TRIBUS
TRIBUS
JAHRBUCH DES LINDEN-MUSEUMS
Nr. 55 - September 2006
LINDEN-MUSEUM STUTTGART
STAATLICHES MUSEUM FÜR VÖLKERKUNDE
Stuttgart 2006
¿Ait’Z.'i — ST 200g
Herausgeber: Linden-Museum Stuttgart - Staatliches Museum für
Völkerkunde, Hegelplatz 1, D-70174 Stuttgart - Germany
Redaktion: Prof. Dr. Thomas Michel
Koordination: Ursula Knöpfle
Fachbezogene
Beratung: Abteilungsreferenten des Linden-Museums Stuttgart
Die Verfasser der Aufsätze und Buchbesprechungen sind für den Inhalt ihrer
Beiträge allein verantwortlich.
Einige Beiträge sind mit der alten Rechtschreibung übernommen worden.
Redaktionsschluss jeweils 1. Mai
Titelbild: Gunakali Ragini
Deckfarben auf Papier, 40,2 x 25,1 cm (Blatt), 24,1 x 15 cm (Bild),
Hyderabad, um 1750. Inv.-Nr. SA 04714
Herstellung: VEBU Druck + Medien GmbH, Bad Schussenried
Copyright: Linden-Museum Stuttgart
September 2006
ISSN 0082-6413
Inhaltsverzeichnis
Berichte
Bericht des Direktors über das Linden-Museum Stuttgart im Jahr 2005
(Thomas Michel) 7
Jahresbericht 2005 des Vorsitzenden der Gesellschaft für Erd- und
Völkerkunde zu Stuttgart e.V (Roland Hahn) 25
Berichte über Erwerbungen im Jahr 2005 des
Linden-Museums (Thomas Michel), Afrika-Referats (Hermann Forkl),
Südasien-Referats (Gerd Kreisel), Ostasien-Referats (Klaus J. Brandt),
Südsee-Referats (Ingrid Heermann), Nordamerika-Referats (Sonja Schiede) 26
Jahresbericht 2005 des Referats Museumspädagogik (Sonja Schierle) 40
Bericht des Referats Öffentlichkeitsarbeit für das Jahr 2005
(Martin Otto-Hörbrand) 48
Organisationsplan 51
Aufsätze
Habighorst, Ludwig: Hierarchie und Module - Zur Darstellung
von Sufiheiligen in Moghulminiaturen 53
Heissenbüttel, Dietrich: „Afrikanische Kunst“ -
europäische Annäherungen an eine komplexe Realität 67
Knüppel, Michael: Die Jenissej-Sprachen als Zweig des „Kwanlunischen“ 91
Schulze-Thulin, Axel: Ökonomische und soziopolitische Grundlagen
der Indianer des Christoph Kolumbus (II) der ersten und zweiten Reise 99
Stelzig, Christine: „Africa is a sphinx - once she’s taken hold of you,
she won’t let go so easily.“ The Officer and Collector Hans Glauning 155
Stifel, Florian: Ethnographische Notizen aus dem Nankinatal.
Papua-Neuguinea 201
Zahorka, Herwig: Kerayan - ein unzugängliches Hochland im Inneren
Borneos mit Megalithen, Nassreiskulturen und Missionierung aus der Luft 221
Buchbesprechungen
Allgemein
Bujok, Elke: Neue Welten in europäischen Sammlungen: Africana und
Americana in Kunstkammern bis 1670 (B. Schmidt) 247
Husemann, Dirk: Als der Mensch den Krieg erfand -
Eine Spurensuche (A. Schulze-Thulin) 249
Kuckenburg, Martin: Als der Mensch zum Schöpfer wurde -
An den Wurzeln der Kultur (A. Schulze-Thulin) 250
Living Khamsa. Die Hand zum Glück. The Hand to Fortune (F. Bliss) 250
Seithel, Friderike: Von der Kolonialethnologie zur Advocacy Anthropology.
Zur Entwicklung einer kooperativen Forschung und Praxis von Ethnologlnnen
und indigenen Völkern (V. Harms) 251
Steppan, Karlheinz: Taphonomie - Zoologie - Chronologie - Technologie -
Ökonomie. Die Säugetierreste aus den jungsteinzeitlichen Grabenwerken
in Bruchsal/Landkreis Karlsruhe (A. Schulze-Thulin) 252
Wienges, Sebastian: Westlicher Individualismus versus Asiatische Werte:
Die Bedeutung von Individuum und Kultur für gesellschaftliche Entwicklung
(M. Gaenszle) 253
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Afrika
Albert, Klaus-Dieter / Löhr, Doris / Neumann, Katharina (Hrsg.):
Mensch und Natur in Westafrika. Ergebnisse aus dem Sonderforschungs-
bereich 268 „Kulturentwicklung und Sprachgeschichte im Naturraum
Westafrikanische Savanne“ (R. Schäfer) 254
Allman, Jean (Hrsg.): Fashioning Africa; power and the politics of dress
(I. Luttmann) 255
Kapfer, Reinhard: Die Frauen von Maroua. Liebe, Sexualität und
Heirat in Nordkamerun (I. Luttmann) 259
Speeter-Blaudszun, Sonja: Die Expeditionen der Familie Marshall.
Eine Untersuchung zur ethnographischen Erforschung der Nyae Nyae !Kung
(R. Schäfer) 260
Orient
Mensen, Bernhard (Hrsg.): Islam. Akademie Völker und
Kulturen St. Augustin. Vortragsreihe 2002/2003 (F. Bliss) 261
Amerika
DeMallie, Raymond J. (Ed.): Handbook of North American Indians, Vol. 13:
Plains, 2 Bde. (S. Schiede) 263
Köhler, Ulrich (Hrsg.): Nueva Maravilla. Eine junge Siedlung im Kontext
massiver indianischer Migration nach San Cristóbal de las Casas, Chiapas,
Mexiko (C. Kalka) 264
Leipold, Claudia: „Our Native Thing“. Studie zum Geschichtsbild
der Sanandresanos in der kolumbianischen Karibik (M. S. Cipolletti) 266
McLaughlin, Castle: Arts of Diplomacy - Lewis & Clark’s Collection
(A. Schulze-Thulin) 267
McMahon, Darcie A. / Marquardt, William H.: The Calusa and Their
Legacy - South Florida People and Their Environments (A. Schulze-Thulin) 268
Quilter, Jeffrey / Hoopes, John W. (Hrsg.): Gold and Power in
Ancient Costa Rica, Panama, and Colombia. A Symposium at Dumbarton
Oaks 9 and 10 October 1999 (D. Kurella) 270
Taylor, Colin F. / Dempsey, Hugh A. (Coordin. / Ed.): The People of
the Buffalo. Vol. 1; The Plains Indians of North America - Military Art,
Warfare and Change. Essays in Honor of John C. Ewers (A. Schulze-Thulin) 272
Südasien
Sibeth, Achim: Vom Kultobjekt zur Massenware. Kulturhistorische und
kunstethnologische Studie zur figürlichen Holzschnitzkunst der Batak
in Nordsumatra/Indonesien (B. Hauser-Schäublin) 273
Anschriften der Mitarbeiter von TRIBUS 55 275
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Bericht des Direktors über das Linden-Museum Stuttgart im
Jahre 2005
1. Besondere Ereignisse im Linden-Museum
Festakt zum 50. Todestag von Theodor G. Wanner am 6. Juli 2005
Theodor G. Wanner Dr.phil.h.c. der Universität Tübingen, Kommerzienrat, Königl. schwedischer Generalkonsul, belgischer Konsul
Geboren am 29.01.1875 in Stuttgart Sohn von Otto Wanner, Kommerzienrat Schule: teilweise in Davos / Schweiz verheiratet mit Daisy geb. Hutchins zwei Töchter: Dora und Ruth Fabrikbesitzer
1902-1928 Schatzmeister des „Württembergischen Vereins für Han- delsgeographie“, später umbenannt in „Gesellschaft für Erd- und Völkerkunde zu Stuttgart e.V“
10.01.1917 Begründer und erster Vorsitzender des „Instituts für das Deutschtum im Ausland“ (heute: IfA, Institut für Aus- landsbeziehungen)
1920 wird er schwedischer Generalkonsul
1924 Gründer der Süddeutschen Rundfunk AG, Radio Stuttgart Gemeinsame Programmgesellschaft für die Länder Württemberg und Baden
1928-1953 Vorsitzender des Trägervereins und Schatzmeister
1933 tritt er für die Unabhängigkeit der Programmgestaltung im Rundfunk ein und wird danach von den neuen Macht- habern des 3. Reiches aus seinem Amt entfernt.
19.07.1954 wurde der Vortragssaal in „Wannersaal“ umbenannt und eine von J.W.Fehrle geschaffene Bronzebüste Wanners aufgestellt.
Gestorben am 06.07.1955 in Stuttgart
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Grabstätte von Theodor G. Wanner auf dem Waldfriedhof in Stuttgart. Foto: Klaus-
Peter Baatz
Meine Rede beim Festakt
Theodor G. Wanner entstammte einer angesehenen Stuttgarter Familie und verließ
bereits in jungen Jahren Stuttgart, um in London eine Ausbildung als Kaufmann
anzutreten. Nach der Ausbildung reiste er in den Sudan und nach Abessinien (heute:
Äthiopien).
Schon bald nach seiner Rückkehr kam er 1899 mit Graf Karl von Linden in Kontakt.
Als bereits in jungen Jahren weit gereister und an exotischen Ländern Interessierter
war er der ideale Partner für Graf von Linden, der seit einigen Jahren eine völker-
kundliche Sammlung aufgebaut hatte. Im Trägerverein der Sammlung, dem Würt-
tembergischen Verein für Handelsgeographie, wurde er 1902 Schatzmeister, dessen
Aufgaben er bis zwei Jahre vor seinem Tod 1953 wahrnahm.
Nach dem Tod des Grafen von Linden (15.1.1910) übernahm Theodor G. Wanner die
Verantwortung für das neue Museum, das im Jahre 1911 eingeweiht wurde.
Wanner verstand es, viele seiner Freunde im ln- und Ausland für den Gedanken des
Baus eines großen Museums für Völkerkunde in Stuttgart zu gewinnen. Mindestens
im gleichen Maße wie Graf von Linden warb er die notwendigen Geldmittel für den
Bau am Hegelplatz und das Erweiterungsgrundstück ein.
Am 10.1.1917 gründete er das „Institut für das Deutschtum im Ausland“ (heute: IfA,
Institut für Auslandsbeziehungen). Sein Bestreben, beide Institutionen zusammen-
zuführen (Museum und Institut), scheiterte jedoch vor allem an den ersten beiden
Museumsdirektoren (Prof. Dr. Augustin Krämer, 1911-1915, Prof. Dr. Koch-Grün-
berg, 1915-1924), die zu sehr Völkerkundler und weniger an Handelsbeziehungen
interessiert waren.
Die Weltoffenheit von Theodor G. Wanner zeigte sich u.a. darin, dass er 1924 „Radio
Stuttgart“ gründete. So war er auch stellvertretender Vorsitzender des Reichsrund-
funkrates. Auch als Königlich schwedischer Konsul war er lange Jahre aktiv.
Von all diesen Tätigkeiten hat das Linden-Museum profitiert. Über die wirtschaft-
lich und politisch schwierigen Zeiten hinweg fand Theodor G. Wanner immer Mög-
lichkeiten der Finanzierung des Museums und seiner Sammlungen. Er hatte weltweit
beste Kontakte, heute würde man sagen: ein Netzwerk, aufgebaut, und er war dem-
nach, auch mit unseren heutigen Worten, Kulturmanager des Linden-Museums.
Vielfach wurde er geehrt: mit dem Titel eines Kommerzienrates, dem Dr. phil.h.c.
und durch zahlreiche Orden.
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Natürlich war er ein vermögender Mann. Über Kaiserreich, Weimarer Republik, 3.
Reich, Bundesrepublik hinweg einflussreich zu bleiben, war einfachen Menschen mit
bescheidenen Vermögensverhältnissen nicht möglich.
Während er der Wissenschaftsdisziplin Völkerkunde nicht viel abgewinnen konnte, so
sehr waren ihm im Gegensatz die Objekte ans Herz gewachsen. So war er als Realist
bei Kriegsausbruch auf das Schlimmste vorbereitet und sorgte rechtzeitig für die auf-
wendige Auslagerung aller Sammlungen in ein Salzlager bei Heilbronn. Dank dieser
Fürsorge hatte das Linden-Museum verhältnismäßig wenige Kriegsverluste. Aller-
dings wurde das Gebäude schwer beschädigt, aber auch hier ging er sofort 1945 an die
Tat. Das Museum wurde als eines der ersten Gebäude wieder aufgebaut. Seine guten
Kontakte zu Amerikanern brachten ihm Zugang zu den begehrten Baumaterialien.
In dieser schwierigen Zeit war das Vermögen des Trägervereins aufgebraucht wor-
den, und auch Theodor G. Wanner konnte seinem Museum nicht weiterhelfen. 1953
legte er seine Ämter nieder und starb am 6.7.1955 mit der Ungewissheit, ob das ihm
lieb gewordene Kind Linden-Museum ihn lange überleben würde.
Wir sind heute am 6. Juli 2005 zusammengekommen, um des 50. Todestages Theodor
G. Wanners zu gedenken.
Vor allem das Linden-Museum hat ihm sehr viel zu verdanken - nicht zuletzt des-
halb sind wir heute hier im Wannersaal beisammen. Aber er hat nicht nur für das
Linden-Museum gewirkt. Er war bei der Entstehung und Entwicklung folgender In-
stitutionen maßgeblich beteiligt:
• Verein der Kunstfreunde Stuttgarts
• Schwäbischer Schillerverein
• Verein Seemannsheim
• Verein zur Förderung der Naturaliensammlung
• Tübinger Börse
• Rotes Kreuz: hierfür hatte er während des ganzen 1. Weltkrieges ein Auskunfts-
büro über alle in Württemberg untergebrachten Verwundeten eingerichtet und
eine Auskunftsstelle für Vermisste und Kriegsgefangene ins Leben gerufen.
Der Süddeutsche Rundfunk verdankt seiner tatkräftigen Förderung während seiner
8-jährigen Tätigkeit als Vorsitzender des Aufsichtsrates seine Einführung und Ent-
wicklung in Süddeutschland.
Während des Festaktes wurden wir durch eine Tonbandaufnahme, die uns der
SWR zur Verfügung stellte, Zeugen des folgenden Interviews für eine Sendung des
Süddeutschen Rundfunks vom 29. Januar 1955 mit der Originalstimme von Gene-
ralkonsul Dr. h.c. Theodor Wanner:
Ansage: Mit dieser Sendung ehren wir einen Jubilar, einen Pionier des Süddeut-
schen Rundfunks, der vor 31 Jahren maßgeblich an der Gründung des
Stuttgarter Senders beteiligt war - Generalkonsul Dr. h.c. Theodor Wan-
ner. der heute seinen 80. Geburtstag feiert.
(Musik blendet auf)
Ebert: Sehr verehrter Herr Generalkonsul - bitte verzeihen Sie, dass wir Sie so
kurzerhand in Ihrer Wohnung überfallen und Sie bitten, uns ein wenig
von den Zeiten zu erzählen, die viele von unseren Hörern vergessen ha-
ben, Zeiten, in denen Stuttgart noch eine kleine Residenzstadt war, als
der schöne Bau des Linden-Museums erstand, als Sie das Deutsche Aus-
landsinstitut gründeten und nach dem ersten Weltkrieg diesen Sender,
über dessen Welle wir sprechen. Darf ich Sie zunächst nach Ihrer Gesund-
heit fragen? Wie geht es Ihnen?
Wanner: Besten Dank, ich bin in jeder Beziehung sehr zufrieden.
Ebert: Es wird wohl nicht einfach sein, für einen Mann, der so viel und so vielsei-
tig in seinem Leben beschäftigt war, sich zur Ruhe zu setzen, und wenn
man so gesund ist wie Sie, fällt einem das sogar mit 80 Jahren schwer.
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Ja, ich kann sagen, dass mir das Aufgeben meiner Arbeiten nicht leicht
geworden ist. Aber das bedeutet ja keine Trennung von den Dingen, an
denen mir besonders gelegen ist, denn ich verfolge diese stets mit sehr
lebhaftem Interesse.
Ja, Sie haben immer schon mit Ihrem Pfund gewuchert, aber damals zur
Zeit der Gründung des Stuttgarter Senders, da hatten Sie wohl am meis-
ten zu tun. Sie standen vielen Gesellschaften und Industriebetrieben vor,
sie waren in Verwaltungs- und Aufsichtsräten, sie arbeiteten in wissen-
schaftlichen, künstlerischen und wirtschaftlichen Vereinigungen mit, so
dass sich die Frage aufdrängt, wie man das alles bewältigen konnte.
Sie wissen ja - Wo ein Wille, da ist auch ein Weg. Manche Nacht musste
zum Tag gemacht werden.
Und welche von diesen Tätigkeiten lag Ihnen besonders am Herzen,
machte Ihnen am meisten Freude?
Den kulturellen Arbeiten gehörte mein besonderes Interesse.
Ich glaube. Sie sind an dem Bau des Linden-Museums, der Gründung des
Auslandsinstitutes und des Süddeutschen Rundfunks maßgeblich betei-
ligt gewesen. Können Sie uns nicht einiges davon erzählen?
Es ist richtig. Ich habe diese Institute aus der Taufe gehoben. Was das Lin-
den-Museum anbetrifft, so bin ich schon in jungen Jahren durch meinen
väterlichen Freund, den Grafen Karl von Linden, dem damaligen Vorsit-
zenden des Vereins für Handelsgeographie für die Arbeiten dieses Vereins
gewonnen worden, dessen damaliges Ziel es war, die wirtschaftlich wich-
tigsten Produkte fremder Länder sowie die Arbeiten von Eingeborenen zu
zeigen und gleichzeitig über die in fremden Ländern gangbaren eigenen
Erzeugnisse zu unterrichten und auf diese Weise Industrie und Handel zum
Aufsuchen neuer Absatzmärkte anzuregen. Als junger Mann habe ich
schon größere Reisen gemacht. Ich war lange Jahre in England, war in
Ägypten, im Sudan, war den weißen und blauen Nil hinaufgefahren bis zu
den Bergen Abessiniens, habe alle europäischen Länder bereist und die
Vereinigten Staaten und Mexiko besucht. Kurz ich hatte schon ein gutes
Stück Welt gesehen, als ich mich für die Arbeiten des Vereins einsetzte.
War es damals sehr schwierig, solche Reisen zu unternehmen, oder erteil-
ten die Länder die Einreiseerlaubnisse ohne weiteres?
Damals gab es in vielen Ländern große Schwierigkeiten und war das Rei-
sen teils sehr beschwerlich.
Wie alt waren Sie, als Sie das erste Mal ins Ausland gingen?
Ich habe schon einen Teil meiner Schulzeit im Fridericianum in Davos
und in der französischen Schweiz zugebracht, denn Kenntnisse in Fremd-
sprachen waren schon in meiner Jugend sehr wichtig.
Nun, ich kann mir denken, dass Sie von Ihren Reisen sicher manche An-
regung für den Handelsgeographischen Verein in Stuttgart mitbrachten.
Sicherlich, dem Verein und dem Grafen von Linden gehörte mein ganzes
Interesse. Im Jahre 1902 wurde ich zum Schatzmeister des Vereins er-
nannt. und mehrere Jahre später waren wir soweit, dass die Räume in der
Galerie der Gewerbehalle für die Unterbringung der Sammlungen nicht
mehr ausreichten, so dass Graf von Linden das Keller’sche Grundstück
am Hegelplatz erwarb, auf dem dann 1911 das Museum erbaut wurde.
Leider hatte Graf von Linden das nicht mehr erlebt. Er war wenige Tage,
nachdem mit den Erdarbeiten begonnen war, gestorben. So erhielt das
Museum für Länder- und Völkerkunde, als man es im Jahre 1911 im Bei-
sein des Königs einweihte, auf meinen Vorschlag mit Recht den Namen
,,Linden-Museum“, was ich wenige Tage vor seinem Tode dem guten Gra-
fen noch mitteilen konnte.
Hatten Sie damals große Mittel von Staat oder von der Stadt erhalten, um
das Museum zu bauen?
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Wanner;
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Wanner:
Ebert:
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Wanner:
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Wanner:
Ebert:
Überhaupt nichts. Das Museum ist ohne jede öffentlichen Mittel gebaut
worden. Ich habe bei meinen Freunden im In- und Ausland, speziell in
London, für das Museum geworben und große Summen - wenn ich mich
richtig erinnere 650.000 Goldmark - erhalten.
650.000 Goldmark - das wäre heute auch nicht mehr möglich, solch eine
Summe aus privaten Mitteln aufzubringen.
Damals gab es noch reiche, gebefreudige Schwaben in England - aber es
war auch nach dem 2. Weltkrieg möglich, nachdem das schöne Gebäude
in einer Bombennacht in Schutt und Asche gesunken war - glücklicher-
weise hatte ich einen großen Teil der wertvollsten Dinge verlagert - die
Mittel zum Wiederaufbau zusammenzubringen. Freilich, so wie damals
ging es nicht. Wir mussten einen großen Teil des Museums an andere
Institute vermieten, um Baukostenzuschüsse zu erhalten. Besonders
große Unterstützung erhielten wir von Seiten der württembergischen
Industrie und auch die Stadt Stuttgart hat uns einen Beitrag gegeben.
Auf diese Weise konnte das Museum wieder seinen alten Rahmen be-
kommen.
Aber auch dies wäre ohne Ihre Initiative nicht möglich gewesen, und da-
bei waren Sie damals schon über siebzig. So haben Sie also gewisserma-
ßen zum zweiten Mal das Stuttgarter Linden-Museum erbaut, und mit
Recht gab man dem Vortragssaal, in dem viele Jahre hindurch die interes-
santesten Vorträge des Handelsgeographischen Vereins stattfanden und
auch heute noch stattfinden, den Namen Wannersaal. Wie kam es nun
denn zu der Gründung des Deutschen Auslandsinstituts, das ja auch auf
Grund Ihrer Initiative entstanden ist?
Wir hatten schon im Handelsgeographischen Verein von der Notwendig-
keit gewusst, alles dokumentarisch zu erfassen, was sich über die Deut-
schen im Ausland feststellen ließ, sie darüber hinaus mit Nachrichten aus
der Heimat zu versorgen, kurz die Verbindung mit den Ausländsdeut-
schen aufrecht zu erhalten. Von diesen Erwägungen ging man aus, und
noch im 1. Weltkrieg, im Jahre 1917, wurde aus dem Handelsgeogra-
phischen Verein heraus das Deutsche Auslandsinstitut gegründet.
Ja, und von diesem Tag an war das Deutsche Auslandsinstitut in Stuttgart
eine Einrichtung, die Tausenden und Abertausenden von Deutschen im
Ausland zugute kam.
Die Aufgabe des Deutschen Auslandsinstituts war es, die Verbindung mit
den Deutschen im Ausland zu pflegen und sie zu unterstützen, den Deut-
schen im Inland die Kenntnisse über das Ausland an Hand von Vorträgen,
Büchern, Zeitschriften und Lichtbildern zu vermitteln und sie in Auswan-
derungsfragen zu beraten. Bis 1933 stand dieses Institut überall in der
Welt im besten Ansehen und wirkte im Dienste einer Verständigung un-
ter den Völkern.
Nach 1933 durften Sie ja dann im deutschen Auslandsinstitut nicht mehr
tätig sein, in einem Institut, das Sie ins Leben gerufen haben, dem Sie
viele Jahre ehrenamtlich vorstanden und dessen Arbeit Ihnen sehr ans
Herz gewachsen war.
Es war hart gewesen, nun Zusehen zu müssen, wie alles, was geschaffen
war, nun anderen Zwecken dienen musste, denn es wurde ja alles dem
Staate untergeordnet - gleichgeschaltet. Das Linden-Museum, das zu den
größten ethnographischen Museen in Deutschland zählte, konnte ich je-
doch als privates Museum trotz aller Schwierigkeiten erhalten.
Im Süddeutschen Rundfunk waren Sie ja auch bis 1933 Vorsitzender des
Aufsichtsrates gewesen.
Ich hatte den Süddeutschen Rundfunk im Jahre 1924 mitbegründet, und
ich stand ihm seit diesem Tag bis 1933 vor.
Wie kam denn seinerzeit die Gründung zustande?
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Wanner; Während meiner Vortragsreise durch die Vereinigten Staaten im Jahre
1922/1923, die dem Zweck des Baus des Hauses des Deutschtums in Stutt-
gart diente, habe ich zum ersten Mal in Detroit das Radio kennen gelernt
und war von diesem stark beeindruckt. Dies veranlasste mich, Staatsse-
kretär Dr. Bredow in Berlin zu besuchen, um in Erfahrung zu bringen, ob
und auf welche Weise der Rundfunk in Deutschland eingeführt werden
könnte. Ich hatte mich für die Einführung des Rundfunks in Württem-
berg zur Verfügung gestellt und konnte in verhältnismäßig kurzer Zeit in
anderen Kreisen Interesse dafür wecken. In dem verstorbenen Präsi-
denten Metzger von der Oberpostdirektion Stuttgart hatte ich einen sehr
verständnisvollen Menschen gefunden. So gelang es mir, im Mai 1924 die
Gesellschaft zu gründen.
Wir fingen sehr bescheiden an. Der erste Senderaum entstand damals in
der Friedrichstraße in einem Geschäftshaus. Danach richteten wir uns im
ehemaligen Proviantamt, draußen auf der Prag ein. Alles war sehr be-
scheiden und nach heutigen Begriffen primitiv. Aber man spürte förmlich,
wie sich die Sache entwickelte. Und als ich im Jahre 1925 das ehemalige
Waisenhaus in das heutige Haus des Deutschtums am Charlottenplatz
umgebaut hatte, um dem Deutschen Auslandsinstitut ein eigenes Heim zu
schaffen, denn es war zuvor in einem Flügel des Neuen Schlosses unterge-
bracht, bekam auch der Süddeutsche Rundfunk in diesem Hause seine
Räume. Auch dort war man zunächst noch sehr bescheiden. Die Zahl der
Angestellten überschritt kaum 20.
Ebert: Heute sind es an die 700.
Wanner: Später kam das große Orchester hinzu, das Institut wuchs, obwohl wir in
Stuttgart ziemlich lange Abonnentensorgen hatten. Die Leute überlegten
es sich sehr, ehe sie ein Radio kauften.
Ebert: Ja, die Schwaben sind vorsichtig, bevor sie sich mit einer neuen Sache
einlassen, wollen sie erst einmal sehen, wie das Ding läuft.
Wanner: Wir mussten damals sparsamer hausen als andere Sender. Nun, da habe
ich erreicht, dass wir durch Staatssekretär Dr. Bredow einen Zuschuss
erhielten, und später, und das war ja auch hier in Stuttgart, gründeten wir
aus dem Kontakt, der unter den maßgebenden Direktoren und Inten-
danten der verschiedenen Sender entstanden war, die Reichsrundfunkge-
sellschaft.
Ebert: Ja. die Reichsrundfunkgesellschaft, die Dachorganisation des Deutschen
Rundfunks, mit Staatssekretär Dr. Bredow an der Spitze und General-
konsul Wanner als seinem Stellvertreter.
Wanner; Mir lag damals vor allem auch die Förderung des Internationalen Pro-
grammaustausches am Herzen. Wir hatten ja schon vor allen anderen
deutschen Sendern in Stuttgart eine Fernempfangsstation droben auf der
Solitude.
Ebert: Richtig, ja! Die Fernempfangsstation Solitude, mit der man damals schon
für ganz Deutschland große Ereignisse aus Amerika übertrug.
Wanner: Ja, es war in gewissem Sinne ein Vorläufer der Stimme Amerikas, die ja
heute noch oben auf der Solitude die Sendungen aus Amerika empfängt
und über den Süddeutschen Rundfunk und die angeschlossenen deut-
schen Sender ausstrahlt.
Ebert: Aber damals waren diese Übertragungen Sensationen, auch die Zeppe-
linreportagen aus den Luftschiffen bei Ihren Fahrten nach Nord- und Süd-
amerika.
Wanner: Die damaligen Auslandsübertragungen erregten Aufsehen, und ich weiß
noch, was wir für eine Freude hatten, als wir - es war auch ein neuer tech-
nischer Versuch - unsere erste Weihnachtsbotschaft von Stresemann an
das amerikanische Volk und die in Amerika lebenden Deutschen sand-
ten.
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Ebert:
Wanner:
Ebert:
Wanner:
Wann war das?
Es muss 1926 gewesen sein. Da hatte ein Amerikaner auf einem Draht-
aufnahmegerät die ganze Sendung aufgenommen, war nach Amerika ge-
fahren und hatte sie dort über den Rundfunk verbreitet. Die Deutschen
in den Vereinigten Staaten waren ungeheuer beglückt, aus der alten Hei-
mat Weihnachtslieder und Weihnachtsgrüße zu bekommen. Unter den
Tausenden von Antworten sind mir zwei ganz besonders in Erinnerung
geblieben. Eine alte Frau aus Detroit schrieb: Nun kann ich ruhig sterben,
habe ich doch noch einmal durch meine Landsleute in der Heimat die
lieben alten Weihnachtslieder gehört. Und ein junges Mädchen aus Indi-
ana hatte folgenden originellen Einfall: „Stresemann in meinem Schlaf-
zimmer - herzlichen Dank - ein unerschrockenes Mädchen“.
Inzwischen haben sich die Hörer daran gewöhnt, dass Minister und
Staatsoberhäupter in ihre Zimmer kommen, aber damals, als das zum ers-
ten Mal geschah, kann ich mir schon vorstellen, welch großen Eindruck
das machte.
Im Übrigen sieht man auch bei dieser Gelegenheit wieder, wie es Ihnen,
Herr Generalkonsul, stets um die Völkerverständigung und die Aufrecht-
erhaltung der Verbindung mit den Deutschen im Ausland ging. Im Grun-
de war es wohl immer dies, was Ihrem Leben und Ihrer Arbeit Richtung
gab, ob Sie nun im Handelsgeographischen Verein, im Linden-Museum,
beim Deutschen Auslandsinstitut oder beim Süddeutschen Rundfunk
oder in anderen Instituten und Gesellschaften tätig waren, immer galt für
Sie: der Heimat Treue halten und die draußen nicht vergessen.
Wenn ich heute über meine Arbeiten schon spreche, möchte ich auch die-
se Gelegenheit benützen, allen meinen Freunden und Mitarbeitern, die
mich bei der Erreichung meiner Ziele unterstützten, meinen aufrichtigen
Dank zu sagen, und allen Institutionen, mit denen ich verbunden bin. mei-
ne besten Wünsche für weiteres erfolgreiches Arbeiten senden.
Musik
Glückwünsche des Intendanten
Musik
Betriebsausflug 2005
Gruppenfoto unter dem Bismarckturm in Stuttgart.
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Dr. Klaus J. Brandt
Ausscheiden von Dr. Klaus J. Brandt
Bis zu seinem letzten Arbeitstag hat Dr. Brandt noch
Ausstellungen vorbereitet, Objekte gekauft, gelbe Post-
it-Zettelchen an verschiedenen Stellen aufgeklebt, Post
mit zahlreichen Katalogen und Bücher, Bücher ... erhal-
ten. Sein Zimmer war für alle ein Erlebnis, Schock, war-
nendes Beispiel - mit einer Ordnung, die ich gerne mit
3-dimensional bezeichne; sozusagen einer räumlichen
Ordnung, die man von der Archäologie kennt, die gleich-
falls in Schichten denkt und arbeitet.
Ein Kollege von mir hatte seinerzeit dieses System in Hil-
desheim noch perfektioniert: auf einem riesigen Schreib-
tisch samt Neben- und Beistelltischen waren 10 cm
Dr. Klaus J. Brandt in seinem Arbeitszimmer. Foto: Anatol Dreyer
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Schichthöhe = 2 Jahre; nach Erreichen dieser Höhe kam darüber braunes Packpa-
pier, so dass man genau einen Vorgang von 1986 finden konnte (?). Nachteil: Es
wurden nie Briefe beantwortet. Dies wiederum hat Dr. Brandt stets vorbildlich ge-
tan. Wie hat er sein System derart beherrscht? Wie hat er die Wichtigkeiten der oft
20-fach überlappend geklebten gelben Post-it-Zettel einordnen können? Wie hat er
täglich den Weg zu seinem Sitzplatz gefunden? Wie schaffte er es, eine Freifläche für
die Schreibunterlage zu bekommen?
So viele Rätsel und dann nur noch Umzugskartons - in den Kartons das Zimmerord-
nungssystem in komprimierter Form - die Kartons säuberlich im Museum aufbewahrt
- nein, sie werden nicht in den Papiercontainer geworfen, wie es mit dem Nachlass
eines meiner Kollegen in Berlin geschah - das tun wir Dr. Brandt nicht an!
Auf einem Foto vom März 1973 stehen die damaligen Mitarbeiter des Linden-Muse-
ums. Viele leben nicht mehr, viele sind vergessen. Mit dabei: Dr. Brandt mit dunklen
langen Haaren und Schnauzbart. Neben ihm stehend Frau Knöpfle, unsere Sekretä-
rin: beide waren ein gutes Team und nicht nur die Fördergesellschaft (GEV) unseres
Museums hat bis heute sehr davon profitiert. 34 Jahre sind eine lange Zeit, vielleicht
zu lange, um plötzlich von einem Tag auf den anderen (so will es das Beamtengesetz)
aufzuhören. Prof. Kalter ist noch regelmäßig im Hause, Dr. Brandt kommt regelmä-
ßig, bleibt weiterhin in der GEV aktiv, muss Umzugskartons neu sortieren, schichten
... Nach welchem System? Es (er) bleibt für uns unergründlich, im Verborgenen -
schon wieder passend für ein Völkerkunde-Museum.
Und für mich auch: Allerdings bin ich erst seit 5 Jahren in diesem Hause - diese kur-
ze Zeit genügt natürlich nicht, um die Wege, Pläne, Ziele von Dr. Brandt erkennen,
geschweige verstehen zu können: Er war derart kreativ, spontan, ein Workaholic, er
lebte sein halbes Leben in und für das Museum. Die von ihm mit herausragendem
Sachverstand erworbenen Objekte machten „seine“ Abteilung weltweit berühmt, er
lebte mit und für die Objekte und hatte eine unbändige Sammelleidenschaft: ein
idealer Museumskustos, der einerseits sehr teuer (wegen der Objektkäufe) für unse-
re Geldgeber war, andererseits jedoch diese typische schwäbische Mentalität (ob-
wohl er kein Schwabe ist) hatte: Geiz ist geil (neudeutsch) oder viel besser auf
schwäbisch: Endeglemmer (= Geizkragen. Bevor eine Ente ihr Ei irgendwo in die
Landschaft legte, kniff (glemmte) der Bauer die Ente in das Hinterteil) und damit so
manchen Händler-Galeristen zur Verzweiflung brachte.
Jetzt hör ich auf, wieder auf schwäbisch;
Nix gschwätzd isch gnuag gloobd!
Nichts gesagt, ist genug gelobt!
2. Veränderungen der Dauerausstellungen
Ab Herbst 2005 wurde die Dauerausstellung in unserem Zweigmuseum Schloss Ett-
lingen durch einen Korea-Bereich ergänzt. Möglich wurde dies durch die gezielten
Käufe von koreanischen Möbeln und Objekten aus dem Bereich der Kalligraphie,
Medizin und Weberei. Mit diesen Objekten gelang es, eine anschauliche Präsentation
des koreanischen Alltagslebens und häuslichen Umfeldes zu erstellen.
Die Präsentationen in diesem Zweigmuseum erfahren eine ständig wachsende Besu-
cherzahl durch die zunehmenden Kongress- und Tagungsveranstaltungen im Schloss
Ettlingen.
3. Durchgeführte und aktuelle Sonderausstellungen
Schwarze Götter im Exil. Fotografien von Pierre Fatumhi Verger
25. Juni bis 18. September 2005
Die Ausstellung war eine Kooperation des Goethe-Instituts und der Pierre-Verger-
Stiftung in Zusammenarbeit mit dem Ethnologischen Museum Berlin-Dahlem, dem
Museum der Weltkulturen in Frankfurt a. M., dem Staatlichen Völkerkundemuseum
München, dem Linden-Museum Stuttgart und dem Verlag Das Wunderhorn unter
15
TRIBUS 55,2006
der Schirmherrschaft des brasilianischen Kulturministers Gilberto Gil, gefördert
durch die Kulturstiftung des Bundes.
Die Sonderausstellung „Schwarze Götter im Exil“ war von der Größe und Ästhetik
sowohl der Fotos als auch der Präsentation sehr ansprechend, sprach aber offensicht-
lich nicht die Besucher an. Als Ergänzung wurden Objekte, Kleider und Filme ge-
zeigt. Jedenfalls war der Besuch dieser Ausstellung enttäuschend, so dass wir vorerst
keine Foto-Ausstellungen mehr im Linden-Museum durchführen wollen.
Transhimalaya: Bilder der Gebrüder Schlagintweit, 1854-58
20. September bis 16. Oktober 2005
Gezeigt wurden reproduzierte Aquarelle, Zeichnungen und Fotografien von Adolph
Hermann und Robert Schlagintweit, die Mitte des 19. Jh. große Teile Indiens und des
Himalayas erforschten.
(Begleitende Veranstaltung: Streuung eines Sandmandalas durch sieben tibetische
Nonnen 20.-25.09.05)
Teehaus, Moschee und Garten. Schüler entdecken orientalische und japanische Archi-
tektur
22. Oktober 2005 bis 19. März 2006
Schüler des Karlsgymnasiums Stuttgart stellten in Zusammenarbeit mit dem Muse-
um erarbeitete Ergebnisse des bundesweiten Pilotprojekts „schule@museum“ vor.
KinderSpiel. Erfahren - erfinden - gestalten
27. November 2005 bis 17. September 2006 (verlängert)
Unter der Schirmherrschaft der UNICEF zeigt das Linden-Museum über 300 Stücke
der einzigartigen Spielzeugsammlung des österreichischen Ethnologen Dr. Fritz
Rapp.
Diese Sonderausstellung entwickelt sich sehr positiv. Meist unter Anleitung unserer
Museumspädagogen basteln Kinder ihr Spielzeug und dürfen besonders gut Gelun-
genes in Vitrinen ausstellen. Ein umfangreiches Programm begleitet diese Ausstel-
lung. Da eine große Nachfrage an Führungen besteht, haben wir die Ausstellung bis
September verlängert.
Begleitend zur Ausstellung war von 14. Dezember 2005 bis 12. Januar 2006 die im
Auftrag des Wirtschaftsministeriums konzipierte Ausstellung „Unteilbare Eine
Welt“ zu sehen.
Kunst der Aborigines aus der Sammlung Peter W. Klein
3. Dezember 2005 bis 9. Juli 2006 (verlängert)
Die Dauerausstellung über die traditionelle Kunst und Kultur der Aborigines aus
Zentral-Australien bekommt mit dieser Ausstellung ein prägnantes Gegenüber; Mit
20 teils großformatigen Bildern (Acryl auf Leinwand) verdeutlichen die heutigen
Künstler ihren nach wie vor engen Bezug zur Traumzeit und zu heiligen Orten, zu
Schöpferahnen und Gesangszyklen, Grabstöcken und Schalen.
Die Ausstellung ist mit unserer eigenen Australien-Sammlung verzahnt und wurde
konzipiert, als noch nicht feststand, dass Australien ein Gastland während der Fuß-
ballweltmcisterschaft in Stuttgart ist. Somit können wir unsere australischen Besu-
cher mit Reminiszenzen aus ihrer Heimat begrüßen.
Traditionelle Frauenkultur aus Südafrika
14. Januar bis 2. April 2006
Die kleine Präsentation zum Weltgebetstag der Frauen 2006 zeigte Produkte des
traditionellen Handwerks, die Frauen aus der Sprachgruppe der Südost-Bantu, v. a.
bei den Zulu, im 19/20. Jh. herstellten.
4. Begleitende Veranstaltungen
Die Streuung eines Sandmandalas (20.-25.09.05) durch sieben tibetische Nonnen in
der Foto-Ausstellung Transhimalaya. Bilder der Gebrüder Schlagintweit war schwach
16
besucht. Eine vergleichbare Veranstaltung 1992 zog damals zahlreiche Besucher an.
Offensichtlich ist das Thema „Tibet", das viele Jahrzehnte attraktiv war. nicht mehr im
Fokus des Interesses. Solche Moden werden gerade in der Völkerkunde sehr deutlich.
Seit einigen Jahren wird am Totensonntag der mexikanische Gabentisch zum Toten-
gedenken („Ofrenda“) vom Deutsch-Mexikanischen-Kulturverein im Linden-Mu-
seum eingerichtet. Hierzu wurden zum Thema Tod beziehungsweise dem Umgang
mit dem Tod in anderen Kulturen Begleitveranstaltungen angeboten, die stets sehr
viel Aufmerksamkeit finden.
Der „Markt der Völker“ (26.10.-1.11.05) wurde wieder von über 6.000 Besuchern als
Gelegenheit genutzt, stressfrei außergewöhnliche Weihnachtsgeschenke zu kaufen.
Inzwischen ist diese Veranstaltung auch zu einer wesentlichen Einnahmequelle ge-
worden.
5. Erwerbungen
Bei der Sitzung am 14. November 2005, in der über Erwerbungen von Kunstwerken
beraten wurde, konnte das Linden-Museum wiederum einige bemerkenswerte Ob-
jekte erwerben.
Zwei Tier-Masken der Küsten-Salish-Indianer von British Columbia (Kanada) sind
zwar neueren Datums, aber vollkommen in der Tradition hergestellt worden. Beide
waren bei Ritualen eingesetzt und haben die dafür notwendigen zeremoniellen Wei-
hen erhalten. Auch sind beide Masken, wie das die indianische Rechtsprechung ver-
langt, für den Erwerb durch das Linden-Museum freigegeben worden. Auch hierfür
gab es eine entsprechende Zeremonie, die (allerdings nach westlichen Kriterien) mit
einer Urkunde belegt ist.
Von Neuguinea wurden zwei Objekte erworben, die in der neuen Dauerausstellung
gezeigt werden sollen: ein Seelenboot der Asmat und ein mit dem Kannibalismus in
Beziehung stehender Brustschmuck.
6. Forschungsprojekte
Nach mehreren Jahren der Materialsammlung und Bearbeitung unserer Samm-
lungen aus Ghazni und Ghor (Afghanistan) konnte diese Schwerpunktforschung
Ende 2005 abgeschlossen werden.
Das von der DFG finanzierte Projekt stand unter der Leitung von Prof. Dr. Jo-
hannes Kalter und wurde von Dr. Margareta Pavaloi sowie Dr. Raphaela Veit be-
arbeitet.
Zurzeit werden von den Beteiligten die Abschlussberichte für die DFG gefertigt und
entsprechende Publikationen vorbereitet.
7. Kooperationen mit Museen
Nach einem Besuch Ende September 2005 des Direktors in St. Petersburg wurden
die Einzelheiten des Kooperations-Vorhabens mit dem Staatlichen Ethnogra-
phischen Museum Russlands besprochen. In Abstimmung mit dem Ministerium für
Wissenschaft und Kunst konnte eine Plattform erarbeitet werden, die in dieser Form
bislang einmalig in Deutschland die Partnerschaft zwischen einem russischen und
deutschen Museum regelt.
8. Personelle und organisatorische Veränderungen
Seit 1. September 2005 ist Dr. Annette Krämer neue Leiterin der Orient-Abteilung.
Sie verfügt u. a. über fundierte Orts- und Sprachkenntnisse aus den Bereichen der
turksprachigen Völker mit einem Schwerpunkt auf Zentral-Asien (Usbekistan, Ka-
sachstan, Kirgisien). Dieser hoch spannende Schmelztiegel unterschiedlichster Kul-
turen wird deshalb im Linden-Museum eine entsprechende Würdigung erfahren.
17
TRIBUS 55,2006
Dabei werden die vom Vorgänger Prof. Dr. J. Kalter gepflegten Bereiche Afghani-
stan und Nord-Pakistan weiterhin sachkundig betreut werden.
Am 31. Oktober 2005 ging Dr. Klaus J. Brandt nach 34-jähriger Tätigkeit in den al-
tersbedingten Ruhestand. Die von ihm geleitete Ostasien-Abteilung wurde zwi-
schenzeitlich mit Dr. Uta Werlich besetzt, die am 1. Juni 2006 ihren Dienst antrat.
Zuvor war sie Abteilungsleiterin von Ostasien am Museum der Kulturen in Basel.
Sie verfügt über perfekte Sprach- und Materialkenntnisse zum Bereich China inkl.
dortiger ethnischer Minoritäten. Schwerpunkte ihrer bisherigen Tätigkeiten waren
die Bereiche Textilien und ihre Herstellung, Tanz, Theater, aber auch der Buddhis-
mus vor allem Tibets und der Mongolei.
9. Bau
Ab Januar wurde die Baustelle für das Versorgungszentrum Katharinenhospital ein-
gerichtet. An verschiedenen sensiblen Bereichen des Magazins und in den Ausstel-
lungen wurden von einem Ingenieurbüro Messfühler für Schwingungsmessungen
installiert. Die zulässigen Grenzwerte wurden mehrfach erreicht, wobei in jedem Fall
Alarm ausgelöst und die hierzu führende Baumaßnahme abgebrochen wurde. Durch
diese strenge Überwachung konnte ein vorsichtiges Handeln der Bauausführenden
erreicht werden. Nach Beendigung der Aushubarbeiten waren die größten Erschüt-
terungen abgestellt.
Die folgenden Baumaßnahmen führten bis zum heutigen Zeitpunkt zu einer ständi-
gen Lärm- und Staubbelästigung. Der Kampf um zwei verbliebene Behinderten-
parkplätze war entwürdigend und zeigte die mit der Baumaßnahme verbundenen
Prioritäten. Baufahrzeuge belegen diese Plätze und eine polizeiliche Kontrolle fin-
det selten statt.
Nicht nur wegen der zukünftigen Parkplätze sondern auch wegen der Zufahrtsbe-
dingungen an der Rückseite des Linden-Museums sei an die Wichtigkeit der Koordi-
nierung der rückwärtigen Bebauung erinnert.
Die Bauphasen des Versorgungszentrums Katharinenhospital vom 27.8.2005-7.4.2006.
Fotos: loan Wagner
1. Baugrube an der Hegelstraße
18
TRIBUS 55,2006
5. Blick vom Linden- Museum auf den fort- schreitenden Bau iU ar r felBsil.i |Mg É$Ê$jÊ 1 MM Éw: . üfc-Lz.,- '■*.-»• r yWji rWimüÈ№aifi> ± ■MBw * mna{|g’ *7'
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6. Bau im Herdweg. Blick auf den Hof des Linden-Museums und gegenüber zum Ka- tharinenhospital. Bau- beginn der Zufahrts- straße unter dem Herdweg. il MtBSttf MMtaif ml ^ -LrV,r
10. Leihgaben (alphabetisch nach Orten)
Ausstellungsdauer Referat Leihgeber
08.06.2005-18.09.2005 Lateinamerika. Afrika Goethe-Institut e.V. Berlin Fotografien von Pierre Fatumbi Verger für die Ausstel- lung „Schwarze Götter im Exil“
24.02.2005-02.05.2005 Ozeanien Herr Kevin Conru, Brüssel 90 Objekte für die Ausstellung „Hugo Bernatzik: Bilder aus der Südsee“
16.12.2004-13.02.2005 Orient Badisches Landesmuseum, Karlsruhe 99 Objekte für die Ausstellung „Moderne tunesische Keramik von Khaled ben Slimane“
24.08.2005-07.11.2005 Südasien Alpines Museum des deutschen Alpenvereins, München 7 Objekte für die Begleitausstellung „Sandmandala“
10.12.2004-01.10.2005 Ozeanien Naturkundemuseum, Stuttgart 2 Objekte für die Australien-Dauerausstellung
20
Ausstellungsdauer Referat Leihnehmer
03.09.2004-27.02.2005 Südasien Museum unterm Trifels, Annweiler 15 Objekte für die Ausstellung „Tibet - Geheimnisvolles Dach der Welt“
08.05.2005-21.08.2005 Nordamerika Übersee-Museum, Bremen 3 Objekte für die Ausstellung „Ein Faden verbindet - Weltumspannende Fadenspiele“
28.06.2004-15.02.2005 Südsee Stadtmuseum Esslingen, Esslingen 6 Objekte für eine Zusammenschau im Museum für Volkskultur Waldenbuch
07.02.2005-31.07.2005 Orient Staatliche Akademie der Bildenden Künste, Fellbach 1 Objekt im Rahmen einer Diplomarbeit
18.11.2004-10.04.2005 Ostasien Niedersächs. Landesmuseum, Hannover 14 Objekte für die Ausstellung „Jadegrün und bitter - die Welt in einer Schale Tee. Facetten der japanischen Teekultur“
19.09.2004-30.01.2005 Südasien Völkerkundemuseum der v. Portheim-Stiftung, Heidelberg 9 Objekte für die Ausstellung „Porzellane der Qing- Zeit“
18.09.2005-17.02.2006 Orient Völkerkundemuseum der v. Portheim-Stiftung, Heidelberg 43 Objekte für die Ausstellung „Die vollkommene Linie - islamische Kalligraphie“
18.12.2004-28.03.2005 Afrika Badisches Landesmuseum, Karlsruhe 1 Objekt für die Ausstellung „Entlarvt! Von Masken und Maskeraden“
26.10.2005-29.01.2006 Ostasien Staatliches Museum für Völkerkunde, München 5 Objekte für die Ausstellung „Dschingis Khan und sei- ne Erben - das Weltreich der Mongolen“
16.01.2005-15.05.2005 Südasien Museum für Lackkunst, Münster 7 Objekte für die Ausstellung „Birmas Lackkunst in deutschen Museen“
26.06.2005-28.08.2005 Afrika Landesmuseum Natur und Mensch. Oldenburg 19 Objekte für die Ausstellung „Das Somali-Dorf in Ol- denburg 1905 - eine vergessene Kolonialgeschichte“
03.01.2005-30.07.2005 Afrika California State University, San Bernadino 32 Objekte zum Zwecke der chemischen Untersuchung
18.01.2005-01.06.2005 Afrika Akademie der Bildenden Künste, Stuttgart 21 Objekte zum Zwecke der Diplomarbeit
04.11.2004-30.01.2005 Nordamerika, Lateinamerika, Afrika, Südsee, Orient Württ. Landesmuseum. Stuttgart 17 Objekte für die Ausstellung „Schwanenflügelkno- chen-Flöte“
21
TRIBUS 55,2006
Ausstellungsdauer Referat Leihnehmer
06.07.2004-06.03.2005 Ostasien Tokyo National Museum, Tokyo 14 Objekte für die Ausstellung „ Arts of East and West from World Expositions 1855-1900: Paris, Vienna, Chicago“
17.07.2004-02.04.2005 Lateinamerika Weltkulturerbe Völklinger Hütte, Völklingen 50 Objekte für die Ausstellung „InkaGold - 3000 Jahre Hochkulturen. Meisterwerke aus dem Larco Museum Peru“
12.05.2005-01.11.2005 Orient Weltkulturerbe Völklinger Hütte, Völklingen, 8 Objekte für die Ausstellung „Schätze aus 1001 Nacht“
04.12.2004-30.01.2005 Südasien, Orient, Ostasien Städtische Galerie, Wangen im Allgäu 9 Objekte für die Ausstellung „Spiele im Spiegel der Zeit“
18.01.2002-28.02.2005 Ostasien Vitra Design Stiftung, Weil am Rhein 7 Objekte für die Ausstellung „Living in Motion - De- sign und Architektur für flexibles Wohnen“
04.05.2004-08.05.2005 Afrika Völkerkundemuseum der Universität Zürich, CH-Zürich 3 Objekte für die Ausstellung „Prunk und Pracht am Hofe Menileks - Alfred Ilgs Äthiopien um 1900“
05.11.2005-05.03.2006 Nordamerika, Lateinamerika, Afrika, Südsee, Orient Kantonales Museum für Urgeschichte, CH-Zug 17 Objekte für die Ausstellung „Schwanenflügelkno- chen-Flöte“
11. Personal 2005
Neu eingestellt:
Hammer, Frank (Schreiner)
Kiefer, Theresia (Sekretariat)
Konzeimann, Anke (Aufsicht)
Krämer, Dr. Annette (Abt. Orient)
Rapp, Hannelore (Verwaltung)
Sill, Jürgen (Hausmeister)
Ulitzka, Brigitte (Aufsicht)
Ausgeschieden:
Beckmann, Nele (Restaurierung)
Brandt, Dr. Klaus J. (Abt. Ostasien)
Brunner, Gisela (Shop)
Calandra, Hayat (Aufsicht)
Dektihar, Alexander (Aufsicht)
Galgenmayer, Uwe (Wachdienst)
Krause, Chiara (Aufsicht)
Nägele, Chris (Aufsicht)
Olloni, Orhan (Aufsicht)
Rusniok, Slawomira (Aufsicht)
Sautter, Cornelia (Aufsicht)
Schäfermayer, Monica (Aufsicht)
Shin, Eun Joo (Aufsicht)
22
Wall, Tobias (Öffentlichkeitsarbeit)
Weber, Hella (Aufsicht)
Ehrenamtliche Mitarbeiter;
Bastian, Ilse
Beyreuther, Erika
Cuesdeanu, Hilde
Emami, Gertrud
Heinz, Irmhild
Helmich, Hilde
Maas, Ingrid
12. Geld- und Sachspenden für das Linden-Museum Stuttgart bzw. die Gesell
schaft für Erd- und Völkerkunde zu Stuttgart e.V. im Jahre 2005
Ade, Herbert H., Stuttgart
Bader, Dr. Franz, Ludwigsburg
Balz, Lotte, Stuttgart
Baur, Dr. Ulrike, Stuttgart
Berthold, Fritz und Felicitas, Pforzheim
Biedermann, Lilo, Sindelfingen
Billo, Tudi, Witzenhausen
Birkhold von Ochsen, Astrid, Esslingen
Blum, Ilse, Stuttgart
Bosch, Irmgard, Gerlingen
Bosch, Robert GmbH, Stuttgart
Brandt, Dr. Klaus J., Stuttgart
Brösel, Ernst und Gisela, Stuttgart
Burwig, Bernd und Ingeborg, Weinstadt
Conradi, Jutta. Ostfildern
Cronemeyer, Ulrich, Leinfelden
Deutsche Bundesbank, Stuttgart
Deutscher Museumsbund
Dorgerloh. Rotraud, Stuttgart
Eigner, Magda, Stuttgart
Esche, Joachim und Brigitte, Filderstadt
Fedler, Elfriede, Stuttgart
Fischer, Elfriede, Stuttgart
Freier, Richard, Hildrizhausen
Geiger, Dr. Martin, Plochingen
Geizer, Hans-Konrad, Stuttgart
Goertz, Ulf, Bad Vilbel
Grau, Hilde, Stuttgart
Habighorst, Prof. Dr. Ludwig, Koblenz
Hall-Schwartze, Barbara, Musberg
Hessischer Museumsverband
Holl, Dieter, Stuttgart
Holzinger, Johann und Louise, Stuttgart
Holzwarth, Ingrid, Marbach
Hörrmann, Ingeborg, Sindelfingen
Hotel Unger, Stuttgart
Jourdan, Uwe, Stuttgart
Jourdan, Jens, München
Jung, Olaf, Nürtingen
Junghans, Renate, Stuttgart
Kiefner, Adelheid, Stuttgart
Klein, Dr. Bettina, Oberursel
TRI BUS 55,2006
Kleinebrahm, Horst und Ingrid, Berlin
Knoelke, Berta, Stuttgart
Koch, Ulrich-Michael, Stuttgart
Konrad, Prof. Dr. Gunter. Mönchengladbach
Krais, Dr. Walter und Ingrid, Stuttgart
Kröner, Ulrich, Backnang
Krüger, Olaf. Stuttgart
Kübler, Tübingen
Kuhlmann, Ingrid, Heilbronn
Kunzi, Hugo und Sibylle Sophie, Stuttgart
Landesbank Baden-Württemberg, Stuttgart
Landeshauptstadt Stuttgart
Leitz, Conrad und Inge, Stuttgart
Lerch, Carmen-Cornelia. Uhingen-Baiereck
Marquardt-Eißler, Dr. Gisela. Stuttgart
Meissner, Prof. Dr. F. M., Stuttgart
Merk, Siegfried, Leutenbach
Müller-Arens, Hans-Jürgen und Sigrid, Stuttgart
Müller-Seitz, Bettina. Markgröningen
Neukäter. Dr. Hans-Hermann, Dormagen
Nöth, Doris, Kirchheim/Teck
OBI, Stuttgart
Paul. Herbert, Asperg
Renz, Hanna, Stuttgart
Rist, Hansjörg und Gisela, Stuttgart
Rösing, Prof. Dr. Ina, Ulm
Schäuble, Ellen. Stuttgart
Schlipf, Thomas, Ilsfeld
Schmidt, Albert und Ursula, Stuttgart
Schmidthals, Dr. Wolfgang, Hamburg
Schnaidt, Brigitte, NL-SW Kerkrade
Schütz, Rainer und Ursula. Stuttgart
Seitz, Dr. Konrad, Wachtberg
Spieth Gymnastik GmbH, Esslingen
Stahl, Elisabeth, Stuttgart
Stickforth, Peter, Göppingen
Stracke, Peter und Sylvia, Mönchengladbach
Strohmaier, Helga, Messingen
Stuttgarter Kunstauktionshaus Dr. Fritz Nagel
Szczepanski, Ina von, Stuttgart
Thiele. Prof. Dr. Peter, Stuttgart
Thierley, Martin / Grimm, Ursula, Stuttgart
Trautmann, Michael. Stuttgart
Updike, John und Ellen, Waiblingen
Wagner. Josette, Stuttgart
Weber, Wilfried, Pfullingen
Wegst, Dr. Ulrike, Stuttgart
Wein, Helga, Baiersbronn
Wilhelm, Dr. Peter-Raimond, Stuttgart
Wolfangel, Dieter, Renningen
Zibulski. Katja, Ludwigsburg
Zöller-Unger, Susanne, Stuttgart
Allen Spendern und unseren ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern
danke ich an dieser Stelle nochmals ganz herzlich.
Thomas Michel
24
Jahresbericht 2005 des Vorsitzenden der Gesellschaft für Erd-
und Völkerkunde zu Stuttgart e.V
Die Gesellschaft für Erd- und Völkerkunde zu Stuttgart bietet jeweils im Winter-
halbjahr 10-12 Vorträge zu erd- und völkerkundlichen Themen. Im Jahr 2005 kamen
rund 1000 Besucher zu insgesamt 10 Vorträgen. Der inhaltliche Schwerpunkt lag im
Jahr 2005 bei Themen zur Völkerkunde mit 5 Vorträgen zu West-Afrika und 2 Vor-
trägen zum indischen Kulturraum. Die Geographiethemen behandelten die aktu-
ellen Transformationsprozesse in der Slowakei und in der Kultur- und Wirtschafts-
metropole Moskau. Besonderes Interesse weckte der Vortrag über die eindrucksvol-
len Landschaftsformen in Namibia. Zahlreiche Schüler/innen der gymnasialen
Oberstufe kamen zu diesen Vorträgen, die teilweise Inhalte der gängigen Lehrpläne
geboten haben.
Außerdem konnte eine Exkursion in den Raum Heilbronn organisiert werden. Da-
bei erläuterten die Betriebsleiter der Südzucker-Fabrik in Offenau den politisch und
wirtschaftlich brisanten Weltmarkt-Zuckerpreis: Die geplante Absenkung des Zu-
ckerpreises auf Betreiben der WTO führt zu nachhaltigen Auswirkungen auf die
Standorte der Zuckerfabriken und auf die landwirtschaftlichen Betriebe mit Zu-
ckerrübenanbau. In Wimpfen (im Tal und am Berg) konnten die eindrucksvolle Ar-
chitektur der Romanik und der Gotik sowie die Grundmuster einer mittelalterlichen
Stadtanlage erläutert werden. Diese historisch geprägten Elemente spielen eine
wichtige Rolle bei der Ausformung einer lokalen Identität.
Roland Hahn
Exkursion nach Bad Wimpfen; Pfalzkapelle. Foto: Peter Billmann
25
TRIBUS 55,2006
Berichte über Erwerbungen im Jahre 2005
Insgesamt bereicherten 334 Objekte die Sammlungen des Linden-Museums. Ledig-
lich Lateinamerika und der Orient wurden nicht bedacht, wobei der Orient durch
den Ruhestand von Prof. Kalter und die Wiederbesetzung durch Frau Dr. Krämer ab
1. September 2005 fast ein Jahr nicht wissenschaftlich betreut werden konnte. Bei
Laieinamerika ist die Lage auf dem Kunstmarkt durch die Problematik der Raub-
grabungen auch nicht förderlich, Sammlungen seriös zu ergänzen.
Afrika-Referat 33 Objekte
Südasien-Referat 102 Objekte
Ostasien-Referat 165 Objekte
Nordamerika-Referat 12 Objekte
Südsee-Referat 22 Objekte
insgesamt 2005 334 Objekte
Für die Afrika-Sammlungen sind vier archäologische Objekte (Geschenke) her-
vorzuheben, die den Felsbildern Namibias zugehören. Über deren genaue Bedeu-
tung und das Alter lassen sich zur Zeit noch keine näheren Angaben machen, sicher-
lich sind hier noch Ergebnisse zu erwarten.
Für das Südasien-Referat konnte nach langen Irrwegen endlich eine große Samm-
lung von Schattenspielfiguren für unser Haus als Schenkung gewonnen werden.
Diese Figuren befanden sich bereits in einem anderen Museum, das jedoch zu un-
serem Glück seine Sammlungsstrategie derart geändert hatte, dass diese Objekte
nicht mehr dorthin passten. Nun sind sie bei uns, wohin sie auch gehören und dazu
noch in der entsprechenden Umgebung! Hierzu ist anzumerken, dass die zuneh-
mende Mittelknappheit der Museen alle zu stärkerer Konzentration ihrer Inhalte
zwingt. Die Spezialisierung schreitet fort, und nur noch wenige Museen sammeln das,
was ihnen mehr oder weniger zufällig angeboten wird. Gerade in den letzten und in
den kommenden Jahren noch verstärkt anwachsend, kommen Sammlungen be-
trächtlichen Umfangs aus privater Hand auf den Markt. Sie wurden ab den 1960er
Jahren angelegt, als das Reisen in exotische Länder auch für Nicht-Forscher möglich
wurde. Diese Sammlungen wurden aufwändig über Jahrzehnte zusammengetragen
und bestehen meist aus einigen tausend Objekten. Häufig sind leider die Preisvor-
stellungen der Sammler derart realitätsfern, dass keine weiteren Verhandlungen
mehr möglich sind. Dennoch hoffen gerade wir Museen immer auf das Wohlwollen
jener Sammler, die dafür die Garantie erhalten, dass ihre Schätze für die Öffentlich-
keit erhalten und nach Möglichkeit auch zugängig gemacht werden. Die Befreiung
aus einem langen Dornröschenschlaf solcher Sammlungen gehört mit zu den sehr
angenehmen Aufgaben bei uns!
Dr. Brandt hat noch kurz vor seinem Ruhestand sehr gezielt seine langjährigen
Schwerpunkte ergänzt und mit Korea eine bislang wenig bei uns vertretene Region
beachtet. Gerade Korea wird bei uns auch in Zukunft wichtig sein und in der Dauer-
ausstellung einen eigenen Bereich erhalten. Gleichzeitig wird mit dieser Region eine
Verbindung zwischen traditioneller und moderner Kultur angestrebt, ein Ziel, das
wir uns für alle Gebiete vorgenommen haben.
Das Nordamerika-Referat hat deshalb neuere Masken erworben und das Südsee-
Referat ein neueres Seelenboot, das allerdings noch in der Tradition erstellt wurde.
Für die Mittelbereitstellung sei dem Ministerium für Wissenschaft, Forschung und
Kunst Baden-Württemberg gedankt. Vor allem gilt unser besonderer Dank all jenen
Privatpersonen, die uns wiederum mit Schenkungen reichlich bedacht haben. Gera-
de zu einer Zeit, in der wir stetig enger von der Krankenhauslandschaft umgeben
werden, tut es gut, nicht vergessen zu werden. Vielen Dank!
26
Thomas Michel
Afrika-Referat
Da für 2005 keine Eigenmittel zur Verfügung standen, handelt es sich in diesem Jahr
bei allen Eingängen in die Afrika-Sammlung ohne Ausnahme um Geschenke, näm-
lich 33 Stück. Den Spenderinnen und Spendern sei dafür herzlich gedankt.
Die kulturgeographische Region Oberguinea ist mit einer pomdo-Steinfigur von den
Kissi (Guinea-Conakry) vertreten, für deren Echtheit ich mich nicht verbürgen
möchte, und mit einem Friseurschild, dem Stil nach von den Ge-Popo in Togos
Hauptstadt Lomé.
Am reichhaltigsten sind die Schenkungen, die das Linden-Museum 2005 aus dem Süd-
lichen Afrika inventarisieren durfte. Besonders hervorzuheben sind da vier archäolo-
gische Objekte aus Namibia, die der Kategorie von art mobilier zuzurechnen sind, über
deren Fundzusammenhänge und Datierung aber leider nichts überliefert ist. Ursprüng-
lich stammen sie aus der Sammlung von Professor Edgar Denninger, der während der
1960er Jahre im damaligen Südwest-Afrika Farbpigmente an archäologischen Kunst-
werken untersuchte. Es handelt sich dabei einerseits um eine Malerei auf einer Stein-
platte mit der Darstellung einer Antilope, zum anderen um drei sowohl gravierte als
auch schwarz und blau bemalte Geröllsteine, auf denen neben abstrakt-geometrischen
Figuren auch ein Elefant sowie Fische zu erkennen sind. Diese Tiere sind im Röntgen-
stil festgehalten, also mit Abbildung auch der inneren Organe, wie es für die Kunst in
Wildbeuter-Gesellschaften, z.B. für die der San des Südlichen Afrika, typisch ist.
Hinzu kommen noch ein Damen-Kopfschmuck von den Himba (Namibia), eine Korb-
schale und ein geflochtener Besen aus Botswana, ein Umhängetäschchen von der Sho-
na-Gruppe der Bujga (Zimbabwe) und eine, ebenfalls seinerzeit in Zimbabwe erwor-
bene, eiserne Sklavenfessel. Von dieser Fessel möchte ich vermuten, daß sie von den
Yao stammt, die während des 19. Jahrhunderts in weiten Teilen des Südlichen Afrika als
Sklavenjäger operierten.
Schon zu Ostafrika gehören ein Erntemesser von den Lambya, auch wenn es im vorlie-
genden Fall noch auf der malawischen und nicht auf der tansanischen Seite von deren
Siedlungsgebiet erworben wurde, sowie eine Kalebassenflasche und ein Holzgefäß von
den Turkana (Kenia).
Von einem Geschenk mit Objekten aus dem christlichen Äthiopien waren neben einem
Handkreuz aus Messing und einer Kasten-Spießlaute masenqo mit Bogen zwei weitere
Saiteninstrumente ganz hervorragender Qualität besonders erfreulich: Eine Kastenlei-
er krar, wie sie in dieser Qualität bis jetzt nicht in der Afrika-Dauerausstellung vertre-
ten war, und eine Kastenleier beqena. Während die beqena von König David erfunden
sein soll und auch von Priestern, z.B. zur Vertonung des Vaterunsers, gespielt werden
darf, soll die kleinere krar vom Teufel erfunden worden sein und dient der öffentlichen
Belustigung.
Wenden wir uns nunmehr der Region Zentralsudan zu, die zum einem mit einem Pflanz-
stock von den seßhaften Fulbe, einer Feldhacke, einem Reflexbogen mit Köcher und
Pfeilen sowie einer Beinrassel jeweils aus Nordkamerun vertreten ist. Von den Kanuri
waren zum anderen zwei pyrogravierte Holzlöffel in der Oase Bilma (Republik Niger)
gesammelt worden, eine in Technik und Stil ganz ähnlich verzierte Kalebassenschüssel
aber durch die gleiche Spenderin in Bamako (Mali!), wohin sie wohl während der
Verzierter Stein
Gravierter sowie blau und schwarzgrau bemal-
ter hellgrauer Geröllstein, L 8 cm,
San ? (Namibia), undatiert.
Inv.-Nr. F 55.873
27
TRIBUS 55,2006
Kastenleier beqena
Holz, Leder, Rohhaut, Darmsaiten,
Eisennägel, H 129 cm, christliches
Äthiopien. 20. Jh. Inv.-Nr. F 55.879
Kastenleier krar
Holz, Rohhaut, Darmsaiten, Schnur
aus Pflanzenfasern, H 62 cm, christ-
liches Äthiopien, 20. Jh. Inv.-Nr.
F 55.878
1970er Jahre von Kanuri-Händlern gebracht worden war, die damals selbst bis nach
Mauretanien zogen.
Mit einer Reihe von Objekten, bei denen es sich sämtlich um Geschenke eines ehema-
ligen Entwicklungshelfers handelt, ist die Westsudan-Region vertreten: einem sehr an-
schaulichen Hühnerkorb von den Lobi (nördliche Elfenbeinküste); einem Friseur-
schild aus der Elfenbeinküste, das wegen seiner Stilähnlichkeit zu den Werken des
burkinabé Malers Nikéma Rasmané ebenfalls aus dem Norden des Landes stammen
dürfte; einem Herrenhut von den Bambara (Mali); einem Holzmörser mit Stößel aus
Mali; einer Umhängetasche (Mali) und einem Bogen mit Vogelpfeil (Nordghana), de-
ren Technik und Stil des Lederdekors jeweils auf Malinke-Arbeiten verweisen, sowie
eine hölzerne Kopfstütze und eine Kalebassenflasche von den Dogon (Mali).
Hermann Forkl
28
Südasien-Referat
Im vergangenen Jahr konnte die Südasien-Abteilung einen Zugang von 102 Ob-
jekten verzeichnen. Aus Eigenmitteln wurden lediglich eine variantenreiche Samm-
lung von populären Lithographien der „Ravi Varman-Gattung“ - zusammen 42 Pa-
pierbilder in alten Glasrahmen - sowie eine neuzeitliche Bronzefigur aus Nepal (mit
Spendengeldern) erworben. Weitere acht Sammlungsgruppen mit 59 Objekten
konnten als Geschenke dankbar entgegengenommen werden.
Von diesen insgesamt 102 inventarisierten Objekten stammen neben der Lithogra-
phien-Gruppe 13 weitere aus Indien, darunter ein Bogen mit vier Pfeilen von den
Krishna und Radha
Sat Sai-Illustration, Deckfarben auf
Papier, 24,8x22 cm (Blatt), 21,5x17,9
cm (Bildfeld), Mewar/Rajasthan, In-
dien, 1719. Inv.-Nr. SA 04711
Gunakali Ragini
Deckfarben auf Papier, 40,2x25,1 cm
(Blatt), 24,1x15 cm (Bild), Hydera-
bad, urn 1750. Inv.-Nr. SA 04714
29
TRIBUS 55,2006
Muppen-Kurumbar aus Kerala. Zu den bedeutendsten Zugängen zählen vier Minia-
turmalereien des 18. Jahrhunderts, darunter eine „Sat Sai“-Illustration aus der Me-
war-Schule vom selben Satz (und Spender) stammend wie die im Vorjahr erhaltenen
vier Malereien. Sie datieren nach einem anderenorts vorhandenen beschrifteten
Blatt aus dem Jahre 1719 u.Z. Zwei weitere zusammengehörige „Sat Sai“-Blätter aus
einem Satz der Schule von Datia, um 1770 datierbar, erhielten wir von einem ande-
ren Sammler, dazu eine sehr stimmungsvolle, präzise gemalte Miniatur der Gunaka-
li Ragini, ein Blatt von ca. 1750 u.Z. aus der Schule von Hyderabad, Dekkhan. Der
Ragamala-Satz, aus dem diese Malerei stammt, entstand parallel zum bekannten
„Johnson-Set“ in der India Office Library, London, und bietet sich für Vergleichsstu-
dien an. Den beiden Sammlern sei hier nochmals herzlich gedankt.
Aus dem Bereich Nepal-Tibet sind uns vier Objekte geschenkt worden, darunter ein
holzgeschnitzter Buchdeckel und ein Druckstock. Anlässlich der im September 2005
abgehaltenen Streuung eines Bhaishajyaguru-Sandmandalas durch Nonnen des ti-
betischen Klosters Khachoe Ghakyil Ling in Kathmandu erwarben wir eine feuer-
vergoldete Statue dieses Medizin-Buddhas (tibetisch Menla). Die Streuung wurde
als Ritual mit abschließendem Zusammenkehren begangen und bot den zahlreichen
Besuchern einen eindrucksvollen Beleg für den spirituellen Reichtum gegenwär-
tigen buddhistischen Lebens. Nach wie vor ist das vor 13 Jahren im Hause geschaf-
fene, auf Dauer konservierte Yamantaka-Sandmandala ein besonders geschätzter
Anziehungspunkt für Besucher der Südasien-Abteilung.
Aus einer Schenkung von insgesamt 188 Wayang-kulit-Figuren aus der ersten Hälfte
des 20. Jh. konnten wir dankenswerterweise 23 Schattenspielfiguren aus Java als ers-
te Lieferung übernehmen. Weiterhin erhielten wir aus Myanmar, Malaysia sowie Su-
lawesi einige Traggestelle, Körbe und Hüte aus Flechtwerk, einen Keramiktopf und
eine gepresste Stange Salz der Dayak, des weiteren einen Frauenrock „Ulap tum-
bal“, einen Hut „Saung“ und einen Korb „Einen“.
Gerd Kreisel
30
Ostasien-Referat
Die Sammlungsbestände der Ostasien-Abteilung wurden im Jahr 2005 um 165 Ob-
jekte erweitert, von denen 56 gestiftet und 109 angekauft wurden. Erneut stammen
die meisten Neuzugänge mit insgesamt 72 Objekten aus dem chinesischen Kulturbe-
reich, darunter 32 Erwerbungen und 40 Stiftungen, dieses Mal numerisch dicht ge-
folgt von den Neuzugängen aus Korea mit 57 Objekten und 36 aus Japan. Die meis-
ten Neuzugänge, dies betrifft sowohl die Ankäufe als auch die Stiftungen, sind das
Ergebnis von drei Dienst- und Sammelreisen des berichtenden Referenten der
Ostasien-Abteilung im Jahr 2004 und 2005 nach China, Japan und Korea.
Die Mehrzahl der chinesischen Neuerwerbungen ist in diesem Berichtsjahr wieder
den beiden traditionellen Sammlungsschwerpunkten der Ostasien-Abteilung zuzu-
ordnen, dem chinesische Grabkult und der Keramik. So konnten mit Mitteln der
Museumsstiftung Baden-Württemberg sechs figürliche Grabkeramiken der Tang-
Zeit (618-907) erworben werden, ein Kamel mit Packsattel und ausländischem Rei-
ter (Abb. OA 25.393 L), ein braun glasiertes, ungesatteltes und wieherndes Pferd,
zwei Pferde mit abnehmbaren Sätteln (Abb., OA 25.395 a+b L) sowie zwei buddhis-
tische, auf Dämonen stehende Wächterfiguren. Und mit Zentralfondsmitteln konnte
eine kleine Bronzedose, vermutlich aus der Liao-Zeit (907-1125), mit beidseitig auf-
Kleine Vase mit tassenförmiger
Mündung
Beigeweiße Tonware mit weißer
Engobe und dunkelblauer Gla-
sur, El 9,1 cm, China, Mitte Tang-
Zeit (618-907), vermutlich 8. Jh.
Inv.-Nr. OA 25.480
ge-Hellebarde aus Bronze mit Jade klinge
Oxydierte Bronze mit einer Jadeklinge und Resten der Türkiseinlagen und der Sil-
berfassung am Eleftende, L 22,3 cm, China, späte Shang-Zeit (16.-11. Jh. v.Chr.),
12./11. Jh. v.Chr. Die Hellebarde wurde nur für Ritualzwecke und Zeremonien ver-
wendet und diente nicht als Waffe. Inv.-Nr. OA 25.392 (Stiftung)
31
TRIBUS 55,2006
Lacktablett mit einer Landschafts-
darstellung
Holz mit kräftigem Goldlackrelief
(takamakie) über einem Gold-Streu-
lackgrund (nashiji), HxBxT: 2,7 x
20,8 x 19,2 cm, Japan, Mitte Edo-Zeit
(1603-1868), um 1700.
Inv.-Nr. OA 25.405
Kamel mit Packsattel und auslän-
dischem Reiter
Hellgraue Tonware mit weißer En-
gobe und Resten der Farbfassung,
H (mit Sattel und Reiter) ca. 78 cm,
China, Anfang Tang-Zeit (618-909),
7. Jh. Inv.-Nr. OA 25.393 L
gelegtem und durchbrochen mit Vögeln und Blumen gearbeitetem Goldblech ange-
kauft werden.
Wesentliche Erwerbungen hinsichtlich Bedeutung und Zahl konnten mit Hilfe der
Spendenmittel der Ostasien-Abteilung bei der Gesellschaft für Erd- und Völkerkun-
de zu Stuttgart (GEV) sowohl für den Bereich China, als auch Korea und Japan ge-
tätigt werden. So sind die chinesischen Keramikbestände erheblich bereichert wor-
den durch elf Blauweiß-Porzellane, ausschließlich Teller und Schalen unterschied-
licher Größe, des 17. Jahrhunderts (späte Ming- und frühe Qing-Zeit),eine dreifarbig
glasierte Nacken- oder Kopfstütze aus der Liao- oder Jin-Zeit (12.-13. Jh.), eine
Brennkapsel mit darin festgebackener, braun glasierter Teeschale, nördliche Ware
aus der Provinz Henan und der Song-Zeit (960-1278), eine Kanne mit Deckel, Stein-
zeug mit minimalen Glasurresten, Jizhou-Ware aus der Süd-Song-Zeit (1127-1278),
eine kleine, viereckige Schale, Blauweiß-Porzellan mit Überglasur-Eisenrot und
Golddekor der Jiajing-Ära (1522-1567) sowie ein großer Teller, Porzellan mit
Schmelzfarbendekor der Familie rose, und ein Teller und eine Schale, Porzellan mit
puderblauer Glasur, aus der 2. Hälfte der Qing-Zeit (1644-1911).
32
Zwei Pferde mit abnehmbaren Sätteln
Hellgraue Tonware mit weißer Engobe und Resten der Farbfassung, H (a/b) 56,7 /
55,0 cm, China, Anfang Tang-Zeit (618-909), 7. Jh. Inv.-Nr. OA 25.395 a+b L
Für den Bereich Grabkeramik wurden ein großer Schultertopf mit gestempeltem
Dekor aus dem Anfang der Zhanguo-Zeit (475-221 v.Chr.) erworben, zwei sitzende
Fabeltiere oder “Erdgeister“ (zhenmushou) aus der Mitte der Tang-Zeit und aus der
gleichen Zeit eine kleine Vase mit tassenförmiger, ausladender Mündung (Abb. OA
25.480), Ton wäre mit der für die Tang-Zeit sehr seltenen dunkelblauen Glasur, ver-
mutlich handelt es sich dabei um Kobaltblau, das damals aus Persien über die Sei-
denstraße importiert wurde.
Ebenfalls mit Spendenmitteln konnte ein kleiner Lackkasten mit Bambusgeflecht
und Ölmalerei aus der Yuan- (1278-1368) oder frühen Ming-Zeit (1368-1644) ange-
kauft werden, der eine Lücke in der bedeutenden chinesischen Lacksammlung des
Linden-Museums schließen hilft.
Besonders erfreulich waren im Berichtsjahr die zahlreichen und auch bedeutenden
Stiftungen mit insgesamt 40 Objekten für die chinesischen Sammlungen. Eine her-
ausragende Stellung nimmt dabei eine gc-Hellebarde (Abb. OA 25.392) aus Bronze
mit einer Jadeklinge ein aus der späten Shang-Zeit (16.-11. Jh. v.Chr.) ein. die nur für
Ritualzwecke und Zeremonien verwendet wurde und nicht als Waffe diente. Sie
stammt aus der gleichen alten deutschen Privatsammlung, die bereits vor dem 2.
Weltkrieg in China zusammengetragen wurde und aus der das Museum bereits in
den vergangenen beiden Jahren zwei archaische Bronzewaffen, beide aus der 2.
Hälfte der Shang-Zeit (13.-11. Jh. v.Chr.), eine große Hängerolle mit einer in Tusche
auf Seide gemalten Berglandschaft aus der Mitte der Ming-Zeit, eine kleine Quer-
rolle mit einer Tuschelandschaft und einer langen, separat geschriebenen Kalligra-
phie von dem gegen Ende der Ming-Zeit tätigen Maler Shao Mi (um 1594 - ca. 1642)
sowie eine Hängerolle mit einer Berglandschaft aus der späteren Qing-Zeit (1644-
1911) als Geschenke erhalten hatte.
Abgesehen von siebzehn chinesischen Schattenspielfiguren und Zubehör aus der
Provinz Sichuan aus dem 20. Jahrhundert und einem Vogelkäfig gehören die übrigen
Stiftungen alle in den Bereich der Grabkeramik. Vier Spender und ein kleiner Rest
aus Spendenmitteln der Ostasien-Abteilung bei der GEV ermöglichten so den An-
kauf eines großen und gesattelten Pferdes mit Resten der kalten Farbfassung aus der
33
TRIBUS 55,2006
Großes, gesatteltes Pferd
Mittelgraue Tonware mit weißer En-
gobe und Resten der kalten Farbfas-
sung, H 71,0 cm, L 66,0 cm, China, 1.
Hälfte der Tang-Zeit (618-907), 7./8.
Jh. Inv.-Nr. OA 25.414 (Stiftung)
1. Hälfte der Tang-Zeit (Abb. OA 25.414). Als eine schöne Ergänzung und aus der
gleichen Zeit stammend wurden die große Figur eines ausländischen Pferdeknechtes
mit Dreifarbenglasur (sancai) und zwei vollschlanke, stehende Hofdamen, sog. “fat
ladies“, mit Resten der originalen Bemalung gestiftet. Weitere gestiftete, figürliche
Grabbeigaben aus der Tang-Zeit und davor beinhalten ein zusammengehöriges Paar
großer Fabeltiere oder “Erdgeister“ (zhenmushou) aus dem Anfang der Tang-Zeit
(Abb. OA 25.491 a+b), eine kleine Figur eines Welten- oder Grabwächters (Lokapä-
la) aus der Mitte der Tang-Zeit mit gut erhaltener Farbfassung, der auf einem Stier
steht, ein Paar großer Grabwächterfiguren aus der gleichen Zeit, die jeweils auf
einem kauernden Dämonen oder Menschen stehen und aus zwei Hälften zusam-
mengesetzt sind (Abb. OA 25.473 a+b) und die wie die Fabeltiere ursprünglich den
Zugang zur Grabkammer bewachten, und aus dem Anfang der West-Han-Zeit (206
v.Chr.-8 AD) die Figur einer knienden Dienerin aus grauer Tonware.
Zu der großen Gruppe der gestifteten chinesischen Grabbeigaben gehören noch ein
halbrunder Firstziegel mit einer Taotie-Maske in Relief aus der 1. Hälfte der Zhan-
guo-Zeit (475-221 v.Chr.), der vermutlich aus dem Staate Yan stammt, aus der Ost-
Han-Zeit (25-220) ein Hausmodell und zwei Gefäße aus hart gebrannter Tonware,
ein dreibeiniges, rundes Deckelgefäß vom Typ “//an“ und eine Schulterflasche mit
Deckel von Typ “hu“, die aus der südchinesischen Provinz Guangdong stammen, ein
Paar großer Fabeltiere oder “Erd-
geister“ (zhenmushou)
Graue Tonware mit weißer Engobe
und minimalen Resten der Farbfas-
sung, H (a/b) 72,8 / 69,8 cm, China,
Provinz Shanxi, Anfang Tang-Zeit
(618-907), 1. Hälfte 7.Jh.
Inv.-Nr. OA 25.491 a+b (Stiftung)
34
Paar großer Grabwächterfiguren
Rötliche Tonware mit weißer Engo-
be und Resten der Farbfassung,
H (a/b) 78,0 / 77,5 cm, China, Mitte
Tang-Zeit (618-907), 8. Jh. Die Fi-
guren sind aus zwei Hälften zusam-
mengesetzt und stehen jeweils auf
einem kauernden Dämonen oder
Menschen. Inv.-Nr. OA 25.473 a+b
(Stiftung Hotel Unger, Stuttgart)
Brunnenmodell und das Modell eines Schweinekobens mit Abort und Schwein, bei-
de aus rötlicher Tonware mit silbrig oxydierter, grüner Bleiglasur und aus der Ost-
Han-Zeit.
Die Reihe der gestifteten chinesischen Keramiken wird beschlossen von zwei Ge-
fäßen aus dem Neolithikum, einem großen Topf mit drei Ösenhenkeln auf der Schul-
terzone, der zu der nordostchinesischen Hongshan-Kultur des späten 5. oder frühen
4. Jahrtausends v.Chr. gehört, und einem Gießgefäß vom Typ “//“ mit einem Henkel
und den charakteristischen drei euterförmigen, spitz zulaufenden Beinen aus der
Dawenkou-Fongshan-Kultur, Provinz Shandong, und dem Ende des 4. Jtsd. v.Chr.,
ferner eine tiefe, halbkugelige Schale mit Dreifarbenglasur (sancai) aus der Mitte
der Tang-Zeit und zwei Teller, cremeweißes Blanc-de-Chine Porzellan, Dehua-Ware
aus der Provinz Zhejiang und in die 2. Hälfte des 17. Jh. datierbar.
Die Japan-Sammlungen wurden ergänzt durch den Ankauf von 35 Objekten und
einem gestifteten großen Lackkasten mit Perlmutteinlagen aus der Meiji-, Taishö-
Ära (um 1900) für die Aufbewahrung von Inrös und anderen kleinen Objekten.
Abgesehen von dem Erwerb eines zylinderförmigen Bronzebehälters für buddhisti-
sche Sütrentexte (kyözutsu) aus der späten Heian-Zeit (794-1185), der mit Mitteln
des Zentralfonds angekauft werden konnte, sind alle übrigen Erwerbungen mit
Spendenmitteln der Ostasien-Abteilung bei dem Förderverein GEV realisiert wor-
den.
Hierzu gehören ein 6-teiliger Stellschirm aus dem 19. Jahrhundert, die linke Hälfte
eines Stellschirmpaares mit separaten Darstellungen von Pflanzen und Vögeln für
die sechs Monate der zweiten Jahreshälfte, drei Bücher mit Farbholzschnitten aus
der Meiji-, Taishö- und Shöwa-Ära, datiert in die Jahre 1893,1922 und 1931, ein vier-
eckiges Lacktablett (Abb. OA 25.405) mit einer Landschaftsdarstellung in kräftigem
Goldlackrelief (takamakie), das für die Räucherwerkzeremonie benutzt wurde und
aus der Mitte der Edo-Zeit (1603-1868) um 1700 stammt, zehn Porzellane aus der
frühen, mittleren und späten Edo-Zeit sowie Exportware für den Westen aus der
Meiji-Ära (1868-1911), drei mehrteilige Stapelkästen mit Lackdekor aus der frühen
bzw. späten Edo-Zeit, drei Sakekannen (chöshi), eine aus Holz mit Lackdekor aus
der frühen Edo-Zeit, eine aus Gusseisen mit Lackdeckel und eine aus Glas, beide aus
35
TRIBUS 55,2006
dem Ende der Edo-Zeit, und ein Farbholzschnitt mit einem Kakadu auf einem Gra-
natapfelzweig von Ohara Shöson (1877-1945), vermutlich nach 1926 entstanden.
