 Kayab / 1:1030d: 670, »his (holding) the God K (1030d)-insignia (670 =
yet[al]?)« / 122:175:561a - 1030i, (Lord Two-Legged Sky).
Aligned rows of seed-kernels (transcribed as T33 variant) placed into the angle of
the T670 hand appear as compounds after Katun and Half-Katun endings and
might refer to a special type of divination, e.g. Ixtutz Stela 4 (Graham 1980)
(Fig. 6a):
A1-A2 (9.17.10.0.0) 12 Ahau 8 Pax / 13[153].68.602.130:528.116
B2a l:33v:670:110:130, u.tzol.(y)et.chic-aan?, »his arranging
(the seed-kernels) for selecting/marking (the days), appeared has«
B2b 93:758, til(iz).tz’ub?, »the revered child« (of)23
A3 229.126.16:683b:178, ah.ih.yax.kal.al?, »he, the grandchild/descendant
of the first enclosed ones (the ancestors?)«
B3 111.1058a, (name of lord)
A4 1:764:23, u.can.(n)a, »his captive« - 519: 519, (name of captive)24
B4 41:568.V:168a:1005a:130, (emblem title of captive?)
A5 17:1030d - 32:168a:716b:?, (emblem title of captor, the lord named
in A3/B3.
The divination probably was performed for a newborn prince by his father, the lord
addressed in A3/B3. Clearly, the T33v: 670 action is kept distinct from the T710
action, which is either the throwing of seed-kernels in divination, or - occasionally -
the pouring of cleansing water. The former may refer to a type of divination
94
Dütting: The Vase of the Eighty-eight Glyphs
6a
Ixtutz Stela 4, glyphs A1-A5
(drawing by Ian Graham)
6b
Yaxchilan Lintel 22, glyphs B3-B4
(drawing by Ian Graham)
7
Tortuguero Monument 6, glyphs G4-G5
(drawing by Ian Graham)
observed by B.Tedlock (1982: 153f.) in the Quiché town of Momostenango: a
prognostication in the Sacred Cycle of 260 days consisting of an arranging and
sorting of seeds and crystals followed by »the counting of the days according to the
groups of seeds and crystals, starting with the first day addressed« (op. cit., p. 163).
That this type of prognostication was known already in early classic times is shown
by the inscription of Yaxchilan Lintel 22 where a calendar priest’s titles are given
(Fig. 6b):
B3 125.617b:69?:139, ah.il.may?.al, »the one who sees/takes care
of the gift?, the offspring«25
A4 125.33v.544:670:139, ah.tzol.kin.(y)et.al?, »the one who aligns
(seed-kernels) for selecting/marking the days«
B4 1030k, title of priest.
The Mopan term yeet-, »select, choose«, provides a reasonable interpretation of the
supposed »child of mother« glyph K4 of the »Vase of the 88 Glyphs«:
T126.19:670(:140?), »the one (126 = ah) who selected/marked (670 = yet-) the
hidden soul? (19 = mu/h])«, of her future child at conception. Affix T19 seems to
be a phonetic mu, and a morphemic muh, »shadow«. The following terms of Kekchi
(Sedat) are relevant here: /x/muhel = espíritu, alma; mu = sombra; muhoc’ =
anublarse; muhenc = sombrear; musik’ = respiración, espíritu. The Kekchi concept
of the /x/muhel is discussed ably by Carlson and Eachus (1977).
95
TRIBUS 35, 1986
Previously I considered the possibility that »different types of proto-classic ’scrolls’
gave rise to different ’spiral graphemes’ of the Maya script« (Diitting 1980: 118).
One type of scroll could be derived from an »ear conch« and could be a logogram
for nuc, »understand; great, grown« (op.cit., p. 120). Recently Taube (1985: 178)
interpreted the T19 scroll of the compound T126.19:670 as a »corn curl grain«, as
the curl at the forehead of the Maize God, the god of the number eight. The »scroll«
graphemes T19/578 are most likely polyvalent making other (metaphorical) inter-
pretations of the scroll in T126.19:670 conceivable26.
The entire inscription of the »Vase of the 88 Glyphs« can be divided into 1) a
mythical section of 31 glyphs which refers to events in heaven and in the distant
past, primarily a birth, and ends with a reference to Venus-Evening Star as mother
of the deity born on 1.14.3.3.12; 2) a historical section of 31 glyphs which refers to
present-day events on earth, in particular an accession on 9.14.5.4.0, and ends with
a reference to the Moon Goddess, or a human lady bearing her name; and 3) a
section of 26 glyphs which is concerned with (future?) events in the Underworld and
starts by addressing God L, the Lord of the Underworld. Section 1 is accompanied
by the picture of a young lord bowing in front of two dignified persons, a dark- and
a light-complexioned one, both elaborately dressed and adorned with T503 (ik)
breast plates. The dark person touches the young lord’s head with a whisk. Four
knotted bundles with matted shields on top are placed close to the two dignitaries.
Spotted jaguar-skin of kilts worn by the lords is seen between the bundles. This
scene may present a lord welcomed in heaven by his divine ancestors. Section 2 is
accompanied by two seated anthropomorphic animals in conversation. They are a
monkey wearing blood-spattered wristlets and a headdress with four disembodied
eyes, and behind him a vulture with a white kilt and a »napkin« headdress. Section
3, finally, is accompanied by a scene which I would place in the Underworld. The
deceased, a youthful lord with crossed bones on his garment27, is seated on a cushion
placed on a throne (type T150a) probably fashioned of longbones. The cushion’s
side is decorated with the glyph T 122.58(552] :95.575-613, »the doing/performance
(613 = men) is burning (122) to white ashes (58-552 = zac.taan) the great star?
(575-95 = noh.ek?)«2*. The lord is attended by a rat and a bat, both with
disembodied eyes, both holding blood-spattered vessels decorated with T504, the
akab (darkness) sign. On top of the final 8 glyphs there are another seated
anthropomorphic vulture and a masked human lord.
One of the great themes of Mayan inscriptions and iconography is presented here:
the death of a human lord, metaphorically related to a star’s burning in the rays of
the sun at heliacal setting, and his subsequent resurrection, perhaps seen in the
picture of a star’s heliacal rising after its conjunction with the sun.
Section 3, a text concerned with death, is not introduced by a third date, but rather
by the name glyph of God L, deity head.280:501:314, followed by two lordly titles
T 16.36:1016, yax.kan-kik-yum?, »first blood(-descendant) of the fathers« /
16.168b:513:130, yax.tziclxoc.ahau, »first venerable lord« (W-Y). The text conti-
nues with a death passage (Zl-bl), which might describe some details of the lord’s
underworld passage29: 204.1040v / 291?.758v / 51.61?.1042?:102 / IV.204.1029:82 /
671 [544]: 116.184?.74? / VIII.204:585 a:82 / human head in jaws of animal / 61.1041 /
23:503.33:1016 / 229.131:756b / 61.1041.
There follows a reference to the lord seated on 9.14.5.4.0, or - more likely - to a
long-deceased ancestor of same name:
b2 229.669b:126.130 or 117, ah.ka-(a)h-(w)an?,
»the one who is remembered«30
b3 95.653[526?]:526, (name of lord)
b4 60b:528P.23, kax.haab.na or (h).haab.na, »house of (the falling) rain«,
or kax-an.haab, »bound are the years«
b5,cl 245?:?:126.57 / 756b.23, zotz’.na, »house/lineage of the bat«.
The name glyph is prefixed by T95, ek, »star«(?), which is missing in name glyph
Ol after the accession date.
The »knot« graphemes T60a, b are a major problem. The phoneticians regard the
Diitting: The Vase of the Eighty-eight Glyphs
»multi-stranded knot« T60b as a phonetic complement h in the compounds T60b:
528, (h).haab, and T60b: 524, (h).hix. Of the compounds T60b: 757 and T757: 60b
only the latter is amenable to a phonetic complement interpretation bah.(h).
Unexplained remains the T60b suffix in the title T 125:16.759:60b, ah.yax.t’ul...,
»the first one, the rabbit...« (Chich’en Itza, Temple of the Four Lintels). I prefer
the logographic readings T60b: 528, kax.haab, »pouring of rain; binding the years«,
and T60b: 757, kax.bah, »bundle of the first ones«, but consider a polyvalency of
T60b and T757 as possible.
A different »single-band knot« T60a is the one in T684, hok-, »emerge, appear«.
On Tortuguero Monument 6, G4-G5, it appears in a prophecy for rain (Fig. 7)31:
684[747b],116:125,
hok.kuch?.kin-(y)ah?, »the emerging of the vulture is the prophecy« /
IX. 60 a: 683 [528]: 116:125,
bolon.hok.kal.haab.kin-(y)ah?, »the emerging of much rain from its enclosure is
the prophecy« /
86: (116).281. (116): 130,
hach?.kan.(n).wa(h)/ahan?, »plenty of desired tortillas/elotes«.
The knot T60a is an important element of Glyph F, T128:60a:23, which in IS dates
is preceded by the glyph of one of the Nine Lords of the Night, and which could
denote ye(y)ah.hok-an?, »the chosen one appeared«. In support of T60a, hok-, the
knot is replaced by main sign T740 of the »birth« glyph in the variant T 128:740:23
of Glyph F (Yaxchilan Lintel 56, D2)12.
Many aspects of the great inscription of the »Vase of the 88 Glyphs« remain hidden
to us. In our attempts to decipher the script we rely on the available fragmentary
dictionaries, colonial and modern ones. Usually we are unaware of the possibility
that the language underlying the inscriptions was a sacred language of the priest-
rulers, not restricted to the precursor of one of the Mayan languages, based to a
large extent on ritual terms and metaphorical expressions, on conceptions of the
ruling class not known to the peasants in classic times and largely extinct already at
the time of the Spanish conquest. In particular those ideas of the nobles that
centered around the figures of Itzam Na and God K, the initiation and maintenance
of the royal descent lines, their elaborate ancestor cult, their notion of death and
rebirth/resurrection of lords, their Underworld beliefs, have no counterpart in the
thinking of present-day Maya communities.
Summary
According to the inscription of the »Vase of the 88 Glyphs« a Maya lord was
inaugurated on (9.14.5.4.0) 1 Ahau 8 Cumku, 3156 solar (Julian) years and 42191
sidereal months after the mythical birth of an ancestral deity on 1.14.3.3.12, 9 Eb 10
Muan, in the distant past. On 9.14.5.4.0, 717-Jan-23, Jupiter was setting heliacally
in the west, Mars was at conjunction, and it is possible that the ancestral deity was
regarded as Jupiter. The deity’s mother is stated to be Venus-Evening Star in a
passage that is introduced by the »child of mother« compound T126.19:670. A new
reading of the hand grapheme T670, a characteristic of the creator god Itzam Na, as
(y)et-, »mark, select, measure«, and of the compound T670: 140 as yet-al, »insi-
gnia«, shed light on the likely meaning of this and related compounds.
The accession date 9.14.5.4.0 was also shown to be linked by 120 triple sidereal
months with the date of a Glyph D event, 9.15.12.9.15/16, recorded in the Naj
Tunich cave, Group IVm, whose protagonist probably was the seated lord mentio-
ned on the vase. The time distance implies comparable lunar mansions in the
ecliptic. By making use of a new reading tzim/tzem of affixes T45/166, the meaning
of the Glyph D event T45: 82 was suggested to be tzem-il, »flaqueza«, the lord's
vanishing by means of severe illness which may have led to his death on one of these
days. The rationale for this is provided by Copan Altar Q, where the event glyph of
the date 9.17.5.0.0, 775-Dec-25, moon age 27d, is prefixed by T45, and the
97
TRIBUS 35, 1986
following date 9.17.5.3.4, 776-Feb-27, moon age 3d, is linked with an expression
denoting »rebirth«.
Evidence is presented for a bivalency of affix T12 as ah (male prefix, agentive) and
haw-, »lie face up; cease, conclude«. Its allograph T229 could be bivalent for ah and
ac-, »set in/(begin)«, so that substitutions of T12 with T229 are based on the
common value ah.
Notes
1 Hieroglyphs are transcribed in Thompson’s
(1962) code numbers. Those not listed in
the catalog are marked by a ?. Maya words
are written with the phonemes of classical
Yucatec as defined in the Motul Diet, (c
instead of k, k instead of k’, z instead of s, x
instead of s). If terms are cited from mo-
dern dictionaries, the notation used there is
kept. The dictionaries of Mayan languages
used are those cited in Diitting (1981, Note
1), and previous papers. For Proto-Choi
see Kaufman and Norman (1984).
2 The »Vase of the 88 Glyphs« treats T630
and T25: 25 as different graphemes as
shown by comparing the T630 examples
(see below) with the final compound of the
inscription (f2), T25:25.683b:178. A good
argument forT563a = zi(h) is provided by
the text of Codex Dresden 30c-33c, al-
manac 65, col. 8 (p. 33c), which shows the
rain god Chaac »seated inside the trunk of a
tree above what seems to be a pool«
(Thompson 1972: 103): Tl.667:130, »there
is (1-130 = y-an?) freshness/humidity (667
= ak)<< / 668.103, »Chaac (is)« / 563a.87,
zi(z).te/che, »(at the) cold trees« /
17:23.765b, »he entered (765c = oc) the
green house (17:23 = yax.na)«. See Red-
field and Villa Rojas (1934: 130) for the
concept of the ziz.che, trees growing near
the cenotes.
3 Lounsbury (1984) provided compelling evi-
dence for the na reading of T23, which
several researchers extend to the comple-
mentary value an. If T23 is suffixed to the
grapheme for a noun root ending in -(a)n, it
is regarded as a silent phonetic comple-
ment, as in T561a: 23, caan.(na), »sky«.
On the other hand, if T23 is suffixed to the
grapheme for a verbal root not ending in
-(a)n, it should be a syntactical suffix,
-na(h) or -an. In cases where the meaning,
syntactic function and phonetic value of a
main sign is unknown, it does not follow
from the presence of suffix T23 that the
sign designates a noun ending in -(a)n.
T630, zih, could be either the verbal root
zih-, »be born«, or the noun root zi(h),
»gift«. At Yaxchilan we encounter the fe-
male title T1000b.630-181:178, perhaps
ix.zih.ah-al, »she whose gift is the awake-
ning«, »she who gave birth, the woman in
childbed«, or ix.zi(h).(h)ah-al, »she whose
gift is the truth«. Note Yucatec (Motul):
ahal = despertar; ah al — la parida todo el
tiempo que est& en la cama; muger paride-
ra; hahal = cosa verdadera, sin falta y sin
duda. The lunar affix T181 is polyvalent for
the values ah, ha and uh. Some inscriptions
describe the »seating« for the office of
T630-181:178, as for instance Kuna-Lacan-
ha Lintel 1 (L2-K5): (9.15.11.17.3) 4 Ak-
bal 16 Xul / 644b.534:88-126, cum/chum,
lallok.man-ih?, »the seating of the revered
one passed by«? /59.630-181:178?, ti.zi(h).
(h)ah-al?, »for offering the truth«, for the
office of a »judge«(?) / 12.58:580-188.
1040[520], (name and title of a lord). The
date, 743-May-30, precedes the IS date
9.15.15.0.0 of the panel by 1097° = 3 tropi-
cal years.
T1004, the head variant of T630, is a profi-
le head with aT526, cab/luum (earth), sign
covering the mouth. This variant can be
explained by Cholan expressions for »hu-
man birth« like »seeing the world«, »tou-
ching the earth«, »appearing on earth«,
discussed by Lounsbury (1980: 113) with
respect to another possible »birth« com-
pound of the inscriptions. Examples of
T1004-181 [178] occur on Piedras Negras
Wall Panel 3 in the bottom row of glyphs as
titles of persons of lower rank seated in
front of their enthroned headchief. They
may have the rank of a »judge«, of »one
whose gift is the truth«.
4 The third T116, phonetically n(e), remains
unexplained. Could it be the logographic
kin, »sun«, a term that could entitle »men
with the mirror«, rulers, lords, metaphori-
cally as »suns«? Nen, the Yucatec and Cho-
lan term for »mirror, crystal« is written
here phonetically, not with the »mirror«
logogram T617, for which I prefer a lost
ritualistic term based on the root il, »to see«
(see below). Affix T116 could be both, a
phonetic n(e) and a logographic kin.
5 T1011 orTlOllvar, the head of God GI of
the Palenque Triad of deities, probably
functions here as head variant of T617, ill
hit?, »to see / rest« (see below); note Proto-
Choi *hil = descansar(se). On Tortuguero
Monument 6 (A4-B8) the same glyph
(A 6) connects a distance number (DN)
98
Dütting: The Vase of the Eighty-eight Glyphs
counted from a preceding birthdate with
the date of the current event, an accession
to rulership.
6 There may be two graphemes for »star«, T2
(a variant of T510b, the standard Venus
sign) and T95. The glyphs T109: 510b or
T 109:2, chac.ek, »great star«, refer to Ve-
nus Morning and Evening Star in the Venus
Table, Codex Dresden 46-50. Ek, the term
for »star« in Yucatec/Chol/Cholti/Tzeltal, is
attested for Proto-Yucatec and Proto-Choi,
and therefore could be the expression used
in the classic Maya inscriptions. T95 is the
sign for »black, dark«, ek in Yucatec, i’ic’l
ihc’ in Chol/Tzeltal, a term which is a ho-
monym of ek, »star«, at least in Yucatec.
I expect it can be used in the inscriptions
to indicate »star«. With respect to T769
note Yucatec (Motul): ch’een = pozo, ci-
sterna o cueva de agua. Chol (Aulie): ch’en
= cueva. Another sign for ch’en, »well«, is
T679c of the Chich’en Itza inscriptions, in
the compound T 1.586:25.501-59.679c:8,
u.pa.ca-b(a).ti.ch'en-il, »his bench at the
well«, or »his destroying the land at the
well«. T679c probably is not identical with
T679a,b, which I regard as a phonetic / and
as a logographic it, »bottom«.
7 This seems to be the emblem of the Naj
Tunich- Nim Li Punit-Pusilha region. It is
found also on a Jade Plaque from Altun Ha
(Mathews and Pendergast 1979).
8 D. Stuart (1981) first reported on the Naj
Tunich cave paintings in an unpublished
offprint. He related the Calendar Round
(CR) dates, discovered there, to the CR
date 3 Ahau 3 Mol with the Long Count
(LC) position 9.15.10.0.0. The cave is situa-
ted near Poptun, Guatemala, only a few
kilometers from the Belize border.
9 After a triple sidereal month (81d.965,
roughly 82d) the moon assumes about the
same position of the night-sky along the
ecliptic, on the average at the same time of
the night.
The classic Maya counted not only synodic
months (lunations), but probably also side-
real months, and in particular triple sidere-
al months or 82d periods (Dütting 1984,
1985). Both types of lunar reckonings were
reported by B. Tedlock (1984, and earlier
papers) from the contemporary Quiché of
Momostenango:
»Se usa una combinación del cálculo lunar
sinódico y sideral para predecir la lluvia y
producir un sistema de ritos multimétricos
que coordina cuatro periodos consecutivos
de 65 días (o 260 días) con cuatro periodos
coincidentes parcialmente de 82 días (o tres
meses lunares siderales)«.
10 In Yucatec Maya Medical Texts (Roys
1931) we encounter chacal tzimez (text
362) and chachacil tzemez (text 361) as
terms for »red centipede«. The Cordemex
Diet, of Yucatec lists the place-name tse-
mesak’al, probably derived from tsimes,
»centipede«, and ak’al, »swamp, lagoon«.
11 Note Yucatec (Motul): tzern — el pecho
entre las unas costillas; tzeem - cosa flaca;
tzemhal = enflaquecerse; tzemcunah = en-
flaquecer; tzeemil — flaqueza; tzen.tah =
sustentar, mantener, alimentar; tzen = ali-
mento, sustento. Cholti (Moran): gemlez
— enflaqueser a otro; tzenu — sustentar
gente. Chorti (Wisdom): tzem = chest of
the body, lung(s).
12 Long Count (LC) dates were converted
into Julian dates (JD) with the 584,285
correlation (Thompson 1935: 75) and with
the tables of Schram (1908). There ist no
doubt anymore that the 584,285 correla-
tion is correct within a margin of ± 1 day
(Dütting 1984). Moon ages were derived
from the tables of Goldstine (1973).
13 The compound T61.756[568] represents
the cama.zotz’ of the Popol Vuh, the »bat
who kills by beheading«. He is shown a.o.
on Vase No. 22 of the Pearlman Collection
of Maya Ceramics (Coe and Kerr 1982)
with grapheme T61/62, hoi, »head, skull«,
painted next to his head. The compound is
used to express »human sacrifice« (see
Barthel 1966).
14 According to the tables of Neugebauer
(1938) and Tuckerman (1964) Venus Mor-
ning Star disappeared in the east on 738-
Dec-18, 29d before Sup. Conj.. The vanis-
hing individual could of course also be a
human lord.
15 Note Cholti (Moran): sustentar = xaca\
gente, xantez, tzenu. Yucatec (Vienna
190r): sustentar mantiniendo = tzen\ su-
stentar, dar de comer = xacchi. Yucatec
(Motul): xac chij — proveer su casa, man-
tener y sustentar y cocinar o guisar de
comer; xac, ah = buscar y ganar de comer.
T508 is used as a sign for the day Chicchan
and may correspond to Chorti ch’ih.chan,
»giant snake«. Other graphemes for
»snake« are T566 {chan) and T764 {can).
I assume a bivalency of T508/114a for
ch’ih and chan, as suggested by the glyph
for »north« of Copan Stela A (Gl,
H9), T114a:566:23, ch’ih.[chan],chan.na,
»house of the giant snake«. Note Chorti
(Wisdom): d’i’ix.can - Chicchan (deity of
rain and guardian of water); c’i’ih = grow,
grow up; é’i’ix = growth, large, great, su-
preme, giant. The Chorti believed in four
sky Chicchans, of which the great Chic-
chan of the North was the chief (Wisdom
1940: 393). I doubt that Closs (n.d.) is
correct when he reads T114a:566:23 pho-
netically as xa-ma-n(a), which is the Yuca-
tec term for »north«. Rather the glyph may
be a metaphorical statement related to the
99
TRIBUS 35, 1986
Chorti belief in the »giant snake« of the
north.
161 interpreted T84: 663 as och.pak, »gar-
den-produce, crops« (Diitting 1979: 151),
a reading based on Thompson’s (1950)
T663:23, pak-al, »sowing, planting«,
which depended in turn on Barthel’s rea-
ding T23 = al. In 1972 Thompson changed
his reading of T663 to (h)inah, »seed«.
This is easier to reconcile with the widely
accepted T23 = na(h)\ in the compound
T663: 23 the suffix could function as a
phonetic complement. If T663 is a sign for
»seed«, (h)inah, then T84 is hardly a sign
for och, »sustenance, food« (Yucatec), but
rather a symbol for »maize«, probably
ixim, »maize en grano«, a reading exten-
ded by me to xim, »cuenta para cacao;
cuenta para las mazorcas de maiz que gu-
ardan para semilla« (Motul). T84: 663
then reads yinah(il).ixim, »maize seed«.
Corn silk, maize tassels usually suspend
from the T84 superfix on one or on both
sides of main sign T663. In numeral com-
pounds like TIV:84:756a (Yaxchilan Lin-
tel 21) the T84 affix (with-out maize tas-
sels) seems to be a numeral classifier of
unknown phonetic value.
Other glyphs for maize based on my rea-
ding T507, nal, »corncob, elote«, are
T507: 178, nal.(la), and T117: 507, (na?).
nal, with T178 and T117 probably functio-
ning as phonetic complements. In almanac
75 of Codex Dresden 73b-71c the glyphs
of both types of maize are combined in
col. 22 (day 4 Ik, p. 72c):
T229.567: 130, ah.oc-aan?, »the one who
has entered (the earth)« / 172.84: 663,
ya(h).yinah(il).ixim, »the beloved maize
seed« / 62.507:24, hol-il.nal or hoi.
nal. (VI), »principal (offering) of elotes«.
At Palenque it is in particular the name
glyph of God GII, the »reborn sun-maize
deity« (Diitting 1984: 25), which is ac-
companied by the glyph T74:
565a.117:178, interpreted by me now as
ma(h)-tan.na-l(a), »gift of elotes«, or, me-
taphorically, mahtan.al, »gift of human
offspring«.
17 Variants of this glyph in Codex Dresden
30c-41c are T 1.667:130, T667:126.23 and
T229.667: 130, »there is (1-130 = y-an?) I
awakened is (126-23 and 229-130 = ah-
an?) humidity/freshness (667 = ak)«. Note
Yucatec (Motul): ah-an = cosa despierta,
participio de ahal\ ak = cosa fresca, tierna
o verde. I consider a polyvalency of T130
for wa (phonetic) and -(a)an/ahan(?),
which might have been developed out of
an original TOO, -wan.
18 In pottery scenes the Water-lily Jaguar, the
night-sun in the Underworld (God Gill?),
is frequently depicted lying face up on a
Cauac monster about to be beheaded by
God GI (Robicsek-Hales 1981: Vessels
19-27). On Grolier Vase 67 (Coe 1973:
127) a single glyph is inscribed next to his
portrait, T12.563a:501:314, ah.zih-ba.
kik?, »the one whose blood is offered (who
is sacrificed)«, or haw.zih-ba.kik?, »he lies
face up for offering his blood (for being
sacrificed)«.
On a vase related to the »Altar Vase«
(Robicsek-Hales 1981: Fig. 22 A; Justin
Kerr, Photo No. 791) a dead(?) Water-lily
Jaguar in a wooden enclosure with death
eyes attached is referred to by the glyphs:
T190.257:515.82, baat.ca(y).chuc-il, »the
axe finishes? the captive« / 213?.60b?:524,
the Water-lily Jaguar / 1.539:126 / 12.
630:61, ah.zih.hol, »the one whose gift is
the head«, or haw.zih.hol, »he lies face up
for offering (his) head«. A bivalency of
T12 for ah and haw is at least plausible in
the light of these relations. Note Yucatec
(Motul): zijbalzijlba = ofrecerse, donarse;
zijl — don, limosna, ofrenda. Proto-Choi
(Kaufman, Norman): *sih = dadiva, ofer-
ta; *si’ = leña. Both glyphs, T12.
563a:501:314 and T12.630: 61, support the
zi(h) reading of T563 a/630.
19 Distances corresponding to multiples of
the synodic period of Jupiter are rare in the
Mayan inscriptions. Of interest is the di-
stance of 7580d, precisely 19 synodic cycles
of Jupiter (19 x 398d.9 = 7579d.l) and ab-
out 13 synodic Venus periods (13 x 583d.92
= 7590d.96), between the dates 9.10.
II. 17.0, 11 Ahau 8 Mac, and (9.11.13.0.0)
12 Ahau 3 Ch’en of the Palace-Tablet,
Palenque (Al-A 18 and G 10-H11). The-
se are the birthdate of Lord Kan-Xul II
(9.10.11.17.0) and the date (9.11.13.0.0)
when the lord at age of 20 is said »to hold
the insignia of the lords«, the God K-
manikin scepter (event clause H11-H13:
T232.533:670:130, u?.ahaw.yet.[wa], »he
held the insignia of the lords« / 7647:106 /
III. 1058a - 74:1079 - 38.168a: 1045:140,
titles of Kan-Xul II).
20 MacLeod (1984: 258) discussed the glyph
T229.617b: 178 which on the Tablet of the
Sun Temple, Palenque (B16), is inserted
between the IS date 1.18.5.3.6 (with Lunar
Count and 819-day count glyphs) and the
birth glyph T740.181:126. Following Sche-
ie, she interprets this compound as a quo-
tative, a-lem?-la, »it is said«; lem is glossed
as »narrate, relate« in Quiché/Cakchiquel
besides being a term for »mirror« in these
languages. I prefer the reading ac.il.al, »it
begins/sets in the seeing/taking care of the
child«.
21 This glyph may address the deity born on
1.14.3.3.12, the »gift«, as the legitimate
ancestor. For affix T86, probably not an
100
Dütting: The Vase of the Eighty-eight Glyphs
allograph of affixes T84/85, I consider a
reading hack, »much; true, legitimate«
(Yucatec), a reading suggested by the ico-
nic aspect of T86 (sprouting maize folia-
tion) and by terms like Mopan (Ulrich, de
Ulrich): jach = el maiz esta saliendo, jilo-
te. Choi (Aulie): jajch = jilote. Chontal
(Keller): hac = undeveloped corn. Chorti
(Wisdom): hac — rising, raising up, increa-
se; haci = raise, lift; hacp’ah = arise, get
up, rise, ascend, sprout. Tzeltal (Ara/Guz-
man): hach = levantar. Proto-Choi (Kauf-
man, Norman): *hach = raise, lift. Yuca-
tec (San Francisco Diet.): haach’ — cosa
rala o maiz tierno. The reading proposed
for affix T84, ixim, cannot be applied to
affix T86 in case the two affixes should be
allographs. In that case a reading T84,
hach, should be considered.
22 Yucatec (Motul): kaxba = atarse y allegar-
se al parecer de otro; armarse. Alternative
interpretation based on Proto-Choi (Kauf-
man, Norman) *k’ax = cross and *b’ah- —
first: u.kax.bah, »it crossed over (from the
pre- to the post-accession stage) the first
one«. T60b:757 could also be »the bundle
(kax) of the first ones (bah)«, the bundle of
rulership given to the ruler on the day of
his accession by a noble lady, as shown on
Yaxchilan Lintel 1 (Yucatec, Motul, kax —
atar, amarrar; manojo atado).
23 The compound T110: 130 - 93: 758 is an
enlarged version of T758[110], used in
connection with newborn lords in birth
clauses. For T110 = chic/chec/chac-, »ap-
pear, be visible«, and T758 =tz’ub, »jo-
ven, muchacho, nino/a«, besides tzubl
chiictzub, »spotted agouti« (Mopan), see
Dutting (1984: 24).
24 The »Calepino en lengua Cakchiquel« of
Fray Francisco de Varea lists cana, telechee
— captivos ganados en guerra; canoh -
buscar, cazar, pescar.
25 Compare the clause A12/B 12 of the West
Tablet of the Inscriptions Temple, Palen-
que: T617a:69:178, il.may?.al, »seeing/ta-
king care of the gift?, the offspring« /
229.506:178, ah.kan-al, »the precious / be-
loved one«. Suffix T69 substitutes for
T136 (may?, shredded tobacco, gift) at
Chich’en Itza, Temple of the Four Lintels,
Lintel I (G4), in the glyph T145v.565c:69/
136 (T145v = T18?). Affix T136 is repla-
ced in other glyphs by affix T88, which is
not an allograph of T18 (noh?) and which I
interpret as man-, »pass by«. The terms
suggested for affixes T136/88/69 are all
based on the initial syllable ma. T69 con-
sists iconically of three »down-balls«, best
known from affix T74, ma(h).
26 If my previous reading of T670, pul, »car-
ry, bear; cast forth, throw out (in birth)«,
should turn out to be preferable to T670,
et-, one could consider to render T126.
19:670 as »the one (126 = ah) who throws
out [in birth] (670 — pul) the child distingu-
ished by T19«. A magical incantation of
the Lacandones (Rätsch 1985: 156-159),
spoken to ensure a rapid birth after labor-
pains have started, emphasizes the new-
born’s being thrown out of the mother’s
womb.
27 A small red-painted T 116-like flare is atta-
ched to the nose of this lord and the one
bowing to his ancestors in heaven. These
flares do not look like speech scrolls, since
the lord’s mouth is closed, at least in the
bowing scene.
28 One could translate also »burning to white
ashes the star, the great Hmen (575-613 =
noh.men = noh.hmen)«. Hmen, ah.men,
means »artisan, master« in Yucatec.
29 In this text we encounter two compounds
with the numbers IV and VIII prefixed.
Since main sign T1029 is the head variant
of main sign T585a (be/bix), their meaning
should be identical, can.u?.be-il! uaxac.u?.
be-il. This could be a reference to »4 ro-
ads« and »8 roads«; four crossroads are
actually encountered at the entrance to the
Underworld according to the Popol Vuh
(Edmonson 1971: lines 2003-2014). Bet-
ween these glyphs the glyph for »west«
(chi-kin) is inserted. Further below we re-
cognize in Z5 the compound T23:
503.33:1016, a reference to the »spirit (503
= ik) of the blood(-descendant) of the
fathers (33:1016)«, to an ancestor of the
»lineage/house (23 = no)«, who may be
addressed by the next glyph (a5), 229.
131:756b, as ah... zotz’, »he the... bat«,
or ah-an?.zotz’, »awakened? is the bat«.
The end of the inscription (b5-f2), not
discussed here, contains in b5/c 1 and e 1/f 1
two other identical bat clauses.
30 On the basis of Chol/Chorti one could
translate also a.k’a-(a)h.wa, »it is remem-
bered«, a reading considered by MacLeod
(1983: 53) for the glyph T 126.669b: 130 of
the Middle Tablet of the Inscriptions
Temple, Palenque. I paraphrased the lat-
ter compound as ah.kab-aan — ah.kaba-
an, »the one who is named«, assuming a
polyvalency of T669a,b for a phonetic ka
and for logographic values kab and kam.
Note Yucatec (Perez): kaahal = acordar-
se, hacer memoria. Mopan (Ulrich): c’aji
= recordar. Choi (Aulie): c’ajal = acorda-
do; c’ajtesan = acordarse de. Chorti (Wis-
dom): k’ah — remembrance; k’ahwan =
remember.
31 I regard affix T116 as a phonetic n(e) and a
logographic kin. Note Yucatec (San Fran-
cisco Diet.): kinyah, kintah = adivinar,
pronosticar, echar suerte. The rain-brin-
ging vulture is depicted in Codex Dresden
101
TRIBUS 35, 1986
38b-41 b, almanac 61, col. 1.
While affix T130 is a phonetic wa, its sup-
posed morphemic values -(a)anlahnlahan
are easier to reconcile with TOO in a num-
ber of compounds, some of them mentio-
ned above (see Note 17).
32 Thompson’s (1972a: 71) suggestion T60a,
tab, »cord, tumpline«, and T60a: 23, tab-
al, »companion« (Yucatec, Motul), is diffi-
cult to reconcile with this substitution.
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103
MARIA ZERRNICKEL
Das ala-elek-kurte* - eine Kleinkindschutzkleidung
An Objektbeispielen der Orient-Textilsammlung
im Linden-Museum Stuttgart.
Einleitung
Das Thema behandelt einen wichtigen Teil der Kleinkindkleidung, mit der ver-
schiedene magisch-religiöse, soziale, kulturelle Entwicklungen und Vorstellungen
verbunden sind. Die Entstehung und Gestaltung dieser Art von Kleidung ist nur im
Zusammenhang mit einem Fragenkomplex, der im einzelnen noch nicht genügend
erforscht ist, zu klären. Es erscheint uns notwendig, eine kurze Erläuterung zu
folgenden Fragen zu bringen:
1. Stellung und Rolle der Frau in den orientalisch-islamischen Gesellschaften; Ehe,
Mutterschaft und die damit verbundenen Aufgaben, Verantwortungen der
betroffenen Frau in der Großfamilie;
2. Vorstellungen und das Wissen über den Glauben an den bösen Blick.
Wir können uns damit aus Platzmangel in diesem Beitrag nur kurz befassen.
Stellung und Rolle der Frau
Die Frauen waren seit Jahrtausenden bis in die Gegenwart hinein in eine patriar-
chalisch aufgebaute Familie dem Mann untergeordnet. Jahrhunderte andauernde
patriarchalisch-islamische Ordnung prägte nicht nur das Wesen der Frau, sondern
auch des Mannes. In sich gekehrt lebten Frauen und Männer streng nach Brauch,
Sitte und nach den Geboten des Korans, der oft ihre einzige Kulturquelle war.
Durch das islamische Recht, den Schariat, sind die Männer den Frauen übergeord-
net (Koran, Sure 4, 43), weil sie für ihren Unterhalt sorgen. Sie sind ihnen
außerdem an Vernunft, Frömmigkeit, Weisheit und Glaubensstärke überlegen.
Dem Mann gebührt die Autorität, die Frau hat die Pflicht zum Gehorsam.
Obwohl den Frauen eine untergeordnete Rolle zukommt, hängt der gesamte
Haushalt entscheidend von ihrer Arbeit ab. Sie gebären und betreuen, erziehen die
Kinder, kochen, spinnen, weben, knüpfen, walken Filz, nähen, sticken, waschen,
melken und verarbeiten die Milch, sie helfen in der Landwirtschaft. Dadurch
können sie im fortgeschrittenen Alter in der Familie mitreden und mitentscheiden.
Generell kann gesagt werden, daß die Familie die mächtige Zelle war, in der die
Männer sich frei fühlten, die Frauen aber ein abhängiges Dasein führten. Kinder
sind sichere Werte, die Männern zur Würde und Frauen zur Ehre gereichten. Eine
Geburt ist ein freudiges Ereignis im Leben der Familie, obwohl im Bezug auf das
Geschlecht des Neugeborenen erhebliche Unterschiede gemacht werden; der Sohn
ist als Nachfolger, Erbe angesehen, für ihn wird ein großes Fest (ogly-toj) veranstal-
tet. Das Mädchen dagegen, wird als »Zeitgast« empfunden, es bleibt ja nur bis zu
seiner Heirat in der Familie.
* Die turkmenischen Wörterverzeichnisse und Erklärungen dazu sind im Anhang zu finden.
1Ü5
TRIBUS 35, 1986
Die Mutter ist für das Leben und Wohl ihrer Kinder, besonders der Söhne
verantwortlich. Sie weiß, daß ihr sozialer Status, Anerkennung, Rolle in der
Familie und Gemeinschaft gesichert ist, wenn sie mehrere gesunde Kinder, beson-
ders Söhne gebärt und erzieht. Eine Frau, die nur Mädchen hatte, wurde, wenn sie
nicht von ihren Herkunftsfamilienmitgliedern (Vater, Brüder, Onkel) geschützt
war, verachtet, verflucht und geschieden. Sie geriet so mitunter in eine lebenslängli-
che Abhängigkeit von ihrem Mann.
Schon in früher Kindheit erzieht man die Knaben und Mädchen verschieden. Das
Mädchen wird von der Mutter und Großmutter sehr streng gehalten. Ihm wird
frühzeitig beigebracht, welche Aufgaben es im Leben zu erfüllen hat. Zu diesen
Aufgaben zählen vor allem, eine gute Hausfrau und Mutter zu werden. Die Töchter
verbrachten ihre Zeit an der Seite der Mutter, spielten mit aus Stoffresten genähten
Puppen und betreuten ihre kleinen Geschwister. Sie lernten oft schon mit sechs/
sieben Jahren nähen, sticken, spinnen, weben, knüpfen, auch kochen und melken.
So wurden die Säuglingshemdchen nicht selten von jungen Mädchen für das
neugeborene Kind genäht.
Der böse Blick
Der Glaube an die Zauberkraft des Auges, der bis in die Gegenwart in der ganzen
Welt bei vielen Völkern vorkommt und ihr Tun und Handeln bis zu einem hohen
Grade beeinflußt, kann nicht einfach abgetan werden als Aberglauben. Für die
aufgeklärte rationalistische europäische Denkweise ist dies als »wildes Denken«
bezeichnete Verhalten der Menschen unverständlich, unlogisch, rückständig, aber-
gläubisch. Die gegenwärtige Fachliteratur über den »bösen Blick« enthält die
dringende Aufforderung, die fremden Denksysteme ernstzunehmen, weil es keine
Begründung gibt, unsere europäische für »objektiver« oder »richtiger« zu halten.
Der Glaube an den bösen Blick ist ein traditionelles Wissen, eine Volkskultur, die
man den Menschen nicht einfach ausreden kann, denn der Gläubige denkt gewöhn-
lich über die Entstehung des Alls und über seine Funktion nicht nach, er lebt in
seinem Glauben. Er ist darin befangen, so wie wir glauben, den bösen Blick
wissenschaftlich verstehen oder erklären zu müssen und können.
fSS#
1
Afghane mit Kind.
106
Zerrnickel: Das ala-elek-kurte - eine Kleinkindschutzkleidung
Der Glaube an Augenzauber und übernatürliche Mächte läßt sich mit wissenschaft-
lichen Methoden nicht beweisen oder auch widerlegen, weil er außerhalb des
menschlichen Wissens liegt. Er kann nicht nur aus den Funktionen soziologischer
und psychologischer Perspektive betrachtet werden, sondern man muß ihn als
kulturelle Form oder Struktur mit anderen Aspekten der Lebenswelt vergleichen.
Es sollten die Elemente der physischen Umgebung der Menschen, ihrer materiellen
Kultur, ökonomischen und gesellschaftlichen Organisation sowie ihre Weltanschau-
ung berücksichtigt werden.
Der Volksglaube besagt, daß der böse Blick nicht nur die Zerstörung lebenswichti-
ger Güter hervorruft, sondern vor allem Krankheitssymptome erzeugt wie Erschöp-
fung, Schwäche, Kopfschmerzen, Schlaflosigkeit, Melancholie und anderes mehr
bis hin zu schweren Krankheiten und Tod. So gibt es die Vorstellung, daß
Menschen mit dem bösen Blick Opfer der Naturgewalten bzw. ihrer eigenen Natur
sind, der böse Blick also nicht von den Dämonen kommt, sondern von Haß, Neid,
Liebe der Menschen auf das Schöne, Gute. Er ist ungeheuer sinnhaftig geladen.
Das Auge hat nämlich eine enge Beziehung mit den inneren Kräften des Menschen
und wird von den Seelenregungen stark beeinflußt. Das Problem um den bösen
Blick beschäftigte auch viele Gelehrte der arabischen Welt. So meinten Avicenna
und Algazel, Seelen können in solchem Maße mit der himmlischen Intelligenz
übereinstimmen, daß sie die materielle Welt nach Lust und Laune zu beeinflussen
in der Lage wären.
Die Kinderkleidung der Turkmenen
Veröffentlichungen in der ethnologischen Literatur über Kleidung, Tracht,
Schmuck sind nicht sehr umfangreich. Eine Ausnahme bietet das Thema - Turk-
menenschmuck - worüber in den letzten anderthalb Jahrzehnten viel geschrieben
wurde. Dies ist offenbar darauf zurückzuführen, daß in den letzten Jahrzehnten in
den Westen zahlreiche Silberschmuckstücke gebracht wurden. Dieser Umstand
beruht darauf, daß die betroffenen Völker und Länder schweren und gravierenden
sozial-ökonomisch-politischen Umwälzungen unterworfen wurden, daß Traditio-
nen zerstört und die notleidende Bevölkerung wie z.B. die vielen Flüchtlinge
gezwungen ist, den Familienschmuck, darunter auch »Lätzchen« zu veräußern.
Sehr spärlich sind dagegen, bedauerlicherweise, Mitteilungen der Autoren über
Kinderkleidung dieser Völker und besonders über das ala-elek-kurte. In Reisebe-
richten kann man über die Kleidung nur Andeutungen aufspüren, sie geben uns
aber einen Einblick wie das turkmenische Kind gekleidet war.
Bei R. Karutz (1911, S. 25) finden wir eine kurze Bemerkung: »...Kinder tragen
meist nur ein Hemd, zuweilen darüber ein kurzes Jäckchen, das auf dem Rücken
mit Stickerei benäht ist, Knaben laufen bis zu zwei, drei Jahren auch wohl nackt
herum...«. Dieses »kurze Jäckchen«, das auf dem Rücken und bestimmt auch auf
der Brustseite bestickt war, könnte so wie unsere ala-elek-kurte gewesen sein.
Wichtig und anregend ist für uns auch der Bericht von H. Lansdell (1885, Bd. 3, S.
917) über den starken Glauben der Menschen an die Zauberkraft der Amulette:
».. .dagegen wollten sie mir ein an der Mütze des Kindes befestigtes Zaubermittel
nicht überlassen, weil das Kleine nach ihrer Meinung dann krank werden würde.«
Westliche Autoren bezeichnen das ala-elek-kurte als »Lätzchen« und sehen es in
ihren Publikationen in Verbindung mit turkmenischem Kinderschmuck hauptsäch-
lich als Träger des Schmuckes (Firouz, H. Rudolph, J. Kalter, R. Schletzer, P.
Andrews, I. und J. Prokot). Sie bringen auch sehr schöne Abbildungen der ala-
elek-kurte, gehen aber auf ausführliche Erläuterungen dazu nicht näher ein. Bei der
Bezeichnung dieses Kleidungsstückes ist P. Andrews eine Ausnahme, denn er
bezeichnet es als »Überhemd-UrrZe/z«.
Die kurzen Berichte der Autoren, in denen es sich um: ».. .eine Besonderheit der
Kinderkleidung...« (J. Kalter, 1983, S. 96) oder »...um die Bedeutung des
Symbolismus und magischen Schutzes...« (Firouz, 1978, S. 28) wie auch Mitteilun-
107
TRIBUS 35, 1986
gen »... man erkennt hieraus, daß die Tracht der Kinder nicht nur als Schutz gegen
Witterungseinflüsse getragen wird, sondern auch als Schutz gegen den neidischen
bösen Blick und als Abwehr gegen böse Geister...« (H. Rudolph, 1985, S. 71) und
anderes mehr sind wohl zutreffend, wertvoll, interessant und wichtig, aber sie
reichen nicht aus, um ein klares Bild über die Bedeutung des ala-elek-kurte im
Leben des Kleinkindes und seiner Mutter zu zeigen.
Mit dem Thema Kinderkleidung befaßte sich auch P. Andrews (1971, S. 99),
sinngemäß schreibt er folgendes: »...zu Gelegenheiten, bei denen man die volle
Tracht anlegt, konnte ein Junge ein solches Hemd mit dreieckigen, fransenbesetz-
ten Schulterklappen tragen, dessen gesamter Rücken mit Ansammlung von Silber-
schmuckstücken aller Formen und Größen geschmückt war...« und weiter heißt es
».. .die meisten dieser Schmuckstücke sind Talismane, die zum Wohlergehen eines
Sohnes und Erben bestimmt sind; Mädchen wird diese Ehre nämlich nicht
zuteil...«. Wir stimmen diesem zu, nur über den letzten Satz läßt sich divergieren
und diskutieren. Unserer Meinung nach ist so eine Schutzkleidung für beide
Geschlechter bestimmt, sie unterscheidet sich nicht wesentlich in Form und Aus-
führung, sondern durch amulettwertigen Schmuck.
In der östlichen, russischen, sowjetischen Fachliteratur wurde die Kinderkleidung,
darunter auch das ala-elek-kurte von mehreren Ethnologen kurz besprochen (G.
Vasiljeva, A. Morozova, N. Lobaceva, L. Berezneva, F. Ljuskevic, R. Rassudova,
K. Zadychina). Ausführlicher als andere obengenannte Autoren berichtet über die
Schutzkleidung G. Vasiljeva. Sie bringt die verschiedenen turkmenischen Bezeich-
nungen der Kleinkindkleidung, teilt über Schnitte, Form, Tragweise, symbolische
Bedeutung und Ausführung mit. Eines haben alle russischen Autoren gemeinsam,
sie übernahmen die Bezeichnung der kompletten Kinderkleidung von den einhei-
mischen Volksgruppen Mittelasiens und sahen den Volksglauben an die magischen
Kräfte, an den bösen Blick als einen Aberglauben der ungebildeten, rückständigen
Frauen. Erst seit den 60er/70er Jahren setzen sie sich ernsthaft damit auseinander.
Es gibt in der Bezeichnung für diese Art von Kinderkleidung allgemein wie bei den
russischen Autoren bestimmte Schwierigkeiten der richtigen, zutreffenden, auf-
schlußreichen und doch kurz gefaßten Definition.
Das ala-elek-kurte ist sehr vielfältig, denn es hat praktische, ästhetische und
magische Funktionen. Dieses besondere Kleidungsstück ist noch vielfach anzutref-
fen. Soweit uns bekannt ist, sind komplette Trachten und einzelne Stücke in den
Museumssammlungen der Sowjetunion vorhanden, im Staatlichen Museum für
Ethnographie der Völker der UdSSR zum Beispiel wie in den republikanischen
Heimat- und Kunstmuseen wie auch mehrere in Familiengebrauch. In den westli-
chen Museen und Privatsammlungen befinden sich, soweit uns bekannt, 20 bis 30
ala-elek-kurte. Es sind antike wie rezente Stücke darunter.
Die Kinderkleidung ab 4-5 Jahre entspricht allgemein im Schnitt, Material, Form,
Bestand der Erwachsenenkleidung. Sie unterscheidet sich nur in einigen Details,
auf die wir hier nicht näher eingehen wollen. Die Säuglings- und Kleinkindkleidung
(4-5 Jahre) beider Geschlechter bildet dagegen eine Ausnahme. In ihr sind
archaische, traditionelle, aus dem Mittelalter überlieferte Charakterzüge in Form
und Schnitt festgehalten.
Mit einigen unwesentlichen Abweichungen besteht die komplette Kleinkindklei-
dung aus folgenden Teilen:
1. zwei Säuglingshemdchen
a) von der Geburt bis zum 7. bzw. 40. Lebenstag getragen.
Dieses erste Kleidungsstück (kyrk-köjnök, kurtai-cillagi, it-kujnak, pirahänchi,
kurtai-sagak, kojlök was in Sprachen verschiedener orientalischer Völker Vierzig-
tage- oder Hundehemdchen bedeutet) des Säuglings näht die schwangere Frau oder
ihre Mutter oder Schwiegermutter oder gar ihre eigene unverheiratete Tochter. Es
wurde aus vierzig alten Stoffresten mit der Naht nach außen genäht und niemals
besäumt. Das Säumen der Hemdchen unterließ man in der Regel, bis das nächste
Kind geboren wurde, um die Fruchtbarkeit der Frau nicht zu beeinträchtigen.
Wenn bei einer Frau die Kinder starben, nahm sie für das Säuglingshemdchen alte
108
Zerrnickel: Das ala-elek-kurte - eine Kleinkindschutzkleidung
Stoffreste von einer ehrwürdigen, wohlhabenden, alten Frau, die viele gesunde
Kinder hatte. Der Glaube, daß das Glück dieser Frau mit dem gegebenen Stoff auf
die Schwangere sich überträgt, war sehr stark.
Das zweite Kleinkindhemdchen (kojlek, kojnök, kurtai) näht man aus neuem
Baumwollstoff, es wurde ebenfalls nicht umsäumt.
2. Ein gesteppter, leicht wattierter, in Patchwork-Technik genähter, mit oder ohne
Ärmel, YAn&ex-chalat-gurama-kurte, kurak-kurty, comacai gadoi, jaktaki-gadoi,
kalandari-coma, gäbaci.
3. Mützchen - tachja, topy, tuppi, gulakcyn, sopbasch, tumak, kolah.
4. Jäckchen, Weste - kamsulca, icikca.
5. Mäntelchen - kemsor, gupi, kemsir, kemsal, capan, sapan.
6. »Lätzchen« - Kleinkindschutzkleidung - ala-kurte, elek, ala-elek, kürthe, öwse-
lik, kirlik, ala-elek-kurte, kükrakce, balagy-sulukce, oschurak-sinaband, sine-
bändi.
7. Hosen - salwor, salwar, ösor, istan, dambal, sym, calbar.
Ein sehr wichtiger Bestandteil der Baby- und Kleinkindkleidung der Turkmenen
und vieler anderer Volksgruppen im Orient ist das in der westlichen ethnologischen
Literatur als »Kinderlätzchen« bezeichnete Kleidungsstück. Wir haben uns auf die
Bezeichnung des Stückes als ala-elek-kurte entschieden wie es bei den zahlreichen
Tekke-Turkmenen genannt wird.
- elek ist von eie abgeleitet und heißt sinngemäß bemerkbar machen oder sein
- elek bedeutet auch »noch nicht«
- elebej bedeutet unbemerkbar machen vor den bösen Geistern und bösen Blicken
- ala heißt bunt
- kurte bedeutet chalat, Kleid
- ala-elek-kurte bedeutet sinngemäß folgendes: ein buntes Kleidungsstück, das
noch kein chalat ist und den Träger unbemerkbar vor den bösen Geistern und
bösen Blicken macht.
Kleidung ist ein Ausdrucksmittel der Kultur, ist durch sie gestaltet und geprägt. So
ist auch das ala-elek-kurte Teil einer Kleidung, die sich im Laufe der Zeit entwickelt
hat. Sie ist nachweisbar bei vielen Völkern als Kinderschutzkleidung bekannt
(Turkmenen, Uzbeken, Kirgizen, Tadziken, Perser, Kazachen, Karakalpaken,
Mongolen, Chinesen, Chanten u.a.). Ihre Form und Art, die wir hier vorstellen,
hat eine lange Entwicklungsgeschichte. Wir können ihren Schnitt und Form an der
Erwachsenentunika aus dem 15.-16. Jahrhundert belegen.
Bei den städtischen Uzbeken und Tadziken finden wir sie als chalat-kurte in
Patchwork-Technik mit und ohne amulettwertigen Schmuck, wobei die Stoffteil-
chen so angeordnet sind, daß sie geometrische Muster als magische Symbole bilden
(Dreieck, Raute, Quadrate, Kreise) und dadurch den Abwehr-Schutzdienst ge-
währleisten.
Das ala-elek-kurte hat verschiedene Verwendungen. Einmal soll es das Kind vom
bösen Blick, bösen Einflüssen bewahren, zum anderen vor Kälte, Hitze, Nässe und
Schmutz schützen. Es ist aber auch eine schöne, bequeme, festliche Bekleidung, die
das Kind schmückt. Es kann wie alle Kleidung und ebenso wie Schmuck als eine
Form von Kommunikation mit der Umgebung und auch mit übernatürlichen
Kräften aufgefaßt werden.
Verschiedene Motivationen veranlassen eine Frau, so ein Kleidungsstück zu nähen:
Das Bedürfnis, ihr neugeborenes Kind zu schützen, die Altersgruppen und die
Stammeszugehörigkeit zu unterstreichen oder ihren Reichtum, ihre eigene Bedeu-
tung zur Schau zu stellen. Es stärkt das Selbstbewußtsein der Mutter, wenn sie ihr
Kind in das aus bunten Stoffresten reichbestickte ala-elek-kurte und mit einem
schönen Mützchen gekleidet und genügend Amulette, Talismane wie amulettwerti-
gen Schmuck aufgenäht hat, so daß sie es sicher und stolz den Gästen und Fremden
zeigen kann.
Nach allem oben Erläutertem kann das ala-elek-kurte als abwehr-, schütz- und
glückbringende Kleidung bezeichnet werden, wobei seine ästhetische, praktisch-
soziale Funktion mindestens genauso wichtig sein kann. Die natürliche Angst der
109
TRIBUS 35, 1986
Mutter um das Leben des Kindes, ihre mystische Vorstellung, ihr Schönheitssinn,
auch eine bestimmte Eitelkeit wie Prestigebedürfnisse kommen durch dieses Klei-
dungsstück zum Ausdruck.
Alle von uns bisher untersuchten (20 Stück) ala-elek-kurte haben ein gemeinsames
Merkmal. Sie sind aus vielen farbigen Stoffresten in Patchwork-Technik genäht und
mit bunten Baumwollstoffen unterlegt. Die einzelnen Teile bilden geometrische
Muster, wobei sich die Zahl der Stoffteilchen auf sieben bis hundertsechzehn
beläuft. Die Schnitte und Form der ala-elek-kurte sind alle vieleckig (4-8) und
signalisieren einen magischen Inhalt. Sie weisen einen ovalen Halsausschnitt mit
Schulterschlitzen auf, die Seiten sind nicht zusammengenäht, sondern werden mit
Kordeln oder Knöpfen geschlossen. Sie sind ärmellos, mit zwei an den Schultern
angenähten Dreieckamuletten und haben verschiedene Größen. Die Stoffteile
bestehen aus Ikatseide, Seide, Samt, Tuch, Halbseide und Baumwolle. Dieses
Kleidungsstück wird über den Kopf angezogen, bedeckt die andere Kleidung bei
besonderen Anlässen wie Besuch, Fest usw.
Die meisten ala-elek-kurte sind handgenäht, reich bestickt und mit mannigfaltigen
Amuletten, Talismane, Silberschmuck, Perlen, Münzen, Kaurimuscheln, Schlan-
gendekor, Haarbüschel und Zöpfchen wie Vogelfedern, Holz-dagdan, alle Arten
von Knöpfen, bunte Kordeln mit Quasten, Glöckchen und vielen anderen Dingen
überladen. Man kann es als Teil einer Trachtenkleidung sehen, denn die Unter-
scheidung zwischen Kleidung und Schmuck ist durch den Umstand erschwert, daß
der Schmuck auf dem ala-elek-kurte direkt angebracht ist.
Bei aufmerksamer Betrachtung dieser Schutzkleidung kann vieles über Bindung
und Beziehung zwischen Kind und Mutter abgelesen werden. Symbolisch gesehen
ist der ala-elek-kurte die verlängerte, schützende Hand der Mutter. Mit einer stark
betonten, sinngeladenen, liebevollen Sorgfalt und Exaktheit werden die ala-elek-
kurte genäht, gestickt, verziert, mit einer Vielfalt von Abwehramuletten, glück-
und schutzbringenden Talismane versehen. Jede Frau hat gegen viele Gefahren,
denen ihr Kind täglich ausgesetzt ist, anzukämpfen. Sie sichert das Kind mit dieser
Schutzkleidung vor bösen Geistern und fremden bösen Blicken ab.
Die ala-elek-kurte sind ganz verschieden und trotz einiger gemeinsamer Merkmale
individuell gestaltet. Darunter sind die schlichten, gar ärmlichen, nur in Patchwork-
Technik genähten, bis zu den reich bestickten und mit viel Silberschmuck verzierten
Exemplare. Bei der Ausführung und Gestaltung dieser Schutzkleidung hat jede
Frau die Möglichkeit, ihre Vorstellungen und Phantasie, ihren Glauben, aber auch
ihre Ängste und Befürchtungen zu interpretieren. Sie geht von ihren eigenen
materiellen und gesellschaftlichen Möglichkeiten aus. Die Gestaltung ist abhängig
davon, wieviele Stoffreste sie gesammelt hat, wieviele Schmuckteile und Seiden-
garn sie besitzt, aber auch wieviel Zeit zur Verfügung steht und welche handwerkli-
chen Fertigkeiten und Talente sie besitzt. Es ist wirklich erstaunlich, daß bei der
großen Vielzahl von Verpflichtungen, die eine Frau in der orientalischen Welt zu
tragen hat, sie solche wertvollen Kunststücke vollbringt. Das Sammeln von Stoffre-
sten ist allein schon eine sehr wichtige und geheimnisvolle, mit magischen Vorstel-
lungen verbundene, aufwendige rituelle Handlung.
Sehr treffend beschreibt diesen Vorgang die Ethnologin Rassudowa so: in Falgar
nähte man die Hemdchen und Chalate aus Stoffresten, sobald in der Familie lange
keine Kinder geboren wurden oder eins nach dem anderen starb. Die Stoffreste für
diesen »Bettel-c/za/ar« erbittet sich die Mutter aus sieben Höfen. Wenn sie die
sieben nötigen Stücke gesammelt hat, gibt sie diese an drei bis vier Frauen weiter,
die unbedingt wohlhabend sein und viele Kinder haben müssen. Die Frauen
beginnen sofort mit dem Nähen eines chalats. In Mace wurden die dzomacai gadoi
(Bettel-chalat) unabhängig davon, ob die Kinder in der Familie starben oder nicht,
genäht; die Stoffreste wurden hier von der Schwiegermutter oder der Mutter der
Schwangeren gesammelt. Die Mutter nähte dann auch den chalat und kleidete in
ihn das Kind ein am Morgen des vierzigsten Lebenstages.
Bekanntlich sind die ersten 40 Tage nach der Geburt besonders gefahrvoll für
Mutter und Kind. Man denke nur an den heute noch bekannten Quarina-Mythos,
110
Zerrnickel: Das alci-elek-kurte - eine Kleinkindschutzkleidung
wo die Kindbettdämonin albarsty als unheilvolle Kraft fungiert und an den starken
Glauben, sie mit dem »Salomonischen Siegel« zu bezwingen, wozu islamische
Schriftamulette mit einem Davidssternzeichen dienen.
Daher gibt man sich große Mühe, beide mit allen Mitteln zu schützen und vor den
bösen Einflüssen zu bewahren.
An diesem Tag, einmal ist es der siebte, bei anderen wiederum der vierzigste Tag
nach der Geburt des Kindes, wurde das erste Säuglingshemdchen (kurtai sagak,
kurtai cillagi, it-kujnak) gegen ein neues Hemdchen (kojlök) getauscht.
Das weitere Schicksal des Säuglingshemdchens ist mit mehreren magischen Ritua-
len verbunden, die das Wohlergehen und eine glückliche Zukunft dem Säugling
verschaffen sollen. In einem Fall z.B. in Zirobond wirft man das Hemdchen in
fließendes Wasser, was ein langes Leben für das Kind bedeuten soll. In einem
anderen (in Wabkent) dient das kurtai-cillagi als Verschluß eines Buttergefäßes
oder man vergräbt es unter einem Obstbaum, was den Wohlstand und die Frucht-
barkeit symbolisieren soll.
In einem anderen Ort hat man das oben geschilderte nach dem Ritualfest, der
Einbettung des Neugeborenen in die Wiege, veranstaltet. Dieses Fest wird gawor-
abandon, besik tuj, sallantcak tuj, besik toj genannt. Das Fest wird bei verschiede-
nen Volksgruppen zwischen dem siebten und vierzigsten Lebenstag des Kindes
durchgeführt. Nähere Erläuterungen darüber können wir hier aus Platzmangel
nicht bringen.
Die ala-elek-kurte im Linden-Museum Stuttgart
In der Orient-Textilsammlung des Linden-Museums Stuttgart befinden sich acht
ala-elek-kurte in ganz verschiedener Ausführung, die sich untereinander beträcht-
lich in Form, Schnitt, Farben, Verzierung und Größe unterscheiden. Bei näherer
Betrachtung dieser Stücke ist sogar festzustellen, ob sie ein Junge oder ein
Mädchen getragen hat.
Eines davon ist besonders hervorzuheben wegen seiner Vielfalt an Abwehramulet-
ten und Talismane sowie reichen Stickereien (Abb. 2a/b). Dieses ala-elek-kurte
besteht aus sechzehn roten und grünen Tuchresten, die in Patchwork-Technik
handgenäht und mit gestreifter Baumwolle unterlegt sind. Im Schnitt stellt es ein
Sechseck dar, das vorne und hinten nach unten abgeschrägt ist und einen Halsaus-
schnitt mit Schulterschlitzen hat. Die Seiten sind offen und mit Kordeln gebunden.
Das Kleidungsstück ist ärmellos, mit zwei Dreieckamuletten als Schulterstücke, die
Spitze jeweils dem Arm zugewandt. Der Brust- und Rückenteil ist auf ein zentrales
rotes Feld und die umlaufende grüne (4,5 cm breite) Bordüre aufgeteilt. Es hat acht
auf- und angenähte Dreieck- und Vierecktextilamulette, die alle mit dem gleichen
zentralen Stickmuster verziert sind, das einen doppelten badam darstellt. Drei
dieser Amulette beinhalten offenbar (noch nicht näher untersucht) entweder
Koransurentexte oder andere Abwehrmittel wie Salz, Sand, Kräuter etc. Die
äußerliche Verzierung dieser Dreieckamulette besteht aus bunten Kordeln mit
neun aus Silbergarn gebundenen Lebensknoten und Quasten.
Als schütz- und glückbringende Talismane sind auch mehrere einzelne und gebün-
delte blaue, weiße, schwarze, gelbe Glasperlen zu betrachten. Unter ihnen fällt ein
* Unsere ala-elek-kurte sind von den Sammlern in den letzten 6-8 Jahren aus Afghanistan
gebracht worden, also haben wir diese wertvolle Kleinkindschutzkleidung den tragischen
Umständen, die sich dort zur Zeit abspielen »zu verdanken«. Es ist als Vernichtung einer
Volkskultur zu betrachten, wenn die Mutter im Flüchtlingslager dahinvegetierend gezwungen
ist, die Schutzkleidung ihres Kindes von seinem Leib zu zerren, um es damit vor dem wahren
Hungertod zu retten. Solche Umstände sollten unserer Meinung nach alle Völker, Nationen,
Länder, Staaten, Weltorganisationen vom Rang der UNO, UNESCO, Weltsicherheitsrat,
Europarat und andere mehr nicht gleichgültig lassen.
111
2a/b
ala-elek-kurte für einen Turkmenen-Jungen.
Jomud. Maße: 44 x 42 cm. 19.-2Ü. Jahrhun-
dert. Linden-Museum Stuttgart.
Inv.-Nr. A34869.
Grundgewebe: Tuchgewebe, rot, grün,
Leinwandbindung, Köperbindung, Atlasbin-
dung. Futter: Baumwolle, rot, grau, blau,
gelb, braun, weiß gestreift, Köperbindung.
