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Johannes Maringer
Anthropos 68. 1973
gemeinsame, ja allmenschliche Züge aufscheinen. Das Wasser erscheint als
Urelement der Schöpfung, es spielte eine große Rolle bei jahreszeitlichen Riten
und diente zu Reinigungsriten, Regenzauber, zu Orakeln und Ordalien. Seen,
Flüsse, vor allem Quellen wurden divinisiert, mit Wassergottheiten und
Nymphen bevölkert, mit Heiligtümern, Exvotos, mit Weihe- und Dankes
inschriften bedacht.
Die Frage erhebt sich, ob sich dieser weltweite und vielfach so gleich
förmige Wasserkult auch in die vorgeschichtliche Zeit hinein verfolgen läßt,
ob wir entsprechende Funde kennen und in welche Zeittiefe sie zurückreichen.
Vorgeschichtliche Wasser Verehrung ist den Prähistorikern keine unbe
kannte Erscheinung. Einschlägige Funde sind schon seit dem vorigen und in
steigender Zahl in unserem Jahrhundert zum Vorschein gekommen. Es ist
auch nicht bei bloßen Fundmeldungen geblieben. Analoge Funde, allgemeine
Religionsgeschichte und Folklore sind immer wieder zur Deutung heran
gezogen worden. Einzelne Formen wie See- und Mooropfer, Quell- und Fluß
opfer, Libationsgefäße, Idole mit Gefäßen als Attribute und Symbole des
Wassers sind hier und da in Einzeluntersuchungen dargestellt worden b Was
aber noch fehlt ist eine zusammenfassende Untersuchung im Sinne unseres
Themas. Eine Arbeit von M. Ninck (1960) beschränkt sich auf eine symbol
geschichtliche Untersuchung, aber nicht eigentlich auf das vorgeschichtliche
Material, sondern das der späten, der klassischen Zeit. Worum es im folgenden
geht, ist eine zusammenfassende, nach Zeit und Formen geordnete thema
tische Untersuchung auf Grund des vorgeschichtlichen Materials.
Es könnte wohl geraten erscheinen, von den protohistorischen religions-
kundlichen Daten, vor allem mythischen Berichten, und den archäologischen
Funden der Zeit auszugehen und in abnehmender Verknüpfung von den end
vorgeschichtlichen in immer tiefere Zeiträume zurückzugehen. Doch wir
wollen den Weg durch die vorgeschichtlichen Perioden von den ältesten Funden
bis zu den immer reicheren Funden der jüngeren und ausgehenden Vor-
geschichtszeit gehen.
Unsere Untersuchung wird dem Phänomen der Wasserverehrung seinen
wahren zeitlichen Rahmen geben und es in seinem allmenschlichen Charakter
noch mehr hervorheben.
I. Paläolithikum
1. Altpaläolithikum
Der älteste Fund einer angeblichen Opferniederlage im Uferbereich eines
Sees ist von Torralba in der spanischen Provinz Soria gemeldet worden. In
1112 m Meereshöhe konnte Marquis de Cerralbo, E. de Aguilera y Ganboa,
1 Es sei hingewiesen auf die Publikationen von G. Behm-Blancke, J. M. Blas-
quez, L. Bonnard, A. Closs, A. Dieck, E. Diehl, H. Jankuhn, H. Kühn, G. Ma-
rongxu, R. Pettazzoni, H. Schwabedissen, W. Torbrügge, Cl. Vaillat und R. Wyss.