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STEFAN DIETRICH
Tjeritera Patigolo Arkian
Struktur und Variation in der Gründungsmythe
des Fürstenhauses von Larantuka (Ostindonesien)
Untersuchungen zu politischen Mythen< in Indonesien zielen in einem komparati
ven Ansatz auf die Herausarbeitung spezifischer Motive, die sich durch Bezug auf
Strukturen einer Kosmologie verstehen lassen oder Konzepte legitimer Herrschaft
ausdrücken (s. z. B. Ras 1968: 81-99; de Josselin de Jong 1980; Jordaan & de Josse-
lin de Jong 1985; de Josselin de Jong 1986). Der vorliegende Beitrag ist nicht im
Sinne dieser Untersuchungen komparativ angelegt. Er verfolgt vielmehr folgende
Ziele.
Zuerst soll die Gründungsmythe des Fürstenhauses von Larantuka zugänglich
gemacht werden: die >Erzählung von Patigolo Arkian< (Tjeritera Patigolo Arkian).
Sie liegt in veröffentlichter Form bisher nur als (stellenweise wohl gekürzte) Nach
erzählung durch Arndt (1940: 73-75) vor, wobei zu vermuten ist, daß diese Version
nicht aus Larantuka selbst, sondern aus einem benachbarten Lamaholot-Dorf
stammt. Hier soll ein malaiischer Text wiedergegeben werden, der aus Larantuka
stammt und dem entsprechend die Geschichte von Patigolo bis heute in Larantuka
erzählt wird.
Die Analyse dieses Textes ist zwar auch komparativ angelegt, allerdings in bezug auf
verschiedene Versionen der Mythe. In einem ersten Abschnitt wird der Text kurz in
sein >Umfeld< gestellt. In zwei weiteren Abschnitten wird er zuerst als >Typ< von
Ursprungsmythe bestimmt, danach werden die Varianten systematisch dargestellt
und verglichen. In einem weiteren Abschnitt schließlich wird der Vergleich auf die
>Zwillingsmythe< der Patigolo-Geschichte ausgeweitet. Das in und über Indonesien
hinaus weit verbreitete Motiv des >stranger king< wird im Lauf dieser Diskussion in
den Vordergrund rücken.
Die verschiedenen Versionen der Patigolo-Geschichte weichen an ganz spezifischen
Punkten voneinander ab. Wie ich zu zeigen hoffe, sind dies keine willkürlichen
Abweichungen; vielmehr lassen sie sich zu verschiedenen Perspektiven in Bezug
setzen, aus denen heraus die Mythe schwerpunktmäßig >gelesen< werden kann. Diese
verschiedenen Perspektiven wiederum, so ist zu vermuten, lassen sich ihrerseits mit
verschiedenen historischen Kontexten in Bezug setzen, in denen die Mythe ihre
Funktion erfüllte.
Die Patigolo-Geschichte ist eine in sich geschlossene Erzählung. Zugleich ist sie
aber auch Teil einer umfassenderen Überlieferung, innerhalb derer sie ihre spezielle
Stellung einnimmt, ebenso wie sie in einem größeren kulturellen Zusammenhang
steht. Aus Platzgründen konzentriere ich mich auf die Varianten der Patigolo-
Geschichte und ihre interne Struktur sowie auf ihre >Zwillingsmythe<. Andere
Aspekte der Überlieferung können nur kurz an den relevanten Stellen angedeutet
werden. Der nicht-narrative Kontext wird vorwiegend in bezug auf die unmittelbare
Funktion der Patigolo-Geschichte berücksichtigt - d. h. die Grundlegung einer spe
zifischen sozio-politischen Ordnung (das Kernland des Fürstentums Larantuka). 1
Das moderne Larantuka ist eine Kleinstadt von etwas über 20000 Einwohnern am
Ostzipfel der Insel Flores. Das historische Larantuka, auf das ich mich hier beziehe,
ist beträchtlich kleiner als die moderne Stadt. Es umfaßt eine Reihe von Küstensied
lungen, die sich durch Sprache und - bis Anfang des 20. Jahrhunderts zumindest -
durch Religion von ihrem Umfeld absetzten. Im historischen Larantuka wurde und
wird ein malaiischer Dialekt - Larantuka-Malaiisch (LM) - gesprochen (s. Steinhauer