Sticktechnik: erweiterter Kettenstich
(kozime), Kettenstich (ilme), Anlegetech-
nik, Knopflochstich, Stielstich, Ziernaht-
stich. Garn: Seide, Baumwolle, Wolle. Far-
ben: kirschrot, rot, weiß, schwarz, gelb, hell-
blau, grün.
Dzijak-Schirazbändchen:
Garn: Seide - kirschrot, weiß, grün, aus 32
Kettfäden, je 8 grüne, 12 kirschrote und 12
weiße; die weißen Fäden sind dabei muster-
bildend, verlaufen abwechselnd, flottierend
unter der Borte. Schuß rotes Baumwollgarn.
TRIBUS 35, 1986
Zerrnickel: Das ala-elek-kurte - eine Kleinkindschutzkleidung
aufgefädelter, glattpolierter Dattelkern auf, womöglich ein auf einer Mekka-
Pilgerfahrt mitgebrachtes Andenken und dadurch schon symbolisch geladen. Zwei
leicht deformierte Silberglöckchen, die bei jeder Bewegung des Kindes schellen,
bilden an der vorderen und hinteren Spitze des ala-elek-kurte den Abschluß. Die
aus der mongolischen Symbolik stammenden Glöckchen haben eine magische
Bedeutung, sie schützen den Träger vor Gefahren und den bösen Geistern.
Deswegen sind sie sehr beliebt als Kinderamulette und werden oft an den Schultern
und anderen ala-elek-kurte-Te\\en befestigt. Einzeln sind auch noch Silberschmuck-
teilchen aufgenäht, darunter ein kleines Silberblechdreieck als Abwehrmittel.
An den zahlreichen Nadelstichspuren und losem Aufnähgarn ist jedoch deutlich zu
erkennen, daß dieses Kleidungsstück ursprünglich wesentlich reichere Verzierun-
gen trug. Der Halsausschnitt, der Randabschluß des ala-elek-kurte und die Borten
der fünf aufgenähten Textilamulette sind mit fingergewebten, aus grünen, roten,
weißen, gelben Seidengarn-Schirazbändchen belegt und haben alle die gleichen
Jomud-c//ö/7-(Skorpion)Muster. Das Schirazbändchen (dzijak) wird von gleichzei-
tig arbeitenden Frauen durch Kreuzen der Kettfädenschiingen von Hand hergestellt
(Näheres darüber bei G. Dombrowski, 1976, S. 377). Die Kettfädenenden bilden
am Halsausschnitt und an der abgeschrägten Spitze Quasten. Das Bändchen dient
als Randabschlußgrenze gegen böse Einwirkungen (D. Fachretdinova, 1972, S. 12).
Die Ornamentik der Stickerei trägt allgemein einen floral-geometrischen Charak-
ter. Die roten Felder sind unterschiedlich bestickt. Die hintere Seite ist mit fünf
grünen und hellblauen Sternen oder Rosetten mit Dreiblattzweigen, »Vogelspu-
ren«, ornamentiert, die andere Seite mit Zweigen und stilisierten Lebensbäum-
chen. Beide Mittelfelder werden mit schmalen ornamentierten Jomud-cijan-
Mustern umrahmt. Die Textilamulette sind später auf die gestickten Felder aufge-
näht. Die grüne Bordüre zeigt ein fortlaufendes Zweigmuster butak auf.
Die Sticktechnik präsentiert einen locker ausgeführten, doppelt ineinandergreifen-
den Kettenstich (ilmedos oder kozime), einen groben Kettenstich (Urne), Anlege-
technik, Knopflochstich, Stielstich und an den Nähten der kleinen Dreieckamulette
einen Ziernahtstich. Das Stickgarn ist rote, weiße, schwarze, gelbe, hellblaue und
grüne Seide. Das ala-elek-kurte ist in dominierenden rot-grünen Farbtönen ausge-
führt.
Die sieben restlichen, in unserer Sammlung vorhandenen ala-elek-kurte sind in
ihrer Gestaltung ähnlich, haben aber alle ihren individuellen Charakter.
Eines ist zum Beispiel für ein größeres Kind (4-5 Jahre) gefertigt und hat eine
Kleidform mit offenen Seiten (Abb. 3). Es ist aus F16 Stoffreststücken in Patch-
work-Technik genäht und nicht bestickt. Dieses Stück hat Dreieckamulettklappen
und einen ovalen Halsausschnitt mit Schlitz auf der rechten Brustseite. Alle
Randabschlüsse sind mit roten Schirazbändchen belegt. Auf dem Rückenteil, den
Schulterklappen sind Menschenhaarbüschel und Zöpfchen aufgenäht, sieben Stück
auf dem Rücken, je drei Haarbüschel auf den Ärmeldreiecken. Auf dem Rücken ist
das mittlere Zöpfchen mit einem Plastikhaarspangenteil oben festgenäht. Die
Haarbüschel sind zum Teil die Ersthaare eines Kindes und möglicherweise Haare
einer besonders ehrwürdigen, sehr altgewordenen Frau oder gulpak-Zöpichen.
Ein anderes, sehr kleines ala-elek-kurte ist unseres Erachtens für ein Mädchen
genäht worden (Abb. 4a/b). Wie immer besteht es aus mehreren Stoffresten, die in
einem ungewöhnlichen Schnitt zusammengefügt sind. Das Rückenteil hat die Form
eines Quadrats mit an den Seiten angebrachten Dreieckamuletten. Das Vorderteil
- eine Trapezform - ist nach unten abgeschrägt. Die seitlichen Dreiecke sind an das
Vorderteil angenäht und mit zwei kleinen Perlmuttknöpfen und zwei Rosetten-
knöpfen aus Silberblech mit roten Glassteinen in der Mitte verziert. Der Halsaus-
schnitt - ein horizontaler Schlitz - hat an den Schultern zwei Kordeln und je einen
Plastikknopf. Dieses ala-elek-kurte ist mit geometrischen Mustern bestickt, seine
Randabschlüsse sind mit roten Schirazbändchen belegt und auf dem Rückenteil
sind vier Haar- und ein Vogelfederbüschel aufgenäht.
Ein drittes, auffallend kleines ala-elek-kurte prägt sich durch seine achteckige Form
ein und war offenbar auch für ein Mädchen bestimmt (Abb. 5). Es ist aus
113
TRIBUS 35, 1986
3
ala-elek-kurte für ein Kleinkind. Uzbeken,
Turkmenen, Tadziken. Maße: 57 x 56 cm.
20. Jahrhundert. Privat-Sammlung.
Grundgewebe: Tuchgewebe, grün, rot,
Köperbindung; Halbseide, rot, gelb, weiß,
schwarz gestreift; Leinwandbindung; Baum-
wolle, schwarz, braun, Atlasbindung, Lein-
wandbindung. Futter: Baumwolle, rot, grau,
mit rot-weiß und beige Blumen, Leinwand-
bindung. Ausführung: Patchwork, teilweise
bestickt. Sticktechnik: Steppstich,
Knopflochstich, Stielstich, Nahtzierstich,
Anlegetechnik. Garn: Seide, Baumwolle.
Farbe: weiß, schwarz, orange, kirschrot.
Dzijak-Schirazbändchen:
a) am Halsausschnitt und Seitenbrustschlitz;
Garn: Seide aus 12 kirschroten Kettfäden;
Schuß: rotes Baumwollgarn; Kante: eine ge-
drillte, schwarze Baumwollkordel mit rotem
Garn angeheftet.
b) an Seitenumrandung; Garn: Seide,
kirschrot aus 12 Kettfäden; Schuß: rotes
Baumwollgarn.
c) an Schulterdreiecken; Garn: Seide,
kirschrot und rot aus 8 Kettfäden; Schuß:
rotes Baumwollgarn.
4a + b
ala-elek-kurte für ein kleines Mädchen.
Turkmenen. Maße: 31 x 42 cm. 20. Jahrhun-
dert. Privatsammlung.
Grundgewebe: Halbseide, gelb, dunkel-
indigo, rot, lila, weiß und schwarz gestreift,
Leinwandbindung. Tuchgewebe, rosa, Lein-
wandbindung. Baumwolle, schwarz, Satin-
bindung, (Atlasbindung), Leinwandbin-
dung. Futter: Baumwolle, weiß, rosa,
schwarz, gestreift, Leinwandbindung.
Ausführung: Patchwork, teilweise bestickt.
Sticktechnik: Stielstich, Knopflochstich,
Nahtzierstich, großer Kreuzstich über die
Nähte. Garn: Seide, Baumwolle. Farben:
kirschrot, gelb, weiß, schwarz, dunkelbraun,
dunkelindigo. Verzierung: 2 Silberrosetten-
knöpfe mit je einem roten Glasstein, 2 Perl-
muttknöpfe, 2 große Plasteknöpfe, 4 Haar-
büschel mit rot-weiß-gelber Seide umwik-
kelt, 1 Vogelfederbüschel.
Dzijak-Schirazbändchen:
Garn: Seide, 12 kirschrote Kettfäden;
Schuß: kirschrotes Seidegarn.
114
Zerrnickel: Das ala-elek-kurte - eine Kleinkindschutzkleidung
115
TRIBUS 35, 1986
Stoffresten in Patchwork-Technik genäht, mit floral-geometrischen Mustern
bestickt und mit einem roten Schirazbändchen wie Webfransen verziert. Das ganze
ist in einem rot-blauen Farbton gehalten mit ovalem Halsausschnitt und Schulter-
schlitzen.
Alle drei oben beschriebenen ala-elek-kurte sind mit Baumwolle unterlegt.
Die Symbolik der ala-elek-kurte
Der Glaube an die Zauberkraft des Amulettwesens wurzelt in den altorientali-
schen, vorislamischen, teilweise noch schamanistischen, vom Islam übernommenen
Traditionen. Die Mehrheit der Frauen in den orientalischen Ländern sind aus dem
öffentlichen, offiziellen und politischen Leben ausgeschlossen und dadurch sind sie
allgemein sehr aktiv und mächtiger im Glauben an den bösen Blick als Männer.
Bedauerlicherweise haben in vielen Ländern bis in die Gegenwart hinein nur
wenige Frauen eine Bildung bekommen, als Ausnahme sind zwei/drei Frauengene-
rationen des sowjetischen Mittelasiens zu sehen. Obwohl seit Ende der 20er Jahre
die Aufklärung und der Materialismus mit dem sozialistischen Gesellschaftssystem
Fuß faßte, ist dort bis in unsere Gegenwart der Glaube an die magischen Kräfte
verschiedener Amulette und Talismane nicht ganz verloren gegangen, was zeigt wie
tief dieser Glaube im Bewußtsein der Menschen verankert ist.
In der orientalischen Welt fehlte auch oft die ärztliche Betreuung. Da die Sterblich-
keit der Kleinkinder unter den gegebenen Lebensbedingungen sehr groß ist, sind
die Mütter gezwungen, erfinderisch zu werden, was das Abwehramulettwesen
sowie die schütz- und glückbringenden Talismane betrifft. Daher ist es selbstver-
ständlich, daß die Frauen in ihren Heilpraxen viel einfallsreicher sind als Männer.
Die Vorstellungen der Frauen über die Heil-, Schutz-, Abwehr- und magischen
Mittel sind vielschichtig. Erst wenn man das »wilde Denken« und Empfinden der
Frauen ernst nimmt, kann man eine vernünftige Erklärung für Inhalt, Form,
Muster und Farbe der Kinderschutzkleidung und Amulette finden. Die Frauen
»wissen«, daß der erste Blick des Fremden, des Neiders, der gefährlichste ist,
deswegen muß das Amulett oder die ganze Schutzkleidung mit den Talismanen
einen blickfangenden und -lenkenden, auffälligen Charakter haben. Daraus ergibt
sich eine Erklärung, warum bei der Ausführung des ala-elek-kurte diese oder
andere Materialien, Schnitte, Formen, Muster, Farben verwendet werden und was
die zahlreichen, verschiedenartigen Schmuckstücke, Muscheln, Knöpfe usw. be-
deuten.
Es können Materialien sein, die als magisch wirkende Substanzen aus der unbeleb-
ten und lebendigen Natur kommen wie folgende anorganische Stoffe: Metall,
Spiegel, Glas, Stein, Salz, Sand, Erde, spitze, schneidende Gegenstände, Pfeil und
Bogen, Messer, Dolch, Axt, Sichel, Säbel. Wirksam sind aber auch organische
Stoffe wie Tier- und Menschenknochen und -haare, Tierzähne, Krallen, Vogelfe-
dern, Holz, Kauri- und Perlmuscheln, Korallen, Horn, Samen und Blätter des
Stechapfels, Kräuter, Wurzeln, Knoblauch, Pfeffer, Fruchtkörner u.a.m. Dazu
kommen viele symbolische Zeichen, arabische Schriften und Muster: Suren aus
dem Koran, geheimchiffrierte Ziffern, die in magische Quadrate eingeordnet sind,
abstrakte und naturalistisch ausgeführte Ornamente und geometrische Formen wie
Dreieck. Raute, Quadrat, Viereck, Kreis, Kreuzlinien, Swastika und Pfeile. Sie
sind in unterschiedlichen Kombinationen und Abwandlungen denkbar ebenso wie
florale Musterungen: Tulpe, der Granatapfel und seine Blüten, Mandelfrüchte und
-blüten, Mohnblüten, verschiedene Obstbaumblüten, Zypressen, Zweige verschie-
dener Pflanzen, darunter sehr verbreitet der Lebensbaum.
Man glaubt, daß die »blendenden« Eigenschaften von Spiegel, Metall und anderen
glänzenden Materialien jegliche bösen Einwirkungen abwehren. Daneben werden
das Auge »schädigenden« Elemente wie Salz, Hundehaare, Eisensplitter und
anderes zur Abwehr angewendet. Die bösen Geister azydaar und albarsty dringen,
wie man glaubt, durch die unbedeckten Körperöffnungen und Haare in das Innere
116
Zerrnickel: Das ala-elek-kurte - eine Kleinkindschutzkleidung
5
ala-elek-kurte für ein kleines Mädchen.
Turkmenen. Maße: 40 x 17 cm. Fransenlän-
ge: 9 cm. 20. Jahrhundert. Privatsammlung.
Grundgewebe: Halbseide, rot, weiß, blau
gestreift, Leinwandbindung; Baumwolle,
dunkelindigo, Köperbindung. Futter: Baum-
wolle, rote und weiße Blüten, Leinwandbin-
dung. Ausführung: Patchwork, teilweise
bestickt. Sticktechnik: Knopflochstich, Stiel-
stich, Anlegetechnik, Steppstich. Garn:
Seide, Baumwolle. Farben: rot, weiß, gelb,
grau, dunkelindigo, schwarz.
Dzijak-Schirazbändchen:
a) am Halsausschnitt: Garn: Seide, 12 graue
Kettfäden. Schuß: graues Seidengarn.
Kante: eine gedrillte kirschrote Seidenkor-
del, angeheftet mit rotem Garn.
b) an Seitenumrandung: Garn: Seide, aus 16
kirschroten Kettfäden. Schuß: kirschrotes
Seidengarn.
Fransen mit Webkante: Garn: Seide.
a) Webkante: kirschrot, weiß, indigo.
b) Fransen: kirschrot, indigo mit
kirschrotem Seidengarn angeheftet.
117
TRIBUS 35, 1986
6
ala-elek-kurte für einen Turkmenenknaben.
Tekke. Maße: 58 x 38 cm. 20. Jahrhundert.
Sammlung: Hermann Rudolph.
Grundgewebe: Tuchgewebe, rot, grün;
Baumwolle - dunkelblau, weiß gestreift,
Leinwandbindung; Futter: Baumwolle-
weiß; Sticktechnik: erweiterter Kettenstich
(kozime), Flachstich mit Überfang (basma),
Anlcgetechnik, Knopflochstich, Stielstich,
Steppstich; Garn: Seide, Baumwolle, Kup-
ferdrahtgarn; Farben: kirschrot, orangegelb,
zitronengelb, hell- und dunkelgrün, dunkel-
blau, weiß, schwarz.
Dzijak-Schirazbändchen:
a) Umrandung; Garn - Seide, grün,
kirschrot aus 16 Kettfäden,
je 4 kirschrote und 12 grüne.
b) An dem Halsausschnitt und den
dreieckigen Schulterklappen Garn-Seide,
kirschrot, grün, aus 16 Kettfäden,
je 4 grüne und 12 kirschrote.
Kordel mit Quasten, weißen, roten Glasper-
len und aus schwarzer Mastika mit weißen
Tupfen (»Augen«) Perlen. Garn: Seide,
Baumwolle. Farben: kirschrot, dunkelblau,
grün, weiß, schwarz.
118
Zerrnickel: Das ala-elek-kurte - eine Kleinkindschutzkleidung
des Menschen ein, weshalb man sie abdecken oder glänzenden Schmuck wie
Ohrringe, Nasenringe u. a. m. anbringen muß. Es sind dies Vorstellungen, die unter
vielen Völkern noch sehr lebendig sind.
Die naturalistischen Tier-, Vogel- und Insektendarstellungen oder ihre sehr abstra-
hierten, kaum erkennbaren Körperteile als Musterverzierung auf der Kleinkind-
schutzkleidung wie der Widder, Widderhörner, Vögel, Königsadler, Uhu, Skor-
pion, Eidechse, Schlange etc. haben eine »angreifende«, abwehrende Bedeutung.
Das geschieht nach dem magischen Grundsatz »Gleiches gegen Gleiches«.
Als ein gutes Beispiel für die ausgeführte Schlangenornamentierung kann das von
uns untersuchte ala-elek-kurte aus der Sammlung Hermann Rudolph dienen, das er
uns freundlicherweise zur Verfügung gestellt hat (Abb. 6). Es trägt auf dem
Rückenteil zwei mit den Köpfen zur Schulterpartie gerichtete, mit drohend geöff-
netem Rachen, naturalistisch aus Textilteilen genähte und gestickte Schlangen. Der
Schlangenkult war seit jeher bei vielen Völkern verbreitet und ist heute noch mit
der Kinderkleidung verbunden. Er ist unserer Meinung nach in der zoroastrischen
Legende über die Zwillinge Ahura Masda und Angra Mainju zu suchen.
Es gibt einen ganzen Komplex von abwehrenden, schütz- und glückbringenden
Mitteln, die auf mehreren Kleinkindkleidungsstücken angebracht werden. Dadurch
erhält die Kleidung auch selbst magische, symbolische Bedeutung. Dies sind für das
neugeborene Kind bis zum vierten/fünften Lebensjahr folgende Stücke: das Säug-
lingshemdchen und eine kleine Perlenkette, in deren Mitte eine aus schwarzer
Mastika mit weißen Tupfen »Augen« köz moncok, Perle aufgefädelt ist, die an das
Hand- oder Fußgelenk des Kindes angelegt wird. Solch eine Perlenkette ist sehr
beliebt und verbreitet, sie schützt den Träger vor dem bösen Blick.
Schon am dritten Lebenstag bekommt das Kind ein mit Stickerei und Amuletten
verziertes Mützchen tachja. Wenn ein Säugling schwach und kränklich ist, werden
auf seine Kleidung - tachja und ala-elek-kurte - immer neue Amulette angebracht.
Es kann der besonders hilfreiche, vielverwendete dagdan, serbab, asyk, doga,
dogadzyk, dolono oder ilistirik sein. Das ist ein aus Holz geschnitztes, flaches,
längliches mit Ornamenten verziertes figürliches Amulett. Der Baum, aus dessen
Holz es gefertigt ist, wird als Heiligtum mit magischer Auswirkung angesehen.
Dieser Baum (uzbekisch: arysteryk, kirgizisch: dolono) ist der Weißdorn (Crata-
egus), bei uns als großer Strauch bekannt, der dzanoza agac »Baum der Ahnen«
genannt wird.
Der dagdan kann aber auch aus Tier- und Menschenknochen hergestellt werden.
Nach den Vorstellungen der Turkmenen schützt er vor allem vor Krankheiten. Die
Uzbeken glauben, daß er den bösen Geist albarsty abwehrt. Die Kirgizen meinen,
er schützt das Kind vor dem Erschrecken.
Für viele Völker ist es besonders wichtig, das Schmuckstück eines Vorfahren, ein
Amulett aus einem Knochen oder Haare eines verstorbenen Vorfahren oder eines
Totemtieres zu besitzen, da man an eine Übertragung der Seelenkraft der Ahnen
glaubt, die den Lebenden stärkt und vor Gefahren schützt.
Als nächstes Schutzkleidungsstück der Kleinkinder ist das ala-elek-kurte zu sehen.
Das tachja und ala-elek-kurte werden von den Kindern solange getragen, bis sie
ihnen zu eng sind. Die Annahme, daß für jedes neugeborene Kind auch ein neues
ala-elek-kurte und tachja angefertigt wird ist nicht richtig, sie ist nur als Ausnahme
bei sehr Wohlhabenden bekannt. In der Regel werden diese Kleidungsstücke in
einer Großfamilie vererbt und deshalb von mehreren Kindern der Familie bis über
einige Generationen getragen.
Als alltägliche Schutzkleidung für Kleinkinder dient das Mützchen mit allen seinen
Amuletten und magischen Symbolen, weil das ala-elek-kurte nur zu bestimmten
Anlässen wie Festen, Besuchen und Krankheiten getragen wird.
Zu den beliebtesten, wirkungsvollsten und weit verbreitetsten Kinderamuletten
zählen die bestickten, seltener auch ohne Stickerei aus Textil und weichem Kalbsle-
der genähten Dreieckssäckchen tumar mit Koransuren, Salz, Heilkräutern und
magischen Wurzeln, Erde aus Mekka, mekeden, mit Ersthaaren eines besonders
gesunden, beliebten Kindes karyn cac gefüllt und der dagdan.
119
TRIBUS 35, 1986
u
<t? >
1-5
Schnitte für Kleinkinderschutzkleidung
ala-elek-kurte. Turkmenen.
Das häufig vorkommende Dreieck, ein uraltes und universales Symbol weiblicher
Fruchtbarkeit ist nicht nur ein weibliches, sondern auch immer ein männliches
Mittel der Gefahrenabwehr gewesen. Auch die Form des Amuletts - Dreieck,
Raute, Quadrat - hat schon allein für sich ohne Füllung eine Amulettbedeutung,
weil sich der magische Inhalt auf die Form überträgt.
Nicht nur die verschiedenen Substanzen haben abwehr-, schütz- und glückbrin-
gende Funktionen. Auch die Farbe, nicht das Material, kann magisch wirken. So
können z.B. die Karneol- und Türkissteine durch rote und blaue Glasperlen
ausgetauscht werden, die magische Wirkung, so glaubt man, bleibt aber bestehen.
Allein die gestickte Ornamentik, die direkt auf dem ala-elek-kurte mit der floralen
Musterbetonung wie Lebensbäumchen, Rosetten, Sterne, Zweige und die dominie-
rende rot-grüne Farbgebung symbolisieren schon den Wunsch der Mutter, ihrem
Kind ein langes, wohlhabendes, glückliches, hoffnungsvolles Leben zu sichern.
Die Universalität der Formen, Ornamentik, Farben, Amulette, Talismane des ala-
elek-kurte gibt den orientalischen Frauen die Möglichkeit, es immer wieder auf
beide Geschlechter umzufunktionieren. Wenn es für ein Mädchen gedacht ist, so
werden zusätzlich auf das vorhandene Kleidungsstück Kaurimuscheln, Uhufedern,
Haare, Zöpfchen und Münzen aufgenäht. Soll das ala-elek-kurte aber ein neugebo-
rener Junge tragen, so werden im Kleinformat Pfeil und Bogen, Axt, Dolch, Säbel
und/oder dzugde - ein Stückchen Kamelfell vom Knie oder Hals - aufgenäht. Dies
alles soll den Jungen mutig, stark, widerstandsfähig und tapfer machen.
Es gibt ein kirgisisches Sprichwort, das so lautet: ec klm elebej ösö bersin, was ins
Deutsche übersetzt bedeutet: »mag er darin so gedeihen, daß ihn keine bösen
Geister und bösen Blicke bemerken.«
Wie wichtig ein ala-elek-kurte für das gute Gedeihen und die Erziehung des
Turkmenenkindes ist, zeigt das aufschlußreiche Sprichwort eleksiz, d.h. ohne elek
groß geworden. Mit dem Wort eleksiz bezeichnen die Turkmenen jemanden, der
keine Ehrfurcht vor grauen Haaren zeigt, sich schlecht benimmt, laut und ungehal-
ten ist und eine mangelhafte Erziehung hat.
Die ata-Turkmenen kleiden manchmal ihre Kinder gleichzeitig in zwei-drei ala-
elek-kurte um wie sie sagen »das Kind soll als ernsthafter, wohlhabender, glückli-
cher Mensch heranwachsen«.
Auch bei einer Krankheit kann es geschehen, daß ein Kind mehrere ala-elek-kurte
übereinander gleichzeitig trägt.
120
Zerrnickel: Das ala-elek-kurte - eine Kleinkindschutzkleidung
6
gurama-kurte/turkmenisch,
kurak - kurty / Uzbeken.
7-9
Kleinkinderschutzkleidung,
kypcak - und Kungraduzbeken.
7: balagy sulukce
8: kukrakce, kükrakce
9: suwlyk
10-13
Kleinkindschutzkleidung. Tadziken. Iranier.
10: kurtai - cillagi, kurtai - sagak it - kujnak
(Uzb.), pirahünéi (irán.), kyrk, köjnök
(Kirg.)
11: oschurak - sinaband, sinebändi (iran.)
12: öomacai - gadoi, jaktaki - gadoi,
kalandari-coma, gäbaci (iran.)
13: kamsulca, icikca
10
14
Chinesisches Lätzchen, dou-dou
15
Kirgisisches Lätzchen kicinikej alzapkyö
16
Chanty- und Mongolenlätzchen
121
TRIBUS 35, 1986
Glossarium
al - (Nochurli turkm.) - böser Geist, der die
Frau im Puerperium, ihr Kind und den Bräu-
tigam bedroht
ala - (uzb., turkm., kirg.) - bunt, scheckig
albarsty, albasty - (uzb., turkm., kirg.) - ein
dämonisches, weibliches Wesen, das die
Frau im Puerperium und ihr Kind bedroht
und den Schlafenden würgt. Die bösen Strei-
che des albarsty sind in vierzig Bündelchen
gepackt. Puerperium (lat.) Wochenbett von
ca. 40 Tagen
arySteryk - (chiw., uzb.) - Weißdorn,
Hagedorn (lat. crataegus)
asyk - (turkm.) - Holz- oder Knochen-
amulett, Schaf- oder Ziegenknieknöchel-
chen
agaà - (uzb.) - Baum
azydaar, azdar - (uzb., turkm., kirg., tadz.,
iran.) - Drachen, Ungetüm
baia, balagy - (uzb., turkm., kirg.) - Kind,
Sohn
badam, badom, bodom - (iran., uzb., tadz.,
turkm., kirg.) - Mandelbaum, Mandelfrucht
band - (tadz.) - Binde, Band
basma - (uzb., kirg., turkm.) - Flachstich
mit Überfang
belincak, alwonc - (tadz.) - Holzwiege
besik - (uzb., kirg., besik-kaz., karakal.) -
Holzwiege
butak - (uzb., turkm., kirg.) - Zweig
cac - (uzb., kirg., turkm.) - Haare
calwar - (uzb.) - Hosen
capan - (kirg.) - Mantel
6asm - (tadz) - Auge
chalat - (iran., arab.) - mantelartige
Oberbekleidung der Bevölkerung
West- und Zentralasiens,
ehemaliges orientalisches Ehrenkleid
ällagi - (tadz., - eil) - vierzig, vierzigste
toma - (tadz.) - chalat, Mantel
éomacai, dzomacai - (tadz.) - kleiner chalat,
Mäntelchen
dagdan - (turkm.) - Holzamulett
dambal - (kirg., karakal.) - Hosen
doga, dogadzyk, dogadzik - (turkm.) -
Holz- oder Knochenamulett
dolono, dülona - (kirg., iran.) - Weißdorn,
Holz- oder Knochenamulett
dzanoza - (uzb.) - Ahnen
dzijak - (uzb.) - Schirazbändchen
dzugde - (uzb.) - Fellstückchen
von Hals- und Kamelknien
elek- (kirg., turkm.) - kein, noch nicht
gadoi - (tadz.) - Bettler
gawora, gachwora - (tadz.) - Holzwiege
gaworabandon, gachworabandon - (tadz.) -
Einbettungsfest
gäbaci - (iran.) - chalat, Mäntelchen
gulakeyn, kulakein, kulaksyn - (kirg., uzb.,
turkm., kaz.. karakal) - wattiertes Mützchen
mit Ohrenklappen
gulpak - (turkm.) - Haarbüschel oder kleine
Schläfenzöpfchen
gupi - (uzb.) - Mäntelchen
iciköa - (tadz.) - Pelzchen, Pelzweste
ilistirik - (uzb.) - Holz oder Knochenamulett
ilme - (uzb., turkm., karak.) - Kettenstich
ilmedos - (uzb., karakal.) - doppelter
ineinandergreifender Kettenstich
istan - (kirg.) - Hosen
it - (kirg., uzb., turkm.) - Hund
jaktaki - (tadz.) - chalat, Mantel
kalontari, kalandari - (tadz., uzb.) -
Schützender, Bezeichnung eines Mönches in
Turkestan
kamsulca, kamsulöai - (tadzv.) - Weste,
Jäckchen
karyn - (kirg.) - Leib, Mutterleib
kemzal, kemzil, kemzor, kemzul -
(kirg., turkm., kaz., uzb.) - Weste mit
kurzen Ärmeln
kirlik - (turkm.) - Schutzkleidung,
von kirle sich schmutzig machen
koynök, koylök, kuynak - (uzb., kirg.,
turkm., karakal., kaz.) - Kleid, Hemd
kolah - (iran.) - Kindermützchen
kozime - (turkm.) - doppelter
ineinandergreifender Kettenstich
köz - (kirg., turkm., uzb., kaz.) - Auge
kükrakee - (uzb.) - Hemdchen aus
Stoffresten
kurak - (uzb., kirg.) - Stoffreste
kurta, kurtai - (tadz.) - Hemd, Kleid
kurte, kurthe, kurty - (turkm.) - chalat,
Überwurfkleidung, Umhangkleidung
kyrk - (kirg., uzb., kaz., karakal.) - vierzig
mekeden - (kirg.) - Aus Mekka mitgebracht
moncok - (kirg., uzb., turkm.) - Perle
olly, ogul, uul - (turkm., kirg.) - Sohn
oschurak - (tadz.) - Lätzchen
ösor - (tadz.) - Hosen
öwselik - siehe kirlik
pirahänchi - (iran.) - Hemdchen
sagak - (tadz.) - Hund
sallancak - (turkm.) - turkmenische
Hängewiege, ein Kelim mit eingewebten
güljady-Mustern, Tekke, Jomud.
Hängewiege aus Filz-nochurli
salanmak, salan - (turkm., kirg.) - hängen,
herablassen
saba, sabi - (tadz) - Perle
salwar, salwor - (tadz., iran.) - Hosen
sapan - (karakal., kirg.) - chalat, Mantel
serbab, serbaa - (iran., turkm., ersari) -
Kleinod, siehe auch dagdan
sinaband - (tadz.) - Brustband;
sina = Brust, band = Binde, Band, Latz
sinebändi - (iran.) - Brustbinde, Latz
sopbasch - (turkm.) - Mützchen
suluköe - (uzb.) - Säuglingshemdchen
suu - (kirg., uzb., turkm.) - Wasser
suw - (kypeakuzb.) - Wasser
suwlyk, suwlik - (uzb.) - Lätzchen
tachja - (turkm.) - Mützchen
122
Zerrnickel: Das ala-elek-kurte - eine Kleinkindschutzkleidung
toj, tuj - (kirg., uzb., turkm., tadz.) - Fest
tumak, tymak - (uzb., kaz.) - Fellmützchen
turnar - (kirg., turkm., tumor - tadz., uzb.) -
Amulett
tuppi, topy, dopa - (tadz., kirg., ujgur)
Mützchen
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125
CHRISTIAN KAUFMANN
Maschenstoffe und ihre gesellschaftliche Funktion
am Beispiel der Kwoma von Papua-Neuguinea
Zusammenfassung:
Unter den primären textilen Techniken nehmen die Verfahren zur Herstellung von Maschen-
stoffen in Ozeanien eine Sonderstellung ein, die erst in groben Umrissen bekannt ist. Eine
Darstellung der Maschenstoff-Typologie in der Kultur der Kwoma leitet zur Beschreibung des
bisher nicht dokumentierten Verfahrens über, in dem Kwoma-Männer die Unterlagen herstei-
len, auf denen Schneckenschalen und Muscheln als Wertsymbole befestigt werden. Die Rolle
von Maschenstoffen, insbesondere des Zeremonialgelds, im Rahmen von bildhaften Zahlun-
gen wird aufgezeigt; diese erweisen sich als zentrale, die Struktur der Kwoma-Gesellschaft
stabilisierende Elemente.
1. Einleitung
Die verschiedenen Klassen und Variationsformen der textilen Techniken zeigen in
Ozeanien ein ganz spezifisches Bild der Verbreitung, das zu analysieren sich lohnen
würde. Noch am übersichtlichsten steht es mit der Weberei.1 Sie ist in einfachen
Formen auf einige Inselgruppen im Westen und im Zentrum Melanesiens
beschränkt und scheint dorthin aus Mikronesien und letztlich aus dem Kulturraum
von Indonesien bzw. Südostasien gelangt zu sein.
Demgegenüber haben die Polynesier das echte Weben wohl nicht gekannt. Aller-
dings warnen von den Maori stammende Schultermäntel und andere Umhänge mit
den komplexen taniko-Bändern vor einer allzu großen Vereinfachung der Betrach-
tung. Vielleicht läßt sich eines Tages eine Übereinstimmung der Ausbreitung von
echten Webtechniken und einzelnen Verfahren des Töpferns (Kombination des
Aufbauens aus Elementen mit dem Ausformen in Schlagtreibtechnik) in Ozeanien
nicht nur vermuten, sondern auch belegen.
Wesentlich schwieriger sind Verbreitung und Sonderentwicklungen des Flechtens
in Ozeanien zu deuten. Auf einen allgemeinen Nenner gebracht, läßt sich sagen,
daß geflochtene Behältnisse und andere Gerätschaften (insbes. Matten und Feuer-
fächer) in allen Inselgebieten und in den Schwemmlandgebieten Neuguineas Vor-
kommen. Das Flechten und Ausgestalten von Matten und Taschen hat in Teilgebie-
ten einen hohen Schwierigkeitsgrad erreicht (durchbrochen gearbeitete Teile,
Reserveverzierungen).
Das in den Schwemmlandgebieten Neuguineas zu beobachtende gleichzeitige Auf-
treten von geflochtenen Behältnissen wie Auswaschbehältern bzw. Tragtaschen
und von Sagoproduktion für die Ernährung gilt keineswegs durchgehend für alle
Teile der Insel. Die Bewohner der hügeligen Randzonen bewältigen die Herstel-
lung von Sagomehl auch ohne geflochtene Siebe und Taschen, kennen dafür aber
eine Vielzahl von Behältnissen und weiteren Ausrüstungsgegenständen aus
Maschenstoff - wie im übrigen auch die ganze Inland- und Bergbevölkerung
Neuguineas und einiger umliegender Inseln, z.B. Neubritanniens.
Neuguinea ist zusammen mit Australien und neben Südamerika so etwas wie das
Maschenstoff-Paradies2: Aus den Bastfasern tropischer Sträucher und Bäume, z.B.
Hibiscus, Gnetum gnemon u.a.m., gedrillte und meist auch verzwirnte Schnüre
bilden das Ausgangsmaterial für eine noch keineswegs systematisch erfaßte Vielfalt
von Produkten aus Maschenstoff. Die bekanntgewordenen Formen reichen von
127
TRIBUS 35, 1986
Abb. 1
Karte des Kwoma-Gebietes in Papua-Neu-
guinea. Eingezeichnet sind die Dörfer der
Kwoma (#), Mayo-Yassean, Nukuma und
Yelogu-Kaunga (O) sowie der Manambu
(A); ferner eine Exklave der Iatmul vom
mittleren Sepik (A) und die Regierungs-,
Schul- und Missionsstationen (O, ■).
kleinen Zaubertäschchen über Mehrzwecktaschen zum Tragen, die auch als Klei-
dungsstücke verwendbar sind, bis zu Fischnetzen, Tanzemblemen und Masken.
Das Bilum (melanesisches Pidgin für Netztasche) findet allerdings heute - in einer
Zeit, da die traditionellen Formen von industriell gefertigten Taschen verdrängt
werden - zunehmend Beachtung bei den Außenstehenden. In Neuguinea haben die
Einführung von farbigen Nylonfäden und von neuen Mustern zu einer gewissen
Bilum-Renaissance geführt.
Die Kwoma, ein kleines Pflanzervolk, das im Washkuk-Hügelland in der Nähe des
Sepikstromes lebt3, kennen im Unterschied zu den Iatmul am mittleren Sepik keine
geflochtenen Taschen. Ihnen fehlen auch die am Fluss beliebten und sowohl den
benachbarten Manambu als auch den Nggala am Oberlauf bekannten Schlafröhren,
die aus einem schlauchförmigen über Rotangbügeln aufgespannten dichten
Geflecht bestehen und in die sich früher zum Schutz vor den Moskitos ganze
Familien zwängten. Dagegen erreicht bei den Kwoma das Inventar der Objektty-
pen, die ganz oder teilweise in Maschenstoff-Technik hergestellt werden, einen
bemerkenswerten Umfang. Meines Wissens ist aus Neuguinea bis anhin noch kein
vielfältigeres Inventar beschrieben worden.4
128
Kaufmann: Maschenstoffe
Die Arbeit des Herstellens ist, nach den Kategorien geordnet, entweder Frauen-
oder Männerarbeit. Das von den Frauen zur Herstellung von z.T. verzierten
Netztaschen in der Regel angewandte Sanduhr-Verschlingen haben Annemarie
Kaufmann-Heinimann und der Verfasser 1973 mit Hilfe von Filmaufnahmen doku-
mentiert und beschrieben (Kaufmann 1980).
Im folgenden soll kurz dargestellt werden, welche Objekte aus Maschenstoffen,
nach einheimischen Kriterien geordnet, bis zum jetzigen Zeitpunkt nachgewiesen
werden konnten. Anschließend wird auf die bisher noch nicht beschriebene, 1983
etwas ausführlicher dokumentierte Technik der Männer eingegangen. In einem
weiteren Teil werden die Funktionen im Rahmen der Gesellschaft besprochen.
2. Die Maschenstoff-Typologie der Kwoma
Die Kwoma (früher auch Kuome geschrieben) deuten ihre, zum mindesten im
zentralen Dorf Saserman ko-ma gesprochene, Eigenbezeichnung als »Berg-Bewoh-
ner«, im Unterschied zu den Nuku-ma, den »oben«, d.h. am Oberlauf des kleinen
Flusses Menendjpa oder Gapa wohnenden »Leuten« im Nordwesten, und zu den
Kwala-ma, den »Faserschurz-Leuten«, die an den Ufern des Sepik wohnen und in
der Literatur als Manambu bzw. im Falle einer Exklave vom Mittelsepik als
Brugenaui-Iatmul bekannt geworden sind. Nun bedeutet ko in nicht zu unterschei-
dender Aussprache auch »Netztasche«, wird aber deutlich unterschieden von kou,
einer wichtigen Yams-Varietät (Dioscorea esculenta). Ko-ma könnte also - wofür
allerdings keine Bestätigung einheimischer Informanten vorliegt - genausogut auch
»Netztaschen- bzw. Maschenstoff-Leute« heißen. Wir müssen diese Frage einstwei-
len offen lassen. Eine Netztasche ko besteht aus komil, Netztasche - Augen, also
Maschen.5
2.1 yakin ko: Band aus einer einzigen, z.B. 142 cm langen Maschentour, in
seitlich verhängtem Sanduhrverschlingen.
Es wurde früher zusammen mit weißer Körperbemalung von Frauen als
Trauerzeichen getragen.
Bestückt mit Kaurischnecken (ässamänggar) kann das Band, doppelt oder
mehrfach geschlungen, als festlicher Hals- und Brustschmuck getragen, aber
auch am Kultaltar der yenn-Gemeinschaft schnurartig aufgespannt werden.
Bei der Übergabe von Brautpreisen dienen vergleichbare Bänder als zentrale
Tragschnüre; letztere sind allerdings meist dichter und stabiler geschlungen
(kein Beleg untersucht, vgl. Abb. 36 zu 2.21).6
2.2 wä:kö oder einfach ko: Die persönliche Tasche von Männern und Frauen wird
in der Technik des Sanduhrverschlingens (d.h. des mehrfach verhängten
Verschlingens) hergestellt. Sie ist etwa 20 bis 35 cm hoch (ohne Tragband)
und ungefähr ebenso breit. Sie weist als Verzierung einfache farbige Streifen
auf, die auf der Rückseite beim Ende des eingefärbten Fadens aufhören.
Früher waren für festliche Gelegenheiten auch engmaschigere, reicher und
beidseitig verzierte Taschen in Gebrauch (Abb. 4). Dieser Typ dient zur
Aufbewahrung von Gebrauchsgegenständen (früher insbes. des persönlichen
Löffels aus Kokosschale) und Genußmitteln, z. B. Areca-Nüssen, Betelblätter
bzw. Betelpfeffer sowie der Behälter - früher aus Kürbis und heute aus Blech
-, die mitgetragen werden zur Aufbewahrung des gebrannten Kalkpulvers,
das für den Betelgenuß unerläßlich ist.
Männer tragen ihre Tasche über eine Schulter gehängt an der Seite, Frauen in
der Regel, aber nicht ausschließlich, über die Stirn gehängt auf dem Rücken.
Diese Taschen können in der Größe deutlich variieren; die Verzierung
beschränkt sich auf einfache horizontale Farbstreifen sowie - seltener - auf ein
ä-jour-Band am Rand oder auf eine als Rippe sich abzeichnende Maschen-
reihe in abweichendem Verfahren (einhängendes Verschlingen). Das Sand-
129
TRIBUS 35, 1986
Abb.3
Kleine Tasche für Gebrauchsgegenstände,
wa:ko [2.2] - vgi. Abb. 27, Höhe 33 cm
(ohne Tragband).
Abb. 4
Alte Festtasche für Gebrauchsgegenstände,
wa:ko [2.2], Höhe 35 cm, 48 feine Maschen-
touren.
Abb. 2
Einfaches Band, yakin-kö [2.1],
Gesamtlänge 142 cm.
Abb. 5
Festliche Tasche mit Schneckenschalenbe-
satz, yänahkö [2.3], Höhe 16,5 cm (Tasche),
56,5 cm (mit Tragband).
uhrverschlingen findet sich als Grundtechnik an allen Taschentypen (mit
Ausnahme von Typ 6). Der Randabschluß kann variieren; gelegentlich sieht
man auch Kordelverschlingen (vgl. Abb. 21-23).
2.3 yänahkö: Die persönliche Tragtasche mit aufgenähten Nassa-Schneckenscha-
len (ya) sowie angehängten bzw. aufgezogenen Konusböden, Kaurischnek-
ken, Perlen aus Muschelmaterial und Glas etc.
Nach meinen Beobachtungen vor allem von angesehenen älteren Frauen bei
Kultfesten und zeremoniellen Anlässen getragen, aber nicht ein spezifisch
fraulicher Ausrüstungsgegenstand.
2.4 ikapa wollo ko, auch kis(si)kö: Die offene Tragschlinge für Neugeborene
(ikapa, Kind) wird über der Schulter (nicht über die Stirn) getragen, so daß
das Kind bei Bedarf an die mütterliche Brust gerückt werden kann.
Sanduhrverschlingen, aber quer angeordnet, so daß eine hängemattenartige
Form entsteht, bei der der Hauptteil durch Aufreihen der überflüssigen
Maschen zum Tragband verengt wird.
Die Tragschlinge aus Maschenstoff ist in den vergangenen Jahrzehnten durch
Tragtücher aus Baumwollstoff ersetzt worden.
2.5 kwähsagakö: Die normale Tragtasche unterschiedlicher Größe (kleine
Variante: kirganda k.) kann je nach Geschmack unverziert oder verziert sein.
Bei der Rückkehr aus dem Garten hängt diese Tasche mit kürzerem Tragband
meist über der Hauptlast und enthält dann Gemüse, ein paar Zuckerrohrab-
schnitte, heute auch Maiskolben oder Papayas u.ä.m. Diese Taschen dienen
auch dem Transport von Kleinkindern zwischen Wohnung, Pflanzung, Sago-
sumpf und anderen Aufenthaltsorten. Dabei trifft man die Kinder meist
schlafend. Taschen mit schlafenden Kindern hängen zuweilen auch an einem
Baum oder an einem Hausvorsprung.
2.6 mbarapkö, noukulakö, häufig auch salakö: Die durch die Anordnung grober
Maschen gegliederte (mbarap) Tasche für das Herbeitragen (la, holen) der
feuchten Klumpen von frischgewaschener Sagostärke (nouku, Sago), die zu
diesem Zweck in Kokospalmbast (saa) eingehüllt wird. Diese Taschen weisen
meist entweder große Maschen auf, die in der Technik des doppelt durchste-
chenden Verschlingens angelegt sind oder Durchbrüche, die durch Einfügen
nur einfach verhängter Maschen beim Sanduhrverschlingen entstanden sind.
Das Tragband ist wie üblich in Sanduhrverschling-Technik angefertigt, wobei
die Maschen wiederum quer zur Bandrichtung verlaufen.
2.7 pöndekö: Die große Tragtasche, deren ganze Last an der Stirne (ponda) der
Trägerin hängt. Diese Taschen sind meist durchgehend in Sanduhrverschlin-
gen angefertigt und dienen zur Beförderung von umfangreichen Traglasten.
Dazu gehören in erster Linie Knollenfrüchte (Yams, Taro) und weitere
Pflanzungsprodukte (Bananen, Kürbis etc.). Große und mittelgroße Tragta-
schen dienen auch als Vorratsbehälter; zu diesem Zweck werden sie im Innern
130
TRIBUS 35, 1986
Abb.7
Tragtasche, kwähsdgakö [2.5]. Höhe 47 cm
(immer ohne Tragband).
Abb. 8
Grobmaschige Tragtasche für Sago,
mbärapkö [2.6], Höhe 56 cm.
Abb. 9
Tragtasche für Sago, nöukulakö [2.6],
Höhe 38 cm. Das Tascheninnere ist mit
weißem Papier gefüllt, um das Maschenbild
deutlicher hervortreten zu lassen.
Abb. 10
Große Universaltragtasche,pönddkö, [2.7],
Höhe 50 cm, Basislinie 105 cm.
2.8
des Hauses an einen hölzernen Haken gehängt, der seinerseits mit einer Liane
am Dach befestigt ist. Eine kleine horizontale Scheibe aus Palmmaterial sperrt
den kleinen Ratten den Zugang.
hicapdsägalakö: Die besonders große, meist grobmaschige Tragtasche zur
Beförderung von Feuerholz (hicapssagd). An derselben Tasche finden sich
Kaufmann: Maschenstoffe
Abb. 11
Maschenbild zur Tasche von Abb. 8:
Einfach verhängte Zwischenmaschen
bei Sanduhrverschlingen.
Abb. 12
Maschenbild zu Tasche von Abb. 9:
Doppelt durchstechendes Verschlingen
Abb. 13
Tragtasche für Feuerholz, hicapasägslakö
[2.8], Höhe 65 cm, Basislinie 170 cm.
Einzelne Partien sind in Sanduhr-
verschlingen, andere in doppelt
durchstechendem Verschlingen gearbeitet.
Abb. 14
Große Tragtasche, ndöpalakö [2.9],
Höhe 73 cm, Basislinie 180 cm.
zuweilen Sektoren mit verschiedenen Maschenarten (Sanduhrverschlingen
bzw. doppelt durchstechendes Verschlingen). Die Frauen tragen aus der
Pflanzung bzw. aus den von ihnen anderweitig genutzten Waldparzellen
regelmäßig große Lasten von aufgesammeltem Brennmaterial nach Hause.
2.9 ndöpalakö: Der größte Taschentyp dient zum Transport von Dachziegeln aus
den Blattwedeln (ndopp) der Sagopalme. Früher fiel diese Aufgabe den
Männern zu. Dieser Taschentyp weist ausgelegt, aber nicht aufgespannt eine
Basislänge von 180 cm und mehr auf.
2.10 hisäu pondakö: Die Riesentragtasche; sie ist als Tragtasche wegen ihrer
übermenschlichen Proportionen nicht verwendbar. Sie spielt auf die mythi-
sche Ebene an und wurde daher in Meno-Saserman als Abdeckung auf einem
133
TRIBUS 35, 1986
Abb. 15 Abb. 16
Riesentragtasche, hisaupönddkö [2.10], Gemusterte Tasche zur Verwendung
Höhe 135 cm. Die ausgestreckte Basislänge als Tanzschild, cigdkö [2.11],
mißt 285 cm. mit Lianenring zum Aufspannen,
Höhe 65 cm (vgl. Abb. 71).
Yams- und Figurenaltar beim yena-Fest verwendet. Es ist nicht auszumachen,
ob sie von Männern hergestellt worden ist (dies die Aussage; die Fäden dazu
wollen die Hersteller auf ihren Fußsohlen statt auf den behaarten Oberschen-
keln selbst gedrillt haben) oder von alten Frauen (dies eine nicht unwahr-
scheinliche Vermutung).
2.11 ci(gd)kö: Der Tanzschild der Frauen besteht aus einer gemusterten Netzta-
sche, die in der Regel wesentlich länger als breit gearbeitet ist und nur ein
kurzes Tragband aufweist. Alle bekannten Taschen sind in Sanduhrverschlin-
gen hergestellt. Die Verzierungen variieren, bauen sich aber alle aus z.T.
gegeneinander versetzten, rechteckigen farbigen Feldern (cigd, Benennung
dieser Musterart, keine klare Deutung erhältlich) auf. Farbige Linien, die auf-
und absteigen, sind teils durchgezogen, teils schachbrettartig aufgelöst. Als
Zickzacklinien wurden sie entweder als soa, Wind oder als ao, Blattstengel
des Zuckerrohrs gedeutet. Die häufigste Kombination von Schachbrettmu-
stern und farbigen Bändern (Abb. 16-18) wurde entweder mit der Gesamtbe-
zeichnung cigd belegt oder als nggeitäpd, Extremitäten einer kleinen Echse
(nggei) gedeutet. Eine Variante dieses Musters, bei der die farbigen Fäden
ihre Maschenreihe nur im Bereich des Schachbrettmusters kurz verlassen,
wird abuso manggdr, Rücken des abuso-Vogels (mit weißen Federn) genannt.
Die mit Hilfe einer Liane zum Tanzschild aufgespannten Taschen werden von
den Frauen zum Tanzen entweder über dem Kopf gehalten und im Rhythmus
ihrer Schritte hin- und herbewegt, oder sie hängen sich die aufgespannte
Tasche über den Rücken, zumal dann, wenn sie beim Tanzen ein Kleinkind
auf dem Arm tragen. Beim mindja-Fest soll der Anblick der gemusterten
Taschen die körperlich anwesend gedachten Geistwesen (sikilawas) erfreuen.
2.12 äbuseikö: Die mit schwarzen und z.T. mit weißen Vogelfedern verzierte
kleine Tasche, die von Männern bei Festen als Schmuck auf dem Rücken
getragen wird, wobei das Tragband über die Stirn gelegt wird. Die Taschen
sind in Sanduhrverschlingen angefertigt. Die schwarzen Federn von Krontau-
ben (abuneindj), Kakadu (absara) und Kasuar (abusambo) sowie die des
weißen Kakadu (abul) und des Namengebers (abuso/abusei, nicht identifi-
ziert) werden in die Maschen eingehängt und durch Einstecken der umgebo-
134
Kaufmann: Maschenstoffe
Abb. 19 und 20 (unten)
Mit Vogelfedern verzierte kleine Netz-
taschen, äbuseikö [2.12], links mit Krön
taubenfedern, rechts mit Kasuar- und
Kakadufedern, Höhe 33 cm und 44 cm.
Abb. 17 und 18 (oben)
Tanzschildtasche, cigdkö, [2.11],
links Vorderseite, rechts Rückseite,
Höhe 52 cm.
genen Kielspitzen in den Kiel gesichert. Nach Aussagen von Gewährsleuten
sollen früher nur die erfolgreichen Töter im Krieg zum Tragen des abuseiko
berechtigt gewesen sein; dazu paßt, daß sich zeitgenössische Träger noch
immer das Gesicht mit schwarzer Farbe einschmieren.
135
TRI BUS 35, 1986
Abb. 21-23 Randabschlüsse
21 Sanduhrverschlingen,
seitlich in der 2. Masche
verhängt, wie an Tasche
von Abb. 20.
22 Kordelverschlingen.
23 Normalfall: Oberste
Maschentour in separatem
Band in Gruppen eingehängt.
Abb. 24
Handfischnetz aus
Maschenstoff, mähkö [2.13],
Länge 157 cm.
Abb. 25
Schmuckband, unter dem Knie
getragen, yätemkö [2.14],
Länge 29 cm.
2.13 mähkö, auch malla: Das Handnetz für den Fang von kleinen Fischen,
Flußkrebsen etc.; der Rahmen besteht aus einer gebogenen Liane. Das
taschenförmige Netz ist in Sanduhrverschlingen hergestellt und mit einer um
den Rahmen gewickelten Schnur wird in der obersten Tour Masche für
Masche aufgefaßt.
Das Handnetz wird von Frauen und Mädchen gebraucht; zur Aufbewahrung
des Fanggutes dient ein auf dem Rücken angehängter Behälter aus dem
Hüllblatt einer Palme.
136
Kaufmann: Maschenstoffe
2.14 yätemkö: Die Kniebänder, die beim ersten Auspflanzen von Yams vom frisch
initiierten Pflanzer getragen werden. Die beiden vorhandenen Belege sind in
der Technik des einfachen Verschlingens mit Einlage angefertigt, die aber
auch als ko bezeichnet wird (yatd, Bein); die herabhängenden Zotteln sind
yatdmkwala, Knie-Fransen(schurz).
Abb. 26
Kwoma-Frau bei der Rückkehr zum Wohn-
haus mit Feuerholz, Gartenprodukten und
Arecanüssen.
Abb. 27
Mann mit Tragtasche für persönliche
Effekten (größere Variante).
Im folgenden werden die meist mit Nassa- und Kaurischneckenschalen bestückten
Maschenstoffunterlagen von Zeremonialgeld (ya, 1. Sonne, 2. weiße [Nassa-]
Schneckenschale, 3. Geld) behandelt. Diese sind in den Museumssammlungen oft
gar nicht oder nur schlecht vertreten, weil sie in der Kwoma-Gesellschaft auch
heute noch intensiv gebraucht werden.
2.15 Großer Zeremonialgeldlappen, säwama: Das ganz große, meist gerundete,
rautenförmige Zentralstück (Länge etwa 60 cm und mehr) jeder Zahlung von
Zeremonialpreisen. Die Bedeutung der Bezeichnung ist nicht geklärt. Männer
stellen in ihrer zweiten Lebenshälfte jeweils das Hauptstück der nach ihrem
Tode und nach dem Tod ihrer Frauen fälligen Trauerpreise selbst her. Die
Frauen nähen die Schneckenschalen eigenhändig auf.
Die Herstellungstechnik kann als Einhängen mit Überspringen von Reihen
bzw. als mehrfach verhängtes Verschlingen definiert werden (für Einzelheiten
s. u. im Abschnitt über die Herstellung). Auf die Maschenstoffunterlage
137
TRIBUS 35, 1986
Abb. 28
Yessomari mit ¿awama-Maschenstoff-
unterlage [2.15] beim Aufnähen
der Nassaschalen.
Abb. 29-31 (rechts)
29 Zeremonialgeldlappen, sävayä [2.16],
Länge 71 cm.
30 Brustschmuck, bänggeyä [2.17],
Länge 31 cm.
31 Zeremonialgeldband, wägenyä [2.18],
Länge 108 cm.
werden zugeschliffene Nassaschneckenschalen aufgenäht. Die Schnecken-
schalen wurden früher von den benachbarten Manambu am Sepik eingehan-
delt.
2.16 Mittlerer und kleinerer Zeremonialgeldlappen, sävayä (die Kategorien 16-20
werden auch als kdteyä zusammengefaßt): Diese Form besteht bei den
Kwoma in der Regel aus einer rautenförmigen Maschenstoffunterlage mit
aufgenähten Nassa- bzw. Kaurischneckenschalen. Es finden sich heute auch
aus dem Küstengebirge eingehandelte oder dort direkt eingekaufte Formen,
bei denen die Muschel- und Schneckenschalen auf einer Kokosbastunterlage
(wa) montiert sind. Die am Fluß benachbarten Manambu stellen ebenfalls
Zermonialgeld auf identischer Maschenstoffunterlage her.7 Dieselben Stücke
finden bei Kwoma-Festen auch als Stirnschmuck Verwendung.
2.17 Brustschmuck, banggeya: Zum Teil durchbrochen gearbeitete Maschenstoff-
unterlagen, die eine bandartige oder auch eine figurativ-kopfähnliche Form
haben. Sie werden von großen Männern (harpa ma) als festlicher Schmuck,
früher auch als Kriegsschmuck getragen.
2.18 Breites Zeremonialgeldband, wäganya: Beobachtete Variationsformen haben
unten in einem Tierkopf geendet und oben einen kleinen, haubenförmigen
Fortsatz besessen; sie konnten so als Rückenschmuck getragen werden. Ob
das für die normalen Bänder - sie sind bei Zeremonialpreiszahlungen beson-
ders zahlreich vertreten - auch gilt, weiß ich nicht. Als Herkunft wurden für
diese Form die Manambu angegeben.
2.19 Schmales Zeremonialgeldband, paiko: Mit Kaurischnecken besetztes Zere-
monialgeldband, das von den Kwoma hergestellt wird.
2.20 Einfache Kaurischnecken- bzw. Konusbodenreihe, putiya bzw. missa wasa\
Ein Band aus Schnur geschlungen, in dessen Maschen die einzelnen Schnek-
kenschalen eingehängt sind.
2.21 Einfache Geldschnur, matu: Die mit Kaurischnecken (assamanggar, »Hunde-
rücken«) besetzte Schnur bildet beim Brautpreis das Verbindungsstück zwi-
schen den Einzelteilen. Sie ist mehrere Meter lang.
138
Kaufmann: Maschenstoffe
TRIBUS 35, 1986
Abb. 36
Schmale Zeremonialgeldbänder, paiko
[2.19] sowie die horizontal ausgelegte
einfache Geldschnur, matu [2.21]
als Teil eines Brautpreises.
Abb. 38
Perlmuttschale als Brustschmuck
mit Fassung aus Maschenstoff, nyei [2.22],
Breite 19 cm.
Abb. 37
Einfache Konusbodenkette, missa wasa
[2.20], Länge 32 cm (geschlossen);
die Elemente sind in Maschen gefaßt.
Abb. 39
Nasenschmuck aus Maschenstoff mit Nassa-
besatz und eingesetzten Eberhauern [2.23],
Länge 18 cm.
140
Kaufmann: Maschenstoffe
Andere Schmuckformen, die nur teilweise für zermonielle Zahlungen verwendet
werden, aber einen aus Maschenstoff gefertigten Teil besitzen, sind bei den Kwoma
sehr beliebt.
2.22 Halbmondförmiger Perlmuttbrustschmuck, nyei: In den zugespitzten Enden
der Muschelscheiben finden sich Bohrlöcher, an denen Maschenstoffbügel
befestigt sind. Diese weisen z.T. zusätzlichen Schneckenbesatz auf und lassen
sich im Nacken der Trägerin oder des Trägers schließen.
2.23 Nasenschmuck, ibi-kwalyep (?): Sowohl einzelne Männer, deren Nasenschei-
dewand durchbohrt worden ist, als auch ausgewählte Kultfiguren trugen bei
festlicher Gelegenheit einen die Nase verlängernden Schmuck. Er besteht aus
einem dichten Maschenstoffbügel, auf den Nassaschalen aufgenäht sind.
Zusätzlich ragen seitlich manchmal Schweinehauer heraus.
3. Herstellungsverfahren
Es werden zwei Grundverfahren so beschrieben, wie sie zum Teil mehrfach
beobachtet worden sind. Aufgrund des in den Museumssammlungen untersuchten
Materials besteht eine erstaunliche Gleichförmigkeit, ohne daß im Einzelfall Varia-
tionen (und - sehr selten - Fehler) auszuschließen wären.
3.1 Verhängte Masche und unbegrenzte, kreisförmige Tour: Das Verschlingen als
Frauenarbeit
Da die grundlegende Beschreibung des Verfahrens, in dem Frauen Netztaschen
herstellen, an schwer zugänglicher Stelle (Kaufmann 1980) bzw. fehlerhaft (Kauf-
mann 1982) publiziert worden ist, sei hier das Wichtigste, ergänzt um je einen
Abschnitt über die Beschaffung des Rohmaterials und über das Färben, wiederholt.
Abb. 40
Nggai'uk von Meno-Saserman.
3.1.1 Vom Beschaffen des Rohmaterials bis zum Drillen und Zwirnen der Fäden.
Für die Anfertigung von Maschenstoffen werden meines Wissens bei den Kwoma
zwei Rohfaserarten {mandja) verwendet: Der Bast des Gnetum gnemon-Strauches
(oder eher -Baumes, kw. mangüsa, pd. tulip), dessen Blätter als wichtige, protein-
haltige Zuspeise verzehrt werden, sowie der Bast einer Hibiscus-Art.
Beide Pflanzen werden in der Nähe der Siedlungen und auf nicht direkt für
Pflanzungen benutzten Waldparzellen in genügender Zahl gehegt. Die erstgenann-
141
TRIBUS 35, 1986
Abb. 41
Gewässerter Bast von Hibiscus-Rinde als
Ausgangsmaterial für die Fadenherstellung,
Länge 40 cm.
Abb. 42
Verzwirnen und Verdrillen des
Fadenmaterials auf dem Oberschenkel.
Abb. 43
Fadenvorrat in Schnüren von 2,5 m bis 5 m
Länge über Kokosschale aufgewickelt,
Höhe 12 cm.
ten Bastfasern gewinnt man durch Abziehen der Rinde von der Pflanze und durch
anschließendes Herauslösen der Faserschicht. Die Hibiscusrinden dagegen müssen
nach dem Ablösen zuerst einige Tage im Wasser eingelegt werden, was gewöhnlich
an einer sumpfigen Stelle geschieht. Dann können die Fasern durch Schlagen
herausgelöst werden. Aus Hibiscusfasern wird eine feinere, geschmeidigere Faden-
qualität gewonnen.
Bei der Fadenherstellung sind keine Unterschiede festzustellen. Die Bastfasern
werden von der Herstellerin in länglichen Streifen auseinandergezupft. Aus dem
losen Haufen ergreift sie die gewünschte Anzahl und Menge und beginnt, auf dem
Oberschenkel die Fasern durch Rollbewegung mit der rechten Hand zu einem
Faden zu verdrillen. Soweit beobachtet werden Drillen und Zwirnen im gleichen
Arbeitsgang kombiniert8. In der ersten Arbeitsrichtung vom Körper weg werden
die Fasern zu mindestens zwei parallelen kurzen Fäden verdrillt, in der rückläufigen
Bewegung diese zu einem einzigen Faden mit einem Durchmesser von etwa 1 mm
142
Kaufmann: Maschenstoffe
verzwirnT. Durch beliebig wiederholtes Ansetzen weiterer loser Fasern kann im
Prinzip ein Faden von beliebiger Länge hergestellt werden. Dieser läßt sich dann
auf eine Kokosschale zum Fadenknäuel aufrollen. Häufiger beobachtet wurde das
Herstellen von etwa 2,5 m bis 5 m langen Fäden, die dann bei der Anfertigung von
Maschenstoffen im Bedarfsfall einfach an das Ende des jeweiligen Arbeitsfadens
angedrillt werden.
3.1.2 Farben und Färben
Den Kwoma standen vor der Eröffnung von kleinen Verkaufsläden verschiedene
einheimische Farbstoffe zur Verfügung. Die Farbskala umfaßte damals und auch
heute das Beige der ungefärbten rohen Schnüre (mandjd sumbd). Als nächstes
kannte man ein Rotbraun bis Braun (nämbu). Diese Farbe wurde aus einer Wurzel
(Curcuma?) gewonnen. Mit einem Messer wurden Schabsei erzeugt, die man dann
mit Wasser und gebranntem Kalk angerührt hat. Das entstehende kräftige Rot
wurde mit Hilfe von kleinen Päckchen aus Hüllfasern der Arecanuss direkt auf den
fertigen Faden übertragen. Dabei hat man nur die für das gewünschte Muster
benötigte Länge eingefärbt.