Die Zugänge der Korea -Sammlungen belaufen sich auf 57 Objekte, von denen zwei-
undzwanzig mit Mitteln des Zentralfonds in Korea und zwanzig weitere in Deutsch-
land bzw. in Japan mit Spenden der Fördergesellschaft GEV und in bescheidenerem
Maße mit Spendenmitteln der Ostasien-Abteilung bei der GEV erworben werden
konnten, die restlichen fünfzehn Objekte wurden von dem koreanischen Kalli-
graphen JUNG Do-jun gestiftet und bestehen aus einem traditionellen Webstuhl mit
Zubehör aus dem Ende der Joseon- oder Yi-Zeit (1392-1910) und weiteren ethno-
graphischen Alltagsgegenständen wie Essen- oder Picknickbehälter (do si rak) und
Schöpfkellen.
Die mit Zentralfondsmitteln in Korea erworbenen Objekte umfassen zwei Kleider-
und eine Reistruhe, ein Reismaß, vier niedrige Tische und Tabletts, ein kleines
Schreibkabinett, einen lackierten Kasten für Hochzeitsgeschenke, zwei Kuchen-
formen, Hanfmesser und Walkblock mit Schlegeln für Seidenstoffe, eine Handmühle
für Kräuter und Medizin, alle Objekte aus dem Ende der Joseon- oder Yi-Zeit, sowie
eine birnenförmige Bronzeflasche aus der 1. Hälfte der Goryo-Zeit (918-1392) und
drei Flaschen, eine Teeschale und einen braun glasierten Honigtopf mit Deckel aus
Porzellan bzw. Steinzeug aus der frühen, mittleren und späten Joseon-Zeit.
Diese Gruppe wurde gezielt ergänzt durch Erwerbungen mit Mitteln der Förderge-
sellschaft GEV und Spendenmitteln. Hierzu gehören ein zweiteiliger Schrank mit
Rotlack und Perlmutteinlagen, sowie ein großer Kasten mit Schwarzlack und Perl-
mutteinlagen auf einem separaten Gestell, ein kleiner Lackkasten mit rotbraunem
Lack mit eingestreutem Goldpulver und Perlmutteinlagen und ein Medizinschrank
mit zahlreichen Schubladen, alle vier Möbel aus der späten und dem Ende der Jose-
on-Zeit. Zeitgenössische Pinsel und Schreibmaterial konnten in Seoul erworben
werden und im Kunsthandel in Deutschland bzw. Japan eine Öllampe mit Holzge-
stell aus dem Ende der Joseon-Zeit, ein kleines Steinzeuggefäß mit grünbrauner
Aschenglasur auf hohem, durchbrochenen Fuß aus der Silla-Zeit (668-935), vermut-
lich noch 7. Jahrhundert, eine weitere große, birnenförmige Bronzeflasche aus der 1.
Hälfte der Goryo-Zeit (918-1392), eine große olivgrüne Seladonschale mit einge-
legtem, weißem und schwarzem Schlickerdekor aus der späten Goryo-Zeit und eine
Teeschale aus Porzellan aus dem Anfang der Joseon-Zeit, ca. 15./16. Jahrhundert.
Ein Großteil der im Berichtsjahr erworbenen Möbel sowie der Keramiken und sons-
tigen Objekte ist zusammen mit einer Auswahl aus den bereits vorhandenen korea-
nischen Sammlungsbeständen seit Ende September 2005 im Zweigmuseum im
Schloss Ettlingen in einem gesonderten Raum im Anschluss an den Japan-Bereich
ausgestellt.
Auch dieses Jahr möchten wir allen Spendern an dieser Stelle nochmals für ihre
wertvollen und besonders zahlreichen Stiftungen herzlich danken.
Klaus J. Brandt
36
Südsee-Referat
Im Berichtsjahr 2005 konnte das Linden-Museum insgesamt 22 Objekte inventari-
sieren. Drei der Objekte kamen durch Kauf zur Sammlung: ein historisches Didjeri-
doo aus der Sammlung Molder, ein in den 90er Jahren geschnitztes Kultboot wura-
mot von den Asmat und ein bemerkenswerter Brustschmuck von den Jaqai, der bei
Initiationsfeierlichkeiten vermutlich als eine Art Klanemblem getragen wurde und
in Form eines erigierten Penis und geflochtener Hoden ein Symbol der Schöpfungs-
fähigkeit der Männer ist.
Das Kultboot der Nord-West-Asmat wird ergänzt durch einen mbw-Pfosten mit zwei
„Flügeln“ aus der gleichen Zeit und durch zwei expressive Asmat-Schilde, die als
Geschenk zur Sammlung kamen, das Didjeridoo durch eine Sammlung von Arbeits-
und Holzproben aus der aktuellen Didjeridoo-Fertigung in Nordaustralien, mit de-
nen die unterschiedlichen Holzarten und Fertigungsschritte gezeigt werden können.
Unter den Stiftungen zur Sammlung besonders erwähnenswert sind eine sehr große
mo/:ö-Schmuckscheibe aus dem Hochland von Neuguinea und eine kleine Baum-
bastmaske von der Nordküste Neubritanniens.
Das Foto-Archiv schließlich konnte siebzehn historische Fotos mit unterschiedlichen
Sujets verbuchen, die mit einer Samoa-Tapa zur Sammlung kamen. Wie immer dan-
ken wir allen Spendern, die auch in finanziell schwierigen Zeiten zum Wachsen der
Sammlung beitragen, für ihr großzügiges Entgegenkommen.
Ingrid Heermann
Brustschmuck der Jaqai
Bambus, Federn, Hiobstränen und
Fasern, H 98 cm, Mappi River Ge-
biet, Irian Jaya. Inv.-Nr. 4684 L
37
TRIBUS 55,2006
Nordamerika-Referat
Im Jahr 2005 konnten insgesamt 12 Objekte für die Nordamerika-Sammlung erwor-
ben werden, darunter drei Werke von Douglas Miles. Durch den persönlichen Kon-
takt mit diesem Apache-Künstler wurden drei seiner mit Acrylfarben plakativ be-
malten Skateboards aus Ahornholz in Auftrag gegeben. Bei der Gestaltung der er-
worbenen Kunstwerke „Apache Lady“, „Apache Musician“ und „Apache Dancers“
ließ sich der Künstler von seinen Eindrücken leiten, die er beim Betrachten der Apa-
che-Sammlung des Linden-Museums sammeln konnte. Als Geschenk kam neben
kleineren Gegenständen ein aus Red Cedar (Thuja plicata) gefertigtes Paddel aus
der Kultur der Haida in die Sammlung, das rot-schwarze Bemalung zeigt und auf die
zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts zu datieren ist.
Durch die Förderung der Museumsstiftung Baden-Württemberg war der Erwerb
von drei Objekten aus dem Gebiet der kanadischen Nordwestküste möglich. Eine
Zeremonialmaske der Kwakwaka’wakw (Kwakiutl) und zwei Sxwaixwe-Masken
aus British Columbia sind eine wichtige Ergänzung der Nordamerika-Sammlung, in
der diese Region zwar mit einigen herausragenden Stücken dokumentiert ist, den-
noch gestaltet sich die Darstellung der vielfältigen und lebendigen indianischen Tra-
ditionen aufgrund erheblicher Sammlungslücken als äußerst schwierig.
Die erworbene Zeremonialmaske wurde um 1980 von Tony Hunt, Jr. und Stanley
Clifford Hunt in Fort Rupert geschnitzt. Sie sind Nachfahren des legendären Schnit-
zers Mungo Martin und der international renommierten Kwakwaka’wakw-Künstler
Tony Hunt Sr. und Henry Hunt. Es handelt sich dabei um eine aus Red Cedar (Thu-
ja plicata) gefertigte Doppelmaske, die mit Acrylfarben in rot, schwarz und weiß
bemalt und mit Zedernbast verziert wurde. Sie ist 1,82 cm lang, 51 cm hoch und 23
cm tief.
Diese Doppelmaske wird Waxsgami (Maske mit Gesicht auf zwei Seiten) genannt
und tritt während des Initiationsrituals des Hamatsa-Bundes in Erscheinung, wobei
Waxsgami im Hamatsa-Ritual das Menschen verschlingende Raben-Ungeheuer re-
präsentiert. Im Maskentanz wird der Zustand des Novizen vermittelt, der bereits
vom kannibalischen Hamatsa-Geist besessen ist, allerdings im Verlauf des Tanzes
allmählich „gezähmt“ und in seine menschliche Existenz zurückgebracht wird. Beide
Vogelköpfe zeigen das mythische Rabenwesen, das die Geistkräfte des Nordens ver-
Sxwaixwe-Raben-Maske
Schnitzer: Simon Charlie
(1919-2005)
Geschnitzt aus Red Cedar (Thuja
plicata), ausgestattet mit Kaninchen-
fell, Kaninchenrohhaut, Pferdehaar
und Rabenfedern. H ca. 90 cm. B ca.
60 cm, Küsten-Salish, Koksilah, Bri-
tish Columbia, 1992.
Inv.-Nr. M 35.591
38
körpert. Über eine Schnur werden die Schnäbel bewegt und ein lautes Klappern
ausgelöst.
In der Tradition der Kwakwaka’wakw nahm der Hamatsa-Bund den höchsten Rang
ein mit der Mitgliedschaft führender Oberhäupter und einflussreicher Schamanen.
Die Zeremonialmaske wurde von Mitgliedern der sehr traditionsbewussten
Kwakwaka’wakw-Familie Hunt für den Eigenbedarf geschnitzt und bereits mehr-
fach bei Hamatsa-Zeremonien getanzt, zuletzt von dem jungen George Hunt, Jr. in
Alert Bay und im Mungo Martin-Wal-Haus in Victoria. George Hunt, Jr. ist ein
Nachfahre von George Hunt, Sr., der vor 100 Jahren als Übersetzer und ausgewie-
sener Kenner der Kwakwaka’wakw-Rituale mit dem Ethnologen Franz Boas zusam-
menarbeitete und dessen wegweisende wissenschaftliche Recherchen erst möglich
machte.
Die beiden Sxwaixwe-Masken, die einen Raben und einen Gänsesäger (Entenvogel;
Mergus Merganser L.) darstellen, stammen aus der Tradition der Küsten-Salish. Sie
wurden 1992 in Koksilah, British Columbia, von dem ausgewiesenen Meisterschnit-
zer Simon Charlie (1919-2005) aus Red Cedar (Thuja plicata) geschnitzt, bemalt und
detailgetreu mit entsprechenden Attributen ausgestattet. Für die Sxwaixwe-Raben-
Maske waren dies Kaninchenfell, Kaninchenrohhaut, Pferdehaar und Rabenfedern
und für die Sxwaixwe-Gänsesäger-Maske Kaninchenfell. Kaninchenrohhaut, Pferde-
haar und Entenfedern. Beide Masken haben eine Höhe von etwa 90 cm und eine
Breite von etwa 60 cm.
Die erworbenen Masken gehören zu den Sxwaixwe-Zeremonialtänzen, eine Traditi-
on, die bei den Küsten-Salish im Gebiet von Victoria und Vancouver Island nur noch
bis Anfang des 20. Jahrhunderts lebendig war. Heute sind einige Salish bestrebt, die-
se Tradition wieder zu beleben. Der vor wenigen Monaten verstorbene Simon Char-
lie (Hwunumetse’) war einer der wenigen, der noch über entsprechende Kenntnisse
der Sxwaixwe-Maskenschnitzerei verfügte.
Sxwaixwe-Masken waren bzw. sind nur bei den Küsten-Salish verbreitet und sind
dort aufgrund ihrer Verwendung in Heilungsritualen von großer Bedeutung. Der
Erwerb der beiden Masken, von denen die Raben-Maske in einem Sxwaixwe-Ritual
getanzt wurde, war nur möglich, weil die Auftraggeber den Schnitzer Simon Charlie
nicht bezahlen konnten und die Masken zurückgeben mussten. Nach der Rückgabe
verkaufte Simon Charlie beide Masken an eine mit ihm befreundete Kunstsammle-
rin und verfasste eine schriftliche Erklärung, die den Verkauf der Masken gestattet.
Sowohl die Zeremonialmaske der Kwakwaka’wakw als auch die Sxwaixwe-Masken,
die in jüngerer Zeit im Ritual Verwendung fanden, sind ein sichtbarer Beweis für die
Erneuerung und das Erstarken überlieferter Kulturtraditionen.
Sonja Schierle
39
TRIBUS 55,2006
Jahresbericht 2005 des Referats Museumspädagogik
Im Jahr 2005 war die Gesamtbesucherzahl mit 60.055 stark rückläufig, insbesondere
da der Zuspruch zu den Sonderausstellungen ausblieb. Zwar ist auch die Gesamtan-
zahl der Führungen im Jahr 2005 um 83 geringer als 2004, bei einer genauen Betrach-
tung der Einzelwerte zeichnet sich dennoch eine sehr positive Bilanz ab. Der Rück-
gang lässt sich eindeutig auf die erheblich reduzierte Anzahl von Publikumsfüh-
rungen in den Sonderausstellungen zurückführen, die 2004 aufgrund des großen
Besucherinteresses bei 152 lag und 2005 nur 55 Publikumsführungen umfasste.
Die Führungsstatistik zeigt zudem, dass überregional bedeutende Sonderausstellun-
gen auch die Anzahl angemeldeter Führungen stark beeinflussen. So lag die Nach-
frage an angemeldeten Führungen in Sonderausstellungen im Jahr 2004 bei insge-
samt 159 mit allein 140 Führungen in der äußerst gut besuchten Ausstellung „Der
lange Weg der Türken“. Im Jahr 2005 war die Gesamtzahl auf nur 28 angemeldete
Führungen in Sonderausstellungen gesunken. Umso erfreulicher ist es, dass die An-
zahl der nachgefragten Führungen in den Dauerausstellungen von 518 Führungen
im Jahr 2004 auf 661 im Jahr 2005 gesteigert werden konnte, ein Zuwachs um 28 %.
Diese Nachfrage bestätigt die Attraktivität des museumspädagogischen Führungs-
angebots, das insbesondere bei Schulen eine kontinuierliche Resonanz findet und
dazu führte, dass trotz des drastischen Rückgangs der Nachfrage in den Sonderaus-
stellungen die Gesamtzahl der angemeldeten Führungen 2005 gesteigert werden
konnte. Der Anteil der geführten Besucher lag 2005 somit bei 35 %, eine Zunahme
von 5 % im Vergleich zu 2004.
Ein interessantes Detail, das sich hinter den Zahlen verbirgt, verweist auf die eben-
falls positive Entwicklung, dass die Nachfrage nach eineinhalb- und zweistündigen
Führungen deutlich zunimmt. Der Anteil der Schulen, die eine längere Führung
wünschten, lag 2004 bereits bei 22 % und steigerte sich 2005 auf 30 %. Nahezu jede
dritte Grundschulklasse bevorzugte diese Form der Führung, die in der Regel inhalt-
liche Vermittlung mit kreativer Vertiefung verbindet. Beeindruckend ist die erhöhte
Nachfrage vor allem bei den Gymnasien, die von 10 % im Jahr 2004 auf 30 % im Jahr
2005 anstieg, und der Realschulen mit einer Steigerung um 13 % auf 30 %.
Sehr deutlich gestiegen ist die Nachfrage nach einer längeren Führungsdauer auch
bei nichtschulischen Gruppen. Lag der Anteil der Gruppen, die eine einstündige
Führung buchten, im Jahr 2004 noch bei 75 %, betrug er 2005 nur noch 41 %. Beson-
ders deutlich spiegelt sich das Interesse an längeren Führungen bei Kindergeburtsta-
gen mit einem Anteil der eineinhalbstündigen Programme von 54 % und einer
Nachfrage nach zweistündigen Führungen von 29 %.
Es zeigt sich, dass das Interesse an Angeboten, die Informationsvermittlung mit
praktischem Gestalten verbinden, sehr groß ist. Da alle Führungsaktivitäten im Lin-
den-Museum in den Ausstellungsräumen stattfinden müssen, kann es in Zeiten gro-
ßer Nachfrage, etwa vor den Sommerferien, vermehrt zu Engpässen kommen und
immer häufiger sogar zur Ablehnung interessierter Gruppen. Die zunehmende
Nachfrage nach Führungen mit praktischer Aktivität offenbart das Fehlen an Räum-
lichkeiten, in denen Gruppen gestalterisch tätig werden können. Das große Interesse
an Führungen, die länger als eine Stunde dauern und Aktionscharakter haben, lässt
sich auch an der erfreulich hohen Führungsnachfrage in der „KinderSpieL-Ausstel-
lung ablesen. Da in die Ausstellung eine „SpielWerkstatt“ integriert ist, können Ju-
gendliche das erworbene Wissen gleich praktisch umsetzen und eigenes Spielzeug
aus Abfallmaterialien herstellen.
Führungen 2005 und 2004 im Überblick
2005 2005 2005 2004
Schulen Stuttgart auswärtig gesamt gesamt
Grundschulen 47 102 149 123
Hauptschulen 4 28 32 36
Realschulen 5 48 53 55
Gymnasien 37 89 126 89
Berufsschulen 1 6 7 14
Sonderschulen 3 15 18 14
Fremdsprachige Schulen 4 0 4 9
Gesamt 101 288 389 340
Außerschulische Kinder/Jugendliche 2005 2004
Kindergärten 64 52
Kindergeburtstage 33 22
Kinder/Jugendliche 44 39
Waldheime 4 0
Gesamt 145 113
Sonstige Gruppen 2005 2004
Behinderte 9 9
Kunst-Abo der Kulturgemeinschaft 12 17
Kirchliche Gruppen 10 18
Pädagogische Fortbildung 10 11
Private Gruppen 38 92
Senioren 12 20
Uni/PH/FH 7 10
VHS 7 10
Gesamt 105 187
Gruppenführungen gesamt: 639 640
41
TRIBUS 55,2006
Öffentliche Führungen 2005 2004
Familienprogramme 6 6
Ferienprogramme 25 22
Kindernachmittage 5 0
Publikumsführungen in den Dauerausstellungen 93 93
Publikumsführungen in den Sonderausstellungen 55 152
Familienführung 10 8
Thementag 1 2
Workshop 4 2
Weite Welt der Worte 8 7
Sonntagsatelier 3
Öffentliche Führungen/gesamt 210 292
Gesamtzahl aller Führungen 849 932
Verteilung der Führungen auf die Dauerausstellungen 2005
Dauerausstellungen Publikums- führungen, Kinder-, Ferien-, Familien- Programme Angemeldete Gruppen Gesamt Anteil in %
Afrika 14 140 154 21 %
Lateinamerika1 19 76 95 12 %
Nordamerika 13 227 240 32 %
Orient 8 79 87 11 %
Ostasien 12 44 56 7 %
Ozeanien2 18 38 56 7 %
Südasien 16 57 73 10 %
Gesamt 100 661 761 100 %
□ Afrika 21 %
■ Lateinam. 12 %
□ Nordam. 32 %
□ Orient 11 %
■ Ostasien 7 %
□ Ozeanien 7 %
■ Südasien 10 %
Diagramm 1: Verteilung der Führungen auf die Dauerausstellungen 2005
1 Nach 7-monatiger Schließung wurde „Lateinamerika“ am 22.4.05 in neuer Gestaltung und
neuen Räumen wieder eröffnet.
2 „Ozeanien“ wurde mit Australien-Schwerpunkt am 3.4.05 wieder eröffnet.
42
Verteilung der Führungen auf die Sonderausstellungen 2005
Publikums- führungen Angemeldete Führungen Gesamt Anteil in %
Vorsicht. Aufsicht. Reloaded 1.12.04-6.2.05 0 0 0 0
Katsina-Puppen der Hopi-Indianer1 * 3 10.12.04-2.10.05 18 0 18 21
Khaled Ben Slimane Tunesische Keramik 17.12.04-8.2.05 1 0 1 1
Bernatzik-Fotografien 24.2.05-2.5.05 11 1 12 14
Pierre Verger 25.6.05-28.8.05 23 3 26 30
KinderSpiel 27.11.05-17.9.06 3 24 27 32
Kunst der Aborigines4 4.12.05-9.7.06 2 0 2 2
Gesamt 58 28 86 100 %
□ Katsina-Puppen 21 %
□ Tunes.Keramik 1 %
□ Bernatzik 14 %
□ Verger 30 %
■ Kinderspiel 32 %
□ Aborigines 2 %
Diagramm 1: Verteilung der Führungen auf die Sonderausstellungen 2005
Museumspädagogische Begleitprogramme
Ferienprogramme
In den Ferienprogrammen 2005 standen erneut die Abenteuer von Nanu Naseweis
im Mittelpunkt, sei es bei seiner Reise rund um den Pazifik, in einem orientalischen
Bazar oder bei einem Potlatch-Fest an der Nordwestküste Nordamerikas. Das Pro-
gramm in den Herbst- und Weihnachtsferien griff das Fokus-Thema „Tod und Jen-
seits“ auf. So zeigte Nanu Naseweis, weshalb in afrikanischen Kulturen die Ahnen
von Bedeutung sind und was der Vielfraß bei dem Besuch verstorbener Verwandter
in Ostasien zu suchen hat. Trotz des anspruchsvollen Themas war das Interesse an
den Veranstaltungen erfreulich groß.
1 Angemeldete Gruppen zum Thema „Katsina-Puppen“ wurden immer in Verbindung mit
dem Themenschwerpunkt „Hopi“ in der Nordamerika-Dauerausstellung geführt und daher
unter „Führungen in den Dauerausstellungen“ erfasst.
4 Angemeldete Gruppen zu der Sonderschau „Kunst der Aborigines“ in der Dauerausstellung
wurden 2005 unter „Führungen in der Ozeanien-Dauerausstellung“ erfasst.
43
TRIBUS 55,2006
Das Sommerferienprogramm 2005, das unter dem Motto „ Menschen - den Tieren
auf der Spur“ stand, fand ebenfalls wieder ein sehr positives Echo. Das Programm
lud Kinder ab 8 Jahren und ab 10 Jahren ebenso wie Erwachsene ein, den Spuren der
Tiere zu folgen und deren Bedeutung in unterschiedlichen Kulturen kennen zu ler-
nen. Dabei nahmen sie in der Nordamerika-Ausstellung die Spuren vom weißen Bi-
son, Hirsch und Raben auf. In der Afrika-Ausstellung standen Geschichten von
Menschen und Tieren im Mittelpunkt und für Ozeanien konzentrierte sich die Spu-
rensuche auf Tiere, die im Leben australischer Aborigines eine Rolle spielen. Wäh-
rend es in der Lateinamerika-Ausstellung Schlangenhaare, Jaguarzähne und Kral-
lenfüße zu entdecken gab, wagten sich die Besucher/innen in Ostasien in das Reich
der Drachen. Zeichen und Fledermäuse vor und begegneten in Südasien Fabelwe-
sen, Gottheiten und deren Begleitern.
Familienprogramme
Im ersten Quartal 2005 wurde das Familienprogramm zum Thema „Leben unter
einem Dach“ fortgeführt. So konnten Erwachsene und Kinder gemeinsam erkun-
den, dass Wohnen weit mehr ist, als nur ein Dach über dem Kopf zu haben. In der
Ostasien-, Afrika- und Lateinamerika-Ausstellung wurden traditionelle Wohntradi-
tionen und die damit verbundenen Weltsichten vorgestellt. Im Herbst und Winter
drehte sich alles um das Thema „Essen“. Wer einen Blick über den Tellerrand wagte,
konnte in „Afrika“ mit dem König von Oku speisen, sich auf Nahrungssuche in Aus-
tralien begeben und erfahren, was das Lächeln des Radieschens mit den Essgewohn-
heiten in Japan und China zu tun hat. Erfreulicherweise war das Interesse an den
Programmen sehr groß und bestätigte unser Vorhaben, ethnologische Grundla-
genthemen als museumspädagogisches Angebot auszubauen.
Workshops und Thementage
Mit großem Erfolg konnte auch im Sommer 2005 ein dreitägiger Web-Workshop für
Erwachsene und erstmalig auch Halbtagskurse für Kinder ab 8 Jahren durchgeführt
werden. Die beiden Weber-Meister Zimako Coulibaly und Koko Fofana, die aus We-
berfamilien im Norden der Elfenbeinküste stammen, leiteten den Workshop und
führten in die Technik des Schmalbandwebstuhls ein.
Ein überragendes Interesse fand im Oktober auch der zweitägige Workshop „Das
Malen eines Mandalas“ mit dem tibetischen Thangka-Maler Tashi Tsering Lama, der
als „Golden Painter“ ausgezeichnet wurde und heute das Casa Tibetana in Votigno,
Italien, leitet. Es wurde vereinbart, den Workshop im Jahr 2006 fortzusetzen und die
Technik der Thangka-Malerei zu vertiefen.
In der Ostasien-Ausstellung bot die Ikebana-Meisterin Hannelore Störzinger auch
2005 Ikebana-Workshops an, um die Kunst des japanischen Blumensteckens nach
der traditionellen Schule Kaden Ryu einzuführen.
Das Interesse an ganztägigen Thementagen war sehr unterschiedlich. Während die
Veranstaltung „Das Mandala - Reise in innere Welten“ als Einführung in ein kom-
plexes buddhistisches Symbol zahlreiche Anmeldungen verbuchen konnte, mussten
der Thementag „Was heißt hier .primitiv’ ?“ mit dem Schwerpunkt auf das kulturelle
Leben der Aborigines in den Wüsten Australiens und das der „Buschmänner“ der
Kalahari sowie der Thementag „Die Sprache der Kleidung“ in der Afrika- und La-
teinamerika-Ausstellung mangels Anmeldungen abgesagt werden.
Kooperationsveranstaltungen
In Zusammenarbeit mit dem Zen-Dojo Stuttgart wurde die Abendveranstaltung
„Zen-Geschichten“ angeboten. Die Erzählungen von Zen-Meister Missen Michel
Bovay vorgetragen und von Wolfgang Hessler auf der japanischen Bambusflöte Sha-
kuhachi begleitet, begeisterten ein großes Publikum. Ebenfalls eine überwältigende
44
Resonanz fand im April das viertägige Internationale Erzählfestival „Im Fluss der
Worte“ unter der künstlerischen Leitung der Erzählerin Odile Neri-Kaiser und orga-
nisiert durch das Forum der Kulturen Stuttgart. Das Festival stellte Erzählkunst vor,
die von der Unterhaltung bis zur Überlieferung von Mythen reicht, von Geschichten
bis zur experimentellen Kunst und mündlichen Literatur. Im Linden-Museum fan-
den die Auftaktveranstaltung und Erzählwanderungen durch nahezu alle Ausstel-
lungen statt. Zahlreiche Besucher erlebten, wie renommierte Erzählerinnen und
Erzähler die Kulturen Afrikas, des Orients, Nordamerikas, Indiens und Japans mit
ihren Geschichten lebendig werden ließen. Einen enormen Zuspruch fand auch das
parallel zur Erzählwanderung angebotene Kinderprogramm unter der Leitung von
zwei erfahrenen Kinderbuchautoren und Erzählern.
Zahlreiche Besucher kamen im Mai zur Lesung und zum Gespräch mit dem preisge-
krönten Tuwa-Schriftsteller Galsan Tschinag, der seinen neuen Roman „Das ge-
raubte Kind“ vorstellte. Die Veranstaltung entstand in Zusammenarbeit mit der Ge-
sellschaft für zeitgenössische Lyrik e. V. Leipzig und mit Förderung durch die Ro-
bert-Bosch-Stiftung.
Das Linden-Museum nahm in Kooperation mit dem Karlsgymnasium Stuttgart an
dem bundesweiten Pilotprojekt „Schule@Museum: Virtuell und Interkulturell“ teil.
Im Rahmen des Faches „Mensch und Natur“ beschäftigten sich die Klassen 5b und
5c mit Begabtenförderung (G8-Plus-Zug) von März bis Juli 2005 in der Orient- und
der Ostasien-Ausstellung ebenso wie im Unterricht mit der Architektur des Orients
und Japans. Nach einer Einführung bildeten sich Arbeitsgruppen, die Spezialthemen
vertieften, um sie dann der ganzen Klasse vorzustellen. Auf dieser Grundlage ent-
wickelten sich erneut Gruppen, die in der anschließenden gestalterischen Phase ei-
gene Modelle und unterhaltsame Wissensspiele entwickelten. Das Projekt wurde auf
der Infobörse Hochbegabung im Juni 2005 einem pädagogischen Fachpublikum vor-
gestellt und ist als Powerpoint-Präsentation auf der Homepage von „Schule@Muse-
um“ unter www.schule-museum.de abrufbar.
Zudem zeigten die Schülerinnen und Schüler ihre Ergebnisse im Linden-Museum in
der Ausstellung „Teehaus, Moschee und Garten“ (22.10.2005-19.3.2006) für eine
breite Öffentlichkeit und luden diese zum Sehen und Spielen ein. Diese Ausstellung
ist eine gelungene Ergänzung zur Sonderausstellung „KinderSpiel“, zeigt sie doch,
wie Kinder ihren innovativen Ideen mit Freude und Kreativität Gestalt verleihen.
Kinder in der Werkstatt der Sonderausstellung „KinderSpiel“. Foto: Anatol Dreyer
45
TRIBUS 55,2006
Das in der Sonderaussstellung „Kin-
derSpiel“ hergestellte Werk eines
Kindes. Foto: Anatol Dreyer
Für das Schuljahr 2005-2006 beteiligt sich das Linden-Museum zusammen mit der
Grund- und Hauptschule Wendelsheim an dem bundesweiten Wettbewerb von
Schule@Museum. Im Rahmen eines klassenübergreifenden „Amazonien“-Pro-
jektes produzieren Schülerinnen und Schüler eine interaktive CD-Rom, um Kin-
der und Jugendliche mit der Lebenswelt der Amazonas-Indianer vertraut zu ma-
chen.
Veranstaltungen zu Ausstellungen
Als am ersten Sonntag im April 2005 eine neue Ausstellung zur Kultur und Kunst der
Aborigines in den Räumen der Ozeanien-Dauerausstellung eröffnet wurde, war dies
zugleich der Auftakt zu der vom Referenten für Öffentlichkeitsarbeit vorgeschla-
genen inhaltlichen Akzentuierung der die Ausstellungen begleitenden Veranstaltun-
gen. Mit „Australien“ wurde das Spektrum der vierteljährlich wechselnden Fo-
kusthemen eröffnet. Der zur Eröffnung der „Australien-Ausstellung“ veranstaltete
Australientag umfasste neben einer Einführung in die neue Ausstellung, einen Vor-
trag der Kuratorin zur traditionellen Lebensweise der Aborigines in Zentralaustrali-
en, eine Reihe von Dokumentarfilmen sowie Kurzführungen zu Alltag und Kunst
der Aborigines. Zudem wurde das Fokusthema in regulären Programmangeboten
wie thematischen Publikumsführungen, Thementag, Kultur zur Mittagspause oder
Familienführung aufgegriffen.
Auch zu der Sonderausstellung „Schwarze Götter im Exil - Fotografien von Pierre
Fatumbi Verger“ (25.6.-28.8.2005) wurde ein breit gefächertes Rahmenprogramm
mit Führungen sowie einer Vortrags- und Filmreihe angeboten. Mit je einem „Pierre-
Verger-Tag“ wurde der Auftakt und Ausklang der Ausstellung markiert. Das Ange-
bot umfasste Filme über das Leben und Wirken des Künstlers, eine Capoeira-Vor-
führung, Vorträge zu Persönlichkeit und Lebenswerk Pierre Vergers, zudem Füh-
rungen und Kinderprogramme in der Ausstellung. Während die Erwachsenenfüh-
rungen ein sehr interessiertes Publikum fanden, waren die Programme für Kinder
eher schwach besucht.
Mit einem sehr erfolgreichen Eröffnungsfest am 27. November startete die Sonder-
ausstellung „KinderSpiel. Erfahren - erfinden - gestalten“ und fand großes Interesse
bei Jung und Alt. Nach den festlichen Ansprachen, umrahmt von jungen Mitgliedern
des Circus Fantastica mit akrobatischen Kunststücken, waren Kinder und Erwachse-
ne eingeladen, den Sammler Dr. Fritz Trupp kennen zu lernen und zu hören, wie er
von Kindern in Afrika, Lateinamerika und Asien erzählte, deren selbst gefertigte
Spielzeuge aus Abfallmaterialien in der Ausstellung zu sehen sind. Ein großer Erfolg
46
waren auch die „KinderSpielWerkstatt“ und Spielstationen, die zum eigenen Gestal-
ten und Mitmachen auffordern.
Eine hohe Führungsnachfrage in den ersten Ausstellungswochen und die ausge-
buchte dreieinhalbstündige pädagogische Fortbildung, in der Lehrer/innen und Er-
zieher/innen die Ausstellungsinhalte und kreativen Angebote vorgestellt wurden,
bestätigten die große Resonanz. Ein breit gefächertes Begleitprogramm lädt insbe-
sondere Kinder und Jugendliche ein, die Lebenswirklichkeit von Kindern aus ver-
schiedenen Teilen der Welt kennen zu lernen. Dazu zählen Führungen für Familien,
Workshops zum praktischen Gestalten von „Spielen rund um die Kokosnuss“ oder
von „Bootsmodellen“ sowie die Anleitung zum Basteln in der „KinderSpiel-Werk-
statt“ durch museumspädagogische Mitarbeiter/innen oder Familienführungen, die
die Sonderausstellung mit den einzelnen Dauerausstellungen unter dem Thema
„Spielerische Reise“ verbinden.
Programmreihen
Das Erzählprogramm „Weite Welt in Worten“, das einmal monatlich in den Dauer-
ausstellungen angeboten wird, konnte sich im Jahr 2005 weiter etablieren. Besucher
jeden Alters kamen, um kurzweilig vorgetragene Coyote-Geschichten nordamerika-
nischer Indianer zu hören oder phantasievoll „mit Geschichten durch Afrika“ zu
reisen.
Ein im März 2005 erstmals angebotenes „Sonntagsatelier“, das die Annäherung an
fremde Kulturen mit künstlerisch-gestalterischen Mitteln beinhaltete, hatte es
schwer, ein Publikum zu finden. Möglicherweise wird ein Programm, das die künst-
lerische Praxis in den Mittelpunkt stellt, nicht mit dem Völkerkundemuseum in Ver-
bindung gebracht.
Sehr guten Zuspruch fanden die eineinhalb Stunden dauernden Familienführungen,
die einmal monatlich angeboten werden. Die Kurzführungen zur Mittagspause hin-
gegen waren sehr unterschiedlich stark besucht.
Während der Langen Nacht der Museen im März 2005 lud das Linden-Museum die
zahlreichen Besucherinnen und Besucher ein, an einer der über 30 Kurzführungen
teilzunehmen und Einzelaspekte der Ausstellungen kennen zu lernen. Ein Angebot,
das - wie schon in den vergangenen Jahren - großen Zuspruch fand.
Zum Internationalen Museumstag am 8. Mai 2005 entwickelte die Museumspädago-
gik mit „Das verrückte Museum“ erstmals ein besonderes Angebot. Kinder und Er-
wachsene waren eingeladen, an einem unterhaltsamen Detektivspiel teilzunehmen
und attraktive Preise zu gewinnen. Es galt, Exponate zu finden, die in die Ausstellun-
gen „geschmuggelt“ wurden, und die in der Objektbeschriftung hervorgehobenen
Buchstaben zu einem Lösungswort zusammenzufügen.
Dass es im Jahr 2005 gelungen ist, das umfangreiche museumspädagogische Angebot
aufrecht zu erhalten und eine so positive Bilanz präsentieren zu können, verdankt
das Referat Museumspädagogik insbesondere der hervorragenden Kooperation al-
ler freien Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die sich mit großem Engagement ihrer
Vermittlungstätigkeit widmeten, im Team arbeiteten und innovative Ideen um-
setzten. Ihnen wie allen Kolleginnen und Kollegen im Haus gilt mein aufrichtiger
Dank für die anhaltend konstruktive Zusammenarbeit. Auch Katrin Kobler, die für
einen reibungslosen Informationsfluss und organisatorischen Ablauf sorgte, und Ma-
rita Oltersdorf, die in der Führungsannahme wichtige Orientierungshilfen gab, gilt
mein herzlicher Dank. Mit ihrem unermüdlichen Einsatz und ihren präzisen Vorbe-
reitungen trugen sie alle erheblich dazu bei, dass die museumspädagogischen Aktivi-
täten eine durchweg positive Besucherresonanz fanden.
Sonja Schiede
TRIBUS 55,2006
Bericht des Referats Öffentlichkeitsarbeit für das Jahr 2005
Besucherzahlen
2003 2004 2005
Januar 6.053 8.129 4.086
Februar 4.793 12.111 3.785
März 15.242 14.283 9.785
April 4.052 6.428 3.829
Mai 3.867 3.738 4.501
Juni 2.559 3.629 3.467
Juli 5.119 5.854 4.400
August 4.014 4.296 4.650
September 2.964 3.632 2.558
Oktober 7.406 8.218 6.309
November 9.875 7.225 5.668
Dezember 5.977 3.644 4.732
Gesamt 71.921 81.187 57.7701
Anstieg/Abstieg im Vgl. zum Vorjahr -15,7 % + 12,8 % -28,8 %
Die Besucherzahlen 2005 sind im Vergleich zum Vorjahr enorm gesunken. Daran
wird deutlich, wie sehr das Museum von gut besuchten Sonderausstellungen abhän-
gig ist: Die Sonderausstellung „Der lange Weg der Türken“ (bis 18.04.04) sorgte 2004
für einen sehr starken Besucherzuspruch. Vor allem im Winter 2005 fehlte in der
Ausstellungsplanung ein derartiger Publikumsmagnet. Für das Jahr 2006 zeichnet
sich für das Museum dank der gut angenommenen Sonderausstellung „KinderSpiel.
Erfahren - erfinden - gestalten“ wieder ein spürbarer Besucheranstieg ab. Bei Ver-
anstaltungen sind die „Lange Nacht der Museen“ sowie der „Markt der Völker“
nach wie vor die zugkräftigsten Attraktionen, wobei auch hier jeweils ein leichter
Besucherschwund festgestellt werden musste. Veranstaltungshöhepunkte waren das
begeisternde, ausverkaufte Konzert „Die Klangwelt Koreas“ mit dem Cheonan City
Chungnam Korean Traditional Music Orchestra am 1. Juli sowie das Erzählfestival
„Im Fluss der Worte“ im April. Ausführlich wird auf die Veranstaltungen, die häufig
in enger Zusammenarbeit mit dem Referat Museumspädagogik erdacht und organi-
siert werden, im Bericht der Museumspädagogik eingegangen.
2005 überstieg die Zahl der virtuellen Besucher erstmals die Zahl der tatsächlichen
Besucher: Die Website www.lindenmuseum.de verzeichnete 87.152 Zugriffe, wobei
jeder dieser Besucher durchschnittlich 8 Unterseiten aufruft. Der erfreuliche An-
stieg der Internet-Nutzung ist auch ein Verdienst der gelungenen Neugestaltung der
Seite, die viel Lob von Besuchern und Medienvertretern erfahren hat.
1 Die Besucher von Veranstaltungen wurden hier nicht erfasst.
48
Konzert des Cheonan City Chtmgnam Korean Traditional Music Orchestra
(1. Juli 2005)
Presseresonanz
2003 2004 2005
Presseartikel gesamt 1.197 1.797 1.649
Anstieg/Abstieg im Vgl. zum Vorjahr + 5,7 % + 50,1 % - 8,2 %
Gesamtauflagenhöhe aller Artikel 61,7 Mio. 61,2 Mio. 75,2 Mio.
Anstieg/Abstieg im Vgl. zum Vorjahr -15 % - 0,8 % + 22,9 %
Die beiden Fotografie-Ausstellungen „Mit anderen Augen. Fotografien von Hugo A.
Bernatzik“ und „Schwarze Götter im Exil. Fotografien von Pierre Fatumbi Verger“
erreichten medial eine große überregionale Aufmerksamkeit, die sich leider nicht in
den Besucherzahlen niederschlug. Eine starke, ebenfalls überregionale Berichter-
stattung erfährt seit November die Ausstellung „Kinderspiel“. Mit dem neuen For-
mat „Fokus“, das sich pro Quartal einem Schwerpunkt widmet und diesen in den
Dauerausstellungen sowie durch Veranstaltungen wie Filme, Vorträge, Konzerte,
Präsentationen, Kinderprogramme und Führungen beleuchtet, wird das Linden-Mu-
seum von den Medien verstärkt als kompetenter Ansprechpartner für globale, kul-
turübergreifende Themen und Fragestellungen wahrgenommen. Nicht zuletzt wurde
auch das Thema „Klinikumsbau vs. Linden-Museum“ in den Zeitungen häufig auf-
gegriffen.
Erreichte Ziele 2005
• Einführung des Corporate Design (März 2005), gestaltet durch Ossenbrunner &
Wagner: Logo und Hausschrift, Briefschaften, Veranstaltungskalender, neuer In-
ternet-Auftritt mit verbesserten Suchoptionen, Pressebereich und Online-Shop,
Leittafeln im Museum, Veranstaltungsflyer und -folder
• Konzeption der abteilungsübergreifenden Reihe „Fokus“ als Quartalsschwer-
punkt zur Profilschärfung und Erreichung neuer Zielgruppen (Themen 2005:
Australien / Menschen - den Tieren auf der Spur / Tod und Jenseits)
49
TRIBUS 55,2006
• Ausbau der digitalen Informationsverbreitung inkl. grundlegender Überarbei-
tung bzw. Reduzierung des Postverteilers (- 50 %) inkl. Erschließung neuer Ziel-
gruppen-Verteiler
Ziele für 2006/2007
• Ausstattung des Museums mit einem AudioGuide-System: Das geplante Ziel,
den AudioGuide bis zur Fußball-WM einzuführen, musste aus Kostengründen
leider verschoben werden und soll mit Mitteln aus dem nächsten Doppelhaushalt
sowie mit Spendenmitteln angegangen werden. Das Konzept sieht nach einer
Startführung für Erstbesucher und Touristen („Höhepunkte des Linden-Muse-
ums“) auf deutsch und englisch mittelfristig thematische Vertiefungsführungen
durch einzelne Abteilungen, abteilungsübergreifende Themenführungen sowie
spezielle Zielgruppenführungen (z. B. Kinder) vor.
• Weiterentwicklung bzw. Ausdehnung des Corporate Design mit Blick auf die Ge-
staltung zusätzlicher Medien (u. a. Image-Broschüre dt./engl., Leitsystem, The-
menmappen für Schulklassen, Entwicklung von museumsspezifischen Shop-Ar-
tikeln)
• Entwicklung von offensiven PR- und Marketingstrategien vor dem Hintergrund
des Krankenhausbaus
• Entwicklung von Fundraising-Konzepten (stärkere Aktivierung des Förderver-
eins) und Sponsoringkonzepten
• weitere Intensivierung und Ausbau der Kooperation mit Partnern (u. a. Museen,
Kultur- und Bildungsinstitutionen) sowie der Presse- und Multiplikatorenkon-
takte
Dank
Besonderer Dank gilt Dr. Tobias Wall, der das Referat als Elternzeitvertretung fast
zwei Jahre leitete und vor allem den immens arbeitsintensiven Prozess des Corpo-
rate Design maßgeblich mit vorangetrieben hat. Er verließ das Museum Ende Juli.
Eine große Bereicherung für das Referat ist Theres Kiefer, die als Sekretärin seit
Januar 2005 neben der Museumspädagogik für die Öffentlichkeitsarbeit verantwort-
lich ist und wichtige Aufgaben wie die Redaktion des Veranstaltungskalenders über-
nahm. Nicht zu vergessen sind die Praktikantinnen Dorothea Grassmann, Friederike
Hartl, Ines Mangold, Anne-Kathrin Trapp, Yvonne Golker und Kira Schneider, die
mit großem Engagement und vielfältigen Ideen die Öffentlichkeitsarbeit unentgelt-
lich unterstützten.
Martin Otto-Hörbrand
50
Organisationsplan
Stand: 1.6.2006
51
Ludwig Habighorst: Hierarchie und Module
LUDWIG HABIGHORST
Hierarchie und Module - Zur Darstellung von Sufiheiligen in
Moghulminiaturen
Seit ihren Anfängen pflegte die Moghuldynastie enge Beziehungen zu heiligen Män-
nern und deren Ordensgemeinschaften. Baburs Familie hatte Kontakte zu den
Naqshbandi, die sich auf den 1383' in Buchara verstorbenen Baha’uddin Naqshband
zurückführen. Nach seiner ersten Eroberung von Delhi besuchte Babur die Schreine
von Nizamuddin Aulyia und von Qutbuddin Bakhtiyar Kaki1 2. Baburs Sohn Hu-
mayun war ebenfalls der Heiligenverehrung zugetan. Großen Einfluss auf ihn hatte
der Sufi Shah Phul und dessen Bruder Muhammad Gauth Gwaliori (+1562). Das
British Museum besitzt eine sehr frühe Moghulminiatur von 1556-1560, auf der Hu-
mayun mit zwei betenden Shaikhs abgebildet ist3.
Als Neunjähriger besuchte sein Sohn Akbar den Weisen Baba Bilas; diese Begeg-
nung ist im Akbarnama dokumentiert4. Akbar war besonders vom Orden der Chish-
tis angezogen. Nach seiner ersten Wallfahrt nach Ajmer 1564 folgten von 1570 bis
1579 jährliche Besuche am Grab Mu’inuddin Chishtis, des Ordensgründers der
Chishtiyya5. Ein besonders inniges Verhältnis pflegte er zu Shaikh Salim Chishti, der
ihm die Geburt seines ersten Sohnes verhieß. Er besuchte jedoch auch hinduistische
Weise: eine retrospektiv gemalte Miniatur von 1625-30 im A. Säckler Museum Cam-
bridge zeigt ihn zusammen mit seinem dritten Sohn Danyal bei dem Hinduasketen
Jadrup6.
Seit der Zeit Jahangirs sind Begegnungen des moghulische Adels mit muslimischen
oder auch hinduistischen Gelehrten und heiligen Männern häufiges Thema von Mo-
ghulminiaturen. So sind mehrere Besuche des Kaisers bei demselben Jadrup, den
schon sein Vater verehrte, im Jahangirnama7 dokumentiert und von Govardhan im
Bild festgehalten8.
Herrscher und Prinzen ließen sich nicht nur zusammen mit zeitgenössischen Weisen
abbilden; auch die symbolische Präsenz früherer oder mystischer Persönlichkeiten
des religiösen Lebens bestärkte die Legitimität der Herrscher, die sich von heiligen
Shaikhs Symbole der Macht (Schwert, Weltkugel, Lebenselixier) überreichen lie-
ßen9.
Die Komposition von Miniaturen mit dem „ruler-holy man motif“10 folgt bestimm-
ten Regeln, und die Porträts der Sufiheiligen werden über lange Zeiträume nach
tradierten Mustern gemalt. Wir möchten dies an einigen Beispielen aufzeigen.
1 Jahreszahlen ohne Hinweis entsprechen auch im Folgenden unserer Zeitrechnung „n.Chr.“.
2 Zahiruddin Muhammad Babur: Die Erinnerungen des ersten Großmoghuln von Indien. Das
Baburnama. Zürich 1980, S. 677.
3 Beach, M.C.: Early Mughal Painting. Cambridge Mass. 1987, Abb.12, S. 24.
4 Kessler, R.C.; In the Company of the Enlightened. Portraits of Mughal Rulers and Holy Men.
Studies in Islamic and Later Indian Art. Harvard, Cambridge 2001, S. 23.
5 Rizvi., S.A. A.: History of Sufism in India. Vol.2, Delhi 2002 S. 279f - Schimmel, A.: Im Reich
der Grossmoghuln. Beck München 2000, S. 155ff.
6 Kessler, R.C. ibid. S. 25.
7 Thackston, W.M.: The Jahangirnama. New York and Oxford 1999, S. 209,283,285.
8 Okada, A.: Remarks on the Portraits of Holy Men in Mughal Painting. Ananda-vana of Indian
Art. 2004, S. 277-282.
4 Beach, M.C. and E. Koch: King of the World. The Padshahnama. 1997, Abb.4l - Christie’s
London Catalogue 14.10.1997, lot 24 - Goswamy, B.N. and U. Bhatia: Painted Visions. The
Goenka Collection of Indian Paintings. Delhi 1999, Abb. 57, S. 72 - Okada, A.: ibid. - St. Peters-
burg Muraqqa. Lugano & Milano 1996, PI. 205, S. 114.
10 Kessler, R.C.: In the Company of the Enlightened. Portraits of Mughal Rulers and Holy Men.
Studies in Islamic and Later Indian Art. Harvard, Cambridge 2001, S. 23.
53
TRIBUS 55,2006
In einem Manohar zugeschriebenen Bild11 von etwa 1610 sitzt ein junger Moghul-
prinz gegen ein Sitzkissen gelehnt auf einem Teppich in freier Natur (Abb. 1). Der
Prinz ist kreisförmig umstellt von seinen Bediensteten und einem rechts stehenden
Gelehrten. Typisch für die Malerei der Jahangirzeit ist die Anordnung der Personen
in den unteren zwei Dritteln des Bildes. So wird, im Gegensatz zu Bildern der Akbar-
zeit, bei denen die Personen gleichmäßiger über die Bildfläche verteilt sind, der
Schwerpunkt nach unten verlagert12. Die Landschaft in der oberen Bildhälfte ist zen-
tralperspektivisch gestaltet. Die Farbpalette ist stark reduziert und die Farben sind
so zart aufgetragen, dass der Eindruck einer kolorierten Zeichnung besteht. Die
Kreiskomposition hat zwar den sitzenden Prinzen zum Mittelpunkt, da der bärtige
Gelehrte ihm jedoch in ganzer Größe gegenübersteht, wird eine gleiche Gewichtung
von Prinz und Gelehrtem erzielt. Nicht nur die formale Gestaltung des Bildes, auch
die differenzierten Gesichter des Weisen und des Prinzen zeigen deren gehobene
Stellung, aber auch ihre Gleichrangigkeit als Gesprächspartner.
Abb. 1\ Prinz und Gelehrter. Mano-
har zugeschrieben. Moghul ca. 1610.
14,9 x 8,7 cm. Sammlung L. Habig-
horst, Koblenz
Dem Maler Chitarman13 wird ein um 1655-58 gemaltes Doppelporträt zugeschrie-
ben, das Sulaiman Shikoh, den Enkel des Kaisers Shah Jahan, im Gespräch mit einem
Sufi-Gelehrten zeigt (Abb. 2). Eine Beschriftung auf der Rückseite in nastaliq lautet:
Sultan Sulaiman und Shaikh Sulaiman Hazrat14. Das kaiserliche Inventursiegel ist
von 1072 a.H. (1661/1662 A.D.).
11 Bautze, J.K.: Islamische Malereien aus Indien. In: Haase, CR, J. Kroeger u. U. Lienert: Mor-
genländische Pracht. Hamburg 1993, Abb. 186.
12 Hickmann, R.: Analysen zur Komposition des Gruppenbildes in der Moghulmalerei des 17.
Jahrhunderts. Fortschr.und Berichte der Staatl. Museen Berlin 17 (1976), S. 95-111.
13 Bautze, J.K. ibid., Abb. 190a.
14 John Seyller, persönl. Mitteilung 2004.
54
Ludwig Habighorst: Hierarchie und Module
Abb. 2: Prinz Sulaiman Shikoh im
Gespräch mit einem Shaikh. Chittar-
man zugeschrieben. Moghul ca. 1655.
23,8 x 16,2 cm. Sammlung L. Habig-
horst, Koblenz
Prinz und Shaikh sitzen sich in gleicher Größe und auf gleicher Höhe gegenüber. Ein
Baum in Bildmitte steht symmetrisch über beiden. Sulaiman Shikoh hat auf einem
rechteckigen Tuch Platz genommen, der Gelehrte auf einem Leopardenfell. Der
Prinz trägt reichen Perlen- und Juwelenschmuck, der Sufi schlichte, weiße Kleider
und eine braune Filzkappe. Keiner von beiden wird im Bild bevorzugt; sie sind
gleichberechtigt als Gesprächspartner dargestellt.
„...Sagt nicht der Rang eines Königs sei fern von den Derwischen.
Ich bin ein König und doch ein Sklave der Derwische...“ sagt Babur in einem Ge-
dicht (nach A. Schimmel)15.
Häufig abgebildet wurden Konvente herausragender Persönlichkeiten der musli-
mischen Glaubensgemeinschaft (mehfil-i auliya), oft Gründer von Sufi-Orden. Da
sie meist keine Zeitgenossen sind, handelt es sich um imaginäre Versammlungen, die
eine spirituelle Kette (silsila) repräsentieren, durch die Generationen von Sufis mit
dem Propheten verbunden sind16; Frembgen nennt sie „zeitlose Konklave“17.
Im Gegensatz zu Abbildungen mit dem „ruler-holy man motif“ haben solche Grup-
penbilder von Shaiks mit nicht realistischen, sondern posthumen Idealporträts als
besonderes Merkmal eine regelhafte hierarchische Anordnung. Der Rang der heili-
gen Männer wird durch ihre Platzierung im Bild und durch Attribute, die ihre hier-
archische Stellung unterstreichen, dargestellt.
Eine Miniatur im Stil von Payag (Abb. 3) von etwa 1640 zeigt vor einer nächtlichen
Flusslandschaft, die zentralperspektivisch ausgeführt ist, vier Sufiheilige in einer für
sie typischen knienden Sitzposition (namaz ki tarha), in der der Körper auf beiden
Unterschenkeln ruht. Das Landschaftsbild des Hintergrunds ist offensichtlich von
15 Schimmel, A.: Im Reich der Grossmoghuln. Beck München 2000, S. 155.
16 Gadon, E.W.; Dara Shikuh’s mystical vision of Hindu-Muslim synthesis. In: Skelton, R. et al.;
Facets of Indian Art. New Delhi 1987, S. 153-157.
17 Frembgen, J.W.: An Imaginary Assembly of Sufi Saints. Notes on Some Devotional Pictures
from Indo-Pakistan. In: Heyberger, B. und S. Neef: La Multiplication des Images en Pays d’ls-
lam. Würzburg 2003, S. 82.
55
TRIBUS 55,2006
Abb. 3: Vier Sufiheilige am
Flussufer. Payag zugeschrie-
ben. Moghul etwa 1640. 15,4
x 10,1 cm. Sammlung L. Ha-
bighorst, Koblenz
Abb. 4: Vier Sufiheilige.
Zeichnung. Moghul nach
1640. 15,0 x 10,5 cm. Samm-
lung L. Habighorst, Koblenz
56
Ludwig Habighorst: Hierarchie und Module
einem europäischen, wohl niederländischen Original übernommen; es tritt identisch
in einer etwas später datierten Miniatur der Cowasji Jehangir Sammlung auf18.
Die untere Bildhälfte ist aus leicht erhöhtem Blickwinkel dargestellt. Hier sitzen auf
einer mit Grasbüscheln bewachsenen Fläche am Flussufer vier heilige Männer. Ei-
ner beschrifteten Zeichnung (Abb. 4), die wahrscheinlich später als das Original an-
gefertigt wurde, können wir die Namen der Abgebildeten entnehmen;
In der oberen Reihe rechts sitzt weiß gekleidet mit einem hauchzarten, durchschei-
nenden Überwurf aus Musselin der weißbärtige Abdul Qadir Gilani (1086-1166).
Sein Gesicht, im Halbprofil gemalt, ist aus zahlreichen Miniaturen bekannt. Er ward
durch einen eben erkennbaren Nimbus herausgehoben, da er die höchste geistliche
Autorität ist, Gründer der Qadiriyya Derwisch-Bruderschaft und wohl der volks-
tümlichste Heilige der islamischen Welt19.
Mehrere Einzelporträts von Abdul Qadir Gilani wurden später gemalt20. Aus dem
Warren Hastings Album - Bibliotheca Phillippica stammt ein Sitzportrait des Abdul
Qadir Gilani (Abb. 5). Der weißbärtige Heilige mit goldenem Nimbus ist wieder im
Halbprofil gemalt, weiß gekleidet mit zartem, durchscheinendem Musselinschal, ei-
nen Rosenkranz in seiner rechten Hand haltend.
Es ist erstaunlich mit welcher Ähnlichkeit solche idealisierten Porträts des im 12.
Jahrhundert verstorbenen Heiligen Jahrhunderte später von Maler zu Maler weiter-
gegeben und auf diese Weise tradiert wurden. Gegenüber Abdul Qadir Gilani (Abb.
3) sitzt, im Profil abgebildet, Mu’inuddin Chishti (1142-1236), Gründer der Chish-
tiyya-Bruderschaft, dessen Grab in Ajmer und seit Akbars erster Wallfahrt 1564 häu-
Abb. 5: Sitzportrait des Abdul Qadir
Gilani aus Warren Hastings Album.
Moghul 1660 -1670. 7,6 x 5,2 cm.
Sammlung L. Habighorst, Koblenz
Ks Khandalawala, K. and M. Chandra: Collection of Sir Cowasji Jehangir. Bombay 1965, Abb.
35.
ly Schimmel, A.: Mystische Dimensionen des Islam. 2. Aufl. München 1992, S. 163.
2(1 Sotheby’s London 27.11.1974, lot. 390, aus Warren Hastings-Album, Mughal 1660-1670, glei-
ches Bild bei Christie’s London 26.4.2005, lot 228 .- Sotheby’s London 26.4.1995, lot 139, Mug-
hal 1680 - Christie’s London 3.7.1980, lot 129, Hyderabad ca. 1780 - Christie’s London
15.10.1996, lot 37, Doppelportrait Abdul Qadir Gilani und Sayyid Abdul Razaf Qadiri. Hydera-
bad ca. 1800.
57
TR1BUS 55,2006
figes Ziel kaiserlicher Wallfahrten21 war und der bedeutendste islamische Wallfahrts-
ort Indiens ist. Eine Miniatur in der Rampur State Library zeigt Jahangir am Schrein
des Mu'inuddin Chishti in Ajmer22.
Beide Heilige der oberen Reihe sitzen auf einem weißen, mit zart-goldenem floralen
Muster verzierten Tuch, das auf einer großen grauen Matte ausgelegt ist. Mu’inuddin
Chishti trägt ein fahlgelbes Gewand mit braunem Schalkragen und einen weißen
Turban.
Die Gesichtszüge des Mu’inuddin Chishti gehen wahrscheinlich zurück auf ein be-
rühmtes Standporträt von Bichitr von etwa 1620, im Minto-Album, jetzt in der Ches-
ter Beatty Library Dublin23. Gesicht und Turban sind identisch mit Abb. 3 Ein Sitz-
porträt, das Mihr-Chand, Faizabad ca. 1770 zugeschrieben wird, ist größer, sonst aber
weitgehend gleich mit unserer Abbildung. Hier wurde nach etwa 140 Jahren ein Bild-
teil unter Hinzufügung eines Jharokha zu einem Einzelporträt umgearbeitet, ohne
an der Figur etwas zu verändern24.
Die beiden Shaikhs der unteren Reihe sind etwas kleiner dargestellt: Rechts kniend
Farid Bukhari, genannt auch Baba Farid oder Ganj-i-Shakar (1175-1265), ein sehr
populärer Sufi und geistiger Führer der Chishtiyya, dessen Grab Akbar in Pakapat-
tan in Punjab besuchte25. Er ist im Profil dargestellt, weiß gekleidet mit Gebetsschnur
in beiden Händen. Links sitzt ein Sufi, dessen Namen auf der Zeichnung nicht ganz
sicher lesbar ist (Firdoz Shaikh Hazi?). Bei ihm handelt es sich jedoch aus dem Ver-
gleich mit anderen Miniaturen mit großer Wahrscheinlichkeit um Qutbuddin Bak-
htiyar Kaki (t 1235), auch genannt Hazrat Qutb Sahab. Sein Grab liegt in Delhi in
der Nähe des Qutb Minar. Er ist im Halbprofil gemalt. Vor ihm liegt ein kleines
schwarzes Buch.
Die beiden Shaikhs in der oberen Reihe von Abb. 3 finden sich als Randdekoration
eines Standporträts von Muhammad Qutub Shah of Golkonda (Moghul Mitte 17.
Jahrh.) in der Goenka-Collection26. B.N. Goswamy und Usha Bhatia deuten sie als
„...two learned men, writers or poets perhaps...“ Es sind Abdul Qadir Gilani und
Mu’inuddin Chishti.
Ihr Grundmuster haben solche Miniaturen in einer Miniatur der St. Petersburg Mu-
raqqa (Folio 48 recto) von etwa 1635 mit der Darstellung von sechs Shaikhs27. Der
nach niederländischer Vorlage gestaltete Hintergrund wurde im 18. Jahrhundert in
Isfahan angefügt. Frembgen hat diese Sufis und ihre Führungsrolle im religiösen Le-
ben ausführlich beschrieben28.
Rechts oben sitzt unter einem Baum Abdul Qadir Gilani, ihm gegenüber Mu’innudin
Chishti, beide an Kissen gelehnt auf einem Teppich mit floralen Muster, der dem in
Abb. 3 sehr ähnlich ist. Während auch ihre Gesichter weitgehend gleich sind im Ver-
gleich zu Abb. 3, unterscheidet sich ihre Kleidung. Abdul Qadir Gilani hat hier kei-
nen Nimbus.
Unterhalb von Mu'innudin Chishti sitzt links in der mittleren Reihe Qutbuddin Bak-
htiyar Kaki, im Profil gemalt mit dunklem Umhang; seine Hände liegen gefaltet im
Schoss. Links in der unteren Reihe sitzt spiegelbildlich, sonst völlig gleich wie in Abb.
21 Asani, A.S.: Dargah of Kwaja Muinuddin Chishti. In: Currim, M, and G. Michell. Dargahs.
Mumbai 2004, S. 50-63.
22 Brown, P; Indian Paintings under the Mughals. New Delhi 1981, Abb. XX.
23 Leach, L.Y.; Mughal and other Indian Paintings from the Chester Beatty Library. London
1995, Vol. I, S. 386.
4 Leach, LA,: Mughal and other Indian Paintings from the Chester Beatty Library. London
1995, Vol. II, S. 657.
- Schimmel, A.: Mystische Dimensionen des Islam. 2. Aufl., München 1992, S. 157.
26 Goswamy. B.N. and U. Bhatia: Painted Visions. The Goenka Collection of Indian Paintings.
Delhi 1999, Abb. 57,5.72.
27 St. Petersburg Muraqqa. Lugano & Milano. 1996, PL 71, S. 74.
Frembgen, J. A.; An Imaginary Assembly of Suli Saints. Notes on Some Devotional Pictures
from Indo-Pakistan, ln. Heyberger, B. und S. Neef: La Multiplication des Images en Pays d’ls-
lam. Würzburg 2003, S. 81-102.
58
Ludwig Habighorst: Hierarchie und Module
3, Fariduddin Ganj-i Shakar. Man hat hier den Eindruck, dass auf dem späteren Bild
(Abb. 3) ein kopiertes Modul, spiegelbildlich, verwendet wurde.
Rechts in der Mitte sitzt mit nach außen gewandten Kopf Sharaf ud-Din Bu’ Ali
Qalandar (+1324), der einzige der sechs Heiligen ohne Kopfbedeckung. Hierdurch
und durch seine aus der Runde abgewandte Haltung wird seine Rolle als hetero-
doxer Außenseiter betont. Nach S.C. Welch29 wurde sein Kopf einem heiligen Josef
aus einem Druck von R. Sadeler nach J. Rottenhammer entlehnt.
Unter ihm sitzt Nizamuddin Aulyia (1236-1325), dessen Dargah in Delhi bis heute
ein viel besuchter Wallfahrtsort ist30.
In der Mittelachse der Miniatur steht in der unteren Reihe ein schwarzes Podest
(pedestal = chauki), auf dem mehrere Bücher mit rotem Einband liegen.
Eine spätere, weniger sorgfältig gemalte Version besitzt das Museum für Islamische
Kunst Berlin31, wobei die Sufis und ihre Position völlig gleich sind. Beide Shaikhs in
der oberen Reihe haben einen Nimbus. Die Versammlung der heiligen Männer fin-
det auf einer Terrasse am Seeufer statt. Teppich und Baum fehlen. Die einfach gestal-
tete Hügellandschaft in Hintergrund entspricht dem Landschaftsbild spätmoghu-
lischer Bilder des 18. Jahrhunderts.
Interessant sind zwei Zeichnungen mit spiegelbildlicher Szenerie, offenbar Stanzko-
pien (sog. pounced drawings = charha)32. Die eine in der Sammlung Preetorius, Mün-
chen33, ist mit Inschriften versehen, die andere um 1700 unbeschriftet in der India
Office Library London34. Haltung und Gesichter der sechs Shaikhs zeigen eine große
Ähnlichkeit mit denen in der St. Petersburg Muraqqa.
Eine Miniatur mit gleicher Gruppierung, die auf Grund ihrer Beschriftung aus der
Pahari-Region stammt35, befindet sich im Chandigarh Museum and Art Gallery, Inv.
Nr. F-6 (Abb. 6). In der nur einfach kolorierten Zeichnung sind alle sechs Shaikhs in
gleicher Platzierung zu erkennen. Gesichtszüge und Körperhaltung zeigen trotz der
groben Zeichnung große Ähnlichkeit mit der Miniatur aus der Petersburg Muraqqa.
Ihre Identität wird zudem durch Beschriftungen in devanagari und nastaliq gesi-
chert.
Weitere Blätter mit gleichen oder sehr ähnlichen Sufikonventen tauchten im Kunst-
handel auf. Ein Blatt wurde im Katalog von Sotheby’s New York (16./17.03.1988, lot
387) falsch als “Mian Mir und Mullah Shah in discussion with a group of young fol-
lowers, Hyderabad ca. 1800” beschrieben. Es handelt sich jedoch um die oben be-
schriebene Gruppe.
Auch ein der Kishangarh-Schule um 1740 zugeschriebenes Bild zeigt die gleichen
sechs Sufis auf einer Terrasse (Christie’s London 11.4.1989 lot 11). Auch diese Mini-
atur hat am Rand Beschriftungen mit den Namen der Heiligen in nastaliq und deva-
nagari.
Acht Shaikhs, unter denen sich auch die genannten sechs in gleicher Platzierung fin-
den, sind auf einem bei Christie’s London am 11.4.89 lot 100 angebotenen Blatt
(Deccan, 19. Jahrhundert) dargestellt. Am Bildrand sind die zugehörigen Schreine
abgebildet.
29 St. Petersburg Muraqqa. Lugano & Milano 1996. S. 74.
30 Hasan, M.Z.; A Guide to Nizamu-d Din. Memoirs Archaeol. Survey of India. No. 10, Cal-
cutta 1922, S. 1-5 - Momin, A.R.: Dargah of Shaikh Nizamuddin Aulia. In: M. Currim and G.
Michell: Dargahs. Mumbai 2004, S. 24-39.
31 Frembgen, J.W.: An Imaginary Assembly of Sufi Saints. Notes on Some Devotional Pictures
from Indo-Pakistan. In: Heyberger, B. und S. Neef: La Multiplication des Images en Pays d'ls-
lam. Würzburg 2003, S. 89.
32 Ohri, V.C.: The Technique of Pahari Painting. New Delhi 2001, S. 54 ff.
33 Bothmer, H.C, v.; Die islamischen Miniaturen der Sammlung Preetorius. München 1982,
Abb. 57, S. 57f.
34 Falk,T. and M. Archer: Indian Miniatures in the India Office Library. London 1981, Abb. 144,
S. 418.
35 vijay Sharma, Chamba, persönl. Mitteilung 2005.
59
TRIBUS 55,2006
Abb. 6: Konvent von 6 Sufi-
heiligen. Kolorierte Zeich-
nung. Pahari-Schule,2. Hafte
18. Jh. Chandigarh Art Mu-
seum and Gallery (F 6)
Abb. 7: Sitzportrait von Shah
Mian Mir. Zeichnung. Mo-
ghul ca. 1630. 12,1 x 7.4 cm.
Sammlung L. Habighorst.
Koblenz.
60
Ludwig Habighorst: Hierarchie und Module
Die Vielzahl gleichartiger Gruppenbilder von Sufiheiligen zeigt deren Beliebtheit
und belegt den Bedarf an solchen Devotionalien, denen Segen und Heilkraft zuge-
schrieben wurde. Es handelt sich dabei keinesfalls nur um qualitativ hochwertige
Miniaturen. Frembgen bildete Beispiele volkstümlicher und späterer Malereien ab
mit gleichem Inhalt aus dem 19. und 20. Jahrhundert36. Er konnte um 1980 an Pilger-
orten in Pakistan moderne Poster finden, in denen die gleichen sechs Sufiheiligen
durchaus ähnlich mit der ersten bekannten Abbildung von 1635 aus der St.Peters-
burg Muraqqa dargestellt sind.
Gemeinsames Merkmal aller Gruppenbilder von Shaikhs ist eine strenge hierar-
chische Rangordnung. Die Bilder sind symmetrisch gestaltet. Zwei Shaikhs sitzen
sich jeweils gegenüber. Der am meisten verehrte Shaikh mit der höchsten religiösen
Autorität hat stets den rechten Platz in der oberen Reihe. Ihm gegenüber, in Lese-
richtung der arabischen und persischen Schrift links oben ist der zweithöchste Heili-
ge platziert. Die Rangordnung setzt sich in der zweiten und den folgenden Reihen
fort. Die Tatsache, dass die Zeichnungen in München und in der India Office Library
die Hierarchie spiegelbildlich abbildet, spricht dafür, dass es sich um durchgestoche-
ne Kopien (charba) handelt. Frembgen weist darauf hin, dass bei der Münchner
Zeichnung sich die Gebetsketten, entgegen der üblichen Gewohnheit, in den linken
Händen befinden, ein Indiz, dass es sich um Kopien handelt. Ein Rosenkranz sollte
stets rechts oder mit beiden Händen gehalten werden.
Der Platz unter einem Schatten spendenden Baum, Symbol eines königlichen Balda-
chins, unterstreicht den Rang eines Shaikhs. Ranghöhere Sufis werden oft etwas grö-
ßer abgebildet, obwohl sie in der oberen Reihe etwas entfernter sitzen und daher
perspektivisch eher kleiner gemalt werden müssten. Besonders verehrte Sufis sitzen
auf Teppichen, an Sitzkissen gelehnt und werden durch einen Nimbus hervorgeho-
ben. Aus den persönlichen Utensilien wie Büchern, Rosenkranz, Schreibzeug, Tin-
tenfass sind dagegen keine Rangzeichen abzuleiten.
Die eindrucksvolle Kunst der moghulischen Porträtmalerei hatte ihren Anfang schon
in den letzten Jahren der Akbarzeit. Besonders unter Jahangir wurden die Porträts
lebensnah und realistisch. Zur Darstellung häufig abgebildeter Persönlichkeiten be-
diente man sich oft Bildmuster, die zum Bestand der Malerateliers gehörten.
Ein Beispiel für ein Bildmodul, das in vielen Bildern und Zeichnungen von verschie-
denen Malern und zu verschiedenen Zeiten immer wieder verwendet wird, ist eine
zeitgenössische, wohl realistische Zeichnung des Shah Mir (Abb. 7).
Der betagte Sufiheilige sitzt mit hochgezogenen Beinen; ein um Unterkörper und
Beine geschlungenes Tuch erleichtert ihm diese Position. Seine Arme ruhen überein-
ander geschlagen auf den Knien. Der weißbärtige Greis trägt einen schmucklosen
Turban. Sein scharf geschnittenes Gesicht ist zart grau-blau getönt. Am oberen Rand
der Zeichnung steht in nastaliq „Shah Mir“.
Miau Mir (*1550, + 1635) ist der bekannteste Qadiriyya-Sufi in Pakistan. Sein Mau-
soleum in einem östlichen Stadtteil von Lahore wurde von Aurangzeb erbaut. Jahan-
gir lud ihn 1620 zum kaiserlichen Hof ein37. Shah Jahan besuchte den Weisen und
stellte ihm seinen depressiven Sohn Dara Shikoh vor, der sich nach einem Schluck
gesegnetem Wasser aus der Hand des Heiligen von seinem Leiden erholte38. Mian
Mir wurde der erste mystische Lehrer von Dara Shikoh und seiner Schwester Jahan-
36 Frembgen, J.W.: An Imaginary Assembly of Sufi Saints. Notes on Some Devotional Pictures
from Indo-Pakistan. In: Heyberger, B. und S. Neef: La Multiplication des Images en Pays d’ls-
lam. Würzburg 2003, S. 90ff.
37 Kessler, R.C.: In the Company of the Enlightened. Portraits of Mughal Rulers and Holy Men.
Studies in Islamic and Later Indian Art. Havard, Cambridge 2001, S. 30.
38 Gadon, E.W.: Dara Shikuh’s mystical vision of Hindu-Muslim synthesis. In: R. Skelton et al.
Facets of Indian Art. New Delhi 1987, S. 153-157 - Gladiss, A.v.: Islamische Frömmigkeit in
Indien. Albumblätter der Moghulzeit (16.-18. Jahrhundert). Staatl. Museen zu Berlin. Museum
für Islamische Kunst 2004, S. If.
61
TRIBUS 55,2006
ara39. Dara Shikoh selbst schrieb dessen Biographie (Sakinat al-auliyd). Schon zu
Lebzeiten wurde Mian Mir hoch verehrt. Wazir Khan ließ ihn den Grundstein für
seine große Moschee in Lahore legen; auch den Grundstein des goldenen Tempels
der Sikh in Amritsar, der unter Guru Arjan erbaut wurde, legte Mian Mir, der über
die engeren Religionsgrenzen hinaus wirkte40.
Häufig wird er zusammen mit seinem Schüler Mulla Shah dargestellt, so z.B. auf ei-
ner Zeichnung der Bodleian Library Oxford, die Binyon und Arnold sowie Annema-
rie Schimmel abbilden41 und die, wenn auch einfacher gezeichnet, eine verblüffende
Ähnlichkeit mit Abb.7 besitzt.
Standporträts von Mian Mir, wie das in der India Office Library42, sind seltener; die
Gesichtszüge gleichen jedoch den Sitzporträts weitgehend.
In seiner für ihn typischen Sitzhaltung wird Mian Mir in einer Miniatur, die heute im
Millionenzimmer des Schlosses Schönbrunn in Wien ist, abgebildet43. Dieses später
zum Teil übermalte und mit einer anderen Miniatur zusammengefügte Bild war wohl
im Besitz des Malers Rembrandt, der eine Zeichnungskopie dazu anfertigte, die heu-
te im British Museum in London ist. Ein Vergleich unserer Zeichnung (Abb. 7) mit
Rembrandts Skizze lässt eine große Ähnlichkeit erkennen.
Mian Mir wurde in mehreren Miniaturen von diversen Malern fast völlig gleich ab-
gebildet:
a. In einem Sitzporträt mit gering veränderter Armhaltung, von Martin als „A Der-
vish“ bezeichnet44.
b. In einem Gruppenbild mit acht Sufiheiligen und Dara Shikoh von etwa 1635
nimmt Mian Mir mit Nimbus hervorgehoben den bevorzugten Platz rechts oben
ein45.
c. In einem Gruppenbild in der St. Petersburg Muraqqa Folio 49 recto, Mitte 17.
Jahrhundert, trägt er einen Sitzgurt (Yogapatta) sowie unter seiner linken Schulter
eine Armstütze. Er nimmt als Hinweis auf seinen hohen Rang den rechten Platz in
der oberen Reihe unter einem Baum ein. Der Hintergrund des Bildes wurde spä-
ter in Persien stark übermalt46.
d. Ein etwa 1660 datiertes Bild, das 1973 bei Sotheby’s, später bei Christie’s in Lon-
don 1982 versteigert wurde, ist in der Komposition, besonders auch in der Darstel-
lung des Mian Mir nahezu gleich47, ebenso wie ein Bild in einem Album der Go-
lestan Sammlung Teheran48.
e. Sehr ähnlich ist Mian Mir auf einem Gruppenbild von etwa 1650 in der Calcutta
Art Gallery49 abgebildet. Er sitzt oben rechts unter einem Baum, ihm gegenüber
Mulla Shah. Den Hintergrund bildet eine europäische Hügellandschaft mit Stadt.
f. Bei Sotheby’s wurden 1973 zwei von Lai Chand signierte Gruppenbilder50 (1650-
1660) versteigert mit dem leicht erkennbaren Mian Mir rechts in der oberen Reihe.
39 Schimmel, A.: Im Reich der Grossmoghuln. Beck München 2000, S. 163.
40 Mc.Leod, W.H.: Popular Sikh Art. Delhi 1991, S. 64f.
41 Binyon, L. und T.W. Arnold: The Court Painters of the Grand Moguls. London 1921, PI.
XXXIII - Schimmel, A.: Islam in India and Pakistan. Leiden, 1982, PI. XXVa.
42 Falk,T. und M. Archer: Indian Miniatures in the India Office Library. London 1981, S. 406,
Abb. 96ii.
43 Koch, E.: „Moghuleries“ of the Millionenzimmer, Schönbrunn Palace, Vienna. In: Arts of
Mughal India, London 2004, S 165 - Strzygowski, J.: Asiatische Miniaturenmalerei. Klagenfurt
1933, Abb. 56, Tafel II.
44 Martin, KR.: The Miniature Painting and Painters of Persia, India and Turkey from the 8th to
the 18th Century. London 1912, Vol. 2, PI. 201.
45 Lowry, G.-D.: A Jeweller’s Eye. Islamic Arts of the Book from Vever Collection. Washington
1988, Abb. 72, S. 208 - Brand, M.:The Vision of Kings. Melbourne 1995, Abb. 77.
46 St.Petersburg Muraqqa. Lugano & Milano 1996, PI. 74, S. 75.
47 Sotheby’s London Katalog 26.03.1973 lot 12; Christie’s London Katalog 1.4.1982, lot 224.
48 Athar-e-Iran. Ann. Service Archeolog, de l’Iran Bd. II, Fase. II, Paris 1937, Abb. 72b.
49 Havell, E.B.: Indian Sculpture and Painting. London 1908, Frontispiece.
50 Sotheby & Co, London, Katalog 25.3.1973, lot 10 und lot 11.
62
Ludwig Habighorst: Hierarchie und Module
g. Auf einer Miniatur aus der Cowasji Jehangir Collection ist zwar das Gesicht von
Mian Mir weitgehend defekt; seine typische Sitzhaltung mit verschränkten Armen
lässt ihn aber identifizieren51. Er sitzt gegenüber Mulla Shah auf einem Tigerfell
unter einem Baum.
h. Auf einem Gruppenbild mit 8 Sufiheiligen aus der Sammlung Sadruddin Aga
Khan sitzt Mian Mir spiegelbildlich gemalt links in der oberen Reihe52. Bemer-
kenswert ist eine große Matte mit rotem Würfelmuster, die in ähnlicherWeise auf
mehreren anderen Miniaturen mit Shaikhs abgebildet ist.
Solche Bildmodule sind sehr häufig zu finden. Wir möchten nur wenige Beispiele
erwähnen: Farid Bukhari Ganj-i shakar, der im Bild der St. Petersburg Muraqqa un-
ten rechts sitzt, ist identisch in einem Govardhan zugeschriebenen Bild von etwa
1630 desselben Albums (Folio 51 recto). Gesicht,Turban, Kleidung und Handhaltung
mit Rosenkranz stimmen vollkommen überein. Auf Folio 48 recto der St. Petersburg
Muraqqa sitzt links unten derselbe Sakkarganj spiegelbildlich, sonst identisch.
Auch in sonst sehr verschiedenen Gruppenbildern von Shaikhs aus der Zeit Shah Ja-
hans (Sufis and Mullas in Conversation, National Museum New Delhi, Acc.No. 52.33)
und im Bild Dara Shikoh with Sages, Payag zugeschrieben, findet sich ein völlig gleich
gemalter, nicht näher identifizierter Mulla mit auffällig längsgestreiftem Gewand53.
Solche immer wieder auftretende Bildmodule sind nicht nur auf vielen Miniaturen,
sondern auch in deren Randdekorationen zu finden.
Literatur
Asani, A.S.
2004 Dargah of Kwaja Muinuddin Chishti. In: Currim, M. und G. Michell: Dar-
gahs. Mumbai 2004, S. 50-63
Athar-e-Iran
1937 Service Archeolog. de ITran. Bd. II, Fase. II, Paris.
Bautze, J.K.
1993 Islamische Malereien aus Indien. In: Haase, C.P, J. Kroeger und U. Lienert;
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Dietrich Heißenbüttel: „Afrikanische Kunst“ - europäische Annäherungen
DIETRICH HEISSENBÜTTEL
„Afrikanische Kunst“ - europäische Annäherungen an eine
komplexe Realität
Seit wann gibt es afrikanische Kunst? Wenn wir die Frage so verstehen: seit wann gibt
es auf dem afrikanischen Kontinent ästhetische, kunstvoll hergestellte, Bedeutung
tragende Objekte und bildhafte Darstellungen, so lässt sich nur antworten: seit eh
und je, seit 30 000 Jahren, seit den ersten Tagen der Menschheit. Wenn wir aber „afri-
kanische Kunst“ in Anführungszeichen setzen und danach fragen, seit wann gibt es
das Begriffspaar „afrikanische Kunst“, so stellt sich heraus, seit nicht mehr als 100
Jahren.1
Kunst und Afrika sind europäische Begriffe. Als Africa bezeichneten die Römer das
Land südlich des Mittelmeers, von dem sie kaum mehr als die Nordküste kannten.2
Wenn auch der Gegenstandsbereich Malerei/ Architektur/ Skulptur schon mehrere
Jahrhunderte zuvor begonnen hatte, sich aus dem größeren Feld menschlicher Hand-
werke und Fertigkeiten als eigenständiges Gebiet herauszuheben: Kunst als allein
stehendes Substantiv im heutigen Sinne findet sich erstmals bei Johann Joachim
Winckelmann in der Mitte des 18. Jahrhunderts.3 Allerdings galt bis vor kurzem noch
selbst unter Experten keineswegs als sicher, dass sich der Begriff der Kunst über-
haupt auf Gegenstände des afrikanischen Kontinents anwenden lässt.
„Die Diskussion, ob wir es mit Kunst zu tun haben oder nicht, wenn wir afrikanische
Kunst sagen, wird in der Ethnologie immer wieder von neuem geführt“, bemerkt
Miklös Szalay 1991 im Katalog der Kölner Ausstellung „Afrikanische Skulptur, die
Erfindung der Figur“.4 Im selben Katalog findet sich auch ein Aufsatz von Werner
Schmalenbach unter dem Titel „Kunst oder Nichtkunst - das ist hier die Frage“.5
Dieselbe Frage beschäftigt auch Ingrid Kreide-Damani in ihrem im folgenden Jahr
veröffentlichten Dumont-Band zur „Kunstethnologie“.6
Reden wir nun von Kunst oder nicht? Warum sollten wir den Begriff der Kunst ver-
wenden, wenn sich das, worüber wir reden, gar nicht als Kunst bezeichnen lässt?
Szalay scheint zu trennen zwischen einem Wort Kunst, das sich auch auf Gegenstän-
de anwenden lässt, die an sich gar keine Kunst sind, und einer Kunst, die an und für
sich, jenseits aller Begriffe existiert. Doch insofern hat Szalay recht: Die Frage wird
immer wieder von neuem diskutiert, und zwar seit langer Zeit. Wir finden sie schon,
wenn wir 75 Jahre zurückgehen und Carl Einsteins Negerplastik aufschlagen: „Kaum
einer Kunst nähert sich der Europäer dermaßen misstrauisch, wie der afrikanischen.
Zunächst ist er hier geneigt, überhaupt die Tatsache .Kunst’ zu leugnen.“7
Allerdings hat sich unser Begriff der Kunst vor allem im Lauf der letzten 100 Jahre
stark verändert, und verändert hat sich im selben Zeitraum auch unser Begriff von
1 S. dazu weiter unten.
2 Nach dem Sieg über Karthago bezeichnet Africa die römische Provinz südlich des Mittel-
meers; der Begriff wird aber auch pauschal als Synonym zu der griechischen Bezeichnung Li-
bya, etwa bei Herodot, verwendet.
3 Paul Oskar Kristeller: „The Modern System of the Arts“. A study in the history of
Aesthetics(I)“ in: Journal of the History of Ideas. XII, 1951, 496-527 / (II); XIII, 1952, 17^16.
(auch in: Renaissance Thought II; Papers on Humanism and the Arts, New York 1965,163-227);
Johann Joachim Winckelmann; Geschichte der Kunst des Alterthums, Darmstadt 1972 (Nach-
druck der Ausgabe Wien 1934; Original Dresden 1764); Catherine SousslofLThe Absolute Art-
ist. Historiography of a Concept, Minneapolis, London 1997.
4 Miklös Szalay: „Afrikanische Kunst/ Kunst in Afrika“, in: Afrikanische Skulptur. Die Erfin-
dung der Figur, Köln 1990,24.
Werner Schmalenbach: „Kunst oder Nichtkunst - das ist hier die Frage“, ebd., 16-19.
6 Ingrid Kreide-Damani: Kunstethnologie. Zum Verständnis fremder Kunst, Köln 1992.
Carl Einstein: Negerplastik, hrsg. von Rolf-Peter Baacke, Zwickau 1992 [Leipzig 1915], 7.
67
TRIBUS 55,2006
afrikanischer Kunst. Um die Veränderung der Wahrnehmung afrikanischer Kunst
seitens der Europäer - und damit auch um die unterschiedlichen Gegenstandsberei-
che, die Europäer im Lauf der Zeit als afrikanische Kunst identifiziert haben - soll es
im Folgenden gehen. Denn es galt nicht nur - wie wir gesehen haben - sehr lange
Zeit keineswegs als sicher, dass sich überhaupt von afrikanischer Kunst sprechen
ließe. Vielmehr hat sich auch die Auffassung davon verändert, was afrikanische Kunst
sei. Seit Europäer vor etwa 100 Jahren anfingen, ihren Begriff der Kunst versuchs-
weise auf afrikanische Gegenstände anzuwenden, hat sich nicht nur dieser Begriff
der Kunst selbst von Grund auf verändert, sondern die so ausgezeichneten Objekte
fanden Eingang in einen völlig neuen Bedeutungszusammenhang: eine seltsame
Wanderung, die ich anschließend kurz illustrieren möchte, bevor ich in drei Schritten
von der vorkolonialen zur kolonialen und postkolonialen Zeit auf die Geschichte
europäischer Wahrnehmungen afrikanischer Kunst eingehen will.
