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MARGARETA PAVALOI
Architekturdekor aus dem Panjab: Die Sammlung des Linden-
Museums Stuttgart, III: Baukeramik/Fliesen
In der Sammlung von Architekturdekoren aus dem Panjab nimmt der keramische
Baudekor einen zentralen Platz ein. Im Gegensatz zu Holz, Stein und Lehmziegel,
die zu den traditionellen Bau- und Dekormaterialien auf dem indischen Subkon
tinent gehören, ist die Verwendung keramischer Architekturdekore aufs engste mit
dem Islam und der Etablierung muslimischer Herrschaft verbunden.
Sie gehören damit zu den keramischen Baudekoren der islamischen Architektur und
vertreten innerhalb derer eine eigenständige Stilprovinz an der östlichen Peripherie
der islamischen Welt. Im Rahmen der islamischen Kunst wie im Rahmen der Stu
dien zu islamischer Fliesenkunst ist ihnen dafür vergleichsweise sehr wenig Auf
merksamkeit zuteil geworden. Die Studien zur islamischen Architektur konzentrie
ren sich schwerpunktmäßig auf die imperialen Bauten der Moghulkaiser; und die
frühesten islamischen Baudenkmale auf indischem Boden haben ihre wohlverdiente
Beachtung gefunden. Trotzdem gibt es noch viele bedauerliche Lücken, die uns das
Verständnis, gerade auch von regionalen Entwicklungen, erschweren.
Betrachten wir die Entwicklung der keramischen Baudekore im Panjab, so richtet
sich das Augenmerk sofort auf Multan und Uchch, und aus Multan stammen auch
die meisten der in unserer Sammlung vorhandenen Stücke. Multan, bereits in voris
lamischer Zeit eine bedeutende Stadt, hat auch in der Vormoghulzeit eine wichtige
Rolle gespielt. Auch wenn Lahore nominell immer ranghöher als Multan und Uchch
war, so waren die beiden letztgenannten strategisch oft wichtiger, da, vor allem
Multan, in der bewegten Geschichte des Panjab immer wieder Stützpunkt und
Rückhalt war’ und dadurch seine eigene Rolle gespielt hat. Von daher ist es nicht so
verwunderlich, dass auch in der Architektur Entwicklungen stattgefunden haben,
die unabhängig von Lahore zu sehen sind und zur Formulierung eines sehr ausge
prägten eigenen Stils geführt haben. Für unseren Zusammenhang erscheint mir je
doch wichtig, dass die islamische Mausoleumsarchitektur im Panjab möglicherweise
mit Bauten wie dem Grabbau des 1137 verstorbenen Heiligen Yusuf Gardezi in
Multan ihren Anfang genommen hat 2 . In Multan steht auch das bekannteste
Mausoleum aus der Vormoghulzeit, der Grabbau des 1335 verstorbenen Rukn-i
' Alam, ein imposanter Bau, den angeblich der Tughluq Ghiyath al-Din noch zu sei
nen Lebzeiten in Auftrag gegeben haben soll. Hillenbrand (1992) und Gaube (1994)
haben diesem Grabbau ausführliche Studien gewidmet. Unabhängig davon, ob sich
für die Bauherrenschaft Ghiyath al-Dins Quellenbelege finden lassen oder nicht, für
die Grabarchitektur hat dieser Bau neue Maßstäbe gesetzt. Entscheidend aber für
Multan und sein Umland kennzeichnende Grabbauten war jedoch mit Sicherheit
nicht Rukn-i 'Alam, sondern das ältere Mausoleum des 1262 verstorbenen Sufis und
Heiligen Baha'uddin Zakariya, der die Suhrawardiyya auf dem indischen Sub
kontinent begründet hat. Rukn-i 'Alam war sein Enkel und spiritueller Nachfolger.
Es gibt noch eine Reihe weiterer wichtiger Mausoleen in Multan und ebenso wichtig
sind jene aus Uchch, die zeitlich dem Multaner nachgeordnet sind. Zu den großen
Schreinkomplexen der Sufi-Heiligen in Multan und Uchch gehören nicht nur die
Mausoleen selbst, sondern auch die Grabmoschee und das Hanqah, aber es sind
ganz klar die Grabbauten, die im Mittelpunkt des Interesses stehen. Es gibt dazu ei
nige, wenn auch wenige Studien, wobei der Schwerpunkt in erster Linie auf den
Bauformen und deren Genese liegt und erst in zweiter Linie auf deren Dekoren 3 .
Das Aufkommen keramischer Baudekore im Panjab ist aufs engste mit der Er
richtung von Grabbauten verbunden, und dies hat m.E. zwei Konsequenzen. Einmal
hat es dazu geführt, dass sich in den beiden dafür entscheidenden Orten. Multan und
Uchch, ein unverwechselbarer, eigenständiger Stil entwickelt hat, unabhängig da
von, welche Einflüsse von außen - und die sind ohne Frage gegeben - er im Laufe