Für die Herstellung der blauen Farbe (keli, eigentlich schwarz) wurden zwei
Rezepte angegeben. Vom Baum kelisanap (nach meiner Erinnerung eher ein
Busch) nimmt man die kleinen, dunkelblauen Früchte. Damit wird der Faden
wiederum direkt eingerieben. Oder aber man gewinnt vom mächtigen Baum
ukwime, draußen im Wald, die nötigen Rindenstücke, schneidet diese in Streifen
und legt sie zusammen mit den zu färbenden Fäden in ein zum Behälter aufgeboge-
nes Palmhüllblatt. Aus einem Tontopf wird kochendes Wasser darüber geschüttet.
Die Fäden bleiben etwa zwei Tage darin liegen und werden anschließend an der
Sonne getrocknet.
Eine an einzelnen Taschen festgestellte bräunliche Farbgebung soll im Originalzu-
stand grün gewesen sein (die Honggwama kannten beim Malen in der Fläche auch
ein Grün, das wesentlich aus den Schabsein einer Bambusart bestand). Für diese
Farbe hat man aus der Frucht mocan3gdr, d. h. aus dem Malayischen Apfel
(Eugenia malaccensis oder Yambosa gomata) die Kerne entnommen, zerkleinert
und mit gebranntem Kalk vermischt.
Das Übertragen der modernen Pulverfarbstoffe erfolgt in traditioneller Weise: Das
Pulver wird in das Bastfaserbündel gegeben, die Herstellerin der Netztasche spuckt
darauf und reibt dann den an der großen Zehe aufgespannten Faden damit ein.
3.1.3 Das Herstellen einer Tragtasche
Das Schlingen der Netztasche beginnt am zukünftigen Taschenboden10. Die Frau
verknotet einen kurzen Faden zu einem Ring und legt sich diesen über das gebeugte
rechte Knie. An diesem Hilfsfaden knüpft sie das eine Ende des Hauptfadens vor
der Bildung der ersten Masche fest. Dann kreuzt sie mit dem losen Fadenende den
eben festgeknüpften und mit der Haltehand (ihrer linken Hand) leicht angespann-
ten Faden, steckt das Arbeitsende von unten durch den Hilfsring und zieht den
Faden nach. Erst von der Bildung der zweiten Masche an folgt der Vorgang einem
fest eingeschliffenen Verhaltensmuster und läuft so schnell ab, daß man mit den
Augen kaum zu folgen vermag.
Die Grundschlaufe A der vorangehenden Masche (Ml) ist bei Beginn um den
vierten und fünften Finger der Haltehand zu einem weiten Bogen aufgespannt, die
Grundschlaufe B am Hilfsfaden (bzw. später in der vorhergehenden Maschentour)
eingehängt. Nun wird das lose Fadenende umgeknickt und so versteift. Die neue
Masche (M2) wird gebildet durch:
- Einhängen des Fadenendes mit der Arbeitshand (rechte Hand) von unten in die
vorangehende A-Schlaufe.
- Einhängen von oben in die B-Schlaufe.
- Einhängen von unten in den Hilfsfaden (bwz. in die vorausgehende Maschen-
tour).
143
TRIBUS 35, 1986
Abb. 44a-d
Schematische Darstellung der
Abläufe bei der Bildung der
ersten kurzen Maschenreihen;
Sanduhrverschlingen, auch seit-
lich verhängtes Verschlingen.
Abb. 45 Abb. 46
Angefangene Arbeit, zu Demonstrations- Der Hilfsfaden wird über das Knie gestülpt.
zwecken ausgelegt, Breite ca. 30 cm.
- Nachziehen des Faden und definitive Ausformung der vorangehenden Masche
(Ml). Diese hat nun ihre endgültige Form, nämlich die einer sanduhrförmigen
Doppelschlaufe erreicht - daher der Name Sanduhrverschlingen.
- Beim Nachziehen des Fadens wird die Schlaufe A der neuen Masche (M2)
ausgezogen und um die Spannfinger der Haltehand gelegt. Nun kann wiederum
eine neue Masche, hier die dritte (M3) geformt werden (Abb. 44a). Im Prinzip
wiederholen sich diese Vorgänge bis zur zweitletzten oder 8409. Masche (8410
Maschen hat eine mittlere Tasche mit 29 Touren zu etwa 290 Maschen).
Allerdings beachten die Kwoma-Frauen aufgrund ihres über Generationen überlie-
ferten praktischen Wissens noch einige weitere Regeln:
Kaufmann: Maschenstoffe
1. Die erste Maschentour wird am Hilfsring nicht ringförmig zu Ende geführt,
sondern vorerst nur bis zum Umkehrpunkt (in der schematischen Zeichnung Abb.
44d mit I gekennzeichnet). Dort wird die Arbeit gewendet, und die erste Maschen-
tour wird durch Einhängen des Arbeitsfadens am Hilfsfaden sowie in den B-
Schlaufen der vorher gebildeten Maschen wieder zum Ausgangspunkt zurückge-
führt (Abb. 45, 46). Ist dieser erreicht, darf der Knoten am Fadenanfang gelöst
werden. Anfang und Ende des Fadens werden miteinander verdrillt, und damit ist
der ringförmig geschlossene Hilfsfaden überflüssig geworden. Aus praktischen
Gründen wird er aber erst später entfernt.
2. Meist wird noch vor der Beendigung der ersten Maschentour eine zweite Reihe
begonnen. Soll die Tasche verziert werden, so steigt die Zahl der parallel zueinan-
der in Arbeit befindlichen Touren auf sieben und mehr an (Abb. 45). Alle beginnen
mit einem vorläufig nötigen Knoten, der später beim Schließen der jeweiligen Tour
aufgelöst werden kann. Meist werden, wie ein Blick auf fertige Taschen zeigt, in der
Tat Anfang und Ende verdrillt.
3. Das Anlegen der Muster beruht auf zwei Prinzipien. Zum einen werden die
bereits angedrillten Fäden auf die für das jeweilige Muster benötigte Länge
eingefärbt. Dies geschah wie erwähnt früher mit Pflanzenfarben, heute mit impor-
tierten Farbstoffen. Zum anderen werden die Touren treppenartig auf- und abstei-
gend und sich zum Teil überkreuzend geführt. So entstehen gegeneinander ver-
setzte horizontale Farbbänder, kombiniert mit schachbrettartig in der Diagonale
gegeneinander verschobenen Farbrechtecken (Abb. 47).
4. Damit sie beim Arbeiten den entstehenden Maschenstoff waagrecht vor sich
liegen haben, hängen die von uns beobachteten Frauen den Hilfsfaden über das
gebeugte Knie. Später wird dieser Hilfsring durch eine Schlaufe ergänzt, die es der
Frau erlaubt, die entstehende Tasche bei gestreckten Beinen an den Zehen
einzuhängen. Beim Komplettieren der ersten Maschentour am Hilfsfaden entsteht
bereits eine Faltung. Diese wird an der wachsendenen Tasche bis zuletzt beibehal-
ten, ja durch an der offenen Seite zusätzlich angebrachte Hilfsfäden noch verstärkt.
Den Abschluß der Arbeit an einer Netztasche bildet das Auffassen der letzten
Maschentour duch den horizontal geführten Randabschluß (meist ebenfalls in der
Technik des Sanduhrverschlingens, aber mit kürzeren Maschen) und dessen Wei-
terführung und Ausformung zu einem Tragband. Ein Knoten verbindet die beiden
letzten freien Fadenenden. Nun können sämtliche Hilfsfäden und Halterungen
gelöst werden. Durch Umstülpen gelangt die bisherige Außenseite ins Innere.
Abb. 47
Fadenverlauf an einer in Sanduhr-
verschlingen hergestellten gemusterten
Taschen: 7 Maschentouren sind gleichzeitig
in Arbeit.
145
TRIBUS 35, 1986
3.2 Eingehängte Masche und begrenzte Tour: Das Einhängen als Männerarbeit
Wie oben dargestellt stellen die Frauen »ihre« Maschenstoff-Artikel alle nach dem
Prinzip der zur Tour geschlossenen Maschenreihe in Verschling-Technik her.
Abgesehen von Hilfsfäden, die dem vorübergehenden Aufreihen der Grundtour
oder dem auf die Dauer der Bearbeitung beschränkten Festhalten von Teilen
großer Taschen dienen, kommen sie dabei ohne Werkzeuge aus. Auch das
Maschenmaß (zuweilen beispielsweise im Hochland von Neuguinea verwendet)
kennen sie nicht.
Etwas anders sieht es bei den Arbeiten der Männer aus. Anstelle eines flexiblen,
ringförmigen Hilfsfadens verwenden sie ein kleines Stäbchen von begrenzter
Länge, um die erste, seitlich begrenzte Maschenreihe anzulegen. Zum Durchstek-
ken des endlosen Fadens durch die Maschenbogen benützen sie oft eine Knochen-
ahle oder sogar eine behelfsmäßige Knochennadel. Da die Maschen dicht angezo-
gen werden, erübrigt sich auch hier die Verwendung eines Maschenmaßes.
Die flachen Maschenstoffunterlagen werden bei rautenförmigem Umriß von der
Mitte zu den Enden hin gearbeitet; in der Breite gleichbleibende Bänder können
dagegen vom einen Ende (noch ohne Randabschluß) zum anderen gearbeitet
werden. Immer wird zu Beginn - nach Aussage von Männern, die diese Technik
noch beherrschen, bzw. gemäß den sowohl 1966 wie 1983 vorgeführten Verfahrens-
abläufen - eine einfache Reihe von Maschenschlaufen auf das Hilfsstäbchen, z. B.
die Rippe eines Palmblattstreifens, aufgereiht (einfaches Verschlingen). Die näch-
ste Verrichtung besteht darin, den fortlaufenden Faden durch jeden zweiten freien
Maschenbogen der Grundanordnung hindurchzuführen. Von nun an wird stets von
links nach rechts gearbeitet, wobei das Stäbchen als das vorläufig untere Ende der
Arbeit in der linken Hand ruht. Am Ende jedes Maschendurchgangs muß die
Arbeit gewendet werden.
Der Ablauf bleibt sich stets gleich: Der aus der vorherigen Reihe aufsteigende
Faden wird auf der Seite 1 von vorne über den äußersten Maschenbogen links
geführt, steigt hinten über diesen und den darunter liegenden, also über zwei Fäden
ab, wird von hinten durch den betreffenden Maschenbogen durchgestoßen, tritt auf
der Vorderseite heraus, steigt vorn über zwei Fäden auf und hinten über zwei ab,
wird durchgestoßen und wiederholt das Aufsteigen über zwei sowie das Absteigen
über zwei Fäden über die ganze Breite des anzufertigenden Maschenstoffes. Am
Ende des Durchganges wird die Arbeit gewendet. Seite 2 liegt nun oben. Wiederum
wird von links nach rechts gearbeitet. Allerdings tritt der Faden nun hinten aus
(letzter Durchstich der vorherigen Reihe nun auf der hinten liegenden Seite 1),
steigt hinten auf und vorne ab und wird schließlich von vorne nach hinten durchge-
stochen u.s.w. bis zur nächsten Wendung.
Schon nach dem dritten bis fünften Durchgang beginnen sich auf den Seiten 1 und 2
alternierende Rippen oder Stege abzuzeichnen. Diese entstehen ohne weiteres
Zutun des Herstellers dadurch, daß in die jeweils zuerst weiten Schlaufen im
einhängenden Verschlingen der nächste Fadendurchlauf eingezogen wird. Dabei
wird nicht nur vertikal jeweils in die zweite Reihe eingehängt, sondern auch
horizontal jeweils eine Masche übersprungen. Es entsteht ein dichtes Maschenge-
füge. Die Rippen bilden sich in der Linie der verdichteten Kreuzungspunkte,
alternierend auf der Vorder- und auf der Rückseite. Bei breiteren Arbeiten wird es
schon bald notwendig, mit der Ahle oder der Nadel jeweils die richtigen Maschen-
schlaufen vor dem Durchstechen freizulegen. Das Prinzip der Maschenbildung
bleibt sich allerdings immer gleich. Allfällige, bei der Bildung der Masche began-
gene Fehler werden entweder sofort korrigiert oder beim nächsten Durchgang
durch zusätzliches Übespringen von Fäden ausgeglichen.
Terminologisch ist bis heute unklar, was als Masche, was als Tour und was als
einfache Reihe anzusprechen sei. Die einzige anerkannte Autorität auf dem Gebiet
der Maschenstoff-Systematik, Annemarie Seiler-Baldinger, schwankt zwischen den
beiden erarbeiteten Interpretationsmöglichkeiten hin und her11. Eine von ihr analy-
sierte Maschenstoff-Unterlage für Zeremonialgeld der Kwoma hat sie als im
146
Kaufmann: Maschenstoffe
Abb. 48
Mauramis zeigt, wie die Arbeit zu beginnen
ist.
Abb. 49
Seimes arbeitet an einer savvama-Unterlage
mit einer Knochennadel.
H^ÜaeeeeeQL
Abb. 50
Einhängen mit Überspringen
von Reihen, schematische
Darstellung des Anfangs
in fünf Stufen.
147
TRIBUS 35, 1986
/X
Abb. 51
hervortretenden Maschenschlaufen. Am
Detailliertes Maschenbild (vgl. Abb. 32 und oberen wie am unteren Rand ist in Bildmitte
33) ober- und unterhalb der Mittelkante. der Moment des Zusammenführens von drei
Dunkel hervorgehoben sind die als Rippen Rippen in zwei erreicht.
Abb. 52
Die seitlichen Fortsätze
(vgl. Abb. 33) sind zum Teil aus
einfachen Maschenreihen gebildet.
Abb. 53 und 54
Fortsatz ohne bzw. mit aufgereihten
Nassaschalen.
mehrfach (z.B. 14fach) verhängten Verschlingen hergestellt (Kaufmann 1980: 14)
bezeichnet.
Die Beobachtung des Arbeitsvorganges, und insbesondere die Tatsache, daß der
Faden jedesmal über die ganze Breite des Werkstückes wandert, legen allerdings
die Interpretation nahe, es handle sich um ein Einhängen mit Überspringen von
Reihen (Seiler-Baldinger 1973: 6), wobei jeweils die zwei benachbarten Schlaufen
(oder Maschen) übersprungen werden. Wir hätten aus dieser Sicht pro Durchgang
eine einfache Maschenreihe oder Tour von begrenzter Länge vor uns.
Die Gegendefinition würde die auf einem Durchgang angelegten Windungen als zu
einer einzigen Masche gehörig bezeichnen. Diese Masche würde gebildet im
Verfahren des mehrfach verhängten Verschlingens, auch eingehängtes verhängtes
Sanduhrverschlingen genannt. Doch scheint mir diese zweite Deutung reichlich
unhandlich zu sein, ergäbe sich doch bei den rautenförmigen Geldunterlagen, daß
an ein und demselben Stück Maschen von verschiedener Länge aufträten.
Ein Vorzug der geschilderten Technik ist es, daß den fertigen Maschenstoffen
mindestens zweidimensional, in Ansätzen sogar dreidimensional eine fast beliebige
Form verliehen werden kann. In der Praxis scheinen nur symmetrische Formen
aufzutreten. Durch wiederholtes, bewußtes Weglassen von Maschen an der jeweils
gleichen Stelle des Durchgangs kann die Zahl der Maschenstege reduziert und die
Breite des Maschenstoff-Werkstückes damit verringert werden. Die Anfertigung
von plastisch verdickten Teilen, etwa in Form von Tierköpfen, ist zwar belegt,
konnte aber nicht beobachtet werden.
Erst nach der Fertigstellung der ganzen Unterlagen werden in der Regel die in
bearbeiteter Form eingehandelten Nassaschneckenschalen (yassiya) aufgenäht. Es
sind auch Varianten belegt, bei denen die Schalen beim Verschlingen auf den
Faden aufgezogen in die Maschen eingebaut wurden (Abb. 54).
Die Herstellung der Unterlagen erfolgt oft in den ruhigeren Randstunden, zum
Beispiel während des Aufenthalts im Männerhaus, wo man sich zum Gedankenaus-
tausch trifft.
148
Kaufmann: Maschenstoffe
4. Die Verwendung von Maschenstoff-Artikeln im Alltag
und im Zeremonialleben
4.1 Überblick
Auf die im Alltag unentbehrlichen Tragtaschen der unterschiedlichsten Größen
und auf weitere Gebrauchsgeräte, z.B. das Handfischnetz, braucht hier im einzel-
nen nicht mehr eingegangen zu werden (vgl. o.S. 130ff.). Wer mit dem Bild von
Netztaschen schleppenden Frauen in Neuguinea vertraut ist, wird auch bestätigen
können, daß in der Regel nicht eine Tasche allein, sondern mehrere gleichzeitig
getragen werden. Beim Transportieren von Lasten werden die Traghenkel stets
über der Stirn (und nicht über der Schulter) angehängt. Diese Tragweise wurde
früher nach Aussage von Einheimischen auch von den Männern beim Schleppen
der Dachziegel oder anderer großer Lasten angewandt; heute fehle beim männli-
chen Geschlecht das dafür erforderliche Training der Nackenmuskeln.
Abb. 55
Fast täglich suchen die Kwoma-
Frauen die Pflanzungen auf; hier
wird Blattgemüse eingepackt.
Bemerkenswert ist die Übereinstimmung von Typen, die sich aufgrund formaler
Kriterien in der Analyse ergeben haben, mit den unterschiedlichen Benennungen in
der einheimischen Sprache, die ihrerseits auf unterschiedliche Funktionen ver-
weisen.
Was die Verwendung von Gegenständen des Alltags im Zeremonialleben anbe-
langt, so läßt sich hier diese Übereinstimmung erwartungsgemäß weniger deutlich
feststellen. Die mit Schneckenschalen- und Muschelschmuck besetzte persönliche
Tasche der einflußreichen (»großen«) Frau (harpa mirnd) oder des »großen«
Mannes (harpa ma) hat sowohl Schmuck- als auch Symbolcharakter und erfüllt
gleichzeitig eine praktische Aufgabe als Tragbehälter für persönliche Ausrüstungs-
gegenstände.
Die gemusterten Taschen mit Traghenkel können in ganz unterschiedlichem
Zusammenhang verwendet werden. Sie unterscheiden sich nicht grundsätzlich von
den zum Tragen verwendeten Taschen, es sei denn durch die Feinheit und kompli-
149
TRIBUS 35, 1986
ziertere Gliederung der Verzierung (gegeneinander versetzte Farbfelder anstatt
durchlaufender Farbstreifen). Behängt mit Ovulaschalen und leicht gespannt mit
Hilfe eines kurzen Lianensegmentes wird die Tasche zum Geschenk, das ein Mann
dem Schwager (mowei) bei bestimmten Gelegenheiten über die linke Schulter
hängt.
Etwas größer sind die Taschen {ponddko, mit farbigem Streifen), die der vorüber-
gehenden Aufbewahrung des Brautpreises dienen. In ihnen werden die Wertstücke
für die zeremonielle Übergabe herbeigeschafft und vor dem Haus des Vaters der
Braut oder seines Rechtsvertreters aufgehängt. Einzig der Umstand, daß die
Öffnung vernäht ist, weist zusammen mit dem angesteckten Paradiesvogelbalg
jeden Außenstehenden deutlich auf die Funktion hin. Größenmäßig und formal
bedeutsamere und damit eindeutigere Unterschiede zeigen sich im Grunde nur bei
jenem Taschentyp, der - aufgespannt mit Hilfe einer Liane - als Tanzschild der
Frauen verwendet wird, sowie bei der Sonderform, die in Saserman zum Bedecken
der Kultaltäre benutzt worden ist.
Gibt es weitere Anhaltspunkte dafür, wie die Maschenstoffprodukte im Rahmen
der Kwoma-Kultur einzuschätzen sind?
In bescheidenem Umfang finden Netztaschen, parallel zu Tontöpfen, Verwendung
als Teile der Brautaussteuer. Diese Objekte werden dem neugegründeten Haushalt
von den Verwandten der Frau mitgegeben. Die Zahlung des Brautpreises dagegen
erfolgt in Zeremonialgeld.
Nach dem Tode einer erwachsenen Person wird eine Trauerpreiszahlung fällig. Bei
diesen Anlässen werden jeweils sowohl mehrere, meist wenig gebrauchte Netzta-
schen als auch ungebrauchte Tongefäße zusammen mit Werkzeugen und Geräten
(auch importierten) an die Familie der Mutter des oder der Verstorbenen überge-
ben. Einen mindestens ebenso wichtigen Teil der Gabe bildet, wie im Brautpreis,
das Muschel- und Schneckenschalengeld, das fast immer auf Unterlagen aus
Maschenstoff aufgezogen ist.
Maschenstoffartikel sind also wie Tongefäße nach unserem Verständnis aufgrund
ihrer Dauerhaftigkeit und der investierten Ressouren (Arbeitsleistung, Rohstoffe)
auch Kapitalgüter. Verweilen wir daher noch einen Augenblick bei den unge-
brauchten Netztaschen und Tontöpfen. Letztere sind, wenn es sich um Kochtöpfe
handelt, meist von Frauen hergestellt, wenn es sich um Vorratstöpfe oder Zeremo-
nialtöpfe handelt, allerdings auch ein Produkt männlicher Töpferarbeit. Die Netz-
taschen dagegen sind ausschließlich das Ergebnis weiblicher Arbeit und werden mit
recht großem Aufwand neben den Tätigkeiten im Haushalt, im Sagosumpf und in
der Pflanzung zu Hause hergestellt. Für eine mittelgroße, wenig verzierte Tasche
sind etwa dreißig bis vierzig Arbeitsstunden aufzuwenden. Diese Arbeit wird meist
in den Tagesrandstunden erledigt. Die Übergabe von mehreren Netztaschen (bis zu
rund 15 pro Anlaß) und Tongefäßen (etwa 10, aber auch 30 und mehr) an die
Familie der Mutter des oder der Verstorbenen ist nach Aussagen einheimischer
Gewährsleute Teil des Gesamtzweckes der Übergabe eines Trauerpreises.
Aus der Heiratsbeziehung ergeben sich ganz spezielle Rechte und vor allem
Pflichten, insbesondere zwischen dem Mutterbruder (manggapa, genannt maem)
und dessen Schwesterkindern, seinen Nichten und Neffen (ruoi). Diese Verpflich-
tung, die sich aus der Leistung ihrer Mutter, insbesondere aus der Ernährung der
Kleinkinder an ihrer Brust, aus dem Sauberhalten der Kleinkinder usw. ergeben,
werden durch die Endzahlung in Zeremonialgeld nach Auffassung der Einheimi-
schen abschließend geregelt.
Durch die neben der Übergabe von Wertsymbolen, also gleichzeitig erfolgende
Präsentation von Kapitalgütern aus eigener Produktion oder, heute auch, aus
käuflich erworbener Industrieproduktion werden dagegen die Arbeitsleistungen
der Mutter für den Klan des Vaters und für seine Haushaltsgemeinschaft abgegol-
ten. Dabei reicht das Spektrum der mütterlichen Aufgaben von der Arbeit in der
Pflanzung bis zur Herstellung von Gebrauchsgegenständen für den eigenen
Gebrauch sowie für den Kapitalverkehr. Es hat sich nämlich aufgrund von stich-
wortartigen Erhebungen der Verdacht erhärtet, daß ein wesentlicher Anteil (ver-
150
Kaufmann: Maschenstoffe
mutlich mehr als die Hälfte) der angefertigten Netztaschen und Tongefäße gar nicht
in der eigenen Haushaltung verwendet wird, sondern daß diese Artikel primär in
die Reserve und von dort durch den Tausch ungebraucht in andere Haushaltungen
gelangen. Der Begriff der Autarkie, der tatsächlich praktizierten Selbstversorgung,
darf somit nur beschränkt auf die Kernfamilie angewandt werden; er trifft darüber
hinaus auch für den Klan der Kwoma nicht zu.
Diese Feststellung führt uns ins Zentrum der lokalen Gesellschaftsordnung. Für das
Folgende ist unter »Klan« in der traditionellen, heute durch das Siedeln in zusam-
menhängenden Dörfern teilweise durchbrochenen Lebensordnung der Kwoma die
patrilineare landbesitzende Abstammungsgruppe zu verstehen.
Diese Gruppe (gekennzeichnet durch das Suffix -mu zum Klannamen) wird in der
gelebten Realität ihrer einzelnen zusammenwohnenden Patrilinien (gekennzeich-
net durch die Benennung des Signalzeichens auf der Schlitztrommel) erweitert um
die zugeheirateten Frauen - es herrscht Virilokalität - und vermindert um die
weggeheirateten Töchter. Allerdings behalten in beiden genannten Kategorien von
Frauen alle Individuen aufgrund der eigenen Abstammung auch ihre Zugehörigkeit
zum Geburtsklan bei.
Die Grundstruktur der Gesellschaft der einzelnen Kwoma-Siedlungsverbände (aka-
kopa) - hier Dörfer genannt, obwohl damit die früher radikale Verstreuung in
Weiler (akama) verdeckt wird - verdeutlicht sich in den realen Tauschbeziehungen
zwischen gleichberechtigten, exogamen und patrilinearen Abstammungsgruppen.
Sie sind Teil eines Weltbildes, dem, anders als bei den Iatmul am mittleren Sepik,
der abstrakte Gedanke der koordinierten Hälftenteilung (Himmel/Erde, Licht/
Dunkelheit, oben/unten, Fluß/Land, Wasser/Erdboden etc.) fremd ist. Werden
dort die Klane einzeln einer der beiden Hälften zu- und damit untergeordnet, so
bilden hier die auf ihrem Territorium siedelnden Klane das grundsätzliche Ord-
nungsprinzip selbst.
Zwischen diesen nur im Bereich der Nahrungsbasis (Sago, Knollenfrüchte, Gemüse
und andere Zuspeisen) einigermaßen autarken Gesellschaftsgruppen werden alle
sonst noch zum Leben unerläßlichen Elemente wie Frauen, Dienstleistungen (auch
religiöse), Nutzungs- und Pflegeansprüche, Kapitalgüter und Zeremonialgeld ver-
schoben oder, wenn man will, getauscht.
Das Zeremonialgeld wird eigens für den Zweck dieses Tausches hergestellt; es
dient der Darstellung der Tauschbeziehungen und damit der Umsetzung der
gesellschaftlichen Grundstrukturen in bewußte Lebensformen. Diese Wertsymbole
sind aber nicht nur präsent in den zeremoniellen Tauschhandlungen, die öffentlich
zwischen Abstammungsgruppen stattfinden, sondern auch im Denken der Männer
und Frauen als Individuen. Dort symbolisieren sie die eingegangenen Verpflichtun-
gen und Ansprüche, die die betreffende Persönlichkeit im eigenen Namen sowie in
dem ihrer Bezugsgruppe an andere stellen dürfen, ja müssen. Eigene Schulden und
eigene Ansprüche können in Einheiten dieser Wertobjekte berechnet werden,
wobei es nicht bloß auf die Summe, sondern auch auf die Qualität der Teilbeträge
ankommt - wie in einem symbolischen System nicht anders zu erwarten. Ausste-
hende Forderungen können nicht auf dem Weg der Verrechnung beglichen werden.
Die von der Überlieferung vorgeschriebenen Übergaben müssen stattfinden, kön-
nen zum Teil aber zu mehrschichtigen Ereignissen verknüpft werden (s.u.).
Folgt man dem Weg dieser Wertsymbole, so gewinnt man einen direkten Einblick
in das Gesellschaftsgefüge. Dazu sollen die Abläufe der Überreichung von
Maschenstoff-Wertsachen - soweit entweder beobachtet oder durch Erzählungen
von Gewährsleuten anderweitig dokumentiert - im folgenden kurz skizziert
werden.
4.2 Brautpreis
Die einheimische Benennung lautet mimsya katoa, «Frau-Zeremonialgeld-Hin-
und hergeben/knüpfen» (bezogen auf Vereinbarungszeichen wie Knotenschnüre);
dies wird unterschieden von tokoa, kaufen.
151
TRIBUS 35, 1986
Der Ablauf gliedert sich in:
1. Das Zusammentragen des Brautpreises
2. Das Auslegen zur Kontrolle durch die Geber
3. Die Übergabe in der Netztasche
4. Die Kontrolle durch die Empfänger
5. Die Bestätigung: Das Essen für die Preisgeber, d.h. für die Frauenempfänger
6. Die interne Verteilung der Wertsachen unter den Empfängern.
Wie leicht zu erkennen ist, kulminiert der Vorgang in der Übergabe des Brautprei-
ses und der symbolischen Gegengabe des Essens; die restlichen vier Elemente
gliedern sich symmetrisch in eine Vorbereitungs- oder Zusammentrag-Phase und
eine Aufbereitungs- oder Verteilphase. Die Übergabe des Brautpreises folgt der
Haushaltsgründung und Eheschließung mit einiger Verzögerung nach12; in den
beobachteten Verhältnissen hatten die jungen Frauen bereits mindestens ein Kind
geboren. Der Ablauf bleibt sich im Prinzip nach Auskunft der Gewährsleute auch
bei der Bestätigung einer späteren zweiten und dritten (Parallel-) Ehe desselben
Mannes gleich. Allerdings besteht dort verstärkt die Tendenz, einen möglichst
großen Anteil des Brautpreises im engsten Kreis (Ego und Bruder) aufzubringen13.
Im folgenden berichte ich über eigene Beobachtungen aus den Jahren 1966 und
1972/73 und werte Informationen der Gewährsleute aus14.
4.2.1 Das Zusammentragen {ya layak, ya pondarombd kdtsk)
Dieser Anlaß spielt sich im Gehöft der Eltern des Bräutigams in Form einer
Zusammenkunft der patrilinearen Verwandten, der Freunde und Alterklassenka-
meraden (naramboil) des Bräutigams sowie allfälliger weiterer Interessierter ab.
Die Wertsachen aus schalenbesetztem Maschenstoff werden an einem Palmblatt-
stengel aufgehängt. Dazu wird dieser horizontal am oder vor dem Wohnhaus
befestigt. In den Blattstengel werden feine Stäbchen aus Palmblattrippen oder
Bambus eingesteckt und daran von den Besitzern die beigesteuerten Wertstücke
einzeln aufgehängt. Die Frage, wer wieviel zur Zahlung beiträgt, läßt sich leider
nicht mit der gewünschten Präzision beantworten. Als Geber treten verschiedene
Angehörige der Patrilinie, des Patriklans, aber auch der Muttersbruder des Bräuti-
gams und dessen Altersklassenkameraden auf. Wichtig ist das große, den Boden
bedeckende Stück {ko somo), das aus der väterlichen Generation kommen soll und
für die Mutter der Braut bestimmt ist.
Wenn die Grundsumme zusammengebracht worden ist, die sich in der Regel auf ca.
50 bis 80 Einheiten (also Einzelstücke unterschiedlicher traditioneller Gewichtung)
beläuft, werden die Wertgegenstände in eine Netztasche verpackt. Dabei ist darauf
zu achten, daß ein weiteres großes Stück (.sawama) als Mundbedeckung der Tasche
(ko tagdr sod) - es soll vom Bräutigam stammen - nicht fehlt. Vor dem Einpacken
oder in einem gesonderten Arbeitsgang werden die einzelnen Einheiten an einer
langen, mit Kaurischnecken bestückten Geldschnur (matu) angebunden {ya katd).
4.2.2 Das Auslegen zur Kontrolle durch die Geber
Kurz vor der Übergabe des Brautpreises wird wiederum beim Gehöft des Vaters
des Bräutigams oder des Bräutigams selbst die lange Schnur mit allen Teilen des
Brautpreises aufgespannt. Daran werden vor den Augen der patrilinearen Ver-
wandten und der Freunde die Einzelstücke, unter anderem vom Bruder des
Bräutigams, mehrfach gezählt15. Die Reihe wird auch um weitere, neu hinzugekom-
mene Stücke ergänzt.
Dann wird die Tragschnur mit den daran hängenden Stücken sorgfältig eingewik-
kelt und in einer großen Netztasche plaziert. Dies geschieht auf dem besonders
großen, bereits erwähnten Bodenstück; die Ladung wird mit einem ebenso großen,
mit dem Besatz nach unten eingepackten Mundstück (es können auch zwei sein)
zugedeckt. Anschließend wird die Öffnung der gemusterten Netztasche mit einem
Stück Faden oder Liane sorgfältig vernäht. An der Tasche wird ein Paradiesvogel-
balg befestigt, als ein im Mythos verankertes Symbol für das Auffinden der Frau
und die Heirat. Unmittelbar anschließend oder am nächsten Tag begibt sich die
Gruppe, einschließlich der Braut und des Bräutigams zur Übergabe-Zeremonie.
152
Kaufmann: Maschenstoffe
Abb. 56
Zusammentragen eines
Brautpreises: Die einzelnen
Stücke von Zeremonialgeld
hängen an eingesteckten
Sagoblattrippen oder
Bambusstäbchen.
Abb. 57
Die Befestigungsstäbchen dienen
im weiteren als Erinnerungshilfen.
Abb. 58
Brautpreisbilum kurz nach der Ankunft
im Gehöft des Brautvaters.
4.2.3 Die Übergabe (ya lei yi)
Die Gruppe mit dem Bräutigam wird beim Betreten des Gehöftes des Brautvaters
vom Wehklagen einiger unsichtbarer Frauen empfangen. Sie stammen aus dem
Klan der Mutter der Braut. Wir haben auch erlebt, daß die Mutter der Braut in
weißer Trauerbemalung anwesend war.
Die Netztasche mit dem Geld wird vor dem Haus des Vaters der Braut an einem
eigens befestigten Haken von den Gebern weithin sichtbar aufgehängt. Die Mutter
des Bräutigams und die Mutter der Braut (oder deren Vertreterinnen) setzen sich in
die Nähe der Tasche; auch der Muttersbruder des Bräutigams ist anwesend.
4.2.4 Kontrolle durch die Empfänger {ya homoici)
Anschließend wird der Preis von den Empfängern, d. h. dem Vater, dem Vaters-
Bruder und dem Bruder der Braut öffentlich ausgebreitet und nachgezählt. Die
agierenden Empfänger stammen in einem vielgliedrigen Klan direkt aus der vom
Großvater der Braut ausgehenden Patrilinie. Weitere Klanmitglieder sind selbst-
153
TRIBUS 35, 1986
Abb. 59
Der Mutter einer Braut
gleichgestellte Frau in
Trauerbemalung, Orumbantj.
Abb. 60
Kontrolle eines Brautpreises
durch die Empfänger, Orumbantj.
verständlich mit anwesend. Noch einmal wird über die erreichte Höhe der Zahlung
diskutiert, das Ergebnis schließlich akzeptiert. Zuweilen beklagt sich die Mutter der
Braut, daß für sie selbst vom Klan ihres Mannes weniger bezahlt worden sei.
4.2.5 Die Bestätigung durch die Familie der Braut
Die Entgegennahme des Geldes wird anschließend durch ein Essen quittiert, das
den Gebern des Preises hingestellt wird. Es besteht in der Regel aus Yamsbrei mit
geraspeltem Kokosfruchtfleisch; ferner liegen Sagopuddingpakete und geräucher-
ter Fisch (oder Fleisch) zum Mitnehmen bereit. Die Geber des Brautpreises haben
einmal ebenfalls noch eine kleine Essensgegengabe mitgebracht. Bei nächster
Gelegenheit ist von der Familie der Braut noch ein Schwein zu jagen; das Fleisch ist
dann unter den Gebern des Preises zu verteilen.
4.2.6 Die interne Verteilung
Das empfangene Geld wird vom Vater und/bzw. vom Bruder der Braut verteilt16.
Dies geschieht nach Auskunft von Betroffenen grundsätzlich gemäß den aus
eigenen Schulden (z.B. aus dem Brautpreis für die eigene Frau oder aus anderen
zeremoniellen Zahlungen) bestehenden Verpflichtungen. Dabei werden innerhalb
des eigenen Klans alle Patrilinien nach ihrem relativen Anteil, also gebührend
berücksichtigt. Die für die Mutter der Braut bestimmten Stücke bleiben in den
Händen des Brautvaters. Mit dem zurückbleibenden Rest kann dann die Regelung
anderer noch offener Verpflichtungen, z.B. der ausstehende Trauerpreis für den
Vater, einen Onkel oder die Mutter eingeleitet werden.
4.3 Trauerpreis
Die einheimische Benennung lautet ma kepe cicu, «Mensch-schön-machen durch
Bewegung», im übertragenen Sinn: den Preis Zusammentragen und aufrichten17.
Umgangssprachlich war im Pidgin auch von baiim het, het pe die Rede. Diese
Zahlung wird in der Regel am Ende der mehrmonatigen Trauerzeit entrichtet,
zuweilen auch erst Jahre später. Ob die beobachteten Verzögerungen allenfalls auf
154
Kaufmann: Maschenstoffe
die langjährige Kampagne der katholischen Mission gegen die Zeremonialgeldzah-
lungen zurückzuführen sind, muß offen bleiben. Die Preisübergabe bietet auf jeden
Fall die Gelegenheit, Anerkennung für die Leistungen Verstorbener öffentlich
auszusprechen und damit Trauergefühle abzubauen.
Abb. 61
Zusammentragen eines Trauerpreises,
Meno-Saserman.
4.3.1 Das Zusammentragen und die Übergabe
Hier fallen das Zusammentragen, die Kontrolle durch die Geber und die Übergabe
in einem Anlaß zusammen. Im Gehöft des oder der Verstorbenen bzw. von deren
Angehörigen in männlicher Linie wird an einem im voraus bestimmten Tag auf
freiem Platz ein Horizontalbalken aus Holz aufgestellt. Zusätzlich zu den senkrech-
ten Stützen wird noch eine schräg verlaufende Versteifung angebracht; ihr oberes
Ende dient als Aufhängepunkt. Als erstes werden von Frauen vor dieser Konstruk-
tion zahlreiche Töpfe, darunter mindestens ein großes Sagovorratsgefäß hingelegt.
Auch Arbeitsgeräte wie Dechsel, Macheten, eine Stahlaxt, Kokosbastsiebe und
Rührstäbchen für Sagopudding, ferner Ausrüstungsgegenstände (vor allem auch
industriell gefertigte wie Baumwollkleider, ein Moskitonetz, Aluminium-Pfannen,
ein Transistorradio oder eine Nähmaschine) kommen dazu. Es handelt sich weitge-
hend um neuwertige Gegenstände. An der Konstruktion selbst werden dann die
Netztaschen aufgehängt; auch Paddel und der Pflanzstock einer Frau können als
Teil des Preises daran angelehnt werden.
Zuletzt folgen die Maschenstoff-Wertsachen, die über denselben Befestigungs-
punkt wie die Netztaschen gehängt werden.
Diesen Teil des Zusammentragens besorgen die Männer, insbesondere der Sohn
des oder der Verstorbenen, bei Frauen auch deren Ehemann, sein Bruder und seine
Kinder. Man beginnt mit dem Hauptstück (sawama); es gilt dem Kopf des/der
Verstorbenen. Dann folgen die anderen in der Reihenfolge der Geber.
Bei einigen Preisübergaben haben wir beobachtet, wie zusätzlich zum Hauptpreis
eine oder mehrere Nebengaben bereitgestellt und separat überreicht worden sind.
Diese waren für die Mitehefrauen einer Verstorbenen, für deren Schwestern bzw.
Altersklassenkameradinnen sowie für den Bruder und den Ehemann der Verstor-
155
TRIBUS 35, 1986
Abb. 62
Beteiligte und Zuschauer,
Meno-Saserman.
Abb. 63
Zusammentragen eines Trauer-
preises, Begilam-Saserman:
Netztaschen und erste Stücke
von Zeremonialgeld.
benen bzw. deren Familien bestimmt. In einem anderen Fall wurde die Ehefrau
eines Verstorbenen bedacht. Die Gaben bestehen aus einem oder zwei Kochtöpfen
(aus Ton), in die eine kleinere Menge Zeremonialgeld und unter Umständen eine
oder zwei Netztaschen hineingelegt worden sind. Größere Nebengaben (je 1-3
Töpfe, bis zu 20 Muschelgeldeinheiten) gingen bei verstorbenen Frauen an deren
Schwiegertöchter (bzw. deren Brüder), also an die Ehefrauen der hauptsächlichen
Geber.
Innerhalb der Gebergruppe fanden nach unseren Beobachtungen mehrere infor-
melle Zahlungen statt. Diese Geldstücke wurden den Betreffenden über die
Schulter gelegt. Sie waren zur Begleichung von Schulden beziehungsweise zur
Verpflichtung des Empfängers bestimmt, seinerseits bei nächster Gelegenheit den
Geber großzügig zu unterstützen.
Das ganze Prozedere des Zusammentragens und Aufhängens ist öffentlich. Sowohl
Geber als auch Empfänger zählen mehrfach nach. Die Summe der Werteinheiten
156
Kaufmann: Maschenstoffe
Abb. 64
Zeremonialgeld eines Trauerpreises,
Begilam-Saserman.
Abb. 65
Trauerpreis, im Vordergrund liegt eine
Nebenzahlung bereit, Begilam-Saserman.
des zentralen Trauerpreises variiert zwischen etwa 30 und über 80 Einheiten
(letzterer Wert wird von bedeutenden Männern erreicht).
Frauen und Männer sitzen oder stehen, wie üblich, in getrennten Gruppen beiein-
ander. Zuweilen treten auch Frauen als öffentlich Sprechende mit einem Anliegen
auf. Auch haben wir den Vertreter eines zu ehrenden Mutterklanes in geradezu
ritueller Erregung erlebt, die sich u.a. in dosiert, aber packend vorgetragener
Aggression äußerte; er war überdies mit weißer Trauerfarbe bemalt. Erst wenn die
Empfänger des Hauptpreises durch ihren Sprecher mitteilen lassen, es sei genug
(dtamba), ist die Übergabe beendet. Dies kann sich über mehrere Stunden hinaus-
zögern, denn bei derartigen Versammlungen wird meist auch noch über parallele
ältere und jüngere Verpflichtungen gesprochen, besonders über solche, bei denen
die Zahlungen noch ausstehen oder nur ungenügend erfüllt worden sind. Generell
gesagt, geht es dabei immer um das Leistungsverhältnis zwischen den Mutterklanen
und den Vaterklanen bzw. im Falle der Töchter auch den Klanen der Ehepartner.
Leistungspflichtig sind in erster Linie die Kinder des oder der Verstorbenen, bei
Frauen auch der Ehemann, dann die weiteren Angehörigen (patrilinear) sowie die
Altersklassenkameraden und persönlichen Freunde. Der persönliche Freund
(naramboil) erhält für seine Beteiligung persönliche Gegenstände des/der Verstor-
benen, wie die Netztasche für persönliche Effekten, oder den persönlichen Dech-
sel, das persönliche Setzholz des Yamspflanzers, ausgehändigt. Früher hat dazu
auch ein Knochen (Unterkiefer, Ulna oder Radius) des/der Verstorbenen gehört;
dieser Knochen war in ein Zeremonialgeldstück eingearbeitet. Heute wird nur noch
letzteres übergeben.
Die Empfänger, die vom Geburtsort der Mutter des oder der Verstorbenen, also
zuweilen aus anderen Kwoma-Dörfern kommen, bringen eine kleine Essens-
Gegengabe mit.
157
TRIBUS 35, 1986
Abb. 66 Abb. 67
Kontrolle eines Trauerpreises durch die Yessomari als Vertreter des Mutter-,
Empfänger, Begilam-Saserman. d. h. Empfängerklans bei einer Trauerpreis-
zeremonie, Begilam-Saserman.
4.3.2 Abtransport und Verteilung
Nach Abschluß der Zeremonie werden die empfangenen Güter behändigt: Die
Maschenstoff-Wertsachen werden in eine Netztasche verpackt, alle anderen
Gegenstände werden von Frauen des Empfängerklans in mitgebrachte Netztaschen
eingefüllt. Zu Hause angelangt, muß das Gut verteilt werden, eine heikle Aufgabe.
In der Regel fällt sie dem Ältesten der Empfängerlinie zu. Es gilt, die verschiede-
nen Linien des Klans gemäß ihrer Leistungsfähigkeit zu berücksichtigen. Dabei
findet auf individueller Basis gleichzeitig wieder eine Verrechnung mit offenen
Ansprüchen aus anderen Transaktionen statt. Auch hier können daraus Kettenre-
aktionen entstehen.
158
Kaufmann: Maschenstoffe
Abb. 68
Abtransport der als Trauerpreis
erhaltenen Ausrüstungsgegenstände
und des Zeremonialgeldes.
Abb. 69
Yabokoma bei der Vorbereitung
der klaninternen Verteilung
einer erhaltenen Zahlung.
Wer Maschenstoff-Wertgegenstände in seiner freien Verfügungsgewalt hat, wird
sich gleich mit den Forderungen seiner Gläubiger und potentieller Schuldner
konfrontiert sehen. Er wird sich also beispielsweise zu überlegen haben, wieviele
Anteile welcher Qualität am Brautpreis seiner eigenen Frau er jetzt zurückzahlen
will oder was er für den Brautpreis zurücklegen soll, der bald für die Schwiegertoch-
ter fällig wird. Andererseits könnte es sich aufdrängen, endlich den Trauerpreis für
die verstorbene eigene Mutter oder für deren Schwester zu entrichten, die bei
ihrem Tod keine eigenen Kinder hinterlassen hat. Auch ist zu bedenken, daß alle
vorausblickenden großen Männer und Frauen noch bei Lebzeiten das größte
Einzelstück für den Trauerpreis, sawama genannt, und für die Abgeltung der
Leistungen der eigenen Mutter bestimmt, selbst anfertigen. Das heißt, die
Maschenstoffunterlage wird in der oben beschriebenen Weise angefertigt, die
Nassaschalen werden durch Auflösung schadhaft gewordener alter Wertobjekte
gewonnen und auf dem neuen sawama-Stück aufgenäht. Da diese sawaraa-Stücke
besonders groß sind, bedarf es dazu mehrerer kleiner Vorgänger-Objekte.
159
TRIBUS 35, 1986
Abb. 70
Verteilung von Töpfen und Zeremonialgeld Angehörigen des Kalaua-Klans
auf die in Meno-Saserman ansäßigen nach Abstammungslinien.
4.4 Kultfeste
Maschenstoffe treten, wie bereits bei den Erläuterungen ihrer Typologie erwähnt,
bei Kultfesten mehrfach in Erscheinung. Netztaschen dienen als Abdeckung von
Yamsaltären, die noukwi-Frauen werden als Trägerinnen von Netztaschen geschil-
dert, die mit Nahrungsmitteln gefüllt sind. Zeremonialgeldlappen und -schnüre
werten zusammen mit Vogelfederschmuck die Altäre und einzelne Schnitzwerke
visuell auf. Als Krieger erfolgreiche Männer sind mit den federbestückten
Schmucktaschen sowie mit weiterem Schneckenschalen- und Muschelschmuck auf
Maschenstoffbasis behängen. Frauen tanzen mit Schilden aus aufgespannten,
gemusterten Taschen, vor allem beim mindja-Fest. Wieweit die Maschenstoff-
schilde hier auch die geschlechtlich aktiven Frauen von den alten unterscheiden
sollen, die mit einem Frauen-Zeremonialspeer (apyat) oder einem Männerspeer
(lämbu) in der Hand tanzen, bleibe offen18. Früher sollen die Kultfeste mit einer
beschränkten Periode weitgehend freier geschlechtlicher Beziehungen zwischen
Männern und Frauen verbunden gewesen sein. Bei einem wichtigen Fest der
Yamspflanzer stand eine aus Netztaschen geformte männliche Figur im Zentrum.
4.5 Informelle Situationen und Männerhaus-Einweihung
Die informellen Situationen, bei denen Maschenstoffe besonders in Erscheinung
treten, betreffen in erster Linie, aber nicht ausschließlich das Verhältnis zwischen
dem Muttersbruder (manggapa, angesprochen maem) und seinen Neffen und
Nichten (ruoi). Auf beiden Seiten, insbesondere aber beim Mutterbruder sind
klassifikatorische Substitutionen von Nächstverwandten möglich und zuweilen auch
nötig.
Für das Essen, das die Schwesterkinder von ihrem Muttersbruder erhalten bzw. für
das Recht, sich aus dessen Pflanzungen und an dessen Fruchtbäumen bedienen zu
dürfen, erhält der Muttersbruder in Abständen Zahlungen in Zeremonialgeld, das
der Vater bereitstellen muß. Die Überreichung erfolgt, soweit beobachtet und
160
Kaufmann: Maschenstoffe
Abb. 71
Frauen im Festschmuck und mit den Tanz-
schilden bei einem mindja-Fest, Washkuk.
bekannt, am Rande anderer, formeller Präsentationen von Zeremonialgeld. Das
Zeremonialgeldstück wird dem Empfänger dabei einfach über die Schulter gelegt.
Weitere wichtige Zahlgelegenheiten betreffen die Erstinitiation (hantepiya). Der
initiand wurde, so die Berichte, im Anschluß an das Einschneiden einfacher
161
TRIBUS 35, 1986
Narbenmuster auf der Brust erstmals mit dem Brauch vertraut gemacht, aus seinem
Penis durch Einführen von Dornen in den Harnkanal Blut abzulassen. Das Blut
wird durch das fließende Wasser aufgenommen und weggeschwemmt. Das »weibli-
che«, von der Mutter stammende Blut muß weggegeben werden, um Gesundheit
und Gedeihen des Mannes sicherzustellen. Diese Handlung wird bei bestimmten
Gelegenheiten wiederholt, so z.B. vor Kultfesten, Pflanzzyklen, Kriegszügen und
Initiationen; das Schaben der Zunge kommt dazu (vgl. Whiting 1941: 64-67, 135,
205f.). Das Weggeben des Blutes hat den Charakter eines Opfers. Das Geld
wiederum geht an den Mutterbruder.
Andererseits tritt der mandala genannte Bruder der Ehefrau von Ego (oder sein
klassifikatorischer Nachfolger) bei verschiedenen Gelegenheiten eigens auf, um
seinen mowei, also Ego als Mann der Schwester durch Überreichung einer Netzta-
sche öffentlich zu ehren. Er nimmt dazu eine kleinere gemusterte Tasche, die er mit
einem Lianenstück aufspannt und die er mit ein, zwei Ovulaschneckenschalen und
allenfalls weiteren Schalengehängen auszeichnet. Besonderes Gewicht hat diese
Zeremonie bei der Einweihung eines neuen Männer- und Zeremonialhauses (kur-
umbu). Dort gilt sie dem oder den Männern, die die Ausführung des Baus geleitet
haben. Die besonderen Netztaschen der mdndala werden zuweilen an der Innen-
seite des Männerhausdaches aufgehängt und dort belassen. Die Haushaltungen
ihrer Schwäger (mdndala) sowie ihrer Muttersbrüder (maem) waren in besonderer
Weise bemüht, ihren mowei bzw. ruoi durch die Bereitstellung von Essen für die
bei der Ausführung des Baus Arbeitenden zu helfen. Dafür werden beide Seiten
mit Maschenstoffgeld entschädigt. Der maem wird bei der Überreichung (durch
Auflegen auf die Schulter) besonders geehrt: Es wird ein Schlitztrommelsignal
geschlagen.
Eine ebenfalls sehr wichtige Zahlung findet zwischen dem Initiationspaten und dem
von ihm ins Pflanzen von Yams initiierten Mann statt. Der Initiationspate tritt
dabei als »Mutter« (nokapa) auf, überreicht dem neuen Pflanzer u. a. in einem
eigens angefertigten Zeremonialgefäß (aumar) eine besonders krafthaltige Speise,
das persönliche Setzholz (noukukumbd) sowie die zum Pflanzen nötigen Kenntnisse
von speziellen Pflanzen, Säften und Sprüchen. Der Initiationspate steht in der
Regel nicht in einem besonderen verwandtschaftlichen Verhältnis zu seinem Zög-
ling (?). Die Abgeltung gilt also einer im übertragenen Sinn »mütterlichen«, d.h.
auf die Produktion der wichtigen Yamsknollen ausgerichteten Leistung. Es sei in
diesem Zusammenhang daran erinnert, daß die Yamsknollen von den Kwoma als
weiblich angesehen werden; sie bezeichnen den einzelnen Knollensetzling aus-
drücklich als »Mutter« (nokapa). Diese Setzlinge verdorren, wenn aus ihren
Keimlingen die neuen Yamsknollen entstehen (Kaufmann 1983: 21).
Weitere informelle Zahlungen, abgesehen von den oben beim Trauerpreis erwähn-
ten, betreffen beispielsweise die Entschädigung einer Frau dafür, daß sie das Kind
einer kranken Mutter gesäugt hat (muku tokot, die Muttermilch kaufen).
4.6 Friedensstiftung
Bei der Beendigung besonders blutiger oder aus einem anderen Grund19 nicht
länger erwünschter kriegerischer Auseinandersetzungen wurden zur Festigung der
neuen, friedlichen Beziehungen verschiedene Mittel angewandt. Zwischen den
Siedlungsverbänden wurden, meist auf der Ebene von Klanen, aus denen die
gerade besonders einflußreichen führenden Männer stammten, heiratsfähige
Frauen ausgetauscht. So geschah es beispielsweise zwischen Saserman und Tangg-
winsham. Unklar ist, wie weit die Übergabe von Zeremonialgeld über den jeweili-
gen Brautpreis hinaus als weitere mögliche Steigerung des Verfahrens oder als ein
notwendiger Teilvorgang angesehen werden muß. Sicher ist, daß in besonders
wichtigen Fällen auch Kultfiguren über die Grenze des Siedlungsverbandes, ja
selbst über die Sprachgrenze hinweg ausgetauscht worden sind. Bei diesen handelt
es sich um die am ausgeprägtesten männlichen Artefakte der Kwoma-Kultur - (was
sich nicht auf die inhaltliche Deutung der Bildideen bezieht) -: Sie sind von
162
Kaufmann: Maschenstoffe
Männern für die Verwendung in dem den Männern vorbehaltenen Kult angefertigt
worden. Der Kult selbst gilt in der Steigerung der letzten Stufe der Anerkennung
der »mütterlichen« Leistungen der Frau, so wie diese in der Umsetzung mythischer
Bilder erscheint. Kultfiguren sind so betrachtet kondensiertes Zeremonialgeld.
5. Besondere Aspekte des Zeremonialgeldes
5.1 Schmuck
Das Tragen von Schneckenschalen- und Muschelschmuck soll traditionell bei allen
großen Festen üblich gewesen sein, wurde aber von uns bei Lebenden, ähnlich der
Gesichtsbemalung, nur noch in verhältnismäßig wenigen Fällen beobachtet. Dage-
gen waren Kultaltäre und Kultfiguren noch reichlich mit diesem Schmuck ebenso
wie mit Federn, Vogelbälgen und farbiger Bemalung ausgerüstet. Mit Schmuck-
funktion wird hier umschrieben, daß keine Übergabe von Gegenständen stattfin-
det, sondern daß diese durch Form, Material und inneren Wert eine Ausstrahlung
haben. Diese Ausstrahlung wird benützt, um situationsbezogen etwas mitzuteilen,
über die Person des Geschmückten (wie er sich selber gesehen haben will, z. B. als
prestigegeladen, als den mythischen Vorfahren angenähert) oder der Kultfigur
(z. B. als menschennahes Erscheinungsbild von Wesen aus der mythischen Außer-
Zeit, von denen die Menschen so abhängig sind).
5.2 Wertvorstellungen
Zu unterscheiden sind der Materialwert, der Umrechnungswert und der Symbol-
wert. Für ein vertieftes Verständnis, d. h. um uns den Einblick in das Zahlungssy-
stem der Kwoma weiter zu öffnen, ist es wichtig festzuhalten, daß das Schnecken-
und Muschelschalengeld keine Kaufkraft hat. Man kann damit bei den Kwoma
keine Waren und keine freie materielle Leistung einkaufen. Wie wir gesehen
haben, kann ein Muttersbruder mit Nahrungsgaben umgekehrt die Zahlung von
Zeremonialgeld herbeiführen. Ein weiterer Tausch auf der Ebene Ware gegen
Muschelgeld findet statt, wenn Kwoma Muschelgeld von benachbarten Eiandels-
partnern erwerben, um das eigene Tauschsystem zu alimentieren. Zuweilen ist man
gezwungen, Schalengeld gegen Regierungsgeld zu erwerben, weil die traditionellen
Tauschpartner das Gewünschte ihrerseits nicht mehr beschaffen können oder
wollen. Aus dem Eintauschwert im intertribalen Handel wird bis heute der Mate-
rialwert des Schnecken- und Muschelschalengeldes bestimmt; er spielt im zeremo-
niellen Tausch keine Rolle.
Zweitens trennen wir für das Folgende den nominellen Umrechnungswert des
Zeremonialgeldes im Verhältnis zu Zahlen, die in Einheiten der Landeswährung
ausgedrückt werden, vom Symbolwert des Geldes und der Geldmanipulation.
Die bildlich-symbolische Funktion steht bei allen öffentlichen Anlässen zur Über-
gabe von Zeremonialgeld offensichtlich im Vordergrund. Nach westlichen Krite-
rien bekräftigt der Übergabeakt vor aller Augen, daß eigene soziale Verpflichtun-
gen eingehalten werden; die übergebene Geldmenge verästelt die zwischen Sozial-
gruppen eingegangenen Verpflichtungen auf ihrem Weg (vom ersten einzelnen
Geber bis zum letzten einzelnen Empfänger) bis auf die Ebene der Individuen.
Damit ist für ein einheitliches Interesse von Schuldnern und Gläubigern an der
Einhaltung von Spielregeln gesorgt.
Der Wert dieser Handlungen kann nicht ohne Zusammenhang gesehen werden mit
der Symbolik auf sprachlicher Ebene. Das Zeremonialgeld wird ya genannt, was in
der Grundbedeutung soviel wie »Sonne« und auch »kommen« heißt; yassiyd sind
die abgeschliffenen, eingehandelten Nassaschneckenschalen, wobei Yassi interes-
santerweise auch einen Klan von Saserman bezeichnet. Im Falle des Brauptpreises
werden mit Hilfe des Geldes ya Beziehungen wörtlich »geknüpft«, um mit dem
entsprechenden Trauerpreis später »beendet«, ja »abgetötet« zu werden. Die
163
TRIBUS 35, 1986
Gleichsetzung mit der männlichen (väterlichen?) Sonne paßt gut zu den anderwei-
tig bereits aufgezeigten symbolischen Aspekten des Zeremonialgeldes.
Der nominelle Umrechnungswert bedarf noch einer näheren Betrachtung. Vorerst
ist er abzugrenzen von dem sich aus Materialwert und investierter geglückter, d.h.
»guter« Arbeit ergebenden inneren Wert jedes einzelnen Geldstückes. Bei der
Festlegung und Erfüllung eines Zahlungszieles halten sich alle Beteiligten die
Zusammensetzung des Preises aus Stücken unterschiedlichen inneren Wertes vor
Augen, gesprochen wird aber auf der Ebene einer Zahl. Diese wird heute in Kina,
wurde aber noch 1972 in (australischen) Pfunden angegeben, also z.B. »drei Pfund
zehn«, was 70 entspricht.
Diese Zählweise beruht darauf, daß im Zuge der Akkulturation das traditionelle
Zählsystem, das bereits den Begriff ma pondar (ein Mann) gekannt hat20, in ein
Vigesimal-System (ma pondar entspricht 1 austral. £ = 20 Shilling, d.h. 1 Einheit
wird angegeben als 1 Shilling) umgewandelt wurde. Dieser Umrechnung liegt
vermutlich der reale Tauschwert kleiner Muschelgeldstücke zu Beginn der europäi-
schen Epoche zugrunde; mit Sicherheit beruhen die heute in staatlichen Geldwer-
ten angegebenen Zahlen nicht auf einer konkreten Vorstellung etwa vom Gesamt-
wert eines Haufens von Schneckenschalengeld oder gar vom Wert eines Menschen.
Wie gezeigt, wird die Zahl der zusammengetragenen Einheiten mit Hilfe der
aufbewahrten Zählstäbchen erinnert.
Das Zählsystem wird im Prinzip auch heute noch beibehalten, obschon jedermann
weiß, daß selbst kleine Zeremonialgeldstücke bedeutend mehr wert sind als ihr
ursprünglicher Gegenwert in Regierungsgeld. Dabei sind aus 10 Shilling mittler-
weile 1 austral. Dollar (ä 10 cents) bzw. 1 Kina (seit 1975 die Landeswährung von
Papua New Guinea) ä 10 Toea geworden.21 Folgerichtig hat sich das Vigesimal-
System unterdessen halbherzig zum Dezimal-System weiterentwickelt, indem aus
den Zähl-Einheiten ä 20 nun doppelt soviel Zähleinheiten ä 10 geworden sind.
Für den Außenstehenden etwas schwierig zu überblicken wird die Lage, wenn
heute in Ermangelung von echtem Maschenstoff- und Schalengeld von einzelnen
Bargeld dazugelegt wird, denn dieses wird offiziell auf der Basis des alten Umrech-
nungskurses, somit 1 Kina gleich 10 Einheiten Zeremonialgeld, angerechnet.
Allerdings geschieht dies nur, sofern eine Anrechnung von den Preisempfängern
überhaupt zugelassen wird bzw. sofern ein solcher Einbezug durch ergänzende
Wertgaben in modernen Ausrüstungsgegenständen gedeckt ist. Der Brautpreis
oder Trauerpreis wird im ganzen als abstrakte Summe betrachtet22.
Zweifellos könnte auf diesem Weg die Präsentation von Zeremonialgeld der
Kwoma bei Heirat, Todesfall und anderen Anlässen relativ rasch in ein eigentliches
Kaufsystem verwandelt werden. In diesem würden dann heiratsfähige Frauen
gegen bar eingekauft und ihre Leistungen zuhanden der Verwandtschaft in bar
abgegolten; die Frauen würden damit moralisch, d. h. auf der Ebene der symboli-
schen Bewertung ihrer Leistungen weitgehend entrechtet. Dies ist andernorts in
Neuguinea bereits geschehen, so daß die Regierung Höchstgrenzen für Brautpreise
festsetzen mußte (zwischen 1500 und 3000 Kina). Bei den Kwoma scheint allerdings
gerade der innere Zusammenhang der Brauptreis- mit den Trauerpreiszahlungen
(sowie mit mehr informellen Verpflichtungen) ein derartiges Abgleiten zu verhin-
dern. In dieser Verknüpfung darf auch aus dieser Sicht ein wesentlicher, stabilisie-
render Faktor gesehen werden. In den 1960er Jahren sollen Kwoma-Eheverhält-
nisse nach den Aussagen eines erfahrenen Regierungsbeamten zu weniger Klagen
Anlaß gegeben zu haben, also stabiler gewesen sein als diejenigen bei anderen
Sepik-Gruppen23.
Abschließend mag sich die Bedeutung der Zeremonialpreiszahlungen auch daraus
erhellen, daß dies der einzige Bereich im traditionell geprägten Leben der Kwoma
ist, in dem größere Mengen durch Auszählen festgehalten werden. Weder in der
Pflanzung beim Graben der Setzlöcher noch beim Bereitstellen der Yamssetzlinge
habe ich Ähnliches beobachtet.
164
Kaufmann: Maschenstoffe
5.3 Vom Geber zum Empfänger
Entgegen einer vereinfachenden Vorstellung heben sich Brautpreis, Trauerpreis
und informelle Zahlungen zwischen den an einer einzelnen Heiratsverbindung
beteiligten zwei Klanen bei den Kwoma nicht gegenseitig auf. Die Zahlungen von
Zeremonialgeld gehen vom jeweiligen Vatersklan von Ego zum Frauenklan bzw. in
der nächsten Generation, also nach dem Tode der Kinder aus dieser Verbindung,
an den Mutterklan. Die öffentlichen Zahlungen markieren Anfang und Ende
solcher Beziehungen; dazwischen liegt eine Zeit von in der Regel anderthalb
Generationen. Die meisten informellen Zahlungen vertiefen diese Beziehung auf
der Ebene der beteiligten Individuen unterschiedlicher Abstammung in der väterli-
chen Linie. Es besteht auch die Möglichkeit auf dieser individuellen Ebene nach
der Beendigung des formellen Verhältnisses noch weitere Zahlungen an die Vertre-
ter des ursprünglichen Mutterklans zu entrichten und so eine alte Beziehung weiter
zu pflegen. Selbstverständlich ist jeder Klan innerhalb des Dorfes (akakopa) bzw.
innerhalb der Sprach- und Religionsgemeinschaft (pondarümbs moinc) der Kwoma
(sowie in Einzelfällen auch in Bezug auf Nachbargruppen am Fluß und anderswo)
gleichzeitig in mehrere solche Verhältnisse eingespannt, sowohl als Geber wie als
Empfänger. Theoretisch betrachtet, müßten sich die Zahlungen innerhalb des
Systems von selbst ausgleichen. Ob der von Gewährsleuten mehrfach betonte
stetige Bedarf nach neuem Zeremonialgeld einzig auf die Zunahme der Bevölke-
rungszahl seit dem Zweiten Weltkrieg zurückzuführen ist oder ob auch noch andere
Faktoren ein Ungleichgewicht haben entstehen lassen, kann ich nicht beurteilen.