Grabwächter und Masken - von der lokalen Identifikationsfigur zum anonymen
Kunstwerk
Im Gebiet des östlichen Gabun hat sich im Lauf der Jahrhunderte eine einzigartige
Kunstform entwickelt: bis zu 75 cm hohe, eher flache, mit Kupfer- und Messingblech
beschlagene Kopfbildnisse, die als Wächterfiguren auf Körben standen, in denen die
Reliquien hochrangiger Persönlichkeiten aufbewahrt wurden. Die in dieser Region
vorherrschende Bakota-Sprache bezeichnet diese Objekte als Mbulu Ngulu. Als Re-
präsentanten verstorbener Führungspersönlichkeiten nahmen sie Teil an den Riten,
mittels derer sich die jeweilige Gemeinschaft ihrer Identität und Herkunft versicher-
te8 (Abb. 1).
Diese Kopffiguren gehörten zu den frühesten afrikanischen Objekten, die in der
zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ihren Weg in europäische Museen und Privat-
sammlungen fanden und auch die Aufmerksamkeit europäischer Künstler erregten.
Bereits 1887 veröffentlichte Pierre Savorgnan de Brazza in der Zeitschrift „Le tour
du monde“ die Zeichnung einer Bakota-Reliquienhütte.9 Im darauf folgenden Jahr
erschien eine zweite Zeichnung und eine weitere, die nicht weniger als sieben solcher
Kopfplastiken zeigt, angeordnet um eine zentrale Trommel in Form einer Trophäe10
(Abb. 2). Wie die Bildunterschrift zeigt, orientiert sich die Präsentation an der Aus-
8 Efraim Andersson: Contribution à l’ethnographie des Kuta, I (Studia Ethnographica Upsa-
liensia VI), Uppsala 1953; II (Studia Ethnographica Upsaliensia XXXVIII), Uppsala 1974;
III, Ex Oriente lux (Occasional Papers XV) Uppsala 1991; Ingeborg Bolz: „Zur Kunst in
Gabun“, in: Ethnologica (Neue Folge), Band 3, Köln 1966; Alain und Françoise Chaffin: L’art
kota - les figures de reliquaire, Meudon 1979; Louis Perrois: Arts du Gabon - les arts plasti-
ques du bassin de POgoué, Paris 1979; ders.: Art ancestral du Gabon, Nathan 1985; ders.: Pa-
trimoines du Sud, Collections du Nord,Trente ans de recherche à propos de la sculpture afri-
caine (Gabon, Cameroun), Paris 1997; dass sich die Zuschreibung an eine einzelne Ethnie
nicht aufrechterhalten lässt zeigt die Studie von Marie-Claude Dupré: „L’art kota est-il vrai-
ment kota?”, in; l’Ethnographie, 83, 1980, 343-355; s. Jan Vansina: Art History in Africa. An
Introduction to Method, London, New York 1984, 31-33; eine sehr detaillierte Studie hat
Gérard Delorme im Internet veröffentlicht: Gérard Delorme: Réflexions sur l’art funéraire
Kota, http://www.africans-art.com/index.php3?action=page&id_art=7492 und folgende.
9 Primitivismus in der Kunst des zwanzigsten Jahrhunderts, hrsg. von William Rubin, München
1996, Abb. 164, S. 138
10 Ebd., Abb. 165; diese Form der Anordnung stammt aus der Antike: Die Griechen pflegten
die erbeuteten Waffen der Gegner zu einem Bündel, dem so genannten Tropaion zusammenzu-
binden und an Bäumen aufzuhängen; solche Trophäen gehören zu den gängigen Motiven der
Bauplastik an untergeordneten Positionen von Barockschlössern, so etwa im Parterre-Durch-
gang von Schloss Solitude, Stuttgart.
68
Dietrich Heißenbüttel: „Afrikanische Kunst“ - europäische Annäherungen
Ahh. 1: Kota-Reliquiarfigur (Bakota,
Gabun), Museum Rietberg, Zürich. Ge-
schenk Eduard von der Heydt, 77 cm
hoch.
Ahb. 2: „Tambours, masques, etc. des
Ondoumbas, D’après une panople ex-
posée au Trocadéro“, aus: Le tour du
monde, 1888.
69
TRIBUS 55.2006
Stellung im neu gegründeten Musée Ethnographique du Trocadéro, wohin die Ob-
jekte offenbar durch die de-Brazza-Expedition gelangt waren."
Bekanntlich erlebte Picasso bei einem Besuch des Trocadéro im Jahr 1907 eine Art
Schock, der als auslösendes Ereignis für den wohl radikalsten Umbruch in der Ge-
schichte der europäischen Kunst gilt.11 12 13 Der Künstler hat selbst, wahrscheinlich noch
im selben Jahr, mehrere Bakota-Figuren gesammelt.12 Es erscheint durchaus mög-
lich, dass die Form der Bakota-Reliquiarfiguren für Picasso ein auslösendes Moment
darstellte, das ihn zu dem entscheidenden Bruch mit der Tradition in dem Gemälde
„Les demoiselles d’Avignon“ im selben Jahr veranlasste. Allerdings lässt sich ange-
sichts der Vielzahl möglicher Bezüge und der späten, teils verklärenden, teils - bei
Picasso - eher dementierenden Selbstaussagen der Künstler heute unmöglich im
Einzelnen nachweisen, welche afrikanischen Objekte auf welche Weise zur Entwick-
lung der modernen Kunst beigetragen haben. Ob sich Picasso durch diagonale Ge-
sichtsnarben zu entsprechenden Schraffuren anregen ließ oder ob er sich nur ganz
allgemein durch „Stammesobjekte“ als „Träger magischer Kraft“14 inspirieren ließ,
wird sich niemals schlüssig beweisen lassen.
Dagegen steht zweifelsfrei fest, dass sich nicht nur Picasso, sondern auch andere mo-
derne Künstler für die Bakota-Figuren interessierten. Fernand Léger hat für das
Bühnenbild des Ballets „La création du monde“ die Umrisse einer solchen Figur
aufgezeichnet, offenbar weil er die rautenförmige Gabelung am Halsstück solcher
Figuren für die Beine von Tänzern hielt. Zackige Blitze im Hintergrund scheinen ein
Energiefeld zu symbolisieren.15 Juan Gris ging so weit, selbst aus Karton eine Bako-
ta-Figur herzustellen.16 Von Gris ist auch eine Äußerung überliefert, die sehr genau
den Grund für das Interesse moderner Künstler an solchen Arbeiten benennt: „Die
Negerskulpturen sind uns Beweis für die Möglichkeit einer anti-idealistischen
Kunst.“17
Freilich hat sich an den plastischen Bildwerken der Bakota auf dem Weg von ihrem
Entstehungszusammenhang hin zu ihren begeisterten europäischen Sammlern man-
ches grundlegend geändert: Repräsentierte der Kopf ursprünglich einen bestimm-
ten, hochrangigen Verstorbenen und musste er sich folglich von anderen Darstellun-
gen am selben Ort und vielleicht noch mehr von solchen an anderen Orten erkenn-
bar unterscheiden, wozu individuelle Bezeichnungen durch Gesichtsnarben und an-
dere Kennzeichen gedient haben mochten, so war nun bei Léger und Gris der ab-
strakte, geometrische Umriss, von allen solchen individuellen Markierungen berei-
nigt, zum Zeichen der Abstraktion an sich geworden. Von einer mit Affektionen be-
ladenen Identifikationsfigur, die an einen bestimmten Ort gebunden war und in der
sich das kollektive Gedächtnis der Dorfgemeinschaft einen Ankerpunkt suchte, wur-
den die Figuren auf dem Weg nach Europa und Amerika zu anonymen Ausstellungs-
objekten, Repräsentanten reiner Form, die von Ort zu Ort wanderten, um von an-
onymen Besuchern an den neutralen Wänden von Museen und Galerien bewundert
zu werden.
11 Primitivismus. Abb. 141, S. 116 (Weltausstellung Paris 1900); Abb. 174, S. 147 (Weltausstel-
lung Brüssel 1897); Abb. 327, S. 266 (Musée du Trocadéro, 1895); vgl. auch die Zeichnung aus
Friedrich Ratzels „Völkerkunde“, Bd.l, 1885: ebd., Abb. 170, S. 142; zur frühen Geschichte des
Trocadéro s. Jean-Louis Paudrat: „Aus Afrika“, ebd., S. 135.
12 William Rubin: „Pablo Picasso“, in: Primitivismus, 250-353 (insbesondere 250f., 263 ff.; 275—
279); Primitivism in Twentieth-Century Art. A Documentary History, hrsg. von Jack Flam, Miri-
am Deutch, Berkeley, Los Angeles, London 2003,33 f.
13 Rubin; „Picasso“, 275-279,308-313.
14 Ebd., 279.
15 Ebd., Abb. 686, S. 490.
16 Ebd., Abb. 21,5.22.
17 Zit. nach: Jean Laude: „Die französische Malerei und die ,Negerkunst’“, in: Wellkulturcn
und moderne Kunst. Die Begegnung der europäischen Kunst und Musik mit Asien, Afrika,
Ozeanien, Afro- und Indo-Amerika, München 1972,481.
70
Dietrich Heißenbüttel: „Afrikanische Kunst“ - europäische Annäherungen
Ein ähnlicher Begriffswandel lässt sich für Masken aus verschiedenen Teilen des afri-
kanischen Kontinents feststellen: Im europäischen Verständnis bezeichnet der Begriff
der Maske eine Verkleidung des Gesichts, als materielles Objekt also etwa ein aus Holz
geschnitztes plastisches Bildwerk, das sich vor dem Gesicht tragen oder an die Wand
hängen lässt. Im afrikanischen Verständnis ist eine Maske dagegen eher das, worauf sie
verweist, also nicht nur die Gesichtsbedeckung, sondern das gedachte transzendente
Wesen, das der tanzende Maskenträger verkörpert. Ohne diesen rituellen Zusammen-
hang, ohne mythische Erzählungen und den Rhythmus des Tanzes bleibt sie ein leerer,
lebloser Gegenstand, für den sich allenfalls Touristen interessieren.
Die vorkoioniale Epoche: Afrikanische Kunst in europäischen Museen
315 Elfenbeinarbeiten aus Afrika aus der Zeit vor 1800 befinden sich heute in west-
lichen Museen.18 Viele dieser Arbeiten stammen bereitsaus dem 15. und 16. Jahrhun-
dert, darunter als wichtigste Gruppe etwa 70 ganz oder in Teilen erhaltene Salzfässer.
Die frühesten und interessantesten, oft mit figürlichen Darstellungen versehenen
Salzfässer werden auf Grund des Vergleichs mit archäologisch ergrabenen Speck-
steinfiguren, so genannten Nommoli, in das Gebiet des heutigen Staates Sierra Leo-
ne lokalisiert und, da sie durch portugiesische Händler nach Europa gelangten, als
sapi-portugiesische Arbeiten bezeichnet. Allerdings ist von den Sapi, einer heute
nicht mehr existierenden Ethnie, nur wenig bekannt, und in Afrika selbst haben sich
keine vergleichbaren Elfenbeinarbeiten erhalten. Da einige der Arbeiten mit christ-
lichen Motiven geschmückt sind, nimmt Bassani an, es handle sich um europäische
Auftragsarbeiten nach europäischen Vorlagen. Dies resultiert freilich nicht aus einer
überlieferten Dokumentation, sondern lediglich aus dem Vergleich mit der gut er-
schlossenen ikonografischen Tradition Europas, während über afrikanische Ver-
gleichsbeispiele kaum etwas bekannt ist.19
In den Sammlungen der europäischen Fürstenhöfe des 16. Jahrhunderts gibt es eine
Vielzahl von Gegenständen, die sich in verschiedener Hinsicht mit den sapi-portu-
giesischen Salzfässern vergleichen lassen. Verschiedenerlei Tischgefäße und -geräte
bilden einen wichtigen Teil der in den Kunst- und Wunderkammern gesammelten
Objekte. So zählt das Salzfass, das Benvenuto Celimi für den französischen König
Franz I. anfertigte, zu den kostbarsten und meist bestaunten Kunstgegenständen des
frühen 16. Jahrhunderts.20 Gesuchte Raritäten waren Materialien des afrikanischen
Kontinents wie Elfenbein, Kokosnüsse, Straußeneier oder Rhinozeroshorn, aus de-
nen auch allerlei Pokale und Tischgeräte hergestellt wurden. Mit einem heutigen
Begriff von Kunst lässt sich indes streng genommen zu Beginn des 16. Jahrhunderts
nicht operieren: In der Zeit von Raffael und Michelangelo war die Maler- und Bild-
hauerkunst von den Künsten der Rotschmiede und Wollweber, Drahtzieher und
Glockengießer noch nicht begrifflich geschieden.21
Es steht also fest, dass sich afrikanische Elfenbeinarbeiten vor 500 Jahren einer ho-
hen Wertschätzung erfreuten, und zwar aus mehreren Gründen. Sicherlich spielte
die künstlerische Gestaltung eine Rolle in ihren beiden Aspekten: der formalen Äs-
thetik und der handwerklichen Virtuosität. Daneben interessierte die Sammler aber
auch das seltene, wertvolle Material und die Herkunft aus fernen Ländern. Aus den
wenigen Schriftzeugnissen, die sich zumeist schon aus späterer Zeit zu afrikanischen
Elfenbeinarbeiten erhalten haben, lässt sich indes nicht folgern, dass die Herkunft
18 Ezio Bassani, William B. Fagg: Africa and the Renaissance: Art in Ivory (hrsg. von Susan
Vogel, The Center for African Art), München 1988; Ezio Bassani: African Art and Artefacts in
European Collections 1400-1800, hrsg. von Malcolm McLeod. London 2000.
19 Vgl.Vansina (wie Anm. 8), 34-35.
20 Andreas Prater: Cellinis Salzfaß für Franz I. Ein Tischgerät als Herrschaftszeichen, Wiesba-
den, Stuttgart 1988.
21 Kristeller (wie Anm. 3); Rosario Assunto: Die Theorie des Schönen im Mittelalter, Köln
1963; vgl. Jost Ammann: Das Ständebuch, Frankfurt a.M. 1988 [1568].
71
TR1BUS 55,2006
der Kunstgegenstände ihren Besitzern immer bekannt war. So erstand Dürer, der
sich bei anderer Gelegenheit verwundert ob der „subtilen Ingenia der Menschen in
fremden Landen“22 zeigte, 1521 für drei Gulden zwei Salzfässer, deren Herkunft er
in Kalkutta vermutete.23 Andere Quellen sprechen scheinbar wahllos von
indi(ani)schen oder türkischen, gelegentlich gar von ägyptischen, chinesischen, go-
tischen oder deutschen Arbeiten.24
Explizite Urteile zur künstlerischen Qualität finden sich relativ selten und fallen un-
terschiedlich aus. Ein portugiesischer Kaufmann zu Beginn des 16. Jahrhundert be-
merkt, die Bewohner von Sierra Leone seien sehr geschickt und stellten Gegenstän-
de aus Elfenbein her, die wundervoll anzusehen seien, ein anderer spricht von sehr
schönen Elfenbein-Löffeln. Ein englischer Seemann empfindet sie eher als eigenar-
tig.25 Es sei beautifully carved, bemerkt ein Museumskatalog aus Newcastle 1827 zu
einem frühen Salzfass, das sich heute im British Museum befindet (Abb. 3). Dagegen
hält ein Katalog aus Modena 1806 ein Salzfass aus Owo in Nigeria, heute im Kunst-
historischen Museum in Wien, für ein cattivo lavoro, eine schlechte Arbeit26 27 (Abb. 4).
Zu einer einzigartigen, eine Kalebasse tragenden weiblichen Figur im Rijksmuseum
voor Volkenkunde in Leiden, die ebenfalls aus Owo stammt, bemerkt eine Quelle
um 1700, sie sei „non magnae artis, sed barbara, ut at istis populis fieri solet“ (nicht
sehr kunstvoll, sondern grob, wie bei diesen Völkern üblich)?1 Eine Tübinger Chronik
von 1850 bezeichnet wiederum ein sapi-portugiesisches Oliphant (Jagdhorn), wel-
ches der kurz zuvor verstorbene Christoph Friedrich Carl von Kölle in Rom erwor-
ben hatte, als ,,kunstreiches[s] Hüfthorn [...] auf welchem verschiedene zum Theil
originelle Jagdscenen in erhabener Arbeit ausgeführt sind, deren Zeichnung auf ein
hohes Alter schließen lässt, und deren Ausführung von einem für die damalige Zeit
sehr geschickten Künstler zeugt.“28
Eine relativ ausführliche Beschreibung aus dem frühen 18. Jahrhundert existiert zu
einem anderen sapi-portugiesischen Oliphant im Württembergischen Landesmuse-
um:
Noch ein ander Horn aus helfenbein, 14 zoll lang, unten 2 Vi zoll weit, durchaus
hohl dass, man drauf blasen kann, ausswendig mitt allerhand figuren, wüten
thieren, Jägern mit spiesen, Pfeil und bogen, auch andere seltzamen figuren
mehr, hat an 3 orten Öhrlein und löchlein, dass man ein Band oder schnür
dardurch ziehen kann.29
Noch ungewöhnlicher ist eine Beschreibung von 1659 zu einem Brett im Ulmer Mu-
seum, das der Divination diente und das, wie der Kunsthistoriker Olabiyi Babalola
Yai annimmt, König Tezifon von Allada im heutigen Benin als Gegengabe zu Urkun-
den von Missionaren nach Europa gesandt hat (Abb. 5):
Ein Opferbrett von erhabenen wunderselzamen und abschewlichen Teufelsbil-
dern geschnitten welches der König zu Haarder, so dess Grossen Königs von
Benin Vasall ist, sampt dessen grösten Officieren und Naturelen derselbigen
Provinz, bey ihrer Götter Opffer Oder Fetissi, zu gebrauchen und ihnen darauf
zu opfern pflegen und ist dieses Opfer-Brett von dem ietz Regierenden König
zu Haarder selbsten infestirt, und von ihme gebraucht worden.30
22 Zit. nach: Monika Kopplin: „’Was frembd und seltsam ist’. Exotica in Kunst- und Wunder-
kammern“. in: Exotische Welten - europäische Phantasien, Stuttgart 1987,296.
23 Bassani, 114, Nr. 400.
24 Bassani, Nr. 3,4,17,339,340, 346, 356,440,463,464-66,486-90 (fünf Elfenbeinlöffel, die in
einem Inventar von 1640 als “alla tedesca’’ bezeichnet werden, 1793 dagegen als “cucchiari
turchi”), 516,531.535-36,579; die verschiedenen Quellen stammen aus der Zeit zwischen 1586
und 1876.
25 Bassani, xxviii.
26 Bassani, Nr. 216,144.
27 Bassani, Nr. 543.
28 Bassani, Nr. 530.
29 Bassani, Nr. 430.
30 Bassani, Nr. 437.
72
Dietrich Heißenbüttel: „Afrikanische Kunst“ - europäische Annäherungen
Abb. 3: Sapi-portugiesisches
Salzfass, 1490/1530, 23,5 cm
hoch, British Museum, Lon-
don, Copyright The Trustees of
the British Museum.
Abb. 4: Salzfass, Owo 17. Jh.
(?), ehern. Modena, heute
Kunsthistorisches Museum
Wien, Inv.-Nr. MVK 8297 E,
12,5 cm.
73
Wunderseltsame und abscheuliche Teufelsbilder, Fetische, heydnische Götzen (1743)31
und Idole: Im Zuge der Gegenreformation wurden Menschendarstellungen schnell
zu Götzenbildern, denen folglich, wie es in der Bibel nachzulesen war, geopfert wor-
den war. Bretter ähnlich dem im Ulmer Museum erhaltenen finden sich bis in die
Gegenwart unter den Yoruba und benachbarten Völkern in Gebrauch. Sie dienen
nicht Opferhandlungen, sondern einer Art Orakel mit Palmnüssen, wobei das be-
mehlte Brett der Aufzeichnung der Resultate dient. Das Gesamtbild, das sich aus der
Anordnung der Strichmarkierungen ergibt, bezieht sich ähnlich wie beim chine-
sischen I Ging auf überlieferte Sprüche, die dann der Einzelne auf seine persönliche
Fragestellung anwendet.32
Ein Kapuzinerpater berichtet 1692, wie er mit einem Koffer voller idoli con altri varii
istrumenti superstiziosi nach Rom gekommen sei, welche ein Monsignor Cibo vor
einem Kardinalskollegium voller Entzücken betrachtet, „e Monsignore poi ci lodò
molto di haver portato quelle spoglie fatte dal demonio, mentre che mai nessuno
aveva fatto cosa simile“ (er lobte uns sehr, diese vom Teufel angefertigten Objekte
mitgebracht zu haben, was noch nie ein anderer vorher getan habe). Freilich gibt ihm
der Würdenträger keine Chance, die Gegenstände wie beabsichtigt zu einer Mailän-
der Galerie zu bringen.33 „Idolo della China“ steht auch auf dem Sockel zweier klei-
ner Statuetten, die vermutlich aus dem Fundus des selben Missionars stammen und
von Padua aus später ins Museo Preistorico Etnografico in Rom gelangten. In die-
sem Fall ist die Ortsangabe wahrscheinlich korrekt: „China“ (gesprochen Kina) be-
zieht sich nicht auf Ostasien, sondern auf eine Provinz von Angola.34
Die Kolonialzeit und der Beginn der modernen Kunst
In größerem Umfang gelangten afrikanische Kunstgegenstände aber erst im letzten
Drittel des 19. Jahrhunderts nach Europa. Besonders deutsche Ethnologen interes-
sierten sich früh für afrikanische Artefakte, die Forschungsreisende wie Heinrich
Barth, Gerhard Rohlfs, Gustav Nachtigal, Georg Schweinfurth und Adolf Bastian
von verschiedenen Expeditionen seit der Jahrhundertmitte aus Afrika mitgebracht
hatten. Es ging zunächst ums reine Sammeln und Katalogisieren: 10.000 solcher Ob-
jekte besaß das Berliner Völkerkundemuseum bereits bei seiner Eröffnung im Jahr
1886. In einer Abbildung aus Bastians Bericht über „Die Deutsche Expedition an
der Louangoküste“ von 1874 finden sich an die dreißig Figuren in Reih und Glied
auf zwei Regalbrettern aufgereiht.35 Zu sammeln, was immer sich an ethnografischen
Artefakten sammeln ließe, lautete die Devise des Gründers des Berliner Museums,
31 Bassani, Nr. 406.
32 Claudia Zaslavsky: Number and Pattern in African Culture, New York 1990 [Boston 1973],
213-220; vgl. Vansina (wie Anm. 8), 2-3.
33 Bassani, 161, Nr. 519.
34 Bassani, Nr. 514,515 und Appendix II: „The Master of Bamba Ngo“, ebd., 269-275.
35 Paudrat (wie Anm. 11), 143.
74
Dietrich Heißenbüttel: „Afrikanische Kunst“ - europäische Annäherungen
um der Nachwelt die Überbleibsel aussterbender Kulturen zu erhalten.36 Freilich
behandelte Bastian diese Gegenstände, als ob sie nicht von lebenden Menschen
stammten, die man zu ihrer Funktion und Bedeutung hätte befragen können, son-
dern aus den archäologischen Ablagerungen einer bereits vergangenen Zeit. Auf ei-
ner Lithografie aus Friedrich Ratzels 1885 erschienener „Völkerkunde“ sind dage-
gen Waffen, Figuren, Bastkörbe und weitere Objekte zu einer Trophäe angeord-
net.37
In welchen Begriffen sprechen die Ethnologen von diesen Objekten? In aller Regel
ist von Fetischen, auch Fetischpuppen, oder einfach neutral von Figuren die Rede.
Wenn Georg Schweinfurth bereits 1875 einen Band unter dem Titel „Artes Africa-
nae“ veröffentlicht, sollte ars nicht voreilig mit dem modernen Begriff der Kunst
gleichgesetzt werden.38 Eher scheint der lateinische Name in Analogie zu den Klas-
sifikationen der Botanik und Zoologie gewählt: Schon die alten Sammlungen euro-
päischer Fürstenhöfe unterschieden zwischen Naturalia und Artificialia,39 Der latei-
nische Begriff ars erklärt sich hier im Gegensatz zu dem von Natur Gegebenen als
das von Menschenhand Gemachte, bezieht sich also keineswegs nur oder in erster
Linie auf das ästhetische Objekt. Selbst Leo Frobenius, der später erstmals nach ei-
genen Worten den „Versuch einer Kunst- und Literaturgeschichte Afrikas“ unter-
nimmt,40 erwähnt 1897/98 Masken und Menschenfiguren als zwei Kategorien von
Objekten, die gegen andere wie Schilde, Bogen und Messer, Häuser, Trachten und
Pfeifen, Tätowierung und Schmuck, Saiteninstrumente, Trommeln und „Klimperin-
strumente“ in keiner Weise begrifflich abgehoben sind.41
Dies beginnt sich durch eine weitere europäische „Entdeckung“ just in dem Augen-
blick zu ändern, als Frobenius besagten Aufsatz über den „westafrikanischen Kultur-
kreis“ in Petermanns Monatsheften veröffentlicht. Zwar hatten seit 500 Jahren Han-
delskontakte zum Königreich Benin bestanden. Auch befanden sich kunstvolle El-
fenbeinarbeiten aus der Hauptstadt des Reichs, deren eigentlicher Name Edo lautet,
seit langer Zeit in europäischen Sammlungen.42 Und auch die außergewöhnlichen
Messing- und Elfenbeinarbeiten aus dem Palast des Oba waren aufmerksamen Be-
obachtern nicht verborgen geblieben. So beschreibt der niederländische Händler
David Van Nyendael 1702 in einer eigentümlichen Mischung aus Bewunderung und
Geringschätzung recht genau die Messingköpfe mit den aufgesetzten Elefantenstoß-
zähnen im dritten Umgang des königlichen Palasts.43 Doch der Rang der Arbeiten
wurde in Europa erst nach der Plünderung des Palasts infolge der britischen Erobe-
rung Benins 1897 erkannt (Abb. 6).
„Durch die Zerstörung von Benin im Jahre 1897 war die wissenschaftliche Welt mit
einer ganz eigenartigen Kultur bekannt geworden. Wenn auch schon die alten Rei-
36 Adolf Bastian. Zum Gedenken seines 100.Todestages. Ausstellung im Ethnologischen Muse-
um Berlin-Dahlem, 5.02.-27.02.2005; Klaus-Peter Koepping: Adolf Bastian and the Psychic
Unity of Mankind. The Foundations of Anthropology in Nineteenth Century Germany, St. Lu-
cia (Queensland), London, New York 1983.
37 Paudrat (wie Anm. 11), 142.
38 Georg Schweinfurth: Artes Africanae, Leipzig, London 1875.
39 Kopplin (wie Anm. 21).
40 Leo Frobenius: Kulturgeschichte Afrikas. Prolegomena zu einer historischen Gestaltlehre,
Wuppertal 1993 [Zürich 1954/Frankfurt 1933], 36.
41 Leo Frobenius: „Der westafrikanische Kulturkreis“, in: Dr. A. Petermanns Mitteilungen aus
Justus Perthes’ geographischer Anstalt, Bd. 43,1897, 225-236, 262-267; Bd. 44,1898, 193-204,
265-271.
42 Bassani; Ohioma Pogoson: „Reflections on African Art: Benin and Europe“, in: Auf dem
Pluto ist es noch kälter als vermutet, Sonderheft der Zeitschrift Rogue, hrsg. von Wacker Kunst
in Zusammenarbeit mit Graham Fagen und Verena Kuni, Frankfurt a.M. 1997,31-32.
43 Bosnian, William. A New and Accurate Description of the Coast of Guinea. Divided into The
Gold. The Slave, and The Ivory Coasts. A New Edition. With an Introduction by John Ralph
Willis and Notes by J.D.Fage and R.E. Bradbury. London 1967,424-468,555-575, zit. nach der
nicht mehr verfügbaren Homepage http://www.kingdom-of-benin.com, Dokumente, S. 2.
75
TRIBUS 55,2006
Abb. 6: Elfenbein-Gürtelmaske, Be-
nin, Linden-Museum Inv.-Nr. F
50.565,16. Jh„ 19,5 cm
senden über die Reiche, die in Oberguinea blühten, Wunderdinge erzählt hatten, so
zeigte doch erst die durch die englische Strafexpedition erzwungene Öffnung des
Landes eine Höhe der Kultur, wie man sie für Negerreiche nie für möglich gehal-
ten.“44 So beschreibt Wilhelm Crahmer 1908 das Erstaunen der Fachwelt über die
vielen hundert Messing- und Elfenbeinarbeiten, die infolge des britischen Beutezugs
zu großen Teilen in deutsche Privatsammlungen und Museen gelangten. Felix von
Luschan, der später ein dreibändiges Werk über die „Altertümer von Benin“ veröf-
fentlichen sollte, schätzt in einem 1900 erschienenen Aufsatz, dass „wohl über 2000
Altertümer aus Benin nach Europa gelangt [sind], und es giebt jetzt kaum ein größe-
res ethnographisches Museum, das nicht wenigstens einige Vertreter dieser merk-
würdigen Negerkunst besitzen würde“.45
Dieser merkwürdigen Negerkunst - später im selben Aufsatz schreibt Luschan Benin-
kunst: Dies ist wohl das erste Mal, dass in Bezug auf afrikanische plastische Bildwer-
ke überhaupt von Kunst die Rede ist. Daraus zu folgern, dass von Luschan den
Schöpfern dieser Kunst eine vorurteilslose Aufmerksamkeit entgegengebracht hätte,
hieße allerdings, die historische Realität weit zu verfehlen. Luschan war Mitbegrün-
der der „Gesellschaft für Rassehygiene“ und der Skelett- und Schädelsammlungen
des Berliner Völkerkundemuseums, dessen Leitung er 1907 übernahm.46
Ein Teil dieser umfangreichen Sammlungen stammte aus dem Besitz des 1902 ver-
storbenen Rudolf Virchow, der als Vorsitzender der Berliner „Gesellschaft für An-
thropologie, Ethnologie und Frühgeschichte“ und Herausgeber der „Zeitschrift für
44 Wilhelm Crahmer: „Über den Ursprung der .Beninkunst’“, in: Globus 94 (1908), 301-303.
45 Felix von Luschan: „Bruchstück einer Beninplatte“, in: Globus, 78,1900,306-307.
46 Martin Baer, Olaf Schröter: Eine Kopfjagd. Deutsche in Ostafrika. Spuren kolonialer Herr-
schaft. Berlin 2001,21; zu Felix von Luschan veranstalteten die Österreichische Akademie der
Wissenschaften und das Institut für Klassische Archäologie der Universität Wien vom 22-
24.April 2005 ein Symposium in dessen Geburtsort Hollabrunn; eine zusammenfassende Un-
tersuchung der Wirkung des Ethnologen und der rassistischen Implikationen der damaligen
Ethnologie insgesamt steht aus.
76
Dietrich Heißenbüttel: „Afrikanische Kunst“ - europäische Annäherungen
Ethnologie“ zu den entschiedensten Befürwortern der Craniologie zählte.47 Virchow
und andere glaubten, durch Vermessen des „menschlichen Materials“ Rückschlüsse
auf Psyche, Intelligenz und Unterschiede zwischen den „Rassen“ - immer zugunsten
der europäischen - treffen zu können.48 Weiteren Zuwachs erhielt die Sammlung
durch Herzog Adolf Friedrich zu Mecklenburg, der 1907-1908 nicht weniger als 1017
Schädel aus dem heutigen Tansania nach Deutschland schickte.49 Die Zeit seiner
Expedition fällt zusammen mit der Schlussphase des Maji-Maji-Krieges, der einer
Viertelmillion Afrikanern das Leben kostete.50 Heute noch rühmt sich die Berliner
Charité, in deren Besitz die Sammlungen übergegangen sind, auf ihrer Internetseite:
„Paläoanthropologische Arbeiten basieren auf den in der Obhut des Institutes be-
findlichen umfangreichen Sammlungen menschlicher Skelettteile. Namentlich die
Rudolf-Virchow-Sammlung und die Schädelsammlung aus dem ersten Berliner Völ-
kerkundemuseum, die mit rund 10.000 Objekten zu den wenigen großen Samm-
lungen dieser Art auf der Welt zählen.“51
Um auf Felix von Luschan zurückzukommen: Der Ethnologe bemerkt 1896 zu den
zahlreichen, auf der ersten deutschen Kolonialausstellung in Berlin-Treptow' zur
Schau gestellten ,,Eingeborene[n] aus den deutschen Schutzgebieten“, Rudolf
Virchow und andere seien „vom ersten Tage an bestrebt gewesen, das reiche Materi-
al, das in Treptow angesammelt war, nach mannigfachen Richtungen hin zu studieren
und festzuhalten.“52 Diese Haltung, die den Menschen nur als Objekt anthropomet-
rischer Untersuchungen betrachtet, verträgt sich kaum mit seiner Anerkennung als
schöpferisches Subjekt: Zwischen Schädelvermessung und Bewunderung der Benin-
kunst bleibt eine merkwürdige Diskrepanz, die allein wohl erklärt, warum viele da-
mals sich kaum damit abfinden konnten, diese Kunst könne wirklich in Afrika ent-
standen sein.
„Woher stammt diese Höhe der Technik, welche Völker haben dabei mitgewirkt,
dazu beigetragen, die „Beninkunst“ hervorzubringen?“ fragt Wilhelm Crahmer, um
gleich zu antworten: „Längst waren wohl alle wissenschaftlich geschulten Ethnolo-
gen davon überzeugt, daß der Ursprung der Guinea-Gußtechnik, die Vollkommen-
heit ihrer Ausbildung nicht in Afrika zu suchen sei.“ Um diese These zu stützen, be-
ruft er sich auch auf den großen Bewunderer afrikanischer Kunst, Leo Frobenius:
„Sind die afrikanischen Kulturen denn überhaupt bodenständig? Die Antwort auf
diese Frage hat uns Leo Frobenius gegeben: ,Sie stammen ab von der nigritischen,
der malajo-nigritischen und den asiatischen Kulturen’; die malajo-nigritische ist ,im
Bambuslande als Fischer- und Inselkultur zur Welt gekommen’; die asiatischen sind
als solche deutlich gekennzeichnet. Da ist es wohl als gänzlich ausgeschlossen zu
betrachten, daß nicht nur der Ursprung der hochentwickelten .Beninkunst’, sondern
auch ihr für afrikanische Verhältnisse unerhörter Aufschwung (abgesehen von einer
47 Vgl. auch: Reinhard Krüger: „Anthropométrie und Rassismus im anthropologisch-ethnolo-
gischen Diskurs des 19. Jahrhunderts“, Vorwort zu: Albin Weisbach: Körpermessungen ver-
schiedener Menschenrassen. Europäischer Rassenwahn und Anthropométrie im 19. Jahrhun-
dert, hrsg. von Reinhard Krüger, Berlin 2002 (Weisbachs Schrift erschien ursprünglich als Sup-
plement der Zeitschrift für Ethnologie, Bd. 9,1878).
48 So bemerkt Virchow nach Vermessung des Schädels des nach längerem Kampf in den Eng-
pass getriebenen und durch Freitod ums Leben gekommenen Sultans Mkwawa, dieser vertrage
„die Vergleichung mit anderen Neger-Schädeln recht gut. Indess dürfte es sich empfehlen, zu
warten, bis mehr Material heimgebracht ist, wozu ja mancherlei Aussicht besteht...“, zit. nach:
Baer/ Schröter, 20; in den zahlreichen biografischen Arbeiten über den berühmten Arzt kommt
dieser Aspekt seines Wirkens in der Regel kaum zur Sprache.
44 Baer/Schröter, 21.
50 Ebd., 93-102; Susanne Kuß: „Ein ganz normaler Kolonialaufstand? Der Maji-Majikrieg und
die Entstehung des Nationalismus in Tansania“in: iz3w 276, April/ Mai 2004,24-26; http://www.
majimaji.de.
51 http;//www.charite.de/einrichtungen/institute/m02.
52 Baer/ Schröter, 17.
77
TRIBUS 55,2006
ganz geringfügigen Umgestaltung) Negern,,dieser merkwürdigen Rasse, ohne akti-
ve Energie, ohne positive Schaffenskraft’ zuzuschreiben ist.“53
Frobenius ist auf diese Argumentation immer wieder zurückgekommen. Dass der
Freund Kaiser Wilhelms II. in der „Kulturgeschichte Afrikas“ 1933 von einem „Drit-
ten Reich“ spricht, ist kein peinlicher Ausrutscher, sondern steht durchaus im Ein-
klang mit der Methodologie seiner „Kulturmorphologie“, die immer wieder versucht,
eine formal-ästhetische Stilgeschichte nach Art der Kunstgeschichte mit rassistischen
Kriterien kurzzuschließen.54 In gewagten, weiträumigen Spekulationen entwickelt er
Theorien einer untergegangenen „malajo-nigritischen“ oder atlantischen Kultur, die
zu anderen, ebenfalls rassisch definierten wie der „äthiopischen“ und der „hamiti-
schen“ in Gegensatz tritt. Eine solche untergegangene, gewissermaßen antike Kultur
war natürlich, analog zur europäischen, auch einer Renaissance fähig, was die Begei-
sterung der Autoren der Négritude für Frobenius am Vorabend der Unabhängigkeit
erklärt.
Dieses Modell einer afrikanischen Klassik geriet jedoch bald durch eine gegenläufige
Bewegung in den Hintergrund. Das genaue Gegenteil, die Abweichung vom klassi-
schen Ebenmaß ist es, was die modernen Künstler an afrikanischen Arbeiten fasziniert.
„Die Negerskulpturen sind uns Beweis für die Möglichkeit einer anti-idealistischen
Kunst“, sagt Juan Gris.55 „Es ist absolut entscheidend für uns, aus dem Kreis auszubre-
chen. in den uns die Realisten eingesperrt haben“, meint auch André Derain.56 Viele
Legenden ranken sich um die Entdeckung afrikanischer Kunst durch Derain. Matisse,
Picasso und andere moderne Künstler. Neu in diesem Zusammenhang ist die Bezeich-
nung primitive Kunst: „Negerkunst wurde mir enthüllt in all ihrer Primitivität und all
ihrer Größe“, erzählt Maurice de Vlaminck rückblickend zu seiner Entdeckung dreier
Statuetten in einem Bistro, wie sie er und Derain zuvor nur als barbarische Fetische
wahrgenommen hätten.57 Matisse vergleicht afrikanische Skulpturen immer wieder
mit ägyptischen.58 „Jeder erzählt immer wieder vom Einfluss der Neger auf mich. Was
kann ich machen? Wir alle liebten Fetische“, ironisiert Picasso die Situation.59 Franz
Marc, August Macke und Emil Nolde begeistern sich für die Kunst der „Naturvölker“,
die sie klassischen europäischen Werken vorziehen.60
Diese Sucht nach dem Primitiven ist nicht neu. Sie charakterisiert das gesamte 19.
Jahrhundert, wenn auch das, was unter primitiver Kunst verstanden wurde, einem
stetigen Begriffswandel unterlag. Ursprünglich angewandt auf die „frühe“ italieni-
sche und französische Malerei des 14. und 15. Jahrhunderts, verschob sich der Begriff
später in Richtung der „frühen Hochkulturen“, der japanischen, chinesischen und
ägyptischen Kunst, bevor er ziemlich genau seit 1906 erstmals auf afrikanische und
polynesische Arbeiten angewandt wurde.61 „African Savages the First Futurists’’ ist
eine Ankündigung der ersten amerikanischen Ausstellung moderner europäischer
und alter afrikanischer Kunst 1914 in Alfred Stieglitz’ New Yorker Galerie 291 über-
schrieben. „Grotesque and horrible fetich masks to frighten evil spirits“ lautet eine
Bildunterschrift, „beauty“ ist dagegen in Anführungszeichen gesetzt. „These rude
fétiches, being more or less primitive expressions of the emotional and aesthetic in-
stincts in the human race, represent the ,roots of art’ for which restless innovators
persist in digging“, heißt es im Text.62
53 Crahmer (wie anm. 43); Zitate aus: Leo Frobenius: Der Ursprung der Kultur, Bd.l: Der Ur-
sprung der afrikanischen Kulturen. Berlin 1898.
54 Frobenius (wie Anm. 40).
55 S. Anm. 17.
56 Primitivism (wie Anm. 12), 29 (Übersetzung aus dm Englischen von mir).
57 Ebd.,28.
58 Ebd.,31.
59 Ebd.,33.
60 Ebd., 47-53.
61 Frances S.Connelly:The Sleep of Reason: Primitivism in Modern European Art and Aesthet-
ics, 1725 - 1907, University Park, Pennsylvania 1995.
62 Primitivismus (wie Anm. 9), 475, Abb. 666.
78
Dietrich Heißenbüttel; „Afrikanische Kunst“ - europäische Annäherungen
Carl Einstein widerspricht in seinem Buch über die Negerplastik rigoros solchen
Vorurteilen. Er spricht von „recht vagefn] Evolutionshypothesen“, einem „Fehlbe-
griff von Primitivität“, ,,falsche[n] Phrasen [...] wie Völker ewiger Urzeit“ und
schreibt weiter: „Man hoffte im Neger so etwas von Beginn zu fassen, einen Zustand,
der aus dem Anfängen nie hinaus gelange.“ Dies bezeichnet Einstein als eine „be-
queme Theorie“: „Der Europäer beansprucht in seinen Urteilen über den Neger
eine Voraussetzung, nämlich die einer unbedingten, geradezu phantastischen Über-
legenheit.“ Dem setzt Einstein entgegen, wohl an Frobenius anknüpfend: „der Ne-
ger ist kein nicht entwickelter Mensch; es ging eine bedeutsame afrikanische Kultur
zu Grunde [,..]“.63
„Das ,Epochale’ des Buches ,Negerplastik’ von Carl Einstein ist, dass er die Skulp-
turen des afrikanischen Kontinents vorurteilslos als Kunst überhaupt und als Plastik
insbesondere betrachtete und über sie als solche nachdachte“, schreibt Rolf-Peter
Baacke im Nachwort der Neuausgabe von 1992.64 Einstein betrachtet afrikanische
Statuetten und Masken als Skulptur, das heißt nach formalen Gesichtspunkten. Er
sieht darin keinen Widerspruch zu ihrer Funktion, die er mit den Worten bezeichnet:
„Die Kunst des Negers ist vor allem religiös bestimmt.“ Dass er wenig über die Ob-
jekte weiß, ist ihm durchaus bewusst: „In jedem Falle, weder die geschichtlichen noch
geographischen Kenntnisse erlauben vorläufig auch nicht die bescheidenste Kunstbe-
stimmung. [...] Daher erscheint jeder Versuch, etwas über afrikanische Plastik auszu-
sagen, als ziemlich hoffnungslos. Zumal, da eine Majorität noch den Beweis fordert,
daß jene überhaupt Kunst sei.“65
Bei aller Hochachtung, die Einstein für die afrikanischen Arbeiten hegt, entsteht aus
der Art der Abbildungen und der Konzentration auf den skulpturalen Aspekt jedoch
der Eindruck, sie seien gemacht, um an die Wand gehängt und betrachtet zu werden.
Farbe und ephemere Zutaten wie Bast oder Haare bleiben bis auf wenige Beispiele
ausgespart. Solche Dinge scheinen eher ins Völkerkundemuseum zu passen. Umge-
kehrt argumentiert William Rubin, dass sich Picassos Erfindung der Assemblage ge-
rade der Anregung mancher, aus verschiedenen Materialien zusammengesetzter
afrikanischer Arbeiten verdankt: „Auch wenn Picassos Hinzufügung von Stoff und
Seil in der westlichen Tradition ohne Vorläufer ist, brachten ihm die Stammesskulp-
turen das Prinzip einer solchen Mischung näher, deren Schöpfer häufig Tuch. Bast,
Schnur, Rinde, Metall, Lehm sowie Fundstücke in Verbindung mit Holz und anderen
Materialien verwerteten.“66
„Idol, Totem, Fetisch werden spätestens seit dem Surrealismus Leitthemen der mo-
dernen Kunst“, meint auch Manfred Schneckenburger, der dabei unter anderem an
die so genannten Nagelfetische aus dem Kongo denkt. „Die [...] Abkehr von natura-
listischen wie idealistischen Normen öffnete den Blick für die expressive Schönheit
des Magischen, Hieratischen, aber auch des Grotesken und der Hässlichkeit.“67 Es
liegt nahe, diesen Gedanken auch auf das Ritual selbst auszudehnen. Laut Jean-Hu-
bert Martin wurde der Film „Les maîtres fous“, den der französische Ethnologe und
Dokumentarfilmer Jean Rouch 1953 auf Bitte des städtischen Hauka-Geheimbun-
des drehte, für eine ganze Künstlergeneration prägend:
„Der Film beschreibt ein Fest von Afrikanern, die ihre Dörfer verließen, um in der
Stadt zu arbeiten. Sie versammeln sich sonntags, um ein Ritual in vollkommenem
Trancezustand zu begehen, das eine Mischung aus Tieropfer und dem Plagiat einer
britischen Militärparade darstellt. Keine Spur von malerischer Exotik im Schmuck
oder in der Ausstaffierung. Was bleibt, sind nur Wesen mit verrenkten Gliedern, die
gemeinsam gestikulierend versuchen, ihre Einzigartigkeit wiederzufinden. Dieser
63 Einstein (wie Anm. 7), 7.
64 Ebd.,153.
65 Ebd.,8-9.
66 Primitivismus (wie Anm. 9), 76.
67 Manfred Schneckenburger: „Idol, Totem, Fetisch in der Moderne“, in: Weltkulturen (wie
Anm. 17), 539.
TRIBUS 55,2006
Film übte einen sehr großen Einfluss auf die Fortentwicklung der Kunst in Europa
aus, denn er ermutigte eine ganze Generation von Künstlern, nach stärkeren Formen
als der Malerei und der Bildhauerei zu suchen, die schon als akademisch galten. Dar-
aus entwickelte sich eine wichtige Bewegung, die dem Künstler innerhalb der bilden-
den Künste spektakuläre Auftritte einräumte: Happenings und Performances.“68
Die postkoloniale Epoche: verschiedene Auffassungen von afrikanischer Kunst
Während europäische Künstler nach neuen Ausdrucksformen suchten, suchten die
Künstler der unabhängig gewordenen afrikanischen Staaten nach eigenen Stand-
punkten.69 Bis auf wenige Ausnahmen straften Europäer die unglaubliche Vielfalt
der in verschiedenen afrikanischen Ländern vor und nach der Unabhängigkeit neu
entstandenen Kunst mit einer dreifachen Missachtung: Erstens schenkten sie ihr ge-
nerell nur wenig Aufmerksamkeit. Zweitens konnten Afrikaner für ihre Kunst nur
einen Bruchteil der Preise erwarten, die europäische Künstler erzielten. Drittens
wollten Europäer von den Arbeiten, welche den Ansprüchen, die sie an ihre eigene
Kunst stellten, am nächsten kamen, am wenigsten wissen. Afrikanische Kunst war
„Kunst aus der Dritten Welt“.70
Solche Kunst durfte, sollte naiv sein, bunt, farbenprächtig, ungelenk, eben wie von
Kindern, aber bitte nicht akademisch. Unter der Kapitelüberschrift Müll-Phantasien
schreibt Jürgen Grothues in einem Buch über „Recycling in der Dritten Welt“ zu
zwei durchaus reizvollen Patchwork-Arbeiten: „Auf Anregung eines deutschen Be-
raters beim National Christian Council of Kenya (NCCK) wurden diese textilen
Bildapplikationen 1976 im Rahmen eines Projektes in Mathare Valley - einem Slum
bei Nairobi - eingeführt. Die Frauen, zum Teil Flüchtlinge aus Somalia und Äthio-
pien, verwerteten Stoffreste aus der kenianischen Industrieproduktion und von ein-
heimischen Schneidern. [...] der gestickte Kommentar zu einer traditionellen Musi-
kerszene thematisiert das Nebeneinander von Tradition und Moderne: ,In der Ver-
gangenheit hatten die Leute keine Schallplatten-Tage (Discotheken) und tanzten
statt dessen zu dieser Art von Musik.’“ 71
Genau genommen handelt es sich hier nicht um einen Kommentar zum „Nebenein-
ander von Tradition und Moderne“, sondern im Gegenteil zum Traditionsverlust.
Grothues idealisiert im Sinne der Ökologiebewegung der siebziger Jahre als „Recyc-
ling“, was in Wirklichkeit einer Notsituation geschuldet ist: Durch die Resteverwer-
tung - von Müll oder Wiederverwertung kann keine Rede sein - ließen sich die In-
vestitionskosten des Projekts niedrig halten, das in ökonomischer wie in künstleri-
scher Hinsicht von einem Nullpunkt auszugehen hatte. Zudem verschweigt Grothues
die Namen der Urheber des Projekts und auch der Patchwork-Arbeit. Denn es han-
delt sich, wie in manch anderen Fällen, keineswegs um eine „anonyme“ Volkskunst
(Abb. 7).
68 Jean-Hubert Martin: „Modernität als Hindernis für die gerechte Beurteilung der Kulturen“,
in: 7. Triennale Kleinplastik 1998, zeitgenössische Skulptur Europa - Afrika, Stuttgart 1998,45.
69 Eine zusammenfassende Darstellung, die sowohl die akademische Richtung als auch die so
genannte Workshop-Kunst und die verschiedenen Ausprägungen populärer Kunst berücksich-
tigt, liegt zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht vor; eine Einführung aus afrikanischer Sicht gibt:
Chika Okeke: „Modern African Art“, in: Okwui Enwezor (Hrsg.): The Short Century. Inde-
pendence and Liberation Movements in Africa 1945-1994. München, London, New York 2001,
29-36.
70 Jutta Ströter-Bender: Zeitgenössische Kunst aus der .Dritten Welt’, Köln 1991, beschreibt
eindringlich das Dilemma, obwohl sich 1991, als das Buch erschien, bereits eine Veränderung
anbahnt. Sie zitiert selbst in der Einleitung kritische Stimmen, etwa von Rasheed Araeen; der
Terminus „Dritte Welt hat genau genommen nach dem Ende des Kommunismus bereits an
Bedeutung verloren.
71 Jürgen Grothues: Aladins neue Lampe. Recycling in der Dritten Welt, München 1988. 82-
85.
80
Dietrich Heißenbüttel: „Afrikanische Kunst“ - europäische Annäherungen
Abb. 7; “A Man Roasting Maize with His Customer“, Patchwork, Mathare Patch-
work NCCK, Nairobi, zwischen 1976 und 1985, Entwurf: Paul Awino, Ausführung:
Rose.
Abb. 8: Patchwork, Mathare Patch-
work NCCK, Entwurf und Ausfüh-
rung: Dorcas Wanjeri.
Der „deutsche Berater“ war der Stuttgarter Künstler Dieter Göltenboth, ein Schüler
von Willi Baumeister, der bereits um 1960 eine ausgedehnte Afrika-Reise unternom-
men hatte und viele Jahre als Kunstpädagoge tätig gewesen war, bevor er 1975 in
Kenia das Projekt ins Leben rief. Er wollte zunächst die eigene Kreativität der 103 an
dem Projekt beteiligten Frauen anregen, die jedoch, wie sich herausstellte, über kei-
nerlei zeichnerische oder handwerkliche Vorkenntnisse verfügten (Abb. 8). Dann
meldete sich jedoch Paul Awino, ein Nachtwächter am Nutrition Center, in dem die
Workshops stattfanden, der gerne zu zeichnen angab (Abb. 9). Von ihm stammen die
meisten Entwürfe der Arbeiten, die fürderhin im Mathare Patchwork NCCK herge-
stellt wurden, einschließlich der beiden, die Grothues in seinem Buch abbildet. Auch
die Herstellerinnen der Stoffbilder sind namentlich bekannt: Göltenboth legte Wert
81
TRIBUS 55,2006
Abb. 9: Paul Avvino und Dieter Göltenboth.
darauf, dass jede der Frauen wenigstens ihren eigenen Namen zu schreiben lernte.
Daher sind fast alle Arbeiten, auch die zwei, die Grothues abdruckt, signiert.
Es kann hier nicht darum gehen, 103 ungebildete Frauen aus einem Slum bei Nairo-
bi zu Künstlerinnen zu machen. Nichtsdestoweniger zeigen ihre Signaturen, dass sich
hinter den Bildwerken Subjekte und nicht einfach anonyme Lohnarbeiterinnen ver-
bergen, auch wenn es, wie Göltenboth betont, vorrangig um das ökonomische Über-
leben der Frauen gegangen sei. Auch der Entwerfer arbeitete gegen Stücklohn, als
Autodidakt, und beansprucht sicher nicht den Rang eines „Künstlers“ im empha-
tischen Sinne. Seine individuelle Flandschrift und sein lebhafter, erzählerischer Stil
bleiben gleichwohl jederzeit leicht erkennbar und sind mit der folgenden Beschrei-
bung nur unzureichend und irreführend gekennzeichnet: „Die Motive spiegeln die
Erfahrungswelt der Frauen wider: Darstellungen von Frauen bei der Nahrungszube-
reitung knüpfen an althergebrachte Lebensweisen an [...]“72 (Abb. 10). Schließlich
verschweigt Grothues’ neutrale Formel „auf Anregung eines deutschen Beraters“,
dass sich der Ansatz des einzigartigen Projekts aus einer bestimmten kunstpädago-
gischen Tradition herleitet, der sich Göltenboth als Baumeister-Schüler verpflichtet
weiß.73
Man könnte sich allerdings leicht irren und für spontan und naiv halten, was in Wirk-
lichkeit fest in einer Jahrhunderte alten Tradition verankert ist. So handelt es sich bei
einem Wandbehang aus Abomey im heutigen Benin nicht etwa um eine volkstüm-
liche Arbeit nach Laune ihres Herstellers, sondern um ein Geschichtsdokument.74
Abomey, eine Tochtergründung von Allada, der Stadt, aus der das Wahrsagebrett im
Ulmer Museum stammt, ist heute als vorkoloniale afrikanische Stadt Unesco-Welt-
kulturdenkmal. Jedes der Tiere oder anderen Motive auf diesem Teppich erinnert an
einen ihrer Herrscher, dessen Losung es bezeichnet. So bezieht sich ein Schiff oben
rechts auf die Herrschaft des von 1708 bis 1732 regierenden Königs Agadja, zu des-
sen Regierungszeit erstmals Europäer in Karavellen vor der Küste von Abomey auf-
tauchten.
72 Ebd.
Ich danke Dieter Göltenboth, der bei meinem Vortrag am 2.2.05 im Linden-Museum anwe-
send war, für die ausführlichen Informationen und das zur Verfügung gestellte Bildmaterial.
74 Clémentine Faïk-Nzuji: Die Macht des Sakralen. Mensch, Natur und Kunst in Afrika. Eine
Reise nach Innen, Solothurn, Düsseldorf 1993,148-152.
82
Dietrich Heißenbüttel: „Afrikanische Kunst“ - europäische Annäherungen
Abb. 10: Marktszene, Patchwork, Mathare Patchwork NCCK, Entwurf: Paul Awino,
Ausführung: E. Wanjiru.
Von Kunst zu sprechen, impliziert immer ein Werturteil. In Vitrinen effektvoll be-
leuchtet, werden Jahrhunderte alte Dogon-Statuetten erst richtig zur Kunst.75 Lange
Zeit war nicht nur die alte, sondern auch die moderne afrikanische Kunst eher in
Völkerkundemuseen anzutreffen als in den Galerien und Museen der Kunstwelt.
Dass sich diese dabei auf Gegenstände des täglichen Gebrauchs wie Ladenschilder
oder politische Plakate konzentrierten, liegt in der Natur ihres Interesses, beschäftigt
sich doch die Ethnologie mit dem Gesamtzusammenhang anderer Kulturen und
nicht exklusiv mit Kunst (Abb. 11). Dass wir solche Schilder und Plakate als Kunst
betrachten, liegt aber an der europäischen Tradition, die seit mehreren hundert Jah-
ren bei Kunst zuerst an Malerei denkt. Es könnte allerdings sein, dass in Kamerun
oder Nigeria den Frisuren selbst ein höherer Wert beigemessen wird als den Laden-
schildern der Friseure.76
Offenbar gibt es in Europa wie in Afrika verschiedene Auffassungen von Kunst, die
sich nicht immer decken. So zirkulieren seit 1989 die Zement-Grabplastiken von
Sunday Jack Akpan aus Nigeria und die Särge aus der Werkstatt von Samuel Kane
Kwei aus Ghana durch das internationale Ausstellungswesen77 (Abb. 12). In beiden
Fällen handelt es sich um moderne Arbeiten: Sie erklären sich nicht aus einer alten
afrikanischen, sondern eher aus der christlichen Tradition: „God’s Time is the Best“
steht auf der Front eines Lkw-förmigen Sargs des Kwei-Schülers Paa Joe.78 Doch
obwohl für eine bestimmte Funktion geschaffen, finden sie sich nun auf einmal wie
75 Johann-Karl Schmidt: Dogon - Meisterwerke der Skulptur, Ausst.-Kat., Württembergischer
Kunstverein, Stuttgart 1998; diese Präsentationsform, die schon an der New Yorker Primitivis-
mus-Ausstellung 1984 und an „Magiciens de la terre“ 1989 im Centre Pompidou kritisiert wur-
de, lässt sich ironischer Weise auf eine afrikanische Ausstellung zurückführen, die 1982-85 u.a.
in London, Hildesheim und Ostberlin zu sehen war, s.: Ekpo Eyo, Frank Willett; Kunstschätze
aus Alt-Nigeria, Mainz 1983.
/6 Hair in African Art and Culture, hrsg. von Roy Sieber und Frank Herreman (Museum for
African Art, New York), München 2000.
77 S. etwa Neue Kunst aus Afrika (Haus der Kulturen der Welt), Berlin 1996; der dort auf S. 168
abgebildete Mann mit Hut von Sunday Jack Akpan befindet sich heute im Besitz des Linden-
Museums.
78 7. Triennale Kleinplastik (wie Anm. 68), 151.
83
TRIBUS 55,2006
Abb. 11: Bikok T. Pierre (Kamerun), Friseurschild, 1984, Linden-Museum, Inv.-Nr. F
54.892
Abb. 12: Sunday Jack Akpan, Grabplas-
tik, 1986, 185 cm, Linden-Museum, Inv.-
Nr. F 55.659a-b.
84
Dietrich Heißenbüttel: „Afrikanische Kunst“ - europäische Annäherungen
autonome Kunstwerke auf internationalen Ausstellungen wieder. Nicht ganz zu un-
recht: Ein Sarg von Kane Kwei oder Paa Joe ist ja nicht in erster Linie durch seine
Funktion definiert, sondern vor allem ein ästhetisches Objekt.
Die Arbeiten von Sunday Jack Akpan und Samuel Kane Kwei sind in Europa durch
die Ausstellung „Magiciens de la terre“ 1989 im Centre Pompidou bekannt gewor-
den. Diese Ausstellung, die auch als Reaktion auf die Primitivismus-Ausstellung 1984
im Museum of Modern Art zu sehen ist, lenkte erstmals in großem Stil die Aufmerk-
samkeit auf den Umstand, dass es in Afrika und vielen anderen Teilen der Welt eben
nicht nur traditionelle, vorkoloniale Kunst, sondern auch eine äußerst lebendige Ge-
genwartskunst gibt.79 Allerdings ist der Kunstbegriff hier, wenn auch ganz sicher
nicht falsch, so doch etwas unscharf, denn es waren sehr heterogene Dinge, die in der
Ausstellung kommentarlos nebeneinander standen: Gezeigt wurden etwa die Zeich-
nungen von Frédéric Bruly Bouabré aus Elfenbeinküste, der bereits in den fünfziger
Jahren ein eigenes, phonetisches Alphabet auf der Grundlage der Bété-Sprache und
in Anlehnung an die ägyptischen Hieroglyphen entworfen hat: eine poetische Ant-
wort auf den Vorwurf des Analphabetismus und die Notwendigkeit, in einer fremden
Sprache und Schrift schreiben zu müssen.80 Ein anderer Künstler, der in der Ausstel-
lung Magiciens de la terre vertreten war, ist Bodys Isek Kingelez aus Kinshasa. Kin-
gelez ist Autodidakt. Seine fantasievollen, futuristischen Architekturmodelle sind
geradezu darauf angelegt, das Vorurteil zu widerlegen, afrikanische Kunst sei grund-
sätzlich von Tradition und Funktion bestimmt.
Auch Georges Adéagbo aus Benin ist ohne formale Ausbildung zu seiner Kunst ge-
kommen. Er hat vielmehr in Frankreich Jura studiert, musste das Studium dann aber
aus familiären Gründen abbrechen. Seine Raum füllenden Installationen fertigt er
seit Beginn der siebziger Jahre in Cotounou, ohne Kontakt zu internationalen künst-
lerischen Tendenzen. Erst in den neunziger Jahren ist er einem internationalen Pu-
blikum bekannt geworden. Adéagbo fand eigenständig zu seiner Art von Kunst, die
sich durchaus mit der Arbeitsweise „westlicher“ Künstler vergleichen lässt. Er selbst
sieht sich als Außenstehenden: „Er betont, man könne seine Arbeit schwerlich Kunst
nennen, und da es ihm widerstrebt, sich Künstler nennen zu lassen, könnte man hier-
aus eine radikale Infragestellung beider Begriffe lesen“, schreibt dazu Carlos Basu-
aldo: „Man muss sich auf jeden Fall vor Augen halten, dass die komplexe Logik sei-
ner Arbeit sich parallel zur wechselvollen Entwicklung der jüngsten Kunstgeschichte
und nicht aus ihr heraus entwickelt hat.“81
Ganz anders der Fall des 1944 geborenen John Goba aus Sierra Leone, der im Alter
von 30 Jahren eine Offenbarung erlebte, die ihn veranlasste, in bunten Farben bemal-
te, mit Stachelschweinborsten bewehrte Figuren für den Ode-lay-Geheimbund her-
zustellen.82 Dabei handelt es sich keinesfalls um eine traditionelle Vereinigung, son-
dern um eine moderne, städtische, Erscheinung, die, ähnlich wie im Falle der Hauka
im Film von Jean Rouch, nicht an eine bestimmte Ethnie gebunden ist. Die Funktion
solcher Geheimbünde besteht darin, angesichts der zerstörerischen Auswirkungen
der nationalen Politik und der ökonomischen Globalisierung Gemeinschaft zu stif-
79 Jean-Hubert Martin: „Ist die zeitgenössische Kunst universell?“, in: Neue Kunst aus Afrika
(wie Anm. 77), 62-70.
s" Frédéric Bruly Bouabré, Heidelberg 1993; Bruly Bouabré war nicht der erste, der eine eige-
ne Schrift erfand: Bereits der von ungefähr 1890 bis 1933 regierende Herrscher von Fumban in
Kamerun, Njoya, erfand zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine eigene Silbenschrift, in der er auch
die Geschichte seines Reichs abfasste; das Original befindet sich heute im Pitt-Rivers-Museum
in Oxford; Alfred Schmitt: Die Bamum-Schrift, 3 Bde., Wiesbaden 1963; Claude Tardits: Le
royaume Bamoum, Paris 1980.
s| Dokumental l_Plattform5: Ausstellung, Kurzführer, Ostfildern 2002,8.
lS' 7. Triennale Kleinplastik (wie Anm. 68), 138 f.
85
TRIBUS 55,2006
ten.83 Gobas Figuren sind keineswegs ursprünglich für den Kunstmarkt entstanden
und erst seit den neunziger Jahren auf internationalen Kunstausstellungen vertreten.
Dennoch warf ihm ein Kritiker anlässlich der Biennale von Lyon 2000 vor, Folk Art
und Tourist Kitsch zu produzieren, um sich auf dem internationalen Markt besser
verkaufen zu können.84
Wieder stellt hier also einer die altbekannte Frage, auf die der südafrikanische
Künstler Johannes Fanozi Mkhize, der sich selbst den Namen Chickenman gab, 1995
in der Ausstellung „Colours“ mit einer humorvollen, durchdachten Arbeit antwortet:
Ein handgemaltes Verkehrsschild, auf dem eine Tabakspfeife zu sehen ist, scheint
zunächst das Vorurteil zu bestätigen, dass es sich um eine naive, unbedarfte Kunst
handle. Doch in Wirklichkeit antwortet Mkhize auf das berühmte Gemälde von
René Magritte, der unter das Bild einer Pfeife den Satz schreibt: „Ceci n’est pas un
pipe“. Die Antwort „Butisi tart“, die unter Mkhizes Verkehrsschild zu lesen ist und
zunächst an eine Bantu-Sprache denken lässt, entpuppt sich bei näherer Betrachtung
als Gegenfrage: „But is it art?“ (Abb. 13) Mkhize, der in der Imbali-Township von
Willowfontein bei Pietermaritzburg lebte und im Apartheid-Staat nicht die Möglich-
keit hatte, eine Kunsthochschule zu besuchen, zeigt damit, dass er eine Belehrung
darüber, was Kunst sei, nicht nötig hat. Das Warnschild erhebt sich gerade gegen
diese Frage, mit der sich das Subjekt des Fragenden ein Recht anmaßt, über den
Gegenstand afrikanischer Kunst ein Urteil zu fällen.8"’
In der jüngsten afrikanischen Kunst gibt es bemerkenswerte Tendenzen, sich zwi-
schen lokalen Verpflichtungen und internationalem Echo neu zu positionieren. Sie
zeigen, dass die Künstler sich des Blicks, der von außen auf ihre Kunst fällt, sehr
deutlich bewusst sind. Ein Teil ihrer Strategie besteht darin, diesen Blick, der nach
dem Exotischen sucht und ihnen zugleich vorwirft, sich durch diese Exotik nur inter-
essant machen zu wollen, explizit zurückzuweisen. So hält der angolanische Künstler
Fernando Alvim in der jüngsten Ausstellung „Afrika Remix“ dem Betrachter im
wortwörtlichen Sinne den Spiegel vor: Kreisrund auf einer großformatigen Lein-
wand angebracht, wirft dieser den Blick des Betrachters auf sich selbst zurück. Dar-
unter steht der Satz: „We are all Post Exotics“.86
Ähnlich verfährt der senegalesische Künstler Kan-Si, der 2003 Fotoapparate an die
Bewohner von Joal-Fadiouth verteilte mit der Aufforderung,Touristen zu fotografie-
ren. Eine 800 Meter lange Brücke verbindet die beiden Teile des Geburtsorts von
Léopold Sédar Senghor, der zur Hälfte auf dem Festland, zur Hälfte auf einer Insel
liegt. Die fotografierten Touristen zeigten sich zunächst wenig erfreut, doch kam es
dann zu einem Kommunikationsprozess, an dessen Ende eine Ausstellung der Fotos
auf der Brücke stand, daher der Titel der Arbeit „Le pont des regards“ (Abb. 14).
83 AbdouMaliq Simone: “The Visible and Invisible: Remaking Cities in Africa”, in: Under
Siege. Four African cities. Freetown, Johannesburg, Kinshasa, Lagos. Documental l_Platform4,
Ostfildern 2002,23-43; zur Situation in Sierra Leone s. Ibrahim Abdullah: „Space, Culture, and
Agency in Contemporary Freetown: The Making and Remaking of a Postcolonial City“, ebd.,
201-212; Alfred B. Zack-Williams: „Freetown: From the .Athens of West Africa’ to a City Un-
der Siege: The Rise and Fall of Sub-Saharan First Municipality“, ebd., 287-314.
84 Jason Edward Kaufman: „Grasping the Global”, http://www.artnet.com/magazine/reviews/
kaufman/kaufman8-4-00.asp; John Goba war zuletzt auf der Biennale von Venedig 2001 vertre-
ten; dass sich keine neueren Nachrichten über ihn finden, stimmt angesichts der Situation in
Sierra Leone Besorgnis erregend und wirft auf alle Fälle ein weiteres Licht auf die prekäre Si-
tuation seines Landes.
85 Colours. Kunst aus Südafrika. Berlin 1996, 85; Mkhize hat das Ende der Apartheid gerade
noch miterlebt; er starb im März 1995.
86 Afrika Remix. Zeitgenössische Kunst eines Kontinents (Museum Kunst Palast, Düsseldorf,
24. Juli - 7. Nov. 2004; Hayward Gallery, London, 10. Febr. - 17. April 2005; Centre Pompidou,
Paris, 15. Mai - 20. Aug. 2005; Mori Art Museum, Tokyo, Februar - Mai 2006), kuratiert von Si-
mon Njami, Ostfildern 2004, 76; http://www.universes-in-universe.de/specials/africa-remix/al-
vim/d-img-03.htm.
86
Dietrich Heißenbüttel: „Afrikanische Kunst“ - europäische Annäherungen
Abh. 13: Johannes Fanozi Mkhi-
ze („Chickenman“): „Butisi
Tart“, Sammlung Lorna Fergu-
son.
Abh. 14: Kan-Si, Le Pont des Re-
gards, Joal-Fadiouth 2003.
Indem er das Subjekt-Objekt-Verhältnis umdreht, zeigt Kan-Si, dass sich mit dem
Blick auf den Anderen immer auch ein Machtverhältnis verbindet.
Beide Arbeiten adressieren zwar den „westlichen“ Betrachter. Dabei geht es aller-
dings nicht um Verkaufsabsichten, sondern um die Thematisierung des wechselseiti-
gen Verhältnisses. Ansonsten konzentrieren sich Alvim und Kan-Si, die nach der
Wahl ihrer Mittel und an internationalen Standards gemessen zur aktuellen Gegen-
wartskunst zählen, aber vorwiegend auf ihr jeweiliges Heimatland. Fernando Alvim
hat sich in seinem Projekt „Memorias íntimas Marcas“ mit der jüngeren Geschichte
seines Landes auseinandergesetzt. In Cuito Cuanavale, einem Schlachtfeld des Krie-
ges zwischen Angola und Südafrika, arbeitete er mit Künstlern aus beiden Ländern
sowie aus Kuba und der lokalen Bevölkerung an den traumatischen Ereignissen der
jüngsten Geschichte. Die Ergebnisse, vorgestellt zuerst in Luanda und dann auch in
Johannesburg, haben dort viel Aufmerksamkeit erregt und eine Anamnese herbeige-
87
TRIBUS 55,2006
Abb. 15: Mansour Ciss, Projekt Déberlinisation, Afro-Künstlerbanknoten, 1. Serie,
2002.
führt. Mittlerweile ist Alvim mit der Durchführung einer ersten Biennale der Kunst
in Luanda, geplant für 2006, beauftragt.87
Auch Kan-Si arbeitet als Mitglied der Künstlergruppe „Huit facettes“ in der Regel
in seinem eigenen Land. In benachteiligten ländlichen und vorstädtischen Gebieten
veranstalten „Huit facettes“ Workshops mit der lokalen Bevölkerung, um auf diese
87 Christian Hanussek: „Memórias íntimas Marcas. Interview mit dem Künstler Fernando Al-
vim über den Aufbau eines afrikanischen Kunstnetzwerkes”, Springerin Hefte für Gegenwarts-
kunst, Band X, Sommer 2004,50-53.
88
Dietrich Heißenbüttel: „Afrikanische Kunst“ - europäische Annäherungen
Abb. 16: Mansour Ciss, Projekt Déberlinisation, Künstlerbanknote, 5 Afro, 2. Serie,
2004.
Weise die Spirale der Marginalisierung am Rande der Peripherie zu durchbrechen.88
Einen ähnlichen Weg beschreitet der ebenfalls aus dem Senegal stammende, in Ber-
lin lebende Künstler Mansour Ciss mit seinem Projekt „Déberlinisation“. Das Pro-
jekt besteht aus verschiedenen, nicht direkt miteinander verknüpften Komponenten.
So hat Ciss zur 5. Biennale Dakar 2002 künstlerisch gestaltete Afro-Banknoten ent-
worfen und in limitierter Auflage gedruckt, welche die Besucher der Ausstellung
dann zum Umrechnungskurs von 1:3,4 - ein kompletter Satz Banknoten à 885 Afro
gegen 3000 Francs CFA - eintauschen konnten89 (Abb. 15,16). Die Initiative hat so
viel Aufsehen erregt, dass es zu einem Echo auf politischer Ebene und inzwischen
bereits zur zweiten Neuauflage gekommen ist.90
Ein anderer Teil des Projekts ist das Künstlerhaus „Villa Gottfried“. In N’Gaparou,
70 Kilometer südlich von Dakar, errichtete er ein an traditionelle Lehmarchitektur
angelehntes, mehrstöckiges Gebäude, in dem Ausstellungen, Workshops und Semi-
nare stattfinden und das mehrere Gästeappartements enthält.91 2002 eingeweiht,
wirkt das Künstleraustauschszentrum dem Ungleichgewicht der internationalen
Kunstszene entgegen, deren Orte und Veranstaltungen sich noch immer in den rei-
chen Ländern Europas und Amerikas konzentrieren. Damit verbindet sich auch ein
Stück Emanzipation von den von außen vorgegebenen Werturteilen.
88 Amadou Kane-Sy/ Huit Facettes: „Jenseits des .Postismus'. Zum Projekt ‘Die Werkstätten
von Hamdallaye’ der senegalesischen Gruppe Huit Facettes“, Springerin Hefte für Gegen-
wartskunst, BandIX, Heft 1/03,24-27; Huit facettes waren auch auf der Documenta 11 vertre-
ten.
89 http://www.deberlinisation.de; beteiligt sind weiterhin die Künstler Baruch Gottlieb aus Ka-
nada und Christian Hanussek aus Berlin.
90 http://www.afrik.com/article7317.html.
91 http://www.galerie-herrmann.de/arts/art6/projekte/Villa_Gottfried.
89
Michael Knüppel: Die Jenissej-Sprachen
MICHAEL KNÜPPEL
Die Jenissej-Sprachen als Zweig des “Kwanlunischen“
In einem vorangegangenen Beitrag des Vf.s „Zur jenisseischen Bibliographie“, der
ebenfalls an dieser Stelle erschienen ist,1 wurde - neben dem Hinweis darauf, dass
das Fehlen einer Forschungsgeschichte der Jenisseistik noch immer ein Desideratum
dieser Disziplin darstellt2 - darauf hingewiesen, dass sich gerade in der älteren Lite-
ratur zu den jenisseischen Völkern bzw. deren Sprachen zahlreiche, heute weitge-
hend unbekannte. Klassifizierungsversuche finden.3 Wie mit den in dem genannten
Beitrag gegebenen Beispielen, verhält es sich auch mit der Einordnung der Jenissej-
Sprachen in eine klassifizierende Darstellung des „turanisch-skythischen Sprach-
stammes“, den H. Baynes im Jahre 1888 in der „Zeitschrift für Völkerpsychologie
und Sprachwissenschaft“ lieferte.4 Auch diese Übersicht wurde in der jüngeren Lite-
ratur nicht berücksichtigt (so erscheint sie ebenfalls nicht in Vajdas Bibliographie),5
ist jedoch von einigem wissenschaftshistorischen Interesse.
Wie vom Vf. einmal bei einer anderen Gelegenheit ausgeführt, ist dem heutigen Leser
häufig die sprachwissenschaftliche Terminologie des 18. u. 19. Jh. weitgehend fremd
und nur aus dem Kontext der Zeit heraus zu verstehen.6 So auch der Titel, mit dem
Baynes seine Klassifikation versehen hat. Hier ist bereits vom „turanisch-skythischen“
Sprachstamm die Rede - ein Begriff, der einen Großteil der agglutinierenden Spra-
chen Eurasiens beschreiben bzw. umfassen sollte. Die Bezeichnung „Skythen“ wurde
erstmals nachweislich auf eine Gruppe von Sprechern einer agglutinierenden Sprache
in der „Gesta Hungarorum“ bezogen - hier auf die Ungarn.7 Eingang in die Sprach-
wissenschaft fand der Begriff zunächst wohl im 18. Jh. Hier spricht auch Ph. J. v. Strah-
lenberg (1677-1747) von „skythischen Völkern“, bezeichnet mit dem Begriff jedoch
verschiedene Völker des nördlichen Eurasien, die er offenbar mit den Skythen der
Antike identifizierte, ohne die Bezeichnung hier zwingend auf die Sprache zu bezie-
hen.8 Zu Beginn des 19. Jh. fasste R. K. Rask (1787-1832) die später so genannten
1 Knüppel, Michael: Zur jenisseischen Bibliographie [zugl. Bespr. v. Vajda, Edward J.: Yeniseian
peoples and languages: a history of Yeniseian studies with an annotated bibliography and a source
guide. Richmond 2001]. In: Tribus 52 (2003). 111-117.
2 Ein Mangel, der durch die vorzügliche Arbeit von H. Werner M. A. Castren und die Jenissejis-
tik. Die Jenissej-Sprachen des 19. Jahrhunderts (Wiesbaden 2003 [VdSUA 62]) inzwischen zu-
mindest teilweise behoben wurde.
3 Knüppel (2003).
4 Baynes, Herbert: Die indo-chinesische Philologie. In: Zeitschrift für Völkerpsychologie und
Sprachwissenschaft XVIII. 1888.284-299.
5 Vgl. Knüppel (2003).
6 Knüppel, Michael: Zum Begriff der „tschudischen Sprach(en)klasse“. In: FUM 24/25. Ham-
burg 2002.87-97.
7 In der im 13. Jh. von einem anonymen Vf. niedergeschriebenen „Gesta Hungarorum“, in der
die Ungarn erstmals mit den Skythen in Verbindung gebracht wurden, werden diese - zusam-
men mit den Hunnen - auf die fiktiven Herrschergestalten Hunnort und Magort zurückgeführt.
Letztere wiederum wurden als Nachfahren des bibl. Magog aufgefasst (zur G. H. vgl. Silagi,
Gabriel/ Veszpremy, Läszlö: Die„ Gesta Hungarorum“ des anonymen Notars: die älteste Darstel-
lung der ungarischen Geschichte. Sigmaringen 1991 [Ungarns Geschichtsschreiber 4]).
8 Strahlenberg, Philipp Johann v.: Das Nord- und Östliche Theil von Europa und Asia: in so weit
solches Das Gantze Russische Reich mit Sibirien und der grossen Tartarey in sich begreiffet. In
einer Historisch-Geographischen Beschreibung der alten und neuern Zeiten, und vielen an-
dern unbekannten Nachrichten vorgestellet, Nebst einer noch niemahls ans Licht gegebenen
Tabula Polyglotta von zwey und dreyssigerley Arten tartarischer Völcker Sprachen und einem
Kalmückischen Vocabulario, Sonderlich aber Einer grossen richtigen Land-Charte von den be-
nannten Ländern und andern verschiedenen Kupfferstichen, so die Asiatisch-Scythische Anti-
qvität betreffen; Bey Gelegenheit der Schwedischen Kriegs-Gefangenschaft in Russland, aus
eigener sorgfältigen Erkundigung, auf denen verstatteten weiten Reisen zusammen gebracht
und ausgefertigt. Stockholm (in Verlegung des Autoris) 1730 (Neudruck: With an Introduction
by J. R. Krueger. Ed. Judit Papp. Szeged 1975 [SUA 8]).
91
TRIBUS 55,2006
„ural-altaischen“ Völker/ Sprachen unter der Bezeichnung „skythisch“ zusammen.9
Zum Begriff „turanisch“ sei hier bloß auf die umfangreiche Literatur zu diesem Termi-
nus verwiesen.10 In die Sprachwissenschaft fand schließlich der „Turanismus“ durch F.
M. Müller (1823-1900) Eingang, der unter den „turanischen“ Sprachen die „fin-
nischen“ u. „türkischen“ Sprachen einerseits (nördlicher Zweig) und die drävidischen
und malaio-polynesischen Sprachen andererseits (südlicher Zweig) zusammenfasste,11
hierbei jedoch - im Unterschied zu den Vertretern der ural-altaischen Theorie - eher
auf typologische „Zusammengehörigkeit“ abzielte und nicht wie diese zwingend von
einer genetisch begründeten Verwandtschaft („Urverwandtschaft“) ausging.12
Mit der Einbeziehung der Jenissej-Sprachen in die Gruppe der „turanisch-sky-
tischen“ Sprachen - und hier wiederum ihrer Zuordnung zu den „kwanlunischen“
Sprachen -führte Baynes eine Neuerung ein, in der eine „Erweiterung“ des Kreises
der „turanischen“ Sprachen, wie er sich bei Müller findet, zu erblicken ist. Andere
Zeitgenossen von Baynes haben schließlich versucht, „paläoasiatische“ Einzelspra-
chen an den „ural-altaischen Sprachstamm“ anzuschließen - so etwa R G. v. Moellen-
dorf, der das Nivchische (veraltet: Giljakisch) als zu den ural-altaischen Sprachen
gehörig betrachtete.13
Baynes' Klassifizierung lässt sich - wie schon aus dem aberwitzigen Begriff „kwanlu-
nisch“ ersichtlich - nur aus dem Kontext, d. h. dem heutigen Betrachter recht abenteu-
erlich erscheinenden Gedankengebäude des Autors, erklären. Dieser postulierte näm-
lich - anknüpfend an die Hypothesen von A. E. J. B.T. de Lacouperie (1845-1894) - eine
Stiftung der chinesischen Zivilisation um 2300 v. Chr. durch Einwanderer aus dem Wes-
ten (bevorzugt Mesopotamien)14 - möglicherweise „negrite“ Völker.15 Bei diesen soll
es sich um Sprecher einer der so genannten „ural-altaischen“ (dies bei Baynes wohl
synonym gebraucht für „agglutinierend“) Sprachen gehandelt haben.16 Die Bezeich-
9 Rask, Rasmus Kristian: Den skytiske Sproget. In: Sammlede tilldels forhen utrykte Afhand-
lingen I. Kpbenhavn 1834.
10 Vgl. z. B. Bacqué-Grammont, J. L.: Turan: une description du Khanat de Khokand vers 1832
d'après un document ottoman. In: Cahiers du Monde Russe et Soviétique XIII (2). Paris 1972.194—
199; Brunnhofer, Hermann: Iran und Turan: Historisch-geographische und ethnologische Untersu-
chung über den ältesten Schauplatz der Indischen Urgeschichte. Einzelbeiträge zur allgemeinen und
vergleichenden Sprachwissenschaft 5. Leipzig 1889; Helfferich, Adolph: Iran und Turan. Über die
Entstehung der Schriftsprache. Frankfurt 1868; Minorsky, V: Türan. In: ET IV. 1. Aufl. Leiden, Leip-
zig 1934.951-957.
11 Müller, Friedrich: The Languages of the Seat of War in the East. With a Survey of the three
Families of Language Semitic, Arian, and Turanian. London 1854 (2. Aufl. London, Edinburgh,
Leipzig 1855); ders.: On the Turanian Languages. In: Christianity and Mankind III. Outlines of
the Philosophy of Universal History applied to Language and Religion. Hg. v. Chr. C. J. Bunsen.
Vol. 1. London 1854.263-521.
12 Die ural-altaische Theorie (im Kern die Behauptung einer genet. Verwandtschaft der ura-
lischen und altaischen Sprachen [„Urverwandtschaft“]) ging - wie erwähnt - auf R. K. Rask
zurück; den Begriff prägte M. A. Castrén; ihre wichtigsten Vertreter waren W. C. Schott (1809—
1889), A. Boiler (1811-1869) u. H. Winkler (1848-1930) (für das 20. Jh. sind zudem W. Pröhle
[1861-1946]) u. D. R. Fokos-Fuchs [1884-1977] zu nennen).
13 Moellendorf, P. G. von; The Ghilyak Language. In: The China Review XXI. Hongkong 1894.
141-146.
14 Es war dies eine Idee, die de Lacouperie in einer Vielzahl von Schriften entwickelte: Lacou-
perie, Albert Étienne Jean Baptiste Terrien de: The languages of China before the Chinese. Lon-
don 1887; ders.: Origin from Babylon and Elam of the eraly Chinese civilization: A summary of
the proofs. In: Babylon and Oriental Records 3 (5). 1889. 97-110; ders.; Western origin of the
early Chinese civilisation from 2300 b. C. to 200 a. D.: Or chapters on the elements derived from
the old civilisations of West Asia in the formations of the ancient Chinese culture. London 1894.
15 Baynes (1888), 288.
16 Es lag dem der Wunsch zugrunde, zu erklären, wie es möglich war, dass die Sprecher einer
isolierenden Sprache, also ausgerechnet des primitivsten Sprachtyps aus Sicht der Sprachtypo-
logie des 19. Jh., eine so „hochentwickelte Zivilisation“ haben begründen können. Hierzu schon
der Sinologe H. C. von der Gabelentz.
92
Michael Knüppel: Die Jenissej-Sprachen
nung „Kwanlunisch“ leitet sich von der im 18. u. 19. Jh. gebräuchlichen Benennung des
Höhenzuges des Kulun Shan, der sich vom Pamir bis zum tibetischen Hochland er-
streckt, „Kwan Lun“ ab. Es war im 19. Jh. gängige Praxis, Sprachen oder Sprachfami-
lien nach Gebirgsregionen, in denen diese oder Glieder dieser Familien „beheimatet“
waren, zu benennen (z. B. kaukasische Sprachen, Pamirsprachen etc.). Oftmals handel-
te es sich aber auch nur um eine Region, in der die „Urheimat“ des jeweiligen Volkes
vermutet wurde (z.B. Altaisch, Uralisch und eben auch Himalajisch und Kwanlunisch).
Die Einbeziehung der Jenissej-Sprachen in die Gruppe der kwanlunischen Sprachen,
wie sie uns bei Baynes begegnet, dürfte sich zum Einen wohl aus dem Umstand erklä-
ren, dass es sich bei diesen - wie beim Chinesischen - um Tonsprachen handelt, es zum
anderen aber dem zur Zeit von Baynes in der Sprachwissenschaft (vor allem der
Sprachtypologie) noch recht wirksamen Geist (naturwissenschaftl. Betrachtung des
Menschen) entsprach, Völker und Sprachen zu klassifizieren. So wurden die Jenissej-
Sprachen, deren Kenntnis in der Mitte des 19. Jh. noch recht begrenzt war, da sie nicht
anderweitig „angeschlossen“ werden konnten, beispielsweise zusammen mit anderen
nicht-uralischen und nicht-altaischen Sprachen Sibiriens von L. v. Schrenck kurzum zur
Gruppe der so genannten „paläoasiatischen“ Sprachen zusammengefasst.17
Die erwähnte Klassifikation, in der Baynes die Jenissej-Sprachen „untergebracht“
hat, stellt sich folgendermaßen dar:18
Das System des turanisch-skythischen Sprachstammes
I. Südwest-Asiatisch:
t Sumirisch-Akkadisch, u.s.w. + ht.
II. Uralisch;
1. Ugro-Finnisch.
2. Samojedisch.
3. Jamatisch-Koreanisch.19
III. Altaisch:
Türkisch-Tatarisch.
IV. Kwanlunisch:
1. Jenisseisch-Kottisch.
2. Chinesische Familie;
а) Alt f.
ß) Siniko-Annamitisch.
y) Kanton-Dialekte.
б) P'okjen.
e) cSahhai.
Q Mandarin.
3. Kareh-Familie:
a) Nördlicher oder vorchinesischer Zweig,
ß) Südlicher oder birmanischer Zweig.
4. Tibetisch-Birmanische Familie:
а) Bcot-Gruppe.
