TRI BUS 44, 1995
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düng angesprochen werden. Auf Bemerkungen zu weiteren Zusammenhängen -
etwa zwischen osmanischen mg/z-Standarten und mitteleuropäischen Schellenbäu
men 8 - muß in diesem Rahmen verzichtet werden.
Die Grundbedeutung von ‘alam lautet im Arabischen und Persischen »Markierung«,
»Wegweiser«, »Fahne«; bereits die vorislamischen Beduinen der arabischen Halbin
sel banden Kriegsbanner in verschiedenen Farben zur Unterscheidung von anderen
Stämmen an ihre Lanze 9 . Wie J. Calmard anmerkt, ist es schwierig zu bestimmen,
wann diese genau ihre militärische Funktion verloren und ihnen eine rein religiöse
zugesprochen wurde 10 . Im folgenden wird jedoch speziell auf schiitische Kultstan
darten eingegangen, die in einem weiteren Kontext stehen. Wie M. H. Zaidi ausführt,
bestehen die ‘alam aus zwei Teilen: »a) der obere Teil, genannt >Nishan<, welcher
eine Art Wappenzeichen oder Familienwappen darstellt, ist zumeist aus Silber oder
Gold, Eisen oder auch anderen Metallen gemacht, b) der untere Teil, genannt >Patka<,
besteht aus der Fahnenstange, die das obere metallene Wappenzeichen trägt. An die
ser Fahnenstange ist eine Art Stoffahne befestigt, die meistens aus Brokat oder fei
ner Seide und mit Quasten und Verzierungen aus Gold oder Silber verbrämt ist«
(Zaidi 1977: 641). Auf die Farbsymbolik der Banner geht Calmard näher ein (1985:
789). Abb. 1 zeigt einige solcher mit kostbaren Stoffen drapierten Standarten, die in
dem 1784 erbauten Bärä Imämbära des Nawab Asaf ud-Daula in Lucknow aufge
stellt sind.
Gegenstand des vorliegenden Beitrags sind Form und Symbolik verschiedener
nishän, also Standartenaufsätze, wobei hier zunächst waffengestaltige in Speer- oder
Schwertklingenform (mit 1, 2, 3, 5 oder 7 Spitzen) und danach solche in Form einer
geöffneten Hand (panjah) behandelt werden sollen. Neben diesen beiden Haupt
gruppen gibt es noch Sonderformen, wie etwa eine im südindischen Hyderabad
gezeigte panjah mit 12 Fingern oder 12 Händen als Symbole für die zwölf Imame der
Zwölfer-Schia, die auch in Nordindien verbreiteten, als Hufeisen {na7 sähib) und
Rundschild {dhäl sähib) gestalteten Aufsätze sowie die Fisch-Standarte 11 . An
‘äshürä befestigt man in Nordindien häufig Limonen an den Standarten, die eine
unheilabwehrende Funktion haben 12 ; in den Metropolen Pakistans werden dagegen
mit Gelübden verbundene Äpfel - vor allem Granatäpfel - verwendet.
Sowohl in Iran als auch in Südasien gibt es Standartenaufsätze in Speerform mit
einer Spitze. Ein besonders schönes Stück aus dem Besitz eines Sufi-Meisters wird
im »Jagdish and Kamala Mittal Museum« in Hyderabad aufbewahrt: Die im 17. Jahr
hundert im Dekkan hergestellte bidri-Arbeit (H ca. 30 cm) geht nach der säulenför
migen Tülle in ein mit Widerhaken besetztes schildartiges Zentralfeld über, das u. a.
in Kalligraphie die Anrufungen »Hilfe von Gott und naher Sieg« (Sura 61, 13) und
die häufig gebrauchte schiitische Schutzformel midi ‘AlTyyan (»Rufe ‘Ali, der Wun
der manifestiert ...«) enthält 13 . Die eigentliche Spitze hat bei vielen nishän eine
dreiblättrige Form, wobei die beiden äußeren »Blätter« als Widerhaken fungieren
und bei entsprechender Längung in dreispitzige Formen übergehen können (vgl.
Abb. 4-5). Häufig wächst aus der fruchtknoten- oder birnenförmigen, mit kalligra
phischen, figuralen und durchbrochenen Verzierungen gestalteten Basis ein langer,
gerader »Hals«, der in der dreiblättrigen Spitze oder einer panjah endet (vgl. Abb. 1,
3) 14 . Diese langen, aus dünnem Blech gearbeiteten »Hälse« bzw. Schwertklingen
haben die Eigenschaft wedelähnlich vor und zurück zu schwingen, »as if doing obei-
ssance to the holy martyr«, wie John W. Wertime schreibt 15 . In Iran sind solche, dem
Imam Husain geweihte Standarten nicht selten mit Pfauen- und anderen Tierfiguren,
Vasen, Rosenwasserflaschen, Doppelaxtklingen, panjah, Kerzenhaltern, Spiegeln,
Federn etc. sowie Votivgaben zu kunstvollen, übergroßen - bis zu 4,50 m hohen -
Gebilden mit kreuzweise ausgestreckten Armen kombiniert, die oft gesondert als
‘alärnat (»Pfahl«) bezeichnet und während der Muharram-Prozessionen mitgeführt
werden 16 . Zu diesen enorm schweren Sakralgegenständen eines Prozessionszuges
heißt es bei James Morier: »Zuerst kam ein rüstiger Mann, von den Lenden an nach
oben nackt, der in seinem Gürtel eine lange dicke Stange trug, woran oben wohl
dreißig Fuß hoch eine zinnerne, künstlich gearbeitete mit Sinnsprüchen aus dem