Um zu verstehen, warum die Seite des Klans der Frau und Mutter im System derart
als Empfänger bevorzugt wird, muß man auch die Vorausleistungen des Klanes des
Mannes (und dessen Vaters) in Betracht ziehen. Der Landbesitz und damit auch die
Nutzungsrechte am Wald, am Pflanzungsland sowie an Sumpfparzellen mit Sago-
palmen, an Gewässern, Tongruben etc, sind zwischen den Vatersklanen aufgeteilt.
Daß diese (gekennzeichnet durch den Klannamen ergänzt durch das Suffix -mu)
beziehungsweise deren lokalen Ableger (gekennzeichnet mit der Benennung für ihr
Trommelsignalzeichen und den Klannamen) die genannten Ressourcen zur Verfü-
gung halten, muß als ihre Grundleistung gesehen werden.
Grundleistungen der Männer und Väter sind dann weiter das Anlegen, d. h. Roden
der Pflanzungen sowie das Pflanzen und Hegen von Yams. Die Männer sind auch
die Jäger und beschaffen als solche insbesondere die für die Bestätigung der
Zeremonialgeldzahlungen sowie für die Kultfeste und Initiationen benötigten Wild-
schweine. Sowohl beim Setzen von Yams wie beim Speeren eines Jagdtieres gehen
von ihren Seelenstoffpartikeln in das Nahrungsmittel über24; der Pflanzer/Jäger darf
daher vom selbst gepflanzten/getöteten Gut nicht essen. Eine ähnliche Überleitung
von belebender männlicher, d. h. väterlicher Seelensubstanz findet bei allen hand-
werklichen Arbeiten statt. Die Waschtätigkeit der Männer bzw. ihre Mithilfe beim
Ausgraben von Töpferton sollen demgegenüber schädliche Einflüsse weiblichen
Bluts fernhalten. Vermutlich werden durch weibliche Handarbeit aber auch posi-
tive Einflüsse übertragen, z. B. auf Netztaschen und Töpfe.
6. Zeremonialgeld und Netztaschen als Strukturzeichen
Eine vollständige Darstellung der Kwoma-Gesellschaft nach den von ihr selbst
angewandten Kriterien der Unterscheidung ist hier nicht zu leisten. Vorauszugehen
hätte ihr eine ausführliche Besprechung des mythischen Horizonts. Aus diesem
wären für die Bewertung der Maschenstoffe und ihrer Verknüpfung mit anderen
Artefakten durchaus wesentliche Hinweise zu gewinnen. Vorerst sei versucht, das
Thema von einer anderen Seite her aufzugreifen und gleichzeitig auf Gemeinsam-
keiten im regionalen Rahmen hinzuweisen.
165
TRIBUS 35, 1986
6.1 Mut zu einem neuen Anlauf
Es gibt verschiedene wissenschaftlich-abendländische Denkschulen, die einen mehr
an menschlichem Handeln, die anderen mehr an abstrakten Beziehungen in einem
System interessiert, die einen mehr formalistisch, die anderen mehr strukturali-
stisch orientiert. Alle suchen einen Zusammenhang zwischen Verwandtschaftsord-
nung und Heiratsordnung. Frauen und mit ihnen Leistungen werden verschoben,
im Gegenzug dazu auch Wertgegenstände. Ein weiteres Hin und Her im Geben
bezieht sich auf Nahrungsmittel. Je nach Optik sind dabei Frauen das eigentliche
Kaufgut oder Wertgegenstände (wörtlich), oder aber aus Anlaß einer Heirat
wechseln Essen, Kapitalgüter und Zeremonialgeld in vorbestimmten Richtungen
die Hand.
Diesen Erklärungsversuchen haften in der Regel zwei Mängel an: Sie versuchen
erstens kulturbedingtes Verhalten in außereuropäischen Gesellschaften mit Bezug
auf nur zwei Denkhorizonte zu erklären, einen allgemein-menschlichen (weltweite
Entsprechungen im System der Ordnung von Heirats- und Verwandtschaftsbezie-
hungen) und einen einzigen weiteren, der für die betreffende untersuchte Gesell-
schaft allgemeine Gültigkeit haben soll: die Möglichkeiten konkurrierender Orien-
tierungsmodelle in ein und derselben Ordnung werden oft übersehen. Die generel-
len Erklärungsversuche beruhen zweitens stillschweigend auf der eindimensionalen
abendländischen Vorstellung von physiologischer Blutsverwandtschaft.
Nun ist bereits mehrfach gezeigt worden, daß gerade im Bereich von Ozeanien
völlig abweichende Vorstellungen über die mit dem Akt der Zeugung verbundenen
Wertungen der physiologischen Möglichkeiten, verwandt zu sein, bestehen (z. B.
Weiner 1976: 16f., 192f.; Poole 1984: 198ff.). Blutsverwandtschaft, meist in der
Linie Mutter-Kind, ist dabei nur ein Faktor unter anderen (Williamson 1983).
Neben dem weiblichen Blut und dem männlichen Samen spielen bei den Kwoma
auch verschiedene Körpersäfte wie z.B. Schweiß, Muttermilch u.a.m. und Sub-
stanzen wie Knochen, Fleisch u. a. m. eine Rolle. Sie werden z. T. der väterlichen,
z.T. der mütterlichen Seite zugerechnet und schließen aus europäischer Sicht
immaterielle Seinsebenen (Seelenvorstellungen) ein.
6.2 Versuch einer Deutung
Erste eigene Versuche, das System der zeremoniellen Zahlungen der Kwoma als
eine Ganzheit zu verstehen, d. h. die von den Ethnographen bevorzugte Beschrän-
kung auf den Brautpreis und die Verwandtschaftsterminologie zu überwinden,
knüpfen an O’Brien’s Darlegungen der Brautzahlungen bei den Dani des Konda-
Tals (Irian Jaya) und insbesondere an ihrer Schlußbemerkung an, in der ein
Zusammenhang mit den Trauerpreis- und Initiationszahlungen an den Klan der
Mutter hergestellt wurde (O’Brien 1969: 234). Die Konda-Dani sind in der Tat
bemerkenswert, indem dort nicht nur der Bräutigam und der Vater der Braut
Zahlungen austauschen, sondern der Vater der Braut bei gleicher Gelegenheit auch
noch die Mutter der Braut zu bedenken hat. Ähnliche, noch komplexere Vorstel-
lungen über die Abgeltung von Leistungen der Mutterseite im Laufe des Lebens
finden sich in Ost-Indonesien, z.B. auf Roti (Fox 1971: 241); dort enthält der
Trauerpreis an den Klan der Mutter des oder der Verstorbenen als textiles Element
auch eine Abgeltung für das vom Mutterbruder gebrachte Leichentuch.
Die Verknüpfung der verschiedenen Zahlungen in Zeremonialgeld sowie der
Gaben von Kapitalgütern zu einem kulturimmanenten System ist für Neuguinea
erstaunlich selten im Detail versucht worden. Dies mag mit der ganz anderen
Ausrichtung der Hochlandtauschsysteme Zusammenhängen, die einen stärker poli-
tischen Charakter haben (oder zumindest so beschrieben worden sind, vgl. Glasse
und Meggitt 1969, Strathern 1971). Die zu den Trobriand-Inseln kontrastierenden
Verhältnisse bei den Me’udana auf Normanby hat Schlesier (insbes. 1983: 55 ff.,
203 ff.) aufgearbeitet. In dieser matrilinearen Gesellschaft haben die Gaben, die
166
Kaufmann: Maschenstoffe
zwischen dem Klan der Frau und Mutter und jenem des Mannes hin- und hergege-
ben werden, einen anderen Charakter. Es dominieren, auch beim Abschluß der
Trauerzeit, die Gaben von Yams. Ähnlich stehen auf den Trobriand-Inseln Yams,
Essen, dann aber auch Steinbeilklingen, Bananenblattbüschel und festliche Faser-
röcke bei den Tauschhandlungen innerhalb der Gesellschaft bei Heirat und Tod im
Vordergrund (Weiner 1976: 92ff., 180, 195ff.). Blattbüschel und Faserröcke sind
spezifisch weibliche Wertgegenstände (doba) und Weiner fragt sich zurecht, ob es
dazu denn keine Parallelen in anderen Gesellschaften Neuguineas gäbe.
Erst Harrison hat begonnen, anhand seines Materials von den Manambu in Avatip
am Sepik über einen Zusammenhang zwischen Zahlungen an den Mutterklan und
dem Gedanken einer Allianz der patrilinearen Klane nachzudenken (Harrison
1984, 395 ff.).
Grundlegendes zum Verständnis des Allianzmodelle unter den spezifischen Ver-
hältnissen des Sepik-Gebietes hat Stanek beigetragen (Stanek 1983: 141-156,
329-338). Allein, das Iatmul-Modell, das Absichtsformulierungen der Betroffenen
kennt über Heiratsbeziehungen, wie sie >comme il faut< auszusehen haben, kann
nicht ohne weiteres auf andere Sepik-Gesellschaften übertragen werden (vgl. z. B.
McDowell 1976 für Bun am Yuat).
Grundlegend ist der Gedanke, der im mythischen Weltbild und in dessen künstleri-
scher Umsetzung gerade bei den Iatmul mehrfach ausformuliert wird, der mythi-
sche Gründerahne eines Klans habe mindestens je eine männliche und eine
weibliche Erscheinungsform, eben einen Mann und seine Schwester. Die männliche
Hauptlinie kann zudem in ältere und jüngere Brüder(linien) mit ihren jeweiligen
Schwestern aufgeteilt werden. Wichtig ist hier gegenüber dem klasssischen, auf der
streng männlichen Abstammung aufbauenden Klanmodell, daß die Frauen auch
nach der Verheiratung Angehörige ihres Geburtsklans bleiben25.
Kurz gesagt geben männliche Klanlinien ihre Schwestern ab und heiraten Frauen,
entweder nach einer festen Regel oder möglichst weit gestreut. So formuliert, trifft
das Modell auf unterschiedliche Gesellschaften im Sepik-Gebiet von Neuguinea zu.
Im erstgenannten Fall bildet sich eine feste Allianzordnung - Beispiel Iatmul - , im
zweiten Fall haben wir Allianzen auf Zeit vor uns. Gerade dies trifft auf das System
der Zahlungen bei den Kwoma zu, wie Bowden (1983b) inzwischen auch in Bezug
auf die verwendete Verwandtschaftsterminologie überzeugend aufgezeigt hat. In
einer Welt, von der Kwoma-Männer nach außen gerne behaupten, sie sei, nach
einem mythischen Vorspiel der alleinigen Frauenherrschaft auch im Ritual, von den
aktiven Kwoma-Männern so gut eingerichtet worden, wie sie noch heute ist (vgl.
Kaufmann 1968: 107, Bowden 1982: 297), besteht allerdings - und dies ist den
Kwoma wichtig - ein tieferer Ausgleich, ein Zusammenwirken zwischen »väterli-
chen« und »mütterlichen« Leistungen. Zu ersteren gehören die Weitergabe von
Seelenstoffpartikeln in Körpersäften und Atem bzw. der Samen- und Knochenan-
teil bei der Einleitung der Zeugung und ähnlich beim Pflanzen von Yams, ferner
das Erlegen von Jagdtieren (zugleich auch ein jägerisches Opfer), die Durchfüh-
rung von Männerhausritualen und Initiationen. Die »mütterlichen« Leistungen sind
ebenso schöpferischer Art; sie umfassen einen anderen Seelenanteil an Lebewesen
sowie Blut und Weichteile in der Fortführung der Zeugung, d. h. in der Schwanger-
schaft, die Vervielfältigung der Familie (»viel« = nokapa nokapa, d. h. »Mutter +
Mutter«), wobei dies sowohl auf die Kinder als auch auf die Grundnahrungsmittel
Yams und Sago bezogen wird, und nicht zuletzt das Ernähren der Säuglinge an der
Brust und die Sorge für die Kleinkinder.
Das kontrollierte Zusammenwirken von Mann und Frau - im Alltagsleben so
charakteristisch ausgedrückt im kooperativen Verhalten beim Töpfern und bei der
Sagogewinnung (Kaufmann 1972: Abb. 69-71 und 1983: 23) - ist gerade nach der
Gewichtung der Kwoma unerläßlich für das Gedeihen der Gesellschaft (Williamson
1983: 18 f.). Diese kennt allerdings auch den Wettstreit zwischen den Geschlech-
tern, ja die Aggressionen der Männer gegen innen und außen. Ob der (umfassen-
dere) Gedanke des Zusammenwirkens der »väterlichen« und der »mütterlichen«
Leistungen dazu in Konkurrenz steht und allenfalls wie, muß offen bleiben26. Der
167
TRIBUS 35, 1986
Gedanke des Zusammenwirkens zielt über die Ebene der Individuen hinaus. A.
Forge hat bereits 1971 die Rolle der »mütterlichen« Leistungen als einen spezifi-
schen Zug der gesellschaftlichen Ideologie der Abelam und der Iatmul am Sepik
hervorgehoben (Forge 1971: 141 f.)27.
»Väterliche« Leistungen sind in besonderes reiner Form das Zeremonialgeld der
Kwoma, »mütterliche« ihre Netztaschen. Die öffentliche Darbietung dieser Gegen-
stände sagt somit Grundsätzliches aus. Oder anders gesagt, garantiert und bestätigt
die Abgabe von »väterlichem« Zeremonialgeld den Empfang weiblicher und insbe-
sondere »mütterlicher« Leistungen im Alltags- wie im Zeremonialleben, während
die Darbietung der »mütterlichen« Netztaschen die zentralen weiblichen Leistun-
gen (einschließlich der geschlechtlichen) hervorhebt und damit die unerläßlichen
»väterlichen« Voraus- und Ergänzungsleistungen noch verstärkt.
Abb. 72
Kleinkind, geborgen in der Tragtasche
(kwäl s gakö) auf dem Rücken der Mutter.
7. Schlußfolgerungen
Die Betrachtung der Rolle, die Maschenstoffe und daraus abgeleitetes Zeremonial-
geld in der Kwoma-Gesellschaft bis in unsere Zeit spielen, hat zu folgenden
Ergebnissen geführt.
1. Die vergleichsweise einfache Grundtechnik des Sehlingens von Maschen aus
einem im Prinzip endlosen Faden erlaubt den Aufbau anspruchsvoller Variations-
formen. Diese vermögen den unterschiedlichsten funktionellen Ansprüchen einer
Tropenwaldkultur (z. B. Säuglings-Tragschlinge, Tragtasche für Feldfrüchte, Auf-
hängevorrichtungen für Vorräte, elastische Unterlage für Schneckenschalen- und
Muschelschmuck bzw. Zeremonialgeld) zu genügen.
2. Die Verwendung von Maschenstoffen bei zeremoniellen Anlässen innerhalb der
Kwoma-Gesellschaft dient dazu, die der Weltordnung zugrundeliegenden Ideen
bildlich faßbar zu machen.
2.1 Die von Frauen hergestellten Netztaschen unterstreichen die Rolle der mütter-
lichen Fruchtbarkeit, die in mehreren Mythen umschrieben ist, mit jeder Zeremo-
nie, bei der real oder symbolisch eine prall gefüllte Netztasche präsentiert, über-
reicht oder sonstwie verwendet wird. Auch die Mutter überträgt seelisches Leben-
.Die Netztaschen sind daher nicht nur »gut«, also schön und anziehend als Beiwerk
oder Schmuck, sondern stellen in der Symbolsprache das Gleichgewicht zu den
168
Kaufmann: Maschenstoffe
Zeichen männlicher Zeugungs- und Seelenkraft her; letztere reicht ihrerseits weit
über den Bereich des direkt Geschlechtlichen hinaus (Setzholz des Pflanzers,
Werkzeuge, Jagd- und Zeremonialspeere).
2.2 Das Zeremonialgeld, das immer aus einer Verbindung von - von Männern
hergestellten - Maschenstoffunterlagen und Schnecken- bzw. Muschelschalen
besteht, hat von seiner Herstellung her ein männliches Bedeutungsfeld. Im Produkt
steckt Seelenkraft des Herstellers (wie in der Schnitzerei, im Yams, in der Jagd-
beute). Einzelne Stücke von Zeremonialgeld werden nach ihrer Beschaffenheit und
ästhetischen Qualität bewertet. Zeremonialgeld wird in die Nähe der übermenschli-
che Strahlkraft aufweisenden Sonne und des intensiven Lichts, von religiöser
Energie par excellence gerückt; es hat somit einen eigenen Symbolwert.
3. Die Übergabe von Zeremonialgeld bei der Heirat besiegelt eine Allianz auf Zeit
der beiden beteiligten, einander strukturell sonst nicht verbundenen Patriklane.
Neben dem Brautpreis wird eine Aussteuer in Kapitalgütern (Netztaschen, Töpfe,
Geräte) überreicht. Eine vergleichsweise bescheidene Essensgabe in Gegenrich-
tung, die noch durch ein auf der Jagd erlegtes Schwein ergänzt werden muß,
bestätigt den richtigen Empfang des Zeremonialgeldes.
Die Allianz wird beendigt durch Trauerpreiszahlungen beim Tod der Kinder aus
dieser Verbindung an den Klan ihrer Mutter. Zeremonialgeld wird aus diesem
Anlaß gegeben für die Leistungen der Mutter gegenüber dem Säugling (Ernährung
an der Brust, Sauberhalten und Aufziehen). Die Arbeitsleistung der Mutter für den
Klan des Vaters der Verstorbenen (Männer und Frauen) wird durch Kapitalgüter
(Töpfe, Netztaschen, Arbeitsgeräte etc), abgegolten. Schluß der Übergabe kann
wiederum eine Essensgegengabe bilden.
4. Informelle Zahlungen und Präsentationen bei mannigfachen Gelegenheiten
zeigen weitere Verästelungen der Grundideen. Mit der Übergabe von Zeremonial-
geld und anderen Maschenstoffartikeln werden neue Verbindungen gegründet oder
alte gepflegt. Zeremonialgeld, im Wert-System der Kwoma offensichtlich ein
Ausdruck männlicher, d.h. »väterlicher« Leistung, wird dabei übergeben in Aner-
kennung »mütterlicher« Leistungen (Blut, Essen, Reproduktion, spezifisches
Wissen).
5. Die Art der Kwoma, ihnen wesentliche Beziehungen und Ordnungsgedanken
öffentlich darzustellen, ist anschaulich, im Unterschied zur oft recht theoretischen
ethnologischen Diskussion über Fragen der Sozialorganisation. Die Darstellung der
Kwoma erschöpft sich nicht in einer männlichen Selbstbestätigung, sondern ver-
weist - in einer für eine patrilineare Kultur originellen Weise - auf ein tiefer
verankertes Bild des Ausgleichs, d.h. der Anerkennung für, ja der Hochachtung
vor der hingebenden Leistung der Frauen und Mütter. Wer Neuguinea kennt, weiß
wie schwer dies - nicht nur dort - Männern fallen kann.
Anmerkungen
1 Zur Systematik der textilen Techniken Op-
penheim 1942, Bühler-Oppenheim 1948,
Seiler-Baldinger 1973, zum Halbweben
auch in Neuguinea Seiler und Ohnemus
1986. Die vorliegende Arbeit ist in erster
Fassung Dr. Renée Boser-Sarivaxévanis,
der Konservatorin für Textilien und Afrika
am Museum für Völkerkunde Basel aus
Anlaß ihrer Pensionierung 1983 gewidmet
worden. Ich danke der Redaktion des Tri-
bus für die Aufnahme in diesen Band.
2 Als allgemeine Grundlage und für Süd-
amerika Seiler-Baldinger 1971, für Neugui-
nea vgl. Hinderling 1959. Das australische
Material wird von Allen West, Melbourne
bearbeitet.
3 Diese Darstellung beruht auf Untersu-
chungen, die 1966, 1972/1973 und 1983
während insgesamt 15 Monaten bei den
Kwoma (jetzt in der Ambunti Sub Provin-
ce, East Sepik Province, Papua New Gui-
nea) durchgeführt worden sind. Mein herz-
licher Dank gilt unseren Partnern im Dorf
Meno-Saserman und meiner Frau, Anne-
marie Kaufmann-Heinimann, für geduldi-
ge Zusammenarbeit, ferner allen, die uns
in Papua New Guinea und Australien ge-
holfen beziehungsweise uns von Europa
aus unterstützt haben. Die nötigen Mittel
bewilligten der Schweizerische National-
fonds zur Förderung der wissenschaftlichen
Forschung, Bern, die Museumsbehörden
169
TRIBUS 35, 1986
des Kantons Basel-Stadt, die Fritz Sarasin-
Stiftung, Basel sowie die Janggen-Pöhn-
Stiftung, St. Gallen. Allgemeine Darstel-
lungen der Kwoma-Kultur finden sich in
Whiting and Reed 1938/1939, Whiting
1941, Kaufmann 1972, 1983, Bowden
1983 a.
4 Eine umfassende Arbeit über Maschen-
stoff-Traditionen im Zentralgebirge von
Maureen McKenzie (ANU Canberra) ist in
Vorbereitung; für die Eipo (Irian Jaya) vgl.
Koch 1974: 34f., 66-74, 79. Die Situation
bei den Iatmul behandelt G. Schuster (im
Druck).
5 Da eine widerspruchsfreie Analyse der
Kwoma-Phonologie nach wie vor fehlt,
halte ich mich an die von Z’graggen (1971)
empfohlene Schreibweise, mit folgenden
Anpassungen an die typographischen Mög-
lichkeiten: dj für 3 , ngg für qg, p für p ,
den für die Kwoma typischen bilabialen
Frikativ.
Gespräche fanden in der lokalen Variante
des melanesischen Pidgin (tok pisin, pd.)
statt, wobei in zunehmendem Maße auch
einheimische Begriffe und Sachbezeich-
nungen (Kwoma, kw.) eingeflossen sind.
Für den Zusammenhang dieser Arbeit we-
sentlich wäre hier die von Williamson
(1983: 18) und Bowden (1983: 487) für die
Honggwama erwähnte Gleichsetzung der
Benennungen ko (Bowden schreibt kow)
für Netztasche und Gebärmutter. Diese
Parallelisierung ist in der Tat bei Ndu-
Sprechern im Sepik-Gebiet, insbesondere
bei den Abelam üblich. Für die Kwoma
von Saserman kann ich sie weder bestäti-
gen, noch schlüssig widerlegen. Auch muß
hier die Abgrenzung von ko, Netztasche zu
ka, ihr (2. Person pl.) aufrechterhalten
werden.
6 Die im folgenden abgebildeten Belege aus
der Sammlung des Museums für Völker-
kunde Basel wurden, wo nicht anders ver-
merkt, 1966 bzw. 1972/73 vom Verfasser
bei den Kwoma von Saserman erworben.
Die folgende Aufstellung enthält die In-
ventarnummern und die wichtigsten Maße.
7 Von den Manambu stammen zwei Belege
angefangener Arbeit im Basler Museum,
die formal und technisch mit den rauten-
förmigen Geldunterlagen der Kwoma
übereinstimmen. Die Technik wurde unter
Alfred Bühler, dem Sammler, als Einhän-
gen über zwei Maschenreihen bestimmt
(Inv.-Nrn. Vb 17604 und 17606, erworben
1959 in Avatip).
Von den Iatmul hat A. Bühler in Timbun-
ke ein begonnenes Maschenstoffband von
4 cm Breite erworben; die Technik wurde
ebenfalls als Einhängen über zwei Ma-
schenreihen bestimmt. Eine eingehende
Untersuchung der z. T. durchbrochen gear-
beiteten und in figürlichen Elementen en-
denden Maschenstoffhauben der Iatmul
steht noch aus. Bühler verwies bei Vb
14891 auf die Bezeichnung »Fischgratver-
schlingen« von Hinderling (Hinderling
1959: 38-41, vgl. Seiler-Baldinger 1969:
50f., dort: Eingehängtes, verhängtes Sand-
uhrverschlingen). Tanz- und Kriegs-
schmuck (kara’ut) aus Maschenstoff mit
Gesicht und eingesetzten Eberhauern, von
Bühler bei den Abelam gesammelt, wurde
von ihm als Beleg für »Technik (auch Bild)
der verschränkten Masche« bestimmt
(Inv.-Nrn. Vb 12601/12606). Ein vergleich-
bares Stück von den Honggwama-Kwoma
ist breiter und höher als ein kara’uf, es
gleicht eher einer Maske, hat keine einge-
setzten Eberhauer und könnte eine moder-
nere Entwicklung belegen (Inv.-Nr. Vb
27380, nicht abgebildet).
8 Für diesen und die folgenden Vorgänge
vgl. auch die in Film E 2287 des IWF
Göttingen (Kaufmann 1980) festgehalte-
nen Arbeitsweisen von Nggai’uk in Meno-
Saserman.
9 Der Ausdruck Faden für das einem Euro-
päer eher als feine Schnur erscheinende
Produkt wird benützt, um die Einheitlich-
keit im technologischen Vokabular zu be-
wahren, vgl. Seiler-Baldinger 1973: 1-3.
Die Kwoma benützen für den Faden die
Bezeichnung mandja, mit der auch die
Rohfasern (mandjd -sumba ) benannt
werden.
10 Bei den Kwoma ist mir eine Sonderform,
nekakö, bekannt geworden, bei der mit
einem Farbstreifen in der Mitte begonnen
worden sein soll. Die Tasche (Inv. Nr. Vb
29592) ist auf der Höhe des Streifens in
der Tat etwas enger als an der Basis und
an der Mündung. Von den Kwoma kenne
ich andererseits keinen Beleg für das Be-
ginnen am Taschenrand - ein gerade von
den Iatmul mehrfach belegtes Verfahren
(mündliche Mitteilung G. Schuster).
11 Ich danke Dr. Annemarie Seiler-Baldin-
ger für die Ermutigung, mich mit der Ma-
terie auseinanderzusetzen, und auch für
erhaltene Hinweise.
12 Die Einleitung der Ehe beginnt gemäß
verschiedenen Beobachtungen und Schil-
derungen mit Arbeit, die Ego als junger
Mann in der Pflanzung des Vaters seiner
Braut, z.B. beim Roden, beim Schneitein
der Bäume und beim Graben der Setzlö-
cher leistet. Einen wichtigen Punkt bildet
die Bestätigung der Eheschließung durch
ein von der Mutter des Bräutigams zube-
reitetes und dem Paar vorgesetztes Essen
(vgl. auch Whiting 1941: 125).
Es folgt die Überreichung der Brautgabe
an den neuen Haushalt: Werkzeuge und
Haushaltsgeräte, Topfvorrat einschließ-
170
Kaufmann: Maschenstoffe
lieh von Sagovorratsgefäßen - die junge
Frau und der junge Mann dürfen ja auf
längere Zeit noch nicht selbst töpfern -
und Netztaschen. Leider fehlen genaue
eigene Erhebungen, aus denen Umfang
und Flerkunft dieser recht substantiellen
Gaben zu entnehmen wären. Die Überrei-
chung des Brautpreises und dessen formel-
le Entgegennahme bestätigen somit die
Eheschließung.
13 Beim frühen Tod eines Mannes wird ein
Bruder des Verstorbenen oder allenfalls
ein anderer Angehöriger von dessen Al-
tersstufe in der Patrilinie bzw. im Klan das
Heiratsverhältnis fortsetzen. In welchen
Fällen ein zusätzlicher kleiner Brautpreis
bezahlt wird, ist mir nicht bekannt.
14 Vgl. dazu den von uns aufgenommenen
Film E 2189 des IWF Göttingen (Kauf-
mann o.J.), der nur die Phasen 2 und 3
zeigt.
Leider konnten bei den weiteren beobach-
teten Vorgängen, zu denen wir 1972 schon
bald nach Beginn der Feldarbeit unsere
Gastgeber aus Meno-Saserman auch in die
Nachbarsdörfer Begilam-Saserman und
Orumbantj begleitet haben, die verwandt-
schaftlichen Verästelungen der zahlreich
anwesenden Geber und Empfänger nicht
im Detail erfaßt werden. Der Versuch, in
einem Fall nachträglich die von einem als
Lehrer tätigen einheimischen Bräutigam
schriftlich notierte Liste der Geber zu re-
konstruieren, scheiterte; der Lehrer hatte
seinen Zettel verloren und war nicht mehr
in der Lage, sich aller Gläubiger und ihrer
Beiträge einzeln zu erinnern - ein deutli-
ches Zeichen kulturellen Umbruchs.
15 In einem besonders eingehend beobachte-
ten Fall war es der Vatersbruderssohn des
Bräutigams, der als dessen nächster Ver-
wandter in männlicher Linie und zugleich
als »Bruder« diese Tätigkeiten geleitet hat
- vgl. Film E 2189 des IWF Göttingen
(Kaufmann o.J.). Als einheitlich klassifi-
zierte Verwandte in den Klanen des Va-
ters, der Mutter und der Frau sowie deren
direkte Nachfahren nehmen funktionell
dieselben Stellungen zueinander ein (zur
Terminologie vgl. Whiting and Reed 1938/
39: 200 ff., Bowden 1983b und Anmer-
kung 25).
Bei Adoptionen und Pflegekinder-Ver-
hältnissen stehen die sozialen Vater- und
Mutterschaftsrollen im Vordergrund; in
Anerkennung ihrer Leistungen erhalten
Pater und der Bruder der Mater - nicht
Genitor und der Bruder der Genetrix -
bzw. die Rechtsnachfolger der Genannten
die Zeremonialpreiszahlungen (so auch
bei den Honggwama, vgl. Williamson
1983: 14). Allerdings wird das physische
Ursprungsverhältnis nicht vergessen.
Über die formelle Adoption hinaus kön-
nen innerhalb des Klans soziale Eltern-
schaftsverhältnisse im Hinblick auf die
Verheiratung von Mädchen auch speziell
begründet werden mit dem Ziel, Emp-
fangsrechte für Zahlungen abzutreten und
so einen Augleich für frühere, unter ana-
logen Bedingungen erhaltene Zahlungen
herzustellen. Entsprechende Abtretungen
von Empfangsberechtigungen wurden
nach den erhaltenen Auskünften auch bei
Trauerpreiszahlungen vorgenommen.
16 Für die Honggwama führt Bowden
(1983b: 750) den Bruder der Braut als den
alleinigen nominellen Empfänger des
Brautpreises an. Dies trifft in dieser Aus-
schließlichkeit für Saserman nicht zu. Der
Vater (bzw. dessen Generation) war in
den beobachteten Fällen immer mitbetei-
ligt; ihm oblag insbesondere auch die Auf-
teilung des erhaltenen Zeremonialgeldes
auf die verschiedenen Endempfänger (Li-
nien des Klans). Dabei handelte es sich
nach den erhaltenen Angaben zum Teil
um den Ausgleich für Zahlungen, die der
Vater selbst als Beitrag für den Brautpreis
seiner Frau (d. h. der Mutter der nun ver-
heirateten Tochter) erhalten hatte.
17 Daneben war zu hören: ya picu, das Zere-
monialgeld aufnähen (hergeleitet von
«Geld-schlagen/töten»), Beim Überrei-
chen des Preises «sterben» (hawa) in der
Tat Geld und offene Schuld (ya-[sein-]ni
hawa).
18 Diese Taschen erinnerten A. Forge in ei-
ner mündlichen Unterhaltung an die ver-
zierten Taschen, die Männer der Gnau
(West Sepik Province, PNG) gemäß der
photographischen Dokumentation von
Gilbert Lewis bei Festen seitlich ange-
hängt tragen - vgl. auch oben Abb. 4.
19 Die Ankunft der deutschen Kolonialher-
ren um 1912 scheint nach Aussagen aus
Saserman ein solcher Grund gewesen zu
sein. L. Bragge (n.d.) hat die Bedeutung
der Eröffnung der australischen Regie-
rungsstation Ambunti im Jahre 1924 für
zahlreiche Vorgänge in der Gegend der
Manambu, Kwoma und Iatmul ermittelt;
dies wird durch D. Newton (mündliche
Mitteilung) für die Kwoma bestätigt.
20 Ob ma pondar (kw.) dabei, wie noch 1972,
synonym mit wan paund (pd. für 1 Pfund)
für die Zahl 20 - aufgebaut aus je zweimal
fünf Fingern (bzw. 2 »Fäusten«) und zwei-
mal fünf Zehen (bzw. 2 »Füßen«) - ge-
braucht wurde oder aber für eine Zahl
zwischen 25 und 33 stand, die sich aus den
zweimal fünf Fingern plus zweimal fünf
Zehen plus vier bis zwölf weiteren Ge-
lenk- oder Merkpunkten am Körper plus
Kopf zusammengesetzt hat, bleibe man-
gels zuverlässiger Angaben dahingestellt.
171
TRIBUS 35, 1986
21 Toea und Kina sind allgemein bekannte
Motu- bzw. Pidgin-Begriffe für Muschel-
geld in verschiedenen Landesteilen von
Papua New Guinea.
22 Einen vergleichbaren Fall, wo im Rahmen
eines Brautpreises sowohl real vorhande-
ne als auch nicht vorhandene Kühe, Scha-
fe und Ziegen durch Geld zum »ursprüng-
lichen« d.h. längst symbolisch geworde-
nen Umrechnungskurs in Pfunden reprä-
sentiert werden, hat Sansom bei den Pedi
in Sekhukhuneland (Südafrika) dokumen-
tiert (Sansom 1974). Diese Festlegung er-
folgt unabhängig vom Markt- oder Auk-
tionswert der Tiere. Der Brautpreis der
Pedi besteht somit aus einer abstrakten
Summe in einheimischer »Währung«.
23 Mündliche Mitteilung L. Bragge, Ambun-
ti 1972. Leider fehlen statistische Anga-
ben, mit denen der persönliche Eindruck
untermauert werden könnte.
24 Die vereinfachende Übersetzung als
»Blut« für das dabei durch die Hände und
das Werkzeug des Pflanzers (z. B. als
Schweiß oder als immaterieller Seelen-
stoffpartikel - wie im Text des Mes-Zyklus
belegt) bzw. durch die Waffe des Jägers
hinübergleitende pi ist im Sinne der Kwo-
ma zu wenig präzis. Ich habe leider diese
Vereinfachung früher selbst verwendet
(Kaufmann 1972: 192). Nicht jeder (Kör-
perhaft (pd. blut) ist auch im Blut enthal-
ten (vgl. Fox 1971: 240) und umgekehrt
werden Substanzen als pi klassifiziert, die
wir unterscheiden würden (ähnlich für die
Gnau Lewis 1980: 151 ff., 173ff.). Die Sa-
che bedarf für die Kwoma noch näherer
Abklärung, insbesondere auch wegen der
Abgrenzung von der Übertragung von
(männlichen) Seelenpartikeln durch den
Atem (hi, 1. Feuer, 2. Atem, 3. Wärme, 4.
Name - vgl. Sequenzen in Film D 1479,
die das Beleben der Yamssetzlinge zeigen,
Kaufmann 1983: 21, 23). Williamson
(1983: 16) verweist ihrerseits auf die Vor-
stellungen von den weiblichen mai-(oder
mae-?)Körperseelen, von denen gemäß
meinen Feldnotizen die mail-tmailya-
Schattenseelen abzugrenzen wären.
25 Die gedankliche Reduktion des Klanur-
sprungs auf ein Bruder-Schwester-Paar
hat sich bei der Bearbeitung der Ikonogra-
phie der Iatmul und Sawos für die neue
Dauerausstellung des Basler Museums
(eröffnet im Oktober 1985) ergeben. Da-
mit wird aus der Vielfalt sich ergänzender
Vorstellungen über den Kern der gesell-
schaftlichen Beziehungen (zwischen Va-
ter/Mutter und Kindern, zwischen Ge-
schwistern - einschließlich jener zwischen
älteren und jüngeren gleichgeschlechtli-
chen Geschwistern - sowie zwischen Ver-
schwägerten) eine Möglichkeit in den Vor-
dergrund gestellt (vgl. auch Mead 1978:
73).
Wie Harrison (1984: 393 ff.) richtig vermu-
tet, wird auch bei den Kwoma kombiniert
in den Kategorien der liniengebundenen
Abstammung und der allianzhaften, in der
Dauer beschränkten, Bindungen zwischen
diesen Linien gedacht und gehandelt. Das
System ist damit sehr anpassungsfähig.
Auf der Ebene des Individuums entsteht
ein dichtes Beziehungsgeflecht, in dem die
Bindungen an die Vertreter des Klans der
Mutter und des Muttersbruders emotio-
nell besonders betont werden. Die Ver-
wandtschaftsterminologie der Kwoma
paßt gut dazu. Die von Bowden (1983b:
760) festgestellte Anomalie verschwindet,
wenn man - wie in Saserman notiert und
in Übereinstimmung mit Whiting and
Reed 1938/39: 202 nambel auf die Schwe-
ster der Ehefrau (WZ) anwendet, deren
Mann als yekim (WZH) und die Kinder
aus dieser Verbindung als nel bezeichnet.
Nel bezeichnet auch von Ego weiblich aus
die Kinder des Bruders (BS/BD; Gegen-
bezeichnung yako). Die Brüder der Ehe-
frau werden generell als laka-kumoi. Brü-
der, klassifiziert bzw. im Einzelfall als
mandala, Bruder, bezeichnet, zusammen
mit ihren Söhnen (WB, WBS; Gegenbe-
zeichnung mowei für ZH, FZH). Eine
Heirat schafft somit zwischen nicht ver-
wandten Männern eine Beziehung wie
zwischen Geschwistern, mit den daraus
abzuleitenden Ansprüchen auf und Ver-
pflichtungen zu Hilfeleistungen.
26 Die Gegenüberstellung von wettstreitarti-
gen, oppositionellen Tauschhandlungen
zwischen Männern aus zwei Zeremonial-
hälften (wobei als phallisch gedeutete
Symbole wie Speere, langer Zeremonial-
yams etc. Verwendung finden) und reli-
giös-integrierendem, den Wert »mütterli-
cher« Leistungen betonendem Tausch
(von Nahrungsmittlen, Wertgegenständen
und Frauen), wie sie Forge für die Abelam
anführt (Forge 1972: 537ff.), trifft in die-
ser Form für die Kwoma nicht zu. Aller-
dings sind wir über das Initiationsgesche-
hen in voreuropäischer Zeit nur fragmen-
tarisch informiert. Eine gewisse Wett-
streitsituaiton, die auch aggressive Hand-
lungen mit Speeren beinhaltet, besteht
zwischen den yenama und den mindjama,
den beiden Gruppen von Organisatoren
eines sich ergänzenden Paares von Ernte-
und Kultfesten (innerhalb eines viel um-
fassenderen Zyklus).
2 Nach Hauser (1985: 527) ist der Brautpreis
der Iatmul (bestehend aus Molluskenscha-
len- bzw. Papiergeld sowie Fischreusen
und geflochtenen Körben) »ein Entgelt an
den Brautvater für die Ablösung der Frau
172
Kaufmann: Maschenstoffe
von dessen Clan und für die Einverleibung
in den des Bräutigams; damit verbunden
sind auch sämtliche Dienstleistungen, die
die Frau dem neuen Verwandtschaftsver-
band erbringt: Versorgung der Familie mit
Grundnahrungsmitteln und deren Zube-
reitung, heute auch Beschaffung von Geld
durch den Verkauf von selbstproduzierten
Gütern (Tabak, geräucherter Fisch) auf
Märkten, Stärkung des patrilinear organi-
sierten Clans durch das Gebären und Auf-
ziehen neuer Mitglieder.« Davon zu unter-
scheiden ist eine kleinere Geldgabe vom
Vater der Braut an den Vater des Bräuti-
gams: »... diese soll der Frau einen regel-
mäßigen Kontakt mit dem Clan ihrer El-
tern gestatten.« (Hauser, ebda.) Die Iat-
mul-Braut erhält vom Klan ihres Vaters
eine im Vergleich zum Brautpreis beschei-
denere Ausstattung (Mitgift) in Wertge-
genständen (Maschenstoffhaube mit Nas-
sabesatz, Schmuck etc.) sowie eine große
Aussteuer in »weiblichen« Gütern (Reu-
sen, Herdschalen, Vorratsgefäßen, Back-
schalen, Kokosnuß) - vgl. dazu die Auf-
zählungen in der Basler Speik-Dokumen-
tation (Obrist et al. 1984, Kategorie 17 -
Schmuck) bzw. ergänzend, im Kölner
Ausstellungskatalog (Jentsch 1985:
49-51). - Zur Diskussion über Brautpreis,
Mitgift und Aussteuer vgl. Goody and
Tambiah 1973.
Abbildungsverzeichnis (zu Anmerkung 6)
Abb. Inv.-Nr. Höhe: Breite: Maschen-
1 Tragband 1 Taschenmitte touren:
bis Bodenlinie 2 Mündung innen 1 Tasche
2 nur Tasche 3 Basislinie 2 Rand
2 Vb 29565 L. 142 cm
3 Vb 29567 67 cm / 33 cm 42 cm / 46 cm 17+5
4 Vb 29568 48 cm / 35 cm 35 cm / 25 cm 48 + 11
5 Vb 29550 56,5 cm / 16,5 cm 20 cm / 13 cm 16+8
6 Vb 29551 51 cm 20 cm 15, quer
7 Vb 29569 80 cm / 47 cm 60 cm / 60 cm / 72 cm 20+7
8 Vb 29570 90 cm / 56 cm 75 cm / 54 cm / 110 cm 22+6
9 Vb 29571 105 cm / 38 cm 55 cm / 58 cm / 60 cm 16+4
10 Vb 29574 80 cm / 50 cm 85 cm / 58 cm / 105 cm 20+4
13 Vb 29576 115 cm / 65 cm 125 cm / 90 cm / 170 cm 19+5
14 Vb 29577 108 cm / 73 cm 108 cm / 70 cm / 180 cm 33+8
15 Vb 22420 190 cm / 135 cm — / 85 cm / 285 cm 32 + 13
16 Vb 22422 95 cm / 57 cm 44 cm 49+6
17 Vb 29578 72 cm / 52 cm 42 cm / 37 cm 42+6
19 Vb 29580, Nukuma 42 cm / 14 cm 18 cm / 11 cm / 24 cm 14
20 Vb 14582 65 cm / 44 cm 33 cm / 20 cm / 42 cm 16 + 1
Slg. A. Bühler 1955/56, Washkuk
24 Vb 29586 75 cm / L. 157 cm 52 cm 29
25 Vb 27243 b 16 cm / 3 cm L. 29 cm 6
29 Vb 27439 L. 71 cm 21 cm -
30 Vb 29589 L. 30 cm 14,5 cm 7 Str.
31 Vb 15791 L. 108 cm 8,5 cm -
Slg. A. Bühler 1959, Mayo
32 Vb 27440, Mariwai L. 36 cm 20 cm "
34 Vb 27460 L. 56 cm 17,5 cm -
37 Vb 27381 L. 67 cm 1,5 cm -
38 Vb 27435 23 cm 19 cm -
39 Vb 27437 L. 18 cm 12 cm / 4 cm -
41 Vb 29591 L. 40 cm - -
43 Vb 22424 12 cm 14 cm -
45 Vb 27458 - 34 cm -
173
TRIBUS 35, 1986
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Abbildungsnachweis
Die Zeichnungen wurden von Christina Schäublin, die Karte von Eva Weber, die Museums-
aufnahmen von Peter Horner, alle am Museum für Völkerkunde und Schweizerischen
Museum für Volkskunde Basel, angefertigt. Die Feldaufnahmen stammen von Annemarie
Kaufmann-Heinimann (1972/73) und Christian Kaufmann (1972/73, 1983).
175
Buchbesprechungen
Bianchi, Ugo:
Transition Rites. Cosmic, Social and Indivi-
dual Order. Storia delle Religioni Vol. 2,
Rom: L’Erma di Bretschneider 1986.
Die hier publizierten Beiträge eines finnisch-schwedisch-
italienischen Seminars von 1984 in Rom behandeln Pro-
bleme des Begriffs und der rituellen Praxis des Ȇber-
ganges« und der »Übergangsriten«. Ausgangspunkt der
Beiträge ist im wesentlichen die Theorie Van Genneps
»Rites des Passages« und V. Turners »The ritual pro-
cess«. Die verschiedenen Beiträge machen - bei aller
Vorsicht mit solchen Verallgemeinerungen - die Unter-
scheidung von zwei Gruppen von Übergangsriten deut-
lich: zum einen individuelle Übergangsriten, die auf et-
was Neues für den Einzelnen verweisen (Initiation, sozia-
ler Status etc.) und für den Einzelnen linearen Charakter
haben, zum anderen kollektive Übergangsriten, die die
Erneuerung der Natur und des Lebens thematisieren und
eher zyklisch sind. Diese Fragestellungen werden an
Beispielen aus der antiken Religionsgeschichte, der Eth-
nologie und an modernen religiösen Phänomenen durch-
geführt. Im einzelnen werden afrikanische Initiationsri-
ten, die Visionssuche bei amerikanischen Indianern, eine
Schamaneninitiation bei den Samen, der Schlaf als Über-
gang, das Verhältnis von Übergangsmythen zu Ur-
sprungsmythen, die verlängerte Übergangsperiode bei
Theravadamönchen, die Pubertätsprobleme von Univer-
sitätsstudenten, Zungenreden bis hin zur Lebensge-
schichte eines finnischen Dichters u.a. verhandelt. Theo-
retische Gesichtspunkte der Übergangsriten werden vor
allem von Pentikäinen und Bianchi erörtert. Dabei wird
deutlich, daß eine schärfere Bestimmung von Übergangs-
riten und deren Abgrenzung von anderen Riten erforder-
lich ist. Es ist sehr zu begrüßen, daß Van Genneps
Theorie der rites des passage, die lange Zeit in der
Religionswissenschaft und Ethnologie zu wenig berück-
sichtigt war, erneut in die Diskussion gerückt ist.
Hartmut Zinser
Duerr, Hans Peter:
Sedna oder die Liebe zum Leben, Frankfurt/
M.: Suhrkamp Verlag 1984. 535 Seiten, viele
Abbildungen.
Der als Medienliebling bekannt gewordene Autor der
»Traumzeit« hat ein Buch vorgelegt, das in mancher
Hinsicht eine Fortsetzung dazu darstellt und wert ist,
nicht bloß von einer zwar interessierten, aber letztlich
fachlich doch kaum kompetenten Öffentlichkeit zur
Kenntnis genommen zu werden (Besprechung des Werks
im »Spiegel« in Nr. 31/85). Denn grundsolide gearbeitet,
mit erfreulich ausführlichem Literaturteil versehen und
durch viele Fußnoten mit weiterführenden Angaben und
Querverweisen ausgestattet, vermag es Völkerkundlern,
aber auch Prähistorikern interessante neue Aspekte alt-
bekannter Problemstellungen sowie gedankenreiche, ori-
ginelle Deutungsversuche der religiös-kulturellen Ent-
wicklung der Menschheit anzubieten. Das auf geradezu
altmodische Weise »gelehrte« Buch knüpft als Versuch
(wenngleich selbstredend nicht in der Methode) an die
klassischen, Kontinente umgreifenden Entwürfe von
Frazer und Pater Schmidt an (gegen welche Interpreta-
tion sich der Autor möglicherweise sträuben würde):
Was er unternimmt, ist indessen nicht mehr und nicht
weniger als die Deutung der Welt, wie sie von den
Menschen der Steinzeit wahrgenommen worden sein
muß und die sich späterhin mit zunehmender Aufgabe
des Wildbeutertums auf markante Weise zu wandeln
begann.
Ausgehend von der titelgebenden numinosen Gestalt der
»Sedna«, einer Eskimo-Gottheit, die als »Herrin der
Seetiere« galt, unternimmt Duerr die Rekonstruktion
prähistorischer Rituale und Glaubensinhalte, indem er
sie mit jenen heutiger Wildbeuter vergleicht oder besser
vorsichtig in Beziehung setzt. Dabei kommt er zu dem
Schluß - gleichzeitig der Hauptaussage des Buches -, daß
all jene Riten und (oft direkt sexuell ausgeprägten oder
jedenfalls sexuell getönten) Bräuche dem Zweck dienen
sollten, daß »die Tiere immer viel bleiben«. Solche für
uns Abendländer, insbesondere die älteren ethnologi-
schen Autoren des vorigen Jahrhunderts, denen wir viele
Beobachtungen sexueller Tatbestände verdanken,
manchmal anstößigen Rituale meinen allerdings nicht
das Sexuelle als Selbstzweck, sondern Männer und Frau-
en hatten darin je unterschiedliche Funktionen der Re-
präsentation: die männlichen Partner stellten Tiergeister
dar, oft und vor allem während des Übergangs vom
Wildbeutertum zur Seßhaftigkeit Stiere. Die weiblichen
Protagonisten personalisierten Gestalten wie die, je nach
Spezies verschieden vorgestellte »Mutter der Tiere« und
später, als man zum Bodenbau übergegangen war, »Mut-
ter Erde« in Form der Magna Mater, deren Aspekt als
Artemis-Typ freilich nie gänzlich in Vergessenheit geriet.
Mit besonderer Sorgfalt wiedmet sich Duerr den bekann-
ten steinzeitlichen Felsbildern. Da in einer vergleichswei-
se kurzen Besprechung für einen Strauß von Beispielen
kein Raum ist, sei stellvertretend für manch andere
originelle Deutung seine Auffassung über die Entstehung
jener Kunstwerke erwähnt, was die Möglichkeit, ihre
gemeinten Aussagen unterschiedlich zu interpretieren,
nicht aus-, sondern einschließt.
177
TRIBUS 35, 1986
Duerr geht dabei von einem Faktum aus, über das sich
bisher noch jeder Erforscher gewundert hat: Wieso sind
so viele Felsbilder an geradezu absurd unzugänglichen
Stellen angebracht? Und er greift als Erklärung an eine
Form der Sehfähigkeit auf, die allen Menschen (vermut-
lich als Teil ihres anthropologischen Erbes) bis zum
heutigen Tag gleichermaßen eignet, der Möglichkeit
nämlich - und bei mentalen Krisen manchmal dem
Zwang -, in gewisse Formen und Farben die Gesichter,
ganze Gestalten oder vage Körperformen von Tieren,
Menschen oder numinosen Wesen »hineinzusehen«. Da-
bei stellt sich stets heraus, z.B. heutzutage im psycholo-
gischen Rorschach-Test, daß hier jeder von uns »sieht,
was er im Herzen trägt«. (So »sah« etwa eine Freundin
von mir während einer akuten Lebenskrise bei völliger
geistiger Gesundheit und wissenschaftlicher Schaffens-
kraft in den wolkigen Kacheln ihres Badezimmers die
Gesichtszüge der Leute, mit denen sie sich im Clinch
befand.)
Dies sind Erkenntnisse der Gegenwart. Die Schöpfer der
Höhlenkunstwerke freilich konnten noch nicht wissen,
daß die Gestalten, die ihnen, wie sie es empfunden haben
müssen, aus dem Gestein »entgegensprangen«, in Wahr-
heit Produkte der eigenen Visualisationsfähigkeit, mit
anderen Worten: persönlich konzipierte »innere Bilder«
gewesen sind. Sie mußten vielmehr annehmen, die so
geschauten Wesen seien wirklich im Stein beheimatet.
Dies erklärt auch das häufig wie achtlose Übermalen, die
willkürlich oder deutlich ohne inneren Zusammenhang
beieinander stehenden Geschöpfe, die zu »Szenen« zu
ordnen so häufig mißlingt: Jeder Betrachter entdeckte
anderes, doch alles war gleich wichtig und wert, den
Gefährten gezeigt zu werden. Das auch auf uns noch als
»Herausheben« wirkende Umzeichnen bzw. Kolorieren
solcher Visualisationen mag anfangs nur den unmittelba-
ren Zweck gehabt haben, anderen »vor Augen zu füh-
ren«, was ein Einzelner je zuerst erblickt, entdeckt hatte.
Mit dieser (hier sehr verkürzt wiedergegebenen) Deu-
tung Duerrs, die übrigens von der Neurophysiologie
abgesichert ist, was der Autor allerdings nicht erwähnt
(vgl. etwa Gordon Rattray Taylor: »Die Geburt des
Geistes«, Frankfurt/M. 1982, bes. Kapitel 5), gewinnt
seine These, der Frühmensch habe den situationalen Ort
der Tiere vor deren Erscheinen in der Welt im »Bauch
der Erde« angesiedelt, psychologisch im Sinne eines Evi-
denzbeweises durchaus Gewicht. Völkerkunde und Vor-
geschichtsforschung sind sich seit langem einig, daß der
Frühmensch ebenso wie der rezente Wildbeuter Tieren
im Sinne numinoser Wesen von hoher Wirkmächtigkeit
mehr Bedeutung und »Kraft« zugemessen hat als ver-
gleichbaren Gestalten in Menschenform; analog dazu
tritt die titelgebende »Sedna« wie viele ihrer göttlichen
Kolleginnen vom »Artemis«-Typ theriomorph auf. Auch
die Menschen sind »aus Erde« und »erdgeboren«, wes-
halb numinose Tiermütter oft gleichzeitig als Geburtspa-
troninnen für Menschen fungieren. Und weil aus ihnen
alles Leben stammt, werden sie nach dem Übergang zum
Bodenbau zu weiblichen Hochgottheiten.
Vorzugsweise von ihnen handelt der zweite Teil des
Werks. Besondere Beachtung widmet der Autor den
ägyptischen, vorderasiatischen und kretischen Göttinnen
sowie jenen des Alten Orients. Bei ihnen allen ist im Kult
anstelle der ehedem orgiastisch-anonymen Sexual»op-
fer« (mit welcher Formulierung ich mich nicht auf Duerr,
sondern frei auf Herodot beziehe) das Ritual der »Heili-
gen Hochzeit« getreten, die jährlich vollzogen werden
mußte, und zwar zwischen König und oberster Priesterin,
welche ihrerseits als Repräsentantin der Göttin selbst
aufgefaßt wurde. Ziel war: Wasser für die Felder (aber
bitte keine lebensbedrohlichen Überschwemmungen),
genügend Regen (aber bitte keine Sintflut) und vor allem
der Wunsch, daß die Jahreszeiten in gebührendem
Wechsel stetig und zuverlässig aufeinander folgen möch-
ten, kurzum, daß Balance und Beständigkeit der Welt
gewahrt blieben. Mannigfache Ausformungen des hieros
gamos z.T. blutige Opfer, entwickelten sich, die Figur
der Magna Mater spaltet sich auf im Sinne einer Weiter-
entwicklung ihrer angestammten zwei Aspekte der Spen-
derin sowohl der Lebens wie der Herrin des Todes: wir
nähern uns den Gestalten der frühgriechischen Glau-
benswelt.
Der dritte Teil des Buches fällt gegenüber den beiden
ersten stark ab, was schlicht den Grund hat, daß er
extrem kurz ist; tatsächlich wirkt er wie im Nachhinein
angefügt! Nicht, daß kein substantieller Zusammenhang
gegeben wäre, der existiert durchaus, denn Duerr stellt
den positiv-lebensbejahenden Vorstellungen der Früh-
menschen, Wildbeuter und ersten Bodenbauer den
(Hochgott)glauben an einen unberechenbaren und des-
halb genuin beängstigenden Jahwe sowie die »Religion
ohne Gott« des hinduistisch gefärbten Buddhismus ent-
gegen, die unsere Welt ausschließlich als Jammertal ver-
steht. Auf die historischen Wurzeln beider Weltanschau-
ungen geht er nicht ein; hier hätten in der Tat Zoroaster
und Mani, die Staatsform der Hydraulischen Kulturen
(Wittfogel) und last but not least ein paar Abstecher zu
unserem eigenen indogermanischen Pantheon das Bild
abgerundet. Doch damit wäre ein Buch entstanden, das
unser Autor offenbar nicht schreiben wollte. Was er
vorgetragen hat, verdient allerdings auch so, wie es ist,
durchaus Beachtung, wobei die gelungensten Partien die
Diskussion der prähistorischen Phänomene umfassen.
Gisela Bleibtreu-Ehrenberg
Das Gupta, Tapan Kumar:
Beiträge zur Museumsdidaktik am Beispiel
einer ethnographischen Sammlung. Präsen-
tation und Evaluation (= Monographien zur
Völkerkunde, herausgegeben vom Hambur-
gischen Museum für Völkerkunde, Band 9).
Hohenschäftlarn: Renner, 1985. 118 Seiten.
Die Untersuchung Das Guptas basiert auf der museums-
didaktischen Präsentation einer 1928 vom Hamburgi-
schen Museum für Völkerkunde erworbenen Sammlung
aus Chota Nagpur, Indien. Da für die 488 von den Oraon
und Ho stammenden Objekte nur eine Vitrine zur Verfü-
gung stand, bot sich die Möglichkeit, in verschiedene
Lebensbereiche einzuführen, oder sich aber auf ein The-
ma zu konzentrieren.
Das Gupta, der die Ausstellung mit dem Erziehungswis-
senschaftler Hausmann konzipierte, entschied sich für
das »exemplarische Lernen und Lehren« wobei er das
Thema »Kulturwandel am Beispiel >Kleidung und
178
Buchbesprechungen Allgemein
Schmuck< der Oraon-Frauen« wählte. Der durch Kontra-
stierung alter und neuer Exponate zum Ausdruck ge-
brachte Kulturwandel sollte die kulturelle Dynamik bei
den Oraon, die sich nur linguistisch von den Ho unter-
scheiden, veranschaulichen. Um Verknüpfungen mit an-
deren Lebensbereichen aufzuzeigen, wurde die themati-
sche Vitrine um einen sogenannten Orientierungsapparat
ergänzt, der dem Besucher die Möglichkeit bot, sich
durch »orientiertes Lernen« weiter zu informieren. In
drei Schubladen befanden sich Objekte und Kurztexte zu
den Themen »Vogelfangtechnik«, »Betelkauen« und
»Schmuck«, auf vier Tafeln wurde mit Karten, Photos
und Übersichten auf Land und Leute, das Problem des
Kulturwandels und die Expedition 1927-1928 im Oraon-
Gebiet eingegangen; eine Tafel blieb zunächst leer, da
ihre Gestaltung nach der ersten experimentellen Phase
und einer Forschungsreise des Verfassers vorgesehen
war.
Mittels Fragebögen, Beobachtungsstudien und »zentrier-
ten Interviews« sollten die Reaktionen der Besucher auf
diese Forschungsausstellung innerhalb der Abteilung
Süd- und Ostasien erfaßt werden. Es stellte sich heraus,
daß der Orientierungsapparat erst nach imperativen Hin-
weisen genutzt und seine Funktion anfänglich nicht er-
kannt wurde.
Das Gupta stellte etwas überrascht fest, daß sich die
Besucher besonders für Inhalte und Prozesse des Kultur-
wandels interessierten, räumt dann allerdings ein, daß
die Vorgänge, die sich hinter dem kulturellen Wandel
verbergen und ihn bedingen, nicht dargestellt wurden. In
Anbetracht des zentralen Themas »Kulturwandel >am
Beispiel Kleidung und Schmuck< bei den Oraon-Frauen«
ist es keineswegs verwunderlich, daß die Besucher nach
den Wirkungszusammenhängen fragen. Sicherlich ent-
wickelten gerade Frauen ein besonderes Interesse, sich
über die Vitrinenausstellung hinaus zu informieren und
waren dann enttäuscht, daß der Orientierungsapparat
ihre Erwartungen nicht erfüllte. Dies könnte ein Grund
für die relativ negative Beurteilung der Texte seitens der
Besucherinnen gewesen sein. Zwar wurde die Bereitstel-
lung weiterführender Informationen und die Möglichkeit
zur selektiven Vertiefung einzelner Themen befürwortet,
dennoch wurde der inhaltliche Beitrag zum besseren
Verstehen der Oraon gering bewertet. Diese Einstellung
deutet darauf hin, daß die Ausstellung in der Vitrine und
die begleitenden Informationen zu wenig aufeinander
bezogen waren und keine Einheit bildeten.
An die erste Besucherbefragung schloß sich eine didakti-
sche Umgestaltung an. Um den aktuellen Bezug zu den
Sammlungsobjekten herzustellen, unternahm Das Gupta
1978 eine Studienreise in das Oraon-Gebiet. Seine Er-
gebnisse dokumentierte er auf der noch freien Informa-
tionstafel im Orientierungsapparat. Die Vitrinenausstel-
lung wurde dahingehend modifiziert, daß der Vergleich
»Oraon-Frauen 1927« und »Studentinnen 1978« erwei-
tert wurde auf »Oraon-Frauen 1927 und 1978«, Gruppen-
fotos von Frauen die Einzelfotos ersetzten und alle Text-
tafeln aus der Vitrine entfernt wurden. In der veränder-
ten Vitrine fand der Besucher dann einen Hinweis auf
einen Karteikasten, der Erläuterungen zur Ausstellung
enthielt. Leider fehlt eine genauere inhaltliche Beschrei-
bung des Informationsmaterials, welches sich in diesem
am Orientierungsapparat fest montierten Karteikasten
befand.
Das Gupta führte die zweite Besucherbefragung metho-
disch analog der ersten durch, wobei er das Problem
anspricht, daß die veränderte Ausstellung eigentlich
durch die gleichen Rezipienten hätte bewertet werden
müssen, seine Vorgehensweise, mit neuen »Probanden«
zu arbeiten, halte ich jedoch für vertretbar. - Im wesent-
lichen bestätigte die zweite Befragung die Sichtweise der
Besucher, die an der ersten Befragung teilnahmen. Dar-
über hinaus zeigte sich, daß die Erläuterungen in dem
Karteikasten den Vitrinentext nicht ersetzen konnten.
Das Gupta zieht den berechtigten Schluß, daß sich eine
Evaluationsstudie von Ausstellungen nicht allein auf sta-
tistische Daten stützen darf, vielmehr ein kombiniertes
Instrumentarium eingesetzt werden sollte. Anstelle der
allgemein gehaltenen Diskussion museumsdidaktischer
Fragestellungen hätte ich mir gewünscht, daß Das Gupta
die zu Beginn der Studie angestellten theoretischen
Überlegungen in seiner Schlußbetrachtung aufgreift und
am konkreten Beispiel überprüft, vielleicht wäre dann
auch seine eigene kritische Auseinandersetzung und Be-
wertung mit der Ausstellungspräsentation und Rezeption
deutlicher zum Ausdruck gekommen.
Die Untersuchung lenkt die Aufmerksamkeit auf ein
grundlegendes Problem der Museumsdidaktik, nämlich
kulturelle Zusammenhänge in einer Ausstellung so dar-
zustellen, daß sie sich den unterschiedlichen Besucher-
gruppen erschließen. Die Beschäftigung mit Das Guptas
Forschungsausstellung regt an, überlieferte Konzepte der
Ausstellungsgestaltung zu überdenken, auch ausgetrete-
ne Pfade zu verlassen und neue Wege zu erkunden, die
eine bessere Vermittlung gewährleisten.
Sonja Schierle
Farrington, I. S. (Hrsg.):
Prehistoric Intensive Agriculture in the Tro-
pics. British Archaeological Reports, Inter-
national Series, Band S-232, 2 Bde., Oxford
1985. IX & 881 Seiten, viele Abbildungen
und Tabellen.
Im Sommer 1981 wurde an der Australischen National
Universität in Canberra eine Konferenz veranstaltet, in
der weniger die so oft diskutierten Aspekte des vorge-
schichtlichen Landbaues, die Domestikation von Pflan-
zen und Tieren im Vordergrund standen, sondern die
Bewässerungssysteme, Feldsysteme, Werkzeuge sowie
die sozialen und umweltspezifischen Bedingungen für
den Landbau in den tropischen Zonen. Die »Tropen«
sind hier als Begriff weiter gefaßt und schließen die
gemäßigten Breiten Neuseelands ebenso ein wie die ari-
deren Gebiete des amerikanischen Südwestens, wohin
der tropische Bodenbau eingeführt und den jeweiligen
Verhältnissen angepaßt worden war.
Aus den Beiträgen dieser Konferenz, die organisiert
wurde, um die Forschungsrichtungen in Nordamerika
und Australien zusammenzubringen, ist nun dieser hier
zu besprechende Doppelband entstanden. Fast sämtliche
Beiträge wurden für die Publikation überarbeitet.
Die von insgesamt 54 Autoren verfaßten 44 Beiträge
umspannen in der regionalen Perspektive die beiden
179
TRIBUS 35, 1986
Amerika (20), Ozeanien (12), Westasien (1), Südasien
(2), Südostasien (1) und Afrika (2). Hinzu kommen 6
theoretische bzw. regionalunspezifische Beiträge. Aber
die regionale Perspektive stand in dieser Konferenz im
Hintergrund und diente lediglich dazu, eine Vielzahl von
unterschiedlichen Beiträgen beizusteuern, die sich alle
mit dem Aspekt der Intensivierung des Landbaues und
seiner archäologischen Erkennbarkeit auseinander-
setzen.
Bedingt durch die Autorenvielfalt ist die Länge (die
beiden Beiträge von Parsons und Denevan, Mathewson
& Whitten sind nur als Abstract vorhanden) und Qualität
der einzelnen Beiträge unterschiedlich und reicht von
detaillierten Schilderungen der Grabungsergebnisse zu
umfassenden, überschauenden Darstellungen.