ß) Nepal-Gruppe,
y) Sikkim-Gruppe.
б) Assam-Gruppe.
e) Kak'arisch-Koch-Gruppe.
Q Naga-Kakcjen-Gruppe.
r\) Kuki-Gruppe.
0) Arrakan-K'in-Gruppe.
17 Srenk, L. I.: Ob inoradtsach Amurskogo kraja. I. Chast' geograficesko-istoriceskaja i antro-
po-etnograficeskaja. St. Petersburg 1883.
18 Baynes (1888), 298 f.
19 Jamatisch = Japanisch.
93
TR1BUS 55,2006
i) Birmanisch-Gruppe.
k) Laka-Solo-Gruppe.
X) Siphan-Gruppe.
V. Himalajisch:
1. Dravidas.
2. Gangetisch.
3. Kolarisch.
4. Negrito-Andamanisch.
5. Australisch.
VI. Kucs-Kaukasisch:
1. Nord-Kaukasisch.
2. Alarodisch.
3. Kucsitisch.
VII. Euskarisch und andere Abteilungen.
Es handelt sich also um eine Gruppierung, die nahezu ausschließlich aus „iso-
lierenden“ und „agglutinierenden“ Sprachen besteht, jedoch keinesfalls all diese
Sprachen umfasst. So sind hier die übrigen paläoasiatischen Sprachen ebenso ausge-
lassen worden wie die Indianersprachen, die typologisch eine gewisse Ähnlichkeit
mit den Jenissej-Sprachen aufweisen.20 Auch bleibt unklar, ob in dem von ihm so
genannten „Türkisch-Tatarischen“ Zweig des Altaischen die mong. und tung. Spra-
chen inbegriffen sind. Es handelt sich also um eine offenbar recht willkürliche Auf-
stellung - allerdings kaum willkürlicher als etwa jene bei Müller (allenfalls etwas
ausgedehnter).
Auffallend ist, dass Baynes, der sich ja nicht ausdrücklich hinsichtlich der Typologie
äußert und seine Klassifikation - beruhend auf den Schriften von de Lacouperie -
nicht weiter begründet oder kommentiert. Er bleibt mit seinen spekulativen Auffas-
sungen - auch hinsichtlich des „vorchinesischen China“ (so de Lacouperie)21 deut-
lich hinter dem Forschungsstand seiner Zeit zurück. Dass die jenisseischen Sprachen
mit keiner der Sprachen bzw. Sprachfamilien Sibiriens „zusammengehören“, hatte
bereits Ph. J. v. Strahlenberg (hier anhand des Arinischen) „erkannt“22 23 und einer der
Begründer der ural-altaischen Theorie, M. A. Castren (1813-1852), der - dies sei hier
nebenbei bemerkt - den Begriff „ural-altaisch“ eingeführt hat, hat sich hinsichtlich
der „Verschiedenheit“ der Jenissej-Sprachen von den uralischen und altaischen
Sprachen deutlich geäußert221 - ebenso der Ural-Altaist H. Winkler (1848-1930), ein
Zeitgenosse von Baynes.24
Befinden sich Baynes und de Lacouperie in dieser Hinsicht auch nicht auf der Höhe
ihrer Zeit, so ist doch bemerkenswert, dass sie den Sprechern agglutinierender
Sprachen eine „kulturstiftende“ Rolle zuweisen - ja mehr noch, eine der frühen
„Hochkulturen“ auf diese zurückzuführen versuchen. Es steht dies der Tendenz der
Beurteilung agglutinierender Sprachen und ihrer Sprecher im 19. und frühen 20. Jh.
vollkommen entgegen. Wurden hier diese Sprachen doch als „unvollkommen“ im
Gegensatz zu den flektierenden (bes. indoeuropäischen und semitischen) Sprachen
20 Vgl. hierzu Werner, Heinrich: Zur jenissejisch-indianischen Urverwandtschaft. Wiesbaden
2004.
21 Lacouperie (1887).
22 Strahlenberg (1730), 54.
23 Castren, Mathias Alexander; Versuch einer jenissei-ostjakischen und kottischen Sprachlehre
nebst Wörterverzeichnissen aus den genannten Sprachen. St. Petersburg 1858 (Nordische Reisen
und Forschungen 12).
24 H. Winkler rechnete die Jenissej-Sprachen zu den „hyperboreischen Sprachen“, zu denen er
das „Jenissei-Ostjakische“ (= Ketische) [S. 114-115], Kottische [S. 114-115], „Eskimoische“
(Inuit) [S. 115-118], Jukagirisch [S. 118-119], Aleutisch [S. 119-120] und Cukcisch [S. 120-121]
zusammenfasste - also nahezu dieselben Sprachen die L. v. Schrenck als „paläoasiatisch“ be-
zeichnete (Winkler, Heinrich; Uralaltaische Völker und Sprachen. Berlin 1884. 113-121).
94
Michael Knüppel: Die Jenissej-Sprachen
gewertet und ihre Sprecher bisweilen als minderwertig eingestuft. Zum Ausdruck
kam dies in sprachwissenschaftlichen Betrachtungen des 19. Jh. wie jenem der
„mangelnden Worteinheit“ oder des „nominalen Charakters“ der agglutinierenden
Sprachen.22 Den Sprechern dieser Sprachen wurde ausgehend von solchen Betrach-
tungen aufgrund des Sprachbaues „geringes Abstraktionsvermögen“ unterstellt
und auf Erscheinungen wie Attraktion und Assimilation (z. B. die Vokalharmonie *
2:1 Röhrborn, Klaus: „Mangelnde Worteinheit“ der agglutinierenden Sprachen in der Sprachty-
pologie des 19. Jahrhunderts, ln: Baldauf, Ingeborg/ Kreiser, Klaus/ Tezcan, Semih (Hrsg.): Tür-
kische Sprachen und Literaturen. Materialien der ersten deutschen Turkologen-Konferenz Bam-
berg, 3.-6. Juli 1987. Wiesbaden 1991.315-319 (VdSUA 29).
95
TRI BUS 55,2006
bei den sog. altaischen Sprachen) die Unterstellung angeblicher „geistiger Trägheit
gegründet.26
Auf den Betrachter unserer Tage wirken die Theorien Baynes und de Lacouperies -
etwa die Zuordnung der Jenissej-Sprachen zu den „kwanlunischen“ Sprachen - ebenso
befremdend wie die Wertung (- oder genauer: die Herabsetzung -) der agglutinie-
renden Sprachen und ihrer Sprecher durch die besonders vom Evolutionismus geprägte
Sprachwissenschaft des 19. Jh. Man ist demzufolge geneigt, diese Theorien als Irrwege
der Sprach- und Kulturwissenschaften jener Zeit abzutun, die heute nicht mehr von
(oder nur mehr von wissenschaftshistorischem) Interesse sind - ja sogar zu Recht dem
Vergessen anheim gefallen sind. Allerdings leben die von Baynes und de Lacouperie
erdachten Theorien bis in die Gegenwart fort oder wurden zumindest „wiederbelebt“.
So wurde die Idee einer kulturstiftenden Rolle der Träger agglutinierender Sprachen zu
Beginn der 1930er Jahre in der Türkei erneut propagiert.27 28 Dies hatte seine Ursache in
der Abkehr vom Osmanischen Reich und vom Islam als staatstragender Ideologie un-
ter Mustafa Kemal Atatürk. Hier mussten für die sich nach dem radikalen Bruch mit
der eigenen Kultur und der Vergangenheit im nationalen Selbstfindungs- und Selbstbe-
stimmungsprozess befindliche Türkische Republik neue nationale Identifikations-
grundlagen geschaffen werden. Diese identitätsstiftenden Ideologien fanden sich in
Gestalt der „Sonnensprachtheorie“ (Güne§ Dil Teorisi)2<s und der „Türkischen Ge-
schichtsthese“ (Türk Tarih Tezi).29 Die Vertreter der „Sonnensprachtheorie“ erklärten
26 Zum Theorem des „geringen Abstraktionsvermögens“ vgl. etwa H. Winkler: „Wir mögen neh-
men, was wir wollen, überall stoßen wir bei aller formellen, of bedeutenden Verschiedenheit auf
rein sinnliche, in das Wesen nicht dingende, nicht abstrahierende, im wesentlichen gleichartige
Auffassung gegenüber den vorwiegend abstract operierenden indogermanischen Sprachen“
(Winkler, Heinrich: Uralaltaische Völker und Sprachen. Berlin 1884.182). Zur Auffassung von der
„geistigen Trägheit“ der Sprecher agglutinierender Sprachen vgl. H. Steinthal: „Alle vorschreiten-
de Assimilation ist weniger organisch, als die rückschreitende; denn diese ist Erfolg der Lebendig-
keit des vorausgreifenden Geistes, jene bekundet bloß die Trägheit der vom Geiste nicht be-
herrschten Organe, also zugleich geistige Schlaffheit“ (Steinthal, Heyman: Charakteristik der
hauptsächlichen Typen des Sprachbaues. Berlin 1860. 180); Steinthal äußerte sich hierzu zuvor
schon hinsichtlich der Assimilation allgemein: „In allen diesen Fällen folgt der leibliche Mechanis-
mus, bei mangelnder Ueberwachung von Seiten des Gedankens, seiner körperlichen Trägheit und
Bequemlichkeit, selbst auf Kosten des Wohllautes“ (Steinthal, Heyman: Assimilation und Attrac-
tion. In: Zeitschrift für Völkerpsychologie und Sprachwissenschaft I. Berlin 1860.93-179, hier 126).
27 Einen guten Überblick über die sprach- u. kulturwissenschaftliche Dimension des türkischen
Selbstfindung- u. Selbstbestimmungsprozesses bietet die Arbeit von Jens Peter Laut: Das Tür-
kische als Ursprache? Sprachwissenschaftliche Theorien in der Zeit des erwachenden türkischen
Nationalismus. Wiesbaden 2000 (Turcologica 44).
28 Hierzu J. P. Laut: „Nach dieser Theorie gehört der Urmensch der türkischen Rasse an, und
seine Sprache entwickelt sich, beginnend mit der Benennung der lebenspendenden Sonne, von
einem undifferenzierten Urlaut zu einem türkischen Idiom, das die Ursprache der Menschheit
geworden ist. Alle Rassen und Sprachen der Welt gehen auf den türkischen Urmenschen und
sein Prototürkisch zurück“ (Laut [2000], 48).
29 Eine Zusammenfassung wesentlicher Behauptungen der Vertreter der Türk Tarih Tezi findet
sich bei H. W. Duda: „Die Urheimat der Türken ist Zentral-Asien, wo sie für 12.000 v. Chr. be-
zeugt sind. Klimatische Veränderungen der Urheimat, vor allem die immer weiter vorschreitende
Austrocknung, zwangen die Türken in der jüngeren Steinzeit zur teilweisen Auswanderung. Strö-
me von Türkvölkern ergossen sich nach Westen, Süden und Osten. Im 8. vorchristlichen Jahrtau-
send begannen die Wanderungen der Türken, die bereits damals in ihren Ursitzen die Kulturer-
rungenschaften der Tierzähmung, des Getreideanbaus und der Metallverarbeitung für sich verbu-
chen konnten. So wirkten sie um 7000 v. Chr. in China und Indien als Kulturträger und schufen
mindestens um 5000 v. Chr. in Vorderasien die sumerische, die elamitische und die hettitische
Kultur. Ägypten, Palästina, Syrien wurden durch die türkische Kultur beeinflußt, die ägäische
Kultur ist das Werk der türkischen Rasse. Italien, Britannien und Irland wurden von türkischen
Völkerwellen überspült, und die türkischen Stämme der Ligurier, Kelten, Gallier, Etrusker, Kim-
merier und Skythen brachten die verschiedenen Entwicklungsstufen der mittelasiatischen tür-
kischen Kultur nach Europa“ (Duda, Herbert Wilhelm: Die nationale türkische Geschichtsauffas-
sung. In: Stimmen aus dem Südosten 1-2 [1937-38], 26-28, hier 27; auch bei Laut [2000], 7).
96
Michael Knüppel; Die Jenissej-Sprachen
das Türkische zur Ursprache der Menschheit, von der sich alle übrigen Sprachen herlei-
teten. Nach den Lehren der „Türkischen Geschichtsthese“ wurden die Vorfahren der
heutigen Türken zu universellen Kulturbringern erklärt, die von einer imaginären Ur-
heimat ausgehend in allen Teilen der Welt die so genannten „Hochkulturen“ stifteten
oder zumindest den Anstoß für die Entstehung derselben gaben.30 Es handelte sich bei
diesen auf den heutigen Betrachter recht bizarr wirkenden Gedankengebäuden um
Antworten auf die negative Beurteilung des Türkentums durch westliche Historiker
und des Türkischen als agglutinierender Sprache durch die Sprachwissenschaft - vor
allem die Sprachtypologie - des 19. Jh. Den Theoretikern dieser Ideologien waren die
Schriften von Baynes und de Lacouperie - trotz der auffälligen Übereinstimmungen -
freilich völlig fremd. Sie waren allenfalls mit den Werken der Protagonisten der sume-
risch-turanischen Hypothese vertraut, die von einer Verwandtschaft altaischer Spra-
chen mit dem Sumerischen ausgingen,31 was die Grundlage für das Zurückführen von
„Hochkulturen“ des Altertums auf Sprecher agglutinierender Sprachen bildete.
Ganz anders die Vertreter des „Afrozentrismus“.32 Zu nennen sind in diesem Zu-
sammenhang etwa C. A. Winters oder M. Bemal. Diesen waren die Werke von de
30 Zu den angeblich von den Türken gestiftete Kulturen des Altertums wurde natürlich auch
die chinesische Zivilisation gerechnet. So äußerte einer der Protagonisten der Türk Tarih Tezi,
der türk. Kultusminister Reçit Galip: „Ein französischer Gelehrter, der die „Proto Chinoise“
genannte älteste Zivilisation Chinas erforscht, sagt: „Diese Zivilisation ist aus Türkistan ge-
kommen und zweifellos von Türken [nach China] gebracht worden. Wenn diese ausländischen
Gelehrten, diese Menschen, die unserer Rasse fremd sind, dies sagen, ist es dann nicht lediglich
unsere Aufgabe, diese (Ausführungen) anzuerkennen, sowie (weitere) Werke, die diese (An-
sichten) festigen, ausfindig zu machen und hinzuzufügen? Wir müssen diese (Ansichten) ganz
entschlossen ergreifen und die Wahrheiten, die sie an den Tag gebracht haben, mit unseren ei-
genen Lichtern noch mehr zum Leuchten bringen!“ (Laut [2000], 4 f.). Galip könnte bei dem
„französischen Wissenschaftler“ an J. P. A. Rémusat, Legendre oder auch den Schweden K. B. J.
Karlgren gedacht haben (ebd.,4, Anm. 16).
31 Lenormant, François: La langue primitive de la Chaldée et les idiomes touraniens. Paris 1875;
ders.: Les principes de la comparaison de TAccadien et des langues Touraniens. Paris 1875; Sayce,
Archibald H.: On an Accadian Seal. In: Journal of Philology 3.1871. 1-50; Donner, Otto: Über
die Verwandtschaft des Sumerisch-Akkadischen mit den Ural-Alttaischen Sprachen. In: [Haupt,
Paul]: Die Akkadische Sprache. Vortrag gehalten auf dem 5. internationalen Orientalisten-Con-
gresse zu Berlin von Paul Haupt. Mit dem Keilschrifttexte des fünfspaltigen Vocabulars K 4225
sowie zweier Fragmente der Babylonischen Sintfluterzählung [und einem Anhänge von O.
Donner über die Verwandtschaft des Sumerisch-Akkadischen mit den Ural-Alttaischen Spra-
chen], Sonderabdruck aus den Verhandlungen des Fünften Internationalen Orientalisten-Con-
gresses zu Berlin, T. II. Hälfte 1. Berlin 1883. 249-289. Die türkischen Vertreter der sumerisch-
turanischen Hypothese haben diese bzw. die wesentlichen Ansätze derselben zu weiten Teilen
wohl über die ungar. Rezeption (ungarisch-sumerische Hypothese) entlehnt (vgl. hierzu Knüp-
pel, Michael: Zur ungarischen Rezeption der sumerisch-turanischen Hypothese in der II. Hälf-
te des 20. Jahrhunderts. In: ZfB [z. Zt. im Druck]).
32 Beim „Afrozentrismus“ handelt es sich um eine in den USA entstandene Bewegung von i. d.
R. afro-amerikan. Historikern u. Linguisten, die eine (bisweilen universell anmutende) kulturstif-
tende Rolle des alten Afrika propagieren u. zahlreiche Kulturen der Antike, so etwa das alte
Ägypten, China oder das antike Griechenland, auf afrikanische Ursprünge zurückführen möch-
ten (z. B. Bemal, Martin: Black Athéna: the Afroasiatic roots of classical civilization. Vol. I: The
fabrication of ancien! Greece, 1785-1985. New Brunswick, NJ l987:deTS.\ Black Athena: the Afroa-
siatic roots of classical civilization. Vol. II: Tire archaeological and documentary evidence. New
Brunswick, NJ 1996) und von der Urverwandtschaft verschiedener agglutinierender Sprachen
(Mande-Sprachen, Elamitisch, ural. Sprachen, Drävida-Sprachen, Sumerisch etc.) ausgehen
(Winters, Ahmad Clyde:The genetic unity between the Dravidian, Elamite, Manding and Sumer-
ian languages. In; Proceedings of the Sixth International Symposium on Asian Studies 5, 1984.
Hong Kong 1985.1413-1425; ders.:The proto-culture of the Dravidians, Manding and Sumerians.
In: Tamil Civilization, 3 (1). 1985.1-9; ders.: Tamil, Sumerian, Manding and the genetic model. In:
IJDL 18(1). 1989.67-91). Eine bes. Rolle spielt hierbei die Verwandtschaft der Mande-Sprachen
mit den Drävida-Sprachen und den ural. Sprachen (Winters, s. o.). Hiermit werden auch die Indus-
Kulturen auf afrikan. Ursprünge zurückgführt (Winters, Clyde Ahmad: Are the Dravidians of
African origin? In; Proceedings of the Second International Symposium on Asian Studies, 1980.
Hong Kong 1980. 789-807; ders.; The genetic unity of Dravidian and African languages and cul-
ture. In: First International Symposium on Asian Studies 5, 1979. Hong Kong 1980. 1105-1120;
ders.: The Dravidian and African languages. In: IJDL 23 (2). 1994.34-53).
97
TRIBUS 55,2006
Lacouperie und Baynes sehr wohl bekannt. Wie die Anhänger der Türk Tanh Tezi
propagierten auch sie die Begründung der sog. „Hochkulturen“ der Antike (darun-
ter die chinesische Zivilisation) durch die Sprecher agglutinierender Sprachen,33 ent-
schieden sich im Falle der chinesischen Zivilisation allerdings für afrikanische Ur-
sprünge und erklärten die Vorfahren des Mande und die angeblichen afrikanischen
Vorfahren der Drävida-Völker zu den betreffenden Kulturstiftern.34 Die Motive sind
mit denen der Urheber der „Türkischen Geschichtsthese“ weitgehend identisch -
Identitätsstiftung und Aufwertung der eigenen Gruppe (hier besonders der Afro-
Amerikaner).
Bei all den genannten Ideologien und Theorien blieben die Jenissejer freilich unbe-
rücksichtigt - die wenigen Sprecher der Jenissej-Sprachen kamen weder als Schöpfer
solcher Wahngebilde in Frage noch schienen sie geeignet, i. S. dieser Schöpfungen
eine kulturstiftende Rolle zu übernehmen (den Vertretern der Türk Tarih Tezi oder
des Afrozenthmus war eher daran gelegen, so genannte „Hochkulturen“ für sich zu
beanspruchen35).
Jedoch werden die Jenissej-Sprachen von den Vertretern einer zumeist pseudowis-
senschaftlichen Linguistik, deren Ziel darin besteht, möglichst weitreichende Ver-
wandtschaftsverhältnisse nachzuweisen, gern i. S. dieser Bestrebungen bemüht. So
werden die Jenissej-Sprachen heute - je nach Autor - entweder dem „dene-fin-
nischen“ oder „basco-denischen“ Super-Phylum zugeordnet oder der basko-kauka-
sischen Familie oder auch dem Sino-Kaukasischen usw.36 Den Anhängern solcher
Theorien scheinen Baynes und Lacouperie bzw. deren Werke nicht bekannt zu sein
(jedenfalls werden sie in den dem Vf. vorliegenden Arbeiten nicht berücksichtigt),
der Jenissejistik freilich erweisen sie ebenso wenig einen Dienst wie de Lacouperie
und Baynes. Die Begriffe (im 19. u. frühen 20. Jh.: „turanisch-skythischer Sprach-
stamm“, „Kwanlunisch“ etc., heute: „dene-finnisch“, „basko-sino-kaukasisch“ etc.)
mögen sich geändert haben, das ihnen zugrunde liegende Gedankengut ist sich in
Vielem ähnlich.
33 Zu den angeblichen afrikanischen Wurzeln der chinesischen Zivilisation vgl. etwa Winters,
Clyde Ahmad: A Note on the Unity of Black Civilizations in Africa, Indo-China, and China. In:
PISAS 1979, Hong Kong: Asian Research Service, 1980.311-328; ders.: Blacks in Ancient China,
Part l:The Founders of Xia and Shang. In: Journal of Black Studies 1 (2), (1983). 8-13.
34 Winters (1980a). (1980b), (1985a), (1985b), (1989), (1994) etc.
35 So wurden im Umfeld der Türk Tarih Tezi die Türken zu den Begründern nahezu aller als
„Hochkulturen“ gewerteten Zivilisationen-einschließlich der Staatenbildungen Süd- und Me-
soamerikas erklärt (cf. Laut [2000]), im Falle der Afrozentristen waren es Afrikaner, die diese
Rolle übernahmen (Bemal [1987], [1996]; Moore, David Chioni: Black Athena writes back: Mar-
tin Bemal responds to his critics. Durham, NC 2001) und für die verschiedenen Spielarten der
sumerisch-turanischen Hypothese diverse agglutinierende Sprachen auf das Sumerische zu-
rückgeführt und selbst Einzelsprachen und deren Träger (ungeachtet tatsächlicher Verwandt-
schaftsverhältnisse) wurden an sog. „Hochkulturen“ angeschlossen (Wettenhovi-Aspa, Georg
Sigurd: Fenno-Ägyptischer Kulturursprung der alten Welt. Kommentare zu den vorhistorischen
Völkerwanderungen. 2. Aufl. Helsinki 1942 (1. Aufl. 1935]; Csöke, Sändor: Härom tanulmäny II.
resz. Eberstein 1997 [hier die Verbindung vom Ungarischen zum Qciswa]).
36 Hierzu bes. Starostin. Sergej Anatol'evic: Gipoteza o geneticeskich svjazjach sino-tibetskich
jazykov s enisejskimi i severnokavkazskimi. In: Drevnejsaja jazykovaja situaeija v Vostocnoj
Azii. Moskva 1984; ders.: On the hypothesis of a genetic connection between the Sino-Tibetan
languages and the Yeniseian North-Caucasian languages. In: Dene-Sino-Caucasian languages.
Bochum 1991.12-41.
Axel Schulze-Thulin; Ökonomische und soziopolitische Grundlagen
AXEL SCHULZE-THULIN
Ökonomische und soziopolitische Grundlagen der
Indianer des Christoph Kolumbus (II)
der ersten und zweiten Reise
Ein Wort zuvor
Ursprünglich war der vorliegende Artikel Teil des Beitrages, der in TRIBUS Bd. 54
(2005) veröffentlicht wurde. Aus Platzgründen musste eine Kürzung der besagten
Abhandlung vorgenommen werden. Die herausgenommenen Passagen werden hier,
etwas ergänzt, als selbständige Publikation vorgelegt, wenn diese auch auf dem ers-
ten Taino-Artikel in Bd. 54 fußt, auf den nachfolgend immer wieder einmal - sofern
erforderlich - verwiesen wird.
1. Alltag und wirtschaftliches Umfeld
Auf den ausgedehnten intertribalen Wirtschaftsverkehr, wie er unter den Karibik-
Autochthonen gegeben war, wurde wegen seiner Bedeutung für die indianische Welt
der Antillen-Region bereits im zurückliegenden Jahr verschiedentlich eingegangen
(Schulze-Thulin 2005). In dem jetzigen ersten von insgesamt zwei Hauptabschnitten
werden die ökonomischen Grundlagen der Taino und Kalino vorgestellt. (Zur Be-
zeichnung der beiden westindischen Gruppierungen s. Schulze-Thulin a.a.O.:146 und
167, wobei noch nachzutragen wäre, dass Loven in 1924:318 die Festland-Kariben als
Calinas bezeichnet, was heute jedoch als veraltet gilt.)
1.1. Wohnen
1.1.1. Das Dorf
Ähnlich wie die indigenen Gruppen Zentralamerikas (Stone 1966:215 ff) lebte die
sesshafteTaino-Bevölkerung in Dörfern (auf Arawak Yucayeques) unterschiedlicher
Größe. Ferdinand Kolumbus nennt in seinem Bericht über seinen Vater 50 Hütten je
Dorf, wobei auf jede Wohneinheit eine Großfamilie gekommen sei (Colon 1984:120).
Nach Albury sollen allerdings bereits 15 „Häuser“ eine große Siedlung ausgemacht
haben (1975:17; legen wir Luleys Definition eines Hauses [1983:11] im Gegensatz zur
Hütte zugrunde, dann handelte es sich bei den Wohneinheiten der Taino tatsächlich
um Häuser; allerdings müsste dann auch jede bayerische Berghütte „Haus“ genannt
werden). Bei den Taino waren meist Rund- und Polygonalhütten gegeben, auf die ich
gleich zurückkomme. Eine Ausnahme unter den westindischen Dörfern stellen die
Pfahldörfer kubanischer Taino dar (Loven 1924:280 f). Auf Las Casas geht die Mel-
dung des Pfahldorfs Carahäte an der Nordküste Kubas bei Sagua la Grande zurück.
Gemäß diesem Chronisten soll es noch weitere Pfahldörfer gegeben haben
(a.a.O.;313; zu Las Casas s. Schulze-Thulin 2005:144).
Die Orte hatten in der Regel keine nennenswerten Steinbefestigungen, waren zum
größten Teil nicht mit Straßen und Wegen, höchsten durch Pfade miteinander ver-
bunden (Ausnahmen s. unten). Sie wiesen eine durchschnittliche Einwohnerzahl von
500 bis 1.000 Personen auf (die größte Taino-Siedlung mit 1.000 Wohneinheiten lag
offenbar im Nordwesten des heutigen Staates Haiti nahe Port de Paix; Loven
1924:312 bemerkt zu Recht, dass die von Kolumbus angegebene Zahl von 3.000 Ein-
wohnern bei 1.000 Hütten zu niedrig gegriffen ist; jedes Haus beherbergte ja mindes-
tens, wie gesagt, eine mehr- bis vielköpfige Familie; zu Letzteren s. unter 2.2.).
99
TRIBUS 55,2006
Abb. 1: Ausschnitt aus Ab-
raham Ortelius: Allegorie
Amerikas, 1570/1574. In:
Wolff, Hans, America - Das
frühe Bild der Neuen Welt.
Ausstellungsbuch der Bay-
erischen Staatsbibliothek
München 1992.
Abgesehen von der viere-
ckigen Caney (sie waren
rund oder polygonal) gibt
die Abbildung einen frühen
Eindruck einer Taino-Sied-
lung entlang eines kleinen
Flusses wieder (s. Rauch-
säulen hinter den Bergkup-
pen).
Die Dörfer der Insel-Kariben bestanden oft nur aus einer erweiterten, matrilinear
(bzw. matrilineal) strukturierten Familie (Steward 1948:25). Hier wie auch in größe-
ren Lebensgemeinschaften ist immer die Gemeinde „die soziale Einheit auf lokaler
Basis bzw. Lokalgruppe“ (König 1962/58:73). Diese Kollektive, hier Dörfer, „fühlen
sich in dem Sinne als eine Einheit, dass sie ihre Gemeinde als von anderen Gemein-
den verschieden empfinden“ (ebenda:76), womit dann auch ein Wirtschaftsverkehr
unter den Antillen-Dörfern ohne weiteres verständlich ist.
Die größeren Ortschaften der Taino zeichneten sich durch breitere Zugangswege
aus. Jedenfalls wurden die Spanier auf Hispaniola bei einem ersten Besuch eines
Dorfes auf einer breiteren Gasse von rund zweitausend jubelnden Indianern beglei-
tet (Morison 1942:284). Auf den Bahamas hatte das Dorf Samaot auf der Insel glei-
chen Namens (heute Crooked Island) als erste Gemeinde des gesamten Archipels
eine Länge von 6 km und war dreimal so groß wie die zweitgrößte Siedlung (Keegan
1984:38). Umfangreichere Orte mit „Ballspielplätzen und einer speziellen Residenz
des Häuptlings“ (Stöhr 1972:96; s. auch Alegría, in Bercht et al. 1997:11, 13 sowie
Keegan 1992:19, Rouse 1948(c):507 und Steward 1948:25) waren jedoch selbst auf
Hispaniola und Puerto Rico eher seltener.
Ball wurde sehr wahrscheinlich nur auf Hispaniola. Puerto Rico und vielleicht noch
auf Ostkuba gespielt (Krickeberg 1949:174). Die meisten Ballspielanlagen gab es
dabei auf Puerto Rico (de Hostos 1948:540). Diese Spiel- und Festplätze waren in
der Regel identisch mit zentral gelegenen, ovalen oder rechteckigen Zeremonial-
plätzen, auf denen religiöse Feste mit rituellen Handlungen (auf Arawak Areytos)
100
Axel Schulze-Thulin: Ökonomische und soziopolitische Grundlagen
sowie profane Veranstaltungen stattfanden. Bereits Las Casas lieferte eine genaue
Beschreibung dieser Plätze (s. Olazagasti, in Wilson 1997:137 ff; weiterhin zum Bei-
spiel Willey 1974:353, 357; Keegan, ebenda; Alegría a.a.O;ll). Letzterer erwähnt
auch das gegenseitige Verspotten als einen Teil von Festen (ausführlich zu Spiel und
Sport Rouse 1948(c);533 f). Nach Alegría (ebenda:13; ebenfalls Olazagasti, in Wilson
1997:139 und weiteren) wurden die Ballspielplätze, die Ballspiele wie auch die Bälle
selbst auf Puerto Rico und dem Gebiet der heutigen Dominikanischen Republik, das
heißt also auf Arawak, Bateye genannt (bei Lovén 1924:75 und Krickeberg 1949:172
Batey). Nach Albury (1975:37) spielten die Lucayo „batos“. Eine Zusammenfassung
unter Hinweis auf mehrere Autoren ist in Department of Archives 1992 (unpagi-
niert) wiedergegeben, wo auch der Ablauf und die Regeln des Bateye erläutert wer-
den sowie darauf verwiesen wird, dass es unterschiedliche Regularien gab, je nach-
dem ob Männer oder Frauen spielten (s. auch Krickeberg a.a.O.:172 ff). Die Bälle
waren aus Gummi und sprangen laut Las Casas daher sechsmal höher als die damals
in Spanien bekannten (nach Olazagasti a.a.O.:138). Mit Gummi waren die Spanier
erstmals in der Karibik in Berührung gekommen (s. Alegría: ebendort; Näheres zur
indianischen Erfindung und Gewinnung von Gummi aus Kautschuk und die Verwer-
tung in Europa bei Seiler-Baldinger 1992:37 f). Nach Krickeberg (ebenda:173) war
der Kautschuk-Ball durch die Arawaken vom Gran Chaco bis nach Kuba verbreitet
worden. Die Taino auf Hispaniola exportierten das Gummibaumharz zu anderen
Inseln der Großen Antillen.
Die Areytos waren über ihren religiösen Gehalt hinaus sowohl ein pädagogisches
Mittel bei der Kindererziehung als auch Erinnerungsstützen für Erwachsene (Ale-
gría a.a.O.Tl; dort und auf Seite 13 noch weitere Angaben zu diesen Festen). Nach
Taylor diente manches Ballspiel zwischen Dörfern und insbesondere Bezirken even-
tuell der Schlichtung von Grenzstreitigkeiten (in Bercht et al. 1997:46). Das Ballspiel
selbst wird wohl seinen Weg eher vom östlichen Süd- als von Mesoamerika aus in die
Inselwelt der Antillen gefunden haben, wenn auch unter Umgehung der Kleinen
Antillen, was allerdings sporadische Einflüsse von Maya-Schiffbrüchigen nicht aus-
schließen muss (Rouse 1966:241). Durch Ausgrabungen ist außerdem bekannt, dass
diese Dorf(baIl)plätze in manchen Fällen ebenfalls für astronomische Beobach-
tungen benutzt wurden (Keegan 1992:19). Letzteres bezieht sich insbesondere auf
Hispaniola und Puerto Rico. Hinsichtlich der Ball- und Tanzspielplätze insbesondere
auf Ste. Croix sei auf Birgit Faber Morse (in Wilson 1997:37 ff) hingewiesen. Die In-
sel-Kariben kannten kein Ballspiel und auch keine sonstigen sportlichen Wettkämp-
fe (Krickeberg dortselbst; Steward 1948:26), sofern nicht die Ertüchtigung für den
bewaffneten Kampf als Sport betrachtet wird.
Wegen der immer wieder vorkommenden Kariben-Überfälle lagen dieTaino-Dörfer
auf Hispaniola, wohl vor allem im Osten und Süden der Insel, in einiger Entfernung
vom Strand (Keegan a.a.O.: 293 f). Steward sah hierin eine tendenzielle Bewegung:
“to live away from the seacoast” (1948:23). Doch abgesehen von den durch die Kali-
no hervorgerufenen, besonderen Bedingungen legten die Taino ihre Dörfer in der
Regel an Flüssen und Küstenabschnitten an. Lediglich auf Jamaika gab es einige
Ausnahmen. Auf dieser Insel, die allerdings dicht bevölkert gewesen sein soll, hatten
die Dörfer (wahrscheinlich doch mehr an den Küsten oder in deren Nähe) nach
Angaben von Christoph Kolumbus und berichtet von Andrés Bernáldez einen Ab-
stand von jeweils vier (span.) Leugen (Morison 1942:451), das heißt ca. 27 Kilometer.
Alle westindischen Autochthonen vermieden es in der Regel, weiter in die Urwälder
abseits der Flüsse einzudringen. Für Kuba erwähnt Rouse (1948(c):543) allerdings,
dass die Dörfer hier in höheren Regionen sowohl an der Küste als auch im Landesin-
neren angelegt worden seien.
Fortbewegungsmittel für den näheren Bereich und auch zu vorgelagerten Inseln wa-
ren überall kleine Küstenkanus (zu Kanus im Allgemeinen unter 1.4.2. mehr). Wo
etwas über Land getragen werden musste, im profanen Bereich beispielsweise Salz
oder im Religiösen Opfergaben an die Zemis, geschah es in Körben auf dem Rücken.
Tragestangen kamen erst unter spanischem Einfluss auf (Rouse a.a.O.:527).
101
TRIBUS 55,2006
1.1.2. Von Häusern, Hütten und Hausrat
Nach Lovén hat als einziger unter den spanischen Chronisten Gonzalo Fernández de
Oviedo y Valdéz (weiterhin kurz Oviedo genannt) die Bauweise westindischer Ein-
geborenenhütten geschildert (1924:316,320), was nicht völlig exakt ist, denn derselbe
Autor weist auch auf Peter Martyr von Anghiera bei der Beschreibung von Wohn-
formen der Region hin. Bei den Taino gab es zwei Arten: mehreckige sowie recht-
eckige. Beide hatten einen sehr niedrigen Eingang, angeblich wegen der Moskito-
Plage (Martyr 1973:234 f, der hier auch die Leuchtkäfer bzw. Cuccujos erwähnt, die
Stechmücken gleich Schwalben während des Fliegens fangen und fressen; Klingelhö-
fer liefert die wissenschaftliche Erklärung zu diesen Feuerfliegen (1973:369, Anm.
113). Nach 1492 kamen gelegentlich Türen aus Latten auf, vor diesem Zeitpunkt war
Abh. 2: Hütten der Taino, links eine Caney, rechts eine Bohio (s. auch laufenden
Text). Aus: Rouse, Irving B., 1948(c)*: 532.
Abb. 3: Zwei Caneys, links in naturalistischer, rechts in schematisierter Darstellung.
Aus: Landström, Björn, Columbus - The Story of Don Cristobal Colon, Admiral of
the Ocean, and His Four Voyages Westward to the Indies, New York, NY 1967.
* Bei Quellenangaben innerhalb der Legenden, die auch in der „Zitierten Literatur“ angeführt
wurden, wird nur ein gekürzter Hinweis gegeben.
102
Axel Schulze-Thulin; Ökonomische und soziopolitische Grundlagen
der Eingang offen Eine kleine Öffnung im Giebelbereich sorgte für Ventilation (Al-
bury 1975:17). Beide Hüttenarten bestanden aus einem stabilen Holzgerüst mit
Rohr-, Stroh- und Palmblätterdach, dessen Material durch zähe Pflanzenfasern mit-
einander verbunden war. Letzteres gilt auch für die aus Gerten geflochtenen Haus-
wände, die nicht mit Lehm o.Ä. abgedeckt wurden. Das Dachmaterial musste alle
zwei bis drei Jahre erneuert werden (Loven a.a.O.:321,324). Diese zwei Wohnformen
der Taino hatten verschiedene Bezeichnungen; Die Rundhüten hießen auf Arawak
Caney bzw. Canaye, die rechteckigen Bohio oder Bofio. In der Literatur wird meist
die Frage diskutiert, ob es bereits in vorspanischer Zeit Bohios gab. Unter Hinweis
auf Oviedo wird das in der Regel verneint (s. beispielsweise Loven dortselbst;315 ff,
der auch darauf hinweist, dass in Südamerika [natürlich in den Regionen östlich der
Anden] rechteckige Wohnformen oft unter dem Einfluss der Europäer entstanden;
die Wohnformen am Orinoco mit viereckigem Grundriss in rezenten Zeiten sollen
auf den Südwesten Amazoniens zurückgehen [ebendort 319], was mehr für eine ei-
genständige Entwicklung spräche).
Die Hütten der Kalino waren im Grundriss oval, der Dachfirst ruhte auf zwei senk-
rechten Pfosten, das Dach selbst reichte bis zum Boden wie bei einer Maloca (Loven
a.a.O.:318 und Fußn. 1). Eine Caney hatte ein konisches Dach und einen Mittelpfos-
ten aus gut haltbarem Holz, wie Corbana und Guayacan. der fest in den Boden ge-
rammt wurde und an dessen Spitze die Dachsparren festgebunden wurden. In kei-
nem der Haustypen gab es einen Fußbodenbelag, abgesehen von den erwähnten
Pfahlbauten aus einsichtigen Gründen (dortselbst:321, 324). Die Caney diente den
Gemeinen bzw. Naborias als Wohnraum. Aarons schildert den Nachbau eines sol-
chen Haustyps sowie die verwendeten Materialien (1991:24 ff).
Offenbar sehr schnell nach 1492 wohnten Kaziken nur noch in Bohios. Auch die so
genannten Versammlungshäuser waren Bohios, in denen nach Las Casas teilweise
und angeblich bis zu fünfhundert Menschen Platz fanden (Monegal 1982:94). Laut
Loven sollten sie allerdings nicht als eine Art Gemeindehäuser angesehen werden,
auch wenn in ihnen ebenfalls die Spanier empfangen wurden (a.a.O.:314 und Fußn.
5). „Für den repräsentativen Verkehr des Kaziken mit dem Volke“ diente die Plaza
(ebenda;314).
Beide Arten von Wohnstätten hatten immer nur einen Raum, den entweder der Ka-
zike mit mehreren Frauen bewohnte oder den sich bei den Caneys mehrere Familien
teilten. Es gab keinen Rauchabzug. Fenster, wenn überhaupt dann nur teilweise in
Bohios, sind sehr zweifelhaft. Oft scheint ein Rohrgeflecht an der inneren Hütten-
wand existiert zu haben, an dem Jagd-, Fischerei- und Kochgeräte befestigt wurden.
Körbe und Kürbisgefäße, Letztere als tragbare Wasserbehälter, Higüero oder Güiro
auf Arawak, hingen von der Decke (Rousel948(c):525, 528; Oliver, in Wilson
1997:147). Insgesamt wird die Innenausstattung aller Hütten von den ersten Chro-
nisten als sehr einfach, jedoch - im Gegensatz zu kastilischen Unterkünften - als
sauber geschildert (Morison 1942:246).
Alles in allem waren beide Hüttenarten solide konstruiert und konnten starken Stür-
men standhalten (Rouse a.a.O.:525). Die Wohnformen Notabler waren, nicht nur
wegen ihres Bohio-Typs, als solche offenbar gut zu erkennen (s. beispielsweise Ste-
ward 1948:24; so auch schon Las Casas, s. hierzu etwa Olazagasti, in Wilson 1997:137).
Dabei sei auf Max Schmidt verwiesen, der für die rezenten Festland-Arawaken sol-
che Variationen gegenüber den unterworfenen Bevölkerungen angibt, die sehr wahr-
scheinlich weit in die Vergangenheit zurückreichen (1917:102). Interessant und im
Hinblick auf die Besiedelungsphasen der Antillen nur unzulänglich zu erklären, sind
Angaben, dass Wohnformen in der späten Saladoid-Phase (500 v. - 900 n. Chr.; Nä-
heres zu Saladoid weiter unten) aus großräumigen Hüttenkonstruktionen bestanden
haben sollen, wobei sie ähnlich wie die südamerikanischen Malocas gleichzeitig ein
einziges Dorf umfassten, so auf St. Eustatius (Kleine Antillen), während die Men-
schen in den frühen Saladoid-Siedlungen in mehreren kleineren Rundhütlen lebten
(Haviser, in Wilson 1997:66). Vielleicht sind solche Änderungen im Siedlungswesen
ja durch Spätankömmlinge vom Festland zu begründen. Das würde dann mit der
103
TRIBUS 55,2006
Abb. 4: Aufriss einer Caney. Die Hängematte rechts ist zu hoch dargestellt. Zum
Größenvergleich wurde ein Taino mit Kind abgebildet. Links oben ein Palmwedel,
wie sie zur Dachabdeckung benutzt wurden (s. auch laufenden Text). Aus: Land-
ström, Björn, Columbus - The Story of Don Cristobal Colon, Admiral of the Ocean,
and His Four Voyages Westward to the Indies, New York, NY 1967.
Diffusionstheorie in Einklang zu bringen sein. Haviser meint allerdings, dass die Ma-
locas auf den Kleinen Antillen eine eigenständige Entwicklung seien (a.a.O.;69).
Der Hausrat mit der aus Baumwollschnüren geflochtenen Hängematte an erster
Stelle war überall in der Karibik weitgehend gleich. Für die Großen Antillen, speziell
Hispaniola, um 1500 n. Chr. gibt Las Casas eine ausführliche Beschreibung (Morison
1942:245); für die rezenten Arawaken weist Max Schmidt (1917:102) auf die Hänge-
matte als das am weitesten verbreitete Kulturgut hin. Kaziken und andere Notable
sollen übrigens nicht in Hängematten, sondern auf erhöhten Plattformen oder in
flachen „Betten“ genächtigt haben (Rouse 1948(c):525; Steward 1948:25), was viel-
leicht auch auf spanischen Einfluss zurückgeführt werden kann. Fischerei- und Jagd-
gerät ähnelte sich im Karibikgebiet ebenfalls weitgehend. Wie in Zentralamerika
gab es in der uns interessierenden Antillen-Region aus Holz, manchmal auch aus
Stein, in Tier- oder menschlicher Gestalt geschnitzte und bestens polierte Notablen-
sitze mit lang gestreckten Rückenlehnen (eventuell wurden damit Rangunterschiede
angezeigt, denn es gab ebenfalls Stühle mit kürzeren Lehnen), die so genannten Du-
hos (Oliver, in Wilson 1997:142 gibt auch die Bezeichnung „Turén“ an; dieser Autor
104
Axel Schulze-Thulin: Ökonomische und soziopolitische Grundlagen
Ahb. 5: Frauenhängematte aus Baumwolle derTiriyó-Marahtchó im nördlichen Bra-
silien, etwa 1955. Hamburgisches Museum für Völkerkunde. Aus: Haberland 1975*.
Unten: Frühe Darstellung der Nutzung einer Hängematte. In: Meyland, Venedig
1572*.
weist anhand der Duhos und unter Angabe südamerikanischer Analogien außerdem
auf gesellschaftliche Unterschiede zwischen Mann und Frau hin, a.a.O.:153, Anm. 6,
denn auch Frauen konnten manchmal Duhos besitzen). Duhos wurden nur bei Zere-
monien benutzt (Rouse ebenda). Diese niedrigen Ritual- bzw. Notabiensitze waren
oft mit Einlegearbeiten aus Muschel/Schneckenschale und/oder Knochen, teilweise
auch Gold ausgestattet. Sie waren ein bedeutendes Element der Taino-Kultur und
mit übernatürlichen Kräften ausgestattet (Taylor a.a.O.:42,44). Dabei handelt es sich
wahrscheinlich um diejenigen, die im Besitz eines Kaziken waren, der gleichzeitig
noch aktiv im Schamanismus stand. Ein(e) Kazike(in) besaß mindestens zwei Duhos.
In jedem Fall waren die Duhos mit Macht und Prestige für den Eigentümer verbun-
den, was auch zeigt, dass manches Mal die religiösen Idole, Abbildungen der Zemis
(s. hierzu Schulze-Thulin 2005:175), neben dem Kaziken auf eigene Duhos gesetzt
wurden (Taylor ebenda:42). Bei einigen Ethnien Südamerikas sind solche Zeremo-
nialstühle noch heute in Gebrauch (Alegría, in Bercht et al. 1997:13). Rund hundert
Duhos sind bis heute auf uns gekommen. Sie stammen aus archäologischen Ausgra-
bungen in Höhlen, meist Gräbern, sicherlich von Notablen, sowie Verstecken in sol-
105
TRIBUS 55,2006
eben Grotten, wo sie einst vor marodierenden Spaniern in Sicherheit gebracht wor-
den waren (ebenda).
1.2. Große und kleine Tiere
1.2.1. Vom Sammeln, Fischen und Jagen
Schon recht schnell nach der Einwanderung südamerikanischer Autochthoner in die
Inselwelt der Antillen wurde die bisher in den Heimatregionen geübte Landtierjagd
von einer auf Meerestiere ergänzt bzw. ersetzt - mangels Masse an Insellandtieren
und verstärkt durch ein ständiges Zunehmen der Bevölkerungszahlen (zum Zusam-
menhang von landwirtschaftlichen und jagdlichen Aktivitäten mit Blick auf „Pro-
duktivität“ s. beispielsweise Pryor 1986:884). Mit Recht wird behauptet, dass die
wirtschaftliche Anpassung an die neuen Umweltbedingungen der karibischen Inseln
optimal erreicht wurde (zum Beispiel Petersen,in Wilson 1997:118 f). Nicht nur beim
Fischfang und der Seesäugerjagd, sondern auch bei der Jagd auf Vögel und Kleinsäu-
ger im küstennahen Bereich wurde meist auf Kanus zurückgegriffen. Für die Hoch-
seefischerei wie auch für Handelsfahrten wurden die weiter unten behandelten
großen Kanus mit Besatzungen von zwanzig bis über hundert Personen eingesetzt
(beispielsweise Taylor, in Bercht 1997:47). Da Landtiere ebenfalls immer wieder auf
Strandabschnitten erscheinen, konnten sozusagen zwei Fliegen mit einer Klappe ge-
schlagen werden, je nachdem, welche Tierart auf Land oder im Wasser sich gerade
sehen ließ (vgl. Keegan 1992:129). Unter Ersteren sind beispielsweise Tauben zu
nennen, wie die Weißkronentaube (heute noch auf den Cays vor Andros, Abaco,
Acklins und Eleuthera zu beobachten), die vor allem von April bis Juli anzutreffen
war. Im Wasser gab es zum Beispiel Mönchsrobben, die besonders im Dezember an
den Küsten erschienen (ebenda:130, 133), wahrscheinlich zur Paarung. Sicherlich
existierten gleichfalls für viele andere Jagdtiere bestimmte Jagdsaisons. Natürlich
wurde bei solchen Jagdausflügen auch Fischen im küstennahen Gewässer nachge-
stellt. Neben Fisch- und Schildkrötenfang (auch von Süßwasserschildkröten, die
kleinere davon auf Arawak Hicotea genannt, vgl. Rodriguez, in Wilson 1997:83) so-
wie der gelegentlichen Jagd auf den Antillen-Kaiman war ebenfalls das Sammeln
verschiedener Krustazeen wie Strandkrebsen bzw. -krabben, Meereskrebsen wie
etwa Langusten sowie mehrerer Muschelarten üblich (Granberry - 1955:313 - weist
auf sechs von fünfzehn Muschel- und Schneckenarten hin, die sich auf dem Speise-
plan der Lucayo befanden, wobei beide Kategorien, ebenfalls die missachteten, auf-
geführt werden). Auch Insekten wurden nicht verschmäht. Hinsichtlich der Jagd auf
Seesäuger wurde insbesondere Seekühen, Delfinen und Robben nachgestellt. Dabei
scheinen Seekühe (in der Karibik: Manati, eine von zwei noch existierenden Arten)
als Jagdbeute im Vordergrund gestanden zu haben. Jedenfalls stammt das Knochen-
material verschiedener Geräte, wie Ahlen, Meißel, Nadeln, gelochte und ungelochte
Scheiben (diese gab es auch aus Stein, Muschelschale und gebranntem Ton), Arbeits-
unterlagen und Löffel, meist von diesem Säugetier (Rouse 1948(c):508 f). Wenn wir
uns die Lebensweise dieser bis zu 1.300 kg schweren Tiere, die bis zu 70 Jahre alt
werden können, vor Augen führen, wird verständlich, dass ihnen ohne großen Auf-
wand nachgestellt werden konnte. Für Seekühe ist eine Wassertemperatur von 25° C
lebensnotwendig. Sie überwintern daher im warmen Süßwasser der Flüsse. Im Früh-
jahr schwimmen sie wieder zum Meer, was oft bis zu einer Woche in Anspruch nimmt.
In dieser Zeit können sie im seichten Wasser gut gejagt werden. Der Mensch kann
sogar mit einer gewissen Regelmäßigkeit des Erscheinens dieser Tiere rechnen, denn
Seekühe kehren immer wieder zu dem Fluss zurück, in dem sie geboren wurden. Da
ist die Jagd auf Haie schon schwieriger, die jedoch vor indianischen Fischern auch
nicht sicher waren.
Nicht unterschätzt werden darf das genannte Sammeln von Krebsen und Muscheln
einschließlich Meeresschnecken, die ja nicht nur - wie noch heute üblich - der Er-
nährung dienten, sondern deren Schalen und Gehäuse auch teilweise zu Werkzeug
106
Axel Schulze-Thulin: Ökonomische und soziopolitische Grundlagen
sowie Schmuck verarbeitet wurden. Einige der auf den Bahamas als Rohmaterial zur
Herstellung von Kratzern, Hohlschabern und Spitzen verwendeten Schnecken-/Mu-
schel-Spezies wurden vom Bahamas Archaeological Team aufgeführt (1982/3:28).
Die weit verbreiteten flachen Küstengewässer im karibischen Raum sind die ideale
Umwelt für Mollusken, tragen allerdings auch zur Gefährdung etlicher Arten durch
Übersammeln bei, da sie leicht zugänglich sind (s. Keegan 1992:130,134). Um nur ein
Beispiel anzuführen: die auch bei heutigen Touristen infolge ihrer beeindruckenden
Größe bekannte, nahrhafte und beliebte Meeresschnecke Strombus gigas, örtlich
kurz „conch“ genannt (vom spanischen „concha“; auf Arawak Cohobo oder cobo, s.
Highfield, in Wilson 1997:164), wurde schon von den präkolumbischen Autochtho-
nen gerne gegessen. Dazu kam, dass sie relativ leicht gesammelt werden kann und
Sammeltouren im flachen Küstenwasser oftmals mit Fischfang verbunden wurden.
Kein Wunder, dass sie durch Übersammeln schon von jeher gefährdet war (vgl. Kee-
gan a.a.O.:131). Erwähnt werden müssen noch zwei Arten von Landkrabben (Cardi-
soma sp. und Gecarchinus sp.), die regional und über längere Zeiten einen bedeu-
tenden Beitrag zur Ernährung der Antillen-Bevölkerung stellten, aber in späten
präkolumbischen Phasen nicht mehr von großer Bedeutung waren. Heute sind
Landkrabben allerdings wieder auf den Tischen der Bahamians zu finden (Depart-
ment of Archives 1992, unpaginiert).
Fisch ist sehr proteinreich und war daher für eine gesunde Ernährung der Karibik-
Autochthonen lebensnotwendig. Wahrscheinlich ist das auch der gesellschaftliche
Hintergrund (der wiederum seine Begründung im Mythologischen fand - „Essen
bedeutet Töten“), dass die Fischerei sehr prestigeträchtig war (Oliver, in Wilson
1997:149). Für den Fischfang gab es Angelhaken aus Schildpatt, geknüpfte Baum-
wollnetze mit Netzsenkern aus gebranntem Ton und Stein (Letztere in Loven
1924:280 für Kuba; nach Olazagasti, in Wilson 1997:133 waren die bei den Kalino
benutzten nur aus Stein, so genannte Potalas) sowie Fischreusen (Rouse 1948(c):508).
Steward erwähnt außerdem noch Harpunen (1948:25) für die Jagd auf Seesäuger
und Seeschildkröten. Teilweise wurde auch mit Gift gefischt (ein entsprechendes Be-
täubungsmittel wurde ausDogwood [Piscidia piscipula] gewonnen; s. Huber 2002:11).
Interessant ist das Jagen mit einem „Jagdfisch“ (Escheneis, Saugnapf; Schiffshalter,
Remora) in kubanischen Gewässern, der sich - gebunden an eine Angelschnur - an
Abh. 6: Angelhaken aus Knochen, Holz und Binde-
material der Calusa in Südwest-Florida. Der Geräte-
bestand des autochthonen Florida entsprach dem
des karibischen Raums. Aus: MacMahon, Darcie A.
und William H. Marquardt, The Calusa andTheir Le-
gacy, Gainsville, FL.
107
TRIBUS 55,2006
der Jagdbeute, meist Großfischen wie Haien, aber auch zum Beispiel einer Schild-
kröte, festsaugt und Schmarotzer abfrisst. Dem Jäger verrät er auf diesem Wege den
Standort der Beute. Es würde zu weit führen, alle Salz- und Süßwasserfische der
Karibik aufzuführen, die der Ernährung dienten (s. hierzu zum Beispiel Albury
1975:11; Walker 1992:209 f, 234,250; Sigl 2002(1): 14 f, 18,20 f und 2002(11):! 1 ff, 14,17
f, 21 ff)). Fischaugen wurden roh gegessen (Rouse a.a.O.:524). Schildkrötenfleisch
soll so gut wie Kalbfleisch schmecken (Martyr 1972:314). Seeschildkröten wurden
auch als lebender Vorrat in umzäunten ..Meeresställen“ gehalten. Daneben existier-
ten künstliche Fischteiche (Walker a.a.O.;209). Käfighaltung gab es auch mit Vögeln.
Eine weitere Art der Vorratshaltung war das Trocknen von Fischen und ebenfalls
von Alligatorenfleisch.
1.2.2. /лип Beispiel Klcintierjagd
Kleintierjagden wurden vor allem auf Fels-Iguanas bzw. -Iguane unternommen, ein
Kleinleguan von 60 bis maximal 200 cm Körperlänge, wovon der Schwanz die Hälfte
einnimmt {lat. Cyclura carinata: vegetarischer Kleinleguan aus der Echsenfamilie,
der allerdings teilweise auch tote Fische am Strand zu sich nimmt; Gattung: Iguani-
dae), außerdem auf Hutia {lat. Geocapromys sp.), eine Goldhasenspezies (Aguti
oder Agouti; Dasyprocta aguti) und kleine Säugetierart in Katzengröße sowie Ge-
stalt zwischen Kaninchen und Ratte. Diese Kleinsäuger wurden ebenfalls gelegent-
lich in Käfigen gehalten. Sie standen an erster Stelle der Fleischversorgung. Solche
aus Südamerika eingeführten Tiere haben in der Regel ein zitronengelbes Fell, daher
Goldhase, und können sich kurzfristig - bei Käfighaltung - mit sehr engem Raum
begnügen. Es sind nachlaktive Tiere, die sich tagsüber in kleinen Höhlen und Fels-
spalten nicht nur der Inseln, sondern auch winziger Eilande (den so genannten Cays)
aufhalten. Sie sind jedoch schlechte Kletterer. Der Bestand während der Kontaktzeit
wurde auf sieben Hutia je Morgen geschätzt. Reste dieser Tiere gibt es noch auf den
East Plana Cays und Exuma Cays, von Bahama-Iguanas auf Guana Cay und Booby
Cay (Department of Archives 1992. unpaginiert). Nach dem Eindringen der Spanier
wurden die Hutia auf Hispaniola bis 1550 ausgerottet, weitere Arten folgten, insge-
samt 50 Spezies in Westindien. Kuba hat noch geringe Bestände von anderenorts
ausgerotteten, nicht fliegenden Säugetieren (Näheres bei Cunningham, in Wilson
1997:32). Die Ernährung der Goldhasen besteht aus Blättern. Rinde und Früchten,
ihr Körpergewicht bleibt meist unter einem Kilogramm. Bei der Jagd auf diese Klein-
Ahh. 7: Iguano (Cyclura carinata; s. laufenden Text). Fotografiert vom Verfasser im
Februar 2002 auf New Providence (Bahamas).
108
Axel Schulze-Thulin: Ökonomische und soziopolilische Grundlagen
Abb. 8: Goldhase
bzw. Aguti (Da-
syprocta aguti; s.
Text). Nach Bukor,
Harald et al. in: Das
moderne Lexikon,
Bd. 7. Gütersloh u.a.
1972.
tiere halfen Hunde (zu ihnen gleich mehr) sowie Feuerlegen. Sie konnten dann mit
der Hand, teilweise auch mit kleinen Netzen gefangen werden (Walker a.a.O.:209).
Gejagt wurden wahrscheinlich auch die auf den Kleinen Antillen lebenden, jetzt
nicht mehr existierenden Reisratten sowie das Opossum auf den südlichen der ge-
nannten Inseln (Petersen, in Wilson 1997:125).
Die Jagd auf die oben erwähnten, oft ziemlich zahlreich vorkommenden Iguanas war
recht ungewöhnlich. Durch Schreien, lautes Pfeifen und Schlagen mit einem Stock
auf Körperseite und Nacken der Tiere werden sie hypnotisiert in der Art, dass sie
sich auf den Rücken legen und sich wie eine Schmusekatze strecken. Eine Schlinge,
die an einer Stange befestigt war, wurde der Beute über den Kopf gezogen und diese
so gefangen. Iguanas wurden von den Taino als delikate Jagdbeute angesehen, von
denen sie nicht nur das Fleisch verwerteten, sondern auch die Zähne (Walker eben-
dort:234), wahrscheinlich als Einsätze - wo in Gebrauch - in Pfeilen. Das Fleisch
dieser Reptilien, das noch heute als Delikatesse geschätzt ist, soll so gut wie Hühn-
chen sein. Es war deshalb den Kaziken Vorbehalten (Rouse 1948(c):524). Selbst mit
der Zubereitung wurde ungewöhnlicher Aufwand getrieben. So wurde für das Koch-
feuer eine besondere Art Süßholz verwendet, das wenig qualmt (Walker dort-
selbst:207 f; auch Morison 1942:449). Bei Martyr (1972:78 f) findet sich eine ausführ-
liche Schilderung der besonderen Zubereitung von Iguana, der allerdings auch dar-
auf verweist, dass das Fleisch ansonsten seinen guten Geschmack verlieren würde.
Auch die Eier dieser Reptilien sollen „allen Speisen überlegen“ sein (ebenda:79).
An dieser Stelle vorab kurz einige Worte zu den Kochgewohnheiten westindischer
Indianer, speziell der Taino: Obwohl auch Fleisch durch Rösten zubereitet wurde
(das weltweit bekannte Wort „Barbecue“ [“Babcoa“] und andere in europäische
Sprachen übernommene Taino-Wörter stammen aus dem Arawak), war doch Ko-
chen die übliche Art, Essen anzurichten (Keegan 1992:146 f). Taino aßen wenigsten
dreimal am Tag, morgens, mittags und abends. Weitere Mahlzeiten wurden wahr-
scheinlich nur bei Festivitäten eingenommen und waren dann von künstlich herbei-
geführtem Erbrechen begleitet (Rouse a.a.O.). Neben Rösten und Kochen war das
Räuchern von Fleisch und Fisch auf Rosten bekannt (so genannten Babcoas, wie sie
beispielsweise schon Hans Staden von den brasilianischen Tupinamba schilderte
(1557:129; s. auch Roder 2000:67 und Highfield, in Wilson 1997:166). Das Geräucher-
te diente vor allem der Vorratshaltung. Im Zusammenhang von Kassave und dem
berühmten pepper-pot wird weiter unten noch einmal auf Kochen und Backen zu-
rückzukommen sein.
Verschiedene Vögel, darunter auch Papageien wie der grüne, weißköpfige Bahama-
Papagei wurden ebenfalls für den Kochtopf gejagt. Heute brütet die genannte Art
noch auf den Inseln Abaco und Inagua (übrigens wurde dieser Vogel zu den 500-
Jahre-Kolumbusfeiern 1992 auf den Bahamas als Maskottchen gewählt, um somit
109
TR1BUS 55,2006
auch für den Schutz diese Spezies zu werben). Offenbar wurden Papageien mehr auf
den Antillen als auf den Bahamas gejagt, was archäologische Befunde anzeigen, wie
überhaupt diesen Vögeln wohl mehr im Hinblick auf die Versorgung mit Schmuck-
federn nachgestellt wurde (Keegan a.a.O.:39). Sie sollen übrigens recht problemlos
mit Baumwollnetzen zu fangen gewesen sein (Martyr 1972:330). Greenwood und
Hamber erwähnen ebenfalls die Taubenjagd mit Netzen (1980:4). Olazagasti (in Wil-
son 1997:132 f) führt auch hölzerne Fallen an. Obwohl die präkolumbische Jagd auf
Flamingos bisher nicht nachgewiesen werden konnte, ist sie doch nicht auszuschlie-
ßen (Keegan, a.a.O.). Alle westindischen Indianer, von klein auf von Wasser umge-
ben, waren ausgezeichnete Schwimmer (Martyr 1973:236). Wasservögel wurden mit
einer List von Tauchern unter Wasser gezogen und ertränkt (Martyr 1972: ebenda),
wie wir dies auch von anderen Eingeborenenvölkern kennen.
Peter Martyr berichtet darüber hinaus, dass selbst Schlangenfleisch nicht verschmäht
wurde (nach Walker a.a.O.:290; s. auch Taylor, in Bercht et al. 1997:47). Auf Kuba gab
es das so genannte Niederrennen als Jagdmethode. Der wegen seines Fleisches ge-
schätzte Vogel Biaya, nicht besonders flugfähig, wurde auf diese Art und Weise ge-
jagt (Walker ebenda; 210; zu Jagdmethoden s. auch Steward 1948:25).
Damit sind die Grundlagen der fleischlichen Ernährung aufgeführt, abgesehen viel-
leicht von nicht bellenden Hunden mit gelblicher Fellfärbung („eine primitive Ras-
se“, so genannte Techichis bzw. Canis Carabicus; s. Klingelhöfer 1972:391, Anm. 100;
auch unter der Bezeichnung „Alco“ bekannt), von denen der größte Teil bereits in
den ersten Jahrzehnten des 16., Reste verwilderter Nachkömmlinge während des 19.
Jahrhunderts ausgerottet wurden (Morison 1942:255 f). Steward sieht eine Verbin-
dung zu ähnlichen Tieren („perro mudo“) der Aburrä in Kolumbien (1948:25). Teil-
weise wurden die Techichis - wie oben erwähnt - bei der Jagd eingesetzt (was auch
von den Kalino berichtet wird; zum Wildbeutertum dieser Ethnien s. Rouse 1948(d):
550), manchmal vielleicht auch als lebender Fleischvorrat angesehen. Zu den Hun-
den als möglicher Nahrungsvorrat sei abschließend darauf hingewiesen, dass die Pri-
märquellen hierzu keine Angaben liefern, und für die vorspanische Zeit archäolo-
gisch (bis ca. 1990) lediglich ein Hund nachgewiesen werden konnte (Keegan
1992:40). Zur Ergänzung in Sachen Haustier seien noch eine domestizierte Entenart
(Cairina moschata; Keegan ebenda:126) und etliche Papageienspezies erwähnt. Nach
Ferdinand Kolumbus soll es bei den Insel-Kariben Papageien von der Größe spa-
nischer Hähne und auf Kuba Tauben so groß wie Rebhühner gegeben haben (in
Walker a.a.O.:167,251).
1.3. Gartenbau und Kulturpflanzen
1.3.1. Von Saladoid bis Taino
Trotz der Vielfältigkeit der Jagdtiere und der geschilderten Jagdmethoden spielte
Fleisch von Warm- und Kaltblütlern, da auch Hochwild auf den Antillen fehlt, immer
nur eine ergänzende Rolle zur überwiegend pflanzlichen Ernährung, abgesehen von
Meerestieren. An der Voraussetzung für ein ausgeprägtes Pflanzertum, hier den seit
Sapper oft so genannten Pflanzenstockbau, fehlte es nicht. Las Casas berichtete aus
eigener Anschauung, dass etliche Großräume beispielsweise auf Hispaniola, wie die
Vega Real und die Region östlich von Santo Domingo, oder die Tiefländer des mitt-
leren Kuba tiefe, fruchtbare Erde aufwiesen. Oviedo schilderte Pflanzungen der Tai-
no in den Bergwäldern der erstgenannten Insel, wo Maniok in Reihen direkt in den
Boden gepflanzt wurde, ohne die so genannten Montones, auf die ich gleich zu spre-
chen komme (Loven 1924:330 f). Die bei der eingesetzten Brandrodung natürlich
anfallende Asche diente als Dünger.
Wesentlich bedeutender für die Ernährung der Antillen-Bevölkerung als Jagd und
Fischfang war also ein entwickelter Bodenbau, zumal wir von einer teilweise ausge-
klügelten künstlichen Bewässerung ausgehen können (allgemein: zum Beispiel Bi-
schof 1980:254; Huber 2002:1 ff; speziell: Martyr 1972:310 f; Rouse 1948(c):522 f; Zer-
110
Axel Schulze-Thulin: Ökonomische und soziopolitische Grundlagen
ries 1969:76). Dabei soll allerdings nicht vergessen werden, dass - wie bei den Fest-
land-Arawaken (Ähnliches lässt sich wohl auch für die südamerikanischen Kariben
sagen) - die mythische Welt bei Taino und Kalino nach wie vor in großen Teilen jä-
gerisch geprägt war. Dies lässt sich insbesondere an den arawakischen Sternbildern
ablesen (zum Beispiel ist in einer Mythe der genannten Indianer der Orion ein Jä-
ger), die Zeugnis einer jägerischen Geisteshaltung abgeben. Die auch vorkommende
Verbindung von Sternbildern mit dem Feldbau ist als sekundäre Erscheinung zu
deuten (vgl. beispielsweise Zerries 1950/54:223,229). Obwohl es in der Karibik kei-
nen Wechsel von Jahreszeiten mit ausgeprägten Temperaturunterschieden gibt, rich-
teten sich die Autochthonen dennoch beim Anlegen neuer Felder oder der zeitwei-
sen Aufgabe der alten nach dem jahreszeitlich bestimmten Wechsel der Sonne und
anderer Gestirne, wie Archäologen anhand einzelner Steinsetzungen auf Dorfplät-
zen feststellen konnten (Keegan 1992:146). Es sind dies die weiter oben erwähnten
astronomischen Beobachtungen auf den zentralen Plazas.
Extensiver Gartenbau, wie er bis heute in tropischen Regionen Südamerikas typisch
ist, wurde schon in den Jahrhunderten ab 500 v. Chr. von Vorläufern der Taino ge-
pflegt, den so genannten Saladoid-Gruppen auf den Kleinen Antillen und Puerto
Rico. Die Bezeichnung „Saladoid“ geht auf einen archäologischen Fundplatz in der
Region Saladero (Venezuela) zurück, der die für mehrere Jahrhunderte vor bis ma-
ximal etwa 1000 n. Chr. (manchmal wird auch 700 n. Chr. als Ende von Saladoid ge-
nannt) charakteristische Keramik lieferte. Der Begriff selbst wurde von Irving Rou-
se kreiert. Im Zusammenhang mit Saladoid-Ethnien werden in der Literatur auch
manchmal die so genannten Igneri erwähnt, auch leri und Eyeri (Letzteres ist aller-
dings das ArawakAdxovn auf den Kleinen Antillen) sowie Cairi, was der Arawak-
Name für Trinidad war (zu den ethnischen Verhältnissen auf Trinidad s. Rouse a.
a.O.:545 f). Kurz gesagt, waren dies Bezeichnungen für verschiedene Arawaken-
Gruppen auf den Kleinen Antillen und Trinidad bzw. deren Vorläufer mit einigen
Kulturzügen der Kalino. Im Großen und Ganzen ähnelte die materielle Kultur der
Igneri aber derjenigen der Taino (Rouse ebenda). Rodriguez (in Wilson 1997:80)
setzt die Saladoid-Menschen sehr verkürzt mit Igneri gleich, was allerdings eine Sei-
te später relativiert und etwas erläutert wird (mehr dazu bei Rouse dortselbst:521,
Fußn. 8; zur Kultur der Igneri s. auch dens. ebendort).
Die Saladoid-Einwanderer aus dem Süden folgten den Flussläufen auf den Karibik-
Inseln und legten ihre Felder um kleine Dörfer herum an (Keegan 1992:13). Sie hat-
ten den Hund und eine frühe Art der Hutia sowie die Maniokpflanze aus der Orino-
co-Gegend in Venezuela irgendwann vor 500 v. Chr. mitgebracht, waren allerdings
ebenfalls Sammler; auch waren sie bereits Hochseefischer (Wilson 1997:5; Allaire
(22) und Righter (71), beide in Wilson 1997; Weiteres zu Saladoid zum Beispiel bei
Wilson a.a.O.;57 f; Haviser (60), Righter (72 ff) und Rodriguez (80 ff), alle letztge-
nannten drei in Wilson 1997).
Bei Gartenpflanzern in tropischen Gebieten macht der pflanzliche Anteil an der
Ernährung zwischen 50 und 95 Prozent aus (Keegan ebenda: 135). Solche Angaben
hängen sicherlich auch mit den jeweiligen Bodenqualitäten sowie den Jagd- und
Fischfangmöglichkeiten zusammen, die ja, was letztere betrifft, in der Karibik bis
heute sehr gut sind (zu Jagen/Sammeln in Zusammenhang mit Pflanzertum s. etwa
Pryor 1986:884). Bei der Gelegenheit ist anzumerken, dass auf den Antillen nicht alle
Kulturpflanzen des zirkumkaribischen Raums vertreten waren. Dennoch waren die
westindischen Eingeborenen mehr Pflanzer als Fischer gewesen (Steward 1948:23;
die indianischen Kulturpflanzen der hier angesprochenen Region werden weiter un-
ten eingehend behandelt). Immerhin konnten bei Annahme eines Bedarfs von 2700
Kalorien pro Tag und Person 14 erwachsene Taino von dem Ertrag eines Hektars
Gartenland leben (Keegan a.a.O.:128; zum „landwirtschaftlichen Potential“ s. Pryor
a.a.O.:882).
Böden brauchen Düngung oder es muss neues Land für den Anbau urbar gemacht
werden. Auf den Großen Antillen und den Bahamas benötigten die Gartenböden
nach einigen Jahren der Nutzung umfassende Erholung. Sie wurden dem Wald über-
111
Abb. 9: Brandro-
dung in Amazonien.
Mit freundlicher
Genehmigung des
Staatl. Museums für
Völkerkunde Mün-
chen.
TRIBUS 55,2006
lassen und neues Gartenland durch Abbrennen von Bäumen und Buschwerk gewon-
nen. Entsprechend wurde auch natürlich bei Anwachsen der Bevölkerung verfahren
(Keegan ebenda:128,146). Durch archäologische Forschungen lässt sich nur schwer
feststellen, in welchen zeitlichen Abständen der Felderwechsel in der Karibik er-
folgte. Wir wissen jedoch, dass Gartenbauer-Dörfer im südamerikanischen Waldland
alle zehn Jahre verlegt werden (dortselbst: 17), was einen gewissen Anhaltspunkt für
den präkolumbischen Gartenbau in Westindien zulässt, wobei allerdings zu berück-
sichtigen ist, dass der Protein-Gehalt vieler Kulturpflanzen (bei Maniok gering) ei-
nen Felderwechsel von ca. zwei Jahren erfordert (ebendort: 128; hier auch weitere
Angaben zum tropischen Gartenbau).
Im Gegensatz zu dem großflächigen Gartenbau Westindiens im Umland eines Dorfes
standen die kleinen Hausgärten, die sich direkt an die Hütten anschlossen. Hier wur-
den neue Varietäten von Kulturpflanzen gezogen, weiterhin solche, die nur in gerin-
gen Mengen gebraucht wurden, wie Narkotika, Heil- und Küchenkräuter sowie Ge-
müse für den direkten Verbrauch. Ebenfalls standen nicht weit von den Wohnungen
entfernt verschiedene Arten von Obstbäumen (Keegan a.a.O.;146;zu Obstsorten auf
den Bahamas vgl. Huber 2002:24ff).
1.3.2. Nicht nur Maniok
Auf Hispaniola war sicherlich schon etliche Jahrhunderte vor der Kontaktzeit die
Rückkehr zu ausgeprägten Pflanzerkulturen entlang der Flüsse, wie sie ursprünglich
in den südamerikanischen Herkunftsregionen gegeben waren, vollzogen worden
(Keegan 1992:18). Über den Maniokanbau haben sich unter den spanischen Chro-
nisten besonders Oviedo und Las Casas geäußert, wobei Letzterer mehrere Land-
striche Kubas, so im Osten, aber auch Camagüey bis zum Territorium Habana durch-
wandert hatte (Lovén 1924:329 f; s. dazu Karte in Schulze-Thulin 2005:164; Hispani-
ola 144 f). Die Maniokpflanzungen in den Dohnen von Higuei, dem östlichsten Ter-
ritorium auf Hispaniola, die Lovén „eigenartig“ nennt (a.a.O.;331), hatte der Domi-
nikanerpater wahrscheinlich nicht zu Gesicht bekommen. Das Wort „Maniok“
stammt aus dem Tupi-Guarani, in Aruak Yucca, in Galibi Kiére oder Yoca in Anleh-
nung an den aruakischen Terminus.
112
Axel Schulze-Thulin: Ökonomische und soziopolitische Grundlagen
An erster Stelle kultivierter Pflanzen stand mehr der bittere als der süße Maniok,
botanisch beide zur Familie der Euphorbiaceen oder Wolfsmilchgewächse zählend
(Hartmann 1990:248). Maniok ist bis heute über indigene Gruppen hinaus zum Bei-
spiel in Brasilien ein allgemeines Grundnahrungsmittel geblieben (vgl. etwa Wallisch
2002:85, Anm. 141) und insbesondere neben dem genannten Land im südamerika-
nischen Nordosten als so genannter pepper-pot sehr beliebt (wie der Name sagt,
scharf gewürzt und mit verschiedenen Fleischsorten versetzt). Schon Las Casas und
anderen Spaniern der ersten Stunde hat er sehr gemundet. Doch nicht nur bei den
Ahb. 10: Maniok (Manihot esculenta). Aus: Grandjot. W., Reiseführer durch das
Pflanzenreich der Tropen. Schroeder Reiseführer. Leichlingen b. Köln 1976.
Taino war er ein beliebtes Gericht, sondern auch bei den Kalino (auf Galibi Tomali)
und sicherlich schon damals ebenfalls auf dem südamerikanischen Festland (vgl.
Loven a.a.O.:340 f).
Maniok kam laut Petersen, der sich auf Oviedo stützt (in Wilson 1997:127; s. dazu
Loven ebenda:334), um 1500 n. Chr. in sechs Arten vor (wobei Oviedo lediglich His-
paniola anspricht), mit zwei Ernten im Jahr, angebaut auf kleinen Hügeln mit frucht-
barer Erde, den so genannten Montones (Span. „Haufen“; die Montonesfelder hei-
ßen im Arawak „Conuco“, was eigentlich „Wald“ bedeutet, oder auch „Conoco“ und
„Kunucu“, nach Stevens-Arroyo [1988:106] noch heute als Wort für eine kleine Farm
gegenwärtig), wodurch ein Felderwechsel erst nach etlichen Jahren erforderlich wur-
de. Den Maniok wie auch die Art seines Anbaus auf Montones (dazu auch Loven
dortselbst:333) hatten die Antillen-Autochthonen ursprünglich aus ihrer südameri-
kanischen Heimat mit in die Karibik gebracht, wie nicht zuletzt die entsprechenden
Felder der Arawaken und Kariben in Guiana zeigen (Loven a.a.O.:332). Die Mon-
tones wurden lediglich mit Grabstöcken aufgeworfen. Hacken oder Hauen waren
unbekannt bzw. wurden abgelehnt (Loven ebendort:331). Erstere, auch Erdhaue ge-
nannt (auf Arawak Coa), waren das am meisten verwendete landwirtschaftliche Ge-
rät der Antillen-Indianer. Unter Berufung auf Fewkes weist Loven auf gelegentlich
ornamentierte Grabstöcke hin (1924:327. Fußn. 1). Daneben gab es Werkzeug aus
Muschelschale, Stein und Holz, wie ein hölzernes Haumesser mit breiter Klinge, „das
zum Aushauen von Buschwerk und zum Graben, aber auch als Waffe verwendet
113
TRI BUS 55,2006
wurde“ (Coe 1998:160). Als wichtigstes „Werkzeug“ der Antillen-Autochthonen ist
sicherlich das Feuer zu bezeichnen (Albury 1975:17). Größere Muschelschalen wur-
den ebenfalls als Trinkgefäße genutzt, wie auch etliche der Keramiken als Wasserbe-
hälter dienten. Steinäxte wurden zum Roden und weiterer grober Arbeiten einge-
setzt, so zum Fällen von Bäumen, die oft durch Entfernen der Rinde zum Absterben
gebracht wurden (Keegan a.a.O.:146).
Nach Rouse (1948(c):522) wurde der süße Maniok wahrscheinlich erst mit der spa-
nischen Kolonialisierung auf Hispaniola eingeführt. Zwischen den erwähnten Conu-
cos konnten weitere Kulturpflanzen angebaut werden, wie Bataten und Jams bzw.
Yams oder Ajes (Loven dortselbst:328 f, Keegan ebenda: 19 und 128). Petersen (a.
a.O.;128) weist darauf hin, dass der mancherorts festgestellte präkolumbische Terras-
senbau, vor allem wahrscheinlich auf Hispaniola, auf regelrechte Landwirtschaft deute
und nicht nur auf den in der Literatur meist angeführten einfachen Gartenanbau.
Um verwendet werden zu können, müssen die Maniokwurzeln zunächst auf mit einge-
setzten spitzen Steinen versehenen, meist hölzernen Reibebrettern geschabt werden
(Näheres zum Beispiel bei Loven a.a.O.:335 f). Auf Aruak heißen diese Geräte Gua-
riqueten. im Galihi Cheuglicaba (dortselbst). Der bittere Maniok (wegen der im Milch-
saft enthaltenen Blausäure; Klingelhöfer 1973:373, Anm. 40) muss nach dem Schaben
mittels Pressschläuchen entgiftet werden, wie das noch heute bei südamerikanischen
Ethnien mit entsprechendem Anbau gemacht wird (zum Entgiftungsprozess s. bei-
spielhaft Hartmann a.a.O.). Der auf Arawak Cibucan oder Cibucam genannte Press-
schlauch bestand bei den Taino aus Palmfiber, bei anderen Ethnien aus anderem Ma-
terial (Näheres beispielsweise bei Loven ebenda;337). In manchen Gegenden Süd-
amerikas, so bei den Witoto oder Uhitoto bzw. Uitoto im südöstlichen Kolumbien und
angrenzenden Regionen, wird der giftige Saft statt mit dem Pressschlauch „mit einer
langen viereckigen Siebmatte“ ausgepresst (dortselbst:334, Anm. 7). Die Taino wie
auch andere Ethnien verstanden es, die Blausäure im ausgepressten Manioksaft durch
Kochen in eine Art Essig umzuwandeln, genannt Cassareep, ein unerlässlicher Be-
standteil des pepper-pots (ebenfalls im Maniokbier enthalten), und damit unschädlich
zu machen (a.a.O.:340). Das genannte Bier gab es allerdings nicht bei den Taino, son-
dern nur bei den Kalino, die große Bierbehälter kannten (Allaire, in Wilson 1997:179
f). Während der spanischen Eroberung der Großen Antillen lernten die Taino Bier aus
Mais zu brauen (Rouse 1948(c):523; Loven erwähnt in 1924:349,358 f Chicha aus Mais
auf Hispaniola sowie Bier aus Honig, wobei es sich bei dem Bienenerzeugnis um ein
Importprodukt aus Yukatan, ebenso wie Wachs, gehandelt haben kann, denn Bienen
waren auf den Antillen unbekannt, wohl aber war die Bienenzucht bei den Maya gege-
Ahb. 11: Flechten eines Pressschlauches zur Entgiftung des Manioks bei den kari-
bischen Makiritare bzw. Yecuanä Südamerikas. Ähnliche Arbeiten zur Maniokzube-
reitung mussten die westindischen Indianer erledigen. Mit freundlicher Genehmi-
gung des Staatl. Museums für Völkerkunde München.
114
Axel Schulze-Thulin: Ökonomische und soziopolitische Grundlagen
ben). In jedem Fall waren auch bei den Taino genügend alkoholische Getränke vor-
handen, denen auf Tanzfesten offenbar ordentlich zugesprochen wurde. Jedenfalls be-
richtet Rouse (ebenda:534) von durch Trunkenheit und Rauschmitteleinnahme be-
wusstlosen Kaziken, die zur Ruhe gebettet wurden, während die Gemeinen in diesem
Zustand der Hilflosigkeit auf dem Tanzplatz liegen blieben. Doch auch das Tanzen für
sich allein führte oft bis zur natürlichen Erschöpfung (dortselbst). Aber schon vor 1492
hatten die Taino Alkohol aus Manioksaft u. a. gewonnen, wie an anderer Stelle erläu-
tert wurde (Schulze-Thulin 2005:177). Ob das so genannte Honigwasser der Kariben,
das heißt vergorener Maguei-Saft (Maguéis; Agave americana; vgl. auch die Erklärung
zu Maguei ebenda:172 f) und unter der spanischen Bezeichnung Pulque bekannt, prä-
kolumbischen Ursprungs oder auf Europäer zurückzuführen ist, konnte noch nicht
endgültig geklärt werden.
Zurück zum Maniok. Gleich ob bitterer oder süßer, das entstandene weiße Mehl
wird in jedem Fall unter Hinzugabe von Wasser und durch Backen auf Keramik-
oder Adobe-Grills (in Arawak Burén, in alter Zeit auch Steinplatten) zu Fladen ver-
arbeitet, dem so genannten indianischen Brot, in Arawak Cassava, Cagabi oder Caz-
zabi, heute meist als Kassave bezeichnet (Näheres zum Beispiel bei Martyr 1972:307;
ders. 1973:266; Walker 1992:116; Keegan 1992:147; Mowat 1989; Highfield, in Wilson
1997:166, der Xabxao als Namen für besonders gutes Cassava angibt; Letzteres er-
wähnt auch Lovén 1924:339 f, hier allerdings Xauxao geschrieben, das besonders für
die Kaziken vorgesehen war). Festzuhalten bleibt wohl, dass es verschiedene Kassa-
vesorten gab, so wie bis in rezente Zeiten in Brasilien fünf Sorten von Kassave, hier
Beijü, existierten (Lovén a.a.O.:340). Das während des Backens erforderliche Wen-
den der Maniokfladen wurde mit Plamblättern oder -rindenstücken bewerkstelligt
(ebenda:339). Im Übrigen war die Kassavezubereitung im gesamten östlichen Kari-
bikbereich bis zu den Guianas und dem mittleren Orinoko nebst angrenzender Ge-
Abh. 12: Der bittere, ge-
riebene Maniok wird
wegen der im Milchsaft
enthaltenen Blausäure
mit dem Pressschlauch
entgiftet, wie bei re-
zenten Ethnien in Ama-
zonien so auch seinerzeit
auf den Antillen. Aus:
Haberland 1975*.
115
TRI BUS 55,2006
Abb. 13: Zubereitung von Kassave bei rezenten Indianern Südamerikas (mit freund-
licher Genehmigung des Staatl. Museums für Völkerkunde München) und in einer
frühen Darstellung (oben; s. auch Text). Aus: Meyland, Venedig 1572*.
biete gleich (dortselbst;334). Kassave wurde insbesondere beim Essen des pepper-
pots gereicht, in den es getunkt wurde, oder auf Hispaniola zusammen mit Erdnüssen
verzehrt (a.a.O.:340,359; Letztere auf Arawak Mani, eine Bezeichnung, die sogar in
Peru einheimische Erdnussnamen verdrängte). Anzumerken bleibt noch, dass das
entwässerte und damit entgiftete Maniokmehl zur Vorratshaltung getrocknet wer-
den muss. Es kann dann bis zu sechs Monaten aufbewahrt werden. (Steward 1948:25;
Rouse 1948(c): 523).
116
Axel Schulze-Thulin: Ökonomische und soziopolitische Grundlagen
Abh. 14: Links: Tabakpflanze (Nicotiana tabacum, über das zentrale Südamerika
ohne das innere Brasilien und die Andenregion, jedoch auch im östlichen Zentrala-
merika und dem Karibikraum verbreitet). Aus: Seig, Louis,Tobacco, Peace Pipes, and
Indians. Palmer Lake, CO 1971.
Rechts: Erdnusspflanze (Arachis hypogaea) mit reifen Früchten. Aus; Grandjot, W.,
Reiseführer durch das Pflanzenreich der Tropen. Schroeder Reiseführer. Leichlin-
gen b. Köln 1976.
Ein anderes und ebenfalls weit verbreitetes Knollengewächs ist der erwähnte Yams
bzw. Jams, ebenfalls unter Ages bekannt (Gattung: Dioscoreen), dessen mehlreiche
Knollen in verschiedenen Schattierungen bis zu acht Kilo Gewicht erreichen kön-
nen. Im tropischen Amerika kommen mehrere Jamsarten vor. die von den jeweiligen
indianischen Anbauern unterschiedliche Bezeichnungen erhielten, je nach Blattge-
stalt und Fruchtfarbe (Klingelhöfer 1972:424, Anm. 129). Der wilde Jams (Dioscorea
villosa), in Zentral- und Nordamerika heimisch, war Grundlage verschiedener india-
nischer Medizinen. Weißer Jams (Dioscorea alata) ist eine Pflanze des tropischen
Südamerika. Der gemeine Jams (Dioscorea sativa) wurde in poslkolumbischer Zeit
aus Indonesien und den Philippinen in die Karibik eingeführt. Aus der westindischen
Geschichte sind folgende Jamsarten bekannt: Guanaguäx, Guaraguei, Zazaveios,
Squivetes.Tunna, Hobos, Atibunieix, Aniguäma und Guaccaräcca (Martyr 1972:308).
