TRIBUS 43, 1994
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1967 alljährlich eine ausgewählte Runde von Amerikani
sten meist zu Fragen der Archäologie. Mit »Falsifications
and Misreconstructions of pre-Columbian Art« befaßte
man sich 1978 erstmals mit musealen Aspekten der ame
rikanischen Archäologie. »Collecting the pre-Columbian
Fast«, die Konferenz von 1990, greift nun das Anlegen
von präkolumbischen Sammlungen auf. Anders als es der
allgemein gefaßte Titel vermuten läßt, behandeln die
meisten der 14 Beiträge das Sammeln vorspanischer
Artefakte durch nordamerikanische Privatleute und Insti
tutionen (USA und Mexiko) und zwar in der Vergangen
heit. Diese Beschränkung macht jedoch gerade die Stärke
des Symposiums aus, da es auf diese Weise möglich war,
über ein klar abgestecktes Thema zu diskutieren.
Ausgehend von der in Dumbarton Oaks beherbergten
Robert Woods Bliss-Sammlung wird exemplarisch das
Zustandekommen einer für die USA typischen, nach rein
ästhetischen Gesichtspunkten zusammengetragenen. Pri
vatsammlung beschrieben (E. Benson).
Den Handelsweg präkolumbischer Kunstwerke (bis in die
60er Jahre) skizziert M. Coe anhand einiger berühmter
Objekte: vom Grabräuber (huaquero) über Zwi
schenhändler (runner) zu in den Herkunftsländern ansäs
sigen Ausländern (resident). Diese können den Markt
unmittelbar beeinflussen, da sie ästhetische Veränderun
gen in der Nachfrage direkt an die »Produzenten« weiter
geben. Von dort aus wurden archäologische Objekte dann
von Kurieren an Händler in den USA/Europa weiterge
geben, die ihrerseits private Sammler und Museen belie
ferten.
Die ästhetischen Kriterien des Sammelns seit der Ent
deckung Amerikas polarisieren sich in der Regel zwi
schen Genuß (delight) und Abscheu (horror), wobei die
jeweilige Einstellung ihre Funktion innerhalb der
betrachtenden Gesellschaft hat. Die Schwierigkeit,
Begriffe zur Beschreibung einer fremden Ästhetik zu fin
den, spiegelt sich auch in der Unfähigkeit, räumliche und
zeitliche Zusammenhänge adäquat zu benennen. Ein Bei
spiel hierfür ist die bis heute gültige Periodisierung der
mesoamerikanischen Archäologie, deren Bezeichnungen
Präklassik - Klassik - Postklassik eine gerichtete Kunst
entwicklung europäischen Zuschnitts suggerieren (G.
Kubier).
In den USA - ante bellum - wurde in Museen lediglich
aufgenommen, was zur eigenen Kultur einen bestenfalls
gleichwertigen oder »höheren« kulturellen Standard auf
wies. Erst mit dem Ende des amerikanischen Bürgerkrie
ges erwachte das Bedürfnis nach einer nationalen Kultur.
Als Zeugnisse dieser gemeinsamen amerikanischen Ver
gangenheit wurden Archäologica (Originale und Gipsab
güsse), vorwiegend aus Mexiko, in großer Zahl in die
Museen der us-amerikanischen Metropolen verbracht.
Entscheidender Wendepunkt in der Akzeptanz vorspani
scher Artefakte schreibt C. Hinsley der Photographie zu,
durch die - insbesondere die monumentale Architektur -
reproduziert und konsumiert werden konnte. Mit dem
nun erreichten Rang der »Klassik der Neuen Welt« wurde
auch das präkolumbische Artefakt wertvoll und sammel
würdig.