In Feuchtbodengebieten, ariden Zonen und Bergländern
sind die vorab zu erbringenden Arbeitsleistungen beson-
ders hoch, um mittels komplexen Feldsystemen und da-
mit zusammenhängender Infrastruktur (Be- und Entwäs-
serungssysteme) einer Intensivierung des Bodenbaues zu
erreichen. Und diese sind archäologisch besonders gut in
solchen Gebieten erkennbar. Doch ist dies, zumindest
zum Teil, auch eine Frage der Überlieferungsbedingun-
gen. Archäologisch sind nur die Systeme deutlich nach-
weisbar, die nicht durch spätere Nutzung und Bearbei-
tung überfärbt und verändert wurden, also Systeme in
den Gebieten, die den rezenten Standards gemäß zu
feucht, zu trocken oder zu steil waren. (Als deutsches
Beispiel hierzu seien die Weingärten angeführt: Die auf
zu steilen Hängen des Rheines oder der Mosel angeleg-
ten, heute aufgelassenen Weingärten sind archäologisch
anhand der Stützmauern erkennbar, die ausgedehnten
mittelalterlichen Weingärten des Niederrheines sind
überpflügt und verschwunden.) Zudem sind die sich ver-
ändernden Siedlungsgewohnheiten eine Ursache für die
Zerstörung der Feldsysteme (so siedelten z.B. die ersten
europäischen Siedler in Auckland [Neuseeland] auf den
fruchtbaren Böden/Gärten der Maori, während die ehe-
maligen Maori-Siedlungen als unbewohnte Vulkankegel
aus dem heutigen Stadtbild Aucklands herausragen).
Die Basis, auf die sich die Forschung stützen kann, ist
nur der marginale Überrest dessen, das einmal da war,
und die ökonomische und technologische Stellung der
vorhandenen Systeme innerhalb des ehemaligen Gesamt-
systems kann nicht mehr abgeschätzt werden. Und dies
bedeutet, daß die aus dem vorhandenen Material gezoge-
nen Schlüsse nicht blindlings verallgemeinert werden
dürfen. Dies wird in dem einführenden Artikel vom
Herausgeber des Doppelbandes auch deutlich hervorge-
hoben.
Der diesem Doppelband als Tenor zugrundeliegende
Begriff der Intensivierung des Bodenbaues/Landbaues
ist, wie Sullivan in ihrem Beitrag hervorhebt, weitge-
spannt. Jede menschliche Einflußnahme auf das Gedei-
hen einer Pflanze ist Intensivierung, ob nun die Schweine
mittels einer Umzäunung davon abgehalten werden, den
bepflanzten Boden umzuwühlen, oder ob die Pflanzen
gewässert, gedüngt, vom Unkraut befreit oder gegen die
Sonne beschattet werden.
Die Auswahl der in dieser Konferenz behandelten The-
men der Intensivierung war demgemäß notgedrungen
beschränkt; z.B. die Feldteilungssysteme (z.B. in Sa-
moa: Jennings & Holmer 1980) mit ihrer Windschutzwir-
kung wurden unbeachtet gelassen. Behandelt wurden der
Bodenbau in Feuchtbodengebieten mittels Entwässe-
rungsgräben, Bodenbau auf künstlichen Terrassen, in
eingetieften Feldern, sowie mittels Bewässerungsgräben
und Wasserreservoirs. Das Hauptgewicht dieses Doppel-
bandes liegt in der Diskussion des Bodenbaues in Feucht-
bodengebieten. Dieser kann in drei morphologischen
Typen gegliedert werden:
I Kultivierung von saisonal überschwemmten Gebieten
(z.B. das Niltal als bekanntestes Beispiel).
II Drainagesysteme
a Drainage des Landes mit dem Ziel, den Wasser-
spiegel zu senken
b Drainage des Landes und Konstruktion von erhöh-
ten Pflanzbetten
III Bewußtes Fluten von Feuchtgebieten, um wasserlie-
bende Kultivare (z.B. Reis) anzubauen.
Die meisten Beiträge beschäftigen sich mit dem sowohl
Amerika (hier vor allem in Mesoamerika) und Ozeanien
(hier vor allem Neuguinea) betreffenden Phänomen, den
aufgeschütteten Pflanzbetten (chinampas, raised fields),
die einen Bodenbau in Feuchtbodengebieten erst mög-
lich machen. Der von den Drainagegräben anfallende
Abraum wird im Areal zwischen den Gräben flächig
aufgetragen und erhöht so durch eine Überhöhung des
Bodenniveaus zusätzlich den Drainageeffekt der Grä-
ben. Die hierzu aufgewendete Arbeitsleistung bei der
Initialkonstruktion war beträchtlich (830 bis 3200 Mann/
Tage pro Hektar [1 Tag entspricht 6 Stunden Arbeit])
und kehrte jährlich in geringerem Umfange wieder, da
die Systeme regelhaft instand gehalten werden mußten.
Die Datierbarkeit dieser Systeme ist eingeschränkt, da
die Gräben der länger benutzten Systeme immer wieder
aufgegraben wurden. Alle Daten können daher nur als
terminus ante quem verstanden werden.
Die derzeit frühesten Daten für Drainagesysteme im
Hochland von Neuguinea sind 9000 BP und 2300 BP in
Mesoamerika (Belize).
Auch wenn die melanesischen und mesoamerikanischen
Systeme im Groben einander ähnlich sind, so unterschei-
den sie sich im Detail recht gravierend. Und auch die
mesoamerikanischen Systeme, unter dem terminus chi-
nampas zusammengefaßt, bestechen durch eine morpho-
logische Vielfalt. Sie sind in unterschiedlichen Ökotopen
angelegt, vom tropischen Süden Mexikos bis ins kühle
Hochland von Bolivien. Die chinampas Mexikos, zu
Unrecht von frühen europäischen Besuchern als
»schwimmende Gärten« interpretiert (Wilken), sind rei-
hig angeordnete künstliche Erhöhungen zwischen den
Drainagegräben, die als Materialgewinnungsgräben
funktionierten. Der anfallende Boden wurde in den mei-
sten Fällen flächig aufgetragen/verteilt, manchmal je-
doch auch engbegrenzt (körbeweise?) aufgeschüttet. Die
Zwischenräume zwischen den Gräben (d.h. die Pflanz-
betten) sind in der Regel etwa 2 m breit (Parsons,
Parsons, Popper & Taft). Auf diesen Betten wurde eine
Vielzahl von Pflanzen angebaut, je nach Biotop. Ein
Beitrag beschäftigt sich in regionaler Perspektive (Mexi-
ko) mit diachronischen Prozessen in der Modifikation
von Feldsystemen und den auf ihnen angebauten Pflan-
zen (Earle Smith).
In Neuguinea hingegen herrscht die schachbrettmuster-
artige Anordnung der Pflanzbetten vor. Zwischen zwei
180
Buchbesprechungen Allgemein
Hauptdrainage-Gräben wird ein Netz von kleinen Grä-
ben gezogen, zwischen denen dann die aufgeschütteten
Pflanzbetten angelegt werden.
Ein Beitrag (Erickson) beschäftigt sich mit der experi-
mentellen Nachgestaltung von chinampas (am Titicaca-
See), basierend auf Ausgrabungsergebnissen. Die Ergeb-
nisse des Experimentes lieferten nicht nur exaktere Da-
ten zum Konstruktionsaufwand und zum Ernteertrag
(mit darauf basierenden neuen Kalkulationen zur Bevöl-
kerungsdichte), sondern könnten auch für die heutige
wenig ertragreiche Art der Bodennutzung Anregung
sein, auf prähistorische Techniken zurückzugreifen, wie
dies in anderen Teilen der Erde schon praktiziert wurde
(z.B. Spriggs 1981). In Neuguineas Hochland wird der
Gartenbau mit Pflanzbetten auch heute noch betrieben.
Und dies nutzt Gorecki, der in einem Beitrag die Kon-
zeption, Anlage und Entwicklung von erhöhten Pflanz-
betten in einem geographischen Kleinraum in der ethno-
logisch beobachtbaren jüngsten Vergangenheit vorstellt
und die sich daraus ergebenden Implikationen für die
Archäologie im allgemeinen und die Beurteilbarkeit der
Befunde im besonderen aufzeigt.
Die Beiträge des zweiten Bandes sind dem Landbau mit
anderen Techniken gewidmet, die alle unter dem Ober-
begriff Be- statt Entwässerungstechniken stehen: Tank-
systeme, Kanäle, eingetiefte Felder, um näher an die
feuchte Grundwasserzone zu gelangen, terrassierte Sy-
steme.
Eine gute diachronische Studie zu Bewässerungssyste-
men im Moche-Tal wird von Farrington vorgelegt, eine
Studie, die, guten Materialstand vorausgesetzt, in schö-
ner Weise die Kraft diachronischer Analysen aufzeigt.
In Mexiko scheint in spät-aztekischer Zeit eine deutliche
Intensivierung der chinampas Konstruktion nachweisbar
zu sein, was als Hinweis auf eine stark hierarchisch
gegliederte und zentralisierte Machtstruktur gewertet
wird (Parsons, Parsons, Popper & Taft). Ähnliches sieht
auch Farrington in seinem peruanischen Beispiel. Der
Beitrag Kahns macht allerdings deutlich, daß die physi-
sche Existenz eines Bewässerungssystems noch lange kei-
ne Intensivierung des Bodenbaues nach sich ziehen muß,
wenn es die gesellschaftlichen Grundlagen nicht unter-
stützen. Die oft vorgenommene Gleichsetzung »Bewäs-
serungssysteme = Existenz einer starken Führungsper-
sönlichkeit und Stratifizierung der Gesellschaft« kann so
nicht stehen bleiben, sondern muß von Fall zu Fall
individuell diskutiert werden.
Ein Beitrag (Golson & Steensberg) beschäftigt sich aus-
schließlich mit den Gartenbautechniken Neuguineas und
den dazu verwendeten Werkzeugen. Gartenbaugeräte
sind auch in anderen Beiträgen (Erickson, Connah, Gal-
la) kurz angesprochen.
Mehrere Beiträge (Turner & Denevan, Erickson, Bay-
liss-Smith, Gorecki, Knapp & Denevan) enthalten Anga-
ben zum Arbeitsaufwand bei der Anlage und Unterhal-
tung der Feld- und Bewässerungssysteme, die für viele
Archäologen und Ethnologen von Interesse sein sollten,
wenn sie kommunale Arbeitsleistungen kalkulieren.
In mehreren Beiträgen (Hughes; Oldfield, Worsely & Ba-
ron; Spriggs; Kirch; Olsen) wird die durch den menschli-
chen Eingriff in die Natur hervorgerufene Umweltverän-
derung und Erosion besprochen bzw. quantifiziert.
Experimente zur Stickstoffixierung und -Vorkommen in
Pflanzbetten (Vasey) und ein Beitrag zu den pflanzenge-
netischen Veränderungen bei einer Intensivierung der
Nutzung (Yen) runden die beiden Bände ab.
Bedauerlicherweise ist die regionale Ausgewogenheit der
Bände (d.h. eigentlich des Symposions) nicht gegeben.
Es war anfänglich organisiert, um die unterschiedlichen
Aspekte des Entwässerungsfeldbaues zu diskutieren. Al-
le anderen Beiträge sind hierzu komplementär. Aller-
dings nicht flächendeckend. So wäre es z.B. wünschens-
wert gewesen, zumindest in einem kurzen Hintergrunds-
beitrag (der auch nachträglich hätte geschrieben werden
können) auf die terrassierten Feldsysteme im Süden Neu-
seelands hinzuweisen (siehe z.B. Davidson 1985: 120,
dort weitere Lit.). Hier in gemäßigten Breiten wurde der
Anbau tropischer Pflanzen in für diese extremen Um-
weltbedingungen betrieben (ähnliches auch im Hochland
von Neuguinea, siehe Beitrag von Bayliss-Smith). Vergli-
chen mit den detaillierten Diskussionen des mesoameri-
kanischen und melanesischen Entwässerungsfeldbaues
und des meso-/südamerikanischen Bewässerungsfeldbau-
es fallen die Beiträge über die anderen Regionen in
Detailliertheit und Qualität deutlich ab. Eine Ausnahme
hiervon bilden die Beiträge über Afrika (Sutton, Con-
nah), Indien (Galla) und Hawaii (Kirch).
Es hätte diesen beiden Bänden gut zu Gesicht gestanden,
wenn der Herausgeber alle einzelnen Beiträge in einem
überschauenden essayistischen Abschlußbeitrag zusam-
mengefaßt hätte und die sich aus der Synopsis der mesoa-
merikanischen und ozeanistischen Beispiele ergebenden
Gemeinsamkeiten und Unterschiede herausgestellt hät-
te. Daß diese Synthese, die dann ja auch noch unter allen
einzelnen Autoren hätte zirkuliert werden müssen, den
publizistischen Zeitrahmen gesprengt hätte, bedarf kei-
ner Ausführung. Bedauerlich ist es aber doch.
Die beiden theoretischen Beiträge am Ende des Doppel-
bandes (Mathewson, Patrick) können und wollen in ih-
rem Ansatz dieses Desiderat nicht füllen.
Auf einer mehr formalen Ebene ist zu bemerken, daß die
Beiträge durchschnittlich reichlich mit adäquaten Abbil-
dungen ausgestattet sind. Bei manchen Beiträgen jedoch
hätten die Abbildungen reichlicher ausfallen können.
Recht unangenehm macht sich allerdings bemerkbar,
daß die Abbildungsunterschriften oft unausreichend sind
und häufig die auf den Abb. auftretenden Kürzel nicht
aufgelöst werden (z.B. Abb. auf S. 811). Es hat oft den
Anschein, als seien Abb. verwendet worden,die für an-
dere Zwecke angefertigt wurden - ohne jedoch dann die
Abb. den neuen Erfordernissen anzupassen. Manche der
Abbildungen sind nachgerade katastrophal und könnten
dem Lehrbuch »Wie mache ich es nicht. Oder: Wie
verwirre ich den Leser am besten?« entnommen sein
(hier insbes. Abb. auf Seite 479). Ist dies vor allem den
individuellen Autoren anzulasten, so hätte der Herausge-
ber hier doch durchgreifen müssen: welchen Sinn hat
eine Abbildung oder Graphik, bei der der Leser bald 5
Minuten braucht, um sie vollends zu verstehen.
Diese beiden Bände sind beileibe nichts Repräsentatives,
»schön« in Leinen Gebundenes für den Bücherschrank,
sondern es sind fast 900 Seiten geballte Information.
Dem Leser werden hier eine Fülle von Daten, Fallstu-
dien und Beispielen, aber auch offenen Fragen geboten,
die zum Nachdenken, Umdenken und Neudenken an-
regen.
181
TRIBUS 35, 1986
Die aus der Ausrichtung der Konferenz stammende,
diesen Bänden zugrunde liegende regionale und auch
thematische Unbalanciertheit reflektiert in großem Maße
aber auch den unterschiedlichen Forschungsstand. Die
hiermit vorliegenden Beiträge sind natürlich nur eine
Momentaufnahme der rasend schnell voranschreitenden
Forschung, aber hier auch ein Meilenstein, da die welt-
weit verstreuten Forschungsobjekte, -gebiete und -inter-
essen hier zwischen vier Buchdeckeln zusammengefaßt
sind. Der Rezensent ist der Ansicht, daß gerade diese
Zusammenballung Anlaß geben wird, die Feldbautechni-
ken in den Regionen zu untersuchen, die hier nur kurso-
risch abgehandelt wurden oder die hier ganz fehlten.
Diese Konferenz und dieser Band sind Zeichen eines
neuen archäologischen Zeitalters, in dem die regionale
und regionalchronologische Perspektive in den Hinter-
grund gedrängt werden zugunsten einer globalen Dar-
stellung und eines weltweiten Vergleiches von Methoden
und Problemlösungen, wie es auch der in diesem Jahr
stattgefundene World Archaeological Congress unter
Beweis gestellt hat.
Dieser fast 900 Seiten starke Doppelband ist in dem nun
üblichen Offsetdruck mit Klammerheftung verlegt und
wäre in jeder anderen Drucktechnik unerschwinglich
gewesen. Mit über 150 DM (43 Pfund) sind die Bände
leider dennoch fast zu teuer für den interessierten Einzel-
Archäologen und in der Regel nur für Bibliotheken
erschwinglich. Es kann eigentlich jedem, der sich in
irgendwelcher Weise mit Feldbau und Be-/Entwässe-
rungssystemen beschäftigt, angeraten werden, diesen
Doppelband in die Hand zu nehmen. Die Durchsicht des
Bandes wird sich als fruchtbar erweisen.
Dirk H. R. Spennemann
Literatur
Davidson, J. M.: The prehistory of New Zealand. Auck-
land: Longman & Paul. 1985.
Jennings, J. D. & R. N. Holmer (Hrsg.): Archological
excavations in Western Samoa. Pacific Anthropological
Records 32. Honolulu: Bernice P. Bishop Museum. 1980.
Spriggs, M. J. T.: Bombs and Butter: the revival of
ancient irrigation techniques for a modern market econo-
my. Occasional Papers in Prehistory 2, Research School
of Pacific Studies, Australian National University. 1981.
Snoy, Peter, (Hrsg.):
Ethnologie und Geschichte. Festschrift für
Karl Jettmar. Beiträge zur Südasien-For-
schung. Band 86. Wiesbaden: Franz Steiner
Verlag 1983. 654 Seiten mit zahlreichen Ab-
bildungen, Tafeln und Karten.
Vor kurzem ist Karl Jettmar in den akademischen Ruhe-
stand verabschiedet worden, der wohl mehr ein Unruhe-
Stand werden wird, weil für diesen Mann Senecas Sen-
tenz von der »Geschäftigkeit im Nichtstun der Alten«
sicher nicht gelten wird, nachem ihm erst als Sechzigjäh-
rigem die krönende Zusammenfassung seiner weitver-
zweigten Arbeiten gelungen ist in der Entdeckung von
Felsbildern im Gebirgsraum Nordpakistans - ein riesiger
Fundkomplex, der uns wesentliche Einblicke eröffnet in
die Geschichte vieler Völker und in die Beziehungen
zwischen dem Tarim-Becken (und damit China) und
Indien, wie zwischen Mittelasien und Indien wie China.
Vieles, was uns chinesische Quellen aus der Han- bis
Tang-Zeit berichten, findet in den von Jettmar entdeck-
ten Funden seine Erklärung, und die Aufarbeitung und
Interpretation dieses Schatzes wird den unruhigen Ruhe-
ständler noch lange beschäftigen.
Peter Snoy, der älteste Mitarbeiter Jettmars, hat den
Festband zum 65. Geburtstag seines Chefs und Freundes
herausgebracht, einen stattlichen Band, der wie wenige
Festschriften einen Spiegel der Lebensleistung des Gefei-
erten bildet. Die insgesamt 56 Beiträge von Freunden,
Schülern, Mitarbeitern und Kollegen sind zum größten
Teil Themenkreisen gewidmet, in denen auch Jettmar
tätig war, und sie bringen die Forschungszweige weiter,
denen Jettmars Leben gehört hat.
Daß historische Phänomene überwiegen, versteht sich
fast von selbst: Vor- und Frühgeschichte, politische Ge-
schichte, Handelsgeschichte, Wirtschaftsgeschichte, Eth-
nohistorie und am Rand von kunsthistorischen Diszipli-
nen angesiedelte Untersuchungen stehen nebeneinander,
bildende Kunst, Literatur und orale Tradition.
Daß sich der Bogen rein geographisch im wesentlichen
vom Iran bis nach China und von Sibirien bis nach
Südasien spannt, ist verständlich, es ist das Arbeitsfeld
des Jubilars. Daß die Autoren aus den verschiedensten
Ländern des westlichen wie des östlichen Europa kom-
men, aus dem Orient wie aus dem indischen Subkonti-
nent, aber auch aus Amerika und Ostasien, zeigt einmal
mehr, wie weit wissenschaftliche wie persönliche Kon-
takte Jettmars gereicht haben und reichen.
Auch methodologischen, wie kultur- und entwicklungs-
politischen Fragestellungen wird nachgegangen: Jettmar
hat viele Jahre »nebenher« auch auf diesem Feld bera-
tend und steuernd mitgewirkt. Eine seiner Stärken war
und ist es, im Team zu arbeiten, Teams zu schaffen und
zu führen, und mit diesen wesentliche und ihm selbst
wesentlich erscheinende Vorhaben voranzutreiben.
Von vielen Festschriften unterscheidet sich diese schon
allein dadurch, daß hier eine große Zahl von Arbeiten
steckt, denen man anmerkt, daß sie nicht aus einer
Schublade gezogene Späne anderer Schnitzereien sind,
sondern durchaus eigenständige Arbeiten von erhebli-
cher Substanz. Das gibt dem Band Rang und Gewicht,
und das entspricht auch der Arbeit Jettmars, der immer
auf dem Weg zu den Quellen war, vor allem zu Primär-
quellen, die auch hier im Mittelpunkt der Untersuchun-
gen stehen. Autoren und Herausgeber gilt deshalb unser
Dank für diesen gewichtigen Forschungsbeitrag und dem
Jubilar unser Glückwunsch zu dieser Festschrift.
Friedrich Kussmaul
Thiel, Josef Franz:
Religionsethnologie. Grundbegriffe der Re-
ligionen schriftloser Völker. Collectanea In-
stituti Anthropos Vol. 33. Berlin: Reimer
1984. 250 Seiten.
Die auf Vorlesungen in Münster und Bonn zurückgehen-
de Darstellung der Grundbegriffe der Religionen schrift-
182
Buchbesprechungen Allgemein
loser Völker von J. F. Thiel ist getragen von der Ausein-
andersetzung mit der Urmonotheismustheorie von A.
Lang und W. Schmidt. W. Schmidt hatte angenommen,
daß Gott sich in der Urzeit den Menschen offenbart
habe, die Menschen aber seien nach und nach vom
Urmonotheismus abgefallen; jedoch ließe in den Hoch-
göttern und höchsten Wesen vor allem der Jäger- und
Hirtenvölker der ursprüngliche Eingottglaube sich noch
nachweisen. Thiel zeigt nun, daß dies nicht ohne »Wen-
den« und »Strecken«, also eigentlich nicht ohne eine
Vergewaltigung des ethnologischen Materials möglich
ist. Die Annahme von Schmidt habe »mit Religionseth-
nologie als Wissenschaft nichts zu tun« (S. 27). Dies an
zahlreichen Beispielen der Gottesvorstellungen von nach
ihrer Wirtschaftsform unterschiedenen Ethnien
(S. 151-216) herausgestellt und einsichtig gemacht zu
haben, ist das Verdienst dieses Buches.
Allein die in der Religionsethnologie erforderliche Tren-
nung von Wissen und Glauben wird nicht durchgehalten
und damit schwimmt hier bisweilen, was Gegenstand der
Religionsethnologie ist, z.B. wenn es heißt, daß die
Religionsethnologen »zum Wesen der Religion Vordrin-
gen« wollen (S. 10). Als Religion ist dabei definitorisch
bestimmt: »Sich abhängig wissen von einer übermensch-
lichen Macht und sich ihr unterordnen« (S. 13). Diese
Beziehung des Menschen zur übermenschlichen Macht
und, wie man folgern muß, die Religionsethnologie, sei
letztlich nur dem zugänglich, der selbst religiöse Erleb-
nisse hatte: »Wer niemals das Religiöse selbst erlebt hat,
sich damit nicht existentiell auseinandergesetzt hat, der
ist nicht in der Lage, das Wesen der Religion zu erfassen;
er muß sich notgedrungen mit dem Äußeren der Religion
begnügen. Die existentielle Seite der Religionsdefinition
erfaßt meiner Meinung nach nur der, für den das Absolu-
te mehr ist als Illusion« (S. 14). Damit aber ist Religions-
ethnologie nicht mehr als Wissen und Wissenschaft von
den Religionen der schriftlosen Völker bestimmt, son-
dern durch das Erfordernis des existentiellen Erlebens
des Religiösen, das sonst nur in der Theologie zu einer
Grundlage gemacht werden kann, wird die Religionseth-
nologie selber zur Theologie oder zumindest theologi-
siert. Nun soll nicht bestritten werden, daß eine Theolo-
gie der Stammesreligionen ihre Berechtigung haben mag,
aber es muß in der Wissenschaft doch gefordert werden,
daß klar und eindeutig gesagt wird, was betrieben wer-
den soll. Auf Grund der Religionsdefinition ist es sicher
nicht zufällig, sondern symptomatisch, daß Thiel die
Bezeichnung Naturreligion für die Religionen der in der
Ethnologie behandelten Völker trotz seiner eigenen Kri-
tik beibehält. Der Ausdruck Naturreligion ließe sich aber
ohne Schwierigkeiten durch den Begriff Stammesreligion
ersetzen (auch wenn ich weiß, daß nicht alle in der
Religionsethnologie verhandelten Ethnien im strikten
Sinne Stämme sind, ebensowenig wie alle üblicherweise
als schriftlos bezeichneten Völker tatsächlich keine
Schrift vor der europäischen Kolonisation gekannt ha-
ben). Der Begriff Naturreligion aber ist mehrfach bela-
stet, weil er diesen Völkern eine größere Nähe zur Natur
unterstellt und weil er diesen Religionen einen Kultus
der Natur unterschiebt. Beides ist schlicht gesprochen
Unfug, denn diese Völker haben meist eine ebenso lange
Geschichte wie wir; Naturverehrung aber ist wohl über-
haupt eher ein Produkt der Romantik und Moderne.
Religion bezeichnet immer den Bruch und die Distanz
zur Natur. Zum anderen aber geht dieser Begriff auf eine
theologische Tradition zurück, und er wird auf die Reli-
gion der Stammesgesellschaft angewendet, um dem Vor-
urteil, daß diese Völker »ni foi, ni roi, ni loi« hätten,
entgegenzutreten. Dabei wurde auf den Begriff und die
Konstruktion einer Naturreligion oder einer theologia
naturalis zurückgegriffen. Grundlage dieser natürlichen
Theologie oder Naturreligion war die Annahme, daß
ohne das geschichtliche Ereignis der Offenbarung jeder
Mensch ein unmittelbares, eben natürliches Wissen von
Gott habe und dieses natürliche Wissen von Gott mit
Hilfe der ebenfalls von Natur gegebenen Vernunft allge-
meingültig expliziert werden könne. Wirksam ist in unse-
rer Tradition eine solche Naturreligion geworden, gleich-
wohl die Idee einer Naturreligion auf ältere Quellen
zurückgeht, als die Offenbarungstheologie durch die ver-
schiedenen Interpretationen der Offenbarung im Zeital-
ter der Religionskriege keine gemeinsame Grundlage
mehr abgab. Der Begriff Naturreligion unterscheidet sich
in der Substanz kaum von dem des Urmonotheismus der
Wiener Schule, und genau besehen ist hier von Thiel
keine Religionsethnologie, sondern, zumal wenn das per-
sönliche Erfordernis des existentiellen religiösen Erleb-
nisses zur Voraussetzung gemacht wird, eine Theologie
der Stammesreligionen vorgelegt worden. Glauben und
Wissen werden darin vermischt. Gegenstand der Reli-
gionsethnologie aber ist nicht die durch welche persönli-
chen religiösen Erlebnisse auch immer zugängliche oder
unzugängliche Wahrheit der religiösen Vorstellung der
schriftlosen Völker (diese ist, wie Thiel richtig schreibt,
unerweislich und unbeweisbar, S. 16), sondern Gegen-
stand sind die religiösen Vorstellungen und Handlungen
dieser Menschen selber, denn nur diese sind empirisch
und theoretisch erfaßbar und damit dem Wissen zugäng-
lich. Die Vermischung des persönlichen Glaubens oder
der religiösen Erlebnisse des Forschers, die zu respektie-
ren außer Frage steht, ist mit dem Wissen bzw. für die
Untersuchung bedenklich, wenn nicht sogar gefährlich,
da mit Sicherheit nie festzustellen ist, ob mit den in
unserer theologisch-philosophischen Tradition entwik-
kelten Begriffen, z.B. des Absoluten und dessen Aner-
kennung und der Unterwerfung unter es oder der Trans-
zendenz, den religiösen Vorstellungen der Stammesge-
sellschaften der Begriff geliehen wird oder ob man unse-
re europäisch-christlichen Vorstellungen in die Stammes-
religionen hineindeutet. Auch Thiel übersieht dieses Pro-
blem nicht, z. B. wenn er immer wieder darauf verweist,
daß ein mitteleuropäischer Christ die »sinngebende
Funktion« in den Mittelpunkt der Religion stellt, wäh-
rend er von den Stammesgesellschaften berichtet, daß
dort die »existenzsichernde Funktion« im Vordergrund
steht (S. 42f., u. a.a.O.). Definitionen und Aufgaben-
bestimmungen verwandeln sich aber in der Forschung zu
erkenntnisleitenden Fragen und Wahrnehmungsmu-
stern, die davon Abweichendes von vornherein ausblen-
den können. Auf jeden Fall hat seine auf christlich-
theologischen Vorstellungen basierende Definition der
Religion als Abhängigkeit von einer übermenschlichen
Macht auch hier zu einer Verschiebung der Gewichte in
der Darstellung geführt, indem die Vorstellung von
höchsten Wesen oder auch Gottesideen zu sehr ins Zen-
trum gerückt sind, von der aus die religiösen Vorstellun-
183
TRIBUS 35, 1986
gen und Kulte gedeutet werden: zumal als Folie des
Gottesbegriffes eben doch die christlich-abendländische
Vorstellung dient (was z. B. sichtbar wird an der Identifi-
zierung des Gottes des AT mit dem Gott Nziam der
Yansi, S. 199). Als Religionsethnologen befassen wir uns
aber nicht mit Gott, dies ist eine Aufgabe der Theologen,
sondern mit den Gottesvorstellungen in Stammesreligio-
nen. Nur diese sind mögliche Gegenstände des empiri-
schen und theoretischen Wissens. Gott selber ist, wie die
Theologen bisweilen sagen, unerkennbar und eine Sache
des Glaubens.
Überhaupt erhebt sich die Frage, ob die von Thiel als
Wesen der Religion betrachtete Abhängigkeit und Un-
terordnung unter eine übermenschliche Macht für die
Forschung im Einzelnen nicht eher eine Einengung und
ein Hindernis darstellen, insofern Religionen oder reli-
giöse Akte, die eine solche übermenschliche Macht nicht
konzipieren, bzw. Bereiche, in denen von einer solchen
nicht die Rede ist, nicht mehr ins Untersuchungsfeld der
Religionsethnologie kommen. In der Feldforschung mag
eine solche vorausgesetzte Bestimmung der Religion ge-
genüber zahlreichen religiösen Phänomenen blind ma-
chen. Es stellt sich auch die Frage, ob in Stammesgesell-
schaften, die ja in der Regel keine Säkularisierung ken-
nen, nicht vielmehr Kultur und Religion so miteinander
verwoben sind, daß eine Trennung bzw. Abgrenzung
eines als religiös bezeichneten Bereiches praktisch kaum
durchführbar sind.
Schließlich halte ich die Thielsche Religionsdefinition
nicht für trennscharf genug, da je nach Anschauung auch
die von ihm heftig kritisierte Durkheimsche Religions-
auffassung (S. 36-40) bruchlos darunter subsumierbar
ist. Denn die Gesellschaft geht über den einzelnen Men-
schen hinaus, ist insoweit übermenschlich. Abhängig ist
und fühlt sich jeder Mensch mehr oder weniger von ihr,
und Unterordnung verlangt sie von jedem. Auch Natur
könnte als solche übermenschliche Macht problemlos
beschrieben werden, denn wir sind von ihr abhängig, und
die Verweigerung der Unterordnung unter ihre Gesetze
ist praktisch unmöglich. Ohne Zuhilfenahme einer Expli-
kation der Macht, z. B. im Sinne eines personal aufgefaß-
ten Gottes bleibt die Thielsche Religionsdefinition wenig
brauchbar.
Die Einseitigkeiten des Religionsbegriffes haben in den
Kapiteln über sakrale Objekte, Worte und Handlungen
ihre Konsequenzen, indem z.B. das Gabenopfer, das
sich an diese übermenschliche Macht richtet, ins Zen-
trum gerückt ist (vgl. S. 111), das Kommensalenopfer
praktisch nicht vorkommt. Für die Forschung aber ist die
Frage, wer an einem Opfer beteiligt ist, wer von dem
Opfertier Fleischstücke erhält (denn die vollständige
Übergabe des Opfertieres an die Gottheit dürfte wie im
AT auch in den Stammesreligionen eher die Ausnahme
bilden), von entscheidender Bedeutung. Ob Mythen
wirklich für die schriftlosen Völker das sind, »was die
Bibel für die Christen oder der Koran für die Moslems
ist« (S. 76), möchte ich in dieser Allgemeinheit bezwei-
feln. Unter Mythen wird in der Ethnologie sehr vieles
verhandelt und entsprechend viele Theorien des Mythos
gibt es, so daß wahrscheinlich nur in wenigen Fällen
traditionelle Erzählungen den Rang von kanonisierten
heiligen Texten wie die Bibel beanspruchen können.
Auch ist die Verknüpfung von Mythos und Kultus nicht
so allgemein, wie die myth-and-ritual-Schule behauptet.
Bei den Griechen jedenfalls bezeichnet Mythos eine
Literaturgattung, die deutlich von kultischen Texten, den
hieroi logoi, unterschieden ist. Von den zahlreichen My-
thentheorien ist nur die von Lévi-Strauss noch behandelt
und wegen ihrer Geschichtslosigkeit kritisiert (S. 80 f.).
Wünschenswert wäre auch eine differenzierte Behand-
lung der Priester und religiösen Institutionen. Kultge-
meinschaften, wie z.B. die der Besessenheitskulte, wer-
den praktisch nicht erwähnt. Ebenso wäre eine Diskus-
sion der Magie, die ja in der Ethnologie seit langem
heftige Kontroversen ausgelöst hat, und eine Bestim-
mung des Verhältnisses von Religion und Magie erfor-
derlich. Bei der Darstellung der früheren religionsethno-
logischen Theorien hätte ich es vorgezogen, diese von
ihren jeweiligen Fragestellungen her zu entwickeln, da
sonst die Antworten heute häufig naiv bis unverständlich
erscheinen.
Hartmut Zinser
Truhart, Peter:
Regents of Nations. Systematic chronology
of States and their political representatives in
past and present. A biographical reference
book. Part II: Asia/Australia-Oceania. Re-
genten der Nationen... München, New
York, London, Paris: K. G. Saur 1985. S.
979-2277. 4°.
Die im ersten Band der Regententabellen (siehe Rezen-
sion in TRIBUS 34, 1985, S. 199 f.) zugrundegelegten
Prinzipien werden auch in diesem Band weiterverfolgt.
Truhart hat z.B. Asien in fünf Großregionen (Zentral-
und Nordasien, Ostasien, Südasien, Südostasien und
Westasien) unterteilt. Wiederum ist die Fülle der Daten
schier unerschöpflich und dabei insbesondere die pein-
liche Genauigkeit der Daten der chinesischen Herrscher
hervorzuheben. Im Gegensatz zu vielen ähnlichen Listen
begnügt sich der Verfasser nicht mit der Angabe der
posthumen Tempelnamen der Kaiser, sondern nennt an
erster Stelle die persönlichen Namen, was zwar der Pra-
xis der chinesischen Historiographen (die selbstverständ-
lich an irgendeiner Stelle ihrer Werke auch den Perso-
nennamen nennen) und auch vieler moderner Darstel-
lungen zuwiderläuft, aber letztlich doch sinnvoller ist, da
sich die Tempelnamen in vielen Dynastien wiederholen,
die Familien- (und Eigen)namen der herrschenden Glie-
der einer Sippe aber im Vergleich dazu viel differenzier-
ter sind - und immer existieren. Wurde eine Dynastie
gewaltsam beseitigt, war nicht immer gewährleistet, daß
der letzte Herrscher noch einen Tempelnamen zugeeig-
net bekam: so z. B. der letzte Tangutenherrscher Li Xian
(1226-1227), der ein Opfer Cinggis Qans wurde (s. S.
1171). Auch klingt die mehrmalige Verwendung des
Tempelnamens Modi (»Letzter Kaiser«) gerade zu Be-
ginn der Regierung eines Monarchen zumindest be-
fremdlich. Hier hat Truhart wirklich vorbildliche Arbeit
geleistet, und künftige Darstellungen chinesischer Ge-
schichte sollten ihm (und den schon seit längerer Zeit
zugänglichen Biographien bedeutender chinesischer Per-
sönlichkeiten nacheifern). Nichtsinologen wird vielleicht
184
Buchbesprechungen Allgemein / Afrika
bei der Liste der Dynastie der früheren Qin (S. 1148)
auffallen, daß es zwei Kaiser mit dem Namen Fu Jian
gibt, und sie werden sich fragen, warum der zweite nicht
als Fu Jian II. bezeichnet wird. Tatsächlich handelt es
sich aber um zwei verschiedene Namen, die man im
vorliegenden Falle durch Tonalzeichen oder direkt durch
die chinesischen Charaktere hätte unterscheiden können:
also Fü Jian (im Wörterbuch von Mathews Nr.
1922 + 854, r. 350-355) und Fü Jiän (Mathews: Nr.
1922 + 825, r. 357-385). Gleiches gilt für die Song-Kaiser
(s. S. 1160) Zhäo Xü (Mathews: Nr. 244 + 2859, r.
1067-1085) und Zhäo Xü (Mathews: Nr. 244 + 2831, r.
1085-1100). Ähnlich gut dokumentiert ist Japan, und
dies trifft im Grunde genommen für das ganze Buch zu.
In Zentralasien (wozu auch die Himälaya-Staaten rech-
nen) sind nicht nur alle nomadischen Herrscher und
Reiche (sofern bekannt) aufgeführt, sondern auch die
russischen Gouverneure und die Sowjetführer der Teilre-
publiken. Nicht so gut repräsentiert ist Tibet, wo man auf
die Werke von Karl-Heinz Golzio (Kings, Khans and
other rulers of early Central Asia, Bonn 1984, und Re-
gen ts of Central Asia since the Mongol Empire, Bonn
1985) verweisen sollte, was aber Truharts Leistung kei-
nen Abbruch tut.
Überwältigt ist man auch von den Listen Südasiens und
Südostasiens, wo auch die Herrschaften der Shan-Für-
sten in Burma nicht fehlen. In Indien kann man beson-
ders für die vorchristliche Zeit bei den Datierungen
einige Fragezeichen anbringen. In Einzelfällen sind Da-
ten zu korrigieren wie etwa beim nepalischen Malla-
König Jayasthitimalla (S. 1024: hier die Korruptel Jayä-
sithi Malla) das vorgegebene Todesdatum (+ XII. 1395 /
I. 1396) in 5. IX. 1395 (siehe dazu D[illi] R[aman]
Regmi, Medieval Nepal, Part I, Calcutta 1965 und Lucia-
no Petech, Mediaeval History of Nepal [c. 750-1482],
Roma 1984). Trotz einiger kleiner Mängel wie die Frag-
würdigkeit mancher Datierungen indischer Herrscher
der Vor-Maurya-Zeit (d.h. vor 321 v. Chr.: es sei hier
insbesondere auf die in diesem Zusammenhang relevante
neu aufgeflammte Kontroverse um die Lebensdaten des
historischen Buddha verwiesen) bietet das Werk auch für
Südasien die meines Wissens bisher umfassendste und
genaueste Liste. Es soll an dieser Stelle nochmals er-
wähnt werden, daß Truhart auf den Tag genau (wenn
bekannt) die Regierungs- und Lebensdaten der Regen-
ten angibt. Es erübrigt sich fast zu sagen, daß auch
Westasien ähnlich gut abgedeckt ist. Das trifft ebenso für
die Herrscher des alten Zweistromlandes, des antiken
Kleinasien, des alten Iran und Altarabiens wie für die
islämische Staatenwelt zu. Dabei sei als eine der außeror-
dentlichen Leistungen die Auflistung der diversen Für-
stentümer der je nach politischer Lage »Arabische Pira-
tenküste«, »Arabische Vertragsstaaten« oder heute
»Vereinigte Arabische Emirate« genannten Region so-
wie der des Süd-Yamän (heute Volksrepublik Yamän)
herausgestellt. Auf Grund solcher Detailgenauigkeit
wagt der Rezensent es kaum, die Liste der Oasenstadt
Hatra im nördlichen Träq (s. S. 1799) mit nur zwei
Herrschern als etwas dürftig zu bezeichnen. Pharnakes
II. (s. S. 2144) als realen Herrscher von Pontos anzuge-
ben (seine Niederlage bei Zela 47 v. Chr. veranlaßte
Caesar zu seinem berühmten veni, vidi, vici) ist auch
etwas verfehlt, da er faktisch in den Jahren 63 bis 47 v.
Chr. nur im Bosporanischen Reich (das Gebiet um die
heutige Krim-Halbinsel) herrschte, wo wir ihm im Band
III von Truhart mit Sicherheit wiederbegegnen werden.
Diese dem Rezensenten fast beckmesserisch erscheinen-
den Hinweise sollen in keiner Weise die große Leistung
des Werkes schmälern, die auch in den Übersichten
Australiens, Neuseelands und der Inselwelt Ozeaniens
zum Ausdruck kommt.
Klaus Rauwolf
Literatur
Mathews’ Chinese-English Dictionary, revised American
Edition. Cambridge: Harvard University Press, 1943.
Braukämper, Ulrich:
Die Kambata. Geschichte und Gesellschaft
eines südäthiopischen Bauernvolkes. Wies-
baden: Steiner Verlag 1983.
Der Verfasser hat mit dieser Arbeit erneut den Versuch
unternommen, die Geschichte einiger der noch immer
recht wenig bekannten Ethnien Südäthiopiens aufzu-
zeichnen. Behandelt werden vier ehemalige Staatswesen
mit Völkern gleicher Sprache und Kultur, jedoch unter-
schiedlichen Ursprungs, die zur Gruppe der Kambata-
Völker zusammengefaßt werden: die »eigentlichen«
Kambata, die Dubamo, Donga und Tembaro. Zusam-
men zählen sie heute ca. 300000 Mitglieder.
Das Buch besteht aus zwei großen Teilen: einem chrono-
logischen Abriß ihrer Geschichte seit Beginn des 15.
Jahrhunderts bis zur Revolution von 1974 und einem
Überblick über Staat und Gesellschaft, wobei der
Schwerpunkt innerhalb des zweiten Teils auf der Darstel-
lung von Königtum und sozio-politischer Organisation
vor dem Hintergrund der historischen Ereignisse liegt.
Eher kursorisch sind demgegenüber die Abschnitte über
>Lebenszyklus< und >Religion< abgehandelt. Ganz ausge-
lassen wurden die Bereiche Wirtschaft und Technologie,
die einer späteren Arbeit Vorbehalten bleiben. Aufgrund
der Aussparung dieser beiden Teilaspekte ist das Buch
keine Monographie im herkömmlichen Sinne, für die -
wie Braukämper meint - »die Zeit längst dahin« ist
(Vorwort). Fraglich bleibt allerdings, ob die Bearbeitung
der übrigen Kulturbereiche nicht immer noch mehr ist,
als in einem einzigen Buch bewältigt werden kann.
Die Untersuchung beruht auf den Ergebnissen eines
längeren Feldforschungsaufenthaltes in Äthiopien, der
im Rahmen eines Projektes des Frankfurter Frobenius-
Instituts zur Erforschung der Geschichte und Kultur der
südäthiopischen Völker durchgeführt wurde. Die Arbeit
bei den Kambata erfolgte jedoch mit zahlreichen Unter-
brechungen. Sie erstreckte sich über insgesamt knapp 12
Monate zwischen 1970 und 1973. Ziel war es, ein mög-
lichst zusammenhängendes Bild der Geschichte der
Kambata in den vergangenen 500 Jahren zu entwerfen.
Zu diesem Zweck wurden 34 Genealogien aufgenommen
- einige davon sind im Anhang aufgeführt - neben Bio-
graphien, Dynastielisten und Schilderungen historischer
Ereignisse. Wo immer möglich wurde das gesammelte
Material mit den vorhandenen schriftlichen Quellen ver-
glichen, doch war der Autor vorwiegend auf mündliche
185
TRIBUS 35, 1986
Überlieferungen angewiesen. Lückenhaft bleibt insbe-
sondere die frühe Geschichte. Das Gebiet zwischen Omo
und Bilate gehörte bis zum 13. Jahrhundert zum Herr-
schaftsbereich von Damot-Ennariya, wurde dann aber
eine Provinz des äthiopischen Reiches. Ob das betreffen-
de Gebiet zu dieser Zeit schon von Kambata bewohnt
war, bleibt ungeklärt, wie auch der Ursprung des Na-
mens selbst nicht endgültig nachgewiesen werden konn-
te. Möglich wäre die Ableitung von oromo kam bata =
wie kann man herauskommen? - von Braukämper etwas
mißverständlich mit »wie kann man entkommen?« über-
setzt.
Nachweislich hat die Bevölkerung dieses Gebietes schon
im 15. Jahrhundert eine soziale Stratifizierung aufgewie-
sen, die offenbar weitgehend entlang ethnischen Gren-
zen verlief und die sich bis in die jüngste Zeit hinein
erhalten hat. An der Spitze standen »semitisch-sprachige
Militärkolonisten aus Nord-Äthiopien«, deren Vor-
machtstellung aber wohl rein politischer Natur war und
die ansonsten in der Gesellschaft der Kambata immer
Fremde blieben. Die Darstellung der Gesellschaftsstruk-
tur in Form einer Pyramide, wie sie der Verfasser durch-
gehend verwendet (S. 22, 37, 72, 92) ist deshalb etwas
irreführend, weil sie auf eine Integration der einzelnen
sozialen Schichten schließen läßt, wie sie in der Realität
nie bestanden hat und die auch die soziale Position
anderer gesellschaftlicher Gruppierungen nicht hinrei-
chend zu verdeutlichen vermag, wie etwa in späterer Zeit
die der Sklaven, die zwar rechtlich und ökonomisch
völlig abhängig, sozial jedoch vielfach bessergestellt wa-
ren als die verachtete Kaste der Töpfer und Gerber.
Im 16. Jahrhundert gerieten die Kambata in die Ausein-
andersetzungen zwischen Christen und Adal-Muslimen
und wurden dann immer stärker von den nach Norden
expandierenden Oromo bedrängt. Entscheidend für die
weitere Geschichte der Kambata war die Gründung der
Oyeta-Dynastie Ende des 16. Jahrhunderts durch Ha-
malmäl, der wahrscheinlich ein Oromo war (als solcher
wird er auch in äthiopischen Geschichtsbüchern bezeich-
net), obwohl Braukämper dies bezweifelt. Völlig unver-
ständlich ist, warum er die Nachfahren Hamalmäls und
seiner Frau Oyete, der Tochter eines Hadiya-Führers,
die in der Folgezeit den mächtigen Oyeta-Klan bildeten,
als »Königsklan amharischen Ursprungs« benennt (S.
37). Die Oyeta stellten bis zur erneuten Eingliederung
der Kambata in das Äthiopische Reich den König und
waren der größte und reichste Familienverband der
Kambata. Die Zeit nach der »Unification of Ethiopia« zu
Ende des 19. Jahrhunderts ist sehr ausführlich dargestellt
worden. Gut herausgearbeitet wurden vor allem die poli-
tischen und sozio-ökonomischen Konsequenzen der
Machtergreifung durch amharische naftannä, insbeson-
dere die Neuordnung des Verwaltungswesens, die Ein-
führung des rist- und gult-Bodenrechtssystems sowie die
Einsetzung einheimischer bäläbbät-Führer - eine be-
währte Taktik, deren sich die Amhara auch andererorts
bedient hatten, um sich die unterworfenen Völker gefü-
gig zu machen. Eine ähnliche Strategie wandten sie auch
bei der Benennung von Provinz-Gouverneuren an, auf
die Braukämper aber nicht weiter eingeht. Hier wäre es
angebracht gewesen, die Hintergründe von Ein- und
Absetzungen der verschiedenen Gouverneure des Kam-
bata-Gebietes zu beleuchten, sowie auf die exponierte
Rolle der zahlreichen Oromo hinzweisen, ohne deren
Hilfe die Eroberungszüge Meneliks II. sicher weniger
erfolgreich gewesen wären, vor allem auch auf die Posi-
tion des Oromo-Führers Ras Gobana Dace, der auch in
anderen Teilen des Landes im Namen Meneliks Kriegs-
züge durchführte.
Alles in allem ist diesem Versuch, die Geschichte einer
schriftlosen Gesellschaft anhand ihrer mündlichen Über-
lieferungen zu rekonstruieren, ein gebührendes Maß an
Anerkennung zu zollen. In gewohnt sorgfältiger Weise
hat der Autor alles vorhandene Material zusammgenge-
tragen. Dabei wird deutlich, wie lückenhaft und zum Teil
widersprüchlich die Angaben in frühen Chroniken und
Reiseberichten sind. Als besonders erschwerend erwie-
sen sich die mangelnden Sprachkenntnisse des Autors,
der ausschließlich auf Dolmetscher angewiesen war. So
war kaum zu vermeiden, daß einiges offenbar falsch
verstanden und interpretiert wurde. Auf die fehlerhafte
Übersetzung des Namens >Kambata< wurde bereits hin-
gewiesen. Bei der Einteilung des Landes in Wirtschafts-
zonen (S. 11) wurde >ollöha< irrtümlich mit >Gehöft mit
Hofland< übersetzt. >OHöha< heißt wörtlich >Nachbar<.
Der richtige Begriff wäre >ke< gewesen. Auf Seite 21 wird
>häte< mit äthiopischer Königstiteh angegeben. Hier ist
der Autor möglicherweise einem Scherz aufgesessen,
denn >hate< ist m. E. eine Ableitung von oromo hatu =
Dieb.
Die Fülle des Datenmaterials ist für den Leser bisweilen
nur mühsam zu bewältigen. Hier stellt sich einmal mehr
die grundsätzliche Frage nach dem methodischen Vorge-
hen bei ethnohistorischen Arbeiten. Wie die meisten
seiner Kollegen aus der Ethnologie neigt auch Braukäm-
per dazu, möglichst viele Einzelheiten einfließen zu las-
sen, aus Angst, sie könnten sonst in Vergessenheit gera-
ten. Wohlweislich hat er im Anhang eine kurze Zusam-
menfassung der wichtigsten Ereignisse angefügt, die
denn auch des öfteren herangezogen werden muß, weil
man gelegentlich Gefahr läuft, den roten Faden zu verlie-
ren. Ein weniger an Material wäre an manchen Stellen
sicher mehr gewesen. Einige Teile sind dagegen etwas
kurz ausgefallen und es wäre wünschenswert, wenn sich
weitere Untersuchungen anschließen würden. Insgesamt
liefert die Arbeit jedoch wichtige Ergänzungen und neue
Aspekte für die äthiopische Geschichtsschreibung und ist
zugleich eine wertvolle Hilfe vor allem für die Kambata
selbst, um sich ihrer eigenen Geschichte bewußt zu
werden.
Paulus Waffa
Dinslage, Sabine:
Kinder der Lyela. Kindheit und Jugend im
kulturellen Wandel bei den Lyela in Burkina
Faso. Hohenschäftlarn bei München; Klaus
Renner Verlag, 1986.
Das Buch von Sabine Dinslage basiert auf einer vierzehn-
monatigen Feldforschung bei den Lyela, einer Gur-spra-
chigen ethnischen Gruppe in Burkina-Faso, dem ehema-
ligen Obervolta. Die Autorin war eine von drei Mitarbei-
terinnen in einem Forschungsprojekt von Professor R.
Schott über soziale Entwicklungsprobleme der Lyela.
186
Buchbesprechungen Afrika
Ihre Forschungen »galten schwerpunktmäßig den Ent-
wicklungs- und Generationskonflikten, denen die Ju-
gendlichen durch den fortschreitenden kulturellen Wan-
del unterworfen sind. Dazu gehörte auch die Untersu-
chung des traditionellen Lebensraumes, in dem die Kin-
der und Jugendlichen aufwachsen.« (S. 7).
Sie verarbeitete vor allem Informationen aus dem Gehöft
einer Großfamilie auf dem Lande, wo sie lebte. Außer-
dem besuchte sie in drei umliegenden Dörfern regelmä-
ßig weitere Familien, nahm am Schulunterricht teil, ver-
teilte dort Fragebogen und Aufsatzthemen. Um mehr
über bestimmte Traditionen zu erfahren, wandte sie sich
an ältere Leute mit Fachwissen wie Fetischeure, Heiler,
Hebammen.
Nach einem kurzen ethnographischen Abriß schildert die
Autorin, wie die Lyela mit Schwangerschaft, Geburt und
Säuglingspflege umgehen: anale Einläufe zur Stuhlent-
leerung und Gesundheitspflege der Säuglinge, sehr viel
Körperkontakt, freies Stillen nach Wunsch der Kleinen,
Entwöhnung am Ende des zweiten Lebensjahres, wobei
diese anscheinend nicht so abrupt und endgültig durchge-
führt wird, wie bei anderen westafrikanischen Ethnien.
Eine große Rolle spielt(e) das Namensgebungsritual.
Der Wahrsager muß den Namen und den Ort der Na-
mensgebung bestimmen. Er muß herausfinden, woher
die Seele des Neugeborenen stammt, ob eventuell ein
Ahne in ihm verkörpert ist, ob spezielle Umstände
Schwangerschaft oder Geburt kennzeichneten. Ein fal-
scher Name, also eine Nicht-Erkennung des Kindes,
kann zu Krankheit oder Tod führen. Heute verdrängen
christliche Vornamen zusehends die traditionellen.
Nach dem Abstillen erweitert sich der Kreis der Bezugs-
personen des Kindes. Die enge Einheit Mutter-Säugling
wird aufgebrochen, die Großmutter väterlicherseits und
die älteren Schwestern gewinnen an Bedeutung.
Aufschlußreich sind die Kapitel über Kinderspiele und
Arbeit. Das Spielen ist bei den Lyela integriert in das
Alltagsleben, ihm kommt eine wichtige Erziehungsfunk-
tion zu. Arbeit, Pflicht und Spiel vermischen sich. Ein
wichtiger Punkt bei den aktuellen Diskussionen über
Kinderarbeit in der Dritten Welt. Dinslage beschreibt,
wie beispielsweise das Sammeln von Brennholz und Kari-
tenüssen zu einem fröhlichen Gemeinschaftsausflug wer-
de (S. 95). Im Alter von vier Jahren übernehmen die
Kinder erste kleine Handreichungen, denen eher der
Charakter des »Helfendürfens« zukommt. Ab sechs be-
ginnt die geschlechtliche Arbeitsteilung. Mädchen wür-
den zu mehr Arbeit und früher zu Routinetätigkeiten
herangezogen. (S. 116).
Die Mädchenbeschneidungen, welche Sabine Dinslage
miterlebte, waren für sie - verständlicherweise - die
»schwersten Momente der Feldforschung« (S. 168). Sie
sieht in der weiblichen Beschneidung das augenfälligste
Beispiel für den Fortbestand der Tradition, wobei diese
den rituellen Charakter teilweise eingebüßt habe. Gewis-
se Familien beschneiden, andere nicht. In beiden Fällen
ist die Tradition ausschlaggebend, und als Begründung
wird einzig der Respekt vor den Ahnen genannt. Ein
heikles Thema, über das die Frauen anfangs gar nicht
gern redeten.
Bei den Jungen bildete früher die Hirtenzeit, die sie im
Alter von zehn bis knapp siebzehn Jahren durchlebten,
ein Pendant zur Beschneidung. Heute sind nur noch
wenige Knaben Hirten, infolge des Schulbesuchs und der
geschrumpften Herden.
Auch die Initiation in das Maskenwesen (»shu«), die
gewissen Jugendlichen beiderlei Geschlechts offenstand,
gibt es nicht mehr. Es scheint nur noch spärliches Wissen
über die Masken vorhanden zu sein; laut Informanten-
aussagen haben die Weißen die Masken verdrängt.
Mit der schwindenden Bedeutung dieser drei wichtigen
Phasen im Leben der Jugendlichen fehlt das Kernstück
und der Höhepunkt des traditionellen Erziehungssy-
stems, das Weitergeben von traditionellem Wissen rund
um die Einweihungsrituale. »L’education traditionelle
atteint son plus haut degré de conscience au moment des
initiations.« (Erny S. 17) In Aufsätzen äußern sich die
Schulkinder zu ihren Zukunftsvorstellungen. Die mei-
sten möchten eine Familie gründen, lehnen jedoch die
Polygynie ab, weil sie zu viele Probleme schaffe. Die
Ehefrauen sollen (resp. die Mädchen wollen) weiterhin
eigenes Geld verdienen. Weibliche Traumberufe sind
Lehrerin, Krankenschwester, Friseuse, der männliche
Favorit Automechaniker. Die Jugendlichen äußern sich
jedoch kaum zu ihren tieferen Problemen und Hoffnun-
gen. Sie seien zu schüchtern gewesen.
Es zeigt sich, daß es sehr schwierig ist, mit und über
Kinder und Jugendliche zu arbeiten. Sabine Dinslage
konnte, infolge von mangelnder Kenntnis des Lyela,
kaum direkt mit den Kindern reden. Sie war auf die
Interpretationen von Erwachsenen und älteren Jugendli-
chen angewiesen. Bei Kindern ist es besonders heikel,
wenn fremde Weiße kommen und Fragen stellen. Gute
Gesprächssituationen und viel Vertrautheit wären wich-
tig. Die Feststellung von Dinslage, die Kinder seien nicht
gewohnt, auf Fragen zu antworten, scheint mir zu kurz
gegriffen. So sind die Ergebnisse zum Oberthema »Kon-
flikte der Jugendlichen infolge kulturellen Wandels« et-
was dürftig, diese Fragestellung wirkt meistens aufge-
setzt.
Das Buch ist größtenteils ethnographisch - getreulich
und manchmal etwas trocken beschreibend. Die darin
vorkommenden Menschen werden zu wenig plastisch,
lebendig. Ab und zu rutschen unreflektierte Interpreta-
tionen herein. Es fehlt eine tiefergehende Analyse des
Erziehungssystems der Lyela. Die Autorin bringt zwar
viel Material dazu, arbeitet es aber zu wenig aus.
Gerade weil das Dabeisein der Kinder in allen gesell-
schaftlichen Bereichen und demzufolge das Lernen durch
Imitation zentral ist, wird den Kindern weniger erklärt,
als das bei uns, je nach Schicht zwar, üblich ist. Trotzdem
beklagt die Autorin immer wieder, daß die Kinder nicht
gewohnt seien, Fragen zu beantworten. Der Kindererzie-
hung werde nicht viel Mühe, Überlegung und Zeit gewid-
met (S. 198). Ja, sogar die »geistige Entwicklung« hänge,
abgesehen von individueller Begabung, vom »Bildungs-
stand der Familienmitglieder« ab (S. 78). Wobei sie un-
ter »geistiger Entwicklung« ausschließlich eine bestimm-
te Art von sprachlicher Förderung und unter »Bildungs-
stand« französische Schulbildung versteht. Sie mißt zu
sehr am ihr bekannten europäischen Erziehungsstil.
Wichtig wäre zu wissen, wie die Kinder untereinander
mit Sprache umgehen, und ob die alten Leute den Klei-
nen noch Geschichten und Mythen erzählen, ein wichti-
ges Element sprachlicher Wissensvermittlung.
Es scheint mir unerläßlich, bei der Arbeit mit Kindern
187
TRIBUS 35, 1986
aus anderen Kulturen zu reflektieren, was es bedeutet, in
unserer Gesellschaft Kind zu sein und Kinder aufzuzie-
hen. Was der (historisch verfolgbare) Prozeß der Ver-
kindlichung, der Verniedlichung und Ausschließung der
Kinder, wie auch der Mütter, aus vielen Bereichen des
Alltags bedeutet.
Das in Westafrika übliche Nebeneinander von Liebe und
Wertschätzung der Kinder (man hat mir immer wieder
betont: »Nous, on aime trop les enfants!«, als ich mit
meinem Säugling unterwegs war) und der Selbstverständ-
lichkeit, mit der sie am Alltag und an harter Arbeit
teilhaben, ist uns sicherlich schwer verständlich.
Ein Postulat an ethnologische Arbeit überhaupt: das
Hinterfragen der eigenen Herkunft und Denkweise, der
Forschungsmotivation, um Vorurteile und Projektionen
transparent zu machen, damit wir bewußter damit umge-
hen können (vgl. Devereux).
Trotz dieser methodischen Einwände ist das Buch von
Sabine Dinslage sehr lesenswert, es enthält eine Fülle
von Material. Schön, daß es im deutschsprachigen Raum
eine weitere ethnologische Forschung über Kinder gibt.
Diese sind nicht gerade dicht gesät.
Liselotte Vischer-Roost
Literaturangaben:
Erny, Pierre: L’enfant et son milieu en Afrique Noire.
Paris, 1972.
Devereux, Georges: Angst und Methode in den Verhal-
tenswissenschaften. München, 1967.
Tietmeyer, Elisabeth:
Frauen heiraten Frauen. Studien zur Gynae-
gamie in Afrika. Hohenschäftlarn bei Mün-
chen: Renner 1985.
Die Arbeit von Elisabeth Tietmeyer befaßt sich mit
Heirat und Ehe, einem sozialen Phänomen, das weltweit
zu finden ist. Doch obgleich das Thema »Ehe«, vor allem
in Verbindung mit »Verwandtschaft« eine wichtige Stel-
lung in der ethnologischen Forschung einnimmt, fand der
von Tietmeyer aufgegriffene Aspekt der Frauenheirat
bislang nur wenig Beachtung; und dies, obwohl diese
Institution in Afrika bei ca. 40 verschiedenen Ethnien
anzutreffen ist. Dafür lassen sich mehrere Gründe anfüh-
ren: zum einen ist der Problembereich, der grob mit
»Frauenthematik« Umrissen werden kann, noch nicht
allzu lange in das Blickfeld der ethnologischen Untersu-
chung gerückt und bei weitem noch nicht vollständig
durchleuchtet; zum anderen paßt die Vorstellung von
gleichgeschlechtlichen Ehepartnern nicht in das - auch
von Ethnologen vertretene - herkömmliche Bild einer
ehelichen Gemeinschaft. Davon zeugen die zahlreichen
Definitionen des Begriffes »Ehe«, die entweder den
Schwerpunkt auf die Beziehung zwischen Mann und Frau
legen oder aber die Legitimität der aus dieser Verbin-
dung hervorgehenden Kinder in den Mittelpunkt stellen.
Beide Definitionsansätze lassen es fraglich erscheinen,
ob die Gynaegamie überhaupt als eine Eheform angese-
hen werden kann. Dies umso mehr, als gerade in den
traditionellen Gesellschaften die Ehe eingegangen wird,
um den Wunsch nach Kindern - als Altersversorgung,
Statussymbol etc. - zu erfüllen. Diese Tatsache, die bei
einer Heirat zwischen Frauen ausgeschlossen zu sein
scheint, läßt denn auch das Vorurteil aufkommen, daß
homosexuelle Neigungen ein Grund für die Gynaegamie
sein könnten.
Tietmeyer möchte mit ihrer Arbeit falsche Vorstellungen
dieser Art ausräumen und zum besseren Verständnis der
»woman-marriage«, wie die Verbindung zwischen Frau-
en in der englisch-sprachigen Literatur genannt wird,
oder »Gynaegamie«, wie Tietmeyer diese Institution
nennt, beitragen. Ihre Aufgabe wurde durch die sehr
schlechte Quellenlage erschwert. Außer wenigen neue-
ren Aufsätzen, die sich mit dem Thema befassen, tau-
chen Hinweise fast nur in Monographien und umfassen-
deren Werken zu Heirat und Verwandtschaft auf.
An den Beginn ihrer auf einen Vergleich der Gynaega-
mie bei verschiedenen Ethnien abzielenden Arbeit stellt
Tietmeyer einige grundsätzliche Überlegungen zu Heirat
und Ehe, wobei sie in einem eigenen Kapitel auf die
spezifisch afrikanischen Eigenheiten dieser Institution
eingeht. Als wesentlich gelten die Funktion des Braut-
preises und der Nachkommen. Die Hervorhebung gera-
de dieser beiden Aspekte zielt bewußt auf die späteren
Ausführungen über die Gynaegamie ab: eine Ehe zwi-
schen Frauen (wie auch zwischen Mann und Frau) wird
mit dem Zweck eingegangen, für Nachkommen zu sor-
gen. Durch die Zahlung des Brautpreises, der im Falle
der Gynaegamie von einer Frau entrichtet wird, werden
die Ehe und die daraus hervorgehenden Kinder legiti-
miert; die Kinder gelten nicht als Nachkommen des
Genitors, sondern des-/derjenigen, der/die den Braut-
preis bezahlt hat oder in dessen/deren Namen der Braut-
preis entrichtet wurde.