Auch die Knollen und Wurzeln wild wachsender Pflanzen wurden von karibischen
Indianern teilweise genutzt, wie die von Palmen und Maguei (s. oben; hier wurden
nicht nur die Wurzeln, sondern auch die Blütenschäfte, die Blätter und die dattelar-
ligen Früchte verwendet; s. Klingelhöfer a.a.O.:424, Anm. 126; ebenfalls beispielswei-
se Nau 1855). Eine weitere Nutzpflanze ist die Guajega, eine zwiebelartige Wurzel
(Klingelhöfer ebenda: Anm. 127). Andere wild wachsende Wurzeln, die der Nahrung
dienten, sind Guayeros (Karotten gleichend), Cibäios (wie Nüsse aussehend) sowie
Cabaiöes und Macoänes, die Zwiebeln ähneln (ebendort: Anm. 128). Sicherlich wur-
den noch weitere Knollenpflanzen der Ernährung zugeführt, die aber nicht nament-
lich überliefert sind.
Mais, der seinen Weg spätestens bereits drei Jahrhunderte vor der europäischen In-
vasion nicht vom westlichen Festland, sondern aus Südamerika auf die Antillen ge-
funden hatte (Rouse 1966:239; Ausnahme s. unten), war hier nicht so bedeutend wie
117
TRIBUS 55,2006
in Mesoamerika, war jedoch wegen des erwähnten geringen Protein-Gehalts des
Manioks als Nahrungsergänzung begehrt, wie auch Bohnen und Erdnüsse. Wie Mais
besitzen diese gleichfalls einen hohen Gehalt an Protein (Keegan 1992:128 f, 134;
ebenso Loven 1924:359 f. der unter Berufung auf Nordenskiöld die südamerika-
nischen Regionen aufzählt, in denen Erdnüsse endemisch waren). In Westindien
wurde Mais mit rund 200 Körnern je Kolben bereits ab ca.1200 n. Chr. angebaut
(Martyr 1973:265 f; Keegan ebenda:129; s. auch allgemein zum Mais beispielsweise
Rouse 1948(c):523; Bischof 1980:255 f). Es spricht manches dafür, dass diese so ge-
nannte harte (gelbe) Maissorte von den Maya herrührte (so etwa Loven ebenda:327,
351. der diesem weltweiten Grundnahrungsmittel etliche Passagen seines Buches
widmete), doch verwendeten die Taino mehr die weichen, mehrfarbigen Arten mit
geringerer Körnerzahl als der erwähnten, die sie von ihrer ursprünglichen Heimat
kannten, wo sie bis heute gebräuchlich sind (Loven:dortselbst:348,350) und wie un-
ter anderem auch die arawakische Bezeichnung Mahiz anzeigt (a.a.O.:344 f). ln der
Kolonialzeit wurde Mais schon frühzeitig „türkischer“ und nicht etwa „amerika-
nischer bzw. indianischer Weizen“ genannt.
Die Nutzung von Mais nahm mit der Kenntnis künstlicher Bewässerung zu (Keegan
a.a.O.:19). Neben dem Vorteil des hohen Protein-Gehalts bestehen die Nachteile von
Mais in seiner normalerweise (Ausnahmen gleich) einmaligen Ernte innerhalb einer
Saison, weiterhin seiner aufwändigen Vorratshaltung sowie der Voraussetzung
fruchtbarer Böden, auf denen er gut gedeiht (dortselbst:129). Auf Hispaniola waren
Maispflanzungen vor allem an Berghängen zu finden. Mit den Conucos der Knollen-
gewächse auf den Ebenen hatten sie nichts zu tun (Loven ebenda:346). Wie in Meso-
und Zentralamerika war die Aussaat Sache der Männer. Diese wurde bei Regenbe-
ginn und bei Neumond vorgenommen, da die Taino wie zahlreiche andere Ethnien
glaubten, „dass der Mais mit dem Monde wächst“. Das Saatgut wurde in einer Ta-
sche über der Schulter getragen und die Körner in das mit dem Grabstock gebohrte
Grübchen gelegt. Zum Schutz gegen Vögel wurde die Erde mit den Saatkörnern
festgetreten (dortselbst:347). Während in Venezuela und angrenzenden Gebieten
die weichen Maissorten nach dreieinhalb Monaten reif sind, dauerte es bis zur Ernte
der harten und einer weichen Maisart auf Hispaniola fünf Monate. Nach Oviedo gab
es auf dieser Insel gar drei verschiedene Reifeperioden von zwei bis vier Monaten,
nach Martyr konnte auf Jamaika drei Mal im Jahr Mais geerntet werden (a.a.O.:350).
Dabei scheint es jedoch, dass die Taino den Mais nicht ausreifen ließen, sondern ihn
im grünen Zustand ernteten, um ihn vor allem in einer Suppe, auf Arawak Ector, zu
verwenden (ebenda:348). Neben diesem Gericht gab es nach etwa 1530 ebenfalls so
genannte Maisbrote, die ähnlich den mexikanischen Tortillas auf Tontellern geba-
cken wurden. Erst etwa zu dieser Zeit wurde auf Hispaniola Kassave auch aus Mais
hergestellt (ebendort:349, Anm. 4 und 358)
Wahrscheinlich hängt damit zusammen, dass in der Literatur unterschiedliche Zeit-
angaben zur Verwendung von Mano und Metate auf den Karibik-Inseln gemacht
werden. Für den Gebrauch von steinernen Handmühlen auf den Antillen spricht das
Vorhandensein dieser Geräte auf dem südamerikanischen Festland, wie bereits von
Oviedo berichtet (Loven a.a.O.:350) und damit seit längerem dort vorhanden. Es ist
ja kaum zu glauben, dass dies eine postkolumbische Erscheinung gewesen sein soll.
Mit Vorsicht kann angenommen werden, dass die Taino Mano und Metate bereits
aus ihrer südamerikanischen Heimat mitgebracht haben können. Fest steht, dass
Mano und Metate in postkolumbischer Zeit auf den Großen Antillen angetroffen
wurden. Da der gelbe Mais ja sicherlich, wie oben festgehalten, vor 1492 dort ver-
wendet wurde, spricht auch nichts - zusammen mit dieser harten Maissorte - gegen
einen Import der Handmühlen durch Taino aus Yukatan und eventuell sogar aus
Zentralamerika, wobei dies dennoch für Hispaniola unsicher ist und für Jamaika
bezweifelt wird (ebenda:351). Keine Beweiskraft besitzt, entgegen der Meinung
Lovens, der Hinweis von Girolamo Benzoni, der 1541gesehen hatte (das heißt rund
zwanzig Jahre nach der nachweisbaren Verbindung zwischen Hispaniola und Mexi-
ko), wie auf der genannten Insel Mais auf mexikanische Art gemahlen wurde (eben-
118
Axel Schulze-Thulin: Ökonomische und soziopolitische Grundlagen
dort:357; auf Seite 351 entscheidet sich Loven sehr klar gegen ein Mahlen mit Mano
und Metate bei den Taino vor 1492), denn diese Verwendung des Mahlgerätes kann
ja sehr neu, das heißt postkolumbisch gewesen sein. Aufgrund der angeführten Ge-
gebenheiten, insbesondere der Verwendung des harten Maises auf Hispaniola lange
vor Kolumbus, bin ich dennoch der Meinung, dass Mahlsteine auf entsprechenden
Unterlagen, zumindest auf der genannten Antillen-Insel, bereits vor den Spaniern in
Gebrauch waren. Auf keinen Widerspruch stößt natürlich die Verwendung von höl-
zernen Mörsern zur Verarbeitung von Mais, denn sie waren im tropischen Südameri-
ka bereits in präkolumbischer Zeit schon lange in Gebrauch (ebenda:350 f), aller-
dings nicht mit rundem Boden, wie von Fewkes (1907;Fig. 42) abgebildet. Dieses
hölzerne Gefäß mit Stößel wie auch dasjenige, das ich im Museum auf Guanahani
entdeckte, dürfte auf die karibischen Afrikaner zurückgehen.
Mit der Frage der vorkolumbischen Existenz von Metates auf den Antillen hängt
auch ihre Ähnlichkeit mit den steinernen Notablenstühlen der Taino zusammen (s.
hierzu die Abbildung in Schulze-Thulin 2005:156). Gemessen an ihrer Fertigkeit in
der Steinschnitzerei ist den Taino auf jeden Fall die eigenständige Herstellung der
Metates wie ja auch der steinernen Duhos zuzutrauen, was einen Import von Hand-
mühlen aus Stein vom westlichen Festland nicht ausschließt (vgl. Loven a.a.O.:353,
357; Weiteres zu dem Thema ebendort auf den Seiten 354 ff).).
Abb. 15: Mörser aus Hartholz des San Salvador
Museums, 53 cm hoch. Wahrscheinlich nicht
Taino, sondern afrokaribisch (s. auch laufenden
Text). Fotografiert vom Verfasser im Februar
2002.
1.3.3. Arme Welf - ohne indianische Kulturpflanzen
Neben den genannten sind noch folgende Kulturpflanzen westindischer Autochthoner
anzuführen, die teilweise schon von Saladoid-Ethnien angebaut wurden (Keegan
1992:13; s. auch Loven 1924:329); Süßkartoffeln bzw. Batates (Ipomoea batatus), nicht
zu verwechseln mit der Topinambur bzw. Toupinambour (Helianthus tuberosis), “der
Kartoffel Westindiens“ (Krum 1985:377: vgl. auch zum Beispiel Zerries 1962:101), ver-
schiedene Kürbisarten und Obst wie beispielsweise Pflaumen, Äpfel und Ananas.
Letztere gab es nur auf Puerto Rico, die von den Borinqueno (Taino auf Puerto Rico)
auf andere Inseln exportiert wurden (de Hostos 1948:540). Dann ist natürlich Kakao
zu nennen, ohne den wir keine Schokolade hätten. Zu erwähnen sind ebenfalls uns
nicht so geläufige karibische Nutzpflanzen wie die Pythahaya,die auf Kuba und Hispa-
niola in Felsspalten vorkommt, innen und außen rote Früchte in Größe einer Orange
119
TRIBUS 55,2006
Abb. 16: Süßkartoffel bzw. Batate (Ipomoea batatas) und rechts Yamswurzel (Dios-
corea esculenta). Aus: Grandjot,W., Reiseführer durch das Pflanzenreich der Tropen.
Schroeder Reiseführer. Leichlingen b. Köln 1976.
trägt und die halbbitter-halbsüß, ähnlich dem Granatapfel, schmecken sollen (Martyr
1973:115). Weiterhin sind aufzuführen der Mammeibaum (bzw. Mamei oder Mamey),
eine Aprikosenart etwa in der Größe einer kleinen Melone (ebenda) sowie der Jaruma
bzw. Trompetenbaum mit essbaren Früchten, dessen Holz auch beim Kanubau ver-
wendet wurde und dessen Blätter eine erstaunliche Heilkraft bei Verwundungen besit-
zen sollen (dortselbst;173 f und Klingelhöfer 1973:361, Fußn. 16). Auch mehrere Spezi-
es verschiedener Heilmittelpflanzen sowie von Pfefferpflanzen, Chilis, Nelkenzimt
(andere Bezeichnung ist Nelkenpfeffer;s. Klingelhöfer 1972:435, Anm.83 und 1973:353,
Anm. 196-198 sowie 367, Anm. 90; weitere Heilpflanzen bei Martyr 1973:222 f; speziell
zu Pfeffer der westindischen Inseln: Martyr 1973:176,286), des Weiteren Vanille und
Paprika wären hier zu nennen (Wolters 1996:184 f). Der Rinde des Granatapfelbaums
bzw. Zimtbaums bzw. Nelkenpfefferbaums wird ebenfalls heilende Wirkung zugespro-
chen (Martyr 1973:175, 286). Etliche indianische Nahrungspflanzen Westindiens mit
ihren botanischen Bezeichnungen sind auch bei Keegan (a.a.O.;125 f) zu finden. Unter
den Nutzpflanzen, die nicht der Nahrung dienten, aber ebenfalls von großer Bedeu-
tung waren, sind neben den bekanntesten wie Baumwolle und Tabak (Martyr 1973:232,
286 und Klingelhöfer a.a.O.:369, Anm. 111; zu Letzterem Klingelhöfer 1973:353,
Anm.199; s. auch unter 2.1.3.) der Cupeybaum (Clusia rosea, Gattung: Guttiferen) zu
nennen, dessen Früchte von Pflaumengröße ein gummiartiges Harz liefern, das nicht
nur als Befestigungsmittel, sondern auch als Wundsalbe begehrt war (Klingelhöfer
1972:424, Anm. 124).
Baumwolle (gossypium hirsutum und gossypium barbadense) wurde unabhängig
von derjenigen in der Alten Welt kultiviert, war auf den Antillen und im tropischen
Südamerika jedoch auch als Wildpflanze in Gebrauch. Schon Staden (1929:152) lie-
ferte eine Beschreibung der Baumwollpflanze (speziell für Westindien s. beispiels-
weise Olazagasti, in Wilson 1997:136; Loven meint in 1924:328 unter Hinweis auf
Oviedo, dass Baumwolle auf Hispaniola dort nicht endemisch war, sondern dass die
kultivierte Art verwilderte). Gossypium barbadense hat sich insbesondere mit der
Varietät g. brasiliense von Peru aus, hier bereits ab 3600 v. Chr. nachweisbar, bis in
das östliche und nördliche Südamerika verbreitet (Findig, in Hirschberg 1988:47 f).
Gebrauchsgegenstände aus Baumwolle sind in der vorliegenden Abhandlung in den
jeweiligen Abschnitten beschrieben.
120
Axel Schulze-Thulin: Ökonomische und soziopolitische Grundlagen
Abb. 17: Kakaobäume mit Früchten. Fotografiert
vom Verfasser am 12.2.2006 im zentralen Teil der
Provinz Duarte, Dominikanische Republik.
Abb. 18: Darstellung von Ka-
kaobäumen Anfang bis Mitte
des 16. Jahrhunderts. Oben
aus Meyland, Venedig 1572*;
unten aus Oviedo 1535/1835*,
Ausgabe von 1851.
Als weitere indianische Nutzpflanze ist der Jagua- oder Genipabaum zu nennen (ge-
nipa americana; ein Krappgewächs, Gattung: Rubiacee), dessen birnenförmige
Früchte zum einen sehr wohlschmeckend sein sollen, zum anderen - wie schon er-
wähnt (Schulze-Thulin 2005:172) - in rohem Zustand als intensives Färbemittel von
Dunkelbraun bis Schwarz dienten, das sich „20 Tage lang auf keine Weise abwaschen
läßt“ (Martyr 1972:305). Der Jagua-Baum wurde auch in eigenen Gärten gehalten
(ebenda:94). Von Guadeloupe wird berichtet, das auf dieser Insel der Kleinen Antil-
len die karottenähnlichen Früchte einer Gummipflanze gegen Kopfweh halfen, die
sich offenbar auch über längere Zeit lagern ließen (Martyr dortselbst:312; zu wei-
teren westindischen Wild- und Kulturpflanzen, die teilweise auch schon von präkera-
mischen Autochthonen genutzt wurden, s. Petersen, in Wilson 1997:122 ff: Flighfield.
in Wilson a.a.O.:163;Taylor 1997:47; Seiler-Baldinger 1992:35 ff, die auf den Seiten 46
ff eine Zusammenstellung indianischer Kultur- und anderer Pflanzen in alphabe-
tischer Reihenfolge bringt; vgl. außerdem beispielsweise Newsom 1993 und Pearsall
1989).
Bei den Insel-Kariben fußte die Ernährungsbasis ebenfalls auf dem Bodenbau mit
verschiedenen Nutzpflanzen, ähnlich denjenigen der Taino. Schließlich sind ja so-
wohl die Arawaken als auch die Kariben typische Vertreter der pflanzerischen Kul-
tur des tropischen Waldlandes Südamerikas (zur einheitlichen Kultur der Jäger/
Pflanzer in Amerika allgemein s. beispielsweise Zerries 1962:101).
121
TRIBUS 55,2006
Tropen, Leichlingen b. Köln 1976.
Abb. 19: Baumwolle (Gossypium
hirsutum), links als Foto, aufgenom-
men vom Verfasser auf Guanahani
im Februar 2002, rechts als Zeich-
nung aus: Grandjot, Werner. Reise-
führer durch das Pflanzenreich der
Um eine Zusammenfassung der Kulturpflanzen, die die Welt den Indianern ver-
dankt, hat sich im deutschen Sprachraum insbesondere Wolfgang Haberland ver-
dient gemacht (1975, s. vor allem 9ff; als neuere Arbeit sei außerdem auf Ewald 1992
hingewiesen).
1.4. Handwerkliche Fertigkeiten
1.4.1. Baumwolle und Gold
Nach ihrer großartigen Leistung auf dem Gebiet der Pflanzenkultivierung sind die
„hervorragenden Kenntnisse textiler und keramischer Techniken und des kalten Be-
arbeitens von Gold“ (Stöhrl972:96) zu Schmuck anzuführen. Dabei sei die Verarbei-
tung von Baumwolle besonders hervorgehoben, die in Ballen und oft in großen Men-
gen gelagert wurde (Walker 1992:89; zur Frage des Webens s. Schulze-Thulin
2005:179). Gegenstände aus Baumwolle waren handgedrehte Schnüre in verschie-
denen Stärken, aus denen Netze, Hängematten und kleine Kleidungsstücke, wie Tan-
gas (vgl. a.a.O.:178), hergestellt wurden. Nach Taylor soll „die obere Klasse der Ni-
tainos alle Objekte aus Holz, Stein, Gold, Schnecken-ZMuschelschale, Knochen und
gebranntem Ton“ (in Bercht et al,1997:47) gefertigt haben. Das hieße, dass wir hier
eine Art Vorstufe zu Zünften vorhegen hätten (vgl. Haensell 1955:85, Fußn. 2), ein
Gedanke, der in der bisherigen Literatur über die Autochthonen der Großen Antil-
len noch nicht aufgetaucht ist. Festgehalten werden kann auf jeden Fall, dass sich die
Herstellung diverser Produkte, wie beispielsweise der Keramik, sehr wahrscheinlich
in Form des so genannten Hauswerkes vollzog, dass heißt durch „hierzu vorgebildete
Arbeitskräfte ... meist nur in einzelnen Haushalten des Dorfes“ mit der Tendenz
eines „Ortsgewerbes, das in den Händen bestimmter Familien liegt, oft erblich be-
trieben wird und ... nach außen an benachbarte Ortschaften ... auf marktartigen Zu-
sammenkünften gegen andere, dort feilgebotene Dinge (landwirtschaftliche Pro-
dukte, Geräte, Werkzeuge, Waffen, Schmuckgegenstände u.dgl.Je nach dem eigenen
Bedarf)“ getauscht wird (Haensell 1955:89). Mit Blick auf die Antillen-Indianer
muss zweifellos in dieser Richtung noch einiges erforscht werden.
122
Axel Schulze-Thulin: Ökonomische und soziopolitische Grundlagen
Auf Hispaniola war die Goldverarbeitung weit fortgeschritten. So wurde Christoph
Kolumbus von Guacanagari, dem Ober-Kaziken des Territoriums Marien auf Hispa-
niola (zum Begriff „Territorium“ s. unten 2.1zu Marien etwa Las Casas 1958:90), als
Gastgeschenk ein ca. 10 cm breiter Gürtel aus weißen, unterbrochen von einigen
roten Fischknochenperlen, aufgereiht auf Baumwollfäden in Art einer Stickerei und
mit einer daran befestigten Maske überreicht, deren zwei Ohren, Zunge und Nase
aus purem Gold waren (Walker a.a.O., 132 f; auch Olazagasti, in WiIsonl997:136 f
gibt diese Schilderung von Las Casas wieder). Abgesehen von dem Gold erinnert die
ursprünglich auf Kolumbus zurückgehende Mitteilung an die berühmten Wampum-
gürtel der Irokesen. Leider ist dieses wertvolle Stück nicht auf uns überkommen.
Neben dem goldreichen Territorium Cibao (s. Karte in Schulze-Thulin ebenda: 145)
wird von Las Casas besonders das erwähnte Marien mit „sehr ergiebigen Gold- und
Kupferminen“ (Enzensberger 1966:16) erwähnt. Wegen der Herkunft der karibischen
Autochthonen sei gleichfalls auf Schmidel verwiesen, der 1567 von Gold- und Silber-
schmuck bei Amazonas-Indianern berichtete (o. J.:14 und 16). Ohrläppchen und Na-
senscheidewand waren auch bei den Taino für Schmuckstücke aus Gold, öfter jedoch
aus Stein, Knochen, Muschel- und Seeschneckenschale perforiert. Bei Festivitäten
wurden bei diesen Autochthonen außerdem Kopf- und Körperschmuck aus Federn
sowie hölzerne und teilweise mit Gold eingelegte Masken getragen (Taviani 1991:122;
Coe 1998:161; Tippenhauer 1893:376). Nach Andrés Bernáldez waren Notable auf Ja-
maika bei festlichen Anlässen mit Pretiosen in Form goldener Brustplatten geschmückt,
befestigt an Ketten aus Marmorperlen, weiterhin mit Ohrgehängen aus Goldscheiben,
verankert ebenfalls an Steinperlenketten (in Arawak (Jibas), sowie Stirn- und Kopf-
schmuck aus kleinen weißen, grünen und roten Muschel- und Steinperlen. Des Wei-
teren wird von einem Kopfputz aus Federn in Form eines Helms berichtet. Letzterer
hatte ein Stirnschild in der Größe eines Tellers. Auch Hüte aus grünen und weißen
Federn werden von Bernáldez geschildert. Gürtel und Bänder aus Baumwolle, verziert
mit Gold- und Perlenschmuck, scheinen weit verbreitet gewesen zu sein. Auch wenn
Bronze oder gar Eisen fehlten, kann festgestellt werden, dass die Fähigkeiten der
Goldverarbeitung der westindischen Indianer weit entwickelt waren.
1.4.2. Heute weltweit verbreitet - das Kanu
Im Mittelpunkt handwerklicher Fähigkeiten der Antillen-Autochthonen, insbeson-
dere ihrem Umgang mit der Holzverarbeitung, steht jedoch ein Erzeugnis ihrer Mo-
bilität auf den Meeren, dessen karibischer Name weltweit in viele Sprachen Eingang
gefunden hat - das Kanu (s. insbesondere Friederici 1947:127, der ausführlich auf
canoa und dessen vielerlei Abwandlungen sowie seiner sprachlichen Herkunft aus
dem Galibi eingeht; zur linguistischen Erklärung des Letzteren s. Schulze-Thulin
2005:167). Die Herstellung dieser Boote, das heißt Einbäume, „in Arbeitsteilung
nach Geschlechtern“ (hier männliche Arbeitskräfte), und zwar wahrscheinlich in
„mechanischer Solidarität“ (König 1962/58:31) war nur möglich durch die Bildung
von Arbeitsgemeinschaften. Dabei verbanden sich im soziologischen Sinne „gesel-
lige Arbeit“ mit „Arbeitshäufung“ (ebenda: 30 f). Dieser Kanubau als bedeutsam-
stes Beispiel handwerklichen Könnens der Antillen-Indianer stand im Zentrum ihrer
materiellen Kultur (zur Herstellung von Kanus s. Olazagasti, in Wilson 1997:133 f;
Weiteres auch bei Rouse 1948(d):553 f, 1966:236; weltweit zu Kanus: Koch 1984).
Obwohl die Vorfahren sowohl der Taino als auch der Kalino aus dem Kanu-Land der
Flüsse und Seen des südamerikanischen Nordostens (beispielsweise Gillin 1948:800)
mit ihren bereits entwickelten Einbäumen in die Antillen eingewandert waren, über-
trafen doch um 1492 die Kanus der Kalino qualitativ diejenigen ihrer Ahnen und
auch ihrer arawakischen Nachbarn. Wahrscheinlich aber erst in späteren nachkolum-
bischen Jahrhunderten stellten Kariben an der Nordküste Südamerikas auch Rin-
denkanus her (G. Hartmann, in Koch a.a.O.:241).
Eine Weiterentwicklung dieser Boote hieß auf Galibi „Piragua“ (so eher als bei
Greenwood / Hamber 1980:8 „Piraga“; vgl. auch „Piroge“, dazu weiter unten), das
123
TRIBUS 55,2006
Paddel „Nahe“. Letztere waren bei Taino und Kalino gleich und größer als die bei
uns heute üblichen. Sie sollen den Brotschiebern mittelalterlicher Bäcker geähnelt
haben. Gepaddelt wurde stehend, kniend und sitzend (Olazagasti, in Wilson 1997:134).
In etlichen Gebieten der Karibik waren vier Wasserfahrzeuge in Gebrauch: Pirogen
(durchschnittliche Länge 12 m), große (mit Ausmaßen von meist 6 m) und kleine
Kanus sowie Flöße. Nicht nur Pirogen waren oft mit hochgezogenen Planken an Bug
und Heck versehen, die durch wetterfeste Stricke verbunden und mit Bitumen be-
strichen wurden. Die Kanuaußenwände wurden sorgfältig geschliffen, poliert und oft
bemalt. Gelegentlich sollen diese Boote sogar Kiele gehabt haben, was wie auch die
partielle Besegelung und die beschriebenen Planken (Rouse 1948(d): ebenda) sicher
auf europäischen und nicht meso- sowie zentralamerikanischen Einfluss zurückzu-
führen ist. Bug und/oder Heck der Kalino-Kriegskanus waren mit geschnitzten und
bemalten Tierköpfen ausgestattet, ebenfalls mit gegenständlichen Abbildern der
Maboyas, der übelwollenden Geister der Kalino, sowie manchmal mit dem gegrillten
Arm eines getöteten Feindes, um schon bei ihrem Auftauchen Angst und Schrecken
zu verbreiten. Wie auch bei etlichen Indianern Floridas (Wheeler et al. 2003:551)
dürfen wir bei den Karibik-Autochthonen eine mehrtausendjährige Erfahrung im
Kanubau voraussetzen, verbunden mit einer gesellschaftlichen und religiösen Rolle
dieses Erzeugnisses, wie in meerorientierten Gemeinschaften weit verbreitet (eben-
da:548).
Manche Hinweise lassen vermuten, dass es bezüglich der Ausstattung sowohl bei
Kalino als auch bei Taino unterschiedliche Kanus gab, je nachdem, wer der Eigentü-
mer war. Von einem der Territorialkaziken Hispaniolas namens Anacauchoa wissen
wir, dass er mit seinem Gefolge in besonders reichhaltig bemalte Kanus stieg (Mar-
tyr 1972:80). In den Schandecks der größeren Kariben-Boote befanden sich Löcher,
an denen die Reisenden ihre persönliche Habe aufhängen konnten. Die kleinen Ka-
nus reichten gerade für einen Mann aus; sie hatten ein flaches Heck und wurden
beim Fischfang eingesetzt. Die oben erwähnten Flöße bestanden aus Baumstämmen,
die an zwei quer verlaufenden Balken festgebunden waren. Ergänzend sei der ent-
wicklungsgeschichtliche Abstand aller dieser Boote vom europäischen Schiffsbau
um 1500 betont. Erinnern wir uns in diesem Zusammenhang an das ungläubige Er-
staunen aller amerikanischer Autochthonen bei erstmaliger Ansicht europäischer
Segelschiffe, die sie „aus den Wolken“ kommend definierten und mit der jenseitigen
Welt in Verbindung brachten (das Wort von den „weißen Göttern“ ist ja allgemein
bekannt; s. Epilog).
Ahb. 20: Kanu in Amazonien. Ähnlich sah ein mittelgroßes Kanu westindischer Indi-
aner aus. Mit freundlicher Genehmigung des Staatl. Museums für Völkerkunde
München.
124
Axel Schulze-Thulin: Ökonomische und soziopolitische Grundlagen
Erst das seegängige Boot ermöglichte dem Menschen, Inseln zu erreichen. So auch
den Indianern im Allgemeinen und den Arawaken sowie Kariben im Besonderen
die Antillen und Bahamas. Dazu musste das schon vor der indianischen Inbesitznah-
me der karibischen Inselwelt auf dem südamerikanischen Festland (vor allem Orino-
co- und Amazonasgebiet) gebräuchliche Kanu vergrößert werden. Die größten die-
ser Boote sollen bis zu 50 Personen (teilweise Brettersitze mit Rückenlehnen) Platz
geboten haben, was unter den Angaben einiger früher Chronisten liegt. Bereits
Christoph Kolumbus hatte von Kanubesatzungen von 40-50 Mann, an den Küsten
Kubas selbst von noch größeren berichtet (Keegan 1992:49, 110). Morison spricht
sogar von ca. 25 m langen Kanus mit einer Besatzung von 150 Mann (1942:275). Al-
lerdings ist diese Mannschaftsgröße kaum zu glauben, denn dann kämen ja unter
Abzug von Bug und Heck mehr als drei Mann auf einen Meter jeder Bootsseite.
Martyr schrieb von Kariben-Kanus, die mit bis zu 80 Mann besetzt waren (1973:201).
Die Größe eines Kanus hing insbesondere von seinen Einsatzzwecken ab. So war ein
beim Fischfang benutztes Boot kleiner als ein für den Transport von Waren vorgese-
henes oder ein bei kriegerischen Überfällen eingesetztes (Keegan ebenda;50). Für
weitere Entfernungen waren wohl Kanus für 40 bis 50 Mann häufig (dortselbtTIO),
wie sie ja auch Kolumbus gesehen hatte. Dabei muss allerdings bedacht werden, dass
bei Handelsfahrten ebenfalls Platz für die mitgeführten und eingehandelten Waren
im Kanu bleiben muss.
Sicherlich gab es auch bei diesem zentralen Kulturgut der Antillen-Bewohner be-
deutsame Unterschiede, sowohl was die erwähnte handwerkliche Ausstattung zwi-
schen den Regionen als auch die innerhalb eines Kulturbereichs (auf Jamaika wurde
bereits hingewiesen, s. etwa 1.4.1.) und die Größe anbelangt, wie die weiter oben
genannten kleinen Küstenkanus zeigen. Da der Bootsbau südamerikanischer India-
ner sehr weit in die Vergangenheit zurückreicht, kann davon ausgegangen werden,
dass die von Max Schmidt für die rezenten Arawaken des Festlandes genannten Un-
terschiede in Kanubau und Schifffahrt ebenfalls ein hohes Alter haben (1917:102),
was nicht nur auf die genannte südamerikanische Region, sondern auch auf die Ka-
ribik zutreffen wird. Allen Booten des westindischen Raums war gemeinsam, dass sie
aus einem einzigen Baumstamm gearbeitet wurden, also - wie bereits angetippt -
Einbäume waren, hergestellt mit der Hilfe von Feuer und Werkzeugen aus Stein so-
wie Muschelschale. So wird verständlich, dass die Fertigung eines solchen Einbaums
rund ein Jahr dauerte. Alle Kanus der Antillen-lndianer waren schnittig, schnell und
konnten nach einem gelegentlichen Umschlagen rasch wieder aufgerichtet werden.
Auf Kuba wurden sorgfältig gearbeitete und dekorierte Häuptlingskanus in extra
Unterständen mit Palmblattdächern am Strand untergestellt (Keegan a.a.O.: 49, der
sich hier auf die Untersuchungsergebnisse anderer Autoren stützt, so eventuell auf
Morison 1942:275,451). Zum Schluss dieses Abschnitts über die Kanus in der Kari-
bik sei angemerkt, dass die seegängigen Kanus in Zentral- sowie Mesoamerika of-
fenbar entwickelter waren als die der Taino und Kalino, wie unter anderem die teil-
weise vorspanische Besegelung anzeigt (Stone 1966:224).
1.4.3. Von Körben und Keramiken
Flechtarbeiten waren in beiden Kulturräumen der Antillen gegeben (für die Taino s.
beispielsweise Steward 1948:25). Reste autochthoner Körbe wurden im Baracoa-Ge-
biet auf Kuba gefunden (Dockstader 1968:94). Rouse weist auf die Qualität gefloch-
tener Behälter hin. Zum Aufbewahren von Schmuck beispielsweise gab es Körbchen
mit Deckel und doppelter Wand, was sie weitgehend wasserdicht machte (1948(c):527).
Bei den Kalino erfüllten wasserdichte Körbe sogar den Zweck von Wasserbehältern
(Loven 1924:218).
Die Keramik, die ja weltweit als eine Folge vorausgegangenen Flechtens angese-
hen wird, scheint in Zentralamerika, was die Qualität des Brennens und der Bema-
lung anbelangt, diejenige der Antillen-Bevölkerung übertroffen zu haben (Stone:
ebenda), auch wenn sich die Tonware der Letzteren in unterschiedlichen Formen
125
TRIBUS 55,2006
Abb. 21: Zwei Ansichten einer Schale aus gebranntem Ton mit Zemi-Darstellung.
Taino (Chican), 13./14. Jh., Durchmesser: 16,3 cm. Inv.-Nr. IVc 6329. Dominikanische
Republik, Südküste, östlich von Santo Domingo, wahrscheinlich Raum Boca Chica.
Aus: Baer, G. / S. Hammacher / A. Seiler-Baldinger (Hg.), Basel 1992*. Zeichnung:
Susanne Gisin. Mit freundlicher Genehmigung des Museums der Kulturen Basel.
und plastischer Gestaltung in ein- bis dreifarbiger positiver und negativer Bema-
lung darstellt (s. Rouse a.a.O.: 508, 511-515, der in mehreren Abhandlungen die
Grundlagen westindischer Keramikentwicklungen dargelegt hat, auf die sich alle
späteren Autor(inn)en stützten, auch wenn alles noch ziemlich undurchschaubar
und schwer verständlich wirkt; vgl. ebenfalls Steward 1948:25; eine neuere Unter-
suchung zu Keramikstilen im historischen Ablauf bei Taino und Kalino legten Da-
vis und Goodwin 1990: 40 ff vor; s. auch Roget, in Wilson 1997:100 ff). Immerhin
lieferte Rouse 1948 und später eine zeitliche Abfolge der Keramik-Stile auf den
Großen Antillen. Ritzungen, Bemalung und plastische Darstellungen von Frosch
und Fledermaus waren die vorherrschenden Motive in der Taino-Kunst (so etwa
Roget ebenda:103). Verglichen mit den Gefäßen aus gebranntem Ton in Alt-Peru
und angrenzenden Andenstaaten (s. beispielsweise Schulze-Thulin 1974,1982:223
ff, 1989:85 ff) wirken die Keramiken nicht nur der Großen, sondern auch der Klei-
nen Antillen archaisch, wobei die Tonware der Kalino diejenige der Taino qualita-
tiv übertroffen haben dürfte, wenn wir an die jeweiligen Herkunftsregionen im
nordöstlichen Südamerika bzw. des mittleren Orinoco und die wenigen Angaben
der frühen Chronisten denken. Auf St. Croix zum Beispiel sind bei Ausgrabungen
in der Nähe von Greigsfort dünnwandige, gut gebrannte und schwarz bemalte Ke-
ramikscherben ans Licht des Tages gebracht worden, die auf Kalino zurückgehen
(Lovén a.a.O.:216; weitere Kalino-Keramik auf der genannten Insel ebenda: 234-
236, wobei der Autor jedoch auf Seite 276 die Kalino-Provenienz in Zweifel zieht
und die Scherben für „aruakisch“ hält). Bei den Taino, und ähnlich dürfte es bei
den Kalino gewesen sein, bestand die tägliche Gebrauchsware, wie schon oben im
Zusammenhang mit Kassave angeführt, aus großen Tontellern, den Burén. Sie wur-
den in gleicher Weise an den Küsten Guianas und Venezuelas benutzt, dort dann
aber im Laufe des 17. Jahrhunderts durch von Europäern eingehandelte Eisenplat-
ten ersetzt. Ausgrabungen haben gezeigt, dass die westindischen Autochthonen
diese Backteller aus gebranntem Ton, die bis auf wenige Ausnahmen (Einfluss vom
westlichen Festland?) keine Füße haben, aus ihren südlich gelegenen Ursprungs-
ländern mitgebracht hatten. Zum Backen wurden die Keramikteller auf drei bis
vier Steine gestellt (Lovén ebenda:337 f).Töpferware hatte im nördlichen Südame-
rika, insbesondere sei hier Venezuela angeführt, eine sicherlich mehr als zweitau-
sendjährige Entwicklung hinter sich, als sie erstmals mit in die karibische Inselwelt
genommen wurde (vgl. dortselbst:215 f).
Es soll nun versucht werden, anhand der angegebenen Literatur eine kurze Zeittafel
westindischer Keramikstile vorzulegen, wobei darauf hingewiesen sei, dass die ver-
streuten diesbezüglichen Literaturangaben noch immer oft sehr vage und teilweise
verwirrend sind.
126
Axel Schulze-Thulin: Ökonomische und soziopolitische Grundlagen
Zeit (v. u. n. Chr.) Kulturphase / Keramikkomplex Region Ethnische Gruppierung
500v.-900n.Chr. Saladoid Kl. Antillen u. Puerto Rico Taino- und Kalino-Vorläufer
600 V. - 2/300 n. Chr. Frühes Saladoid (bzw. Huecan oder Guapoid oder Agro I) Kl. Antillen u. Puerto Rico u. N-Venezuela Taino- und Kalino-Vorläufer
vor 500 v.- 600 n. Chr. (a) Cedrosan Surinam u.O- Venezuela (Bar- rancoid) Maipuran- Sprachige (z.B. Kalino u. Taino)
530 v. - 420 n. Chr. (a) Cedrosan Kl. Antillen u. Puerto Rico Maipuran-Spra- chige (z.B. Kalino u. Taino)
ab 400-1100 n. Chr. Ostionoid (a) Meillacan W-Puerto Rico N- und Zentral- Hispaniola Taino
ab 900 n. Chr. (a) Meillacan O-Hispaniola (Dom. Rep.) Taino-Macoris
1100 n. Chr.-1492 (a) Meillacan SW-Hispaniola, Jamaika, Zentral-Kuba Taino
ab 900 n. Chr. (b) Chican S-Hispaniola (SO-Dom. Rep.: Boca Chica), O-Kuba u. Lee- ward- Inseln Taino
ab 1200 n. Chr. (b) Chican (a) Meillacan Überall in Hispa- niola bis auf SW- Hispaniola Bahamas Taino Taino-Lucayo
750 -1500 n. Chr. (c) Palmetto Bahamas (frühes- tes auf Gua- nahani) Taino-Lucayo
ab 1000 n. Chr. (c) Palmetto Caicos Taino-Lucayo
1100- 1300 n. Chr. (a) Meillacan Grand Turk Taino-Lucayo
nach 900 n. Chr. Troumassoid Kleine Antillen Kalino
vor 1100 n. Chr. Caliviny Kleine Antillen Taino-Sklavinnen bei Kalino
ab 1100 n. Chr. Suazey Kleine Antillen / Windward-Inseln Kalino
vor 1700 n. Chr. Cayo Windward-Inseln Kalino
127
TRIBUS 55,2006
Rouse (1948[c]:509) ist mit seinem Periodenablauf hier nicht berücksichtigt worden,
da er wahrscheinlich wegen der anfänglichen archäologischen Unsicherheiten in
Westindien keine Zeitangaben mitteilte. Es ist selbstverständlich, dass diese Zeitta-
fel noch im Detail ausbaufähig und sicherlich im Verlauf zukünftiger Forschungen
korrekturbedürftig ist. Sie gibt lediglich einen groben chronologischen Ablauf wie-
der, aber sie ist ein Anfang.
Auf den Kleinen und östlichen Großen Antillen wurde der Ton - offenbar allerdings
mit Ausnahmen - mittels jungvulkanischen Materials gemagert, das ja nahezu über-
all vorhanden ist (vgl. beispielsweise Walters, in Wilson 1997:93), im Gegensatz zur
pflanzlichen Magerung von Ton in Teilen Floridas, dessen südliche Küstenregionen
teilweise ebenfalls, wenn auch nach wie vor mit Fragezeichen, zum karibischen Kul-
turbereich gehörten (s. beispielsweise Peterson [in Browman 1980:363 ff] im Hin-
blick auf pflanzlich gemagerten Töpferton in einigen Gegenden der Karibik). Doch
zurück zur Antillen-Region. Getöpfert wurde auch hier in Spiralwulsttechnik (die
Töpferscheibe war überall in Amerika unbekannt), der Ton wurde in offenen Feuer-
stellen gebrannt. Verbreitet waren bootförmige Keramikschüsseln für Pfeffertopf,
Platten, kugelförmige Flaschen und flache Grillformen (Rouse 1948(c);528; s. auch
Haas 1992:22).
Rouse hat immer besonders die hervorragende Steinschnitzerei (die großartigste
war auf Puerto Rico beheimatet - de Hostos 1948:540; zu Steinarbeiten / Waffen s.
auch 1.4.4.), ebenfalls die Arbeiten in Holz, Knochen und Muschel/Schneckenschale
der Taino gegenüber den Indianern des tropischen Waldlandes hervorgehoben, aller-
dings auch angemerkt, dass ihre Arbeiten inTon armselig gewesen seien (1948(c):533),
wobei er wohl in erster Linie an die so genannte Palmetto-Ware der Bahamas dach-
te (zur Palmetto-Keramik s. zum Beispiel Paz et al. 2000:50). Doch mit Kriterien der
„primitive art“ können wir hier wie anderswo sowieso nicht weiterkommen.
An dieser Stelle sollten ebenfalls die Petroglyphen erwähnt werden, die bereits seit
langem (s. zum Beispiel Fewkes 1907) auf Puerto Rico und Kuba bekannt sind, aber
auch in anderen Regionen der Großen Antillen und der Bahamas gefunden wurden.
Zentrales Motiv in allen künstlerischen Darstellungen war die Fledermaus, die im
Totenkult eine maßgebliche Rolle spielte und bei der die Spezies der Neuwelt-Platt-
nasen die Vorlage geliefert haben dürfte. Selbstverständlich ist, wie bei frühesten
künstlerischen Äußerungen weltweit, dass es auch in Westindien in präkolumbischer
Zeit keinen Unterschied zwischen profaner und sakraler Kunst gab (Taylor, in Bercht
et al. 1997:48).
Nennenswerte Sammlungen ethnografischer Objekte aus Westindien, insbesondere
von den Taino, befinden sich heule in Museen der USA, beispielsweise in den beiden
Peabody-Museen, in Kanada, auf Hispaniola, Puerto Rico, Jamaika sowie Kuba, in
England. Belgien (vgl. Granberry 1955:III-VT), Italien und teilweise Deutschland, so
im Ethnologischen Museum Berlin, und in der Schweiz, wie im Museum der Kul-
turen in Basel.
1.4.4. Die Waffen der Taino und Kalino
Die Waffen der Antillen-Indianer sollen hauptsächlich aus Speeren mit feuergehär-
teter Spitze und solchen mit Stein- und/oder Knochenspitzen bestanden haben, zum
Teil auch mittels Speerschleudern einsetzbar, weiterhin aus geschäfteten Steinbeilen
(einseitig geschliffen), Holzkeulen, oft einfach Grabstöcke, die beidhändig geführt
wurden, und Schleudern (Rouse 1948(c):532; s. ebenfalls zum Beispiel Morison
1942:312; nach Highfield [166] und Olazagasti [132] in Wilson 1997 heißen die Keu-
len auf Arawak Macana, nach Allaire, ebenda:183 - Boutou). Die Steinklingen, teil-
weise mit Gravuren und sogar Reliefs versehen (Loven 1924:142), waren meist in
Form der Stiellochschäftung am Schaft bzw. Stiel befestigt. Gelegentlich kam gleich-
falls Fahnenschäftung vor. Schlingen- und Klemmschäftung sind außerdem nicht
auszuschließen, lassen sich jedoch wegen der Vergänglichkeit des organischen Bin-
dematerials archäologisch nicht gut nachweisen. Die Kniestielschäftung kann in Zu-
128
Axel Schulze-Thulin: Ökonomische und soziopolitische Grundlagen
sammenhang mit Beilen gegeben sein und ist daher für die Karibik genauso anzu-
nehmen (Loven hat an verschiedenen Stellen die Schäftungsfrage angesprochen, a.
a.O.:136, Fußnoten 2 und 5, 137 f). Auf den Seiten 142 f und 277 ff hat sich dieser
Autor außerdem zur Verbreitung der Steinklingen in Westindien und dem nordame-
rikanischen Südosten geäußert, wobei er auf einen möglichen Zusammenhang mit
diesem Kulturgebiet hinwies (1924:138 f), dem er auf Seite 141 eine kulturelle Über-
legenheit gegenüber den karibischen Inseln zusprach. Eine solche Grundlage, schon
wegen der allgemeinen Verbreitung dieser Steinobjekte, eignet sich allerdings nicht
für die Vorstellung einer kulturellen Verbindung zwischen Westindien, speziell Kuba
und Hispaniola, mit dem Südosten Nordamerikas. Große Wertschätzung genossen
diese Beile und Äxte schon allein wegen der bedeutenden Arbeitsleistung, die in
ihnen steckte. Sie sollten ihren Eigentümern über den Tod hinaus nutzen, daher fin-
den wir sie immer wieder und überall auch als Grabbeigaben.
Speerschleudern sind für die Zeitspanne von ca. 250 - 600 n. Chr. innerhalb der Ce-
drosan-Saladoid-Phase auf St. Eustatius nachgewiesen (Righter, in Wilsonl997:75;
mit allen Ausläufern reichte das Cedrosan-Saladoid laut Righter [ebenda:72] vom
Wonotobo-Tal in Surinam bis zur Ostküste von Hispaniola über eine Gesamtzeit
zwischen ca. 500 v. - 600 n. Chr.). Die Atlatl der Taino, in der Regel so genannte Ha-
kenschleudern (mit hakenförmigem Vorsprung aus Fischbein am hinteren Ende und
einer aus Baumwolle geflochtenen Fingerhalterung; vgl. Rouse 1948(c):532 und Sto-
diek 1993:1), sollen in den Jahren uml492 nach und nach durch Bögen ersetzt wor-
den sein (Steward 1948:25; hier auch Weiteres zu Jagdgeräten). Pfeil und Bogen, re-
gional begrenzt verbreitet, wurden bereits in anderem Zusammenhang erläutert
(Schulze-Thulin 2005:169). Abgesehen von Letzteren entsprachen die Taino-Waffen
weitgehend denjenigen der Insel-Kariben.
Von Chronisten wurde oftmals die ausgezeichnete Stein- und Holzverarbeitung der
Taino und teilweise auch Kalino bewundernd hervorgehoben (u.a. von Martyr
1972:79 f). Dr. Diego Chanca hat sich besonders enthusiastisch über die Fertigkeit
der Eingeborenen in der Steinbearbeitung, das heißt dem Steinschliff, geäußert. „Sie
haben viele Werkzeuge ... aus Stein ... so schön und perfekt, dass es wirklich bewun-
derungswürdig ist, wie sie diese ohne den Gebrauch von Eisen hersteilen können“
(Walker 1992:199; vgl. auch Haas 1992:23 und Loven 1924, der sich sehr eingehend
den in Westindien vorkommenden Steinarten und den Steinartefakten ein ganzes
Kapitel von Seite 119 - 198 widmete). In Europa können solche geschliffenen Stein-
artefakte aus dem autochthonen Westindien heute in verschiedenen Völkerkunde-
museen bewundert werden, vor allem in Berlin, Stuttgart, London und mehreren
skandinavischen Städten.
Wie weiten Bereichen Ostasiens mangelt es auch den karibischen Inseln an feuer-
steinführender Kreide (abgesehen von zwei Leeward-Inseln - s. unten - und mit of-
fenbarer Ausnahme von Jamiaka, wo es nach Loven „zugänglichen Feuerstein reich-
lich genug“ gibt [ebenda:120]). Die aus Silex gearbeiteten Spitzen auf letztgenannter
Insel sollen von einer technischen Qualität gewesen sein, die an den immer wieder in
der Literatur auftauchenden und immer wieder verworfenen Einfluss aus Mesoame-
rika denken lässt (s. die technisch hochstehende Feuersteinbearbeitung der Maya).
Wie auch immer, nach Loven soll in China wie auch in der Karibik die kombinierte
Abschlag- und Schleiftechnik bei der Steinbearbeitung auf den Mangel an erreich-
barem Feuerstein zurückgehen (a.a.O.;119 ff). Auf den südlichen Kleinen Antillen,
insbesondere auf Grenada und St. Vincent, gab es Beilklingen sogar aus einheimi-
scher Lava (dortselbst:128), sicher zurückzuführen auf den Mangel an altkristallinem
Material, während solche aus diesen begehrten Steinarten über den interlribalen
Wirtschaftsverkehr bezogen wurden. Nach Taylor wurden die aus minderem Stein-
material hergestellten Beile als Werkzeuge eingesetzt, während diejenigen aus be-
sonders hartem Stein (Diabas bzw. Grünstein, außerdem Jade, das heißt Jadeit und
Nephrit) „Symbole der Autorität“ darstellen sollen (in Bercht et al. 1997:43; vgl. auch
46; zu den Steinarten s. beispielsweise Woolley / Bishop / Hamilton 1975). Abgesehen
von den Grünstein beigemessenen magischen Kräften wurde dieser Stein aus der
129
TR1BUS 55,2006
kristallinen Zone der Großen Antillen besonders wegen seiner materiellen Quali-
täten, „hart, zäh und haltbar“, mehr als Silex geschätzt (Loven a.a.O.:121). Albury
berichtet, dass die Lucayo Steinbeile aus Hispaniola importierten, die offenbar, ins-
besondere die aus Grünstein, unter den Bahamas-Indianern sehr begehrt waren
(1975:18; ebenfalls Loven ebenda:135 f, der mehrere Fundstellen solcher Steinob-
jekte auf den Bahamas und den Turks und Caicos aufführt, sowie weitere Autoren).
Doch nicht nur nach Norden, sondern auch nach Süden, beispielsweise Barbados,
ging der Handel mit Klingen aus Nephrit (Loven dortselbst:143).
Neben den geschliffenen Steinobjekten gab es auch solche (Schaber, Kratzer, Klin-
gen), die in Abschlagtechnik ohne nachträgliches Schleifen hergestellt waren, wobei
das Material auf den in Frage kommenden Inseln in einigen Fällen aus Silex bestand.
Wie oben angedeutet, kommt westindischer Feuerstein nur im Gebiet der nördlichen
Kleinen Antillen (Leeward Islands) auf Antiqua bzw. auf Long Island vor, einer klei-
nen Insel vor der Nordostküste der erstgenannten (Walters, in Wilson 1997:91, der
Feuerstein auf Jamaika im Gegensatz zu Loven nicht erwähnt). In anderem Zusam-
menhang wurde bereits darauf hingewiesen, dass auch etliche Haushaltsgeräte aus
Stein gefertigt wurden, wie Steinschalen, manche mit Zemi-Design skulptiert, und
reliefierte Steinstelen, Letztere besonders auf Hispaniola und Puerto Rico (so unter
anderen Loven 1924:121), Mörser, die bereits erwähnten Duhos (s. 1.1.2.), Metates
und ebenfalls teilweise beschnitzte Manos zur Verarbeitung von Mais und anderen
Körnern zu Mehl (Rouse 1948(c):528; vgl. auch die Abbildungen in Schulze-Thulin
2005:173).
Trotz aller Errungenschaften muss die autochthone Kultur Westindiens insgesamt
als steinzeitlich bezeichnet werden, wobei am Rande darauf verwiesen sei, dass die
hinsichtlich der Steinbearbeitung in der Alten Welt geltende Trennung zwischen Pa-
läolithikum und Neolithikum für die Neue Welt allgemein abgelehnt wird (unter
vielen anderen s. beispielsweise schon Loven 1924:119; anders ist das Verhältnis Jä-
ger/Sammler zu Feldbauer zu beurteilen). Das Rohmaterial für die Herstellung von
Werkzeug war überall in der Karibik Stein, Holz, Knochen und Muschel/Schnecken-
schale. Metall gab es lediglich in Form des erwähnten Goldschmucks.
2. Zur soziopolitischen Organisation der Taino
2.1. Die Kazikazgos
2.1.1. Staats- und Gemeinwesen in primären Gesellschaften
Wenden wir uns jetzt dem Bereich zu, der innerhalb der Soziologie übergreifend und
zusammen, beispielsweise mit den jeweiligen Glaubensvorstellungen einer Ethnie,
oft als immaterielle Kultur bezeichnet wird. Die soziopolitische Definition für die
Taino-Gesellschaftsordnung ist mit „vorstaatlich“ sicher nur grob erfasst. Mit ihr
können auch alle anderen Ethnien der karibischen Region, ja die meisten autochtho-
nen Gemeinwesen der Welt um 1500 n. Chr. bezeichnet werden. Der Terminus ist
deshalb unzureichend, weil er den Eindruck erweckt, in einer „primären Gesell-
schaft“, wie ich die im Allgemeinen als „Eingeborenengruppe“ oder - vornehm -
„authentische Gesellschaft“ (Kohl 1993:52) bezeichnete menschliche Gemeinschaft
nennen möchte, könne jeder tun und lassen, was und wie es ihm/ihr gerade beliebt.
Das ist nirgends auf der Welt der Fall gewesen. Tatsächlich versagen hier „klassische
Definitionen“ des Staates wie diejenige von Max Weber (ebenda). Denn es stimmt
nur bei einer groben Betrachtung, dass „die Abwesenheit des Staates ... ein besonde-
res Charakteristikum der von Ethnologen untersuchten Gesellschaften“ sei (Kohl
dortselbst:53). Die Quelle des „Staates“ ist vorhanden, doch meist nicht gleich und
schon gar nicht leicht zu erkennen. Auch kann ich nicht damit übereinstimmen, das
„Gemeinwesen“ selbst könne nicht „Träger und zugleich Ausführender politischer
Entscheidungen“ (ebenda) sein. Das lässt sich selbst mit Blick auf heutige Industrie-
staaten nicht aufrechterhalten. Es gibt auch in der kleinsten „Horde“ einen, der ent-
scheidet. In der Regel ist es derjenige mit dem größten Jagdinstinkt, derjenige der
130
Axel Schulze-Thulin: Ökonomische und soziopolitische Grundlagen
durch sein erfolgreiches Jagen in der kleinen Gemeinde mehrmals den Hunger been-
dete. Oft trifft er sein Urteil, ohne es mündlich weiter zu geben, sondern schweigend,
einfach durch Handeln. Die anderen folgen, ohne lange zu fragen, nämlich deshalb,
weil es für ein Herdenmitglied problemloser ist, Denken abgenommen zu bekom-
men, einfach mitzumachen. Daran hat sich auch in heutigen Gesellschaften nicht
allzu viel geändert. Es erübrigt sich somit die Frage, ob ein solcher „Führer“ beson-
dere Befehlsgewalten hat. Sehr viel später in der Entwicklung menschlicher Ge-
meinschaften treten allmählich Institutionen auf, die für einen Angehörigen zeitge-
nössischer Staaten mit einer oft bis ins Einzelne vorangetriebenen Bürokratisierung
nicht ohne weiteres zu erkennen sind.Träger „staatlicher Einrichtungen“ in primären
Gesellschaften sind Verbände, in der Ethnologie meist als Bünde bezeichnet, mögen
sie nun verwandtschaftlich oder durch Interessengleichheit oder wie auch immer
strukturiert sein. In der gesamten karibischen Region war lange vor Kolumbus die-
ser Status erreicht, nicht nur auf Hispaniola, wenn auch hier in dieser Hinsicht die
Verhältnisse besonders weit fortgeschritten waren. Von Kazik(inn)en mit höchstem
und mittlerem und unterem Status gleich mehr. Außerdem werden wir von weiteren
Notablen hören. Von Altersklassen oder Ständen oder Bünden bei den Taino ist in
den Chroniken und neueren Publikationen allerdings nirgends die Rede. Das ist er-
staunlich und nur so zu erklären, dass die frühen spanischen Berichterstatter Klas-
senunterschiede ausschließlich dort bemerkten, wo sie offen zu Tage traten, das heißt
in dem Unterschied zwischen den so genannten Gemeinen, im Arawak der Antillen
die Naborías, manchmal auch als Tesböri bezeichnet, und den Notablen, den Nitainos
(auch Nitaynos). Die unterste Schicht waren die Sklaven, die sich aus Kriegsgefange-
nen, meistens von den Guanahatabey, rekrutierten (zur Hierarchie der Taino-Gesell-
schaft s. u. a. Taylor, in Bercht et al. 1997:42; Keegan, in Wilson 1997b:115; zur sozio-
logischen Grundlage König 1962/58:120, 247). Hinsichtlich der Bezeichnungen der
Taino-Klassen sei hier noch angemerkt, dass es dazu in der Literatur unterschied-
liche Ansichten gibt. Im Gegensatz zu den zitierten Verfassern meint Rouse, dass die
Sklaven als Naborías bezeichnet wurden (1948(c): 530), nicht die Gemeinen, für die
keine Benennung im Arawak bekannt sei. Manche Autoren würden Letztere mit
„Guajiros“ bezeichnen, die jedoch laut Las Casas über den Nitainos gestanden ha-
ben, was eigentlich ebenfalls nicht glaubhaft ist, denn auch ein Oberkazike war ein
Nitaino. Redmond und Spencer haben eine Gegenüberstellung der unterschied-
lichen Ansichten zu den Rängen und Klassen der Taino vorgelegt (1994:194 f). Ich
halte mich in diesem Artikel an Keegan (1992 und 1997) sowie Wilson (1997). Die
gesellschaftliche Schichtung der Taino erinnert an die der Natchez im südöstlichen
Nordamerika (als neuere Literatur hierzu s. beispielsweise Urban / Jackson 2004:698
f). Alles in allem - wenn der Begriff „Staat“ mit „organisierter Herrschaft“ identifi-
ziert wird (König a.a.O.:118), dann ist den Taino ein staatlicher Status nicht abzu-
sprechen. Allerdings möchte ich nicht so weit wie Taylor gehen, der meint, das
Häuptlingstum der Taino wäre wie ein „richtiger Staat“ entwickelt gewesen (eben-
da).
Die Einfälle der Kariben in die Küstengebiete vor allem Puerto Ricos, Süd- und Ost-
Hispaniolas sowie vorgelagerter Inseln waren jeweils lokal begrenzt und führten
nicht zu regelrechten Kriegen wie zwischen beispielsweise europäischen Staaten im
Sinne von Gebietserweiterungen oder Beutezügen. Bei den Kalino war neben der
Kriegsehre allerdings ein Grund die Gewinnung von arawakischen Sklavinnen. Im-
merhin führten diese karibischen Überfälle jedoch anfangs dazu, dass etliche Terri-
torialkaziken der Taino in den Spaniern zunächst Bundesgenossen sahen. Schon
während des zweiten mehrjährigen Kolumbus-Aufenthaltes in Westindien wurden
diese Kaziken eines Besseren belehrt.
2.1.2. Kaziken und andere Notable
TRIBUS 55,2006
ginn der klassischen Taino-Häuptlingstümer bzw. -Kazikazgos, wie sie nachfolgend
beschrieben werden, wird von den meisten auf die Karibik spezialisierten Archäolo-
gen auf die Zeit um 1200 n. Chr. festgelegt (Keegan 1992:58; zum Terminus „Kazikaz-
go“ s. Schulze-Thulin 2005:166; Lovén hat in 1924:314 den Terminus Kazikat geprägt;
erst nach Veröffentlichung von TRIBUS Bd. 54, 2005 stieß ich auf den Artikel von
Redmond und Spencer 1994:189 ff mit dem englischsprachigen Begriff „Cacicaz-
go“). Hispaniola beispielsweise war in fünf bis zehn großflächige Distrikte (ich nen-
ne sie nachfolgend in Deutsch - im Unterschied zu den kleineren Bezirken - Territo-
rien) mit je einem Regenten, manchmal auch einer Regentin an der Spitze unterglie-
dert (vgl. zum Beispiel Taylor, in Bercht et al. 1997:42; s. auch die Karte Hispaniolas
in Schulze-Thulin 2005:144 f; zur Zeit des Las Casas, insbesondere in der ersten Hälf-
te des 16. Jahrhunderts, waren fünf solcher Territorien bekannt, vgl. Las Casas
1958:89; im Zuge der wissenschaftlichen Forschung veränderte sich diese Zahl im-
mer wieder; vgl. auch Redmond und Spencer 1994:197 ff). Wilson gibt in seiner Ar-
beit über karibische Kazikazgos eine Gegenüberstellung wieder, wie sich die An-
und Einsichten in die Grenzen dieser Territorien auf Hispaniola innerhalb der Lite-
ratur im Laufe der Jahrhunderte veränderten. Dabei erscheint die dortige neueste
Version (1980) von Bernado Vega sehr großzügig, tauchen hier doch so bedeutende
Kazikazgos wie beispielsweise Marien, Maguana, Xaragua und Magua überhaupt
nicht mehr auf (Wilson 1990:110), die bei Las Casas noch eine bestimmende Rolle
spielten (a.a.O.:89-91). Ein solches Territorium wie die soeben genannten hatte bis
zu 30 Bezirke, die in nicht wenigen Fällen nach dem zuständigen Sub-Kaziken (auf
Arawak „Bahari“) benannt wurden, was für die Spanier am Anfang etwas verwir-
rend war (Keegan ebenda: 196). Auf den Ländereien jedes Bezirkes befanden sich
wiederum zwischen 70 und 80 Dörfer (etwa Steward 1948:24).
Die regionalen Gliederungen auf den anderen Großen Antillen waren entsprechend
denjenigen auf Hispaniola, wenn wir auch über die dortigen politischen Verhältnisse
weniger gut unterrichtet sind. Für Puerto Rico beispielsweise ist die gesellschaftliche
Stellung der Kaziken recht unbekannt. Der Oberkazike um 1500 n. Chr. hieß wahr-
scheinlich Agüeybana bzw. Agueybaná bzw. Güeybana (Alegría, in Bercht et al.
1997:11 nennt Agueybaná), doch ist nach Oviedo noch nicht einmal sicher, ob sich
mit diesem Namen nicht auch die Bezeichnung einer Regionalgruppe verbindet.
Aber immerhin kennen wir 18 Dörfer und die Namen ihrer Vorsteher bzw. Sub-Ka-
ziken auf Puerto Rico (auch „chiefs“ genannt; de Hostos 1948:541).
Auf Kuba scheint die Macht der Kaziken bei weitem nicht so groß wie auf Hispanio-
la gewesen zu sein. Rouse berichtet als Kuriosum vom jus primae noctis auf dieser
Insel (1948(c):543). Schon aufgrund seiner flächenmäßigen Ausdehnung waren die
hiesigen Verhältnisse zu denen auf den anderen Großen Antillen unterschiedlich
(der Name „Kuba“ ist arawakischen Ursprungs; die zeitweise, auf Kolumbus zurück-
gehende Bezeichnung „Juana“ für die größte der Antillen-Inseln hatte keinen Be-
stand; s. Morison 1942:254, 446; Rouse 1948(c):542; eine Karte mit den Regionen
Kubas findet sich in Schulze-Thulin 2005:164). Die Ureinwohner Kubas werden teil-
weise als Cubeño bezeichnet (Rouse a.a.O.). Hinsichtlich der politischen und wohl
auch kulturellen Verhältnisse müssen wir grob zwischen West- und Ostkuba unter-
scheiden. In Westkuba gab es fünf recht großflächige Territorien: Guanahacabibes,
Guaniguanico, Marien, Habana und Hanabana (von West nach Ost; Rouse
1948(b):501), während Ostkuba in eine Vielzahl kleiner Kazikazgos zerfiel. Offenbar
gab es auf Kuba auch keine Bezirke mit Sub-Kaziken, so wie wir sie von Hispaniola
kennen (Rouse 1948(c):543). Hanabana und weitere Bezeichnungen von Kazikazgos
wie Camagüey und Baracoa sind in spätere Städtenamen eingegangen. Das Territo-
rium Cubanacan lag etwas westlich der Mitte Kubas. Zur Zeit des Kolumbus resi-
dierte der für Cubanacan zuständige Territorialkazike nahe der heutigen Stadt Hol-
guin unter Einschluss des Tals von Cacoyuguin (Morison 1942:257).
Auf der vierten Insel der Großen Antillen, Jamaika, gab es um 1492 acht bis zehn
Kazikazgos. Namentlich sind jedoch nur zwei Kaziken bekannt, Ameyro und Huareo
(Rouse 1948(c):543 f).
132
Axel Schulze-Thulin: Ökonomische und soziopolitische Grundlagen
Abb. 22: Links; Darstellung eines Zemi (s. laufenden Text). Aus: Greenwood, R. / S.
Hamber, London - Oxford 1980*. Rechts: Brechspatel mit Zemi-Darstellung. Aus:
Kapfhammer, W.: Große Schlange und Fliegender Jaguar - Zur mythologischen
Grundlage des rituellen Konsums halluzinogener Schnupfdrogen in Südamerika. In:
Völkerkundliche Arbeiten, Bd. 6, hrsg. v. H.-J. Paproth. Bonn 1997.
Jeder Kazike, gleich an welcher Stelle der Hierarchie er stand, wird wohl in erster
Linie durch sein Charisma und sein beispielhaftes Verhalten „geführt“ haben, was
aber nicht bedeutet, dass er nicht auch wirtschaftliche Macht und vor allem ver-
wandtschaftliche Beziehungen beim Durchsetzen seines Willens einzusetzen wusste
(zur Soziologie der Herrschaft, ihrem Ursprung und ihren Begriffen wie Autorität,
Macht, Prestige, Führung, Charisma s. König a.a.O.:l 12,114 ff). Einige Namen der
Territorialherrscher (in Arawak „Matunheri“, etwa „Euer Hochwohlgeboren“, der
immer der Führer eines Territoriums war) auf Hispaniola um 1494/1500 sind uns
überliefert. Es sind dies (die jeweils diesen Oberkaziken unterstehenden Territorien
in Klammern; s.Karte in Schulze-Thulin 2005:144 f): Guacanagari bzw. Guaccanarillo
(Marien), Guarionex (Magua - Vega Real), Guanacouel (Caizimu), Majobanex (Ci-
guaia), Caonabo (Maguana; Caonabo soll übrigens Karibe gewesen sein; er war mit
Anacaona verheiratet, für diese in zweiter Ehe; über sie weiter unten mehr), Cauna-
boa (Cibao), Anacauchoa sowie Behechio (Xaragua bzw. Jaragua; Behechio war der
Bruder von Anacaona, die nach seinem Tod die Führungsrolle in Xaragua über-
133
TRIBUS 55,2006
nahm) und schließlich Higuanama (Higuey bzw. Higuei), ebenfalls eine Frau; ihr
Nachfolger war Cotubanama (Walker 1992:278, 280; auch Klingelhöfer 1972:392,
Anm. 113)). Guacanagari war dem Kolumbus freundschaftlich verbunden. Der Ge-
nuese hatte ihm viel zu verdanken (Walker ebenda).
Abgesehen vom erwähnten gesellschaftlichen Charisma und den weiter unten vor-
gestellten verwandtschaftlichen Gegebenheiten beruhte im Glauben der Taino die
Macht eines Kaziken in nicht geringem Maße auf der Überlegenheit seiner Zemis (s.
hierzu Schulze-Thulin a.a.O.:174 f.). Wie in Südamerika verbreitet, beispielsweise bei
den Matsigenka im östlichen Peru (s. etwa Baer 1982:6), sind auch für die Großen
Antillen verwandtschaftliche Bezeichnungen für die Abbildungen dieser Geistwe-
sen in Form von Idolen aus Holz, Stein und anderem denkbar. Um die Kraft seiner
Zemis zu beweisen und zu erhalten, war ein Notabler auch zu betrügerischen Tricks
bereit (Rouse 1948(c):536). Mit dem von Steward so bezeichneten „chief“ ist hier
wohl in erster Linie der Territorialkazike angesprochen. Er hatte Macht über Leben
und Tod, verbunden mit der Kontrolle über zivile, militärische und religiöse Angele-
genheiten (Steward 1948:24; auch Rouse 1948(c):529; viele Angaben zeitgenössischer
Verfasser gehen letztlich auf Martyr zurück, im vorliegenden Fall 1973:177, der hier
drastische Beispiele für die Befehlsgewalt eines Kaziken auf Hispaniola, wahrschein-
lich eines Matunheri, wiedergibt). Ein solcher Machthaber im wahrsten Sinne des
Wortes kontrollierte offenbar - sicher nicht in jedem Territorium - das gesamte wirt-
schaftliche Leben (zur allgemeinen Typologie von Eingeborenenorganisationen,
Stammesinstitutionen, sozialer Schichtung, Ausgangspunkt und Entwicklung primi-
tiver Staatsmacht, politischer Integration u. Ä. s. etwa König ebenda:229 ff).
Neben den erwähnten Führern der Territorien Hispaniolas gab es andere Mächtige,
wie die Ratgeber des obersten Kaziken (Walker 1992:121), weiterhin Unter- oder
Sub-Kaziken (Bezirkskaziken) sowie Gemeinde- oder Dorfkaziken, die alle zu den
Nilainos rechneten (s. oben und unter anderen Aarons 1992:15). Ein solcher Bezirk
bestand, wie bereits gesagt, aus 70 bis 80 Dörfern. Die Dorfkaziken unterstanden
hinsichtlich des Instanzenweges den Bezirkskaziken und diese wiederum den Terri-
torialkaziken. Die aus der frühesten europäischen Geschichte Hispaniolas bekannte
und schon mehrmals erwähnte Territorialkazikin bzw. -cacica (Kazika) Anacaona
soll 80 Sub-Kaziken unter ihrer Oberhoheit gehabt haben (Walker a.a.O.:298), wo-
bei hierin wahrscheinlich auch Gemeindekaziken eingeschlossen sind. Neben der
sehr prominenten Anacaona sind zwei weitere Kazikas zu nennen: Cabomba und die
bereits erwähnte Higuanama (Highfield, in Wilson 1997:164). Selbst Sub-Kaziken
stand offenbar das Recht zu, bei besonderen Anlässen in einer (einfacheren) Sänfte,
getragen von vier Männern, zu reisen. Von Anacaona wissen wir, dass sie zu beson-
ders wichtigen Zusammenkünften in einer Sänfte von sechs Männern getragen wur-
de (Walker dortselbst:290; zu Frauen im politischen Prozess früher Gesellschaften s.
Ross 1986:843 ff). Söhne von Notablen wurden von Untergebenen auf die Schultern
genommen, der Bruder eines Kaziken wurde von zwei Gefolgsleuten, ebenfalls aus
der oberen Klasse stammend, beim Gehen unter den Armen gestützt (Rouse
1948(c):527). Allen Kaziken wurde - wie Kolumbus ausdrücklich vermerkt - großer
Respekt seitens ihrer Untertanen gezollt (Walker ebenda:123,125; auch Tippenhau-
er 1893:376). Die Bezirkskaziken hatten dem obersten Kaziken Abgaben in Form
von Goldstaub,Tabak und Baumwolle (Tippenhauer a.a.O.) und sicherlich auch von
anderen Naturalien zu leisten. So sind die an manchen Stellen der frühen spanischen
Niederschriften erwähnten „Schatzhäuser“ zu verstehen, beispielsweise das der
Anacaona.
Durch die oben erwähnte Heirat Anacaonas mit Caonabo und die dadurch geschaf-
fene Allianz wurden Jaraguä und Maguana zum mächtigsten Territorium von Hispa-
nioala. Abgesehen von solchen Ausnahmen waren Frauen in den avunkulokalen
Kazikazgos sowieso „die Macht hinter dem Thron“ (s. Keegan, in Wilson 1997b:l 16;
Weiteres dazu später). Einem Matunheri, sicherlich auch einem Bezirkskaziken,
stand ein Rat zur Seite, der sich aus einer Anzahl auserwählter Nitainos zusammen-
setzte. Er wurde je nach Bedarf oder alle paar Monate einberufen.
134
Axel Schulze-Thulin: Ökonomische und soziopolitische Grundlagen
Trotz des Durchschnittsalters der Antillen-Autochthonen, das wesentlich unter dem
heutiger Menschen in westlichen und ostasiatischen Gesellschaften lag, zumindest in
den Industrieländern, ist die Jugendlichkeit der Taino-Kaziken auf den ersten Blick
doch überraschend, so auch für die Spanier bei ihren frühen Kontakten mit der indi-
anischen Bevölkerung (Morison 1942:287). Mit ein ausschlaggebender Grund wer-
den wohl die verwandtschaftlichen Strukturen der Taino-Gesellschaft gewesen sein,
auf die noch eingegangen wird. Das Auftreten dieser Notablen in der Öffentlichkeit
entsprach durchaus den damaligen europäischen Gepflogenheiten an königlichen
Höfen. Kolumbus war jedenfalls bei seiner ersten Begegnung mit einem der Notab-
len Hispaniolas, der lediglich ein Sub-Kazike des Territorial-Kaziken Guacanagari
war, von dessen Umgangsformen sehr beeindruckt (ebenda;289). Trotz dieser Bege-
benheit war das Erstaunen unseres Seefahrers einige Zeit später über die vorneh-
men Essensgepflogenheiten von Guacanagari selbst übergroß (dortselbst:303). Wür-
devolles Auftreten und gute Manieren, so erzählte Kolumbus später (Walker a.
a.O.:137), gehörten offensichtlich zu dem Gehabe jedes Kaziken, gleich welchen Ka-
libers.
2.1.3. Von Kaziken und Schamanen
Die in Nordamerika teilweise gegebene und in Südamerika weit verbreitete Ver-
knüpfung von Häuptlingstum und Schamanen/Medizinmannwesen scheint auch bei
den Insel-Arawaken der Großen Antillen noch gegenwärtig gewesen zu sein. Jeden-
falls ist Steward der Meinung, dass es hier keine extra Priesterschaft gegeben habe
(1948:24). Das hieße, dass das Privileg gewisser kultischer Handlungen, verbunden
mit Magie und Zauberei, zur Machtausübung der Kaziken gehörte bzw. mit ihr ein-
herging (aus soziologischer Sicht vgl. hierzu König 1962/58:118). Steward hatte denn
auch, zusammen mit L. C. Faron, hinsichtlich der Insel-Arawaken und einiger Eth-
nien Venezuelas 1959 von „theokralischen Häuptlingstümern“ gesprochen (Rouse
1966:235). Wir werden sehen, dass sich die Taino, insbesondere auf den Großen An-
tillen, in einer Übergangsphase befanden, die in manchen Gegenden zu Gunsten
eines „Staatsstatus“ bereits abgeschlossen war, was oben schon angedeutet wurde.
In der Literatur werden auch immer wieder „Schamanen“ angeführt, denen neben
ihrem eigentlichen Bereich ebenfalls die Heilung von Kranken oblag. Bei den Kali-
no hatten Schamanen die Maboyas (böse Geister, s. oben) der Gruppenmitglieder zu
kontrollieren (Rouse 1948(d):562), was sich sicher auch mit der Krankenversorgung
verbinden lässt (Näheres dazu und zu Schamanenpraktiken bei den Kalino s. eben-
da:563 ).Eine funktionsbedingte Trennung zwischen einem Medizinmannwesen und
dem Kazikentum scheint insbesondere auf Hispaniola und wahrscheinlich auch etli-
chen, vor allem östlichen Regionen Kubas bereits ziemlich weit fortgeschritten ge-
wesen zu sein (entgegen der Meinung Stewards a.a.O.:24 und 26), wogegen nicht
spricht, dass das westindische Kazikentum in den unteren Rängen sicherlich noch
öfter mit religiös motivierten Aufgaben verbunden war (s. hierzu Taylor, in Bercht et
al. 1997:43; unter den schon genannten - auf Arawak - Bebiques werden denn auch
Schamanen und Dorfvorsteher verstanden; s. hierzu Keegan, in Wilson 1997b: 116;
nicht so jedoch bei den Kalino). Daneben gab es um 1500 n. Chr. auf den Großen
Antillen Medizinmänner (die bei Schmidt 1917:100 für die Festland-Arawaken so
bezeichnten „Zauberer“) im eigentlichen Sinne dieses Wortes, die neben Geister-
beschwörung und ähnlichen rituellen Handlungen ebenfalls die Bevölkerung medi-
zinisch betreuten, wobei dann die letztgenannte Hilfe meist auch mit den erstge-
nannten Erscheinungen verbunden war. Dies auch bei den Kalino. Die Erklärung für
die etwas verwirrenden Angaben liegt in dem Hinweis von Tippenhauer, nach dem
die „Priester“ (in Arawak Bohuti, das heißt Medizinmann und Schamane) „eine
Kaste bildeten, deren Pontifex der Kazike selbst war“ (1893:376). Martyr spricht für
Hispaniola von „Priestern und Medizinmännern“ (1973:240), wobei es durchaus
denkbar ist, dass ebenfalls nach seinem Verständnis die „Priesteraufgaben“ von dem
jeweiligen Kaziken mit unteren Rängen wahrgenommen wurden. Der von diesem
135
TRIBUS 55,2006
Chronisten geschilderte Taino-Ritus „in der Halle des Kaziken“ und mit „Kuchen
für die Opferung“ ist offensichtlich von christlichem Gedankengut beeinflusst (Mar-
tyr 1973:242).
In jedem Fall gab es jedoch den besonderen Stand des Medizinmannes, sicherlich oft
mit den Funktionen eines Schamanen, was ja schon anklang und sich hinsichtlich der
Krankenbehandlung und den damit verbundenen Zeremonien (schamanistischen
Praktiken) auf Grund seiner Kleidung und des verbreiteten Drogenkonsums positiv
vermuten lässt, womit der Begriff eines „schamanistischen Medizinmanns“ kreiert
wäre (die Unsicherheiten in der Unterscheidung zwischen Schamane und Medizin-
mann/-frau sind in der Literatur weit verbreitet;Taylor a.a.O.:42 setzt hinter das Wort
„shamans“ einfach „medicine men“ in Klammern, Alegría, in Bercht et al. 1997:13
kommt der Realität wahrscheinlich recht nahe, da er die Schamanen auch als „medi-
cal practioners“ sieht). Oft wurde die Krankenbehandlung nur bei Anwesenheit
eines (beobachtenden?) Notablen vorgenommen. Seine gesellschaftliche Stellung
erlaubte es einem schamanistischen Medizinmann, ärmere Gruppenmitglieder als
Patienten abzulehnen, zumal dann, wenn er für die kommenden Tage genug Cassava
hatte (die Bezahlung ärztlicher Behandlung von Naborías erfolgte meist mit diesem
indianischen Brot; s. auch Rouse 1948(c):537, der auf dieser Seite über den Ablauf
einer Krankenheilung mit eingeschlossenen Täuschungsmanövern berichtet). Miss-
lang die medizinische Behandlung, konnte der Heiler von der Verwandtschaft des
Verstorben durchaus zur Rechenschaft gezogen werden. Dabei lagen Schlagen und
Verprügeln im Rahmen des Üblichen, nicht aber das Töten des Arztes, was auf des-
sen mächtige Zemis zurückgeführt werden dürfte (Rouse a.a.O.;538). Zum Schluss
dieser Aussagen sei noch einmal auf die Kalino hingewiesen, bei denen wir keines-
falls von „Priestern“ wie bei den Taino sprechen können (Rouse 1948(d):563), eben-
so wenig wie von einer Verbindung „Schamane/Medizinmann-Kazike“.
Verbrechen unterlagen überall in Westindien der Gerichtsbarkeit durch Kaziken, die
auch das Strafmaß festlegten. Diebstahl galt als schwerstes Verbrechen (so zum Bei-
spiel Stevens-Arroyo 1988:104) und wurde mit dem Tod gesühnt, etwa durch Pfählen
an einen Baum. Um den Zutritt zu einer Hütte und damit unter Umständen Dieb-
stahl auszuschließen, legte der Besitzer bei Abwesenheit Stöcke über Kreuz vor den
Eingang (Rouse 1948(c):530). Auch Ehebruch wurde mit dem Tod bestraft (Rouse
ebenda; Oliver, in Wilson 1997:145).
Mit dem Schamanentum verbunden ist das weite Spektrum der Rauschmittel. In
puncto Drogen können wir bereits bei Martyr (1972:118-120; s. auch Taylor, in Bercht
et al. 1997:43 f; Alegría a.a.O.:13) nachlesen, dass „cohobba“ (Cohoba,auch Cahoba)
bei den Taino mittels gegabelter Röhrchen geschnupft wurde (s. Abbildung in Schul-
ze-Thulin 2005:178), und zwar bei allen möglichen Gelegenheiten, nicht nur religi-
ösen. Geraucht wurde ebenfalls (Lovén 1924:361), nicht ausschließlich bei Kalino,
bei denen ja Zigarren „Tobacos“ hießen (Tabak in Arawak löuli; Grundlegendes
zum Tabakgebrauch s. Dorén 1992:202 ff sowie zusammenfassend Schulze-Thulin
a.a.O.:177). Allerdings sei laut Nordenskiöld der profane Tabakgenuss im südameri-
kanischen Tiefland vor den Europäern sehr gering gewesen. Ob das auf das Antilien-
Gebiet umzusetzen ist, bleibt auf jeden Fall fraglich. Dabei muss bedacht werden,
dass der Tabakgebrauch, und damit bestimmt nicht in erster Linie der rituelle, vor
allem von Westen in die karibische Inselwelt vorgedrungen war (Lovén ebenda:360).
Gemäß diesem Autor (ebendort:363) sollen die Arawaken in Guiana die erwähnte
Art der Schnupfrohre nicht gekannt haben. Tatsächlich fanden diese ihren Weg via
Orinoko bis Hispaniola. Derselbe Autor meint dagegen, dass die Antillen wahr-
scheinlich, wenn auch nicht das einzige „der Gebiete waren, von dem der Tabak in
das nordöstliche Südamerika vordrang“ (a.a.O.:360).
Die Wirkung des westindischen Schnupftabaks soll wesentlich stärker sein als die
des europäischen, begleitet mit Ohnmachtsanfällen und Visionen (dortselbst:365).
Bei den eingenommenen Mitteln handelt es sich zum einen um den besagten Tabak,
zum anderen um eine in Südamerika beheimatete Mimosenart (Piptadenia peregri-
na), deren pulverisierte Samen durch ihren Gehalt an Saponin berauschend wirken
136
Axel Schulze-Thulin: Ökonomische und soziopolitische Grundlagen
(Klingelhöfer, in Martyr 1972:400, Anm. 218 sowie Rouse 1948(c);534, Fußn. 16;
Lovén verweist in 1924:361 unter Hinweis auf Safford darauf hin, dass die Taino gar
keinen Tabak, sondern lediglich Piptadenia schnupften, die in Orinoco- und Amazo-
nasregionen sowohl wild wächst als auch angebaut wurde; außerdem soll sie eben-
falls „zur Flora auf Haiti, Porto Rico und anderen Antillen gehört“ haben [a.a.O.:362];
Weiteres zum Schnupfen und seine Verbindungen zu südamerikanischen Ethnien
bei Lovén ebenda:362 f; s. gleichfalls Stevens-Arroyo 1988:118, Anm. 2).
Nun wurde bei den westindischen Autochthonen nicht nur geraucht und geschnupft,
sondern auch gekaut, so insbesondere bei den Kalino. Dabei wurde der grüne Tabak
mit Meerwasser befeuchtet, eventuell zusätzlich gesalzen und mit Asche gemischt.
Damit war er zubereitet, um als Priem zwischen Lippen und Zähne gelegt zu werden.
Diese Sitte hatten die Kalino offenbar von ihrer Festlandheimat mitgebracht. In
Guiana wurde der Kautabak auf ähnliche Weise zubereitet; angeblich wurde das Ta-
bakpulver von den Kalino ausschließlich zum Kauen verwendet. Von einer einzigen
Prise Kautabaks sollen die Kalino „bleich und berauscht“ worden sein (Lovén dort-
selbst:361,363 und Fußn. 3,364).
An dieser Stelle sei auch auf das mit Cohoba verbundene Erbrechen hingewiesen,
das als notwendige Reinigung angesehen und deshalb mit eigens für diesen Zweck
aus verschiedenen Materialien hergestellten Brech-Spateln herbeigeführt wurde (s.
etwa Taylor a.a.O.:44; Martyr 1973:239; den Verlauf einer Cohoba schildert zum Bei-
spiel Highfield, in Wilson 1997:166 f). Nach Rouse (a.a.O.) wurde das Erbrechen
mittels eines Tranks aus den Blättern des Krauts Gioia eingeleitet. Obwohl die Kali-
no das gesellschaftlich und religiös bedingte Fasten kannten, war ihnen das künstlich
herbeigeführte Erbrechen aus rituellen Gründen fremd (nicht so das ungewollte
nach Völlerei, vgl. Rouse 1948(d):563).
Im Zusammenhang mit der Einnahme von Drogen soll auch erwähnt werden, dass
die karibischen Autochthonen eine Fülle von Heilkräutern kannten, die sie gegen
verschiedene Krankheiten optimal einzusetzen wussten. Die bekannteste indianische
Krankheit, die sich nach 1492 weltweit verbreitete, ist die Syphilis, die einzige nach-
haltige Rache der Indianer. Ihr Ursprung scheint allerdings nicht so eindeutig zu
sein, wie meist angenommen wird (vgl. Seiler-Baldinger 1992:43). Auch die Indianer
der Karibik waren nicht von ihr verschont worden. Rouse erwähnt kurz, dass es ge-
gen diese weit verbreitete Krankheit kein Heilmittel gab (1948(c):538). Arrom (nach
Pané) gibt die Legende wieder, wie sich die Taino die Entstehung dieser Krankheit
erklärten, das heißt als Strafe für den Verstoß gegen das Inzestverbot (1997:36 f; all-
gemein zum Inzesttabu kurz und umfassend beispielsweise König 1962/58:68 f).
2.2. Muster westindischer Gesellschaftsschichtung
2.2.1. Drei Klassen und ihr Eigentum
Über die Qualifikation als Voraussetzung für den Rang eines Kaziken sowie die ge-
sellschaftlichen Unterschiede zwischen diesen Führungspersönlichkeiten bestehen
noch große Unsicherheiten. Ein Sub-Kazike konnte Haupt einer Kommune, aber
ebenso nur einer Großfamilie sein (Keegan 1992:108; auch die Bezirkskaziken wa-
ren gegenüber dem Territorialherrscher Sub-Kaziken). Den Dorfvorstehern oder
untersten Kaziken (auf Arawak Guaxerfs) waren die Oberhäupter der Großfamilien
nachgestellt, sie gehörten jedoch ebenfalls zu den Nitainos. Ohne Rang waren die
Naborías (wie gesagt die Gemeinen). Um es noch etwas komplizierter zu machen:
neben den einzelnen Dörfern gab es auch bestimmte Kommunalorganisationen, zu
denen mehrere Siedlungen rechneten (Keegan ebenda:! 10). Alle diese Angaben be-
ziehen sich auf die Großen Antillen. In der nördlichen Karibikregion, also auf den
Bahamas und den Turks und Caicos, gab es eine Art von Territorialkazikazgos, zu
denen jeweils mehrere Inseln im Umkreis gehörten. Keegan (dortselbst) berichtet
von einem solchen Oberkaziken mit Sitz auf Acklins Island, dessen Herrschaftsbe-
reich den zentralen Teil der Bahamas umfasste. Das war der „König“ Saomet bzw.