Wie sehr das Anlegen vorspanischer Sammlungen poli
tisch motiviert sein kann, wird an der Vorgeschichte der
Gründung des Museo Nacional de Antropologia in
Mexiko deutlich (E. Florescano). Schon in der 2. Hälfte
des 18. Jh. erwachte bei der kreolischen Bevölkerung
Mexikos der Wunsch, sich eine eigene Identität zu schaf
fen. Hierzu beruft man sich auf die vorspanischen Kultu
ren als den europäischen Kulturen ebenbürtige Zivilisa
tionen. Damit wird eine Entwicklung eingeleitet, die
1909 zur Gründung des Museo Nacional führte, mit dem
erklärten Ziel, mittels dieser Forschungs- und Bildungs
stätte eine nationale Identität herzustellen.
Das politische Konzept einer nationalen Identität mate
rialisiert sich am deutlichsten im Neubau des 1964 eröff-
neten Museo Nacional de Antropología in Mexiko (S.
Errington), wo die indianische und die spanische Kompo
nente der mexikanischen Bevölkerung als zwei sich
ergänzende Hälften eines Ganzen betrachtet werden. Die
Tatsache, daß der zentrale Raum innerhalb der archäolo
gischen Ausstellung den Azteken gewidmet ist, wird als
herrschaftslegitimierende Geste der bis heute an der
Macht befindlichen Regierungspartei PRI gedeutet.
Ein weiteres Beispiel für eine diesmal private Sammlung
nationalistischer Prägung ist die archäologische Samm
lung des Malers Diego Rivera. Der durch den Indige
nismo und die aztekische Symbolik geprägte Stil Riveras
schlägt sich auch in der bedeutungsbeladenen Architektur
seines Museumsgebäudes nieder. Ausgehend vom Tod
als einem zentralen Motiv der aztekischen Weltanschau
ung, wird der Besucher von einem düsteren Keller über
mehrere Etagen zum lichten Studio des Künstlers
gelenkt. Obwohl mit lokalen Baumaterialien errichtet,
versinnbildlicht die Vermengung verschiedener vorspani
scher Stile mit zeitgenössischer Architektur, daß die ver
gangene und die heutige Welt zumindest in der Vorstel
lung Riveras als eine statische Einheit verstanden wurde.
Die politische Vereinnahmung vorspanischer Kunst in
der jüngeren Vergangenheit der USA zeichnet H. Bamet-
Sánchez am Beispiel der »good neighborhood policy«
des Präsidenten F. D. Roosevelt (1933) nach. Mittels kul
tureller Aktivitäten sollte angesichts des drohenden
europäischen Faschismus der Zusammenhalt des ameri
kanischen Kontinentes gewährleistet werden. Die
»Geschichtslosigkeit« der auf dem amerikanischen Kon
tinent durch technische und ökonomische Vorherrschaft
hervortretenden USA sollte durch die vorspanische
Geschichte Mexikos ausgeglichen werden. Bis dahin als
»primitiv art« zugeordnete Objekte wurden in diesem
Zusammenhang zu »Kunstwerken« gemacht und poli
tisch vereinnahmt.
Auch in den europäischen Museen ist die politische Kom
ponente als Sammelmotiv nachweisbar. In Frankreich
z. B. wurden archäologische Expeditionen nach Latein
amerika schon seit Mitte des 19. Jh. von staatlicher Seite
ausgerichtet und Sammlungen im Louvre angelegt,
während die erste vom British Museum organisierte
Expedition nach British-Honduras erst 1926-30 statt
fand. Dies läßt sich u. a. auf die unterschiedlichen politi
schen Organisationen in Frankreich und England zurück
führen: der napoleonische Zentralismus auch in
kulturellen Belangen gegenüber den nicht staatlich ver
ankerten Bildungseinrichtungen in England (E. Wil
liams).
Die amerikanistische Rezeption, weitgehend am Beispiel
Englands dargelegt, ist in den Anfängen ausschließlich
auf private Initiativen zurückzuführen. An drei promi
nenten Sammlern zeigt I. Graham die Entwicklung vom
Kuriositätenkabinett (Lorenzo Boturini) über das Privat
museum (William Bullock) zum öffentlichen Museum