In Schwarzafrika findet sich die Gynaegamie nur bei
patrilinearen Ethnien mit Schwerpunkten in Westafrika
(Nigeria und Benin), Ostafrika (Sudan, Kenia, Tansania)
und Südafrika (Republik Südafrika und Lesotho). Aus
diesen drei räumlich getrennten Gebieten, die eine unab-
hängige Entstehung und Entwicklung dieser Institution
vermuten lassen, wählte Tietmeyer, orientiert an der
Quellenlage und der geographischen Verteilung, insge-
samt fünf Ethnien (Lovedu, Ibo, Nuer, Nandi, Gikuyu)
aus; ferner griff sie Nairobi zu Beginn dieses Jahrhun-
derts heraus, wo die Gynaegamie unter Prostituierten
verbreitet war.
Anhand der insgesamt sechs Beispiele erläutert die Ver-
fasserin das Wesen dieser Institution in den betreffenden
Gesellschaften. Eingebettet sind die Ausführungen je-
weils in einen vorangehenden prägnanten Überblick über
das soziale Umfeld, das die Frauenheirat beeinflußt und
zu ihrem Verständnis beiträgt, und in einen nachfolgen-
den, so weit wie möglich erschöpfenden Vergleich mit
benachbarten Ethnien, bei denen es die Institution eben-
falls gibt. Zum Abschluß jeden Kapitels werden die
Alternativen zur Gynaegamie aufgezeigt, die als eine
Möglichkeit zur Lösung des Nachwuchsproblems ver-
standen wird.
Aufgrund der unzureichenden Literatur sind die Darstel-
lungen der Gynaegamie bei den einzelnen Ethnien so-
wohl quantitativ als auch qualitativ sehr unterschiedlich;
ein Mangel, der Tietmeyer sehr wohl bewußt ist. Trotz
der schlechten Voraussetzungen gelingt es Tietmeyer
aber dennoch, die Gynaegamie in ihren wesentlichen
188
Buchbesprechungen Afrika
Eigenheiten zu erfassen und ihren Stellenwert im Sozial-
system der Ethnien, bei denen die Institution anzutreffen
ist, herauszuarbeiten.
Ein interethnischer Vergleich am Ende der Arbeit, in
dem die Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Gynae-
gamie bei den verschiedenen Ethnien zusammenfassend
aufgezeigt werden, läßt zudem eine Einteilung der
Gynaegamie in eine levirale Form (die Frau heiratet und
zahlt den Brautpreis im Namen eines männlichen Ver-
wandten) und eine autonome Form (die Frau heiratet
und zahlt den Brautpreis im eigenen Namen) gerechtfer-
tigt erscheinen.
Das letzte Wort über die Gynaegamie ist damit noch
nicht gesprochen. Vielmehr fordert die vorliegende Ar-
beit weitere Untersuchungen zum Thema geradezu her-
aus. Dem Forscher vor Ort, der in diesem Fall gefragt ist,
wird Tietmeyers Abhandlung sicherlich von Nutzen sein,
nicht zuletzt durch die Liste offener Fragen, die in jedem
Kapitel angeführt sind, und die im Anhang wiedergege-
bene Übersicht über die Primär- (mit Aufenthaltsanga-
ben) und Sekundärliteratur, die zur Gynaegamie bei den
einzelnen Ethnien bisher zur Verfügung steht.
Iris Hahner-Herzog
Thiel, F. J., Agthe, Johanna,
Strauss, Karin,; Wembah-Raschid,
J. und Olouch, Joseph H.:
Ehe die Gewehre kamen. Traditionelle Waf-
fen in Afrika. Frankfurt a.M.: Museum für
Völkerkunde, 1985 (Roter Faden zur Aus-
stellung, Nr. 8), 312 Seiten und zahlreiche
Abbildungen und Zeichnungen.
Agthe, Johanna und Strauss, Karin:
Waffen aus Zentral-Afrika. Frankfurt a.M.:
Museum für Völkerkunde, 1985 (Afrika
Sammlung, Nr. 2), 388 Seiten mit zahlrei-
chen Schwarzweiß-Abbildungen und Zeich-
nungen.
In den letzten Jahren scheint das Interesse an traditionel-
len afrikanischen Eisengegenständen (wie Werkzeuge,
Musikinstrumente und zumal Waffen) ständig zu wach-
sen. In den USA und Europa wurden zu diesem Thema
schon mehrere Ausstellungen organisiert. Ohne Zweifel
verdienen diese Eisenprodukte, sehr oft erstaunliche Lei-
stungen der »primitiven« afrikanischen Schmiede, diese
erneute Aufmerksamkeit völlig.
Die zwei neuen Veröffentlichungen des Frankfurter Mu-
seums für Völkerkunde unterstreichen das nochmals in
überzeugender Weise. 1985 wurde eine Ausstellung über
die zentralafrikanischen Waffen des Museums eingerich-
tet. Der erste Band, Ehe die Gewehre kamen, mit einem
Vorwort von Dr. J. F. Thiel, ist ein sehr lesenswertes
Buch mit drei Kapiteln über die traditionelle Rolle der
Waffen (bei der Jagd, im Kampf und im Sozialleben) bei
einigen Völkern: den Kanem-Bornu und Baghirmi in der
Nähe des Tschad-Sees, den Azande und den Maasai.
(Ein kurzes viertes Kapitel, von Joseph H. Oluoch, Arzt
in Nairobi, beschreibt die Behandlung von Kampfwun-
den bei den Samburu in Kenia. Er zeigt hier unter
anderem, wie wichtig die Kenntnisse über Kräuter und
Pflanzen sind.) Ohne daß es sich in den drei ersten
Kapiteln um primär wissenschaftliche Beiträge handelt,
die unsere Kenntnisse über oder unseren Begriff von der
Rolle der Waffen bedeutend vermehren, kann man diese
Essays lesen als sehr interessante und einleuchtende Ver-
suche, um die Waffen nicht nur als ästhetisch oft sehr
befriedigende Artefakte, sondern auch als wichtige, im
sozial-kulturellen Leben der Völker unentbehrliche
Hilfsmittel zur Existenzsicherung (kriegerisch und wirt-
schaftlich) zu sehen. Das wird zumal deutlich in Johanna
Agthes Kapitel über die Waffen der Azande (»Für Jagd
und Heirat: die Waffen der Azande«, pp. 133-237). Bei
den Azande z. B. wurde der Brautpreis jeweils in Spee-
ren bezahlt, und man konnte sie auch als Kompensation
für Vergehen benutzen. Karin Strauß, in ihrem Beitrag
über »Waffen in Kanem-Bornu und Baghirmi« (pp.
39-131), hat sich mehr darauf beschränkt, gegen den
historischen Hintergrund, die Anwendung der Waffen in
Krieg, bei Verteidigung und bei der Sklavenjagd zu
beschreiben. Beide Kapitel sind ausgezeichnet in der
Beschreibung der Waffen, und außerdem sind beide
reichlich mit Fotos und Illustrationen versehen. Allein
schon auf Grund dieser hervorragenden Auswahl des
Bildmaterials wäre dieses Werk sehr wertvoll. Beide
Autoren zeigen aber auch auf gute Weise, wenn auch
ziemlich fragmentarisch, wie die Waffen in Kanem-Bor-
nu und Baghirmi (beide entwickelte, vom Sklavenjagd
und -verkauf abhängige Reiche) und bei den Azande (ein
Königreich, das viele Randvölker eroberte und teilweise
aufnahm) innerhalb der Gesellschaft gebraucht wurden.
Agthe beschreibt dabei auch noch die Waffen der Mang-
betu, Mamvu, Boa und Aka, im Regenwalde lebende
Völker in der Nähe der Azande.
Nützlich und teilweise sich stützend auf neue Daten ist
das Kapitel von J. Wembah-Rashid vom Nationalen Mu-
seum Tansania über die Maasai. Der Autor gibt (nach
einer Einleitung über Identität, Gesellschaft und natürli-
che Umgebung) eine der ersten, wenn auch ziemlich
kurzen, mehr systematischen Übersichte der Maasai-
Waffen (Speere, Schilder, Keule, Pfeile und Bogen,
Messer).
Das zweite Buch, Waffen aus Zentral-Afrika, ist der
begleitende Katalog der Ausstellung und zeigt haupt-
sächlich die mehr als 300 Objekte in guten Schwarzweiß-
Fotos und Zeichnungen (insgesamt besitzt das Museum
etwa 1000 dieser Objekte). Dabei werden auch der Name
der Ethnie und die Abmessung der Waffen angegeben,
während später (p. 274f.) eine mehr ausführliche Be-
schreibung, Herkunftsangabe und Literaturhinweise zu
finden sind.
Als Übersichtskatalog und daher als Quelle ist es ohne
Zweifel ein ausgezeichnetes Werk. Am Beginn dieses
Teils wird eine Typologie der Jagd- und Kriegswaffen
und der Verteidigungsmittel gegeben, welche dann nach-
her in der Einführung von Johanna Agthe und Karin
Strauß (pp. 15-38) ausgearbeitet wird. Hier wird eine
elementare aber detaillierte Beschreibung der verschie-
denen Waffentypen und der technischen Aspekte von
Anfertigung und Gebrauch präsentiert.
Veröffentlichungen wie diese bringen natürlich immer
auf peinliche Weise in Erinnerung, daß es keine Möglich-
189
TRIBUS 35, 1986
keiten mehr gibt (mit wenigen Ausnahmen), ethnologi-
sche Feldforschungen nach Stellung und Gebrauch dieser
Waffen zu unternehmen. Agthe schreibt, daß z.B. über
die Symbolik der Waffen bei den Azande nur wenig
bekannt ist. Seit den ersten Reisebeschreibungen des 19.
Jahrhunderts (z.B. Nachtigall, Barth) hat sich bei diesen
zentralafrikanischen Völkern auf Grund endogener, aber
mehr noch exogener Entwicklungen (Eroberung und Ko-
lonialismus, Missionsarbeit, Übernahme der europäi-
schen Feuerwaffen, usw.) sehr vieles geändert. Was wir
aber noch an Artefakten haben, soll möglichst gut unter-
sucht und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden,
und man darf sagen, daß diese zwei Bände ein überzeu-
gender Beitrag dazu sind: es handelt sich hier um eine
bemerkenswerte Inventarisation einer sehr wichtigen
deutschen musealen Sammlung, die mit interessanter
und wertvoller Information präsentiert worden ist.
J. Abbink
Thiel, Franz Josef und Helf, Heinz:
Christliche Kunst aus Afrika. Berlin: Reimer
1983. 320 Seiten, 64 Färb- und 430 Schwarz-
weiß-Abbildungen.
Hier liegt ein aufwendig gestaltetes Werk vor, in dem
Kapiteltexte mit eingestreuten Illustrationen und Vorge-
setzten Karten im Wechsel mit Bilderfolgen von hervor-
ragender photographischer und drucktechnischer Quali-
tät mit ausführlichen Bildlegenden stehen.
»Christliche Kunst in Afrika« - ein Stoff, an dem man
sich reiben, ein Thema, das kontrovers diskutiert werden
kann. Bereits das Vorwort des Generalsuperiors und die
Einleitung des Autors mit den apologetischen Sätzen
gegen den Vorwurf, christliche Missionsarbeit allein ha-
be Schuld am Untergang traditioneller afrikanischer Kul-
turen, reizen dazu. Es bleibt im Nachhinein müßig dar-
über zu streiten, was geschehen wäre, wenn die Mission
Kompromisse geschlossen, Vorgefundenes amalgamiert
hätte mit der Anpassungsfähigkeit, die in der Missionie-
rung Westeuropas zu verzeichnen war. Aber dazu war
die Kirche des 19. Jahrhunderts im zweiten Ansatz zur
Missionierung Afrikas, geprägt von dogmatischer Kathe-
dergelehrsamkeit und Strenge, nicht bereit. Zentrale,
lebensgestaltende Ideen afrikanischer Religiosität wur-
den durch eine ausgereifte Lehre verdrängt, die aber
nicht - wie die traditionellen Weltvorstellungen vordem -
alle Lebensbereiche durchdringen konnte. Ausgeklam-
mert blieben beispielsweise Magie und Volksmedizin.
Was Wunder, wenn solche Lücken durch synkretistische
Phänomene aufgefüllt werden. Fest stehen dürfte je-
doch, daß jeglicher Eingriff in die geistig-religiöse Sphäre
einer Kultur der schwerwiegendste und folgenreichste
ist.
Aber darum geht es in dem sorgfältig edierten Pracht-
band gar nicht, sondern um christliche Kunst, besser
gesagt um christliche Thematik in afrikanischen Kunst-
formen.
Da stutzt man in der Einleitung bei dem Satz: »Der
Wandel in Afrika ist derart rapide, daß es zu einem
afrikanischen Stil praktisch noch nicht gekommen ist.«
Nun haben ja sehr viele afrikanische Ethnien unverwech-
selbare Stile geschaffen. Es wird hier noch nicht klar, ob
der Autor das generelle Problem nur in der Umsetzung
neuer, das heißt christlicher Inhalte in bestehenden For-
men sieht oder in der Afrikanisierung christlicher Sym-
bole und Gestalten. Bei den Symbolen würden Konstan-
ten zu Variablen und beim Personenkreis stellte sich die
Frage, ob historische Gestalten, deren Erscheinungsbild
im Abendland ausgeformt wurde, überhaupt zu afrikani-
sieren sind.
Das 1. Kapitel »Probleme einer christlichen Kunst in
Afrika« setzt sich mit Mission und Kunst auseinander.
Die kritischen Anmerkungen übertönen jedoch nicht den
verteidigenden Grundton. Ein Abschnitt bringt tabellari-
sche Erfassungen wichtiger historischer Daten und Fak-
ten zur Geschichte des Christentums in Afrika sowie
statistische Tabellen zur Anzahl von Christen und Musli-
me in der Bevölkerung. Im Abschnitt »Wesensmerkmale
afrikanischer Kunst« mußte der Autor notgedrungen ei-
ne verallgemeinernde Darstellung geben. Die Fülle der
Erscheinungen läßt sich nicht auf einen Nenner bringen.
In den Aussagen zur »afrikanischen Proportion«, zur
Farben- und Zahlensymbolik und Doppelgeschlechtlich-
keit schlagen sich Erfahrungen des Autors aus seinem
Aufenthalt unter Bantu-Gruppen in interessanten De-
tails nieder, die aber nicht panafrikanische Vorstellungen
sind. Das Kapitel schließt mit dem Entwurf eines Grund-
satzpapiers, der Fehler der Vergangenheit erkennt und
ideal gesinnt in die Zukunft weisen möchte, der aber
sicherlich innerhalb und außerhalb der Kirche einen Mei-
nungsstreit auslösen könnte, vor allem bei jenen, die
nach dem 2. Vatikanischen Konzil mit dem Einzug loka-
ler volkstümlicher Elemente auch in die Kirchen Afrikas
Gefahren für die Einheit des Katholizismus sehen.
Die folgenden Kapitel erfassen afrikanische Großräume,
Äthiopien als ersten, dessen Sonderstellung mit seiner
genuinen Entwicklung christlicher Kunst schon in der
Einleitung hervorgehoben wurde. Gestützt auf die Ar-
beiten von Hammerschmidt und Chojnacki wird ein Ab-
riß der Christianisierungsgeschichte und der afrikani-
schen Entwicklung des Christentums in Äthiopien gege-
ben und dann detailliert und informationsreich auf
Wandmalereien in Kirchen, Buchmalerei, die Gebets-
und Zauberrollen, auf Ikonen und die Vielzahl von Vor-
trage-, Hand- und Anhängekreuzen eingegangen.
Das Kapitel »Das alte Kongoreich« ist eines der interes-
santesten, nicht nur - weil auch hier wie im ganzen Werk
- in knapper, allgemeinverständlicher Sprache sehr diffe-
renzierte historische Abläufe aus der frühen Entdek-
kungs- und Missionszeit dargestellt werden, sondern da-
zu auch sehr viel Material aus Aufsätzen in nicht jeder-
mann zugänglichen Zeitschriften herangezogen wurde
wie die umfangreiche Bibliographie beweist. Der vorge-
nommene Vergleich zwischen Äthiopien und Kongo
zeigt, wie bei gleichem Ansatz völlig unterschiedliche
Entwicklungen sich vollzogen haben. Dort Kontinuität
bis in die Gegenwart, hier - nach dem Scheitern der
Mission - die Afrikanisierung christlicher Symbole, das
Umformen mißverstandener Attribute und die Umdeu-
tung nach afrikanisch-traditionellen Vorstellungen. Die
doppelgeschlechtliche Darstellung Christi am Kreuz bie-
tet das überzeugendste Beispiel. In der Wiedergabe von
Statuetten, Grabfiguren, Szeptern, Jagdfetischen und
den Nzambi-Figuren als Belegen dieses synkretistischen
190
Buchbesprechungen Afrika
Weiterwirkens christlichen Einflusses wird reiches histo-
risches, bis tief ins 19. Jahrhundert reichendes Material
geboten, und man wünschte sich, daß das Kapitel »Zen-
tralafrika« sich unmittelbar anschließen würde, das für
das Kongogebiet die modernen Entwicklungen aufzeigt.
Es folgt aber zunächst Nigeria, das auf der Basis der
traditionellen Yoruba-Schnitzkunst m.E. eine überzeu-
gende Synthese aus der Umsetzung christlicher Themen
in tradierte afrikanische Formen bietet. Diese Ansätze in
Oye Ekiti, angeregt durch P. Carroll, sind verschiedent-
lich kritisiert worden, Kritiken, die der Autor vorträgt.
Aber gerade an dem gelungenen Beispiel Nigerias -
einzelne Schnitzer werden vorgestellt - sollte man die
Frage stellen: Was läßt sich aus dem christlichen Weltbild
bildnerisch darstellen, und wo liegen die Grenzen einer
Umsetzung in regional-traditionelle Kunstformen und
-Stile? Sie liegen sicherlich bei den christlichen Symbolen
(Kreuz, Lamm, Taube, Fisch u.a.) und bei den Attribu-
ten der Evangelisten und Heiligen. Und wenn die Gestal-
ten der Bibel in den erzählenden Darstellungen von
Begebenheiten im Alten und Neuen Testament afrikani-
siert, das heißt mit negriden Zügen und einheimischen
Gewändern ausgestattet erscheinen, so mag sich für den
afrikanischen Betrachter eine gewisse Vertrautheit ein-
stellen, aber ändert das etwas an den Inhalten? Inhalte
übrigens, die sich - wie die Kapellentüren zeigen - erst
durch die Komposition der Szene und unverzichtbare
Attribute als biblische Themen erweisen.
Gerade die Beispiele, die der Autor von nicht-traditio-
nellen Künstlern bringt, die »aus ihrer eigenen Formen-
welt schöpfend, christliche Wahrheiten nach ihrer Auf-
fassung gestalten«, zeigen, daß für dieses individualisti-
sche Schaffen afrikafremde Techniken mit ihren Eigen-
gesetzlichkeiten eingesetzt werden: Ölmalerei, Linol-
schnitte, Collagen, Zierstickerei, kurz Techniken und
Materialien, mit denen sich die Künstler in die Zweidi-
mensionalität der Fläche zurückziehen und die Tradition
der raumgreifenden Skulptur aufgeben, die ihnen mehr
Klarheit der Linie abverlangt als die malerischen und
graphischen Ausdrucksmittel. Wenn im Zusammenhang
der Holzbildhauer der Begriff »Auftragsarbeit« abwer-
tend gemeint erscheint, dann sollte man daran erinnern,
daß auch die traditionellen Werke Aufträge waren und in
der Hochblüte christlicher Kunst in Europa auch nur auf
Bestellung gearbeitet wurde. Daß gelungene Figuren
immer wieder nachgeahmt werden, scheint ein afrikani-
sches Phänomen zu sein (vgl. moderne Makonde-Skulp-
turen), aber davon ist auch die alpenländische Herrgotts-
schnitzerei nicht frei.
Andere Probleme tauchen in Westafrika (Kap. 5) auf. In
dem ehemals vorwiegend französischen Kolonialgebiet
scheint ein schlechtes europäisches Vorbild am stärksten
nachgewirkt zu haben, wohl als Folge von »direct rule«,
wie der Autor mit Frank Willet vermutet. Es verwundert
trotzdem, daß aus dieser reichen Zone traditioneller
Kunst die unbefriedigendsten Zeugnisse kommen, die in
den traditionellen Techniken einer einst hochstehenden
Messingguß- und Keramikkunst als Erbe höfischer
Kunsthandwerke fade Nachahmungen ebensolcher euro-
päisch-christlicher Vorbilder sind.
Im zentralen Afrika fällt Gabon ganz aus, und Kamerun
bietet nicht die aus seiner Schnitz- und Gießertradition
zu erwartende Fülle an Beispielen christlicher Kunst. Die
Bedeutung, die der Autor im Text den Bestrebungen von
P. Engelbert Mweng zumißt, »das afrikanische Erbe fürs
Christentum fruchtbar zu machen«, kann im Bildteil
kaum belegt werden, der sich hier fast ausschließlich auf
Paramentik beschränkt.
Entzieht sich der ehemals französische Kongo durch
Mangel an Belegstücken eingehender Betrachtung, so
zeigt Zaire im erneuten Missionsansatz und einer kolo-
nialen Kulturpolitik Richtungen, die P. Alexandre Gilles
de Pelichy so gliedert: 1. sklavisches Kopieren europäi-
scher Vorbilder. 2. Darstellungen christlicher Themen im
afrikanischen Milieu. 3. Übernahme traditioneller Ob-
jekte und Ornamente in die Architektur und Paramen-
tik. Und 4. endlich - als höchste Form - das eigenständi-
ge, unbeeinflußte künstlerische Schaffen des Afrikaners.
- Bildbelege verdeutlichen das Gemeinte und zeigen auf,
daß im Vorwurf des einheimischen Künstlers Bamba
»Zairische Priester und Religiösen scheinen nicht die
tiefe Notwendigkeit zu begreifen, die eine stark entwik-
kelte Ikonographie für ihre christlichen Gemeinden be-
deutet, besonders wenn sie aus den Quellen der schwarz-
afrikanischen Kunst stammt« die Möglichkeiten und
Grenzen der darin enthaltenen Forderung nicht konse-
quent durchdacht sind. Daran änderten auch die Kunst-
schulen von Saint Luc und Kahemba, die der Autor
vorstellt, ebensowenig wie die Künstlergruppe um Pierre
Romain-Desfosses, die - in Erfüllung von Punkt 4 - sich
in afrikanischer Tradition fremdgebliebener Malerei aus-
drückt. Trotz vielfacher Förderung hat man »die Künst-
ler zu wenig ihrer eigenen Inspiration überlassen« stellt
der Autor fest und schließt daran die Frage an: »Hatte
man Angst vor synkretistischen und häretischen Gebil-
den?« Diese Besorgnis wäre durchaus zu verstehen, sie
bleibt aber mit dem Problem verknüpft, das grundsätzli-
cher Art ist, nämlich inwieweit sich festgefügte christli-
che Motive einer in Europa entwickelten Ikonographie in
die Kunstformen und Auffassungen anderer Kulturen
ohne Substanzverlust umsetzen lassen.
Angola wird nur kurz gestreift, für den nördlichen Teil
liegen die Probleme ähnlich wie in Zaire: in synkretisti-
schen Schöpfungen schlägt sich das Wirken der alten
Kongomission nieder. Zu fragen bliebe, ob die erwähn-
ten Kreuzformen auf der Stirn von Tshokwe-Masken auf
das christliche Symbol zurückgehen - wie der Autor
meint - oder aus der Schlaufen- und Schlingbandorna-
mentik der Region herzuleiten sind.
Da das südliche Afrika die west- und zentralafrikani-
schen Kunsttraditionen nicht aufweist, sollte es die Probe
aufs Exempel für eine unbefangene Entwicklung afrika-
nisch-christlicher Kunst sein. Für Zimbabwe wird aufge-
zeigt, daß es europäische Priester waren, die den Anstoß
gaben, daß in einer Region ohne künstlerische Überliefe-
rungen christliche Themen in Gemälden und Skulpturen
dargestellt wurden. Ein Einfluß, der mit dem Rückzug
der Anreger auslief oder seine Richtung änderte. Von
Bedeutung bleibt, daß sich durch das Wirken von Ed-
ward Paterson und der Schule von Cyrene, von Hans
Gröber und der Kirche von Serima und von Frank
McEwen in der »Workshop School« von Harare drei
charakteristische Lokalstile entwickelten, deren Entste-
hungsprozeß und Konstanz Aufschluß geben könnten
über das bislang unzureichend erklärte Phänomen, das
wir gemeinhin »Stammesstil« nennen. Von »kopieren«
TRIBUS 35, 1986
ist dort, nicht unberechtigt, die Rede: Kopieren der
gefundenen Idealform. Der eingestreute Vorwurf gegen
die »Kunstethnologen« trifft nicht. Das müßte an ande-
rer Stelle erörtert werden.
In Südafrika hingegen kann von einer »Explosion« in der
bildenden Kunst gesprochen werden, für die de Jager
einige Gründe anführt: unter anderen die Bildung zweier
Kunstzentren und das neue Identitätsbewußtsein der
Schwarzen. Der Autor fügt hinzu: Identifizierung mit
dem leidenden auserwählten Volk und den Leiden des
Messias. Die Fülle des Materials zwingt ihn zu einer
Kürze im Text, die aufgewogen wird durch ein Mehr an
Bildbelegen. Auch hier wird ersichtlich, daß christliche
Thematik keine Synthese mit traditioneller Kunst einge-
hen konnte, weil diese nicht oder nicht mehr existierte.
Malerei und graphische Techniken, Holz- und Linol-
schnitte, Radierungen und Kohlezeichnungen herrschen
in der Auswahl gegenüber wenigen Bildhauerarbeiten
vor. Inhaltlich erwächst aus den Problemen des Landes
aber etwas ganz anderes: Die vor Gott gleichmachende
Lehre des Christentums in der realen Situation südafrika-
nischer Apartheid. So ist die Vermutung des Autors
nicht abwegig, in einer Reihe scheinbar christlicher Bil-
der politische Aussagen zu sehen, die als Protest gegen
das herrschende System aufzufassen sind. Einen eigenen
Stellenwert unter der Bildauswahl besitzen die ironisch-
distanzierten Kohlezeichnungen von Georg Msimango,
in denen die Darstellung von Zeremonien und Begeben-
heiten aus verschiedenen christlichen Kirchen und Sek-
ten den Rang Daumier’scher Karrikaturen erreicht.
Unter den wenigen ostafrikanischen Belegen dominieren
Werke der Makonde, und auch der Text bezieht sich fast
ausschließlich auf diese Gruppe. Hier zitiert der Autor
gegensätzliche Beurteilungen ohne selbst zu einem Urteil
zu finden. Unverständlich bleibt, warum ihn ein selbstge-
wähltes, unverfängliches Zitat aus »Modern Makonde«
von Shore-Bos zu apologetischem Eifer treibt (S. 289).
Daß ein faszinierender kreativer Ansatz der Makonde,
ohne an erloschene Tradition anzuknüpfen, zu hervorra-
genden Werken geführt hat, die von unzulänglichen
Händen inzwischen kopiert werden und den Marktgeset-
zen folgen, ist allein nicht afrikatypisch und mit dem
Begriff »airport-art« nicht zu verurteilen.
Der Schluß des Buches bringt ein Kapitel über Kirchen-
bau in Afrika, das als Appendix angesehen werden muß,
da es nur exemplarisch belegen kann, was der Text als
besondere Probleme darlegt: nämlich Möglichkeiten und
Grenzen der Aufnahme traditioneller Architektur, mo-
derne Gestaltungstendenzen, Dauerhaftigkeit des Mate-
rials und Fragen der Innenausgestaltung.
Die kritischen Einwände und Überlegungen resultieren
stärker aus dem Thema als solchem, weniger aus dem
vorliegenden Werk, das in diesem Umfang zu verfassen
Kenntnisse und Erfahrungen voraussetzt, die der Autor
in reichem Maße besitzt. Es ist ein verdienstvolles, anre-
gendes Buch, das dem Leser je nach Einsicht und Über-
zeugung reiches Material zur Auseinandersetzung mit
einem problematischen Thema zeitnaher religiös-kultu-
reller Erscheinungen bietet.
Zufallsfunde von Druckfehlern: S. 14. 12. Z. v.u. die
statt den. S. 24 muß der Abschnitt »statisch-dynamisch«
die Nr. 4 statt 6 erhalten. S. 87. 18. Z.v.o. Diogo statt
Digo. S. 159/60 Abb. 229 und 231 ohne Legende. S. 163
im Text Hinweis auf Abb. 237, gemeint ist aber Abb. 238
und später umgekehrt.
Klaus Volprecht
Wente-Lukas, Renate:
Handbook of ethnie units in Nigeria. With
the assistance of Adam Jones. Studien zur
Kulturkunde, Band 74. Stuttgart: Franz Stei-
ner Verlag, 1985. Vili -I- 468 Seiten, 1
Karte.
Als Ergebnis eines von der Deutschen Forschungsge-
meinschaft unterstützten Projekts am Frankfurter Frobe-
nius-Institut erhebt das vorliegende Werk den Anspruch,
alle ethnischen Gruppen Nigerias, aufgelistet in alphabe-
tischer Reihenfolge, zu umfassen. Zu Recht werden in
der Einführung keine allgemein gültigen Kriterien zur
Definition einer ethnischen Gruppe aufgestellt. Sie kön-
nen also territorialer, politischer, linguistischer usf. Art
sein, unter der einzigen Bedingung, daß sich die jeweilige
Gruppe als solche empfindet bzw. von ihren Nachbarn so
empfunden wird (S. 1).
Die Kurzinformationen über jede ethnische Gruppe sind
nach folgendem Schlüssel zusammengestellt: 1.1 haupt-
sächlich gebrauchte Bezeichnung; 1.2 Eigenbezeichnung;
1.3 deren Synonyme; 1.4 deren Varianten; 2. Untergrup-
pen; 3.1 gegenwärtiges Siedlungsgebiet; 3.2 frühere Sied-
lungsgebiete; 4. Bevölkerungszahl; 5.1 linguistische Zu-
ordnung; 5.2 Name der Sprache; 6. Literatur. Selbstver-
ständlich können die Kriterien für die hauptsächlich ge-
brauchte Bezeichnung (Verwaltungsbezeichnung, Ver-
balhornung, Bezeichnung durch die Nachbarn usf.)
ebensowenig einheitlich sein (S. 2) wie die für die Unter-
abteilungen einer ethnischen Gruppe (historische,
sprachliche, geographische) (S. 3).
Die Klassifizierung der Sprachen wurde zweckmäßiger-
weise von Greenberg übernommen, und den wichtigsten
Begriffen aus seiner Terminologie (wie »Chadic«, »Ni-
ger-Congo«) wurden innerhalb der alphabetischen Rei-
henfolge eigene kleine Artikel gewidmet, um dem Laien
die Benützung dieses Handbuches zu erleichtern (S. 3).
Unter 5.2 berücksichtigte man auch die Dialekt-
unterschiede, wobei die einheimischen Namen wie im
ganzen Text in Lautschrift gesetzt wurden.
Einzelne Unzulänglichkeiten ließen sich in diesem nützli-
chen Handbuch mit derartigem Anspruch wohl nicht
vermeiden. So sind von einer Reihe kleinerer Bata-
sprachiger Gruppen, die Meek und Abubakar eher als
eigene ethnische Gruppen anzusprechen scheinen, nur
die Malabu (Meek 1931: 91ff.) und Zumu (ibid.: 72ff.;
Abubakar 1977: 12) als Sprecher besonderer Dialekte
unter dem Stichwort »Bata« erwähnt (S. 41). Die Kofa
(Meek 1931: 113-14), Bolki (ibid.: 117ff.; Abubakar
1977: 12), Muleng (Mrrk 1931: 115ff.; Abubakar 1977:
12) und Maiha (ibid.: 12, 25 Anm. 45) finden sich als
Gruppen nur im Index (S. 402ff.), aber nicht im Text,
während die Bulai (Meek 1931: 86ff.) und Mulke (Abub-
akar 1977: 12) gar nicht erwähnt werden. - Übrigens
erscheint der nigerianische Autor Sa’ad Abubakar in der
Auswahlbibliographie einmal unter seinem Familien
(S. 381) und einmal unter seinem Vornamen (S. 393).
Buchbesprechungen Afrika / Islamischer Orient
Unter den Wändala-sprachigen Gruppen vermißt man
die Dissa (v. Duisburg 1927: 194; 1942: 108) ganz. Die
Vala findet man nur unter dem Stichwort »Chinine«
(S. 68), obwohl sie doch schon seit mindestens über 70
Jahren Wändala-Sprecher sind (v. Duisburg 1927: 194;
1942: 108).
Im Gegensatz zu anderen Stichwörtern vermißt man
auch die Angabe zur Bevölkerungszahl der nigeriani-
schen »Kotoko« (S. 234): Im Jahr 1964 waren es genau
8998 Personen (Lebeuf 1969: 21-22).
Die bisher zitierten Quellen finden sich zumindest alle in
der Auswahlbibliographie (S. 365ff.), die ja den For-
schungsstand bis etwa 1979 berücksichtigen soll. Es fehlt
jedoch die an demographischen Angaben so reichhaltige
Monographie von Victor N. Low (1972) über die Ge-
schichte von drei nigerianischen Fulbe-Emiraten. Ihr wä-
ren u.a. Angaben über die sprachliche Situation der
»Shirawa« zu entnehmen gewesen (ibid.: 103 Anm. 2),
über die sich die Autorin doch offensichtlich im unklaren
ist (S. 317).
Und schließlich sollte der Redaktion eines lexikalischen
Werkes auch nicht die folgende Anordnung von Stich-
wörtern unterlaufen: Jarawan Bantu - Jen - Jengre -
Jarawa - Jerawa (S. 188ff.).
Die mehr als Ergänzung denn als Kritik empfundenen
Einwände dürfen uns jedoch nicht vergessen machen,
daß jeder an Nigeria Interessierte dieses nützliche Hand-
buch mit Gewinn konsultieren kann.
Hermann Forkl
Zitierte Literatur:
Abubakar, Sa’ad
1977 The Lamibe of Fombina. A Political History of
Adamawa 1809-1901, o.O.
Duisburg, Adolf v.
1927 Zur Geschichte der Sultanate Bornu und Wändala
(Mändara), Anthropos 22, S. 187-196.
1942 Im Lande des Cheghu von Bornu. Despoten und
Völker südlich des Tschad, Berlin.
Lebeuf, Annie M. D.
1969 Les principautés kotoko. Essai sur le caractère
sacré de l’autorité, Paris.
Low, Victor N.
1972 Three Nigérian Emirates. A Study in Oral Histo-
ry, Evanston.
Meek, C. K.
1931 Tribal Studies in Northern Nigeria, Bd. I,
London.
Azadi, Siawosch und Andrews, Peter A.:
Mafrash. Berlin: Dietrich Reimer Verlag
(Weltkunst Verlag, München) 1985. 257 Sei-
ten mit 7 Schwarzweiß-Fotografien, 36 grafi-
schen Figuren und 93 Farbtafeln.
Mafrash werden im südlichen Urkaukasusgebiet textile
Behältnisse von rechteckiger, truhenartiger Form ge-
nannt. Hergestellt in Sumakh-, Kelim- oder anderen
Flachgewebetechniken dienen sie zum Transport und zur
Aufbewahrung besonders von Bettzeug und Kleidung
und sind typisch für eine recht heterogene, vorwiegend
»turki« sprechende, teils noch nomadische, teils schon
seßhafte Bevölkerungsgruppe. Es handelt sich also um
volkskundlich interessantes textiles Gebrauchsgut, das
bisher hierzulande trotz oft sehr ansprechender Muste-
rung kaum Aufmerksamkeit fand. Erschwerend war
wohl, daß sich solche »Kelimkissen« nicht so recht in
hiesige Wohnungen einfügen ließen. So wurden diese
Behältnisse vom Handel oft schon vor Ort in ihre Einzel-
teile zerlegt, von denen vor allem die Längsseiten unter
der - falschen - Herkunftsbezeichnung »kaukasisch«
dann auf den Markt kamen. Erst als in den letzten
Jahrzehnten das Interesse an nomadischer und bäuerli-
cher Textilkunst beachtlich zunahm, wurde auch der
Reiz wieder- bzw neuentdeckt, der von großformatigen
Flachgeweben wie z.B. Kelims, aber auch von kleineren
gewebten Gebrauchstextilien ausgehen kann. So ist es
das Verdienst dieses Buches, aus der Fülle solchen Mate-
rials hier die Mafrash ausgewählt zu haben, um sie denje-
nigen Interessenten nahezubringen, die neben dem
ästhetischen Genuß von orientalischen Mustern und
Farbkombinationen gerne auch wissen möchten, wo, von
wem, zu welchem Zweck und wann solche Textilien
hergestellt wurden. Um einen möglichst großen Leser-
kreis gewinnen zu können, wurden alle Texte zweispra-
chig, deutsch und englisch, verfaßt, sie geben Antworten
auf technische Fragen in Kapiteln zu Funktion, Form und
Abmessungen, über Ornamentik, über Material, Tech-
nik und Farben des Mafrash.
Als hautpsächliche Hersteller beschreibt der Mitverfas-
ser des Buches, der Kölner Ethnologe Peter A. An-
drews, die Shahsawan. Bei ihnen handelt es sich um den
von dem Safawidenshah Abbas dem Großen (1587-1629
unserer Zeitrechnung) veranlaßten Zusammenschluß vor
allem von Angehörigen verschiedener Turkmenenstäm-
me der untergehenden Konförderation vom »Weißen
Widder« (AK Koyunlu) und »Schwarzen Widder« (Kara
Koyunlu) und deren Nachfolgeorganisationen, der Kizil
Bash, d.h. den »Rotmützen«. Der historische Hinter-
grund für die Ethnogenese dieser Shahsawan, das sind
»Die den Shah lieben«, wird sehr ausführlich dargestellt
und erlaubt einen interessanten Einblick in das persisch-
türkische Kräftespiel im Kaukasus und seinen Nachbar-
gebieten während des 16. und 17. Jahrhunderts. Auch
die weitere Entwicklung von Sozialstruktur und Verbrei-
tungsgebieten dieser verhältnismäßig jungen und anfangs
sehr heterogenen Bevölkerungsgruppe wird bis in die
jüngste Zeit hinein skizziert. Sehr zu statten dafür kamen
P. A. Andrews (und seiner mit Nomadentextilien sehr
bewanderten Frau) ausgedehnte Reisen zu verschiede-
nen Gruppen der Shahsawan. Übrigens wird deren politi-
sche Bedeutung im 16. Jahrhundert durchaus von der
Geschichtsschreibung gewürdigt, z.B. von Sir P. Sykes1,
doch waren sie als Produzenten vieler Flachgewebe aus
West- und Nordwestpersien bis noch vor wenigen Jahren
fast ganz unbekannt. Vielmehr wurden diese Textilien
etwa afsharischen, armenischen, generell »kaukasischen«
oder auch kurdischen Erzeugnissen zugeschrieben. Dazu
ist allerdings anzumerken, daß manche der in Frage
stehenden Muster tatsächlich auch von Kurden herge-
stellt werden, die sich nicht zu den Shahsawan anrech-
nen. Andererseits sind aber, was Andrews nicht erwähnt,
bedeutende kurdische Elemente auch in den Shahsawan
193
TRIBUS 35, 1986
aufgegangen. Das trifft, wenn auch in kleinerem Um-
fang, auch für jene Armenier, Georgier, Tsherkersen
und Tadjiken zu, die Shah Abbas für eine besondere, nur
ihm selbst unmittelbar unterstellten Streitmacht rekru-
tiert hatte2. Immerhin dürfte der Anteil dieser Nichttür-
ken im Shahsawan-Verband helfen, die große und durch-
aus nicht immer turkmenisch anmutende Mustervielfalt
zu erklären.
Den größten Teil des Buches nehmen die Abbildungen
ein. Auf 93 Tafeln wird jeweils ein Objekt, häufig ein
kompletter Mafrash, in vorzüglichen Farben wiedergege-
ben und auf der gegenüberliegenden Seite mit Angaben
zu Größe, Alter, Musterbesonderheiten und Struktur-
analyse kommentiert. Bei dieser wird eine Reihe ver-
schiedener Webtechniken so ausführlich beschrieben,
daß damit vorzugsweise wohl nur Textil-Ingenieure ange-
sprochen werden. Hingegen bleibt die Frage offen, wie-
weit bestimmte Techniken auch definierten Herstellern
zuzuordnen sind oder ob alle Techniken von allen Shah-
sawangruppen verwendet wurden? Bei den Abbildungen
wirkt sich aus, daß es sich hier um Mafrash einer Privat-
sammlung handelt, die S. Azadi zu diesem Buch bewog.
Man könnte meinen, dem Sammler selbst sei es mehr auf
Anzahl und farbige Vielfalt seiner Stücke angekommen,
als etwa auf eine volkskundlich-systematische Erfassung
dieses Textil-Typs. So sind mehrfach zwei Stücke abge-
bildet, die sich nur in so winzigen Einzelheiten unter-
scheiden, daß die Wiederholung kaum zusätzliche Er-
kenntnisse bringt: z.B. Tafeln 67, 69-99, 101-109,
111-143, 145-173, 175-177, 179 und 191, 203. In der
Reihenfolge der Abbildungen läßt sich jedenfalls keine
rechte Einteilung erkennen, weder nach Erzeugergrup-
pen, noch nach Herstellungsgebieten oder nach Leitmo-
tiven der Musterung. Angesichts der so ausführlichen
Kapitel zur Geschichte und ethnologischen Prägung der
Shahsawan ist zu bedauern, daß diese Mühe nicht auch
zu einer wenigstens ungefähren Zuschreibung der Stücke
zu der einen oder anderen Shahsawangruppe geführt hat.
Wer immer im Feld gearbeitet hat, weiß um die Schwie-
rigkeit, besonders bei älteren Textilien, noch den tat-
sächlichen Hersteller zu identifizieren. Zu oft sind Sip-
pen-, ja selbst Stammesverbände untergegangen, um-
gruppiert worden oder neu entstanden, wie es z.B. bei
den Belutshen beschrieben wurde3. In einer solchen Si-
tuation bietet sich dann aber wenigstens eine Ordnung
nach Herstellungsgebieten an, wie sie hier mit den Ober-
gruppen der Meshkin- und der Ardebil-Shasawan ja im
Text angedeutet ist. Von deren Seite (2) wird vorgeschla-
gen, die Shahsawan nach ihren Lebensräumen zu ordnen
in solche aus dem
1. Moghan-Gebiet
2. Gebiet von Hashtsud und Mianeh
3. Gebiet von Khamseh und Bidjar und
4. Gebiet von Raswin, Saveh und Veramin
Eine Herkunftsbezeichnung wie West- oder Nordwest-
persien befriedigt jedenfalls nicht.
Andererseits wäre auch eine Einteilung nach Motivgrup-
pen der Musterung möglich gewesen. Doch auch eine
solche bleibt demjenigen Leser selbst überlassen, für den
das Studium der außerordentlichen Variationsmöglich-
keit von Form- und Farbkomposition eines Leitmotivs
von besonderem Interesse ist. Stellt man es auf diese
Betrachtungsweise ab, dann sind es hauptsächlich sechs
solcher Leitmotive, die in 76 von insgesamt 93 Komposi-
tionen abgehandelt werden. Allein 24-mal sind es mit
glatten oder eingerollten Haken besetzte Rauten bzw.
Sechseckfiguren, die allerdings mit wechselnden Bordü-
ren kombiniert sind. - Eigentlich nicht in dieses Buch
gehören die Abbildungen 119, 147, 149, 159, 161 und
247, denn sie geben keine Mafrash wieder, sondern
»Khordjin« (Sattelpacktaschen) und »Djowall« (große
Zelt- bzw. Kamel-Packtaschen). Wegen ihrer unter-
schiedlichen Herstellungsweise, ihrer eigenen Muster-
vielfalt und wegen ihrer über den hier beschriebenen
Erzeugerkreis und Herstellungsbereich weit hinausge-
henden Verbreitung verdienten sie nicht nur eine so
beiläufige Erwähnung, sondern durchaus eigene Publika-
tionen (4, 5). Dem Format nach dürfte es sich bei Nr. 255
hingegen wohl eher um einen Mafrash als um eine
Khordjin handeln. - Bei der Beschreibung der Abbildun-
gen irritiert übrigens die Bezeichnung »Breitseite« für
das kleinformatige Endstück des Rechteckbehälters.
Verständlicher ist sicher »Schmalseite« im Gegensatz zur
vorwiegend abgebildeten »Längsseite«. Von Vorteil wä-
re schließlich auch eine seitenunabhängige eigene Nume-
rierung der Farbtafeln gewesen.
Von diesen Unebenheiten abgesehen, liegt hier aber ein
interessantes Buch vor, dessen sorgfältige Ausstattung
mit hervorragenden Farbtafeln seitens der Verlage be-
sonders hervorgehoben zu werden verdient. Die Autoren
folgen mit dieser Publikation dem sehr zu begrüßenden
neuen Trend, möglichst eingehend mit reichlichem Bild-
material über ein definiertes Teilgebiet zu berichten,
anstatt weniges, allenfalls stichwortartig, über das ganze
weite Feld orientalischer Flachgewebe aufzulisten.
Dietrich H. G. Wegener
1 Sir Percy Sykes, A History of Persia Vol. II, London
1905, Repr. 1963, p. 176.
2 P. Tavanoli, Shahsawan, Herford und Fribourg, 1985,
pp 11, 18, 30, 31.
3 D. H. G. Wegener, Der Knüpfteppich bei den Belu-
tshen und ihren Nachbarn, TRIBUS 29, Stuttgart 1980.
4 H. Hegenbart, Seltene Webtaschen aus dem Orient
(Sammlung Adil Besim), Kunst und Antiquitäten
GmbH, München 1982.
5 H. Reinisch, Satteltaschen (Sammlung Käbisch) Verlag
für Sammler, Graz 1985.
Ames, Frank:
The Kashmir Shawl and its Indo-French In-
fluence. Woodbridge, Suffolk: Antique Col-
lectors’ Club, 1986. 347 Seiten, 66 Farb-
tafeln, 222 Schwarzweiß-Abbildungen, 33
Figuren im Text, Karte auf den Vorsätzen,
Bibliographie, Index, Glossar, 4°.
»Die Wollstickerei von Kaschmir, gewebt oder mit der
Nadel gewirkt, ist historisch und weltberühmt. Durch die
Einführung aber von französischen Mustern und magen-
tarother Farbe in der Fabrikation der gewebten Ka-
schmirschawle, haben dieselben viel von ihrem künstleri-
schen Werthe verloren. Dagegen gibt es wohl nichts
Buchbesprechungen Süd-/Südostasien
Schöneres als die unverdorbene Nadelstickerei der Ein-
geborenen von Kaschmir«, schrieb G. Birdwood schon
1881 (Ausstellung indischer Kunst-Gegenstände zu Ber-
lin, London: R. Clay, Sons & Taylor, S. 119). F. Ames
unternahm den zwar nicht ersten, aber doch lobenswer-
ten Versuch, die Geschichte jener weltberühmten Schals
nachzuzeichnen. Er unterteilt die Entwicklung des Schals
in vier historische Perioden, die Mughal Period
(1586-1753), die Afghan Period (1753-1819), die Sikh
Period (1819-1846) und schließlich die von ihm so be-
zeichnete Dogra Period (1846-1877). Die Fußnoten am
Ende jeder Seite erwecken zunächst den Eindruck einer
verläßlichen, wissenschaftlichen Arbeit, ein Eindruck,
der bei näherem Hinsehen aber rasch verfliegt. So wird
z. B. auf Seite 19 »Abul Fazl« zitiert, wir bekommen aber
keinen Quellenverweis (siehe daher Ä’In-i Akbari by
Abü ’1-Fazl ’Allämi, translated by H. Blochmann, ed. by
D.C. Phillot, Vol. I, Calcutta: Asiatic Society, 1927,
S. 97 ff.). Auf S. 22 wird »Manrique, a Spanish
monk...« zitiert, wieder ohne Quellenverweis (siehe
Travels of Fray Sebastien Manrique 1629-1643, a Trans-
lation of the Intenario... by E. Luard, assisted by H.
Hosten, Vol. I, Oxford: The Hakluyt Society, 1927, p.
428). Andere Quellen werden nur nach bestimmten Wer-
ken der Sekundärliteratur hinzugezogen, ohne daß die
entsprechenden Passagen in den jeweiligen Originalaus-
gaben überprüft wurden. Ganz besonders oberflächlich
wurde die Afghan Period behandelt, zumal es hier einige
zeitgenössische französische Quellen gibt. Wir möchten
hier nur an M. Gentil (Mémoires sur ITndoustan, ou
Empire Mogol, Paris: Petit, Librairie de S. A. R. Mon-
sieur et de S. A. S. le Duc de Bourbon, 1822, pp.
415-419) erinnern, der in den siebziger Jahren des 18.
Jahrhunderts in Indien weilte, und an Louis Laurent de
Féderbe, dessen Kapitel über die Kaschmirschals eben-
falls nicht uninteressant ist (Voyage en Inde du Comte de
Modave, 1773-1776... Texte établi et annoté par J.
Deloche, Paris: Ecole Française d’Extrême Orient, 1971,
p. 340 f.). Für die Sikh Period praktisch unverzichtbar
sind die ausführlichen zeitgenössischen deutschsprachi-
gen Beschreibungen der Kaschmirschalindustrie, die vor
Ort entstanden. Obwohl z.B. die Arbeiten des Freiherrn
von Hügel und Leopold von Orlichs gleich nach ihrem
Erscheinen ins Englische übersetzt wurden, und die
Übersetzungen heute noch in preiswerten Nachdrucken
erhältlich sind, wurden sie praktisch nicht berücksichtigt.
Es werden zwar drei Zeilen des Freiherrn von Hügel
zitiert (Seite 30), diese verschweigen jedoch, daß Herr
von Hügel lange und ausführliche Kapitel über die Her-
stellung und Besteuerung der Kaschmirschals veröffent-
lichte (Kaschmir und das Reich der Siek, in vier Bänden,
Stuttgart: Hallberg’sche Verlagshandlung, 1840, Band I,
S. 252 f., S. 316, 321 et var. loc, Band II, S. 303-327,
S. 345). Völlig unerwähnt blieb Leopold von Orlich und
seine Erwähnung der Kaschmirschals während eines
Sikh-Darbars (Reise in Ostindien in Briefen an Alexander
von Humboldt und Carl Ritter, 2 Bände, Leipzig: Verlag
von Gustav Mayer, 18452, Band I, S. 223-225). Erich
von Schönberg wird aus der Sekundärliteratur wenig-
stens mit einigen wenigen Zeilen zitiert (S. 39, S. 42,
ohne Verweis), obwohl er zwei Kapitel zum Thema (Die
Kaschmirshawls als Luxusgegenstand und Vorarbeiter bei
der Shawlweberei, siehe Patmakhanda. Lebens- und Cha-
rakterbilder aus Indien und Persien. Zwei Theile, Leip-
zig: F. A. Brockhaus, 1852, Theil I, S. 381-388) ge-
schrieben hat. Von V. Jacquemont wird eigenartigerwei-
se nur das Tagebuch zitiert, die nicht weniger wichtigen
Briefe, die V. Jacquemont in Kaschmir schrieb und in
denen er die Schals mehr als einmal erwähnt, fanden
nicht einmal Eingang in die zwar recht stattliche, doch
spürbar unvollständige Bibliographie (Vergl. Correspon-
dance de V. Jacquemont avec sa famille et plusieurs de ses
amis pendant son voyage dans l’Inde (1828-1832), nou-
velle édition, 2 Tomes, Paris: Garnier Frères / H. Four-
nier Ainé, 1841, Tome I, p. 94 et var. loc.). Zur Ge-
schichte der innerindischen Verbreitung des Kaschmir-
schals im Jahre 1827 wäre ein Hinweis auf das erstmals
1850 publizierte Tagebuch von F. Parks nützlich gewe-
sen. Dieser Hinweis erfolgte jedoch leider nicht (vergl.
Wanderings of a Pilgrim in Search of the Picturesque,
with an introd. and notes by E. Chawner, II Volumes,
Karachi: Oxford University Press, 1975, Vol. I, p. 74)
ebenso fehlt ein Hinweis auf den 568 Seiten umfassenden
Bericht über Kaschmir, dessen eingeklebte Originalfotos
dem Betrachter und Leser vor Augen führen, daß sich
auch die Brahmanen Kaschmirs keinen Kaschmirschal
leisten konnten (The Jummoo and Kashmir Territories.
A. Geographical Account, by F. Drew, London: Edward
Standford, 1875).
Die Unterteilung in die vier erwähnten historischen Pe-
rioden durchzieht auch die Kapitel »Structure and Com-
position« und »Symbolism and the Boteh«. Besonders
auf das letztgenannte Kapitel legt F. Arnes hohes Augen-
merk, stand doch für einige Augenblicke bei der Abfas-
sung des Textes die Erde still (»The world stood still
while I forged the missing links in its chain of develop-
ment«, S. 12).
Das Buch ist reich bebildert und mit großem Enthusias-
mus geschrieben. Von Nutzen ist sicher auch für den
kritischen Leser der »illustrated guide showing the Chro-
nological development of Kashmir Shawl Patterns from
the 17th to the 19th Century«, wenn auch die Pionierar-
beiten von John Irwin, ohne die F. Ames sein Buch
überhaupt nicht hätte schreiben können, schon vieles
vorweg genommen haben und nicht ausreichend gewür-
digt worden sind. John Irwin publiziert seit fast vierzig
Jahren wissenschaftliche Artikel und Monographien über
indische Textilien und sein letzter Artikel mit eindrucks-
vollen Farbtafeln ist erst vor relativ kurzer Zeit erschie-
nen (Franco Maria Ricci, deutsche Ausgabe, Bd. I, Juni/
Juli 1986, S. 65 ff. »Vom Webstuhl der Wunder«, ein
Artikel über den Kaschmirschal).
F. Arnes ist kein Historiker, er ist ein Kunsthändler und
macht daraus kein Geheimnis. Von den über 66 Farbta-
feln werden auf 46 Tafeln Stücke seiner eigenen Samm-
lung reproduziert. Von den 222 Schwarzweiß-Abbildun-
gen entfallen immerhin noch 33 auf Bestände seiner
Galerie. Somit wird das Buch zumindest wegen der Ab-
bildungen unverzichtbar, da diese woanders nicht erhält-
lich sind. Die das Buch durchziehende Unvertrautheit
des Autors mit indischen Sprachen bzw. anglo-indischen
Schreibweisen schadet daher der Bilderzusammenstel-
lung kaum (Vergl. z.B. S. 63, Bildunterschrift zu Plate
26, wo eine »’hubble bubble’« mit »hooker bowl« erklärt
wird. Die Bezeichnung »Hooker« für die Wasserpfeife
war nur bis zum 18. Jahrhundert im Gebrauch, vergl.
195
TRIBUS 35, 1986
Hobson Jobson..., by H. Yule and A.C. Burneil, Lon-
don: John Murray, 1886, p. 322). Schon im Vorwort
plädiert F. Ames dafür, seine Sammlung in toto zu ver-
kaufen (p. 12) und kritisiert dabei nicht völlig zu Unrecht
die etwas langatmige Ankaufspolitik der meisten öffentli-
chen bzw. staatlichen Museen. Das Buch enthält zwar im
Appendix einen Artikel über »A note on some Oriental
Carpets«, eine Hinzuziehung von indischen Miniaturma-
lereien unterblieb jedoch, wie auch die wenigen Bemer-
kungen zur indischen Miniaturmalerei höchst fragwürdig
sind. Es war z. B. nicht nur in den »Punjab hills«, wo sich
die Miniaturmalerei auch nach dem Zusammenbruch des
Moghulreiches eines einflußreichen Mäzenatentums er-
freute, wie F. Ames auf p. 31 behauptet. Die Miniatur-
malerei blühte in einigen Gegenden Rajasthans sogar bis
zum Anfang des 20. Jahrhunderts!
F. Ames hätte zwar auch die genuin indischen Publika-
tionen zum Thema berücksichtigen können (z. B . Shaal,
the kanikar and tilikar tapestry of Kashmir by Meenakshi
Devi, in: »The India magazine, March 1981«, number
four, pp. 48-56), aber einen wissenschaftlichen, umfas-
senden Beitrag zu leisten vermag über ein solch packen-
des, Europa mit Indien gleichsam verbindendes Thema
innerhalb von wenigen Jahren niemand. Herrn F. Ames
gebührt unsere Bewunderung dafür, daß er es nach sei-
ner bis 1972 währenden Tätigkeit beim Mondlandepro-
jekt der NASA dennoch versucht hat. Die erklärenden
Zeichnungen und Abbildungen sind von bleibendem
Wert, und der Sammler wird in handlicher Form eine
Fülle an Informationen finden.
Joachim Bautze
Barbier, Jean Paul:
Indonesian Primitive Art. Indonesia, Malay-
sia, The Philippines. Geneva/Dallas: Dallas
Museum of Art 1984. 169 Seiten, 75 Schwarz-
weiß-Abbildungen, 52 Tafeln, 14 davon in
Farbe, 2 Karten.
Bei dem vorliegenden Buch handelt es sich um einen
phototechnisch aufwendig gestalteten Bildband, der eine
zeitlich befristete Sonderausstellung aus Beständen des
Barbier-Müller Museums (Genf) im Dallas Museum of
Art begleitet.
Wie aus dem Buchtitel hervorgeht, werden in der Aus-
stellung Objekte »primitiver« Kunst des insularen Süd-
ostasien gezeigt, d.h. also keine Objekte der höfischen
Kulturen Malaysias, Javas oder Balis. Der Titel läßt
jedoch nicht darauf schließen, daß - entgegen aller Hoff-
nung - in diesem Bildband nur figürlich gestaltete Objek-
te aus Holz, Horn, Stein oder Metall vorgestellt werden.
Diese Konzeption entspricht ganz einem früheren Aus-
stellungskatalog aus dem Barbier-Müller Museum: »Art
des Indonésiens archaiques«, Genf 1981, der 1982 ins
Englische übertragen die damalige Ausstellung auch
schon im Dallas Museum of Art begleitete (siehe Rez.
von R. Roth, Anthropos 79, 1984: 724ff.).
Abgesehen von der Tatsache, daß die jetzige Ausstellung
ausschließlich Objekte des Barbier-Müller Museums
zeigt, die alle in der Begleitpublikation reproduziert zu
sein scheinen, zeichnet diesmal J. P. Barbier selbst für
die Texte verantwortlich (in Zusammenarbeit mit Dr.
Susan Rodgers). Im Katalog 1981/1982 waren es Regio-
nalspezialisten wie Stöhr, Marschall, Nooy-Palm, Ave
und de Hoog, die am Katalog mitgearbeitet hatten.
Mit deren Texten sind die wahrlich kurz (zwei Seiten)
und oberflächlich geratenen Einführungstexte in dieser
Publikation nicht zu vergleichen.
Den regionalen Einzelbeschreibungen geht eine sieben-
einhalbseitige Einleitung voraus, die, obwohl oder viel-
leicht auch gerade weil so kurz geraten, einige Unge-
reimtheiten aufweist. So existierten nachweisbare Han-
delsbeziehungen zu China und Indien nicht erst nach
dem 9. Jahrhundert (S. 17), sondern in Ansätzen schon
seit der Zeitenwende, komplexer dann ab dem 6./7.
Jahrhundert. Weiterhin ist es nicht korrekt zu behaup-
ten, die Zauberpriester {datu) der Batak hätten das
Recht, anläßlich der großen, religiösen Feste den Ahnen
Opfer zu bringen, an die Dorfhäupter abgegeben (S. 21).
Diese großen Feste, die das Dorf, mehrere Dörfer oder
auch eine ganze Landschaft betrafen, organisierte die
Gemeinschaft der parbaringin, der Opferpriester. Diese
hatten außer eventuellen verwandtschaftlichen Bezie-
hungen mit den datus nichts zu tun. Die parbaringin-
Gemeinschaft war äußerst komplex organisiert und re-
präsentierte in ihrer Zusammensetzung neben der ver-
wandtschaftlichen Gliederung auch die Macht- und Ein-
flußstruktur innerhalb des Dorfes bzw. der Landschaft.
Es handelt sich also nicht um ein gönnerhaftes Abtreten
von Verpflichtungen seitens der datus, sondern um eine
probate Aufgabenteilung zur Aufrechterhaltung der be-
stehenden Ordnung.
Die Einführung schließt ab mit einem Abschnitt: »Ar-
chaic peoples and their art«. Leider sind die zweieinhalb
Seiten viel zu kurz, um der Überschrift gerecht zu wer-
den. Die Äußerungen zu »megalithischer« Kunst, zu
Ahnenfiguren und magisch geladenen Schutzfiguren sind
einfach zu allgemein, zu wenig präzise. Dies betrifft auch
das »familiär example«, den pangulubalang der Batak
(S. 23).
Nicht die figürliche Darstellung in Holz oder Stein ist der
pangulubalang, diese ist lediglich sein Sitz, sein Wohn-
ort, sondern er ist die Seelenkraft (tondi) eines getöteten
Kindes. Diese ist in der magischen Substanz (auch pupuk
genannt) gebunden, die früher von den datus hergestellt
wurde. Aus diversen Leichenteilen, die besonders reich
an tondi gedacht werden (also nicht nur aus dem Ge-
hirn), und unter Hinzufügung einer Reihe verschieden-
ster tierischer und pflanzlicher Ingredienzen entstand der
pangulubalang, der dienstbar gemachte tondi des Opfers.
(Winkler, J.: Die Toba-Batak auf Sumatra... 1925:
170ff.). Im Tafelteil mit Kurzeinführungen und Objekt-
beschreibungen werden herausragende Objekte der Ni-
ha, der Batak, der Toraja, von Ethnien Kalimantans und
Sarawaks, der kleinen Sunda-Inseln, der Molukken und
der Philippinen vorgestellt. Der Schwerpunkt liegt bei
den Batak und Dayak, die zusammen die Hälfte der
Exponate stellen.
Wie bereits erwähnt, werden ausschließlich figürlich ge-
staltete oder figürlich verzierte Objekte vorgestellt.
Das Layout ist bei allen sieben Abschnitten einheitlich:
der zweiseitigen Kurzeinführung in Region bzw. Ethnie
folgen die ganzseitigen Abbildungen der Exponate, de-
nen recht kurze Beschreibungen und zusätzlich erläuter-
196
Buchbesprechungen Süd-/Südostasien
te, kleine Schwarzweiß-Photographien vorangestellt
sind. Bei diesen Photographien handelt es sich meist um
alte Photodokumente, welche vergleichbare Objekte in
situ zeigen, oder um Photographien anderer Ethnogra-
phica aus Beständen des Barbier-Müller Museums, die
jedoch nicht ausgestellt sind.
Hinter dieser Konzeption des Layouts und der Bearbei-
tung der Objekte steht offensichtlich ein sehr eingeeng-
ter, selektiver Kunstbegriff, der auf westlich-moderner
Ästhetik basiert, der jedoch den ethnologisch relevan-
ten, alt-indonesischen Ethnien völlig fremd ist.
Die Skulpturen werden mehr oder weniger aus ihrem
kulturellen Bezugsfeld herausgelöst, sie sind nicht mehr
Repräsentanten ihrer Kultur, sondern gewinnen in ihrer
Vereinzelung und dank ausgefeilter Beleuchtungstechnik
eine Eigendynamik, die zwar bestimmt dem Auge des
westlichen Betrachters entspricht, nicht jedoch der kul-
turgeschichtlichen Bedeutung der Objekte.
Daß der Umfang für die einführenden Texte zudem allzu
knapp bemessen ist, wird deutlich am Kapitel über die
Batak, um nur ein Beispiel zu nennen. Hier werden
nämlich nur die Steinskulpturen nicht jedoch auch die
Holzskulpturen angesprochen. Es hätte bereits hier deut-
lich hervorgehoben werden müssen, daß die Batak keine
Ahnenfiguren im eigentlichen Sinne hergestellt haben,
abgesehen von den debata idup, dem Gründerpaar eines
neuen Sub-Klans.
Und bei einer intensiveren Darstellung der traditionel-
len, religiösen Vorstellungen wäre vielleicht die nicht
korrekte Trennung von Ahnen und Ahnengeistern
(S. 46) aufgefallen. Von den Batak wurde zwischen bei-
den kein Unterschied gemacht, denn im Moment des
Todes wurde jeder Batak zum Ahnengeist (begu).
Die äußere Form der zweisaitigen Laute hasapi (S. 58)
ist übrigens keineswegs bei allen Batak-Stämmen diesel-
be gewesen; sie differieren sowohl in Größe als auch in
der Gestaltung des Resonanzkörpers.