137
TRIBUS 55,2006
Samaot, von dem Christoph Kolumbus zu Anfang seiner Erkundungsfahrten in der
„Neuen Welt“ 1492 berichtete (s. Schulze-Thulin 2005:140).
Den Kaziken der dörflichen Gemeinden und ihren führenden Ratgebern oblagen
neben kommunalpolitischen Angelegenheiten auch die Leitung von Festen der un-
terschiedlichsten Art, die Arbeitseinteilung auf den Feldern, die Aufsicht bei Jagd
und Fischfang (Taviani 1991:121 f) sowie die oben erwähnte richterliche Gewalt in
Form von Schlichtungen, außerdem die gemeinschaftliche Vorratshaltung und Ver-
teilung der Rücklagen in Notzeiten. Dies weist auf eine Art Kommunalbesitz hin,
über die der zuständige Kazike Verfügungsgewalt besaß. So berichtet Martyr von
„Scheunen“, in denen Ernteerträge gelagert wurden, die je nach Bedarf von den
genannten Notablen an die Bevölkerung verteilt wurden. Dies zeigt, dass im gesam-
ten westindischen Raum eine Art Gemeinwirtschaft gegeben war, jedenfalls ein Sys-
tem, das ohne Gewinnorientierung auskam. So hat auch Privateigentum in der allge-
meinen Bevölkerung kaum existiert (Walker a.a.O.;139), es sei denn an den selbst
hergestellten Waffen und Werkzeugen. Doch gingen die tatsächlichen Verhältnisse
sehr wahrscheinlich über diesen Hinweis hinaus. Neben dem Privateigentum der
obersten Gesellschaftsschicht (Keegan 1992:102; ders. in Wilson 1997b:l 13) gab es
sicherlich noch weitere „persönliche Dinge“, die wie Individualeigentum behandelt
wurden. Dafür spricht ja auch der rege individuelle und intertribale Wirtschaftsver-
kehr (Schulze-Thulin 1973) der karibischen Autochthonen, der ohne Eigentums-
formen nicht möglich ist (König 1962/58:311). So wurden in einem Saladoid-Grab
zwischen den Beinen des Verstorbenen ein Schildkrötenpanzer mit zwei polierten
Steinen gefunden, wahrscheinlich das persönliche Musikinstrument des Toten, wie es
noch heute von Eingeborenen in Venezuela benutzt wird (Rodríguez, in Wilson
1997:83). Rouse erwähnt, dass bei den Kalino der Eigentümer (!) eines Kanus gleich-
zeitig der Führer der Männer in diesem Boot war und Bootshäuptling genannt wur-
de. Er hatte das Privileg, nicht paddeln zu müssen. Stattdessen musste er das eindrin-
gende Wasser ausschöpfen (1948(d);556). Bei Karibengruppen an der venezuela-
nischen Küste in der Nähe von Caracas wurde auf eine „privatrechtliche“ Abgren-
zung der Felder, auf denen zu Anfang des 16. Jahrhunderts Kokakraut (Erythroxylon
Coca) angebaut wurde, streng geachtet (Martyr 1973:285 und Klingelhöfer 1973:376,
Anm. 80; Weiteres zum Kauen der Kokablätter selbst und der Dauer desselben, sei-
nen Auswirkungen, dem Anbau mit Bewässerung, dem Handel mit Koka sowie der
Gewinnung des erforderlichen Kalks bei Martyr a.a.O.:284 f). Eventuell waren diese
eigentumsrechtlichen Gegebenheiten jedoch bereits eine Akkulturationserschei-
nung
Frauen waren nicht selten Produzentinnen. Dadurch wurden sie teilweise zu Eigen-
tümerinnen und Verteilerinnen von Gütern mit hohem Status in einer Person. „Der
schöpferische Charakter der Arbeit ist die Quelle des persönlichen Anspruchs“ (Kö-
nig ebenda:315; vgl. auch Keegan, in Wilson a.a.O.). Privatrechtliches Eigentum, wie
es in Verbindung mit dem oben genannten „Schatzhaus“ der Kazikin Anacaona er-
wähnt wird, waren beispielsweise reich beschnitzte und verzierte Notabienstühle aus
Hartholz, die bereits erwähnten Duhos, und „Tische“ (wohl mehr Unterlagen) sowie
Holzschalen und Keramiken (Walker ebenda:291; Keegan 1992 und 1997a; Martyr
1972:79).
Die indianischen Machtverhältnisse auf Hispaniola waren auch den Spaniern schon
bald bekannt. So berichtete Bartolomé Colón, einer der zwei Brüder unseres Admi-
rals und zeitweise Gouverneur von Hispaniola, über die wirtschaftliche Macht von
Anacaona, die nach der oben erwähnten Heirat mit Caonabo sicher noch gestiegen
war (vgl. Keegan, in Wilson 1997b: 116). Martyr verweist auf die „geringen Lebensan-
sprüche der Menschen“ Westindiens, woraus unausgesprochen hervorgeht, dass ein
solches Wirtschaftssystem, wie geschildert, nur bei einer anspruchslosen Lebensart
funktioniert (1973:177). Die Frage nach „Ei oder Henne - was war zuerst da“, die
sich in diesem Zusammenhang stellt, muss hier unbeantwortet bleiben.
Für die eigentlichen körperlichen Arbeiten waren die erwähnten Gemeinen zustän-
dig, das heißt also die einfachen Bürger, außerdem Sklaven ohne Eigentum, die sich
138
Axel Schulze-Thulin: Ökonomische und soziopolitische Grundlagen
aus Kriegsgefangenen, meist Angehörigen der präkeramischen Urbevölkerung zu-
sammensetzten, wie oben bereits kurz erläutert. Die Anrede zwischen Angehörigen
der Sozialschichten war mit „du“ („nara“) überall gleich. Kaziken wurden mit „Se-
reutma“ angesprochen (entsprechend etwa „Sr. Größe“), die situationsbedingte Be-
zeichnung eines Nitaino lautete „Zehetxio“ (übersetzt etwa mit „Ew. Adelschaft“).
Außer dem oben erwähnten „Matunheri“ wurde nur wirklich herausragenden Män-
nern der Titel „Guamiquina“, etwa „hochgestellte Person oder Führer“, verliehen,
wie ihn beispielsweise Christoph Kolumbus erhielt (Highfield, in Wilson 1997:165).
2.2.2. Die Rolle verwandtschaftlicher Strukturen
Im gesamten karibischen Kulturraum lebten die Menschen in der Regel in Großfa-
milien mit Polygamie (meist bei Notablen), mit Oberkaziken, Distriktregenten,
Kriegshäuptlingen, teilweise auch weiblichen, in weitgehend matrilinearen Familien-
verbänden. Dabei muss für die Antillen-Gesellschaften, bei aller sozialen Differen-
zierung, festgestellt werden, dass sie in ihren soziopolitischen Organisationen nicht
so fortgeschritten waren wie beispielsweise die Chibcha oder die Tairona in Nord-
Kolumbien (Meggers 1979:108). Doch gab es einige kulturelle Anklänge an die letzt-
genannten Gruppierungen sowie solche an fortgeschrittene Gegebenheiten auf der
mexikanischen Halbinsel Yukatan und in Zentralamerika, was bei der weit verbrei-
teten Seefahrt in allen genannten Regionen auch nicht verwunderlich ist. (ebenda;
Rouse 1966:234 gibt die Entfernung zwischen Yukatan und Kuba mit 120 Meilen an).
Das soll selbstverständlich nicht heißen, dass die gesellschaftliche Schichtung der
westindischen Bevölkerung nicht an eigenständigen Wurzeln in Südamerika an-
knüpfen könnte.
Wie überall bei kleineren Eingeborenenethnien lag auch bei den Karibik-Indianern
die Basis aller soziopolitischen Gruppenbildung in den verwandtschaftlichen Bezie-
hungen (als neuere Literatur über diverse Verwandtschaftsstudien sei auf Schweitzer
2000, Feinberg / Ottenheimer 2001 sowie Stone 2001 hingewiesen). Nach Steward
(1948:24 ) gab es keine Klans, Keegan erwähnt solche jedoch gelegentlich (beispiels-
weise in Wilson 1997b:l 15; zur Definition gesellschaftlicher Gruppierungen von
Horde bis Stamm s. zum Beispiel Haensell 1955:41 f). Da die Verwendung diesbezüg-
licher Termini jedoch recht unterschiedlich ist (je nach der Forschungsgeschichte in
Deutschland, England oder den USA), müsste der Hinweis von Steward auf die je-
weilige ethnologische Grundlage hin untersucht werden. Es ist zu vermuten, dass
sich der genannte Autor auf die britische Version stützte, weil die entsprechende
Publikation von G. P. Murdock 1948 noch nicht vorlag (Näheres s. bei E. W. Müller,
in Hirschberg 1988:252 f).Trotz augenscheinlicher kultureller Übereinstimmung zwi-
schen Insel-Kariben und -Arawaken in weiten Bereichen gibt es typologisch neben
einer Einheitlichkeit auch eine Verschiedenartigkeit. So ist aufgrund diverser ethno-
und soziologischer Forschungen davon auszugehen, dass beide Gruppierungen zum
einen dem auf E. Dürkheim zurückgehenden, „einfach zusammengesetzten polyseg-
mentierten Gesellschaftstyp“ zuzurechnen sind (König 1962/58:284 f),zum anderen
können beide in unterschiedliche Typen verwandtschaftlicher Klassifikationen ein-
geordnet werden (Keegan 1992:93 f; s. auch allgemein Sahlins 1981:89). Von den
sechs auf G. P. Murdock (1949), R. Fox (1967) und R. M. Keesing (1975) zurückge-
henden Verwandtschaftstypen näherten sich die diesbezüglichen Grundlagen der
Taino dem Crow-Typ (nordamerikanische Krähenindianer) an, während das Ver-
wandtschaftssystem der Kalino mehr dem Irokesen-Typ glich. Das Fundament hier-
zu war sicherlich bereits auf dem südamerikanischen Festland entstanden (s. bei-
spielsweise Bischof 1980:254), was nach L. Allaire 1990 auch durch linguistische Er-
kenntnisse unterstützt wird. In der neueren Literatur wird die Theorie einer solchen
Gruppierung nach Typen allerdings in Frage gestellt und scheint überholt (vgl. Jack-
son / Fogelson 2004:8). Archäologisch werden ethnische Einheiten mit ihren beson-
deren soziopolitischen und kulturellen Charakteristika seit langem vor allem anhand
ihres Keramikdekors mit jeweils unterschiedlicher Stilrichtung erkannt. Sozialer
139
TRIBUS 55,2006
Wandel in all seinen Facetten kann jedoch fast sicherer aus Ausgrabungsergebnissen
wie Änderungen in der Siedlungsstruktur und den Wohnformen ersehen werden.
Hier ist in den vergangenen Jahren für das uns interessierende Gebiet etliches er-
reicht worden. So ist es recht aufschlussreich festzustellen, wie sich das Bild der Tai-
no-Gesellschaft in den spanischen Berichten des frühen 16. Jahrhunderts im Verlauf
der zweiten Hälfte des 20 Jahrhunderts verändert hat, worauf nachfolgend kurz ein-
gegangen werden soll.
Bei der Schilderung der westindischen Indianergesellschaften werden seit den ersten
spanischen Chronisten insbesondere die Verhältnisse auf Hispaniola zu Grunde ge-
legt. Verständlich, denn auf dieser zweitgrößten Insel der Großen Antillen spielte
sich die europäisch-indianische Konfrontation zunächst ab. Diese Handhabung ist
generell auch heute noch legitim, wobei wir allerdings die insbesondere im Soziopo-
litischen hegenden Unterschiede zu den so genannten Sub-Taino (s. Schulze-Thulin
2005:166) sowie zu den Kalino beachten müssen. Außerdem sollten auch die teilwei-
se etwas abweichenden Gegebenheiten auf Jamaika berücksichtigt werden, die je-
doch mehr im Handwerklich/Künstlerischen lagen, wie an anderer Stelle beschrie-
ben (vgl. 1.4.1.). Um die Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert (und noch lange da-
nach) steckte die auf ethnologischen Erkenntnissen hegende Beschreibung fremder
Gesellschaften durch europäische Publizisten, wie wir sie seit der zweiten Hälfte des
19. Jahrhundert gewöhnt sind, noch in den Kinderschuhen. Darauf wurde bereits in
den Passagen zu den Primärquellen und dem Forschungsansatz dieser Arbeit kurz
eingegangen (ebenda:148 ff). So nimmt es überhaupt nicht wunder, dass in spa-
nischen Veröffentlichungen der ersten amerikanischen Jahre etliche gesellschaftliche
Zusammenhänge bei den westindischen Ethnien falsch bzw. unzureichend darge-
stellt wurden. Das trifft ebenfalls, bei aller Problematik, auf die in der Ethnologie fest
verwurzelte Abstammungsrechnung zu. Unter den US-amerikanischen Archäologen
und Prähistorikern hat sich insbesondere William F. Keegan (1992 und anderen Orts,
zum Beispiel in Wilson 1997b:109 ff) bemüht, auf ethnologischer Grundlage Licht in
das Nebeneinander verschiedener Abstammungsrollen und -regeln der karibischen
Ureinwohner zu bringen, so gerade bei den Taino, deren Gesellschaft als non-unili-
near (E. W. Müller, in Hirschberg 1988:10, nach Goodenough 1955) zu bezeichnen ist.
Obwohl Muster der Abstammungsrechnung in der Regel mit Wohnsitznormen (ma-
tri-/patrilokal) Zusammenhängen, dürfen doch beide Begriffe nicht vermischt wer-
den, was von Keegan nicht immer eingehalten wird. Matrilinearität und Patrilokali-
tät schließen sich keineswegs aus. Und so ist es auch nicht verwunderlich, dass bei
den Taino die Braut oftmals in die Hütte ihres Mannes zog (Keegan a.a.O.:91). In
solchen Fällen zahlte der Mann einen Brautpreis an deren Familie (ebenda:108),
denn Letzterer ging ja mit dem Wechsel in den Haushalt des Mannes eine Arbeits-
kraft verloren.
Der Terminus „Mutterrecht“ ist bis heute wissenschaftlich nicht eindeutig festgelegt,
daher schwammig und teilweise politisch überladen. Ich möchte ihn dennoch als eine
Art Synthese gebrauchen, wenn gleichzeitig Matrilinearität und Matrilokalität ange-
sprochen sind (im Sinne von beispielsweise Richard Thurnwald oder Karl J. Narr,
zusammengefasst von Haensell 1955:64 f). Auch bei mutterrechtlichen Gegeben-
heiten in einer Gruppe haben doch die Männer bei entscheidenden Fragen das Sa-
gen, wie etwa bei Überlegungen über Beziehungen zu anderen ethnischen Einheiten
bzw. bei der Entscheidung über Krieg und Frieden. So war es auch bei den westin-
dischen Feldbaugruppen, wobei im Hinblick auf die Verhältnisse auf Hispaniola dar-
auf hinzuweisen ist, dass sich die Klassischen Taino, matrilinear verbunden, im Über-
gang zwischen einer matri- und avunkulokalen Wohnsitzregelung befanden (Keegan
1992:100,104,110; wobei auf Seite 107 beispielhaft auf ähnliche Gegebenheiten bei
den Ureinwohnern derTöbriand-Inseln hingewiesen wird; zum Mutterrecht bei süd-
amerikanischen Arawaken-Gruppen s. Schmidt 1917, insbesondere 100). Die ersten
(spanischen) Berichterstatter äußerten sich wie folgt: Entsprechend der matriline-
aren Deszendenz folgte einem Kaziken an erster Stelle der Schwestersohn im Amt.
In zweiter Rangfolge stand ein weiterer Schwestersohn, danach kam ein ßrudersohn
140
Axel Schulze-Thulin: Ökonomische und soziopolitische Grundlagen
an die Reihe, und erst an vierter Stelle folgte der eigene Filius. Walker (1992:137) hält
sich hier an die Mitteilungen von Peter Martyr, dem auch Las Casas folgte. Anderer
Meinung sind Gonzalo Fernández de Oviedo y Valdéz und Girolamo Benzoni. Auf
diese mangelhafte Übereinstimmung in den Primärquellen weisen auch Walker
(ebenda) und insbesondere William C. Sturtevant hin (s. gleichfalls zusammenfas-
send Oliver, in Wilson 1997:145). Keegan meint, dass die bei den Taino nicht selten
festgestellte patrilineare Rangfolge wohl mehr durch den spanischen Einfluss ausge-
löst worden sei, falls die Meldungen darüber nicht überhaupt jeder Grundlage ent-
behrten (1992:102).
In der Realität sind ebenfalls verschiedene Mischformen der theoretisch möglichen
Wohnsitzfolgen sowie Auflösungserscheinungen unter dem spanischen Besatzungs-
und Assimilationsdruck denkbar, was eine Schilderung der tatsächlichen Gegeben-
heiten erschwert. Bei jeder Heirats- und Wohnsitzregelung gibt es außerdem Aus-
nahmen. Paradebeispiel ist der in der frühen westindischen Geschichte bekannte
Kazike der goldreichen Provinz Maguana namens Caonabo (s. auch oben), der nicht
nur durch seine Gegnerschaft zu den Spaniern bekannt geworden ist, sondern auch
- wie bereits erwähnt - als Ehemann der nicht minder berühmten Anacaona (ehe-
mals Frau Caunaboas, Oberkazike des Territoriums Cibao; s. Martyr 1972:78; als Füh-
rer von Cibao wird auch Uxmatex erwähnt). Anacaona hatte nach dem Tod ihres
Bruders Behechio die Führung des Territoriums Xaragua übernommen, wie ebenso
bereits beschrieben wurde (Walker ebenda:137 f). Sie ist vor allem durch ihre grau-
same Ermordung durch die Spanier in Wort und Bild in die Literatur eingegangen
(Girolamo Benzoni, s. unter Meyland 1593). Diese Verbindung zwischen Caonabo
und Anacaona ist das eindrücklichste Beispiel dafür, dass Heiraten - selbstredend
nur unter den Nitainos - auch als politisches Mittel eingesetzt wurden, um mit Hilfe
solcher Allianzen die eigene Territorialmacht zu stärken. Auch die unter den Taino-
Notablen gegebene Polygamie ist in diesem Zusammenhang zu nennen (s. beispiels-
weise Alegría, in Bercht et al. 1997:11; Taylor ebenda;43). Alles in allem dürfen wir
jedoch annehmen, dass die avunkulokale Wohnsitzfolge auf den Großen Antillen im
Großen und Ganzen noch über drei Jahrzehnte nach 1492 vorherrschend war. Da-
nach löste sich die gesellschaftliche Ordnung der Taino im Chaos des Untergangs
endgültig auf.
An dieser Stelle sei weiterhin darauf hingewiesen, dass bei geschlechtlicher Arbeits-
teilung in Verbindung mit „Matridominanz“ infolge kriegerischer Verwicklung der
Taino, insbesondere mit Kalino-Gruppen, später mit Spaniern, und damit Abwesen-
heit der Männer von ihrem Heimatdorf, wie sie immer wieder vor allem in den ost-
karibischen Regionen gegeben war, Matrilokalität bestimmte Vorteile bietet, wie die
Aufrechterhaltung des inneren Friedens, worauf auch Keegan explizit hinweist
(1992:95, 98, 100). So soll Schlüsselbedingung für Matrillokalität die Abwesenheit
der Männer sein (dortselbstTOl). Andererseits - ist Krieg das vorherrschende Ele-
ment einer Gesellschaft, dann ist ihre Ordnung in der Regel patrilokal strukturiert,
egal ob geschlechtliche Arbeitsteilung gegeben ist. Wenn die unter Kriegsbedin-
gungen stehende Gesellschaft nicht patrilokal ist, ist sie es zumindest avunkulokal
(Keegan ebenda:94 f). Gemessen an der weiten Verbreitung der letztgenannten
Wohnsitzfolge in Afrika, Ozeanien und Amerika sowie ihrem komplizierten Aufbau
muss sie Vorteile bieten, die nicht in bestimmten historischen Situationen zu suchen
sind. Und tatsächlich lassen sich weltweite Parallelen bzw. Grundlagen für die Avun-
kulokalität finden. Zur Erinnerung: Bei der matrilinearen Version zieht der Mann
mit seiner neu angetrauten Frau zu der Gruppe seines Onkels (daher der Begriff
Avunkulokalität) mütterlicherseits, das heißt dem Mutterbruder, sofern er nicht die
Tochter dieses Onkels (seine Kusine) geheiratet hat.
Die Vorteile der Avunkulokalität liegen beispielsweise darin, dass ein Mann hier
mehrere Frauen in einer Gruppe haben kann, ohne dass Schwestern der Frau stö-
rend Einfluss nähmen wie bei matrilokaler Residenz. Weiterhin kann er, ähnlich wie
Männer in der Patrilokalität, mutterrechtlich strukturierte Allianzen schmieden. Wie
in der patrilokalen Wohnsitzregelung kann ein durchsetzungskräftiger Mann sein
141
TRIBUS 55,2006
Leben lang in nur einem Domizil bleiben und hier zu Reichtum kommen. Ein be-
deutsamer Vorteil gegenüber der patri- und ebenso der matrilokalen Wohnsitzfolge
ist wohl der, dass der Mann die Residenzpflicht sowohl von Nichten und Neffen als
auch von Töchtern und Söhnen steuern kann. Eine solche Einflussnahme setzt na-
türlich wirtschaftliche und politische Macht des Handelnden in Form von militä-
rischer Befehlsgewalt voraus. Letztere kann sich unter avunkulokalen Bedingungen
und ihren heirats- sowie verwandtschaftspolitischen Vorteilen sehr erhöhen (Keegan
a.a.O.:96,99 f; s.auch Keegan, in Wilson 1997b:109 ff). Der größte Vorteil eines matri-
linearen Avunkulats (Wohnsitz in der Gruppe des Mutterbruders) ist der gesicherte
Transfer der Macht des bisherigen Kaziken auf einen ihm genehmen Nachfolger bei
größtmöglicher Wahlmöglichkeit eines(r) potentiellen Kandidaten(in) im Umkreis
des noch Herrschenden und unter seiner Aufsicht (ders. 1992:99), was die Eliten der
Klassischen Taino auch dazu geführt haben dürfte, diese Regelungen zu institutiona-
lisieren (dortselbst:97). Es sei jedoch eingeschränkt, dass wir hier dann eher ein
avunkulokales Häuptlingstum ohne die unbedingt vorliegende Voraussetzung einer
avunkulokal organisierten Gesellschaft haben (a.a.O.:99). Bereits Fewkes (1907)
hatte auf das matrilineare Muster der Abstammungsrechnung bei den Taino hinge-
wiesen, was insbesondere in der Rangfolge und der Vererbung von Landbesitz (Kee-
gan 1992:92) zum Tragen kam. und tatsächlich haben wir in der westindischen Ge-
schichte um 1500 n. Chr. einige führende Frauengestalten, worauf am Beispiel der
Kazikin Anacaona bereits hingewiesen wurde.
Anders als bei den Taino scheint die soziopolitische Organisation der Kalino nicht
auf einem erblichen Kazikentum beruht zu haben. Zwar gab es auch hier enge Ver-
wandtschaftsverhältnisse, doch offensichtlich keine gesellschaftliche Schichtung. So
war auch das Häuptlingstum, im Gegensatz zum Kriegertum, nicht sonderlich ausge-
prägt (Steward 1948:25 f). Offenbar wurden in der Kalino-Gesellschaft Männer
durch körperliche und militante Fähigkeiten zu Führern (Walker 1992:165). Gewisse
Auswahlkriterien sind in Zusammenhang mit Pubertätsriten zu sehen. Leider lassen
sich zu Letzteren so gut wie keinerlei Angaben in der Literatur finden, so dass zu
dem in Eingeborenengesellschaften häufig gegebenem „abruptem, kollektiv vollzo-
genem und ritualisiertem Statuswechsel“ (König 1962/58:221) vom Kind zum Er-
wachsenen bei den Kalino kaum etwas ausgesagt werden kann.
2.2.3. Über Ehe und Sex
Über die Heiratsgepflogenheiten bei den Taino ist nicht allzu viel bekannt. Grund-
sätzlich wird angenommen, dass zwischen Mann und Frau Gleichberechtigung
herrschte (Cooper, in Wilson 1997:194), soweit wir solche Begriffe aus unserer Zeit
und Kultur überhaupt anwenden können. Heiraten waren meist nur unter Personen
gleichen Ranges möglich. Ein Kazike konnte allerdings bis zu dreißig Frauen haben,
die sicherlich auch ab und zu Naborías waren. Sie alle wohnten zusammen. Eine
Hauptfrau war üblich (Rouse 1948(c):531). Zweifellos wird nicht nur in höheren
Kreisen die Werbung vom Mann ausgegangen sein. Bei Kaziken scheint diese Aufga-
be einer der vertrauten Würdenträger übernommen zu haben, verbunden mit dem
weltweit verbreiteten Brautpreis und anderen Heiratsbräuchen (vgl. Rouse ebenda;
Walker dortselbst:188; s. auch generell hinsichtlich südamerikanischer Arawaken
Schmidt 1917:43,56 ff und 100).
Nach der ersten monatlichen Regel scheinen Mädchen im Rahmen von Initiations-
feiern in den Kreis der Frauen aufgenommen worden zu sein. Ab diesem Zeitpunkt
trugen sie einen kleinen Schurz aus Baumwolle zur Verdeckung der Scham. Bei ver-
witweten Frauen reichte dieses Kleidungsstück bis zu den Knien (Martyr 1973:176 f).
Zum oftmals berichteten recht freizügigen sexuellen Verhalten von Taino-Frauen
schreibt Martyr, dass „eine Frau als großzügiger und geschätzter gilt, wenn sie sich
mehreren Männern hingibt und, obwohl sie einen Ehemann hat, mit anderen ver-
kehrt“ (1973:247). Bezogen auf christliche Moralvorstellungen stand Keuschheit
nicht hoch im Kurs. Von einer Braut wurde sogar gewünscht, dass sie sexuelle Erfah-
142
Axel Schulze-Thulin: Ökonomische und soziopolitische Grundlagen
rungen vor der Ehe gesammelt hatte. Inzest wurde abgelehnt. Geschlechtliche Ent-
haltsamkeit bzw. Zurückhaltung war nur während einer zwanzigtägigen Periode ge-
boten, in der die Männer Gold (aus Minen oder Flüssen) holten. Berdaches, das
heißt institutionalisiertes Transvestitentum ähnlich dem in Nordamerika, waren be-
kannt (Rouse 1948[c]:531). Entgegen der Meinung von Rouse, der Kenntnisse über
den Geburtsvorgang beiTafno-Frauen leugnet (a.a.O.), wissen wir von Martyr (eben-
da:236), dass die Geburt eines Kindes offenbar ohne die Hilfe anderer Frauen ver-
lief. Kurz vor der Geburt ginge die werdende Mutter in den Wald, hielte sich an den
Zweigen eines Baumes fest und bringe so ihr Kind zur Welt. Anschließend liefe die
Frau zum nächstgelegenen Gewässer, wo sie ihren Säugling wasche (Martyr und
Rouse jeweils a.a.O). Zum Einseifen wurde eine aromatische Frucht verwendet
(Rouse ebenda:526). Anlass zur allgemeinen Freude und zu Festen war die Geburt
eines Kazikensohnes. Solche Kinder wurden schon in frühen Jahren von „weisen
Männern11 in der Mythologie und den Taten ihrer Ahnen unterrichtet (Rouse dort-
selbst:531).
Über die bei den rezenten Festland-Arawaken festgestellte Unterscheidung zwi-
schen „Raubehe und der auf friedlicher Uebereinkunft beruhenden Ehe“ (Schmidt
1917:38 ff, 56 ff. und 100) ist sowohl bei frühen Chronisten als auch bei heutigen Pu-
blizisten im Hinblick auf dieTaino nichts zu finden. Und ob die bei einzelnen Kalino-
Gruppen verbreitete Sitte der Erbeutung arawakischer Frauen, die ich in anderem
Zusammenhang oben angesprochen habe, unter den Begriff der Raubehe fällt, ist
doch recht zweifelhaft. In avunkulokal ausgerichteten Gesellschaften ist Polygynie
aus verschiedenen Gründen mehr verbreitet als in matri- und sogar in patrilokalen
(Keegan 1992:96; allgemein aus soziologischer Sicht s. König 1962/58:64 ff). Einer der
Anlässe hierfür ist die größere Kriegsbereitschaft und damit die höhere Sterblich-
keitsrate der Männer in avunkulokalen Gemeinwesen, was eine verbreitetere Wie-
derverheiratung der Witwen und die Stärkung matrilinearer Orientierung nach sich
zieht (Keegan ebenda:97). Dessen ungeachtet liegt es auf der Hand, dass besonders
Männer mit höheren Rängen, wie weiter oben angedeutet, oftmals polygam waren
(dortselbst:109).
Epilog oder
die „andere“ Gemeinschaft der Indianer und das spanische Mysterium
Zum Schluss soll noch ein auf archäologischen Arbeiten fußender Hinweis auf die
sicherlich oft religiös ausgerichtete Struktur der Taino-Gemeinden folgen. Einen an-
schaulichen Anhaltspunkt liefert uns ein Ausgrabungsplatz (MC-6) auf der südlich
der Bahamas gelegenen Insel Mittel-Caicos. Es handelt sich um eine Dorfanlage der
Klassischen Taino, die hier einen Außenposten, wahrscheinlich zur Meersalzgewin-
nung, errichtet hatten. Der zentral angelegte Dorfplatz lässt vermuten, dass die Sied-
lung nach dem so genannten Dualsystem ausgerichtet, das heißt in zwei Gesell-
schaftshälften (Moitiés) geteilt war. Die Anordnung der Hütten um den erwähnten
Platz lässt jedenfalls darauf schließen (Keegan 1992:109). Bedeutsam erscheint in
diesem Zusammenhang die bei den Taino gegebene Glaubensvorstellung mythischer
Zwillingspaare (s. Schulze-Thulin 2005:175). Moitiés können sowohl patri- als auch
matrilinear strukturiert sein, je nach der mutter- oder vaterrechtlichen Orientierung
der jeweiligen Gemeinschaft. Sie haben in der Regel unterschiedliche Aufgaben zu
erfüllen, meist steht ihnen auch ein spezieller Notabler vor, beispielsweise ein Kriegs-
oder Friedenshäuptling. Ihre Bezeichnungen beziehen sie im Prinzip aus symbo-
lischen Gegensatzpaaren wie Himmel und Erde, Land und Wasser und ähnlichen
dualen Oppositionen. Bei rituellen Spielen waren Moitiés oft die gegnerischen Par-
teien (s. etwa Hirschberg und Müller, in; Hirschberg 1988:105). In unserem Fall auf
Mittel-Caicos spricht Keegan von Matrimoities als Grundstruktur einer mutterrecht-
lich-avunkulokal ausgerichteten Gesellschaft (a.a.O.:!09).
ln Teilen Südamerikas, insbesondere Zentral- und Ostbrasiliens, hatten patrilineare
Moitiés Vogelnamen, wobei insbesondere Papageien, aber auch andere Vögel mit
143
TRIBUS 55,2006
einem Ahnenkult in Form von Seelenwanderung verbunden waren (Zerries
1977:281). Diese Tiere spielten auch im numinosen Bereich der Antillen-Bewohner
eine Rolle. Es würde den Rahmen meines Beitrages sprengen, näher auf die Mytho-
logie der westindischen Autochthonen einzugehen, dennoch sei nachfolgend eine
Erklärung geliefert, die bisher noch nicht vorgebracht wurde: Das im wahrsten Sinne
des Wortes unglaubliche Erstaunen sowohl der Lucayo auf den Bahamas (Albury
1975:26 hat das sehr anschaulich geschildert) und wenig später der Tafno auf Kuba
(Morison 1942:260) und Hispaniola (ebenda:284, 290) über die weißen Männer, die
auf ihren mit weißen Flügeln versehenen Fläusern geradewegs vom Himmel gekom-
men schienen, lassen manche Verhaltensweisen und Reaktionen der solchermaßen
Überraschten verständlich werden (mehrere entsprechende, in der Primärliteratur
festgehaltene Bemerkungen bezeugen das grenzenlose Unverständnis der Indianer
über diese „Erscheinung“; Las Casas hat bei seiner Verteidigung der Indianer unter
Hinweis auf diese für die amerikanischen Autochthonen, sogar unter Einschluss von
Maya und Azteken, einzig mögliche Erklärung der europäischen Welt um Verständ-
nis für seine Schützlinge geworben; s. Gel 1958:213, Fußn. 13 ). Nach Roget (in Wil-
son 1997:169 f) waren beispielsweise die Taino überzeugt, dass die Spanier aus einer
unbekannten Welt kamen, und dass diese Coaybay sei, das Land der Toten, einem
Gebiet, das Soraya hieß. Diese seltsamen Männer mussten Totengeister sein, war die
allgemeine Überzeugung. Dabei sollte auch berücksichtigt werden, dass die westin-
dischen wie auch viele andere Ureinwohner in anderen Gegenden der Welt nicht das
geschlossene System von Zeit wie die Europäer hatten, so beispielsweise hier Ge-
genwart, dort Vergangenheit, hier Realität, dort Geistig-Jenseitiges. Letzteres war
für diese und viele weitere Erste Amerikaner in der realen Umgebung immer eben-
falls vorhanden, der Mythos war immer Wirklichkeit. Ihre unmittelbare Vergangen-
heit hielten die Taino in ihren Gesängen fest, dass einzige „Wissen“ um ihr lange
zurückliegendes Leben war die Legende, dass sie ursprünglich auf Martinique ansäs-
sig waren und diese Insel wegen Querelen mit dem Rest der Bevölkerung aufgege-
ben hätten. Der Hinweis auf ihre Oraltradition weist bereits darauf hin, dass sie kei-
ne wie auch immer geartete Form von Schrift sowie keine Möglichkeit der Zeitmes-
sung besaßen (Rouse 1948[c]:539; im Gegensatz hierzu konnten die Kalino nach
Rouse 1948[d]:564 die Zeit nach Sonne, Mond und den Plejaden bestimmen, was
aber ebenso auf europäischen Einfluss zurückgeführt werden kann). Nach den An-
gaben dieses Autors konnten die Taino auch lediglich bis zehn zählen (1948[c]:eben-
da), während er den Kalino mit Hilfe der Finger und Zehen Zählen bis zwanzig zu-
gesteht (1948[d]:dortselbst). Im Hinblick auf die Taino wird diesen Angaben nun in
neuerer Zeit widersprochen, so von Highfield (in Wilson 1997:167 f), der jedoch den
Beweis schuldig bleibt und lediglich darauf verweisen kann, dass ihre Navigations-
kenntnisse ein „System of counting“ voraussetzen würden (zur seemännischen Pra-
xis der Taino s. Taylor, in Wilson 1997:47, auch Arrom ebenda:37). Nur die Ignoranz
der frühen Chronisten hätte verhindert, dass wir heute nichts davon wüssten. Das ist
nun nicht überzeugend, zumal auch Highfield darauf verweisen muss, dass die Zah-
lenkenntnisse der Taino nicht über zwanzig hinausgingen, wovon die ersten vier Zah-
len durch die Berichte von Las Casas in Arawak bekannt sind (in Wilson dort-
selbst:168). Aber dies nur nebenbei und zur Veranschaulichung abstrakten Denkver-
mögens der Karibik-Indianer. Zurück zur Unvorstellbarkeit einer transatlantischen
anderen Welt.
Die Geschenke der Spanier waren vor diesem überirdischen Hintergrund für die
westindischen Autochthonen keineswegs nichts sagende Kleinigkeiten, sondern
„Gaben der Götter“. Insbesondere die roten Kappen (Betonung auf „rot“) und die
Glöckchen unterstützten den Glauben der Eingeborenen an die himmlische Her-
kunft der europäischen Seeleute (Rot - von den Samen der Roucou-Pflanze - be-
nutzten diese Indianer zur Körperbemalung, rot waren die Fäkalien der mythischen
Regenbogenschlange). Kurz - diese Fremden konnten in keinster Weise in die gesell-
schaftliche Realität der Taino eingeordnet werden. Die Spanier konnten für sie nichts
anderes als übernatürliche Wesen sein (s. hierzu ebenfalls Roget, in Wilson 1997:170).
144
Axel Schulze-Thulin: Ökonomische und soziopolitische Grundlagen
Vor diesem Hintergrund sind auch die indianischen Gegengeschenke zu beurteilen,
wie wir gleich noch sehen werden. Zunächst aber noch ein kurzer Blick in die my-
thische Welt rezenter südamerikanischer Indianer.
Der tief in der Psyche des Menschen verwurzelte Traum vom Fliegen (oder seine
Frustrationen über dieses Unvermögen), der uns mittlerweile bis an den Aufbruch in
die Weiten des Kosmos gebracht hat, war im vorwissenschaftlichen Zustand immer
wieder Grund genug, Vögel mit „Mythischem“ in Verbindung zu bringen. Zahlreich
sind daher die Verbindungen des Unerklärbaren mit Vögeln auch bei den amerika-
nischen Ureinwohnern, die besonders von Südamerikanisten unter den Ethnologen
wegen ihrer (verglichen mit der Lage, der sich Nordamerikanisten gegenübersehen)
zahlreichen direkten Kontakte zu indianischen Kulturen noch während des späten
19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts aufgezeichnet werden konnten. Zwei
literarische Beispiele seien herangezogen: Conklin (2001) schreibt über die Vorstel-
lungen amazonischer Gesellschaften zum Leben im Himmel und die Verwandlung
des Menschen in Vögel, die so vom Himmel auf die Erde fliegen können (243,245),
weiterhin dass die Menschen vom Himmel kommen und dort das Feuer gelassen
hätten (245), dass deshalb das Feuer aus Vögeln erlangt werden könne (ebenda) und
so weiter. Zerries berichtet im Hinblick auf den Federschmuck südamerikanischer
„Schamanen“ (Medizinmänner) über Vögel als Helfer dieser Heiler (1977:278), dass
Vögel selbst teilweise als Schamanen angesehen werden und Vogelfedern als Mittler
zum Jenseits fungieren (ebenda;279), ja dass die Federn des roten Ara (in Tapi Ara-
ra, Wallisch 2002:87, Anm. 148; tropischer Langschwanzpapagei) Attribute von Scha-
manen sind (weiterhin immer 1977:280), außerdem dass der Ara der Hauptvogel im
Schamanismus auch der Festland-Arawaken ist (308). dass Ara-Federn und Baum-
wolle bei der Anrufung von Vogelgeistern unentbehrlich sind (288), dass die genann-
ten Arawaken glauben, die Geister der Aras würden dem Medizinmann bei seiner
Arbeit helfen (284) und deshalb auch Ara-Federn bei der schamanistischen Kran-
kenheilung eingesetzt werden (281), wobei von Arawaken-Schamanen in Guayana
- wie auch bei anderen Ethnien - den Federn von lebenden Papageien besondere
Kraft beigemessen wird (291) und schließlich, dass Schamanen in Vogelgestalt Rei-
sen ins Jenseits unternehmen bzw. bei den erwähnten Arawaken der Königsgeier
diesen Reisenden beim Flug in den Himmel behilflich ist (308).
Auch bei den Kalino spielte das Fliegen - Medizinmann-Anwärter wurden mit Fe-
dern beklebt, so dass sie „fliegen“ können - innerhalb des Medizinmannwesens eine
Rolle (Rouse 1948[d]:562, Anm. 11). Als letzte Bemerkung zu diesem Bereich sei
noch einmal Zerries mit dem Mythologem „Himmelswesen bringen die Kulturpflan-
zen“ angeführt, das sowohl bei den arawakischen Tukano im nordwestlichen Amazo-
nien als auch bei den ostkaribischen Arapai sowie bei den Kalino (hier „Insel-Kara-
iben“ genannt) gegeben war (1969:119, Karte 2; vgl. hierzu ebenfalls die grundsätz-
liche Verehrung gerade des Papageis im Zusammenhang mit der Gestalt des mytho-
logischen Conel bei Stevens-Arroyo 1988:114 f, der sich auf Reichel-Dolmatoff und
Lévi-Strauss stützt). Dies alles zeigt beispielhaft an, welche zentrale Bedeutung
„dem Himmel“ bei den unseren karibischen Autochthonen kulturell Verwandten in
Südamerika zukam.
Der hier nur stichwortartig vorgetragene Zusammenhang zwischen Schamanismus/
Medizinmannwesen, Heilkunst, Reisen ins Jenseits (in den Himmel) und Vögeln/Fe-
dern weist uns darauf hin, dass die Indianer, die erstmals Europäer sahen, gar nicht
anders konnten, als die„vom Himmel gekommenen“ weißen Männern als Götter,
überirdische Wesen zu betrachten. So auch auf den Großen Antillen. Die Geschenke
der dortigen Indianer für die Spanier in Form von Papageien(federn) und (weißen!)
Baumwollballen hatten also einen tiefen Sinn und sind keineswegs, wie in der Lite-
ratur oft dargestellt, als Kuriosum anzusehen. Auch wenn der rote Ara für die Antil-
len ausfällt, sein Verbreitungsgebiet ist der Norden Südamerikas und Zentralameri-
ka, so kann es doch den Arasittich auf den Antillen gegeben haben. Er ist in Mexiko
und war im Südwesten der USA anzutreffen (Choudhury / White 1998:68). Beson-
ders bekannt ist der bis zu 30 cm große, so genannte Bahama-Papagei mit grünen
145
TRIBUS 55,2006
und weißen Kopffedern sowie zartrosa bis violetter Körpertönung, der heute nur
noch auf den Inseln Great Abaco und Inagua zu beobachten ist (Department of
Archives 1992). Zahlreich sind die Berichte früher Chronisten, unter ihnen auch
Christoph Kolumbus, in denen auf Papageien als Haustiere und Jagdbeute hingewie-
sen wird (s. 1.2.2.). Auf den genuesischen Seefahrer soll der Ausruf am 21. Oktober
1492 vor der Bahama-Insel Long Island zurückgehen: „Die Schwärme von Papa-
geien verdunkeln die Sonne“ (Taviani 1991:112). Auch auf die Verarbeitung von Pa-
pageienbälgen zu Kaziken-Umhängen als besonderes hoheitliches Zeichen wird in
der einschlägigen Literatur immer wieder verwiesen (beispielsweise Taylor, in Bercht
et al. 1997:42). Die indianischen Papageiengeschenke waren demnach geistig wert-
volle Gaben, sozusagen gute Geister, was durch die Baumwollgeschenke sicherlich
noch unterstrichen wurde, kommt der Farbe Weiß (wenn das Baumwollgarn der In-
dianer auch nicht blütenweiß gewesen sein dürfte) im südamerikanischen Schama-
nismus/Medizinmannwesen doch große Bedeutung zu. Es ist nicht abwegig anzuneh-
men, dass Christoph Kolumbus zunächst als eine Art Superschamane betrachtet
wurde. Wahrscheinlich trug die “weiße“ Haut der Spanier nach der ersten Verwun-
derung über den „Besuch vom Himmel“ auch noch zusätzlich zur mythischen Ver-
klärung der Europäer bei.
Dazu trat natürlich die grundsätzliche Gastfreundschaft der Taino. Um wie viel mehr
wollten die Indianer diese „himmlischen Gäste“ durch freundliches, entgegenkom-
mendes Verhalten ehren! Gastgeber war bei hohem Besuch immer der jeweilige Ka-
zike. Er bewirtete den Gast in seinem Haus, was so weit gehen konnte, dass er ihm
eine seiner Frauen für Sex anbot. Besondere Freundschaftsbezeugungen wurden
durch Handauflegen auf den Kopf. Geschenke und das Angebot des gegenseitigen
Namenstausches angezeigt. Eine weitere Versicherung von Verbundenheit war es,
wenn Feste zu Ehren des Gastes veranstaltet wurden, auf denen Frauen des Kaziken
tanzten und Gladiatorenkämpfe mit teilweiser Todesfolge stattfanden (Lovén be-
richtet in 1924:314 unter Berufung auf Las Casas von „Gladiatorenspielen zwischen
zwei Abteilungen Bogenschützen“, die zum Vergnügen des Kolumbus-Bruders Bar-
tolomé auf Geheiß des Behechio aufgeführt wurden; der Genannte war zu dieser
Zeit Oberkazike des im Osten der südwestlichen Halbinsel des heutigen Staates Ha-
iti gelegenen Territoriums Xaragua bzw. Jaragua und Bruder der berühmten Anaca-
ona [s. unter 2.1.2.]; allgemein zu solchen Spielen s. Rouse 1948[cj:530). Veranstaltun-
gen dieser martialischen Art werden allerdings in der sonstigen Literatur für die
Taino bestritten. Was den erwähnten Namenstausch anbelangt, ist es durchaus mög-
lich, dass Christoph Kolumbus, der diesen Brauch aus eigener Erfahrung sicherlich
kannte, ihn bei seinem Lieblingsdolmetscher anwandte, der ja den Spanischen Na-
men Colon erhalten hatte.
Welche schreckliche Erfahrung mussten die Taino schon nach kurzer Zeit mit den
ersten Europäern machen! Wie schnell sollte sich ihre Verehrung der „weißen Göt-
ter“ als schrecklicher Irrtum heraussteilen! Mord und Ausbeutung durch europä-
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und dessen Beziehung zur Vogelwelt. In: Paideuma, Bd. XXIII. Stuttgart.
Bedanken möchte ich mich
bei denjenigen, die schon im ersten TRIBUS-Artikel über die Taino und Kalino
(Schulze-Thulin 2005) an entsprechender Stelle genannt wurden, denn natürlich ha-
ben sie alle in irgendeiner Weise auch Anteil am Zustandekommen dieses vorlie-
genden Beitrages. Darüber hinaus sind die Museen für Völkerkunde München und
Basel zu nennen. Ersteres gewährte mir in der Bibliothek (Elisabeth Rittler) freund-
liches Gastrecht, und das Museum der Kulturen in Basel (durch Vermittlung von
Alexander Brust M.A.. Amerika-Abteilung) erlaubte die Wiedergabe verschiedener
Zeichnungen aus einer Baseler Publikation.
Summary
This is the second part of a paper mainly dealing with the material substance of the
Caribbean Taino and Calino cultures around 1500 AD with plenty of information
based on research conclusions in historical, ethnological, archaeological, sociological
and economic sciences. Primarily there is the native Caribbean in contrast with the
European world, i.e. the Spanish with the Genuese Christopher Columbus in the
center and his conquering successors ending in the first American holocaust. When
archaeological results in Caribbean diggings cannot be helpful getting insight in cul-
tural background anymore, ethnological analogies in South American especially
Amazonian and Guinean recent tribal life must bring support. After years of serious
153
TRIBUS 55,2006
research all this and beyond with new insights and some revisions of preceding eth-
nohistorical accounts is realized by the author who is a museum’s ethnologist with
archaeological knowledge and a doctor’s degree in social and economic sciences.
With its comprehensive informations this article together with the first one in TRI-
BUS 2005 will be one first step to the new German ethnoarchaeological Caribbean
studies.
Resumen
Esta es la segunda parte del papel tratando la sustancia material de las culturas cari-
be Taino y Calino alrededor de 1500 AD. Se basa en conclusiones de investigaciones
en las sciencias historia, etnología, archaeología, sociología y economía. En primer
lugar hay el indígena caribe en contraposición al mundo europeo que quiere decir al
mundo español con el genovés Christóbal Colón en el centro y sus sucesores con-
quistadores acabando en el primer holocausto americano. Si los resultados archaeo-
lógicos de excavaciones en el Caribe ya no pueden ayudar a informarse sobre la base
cultural, analogías etnológicas en América del Sur, especialmente de la vida actual de
los tribus en la Amazonia y Guinea pueden ofrecer ayuda. Después de muchos años
de investigaciones esto es realizado por el autor que es etnólogo de un museo y tiene
conocimientos archaeológicos y además el doctorado en las sciencias sociales y
económicas. Ofrece nuevas ideas y algunas revisiones de declaraciones etnohistóri-
cos precedentes. Con su información comprensiva junto con la primera parte en TRI-
BUS 2005 este artículo es el primer paso a los nuevos estudios etno-archaeológicos
caribeños.
Anschrift des Verfassers
Author’s address
Dr. Axel Schulze-Thulin
Franz-Liszt-Str. 3
D-85391 Allershausen
Germany
E-Mail: schu-thu@t-online.de
154
Christine Stelzig: Africa is a sphinx
CHRISTINE STELZIG
“Africa is a sphinx - once she’s taken hold of you,
she won’t let go so easily.”1
The Officer and Collector Hans Glauning
If ones leafs through exhibition catalogues on traditional themes of African Art or
through the guides of the African departments of ethnographic museums, the blatant
disproportion between the information about the objects themselves and that con-
cerning the personalities of their “primary” collectors becomes apparent. In this case,
the people referred to are those who compiled the objects directly in Africa, prima-
rily during the “classical era” of ethnographical collecting between c. 1870 and 1920.2
For the most part, the information is limited to the names of the collectors and the
precise or approximate year of collecting, or for example an object’s transfer into the
museum collection,3 if these details are mentioned at all.4 It often seems as if ethno-
graphic objects have successfully managed to come into the museums of the western
metropolises literally out of nowhere: The personalities of the collectors nearly com-
pletely disappear behind the objects and somehow become subjected to a fate simi-
lar to that of their creators, who in most cases are not known by name. Only occasio-
nally, in individual studies about well-known ethnographers, as for example in John
Mack’s publication on Emil Torday (Mack 1991),5 in publications on the biography
of an object, like Christraud Geary’s work on a sculpture from the kingdom of Ba-
mum (Geary 1994), which is connected with the German colonial officer Hans Glau-
ning (fig. 1) and Ute Roschenthaler's study on the biography of “Bakundu Fetisches”
collected by Max Esser (Rbschenthaler 1999a, b),6 or finally in articles on collecting
expeditions, like that of the American Museum of Natural History in the Belgian
Congo in 1914, are the personalities of the collectors introduced (Schildkrout and
Keim 1990).7 This disproportion lies in the priorities laid down by the exhibition and
museum curators at the time, who wished to place the object, its charisma and its
earlier socio-cultural context into the forefront, but not the collector or any of the
conditions of an object’s acquisition. Tire latter, in particular, still often represents a
“hot potato” in the ground work of the past in each museum’s history and the present
analysis between the former colonizers and those colonized, as is shown for example
in the occasionally inflamed discussions surrounding the legal assessment of the ac-
quisition of the Benin bronzes by British troops in 1897 and the legality of their re-
maining in western museums (see Stelzig 2004:318-321). Frequently, this results from
1 Hans Glauning (see Kohlschütter, cited in Langheld 1910:11).
2 The term “compiled” should be taken for granted here, regardless of the conditions of the
acquisition, which is to say. whether through purchase, exchange, gift or theft.
3 See for example Agthe 1983, Schmalenbach 1988, Beumers and Koloß 1992, Perrois 1994,
Verswijver et ah, 1996, Kecskési 1999, Hahner-Herzog 1999, Koloß 1999 and Ethnologisches
Museum 2003.
4 See for example Northern 1973,1984. Forkl 1989, Boccola 1994 and Phillips 1995.
5 The publication appeared in conjunction with an exhibition about the Hungarian ethnogra-
pher Emil Torday (1875-1931) and the works of art he compiled from the former Belgian Con-
go, now located at the British Museum.
6 See also Chilver and Rbschenthaler 2001.
7 Certainly, more recent research, which has increasingly concerned itself with the history of
collecting in colonial context, has also devoted more space to collectors. This can be seen, for
example, in Michael O'Hanlon and Robert L. Welsch, eds., “Hunting the Gatherers. Ethno-
graphic Collectors, Agents and Agency in Melanesia, 1870s-1930s”(2000) as well as in the study
“Collecting Colonialism. Material Culture and Colonial Change” (2001) by Chris Gosden and
Chantal Knowles.
TRIBUS 55,2006
Fig. 1: Hans Glauning, 1904
156
Christine Stelzig: Africa is a sphinx
the conditions that the museum documentation on early collecting history of ethno-
graphic objects is often extremely meager or non-existent and the source material
concerning many collectors’ biographies is not particularly rich. Corresponding re-
search is therefore often laborious and time-consuming; in short, it may not seem to
be worth the effort. With regard to the German collecting activities in Africa in the
19th and early 20th centuries, this disinterest about the “primary” collectors is never-
theless regrettable, because even those who could have attracted enough attention,
on the grounds of their military backgrounds, as well as the existing manuscripts and
publications, have not received it. One such collector was Hans Glauning, who was
assessed in detail for the first time in the above-mentioned study by Geary, and brief-
ly in a study on the formal innovation in Chamba statuary by Pardon and Stelzig,8 but
who has not received further consideration since then. Nevertheless, not only did
Glauning play a considerable role in building the outstanding collections of African
Art from the Cameroon Grassfields, which are located primarily at the Ethnolo-
gisches Museum in Berlin and at the Linden-Museum Stuttgart today, but also in
museums in Dresden, Frankfurt am Main, Geneva and Washington, D.C.9 Addition-
ally, Glauning is thought to have had what, for a German colonial officer at that time,
is considered to be an unusual relationship to an African ruler - King Njoya from
Bamum - apparently marked by respect, sympathy and admiration. He was repea-
tedly characterized as Njoya’s friend, and in one case even as his good friend.10 Sti-
mulated by Geary’s remarks and continuing to build upon them. I would therefore
like to place Hans Glauning anew before the background of his collecting activities
Fig. 2: Mandu yenu, royal throne, Ba-
mum. Cameroon, 19th century.
Wood, glass, cowry shells, fabric;
height 175 cm. Ethnologisches Mu-
seum Berlin, inv. no. Ill C 33341a, b
8 See Pardon and Stelzig 2005:57-63.
9 The Museum für Völkerkunde in Berlin was officially renamed the Ethnologisches Museum
on January 1, 2000. In order to avoid confusion, I will hereafter use the terms Museum für
Völkerkunde and/or ethnographic museum.
10 Geary and Njoya 1985:168, Harter 1988:193, Knecht Oti-Amoako 1994:179, Geary 1994:23-
25, Perrois 1994:44.
157
TRIBUS 55,2006
in Cameroon and Nigeria for the ethnological museums in Berlin and Stuttgart. The
object and the primary collector are forever connected to one another from the mo-
ment of the object’s appropriation and by the acknowledgement of its receipt as part
of the museum collection. Among other things, the art historical importance of
Glauning’s collection - to which belong such well-known objects as King Njoya’s
throne, mandu yenu, from Bamum (Berlin, fig. 2), the male figure with cola nut bowl
from Bamum (Frankfurt am Main, fig. 3), the caryatid figure from Bangulap (Stutt-
gart, fig. 4), and a male sculpture from Bamum (Washington, D.C., fig. 17) - seem to
suggest this.
Fig. 3: Male figure with a bowl for
cola nuts or camwood powder, Ba-
ham. Cameroon, 19th century. Wood,
glass, plant fibres; height 97.5 cm. Mu-
seum der Weltkulturen Frankfurt am
Main, inv. no. NS 29720. The object
once belonged to the Museum of
Ethnography in Berlin, which gave it
in exchange to the influential art dea-
ler Arthur Speyer in 1929. The Muse-
um of Ethnography in Frankfurt ac-
quired it from Speyer in October
1934. Von Luschan had published the
figure in 1908, with the words: “As an
example of the often grotesque style
of this peculiar art form [from the Ca-
meroon Grassfields, CS], we have an
illustration of a figure carrying a bowl,
carved from one piece of wood and
completely covered with cloth, onto
which red and white pearls have been
sewn, forming a rhombus and triangle
pattern. The figure is depicted as sit-
ting on a high stool and its head,
which is turned nearly 90°, and its excessively long upper arms are especially notewor-
thy” (von Luschan 1908c:87-88; see Northern 1973:58, Stelzig 2004:263-265).
Fig. 4: Caryatid figure, Bangulap,
Southern Bamenda. Cameroon, 19th
century. Wood; height 33 cm. Linden-
Museum Stuttgart, Staatliches Muse-
um für Völkerkunde, inv. no. 47106
158
Christine Stelzig; Africa is a sphinx
A Biographical Outline
Hans Franz Ludwig Heinrich Wilhelm Glauning was born in Berlin on January 29,
1868, as the second of five children to a middle-class, Lutheran businessman’s family.11 12
In 1865, his father, Julius Johannes Glauning (1834-1904), married Luise Julie Emma
von HoBlin (1838-1894), who came from an influential, patrician family in Augsburg.
Shortly after Hans’ birth, his father took up the position as the business director at the
snuff factory Lotzbeck & Co. in Augsburg (fig. 5).12 The HoBlin Family can be traced
back to the 17th century. In 1690, Bartholomaus HoBlin, a goldsmith, founded a trading
house, which delivered works of Augsburg fine silver and gold to the European royal
courts and which, in addition to the foreign trade, was also active in banking.13 The fa-
mily soon achieved a rise in social status through an appointment to the “Imperial and
Royal Court Jeweler” of the Viennese royal court, which led to their nobility and ad-
mittance into the aristocracy in 1697, and was followed by the establishment of branch
offices in Vienna, Venice, Trieste, Dresden, Leipzig, Warsaw and St. Petersburg (Griin-
steudel 1998:508). By contrast, the Glauning Family came from Nordlingen, where the
name Glauning can be documented as early as the 16th century.14 By the beginning of
the 19th century, they had advanced socially from the craftsmen’s field as master car-
Fig. 5: Group photograph of the Glauning Family, c. 1890. From left to right: Her-
mann, Rudolf, their mother Emma, Hans, Martha, their father Julius and Friedrich.
11 The other siblings were Friedrich Oskar Ludwig Rudolf Gustav, known as Fritz (1867-1907),
Hermann Andreas Oskar (1872-1933), Martha Josefine Theodora (1874-1914) and Ludwig Ru-
dolf (1878-1940), (verbal communication, H. Schmidt-Bäumler, March 12, 2004). A further
brother, Arthur Georg Ludwig Theodor Otto, died in May 1871, at the age of six months (Stadt-
archiv Augsburg, “Familienbogen Glauning,” data on the family, unpaginated).
12 The move to Augsburg must have taken place between November 1870 and May 1871 (Stadt-
archiv Augsburg,“Familienbogen Glauning,” unpaginaled).
13 Bartholomäus Hößlin (1659-1704) originated from Lindau, but moved to Augsburg in 1688.
He received important commissions from the Saxon king, August the Strong. In 1731, King
Frederick William 1 of Prussia and Crown Prince Frederick expressly travelled to Augsburg, in
order to confer a large commission for table silver upon the Hößlin family.
14 In 1560, a Hans Glauning was noted as a resident of the city of Nordlingen (written com-
munication, Stadtarchiv Nordlingen, March 11, 2005). An Anna Glauningin, called “thimble,”
was mentioned in connection with a witch trial in 1593. She was accused of witchcraft, interro-
gated from April to August of 1593, tortured and burnt at the stake on August 14,1593 (machine
made copy of the interrogation record, undated, in the possession of H. Schmidt-Bäumler.
However, the descendants of the Glauning family no longer know where the copy originated,
or by whom or when it was produced, and further research is still required).
159
TRIBUS 55.2006
penters into the higher ranks of teachers and government officials. Hans’ grandfather
held the position of the city choirmaster in Nördlingen (Glauning, Heinr. 1909:3).
Although little is known about Hans’ childhood and youth, he is believed to have had
a happy childhood (Langheld 1910:1, Glauning, F. 1934: unpaginated). After attending
the St. Anna Gymnasium in Augsburg, in 1887 he joined the royal Sächsische Pionier-
Bataillon No. 12 in Dresden as an ensign, where he was promoted to lieutenant in 1889
and to first lieutenant in 1894.15 During this time, in addition to his military training, he
also completed training for colonial administrative service at the Orientalisches Semi-
nar (Oriental Seminar) in Berlin and took courses in engineering (Langheld 1910:5,15).
In November 1894, Glauning was transferred to the “Schutztruppe” for German East
Africa (Glauning, L.T908). Initially employed as a company officer in Kilwa,in 1895 he
accompanied Lothar von Trotha, a first lieutenant, in a military campaign against the
Arabian slave trader Hassan ben Omari. As a result of his “passing the test” in these
battles, Glauning was appointed director of the Mpapua Military Station, from where
he undertook further punitive expeditions in 1896 (Glauning 1896). For several weeks
in the same year, under orders from Captain Tom von Prince, he followed the leader of
the rebellious Wahehe, Chief Mkwawa, who brought about the most severe defeat of
the German colonial troops in 1891, and who was declared to be an “enemy of the
state,”16 without his having ever being captured.17
On one of the first trips home, probably in 1897,18 Glauning undertook instruction in
astronomy at the observatory in Potsdam, near Berlin, in order to acquire the necessa-
ry skills for cartographic surveying. It is possible that for this reason he was appointed
a member of the German-British commission for surveying the border between the
former Lake Nyasa (Lake Malawi today) and Lake Tanganyika in 1898.19 20 Subsequent-
ly, from 1899 to 1900, he undertook the so-called Pendular Expedition together with
Ernst Kohlschütter, on a commission from the Kaiserliche Gesellschaft der Wissen-
schaften zu Göttingen (Royal Society of Sciences in Göttingen) (Glauning 1900a).2(1 In
1900, Glauning was transferred to Cameroon, but he first began his service at the be-
15 With the exception of Hans, only his brother Ludwig Rudolf chose a career as a professional
officer. Following an accident, however, he was relieved of military service and took over as
director of a women’s prison in Stollberg in the service of the law. Fritz Glauning was employed
as a district court judge in Meißen; Hermann was a businessman in Plauen. His sister Martha
was a homemaker. One of Hans Glauning’s nephews, the only son of his brother Hermann, was
named after him. This Hans Glauning belonged to the founding members of a National Social-
ist German student organization called the Nationalsozialistischer Deutscher Studentenbund
(NSDStB) and was appointed the leader of the German fraternities in February 1935. During
the Third Reich, he made a career as a lawyer (verbal communication, H. Schmidt-Bäumler,
March 12,2004; see also Schmidt-Bäumler 1939).
16 Baer and Schröter 2001:15. See also Glauning 1898a.
17 Through his choice of words, Langheld gives the impression that Glauning also participated
in the final suppression of the revolt, which ended with Mkwawa’s suicide on July 19,1898. It is
based, however, around a belated attempt of having Glauning have a share in what for the
Germans was the “positive” result of hunting down Mkwawa (Langheld 1910:5).
18 Glauning was in Germany in August 1897. Further trips home, which sometimes lasted several
months, took place in the years 1900,1902-1903 (beginning at year’s end), 1904 as well as 1906—
1907 (beginning at year’s end) (Glauning 1897,1900b-c, 1902b-c, g, 1904a-c, 1906e-f, 1907b).
19 The expedition took place from April to December in 1898 (Schnee 1920,1:752ff.).
20 The expedition took place from December 1899 to May 1900 and led straight across the Ger-
man East African protectorate, from Lake Nyasa to Lake Tanganyika and further through
Tabora to the East African Rift Valley, and then through the Kilimanjaro and the Usambara
Mountains to the coast of the Indian Ocean near Pangani. The goal of this geophysical and
geodetical expedition was to gather knowledge about the composition and the thickness of the
Earth’s crust as well as the Earth’s formation, by means of its oscillating movements. Apart
from the geophysical findings of the expedition, it also brought about extensive cartographic
recordings. Ernst Kohlschütter (1870-1942) was a professor and a lecturer for geodesy and
navigation at the Berlin University and held a position as the scientific director of the expedi-
tion, while Glauning coordinated the military and organizational direction (Langheld 1910:5,
Schnee 1920,11:316 and 111:31. See also Demhardt 2000:159-161).
160
Christine Stelzig: Africa is a sphinx
ginning of 1901 following a trip home, which he had used in Berlin to acquire training
in Hausa and English, as well as in the use of machine guns (Glauning 1900b, d-f, An-
kermann 1901). Glauning’s promotion to captain was connected to his transfer.21 After
his arrival in Cameroon, Glauning initially directed the Nssakpe Military Station on
the border to Nigeria, before he founded the Abokum Military Station on the Cross
River in the fall of 1901, which he directed until the end of the year (Glauning 1901e-f,
1902d). In 1902, Glauning took part in the Lake Chad Expedition, which served the
exploration of the border area of the German-British territories in Cameroon and
Nigeria. During its course, punitive action was also taken against the rebellious Bang-
wa, Bafut and Bandeng in the Cameroon Grassfields at the same time, in order to be-
latedly avenge the defeat of Eugen Zintgraff, an explorer in Africa.22 Glauning was
slightly wounded during the skirmishes, but he subsequently directed the German sec-
tion of the German-British border regulation commission between Yola and Lake
Chad from 1903 to 1904 (Glauning 1902a, f,see also Demhardt 2000:134-135).23 There-
by, he was not only able “to spur the participants of the expedition on to profitable
work in a tremendous way, but also to maintain an excellent relationship with the Eng-
lish gentlemen” (Langheld 1910:7).24This was followed in 1905 by Glauning’s appoint-
ment as the leader of the 2nd company of the Schutztruppe and as the director of the
Bamenda Military Station in the northwest of the Cameroon Grassfields (anonymous
1908c:10). At the beginning of 1906, Glauning took over the leadership of a military
campaign against the Ngute, which was followed by a punitive expedition against the
Nso. King Njoya of Bamum, whose kingdom belonged to the administrative district of
Bamenda, also participated in this expedition. In the following year Glauning partici-
pated - with interruptions - in the German-British expedition to lay out the border
between Yola and the Cross River.25 In mid-October 1907, the 4th and 6th, as well as
21 Glauning’s appointment to captain occurred on March 21,1901, but he first received the pat-
ent of promotion in 1902 (Glauning 1901 f, Langheld 1910:6).
22 Eugen Zintgraff (1858-1897) was the first German explorer in Africa to reach the Cameroon
Grassfields in January 1889. He founded the Baliburg Military Station in the kingdom of Bali.
In 1890, four of Zintgraff’s team fell victim in a skirmish against the Bandeng (Schnee 1920,
111:753).
23 The expedition took place from January 1903 to June 1904 (Schnee 1920,1;752ff.).
24 Glauning, himself, was particularly benevolent in his judgments of the British, at least before
the beginning of their common surveying work. He was evidently quite pleased that during a
stopover in London the German participants of the expedition were asked to join the British
commissioner of the “United Service Club” and his party, and he reported to the director of the
Völkerkundemuseum in Stuttgart, Graf von Linden: “I can only say that the relationship to our
English fellow passengers, officers for the most part, was the very best possible. We celebrated
the Kaiser’s birthday on board the steamship with the assistance of all the passengers.” (Glaun-
ing 1903; he was referring to the crossing from London to Forcados, a wide creek branching to
the west of the Niger River, which is relevant because of its rough waterway passage from La-
gos). However, over time Glauning revised his opinion and wrote to Graf von Linden two years
later: “Considering the experiences I have collected. I can only confirm what your own high-
born write about the English. The Englishman is very kind as a host, pleasant and obliging and
hospitable in his dealings with others, selfish and dogmatic, if not arrogant in comparison, when
it concerns the interests of his homeland. ’Right or wrong - my country.’ One cannot actually
reproach the Englishman for this. His national consciousness is much better trained than ours.
Incidentally, once one gets to know this English manner, then it is not so difficult to stand up to
it. If one shows them the same resoluteness and acuity, then they very quickly display a different
character. Based on this, and as long as we continue to stand up to English inconsiderateness by
being equally inconsiderate, then we have settled our differences and can work peacefully side
by side without further clashes, or at least I hope so.” Glauning’s German, nationalistic pro-
clivities, about which he made no secret, are clearly emphasized here: “Your news about the
Reichstag elections from Württemberg was the first that I received here at all. It was unfortu-
nately foreseeable that the social democrats and the center would profit the most from the
elections in the entire Empire” (Glauning 1905d).
25 The expedition took place from July 1907 to May 1909, but was interrupted during the rainy
season in 1908 (Langheld 1910:7, Schnee 1920,1:752ff.).
161
TRIBUS 55,2006
Glauning’s 2nd company were instructed to support the surveying team in the realiza-
tion of their work, which meant to break down any resistance of the indigenous popu-
lation if necessary. This opportunity was to be used above all to bring the border area
located to the northeast of the Cross River under German rule. In mid-February 1908,
the companies devoted themselves to the southern area of the “Muntschi”26 (the desi-
gnation refers to theTiv), which is part of Nigeria near the border to Cameroon today,
but which in colonial times was also part of the German sector due to the former Ger-
man-British border.TheTiv were considered to be an extremely warlike “pagan tribe”
and were armed in part with firearms, which meant that they could face the Germans
with nearly the same weapons. They repeatedly attacked Glauning’s company, who
were advancing from the west, and “excellent training and strict discipline” alone were
responsible for securing the victory of the troop (Langheld 1910:7-8). Hans Glauning
died from a rifle bullet on March 5,1908, during the pursuit of the retreating Tiv near
Atscho (today Atteri, Nigeria). In his letter of condolence to Glauning’s family. Major
Puder described the circumstances:
On the warpath for weeks, until now it has been impossible to bring the blacks to
battle. Finally, on March 5th in the countryside of Atscho on the German-British
border, we found an occupied hill, and it appeared as if the blacks wanted to hold
their ground. Your dear brother took the hill from three sides and was personal-
ly involved on the chase down the hill along the valley, because the blacks did not
allow it to come to an attack, which was quite difficult to see through the high
grass and dense bush. He was killed by a muzzle-loader fired at close range from
the high grass, the bullet penetrating his head above the ear.27 28
Apparently, Glauning’s death was immediate and painless. Only one day before,
Glauning had commented at the burial of a fallen companion: “A fine, enviable
death” (Glauning, cited in Langheld 1910:8). Glauning’s body was brought to Ba-
menda and laid to rest there with military honors (fig. 6).2lS Hans Glauning never
married and died childless. His family had a commemorative plaque put up at the
Pionierkaserne in Dresden, the former military barracks, which is one of the few
historical buildings that still exist in that city today. Nevertheless, the plaque’s current
whereabouts are not known (Langheld 1910:8,14). Lake Ndue in Cameroon, which
Glauning “discovered,” is supposedly named after him (Glauning, Heinr. 1909:15).29
The Officer
Neither Glauning’s diaries, nor the letters that he wrote to his family, are still in exist-
ence.30 His descendants know of him through various accounts, but the information
that has been handed down is too scant and vague in order to be drawn upon as par-
26 Also known in the literature as Munshi or Mitshi.
27 Puder, cited in Langheld 1910:8.
28 Glauning’s “little things,” in which presumably his toiletries, as well as a portion of his used
articles of clothing are meant, were distributed among the soldiers of the camp “in his memory.”
Whether only Europeans benefited or if Africans were also included, is not known (Adametz,
cited in Langheld 1910:10-11).
29 Glauning described the lake with the words: “Aside from Lake Mauwe (at 2300 meters.
Mount Oku) already known and Lake Ndue (at 1200-1400 meters near Njos, Bafum), yet a
third lake was discovered between Kuk and Me at a height of 1400 meters. Its name is Lake
Ndue (the same as the lake located near Njos), which means the ‘lake of God.’ The newly dis-
covered lake is approximately 600 meters long and equally wide, without visible influx and
drainage” (Glauning 1908a:68).The reference book Deutsches Kolonial-Lexikon differentiates
between the Great and the Small Lake Ndue, but does not mention a renaming of the latter into
“Lake Glauning” (Schnee 1920,11:391-392; III:638f£).
30 Glauning himself informs us that he wrote diaries, and Langheld also referred to them: “His
diaries, conscientiously carried out through the many years, in good as well as in bad times, in
war-time as well as in peace, contain a wealth of highly interesting notes for science” (Langheld
1910:14, Glauning 1898a:66).
162
Christine Stelzig: Africa is a sphinx
Fig. 6: Glauning’s gravesite in Bamenda, 1908. The text upon his headstone reads:
“Hans Glauning Captain and company commander in the royal Schutztruppe 1884-
1908. Born January 29,1868, killed in action March 5,1908”. Glauning's family may
have commissioned the photograph. In 1934, the palms in the background led Fritz
Glauning to commemorate his brother with the following words; “I see other graves.
Africa’s palms sprout up around the grave of a hero” (Glauning, F. 1934:unpagina-
ted). In 1971, the grave was still in existence.
ticulars in sketching out his personality. General impressions of Glauning can be
gathered from the commemorative speech31 of his fellow officer Wilhelm Langheld,32
as well as from diverse messages of condolence33 to his family, which Langheld also
cited. They all come out of the military colonial environment and emphasize
Glauning’s great merits through the execution of his duties and his enthusiasm for
service in Africa. The fallen companion, who was held to be a soldier in body and
soul, was remembered in lofty praise. According to this characterization, Glauning
was considered to be a likeable, energetic and exceedingly competent officer. He was
31 A complete copy of Langheld’s commemorative speech can be found at the Linden-Museum
in Stuttgart. Langheld held the speech on December 14,1910 in Dresden before members of the
Kolonial-Gesellschaft. Accordingly, Langheld had met Glauning 18 years before, when Glaun-
ing had offered to work for him through an undertaking in Africa, but which Langheld had to
decline due to the lack of an appropriate position. About two years later, Glauning’s “fervent”
desire to be able to go to Africa was finally fulfilled (Langheld 1910:2).
32 Wilhelm (“Wassy”) Langheld (1867-1913) was likewise initially stationed in German East
Africa, where he participated in various expeditions of the Reichskommissar for German East
Africa, Hermann von Wissmann, and accompanied the expedition of Emin Pascha to Lake
Victoria in 1890. According to his own accounts, Langheld founded the Bukoba and Muanza
Military Stations on Lake Victoria and directed the Tabora Military Station. In 1900, he was
transferred to the Schutztruppe in Cameroon, where he was employed, among other positions,
as the district official of Edea as well as the government agent for Adamaua and Bornu (ano-
nymous 1910:17, Schnee 1920,11:440).
33 It ought to be borne in mind that expressions of condolences invariably represent a basic
source problem and should be considered with caution, because they mostly represent the de-
ceased in an exaggeratedly positive light.
163
TRIBUS 55,2006
admired and appreciated by companions, subordinates and superiors, because he un-
derstood how to win over everyone, each in his own way. He was considered to be a
“golden, splendid man without evil or deceit,” a “calm, still and unpretentious” wor-
king captain, “so natural, never one to make a big issue of things, so genuine and
loyal, a complete man in his entire being” (Langheld 1910:2). Well-versed in the mi-
litary, strategically clever, and moreover self-sacrificing and reliable, he was thought
to be empowered at the same time with “outstanding scholarly talents,” and was
likewise a man with an “indestructible humor” and “enormous kindheartedness”
(Langheld 1910:15). The indigenous population is reported to have honored him as a
strict, but righteous and sympathetic gentleman. Glauning was considered the kind
of person “whom God created while in his holiday mood” (Langheld 1910:13-14).
Even though these eulogies mirror the social and military conventions of that time
- of the German soldier fallen in a heroic battle against African “heathens” - never-
theless, it is plain to see that Glauning was well-liked and respected. The Africans
also expressed their condolences. For instance, the ruler of the kingdom of Bali in the
Cameroon Grassfields sent his soldiers to fire three rounds of ammunition in order
to pay Glauning their final respects (Langheld 1910:13). In the same month. King
Njoya from Bamum sent a life-sized, sculpture covered with pearls to Bamenda as an
expression of his esteem and sorrow, so that it might either be placed upon Glauning’s
grave or given to his family.34 And finally, Bernhard Ankermann35 reported to his
superior Felix von Luschan36 that the whites and the “natives” equally mourned
Glauning’s death. Ankermann was the first scholar from the Museum für Völkerkun-
de in Berlin, who undertook a collecting and research tour in the Cameroon Grass-
fields from 1907 to 1909, and for whom Glauning’s assistance had been commen-
ded.37 He had been staying at the missionary outpost in Bali, where, however, the
news of Glauning’s death first reached him a week later through a courier from Ba-
menda (Ankermann 1908b).
Indications of Glauning’s activities as an officer and his personality can be assembled
from the terse, monthly station reports, which were sent to the royal government in
Dar es Salaam as well as to Buea.The reports were either written by Glauning, on his
behalf, or by third parties and were treated in the factual reporting style of the admi-
nistrative and military concerns of the Schutztruppe (see for example Glauning
1906f, Mueller 1906a-c, Knake 1906). More detailed insights can be gained from
34 The figure concerned, which is located at the National Museum of African Art in Washing-
ton, D.C. today, was the same one described by Geary in the above-mentioned, detailed study
on the biography of an object.
35 Bernhard Ankermann (1859-1943) had worked in the African department of the Museum
für Völkerkunde in Berlin since 1896, and most likely knew Glauning personally (see Stelzig
2004:121ff.). Numerous of Glauning’s collections were inventoried by him. In a letter to Glaun-
ing, dated August 19,1907, Ankermann announced his arrival in the Cameroon Grassfields with
the remark that the district under Glauning’s authority was the particular goal of his research
trip (Ankermann 1907).
36 Felix von Luschan (1854-1924) directed the African-Oceanic department of the Museum für
Völkerkunde in Berlin from 1885-1910 (see Stelzig 2004, particularly 82—120).
37 Felix von Luschan believed the exploration of the Cameroon Grassfields to be more urgent
than all the other regions, because the two great African language families, the “Sudan lan-
guages” in the north and the “Bantu languages” in the south seemed to collide there and that
diverse cultures intersected as a result (Stelzig 2004:128-142). As early as 1903, on the occasion
of the presentation of two sculptures from the Grassfields, von Luschan had pronounced: “Both
woodcarvings are to be viewed as portraits, but a degree of certainty can first be assured when
we are finally in a position to send an ethnographically well-schooled traveler for longer stays
to western Sudan, who has no other duties but the ethnographical alone” (von Luschan
1903a:430). In 1907, he expressed his hope that he expected much from the work of Anker-
mann, who would be expanding Glauning’s work in certain points (von Luschan 1907b).
164
Christine Stelzig: Africa is a sphinx
Glauning’s five publications, which all appeared in colonial journals.38 In these he
reported in a matter-of-fact, yet personal style, about his participation in the scholar-
ly oriented Pendular Expedition, as well as his military undertakings in German East
Africa and Cameroon. Finally, the foreword and Glauning’s accompanying commen-
tary to his translation of the small book Hints for a Bush Campaign (Winke fur Ex-
peditionen im afrikanischen Busch) by Arthur Forbes Montanaro also provides clues
to Glauning’s personality.39 The military station reports and publications make clear
that, as a member of the Schutztruppe in German East Africa and Cameroon, Glau-
ning unconditionally stood behind the colonial endeavors of Germany and the me-
thods for asserting its goals. He upheld the validity “of preparing an end to untenab-
le conditions [uprisings; CS],” to completely subdue the rebellious Africans characte-
rized as the “enemy” or even “to clean out” entire areas and to proceed strategically
in order to break “the enemy resistance more quickly and with a lasting effect.”40
While “German friendly” chiefs were rewarded with the presentation of “a writ of
protection and the flag” as well as gifts, and were characterized as wise, Glauning
attempted to break the resistance of Africans “hostile to the Germans”41 through
punitive measures. Thus, among other things, he ordered the burning of villages and
the confiscation of livestock, took part in the prison sentencing and the hangings of
those sentenced to death (Glauning 1896:708), and took the killing of the indigenous
population itself for granted, if their rebelliousness led to even comparatively mild
injuries among the Schutztruppe.42 If, however, the destruction of the villages was not
economically advantageous, he would refrain from it (Glauning 1896:708,1908a:66).
For the extortion of information, Glauning himself admits that he frequently applied
“means of enforcement,”43 without going into a more detailed explanation, and he
took not just men, but also women as prisoners.
Glauning had no doubts about the superiority of Europeans over the Africans and
catered to the usual, stereotypical European ideas in his interpretations. Accordingly,
38 Three essays can be dated to the time Glauning spent in German East Africa (1896,1898a,
1900a); two to that in Cameroon (1906a, 1908a). One of the publications is based on a lecture,
which Glauning held on December 17, 1897, before members of a colonial assembly at the
Hotel Kaiserhof in Berlin (Glauning 1898a).
39 Glauning translated the work into German in 1904, but it first appeared in the following year.
Glauning met the commander of the British troops in southern Nigeria, Arthur Forbes Montan-
aro (1862-1914), in January 1903, and had read his work at that time. As a motivation for the
translation, he stated: “Every colonial officer, who has ever been in the position to take part in
such bush campaigns or to direct them himself, knows that although it may seem simple to make
use of the same tactics, their execution is often quite difficult if one wants to avoid losses at all
costs and to completely subdue the enemy. I therefore believe I am providing a service to the
German comrades, particularly the novices, who go out in our colony, when I make the informa-
tion and practical hints of this experienced African bush fighter available to broader circles”
(Glauning 1905a:III-IV). In 1895-1896, Montanaro participated in the British battles against
the Ashanti and was honored for his bravery with the “Ashanti Star,” an honorary insignia en-
dowed expressly for this military campaign, and for the remaining period of the military cam-
paign he was promoted to major. Glauning dedicated somewhat more detail to this point and
intimated that he would not have objected to such a provision for temporarily limited promo-
tions as a result of outstanding service also for the German military; “The British army is organ-
ized in such a way that it can promote officers to a higher rank for excellent service in the field
even outside the normal progression. Upon returning to their local regiment, the officers retain
the salary and position entitled to them according to seniority, but they receive special consid-
eration for any future promotions, and they are particularly entrusted with higher positions
among the colonial troops during military campaigns” (Glauning 1905a:IV).
40 Glauning 1906a:705. See also Glauning 1905a:III, 1906f.
41 Glauning 1896:707-708. See also Glauning 1906a:705,1908a:64,66.
42 On July 20,1907, Glauning dispatched patrols in pursuit of the inhabitants of the village of
Mesang in northwestern Bamenda, who had wounded one of the carriers from Glauning’s
troop. The patrols killed several of them (Glauning 1908a:66).
43 Glauning 1898a:46^48. See also Glauning 1906a:705.
165
TRIBUS 55,2006
this superiority expressed itself in the always “peace-loving” intentions of the Ger-
mans, which the native population simply did not want to understand, so that it in-
evitably came to conflicts, although these could have been avoided with the proper
judgment. It was expressed in the style of fighting, then that of the whites was fair,
while that of the Africans frequently underhanded, because they avoided an open
fight and attacked from behind - on the other hand, the account of one of Glauning’s
ambushes during the arrest of resistance fighters is represented as a cleverly concei-
ved ploy of war.44 The superiority expressed itself in the sincerity of the treatment in
contrast to the traitorous behavior of the “natives,” who shamelessly exploited the
dire straits of the Schutztruppe (Glauning 1900a:137,141). It expressed itself in the
endurance of trials, to which the Europeans were said to be more equal to the chal-
lenge than the Africans, who frequently could hardly manage the strenuous efforts of
the expeditions (Glauning 1896:709, 1900a:138). Yes, the Europeans even endured
the African climate better, as Glauning intimated in his account of the campaign
against the Nso; “The Europeans were in good physical condition during the military
expedition. The colored men suffered many colds, pneumonia, and bronchial catarrh
as a result of the cold climate” (Glauning 1906a:706) - as if the Europeans were not
exposed to the same weather conditions as the indigenous population. Nevertheless,
the soldier in Glauning could not conceal his grudging respect for the bravery of his
opponents, when he wrote that the inhabitants of Oku in the Cameroon Grassfields
showed themselves to be “quite fearless” “despite their inferior weaponry” (Glau-
ning 1908a:66).
In the final analysis, this supposed superiority was expressed through the comparison
of long held German virtues like discipline, diligence, punctuality and dependability
to the alleged aversion to work, unpunctuality and lack of discipline among some of
the indigenous population. Only a peaceful African, who “punctually” complied with
“the wishes of the military station,”45 who does not take to his heels at the sight of
work, who stands up to his duties, and who recognizes the German ruler, is a good
African. Occasionally, Glauning expressed praise in connection with activities that
were familiar to him as a man and as a soldier. Thus, he nearly pitied the elephant
hunters of the Nyamwezi, who he thought to be mostly quite competent, because
they could no longer carry out their occupations as the result of a newly implemen-
ted hunting fee (Glauning 1896:707). Moreover, he expressed his admiration for the
physical capabilities of the Africans, which made it possible for them to cross marsh-
es and rivers “half swimming, half treading water in two or threes” and to bring their
loads safe and dry to the other bank (Glauning 1898a:47). He also intimated his ap-
proval of the European conceptions of the “noble savages,” with regard to physiog-
nomy and conduct:
The Wahehe distinguish themselves from all other tribes through orderly, ener-
getic features, tall builds, and a dignified conduct. The pride with which they are
born does not abandon them even before the Europeans. As Mpangire,
Kwawa’s brother (incidentally a beautiful specimen) and two other rulers, who
are likewise relatives, came into the camp in order to show their subjugation,
they appeared in a procession with a large entourage, from which they were
treated with the highest reverence. Their conduct was proud and self-confident.
During the discussion, they did not squat low on the ground as is typical of the
Negroes, but sat instead upon footstools, which had been provided for them by
their people. They showed diplomatic skills and even deceitfulness during the
negotiations. The bravery of the Wahehe is widely known.46
Glauning cleverly used the possibility of publication as a forum for self-projection, in
which he presented himself to his readership as a brave and determined man, who
was equal to every situation, in spite of any dangers, and who was capable of asser-
44 Glauning I898a:48,1900a:137,1905a:33,1906a:706,1908a:66.
45 Glauning 1908a:67. See also Glauning 1900a:137,140.
46 Glauning 1898a:60.
166
Christine Stelzig: Africa is a sphinx
ting German interests against every form of resistance. At the same time, he also re-
presented himself as a kind, colonial officer, who was able to gain the trust of the
Africans. When Sultan Muguge from Ntuguni in Ugogo did not comply with an order
from Glauning to appear before him for the purpose of punishment, he himself set
out on his way:
Shortly after sending a courier, I set off myself so that we might attack the lo-
cation in case of the sultan’s refusal. Not far from Ntuguni we saw a crowd of
natives, led by a young woman, all gasping and approaching us as fast as they
could, which aroused great amusement among the Askaris. It was the wife of
the sultan with an entourage, who, because he himself had a foot problem,
asked for peace in his name, which naturally was granted. The sultan himself, a
slender, still young man, was made thoroughly trusting through the treatment
for his foot trouble and a few small gifts.47
The punishment was originally intended for Muguge’s father. However, because he
had died, Glauning held the son responsible instead, and therefore followed a known
practice of making all the members of a family liable for the crime of one member.
Still, always the competent officer, Glauning not only granted peace - actually against
his sense of duty - he even took charge of the medical responsibilities. The use of the
word “trusting,” which is generally used in the context of the taming of animals, in
this case reflects the prevailing opinion of that time of the supposed primitiveness in
Africans that was thought to be deeply attached to nature. Glauning also showed
himself to be merciful in another case, which was concerned with murder and the
theft of livestock. Glauning settled the dispute, by “unexpectedly attacking” and ar-
resting the man accused of murder and theft, as well as by dividing the man’s live-
stock between him and the accuser. The subsequent release of the accused, “who was
thankful to get off so lightly” (Glauning 1896:707), served as a further example of the
goodness of the German officer towards his African “protective charges.”
Glauning also revealed himself to be similarly patronizing towards King Njoya from
Bamum. The kingdom of Bamum is the largest of the many independent kingdoms
of the Cameroon Grassfields. It was founded over 400 years ago, and with its capital
of Fumban, it lies in the east of the Grassfields. At the beginning of the 20th century
it encompassed more than 3000 km2 and had an estimated population of 70,000 inha-
bitants. King Ibrahim Njoya (c. 1873-1933, reigned c. 1886-1931) took power as a
young man, after his father King Nsangu (reigned c. 1865-1872 to c. 1885-1887) was
killed during battles against the neighboring Nso, who were old enemies of Bamum.
The German Schutztruppe first reached Bamum in July 1902, a year after an admi-
nistrative and military station had been set up in Bamenda. King Njoya received the
Europeans with extreme courtesy, among them the former captain of the Schutztrup-
pe, Hans von Ramsay, who was thereafter active as the general agent of the trading
company of northwest Cameroon. During this visit, Ramsay produced the first
known photographs from King Njoya and the throne mandu yenu (Geary 2004:141).
The visit introduced a long-year, harmonious collaboration between Bamum and the
Germans, who were always welcome, received, accommodated and well-fed in Ba-
mum. With its 15,000-20,000 inhabitants in Fumban, the Germans opened small
shops and called the city “little Paris” (Tardits 1992a:45,52).The Germans were deep-
ly impressed by the hierarchical organized state, the courtly radiance, and the young,
charismatic king. Njoya was a great supporter of economic innovations, of the arts
and crafts, and among other things he took steps in the development of a new written
language. The latter, in particular, aroused tremendous attention from the Germans,
because the ability to write was viewed as one of the central characteristics of cultu-
ral development and until then only two other peoples were known who had develo-
ped writing systems south of the Sahara. In addition, around 1910-1911, Njoya began
to have not only the history of the kingdom of Bamum and its kings written down,
47 Glauning 1896:707.
167
TRIBUS 55,2006
but also those of several neighboring kingdoms.48 As a result of his carefully consi-
dered strategy of collaborating with the Germans, Njoya had acquired for himself the
reputation of a loyal subject within the colony.49 A clouding of the relationship
between Njoya and the Germans first occurred after 1910, because the collaboration
had led to a widespread economic change that affected not just the elite of the coun-
try. These events triggered social restructuring with far-reaching consequences, which
took on lasting effects in later years under French colonial rule (Geary and Njoya
1985:31,169-170).
In the spring of 1906, when Glauning led a punitive campaign against the Nso, who
had succeeded in carrying off King Nsangu’s head during his assassination (Geary
1994:17),50 King Njoya and his soldiers also took part in the campaign at Glauning’s
invitation. It began on April 18th with the departure of the Schutztruppe in Bamenda
and ended on June 14,1906 with the signing of a peace agreement with the Nso. In
his report about this military operation, which appeared in the journal Deutsches
Kolonialblatt in 1906, Glauning mentions King Njoya’s personal participation in the
battles (Glauning 1906a:705-707). Although he characterized the African members
of both German companies participating in the expedition as “colored soldiers” and
also quoted their exact number - namely, one hundred - Njoya’s warriors are only
described as “assistant soldiers.” In this way, Glauning suggests that they were mere-
ly a case of additional assistance, and that the Germans could certainly have mast-
ered the situation alone. Additionally, the number of Njoya’s soldiers was defined
with an indefinite “c. 200” and their participation in the battles was given the cha-
racter of being tolerated and optional. Njoya and his men were neither equal part-
ners of an alliance against a common foe, nor were they represented as such in
Glauning’s account. This suggests a condescending attitude, which is affirmed by a
comment from Glauning’s successor at the Bamenda Military Station, when he noted
on September 29,1908:
The esteem of the young chief was substantially increased through his partici-
pation in the Banso campaign, against those who until then had been successful
opponents of Bamum. Captain Glauning wisely encouraged him to fight, alt-
hough it was apparent to him that the services of the people of Bamum would
be of a very questionable nature. Glauning entitled Joya the right to a kind of
troop, in order to enhance the authority of the chief.51
Thus, German assistance was necessary to support an African monarch, who further-
more “was released with his people on May 3rd and accompanied to the border by a
European patrol” before the end of the battles (Glauning 1906a:705). Njoya, who
with his soldiers had joined the Schutztruppe on April 22nd, had only participated a
total of 12 days on the battlefield. The reason that was given was that numerous in-
habitants of Bamum had followed the punitive campaign to loot and that Njoya
could no longer control the situation. A German officer “entitled” an African ruler
to something and “released” him from his services before the end of their mutual
undertaking, since his authority over his own people appeared to be in question any-
how - and thus conducted the hierarchy and the balance of power in front of every-
48 Work on the chronicle was completed in 1931, at the end of his reign. It is an important
source for the history of Bamum, from its founding to Njoya’s rule, to which it devotes consider-
able space (Tardits 1992a:45, Geary 1994:16).
49 Geary and Njoya 1985:29,83, Geary 1994:16.
50 The punitive campaign was comprised of the 2nd and 6th companies, including a total of 11
Europeans and 190 African soldiers with two machine guns at their disposal. Glauning had al-
ready expressed his admiration about the efficiency of these weapons a year before: “In the
battle of Omdurman in 1898, against the troops of the Mahdi, the Englishmen made use of a
great number of Maxim guns in the Sudan military campaign, which were employed solely by
gunsmiths and which delivered quite masterfully” (Glauning 1905a; 16). In 1883, the American
engineer Hiram Stevens Maxim (1840-1916) developed the first operational machine gun
(Brockhaus Encyclopedia 1971:286).
51 Menzel, cited in Geary and Njoya 1985:174.
168
Christine Stelzig: Africa is a sphinx
one (see also Geary 1983:48). In fact, Glauning used the representation of the events
under the aspect of showmanship “of his” successful colonial politics. The significan-
ce that the military campaign against the Nso and the demand for the return of the
head of his father had for Njoya is lucidly described by Lieutenant von Wenckstern.
He had participated in the punitive campaign and - in contrast to Glauning - von
Wenckstern returned to Bamenda through Bamum after the completion of the peace
negotiations at the beginning of June 1906. From there, he had a message sent to
Njoya that he had brought Nsangu’s head with him. Then, as a result, Njoya met up
with the officer still a day’s journey away and asked him not to wait further until his
arrival in Fumban, but to hand over the head at that point:
The question could be clearly deciphered on Joja’s face: Ts it indeed really his
head?’ It was a peculiar, infinitely meaningful look with which Joja observed
only for a second the skull as I held it out to him. Then the strong, great man
broke down, sobbing loudly like a child. His chiefs, who were mostly crying
profusely, raised Joja to a stool. It took a long time before he had calmed down
somewhat; then he asked me to give him the head. He caressed it and embra-
ced it with tears. Thereafter, he gave the order to pack the skull with the cloths
in a beautiful basket that they had brought with them. The cloths were the re-
mains of the Sango’s [Nsangu; CS] clothes, which he had worn during his war
march to Banso. Joja sat there in silence for a long time, with his gaze fixed
upon the basket, then suddenly he turned to me, tightly squeezed my hand and
said: T thank you a thousand times for bringing the head of my father back to
me. My people and I will not forget this of the white people, and I say to you
openly, that only now do I really understand that the white people mean me
well.’
Finally, he asked me to please return to Fumban. On the return journey, Joja
did not mount his horse. Joja, his chiefs and his soldiers followed behind the
basket in which the skull now lay, their headgear removed. The entire scene
was symbolic of a child’s love for his father, the devotion of a people for their
fallen chief. In Bamum I was told that Joja is only now in possession of his
father’s head, and thus truly respected and regarded by many as the chief. Ap-
parently, Joja was frequently reproached, because he did not have the head of
his father in his country.52
The reuniting of the head and torso of King Nsangu finally made the necessary royal
burial rites for the body possible, which at the same time legitimated Njoya's claims
to the throne (Geary 1994:23-24). In his report, however, Glauning did not mention
the recovery of the head and its political consequences for Njoya. He also withheld
the fact that he himself gave Njoya for his participation a portrait of Kaiser Wilhelm
II, among other items, even before the military campaign began, and that after the
end of the battles, Njoya was awarded with the “Krieger-Verdienstmedaille 2. Klasse
in Silber.”53 What could have been the grounds for these omissions? It stands to rea-
son that it may have been somewhat inconvenient to the career of a German officer,
if he continually had to show manifestations of his sincere respect for an African
ruler, whose personal achievements and endeavors spoke out for him. It would have
created a level of equality.
All the same, Glauning was also criticized in Cameroon for his methods of handling
matters. Members of the Basel Mission complained over the inadequate care of wo-
men prisoners of war in Bamenda as well as their sale through soldiers, for which
Glauning had been responsible. Glauning met the critique with the remark that the
capturing of “women and children in a war with native tribes” could not be avoided
“because the women were precisely the most valuable possessions of the natives.” He
defended himself further on the grounds that during the fighting, his soldiers often
could not tell the difference between men and women, so that they might have been
52 Von Wenckstern 1907:259.
53 Anonymous, 1906:702. See also Geary 1983:49 and Geary and Njoya 1985:175.
169
TRIBUS 55,2006
shot, or captured and sold by neighboring enemies, if he did not imprison them. Ne-
vertheless, he had always taken pains for the “good treatment and care of the impris-
oned women” and he requested information from the Basel Mission about how “one
could completely do away with the brutalities, which were simply an aspect of impri-
sonment” (Glauning 1907g). However, it was a further accusation, which he vehe-
mently denied, that struck him the hardest. Allegedly, Glauning’s soldiers had been
given the order to cut off the heads or sexual organs of the fallen Africans and to
bring them to their superior officer. Deeply offended, Glauning protested this allega-
tion: To the contrary, he had strictly prohibited any type of mutilation, and he also
contested that members of his troop would have done such things in unobserved
moments. The grounds for these accusations were apparently respective complaints
from the kingdom of Bali, which Glauning characterized and repudiated as “practi-
ces of the natives,” about which he no longer wondered (Glauning 1907g).
The Collector
Aside from his life in the military, Glauning was also filled with scholarly ambition.
In addition to the accounts of the expeditions, his publications contain brief descrip-
tions on the ethnography, topography, geology, climate, and the flora and fauna of
each area with which he came into contact. According to Langheld, when Glauning
wandered:
[...] through the country, he was never without his map book in his hand. His
cartographic recordings are fundamental to the new map of Africa. Wherever
he traveled and wherever he lingered, he made language studies and he studied
the people and their customs with enthusiasm. He had a penchant for ethno-
graphy. His collections are assembled with great skill and a rare appreciation.
[...] As a photographer, he recorded a large number of first-rate and valuable
images.54
Glauning’s notes, and letters now kept in the archives of the ethnographic museums
in Berlin and Stuttgart, confirm Langheld’s statement that among his interests, he
was taken with ethnography above all.55 Although Glauning did not belong to the
scientific community, due to his lack of university studies, he nonetheless positioned
himself at its service. As such, he had found the ideal partner in the outgoing Felix
von Luschan, who did not miss an opportunity to rope Glauning in for his own inter-
ests. How, when and where the two men met one another are not known, but it must
have occurred before Glauning’s departure for Africa in 1894 (Glauning 1895).
Glauning’s long-lasting desire to go to Africa, surely led him to exhaust all possibili-
ties of gathering information about the continent (Langheld 1910:15), so that he may
have met von Luschan through one of the courses that von Luschan held under the
auspices of the meetings of the Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie
und Urgeschichte, where he reported on themes from Africa and Oceania that seem-
ed interesting to him by showing objects, anthropological specimens and slide pre-
sentations.56
54 Langheld 1910:14.
55 Glauning’s written correspondence with the Museum für Völkerkunde in Berlin comprises
37 letters, from which nine date to his time in East Africa, 19 to his time in Cameroon and Ni-
geria, three to trips between Africa and Europe, as well as six from vacations home to Germany
and in Austria.
56 This society was founded in 1869, in order to bring together the disciplines of anthropology,
ethnology and prehistory under one organization. Until World War II, the society maintained
close personal, institutional and spatial interconnections with the Museum für Völkerkunde in
Berlin, which was founded in 1873. At regular meetings, domestic and foreign scholars, mission-
aries and colonial officials reported about their travels and research, which were subsequently
published in the journal put out by the society, Zeitschrift für Ethnologie. One exchanged news
and opinions, read letters from members abroad, reported about the arrival of new collections
or introduced new publications (see Stelzig 2004:18-19 and 354ff.)
170
Christine Stelzig: Africa is a sphinx
Glauning was particularly passionate about collecting ethnographica, whereas the
objects had the status of curiosities. He characterized it as his hobby.‘,7 It seems evi-
dent that he began collecting in May 1895, soon after his arrival in German East
Africa, and was initially active exclusively for the Museum für Völkerkunde in Berlin
(Weule 1895),57 58 but requested that duplicates be released to other museums (Glau-
ning 1898b, 1901d).59 In October 1900, Glauning also turned to the Museum für Völ-
kerkunde in Stuttgart60 and offered it a portion of his collections from German East
Africa as a gift (Glauning 1900c). From this offer arose a close contact to Karl Graf
von Linden, the founder and first director of the museum, who received further do-
nations from Glauning as a result.61
Additionally, Glauning also started a private collection of ethnographica right from
the beginning, which he had his father look after for him in Augsburg (Glauning
1895,1898b) (figs. 7-8). After his arrival in West Africa, Glauning continued his collec-
tion activities, so that the Museum für Völkerkunde in Berlin received approximate-
ly just over 1000 objects, and the museum in Stuttgart just under 1000 objects from
Fig. 7; Carved ivory tusk. Cameroon,
20th century? Ivory; length 69 cm.
Private collection. This may have
been a commission for Hans Glau-
ning.
57 Glauning 190id, 1902c, 1905c.
58 The acquisition books of the Museum für Völkerkunde in Berlin record 20 collections with a
total of 734 inventory numbers from German East Africa.They came into the museum between
the fourth quarter of 1895 and the third quarter of 1900. A further collection of 74 objects from
German East Africa was purchased from Glauning’s family two years after his death (Stelzig
1996a:2).
59 Nevertheless, a release of objects from the museum in Berlin only occurred with Stuttgart.
The Museum für Völkerkunde in Dresden has recorded two collections from Glauning, which
however, were only acquired long after his death. In 1939, Glauning’s oldest brother Fritz pre-
sented six objects from Cameroon. In 1953, the museum also acquired a throne from the Cam-
eroon Grassfields, which had been in the possession of one of Hans Glauning’s great nieces
(written communication from Silvia Dolz, May 24,2004).
60 Today the Linden-Museum Stuttgart, Staatliches Museum für Völkerkunde.
61 Glauning’s correspondence with Karl Graf von Linden includes 41 letters.
171
TRIBUS 55,2006
Fig. 8: Leopard stool, Bamum. Ca-
meroon. Wood; height 114 cm. Muse-
um für Völkerkunde Dresden, inv.
no. 51625. It was acquired by the
Museum from one of Glauning’s
nieces in 1953.
the Cameroon Grassfields and the border area between Cameroon and Nigeria.62
Glauning would send a list of the objects either together with the collections, or some-
times with separate mail. Even though the descriptions tended to be short and mea-
ger, they nevertheless demonstrated his efforts to meet the minimal standards of the
museum ethnologists. Apart from the listing of the objects themselves they tended to
also indicate the object’s native name, the location of its acquisition or production,
and often the precise intended purpose as well. Beyond that, Glauning occasionally
also differentiated between the ethnic group that produced an object, and the one
who used it:
13) Woven cloth, work of Koma northeast of Mapeo, worn around the loins for
war, as well as cut into aprons for men and women so that there is a small piece
in front and a small piece hangs over the buttocks. Chamba pay two iron hoes
for this. From Mapeo, Chamba area, Dinga Mtn (Alantika Massif).63
He also took pains to mark each individual object with a tag and to be able to recon-
struct the descriptions based on his notes in the case of their loss. In keeping with the
- certainly unrealizable - maxims of the Museum für Völkerkunde in Berlin, to col-
lect and to exhibit in comparison next to one another all areas of the so-called “primi-
tive peoples,” Glauning made efforts to find objects of the most diverse types, often
as doubles. Moreover, he attempted to uncover geographical areas, which in his opin-
ion were not, or inadequately, represented in Berlin.64 In at least one case, however,
the collecting was done for Glauning on the British side of the border area between
Cameroon and Nigeria. Apparently, it was only possible for Germans to acquire ob-
jects there under certain conditions, which is why Glauning left money with the resi-
dent Niger Company in the village of Lokoja, with the commission to buy “curiosities”
from a neighboring village and to send them to him (Glauning 1903a, 1904a).
Glauning collected oars, headdresses, knives, woven bags and pipe heads in the same
manner as musical instruments, jewelry, shoes, clothing, amulets, spears, shields, cart-
62 According to the entries in the acquisition records, 18 collections from Glauning came into
the museum between the third quarter of 1901 and the first quarter of 1908, comprising a total
of 739 inventory numbers (Stelzig 1996b:3). In 1910, the museum acquired from his family four
further extensive collections from Glauning’s possessions, including 298 numbers, so that the
original total number of the objects from Cameroon and Nigeria comprised approximately
1037 numbers. The original collection of the Linden-Museum in Stuttgart comprised 992 objects
(written communication from H. Forkl, May 23,2005). War losses, exchanges with other muse-
ums, and the sale to dealers in both institutions led to a reduction from the original size of the
collections.
63 Glauning 1903d.
64 Glauning 1902c, f, 1904b, 1906b.
172
Christine Stelzig: Africa is a sphinx
ridge belts, spindles, vessels and bellows. Woodcarvings, however, were what mostly
caught his interest, and simultaneously he fulfilled one of von Luschan’s special re-
quests (Glauning 1905c).65 With regard to the woodcarvings, Glauning paid particu-
lar attention to quality. In his eyes good and beautiful objects were old, which meant
unadulterated by European accessories, rarely, and highly-detailed carved - he re-
jected “crude” woodcarvings altogether (Glauning 1906b-c, 1907d). In this way,
Glauning revealed himself to be a supporter of those artistic styles that equated a
successful work with the most naturalistic rendering of the object as possible. Conco-
mitant with the evaluation of the “more beautiful” objects was also the opinion that
their African creators were at a “higher” cultural level.66 In two cases, age and rarity
also prompted Glauning to go into a somewhat more detailed socio-cultural contex-
tual background of the objects. In the case of a mask by the Keaka, he wrote:67
I find the double-birded head to be rare and particularly interesting. It repre-
sents the bird ntave (according to others ngon), who lives in the forest and
screeches loudly/probably a hornbill. According to one interpreter, the head -
ostensibly representing a male and a female bird - is, as noted in the catalogue,
a dance mask; another Keaka claims that it is also a fetish. If someone from one
village wants to kill a man from another village, he first goes to the medicine
man, who places the head before the village at night with the bird’s bill poin-
ting in the direction where the murderer is expected. Then the victim is fated to
die. The piece is unfortunately defective; but I believe it to be quite rare, becau-
se I have not found anything like it in the entire territory.68
As Glauning’s entry in the corresponding collection catalogue shows, he not only
noted the indigenous name for the mask, but instead stated for the record that this
mask was produced by an unusual craftsman and that such artist was said to live in
the village Ewuri in the Keaka territory (Glauning 1901c).69 The use of the word
“artist” may be understood as an expression of Glauning’s esteem for the object.
65 Von Luschan also expressed his desire for anthropological collections, which is why Glaun-
ing was supposed to be on the look out for the “nest-like assumed existence” of large quantities
of skulls in the Cross River area. Wherever he had the opportunity “to take or acquire such a
nest in a befitting manner,” he should not disregard it (von Luschan 1901b). It was a request,
which Glauning did not at first understand, and therefore had to inquire whether or not von
Luschan meant human skulls. There is at least one known case, in which Glauning took three
skulls with him from “the cannibal village of Mufo (Nsab) on the Katsena” (Struck 1908). Ad-
ditionally, Glauning also laid out botanical, zoological and geological collections.
66 In keeping with widely popular opinion in the 19th century, man had evolved from his “prim-
itive” beginnings into “civilization,” whereby various stages ran through the course of these
processes, which were characterized as “savagery,” “barbarism” and “civilization." The stages
“savagery” and “barbarism” are further subdivided into lower, middle and higher levels. The
transition from one level to the next was characterized in each case by decisive progress in the
methods of food production and technology, which corresponds to a development in the or-
ganization of society. Non-European societies were ordered into one of these periods of devel-
opment according to their specific characteristic features. Contemporary “primitive” societies,
which one believed to find most readily in Africa, were considered to be “living fossils” in the
history of the human genus that had stood still among the diverse developmental levels. The
more “civilized” the material culture and societal structure of these peoples, i.e. oriented to-
wards European categories, the “higher” the cultural level (Stelzig 2004:19-22,262-281).
67 The object was at one time located in the Africa collection of the Museum für Völkerkunde
in Berlin, but it is no longer extant.
68 Glauning 1901b.
69 The entry reads: “Double-birded head - etsiokum - as a dance mask, represents a forest bird
- nkwé (probably a hornbill). Similar to the heads representing humans, a specialized crafts-
man, whose works were purchased by the people of other villages, also made this work. Such an
artist is said to live in Ewuri, in Keaka territory (tribe of the Ekoi).This mask appears to be a
very rare piece. Keaka” (Glauning 1901c). It is possible that the remark about the Ekoi
[Ejagham, CS] should be understood to mean that the woodcarver belonged to this ethnic
group even though Glauning acquired the mask through the Keaka.
173
TRIBUS 55,2006
Glauning’s letters to von Luschan and Graf von Linden contain even further insights
into his collecting activities and thus also to his personality. Side by side with his
personal views, daily events and the climatic conditions, he also expressed some of
the difficulties of collecting and transporting ethnographica. Thus, objects were not
only damaged by the extreme humidity of the months of rain, but also through a lack
of proper packaging and through transportation, most notably, if Glauning was not
able to see to this himself because of other responsibilities. For this reason, he delay-
ed the departure of a collection in one case until the end of the rainy season, because
the objects “would suffer too much now under this dampness.”70 On the other hand,
Glauning had no qualms about damaging objects himself, so that they might be more
easily transported. On February 4. 1906, he informed von Luschan from Bamum
about the arrival of two large slit drums from Bansoa, among other objects (figs. 9-
10). In the margins, he wrote:
A large carved wooden drum, representing a large animal with 2 heads. The
drum required 2 days for 2-hour journeys, transported by 60 carriers. It was
then buried during our battles, because it could not be transported further; la-
ter it was sawed into 4 parts and brought to the military station. It was brought
to the coast in individual pieces.71
Transporting the drum caused great difficulties. Not only was it temporarily lost on
the way from Bansoa to the coast, but it also supposedly killed one of the carriers.
Glauning called it a “drum of misfortune” and hoped that it would be “worth the
enormous efforts and trouble” (fig.ll)-72
Apart from the details surrounding the adversities of transporting collections, to
which Glauning also included missing, thieving and expensive carriers, he also men-
tioned problems in acquiring the objects themselves. It was not always easy to get
ethnographica (Glauning 1902b, 1903b, g, 1906b). Thus, on the Cross River it was
“very rare to find complete, well-preserved figures, because nearly all of theses vil-
lages were destroyed and burned. The enclosed is perhaps the final remainder in
these regions.” Additionally, the native population expected to get paid for the sale
of objects: “With regard to the ethnographical things, I have to comment that the
same are very expensive here. The people demand an exorbitant amount of money
Fig. 9: Slit drum, Bansoa. Ca-
meroon, mid-19th century?
Wood; length 305 cm. Ethno-
logisches Museum Berlin, inv.
no. Ill C 21170. Bansoa is a
small kingdom west of Ba-
foussam and the largest city
in the Bamileke region to-
day.
70 Glauning 1905b, see also 1902b, f, 1903b, 1906b.
71 Glauning 1906b. Glauning photographed the burying of the drum and sent the negative to
the museum, from which von Luschan had an enlargement made.The caption read: "Burying of
the great drum from Banso in a house in Bamungom. December 13,1905” (von Luschan 1906d).
The photograph was most likely among the losses incurred during World War II. See also Geary
1989:62-71.
12 Glauning 1907c. See also Glauning 1906b-c, 1907b and von Luschan 1906e.
174
Christine Stelzig: Africa is a sphinx
Fig. 10: Slit drum, Bansoa.
Cameroon, mid-19th centu-
ry? Wood; height 355 cm.
Ethnologisches Museum
Berlin, inv. no. Ill C 21107.
The drum is crowned by the
seated figure of a king, who
holds the severed head of an
enemy in his left hand and
once held a machete in his
right (see Koloß 1999:211).
Fig. 11: The “drum of misfortune” from Bansoa, as published by von Luschan in the
annual report Amtliche Berichte aus den Königlichen Kunstsammlungen. 1908 (see
footnote 88 in this text). The buffalo head was most likely lost during World War II.
This led to the false assumption that the representation was that of an elephant (see
Koloß 1999:212).
for their fetish figures, etc.”73 In the case of a “heathen tribe” untouched by “Moslem
culture” on the other hand, it was timidity before the whites, which made the acqui-
sition of objects more difficult (Glauning 1903b). Glauning was also of the opinion
that “here in these regions, there has been very little of ethnographical interest worth
73 Glauning 1901a. See also Glauning 1903f-g.
175
TRIBUS 55,2006
hunting down until now,”74 75 and in this instance was referring to the futile attempt to
try to obtain woodcarvings from the village of Okari while in the village of Ibi. In
1906, he wrote from Bamum that it was becoming more and more difficult “to still
get really beautiful and valuable old objects. Too much has been and continues to be
collected” (Glauning 1906b). That’s why Bernhard Ankermann would also have his
share of difficulties “collecting good, old ethnographical things” (Glauning 1907c).7:1
And finally, he reported in 1908 from the “still completely unknown, cannibalistic
mountain people of Mambila, Kaka and Kambo,” that ethnographically “little was
going on” there: “The culture of these people is very primitive. What is most interes-
ting are the natives themselves and their living arrangements, neither of which, un-
fortunately, one can take back home.” (Glauning 1908b) (fig. 12).
Aside from the collection of objects, Glauning also sent several ethnographical pa-
pers to Berlin. However, these concern only German East Africa, because Glauning
did not have the time required during his stationing in Cameroon.76 Nevertheless, a
letter from von Luschan to Glauning indicates that if nothing else, Glauning kept
notebooks in Cameroon, which not only maintained lists of the respective collec-
tions, but also contained notes on the language, in at least one case.77 It does not
mention which language it concerned. They were possibly notes of the Hausa, becau-
se Glauning had taken lessons in it, and had grappled more intensively with the desig-
nations of the individual patterns in connection with a Hausa tobe (Glauning 1900d,
1903c). Von Luschan encouraged him to carry out this investigation, because he wan-
Fig. 12: Double bell, called
ekok, Ekoi, Abong-region.
Cameroon, 19th century.
Wood; length 33 cm. Linden-
Museum Stuttgart. Staatli-
ches Museum für Völkerkun-
de, inv. no. 21269
74 Glauning 1903a. See also Glauning 1903f-g.
75 Ankermann “secured” Glauning’s last collections that were still stored in Bamenda for the
Berlin museum. The legal heir of the collections was namely the Glauning family, with whom
von Luschan immediately made contact. A two-year long correspondence ensued, because the
family was not willing to make a gift of the objects. In 1910, the museum could finally acquire
Glauning’s last collections (von Luschan 1908d:165, Stelzig 2004:136-142).
76 They concern both general as well as more detailed notes about the Wahehe and Iramba
(Glauning 1896). He also wrote the history of the Kisiwani, wrote a monograph about the
Wangindo, and drew up a vocabulary of their language (EM/file “Glauning” I/MV 956, see also
Glauning 1901a-b, 1905b-c). In this context it also becomes apparent that Glauning had taken
note of ethnographical literature, although belatedly (Glauning 1900b).
77 More precisely, Glauning had sent von Luschan a notebook, which he kept during the Yola/
Lake Chad Expedition, so that von Luschan could make a selection from the objects listed (von
Luschan 1904b). It is not evident whether or not the notebook is identical to the diaries men-
tioned by von Langheld. In order to make the selection of objects easier for von Luschan in
Berlin, in at least one case Glauning also sent a photograph from Cameroon where several
ethnographic objects are reproduced. In a later letter, Glauning expressed his own satisfaction
that he had known exactly which objects von Luschan would choose (Glauning 1907e). Geary
reported that Adolf Diehl, an employee of the Gesellschaft Nordwest-Kamerun, also employed
this practice of sending photographs for “placing an order” of objects in his dealings with the
Volkerkundemuseum in Leipzig (Geary and Njoya 1985:30).
176
Christine Stelzig: Africa is a sphinx
ted to find out more about the significance of the decoration, “which with great per-
severance over many decades” would return and must mean something (von Lu-
schan 1903b). Graf von Linden was also very interested in objects of the Hausa and
appealed to Glauning to gather together everything that he could get hold of, becau-
se he had recently discovered that “an unbelievable variation could be found” in the
workmanship of the leather, iron, and in the jewelry as well (von Linden 1903a).
Despite intentions to the contrary, Glauning’s notes were never published.78 Nothing
is known about the whereabouts of his notebooks from Cameroon. If they once be-
longed to the archival holdings of the Museum für Völkerkunde in Berlin, then they
were most likely part of the losses of World War II.79
Glauning left the Linden-Museum in Stuttgart all the collections as a gift, and with
the exception of one, this was also the case in regard to the Museum für Völkerkunde
in Berlin. Glauning’s remark about the high prices for ethnographica in the Cross
River area immediately led to von Luschan's offer to put the sum of 300 marks for
further purchases at his disposal, which Glauning also accepted. This underscores
Glauning’s importance as someone who delivered high-quality objects, and who was
trusted unconditionally (von Luschan 1901b. Glauning 1901 d). Nevertheless, despite
his generosity, under no circumstances was Glauning prepared to sell his efforts un-
der value. In January 1902, he bitterly complained to Luschan about the unjust treat-
ment by the Kaiserliche Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen. Von Luschan
had applied to the society for support for a publication of Glauning’s collections
from German East Africa, but was turned down. Glauning urgently asked von Lu-
schan, not to negotiate any further “with the gentlemen from Göttingen” on this
matter, because they had shown neither understanding nor interest about it, although
he had “worked hard for this scholarly body” for a year and a half and had safely
brought the difficult Pendular Expedition to its end (Glauning 1902a). Because,
however, he had not received recognition for it in any way, he did not want to have
anything further to do with this society and decided from that point on to devote
himself more intensely to his actual occupation, that of a colonial officer, for which
he would indeed gain recognition for his achievements. He also made it perfectly
clear to von Luschan that - despite their friendship - he also wished to give a part of
his collections Graf Linden in Stuttgart, because:
Through the examples of numerous companions, I have come to the conclusion
that pure enthusiasm for science does not pay, but rather that a little bit of
selfishness and egotism is very advisable, if one wants to move forward and to
gain recognition.80
Glauning’s remark about Graf von Linden touched on a sore point with von Lu-
schan. He was annoyed by the ever-increasing independent efforts of other Ger-
man ethnographic museums to build up their collections and he made a great deal
of the resolution passed by the Bundesrat in 1889, which named the Berlin museum
as the headquarters for the distribution of duplicates (von Luschan 1902). How-
ever, von Luschan did not let it come to a serious confrontation with Glauning, but
instead appealed to his goodwill for Berlin. Graf von Linden was also asked to
make allowances for the scholarly significance of Glauning’s collections for the
Berlin museum (von Luschan 1901a), however von Linden’s letters to Glauning
78 In 1895, they were intended merely for his “private use.’’ Glauning self-confidently informed
von Luschan three years later that he would gladly place his notes at his disposal, but that he
himself intended to publish some of them and asked for advice about a suitable organ for pub-
lication (Glauning 1895,1898b). On May 20.1900, from Dar es Salaam, Glauning informed von
Luschan anew of his intentions to publish, in which he also expressed the hope of two further
months of vacation in order to manage what he had planned (Glauning 1900b).
79 Of the photographs that Glauning gave to the Museum für Völkerkunde in Berlin or made
available to them for reproduction, 30 still exist today (see Glauning 1895,1907b. Ankermann
1901).
80 Glauning 1902a.
177
TRIBUS 55,2006
Fig. 13: Two posts of a bed by
Lamidu Omaru from Banyo.
Cameroon. Wood; height 52,5
cm and 51,5 cm. Linden-Mu-
seum Stuttgart, Staatliches
Museum für Völkerkunde,
inv. nos. 27041 and 27815
show that he thwarted the efforts in Berlin to defend the resolution passed into
effect by the Bundesrat.81 As Glauning was in no way immune to jealousy of other
collectors, and because he feared a neglect of the attention towards him, he used
the competitive relationship between Berlin and Stuttgart to his advantage, in or-
der to play von Luschan and Graf von Linden against one another (Glauning
1900e, 1902b-d, f-m, 1903f, 1905d) (fig. 13).
Finally, Glauning also had serious concerns about the treatment that would befall his
collections at the Berlin museum. At the opening of the museum buildings in 1886, it
had already threatened to burst at the seams and could only inadequately display the
ethnographica in overfilled vitrines - if at all. For this reason, while announcing a
collection from Bamenda in August 1905, Glauning requested that it really be exhi-
bited at the museum, so that it would not eke out its forgotten existence in the base-
ment or in the attic (Glauning 1905b). Von Luschan immediately complied with
Glauning’s request, because the 46 numbers comprising this collection simply took
his breath away:
I can honestly say that the African department has never before received a si-
milarly precious gift and that I can hardly fathom that we will ever again in the
future receive similarly beautiful and valuable pieces in such large quantities.
Today, I can only provisionally thank you, because the gift itself is so valuable,
that according to our regulations, we are not allowed to accept it without first
having expressly requested to do so through the highest authorization [which
is to say, with the Kaiser’s approval; CS].82
In his reply to Glauning, von Luschan announced that he was thinking “of an out-
standing place to exhibit” the collection and therefore he would have the “entire
Loango collection packed away,” “so that this in itself quite beautiful, valuable, and
at one time very famous collection will first see the light of day again in our new
81 Von Linden 1902,1903b, 1904,1907.
82 Von Luschan 1905b.
178
Christine Stelzig: Africa is a sphinx
building” (von Luschan 1905b).83 Primarily as a result of this collection, but also re-
sulting from the earlier gifts from the Cross River area and the Grassfields, which
opened “an entirely new world” for him (von Luschan 1904a), von Luschan saw to it
that Glauning was awarded with the royal “Kronenorden dritter Klasse mit Schwer-
tern am Band” in 1906 for his service to the museum of Kaiser Wilhelm II (von Lu-
schan 1905c, 1906b).84
This practice of conferring an order to a worthy collector was quite typical and ser-
ved both parties - the collector felt flattered and acknowledged, while the museums
created further incentives as a consequence, although they also competed among
themselves in this respect.85 Just three years before, explicitly at Graf von Linden’s
instigation, Glauning had been awarded for his generosity with the “Ritterkreuz 1.
Klasse mit Schwertern des Kgl. Württembergischen Friedrichsordens” (von Linden
1903b, Glauning 1905d). Glauning showed himself to be very taken, above all by the
award from Kaiser Wilhelm II:
Meanwhile, I would like to write to you to express my warmest gratitude for
your classification of collections as outstanding, and that I have you to thank
for your recommendation and mediation on my behalf, so that I have been
awarded a high order by His Majesty the Kaiser. You know that even without
the medal. I would have collected for you, as I have done for the last 12 years.
Still, I am naturally very pleased that I have also received an honorary award
in addition to your scholarly recognition of my activities for the museum.86
Von Luschan was particularly enthusiastic about Glauning’s collections from the Ca-
meroon Grassfields, because nowhere else in all of West Africa could “a greater vari-
ety of large woodcarvings, masks, etc.” be found (von Luschan 1908c:88, figs. 14-15).
Von Luschan was so pleased about the arriving treasures, that in 1907 he even told
Glauning of the museum’s intention to build and dedicate an exhibition hall to him
in the planned new building (von Luschan 1907b, 1908e). In fact, it never came to
that, because of various circumstances, which had prevented the building reconstruc-
tion of the Museum für Völkerkunde that had been in the works since 1899 (Stelzig
2004:41-43). Nonetheless, in the spring of 1907 von Luschan did manage to exhibit at
least a portion of Glauning’s collections from the Cameroon Grassfields in its own
hall at the neighboring decorative arts museum, the Kunstgewerbemuseum (the
Martin-Gropius-Bau today) - and just for Kaiser Wilhelm II, who, according to von
Luschan had “quite vividly admired” the works on display, including the “drum of
misfortune” from Bansoa (von Luschan 1907a).87
Glauning’s letters to Felix von Luschan reveal that the objects he acquired and sent
to Berlin were by no means all purchases, but also included those that he seized whi-
83 As the museum guide from 1906 substantiates, the plan was also carried out. Thus, the con-
tents from three displays from the section “Lower Congo” were replaced by the “new collec-
tions.” The only exceptions were the so-called fetishes, of which the museum possessed an ex-
tensive collection through Robert Visser (von Luschan 1906a:89, see also Stelzig 1998:369—427
and Adler and Stelzig 2002:38-51).
84 In addition to the "Kronenorden III. KL,” Glauning was the bearer of further German ho-
nors: the “Kronenorden IV Kl. mit Schwertern” (September 9,1897),“Roter Adlerorden IV. Kl.
ohne Schwerter” (August 2,1899), “Roter Adlerorden IV. Kl. mit Schwertern" (June 13,1902),
“Ritterkreuz vom Württembergischen Friedrichsorden mit Schwertern,” “Ritterkreuz 1. Kl.
vom Sächsischen Albrecht-Orden mit Schwertern und der Krone,” “Dienstauszeichnungs-
kreuz” and the “Kaiser Wilhelm-Erinnerungsmedaille” (von Luschan 1905c, Glauning, Heinr.
1909:15).
85 See, for example, Buschmann 1996:190-199 and Adler and Stelzig 2002:42-43.
86 Glauning 1906e.
87 The exhibition must have taken place parallel to a presentation of archaeological objects
from Peru (March to April 1907), for which a small catalogue was published by the museum
(von Luschan 1907b, 1908a). Due to a lack of space, the Museum für Völkerkunde introduced
new acquisitions in this way at the Kunstgewerbemuseum, but until World War I, these special
exhibitions were only held four times (Stelzig 2004:284).
179
TRIBUS 55,2006
Fig. 14: Male figure, Bangou. Ca-
meroon, 19th century. Wood;
height 90.5 cm. Ethnologisches
Museum Berlin, inv. no. Ill C
21058
Fig. 15: Door frame, Baham. Ca-
meroon, 19th century. Wood;
height 267 cm. Ethnologisches
Museum Berlin, inv. no. Ill C
21052a-c
le on punitive expeditions (Glauning 1895,1905b). On this point, Glauning was in full
agreement with the museum ethnologists, because apart from the possibility of “con-
veniently” gathering new research material by these means, such “trophies” were
also particularly suitable examples for expressly conveying to museum visitors the
military superiority of German soldiers and the “success” of German colonial rule
180
Christine Stelzig: Africa is a sphinx
(Stelzig 2004;237ff.).88 Additionally, the letters disclose that under certain conditions
Glauning simply took what he wanted, even in peaceful times:
Today I am sending a single object to Garua, so that it can be dispatched to the
government by the next opportunity. [...]. It is a Juju - a fetish, and namely an
apparently very old woodcarving of the Bata. It came from the Bata village
Tschirkoltshi near the mouth of the Faro. The chief - from whom I simply had
it taken during his absence, and then, afterwards, received his consent through
rich gifts - explained that there are no longer craftsmen proficient in creating
the woodcarvings among the Batas.The piece is very old. He saw it for the first
time when he was made chief upon his father’s death, when he entered the fe-
tish hut. The Bata call the fetish “gulai.”They offered beer made of durra as a
sacrifice, which they poured out in front of this bench-like fetish (although it
never served as a bench). He claims not to know what the woodcarving is
meant to represent; perhaps some wild animal. Even if the piece is not a work
of art, I still believe that it will be of scholarly value to you, particularly as such
woodcarvings are no longer thought to exist in Bata villages, which have long
been subjected to the Moslem culture.89
It is questionable whether or not the presentation of the - unspecified - gifts can be
thought of as an expression of Glauning’s guilty conscience. The chief found himself
confronted with a fait accompli upon his return. That he nevertheless evidently lodg-
ed a protest to underscore the significance of the piece would appear to suggest
another interpretation of the belated gifts, which is to say the exchange of goods for
information about the object. All the more, as the “fetish” did not even concern a
work of art in Glauning's eyes, which would justify the presentation of a gift. Further,
two months later he questioned von Luschan, whether or not the scholarly value of
the fetish would be great enough in order to justify the costs of its transportation
from Garua to the coast, where, after all, two carriers would be required at the sum
of 30 marks each.90
In comparison, Glauning acted more cautiously, although no less determined, in the
case of manciù yenu, the throne of King Njoya from Bamum, whose fate was already
sealed as a hotly coveted object by the ethnographic museums in Berlin and Leip-
zig.91 All the same, Glauning’s handling of the situation should be more thoroughly
considered at this point. An analysis of his correspondence to Felix von Luschan re-
88 This is shown, for example, in von Luschan’s comments on the two large slit drums, which
were carried away during the campaign against the Nso. With the help of two illustrations, von
Luschan devoted longer expositions to them in the annual report Amtliche Berichte aus den
Königlichen Kunstsammlungen. in which he introduced new acquisitions at the Museum für
Völkerkunde (Stelzig 2004:237-282). Accordingly, both drums had served for the transmitting
of messages among the “natives." Because various undertakings of the Schutztruppe, punitive
expeditions and the like, were thought to have been betrayed in this peculiar and enigmatic way,
through such “exchanges of messages” by means of coded drum language, then it was only “an
act of poetic justice,” that two particularly outstanding drums of this type, historical objects
from the possessions of the great chiefs, should now find their way into the museum in Berlin
(von Luschan 1908b:201-203). The message was clear: whoever did not submit to German colo-
nial rule and dared to cause it harm, should not wonder when they are penalized for it. In his
remarks about the drum that Glauning sent, von Luschan also provides a hint about its age.
claiming that it had been produced “more than 15 generations” ago.This information must have
been verbally transmitted to the museum, because the age of the drum was not mentioned in
Glauning’s collection index (Glauning 1906b). Nevertheless, in June 1906, Glauning informed
von Luschan that he would tell him more about the “drum of misfortune” during his next visit.
As he did not meet with von Luschan, however, perhaps he passed the information on to An-
kermann instead (Claiming 1906e, 1907a). The drums provoked so much attention that they
were even mentioned in the journal Globus (anonymous 1908b:356).
89 Glauning 1903a.
90 Glauning 1903b. This object is also no longer located in the collection of the Museum für
Völkerkunde in Berlin.
91 See Geary 1981:36-39,1983:46-53 and Geary and Njoya 1985:165-210.
181
TRIBUS 55,2006
veals that Claiming deceived Njoya in a number of ways, in order to “secure” the
throne for the Museum für Völkerkunde in Berlin. In a letter in December 1905, von
Luschan informed Glauning that Captain Ramsay had “unfortunately” published
the photograph of the throne in the journal Globus, so that now “the hunt for the
original” would “be taken up from all sides” (fig. 16). He therefore asked Glauning
to take up the cause and declared himself prepared to pay several thousand marks
for the throne, if it could be obtained “by peaceful and respectable means for the
Berlin museum.” Von Luschan also made the suggestion to have a copy produced in
Bamum, for which he would gladly deliver the necessary pearls and other materials,
or however, to have a “pompous looking and also inwardly valuable theatrical thro-
ne” produced in Berlin as a substitution.92 Certainly, he would only do so if it could
be largely guaranteed that no other museum would get the original. Based on
Glauning’s knowledge of the situation in Fumban, he should decide whether or not
he would want to get involved in the matter (von Luschan 1905b). Having rightly
assessed his ambition, Glauning immediately took on the commission, but in March
1906 he could only make the following preliminary report:
Regarding the throne from Bamum, unfortunately, I have nothing positive to
report to you. I have asked the chief Joia of Bamum, who otherwise gladly
grants my every wish, and who is very loyal to the government and the Kaiser,
whether he would be willing to part with the stool for the great house of the
Kaiser in Berlin in exchange for another throne like the one the Kaiser owns,
as well as for a 1000 marks in cash and the fulfillment of yet additional wishes.
I also requested that he should take his time to think over my suggestion. On
the day of my departure, he let me know through his confidant, that he himself
would gladly make a gift of the stool (which I also believe, because Joia is very
freethinking and a great friend of European culture), but his chiefs are against
it, because it was the throne of his late father and they fear vengeance, should
they give it away. It is quite understandable considering the local ancestor wor-
shipping cult. Joia promised me, not to give the stool to anyone else. I certainly
believe that he intends to keep to his word. The manufacture of a facsimile is
out of the question, because the people of Bamum can no longer produce this
type of woodcarving; the pearls are also old and most likely no longer available
on the market. Perhaps Joia will reconsider the matter. Would it be possible for
you to get the government to promise that no one else be allowed to receive
the stool except the Berlin museum? I have my doubts whether or not the stool
is really so very valuable. The woodcarving on its base - snakes and small hu-
man figures - are quite well-executed, without a doubt; the main figure, how-
ever, is very crude; and as Joia showed me the stool, I saw that one figure even
has an upturned beer bottle in its hand. - Well, in a few days, 1 will return to
Bamum.93
A critical review of this letter reveals several points:
- Glauning refers to what until then in his eyes has been an unproblematic, function-
ing relationship between himself and Njoya, as well as to Njoya’s loyalty to the
colonial government and Kaiser Wilhelm II. Unproblematic, because Njoya had
“gladly” granted the desires of the German officer until then - but now, apparent-
ly for the first time, he responded negatively to one of Glauning’s wishes.
- Glauning pointed out that Njoya had shown the throne to him, which he claimed
was not generally accessible for view, and consequently did not represent an ordi-
nary object. Mandu yenu is the name of the large, wooden thrones, covered in
pearls, which are designed with a male and a female figure as well as a footstool.
The rulers of Bamum were seated upon such thrones during audiences and cele-
92 I do not share Geary’s opinion in this context, when she claims that von Luschan first made
the suggestion to produce a copy only after it seemed obvious that the original could not be
acquired (Geary 1996:289).
93 Glauning 1906c.
182
Christine Stelzig: Africa is a sphinx
Fig. 16: Njoya upon the footstool of his father’s (King Nsangu) throne, mandu yenu.
Photograph by Hans von Ramsay. It is one of the first photographs of King Njoya
and mandu yenu. The caption reads: “Njoya upon his pearl-covered throne”. Archive
Linden-Museum Stuttgart, Staatliches Museum für Völkerkunde
brations.94 The object, which is located in the Volkerkundemuseum in Berlin to-
day, is the oldest known example. It was created before 1885-1887, for Njoya’s
father. King Nsangu. The throne was kept in safekeeping inside the palace and
only set up on the great forecourt outside the building for special occasions: for a
celebration known as the nguon after the first harvest of corn in June or July, and
94 According to Geary, five such thrones have been documented at present (Geary 1996:285).
183
TRI BUS 55,2006
the nza celebration at the beginning of the dry season, as well as during the annu-
al horse races of Bamum’s soldiers, in which Njoya partook sitting upon the thro-
ne, or during judicial hearings, and for ceremonious receptions of European visi-
tors. In this way, the king and throne embodied the essence of the Bamum king-
dom in a visual form (Geary 1996:287). The thrones had to be made as perfectly
as possible, and they represent the most prestigious objects of Bamum’s artists.9’’
By making the suggestion of a substitute throne “like the one the Kaiser owns” -
knowing all the while that it would concern a theatrical throne - Glauning led
Njoya astray. A theatrical throne is not the equivalent of a Prussian ruling symbol,
for which only a piece of Kaiser Wilhelm IPs seating furniture, used during official
state matters could have come into question. Yet, Glauning’s promises suggest
that it would concern a substitution of equal rank. Did Glauning consciously take
the ambiguity of his choice of words for granted and therefore the possibility of
Njoya’s mistaken conclusion that it could concern a throne of Kaiser Wilhelm II?
It is hard to believe that the Kaiser would have separated himself from such a
symbol of power, so that one of his African subjects might take a seat upon it.
- Even Glauning’s wording of the “great house of the Kaiser in Berlin” harbors
within it the possibility of a mistaken conclusion - that namely the throne would
be preserved in one of Kaiser Wilhelm IPs residences, or at least in one of his
building’s that he frequently visited. Indeed, the collections of the Königliche Mu-
seen zu Berlin were the private possessions of the Kaiser divided among several
buildings, but Glauning’s choice of words suggest that this prestigious object of an
African sovereign would be constantly located in the immediate vicinity of a Eu-
ropean monarch and therefore would be subjected to the appropriate appreciati-
on and tribute.
- Glauning gave credence to Njoya’s statement, that he would gladly give away the
throne, but that his chiefs had counseled him against this, because they feared
disaster as a result, but he hoped at the same time that Njoya would decide against
this advice and thus in favor of his own wishes. In this way, Glauning conveyed the
message to von Luschan that not all was lost, and that if Njoya’s change of opinion
was going to take place at all, it would only occur for Glauning’s sake.
- Glauning’s understanding of the concern about wrath and harm, which a giving
away of the throne could mean for Bamum did not relate to a human-emotional
level, instead he believed that the local “ancestor worshipping cult” “understan-
dably” gave rise to exactly such reactions.
- Glauning acknowledged Njoya’s promise, not to give the throne away to anyone
else, but nevertheless, through the choice of the words “believe” and “intends to
keep his word” he hinted at doubts - as if the well-known German saying “one
man, one word” could not be applied to an African.
- Glauning categorically rejected the production of a copy of the throne, because
Bamum no longer had such skilled woodcarvers at their disposal and also that the
pearl material could probably no longer be obtained. Even if the necessary mate-
rial could be gotten hold of against all expectations, the project would still fail due
to the lack of artisans.
- Glauning “permitted” Njoya time to think it over, and thus appears to have been
conscious of the significance of his appeal for the relinquishment of the throne.
After the course of the allotted time, Njoya did not inform Glauning about his
answer himself, but instead had this message delivered through a confidant. Thus,
Njoya avoided a direct encounter with Glauning on the last day of his visit in
Fumban and therefore demonstrated unusual behavior for a ruler, who always
met his European visitors with extreme respect and great politeness (Tardits
1992a: 43,51-52).
- Glauning questioned the value of the throne, which he obviously viewed only
through its execution, but not however for the socio-political significance it gave 95
95 See Tardits 19926:303, Njoya 1994:16-21 and Geary 1996:286-288.
184
Christine Stelzig; Africa is a sphinx
to the kingdom of Bamum. The remark about the upturned beer bottle in the
hand of the male figure signalizes the unspoken message: What could the throne
be worth, when the owner himself allowed the “authenticity” of the object to be
defaced by European trash? The fact that a beer bottle was chosen as a deserving
substitution for the usual drinking horn (for the presentation of palm wine), which
therefore signifies not a devaluation of the throne, but instead an appreciation for
a European object, did not occur to Glauning.96 97
As the further course of the events shows, the production of a copy of the throne in
Bamum was possible and was also carried out.47 In June 1907 Glauning made a rene-
wed effort with Njoya, whom he had called upon, in order to mediate a conflict
between the palace and the German businessmen (Geary 1994:23). It concerns the
last personal encounter of the two men, and Glauning reported afterwards to Ber-
lin:
Now, yet another notification! The chief Joia of Bamum. whom I recently visi-
ted, told me that he planned to visit the governor on the coast in a few months.
Because I know with certainty that he will not give away the famous throne of
his father, and also that he can not out of consideration to his people, I used the
opportunity and urged him to have an exact copy of this stool produced and to
present it to the governor as a gift for His Majesty the King. I told him that the
Kaiser was interested in his objects and that he had a large building (the Völ-
kermuseum), in which all of these things would be in safekeeping. Joia was all
for this suggestion and promised me to have a true copy of the original produc-
ed. He also promised me again not to hand over the original to anyone else, I
am convinced that he - at least for the present - will not give away the stool.98
This letter also reveals several points:
- Glauning acknowledged Njoya’s “no” and expressed understanding for his situa-
tion. However, here he ascribed the decision directly to Njoya and the concerns of
the advisers had become secondary.
- Glauning now characterized the throne as “famous.” The fact that not only the
Museum für Völkerkunde in Berlin, but also the museum in Leipzig was ardently
trying to acquire the throne for itself, could hardly have escaped him (see also
Geary 1983:47^48). An “upgrading” of the throne through the corresponding vo-
cabulary also shows an upgrading of Glauning himself and of his efforts on its
behalf. All the more if he would manage to succeed in emerging from the race
victorious.
- The words “part with” were replaced by the words “give away.”
- Glauning only now made the suggestion of producing an exact copy, which he had
omitted only a year before, in March 1906. In the letter, the word “exact” is under-
lined, whereby the challenge of the task is stressed. This was also conveyed to
Njoya, so that he promised a “true” copy. Is it possible that barely a year later the
lack of good woodcarvers and pearl material were suddenly no longer a pro-
blem?
- Glauning led Njoya further astray, by feigning the Kaiser’s interest in objects from
the royal house of Bamum in place of that of the museum ethnologist von Lu-
schan.
- The use of the explanatory word “Völkermuseum''99 for the “great house” of the
Kaiser does not indicate to what extent Glauning truly informed Njoya about the
character of a Völkerkundemuseum as a place of scholarly and popular interest
96 See also Geary 1983:49-50.
97 According to Geary, the woodcarver nji Nkome and the assistants of his workshop were
commissioned with the copy. Nji Nkome could be counted among the leading woodcarvers of
Bamum and most likely had produced the original (Geary 1996:289-290).
98 Glauning 1907c, emphasis by Glauning.
99 The term •'Völkermuseum'' was quite usual at that time. Thus, the Museum für Völkerkunde,
founded in Frankfurt am Main in 1904. was also first called “Völkermuseum” (Agthe 1994:6).
185
TRIBUS 55,2006
for objects by non-European peoples. The remark about the “safekeeping” of the
royal symbol of power of an African monarch - even if it was concerning a copy
- in a “house” of the German Kaiser did not say anything about the future fate of
the throne; Its display in a building, where it could be viewed daily by anyone for
a fee.
- Apparently, Glauning made Njoya promise him once again that he would not give
away the original to anyone else. He appears not to be sure, whether or not Njoya
would indeed part with the throne one day, and he obviously feared that he would
not be there at the right time.
- A second offer to take over the costs for the production of a copy or the renewed
recommendation to fulfill Njoya’s special requests did not occur, according to the
principle: If we are not going to get the original, then we should at least not have
to pay for the copy - after all, it concerned a gift for the Kaiser. That Wilhelm II
would submit to a gift in return, was certainly probable, but not yet certain at that
point in time. No suggestion of Glauning is known, as to what such a gift for Njoya
might be.
Von Luschan was satisfied with this arrangement, particularly as a further letter from
Glauning announced that the copy of the throne had apparently turned out very
well. However, the letter began with the words: “About the throne to be reproduced,
a copy of the famous Bamum throne, made at my instigation by the chief Joia as a gift
for His Majesty the Kaiser, the station officer Stößel from Bamum wrote to me...”
(Glauning 1907d, von Luschan 1907b). Thus, it was no longer the enthusiastic, volun-
tary reception of a suggestion by Njoya, which led to the production of a copy, but
instead a commission by the German colonial officer Glauning. If he had previously
stylized himself as an intimate authority on the situation in Fumban, he now empha-
sized his authority to serve as a negotiator - and clearly expressed his hierarchical
understanding of the relationship between Njoya and himself: The African monarch
was degraded to the recipient of an order. Certainly, the interpretation of this letter
by Glauning is problematic; particularly as there is no information about how direct
communication took place between him and Njoya. Were there Bamum translators,
who translated from German into the Bamum language? Did they speak Bali, one of
the linguae francael Or was Pidgin English spoken, which Njoya spoke fluently?100
As a result of the diverse vocabularies, Glauning may have chosen formulations like
“the great house of the Kaiser” and nevertheless still have informed Njoya about the
character of an ethnographic museum. In addition, it is quite possible that Glauning
occasionally spared von Luschan the detailed explanations of his discussions with
Njoya for lack of time. Still, in my opinion, Glauning’s remarks raise justifiable doubt
as to his sincerity and respect towards King Njoya.
In the end the Berlin museum did indeed succeed in gaining possession of mandu
yenu. In mid-December 1907, Njoya set off with 500 carriers and soldiers for the
coast to Buea, where he arrived on January 25, 1908, two days before the birthday
100 Geary assumed the latter, because at the beginning even the German missionaries had con-
versed with Njoya in Pidgin English (Geary, written correspondence, June 24,2005).
186
Christine Stelzig: Africa is a sphinx
celebrations for Kaiser Wilhelm II.101 However, the copy of the throne was not com-
pleted on time, so that in the end, through the encouragement of the missionary Martin
Gdhring from the Basel Mission, Njoya took the throne of his father Nsangu with him
on the trip - but not, before the glass bottle was exchanged with a pearl covered drin-
king horn, which indicates that he may have reacted to a related remark from Glau-
ning.102 According to Governor Theodor Seitz, in Buea, Njoya “asked” if he could “be
allowed to offer” the throne to His Majesty the Kaiser as a gift. At that point Njoya told
Seitz that a number of offers to purchase it from him had been made, but that he had
turned them all down, because he had heard of the Kaiser’s interest in “such items.”103
It was an alleged interest, which Glauning had reported to him.
Just how fast a copy for the Kaiser was made into a copy for Njoya can be gathered
from Ankermann, who was staying in Fumban in April 1908 and wrote to von Lu-
schan:
Regarding Ndzoya’s throne, you will receive the original; he’s had an exact copy
made for himself, which I have seen here - before it was finished, without the
covering of pearls. He wanted very much to give the throne to the governor him-
self, and because a copy could not be produced in the rush before his departure,
he took the original with him, encouraged by the missionary Gohring.104
In conclusion, the question must be raised whether or not von Luschan's suggestion
of the production of a copy of the throne carried the germ of its outcome within it.
According to the museum files, it was the only time that von Luschan ever expressed
a suggestion to make a replica in connection with the acquisition of African ethno-
graphica. The sequence of the words “pompous” and “also inwardly valuable” not
only show his priorities regarding the functions to be fulfilled by the substitution
throne, but in addition, also indicate the difficulties of compatibility facing the terms
“pompous” and “inwardly valuable.” Particularly as the words “inwardly valuable”
obviously refer to the material value of the theatrical throne, but not. however, to its
symbolic value. The word “pompous” is applied as a negative connotation for some-
101 An anonymous description in the journal Kolonie und Heimat in Wort und Bild. Organ des
Deutschkolonialen Frauenbundes related the events in the following way: "The sultan brought
with him to the governor the following illustrated large throne of his ancestors as a gift for our
Kaiser, which is carved in wood and covered with pearls and shells. The foot of this throne is
made of a carved step, upon which a continous row of fetishs are attached. On this step two
beautifully carved leopards and several snakes rise up to carry the stool, which is richly deco-
rated with pillows and ornamented with a large backrest of two nearly man-sized idols. The
throne, weighing approximately six hundredweight, will in all probability be transferred by the
Kaiser to the Museum für Völkerkunde in Berlin, and will most certainly become an excep-
tional showpiece for this institution. [...] Joja is a man of rare intelligence, who has shown true
friendship to the Europeans to this day. He completely approves the value of plantation work
for the Negro and appreciates that the Negroes learn to do rational work on the plantations led
by the Europeans” (anonymous 1908a:9). As this commentary shows, the author of the text was
insufficiently informed about the appearance of the throne. Consequently, it was not concerned
with representations of leopards, but rather with two warriors with flintlock rifles. The throne
was also not richly decorated with pillows, as can be discerned from the photograph accompa-
nying the article. Governor Seitz claimed that Njoya was accompanied by 20 soldiers and ap-
proximately 200 carriers, of which 60 were required to carry the throne (Seitz, cited in Geary
and Njoya 1985:186). On the iconographical significance of the representations on the throne
and footstool, see Geary 1981:38^13 and 1996:285-286.
102 Martin Göhring (1871-1959) joined the Basel Mission in 1889 and was ordained in 1895. In
the same year he traveled to Cameroon, where he was active at diverse missionary outposts
until 1915. From 1906-1911 and from 1912-1915 he directed the missionary outpost in Fumban
(written communication. Basel Mission, May 2,2002 to Susanne Ziegler, department of ethno-
musicology. Museum für Völkerkunde Berlin). See also Geary and Njoya 1985:14.
103 Seitz, cited in Geary and Njoya 1985:186.
104 Ankermann 1908c. On the production of such thrones, see also Geary 1981:33 and Tardits
19926:303. The copy appears to have been completed near the end of 1910. At least the first
photographs can be dated to this time period (Geary 1996:291).
187
TRIBUS 55,2006
thing excessive, which embodies “more appearance than reality." Is it conceivable
that von Luschan would really have been content with the production of a copy in
the end, with what in fact would be a “new” working of material that had been sent
by Germany? And this in view of the significance of the “authenticity” attached to
ethnographic objects, which at that time (as well as today) was tacitly believed to be
manifested above all by an object’s age?
Even before the throne arrived at the Museum für Völkerkunde in Berlin, it was an-
nounced by von Luschan as the “last great service” of “Captain Glauning, fallen on
March 5th in a victorious battle,” “this tireless employee,” whom the museum would
“always hold in fond remembrance.” His formulation in the corresponding passage of
the annual report Amtliche Berichte aus den Königlichen Kunstsammlungen reads:
[...] Ndschoia is one of the most talented and kindest of the chiefs in all of
Northwest Cameroon. He was one of the first among the native rulers to recog-
nize the advantages that could come to him through German rule. A new and
important gift from him, the old throne of his ancestors, is already on its way to
Berlin. I soon hope to be able to provide an illustration of this highly signifi-
cant, ethnographic and historical object within this forum.105
An African ruler is prepared to part with a family heirloom and symbol of power par
excellence, and in this way to demonstrate his recognition of Kaiser Wilhelm II as his
sovereign - this is the message communicated to the readers of this report.106 In my
opinion, whether or not Njoya truly wanted to make such an expression with the gift
of mandu yenu, as von Luschan, but also for example Tardits (1992b:303) believed,
cannot be unequivocally assessed. The congenial relationship between Bamum and
the Germans had already existed for many years. Njoya had repeatedly sent gifts to
Buea since 1903, receiving presents in return. Thus, he took up the customs of the
exchange of gifts between influential monarchies of the grassfields, which were meant
to consolidate political alliances as well as friendly relationships (Geary 1994:20,Tar-
dits 1992a:43). Njoya had already given Kaiser Wilhelm II a royal stool in 1905, which
his majesty had “the good graces” to likewise transfer to the Museum für Völkerkun-
de in Berlin (von Luschan 1905a;LXII).107 According to Geary, within the production
of a copy of the throne, Njoya saw the ideal possibility to maintain his political stra-
tegies to pursue a largely independent kingdom in a changing world. By keeping the
105 Von Luschan 1908b:204. Von Luschan realized this intention only in 1910, although not wi-
thin the annual report. The first illustration of the throne after its arrival in Berlin appears to be
the photograph in Felix von Luschan’s Rassen und Völker, where it is reproduced as a colored
photograph on p. 48. The caption reads: “Throne of the chief from Bamum, Cameroon. Original
at the Königliche Museum für Völkerkunde zu Berlin.” It is the only illustration of an object in
this publication, which bears the additional “original” in the caption.
106 Geary advocated the opinion that von Luschan would have been content with a copy of the
throne, because a replica would also have outstandingly presented itself as symbol of the “Ba-
mum myth”; The kingdom of Bamum played an important role in colonial undertakings and the
propaganda in Germany, and it advanced the African colonies of the German Reich into show-
pieces. For the German public, the loyal Njoya became “Germany’s black king in Africa.” Ob-
jects from Bamum were seen as proof of the uniqueness and of the high standard of develop-
ment of its people, who were successful under German rule and who appreciated the colonial
efforts of Germany. According to Geary, the political importance of the throne also led to the
fact that it became popular as “King Njoya’s Throne,” although strictly speaking, it was actually
the throne of King Nsangu (Geary 1996:298-299).
107 Von Luschan presented the donation in the annual report from 1905 with the words: “His
Majesty the Kaiser had the grace to transfer a stool given to him by the Sultan of Bamum for
display. This old piece, which is both strange and valuable in all respects, is carved from one
piece of wood and is entirely covered with cowry shells and colorful pearls. It represents a man,
who is beating a drum and has the circular seat resting upon his neck” (von Luschan 1905a:
LXII, emphasis by von Luschan). Knecht Oti-Amoako erroneously claims that the piece was
acquired by the museum in 1905 (Knecht Oti-Amoako 1994:179). A further stool of Njoya,
which he “gave to his friend Captain Glauning,” is located in the Barbier-Mueller Collection in
Geneva (Harter 1988:193).
188
Christine Stelzig: Africa is a sphinx
throne of his father and at the same time delivering the desired copy to the Germans,
he would be serving the interests of both his own people, as well as to those of the
German colonial powers. When it became evident that the replica would not be rea-
dy on time, Njoya decided to give away the original in order to save face.108
Njoya’s reaction to Kaiser Wilhelm II’s gift to him in return, for which he had waited
with cheerful impatience, illustrates that it disappointed him deeply. Upon Governor
Seitz’s suggestion, he was given a musical apparatus and records of Prussian military
marches; the mechanism of which broke shortly thereafter. Njoya expressed his opi-
nion about this gift in the following words, which only underscore the immeasurable
significance, which mandu yenu must have had for him;
The Kaiser should have asked me what he could give me. I would have asked
for a European stud farm.109
At the same time, this statement clearly demonstrates Njoya’s expectation that he
should also be treated with respect and courtesy - which is to say, from ruler to ruler
and not from sovereign to subject. In spite of everything, he considered Kaiser Wil-
helm II to be a friend (Geary 1996:297).110 In the end. King Njoya parted with mandu
yenu in belief of Glauning’s statement that Kaiser Wilhelm II himself had expressed
interest in these “things.” It may be assumed that he would have decided differently
if he had known it to be truly based upon the wishes of a museum curator in Berlin.
Concluding Remarks
Hans Glauning was a passionate soldier, a diligent collector, and a generous donor of
ethnographica as well. But was he also the friend of King Njoya. as he is characteri-
zed in the more recent research? Do Glauning’s comments and actions refer to a
man, who was capable and willing to meet a man from another, “lower” culture - in
keeping with the European conventions of the 19th century - with esteem and re-
spect, as the significance of the word friend implies? Does not the exposition laid out
above sooner indicate that Glauning “respected” Njoya specifically because Njoya
took a favorable view of European customs and was content with peaceful collabo-
ration - and thus exhibited a behavior, which suited the Germans very well, because
it made the exertion of colonial rule tremendously easier? Specifically because it
concerned a ruler, whose social status and generosity concerning Glauning’s desires
for objects benefited the reputation of the officer in colonial and scholarly circles?
According to Geary, it was Glauning’s relationship to Njoya that guaranteed him
access to the court of Bamum, so that Glauning himself had a vested interest in cul-
tivating this relationship - although in his own way. Glauning’s standpoint was simi-
lar to Bernhard Ankermann’s attitude towards his own relationship to Njoya:
I recently met Joja of Bamum in Bamenda and planned a visit to him. I have
the impression that one can gain much from him if one gets in his good graces,
and I would like to have a fine gift for him. At the time I had ordered a piece
of cheap velvet fabric for this purpose on the advice of the shopkeeper Sauer-
land at Herz + Schaberg, but did not receive it, because the factory could not
deliver it on time.111
108 Geary draws attention to the fact that in a letter from 1916, to the British King George V,
Njoya offered a throne as a gesture of his recognition of the new colonial power in Bamum. She
explained that the substitution throne was never put to use in a social or political context in
Bamum during the period of its production. Only after the original had been given away did
Njoya begin to use the replica as a national throne, conferring a new significance to the object
(Geary 1996:290-292). For the change in the significance of the making of art in Bamum during
the last two decades of Njoya's reign, see Geary 1996:292-297.
109 Rein-Wuhrmann, cited in Geary and Njoya 1985:188.
110 According to Geary, Njoya’s noble gesture to give the throne of his father to the German
Kaiser was made into an important topos in Bamum’s oral legend and in the construction of
Bamum’s local history (Geary 1996:297).
111 Ankermann 1908a.
189
TRIBUS 55,2006
In the case of the throne mandu yenu, Glauning lacked honesty in his dealings with
King Njoya. Njoya was grateful and indebted to Glauning, who enjoyed the reputa-
tion of a strict, but fair colonial official and military leader in Bamum. Glauning came
to Njoya’s aid on several occasions, in order to solve conflicts with German business-
men (Geary 1994:23). He was certainly deeply grateful to him for the successful cam-
paign against the Nso and for the return of the head from King Nsangu. Thus,
Glauning’s name was cited in this context in the Bamum chronicles, in which coloni-
al officials were otherwise hardly ever mentioned (Geary 1994:24). Two years later,
Glauning’s name was mentioned again in context with an account of the Nso cam-
paign, when in July 1908. Njoya spoke for the phonograph recordings of the German
geographer Franz Thorbecke.112 That Njoya truly respected Glauning becomes evi-
dent in the fact that as early as March 1908, he sent a life-sized sculpture covered in
pearls to Bamenda as an expression of his grief, so that it could either be erected
upon the Glauning’s grave or given to his family (fig. 17). The latter occurred, al-
though the family gave the figure to the Museum für Völkerkunde in Berlin, without
it ever having been in a home of the Glaunings. Von Luschan had arranged with the
family that the objects being stored in Bamenda would be sent directly to the Berlin
Fig. 17: Male figure, Bamum.
Cameroon, late 19th century.
Wood, brass, glass beads,
cowry shells, textile; height
160 cm. National Museum
for African Art, Washington,
D.C., Smithsonian Institu-
tion. inv. no. 85-8-1
112 From the documentation of the Thorbecke Collection, Cameroon, 1908, Walze 31: “Ndjoja
(Bamum) told the history of his people, delivered in Fumban (?), dated July 13,1908”: Walze 32:
“Ndjoja (Bamum) told of the Banso military campaign with Captain Glauning.” This and fur-
ther phonograph recordings by Thorbecke (1875-1945), who traveled through the Cameroon
Grassfields in 1908, and who had stayed in Fumban among other locations, are located in the
phonograph archive in the department of ethnomusicology at the Museum für Völkerkunde in
Berlin (see Ziegler 1995:1-34).
190
Christine Stelzig: Africa is a sphinx
museum, which led to a trying struggle over the estate during the next two years,
since Glauning’s family was the rightful heir to these collections (von Luschan
1908f).'13 At the same time, von Luschan was particularly keen to obtain the “grave
figure,” which he wanted to set up “as a type of African monument” surrounded by
Glauning’s collections at the museum (von Luschan 1908e). Geary has proved that
the figure, which can be dated to the second half of the 19th century, was not produ-
ced on the occasion of Glauning’s death, and that it belonged to the most valuable
historical objects of the art of Bamum, which can be found in western collections
today. According to her,Njoya’s gesture symbolically sealed the relationship between
the two men, who had esteemed and respected one another (Geary 1994:25, 47-
50).'14 It is not known, whether or not Glauning ever made a personal gift to Njoya
during his lifetime.
Hans Glauning came from a middle-class businessman’s family, which not only pos-
sessed the aristocratic title “von” on his mother’s side, but could also look back on a
noteworthy family history, marked by work of high artistic and commercial value. In
the 1840s, a branch of the family still maintained a trading house in Trieste, where
Glauning’s mother was born (Glauning, Heinr. 1909:10). His father Julius Johannes
had also spent time during his youth in diverse commercial cities in Italy (Glauning,
F. 1934:unpaginated), so that his family home could claim for itself a certain cosmo-
politan influence. To what extent this played a role in the upbringing of the children
is not known. Nevertheless, some clues may be taken from the tribute for their
father’s 100th birthday, on April 23, 1934, which was written by Glauning’s oldest
brother Fritz:
Inside a modest home, our dear father caught sight of the light of the world a
hundred years ago. Nördlingen, the site of our hometown, for us, the grand-
children and children! You gave much to our father, many inner values and
assets. It’s true that his youth was hard and austere, as austere as the small slo-
ping chamber under the roof in winter. That’s where the brothers lived. What
did his family home and his city give to him in his cradle? A Swabian manner
and a German soul, cheerfulness and strength. And they hardened him, so that
what he fought and won would let him mature into a man who created values
in life.113 114 115
The German region known as Swabia is located in southern Germany within the fe-
deral states of Bavaria and Baden-Württemberg. In contrast to the people living in
Prussia, the inhabitants of this states are said to possess a Baroque view of coming to
terms with existence. Inside this “Baroque environment,” the Swabians form a type
of enclave, nevertheless, in Germany they enjoy the reputation of being extremely
hardworking, economical and good at business. They are also said to have a certain
cleverness about them, which makes it possible for them to manage to take the very
best of every situation for themselves. If the “golden, splendidness” of this man. who
was purported to have been created by God in his “holiday mood” is perhaps a re-
113 In a letter to Ludwig Rudolf Glauning, von Luschan confirmed the arrival of the figure
meant for Glauning with the words; “... your brother’s possessions in Cameroon have now fi-
nally reached us here, including the large grave figure that was donated by Chief Ndschoya,
which is extraordinarily interesting and valuable on a scholarly level” (von Luschan 1908g).
114 The figure was illustrated for the first time in 1909 in the journal Kolonie und Helmut in
Wort und Bild. Organ des Deutschkolonialen Frauenbundes. The caption reads: “A monument
for Captain Glauning, donated by Sultan Joja from Bamum” (anonymous 1909:11). In 1910, a
further illustration appeared in von Luschan’s work Rassen und Vbiker, with the caption: “Life-
sized grave figure. Woodcarving decorated with pearls from Bamum in NW Cameroon” (von
Luschan 1910:58). Glauning and Njoya were not mentioned. In 1911, it was listed in the muse-
um guide as “pearl covered grave figure in display no. 36” (Ankermann 1911:71). Once again,
the names of Glauning and Njoya were not listed. However, Njoya’s wish that the figure would
be erected upon Glauning’s grave was misunderstood from the beginning and consequently a
function was ascribed to it, which it never had in Bamum (see Geary 1994:47-50).
115 Glauning, F. 1934:unpaginated.
191
TRIBUS 55,2006
flection of his native background, then his unwavering qualities and determinedness
are also mirrored in Glauning’s family background. Terms like “honor,” “loyalty,”
“honesty” and “dependability” were not only fixed components of the military beha-
vioral codex of the 19th century, but also of middle-class society inself, which saw the
embodiment of essential German virtues within them.
Glauning was ambitious, and wanted to achieve recognition in academic circles, in
addition to his military career. His publications, his lecture and his annotated trans-
lation were aimed at colonial circles, whose self-interested expectations with regard
to the conceptions about the “rule over,” “exploitation,” or “conversion” of the “pri-
mitive peoples” were served by the German colonial administration and Glauning’s
delegation, like many other travelers, colonial officials or missionaries from the 19th
and the beginning of the 20th centuries.116 Glauning used these forums to heighten
his own level of fame, for increasing the value of his character and of his work for his
native German country. Even his letters to a scholarly public, represented by the
ethnographic museums in Berlin and Stuttgart, are expressions of his aspirations to-
wards recognition. Glauning gladly carried out his responsibilities in Africa and was
proud of the many years of service and the affiliation to the “community” of the
Schutztruppe, which protected Germany’s interests far from the homeland (Glau-
ning 1905c). He clearly stated his ideas about the use of colonial possessions: “Let's
hope that Uhehe are really able to offer the German farmers a second homeland,
and that one day a new Germany will emerge for us with the development of this
country.”117 For himself, Glauning characterized his relationship to Africa with the
words: “Africa is a sphinx - once she’s taken hold of you, she won’t let go so easi-
ly.”118
Biographical research often raises far more questions than it can provide with an-
swers. The lack of further written and visual sources, which could have allowed for
better insights into Glauning’s private temperament, make a balanced characteriza-
tion of him as an individual difficult. He never characterized himself as King Njoya’s
friend, neither in his letters, nor for example in his publications, nor was a friendship
ever mentioned in contemporary sources. Whether or not Glauning personally fought
with overcoming stereotypical ideas about Africa and Africans and a corresponding
attitude, is no longer possible to determine - the officer and collector, did not suc-
ceed however. Thus, Hans Glauning’s case mirrors the spectrum of the possibilities of
interpretation of human patterns of behavior, which in regard to King Njoya and the
throne mandu yenu would seem to require a more critical use of the notions of
“friend” and “friendship” when applied within the colonial context.
Translated by Wendy Wallis, Berlin
Acknowledgements
1 am most grateful to Christraud M. Geary, Hermann Forkl, Silvia Dolz, Beatrix
Heintze, Susanne Ziegler, Achim Radosuboff, Anette Schade, Kenneth Tanifor Am-
bewenden, Juerg Schneider and Jan-Georg Deutsch. They have all kindly shared
their knowledge with me, supplied me with archival information and photographs as
well as with critical comments on this study. I am also grateful to the National Muse-
um of African Art in Washington, D.C. for permission to reproduce the photograph
of the “grave figure” from Bamum. I would like to thank the archivists of the city
116 See for example Adler and Stelzig 2002:39^10.
117 He also held similar hopes for regions of the Cameroon Grassfields (Glauning 1898a:67,
1906a:707).
118 According to Ernst Kohlschiitter, Glauning’s words had impressed him “because they con-
cisely express the travels into the unknown and the nearly demonic power with which this
country knows how to hold anyone under its spell, once they have seen it. What was meant
figuratively has now literally happened” (Kohlschiitter, cited in Langheld 1910:11).
192
Christine Stelzig: Africa is a sphinx
archives of Augsburg and Nördlingen as well as of the Sächsische Hauptstaatsarchiv
Dresden, who assisted me in gathering information on the history of the Glauning
family. And last but not least, I also would like to thank the families of H. and U.
Schmidt-Bäumler, R. Borchers, D. Hoschek, H. Neelsen, S. Huthloff and B. Glauning
for their kind support, for supplying me with information and for permission to pub-
lish photographs from the Glauning family album.
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1908b Letter to Karl Graf von Linden, a camp in Berbo (Mambila), January 17,
1908.
Langheld, Wilhelm
1910 “Gedächtnisrede für den am 5. März 1908 gefallenen Hauptmann Glau-
ning”, unpublished manuscript.
Linden, Karl Graf von
1902 Letter to Hans Glauning, Stuttgart, October 21,1902.
1903a Letter to Hans Glauning, Stuttgart, June 17,1903.
1903b Letter to Hans Glauning, Stuttgart, October 16,1903.
1904 Letter to Hans Glauning, Stuttgart, February 29,1904.
1907 Letter to Hans Glauning, Stuttgart, July 18,1907.
Museum der Weltkulturen Frankfurt am Main
Aghte, Johanna
1994 “Geschichte des Museums für Völkerkunde Frankfurt am Main”, unpub-
lished manuscript.
Stadtarchiv Augsburg
“Familienbogen Glauning”, data on the family.
Stadtarchiv Nördlingen
Written communication from March 11,2005.
199
TRIBUS 55,2006
Sächsisches Hauptstaatsarchiv Dresden
Written communication from March 15,2005.
Presbyterian Church in Cameroon, Buea
Glauning, Hans
1907g Letter to Mr. Ernst of the Basel Mission, Bamenda, April 17,1907.
Basel Mission
2002 Written communication to Dr. Susanne Ziegler, department of ethnomusi-
cology. Ethnologisches Museum, Berlin, from May 2,2002.
Glauning Family
Glauning, Fritz
1934 On April 23,1934. Commemorative address on the 100th birthday of Julius
Johannes Glauning, unpublished manuscript.
Interrogation record of the witch trial in Nördlingen during the 16th centu-
ry, undated, machine made manuscript.
Photographic Credits
Figs. 1, 5-7:
Fig. 3:
Figs. 4,12-13:
Fig. 8:
Figs. 2, 9-11,14-15:
Fig. 16:
Fig. 17:
Courtesy of the Glauning family
Museum der Weltkulturen, Frankfurt am Main
Linden-Museum Stuttgart, Staatliches Museum für Völker-
kunde, Anatol Dreyer
Museum für Völkerkunde Dresden, Eva Winkler
Staatliche Museen zu Berlin, Preußischer Kulturbesitz, Ethno-
logisches Museum Berlin (fig. 7,8,13; Eric Hesmerg)
Photograph by Hans von Ramsay, Archive Linden-Museum
Stuttgart, Staatliches Museum für Völkerkunde, labeled
“Westafrika II Kamerun 26, links unten”
National Museum of African Art Washington, D.C., Smithso-
nian Institution, Franko Khoury
200
Florian Stifel: Ethnographische Notizen aus dem Nankinatal
FLORIAN STIFEL
Ethnographische Notizen aus dem Nankinatal,
Papua-Neuguinea
Vorbemerkung
Im Jahre 1997 hatten mein Kommilitone Torsten Hanf und ich die Möglichkeit, im
Rahmen des Ethnologiestudiums eine selbst organisierte Feldforschung in Papua-
Neuguinea durchzuführen. Unser Ziel war das kleine Dorf Taip im Nankinatal,
einem abgelegenen Gebiet im Finisterre-Gebirge, das uns Verena Keck für unser
Vorhaben empfohlen hatte.
Karte 1: Nankinatal
201
TR1BUS 55,2006
Da seit damals keine weiteren Forschungen in diesem Gebiet stattgefunden haben
und die aus unserer Feldforschung hervorgegangenen Arbeiten nur schwer zugäng-
lich sind, stelle ich an dieser Stelle grundlegendes ethnographisches Material vor, das
zu großen Teilen bereits in unseren Magisterarbeiten verarbeitet wurde.1 Der
Schwerpunkt des vorgestellten Materials liegt auf der Siedlungs- und Sozialstruktur
der als Nankina bezeichneten Bewohner des Gebiets. Die große Bedeutung, die
beides für die Nankina hatte und wahrscheinlich noch hat, zeigt sich bezüglich der
Landrechte in diesem dünn besiedelten Teil Papua-Neuguineas.
1) Das Nankinatal - Der Blick von Taip aus
1.1 Lage und Gestalt des Dorfes
Das kleine Dorf Taip liegt an dem Nordhang des Takonwantals, einem Seitental des
Nankinatals auf ca. 1400 m über dem Meer. Über ein Gebiet, dessen Durchwande-
rung mindestens eine halbe Stunde in Anspruch nimmt, liegen ca. 25 Häuser ver-
streut. Die Häuser sind nur zum Teil bewohnt und werden, nachdem man sie aufge-
geben hat, als Bau- und Brennstofflager verwendet. Doch auch die genutzten Ge-
bäude werden nicht ununterbrochen bewohnt, da jede Familie noch Häuser an ande-
ren Orten, meist in den eigenen Gärten, besitzt. Die drastische Veränderung des
Dorfbildes fällt sofort stark auf. Keck fand 1988, zwei Jahre nach der Gründung des
heutigen Dorfes und der Taufe seiner Bewohner, ein kompaktes Dorf vor.
„Zehn große Häuser stehen in zwei parallel ausgerichteten Reihen auf einer gras-
losen Terrasse, teilweise sind sie mit kleinen Blumenrabatten eingefaßt.“2
1997 war davon nur noch die große Terrasse mit einer Hausruine an ihrem Rand
erhalten. Das kompakte Dorf, das Keck gesehen hatte, hat sich praktisch aufgelöst.
Vom damaligen Standort Kopenwumbo (Camp 1) verlegten die Bewohner die Häu-
ser zuerst an die als Camp 2 bezeichnete Stelle in östlicher Richtung.3 Dort werden
drei umzäunte Häuser auch noch 1997 (wenigstens zeitweise) bewohnt. Außerdem
finden sich an diesem Platz das nicht mehr benutzbare Kirchengebäude, das die Be-
wohner 1993 gebaut haben, und die Ruinen einiger alter Häuser. Diese wurden teil-
weise niedergebrannt, um auf den dadurch gedüngten Flächen Tabak anzubauen.
1995 begannen die Bewohner Taips am heutigen Hauptsiedlungsplatz geeignete Flä-
chen einzuebnen, um dann dort nach und nach ihre Häuser zu errichten. Diese Flur
heißt Kwombieng und wird meist einfach als Camp 3 bezeichnet.
1 Vgl. Hanf 2000; 2001, Hanf und Stifel 2000, Stifel 2001.
2 Keck 1992a, S. 132. Bei Keck (1992a, S. 129-131) findet sich auch eine Zusammenstellung der
ersten Versuche, die Bewohner Taips bzw. deren Vorfahren zum Bau einer gemeinsamen und
permanenten Siedlung zu bewegen. Erfolgreich war erst 1986 ein Evangelist namens Pili aus
Bambu.
3 Keck schreibt diesen Flurnamen als Kapmbumbo. Die Bezeichnungen Camp 1, Camp 2 und
Camp 3 werden gleichbedeutend zu den Flurnamen verwendet.
202
Florian Stifel: Ethnographische Notizen aus dem Nankinatal
Bei genauerer Betrachtung fällt jedoch auf, dass Camp 3 aus zwei Teilen, einem obe-
ren und einem unteren, besteht, die jeweils über ein eigenes Junggesellenhaus (bue-
knwit) und eine eigene Wasserversorgung mittels Bambusleitungen verfügen.4 Zwi-
schen den beiden Ortsteilen steht das Haus des ehemaligen Evangelisten Taips, Buru
Bundi, einem Mann der aus Bambu stammt und von 1988 bis 1996 im Ort tätig war.
Daneben sollen eine neue Kirche, ein neues Schulgebäude und einige Wohngebäude
errichtet werden.
Soweit zu erfahren war, hat die Veränderung des Ortsbildes einerseits mit der Nähe
zu den gerade bewirtschafteten Gärten und andererseits mit der kurzen Lebensdau-
er der Gebäude zu tun. Der Hauptgrund für die Verschiebung des Standortes ist aber
laut meinen Informanten das Problem gewesen, dass an den beiden letzten Sied-
lungsplätzen (Camp lund 2) die Zäune, die das Dorf und die angrenzenden Gärten
vor den frei im Busch lebenden Schweinen schützen sollten, diesen nicht gewachsen
waren. Es kommt hinzu, dass an beiden Stellen der Untergrund sehr steinig ist und
damit jede Bautätigkeit erschwert wird. Kwombieng hat dagegen den Vorteil, dass
ein tiefer, steiler Graben den Platz gut nach Westen schützt. Die meisten Gärten der
Bewohner Kwombiengs schließen sich dem Dorf in östlicher Richtung an. Auch sie
sind durch Bäche, Gräben und Zäune vor den Schweinen einigermaßen sicher.