Wie schwierig es ist, Batak-Objekte auf Grund von Stile-
lementen einem bestimmten Batak-Stamm oder sogar
noch enger einer Untergruppe zuzuschreiben, belegen
einige Objektbeschreibungen recht eindringlich. Denn
während bei der Karo-Batak-Maske (S. 51) das vorge-
wölbte Kinn und die gerundete Schädelform als »specifi-
cally Karo« bezeichnet wird, gilt dies bei der Zuschrei-
bung der stehenden, weiblichen Figur (S. 69) nicht; sie
wird einer Toba- oder Pakpak-Untergruppe zugeschrie-
ben. Bei dem Zauberstab der Karo (S. 65) sind diese
Stilelemente erst gar nicht vertreten, im Gegenteil: gera-
dezu widersprüchliche Gesichtszüge werden hier als »pu-
rely Karo style« bezeichnet. Vergleicht man nun diesen
Gesichtstyp mit dem der Figur an der Toba-Laute
(S. 59), so wird das ganze nur noch unübersichtlicher.
Auf Seite 66 wird das Fehlen dekorativer Elemente als
untypisch für die Toba-Kunst bezeichnet; die debata idup
(s.o.) auf S. 68, die keinerlei Dekor aufweisen, werden
dagegen als Beispiele von »purest Toba style« angeführt.
Spätestens hier rächt sich m.E. der Verzicht auf eine
detaillierte Einleitung, in der die verschiedenen hier
verwendeten Begriffe wie »regional style«, »local style«,
»specifically, purely Karo style«, »purest Toba style«,
»archaic style«, »Hindu-Javanese influenced style« und
»spare Karo style« klar definiert gehört hätten.
Vermißt hat in diesem Zusammenhang der Rezensent
auch einen Hinweis auf die so typischen Körperpropor-
tionen, die die Skulpturen der Batak von denen der
anderen Alt-Indonesier unterscheiden.
Die Schwierigkeit, anhand von Quellen und Sekündärli-
teratur die Herkunft indonesischer Ethnographica exakt
zu lokalisieren, liegt selbstverständlich auf der Hand.
Selbst der Autor erwähnt diese Probleme an zwei Stellen
(S. 22, 79). Aber gerade weil hier ein so großes Defizit
an gesicherten Informationen existiert, ist es m. E. unum-
gänglich, die stilistischen Zuschreibungskriterien deut-
lich zu charakterisieren, so daß sie nachvollziehbar, kon-
trollierbar werden. Die Chance hierzu wurde leider nicht
genutzt.
Dem an altindonesischem Kunstschaffen interessierten
Leser bzw. Betrachter bietet jedoch diese Publikation
mit ihren hervorragenden Bildtafeln einen echten, opti-
schen Genuß, denn neben der Abbildungsqualität ist es
vor allem die künstlerische und ethnographische Qualität
der Objekte im Besitz des Barbier-Müller Museums, die
uneingeschränkte Anerkennung verdient. Da zudem un-
gefähr ein Drittel der Objekte hier erstmalig publiziert
wird, erfährt der Katalog von 1981/1982 eine gute Ergän-
zung.
Achim Sibeth
Casey, Jane Anne (ed):
Medieval Sculpture from Eastern India. Se-
lections from the Nalin Collection. Living-
ston, New Jersey: Nalini International Publi-
cations, 1985. 110 p., 29 Farbtafeln, 41
Schwarzweiß-Ulustrationen, 2 Karten, Figu-
ren im Text, Bibliography, Index. Mit einem
Vorwort von John M. Rosenfield. 4°.
Wir begrüßen die Veröffentlichung dieses Kataloges, der
sicherlich vom kleinen Kreis der Wissenschaftler, bzw.
vom größeren der Kunstliebhaber, dankbar aufgenom-
men werden wird. Es werden bisher unpublizierte Kunst-
werke, Skulpturen und Bronzen, vorgestellt, die teils von
hohem künstlerischem Niveau sind und teils ikonogra-
phische Besonderheiten darstellen. Darüber hinaus ist
der Katalog hervorragend aufgemacht. Leider gibt es in
ihm so viele Fehler, daß er letzten Endes nur in bezug auf
seine Abbildungen verwertbar wird. Und man muß sich
darüber wundern, wie dies geschehen konnte, besonders
wenn man bedenkt, daß eine Vielzahl von Spezialisten an
seiner Fertigung beteiligt war (vergl. das Vorwort, S. 7).
Wir werden uns kurz nur mit der Skizzierung einiger
Fehler beschäftigen, die sich in den Text eingeschlichen
haben. Zunächst gibt es da die »technischen Fehler«: 1.
Schon in der Inhaltsangabe, S. 5, geriet die Reihenfolge
der Überschriften durcheinander. So muß die »Dynastie
Chronology (S. 12)« unter die »Maps (S. 10-11)« gesetzt
werden. 2. »Dhaka«, ist auf der Karte, S. 10, falsch
lokalisiert und widerspricht der Lage derselben Stadt auf
der nächstfolgenden Karte auf S. 11. 3. »Deogahr« auf
der Karte von S. 11, ist in Wirklichkeit Deoghar, »Ma-
hästhän« liegt nicht östlich von Bogra, sondern nördlich
und ist nicht so weit von Bogra entfernt, wie von der
Karte angedeutet (vergl. S.L. Huntington: The »Pala-
Sena« Schools of Sculpture, Leiden, 1984, Faltkarte im
197
TRIBUS 35, 1986
Anhang für die korrekte Lage). Die Lage von Bäghäurä
bedarf ebenfalls einer Korrektur, und das berühmte »Vi-
kramaslla« liegt auf der Karte auf dem linken Ufer des
Ganges! Mit welchem Ort wurde »Vikramaslla« ver-
wechselt? Sollten die Kartenzeichner an Antichak ge-
dacht haben, so liegt dies auf dem rechten Ufer des
Ganges... 4. Die Chronologie der Sena-Dynastie auf
S. 12 ist nicht von R.C. Majumdar wie angegeben. Es
handelt sich hier vielmehr um die Chronologie nach
A.M. Chowdhury (Dynastie History of Bengal, Dacca,
1967, p. 220). 5. Anstelle von »the modern States of
Bihar and Bengal« muß es auf den Seiten 13-24 natürlich
heißen »...and West Bengal« (S. 13), »...and Stella
Kramrisch (1934)« muß korrigiert werden in »... and
Stella Kramrisch (1929)« (S. 14). Die Verfasser berufen
sich mehrmals auf den Artikel von Stella Kramrisch in
Rüpam, XL, 1929, pp. 107-126, vergessen diesen aber
völlig in dem Text und in der Bibliographie, ferner
verwechseln sie ihn mit einem anderen Artikel, den
Stella Kramrisch über Kurkihar Bronzen in Journal of
the Indian Society of Oriental Art, 1934 publizierte. Der
Hinweis auf das Buch von F. Asher von 1980 muß von
»A.D. 300-600« in »A.D. 300-800« korrigiert werden,
das weiter oben bereits erwähnte Buch von Susan Hun-
tington wurde erst 1984 und nicht schon 1983 publiziert,
wie die Verfasser angeben. 6. Bibliographie auf den
Seiten 106-107 ist ein wahres Nest an Fehlern und Un-
stimmigkeiten, von denen wir uns nur einige herausge-
sucht haben. Der Titel von Pramod Chandra muß heißen
»Some Remarks on Bihar Sculpture from the Fourth to
the Ninth Century«, die von »Chimpa, Lama and Chatto-
padhyaya« übersetzte Arbeit muß heißen »Täranätha’s
History of Buddhism in India«, usw. usw.
Nun zu den methodologischen oder wissenschaftlichen
Fehlern. Auch hier können wir uns nur auf eine Auswahl
beschränken. Der Hinweis auf Täranätha (Anmerkun-
gen 7 und 8, S. 16) in bezug auf die Klostergründungen
zur Regierungszeit von Dharmapäla ist unrichtig: a) es
war Bu-ston und nicht Täranätha, der in diese Regie-
rungszeit die Klostergründung von Odantapuri setzt
(vergl. Alaka Chattopadhyaya: Atisa and Tibet, ((re-
print:)) Delhi, 1981, p. 113). Täranätha nämlich vermu-
tet, daß diese Klostergründung schon zur Regierungszeit
von Gopäla oder Devapäla stattfand (ibid., p. 116, siehe
auch das weiter oben erwähnte Werk »Täranätha’s Histo-
ry of Buddhism in India... ((reprint:)) Calcutta, 1980,
p. 263); b) Somapura ist zu Devapäla und nicht zu Dhar-
mapäla zu rechnen (A. Chattopadhyaya, op. cit., p. 118
oder Täranätha’s History..., pp. 266-267) 2. Bei der
Erwähnung von »Kramrisch’s division of the eastern
medieval school into three groups« und beim Vorschlä-
gen der Autoren, die Entwicklung der Skulpturen in vier
Phasen anstelle von drei zu unterteilen, dürften die Au-
toren völlig übersehen haben, daß die Rezensentin die
Einteilung in vier Entwicklungsphasen schon 1978 mit
der gebührenden Ausführlichkeit publizierte. An dieser
Stelle müssen wir gleich auf die zahlreichen klaffenden
Lücken der Bibliographie hinweisen, wo z. B. B.N. Shar-
mas Artikel über die Fatehpur-Bronzen nicht erwähnt
wird, wo dann aber eigenartigerweise der Artikel von
Susan Huntington zum selben Thema (»Päla Bronzes
from Fatehpur, Gaya«, in East and West, N.S., Vol. 29,
(December 1979) erscheint. 3. Die durchgehende Identi-
fikation des Buddha in bhümispariamudrä mit Aksobhya
(S. 21 ff.) blieb unbegründet. 4. Die »suggested prove-
nances« des Kataloges werden nicht durch Beispiele er-
härtet und erscheinen wie aus der Luft gegriffen, da nicht
auf Vergleichsstücke verwiesen wird, deren Herkunft
gesichert ist. Dasselbe gilt auch für die vorgeschlagenen
Datierungen. Insgesamt gesehen sind die Katalogeintra-
gungen besonders oberflächlich, auch hier nur einige
Beispiele: wenn Nr. 12 tatsächlich einen Balaräma dar-
stellen soll, wäre zu erwarten, daß die Figur in der linken
Hand einen Pflug und nicht etwa einen Lotus, wie ange-
geben, hält. Bei Nr. 20 wird der Begriff »goddess« fäl-
schlich mit »mätrkä« erklärt und gleichgesetzt. Bei Nr. 21
sind die Verweise auf die Nummern 30 und 36 nicht
schlüssig, da Nr. 36 eine Bronze ist, die aus Bihar stam-
men soll und Nr. 30 eine Skulptur ist, die höchstwahr-
scheinlich aus Süd-Ost-Bangladesh kommt. Vom inkono-
graphischen und stilistischen Gesichtspunkt her unter-
scheiden sich die Nummern 30 und 21 voneinander sehr.
Nummer 22: die dickbäuchige Figur zur linken Manjus-
rfs ist kein anderer als Yamäntaka oder auch Yamäri
(vergl. M.-Th. de Mallmann: Introduction ä l’iconogra-
phie du täntrisme bouddhique, Paris, 1975, p. 251, p. 465)
und nicht Hayagriva. Mit dem in der Beschreibung er-
wähnten »Sudhänaki« ist wohl Sudhanakumära gemeint,
die Verfasser verraten jedoch nicht, auf welchem Text
die von ihnen gewählte Bezeichnung fußt. Nr. 24: Die
Herkunft dieses Stückes ist nicht mehr In Süd-Ost-Ban-
gladesh als Bihar zu suchen, wo die durch das Skulptu-
renfragment repräsentierte Art der Haartracht (jatä) nie
zu sehen ist. Man vergleiche z.B. dieses Stück mit Kat.
Nr. 30, das angeblich aus diesem Teil von Bangladesh
kommen soll. Nr. 29 ist höchstwahrscheinlich aus Süd-
Ost-Bangladesh. Nr. 30: die (weibliche) »Tärä«, die zur
Rechten des Bodhisattva beschrieben wird, ist eine
männliche Figur, die einen utpala hält. Diese Attribut-
verwechslung resultiert wahrscheinlich aus einem Irrtum
des Steinmetzen, der das Attribut der Syämä Tärä (utpa-
la) in die Hand eines Sudhanakumära gab, dessen Attri-
but, ein Manuskript, nicht zur Darstellung gelangte. Nr.
33: die »various tantric images« auf dem Sockel sind die
gewöhnlichen sechs Juwelen der saptaratna-Reihe, die
»pillar topped by an umbrella-shaped structure« ist ein
Ständer, auf dem das von einem Schirm beschützte Ma-
nuskript liegt. Nr. 38: die »suggested provenance« wird
hier mit »northern Bangladesh« angegeben, angeblich
wegen der »numerous affinities«, die die Bronze mit
Erzeugnissen aus der Gegend von Rangpur teilen soll
(Fußnote 1, S. 67). Hätten die Autoren nur etwas sorg-
fältiger in den grundlegendsten Katalogen nachgeschaut,
hätten sie auf ein fast identisches Kunstwerk verwiesen,
das in Sonarang, Bezirk Dacca, gefunden wurde (N.K.
Bhattasali: Iconography of Buddhist and Brahmanical
Sculptures in the Dacca Museum, Dacca, 1929, Plate
LXVII und S. 201). Die Herkunft desselben Stückes wird
auch in Tippera vermutet (siehe R.D. Banerji: Eastern
Indian School of Medieval Sculpture, Delhi, 1933, Plate
LXXIV-b und Text S. 133), auf jeden Fall entstand Nr.
38 in Süd-Ost-Bangladesh. Wie einige Steinskulpturen
zeigen, hält die DevI in ihrer oberen rechten Hand ein
lihga auf der yoni, verbunden mit einer zweigartigen
Stütze, die von der Hand gehalten wird (siehe z.B.
Somnath Mukhopadhyay: Candiin Art and Iconography,
198
Buchbesprechungen Süd-/Südostasien
Delhi, 1984, fig. no. 4), aber sie kann in ihrer oberen
Linken wahrscheinlich nie eine aksamälä halten, wie von
den Autoren auf S. 67 vorgeschlagen wird. Zwischen
dem (abgebrochenen) oberen Arm und dem unteren
Arm ist immer noch der untere Teil eines Griffes sicht-
bar, der entweder zum Spiegel oder, wahrscheinlicher,
zum tridanda gehörte (der Griff des Spiegels ((darpana))
wird gewöhnlich am unteren Rand mit einem wulstarti-
gen Ring verziert, vergl. S. Mukhopadhyay, op. cit., fig.
12, Artibus Asiae, XLII, 1980, figs. 8, 9, 11, zwischen pp.
288-289. Das Holz des tridanda ist gewöhnlich unver-
ziert: S. Mukhopadhyay, op. cit., figs. 1, 5. und 8,
Artibus Asiae, XLII, 1980, fig. 6, zwischen Seiten
288-289). Warum Nr. 38 des Kataloges »Gaurl/Parvatl«
genannt und warum die Bronze der Kat. Nr. 46 mit
»Chandl« bezeichnet wird, erwähnen die Autoren nicht,
auch wird nicht auf tantrische Texte verwiesen, und auf
die Vorstellung von Vergleichsmaterial wird, wie gesagt,
verzichtet. Nr. 44 kommt wohl mehr aus Süd-Ost-Ban-
gladesh als aus dem »Rangpur district«, wenn wir einmal
nur die kiritamukuta auf den Köpfen der Göttinnen in
Betracht ziehen (Arts Asiatiques, XL, 1985, p. 24). Die
Bronze läßt sich vor allem sehr gut mit dem Visnu aus
Silber vom Sonarang Bezirk im Dacca-Distrikt verglei-
chen (S.L. Huntington, op. cit., fig. 280). Nr. 57: Die
»male attendants« zur Seite der Göttinnen sind die ge-
wöhnlichen äyudhapurusa der Schneckentrompete und
der Wurfscheibe, die an ihren Emblemen im Haar er-
kennbar sind. Da Nr. 60 ein typisches Beispiel des nord-
bengalischen Stiles aus dem 12.Jahrhundert ist, hätte die
Beschreibung des Stückes mehr als vier Zeilen verdient.
Nr. 61: die Identifikation einiger avatäras muß revidiert
werden, der »Krsna holding a flute (?)« dürfte eher
Räma mit dem Pfeil und dem Bogen sein, gefolgt von
»Balaräma«, der auch Parasuräma sein könnte (vergl.
N.K. Bhattasali, op. cit., Plates XXXV-XXXVII und
Text p. 92: Inkarnation »8«, Plate XXXV, oben und
unten und p. 90, Inkarnation »VI«),
R. Newman und E. Farell, die Autoren des »Appendix
I« veröffentlichen ein wichtiges Arbeitsergebnis in bezug
auf die von den Steinmetzen der »Päla-Sena«-Zeit be-
nutzten Steinmaterialien. So wurden z.B. Steine aus
Steinbrüchen verwendet, die nicht in den »Rajmahal
Hills« zu suchen sind, wie ursprünglich angenommen
wurde (S. 96f.).
Einige Stücke der »Nalin collection« sind wie gesagt
hervorragend in bezug auf ihre Ästhetik und ihre unge-
wöhnliche Ikonographie. Besonders gut sind die Kunst-
schulen aus Süd-Ost-Bangladesh vertreten. Wir können
daher nur die unzureichenden Beschreibungen bedau-
ern, die Oberflächlichkeit des Textes und seiner Edition
und die zahlreichen Lücken in der Bibliographie.
Claudine Bautze-Picron
Hotze, Ilona:
Darimana? Kemana? Leben auf der Insel
Bali. Berlin: Eigenverlag, 1986.
»Mosaiksteine aus Bali«
Das Erlebnis Bali löst auf der Ebene der subjektiven
Empfindungen Schwingungen aus, die auch den nüchtern
um Sachlichkeit ringenden Wissenschaftler zuweilen vi-
brieren lassen. Das Leben auf der Insel Bali hat für
Nicht-Balinesen eine poetische Qualität, die sich seit
Jahrzehnten in unzähligen farbigen Tagebüchern, in eth-
nographischer Belletristik und in touristischer Propagan-
da niederschlägt. Doch auch wer Bali und seine einzigar-
tige Kultur nach wissenschaftlichen Kriterien zu sezieren
hat, kann sich dem magischen Ambiente der Insel nur
schwer entziehen. Man kann zwar nicht Balinese werden,
ohne auf der Insel, im Kreislauf der Wiedergeburten,
geboren zu sein. Aber man kann Bali so erfahren, daß
man nach seiner Rückkehr ins Herkunftsland ein anderer
Mensch ist. Verändert durch ein neues Verständnis von
Zeit und Raum, von solidarischer Gemeinschaft, von der
ganz anderen, aber nicht weniger zwingenden Logik des
assoziativen (nicht kausalen) Denkens, dem es gelingt,
Dinge harmonisch zu vereinen und zu versöhnen, die für
uns disparat oder antagonistisch sind.
Wer sich also dem Erlebnis Bali stellen möchte, sollte
daran denken, neben wissenschaftlichen Abhandlungen
und praktischen Reiseführern auch solche Bücher zu
lesen, die etwas von der unverwechselbaren Atmosphäre
der Insel herüberbringen, deren Kultur mit wissenschaft-
lichen Begriffen allein nicht faßbar und verständlich
wird. Deshalb ist das Buch »Liebe und Tod auf Bali« von
Vicki Baum genauso unentbehrlich, wie die wissenschaft-
liche Aufsatzsammlung »Bali, Studies in Life, Thought
and Ritual« (The Hague and Bandung 1960) oder wie
eines der gelehrten Bücher von C. Hooykaas über die
balinesische Literatur. Und deshalb gehört auch der
schmale Band von Ilona Hotze, auf den ich hier aufmerk-
sam machen möchte, zu meinen Lieblingspublikationen
über Bali, die ich Freunden vor einer Reise zur Einstim-
mung auf den Flug mitgeben würde.
Ilona Hotze hat im Verlaufe von zehn Jahren im Kreise
einer balinesischen Großfamilie Spuren des einheimi-
schen Lebens verfolgt und diese zu einem Gesamtbild
zusammengefügt, das einsichtig und gut verständlich ist,
ohne die balinesischen Realitäten zu verzerren. Die Ver-
fasserin reiht Beobachtungen, persönliche Gedanken
und Gefühle und Aufzeichnungen ethnographischer Art
wie Perlen auf den roten Faden eines tragischen Erleb-
nisses: den tödlichen Verkehrsunfall, die anschließende
Kremation und Seelenreinigung ihres Freundes Cokorda
Sambeh. Man nimmt mit der Autorin als Gast, und nicht
als anpasserischer Voyeur, am alltäglichen und rituellen
Leben eines genau umschriebenen Bekanntenkreises
teil, denkt mit ihr über die Balinesen und ihre Kultur,
über das Schicksal von Menschen unterschiedlicher Her-
kunft, verschiedenen Alters und Geschlechts nach und
erhält aus Gesprächsprotokollen sehr handfeste Informa-
tionen über Gesellschaft und Kultur. In kleinen Porträts
jüngerer und älterer Menschen werden Vorlieben, Freu-
den, Ängste und Sorgen faßbar, die um das kreisen, was
alle Tage auf den Tisch kommt, was an Arbeiten auf dem
Reisfeld oder im Tempel anfällt, was Musik, Tanz und
bildende Kunst und den Kunstmarkt angeht, der, zusam-
men mit den reichen Touristen, das Leben der Familie
verändert hat. Neben der hartnäckig verteidigten Tradi-
tion steht der Wandel, der als Verlockung, aber auch als
Gefährdung begriffen wird.
Zwei kritische Bemerkungen seien zum Schluß erlaubt,
die den Wert dieses handlichen, feinfühlig, mit präzisem
199
TRIBUS 35, 1986
Wissen und Intuition geschriebenen Buchs allerdings
nicht schmälern sollten. Ilona Hotze bewegt sich vor
allem in besseren Kreisen der Satria, der ehemals und bis
zu einem gewissen Grade heute noch feudalen, höfischen
Gesellschaft, der es an nichts gebricht und die es sich
leisten kann, für die Erhaltung der überlieferten Werte
(und Privilegien), für traditionelle Kultur und Kunst
einzutreten. Daneben gibt es das bäuerliche, derbere
Bali mit seinen Dorfkulturen, die in der Regel ebenfalls
erstaunlich intakt geblieben sind, und ein auf Dienstlei-
stungen aller Art ausgerichtetes Bali, dessen Vertreter in
ihrer Faszination für die materiellen Güter der industriel-
len Welt in Gefahr sind, die Errungenschaften ihrer
Kultur zu folklorisieren und sie zur Ware zu machen.
Schließlich möchte ich der Autorin empfehlen, in Zu-
kunft bei der Wiedergabe einheimischer Ausdrücke und
Zitate die balinesische Sprache und nicht die Staatsspra-
che Bahasa Indonesia zu verwenden, die von den Baline-
sen nur im offiziellen Verkehr und indonecisch sprechen-
den Fremden gegenüber verwendet wird. Der Buchtitel
»Darimana? Kemana?« (»Woher? Wohin?«) ist die
Übersetzung einer balinesischen Grußform ins Indonesi-
sche... Ich empfinde ihn in seiner künstlichen »Echt-
heit« als unpassend für ein Buch, das so sensibel gemacht
ist.
Urs Ramseyer
Heberer, Thomas:
Nationalitätenpoltik und Entwicklungspoli-
tik in den Gebieten nationaler Minderheiten
in China (= Bremer Beiträge zur Geogra-
phie und Raumplanung, Heft 9 - Arbeiten
zur Chinaforschung) Universität Bremen:
1984, IX + 369 Seiten.
Die vorliegende Arbeit, als erster Band der »Arbeiten
zur Chinaforschung« innerhalb der »Bremer Beiträge zur
Geographie und Raumplanung« vorgestellt (S. VII), be-
steht aus zwei Teilen, einer Auseinandersetzung mit der
Nationalitätenpoltik in China (S. 13-205) und einer Stu-
die über die Yi-Minderheit im Liangshan-Gebirge
(S. 207-310). Im ersten Teil versucht Heberer zunächst
eine Minoritätentypologie zu erstellen und geht dann auf
die besonderen Verhältnisse in China ein. Dabei gelingt
es dem Verfasser nicht immer, grobe Vereinfachungen
zu vermeiden, wenn er etwa von der historischen Ent-
wicklung Chinas schreibt, daß sie »bis zur Konfrontation
mit den westlichen Kolonialmächten in großer Abge-
schlossenheit und unter Ausschluß äußerer Einflüsse vor
sich ging« (S. 21). Der Leser muß sich nicht nur auf
häufige derartige Aussagen gefaßt machen, sondern wird
sich auch auf eine oft unreflektierte Material- und Zita-
tensammlung des Verfassers einstellen müssen, der nicht
nur »nahezu die gesamte vohandene Literatur aus der
VR China (soweit zugänglich) ... durchgearbeitet«
(S. 23), sondern auch »eine Feldstudie von Juli bis Sep-
tember 1981 bei den Yi im autonomen Bezirk Liangshan
mit finanzieller Unterstützung der Deutschen For-
schungsgemeinschaft« (ebd.) unternommen hat, womit
freilich der wissenschaftliche Standard noch nicht erwie-
sen sein kann. Im zweiten Kapiel behandelt der Verfas-
ser »Die Nationale Frage in China« (S. 25-36), im fol-
genden sodann »Das historische Erbe« (S. 37-47), das
mit dem verräterischen Satz beginnt: »China hat seine
gesamte Geschichte über in seinen Grenzen eine Vielzahl
von Völkern beherbergt.« Man kann nur hoffen, daß es
sich hier um eine Entgleisung handelt, denn wer dem
Verfasser eines solchen Satzes eine gründliche Behand-
lung des Minderheitenproblems in China anvertraute,
hätte schlichtweg den Bock zm Gärtner gemacht. Die
Kapitel IV bis XI behandeln, orientiert an der gängigen
Periodisierung der politischen Ereignisse seit 1949, ein-
zelne Themen und Maßnahmen (z. B. Gesetze, Sprach-
politik usf.) sowohl für die Volksrepublik insgesamt als
auch für einzelne Regionen bzw. Minderheiten. Im zehn-
ten Kapitel »Wirtschaftliche Entwicklung und künftige
Entwicklungspolitik« (S. 159-200) wendet sich der Ver-
fasser der »Entwicklungspolitik« zu, die freilich der Sa-
che nach bereits im Kapitel IX (»Die Entwicklung nach
1979«) aufgegriffen wird, ganz entsprechend der ein-
gangs (S. 22) vorgetragenen Feststellung: »Erst nach
dem Tode Maos und der Ausschaltung derjenigen Kräf-
te, die den Kurs der Kulturrevolution maßgeblich getra-
gen hatten, fand China zu einer gemäßigteren und mehr
den Verhältnissen des Landes entsprechenden (sic!) Poli-
tik zurück.« Das elfte Kapitel (»Schlußbetrachtung«)
hebt denn auch ganz im Tone der Hofberichterstattung
an mit den Worten: »Zweifellos wurde viel Positives
erreicht.« (S. 201) Doch wenn der Verfasser zum Ab-
schluß (S. 203) den Vorbildcharakter Chinas hervorhebt,
begeht er den von ihm in freilich reichlich unbedarfter
Weise selbst inkriminierten Fehler, »nicht von den ver-
schiedenen historischen und materiellen Entwicklungs-
bedingungen eines Landes oder einer Gesellschaft her ...
Entwicklung« zu definieren (S. 20).
Vollends abwegig ist es, zu behaupten, »jahrtausende-
lang« habe »der Kaiserhof bzw. seine Untergliederungen
bestimmt, was das Volk zu tun hatte«, »Rechte des
Volkes« seien unbekannt gewesen oder der Konfuzianis-
mus habe »tief im Denken des Volkes gewurzelt« (all
dies auf Seite 22 oben).
Der zweite Teil (Teil B. Dokumentarischer Anhang: Die
Yi im Liangshan-Gebirge, S. 207-310) ist eine Darstel-
lung der Yi, mit zahlreichen offiziellen Tabellen bestückt
und wohl das Ergebnis der »Feldforschungen«, was dann
auch die lediglich 16 Fußnoten für den gesamten Teil
erklärt. Jedoch vermißt man über die knappen kritischen
Bemerkungen zu den Schwierigkeiten von »Feldfor-
schung« in China auf Seite 24 hinaus weitere Ausführun-
gen zum Problem.
Von dem oft etwas einseitigen Berichterstattungsstil ein-
mal abgesehen gibt die vorliegende Arbeit einen brauch-
baren Überblick über die Nationalitätenpolitik und ihre
Veränderungen seit der Gründung der Volksrepublik
China und wird dem Interessierten neben zahlreichen
Hinweisen auch Steine des Anstoßes liefern, die zum
Weiterfragen ermuntern und auf diese Weise den Wert
der vorliegenden Arbeit erweisen mögen.
Helwig Schmidt-Glintzer
Buchbesprechungen Ostasien
Läufer, Berthold:
Kleinere Schriften, Teil 3: Nachträge und
Briefwechsel. Herausgegeben von Hartmut
Walravens. Stuttgart: Franz Steiner Verlag
1985 (Sinologica Coloniensia. 500 Seiten.
Die Herausgabe der kleineren Schriften Berthold Läu-
fers (1874-1934) durch Hartmut Walravens seit 1976
gehört gewiß zu den bedeutendsten »Nachdruckunter-
nehmungen« auf dem Gebiet der Sinologie und benach-
barter »asiatologischer« Fächer, handelt es sich doch bei
den bisher erschienenen fünf Bänden (1,1 und 2; 2,1 und
2 und 3) um weit mehr als nur den Nachdruck oft schwer
zugänglicher Arbeiten Läufers. H. Walravens hat dane-
ben die vollständige Bibliographie von und über Läufer
zusammengestellt und hat durch die Veröffentlichung
biographischer Materialien und einer Bestandsaufnahme
des Laufernachlasses wichtige Informationen zur Ge-
schichte einer Reihe von asiatischen Wissenschaften, zur
Entwicklung von Museumssammlungen und zur Wissen-
schaftsgeschichte allgemein zugänglich gemacht. Den in
Band 2,1 aufgenommenen Briefwechsel zwischen Läufer
und Franz Boas möchte ich zu den wichtigsten Zeugnis-
sen wissenschaftlicher Auseinandersetzung im ersten
Drittel unseres Jahrhunderts zählen.
Um so mehr muß die Vorbemerkung zum vorliegenden
Band betrüben, daß nämlich die Werkausgabe zumindest
in der bisherigen Form nicht weitergeführt werden kann,
sondern teilweise im Druck an anderer Stelle (wahr-
scheinlich Sata Pitaka Séries) und als Mikroform-Ausga-
be (Hamburg, C. Bell Verlag) erscheinen wird. Lediglich
ein umfangreiches Register soll als Band 4 der vorliegen-
den Ausgabe und den anderwärts zu suchenden Arbeiten
Läufers erscheinen.
Band 3 enthält wiederum weitere bibliographische Er-
gänzungen, den Inhalt von Läufers Ausschnittbuch für
die Jahre 1898-1911, in dem Läufer Rezensionen seiner
eigenen Arbeiten und ihn interessierende Notizen ge-
sammelt hatte - Die Nummern 2, 3, 29, 34, 35, 36
können zusätzlich für die Bibliographie Läufers berück-
sichtigt werden -, Läufers phonographische Aufnahmen
aus China, Tibet und Bengalen auf der Grundlage der
Beschreibungen in den Archives of Traditional Music in
Bloomington, Indiana und der Liste im Field Museum of
Natural History, Chicago mit Annotationen des Heraus-
gebers, Facsimilia von den Aufnahmen zu Grunde lie-
genden chinesischen Texten, die Liste der von Grube,
Krebs und Läufer bearbeiteten Schattenspiele, ergänzt
durch zusätzliche Titel aus der Sammlung Sven Hedin,
Stockholm, und eine Bearbeitung der tibetischen und
bengalischen Lieder durch Christoph Cüppers und Rahul
Peter Das.
Den Rest des Bandes (S. 143-500) nimmt eine Auswahl
von Briefen ein, die nur einen Bruchteil des im Field
Museum liegenden Materials (s. Band 1,1 S. CVII-
CXLVI) ausmachen. Darüber hinaus stammen nicht ein-
mal fünfzig von etwa 340 Nummern von Läufer selbst,
die meisten sind an ihn gerichtet, ohne daß wir seine
Reaktion kennenlernen. Dies ist verständlich, da nur der
Nachlaß im Field Museum selbst ausgewertet wurde.
Vollständig oder doch fast vollständig wurde nach der
erwähnten Inventarliste aus Band 1,1 die Korrespondenz
des Kunsthändlers A. W. Bahr, des Archäologen C. W.
Bishop, der Kunstsammler J. C. Ferguson und E. Fur-
man, der Mitarbeiter der Library of Congress A. W.
Hummel, Kiang Kang-hu und W. T. Swingle, des Ethno-
logen F. S. Krauss, des Indologen E. Kuhn, des Kunsthi-
storikers B. March, des Bibliotheksdirektors Yüan
T’ung-li, der Forschungsreisenden J. F. Rock und A.
Stein, des Botanikers W. Safford und des Direktors des
Museums für Völkerkunde in München L. Scherman
aufgenommen. Relativ gut vertreten sind Briefe Läufers
an Vertreter des Field Museums.
Bedauerlich ist, daß der Herausgeber auf eine kurze
Bemerkung zu seinen Auswahlkriterien verzichtet hat.
Alphabetisch angeordnet springt der Leser durch die
Jahrzehnte, von Expeditionsberichten zu Bittbriefen,
von Preisforderungen für Ostasiatica zu wissenschaftli-
chen Einzelfragen, von kühlen Geschäftsbriefen über
Aggressionen zu recht vertraulichen Mitteilungen. Man-
ches erscheint unnötig, vor allem, da auch das Argument
der Vollständigkeit fortfällt, manches ist enttäuschend,
so die Korresspondenz von (und mit) Swingle, Kiang,
Hummel oder mit dem Unternehmer G. M. Gest, man-
ches schmerzt, wie die kurze Korrespondenz mit dem
Mongolisten W. Kotwicz.
Für den deutschen Leser, aber nicht nur für ihn, sind
dann aber wieder die Briefe aus den Jahren des 1.
Weltkriegs und danach aus Deutschland und Österreich
belustigend, aufschlußreich und erschütternd, von Otto
Franke - was mag in den Briefen vom 7. und 23. Septem-
ber 1921 stehen, die in der Inventarliste aufgeführt sind?
- von F. S. Krauss (!), der kurze Briefwechsel (Nummern
239, 240) mit H. Mueller und die Briefe von L. Scher-
man. Sie alle versöhnen mit Unnötigem.
Angesichts eines gewissen editorischen Aufwandes -
Kennzeichnung neuer Seiten und fehlerhafter Orthogra-
phie - verwirren die etwas zu zahlreichen Druckfehler.
Insgesamt erscheint mir auch dieser Band trotz überflüs-
sigen Ballastes noch sehr lesenswert. Angesichts der
schwierigen Veröffentlichungssituation wird wohl nicht
nur meine Neugier auf die Korrespondenz von E. C.
Carter, K. S. Latourette, G. Sarton, A. Waley und vielen
anderen kaum auf diesem bequemen Weg befriedigt
werden können. Glücklicherwiese hat uns H. Walravens
aber die Korrespondenz des lettischen Sinologen, Man-
juristen und Ethnographen Peter Schmidt an Läufer an
anderer Stelle (Peter Schmidt. Ostasienwissenschaftler,
Linguist und Folklorist - Eine vorläufige Bibliographie.
Hamburg 1982, S. 69-78) zugänglich gemacht. Das glei-
che gilt für den Forschungsreisenden Lopatin und auch
für den Mongolisten Unkrig. Man vermißt lediglich die
Hinweise darauf im vorliegenden Band.
Erling von Mende
Veit, Willibald:
Siegel und Siegelinschrift der Chou, Ch‘in
und Han-Dynastie. Studien zur ostasiati-
schen Schriftkunst, Band IV. Stuttgart:
Franz Steiner 1985 . 297 Seiten, 198 Tafeln.
Wenn von chinesischen Siegeln die Rede ist, so denkt
man zunächst an die schönen roten Siegelabdrücke, mit
201
TRIBUS 35, 1986
denen die Gemälde und Kalligraphien von den Meistern
signiert und von den Sammlern gekennzeichnet wurden,
oder an die auch heute noch weit verbreitete Methode,
mit Siegeln offizielle Dokumente zu beglaubigen. Man
nimmt dabei wohl oft diese Sitte einfach zur Kenntnis,
ohne sich weiter über die jahrtausendealte Geschichte
der Siegelschneidekunst in China Gedanken zu machen.
Mit seinem Buch hat Veit nun wesentliche Anstöße zu
einer intensiven Beschäftigung mit diesem bisher nur
mangelhaft erforschten Bereich der chinesischen Kunst
gegeben.
Über manche Entwicklungsstufen der Schrift in China
sind wir bereits recht wohl informiert, so z.B. über die
Inschriften auf Bronzen oder Orakelknochen der Shang-
Dynastie. Erst in den letzten Jahren wurde es aber
überhaupt möglich, dank neuer Funde, ein genaueres
Bild über die Schrift auf Siegeln oder aber auch die
alltägliche Schrift der Zhanguo- und Han-Zeit zu gewin-
nen. Dies ist aus der Zusammenstellung der Ergebnisse
zahlreicher Grabungen chinesischer Archäologen zu er-
sehen, die Veits Arbeit zur Grundlage dienten.
Um kurz das Thema des Buches zu umreißen, sollen die
Hauptpunkte des Inhalts hier genannt sein. Der Einlei-
tung, in der Veit die zeitliche Einschränkung begründet,
folgt in Kapitel 2 eine Zusammenfassung vor allem Han-
zeitlicher Textstellen über Staats-, Beamten- und Privat-
siegel, sowie ihre Verwendung. Im 3. Kapitel werden wir
mit der Entstehungsgeschichte der Siegel vertraut ge-
macht und können uns über die Möglichkeiten der Datie-
rung informieren. Ausführlich lernen wir im 4. Abschnitt
die allgemeine Entwicklung der chinesischen Schrift von
den Anfängen im Neolithikum bis zur Entstehung der
sogenannten Kanzleischrift, der li-shu in der Han-Zeit
kennen. In Kapitel 5 befaßt sich Veit mit den Herstel-
lungsmethoden, den Formen und Materialien der Siegel,
deren Schriftformen das Thema des 6. Kapitels sind.
Gefolgt wird der Textteil von einer Bibliographie und
einem umfänglichen Bildanhang mit zum Teil äußerst
schlechten Abbildungen, die vielleicht besser umgezeich-
net worden wären.
Der Leser wird mit Freude feststellen, wie differenziert
der Autor sein Thema angeht, welch große Sorgfalt er
darauf verwendet, sowohl Siegel, als auch Schriftformen
zeitlich und regional einzuordnen. Das wird besonders an
den Datierungsversuchen deutlich, die Veit an den 1972
und in den darauffolgenden Jahren entdeckten handge-
schriebenen Texten aus Mawangdui bei Changsha in der
Provinz Hunan unternimmt und die ihn zu einer präzisen
Bestimmung der Entstehungszeit der verschiedenen
Handschriften kommen läßt, besonders mit Hilfe von
Analysen der Schriftformen (S. 126ff.).
In diesem Zusammenhang ist es natürlich auch lobens-
wert, daß versucht wird, die Inschriften auf Ritualbron-
zen und Siegeln auch von einem aesthetischen Gesichts-
punkt her zu betrachten. Dabei hat allerdings zuweilen
die Phantasie Herrn Veit doch wohl zu weit getragen, da
sie ihn künstlerisches Wollen vermuten läßt, wo es in
diesem Maße nicht zu finden ist (bes.S. 145/146).
Eine Kehrseite der besonderen Konzentration, die Veit
auf sein Thema wendet, ist eine bedauerliche Einseitig-
keit, die sich besonders in Details zeigt. Wie schön wäre
es beispielsweise gewesen, hätte er bei dem seltsamen
Phänomen der Siegel aus Gräbern, in welche die Zeichen
seitenrichtig eingeschnitten wurden, so daß der Abdruck
seitenverkehrt erscheinen mußte, nicht nur vermerkt,
das zeige, daß es sich um Grabbeigaben handele. Wäre
hier nicht die Assoziation mit der Vorstellung vom Jen-
seits als einer verkehrten Welt naheliegend? (S. 153)
Auch wäre das Bild abgerundeter gewesen, hätte uns der
Autor wenigstens einen kurzen Blick auf die Vorstellun-
gen gewährt, die im Westen mit Siegeln verbunden wur-
den (eine Zusammenfassung des Artikels über Siegel in
Grimms Wörterbuch Band 16, S. 895-903 hätte genügt).
Ein wiederum sehr erfreulicher Aspekt der Arbeit ist
leider ebenfalls durch einen strukturellen Fehler um-
wölkt. Es geht aus der gesamten Arbeit immer wieder
hervor, daß wir es bei der Schrift auf Siegeln keineswegs
stets mit einer archaischen und erstarrten Form zu tun
haben, sondern, daß von der Zhanguo- bis zur Han-Zeit
die Siegelinschriften ständig von der alltäglichen Schreib-
weise beeinflußt wurden. Vor der Vereinheitlichung der
Schrift unter den Gin und Han kamen derartige Einflüsse
eher auf Beamtensiegeln zum Tragen, bei denen es be-
sonders auf schnelle und klare Lesbarkeit ankam. In der
Han-Zeit gingen solche Neuerungen häufiger von den
Privatsiegeln aus, während die Siegel für die höheren
Beamten meist in staatlichen Werkstätten hergestellt
wurden, in denen eine sehr einheitliche und ziemlich
archaische Schriftform üblich war.
Diese und andere Entwicklungsstränge wären im Buch
von Veit sicherlich wesentlich klarer geworden, hätte er
nicht die Struktur durch eine zu große Zahl von Einzel-
beschreibungen vernebelt. Zumindest eine Zusammen-
fassung am Ende jedes Kapitels wäre sicher von Nutzen
gewesen. In ähnlicher Weise störend ist die Aufteilung
des Berichtes über die allgemeine Schriftentwicklung und
über die auf Siegeln in zwei verschiedenen Kapitel. Auch
die Aufsplitterung der Datierungskriterien für Siegel auf
Kapitel 3 und 6 ist nicht motivierbar.
Insgesamt gesehen erfahren wir aber sehr viel über frühe
Formen der Siegel, und man kann sich ein gutes Bild
über die Traditionen machen, aus denen sich die späten
Siegel und Siegelschriftformen erklären lassen. Auch
über ihre Verwendung, besonders in den Beziehungen zu
Fremdvölkern, ihre Formen und Materialien kann man
sich umfassend informieren. (Als kleine Ergänzung sei
hier auf den Fund eines Han-zeitlichen Siegels aus Glas
verwiesen: WW 1985/12, S. 59, Abb. 9, S. 58).
Wir haben also ein durchaus lesenswertes Handbuch zur
Siegelkunde vor uns, das allerdings durch seine struktu-
rellen Tücken in seinem Wert etwas beeinträchtigt wird.
Joachim Hildebrand
Davidson, Janet:
The Prehistory of New Zealand. Auckland:
Longman and Paul, 1984. iv & 270 Seiten,
157 Abbildungen.
Die frühen 80er Jahre sind eine Zeit der großen Zusam-
menfassungen. Monographien, die die Vorgeschichte ei-
ner Region oder eines Kleinraumes zusammenfassend
abhandeln, erscheinen in großer Zahl. In diesem Rah-
men ist auch Janet Davidsons Werk, »The prehistory of
New Zealand«, zu sehen.
202
Buchbesprechungen Ozeanien
Dieses Buch füllt ein seit langem bestehendes Desiderat
auf dem archaeologischen Büchermarkt, da eine über-
schauende und ausführliche Darstellung der Vorge-
schichte Neuseelands bislang ausstand.
Die Verfasserin ist durch umfangreiche Forschungen vor
allem auf Neuseeland wie auch auf anderen Inseln des
Pazifik wie kaum eine andere Person als qualifiziert
ausgewiesen, ein solches Werk zu schreiben.
Die bislang vorhandenen Darstellungen (Golson 1957,
Green 1963) gelten durch die Vielzahl neuerer Forschun-
gen als überholt. Für zusammenfassende Beschreibungen
neuerer Ergebnisse mußte bisher auf entsprechende Ka-
pitel in den, den gesamten Pazifik (Bellwood 1978 a,
1978 b) oder Polynesien (Jennings 1979) umspannenden
Werken, zurückgegriffen werden, die naturgemäß nicht
sehr detailliert auf Neuseeland eingehen konnten.
Demgemäß hoch sind denn auch die Ansprüche, die
vorab an das Werk gestellt werden. Und die Verfasserin
schraubt diese auch noch höher, indem sie gleich zu
Anfang die bestehende und weitbekannte Zwei-Phasen-
Einteilung der Vorgeschichte Neuseelands in »moa-hun-
ter-period« (oder »Archaic«)1 und »classical Maori«,
oder, mehr generell, in »früh« und »spät« ablehnt. Wel-
che termini und Phasengliederung sie statt dessen vor-
schlägt, kommt erst auf den letzten drei Seiten des Textes
zum Ausdruck, nachdem das Fundmaterial in seiner
ganzen Breite in detaillierter Weise abgehandelt worden
ist. Dieses Fehlen eines chronologischen Gerüstes im
Flauptteil des Bandes hat seine positiven Aspekte, indem
es den Leser dazu zwingt, sich nicht blauäugig auf eine
vorgegebene Chronologie zu verlassen, sondern sich die-
se selbst aus dem Material abzuleiten. Es kann aber auch
eine vollkommene Verwirrung derer hervorrufen, die
diesen Band als Einstiegslektüre lesen wollen. Der Re-
zensent ist der Ansicht, daß dieser Aufbau eher einer
(unpublizierten Fassung einer) Prüfungsarbeit gerecht
wird als einer für einen größeren Leserkreis gedachten
Veröffentlichung.
Die Verfasserin schlägt anstelle des Zwei-Perioden-Sy-
stems ein Drei-Perioden-System vor, da sich der Über-
gang zwischen den zwei bislang polarisiert gesehenen
Perioden nicht abrupt, sondern, wie zu erwarten, gradu-
ell vollzogen hat. Ihre Periodenteilung stellt sich wie folgt
dar:
I Settlement period bis 1200
II Period of expansion and rapid change 1200 bis 1500
III Traditional period 1500 bis 1769
Die Settlement period beginnt mit der Landnahme Neu-
seelands durch Siedler aus Ost-Polynesien (vermutlich
von den Gesellschaftsinseln) um etwa 800 und reicht bis
ungefähr 1200, als ganz Neuseeland besiedelt, oder zu-
mindest den Menschen der Zeit bekannt war, wie die
große Variationsbreite der ausgebeuteten Rohstoffe be-
legt.
Die Zeit zwischen 1200 und 1500 ist die Phase der
Ausweitung des Siedlungsraumes und des großen Kultur-
wandels (Period of expansion and rapid change). Die
Bevölkerungsdichte steigt, und der menschliche Einfluß
auf die Umwelt macht sich verstärkt bemerkbar. Die
Errichtung von befestigten Siedlungen (pä) beginnt (und
damit auch die archäologische Nachweisbarkeit von be-
waffneten Konflikten). In dieser Periode verschwinden
die ostpolynesischen Artefakttypen und -Stile und wei-
chen den typischen Maori-Stilen.
Von 1500 beginnt die traditional period (bis 1769), in der
die meisten Aspekte der klassischen Maori-Kultur, wie
sie sich den ersten europäischen Besuchern darbot, ihre
Blütezeit hatten.
Mit dem Besuch J. Cooks 1769 endet, dem allgemeinen
Konsensus gemäß, die Vorgeschichte Neuseelands. Die
sich daran anschließende Kontaktperiode und frühe eu-
ropäische Besiedlung hat in der neueren archäologischen
Forschung immer mehr an Bedeutung gewonnen, wird
aber in diesem Band (verständlicherweise) ausgeklam-
mert.
Die Verfasserin weist darauf hin, daß dieses neue Drei-
Perioden-System für die Gesamtheit Neuseelands ge-
dacht ist, und daß für einzelne Regionen feinere Chrono-
logien bestehen, ohne daß diese Regionalchronologien
jedoch im Detail miteinander synchronisiert werden
könnten. Was bedauerlicherweise in der Darstellung der
Vorgeschichte fehlt, ist ein Kapitel über eben jene Re-
gionalchronologien und der Versuch einer Synchronisie-
rung. Dies hätte wesentlich zum Gesamtverständnis bei-
getragen.
Im übrigen postuliert die Verfasserin, daß nur detaillier-
tere Regionalforschungen das Wissen um die Vorge-
schichte Neuseelands erweitern können. Wie diese Re-
gionalforschungen aussehen sollen (Strategien, Zielset-
zungen etc.), erwähnt sie jedoch nicht.
Die Verfasserin beginnt ihren Band mit der Beschrei-
bung der Forschungsgeschichte (die in der anglo-ameri-
kanischen Forschung leider viel zu wenig Stellenwert
hat), der sich ein Kapitel über die Herkunft der Maori
anschließt. Hier faßt sie die archäologischen, linguisti-
schen und physisch-anthropologischen Belege zusammen
und umreißt die Besiedlung des Pazifiks durch die Lapi-
ta-Kultur und die Herausbildung einer ostpolynesischen
Kultur auf dem Marquesas und den Gesellschaftsinseln,
die die Grundlage der Siedler bildet, die Neuseeland
besiedeln. Mit der Lapita-Besiedlung des Pazifiks zu
beginnen, gleichsam mit Adam und Eva, ist wohl für den
Leser von großem Vorteil, der kein Spezialist der Pazi-
fik-Archäologie ist, setzt es doch dem Rahmen für das
Verständnis Neuseelands als Teil Polynesiens.
Mit der Beschreibung der Umwelt und des Klimas sowie
der Darstellung der physischen Anthropologie der vorge-
schichtlichen Bevölkerung legt die Verfasserin den
Grundstein für die Präsentation des Fundgutes und der
archäologischen Fundstellen. Besonders das Kapitel über
die physische Anthropologie besticht in seiner Darstel-
lung, kann sich die Verfasserin doch auf die ausgezeich-
neten Vorarbeiten durch Ph. Houghton (1980) stützen.
Auf diesem Grundstein kann dann die Beschreibung der
materiellen Kultur in allen Details erfolgen. Angelha-
ken, Harpunen, andere Knochengeräte, persönlicher
Schmuck, Tatauierstichel, Kleidung, Beile, Waffen und
andere Steingeräte werden in ihrer regionalen und chro-
nologischen Differenzierung präsentiert. Ein Unterkapi-
tel beschäftigt sich mit der materiellen Kultur, die sich,
von Ausnahmeumständen (Feuchtbodensiedlungen) ab-
gesehen, im allgemeinen nicht erhält: Holzgeräte, Kür-
bisflaschen, Seile usw.
Im darauffolgenden Kapitel über die Subsistenzwirt-
schaft werden die mitgebrachten und die angetroffenen
Nutzpflanzen besprochen und die mit dem Gartenbau
203
TRIBUS 35, 1986
zusammenhängenden Gartenteilungen, Feldsysteme und
die Vorratshaltung vorgestellt. Unterkapitel über Tier-
zucht (nur der Hund und die Ratte wurden eingeführt),
Jagd, Muschelsammeln und Fischfang runden die Dar-
stellung der Ernährung ab. Die Plazierung des Unterka-
pitels »Kannibalismus« im Rahmen der Subsistenzwirt-
schaft mag einige empfindlichere Gemüter erbosen, zu-
mal er (rituell oder nicht sei hier einmal dahingestellt)
anscheinend nur minimal zur Ernährung beitrug. Unge-
klärt ist allerdings der Anteil und die Bedeutung der
durch menschliche Körper beigesteuerten tierischen Fet-
te in einer sonst recht fettfreien tierischen Nahrungskom-
ponente (Fisch, Hund, Vögel), denn die Ausbeutung der
Seevögel, die Fettvorräte haben, wie z.B. die Sturmtau-
cherarten (mutton birds) konnten nur regional genutzt
werden.
Dem Sozialwesen, der Kunst und dem Bereich »Konflikt
und Kommunikation« sind einzelne Kapitel gewidmet, in
denen die Verfasserin ihr umfangreiches Wissen aus-
breitet.
Ein Verzeichnis der wichtigsten Fundstellen und ein um-
fangreicher Index runden den Band ab. Ein Tabellen-
und Abbildungsverzeichnis fehlen bedauerlicherweise
und wären einer besseren Handhabung des Bandes dien-
lich gewesen.
Die Darstellung der Vorgeschichte Neuseelands ist sehr
balanciert, mit allem Wenn und Aber. Der Drang der
Autorin, jede Feststellung ihrerseits im nächsten Satz
gleich wieder in Frage zu stellen, mag etwas verwirrend
sein für den, der diesen Band als Einstiegslektüre be-
nutzt, aber er spiegelt sehr gut den immer noch frage-
mentarischen Stand der derzeitigen Forschung wieder.
Auf einem mehr generellen Niveau ist zu bemerken, daß
der Band sehr reichlich mit Abbildungen ausgestattet ist.
Störend macht sich allerdings bemerkbar, daß im Text
nicht auf die Abbildungen verwiesen wird. Im übrigen
wäre auch ein stärkeres Hin- und Herverweisen in den
einzelnen Textabschnitten untereinander wünschenswert
gewesen. So ist es dem Rezensenten z. B. unverständlich,
warum im Kapitel Kunst zwar die Tatauierungen er-
wähnt sind, dort aber nicht auf das Kapitel materielle
Kultur verwiesen wird, in dem in der Abhandlung über
Tatauierstichel auch detailliert auf die Tatauierungen
eingegangen wird. Überhaupt sind einige der Kapitel und
Unterkapitelteilungen willkürlich und wirken gezwun-
gen. So sind z. B. die meisten Angelhaken und die Tatau-
ierstichel Knochengeräte, sie werden aber getrennt abge-
handelt. Für die Kanus, eine sehr wichtige Gruppe der
materiellen Kultur, findet sich kein eigenes Kapitel oder
Unterkapitel; diese sind vielmehr in fast allen anderen
Kapiteln hier und da angesprochen.
Gewiß, eine befriedigende Präsentation des Materials ist
bei einer derartig komplexen Materie mit Problemen
behaftet. Aber ein intensives Verweissystem in den An-
merkungen hätte die Anwendbarkeit des Bandes in un-
geahnter Weise gefördert.
Faßt man alles zusammen, so verblaßt jedoch die ange-
meldete Kritik vor den Errungenschaften dieses Bandes.
Janet Davidsons balancierte Präsentation des gegenwär-
tigen Forschungsstandes der Vorgeschichte Neuseelands
bildet die Basis für zukünftige Studien. Dies Buch sollte
in keiner ethnologischen/archäologischen Bibliothek feh-
len. Dirk H. R. Spennemann
Anmerkung
1 Um nicht unnötige Konfusion durch mehr oder minder
schlechte Eindeutschungen englischer termini technici zu
erzeugen, werden die Originaltermini verwendet.
Literatur
Bellwood, P., 1978a, Man’s conquest of the Pacific.
Auckland.
Bellwood, P., 1978b, The Polynesians. London.
Golson, J., 1959, Culture change in prehistoric New
Zealand. In: J. D. Freemann & W. R. Geddes (Hrsg.),
Anthropology in the South Seas. New Plymouth Pp.
29-74.
Green, R. C., 1963, A review of the prehistoric sequence
of the Auckland Province. NZAA Monograph 2. Auck-
land.
Houghton, P., 1980, The first New Zealanders. Auck-
land.
Jennings, J. D. (Hrsg.), 1979, Prehistory of Polynesia.
Cambridge/Mass.
Gesch, Patrick F.:
Initiative and Initiaton. A Cargo Cult-Type
Movement in the Sepik Against Its Back-
ground in Traditional Village Religion. Stu-
dia Instituti Anthropos 33. St. Augustin:
1985. XVII + 347 Seiten mit 4 Karten und 13
Abbildungen.
Am 7. Juli 1971 bestiegen Hunderte von Männern den
Berg Turu im Küstengebirge von Nordost-Neuguinea,
um Zementblöcke, die als Vermessungspunkte dienten,
zu entfernen. Das Wegräumen der Zementblöcke sollte
den Weg frei machen für eine Fülle von Gütern und
Geld, für die Rückkehr der Toten und für eine vollstän-
dige Umkehrung der Welt. Die mit diesem Ereignis
verbundene Kultbewegung bildet das Thema des Buches
von Patrick Gesch. Sein Ziel ist es, den religiösen Hinter-
grund dieses Cargo-Kultes aufzuzeigen.
Gesch war von 1973-1978 Missionar (S.V. D.) im Yan-
goru-Gebiet. In dieser Zeit führte er in einem pastoralen
Kontext zahlreiche Gespräche mit verschiedenen Män-
nern über die traditionelle Kultur des Gebietes.
1980-1981 kehrte er für eine intensivere Feldforschung
in das Gebiet von Yangoru zurück, arbeitete ein halbes
Jahr im Dorf Bukienduon und jeweils drei Monate in den
Dörfern Malimbanja und Kiniambu. Die Dörfer Bukien-
duon und Malimbanja liegen im Hügelland südlich des
Berges Turu (nach Gesch »Rurun«), der mit 1178 m
höchste Berg des Prinz-Alexander-Gebirges. Kiniambu
hingegen befindet sich in der großen Graslandebene
zwischen dem Hügelland und dem Sepik. Alle drei Dör-
fer gehören der Boiken-Sprache an. Obgleich die Boiken
sehr früh mit den Weißen an der Küste in Kontakt
gekommen sind, haben wir nur wenige Berichte über ihre
Kultur vorliegen.
Besonders die Ausführungen über Initiation in dem
Werk von Gesch bilden daher eine wichtige Ergänzung.
Während in den nördlicher gelegenen und leichter zu-
gänglichen Dörfern Malimbanja und Bukienduon keine
Initiations-Rituale mehr ausgeführt werden, finden sie
204
Buchbesprechungen Ozeanien
hingegen in dem mehr isolierten Kiniambu noch statt.
Dies war auch der Grund, warum Gesch diesen Ort in die
Untersuchung miteinbezogen hat, obgleich Kiniambu in
mancher Hinsicht vom Yangoru-Gebiet kulturell unter-
schiedlich ist. Es bleibt fragwürdig, inwiefern die in
Kiniambu erhaltenen Daten auf das Boiken-Gebiet von
Yangoru übertragen werden können. Tatsächlich scheint
Kiniambu eine wichtige kulturelle Mittelstellung zwi-
schen den Gruppen der Iatmul und Sawos am Sepik und
den Abelam und Boiken im Hügelland einzunehmen,
wie der Rezensent anläßlich eines kurzen Besuches in
Kiniambu 1973 selber feststellen konnte.
Die Arbeit von Gesch ist in zwei große Haupteile geglie-
dert: im ersten Teil finden wir die Darstellung der Mt.
Rurun-Bewegung, im zweiten Teil die Beschreibung der
traditionellen Religionsformen. In der sehr detaillierten,
auf Augenzeugenberichten und Gesprächen mit den Ak-
teuren beruhenden chronologischen Untersuchung der
Bewegung wird deutlich, wie eng die Verbindungen zwi-
schen der katholischen Mission und den Anfängen dieses
Cargo-Kultes waren. Oft sind es scheinbare Zufälligkei-
ten, die sich dann zu einem für den Kult entscheidenden
Gesamtbild fügen, wie z. B. der Fund eines Schlüssels auf
dem Gelände der Mission oder Abbildungen in einer
Übersetzung des Neuen Testamentes. Bezeichnender-
weise fand auch an Weihnachten (1969) die erste Bestei-
gung des Berges durch Anhänger des Cargo-Kultes statt.
Die von Yangoru ausgehende Bewegung breitete sich
weit in der Ostsepik-Provinz aus und zählte im Augen-
blick ihres Höhepunktes viele Tausende Mitglieder.
Doch schon 1973 sprach man am Mittelsepik von dieser
Bewegung als einer weiteren Arbeit, die zu keinem Er-
folg geführt hätte, obgleich sie in ihrem Kerngebiet von
Yangoru in verschiedener Form weiterhin existierte.
Gesch sagt: »the Mt. Rurun Movement is a response
formed by the traditional village religión in its encounter
with the technological Western world« (47). Die Frage
bleibt jedoch bestehen, warum gerade im Boiken-Gebiet
von Yangoru dieser Cargo-Kult eine so starke Ausprä-
gung erhalten hat, und warum z. B. die Abelam oder die
Iatmul viel weniger daran teilgenommen haben, obgleich
man bei ihnen sehr ähnliche Vorstellungen über die
Weißen und vergleichbare Versuche, den Kulturkontakt
mit der westlichen Zivilisation in das eigene Weltbild
einzubauen, antreffen kann.
In seinem Bestreben, die traditionellen religiösen Hinter-
gründe der Bewegung aufzudecken, geht Gesch erstaun-
licherweise den offensichtlichen Verbindungen zwischen
dem Kult von Matías Yaliwan und Daniel Wafinkian und
der katholischen Mission kaum nach. Auch die Verknüp-
fungen mit der Christian Democratic Party werden nicht
analysiert.
Die Darstellung der einzelnen Ereignisse und der Aussa-
gen der Kultteilnehmer erinnerte den Rezensenten öfters
an Gespräche mit Männern im Sepik-Gebiet, so z.B.
wenn Gesch beschreibt, daß die Leute von ihm erwartet
hätten, daß er endlich »das Geheimnis« preisgeben soll-
te. Etwas ähnliches wurde dem Rezensenten mit dem
Bild der zur Faust geballten Hand angedeutet, die das
Wesentliche der westlichen Zivilisation nicht hergeben
wolle. Für Gesch ist daher auch nicht die Erwartung von
Cargo sondern dieses »Geheimnis« »the fundamental
cultural theme underlying the Movement« (72).
Im Jahre 1972 fanden Wahlen für das Parlament statt,
und Matias Yaliwan wurde als Mitglied in das House of
Assembly gewählt. Die Bewegung erhielt nun eine mehr
politische Komponente und Matias Yaliwan trat für eine
sofortige Unabhängigkeit des Landes ein. Er entfernte
sich jedoch schon bald von der politischen Arbeit, wurde
dann 1979 in das Provinz-Parlament gewählt, wovon er
sich ebenfalls nach kurzer Zeit wieder zurückzog. Die
Versuche, das durch die große Anzahl von Anhängern
zusammengekommene Geld in moderne wirtschaftliche
Unternehmungen einzubringen, schlugen ebenfalls fehl.
Die letzte von Gesch beschriebene Phase der Mt. Rurun-
Bewegung stellt die Verbindung mit der Neuapostoli-
schen Kirche dar. Gesch erkennt in der millenarischen
Erwartung, in den hierarchischen Formen, den zahlrei-
chen Sakramenten, der freien Form des Sprechens im
Kult und im Ausdruck einer internationalen Einheit die
entscheidenden Affinitäten zwischen der Bewegung und
der Neuapostolischen Kirche. Es bleibt abzuwarten, wel-
che Entwicklung sich hieraus ergeben wird.
Im zweiten Teil des Werkes von Gesch, in dem die
traditionelle Religion vorgestellt wird, sieht Gesch be-
sonders in der Initiation eine Parallele zum Cargo-Kult,
da beide ein Geheimnis vermitteln sollen, durch das ein
anderes Leben versprochen wird. Das Bemerkenswerte
im Yangoru-Gebiet ist nun gerade das Verschwinden der
Initiations-Rituale. Obgleich Gesch Beispiele anführt,
erkennt er nicht, wie gerade der Cargo-Kult im Yangoru-
Gebiet das Initiationswesen mit verdrängt hat. Daß fer-
ner die katholische Mission einen entscheidenden Anteil
daran hatte, wird in dem mit Appendix 1.5 wiedergege-
benen Gespräch mit dem Missionar Willie Morman deut-
lich, der sehr lange in dem Gebiet von Yangoru gearbei-
tet hatte. Trotzdem schreibt Gesch zu diesem Problem:
»How much this was influenced by the missionaries is
hard to know« (224). Die deutlichste Parallele zwischen
traditioneller Religion und Cargo-Kult wird jedoch beim
Walle Hrie-Fest sichtbar. Im Gegensatz zur Initiation ist
es auch nach der Mt. Rurun-Bewegung neu belebt wor-
den. Im Mittelpunkt des Festes stehen ausgedehnte
Tauschhandlungen mit bestimmten Partnern. Ferner
wird ein besonderes Haus gebaut, in das unter anderem
Wertgegenstände gelegt werden, die weitere Wertgegen-
stände anlocken sollen. Diese erwartete Vermehrung
von Muschelringen, aber auch Nahrung usw., gefördert
von zahlreichen Zaubersprüchen, könnte als Hinter-
grund gesehen werden für die Kulthandlungen in haus
paua, Häuser des Cargo-Kultes, in denen die Anhänger
von Matias Yaliwan Geld vermehren wollten.
Aus der Untersuchung von Gesch ergeben sich manche
Fragen, die von Interesse für weitere Arbeiten sein könn-
ten. Eine davon soll hier kurz erwähnt werden: Die
Frage nach der Einstellung von Frauen dem Cargo-Kult
gegenüber. Aus einer Aussage von Schwester Marie
Williams erfahren wir »that the women used to laugh
when I used to try to talk to them about it« (308). Das
Werk von Gesch bildet die erste umfassende Darstellung
einer Cargo-Bewegung im östlichen Sepik-Gebiet. Sie
bietet für das Boiken-Gebiet und die Sepik-Forschung
eine wesentliche Erweiterung der ethnographischen Do-
kumentation.
Markus Schindlbeck
205
Üblicherweise sagt der Werbetext eines Verlegers wenig
über Gehalt und Inhalt der bei ihm erschienenen Publi-
kationen aus. Wenn es jedoch im vorliegenden Fall das
Ziel des Autors gewesen ist, ein Buch für die Leserschaft
zu schreiben, »die sich für die Kreativität, Kunst und
Ästhetik alter Völker interessiert, die sich von einer
Fülle eindrucksvoller Textilmuster anregen lassen (sic!)
und etwas über deren mythologischen Hintergrund er-
fahren möchte« (Text des Verlags-»Waschzettels«), dann
ist ihm dies bestens gelungen. Der eingeweihte Leser
wundert sich über die Lösung dieser Aufgabe nicht, weiß
er doch, daß sich F. Anton nicht nur mit den »präkolum-
bianischen Kulturen« (wie der Verlag meint), sondern
mit den präkolumbischen seit Jahrzehnten intensiv be-
schäftigt. Viele Veröffentlichungen aus seiner Feder
sprechen für ihn.
Für den Verfasser spricht auch sein Vorgehen bei der
Erarbeitung der vorliegenden Veröffentlichung. Er hat
sich nämlich nicht darauf beschränkt, dem Leser die
altperuanische Textilkunst aus drei Jahrtausenden näher-
zubringen, das handwerkliche Können dieser Zeit (die in
der Alten Welt verbreiteten Webarten kannten auch die
alten Peruaner), die reichhaltige Farbskala der Textilien
(190 Farbtöne wurden festgestellt) und die Fülle der
Motive, sondern er geht anhand der Gewebe aus zahlrei-
chen Kulturen auch auf die Lebensverhältnisse im alten
Peru ein und berichtet über Gesellschaftssysteme, über
die Umwelt der damaligen Menschen sowie über Glau-
bensvorstellungen mit ihren ausgeprägten Begräbnissit-
ten (denen wir die organischen Kulturgüter aus dem
Mittleren Andenraum ja hauptsächlich verdanken). Be-
sonders wertvoll sind die Querverbindungen zwischen
Darstellungsweisen und Motiven auf den Geweben und
denjenigen auf anderen Materialien, wie Keramiken,
Schnitzwerken und Bauelementen aus Stein, Holz und
Lehm. Ausgezeichnete Fotos in Farbe und Schwarzweiß
sowie vor allem die vielen Zeichnungen (in einem Fall
wurde eine Zeichnung auf Folie sogar über eine Farb-
Abbildung gelegt, was die Motive auf dem betreffenden
Textilstück natürlich besonders gut erkennen läßt) tragen
zum Verständnis dieser von bizarren Mythen durchdrun-
genen Welt bei. Trotz dieses Lobes für Anlage und
Ausführung des Werkes müssen nachfolgend einige mehr
kritische Anmerkungen gemacht werden. Zunächst soll
jedoch Aufbau und Inhalt der Publikation kurz skizziert
werden.
Die Gliederung des Buches ist eher einfach zu nennen.
Anton folgte einem chronologischen Grundschema.
Nach einem einleitenden Kapitel über die Peruanistik
und die altperuanischen Textilien insgesamt folgt ein
Teil, in dessen Mittelpunkt Chavih steht. Hier wie auch
in den folgenden Kapiteln verbindet Anton die jeweilige
Textilkunst mit einer allgemeinen Beschreibung der Hin-
terlassenschaften aus dem fraglichen Horizont oder der
Kultur, weiterhin mit der Wissenschaftsgeschichte des
betreffenden Raumes und mit der Kulturgeschichte der
hinter dem kulturellen Erbe stehenden Ethnien, soweit
sie sich feststellen lassen. Im folgenden Kapitel wendet
sich der Autor der peruanischen Südküste zu. Ein beson-
ders reichhaltiger Abbildungsteil entspricht hier der Fül-
le des großflächigen Gräberfeldern entnommenen Kul-
turgutes, das sich wegen der günstigen klimatischen Ver-
hältnisse bis in unsere Zeit so ausgezeichnet erhalten hat.
In dem sich anschließenden Teil »Vom Naturvorbild zur
Abstraktion« geht der Verfasser zunächst auf Tiahuana-
co ein. In stilistischer Hinsicht hätte Anton auf diesen
Seiten eine stärkere Trennung zwischen Tiahuanaco und
Huari vornehmen sollen. Nach einem kurzen Eingehen
auf Moche bzw. Mochica macht er mit den zentralperu-
anischen Lokalstilen bekannt, denen er im nächsten Teil
»Götter, Geister, Tiermotive« im Hinblick vor allem auf
Chancay breiten Raum gibt. Mit Chimü leitet der Verfas-
ser dann über auf »Das Imperium der Inka«, das das
letzte Kapitel des Buches einnimmt. Die Beschreibung
verschiedener Kunstäußerungen ist hier besonders inten-
siv mit Ausführungen über das gesellschaftliche Leben,
über den politischen Aufbau des Inka-Staates und die
Glaubensvorstellungen verbunden worden. Dabei konn-
te Anton nun auch auf die Zeichnungen des Huaman
Poma de Ayala zurückgreifen und etliche Details aus der
Inka-Kultur näher erläutern. Es folgt der Anhang mit
Anmerkungen (Pos. 1-25), Bilderläuterungen (Pos.
1-183), einer Zeittafel, Zeichnungen zu den »geläufig-
sten Webtechniken« (1-7), einem Literaturverzeichnis,
einer Karte der bekanntesten Fundplätze und einem
zweiseitigen Register.
Manche Ausdrücke, die zwar recht gut klingen, hätte
Anton dennoch lieber vermieden, so zum Beispiel »kul-
turelle Evolution«, wird damit doch unzulässigerweise
eine Entwicklung aus der Biologie vorgetäuscht, die es in
der Kulturgeschichte so nicht gibt. Was die altperuani-
sche Historie anbelangt, hätte er besser einzelne Verall-
gemeinerungen unterlassen, auch wenn er sich mit sei-
nem Buch an einen größeren Leserkreis wendet. Die
panperuanischen Expansionen beispielsweise sind durch-
aus nicht alle auf die »Verbreitung neuer religiöser Ide-
en« (S. 18) zurückzuführen. Dies trifft wahrscheinlich
lediglich auf Chavin zu, nicht aber auf Huari und schon
gar nicht auf den dritten panperuanischen Horizont (In-
ka). Was die zweite panperuanische Ausdehnung be-
trifft, so wird seit geraumer Zeit treffender von Huari
bzw. Wari gesprochen.
Auch bestimmte Vereinfachungen wären zweckmäßiger-
weise unterblieben, so die Zweiteilung der »peruani-
schen Kunst« in eine realistische und eine abstrakte
»Tendenz« (S. 19). Ähnliches läßt sich über Vergleiche
mit kurzfristigen Stilen in unserer zeitgenössischen Male-
rei sagen. Zwar sind wir im Denken unserer Zeit verwur-
zelt - was bleibt uns übrig? -, doch sollten wir unsere
Normen und Schemata nicht auf Verhältnisse übertra-
gen, die 1000 bis 3000 Jahre zurückliegen. Bei der nach
wie vor unsicheren Deutung vieler Phänomene im alten
Peru, bedingt durch die nahezu ausschließlich archäolo-
gische Basis wissenschaftlicher Erkenntnis, bleiben Spe-
kulationen nicht aus. Sie sollen auch nicht völlig beiseite
geschoben werden, müssen jedoch als solche kenntlich
gemacht werden. Anton vergißt an manchen Stellen, in
diesem Sinne zu handeln.
206
Buchbesprechungen Amerika
Einige materielle Aspekte der altperuanischen Hinterlas-
senschaften hätten etwas genauer festgelegt werden kön-
nen. Der Kopfschmuck mancher Notablen aus Moche-
und Chimü-Zeiten ähnelt zwar - zweidimensional be-
trachtet (Textilien) - der Form des Tumi (S. 151), doch
anhand von Keramik mit gleichen Schmuckformen kann
erkannt werden, daß es sich dabei um ausladende Feder-
büsche gehandelt hat. Dort, wo der Jaguar durch seine
Fellzeichnung zu identifizieren ist, kann er als solcher
ruhigen Gewissens genannt werden.
Diese kleinen kritischen Anmerkungen ändern allerdings
nichts an dem positiven Gesamteindruck des Buches.
Anton hat nicht in dem Sinne eine Publikation altindiani-
scher Textilkunst vorgelegt, als er sich in extenso nur
dem Textilmaterial der altperuanischen Kulturen gewid-
met hätte. Es ist mehr ein Bildband entstanden, in dem
auf der Grundlage der Kunst Alt-Perus im allgemeinen
und der Webkunst im besonderen die kulturelle Entfal-
tung des Mittleren Andenraumes in präkolumbischer
Zeit beschrieben wird. Viel Bekanntes wird dabei erneut
behandelt, viele weniger bekannte Details werden in
einen neuen Zusammenhang gestellt. Das macht den
Reiz der Veröffentlichung aus. Dazu treten qualitätvolle
Fototafeln sowie Zeichnungen im fortlaufenden Text,
mit denen die oft schwer verständlichen Motive der
altperuanischen Kunst auf eine Weise verdeutlicht wer-
den, wie sie kein Foto zustandebringt.
Axel Schulze-Thulin
Döring, Jürgen:
Kulturwandel bei den nordamerikanischen
Plainsindianern - Zur Rolle des Pferdes bei
den Comanchen und den Cheyenne. Mar-
burger Studien zur Völkerkunde, Band 4.
Marburg: Völkerkundliches Seminar der
Philipps-Universität 1983. 271 Seiten, 4 Ab-
bildungen, 4 Tabellen, 1 Karte.
Die vorliegende Arbeit ist die umfassende Behandlung
eines interessanten, immer wieder untersuchten, im Mit-
telpunkt der Plains-Kulturen Nordamerikas stehenden
Aspektes, der hier anhand von zwei ebenfalls sehr be-
kannten Ethnien als Thema einer völkerkundlichen Dis-
sertation gewählt wurde. Da Döring auf eine Fülle voran-
gegangener Untersuchungen zurückgreifen konnte, muß
sich das Ergebnis der Veröffentlichung daran messen
lassen, welche neuen Erkenntnisse vorgelegt werden.
In der Einleitung legt der Autor dar, daß er die Kultur
der beiden Ethnien vor der Übernahme des Pferdes als
Ausgang seiner Überlegungen genommen hätte. Aller-
dings baut er seine Arbeit nun nicht chronologisch darauf
auf, sondern versucht in einer Rückschau, von der Pfer-
dekultur auf den Zustand davor blickend, die Wandlun-
gen in den Kulturen der beiden Gruppen darzustellen.
»Die Lebensverhältnisse der Comanchen und der Che-
yenne vor der Übernahme des Pferdes« erscheint daher
erst als IV. und vorletztes Kapitel auf den Seiten 191 ff.
Dieses Vorgehen wird mit der mangelhaften Quellenlage
bezüglich der Vor-Pferde-Kultur erklärt.
Hinsichtlich seines Arbeitsansatzes ist es folgerichtig,
daß Döring unter Kulturwandel Akkulturation versteht.
Als obere Zeitgrenze nimmt er das »Ende der unabhän-
gigen Lebensweise beider Stämme (ca. I860)« an (S. 12).
Dem Akkulturationsbegriff stehen allerdings Bezeich-
nungen wie »gewaltsam« und »unerwünscht« (S. 9) weit-
gehend entgegen. Hier hätte der Verfasser zum besseren
Verständnis auf die Assimilation, deren Anfänge sich ja
doch bis in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts zurück-
verfolgen lassen, kurz eingehen sollen.
Besonderen Wert legt der Verfasser auf den Wirtschafts-
wandel, d.h. bei Jagd, Handel und Transport, sodann
auf die Auswirkungen auf das Kriegswesen und - was
davon kaum getrennt betrachtet werden kann - auf die
Sozialstruktur.
Neben den erwähnten Punkten werden in der Einleitung
(gleichzeitig I. Kapitel) die wissenschaftliche Grundlage
und Quellenlage dargestellt, verschiedene Begriffe erläu-
tert und eine Einführung in die Kultur der Comanchen
(Komanchen, auch Komantschen) sowie diejenige der
Cheyenne geboten. Der Inhalt des II. Kapitels »Die
Ausbreitung des Pferdes in die Plains« reicht von der
Domestikation dieses Tieres in Asien und Europa bis zu
seiner Übernahme durch die beiden indianischen Eth-
nien in Nordamerika. Den Hauptteil der Dissertation
bildet das III. Kapitel, in dem die Rolle des Pferdes bei
den beiden Gruppen, unter Einbeziehung weiterer
Plains-Indianer, beschrieben wird. Dieser Abschnitt ist
in neun Punkte untergliedert worden, die wiederum
mehrmals aufgeteilt sind. Döring bietet hier zahlreiche
Details der materiellen sowie immateriellen Kultur und
geht ebenfalls Fragen nach, die nur indirekt mit dem
Pferd Zusammenhängen. Wenn ihm auch dabei bei man-
cher Begriffsbestimmung und in einigen Einzelheiten
nicht immer voll gefolgt werden kann, so überwiegt doch
die Geschlossenheit der Darstellung, die Verbindung
historischer Daten mit solchen aus dem kulturellen Be-
reich sowie die pointierte Hervorhebung des Wesentli-
chen.
Nun ist selbst eine gekonnte und zusammenfassende
Darstellung der Pferdekultur zweier Plains-Stämme
nichts Neues. Worauf es ankommt, ist die zentrale Frage
nach den Auswirkungen des durch das Pferd ausgelösten
Kulturwandels. Ist die Antwort hierauf gelungen? Leider
kommt der Autor in seinem Hauptteil über eine deskrip-
tive Behandlung des Themas nicht hinaus. Zwar ist le-
sens- und begrüßenswert, daß Döring alles vorhandene
Wissen über das Pferd bei den beiden gewählten Grup-
pen gesammelt hat und geschlossen vorführt, doch ist
dies ja nicht sein Anliegen gewesen. Wie hat sich der
Kulturwandel, ausgelöst von der Übernahme des Pfer-
des, zwischen dem ausgehenden 17. Jahrhundert und
1860 abgespielt? Hierauf wird im Hauptteil nicht, wie
angekündigt, eingegangen. Dabei hätten sich viele Berei-
che angeboten. Zum Beispiel das Gebiet der Jagd: Wie
änderte sich die Bisonjagd (der Verfasser verwendet
auch das Wort »Büffel«) durch das Pferd? Zog die Ein-
führung des Pferdes über veränderte (und ergiebigere)
Jagdmethoden hinaus Wandlungen in der Versorgungsla-
ge (Pferdefleisch als Nahrungsmittel) nach sich? Welche
Auswirkungen hatte dies auf die Bevölkerungsvermeh-
rung? Ansätze zu Antworten auf diese und andere Fra-
gen sind zwar vorhanden, doch viel zu spät, im V. und
letzten Kapitel, werden Resultate vorgelegt, die nicht
detailliert erläutert werden. Es fehlt das Eingehen auf die
207
TRIBUS 35, 1986
Entwicklung, wie es zu den Wandlungen in verschiede-
nen gesellschaftlichen Bereichen kam.
Hinsichtlich des Wirtschaftsverkehrs unterscheidet Dö-
ring nicht zwischen den einzelnen Arten der Sachgüter-
übertragung und macht auch bei der Beschreibung der
»Handelsbeziehungen« keinen Unterschied zwischen in-
tertribalen und indianisch-euroamerikanischen Tausch-
beziehungen. Selbst in den Abschnitten über den »Han-
del mit den Indianern der Plains« (S. 126 ff.) sowie
»Handelsgüter und Handelsrouten« (S. 134 ff.) werden
nicht die indianischen Tauschwaren von denen euroame-
rikanischen Ursprungs (im intertribalen Wirtschaftsver-
kehr) abgegrenzt. Unter Hinweis auf das rein ethnohisto-
risch entwickelte Schema von Ewers (S. 109f.) lehnt der
Autor wegen der Gleichzeitigkeit der besagten Wirt-
schaftsverkehrsformen eine getrennte Behandlung ab,
vergißt jedoch, daß die Bedeutung des Tauschverkehrs
mit den Euroamerikanern diejenige des intertribalen
Wirtschaftsverkehrs bei weitem übertraf und für den
Kulturwandel ausschlaggebend war. Von besonderem
Interesse wäre es gewesen, Näheres darüber zu erfahren,
welche Auswirkungen der »Pferdehandel« auf den Kul-
turwandel hatte. Wenn Pferde bei den Comanchen Zah-
lungsmittel waren, jedoch das »traditionelle Angebot der
Plainsindianer - Felle und Fleisch« (vom Pferd) »nur eine
untergeordnete Rolle spielte« (S. 136), dann muß sich
doch in den Tauschbeziehungen während der Kontakt-
zeit ein bedeutsamer Wandel vollzogen haben. Im Ab-
schnitt über den Cheyenne-»Handel« wird zum Schluß
kurz auf politische und gesellschaftliche Wandlungen,
ausgelöst durch den, auf das Pferd zurückgeführten,
vermehrten Wirtschaftsverkehr hingewiesen (S. 152),
ohne jedoch diese Resultate hinsichtlich eines Kultur-
wandels näher zu bestimmen, zu erläutern oder ihnen im
einzelnen nachzugehen.
Entsprechend dem III. Kapitel ist das IV. angelegt. Auch
diese Passagen sind rein deskriptiv. Erst im V. Kapitel
(»Zusammenfassung: Der Einfluß des Pferdes auf die
Kulturwandelprozesse der Comanchen und der Cheyen-
ne«) kommt Döring auf den Bereich zu sprechen, den er
als Hauptüberschrift seiner Arbeit wählte. Dabei be-
schränkt er sich bis auf weiteres auf die durch das Pferd
ermöglichte größere Reichweite der Wanderungen sowie
auf die Verbesserung der materiellen Grundlage der
Daseinsgestaltung, was nicht nur auf die wesentlich grö-
ßere Jagdbeute, sondern auch auf ergiebigere Raub- und
Handelszüge zurückzuführen ist. Wiederholungen, wenn
auch in zusammengefaßter Form, kennzeichnen weite
Passagen. Auf Inhalte, die sich innerhalb des Begriffs
»Kulturwandel« bewegen, kommt der Verfasser dann
doch noch in seiner Darlegung des »durch das Pferd
initiierten Wandels der intratribalen Verhältnisse«
(S. 211) zu sprechen. Die durch Kapitalakkumulation in
Form von Pferdeherden und die spezielle Art der Eigen-
tumsaneignung (neben Tausch auch Diebstahl und
Raub) führten zu einer sich kontinuierlich steigernden
Bedeutung von Sozialprestige. Hier hätte Döring dem
Leser eingehendere Erkenntnisse vermitteln können,
wenn er sich auf eine der vorhandenen theoretischen
Grundlagen gestützt hätte, angebunden beispielsweise an
den Faktor Macht im Gefüge menschlicher elementarer
Verhaltensweisen. Auf Seite 212 spricht er von den bei
Comanchen »auf Besitzunterschieden basierenden Rang-
unterschieden«, die aber »geringere Auswirkungen als
bei den Cheyenne« gehabt hätten. Welche Auswirkun-
gen, ist zu fragen. Der Verfasser scheint damit zu mei-
nen, daß »dieser Prestigezuwachs nicht zu formalisierten
und institutionalisierten Rangstaffelungen« (S. 212)
führte. Allerdings scheint es sogar zu »neu entstandenen
Vererbungsregeln« (ibid.) gekommen zu sein, was doch
eine bedeutsame »Auswirkung« wäre. Die der Cheyen-
ne-Kultur durch den Pferdebesitz zugeschriebenen
Wandlungen bezüglich Sozialprestige und Macht inner-
halb der Gruppe - nach Döring im Gegensatz zu der
Comanchen-Kultur - werden nicht in dem Maße erläu-
tert, daß sie nicht auch auf die letztgenannten Indianer
zutreffen könnten. Eigentumsanhäufung bei den Che-
yenne in Form »großer Pferdeherden« soll eine der Vor-
aussetzungen für »den Aufstieg innerhalb der politischen
Rangordnung« (S. 213) gewesen sein. Das war doch bei
den Comanchen entsprechend, wenn auch vielleicht -
wegen der nicht so straff gegliederten politischen Ord-
nung - nicht so ausgeprägt.
Zu recht weist Döring darauf hin, daß die Rangordnung
der Cheyenne auf ihre Herkunft aus seßhaften Boden-
bauerverhältnissen zurückgeht. Doch leugnet er an die-
ser Stelle das weiter oben Behauptete, wenn er meint:
»Durch den Besitz des Pferdes wurden hier (bei der
politischen Rangordnung; Rez.) keine tiefgreifenden
Veränderungen ausgelöst« (S. 213). Direkt anschließend
behauptet er, daß »mit der Aufgabe des Feldbaus die bis
dahin existierenden Klane verschwunden« sind (ibid.).
Das würde ich nun auf jeden Fall eine »tiefgreifende
Veränderung« nennen, denn ohne das Pferd wäre ja
wohl der Rückfall in ein Jägerdasein nicht vollzogen
worden.
Die Rolle der Frau in der Cheyenne-Gesellschaft hat sich
durch das Pferd (sekundär; primär natürlich die Aufgabe
des Bodenbaus und die Rückkehr zur Jägerkultur) ent-
scheidend geändert. Dieser bedeutsame Punkt hätte es
verdient, stärker herausgearbeitet zu werden.
Die Unterschiede zwischen Comanchen und Cheyenne
hinsichtlich ihrer Herkunft aus Jäger/Sammler- und Feld-
bauerverhältnissen werden auf S. 219 aufgegriffen.
Wenn sie auch in den vorausgegangenen Darlegungen
immer wieder durchschimmern, so hätten sie den Haupt-
teil der Arbeit prägend beeinflussen sollen, liegt hier
doch der Ansatz für die vergleichende Behandlung des
Themas »Kulturwandel«.
Wird der Begriff des Kulturwandels einer Beurteilung
der Arbeit zugrunde gelegt, und er sollte ja laut Über-
schrift der Publikation im Mittelpunkt der Überlegungen
stehen, muß gesagt werden, daß die unterschiedlichen
Kulturwandeiprozesse auf den nördlichen und südlichen
Plains nicht für jedermann so einsichtig herausgearbeitet
wurden, wie dies das Anliegen des Verfassers war
(S. 222ff). Es ist nicht recht zu erkennen, daß Döring in
seiner Arbeit zu einer detaillierteren Beurteilung oder
anderen Ergebnissen kommt als die Autoren des anglo-
amerikanischen und deutschen Sprachraums, über die er
das Thema hinausführen wollte. Zuzugestehen ist ihm,
daß er die differenzierende Betrachtung der Plains-Kul-
turen, wie sie seit einigen Jahrzehnten praktiziert wird,
weitergeführt hat. Der Wert der vorliegenden Publika-
tion scheint mir denn vor allem darin zu liegen, daß der
Verfasser den Pferdebereich zweier Plains-Kulturen nach
208
Buchbesprechungen Amerika
allen nur denkbaren Richtungen durchleuchtet hat. Da-
gegen konnte er den Kulturwandel, den er an einen
Faktor, das Pferd, angebunden hat, wegen der mangel-
haften Quellenlage vor Einführung des Pferdes bei den
beiden Ethnien nicht so herausarbeiten, wie er es selbst
gewünscht hat.
Axel Schulze-Thulin
Donnan, Christopher G. (ed.):
Early Ceremonial Architecture in the An-
des. A Conference at Dumbarton Oaks,
8.-10. October 1982. Washington, D. C.:
Dumbarton Oaks 1985. 289 Seiten, zahlrei-
che Schwarzweiß-Abbildungen und Strich-
zeichnungen.
Der 1982 in Dumbarton Oaks veranstaltete Kongreß
über »Frühe Zeremonialarchitektur in den Anden« ist
vom Organisator Chr. Donnan herausgegeben worden.
Die elf Beiträge sind von E. Boone mit einem Vorwort
und vom Herausgeber mit einer Einleitung versehen.
Burger faßte sie in einem Abschlußkapitel zusammen.
Die Publikation ist dem im Kongreßjahr verstorbenen J.
Bird gewidmet, das impliziert gleichsam eine program-
matische Aussage: So hebt G. Willey in seiner Laudatio
hervor, daß J. Bird eine vor-chavin-zeitliche, »präkera-
mische« Kulturstufe identifiziert hat. Die Folgen dieser
Entdeckung haben, wie E. Boone und R. Burger beto-
nen, seit der Zeit der »Dumbarton Oaks Converence on
Charin« (1968), zu einer beträchtlichen Veränderung in
der Sicht der frühen Epochen des Andenbereichs ge-
führt. Chr. Donnan begründet die Wahl des Kongreß-
Gegenstandes damit, daß man von den konkreten »Zere-
monial-Architektur«-Befunden her am günstigsten einen
Überblick über die komplexe Thematik vermitteln kön-
ne. Die Beschränkung auf den zentralandinen Bereich
fand freilich im Titel keinen Niederschlag.
M. Moseley leitet in einem allgemein gehaltenen Beitrag
über die Problematik der frühen Monumentalarchitektur
in das Thema ein. Er stellt dar, wie theoretische Entwür-
fe den Blick auf archäologische Befunde verstellt haben.
Uhles Konzeption der Anfänge andiner Kulturgeschichte
mit Muschelsammeln und Fischereibetreibenden Grup-
pen war unkritisch übernommen worden. Dies führte
dazu, daß erst lange nach Grabungen und Publikation die
Hügel im keramikfreien Fundort Aspero bei Supe als
Monumentalarchitektur erkannt wurden. Moseley läßt
unerwähnt, daß diese Neubeurteilung unmittelbar auf
die Anschauung der Grabungsergebnisse F. Engels, E.
Lannings und W. Wendts in Rio Seco zurückgeht. Er
entwirft ein Bild von hypothetischen Architektur-Tradi-
tionen des zweiten vorchristlichen Jahrtausends, die im
späten ersten Jahrtausend eine Synthese gefunden hätten
in der Anlage von Chavin de Huantar. Nach Moseley
unterscheiden sich diese zahlreichen Anlagen in ihren
Grundstrukturen nicht von jener, er hält jedoch auf-
grund von C14-Daten und dem Fehlen von Keramik eine
frühe Zeitstellung dieser Anlagen für gesichert.
Patterson legt von einer der meisterforschten Anlagen,
der bei Lima gelegenen Huaca La Florida, erstmals eine
isometrische Skizze und ein Luftbild aus der Zeit vor der
teilweisen Überbauung und Zerstörung dieses großen U-
förmigen Komplexes vor. Ein kleines Profil gibt Hinwei-
se auf Konstruktionstechnik und Aufbau, ca. 500 Scher-
ben aus dem überbauten Zusammenhang (La Florida-
Stil) stellt er in den Zusammenhang seiner unpublizierten
Sequenz von Ancön. C14-Daten aus funktionell und stra-
tigraphisch nicht näher identifiziertem Zusammenhang,
nahe der Basis des Hauptbaus und des nördlichen Flü-
gelbaus, ergeben Daten aus der ersten Hälfte des zweiten
vorchristlichen Jahrtausends. Dies und das Fehlen von
Keramik jüngerer Stile seiner Ancön-Sequenz veranlas-
sen Patterson, eine frühe Zeitstellung und kurze Erbau-
ungszeit sowie Nutzung der Anlage anzunehmen. Aus
der letzteren Annahme schließt Patterson auf eine hohe
Bevölkerungszahl in der Erbauungszeit von Huaca La
Florida. Schließlich folgert er aus der großen Bevölke-
rung und den naturräumlichen Gegebenheiten auf das
notwendige Vorhandensein von künstlicher Bewässerung
im frühen zweiten Jahrtausend im Rimac-Tal.
R. Feldmans Beitrag besteht im wesentlichen aus Schluß-
folgerungen, die er aus den in Kurzform nochmals darge-
legten Ergebnissen der Grabungen in der Huaca de los
Idolos von Supe Aspero zieht. Erstmals sind außer einer
isometrischen Rekonstruktion ein Plan der Bebauung
dieser Plattform und Strichzeichnungen der Hauptprofile
vorgelegt. Aus den Profilen läßt sich nicht belegen, daß
alle im Plan wiedergegebenen Mauern zeitgleich bestan-
den haben. Dies wirft ein großes Fragezeichen auf die
Rekonstruktion, zumal sich die Bebauung in verschiede-
nen Ebenen findet. War der zentrale (?) Nischenraum
der übrigen Bebauung zugehörig, so handelte es sich, im
Gegensatz zur Wiedergabe in der Rekonstruktionszeich-
nung, um einen in die Plattform beträchtlich eingetieften
Raum. Es wäre günstig gewesen, in der isometrischen
Darstellung auch graphisch zu verdeutlichen, daß keiner-
lei Beleg für die angedeutete stumpfpyramidenförmige
Außenkontur des Plattformbaus spricht, daß die Umriß-
form nur seine Größe im Verhältnis zur Bebauung an-
deuten sollte.
T. Grieder und A. Bueno M. stellen in einem Bericht
über ihre Grabungen in La Galgada, ca. 120 km von der
Pazifik-Küste entfernt gelegen, an einem Nebenfluß des
Santa, die mehrfach überbauten Großarchitektur-Anla-
gen dieses Fundorts vor und entwerfen ein Bild seiner
Baugeschichte. Am Anfang standen ein großer Rundhof
und zwei mit asymmetrisch verteilten, zumeist rundli-
chen Kammern bestandene Plattformen, erbaut aus Ge-
röll mit Lehmmörtel, verputzt und weißlich bemalt. In
der Mitte der leicht eingetieften Räume lag die, zumeist
rundliche, Feuerstelle mit Belüftungstunnel; breite, hohe
Sockel umgaben das mittlere Rechteckfeld. Die Wände
waren im Oberteil durch symmetrisch verteilte, fundlee-
re Nischen gegliedert. Aus Versturz, Türstürzen und
anderen Befunden werden flache, verputzte Balkendä-
cher erschlossen, die sich nicht erhalten haben, da diese
Kammern im Zusammenhang mit Überbauungen soweit
mit Blöcken zugesetzt worden sind, daß nur ein schmaler
Umlauf verblieb, der zu Schachtgräbern umgebaut wur-
de, teilweise enthielten diese mehrere Nachbestattungen.
Über den Grabkammern wurden neue Räume errichtet.
Insgesamt wurden beide Plattformen zweimal überbaut.
Eine der jüngeren Überbauungen ist durch eine symme-
trische Disposition, einen zentralen Rechteckraum mit
209
großer belüfteter Feuerstelle, charakterisiert: in diesem
Zusammenhang sind in geringer Menge Keramik sowie
gewebte Textilien mit Feliden(?)-Ikonographie gefunden
worden. Die Befunde der jüngsten Überbauung deuten
nach Grieder und Bueno hin auf eine U-förmige Anord-
nung von Plattformbauten um einen leicht eingetieften
Rechteckhof auf dem größeren Plattformbau, auf den
eine Zentraltreppe hinaufführte. Die Autoren schließen
aus den vorgestellten Befunden, daß sich in La Galgada
eine Entwicklung der Sakralarchitektur spiegle, die bei
Bauten, ähnlich Kotosh-Mito beginne und mit U-förmi-
gen Anlagen wie in Chavin de Huantar selbst und den
ähnlich strukturierten Komplexen an der Küste ende. Es
steht zu hoffen, daß diese Hypothese aufgrund einer
vollständig dokumentierten Publikation der Funde und
Befunde überprüfbar sein wird, bis dies dann auch für die
religions- und sozialgeschichtlichen Entwürfe der beiden
Autoren, über Feuer- und Wasserkulte, »energy flow«
etc. möglich sein wird, ist im höchsten Grade zweifelhaft,
da kein Hinweis auf derart weitreichende Theorien stüt-
zende Befunde gegeben wird.
R. Burger und L. Salazar-Burger geben eine Übersicht
über die Architekturbefunde und Funde ihrer Grabung
in Huaricoto, Callejon de Huaylas, dem oberen interan-
dinen Santa-Tal. Mehrere überbaute Plattformen, je-
weils in Verbindung mit verschiedenartigen, teils sehr
großen und komplexen Feuerstellen, Belüftungs- und
Wasserkanälen sowie steingebauten Räumen, sind, abge-
sehen vom untersten Bauhorizont, mit verschiedenarti-
ger Keramik in geringen Stückzahlen vergesellschaftet.
Nur im Kontext der jüngsten Anlage kam eindeutige
Chavin-Keramik zutage. Überlagernde Schichten aus
jüngerer Zeit konnten nicht mit Baubefunden in Zusam-
menhang gebracht werden. Die Keramikfunde aus Bau-
zusammenhang ließen sich nach Phasen gliedern, die die
Autoren mit typologischen Phasen an der Küste und im
Hochland parallelisieren. Es ließen sich jedoch in Huari-
coto keine diesen Phasen jeweils entsprechenden, cha-
rakteristischen Feuerstellen- oder Bauformen nachwei-
sen: so fand sich z.B. eine bestimmte spezialisierte Feu-
erstellenform in der jüngsten, chavin-zeitlichen und in
der ältesten, akeramischen Phase. Die Tatsache, daß der
Bereich der Anlagen nahezu fundleer war, bringen die
Autoren mit ritueller Reinheit in Zusammenhang. Die
häufige Erneuerung und sorgfältige Überbauung von gut
erhaltenen Herdstellen deuten sie als Spiegel zyklischer
Aktivitäten, die nicht profaner, sondern sakraler Zeit
und Örtlichkeit entsprechen. Aufgrund dieser Interpre-
tationen deuten sie Huaricoto als Zeremonialzentrum.
Burger betont zurecht das Hypothetische dieser Deu-
tung, da die angeführten Interpretationen die einzigen
Argumente für Zeremonialarchitektur sind. Im frühen
Andenraum sind einerseits gewiß nicht alle fundarmen
Anlagen mit häufiger Überbauung Zeremonialanlagen,
andererseits fanden sich in einigen gesicherten Zeremo-
nialzentren, wie z.B. Poro Poro bei Udima im oberen
Zana-Tal, reiche Fundmengen. Selbst in Chavin de Hu-
antar fand W. Bennett in seinen kleinflächigen Sondagen
Chavin-Keramik verschiedener formativzeitlicher Pha-
sen. Umbauten in kurzem zeitlichem Abstand sind auch
im Bereich von Wohnsiedlungen häufig in neuerer Zeit
dokumentiert, z.B. durch Grabungen im Jequetepeque-
und Zana-Tal. In diesem Zusammenhang fragt Burger
als einer der ersten, wie und warum welche der ergrabe-
nen Aufschüttungen entstanden sind. Konsequent for-
dert er großflächigere Ausgrabungen mit dem Ziel der
Klärung der jeweiligen Fundzusammenhänge. Diese For-
derung - in anderen Archäologien durchaus selbstver-
ständlich - wird hier erstmalig derart prononciert an die
andine Archäologie gestellt, ganz im Gegensatz zu der
hier noch immer geläufigen Methode der zufälligen
Stichprobe (»Sampling«).
Ähnlich elementar sind die methodischen Forderungen
W. Conklins anläßlich seiner baugeschichtlichen Unter-
suchung der hervorragend erhaltenen Anlagen von Hua-
ca Los Reyes im Moche-Tal: so z.B. die Forderung,
Architektur-Stile chronologisch auszuwerten und bei
derartigen Untersuchungen die Lage der einzelnen Bau-
einheiten zueinander, Anbauten, formale Stilelemente
und Überbauungen relativchronologisch auszuwerten.
Die Berücksichtigung des Verhältnisses von geomorpho-
logischen Gegebenheiten zu Bauten ist ebenfalls neu: so
interpretiert Conklin z. B. das zeitliche Verhältnis zweier
Anlagen aus ihrem Verhältnis zu einer Erosionsrinne,
die einen Bau randlich schneidet, und über deren randli-
chen Zuschüttungen sich in geringer Entfernung ein an-
derer Bau erhebt. Conklin stellt eine neunphasige Ent-
wicklung der Anlage Huaca Los Reyes dar, nahezu aus-
schließlich gestützt auf die Disposition der Gebäude und
ihre Architektur-Stile, wobei nicht immer deutlich wird,
was die »Stile« jeweils charakterisiert. Der Autor ver-
steht die Entwicklung des Baukomplexes als additiven
Prozeß, wobei dem Hauptbau paarweise Einheiten vor-
gesetzt und angefügt worden seien. Für diese Konzeption
spricht eine gewisse Wahrscheinlichkeit, eindeutige Bele-
ge für ihre Richtigkeit sind aus Conklins Arbeit aller-
dings nicht zu ersehen. Eine abschließende Vorlage der
Dokumentation der in den Jahren 1973 und 74 durchge-
führten Grabungen in Huaca Los Reyes, der Profile,
Maueranschlüsse etc., dürften die Hypothesen Conklins
überprüfbar werden lassen.
Der Bericht von L. Samaniego, E. Vergara und H.
Bischof über Cerro Sechin gibt erstmals einen vollständi-
gen Überblick über die Erforschung dieser von Julio C.
Tello entdeckten und erstmalig untersuchten Anlage,
deren einzigartigen Darstellungen in den vergangenen
Jahrzehnten zu so kontroversen Stellungnahmen hin-
sichtlich ihrer chronologischen Stellung geführt haben.
Thermoluminiszenz- und CI4-Daten werden vorgelegt.
Eine C14-Probe stammt aus funktional geklärtem, eindeu-
tig dem Bauzusammenhang zuzuordnenden Kontext; ein
seltener Fall in der Archäologie der andinen Frühzeit.
Erstmalig liegt ein nach Phasen differenzierter Plan von
Sechin vor. Die gemalten, Lehmskulptur- und Steinre-
lief-Darstellungen werden nach Bauphasen-Zugehörig-
keit vorgelegt. P. Roes Vergleich ikonographischer Ele-
mente, die zu einer Einordnung Sechins in eine späte
Phase der Entwicklung von Chavin de Huantar geführt
hatten, werden widerlegt. Eine breiter angelegte archäo-
logische Argumentation zur kulturgeschichtlichen Beur-
teilung Sechins ist an anderer Stelle veröffentlicht wor-
den (Bischof 1984).
Die von K. Terada vorgestellten Anlagen von Huacalo-
ma und Layson im nordperuanischen Hochland von Ca-
jamarca, sind unter den im Kongreß dargestellten die
einzigen, von denen abschließende, ausführliche Gra-
210
Buchbesprechungen Amerika
bungspublikationen vorliegen. Es ist wohl aufgrund der
zahlreichen jüngeren Überbauungen nicht gelungen, ei-
ne Vorstellung der formativzeitlichen Gesamtanlage von
Huacaloma zu gewinnen. Bemerkenswert sind hier Ein-
zelbefunde der ältesten Bauphase (Huacaloma Früh)
sowie Reste einer großen, polychromen Wandmalerei
aus einer jüngeren formativen Phase (Huacaloma Spät).
Für das Kongreßthema hat vor allem die monumentale
Anlage von Layson große Bedeutung. Vor einem monu-
mentalen Plattformbau liegt eine ausgedehnte Terrassen-
Sequenz. Diese Anlage ist nach dem Ende der formati-
ven Zeit, in der salinarzeitlichen sog. Layson-Periode,
erweitert und ausgebaut worden. Damit ist der Nachweis
einer Kontinuität von Monumentalarchitektur von der
Formativzeit bis in die sog. »frühe Zwischenzeit« er-
bracht. Auch in Huacaloma sind Hinweise auf derartige
Kontinuitäten gefunden worden: hier sind in der Layson-
zeit Luftkanäle von Feuerstellen angelegt worden, wie
sie von Kotosh Kotosh, Shillacoto, Huaricoto und La
Galgada als Element der sog. »Kotosh religious tradi-
tion« bekannt sind.
R. Ravines stellt die Ergebnisse seiner Begehungen,
Reinigungsarbeiten und Sondagen im mittleren Jequete-
peque-Tal in einem kurzen Beitrag dar. Über diese Ar-
beiten liegen bereits umfangreiche Berichte vor (Ravines
1981, 1982). Die niedrigen Plattformbauten liegen dicht
gestreut auf Hangschuttfächern über der Talaue und
weisen z.T. vorgelagerte, eingetiefte Höfe auf. In zwei
Fällen begrenzen Seitenbauten und ein Hauptbau auf
den Plattformen eine Fläche U-förmig. Die Variationen
in Anlage und Bauform sind nach Angaben des Autors
nicht chronologisch, sondern rituell bedingt, eine Hypo-
these, deren Überprüfung erst nach der Dokumenta-
tionsvorlage möglich sein wird. Nach Ravines standen
die Bauten nicht isoliert, sondern waren von Wohnsied-
lungen umgeben.
C. Williams stellt in seinem Beitrag eine Hypothese der
Entwicklung U-förmiger Anlagen und eingetiefter Rund-
höfe vor, wobei er vermutet, die ersteren seien an der
Zentralküste Perus entstanden, letztere an der Nordkü-
ste. Beide Elemente verbinden sich in der von L. G.
Lumbreras erforschten, älteren Anlage von Chavin de
Huantar, die Williams als Synthese der beiden Traditio-
nen sieht. Die jüngere Anlage von Chavin de Huantar
mit dem niedrigen, quadratischen Hauptbau und dem
eingetieften Rechteckhof, hält Williams für eine neue
Grundform, die sich in Anlagen der Nord- und Zentral-
küste Perus einerseits, bis nach Ayacucho, Puno und
Bolivien andererseits, in Bauten und Anlagen spiegle.
D. Lathrap stellt die Frage nach der Bedeutung der
formativzeitlichen Architekturanlagen für die Kulturen
der peruanischen Frühzeit. Ausgangspunkt ist die Beob-
achtung, daß sie jene Ordnungen spiegeln, welche die
gesamten Tätigkeiten in diesem Kulturbereich regeln.
Lathrap sucht große Steinskulpturen der Chavinzeit (Tel-
lo-Obelisk, Yauya-Stele, »lächelnder-Gott-Relief«) als
Kaiman-Darstellungen zu deuten, dessen Rachen Sym-
bol der Weltordnung sei. In diesem Sinn interpretiert er
die großen Anlagen der peruanischen Frühzeit als Kai-
man-Darstellungen, zentrales Symbol sowohl der zen-
tralandinen als auch, wie Lathrap an Stelen von Izapa
und Palenque darzustellen sucht, der mesoamerikani-
schen Kulturen.
R. Burger stellt im Abschlußkapitel der von Tello inspi-
rierten Konzeption des ersten Chavin-Symposiums seine
Sicht von der peruanischen Frühzeit entgegen. Die Ar-
beiten von Patterson und Moseley in Huaca Florida und
Ancón, von Rosas/Shady und Kaulicke in Pacopampa/
Pandanche, von Scheele und Williams über die Zentral-
küsten-Großarchitektur, von Watanabe und Pozorski in
Huaca de los Reyes, von Alva u.a. im Zaña-Tal, von
Shimada in Batán Grande - um nur die wichtigsten
Forschungen zu erwähnen - erbrachten Burger zufolge
u.a. als wesentlichste Erkenntnis, daß bedeutende Ar-
chitektur mit bemerkenswerter regionaler Differenzie-
rung vor der Chavinzeit bestanden hat. Dies gelte nicht
nur für die Küste, sondern auch für die Kordillerenberei-
che, wie die Ausgrabungen in La Galgada, Huaricoto,
Huacaloma und Kotosh belegten. Letzteres ist vor allem
im Hinblick auf Moseleys Theorie von den Ursprüngen
der Andenzivilisation aus aneignender Fischerei-Wirt-
schaft bedeutsam. Burger weist diese Theorie als Verein-
fachung zurück. Er sieht die Beiträge des vorliegenden
Bandes als Bestätigungen seiner Relativierung der Cha-
vin-Kultur hinsichtlich andiner Ursprungsfragen. Burger
übt jedoch Kritik am Fehlen archäologischer Argumente
und chronologischer Einbindung nicht nur bei den Arbei-
ten der Architekten Williams und Conklin und sieht
hierin ein weitreichendes Problem andiner Archäologie.
In diesem Punkt liegt aber auch die Schwachstelle von
Burgers Konzeption: Was bedeutet »prächavin«? Wo
liegt der Beginn von Chavin? Erfassen Rowes sechs
Phasen des Chavin-»Horizonts« die gesamte Entwick-
lung dieses Stils? Wie verhält sich die frühe Architektur
des Zentralandenraums zu dieser Entwicklung? Wie ein-
heitlich ist die Chavinarchitektur in chronologischer und
chorologischer Hinsicht?
Neue Forschungen in Siedlungen und Anlagen des Je-
quetepeque- und Zaüa-Tals (Alva 1986 a, Tellenbach
1981, 1984) ziehen die »Prächavin«-Zuweisung »initial-
zeitlicher« Keramik von Pacopampa/Pandanche, Huaca-
loma und Guañape in Zweifel: neue Untersuchungen im
Chao-Tal (Alva 1986 b) werfen die Frage nach der Gül-
tigkeit von Konzeptionen bestimmter »präkeramischer«
Kulturstufen neu auf. Die Erforschung dieser Fragen
steht in den Anfängen, und die Beiträge des vorliegen-
den Bandes stellen an neuem Material und aus anderer
Perspektive dieselben Probleme dar, die auch schon Tel-
lo sah; sie geben jedoch keine Antworten auf sie.
Michael Tellenbach
Literatur
Alva, W.: Formativzeitliche Heiligtümer im Zaña-Tal,
Nordperu. AVA-Materialien 33. 1986a.
Ders.: Las Salinas de Chao. Frühe Siedlung in Nordperu.
AVA-Materialien 34. 1986b.
Bischof, H.: Zur Entstehung des Chavin-Stils in Alt-
Peru. AVA-Beiträge Band 6, 355-452. 1984.
Ravines, R.: Mapa Arqueológico del Valle del Jequete-
peque. Materiales para la Arqueología del Perú/1. Proy-
ecto de Rescate Arqueológico Jequetepeque INC/DEJE-
ZA. Lima. 1981.
Ders.: Arqueología del Valle del Jequetepeque. Proy-
ecto de Rescate Arqueológico Jequetepeque INC/DEJE-
ZA. Lima. 1982.
Tellenbach, M.: Vorbericht über die erste Kampagne der
211
TRIBUS 35, 1986
Ausgrabung bei Montegrande im Jequetepeque-Tal,
Nordperu. AVA-Beiträge 3, 415-435. 1981.
Ders. u.a.: Dritter Vorbericht über die Ausgrabungen
im Jequetepeque-Tal, Nordperu. AVA-Beiträge Band 6,
483-557. 1984.
Latocha, Hartwig:
Die Rolle des Hundes bei südamerikani-
schen Indianern. (Münchner Beiträge zur
Amerikanistik, 8). Hohenschäftlarn: Klaus
Renner Verlag 1982. XI + 557 Seiten, Ab-
bildungen auf 7 Tafeln, 6 Figuren.
Ein solches Buch kann wohl nur ein Hundenarr schrei-
ben. Ich setze voraus, daß der Autor dieser Kategorie
Mensch angehört. Und so hat er denn sein Thema nach
allen nur denkbaren Seiten beleuchtet, was sich auch in
einer sehr aufgeschlüsselten Gliederung der Publikation
niederschlägt. Übrigens dürfte das Werk Latochas, im
Wintersemester 1981/1982 als Dissertation in München
angenommen, auch für denjenigen lesenswert sein, der
noch nicht auf den Hund gekommen ist, enthält es doch
eine Fülle allgemein interessierender völkerkundlicher
Details, sei es in religions- und wirtschaftsethnologischer
oder ökologischer oder soziologischer Hinsicht. Für den
Amerikanisten sind besonders die Untersuchungen des
Verfassers bezüglich vorkolumbischer Verhältnisse sowie
die aufgezeigten Unterschiede zwischen außerandinen
Regionen und dem Andenraum aufschlußreich. Dabei
stützte sich Latocha allerdings weniger auf archäologi-
sches Material, das er späteren ergänzenden Forschun-
gen überlassen wollte. Er hat sich vornehmlich auf
schriftliche Quellen sowie eigene Feldforschungsbeob-
achtungen sowohl im Hoch- als auch im Tiefland der
heutigen Staaten Ekuador, Peru und Bolivien be-
schränkt. Vereinzelt zog der Autor auch Beispiele aus
Nord- und Mesoamerika sowie aus dem karibischen
Raum heran.
Das Thema verlangte von Latocha eine weitgehend inter-
disziplinäre Vorgehensweise. Insbesondere die Zoologie
ist hier angesprochen, in etwas geringerem Maße auch
die Urgeschichte. Der Verfasser hat sich jedoch bemüht,
immer wieder völkerkundliche Aspekte in den Vorder-
grund zu stellen. Dies ist ihm sehr gut gelungen, so daß
die Arbeit ihren Platz mit voller Berechtigung in der
Ethnologie gefunden hat. Welche Schwierigkeiten sich
dem Autor bei der Bewältigung seiner Aufgabe entge-
genstellten, zeigt, daß er nicht nur in ethnologischer
Hinsicht, das heißt durch weit fortgeschrittene Assimila-
tion- und Akkulturationsprozesse innerhalb der indiani-
schen Kulturen, Hürden zu überwinden hatte, sondern
auch im Hinblick auf die Zoologie. So gibt es wegen der
Einführung europäischer Hunde in Südamerika seit Ko-
lumbus so gut wie keine unvermischten Indianerhunde
mehr.
In allen untersuchten Bereichen arbeitete Latocha sehr
akribisch und kenntnisreich. So geht er zum Beispiel in
den Passagen über den Hund als Eigentum nicht nur der
Uralt-Frage nach, ob Kollektiv- oder Individualeigentum
(an Hunden) existierte, oder ob die Hunde bei der
jeweiligen Ethnie im Eigentum des Mannes oder der
Frau standen, sondern er unterscheidet hier wohltuend
auch zwischen Besitz- und Eigentumsverhältnissen - kei-
ne Selbstverständlichkeit (leider).
Der Autor hat seinen Stoff in zehn Hauptabschnitte
A-K (ohne I) unterteilt. Jeder dieser Abschnitte ist oft
mehrmals untergliedert. Beispiel: H. Der Hund in den
Jenseitsvorstellungen... II. Der Hund als Seelenbeglei-
ter. .. 2. Die Behandlung des Hundes nach dem Tod
seines Herrn a) Rezente Beispiele aus dem außerandinen
Südamerika. Im ersten Abschnitt (A) stellt Latocha
»zoologische und haustierkundliche Betrachtungen« an.
Er geht hier vor allem Fragen nach der Abstammung des
Haushundes und seiner Verbreitung im präkolumbischen
Amerika nach. Im zweiten Teil (B) wird die Hundehal-
tung bei südamerikanischen Indianern beschrieben. Die
Themen reichen von der Behandlung der Hunde durch
die Indianer über ihre Verpflegung, Aufzucht, Eigen-
tumsfragen im Zusammenhang mit inter- und intratriba-
lem »Handel« (besser Tausch oder - weitergefaßt - Wirt-
schaftsverkehr genannt) bis zum »Nutzwert« des Hun-
des. Im dritten Abschnitt (C) wird der Hund als Jagdge-
fährte vorgestellt. Im nächsten Kapitel (D) geht Latocha
auf »die Seele des Hundes« ein (D.). Dabei wird gleich-
falls »der mythische Ursprung des Hundes« (D. IV.)
behandelt. Es folgt »Der Hund in Zusammenhang mit
Krankheit und Medizinmannwesen« (E). In diesem Teil
werden bestimmte Funktionen des Hundes, zum einen
»Krankheitsbringer«, zum anderen »Heilmittel«, einan-
der gegenübergestellt. In den sich anschließenden Ab-
schnitten F bis K werden weitere religiöse Bereiche, die
mit dem Hund in Südamerika Zusammenhängen, be-
leuchtet. Latocha behandelt hier Mythen, Jenseitsvor-
stellungen und Naturerscheinungen, die von den Auto-
chthonen auf den Hund zurückgeführt wurden und teil-
weise noch werden. Eine »Zusammenfassende Betrach-
tung und Ergebnisse« beschließen die skizzierten Haupt-
teile des Buches. Im Anhang folgen unter dem Titel
»Erzählungen« 67 Mythen, sagenähnliche Berichte und
Märchen, weiterhin verschiedene Karten, ein Bildteil
(Zeichnungen) mit Erläuterungen, eine Liste mit indiani-
schen »Bezeichnungen für Haushund und Jaguar«, ein
Literaturverzeichnis sowie eines der Abkürzungen und
eine spanischsprachige Zusammenfassung.
Ohne Übertreibung kann behauptet werden, daß Lato-
cha die ihm gestellte Aufgabe umfassend gelöst hat. Wer
immer sich in Zukunft mit einem ethnologischen Detail-
bereich des autochthonen Südamerika, in dem der Hund
vorkommt, beschäftigen wird, muß auf das vorliegende
Werk zurückgreifen.
Axel Schulze-Thulin
Kaalund, Bodil:
The Art of Greenland - Sculpture, Crafts,
Painting. Translated by Kenneth Tindall.
Berkeley u. a.: University of California Press
1983 (1979). 224 Seiten, 339 Färb- und
Schwarzweiß- Abbildungen.
Mit einer durch ihre Kürze und Klarheit beeindrucken-
den Graphik (2. USS) wird dem Leser gleich zu Anfang
des Buches der zeitliche Rahmen vorgestellt, den die
Autorin erfaßt hat, von ca. 1600 v. Chr. bis heute. Kunst
212
Buchbesprechungen Amerika
wird von ihr in der umfassendsten Bedeutung des Wortes
gesehen. Es ist daher verständlich, daß sie der funktiona-
len Kunst breiten Raum gibt. In dem Kapitel »Crafts«
wird diese »Kunst« beispielhaft anhand von Kayak und
Umiak, außerdem dem Schlitten, dem äußeren und inne-
ren Wohnbereich sowie der Kleidung erläutert. Entge-
gen der Meinung von Roland Force in seinem Grußwort
überrascht es keineswegs, daß die Eskimo kein Wort für
»Kunst« haben. Sie reihen sich damit in die meisten
vorhochkulturlichen Autochthonen der Welt ein. Den
religiösen Sektor als die stärkste Antriebskraft für das,
was wir uns angewöhnt haben, »Kunst der Primitiven»«
zu nennen, erfaßt Kaalund in einem einführenden Ab-
schnitt »Cult and magic« sowie später in dem Kapitel
»Sculpture«. Doch wie hat die Verfasserin ihr Thema
überhaupt gegliedert?
Die Antwort lautet: sehr knapp, was allerdings den Vor-
teil der Übersichtlichkeit mit sich bringt. Eine Einfüh-
rung in Geschichte und Kunstgeschichte der grönländi-
schen Eskimo bietet das erste Kapitel »A people of
Wanderers«. Hier führt Kaalund nicht nur die technisch
gekonnte Daseinsbewältigung der Eskimo auf die strenge
Umwelt der Arktis zurück, sondern auch die künstleri-
schen Begabungen der Polargruppen. In gewisser Weise
ist dies berechtigt, denn die jägerische Kunst ist - von
den Anfängen bis in die jüngste Vergangenheit - doch
hauptsächlich auf den Jagderfolg gerichtet gewesen,
wenn auch vielleicht in etlichen Fällen unbewußt. Alle
anderen Erklärungsversuche sind unbefriedigender und
weniger wahrscheinlich, wenn auch immer wieder da-
nach getrachtet wird, die jagdmagische Komponente der
primitiven Kunst zu verwerfen. Obwohl die Autorin dies
alles auch sieht, und die Eskimo sind ja das Paradebei-
spiel spezialisierter Jäger in Reinkultur, fehlt mir doch
bei ihr die Einbettung ihrer Aussagen in einen theoreti-
schen Rahmen. Unter Umständen hängt das damit zu-
sammen, daß sie die Dinge vor allem als Künstlerin sieht
und beschreibt. Selbstverständlich verarbeitet sie dabei
völkerkundliche Tatbestände, doch ohne ein ethnologi-
sches Gerüst als Grundlage zu benutzen. Die Mitteilun-
gen von Informanten, zitiert nach älteren Quellen, wer-
den zwar als Erklärung vorgelegt, doch fehlt das eindeu-
tige Fazit. Dennoch machen zahlreiche, insbesondere
geschichtliche Details, zum Beispiel Begebenheiten aus
den 20er Jahren, das Buch zu einer Fundgrube für den
historisch und ethnologisch interessierten Leser. Kaa-
lund beschränkt sich dabei keineswegs nur auf Grönland,
sondern liefert auch Beispiele aus anderen arktischen
Regionen, nicht nur in Worten, sondern ebenfalls in
Bildern.
Nach der Einführung in die Welt der Eskimo wendet sich
die Verfasserin dem künstlerischen Bereich zu, der die
arktischen Ethnien neben ihrer Umweltbewältigung be-
rühmt gemacht hat. Unter der Überschrift »Sculpture«
erfaßt sie die Werke des 20. Jahrhunderts. Der Leser
merkt recht schnell, daß dies ihr eigentliches Metier ist.
Wir lernen, welche Wandlungen sich in den zurücklie-
genden fast neun Jahrzehnten auch auf Grönland vollzo-
gen haben. Abgesehen von den Tupilaken (einge-
deutschter Begriff; an sich tupilek = Mehrzahl von tupi-
lak) erinnern nur noch die Motive der Schnitzwerke aus
Stein, Holz, Bein und Geweih an das traditionelle Eski-
mo-Dasein. Fast schon eine Binsenweisheit ist der Hin-
weis, daß die autochthonen Bildhauer überall in der
Arktis dem europäischen Geschmack in der jüngeren
Vergangenheit sehr entgegengekommen sind. Dazu hat
die überaus große Nachfrage nach »Eskimo-Kunst« we-
sentlich beigetragen. Diese Nachfrage haben viele Eski-
mo-Schnitzer in den vergangenen fast vierzig Jahren
befriedigt. Heute ist das Angebot - zusätzlich vermehrt
durch staatliche Unterstützungsmaßnahmen - so groß,
daß es seit einiger Zeit auch auf den europäischen Kunst-
markt drängt.
Etwas aus dem Rahmen dieses Kapitels fallen die leder-
nen Masken, von denen angenommen wird, daß sie eine
relativ junge Erscheinung unter den Kunstwerken der
Eskimo sind. Viele Fragen sind hier noch zu beantwor-
ten. Kaalund bemüht sich, einiges Licht in das vorherr-
schende Dunkel zu bringen, doch muß auch sie zugeben,
daß gerade auf dem Gebiet der Masken zur Zeit vieles
offenbleiben muß. Daß es sich bei ihnen um rituelles
Zubehör zu religiösen Tänzen gehandelt hat, ist kaum
der Erwähnung wert, denn was sonst hätten Masken sein
sollen. Wertvoll ist denn in diesem Teil vor allem das
Eingehen der Verfasserin auf bestimmte regionale Stile
der Eskimo-Masken.
Den bereits erwähnten Tupilaken widmet Kaalund einen
längeren Abschnitt, sind doch diese kleinen Figuren un-
heilvoller, geistähnlicher Wesen aus Mythen und Sagen
so bekannt, daß sie fast schon als Synonym für die
gesamte grönländische Eskimo-Kunst angesehen wer-
den. Die Autorin schildert ihre Herkunft, ihre Bedeu-
tung und Anwendung in den »alten Tagen«. Interessant
ist, daß diese Schnitzwerke aus Elfenbein, Holz und
Stein ebenfalls auf europäische Nachfrage zurückgehen,
zunächst auf wissenschaftliche Neugierde ethnologisch
interessierter Reisender, heute auf den Tourismus.
Es folgt das weiter oben bereits angeführte Kapitel
»Crafts«, das Beispiele angewandter Kunst enthält. Der
englischsprachige Ausdruck ist in etwa gleichbedeutend
mit dem deutschen Begriff »Kunsthandwerk«. Insofern
ist der Titel dieses Kapitels zum Teil verfehlt. Dazu
kommt die schwierige Abgrenzung zwischen Kunst und
Kunsthandwerk. Es wäre wohl sinnvoller gewesen, die
hier angeführten Beispiele unter der Überschrift »mate-
rielle Kultur« in den einleitenden Abschnitten des Bu-
ches zu bringen, zumal Kaalund hier auch Objekte als
»crafts« vorstellt, die bis zur Hundepeitsche reichen.
Ebenfalls hätten die langen und mit vielen Details verse-
henen Passagen über grönländische Eskimo-Kleidung
besser ihren Platz in einem Abschnitt über die Material-
kultur der polaren Ethnien gefunden. Dazu kommt wei-
terhin, daß kein Unterschied zwischen autochthonen Ge-
genständen und der Akkulturations- sowie Souvenir-
kunst (zum Beispiel Kronenkorkenöffner und Kerzen-
halter), die noch am ehesten unter den Begriff »crafts«
fällt, gemacht wird.
Im vierten und letzten Kapitel »Painting« bietet Kaalund
einen in die Tiefe gehenden, weitgefaßten Überblick
über alles, was irgendwie mit Eskimo-Malerei zusam-
menhängt. Wer erwartet hat, hier nur die bekannten
zeitgenössischen Bilder vorzufinden, wird angenehm ent-
täuscht. Die Autorin schließt in dieses Kapitel auch
Tatauierung, Gravuren auf Geweih und die Punktverzie-
rung auf kleinen Elfenbeinschnitzereien ein, außerdem
Bleistiftzeichnungen aus dem beginnenden 20. Jahrhun-
213
TRIBUS 35, 1986
dert (den Bildern der Plains-Indianer auf Notizbuchpa- te Einblicke in die Welt der Eskimo. Erst auf den letzten
pier am Ausgang des 19. Jahrhunderts vergleichbar), Seiten kommt Kaalund auf zeitgenössische Bilder der
scherenschnittartige Figuren aus Rohhaut, Lithogra- 60er und 70er Jahre zu sprechen. Doch wird dieser
phien vollständig akkulturierter Eskimo-Künstler sowie vielleicht etwas zu kurz geratene Teil durch die Passagen
Aquarelle unter Einschluß von Tinte aus den Anfängen davor aufgewogen, in denen ausführlich und gezielt auf
der neuzeitlichen Eskimo-Malerei (auch diese wiederum die künstlerische Gegenwart der Eskimo hingearbeitet
den Anfängen der indianischen Malerei in Nordamerika wird. Literaturverzeichnis und Register beschließen den
entsprechend). Zu erwähnen sind gleichfalls handkolo- ebenfalls durch seine Abbildungsqualität beeindrucken-
rierte Holzschnitte, Buchillustrationen und Zeichnungen den Band.
für Zeitungen, die schon in der zweiten Hälfte des 19. Kaalund hat ein Buch geschrieben, in dem das großartige
Jahrhunderts oft nichts mehr mit Eskimo-Kultur zu tun Thema der arktischen Kunst im allgemeinen und der
hatten. Als Beispiel seien zwei kolorierte Lithographien Kunst Grönlands im besonderen vornehmlich aus dem
zu Robinson Crusoe erwähnt. In der autochthonen Kunst Blickwinkel der Künstlerin und Historikerin behandelt
wurden gerne Motive aus Legenden und Mythen verar- wird. Darüber hinaus liefern zahlreiche Details in Wort
beitet. Bekannt sind in diesem Zusammenhang vor allem und Bild dem Amerikanisten wertvolle Einblicke in die
Holzschnitte. Doch auch die Aquarellmalerei der Grön- arktische Ethnologie.
länder bietet dem Historiker und Ethnologen interessan- Axel Schulze-Thulin
Aufsatzautoren
Dr. Joachim Bautze, Institut für Indische Philologie und Kunstgeschichte, Freie Universität Berlin,
Königin-Luise-Straße 34 a, D-1000 Berlin 33
Prof. Dieter Dütting, Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie, Spemannstraße 35/IV, D-7400 Tübingen
Dr. Christian Kaufmann, Museum für Völkerkunde, Augustinergasse 2, CH-4051 Basel
Dr. Wulf Koepke, Museum für Völkerkunde, Arnimallee 23/27, D-1000 Berlin 33
Prof. Dr. Friedrich Kußmaul, Im Asemwald 2/V, D-7000 Stuttgart 70
Maria Zerrnickel, Linden-Museum Stuttgart, Hegelplatz 1, D-7000 Stuttgart 1
Anschriften der anderen Mitarbeiter über die Redaktion TRIBUS
Universitätsbibliothek der HU Berlin
00941100014216
Zweigbibliothek Europäische Ethnologie
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JAHRBUCH DES LINDEN-MUSEUMS
Nr. 35, Dezember 1986
LINDEN-MUSEUM STUTTGART
STAATLICHES MUSEUM FÜR VÖLKERKUNDE
Stuttgart 1986
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