Der Name Taip wird von den Talbewohnern für das gesamte Gebiet vom Berg Ma-
nambo bis zu den hinter dem Towanbruk-Bach liegenden Gärten (mit ihren Garten-
häusern) benutzt. Man bezeichnet damit also nicht nur die eigentliche Siedlung, son-
dern ein recht großes Gebiet, das nicht nur die letzten beiden Siedlungsplätze und
die beiden isolierten Gehöfte in Gunwipnbo und auf dem Berg Manambo umfasst,
sondern auch diejenigen Gärten und Fluren beinhaltet, die sich in direkter Umge-
bung des Dorfes befinden. Jedes Flurstück hat zudem einen eigenen Namen. Die
4 Durch Bambusrohre, deren Nodien mittels langer Stangen durchbrochen sind, wird Trink-
wasser von einer gefassten Quelle im Busch nördlich von Camp 2 zu diesem selbst und dem
oberen und unteren Teil Kwombiengs geleitet. Diese, das natürliche Gefälle des Geländes nut-
zende Technik konnte ich nur in Taip sehen. Auch andernorts wird das Wasser durch Bambus-
rohre geleitet, jedoch nie weiter als eine Rohrlänge (ca. 3^t Meter). In Taip waren diese Was-
serleitungen aus ineinander gesteckten Rohren über 100 Meter lang.
203
TRIBUS 55,2006
Bewohner benutzen meist diese und verwenden die Dorfnamen nur, wenn sie sich
außerhalb des gemeinten Dorfes befinden. Die Aufnahme der Flurnamen gestaltete
sich für mich schwieriger als erwartet. Deshalb führe ich nur diejenigen auf, die ich
für ausreichend gesichert halte. Über die einzelnen Bedeutungen der Namen bzw.
ihrer Bestandteile konnte ich nichts in Erfahrung bringen.
1.2 Die Bewohner
Laut einer Zählung für die lutheranische Kirche in Bambu leben 1997 insgesamt 88
Menschen in Taip. ■ Davon ist ca. die Hälfte unter 15 Jahre alt. Die meisten Bewohner
können weder lesen noch schreiben. Nur wenige Frauen, aus anderen Orten stam-
mend und durch Heirat nach Taip gekommen, sprechen Tok Pisin. Für die meisten
jüngeren Männer ist dies heutzutage selbstverständlich, denn viele haben das Tal
schon einmal verlassen, um Lohnarbeit in anderen Gegenden (meist Plantagen an
der Küste) nachzugehen. Einzelne Männer haben auch eine der Schulen in Bambu
und Gwarawon besucht, oder in der für kurze Zeit in Taip betriebenen Bibelschule
(1988-1995) etwas Lesen und Schreiben gelernt. Nur ein Mann, Kristofer Pokngo,
erreichte ,Grade Seven‘ an einer Schule in Nokopo im benachbarten Yupnotal. Die
älteren Männer sprechen nur ihre eigene Sprache, die allgemein Nankina5 6 genannt
wird.
Die Bewohner bezeichnen sich alle als Christen. Mangels eines benutzbaren Kir-
chengebäudes finden Gottesdienste aber nur sporadisch statt, meist dann, wenn Ab-
gesandte der Kirche aus anderen Dörfern, wie Buru Bundi während meines Aufent-
halts, im Dorf anwesend sind. Normalerweise findet Sonntags kein Gottesdienst
statt, da die Dorfbewohner ausgerechnet an diesem Tag alle recht früh in ihre Gärten
aufbrechen und um 10:00 Uhr nur noch wenige Personen, fast ausnahmslos Alte,
Kranke und kleine Kinder, anwesend sind. Der von Buru Bundi zum ,Hetman‘ er-
nannte Mann, Bosara Pokngo, der eigentlich für die Durchführung der sonntäglichen
Zusammenkünfte zuständig ist, sieht sich außerstande, die übrigen Dorfbewohner
zur Teilnahme zu zwingen, und ist selbst nicht unglücklich, wenn auf diese anstren-
gende Prozedur verzichtet werden kann. Als ,Hetman‘7 soll er sich für den Bau des
neuen Schulgebäudes einsetzen, mit dem die Bewohner bereits begonnen haben.
Während meines Aufenthaltes in Taip kam dieser aber nicht einen Schritt voran.
Die einzelnen vor Ort vertretenen Verwandtschaftsgruppen in Taip, die bieme, sind
mit fast allen anderen Dörfern des oberen Nankinatals durch Heiratsbeziehungen
verbunden. Von 28 mir bekannten Ehen verbinden 22 bieme, die an verschiedenen
Orten leben. Innerhalb Taips finden sich nur drei junge verheiratete Paare, bei denen
beide Partner aus dem Dorf selbst stammen. Ebenfalls dreimal sind aus Taip stam-
mende Personen mit Bewohnern aus Nachbargebieten (Waruptal und Küste) ver-
heiratet. Meist wohnen die Paare am Wohnort des Vaters des Ehemannes. Diese pa-
trilokale Residenzregel findet in Taip nur vier Ausnahmen.8 Die bieme haben unter-
schiedliche lokale Schwerpunkte bei der Wahl ihrer Heiratspartner. Nicht jeder bie-
me ist mit jedem anderen im Tal verbunden. Viele bieme leben heute an mehreren
Orten im Tal, in einigen Fällen auch außerhalb.
1.3 Beziehungen zu den Nachbardörfern
Zu den beiden wichtigsten Dörfern des Tals, Gwarawon und Bambu, gelangt man
von Taip aus zu Fuß in vier bis sechs Stunden. Aus dem Tal heraus kommt man ent-
5 Zählung vom 29.6.1997. Laut Keck (1992a, S. 142) waren es 1988 61 Einwohner.
6 Abgekürzt: NNK
7 Die Stellung des ,Hetman‘ wird als rein kirchlich/verwaltungstechnische angesehen. Außer
den im Text genannten Tätigkeiten, umfasst sie noch die Organisation kommunaler Aktivi-
täten, wie das Reinhalten der Wege.
8 Terminologie nach Schlesier 1958, S. 224-225. Vgl. Schmitz 1962.
204
Florian Stifel: Ethnographische Notizen aus dem Nankinatal
weder mit Hilfe des überall in PNG wichtigen Flugzeugs von Bambu und Gwarawon
aus nach Madang und Lae, oder zu Fuß in einem Zwei-Tages-Marsch zur Küste nach
Saidor oder Malalamai. Dort verkehren regelmäßig Schiffe, deren Benutzung weit-
aus günstiger ist als die des Flugzeugs. Die benachbarten Täler (Yupno, Wantoat,
Warup, Mot) sind ebenfalls zu Fuß zu erreichen, auch wenn die Wege für lange Wan-
derungen denkbar ungeeignet sind. Obwohl die Distanzen in Kilometern ausge-
drückt gering sind, ist jede Fortbewegung in dem steilen Gelände mühsam. Das stän-
dig wechselnde Wetter trägt hierzu nicht unerheblich bei, denn die schlechten Wege
werden mit aufkommendem Regen zu rutschigen Schlitterbahnen, auf denen auch
für die Einheimischen mancher Marsch zu einer schmerzhaften Tortur wird. Beson-
ders problematisch ist die Überquerung des Nankinaflusses, weil es nur zwei begeh-
bare Brücken im Tal gibt und selbst diese oft in einem schlechten Zustand sind. Es
empfiehlt sich, bevor man irgendwohin aufbricht, den Zustand des Weges und der zu
überquerenden Brücken in Erfahrung zu bringen, weil es sonst passieren kann, dass
man unterwegs wieder umkehren muss. An den Wegen finden sich immer wieder alte
Gärten, in denen noch Taro angebaut wird und die den vorbeikommenden Men-
schen als Raststätten dienen. Die zu den Gärten gehörenden Häuser dienen als Un-
terschlupf für Wanderer, die es vor Einbruch der Dunkelheit oder Einsetzen des fast
täglichen Regens nicht bis zum nächsten Ort oder Weiler schaffen. An der Brücke
zwischen Taip und Gwarawon findet sich zudem ein Bambushain, der als Materialla-
ger für den Brückenbau dient. Problematisch ist oft die Wasserversorgung auf den
anstrengenden Märschen durch den dichten Bergregenwald, weil nicht überall Quel-
len vorhanden sind. Die großen Höhenunterschiede, die es zu überwinden gilt, füh-
ren von kühlen, windigen Bergrücken hinunter in die stickige Feuchtigkeit des Fluss-
tales. Die damit verbundenen Temperaturunterschiede äußern sich stark in der Flora
und Fauna der Umgebung.9
Insgesamt wohnen ca. 2500-2700 Personen auf Höhen von 1000 bis 2200 m über dem
Meer im oberen Nankinatal.10 Davon leben jeweils ca. 600-800 Personen in und um
die wichtigsten Orte Gwarawon und Bambu, die beide über Landepisten verfügen
und regelmäßig angeflogen werden. Dort gibt es kleine Läden, Schulen und kleine
Krankenhäuser11, weshalb diese Orte für die Bevölkerung Taips und der anderen
Dörfer eine große Rolle spielen. Die Namen Gwarawon und Bambu, die sich auf
Dorfgründungen der vom Yupnotal kommenden lutheranischen Missionare bezie-
hen, werden, wie im Falle Taips auch, für größere Landstücke benutzt, die für die
Bewohner selbst aus einer Vielzahl von Fluren mit eigenen Namen bestehen. Beide
sind zudem eigenständige Kirchenbezirke innerhalb der ELC-PNG. Die Kirchenge-
meinde Taip zählt mit Yowanggowo, Gobbayon, Sepawan, Eyanggowo und drei an-
deren zum Bambu-Seket.12 Die übrigen Orte sind kirchenrechtlich dem Nankina-
Seket in Gwarawon unterstellt.
Ausgehend von sprachlichen, kulturellen und verwandtschaftlichen Beziehungen im
oberen Nankinatal werden die Bewohner des Gebietes heute allgemein als eine
mehr oder weniger homogene Ethnie, die Nankina, bezeichnet. Diese Bezeichnung
9 Ein Beispiel dafür sind die Malariamücken (Anopheles), die auf den Höhen fehlen und mit
denen die Bewohner nur durch ihre weiten Wanderungen in Kontakt kommen.
10 Hierbei handelt es sich um eine Schätzung, die auf älteren Zahlen basiert. Auch die Talbe-
wohner sind eingeschlossen, die sich nicht permanent im Tal aufhalten.
11 Diese Aufzählung soll keinen falschen Anschein bezüglich der Ausstattung dieser Einrich-
tungen erwecken. Die Waren in den Läden sind meist ausverkauft, die Schule ist für viele nicht
zu bezahlen und die medizinische Versorgung äußerst rudimentär.
12 Mit ,Seket‘ (von engl, circuit) werden die Kirchenbezirke der ELC, mit .Congregation1 die
einzelnen Gemeinden innerhalb eines Bezirkes bezeichnet. Über die genaue Anzahl und Lage
aller Orte im Tal herrscht Unklarheit. Landkarten des Gebietes sind veraltet und gefüllt mit
falschen oder im Tal unbekannten Ortsnamen.
205
TRIBUS 55,2006
spielt vor allem bezüglich der Abgrenzung zu benachbarten Gruppen eine große
Rolle und wird heute von allen Außenstehenden für die Bevölkerung verwendet.13
1.4 Die Nachbargruppen
Die innerhalb der ethnologischen Literatur bekannteste Nachbargruppe der Nanki-
na sind im Nordwesten die Ngaing. bei denen Lawrence bereits in den 50er Jahren
geforscht hat. Das von ihm behandelte Thema der „Cargo-Kulte“ ist in Melanesien
immer noch aktuell und Gegenstand wissenschaftlicher und gesellschaftlicher Dis-
kussion.14 Neuere Arbeiten zu den Ngaing stammen von Hermann, Kempf und Niles,
die in den späten 80er Jahren dort forschten. Gesicherte Beziehungen von dort zu
den Nankina gab es in den 40er Jahren, als die Aktivisten der von Lawrence be-
schriebenen Yali-Bewegung auf einer ihrer Patrouillen durch das Tal kamen und Ta-
riknan und Bambu erreichten.1'’
Verlässt man das Tal über die Wasserscheide nach Süden, gelangt man ins Wantoat-
tal. Schmitz forschte dort in den 50er Jahren. Von diesem Tal kommend durchwan-
derte er selbst das Nankinatal. Hiervon zeugen in seinen umfangreichen Arbeiten zu
den Wantoat aber nur vereinzelte Hinweise.16
Im Osten des Nankinatales schließt sich das kulturell und sprachlich sehr ähnliche
Yupnotal an. Schmitz durchwanderte dieses Tal ebenfalls und veröffentlichte hierzu
auch seine Ergebnisse.17 Kocher Schmid, Keck, Wassmann und Niles arbeiteten in
verschiedenen Dörfern zu unterschiedlichen Themen in den 80er Jahren dort. Zahl-
reiche Publikationen folgten diesen Forschungen.18
Während ethnologische Arbeiten bezüglich der Gruppen, die nördlich bzw. nordöst-
lich der Nankina leben, bisher nicht vorhanden sind, werden sie in linguistischen
Arbeiten als eigene Sprachfamilie genannt.19 Die dort verwendeten Gruppenbe-
zeichnungen tauchen, ähnlich wie die Bezeichnung Nankina, vereinzelt in den be-
reits genannten Arbeiten zu den anderen Gruppen des Gebiets auf. Eine dieser
Gruppen, die Asat, konnte Hanf gemeinsam mit Bewohnern Taips und anderer Nan-
kinadörfer anlässlich eines Tanzfestes in dem Ort Pisana besuchen. Ein Mann aus
Taip besitzt dort ein Haus und steht in enger Verbindung zu einigen Bewohnern. Von
Taip ist Pisana in zwei Tagesmärschen leicht zu erreichen.20
Auf die Schwierigkeiten der linguistischen Klassifikation weist ausführlich Hanf
hin.21 Sie ist jedoch im Finisterre-Gebirge die übliche Methode Gruppen zu lokali-
sieren und zu benennen. Nach Wurm und Hattori ist das Nankina eine Papua-Spra-
13 Keck (1992a,S. 113/114) diskutiert die Namensgebung für die Bevölkerung ohne eine Erklä-
rung zu liefern, wann und warum sich die Bezeichnung ,Nankina‘ durchgesetzt hat. Die Eigen-
bezeichnung Sepiek, die von Keck für die Bevölkerung genannt wird, benutzen meine Infor-
manten nur in Verbindung mit kom (Wasser) als Bezeichnung für den Fluss. Schmitz (1955, S.
305) nennt die Bevölkerung ,Gamak‘, ein Name der von den ersten Missionaren verwendet
wurde.
14 Lawrence 1964. Otto 1992. Jebens und Kohl 1999.
15 Lawrence 1964, S. 213. Weitere Literatur zu den Ngaing und der Yali-Bewegung:
Hermann 1992; 1996. Kempf 1992a; 1992b; 1994; 1996a; 1996b. Lawrence 1965; 1973.
16 Schmitz 1960b.
17 Schmitz 1958. Eine vollständige Übersicht des umfangreichen Werks zur Huon-Halbinsel
des jung verstorbenen Schmitz liefert Fischer 1967.
18 Keck 1992b; 1993b; 1998. Kocher Schmid 1991; 1992. Wassmann 1992b; 1993a; 1993b; 1994;
1997b.
19 Wurm und Hattori 1981. Zur Geschichte der Erwähnung und linguistischen Klassifizierung
von Gruppen in der Madang-Provinz vgl. Keck 1995.
20 Den Namen für diese Gruppe bzw. die Sprache, Asat, verwendeten auch unsere Informanten.
Trotz erheblicher Sprachunterschiede bestehen zwischen beiden Gruppen enge Beziehungen.
Die Verwandtschaftsgruppe, die Besitzer des Bodens in Taip ist, ist in Pisana mit einem angese-
henen Mann und seiner Familie vertreten.
21 Hanf 2000, S. 17.
206
Florian Stifel: Ethnographische Notizen aus dem Nankinatal
che des Finisterre-Huon Stock. Sie wird zur Yupna-Familie gerechnet.22 Diese um-
fasst neben dem Nankina noch das Mebu23 in westlicher Richtung und Kewieng,
Nokopo, Isan, Wandabong, Bonkiman, Domung und Gabutamon im Yupno-Gebiet.
In diesem werden die einzelnen Sprachen mit Dorfnamen benannt.24 25
Im Süden grenzt die Yupna-Familie an die Wantoat-Familie. Im Westen schließt sich
die Gusap-Mot-Familie an.2-' Im Nordosten befindet sich die Warup-Familie mit acht
genannten Sprachen, deren Sprecherzahl sich zwischen 50 und 1000 bewegt. Alle
genannten Familien gehören ebenfalls zum Finisterre-Huon Stock. Zwischen den
genannten Sprachfamilien zeigen die linguistischen Übersichtskarten immer noch
,weiße Flecken4, Gebiete, über die weder von linguistischer noch von ethnologischer
Seite her etwas bekannt ist. In diesen Gebieten leben immer noch kleine Menschen-
gruppen, die sich bisher weder von der Verwaltung noch von der Mission zur Errich-
tung permanenter Siedlungen bewegen ließen.
1.5 Zerfransung- zur inneren Differenzierung des Nankinatals
Die relative Einheitlichkeit der Nankina, die sich aus der Abgrenzung zu anderen
Gruppen ergibt, wird verwischt, wenn man das Tal von „innen“ betrachtet. Es finden
sich Anzeichen innerer Zersplitterung, oder wie man für dieses Gebiet ebenfalls sa-
gen könnte, Zerfransung. Dieser Begriff lehnt sich an den in der Neuguinea-Ethno-
logie üblichen englischen Terminus „Fringe“26 27 an, mit dem die Gebiete zwischen
Hochland und Küste bezeichnet werden. Wichtige Aspekte dieser Zerfransung wur-
den von den Informanten selbst thematisiert und zeigen, welche Unterschiede für
diese innerhalb des Tals bestehen.
a) Ein wichtiger Aspekt der Zerfransung, auf den ich hingewiesen wurde, bezieht
sich auf eine Dialektgrenze innerhalb des Tales. Sie verläuft laut der Mehrzahl mei-
ner Informanten in südöstlich-nordwestlicher Richtung zwischen Taip und Gwara-
won/Bambu. Meine Informanten, die fast alle aus einem bieme stammen, zählen ih-
ren Dialekt (Tok Pisin; Tok-Ples Taip) nicht zu dem der anderen Dörfer im oberen
Nankinatal, sondern ordnen ihn den Dörfer Kwopmbo/Yupyewin im Nordosten zu.
Laut Keck werden die Bewohner dieser Gegend von den Nankina Moit21 genannt,
eine Bezeichnung, die von meinen Informanten nicht bestätigt wurde. Über die Spra-
che der Bewohner Kwopmbos ist bei Niles zu lesen:
„Although the Kwopmbo speak a different language, people in Gwarawon have now
translated most of the ,Mokuwa‘ songs into their own language.“28
22 Wurm und Hattori 1981. Vgl. auch McElhanon 1973.
23 Diese Sprachgruppe wird in der Nachbarschaft der Ngaing und Nankina erwähnt. Welche
Orte von Sprechern des Mebu bewohnt werden, bzw. wer diese Sprecher sind, ist aber unklar.
24 Kewieng, Nokopo, Isan, Wandabong, Bonkiman sind bei Wassmann (1992b, S. 215) verzeich-
nete Dörfer im Yupnotal. Domung (oder Dornum) ist ein Ort oder eine Flur in der Nähe von
Yaut, während über Gabutamon nichts Weiteres bekannt ist. Fluss, Tal und Bewohner werden
allgemein Yupno genannt, die Sprache Yupna.
25 Die wichtigste Sprache dieser Familie ist Rawa mit über 7000 Sprecher. (Quelle: http;//www.
sil.org/ethnologue/families/Trans_New_Guinea.html)
26 Wassmann 1992a, S. 9f. Vgl. auch A. Strathern 1988, S. 189/190. Hier findet sich eine Zusam-
menfassung von typischen Charakteristika der Fringe-Bevölkerungen PNGs - niedrige Bevöl-
kerungsdichte, Mischwirtschaft (Garten, Jagd und Sammeltätigkeit), ausgedehnter Männerkult,
Tauschverbindungen zu Hochland/Küste.
27 Keck 1992a, S. 111.
28 Niles 1992, S. 174. Dieser Tanzgesang wurde 1986 (das Jahr der Dorfgründung Taips!) von
den Angehörigen einer Verwandtschaftsgruppe aus Kwopmbo (Name nicht genannt) nach
Gwarawon („Komata-clan“) veräußert. Hanf und ich konnten einen Gesang namens Maru-
Wowo4 aufnehmen, der dem Kepmbok-h/cme gehört. Keck (1992a, S. 133) erwähnt den Begriff
mokowu (laut Keck: mo - Frau, kowu - Schwein) als Bezeichnung für den Brautpreis, wobei
meine Informanten diese Konstruktion nicht kannten. Sie nennen das Schwein mbar.
207
TRIBUS 55,2006
Die von Spaulding & Spaulding, die in Bambu und Sepawan29 forschten, ins Nankina
übersetzten Teile des Neuen Testaments sind für die wenigen alphabetisierten Be-
wohner Taips unverständlich. Für die Informanten sind sie in ,Tok-Ples Sepawan1
oder ,Tok-Ples Bambu1, geschrieben. Informationen von C. Spaulding unterstützen
diese Angaben insofern, als dass ihm Informanten in Bambu nicht sagen konnten, ob
Taip sprachlich noch zu den höher gelegenen Dörfern zählt oder nicht. Er unter-
scheidet drei nicht näher lokalisierte Dialekte.30
Die angenommene sprachliche Homogenität der Nankina, wie sie von Linguisten
nahe gelegt wird, löst sich bei genauerer Betrachtung auf. Die Verständigung der
Bewohner des Tales untereinander ist dennoch relativ unproblematisch. Deshalb
gehe ich davon aus, dass es sich um verschiedene Dialekte handelt.31 Die Verständi-
gung geht nach Angaben meiner Informanten sogar mit Bewohnern des benachbar-
ten (oberen) Yupnotales recht gut vonstatten. Dies verwundert nicht weiter, wenn
man bedenkt, dass laut Wassmann ein großer Teil der im Yupnotal lebenden Ver-
wandtschaftsgruppen (Yupna: jalap) aus dem Nankinatal und dem Warupgebiet zu-
gewandert sein soll.32
b) Im Tal wird immer wieder auf die Aufteilung nach oben und unten, was auch als
kalt und warm bezeichnet wird, hingewiesen. Diese Aufteilung bezieht sich einerseits
auf die natürliche Umgebung und die Nutzpflanzen, die bis und ab bestimmten Hö-
henlagen mit den entsprechenden Temperaturen wachsen können. Es fällt aber an-
dererseits auf, dass im oberen Teil des Tales generell mehr Menschen leben als im
unteren. Die Orte sind oben kompakter und größer als unten. Taip nimmt für den
von den Nankina bewohnten Teil des Tales diesbezüglich eine Mittelstellung ein, so-
wohl Nutzpflanzen als auch das Ortsbild betreffend. Keck erwähnt die zwei Begriffe
Yamong (warmer Ort) und Kowap (Busch, kalter Ort).33 Diese Art der Klassifizie-
rung der eigenen Umwelt wird auch für andere Gruppen im Finisterre-Gebirge er-
wähnt.34
c) Die dritte Differenzierung der einzelnen Orte in „moderne und unmoderne“ wird
ebenfalls von den Nankina gemacht. Taip nimmt auch hier eine Mittelstellung ein.
Seine Bewohner werden von anderen, aus Gwarawon und Bambu stammenden
Nankina, auf Tok Pisin ,bus kanaka tru‘ (eine beleidigende Bezeichnung für Bewoh-
ner abgelegener Gebiete) genannt, da es bei ihnen momentan weder eine Schule
noch eine Kirche gibt.
Als Indiz für die Zurückgebliebenheit der Taip wird auch die im Alltag noch getra-
gene, traditionelle Kleidung angeführt. In Taip sind selbst hergestellte Grasröcke
(keak) bei Frauen und Schambinden aus Rindenbaststoffen (deyan oder gengib) bei
Jungen und Männern keine Seltenheit.
Die Taip werden verdächtigt, trotz ihres Bekenntnisses zum Christentum bestimmte
Riten und Techniken aufrecht zu erhalten. Es soll sich dabei hauptsächlich um die
Initiation der jungen Männer und die damit verbundene Einweihung in bestimmte
Zaubertechniken handeln. Dies wird von den „modernen“ Nankina mit einer Mi-
29 Bei Spaulding und Spaulding (1994, S.vii) heißt dieser Ort Sepmbong.
30 Spaulding & Spaulding 1994, S. 1. Persönliche Email an Torsten Hanf vom 26.1.1999.
31 Da sich aber alle klassifizierenden Linguisten nur mit den Bewohnern der oberen Nanki-
nadörfer auseinandergesetzt haben und keine Informationen für das von mir besuchte Gebiet,
bzw. das angrenzende Warupgebiet vorliegen, halte ich diese Annahme für sinnvoll. Spaulding
hält es u.U. für möglich, dass Tok-Ples Taip eine gänzlich andere Sprache als das Tok-Ples Sepa-
wan/Bambu ist, das er aufgenommen hat (Email vom 26.1.1999).
32 Wassmann 1992b, S. 214-216.
Die jalap wohnten jeweils zu zweit in einem Weiler (mbema - umzäuntes Gebiet) in dem sie ein
Männerhaus teilten. Beide standen in einer ngapma ngapma genannten Partnerbeziehung
(Keck 1992b, S. 46-51).
33 Keck 1992a, S. 111. Beide Begriffe sind mir gegenüber nie erwähnt worden. Ebenso der auf
Kecks Karte verzeichnete Ort Yamong, von dem man mir nicht sagen konnte, ob und wo es ihn
konkret gibt.
34 Schmitz 1960b, S. 11. Wassmann 1993a, S. 157f und 1992b, S. 209. Kocher Schmid 1992, S. 186.
208
Florian Stifel: Ethnographische Notizen aus dem Nankinatal
schung aus Furcht und Bewunderung behauptet. Ganz ähnliche Ansichten vertreten
die Taip gegenüber den Bewohnern der nördlich gelegenen Dörfer und Weiler. Dies
deckt sich mit der Erklärung Buru Bundis, dass die wahren Probleme der christlichen
Kirche in dem Gebiet bei Mambit liegen und die Leute in Taip schon recht weit (in
kirchlichem Sinne) gekommen seien.35
Ähnlich zerfranst wie das Tal stellt sich das Dorf Taip dar, wenn man vom gemein-
samen Wohnort der Bewohner absieht, denn die Bevölkerung setzt sich aus Angehö-
rigen verschiedener bieme zusammen, die erst seit kurzer Zeit gemeinsam an einem
Ort leben. Immer noch spielt die jeweilige Zugehörigkeit zu einer solchen Verwandt-
schaftsgruppe eine große Rolle im sozialen Leben des Dorfes und das Verhalten der
einzelnen Menschen zueinander ist davon bestimmt.
2) Der bieme - die wichtigste soziale Einheit der Nankina
2.1 Begriffsbestimmung
Die schon mehrfach erwähnte patrilokale, namentragende Verwandtschaftsgruppe,
der bieme, ist das stärkste Element in der Sozialstruktur der Bevölkerung des Nan-
kinatals. Meine Informanten konnten nichts über die Flerkunft des Begriffs sagen.
Keck übersetzt ihn mit „Clan“ und definiert ihn als „eine residentielle Gruppe von
beiderlei Geschlecht, deren Mitgliedschaft durch patrilineare Deszendenz, gemein-
samen Landbesitz und ein Gruppentabu (...) bestimmt wird“.36
Diese Definition birgt aber ein Missverständnis in sich. Wesentliche Aspekte des
bieme sind zwar darin erfasst, aber ein wichtiger wurde vergessen. Die bieme sind
exogame Einheiten.37 Somit ist der bieme niemals mit der Residenzgruppe identisch,
da immer Ehepartner aus verschiedenen bieme Zusammenleben.
Als die bieme früher noch einzeln auf ihrem eigenen Grund (Tok Pisin: asples trutru)
in kleinen umzäunten Weilern (magn) siedelten, waren die Männer einer solchen
Residenzgruppe notwendigerweise mit Frauen aus anderen bieme und somit ande-
ren Residenzgruppen verheiratet. Eine lokale Organisation in Partnerklane, die zu-
sammen in einem Weiler wohnten und durch Schwesterntausch verbunden waren,
wie sie Keck für das obere Nankinatal berichtet, ist meinen Informanten auch für die
Vergangenheit unbekannt.38
Während ich hier auch die Frauen bereits als Mitglieder der bieme betrachte, beto-
nen die Männer in Taip, dass eigentlich nur sie richtig zu einem bieme gehören, da die
Frauen entweder aus dem eigenen bieme heraus oder von einem anderen in den des
Mannes einheiraten. Meine Informanten benutzten dafür die Umschreibung: „Die
Frauen sind in der Mitte.“39 Die Männer geben aber trotzdem die bieme-Zugehörig-
keit der Frauen an.40 Als Töchter werden sie zum bieme ihres Vaters und ihrer Brü-
der gezählt und haben auf deren Land Nutzungsrechte. Stirbt der eigene Vater, ge-
35 Hanf und mir wurde mehrfach von Männern aus Mambit das Angebot gemacht, zu Ihnen zu
kommen, wenn wir wirklich etwas aus der Zeit der Vorfahren kennen lernen wollten, was die
Mission bisher nicht verbieten konnte.
36 Keck 1992a, S. 138. Ich bevorzuge statt Clan die deutsche Schreibweise Klan und verwende
den Begriff im Sinne von Schmitz 1959.
37 In Taip gibt es eine Ausnahme. Diese betrifft einen bedeutenden Mann, der eine Frau aus
einer weit entfernten Linie seines bieme geheiratet hat. Dieser Mann hat zudem als einziger in
Taip zwei Ehefrauen.
38 Keck 1992a, S. 123,140/141. Wie sich zwei so organisierte Klane das Land aufteilten ist, nicht
klar.
39 Tok Pisin: ,01 meri i stap long nameL Was die Frauen selbst von dieser Aussage halten, war
nicht zu erfahren.
40 So auch von sehr alten Frauen, deren Männer schon lange tot sind. Sie wohnen noch mit den
Verwandten des Mannes zusammen, werden aber zum Klan ihrer Brüder gerechnet.
209
TRIBUS 55,2006
hen die Frauen allerdings leer aus.41 Ist ein Mädchen noch nicht verheiratet oder lebt
eine Frau aus anderen Gründen bei ihrem eigenen bieme, so kann sie Nutzungs-
rechte von ihren Brüdern einfordern, die diese nicht verweigern dürfen.
Durch die Heirat verlassen die meisten Frauen ihren Klan und wohnen bei dem des
Ehemannes. Stirbt der Ehemann, geht ein Teil seines beweglichen Vermögens an
seine Frau, die weiterhin Boden für sich und die gemeinsamen Kinder bebauen kann.
Die Kinder werden auch nach dem Tod des Ehemannes zu dessen bieme gerechnet
und als deren Mutter kann die Frau bei diesem bleiben. Auch dies zeigt deutlich, dass
die Deszendenzgruppe nie mit der Residenzgruppe identisch sein kann, woraus sich
die Angaben der Männer über den Status der Frauen erklärt. Da die Männer (frü-
her) mit fremden Frauen auf ihrem Boden lebten, betrachten sie sich als die eigent-
lichen Landbesitzer, die Frauen aus verschiedenen Gründen die Nutzung desselben
erlauben. An der Spitze der Land besitzenden und verteilenden Männergruppe steht
jeweils der „Vater der Erde“ (Tok Pisin; papa bilong graun), ein angesehener Mann,
der oft auch mit dem in Melanesien gebräuchlichen Tok Pisin Term ,bigman'42 be-
zeichnet wird.
Da heute jeweils mehrere bieme in Dörfern zusammenwohnen, ist es nicht mehr
notwendig einen Heiratspartner aus einer anderen Residenzgruppe zu wählen. Wie
die bereits oben angeführten Zahlen über die Herkunft der Heiratspartner in Taip
verdeutlichen, ist dies aber immer noch üblich. Das Zusammenleben der bieme in
einem Dorf ist ein nicht unkritischer Zustand, da sich die einzelnen bieme früher
bekämpft haben sollen43 und auch heute noch großes Misstrauen unter Angehörigen
verschiedener bieme herrscht. Das Zusammenwohnen von verschiedenen bieme in
einem Dorf bedeutet, dass nicht jeder Zugang zu eigenem Boden hat. Deshalb ist es
nötig, dass sich die zugezogenen bieme mit der Gruppe der Landbesitzer bzw. dem
,papa bilong graun' arrangieren. Der Bezug zum eigenen Herkunftsort, dem ,asples
trutru’, bleibt aber trotzdem eng. Selbst wenn man weit davon entfernt wohnt, be-
wirtschaftet man dort v.a. Gärten mit langlebigen Pflanzen.
Der enge Zusammenhang zwischen der Sozialstruktur und dem Land zeigt sich auch
in den häufig benutzten Begriffen mokenbieme (mok - Erde, Grund, Boden) und
mokkirat (mok - Boden; kirat - Knochen), die auch synonym zur Bezeichnung des
Klans verwendet werden.
Außerdem bezeichnet man mit diesen Begriffen besondere Orte (Tok Pisin: ples
hait; auch; ples nogut), heilige Gegenstände (Tok Pisin; kastom, tambu)44, eine perso-
nifizierte Macht (Tok Pisin: papa bilong graun)45 und bestimmte Geschichten (Tok
Pisin: stori trutru). Die Geschichten klären über den Zusammenhang von Land, Ge-
genstand und Macht auf und kursieren in verschiedenen Varianten. Die wichtigsten
Varianten sind nur den erwachsenen Männern eines bieme bekannt. In diesen wird
auch der vor Frauen und Kindern geheim gehaltene Name der Macht genannt. Die-
ser ist der Schlüssel zu ihrer Nutzbarmachung für den Klan.46
41 Vererbt werden neben den persönlichen Gegenständen v.a. Gärten und Nutzpflanzen. Heute
sind die Kaffeegärten von großer Bedeutung. Häuser werden nach dem Tod des (männlichen)
Besitzers aufgegeben.
42 Die Verwendung des Begriffs ,bigman‘ durch die Taip, darf nicht zu dem Schluss führen, dass
es sich dabei um ,bigman‘ im anthropologischen Sinne handelt. Der Tok Pisin Term .bikpela
brata' (großer Bruder), der häufiger benutzt wird, kommt dem Nankinabegriff pamina (s.U.)
viel näher. Im anthropologischen Sinne sollte man eher von ,great man' sprechen. Vgl. Sahlins
1963, Godelier 1987, Barth 1987 und Lemonnier 1991.
43 Einige Erzählungen berichten von dem permanenten Kriegszustand, in dem die Ahnen
lebten. Darunter kann nicht nur Krieg (Tok Pisin: pait) in unserem Sinne gemeint sein, sondern
auch der Todeszauber (Tok Pisin: poisin pait, Nankina: mawung ).
44 Hierbei handelt es sich um das von Keck erwähnte Gruppentabu.
45 Der ebenfalls so bezeichnete Vorstand eines Klans verfügt über das Wissen, um mit dieser
Macht in Verbindung zu treten und sie zugunsten des Klans zu nutzen.
46 Vgl. Keck 1992a, S. 138,140.
210
Florian Stifel: Ethnographische Notizen aus dem Nankinatal
Der bieme lässt sich folglich als Land besitzende, Namen tragende, exogame und
patrilineare Deszendenzgruppe definieren, die durch ein ausgeprägtes Gemein-
schaftsgefühl gekennzeichnet ist. Die bieme sind nach Angaben der Informanten in
der Regel patrilokal organisiert.47 Heute bestehen die bieme meist aus mehreren lo-
kal getrennten Patrilinien, die durch Segmentation entstehen und aufgrund der ge-
wachsenen Mobilität über das ganze Tal verstreut sein können.48
Im Klankonzept der Nankina verbinden sich demnach patrilineare Deszendenz, ge-
meinsamer Landbesitz des Patriklans und ein, seine Mitglieder verbindender, religi-
ös-mythologischer Aspekt. Durch das Exogamiegebot der Klane ergibt sich notwen-
digerweise ein weites Netz von Beziehungen zwischen Personen, die nicht dem glei-
chen Klan angehören.
Während das wichtigste Ordnungsprinzip, der Klan, die ideelle Grundlage des ge-
sellschaftlichen Lebens im Nankinatal ist, spielen sich die praktischen Handlungen
der Menschen innerhalb eines zusätzlich durch affinale und lokale Beziehungen ge-
knüpften Netzes ab. Diese Beziehungsnetze sind nicht für alle Mitglieder eines Klans
dieselben und unterscheiden sich je nach dem Herkunftsklan des Heiratspartners.
Sie öffnen die patrilinearen, territorialen und religiösen Grenzen des Klans für die
einzelnen Akteure in unterschiedliche Richtungen. Die dadurch vorhandene geogra-
phische und soziale Mobilität orientiert sich praktisch immer an Gegebenheiten, die
im bieme-System selbst begründet sind. Um diese Möglichkeiten aufzuzeigen, unter-
ziehe ich das Verwandtschaftssystem der Nankina einer genaueren Betrachtung, die
verdeutlicht, in welches Netz von Beziehungen die Menschen im Nankinatal verwo-
ben sind.
2.2 Das Verwandtschaftssystem der Nankina
Für die Ausführungen zum Verwandtschaftssystem der Nankina gelten einige Ein-
schränkungen. Diese resultieren aus Problemen, die Hanf bereits formuliert hat:
„Mit zunehmender Dauer der Gespräche und abnehmendem Verwandtschafts-
grad ließen Interesse und Konzentration (der Informanten) erheblich nach
und Mißverständnisse und Fehler mußten durch mehrmaliges Nachfragen mi-
nimiert werden.“49
Die Verwandtschaftsterminologie der Nankina umfasst folgende Bezeichnungen, die
von einem männlichen Ego ausgehen.50
1) dadna/nana/nanawa - F; FB; MZH
2) nona - M; FBW
3) bawuna - FF;MF; WFF; WFM; WMF; WMM; SS; DS
4) awana - MBW; FM; MM; SD; DD
5) buekn menjina - S; BS
6) mo menjina - D; BD
7) kwena/duana - B (pamina - eB; apna - yB); FBS; WZH; MZS; WMZS; WMZD
8) beina - Z; FBD
9) kwatjena - ZS; ZD; FZS; FZD; MZD
10) nantokna - FZ; WFZ
11) mo - BW
12) nantupna - SW; BSW; ZSW; WBSW; WZSW; WZDH
13) mamena - MB
14) rnoma - MZ; WMZ
47 Es findet sich diese Residenzregel betreffend Ausnahmen, die von den Leuten selbst als
solche wahrgenommen und begründet wurden.
48 Bei diesem Prozess wird der Name des bieme nicht geändert. Erfolgt dies, spreche ich von
einem neuen Klan, wie ein späteres Beispiel zeigen wird.
49 Hanf 2000,8.29.
50 Es gelang, nur wenige Termini für ein weibliches Ego von meinen männlichen Informanten
zu erhalten.
211
TRI BUS 55,2006
15) mona-'W
16) silakna - WB, WS
17) moni -WBW
18) yipma - DH; BDH; ZH; WBDH; WF: WM; WFB; WFBW; FZH; WMB; WMBW;
WFBS; WFBD; WMBS; WMBD
19) pijena - WFZH
20) nukna - MBS; MBD; WFZD; WFZS
21) kametna - ZDH
22) nanawe - WMZH
23) menjina - WBS; WBD; WZS; WZD51
Die Endung -na fungiert als das Possessivsuffix der 1.Person Singular. Für die Positi-
onen 11 und 15 zeigt sich dieser Umstand deutlich, denn -na macht die Differenzie-
rung zwischen Egos eigener Ehefrau und den Ehefrauen von B und FBS möglich.
Ego kann von diesen natürlich nicht als „meine Frau“ sprechen. Er bezeichnet sie
einfach als „Frau“.-"’2
Spricht Egoms B und FBS an, nennt er sie entsprechend dem relativen Alter pamina
(eB) und apna (yB). Seine Z und FBD nennt Ego beina. Eine Frau verfährt mit ihren
terminologischen Schwestern als Gruppe ebenso (kwena). Die ältere Schwester
nennt sie pamina und die jüngere apna. Ihre Brüder nennt sie als Gruppe datna. Sie
spricht sie aber auch dem Alter entsprechend als pamina und apna an. Pamina ist
außerdem die Nankina-Bezeichnung für den „Vater der Erde“, den wichtigsten
Mann einer Patrilinie.
Als kwena/duana, zwei gleichbedeutende Begriffe53, bezeichnet Egoms auch noch
Personen, die nicht unbedingt aus seinem Klan stammen müssen, es aber prinzipiell,
v.a. bei angenommenem Schwesterntausch, können (WZH, MZS, WMZC). Einem
kwena kann man im Alltag keine Bitte abschlagen und man fühlt sich für ihn, sein
Eigentum, seine Frau, seine Kinder und sein Leben mitverantwortlich. In der Regel
wohnt man im gleichen Ort und verbringt viel Zeit bei gemeinsamen Arbeiten. Die
Männer, die sich gegenseitig so bezeichnen, stammen aus einer Generation und sind
früher in ihrer Jugend gemeinsam initiiert worden. In diesem Sinne stellen sie auch
eine religiöse Gruppe dar. Seine Kinder (und die seiner kwena) nennt Egoms menji-
na. Das Geschlecht wird durch die Hinzufügung von buekn (männlich) und mo
(weiblich) unterschieden. Alle gehören demselben bieme an.
Als kwena bezeichnet man auch außerhalb der verwandtschaftlichen Beziehungen
Personen, zu denen man in einem positiven Verhältnis steht. Zur Übersetzung dieser
Möglichkeit bedienen sich die Informanten desTok Pisin Begriffs ,wantok‘.
Laut Keck hatte früher der mamena genannte MB Egos bei der Initiation die Aufga-
be, den Initianten ins Männerhaus zu bringen.54 Ein besonderes Respektverhältnis
zum Mutterbruder, bzw. dem ältesten der Mutterbrüder, besteht aber immer noch.
Die jüngeren Brüder des mamena werden mome genannt. Kleine Kinder gibt man
oft in die Obhut ihres mamena und dessen Frau, die überraschenderweise als awana
bezeichnet wird, einem Terminus, der sonst nur weiblichen Personen in den Genera-
tionen 2+ und 2- gilt.
Die Kinder seiner Schwester (ZC) bezeichnet Ego als kwatjena, sie nennen ihn wie-
derum mamena.55 Außerdem nennt er FZC kwatjena. Deren mamena ist Egos nana,
nanawa oder dadna (F, FB, MZH). Die drei Begriffe sind laut meinen Informanten
gleichbedeutend, auch wenn die übliche Anrede des Vaters nana ist. Die Einordnung
von MZH in die Gruppe von F und FB kann als Indiz für die ehemalige Praxis des
Schwesterntauschs gewertet werden.
51 Zeichensystem nach Barnard und Good 1984, S. 3-9.
52 Vgl. Position 17: moni\ -ni ist das Possessivsuffix 3. Person Singular, also ,seine Frau‘.
53 Tok Pisin: Em wankain!
54 Keck 1992a, S. 142.
55 Tok Pisin: kandere
212
Florian Stifel: Ethnographische Notizen aus dem Nankinatal
In der Patrilinie seiner Ehefrau sind deren Geschwister für Ego von besonderem
Interesse. Er nennt sie silakna und unterliegt Meidungsregeln gegenüber ihnen.56
Schließlich darf man nicht vergessen, dass Egos Kinder ihren mamena in dieser
Gruppe haben und Ego den Brautpreis an die Brüder und den Vater der Ehefrau
bezahlt. Gegenüber den yipma genannten Verwandten, v.a. WF und WM, muss Ego
ebenfalls Meidungsregeln befolgen. Ego darf z.B. nicht neben ihnen sitzen oder sie
direkt ansprechen.
Aus den genannten Verbindungen einzelner Personen zu Angehörigen anderer bie-
me ergibt sich für Ego ein Netz von Beziehungen, das für seine Handlungen von
großer Bedeutung ist. Ein Ego steht nicht nur zu seinem eigenen bieme bzw. dessen
Angehörigen in einem besonderen Verhältnis, sondern auch zu Angehörigen der Pa-
trilinie seiner Mutter und der seines Ehepartners. Nach Keck gibt es für diese Ver-
wandtschaftsklassen drei spezielle Bezeichnungen;
Die Angehörigen des eigenen bieme bezeichnet ein Ego allgemein als kwena.
Die Angehörigen von Mutters bieme werden als piekna bezeichnet.
Die Angehörigen des bieme von Egos Ehefrau werden als kwana bezeichnet.57
Nach meinen Beobachtungen sind nicht die einzelnen bieme in ihrer Gesamtheit,
also mit allen, auch den lokal getrennten, Angehörigen eines bieme, für die Men-
schen von Bedeutung, sondern vielmehr die vor Ort vertretenen Patrilinien der ver-
schiedenen bieme. Sie stellen, in einem so kleinen sozialen Kontext, wie er sich in
Taip findet, den Bezugsrahmen für die Handlungen der Personen dar. Ein Indiz für
die Bedeutung der Patrilinie ist, dass man bei der bieme-Zugehörigkeit immer den
Namen des bieme und den Wohnort des Vaters angibt. Man gibt also die lokale Patri-
linie einer Person als deren Herkunftsgruppe an. Heutzutage wird dies durch die
Verwendung von Vaters Namen als Nachnamen noch verstärkt.58 59
2.3 Die Situation in Taip
In Taip leben die männlichen Angehörigen von mindestens fünf solchen Klanen zu-
sammen mit ihren Frauen, Kindern und anderen Verwandten. Namentlich sind dies:
Bomboyam-b/eme
Yakonggeng-b/eme
Mayewen-bieme
Yingit-bieme
Kepmbok-bieme
Prinzipiell sind die einzelnen bieme sehr eigenständig. Ich konnte jedoch in Erfah-
rung bringen, dass es einen bieme gibt, der als Ursprungs-6/eme bezeichnet werden
kann (Upmang-bieme). Als eine Art Nachfolger dieses Klans gilt der Bomboyam-
bieme. Bis auf einen bieme sind alle Upmang, aber nur der Bomboyam-bieme hat in
Taip die Landrechte und das damit verbundene Wissen geerbt. Ein Informant39 er-
zählte dazu die Geschichte von einem (Geschwister-)Paar, welches als erstes in das
damals noch öde und unbewohnte Tal60 kam. Der Mann Sowa und die Frau Dowung
kamen von der Küste aus den Nankina-Fluss hinauf, bis sie einen Ort erreichten, der
als mokenbieme der Upmang bezeichnet wird.61 Dort bekamen die beiden neun Kin-
der, die sich später über das ganze Gebiet verteilten und die Vorfahren der dann
entstandenen bieme wurden. Genannte Orte, an die die Nachfahren von Sowa und
Domung zogen, sind Taip, Bambu, Kowanggowang und Teptep.
56 Tok Pisin: tambu
57 Keck 1992a, S. 142/143.
58 Kristofers und Bosaras Vater hieß Pokngo, Burus Vater Bundi, Muyupes Vater Zeme.
59 Lope, ein aus Bambu stammender Mann aus dem Bomboyam-ftieme, der bei seiner Frau
(Yingit-b/eme) in Taip lebt.
60 Tok Pisin: ples nating
61 Dieser Ort liegt unterhalb Gwarawons am Ufer des Nankina. Einen Flurnamen konnte ich
nicht erfahren.
213
TRIBUS 55,2006
Der größte Teil des Landes in und um Taip gehört dem Bomboyam-bieme. Taip ist
dessen ,asples trutru". Der als mokenbieme bezeichnete heilige Ort dieses Klans liegt
in der Nähe des Ortes und heißt Bianggawang.62 Während Keck als Gruppentabu
der Bomboyam, gegenüber dem sich die Klanangehörigen vorsichtig und respektvoll
verhalten müssen, eine Schlange nukum angibt, erhielt ich die Auskunft, dass der
Bomboyam-bieme den wilden Mango pungit als solches verehrt. Der bedeutendste
Mann und „Vater der Erde“ des Bomboyam-bieme heißt Guringe und wohnt im
oberen Teil Kwombiengs. Dieser Mann pflegt enge Beziehungen zu den in Pisana
lebenden Asat und besitzt dort ein Haus.
Auf dem südwestlich von Kwombieng gelegenen Bergrücken Gunwipnbo siedelt der
Yakonggeng-h/eme. Die Landverteilung auf Gunwipnbo ist das Ergebnis der Entste-
hung dieses bieme. Das gesamte Gebiet bis zum Berg Manambo gehörte ehemals
vollständig dem Yingit-bieme. Die Yingit hatten Mitgliedern des aus Gwarawon
stammenden Mayewen-bieme gestattet, sich auf ihrem Territorium anzusiedeln. In
der Folge beanspruchte der Mayewen-6/eme das Land für sich. Vor zwei Generati-
onen kam es zum Streit unter Brüdern. Ein Teil der Mayewen verblieb auf dem
Grund und wurde zu einem eigenständigen Klan, dem Yakonggeng-h/emc. Der be-
deutendste Mann und Vorstand des bieme ist Kjolkwake. Er ist der mamena des
ehemaligen Evangelisten Buru aus Bambu. Der andere Teil der Mayewen unter
einem Mann namens Jepo behielt den Namen bei, zog Richtung Osten und siedelte
auf Bomboyam-Grund. Sein Sohn Otopowe (FBS von Kjolkwake) ist inzwischen ein
alter, blinder Mann, steht aber seiner Patrilinie immer noch vor. Die Nähe der beiden
bieme zeigt sich noch im gemeinsamen Gruppentabu, dem Flughund rnarap. Auch
der Kwap-bieme in Gwarawon besitzt dieses Gruppentabu.
Der Yingit-bieme soll vor zwei bis drei Generationen noch recht groß gewesen sein.
Gegenwärtig ist er nur durch drei Personen in Taip vertreten. Allerdings sind zwei
Männer aus anderen bieme zu ihren aus diesem Klan stammenden Frauen gezogen.
Diese unterstützen den noch jungen und unverheirateten „Vater der Erde“, Kusuke.
Als Gruppentabu wird die wilde Betelnuss samok angegeben.
Der pamina des Kepmbok-bieme in Taip, Misik, wohnt auf dem Berg Manambo.
Auch dieses Land gehörte ehemals dem Yingit-bieme. Mit 37 Personen ist dieser
bieme zahlenmäßig am stärksten vertreten. Davon sind 26 Personen direkte Nach-
fahren von Pokngo, demjenigen Kepmbok-Mann, der als erster nach Taip kam. Mei-
ne wichtigsten Informanten gehörten diesem bieme, bzw. der Patrilinie Pokngos an.
Dieser Klan kommt in dem Wanderungsmythos des Upmang-bieme nicht vor. Er hat
einen eigenständigen Mythos, der nicht in Beziehung zu dem der Upmang/Bomboy-
am steht. Die Kepmboks leiten ihre Herkunft öffentlich von einem im Busch leben-
den Geist, dem duwop63, ab. Das Ursprungsgebiet des bieme liegt in nordöstlicher
Richtung im Ort Yupyewin. Dort unterhalten seine in Taip lebenden Mitglieder nach
wie vor Gärten. Als einziger bieme Taips besitzt dieser keine Pflanze oder Tier als
Gruppentabu, sondern das Schwirrholz yonyon. Diese Information wird auch vor
Angehörigen anderer Klane geheim gehalten.64 Den Namen Yonyon trägt auch ein
weißer Felsen, an dem ein Ahne einen Buschgeist überlisten und dank der an diesem
Ort wirksamen Macht (in Gestalt eines Baums) töten konnte.65
62 Vgl. Stifel 2001, Anhang: Die Geschichte von Bianggawang; Keck 1992a, S. 124: Die Ge-
schichte vom wilden Yams.
63 Tok Pisin: masalai. Dies ist jedoch eine Kategorie von Geistern, die man allgemein als tundok
bezeichnet. Der duwop ist ein spezieller Charakter. Er ist ein kleiner Mann mit einem großen
Kopf, den bisher fast niemand zu Gesicht bekommen hat. Man findet jedoch seine Spuren im
Busch an Pflanzen, von denen er sich ernährt. Diese Pflanzen sind, wenn sie die Spuren des
duwop aufweisen, für Menschen giftig. Vgl.Stifel 2001, Anhang; Geschichte des Kepmbok-6/e-
me
64 Ich erhielt diese Information unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Als andere Männer anwe-
send waren, wurde ein Fisch (Nankina: mbok) als Gruppentabu angegeben.
65 Vgl. Stifel 2001, Anhang: Die Geschichte von Yonyon und das Bild des Schwirrholz von Bo-
sara
214
Florian Stifel: Ethnographische Notizen aus dem Nankinatal
Pokngo verließ Yupyewin aus Angst vor dem Giftanschlag eines ,poisin-man‘. Der
Tod eines Bruders und einer Schwester von Pokngo wird einem solchen ,poisin-man‘
zugeschrieben.66 Pokngo wanderte in westlicher Richtung bis nach Taip, wohin seine
Mutter nicht genau bekannte verwandtschaftliche Beziehungen hatte. Sie besaß
Nutzungsrechte auf dem Land des Bomboy am-biemes. Indem Pokngo die Rechte
seiner Mutter geltend machte und zudem eine Frau aus diesem bieme (eine Schwes-
ter Guringes) heiratete, wurden diese Rechte für Pokngo und seine Söhne gesichert.
Er blieb in Taip und gründete eine eigene Patrilinie. Seine Brüder leben in Alt-Taip,
Kwopmbo, Kowonggawang und Yupyewin. Pokngo verstarb 1993 und wurde nahe
seines alten Hauses in Camp 2 beerdigt.
Der Bomboyam-bieme in Taip verfügt gegenwärtig noch über ausreichend Land, das
er nicht selbst benötigt. Dieses wird den Kepmbok zur Nutzung zur Verfügung ge-
stellt. Die Vereinbarung zwischen den Bomboyam und den Kepmbok sah ursprüng-
lich neben dem Bau von Wohnhäusern innerhalb des Dorfes nur vor, dass die Kepm-
bok kurzlebige Pflanzen für den Subsistenzbedarf anbauen durften. Inzwischen kön-
nen die Kepmbok auch Gärten für langlebige Pflanzen anlegen. Konkret betrifft dies
den Anbau von Kaffee als Cash-Crop.
Wenn der Bomboyam-bieme in Taip zahlenmäßig zunimmt und damit mehr Land für
den eigenen Bedarf braucht, müssen die Kepmbok Taip wieder verlassen. Sämtliche
Anpflanzungen in den Kepmbok-Gärten gehen in diesem Fall an die Mitglieder des
Bomboyam-bieme.67
Neben den männlichen Angehörigen der genannten Klane lebt noch ein Mann aus
dem Tsasat-ö/eme (Gwarawon) mit seinem Sohn in Taip. Da die aus dem Bomboy-
am-bieme stammende Ehefrau dieses Mannes jedoch schon früh verstorben ist und
er selbst weder ein Haus besitzt noch einen Garten bewirtschaftet, gilt sein Klan
nicht als im Ort vertreten. Die ihm individuell zustehenden Nutzungsrechte auf dem
Gebiet des bieme der Ehefrau, bei den kwana, werden von ihm nicht geltend ge-
macht. Auch er hätte prinzipiell die Möglichkeit, eine eigene lokale Patrilinie seines
Klans zu gründen, hat daran aber kein Interesse. Versorgt wird er ohnehin von seinen
kwana und Buru Bundi überließ ihm sein altes aber intaktes Haus zur Nutzung, als
er Taip 1996 verließ.
Die Besitzrechte an Land beziehen sich im Nankinatal also auf ganze Klane bzw.
Patrilinien, während das Nutzungsrecht in die Hand von einzelnen Individuen, auf-
grund vorhandener verwandtschaftlicher Beziehungen, geht.
Dabei kann eine Person, männlich oder weiblich, Land entweder
auf dem Gebiet des eigenen bieme,
oder auf dem Gebiet des bieme der Mutter,
oder auf dem Gebiet des bieme des Ehepartners,
nutzen und somit ihre Rechte verwirklichen.
Land wird in Taip vor allem auf drei Arten genutzt;
a) als Baugrund für die Errichtung von Häusern
b) als Gartenland zur Subsistenzsicherung
c) seit einiger Zeit zum Anbau von Cash-Crops wie v.a. Kaffee
Die letzte Art der Nutzung des Landes unterscheidet sich von den beiden ersten vor
allem in der Dauer. Das individuelle Recht zur Nutzung von Land erwirbt man sich
durch die tatsächliche Nutzung, die mit dem „Vater der Erde“ des betreffenden Ge-
biets abgesprochen werden muss. Das Land selbst kann nicht gekauft oder auf ande-
re Art permanent erworben werden. Es gehört nie einzelnen Individuen, also auch
nicht dem „Vater der Erde“. Dieser ist nur eine Art Stellvertreter seines bieme und
66 Vgl. Keck 1992a, S. 138. Tok Pisin: poisin-man (poisin - Gift; man - Mann) bezeichnet die
gefürchteten Giftzauberer. Misik, der pamina des Klans, wird unter vorgehaltener Hand von
Nicht-Kepmboks als ein solcher poisin-man bezeichnet und sichtlich gefürchtet. Im positiven
Sinne wird er von seinen eigenen Leuten auf Tok Pisin ,save-man‘ (Wissender) genannt.
67 Aus Bambu ist mir ein solcher Fall bekannt. Dort zog ein ganzer Klan (Mekjewit-ö/eme) aus
Landmangel zurück auf seinen eigenen Grund.
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TRIBUS 55,2006
verwaltet, wenn man so will, die Nutzung. Anders sieht es mit den Dingen aus, die auf
dem Land angepflanzt oder erbaut werden.
Wird ein Stück Land nun, nicht wie früher üblich, nur kurzzeitig genutzt, dies gilt
normalerweise für Hausbau und Subsistenzwirtschaft, sondern dient einem individu-
ellen Nutzer über Jahre68 hinweg zum Gelderwerb, könnte dies im Nankinatal zu
Problemen führen, wie sie gegenüber Keck im benachbarten Yupnotal ausgedrückt
wurden;
„The land is getting more and more parcelled out, and some men say ,this be-
longs to me, this belongs to me‘ and they are constantly checking the borders
(of their land).“69
Solange beide, Landbesitzer und Landnutzer, darauf achten, dass nur kurzlebige
Pflanzen in den Gärten angebaut werden, die nicht auf dem Land des eigenen Klans
liegen, werden Konflikte vermieden. Wachsen aber langlebige Pflanzen wie Kaffee,
Brotfrucht oder Avocado- und Orangenbäume in den Gärten, ist deren Nutzung
durch die Land besitzende Gruppe über viele Jahre nur eingeschränkt möglich. Nur
durch den vollständigen Wegzug und Verzicht der Landnutzer können diese und die
darin wachsenden Pflanzen wieder von den Besitzern selbst genutzt werden. Dies
kann aber nur ein sehr personalstarker Klan durchsetzen, denn faktisch gehört der
Boden demjenigen, der ihn tatsächlich nutzt. Zudem bestehen, wie gezeigt, meist
enge verwandtschaftliche Beziehungen zwischen Landbesitzern und Landnutzern,
wodurch die Form des gegenseitigen Umgangs festgelegt wird und eine rüde Vertrei-
bung ausgeschlossen ist.
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68 Kaffeegärten werden nach Angaben meiner Informanten mindestens 15-20 Jahre genutzt.
Auch Informanten aus Bambu und Gwarawon bestätigten diese Angaben.
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219
1 -
Herwig Zahorka: Kerayan - ein unzugängliches Hochland
HERWIG ZAHORKA
KERAYAN - ein unzugängliches Hochland im Inneren
Borneos mit Megalithen, Nassreiskulturen und Missionierung
aus der Luft
Abb. 1: Der letzte Lun Dayeh Ritual-Mandau, Länge 1 Meter
Abstract: In the central northern mountains of East Kalimantan, in Kerayan Subdis-
trict, an undated Megalithic culture exists with alignments of urn dolmens, remains of
dolmens, petroglyphes, and worked menhirs all indicating the use of metal tools in
ancient times. Three newly discovered artifacts are described here, among them the
“buffalo boulder”.
The area is settled by Lun Dayeh and Lun Baa Dayaks who are ethno-historically,
linguistically, and physically closely related to the Kelabit/Murut Dayak groups in
Malaysia’s Sabah and Sarawak Federal States, and obviously scarcely to Dayak tribes
in East Kalimantan. They keep water buffalos and, for an unknown duration, have
tended very large rain-fed wet rice fields, which seem to have originated from the
technique of the swamp rice cultivation.
Evidence of geomorphology, soil science, and phytosociology, as well as historical
references, indicate that at least three large plain plateaus there enclosed by three
sandstone mountain ranges may have been vast shallow prehistoric lakes lasting pro-
bably until about two hundred years ago. The lakes probably dried up when the tri-
butaries of the Mentarang River cut their way through the rims of the ranges so that
the inflow of water could not compensate the outflow from the lakes. The alluvial
formerly lake bottom harbors an A-horizon that is rich in humus.
Clusters of deep straight engravings on at least two huge boulders resulted from
sharpening of cast metal tools, most probably of iron. Hematite iron ore occurs due
to oxidation resulting from dissolving iron hydroxide in shallow waters. This process
might have happened there and could have been the source of early metal processing
activities in the Kerayan area, which continued, according to native reports, into the
twentieth century.
The Kerayan highland is not accessible by roads or by rivers because of numerous
dangerous rapids and waterfalls. Until today, the access is only by small aircraft. After
World War IT a puritan American mission sect constructed a considerable number of
grass landing strips on the plain terrain in efforts to evangelize the people compre-
hensively from the sky. Because of this, the traditional cultural Dayak identity was
completely lost.
Zusammenfassung: Im nördlichen Zentralgebirge Ost-Kalimantans, im Kecamatan
(Subdistrict) Kerayan, befindet sich eine bisher undatierte Megalithkultur mit Rei-
hen von Urnendolmen, Resten von Dolmen, von Petroglyphen und von behauenen,
stelenartigen Menhiren, die auf den Gebrauch vom Metallwerkzeugen schließen las-
sen. Drei Neuentdeckungen, darunter ein „Büffelstein“, werden hier vorgestellt.
221
TRIBUS 55,2006
Die hier lebenden, linguistisch und ethnokulturell der Kelabit/Murut-Gruppe zuge-
ordneten Lun Dayeh und Lun Baa Dayak halten Wasserbüffel und betreiben seit
unbekannten Zeiten großflächige, regengespeiste Nassreiskulturen, die aus der Tech-
nik der Sumpfreiskultur hervorgegangen zu sein scheinen. Ihre verwandtschaftlichen
und ethnohistorischen Beziehungen reichen nur nach Sabah und Sarawak und kaum
zu anderen Dayak-Ethnien Ost-Kalimantans.
Geomorphologische, bodenkundliche und pflanzensoziologische Gegebenheiten so-
wie historische Hinweise lassen den Schluss zu, dass mindestens drei großflächige,
plane Hochebenen zwischen drei Sandstein-Gebirgszügen bis in historische Zeiten
sehr flache Binnenseen waren. Die Seengebiete fielen trocken, als sich die Zuflüsse
zum Mentarang-Fluss an drei Stellen tief genug durch den Kamm der Harun-Ge-
birgszüge durchgefräst hatten und der Abfluss aus den drei Seengebieten größer als
der Zufluss wurde. Die jetzt alluvialen, ehemaligen Seeböden verfügen über einen
humusreichen A-Horizont.
Zahlreiche, tiefe, teilweise schon stark erodierte Inzisionen an Sandsteinfindlingen
an bisher mindestens zwei bekannten Stellen sind typisch für das Schärfen von ge-
gossenen Metallwerkzeugen, die hier wohl aus Eisen waren. Eisenerz in Form von
Hämatith, auch Raseneisenerz genannt, bildet sich, wenn im flachen Wasser gelöstes
Eisenhydroxyd mit Sauerstoff reagiert. Dieser bekannte Prozess dürfte sich hier ab-
gespielt haben und könnte der Schlüssel zu einer sehr frühen Metallverarbeitung in
diesem Gebiet gewesen sein, die sich nach rezenten Zeugen bis ins 20. Jahrhundert
gehalten hat.
Da dieses Hochland weder auf den stromschnellen- und wasserfallreichen Flüssen
noch auf Straßen zu erreichen ist, ließ eine amerikanische Missionskirche nach dem
Zweiten Weltkrieg auf den ebenen, ehemaligen Seeböden ein dichtes Netz von Gras-
landebahnen herrichten, über die eine sehr erfolgreiche, puritanische Evangelisie-
rung aus der Luft inszeniert wurde. Sie ließ fast nichts von der traditionellen, kultu-
rellen Identität der Dayak überleben. Auch heute ist dieses Gebiet nur mit Klein-
flugzeugen zu erreichen! Eine Straßenverbindung von Long Bawan über die malay-
sische Grenze war 2003 in Bau. Siehe Übersichtskarte Abb. 2:
UEBERSICHTSKARTE
118°
Abb. 2
222
Herwig Zahorka; Kerayan - ein unzugängliches Hochland
1. Geographische Lage, Klima und Bewohner
Der Subdistrikt (Kecamatan) Kerayan umfasst rund 3.260 qkm. Er hegt im nordöst-
lichen Ost-Kalimantan, im Hochland des Zentralgebirges Borneos, und grenzt im
Norden und Westen an die ostmalaysischen Bundesstaaten Sabah und Sarawak an.
Er ist von drei Gebirgszügen durchzogen, der Harun Range, der Kurid Range und
der Tudal Siayun Range, zwischen denen sich auffallend weitläufige und fast voll-
kommen ebene Hochtäler befinden. Ihre Höhenlagen wurden vom Verfasser mit
GPS (Global Position System) im Süden mit 971 m (Lembudud) und im Norden mit
963 m (Pa Raye) gemessen. Der westlichste Gebirgszug ist Teil des Kayan-Menta-
rang-Nationalparks, auf der Übersichtskarte in grüner Farbe dargestellt. Er ist be-
stockt mit ungestörtem, primären Bergregenwald. Der höchste Berg, Bukit Harun
(Harden) mit 2.160 m, befindet sich im Norden. Das Grundgestein der Gebirgszüge
sind tertiäre Sandsteine, die zu blendend weißem Silikatschluff (silt) verwittern. Der
Sandstein scheint zumindest Spuren von Eisenoxyden zu führen, kaum aber Kalzi-
umkarbonate oder Magnesiumkarbonate. Bodenschätze in diesem Gebiet sind le-
diglich Quarzsand, Kaolin und Kohle.
Die jährlichen Niederschläge hegen zwischen 3.500 und 4.000 mm (TAD-Atlas 1983),
wobei mindestens 9 Monate als niederschlagsreich und im Durchschnitt weniger als
2 Monate als niederschlagsarm gelten. In diesen ebenen Hochtälern sinken die
nächtlichen Temperaturen unter 20° C, die relative Luftfeuchte ist hoch, der Ver-
dunstungsfaktor ist gering.
Das Gebiet ist dünn besiedelt. 1971 wurden hier 6.549 Einwohner registriert, 1981
waren es 8.199 und für 2003 werden 9.450 Einwohner angegeben (SERFIANUS
2003), was 2,89 Einwohner je Quadratkilometer ergibt. Der Hauptort Long Bawan
wurde mit rund 900 Einwohnern angegeben. Die weiten ebenen Täler könnten eine
wesentlich größere Bevölkerungszahl ernähren, aber der Zuzug blieb in den vergan-
genen Jahren auf wenige buginesische Händler und Verwaltungsangestellte in Long
Bawan beschränkt.
Der Grund hegt in der totalen
Unzugänglichkeit dieses Ge-
bietes. Es kann nur mit Klein-
flugzeugen aus Tarakan und
Nunukan (Distrikthauptstadt,
auf einer Insel) erreicht wer-
den. Die aus diesem Hochland
nach Osten und Südosten her-
abführenden Flüsse sind wegen
unzähligen,gefährlichen Strom-
schnellen und mehreren Was-
serfällen nicht befahrbar. Eini-
ge mehrtägige Fußwege führen
nur über das Grenzgebirge
nach Sabah und Sarawak.
Es gibt kein Kartenmaterial
mit zuverlässigen Angaben von
Orten und Wegen dieses Ge-
bietes. Der Verfasser hat daher
alle besuchten Orte und Täler
mit GPS eingemessen (Koordi-
naten und Höhenlagen) und
die untenstehende Karte „KE-
RAYAN“ entworfen. Die ein-
gezeichneten Wege sind Fuß-
wege, die mit Motorrädern be-
fahren werden können. Abb. 3:
223
TRIBUS 55,2006
2. Geomorphologische, pflanzensoziologische und bodenkundliche Besonderheiten:
Indizien für ein früheres Seengebiet, Grundlage der heutigen Nassreiswirtschaft
Die weiten Ebenen zwischen den Gebirgszügen weisen keinerlei Erosionsspuren
auf. Sie müssen also geologisch extrem jung sein. Die sie durchziehenden Flüsschen
fließen einige Meter unter diesem Niveau. Der Schweizer Geologe und Ethnograph
SCHNEEBERGER (1945, 1979) hatte in den 30er Jahren bereits festgestellt, dass
diese Ebenen mit größter Wahrscheinlichkeit trocken gefallene Böden ehemaliger
Binnenseen gewesen sein müssen.
Abb. 4: Die typische Pionier-Strauch-Vegetation auf den ebenen, ehemaligen See-
böden
Diese Annahme wird bestärkt durch
die spezifische Strauchvegetation auf
diesen weiten Ebenen. Sie unter-
scheidet sich vollkommen von der
Primärvegetation auf den angrenzen-
den, ungestörten Hängen des Kayan-
Mentarang-Nationalparks. Der tro-
pische Bergregenwald hat diese Flä-
chen noch nicht zurück erobern kön-
nen, ein Indiz, dass der Trockenfall
noch nicht allzu lange zurück liegen
dürfte. Ihr baumloser Bewuchs be-
schränkt sich auf eine Art Pionier-
Strauchvegetation, die reich ist an
Myrtaceen, Farnen, Ericaceen (be-
sonders Rhododendren und Vaccini-
en), Melastomaceen, Araceen, Bego-
nien, sowie Orchideen und Kannen-
pflanzen (ZAHORKA 2003a: 22).
Das Bodenprofil zeigt einen gut 20 cm
mächtigen, humosen A-Horizont, der
während der Zeit des Sees durch An-
Abb. 5: Bodenprofil
224
Herwig Zahorka; Kerayan - ein unzugängliches Hochland
reicherung von organischen Sedimenten entstanden sein muss. Darunter befindet
sich ein schluffreicher, staunass-verdichteter Untergrund aus quarzitischem Erosi-
onsmaterial.
Die bisher untersuchten Gewässer führen sehr „weiches“ Wasser, weil sie extrem
arm an Kalzium (herab bis 6,01 mg CaCG3/l), aber reich an Aluminium-Ionen sind,
wodurch der pH-Wert relativ hoch, im Durchschnitt bei 6,8 hegt (WARDIATNO
2003). Viele abgebrochene Schneidezähne der Bewohner sind auf diese Kalkarmut
zurückzuführen.
Laut einer mündlichen Überlieferung der autochthonen Bevölkerung existierten
hier tatsächlich große Seen zur Zeit, als die ersten Siedler sich hier niederließen.
Diese Seen fielen trocken, als ein legendärer Held ein Loch in die Erde bohrte, so-
dass das Wasser abfließen konnte (PADOCH 1985:278). Es ist sehr wahrscheinlich,
dass diese Seen Ende des 18. Jahrhunderts nach Berichten von RADEMACHER
(1780:108-109) noch existierten (cit. SELLATO 1996:5). Sie fielen trocken, als sich
die Abflüsse durch die Gebirgskämme durchgefräst hatten und der Abfluss größer
als der Zufluss wurde.
Auf meiner abgebildeten Karte des Kerayan-Gebietes sind die ehemaligen Seen in
blauer Farbe angelegt. Sie waren in geologisch frühen Jahren großflächiger, in den
jüngsten Jahren ihrer Existenz kleiner als auf meiner Karte. Nach meinen Höhen-
messungen existierten mit größter Wahrscheinlichkeit mindestens drei unabhängige
Seen: Ein nordwestlicher mit dem heutigen Hauptort Long Bawan, ein oder zwei
lang gestreckte Seen im Südosten und Süden von Biri Rian bis Long Layu und Pa
Tera und ein kleinerer im Zentrum mit dem heutigen Ort Pa Padi, der wahrschein-
lich das höchste Niveau hatte.
SCHNEEBERGER (1979) hat eine ausgezeichnete Karte mit den Flussläufen hin-
terlassen, soweit sie damals bekannt waren. Die damaligen Langhausorte existieren
allerdings nicht mehr. Die Stellen der drei Durchbrüche der Abflüsse durch die Ge-
birgskämme, die die Entwässerungen ermöglichten, sind auf seiner und auf meiner
Karte mit zwei dicken schwarzen Parallelstrichen markiert. Der wasserfallartige
Durchbruch des Pa Lutut bei Pa Raye im Norden hat die Bezeichnung Lobang Kwor
Asai (lobang indon. Loch). Die dünnen Querstriche entlang der Flüsse zeigen Strom-
schnellen an. Es ist nicht anzunehmen, dass die Entwässerung der unabhängigen
Seengebiete zur gleichen Zeit erfolgte.
Abb. 6: Der ehemalige Seeboden des jungen Dorfes Long Umung. Die Wasserflä-
chen, die wie Reste der ehemaligen Seen aussehen, sind Regen gespeiste Nassreis-
felder.
225
TRIBUS 55,2006
3. Archäologische Befunde und metallurgische Indizien
Das Kerayan-Gebiet ist geradezu übersät mit einer großen Zahl von vorgeschicht-
lichen Megalithen, nämlich mit eingestürzten Dolmen aus großen Steinplatten (oft
nur noch Steinhaufen), mit Urnendolmen, mit behauenen stelenartigen Menhiren
und mit mehreren Felsgravierungen.
Man geht heute davon aus, dass diese Artefakte den Gebrauch von Metallwerkzeu-
gen (Eisen) voraussetzten. Der Archäologe BERNET KEMPERS (1991:13) drückt
es deutlich aus: “Since preparation techniques usually required metal tools, most me-
galiths cannot have been made before the Metal Age. Different types of megalithic
monuments, such as dolmens, stone cists, stone chambers, stone vats, and stone sculp-
tures...”. Und eine weitere deutliche Stellungnahme von MARSCHALL (1995:190):
“... alle indonesischen Megalithen (müssen) einer metallzeitlichen Phase zugeschrie-
ben werden, ln einzelnen Fällen ist die Beziehung der Steinplastik zum Dongson-
Formenkreis klar gegeben ...”. Das lässt den Schluss zu, dass überall da, wo in Kali-
mantan Ansammlungen von vorgeschichtlichen, megalithischen Artefakten vorhan-
den sind, auch eine frühe Metallverarbeitung bekannt gewesen sein muss, nämlich im
Apo Kayan, am oberen Bahau und Lurah - und hier im Kerayan.
Während im nördlichen Kerayan-Gebiet die Existenz von Dolmen, hergestellt aus
herangeschafften Steinplatten und Flusssteinen, vorherrscht, finden sich im süd-
lichen Bereich hauptsächlich Urnendolmen, die aber viel kleiner sind, als die im
südlich angrenzenden Bahau-Gebiet beschriebenen (v.a. ZAHORKA 2001 und
ARIF1N et.al. 2003). Die Urnendolmen sind Ossuarien, die auf eine zweistufige
Bestattung hindeuten. Von den Dolmen kann dasselbe angenommen werden, auch
wegen der Funde vonTempayan-Scherben. Menhire wurden bis in rezente Zeit als
Erinnerungsmale und anlässlich der Bestattung eines Vornehmen errichtet (BU-
LAN 2003: 38ff), aber gelegentlich auch, um Grenzen (rang tana’) zwischen Dorf-
gebieten zu markieren (BALA 2002: 38). Viele wurden in den letzten Jahrzehnten
disloziert und an Kirchen oder an Schulen wiedererrichtet. Die Kelabit errichteten
Menhire noch bis zu ihrer beginnenden Christianisierung um 1950 (McKINNON
et al. 1996: 59).
Folgende Autoren unter anderen haben bisher hervorzuhebende Beschreibungen
solcher archäologischer Artefakte im Kerayan veröffentlicht, teilweise ergänzt mit
Zeichnungen, Fotos und einfachen Kartenskizzen: ARIFIN und SELLATO (2003;
206-209); BAIER (1979: 74-81); HARRISON (1954:109) und am umfangreichsten
SCHNEEBERGER (1979, 1945). Dieser hat nicht nur einzelne Menhire und Dol-
men genau eingemessen und graphisch dargestellt, sondern 1979 auch eine Karte
publiziert mit der Einzeichnung aller ihm bekannt gewordenen Menhire, Dolmen,
Urnendolmen (aber noch keine auf seiner Karte im Kerayan) und Petroglyphen. Es
ist möglich, dass er nicht alle diese Örtlichkeiten selbst besucht hat, denn im süd-
lichen Bereich Kerayans zeigt seine Karte nur Menhire an, während sich dort an
diesen Stellen auch Urnendolmen und Steinkrüge befinden, wie weiter unten be-
schrieben wird. Auch die von mir 2003 entdeckte und als Büffelkopf interpretierte
Steingravierung bei Pa Raye (ZAHORKA 2004:133f) war vorher noch unbekannt.
Am Bahau gibt er einstufige Bestattung an, was von den dortigen Kenyah Lepo Keh
nicht bestätigt werden kann (ZAHORKA 2003: v.a. Titelbild). Auf von obigen Auto-
ren bereits beschriebene Megalithen soll hier aber nicht eingegangen werden.
Vor nicht langer Zeit wurden im südlichen Kerayan Urnendolmen bei Long Layu
und bei Long Rungan neu entdeckt, die in Abb. 7 und 8 dargestellt sind. Eine genaue
Vermessung steht noch aus.
Bei den Urnendolmen bei Long Layu befindet sich auch eine Steinurne, die die an-
nähernde Form eines Tempayan-Gefäßes hat, allerdings ohne die sonst üblichen
Öhre, wie in Abb. 7 sichtbar ist. Daneben sind aber auch braun glasierte Tempayan
bzw. Scherben davon zu finden, allerdings keine Knochenreste mehr.
Bei ARIFIN und SELLATO (2003; 208) findet sich die kurze Beschreibung einer
Steinurne beim Fluss Kuyur, an dem auch Long Layu liegt: „ One stone urn ... shaped
226
Herwig Zahorka: Kerayan - ein unzugängliches Hochland
Abb. 7: Urnendolmen bei
Long Layu mit Steinurne in
Vordergrund
like a ceramic jar, complete with ears Sollte es sich um dieselbe Urne handeln, so
hat der Informant fehlerhafte Angaben zu den Öhren gemacht.
Über die kürzlich entdeckte Reihe der sechs Urnendolmen bei Long Rungan kann
es noch keine weiteren Hinweise in der Literatur geben. Sie wurden nach ihrer „Ent-
deckung“ von Bewuchs freigestellt, wie Abb. 8 zeigt, und befinden sich noch in gutem
Zustande. Knochenreste sind nicht mehr vorhanden. Schneeberger hat hier nur ei-
nen Menhir angegeben.
Abb. 8: Die kürzlich entdeckte und freigestellte Reihe von Urnendolmen bei Long
Rungan
Im nördlichen Kerayan. zwischen den Ortschaften Pa Kebuan und Pa Raye (Pa’
oder Ba’ ist die Kelabit Kurzform für ebpa, was Wasser, Fluss oder Bach bedeutet)
liegt das weiträumig angelegte, junge Dorf Long Umung. Long Umung hat etwa 400
Einwohner, eine große Kirche, ausgestattet mit elektrischen Gitarren, Keybord und
Schlagzeug. Der weiträumige Pfarrhof verfügt über eine SSB-Funkstation (Side Sin-
gle Band) betrieben mit Sonnenkollektoren, 4x9 Einheiten. Auch ein Stromgenera-
tor und diverse elektrische Geräte, darunter ein Diaprojektor, sind vorhanden. Das
Dorf dürfte die Nachfolgesiedlung des ehemaligen, höher gelegenen Langhausdor-
fes LongTenem sein, das nicht mehr existiert.
Nordöstlich von Long Umung befindet sich inmitten der Buschvegetation des ehe-
maligen Seebodens ein kleiner Hügel, auf dem riesige, bearbeitete Steinplatten ei-
227
TRI BUS 55,2006
nen zusammengestürzten Dolmen oder ein stone chamber erkennen lassen. Die Stel-
le ist ohne örtlichen Führer nicht zu finden. Es ist der alte sekundäre Bestattungs-
platz von Long Tenem. Einige zerbrochene, braunglasierle Tempayan und ein paar
stark verwitterte Knochenreste unter den Steinplatten zeigen, dass die letzten Kno-
chenbeisetzungen noch keine hundert Jahre zurückliegen dürften. Dieser kleine
„Friedhofshügel" muss ein Inselchen inmitten des früheren Sees gewesen sein.
Abb. 9: Die grob bearbeiteten Steinplatten eines zusammengestürzten Dolmen oder
stone chamber für Sekundärbestattung mit Tempayanscherben und einigen stark
verwitterten Knochenresten nordöstlich von Long Umung. Die Steinplatten müssen
aus großer Entfernung herbeigeschafft worden sein.
An mehreren Stellen im nördlichen Kerayan-Bereich befinden sich Steinhaufen, wo-
bei auch Steinplatten zu erkennen sind. Drei habe ich bei Terang Baru gesehen, ei-
nen zwischen Pa Kebuan und Long Umung. Aus einem weiteren in der Dorfmitte
von Pa Kebuan ragen noch einige Steinplatten heraus. Die Dorfbevölkerung hat
hiervon Steine entnommen und sie unter die Stützpfähle der Fläuser gesetzt. Abb. 10
zeigt diesen Steinhaufen in Pa Kebuan, der von den Bewohnern als hatu terupan
oder hatu perupun bezeichnet wird. Mit großer Wahrscheinlichkeit dürfte es sich
dabei um eine dolmenartige Bestattungsanlage gehandelt haben. Ganz in der Nähe,
direkt vor dem heutigen Pfarrhaus, liegt ein umgefallener Menhir, an dem Meißel-
spuren zu erkennen sind.
Bei Pa Kebuan befindet sich auch ein gefasster Salzbrunnen mit einer langen Reihe
von Salzkochanlagen, wo Frauen auf Holzfeuern ein sehr weißes Salz sieden.
Etwa 1 km nördlich von Pa Raye liegt an der Böschung am Rande eines Nassreis-
felds ein riesiger Rundling. Vom Nassreisfeld aus entdeckte ich ein Tiefrelief, das wie
ein auf den Kopf gestellter Büffelkopf aussieht (meine Interpretation, ZAHORKA
2004:133f). Meinen drei Begleitern aus dem 150 Einwohner zählenden Dorf, darun-
ter der Kepala Adat, war diese Darstellung noch nie aufgefallen.
Der Rundling muss im Laufe von Jahrhunderten, langsam herunterrollend, in die
Nassreisfläche gesunken sein. Ursprünglich muss der „Büffelkopf“ zumindest an
oberster Stelle gewesen sein. Die Vermutung liegt nahe, dass es sich um einen Ritu-
alstein handelt. Die Darstellung eines Büffelkopfes auf Stein ist in ganz Kalimantan
ohne Analogie. Der seit unbekannten Zeiten von den indigenen Nassreisbauern ge-
haltene Wasserbüffel hat in der Nassreiskultur einen mythischen Status. (Bei den
Minangkabau in Sumatra ist er das Symbol für siegreiche Stärke.) Die Bewohner
228
Herwig Zahorka: Kerayan - ein unzugängliches Hochland
,v.. .
Abb. 10; Der Steinhaufen batu perupun mit Steinplatten im Dorf Pa Kebuan, ver-
mutlich die Reste einer zusammengefallenen dolmenartigen Grabanlage.
Abb. 11: Der Rundling vom Nassreisfeld aus gese-
hen mit Gravierungen und dem auf dem Kopf ste-
henden „Büffelkopf“ in halber Höhe.
Abb. 12: Der „Büffelkopf“
von oben gesehen, mit Holz-
kohle nachgezogen.
von Pa Raye bezeichnen diesen Stein wegen seiner Einschnitte mit „batu narit“, was
am treffendsten mit „carved stone“ ausgedrückt werden kann. Ich würde ihn batu
kerbau nennen, „Büffel-Stein“.
Von besonderer Bedeutung sind die auf Abb. 13 sichtbaren vielen strichförmigen
Einschnitte. Diese länglichen, schlitzartigen Vertiefungen entstehen an einem Sand-
stein, wenn daran Metallwerkzeuge geschliffen oder neu geschärft werden. Dies ist
ein sicheres Indiz, dass hier Metallarbeiten stattfanden. Dass dies schon sehr lange
Zeit zurückliegen muss, ist daran zu sehen, dass diese Schlitze am unteren Ende vom
Regen schon stark ausgewittert sind. Das zeigt aber auch an, dass der Stein schon
sehr lange in dieser Position liegen muss.
Der erratische Rundstein ist aber auch auf der Bergseite flächendeckend mit derar-
tigen Inzisionen überzogen. Diese sind noch nicht so ausgewaschen, müssen also
meist wesentlich jünger sein. Die untersten können überhaupt erst gemacht worden
sein, als der Stein schon in das Nassreisfeld hinuntergerollt war. Dieser Stein ist ein
Zeugnis, dass hier über lange Zeitspannen Metallurgie betrieben wurde.
229
TRIBUS 55,2006
Abb. 13: Der „Büffelkopf“ steht auf
dem Kopf
Abb. 14: Der „Büffelstein“
von der Bergseite her gese-
hen
Nicht weit von diesem existiert ein ähnlicher, großer Findling mit vielen gleicharti-
gen Einkerbungen. Er wird auch als batu narid bezeichnet und liegt in der Nähe des
ehemaligen Langhausdorfes Nanan,etwa zwei Stunden Fußmarsch flussabwärts den
Beruwen von Long Umung. Eine Beschreibung davon mit einem Foto (Abb. 12)
publiziert BAIER (1979:78). Über weitere Gravierungen an diesem Stein wird nichts
berichtet. Diesen Stein hatte auch schon HARRISON (1958a: Plate XVI) zusammen
mit einem weiteren bei Balawit beschrieben und dargestellt, ohne aber auf einen
Zusammenhang mit Metallarbeiten hinzuweisen. Auch im Ulu Padas-Gebiet, Sabah,
wird ein batu narit beschrieben (HOARE 2002:157).
Interessanterweise gibt es auch auf Sulawesi in der Bada-Ebene einen 3 m langen
Rundling, den die Einheimischen „Büffelstein“ nennen. Dieser Stein trägt vorne
eine eher menschliche Maske im Tiefrelief im dort üblichen polynesischen Stil. Der
rückwärtige Teil ist übersät mit den gleichen schlitzartigen Einkerbungen wie der
Büffelstein von Pa Raye. Die Beschreibung, ein Foto und zwei Zeichnungen finden
sich bei K ADDERN (1938:109,110). Dem Autor wurden die Einkerbungen erklärt
als „ ...beeing marks of the weapons which had been ground or passed over it in the
belief that this would add to their power“.
230
Herwig Zahorka: Kerayan - ein unzugängliches Hochland
Abb. 15: „The stone buffalo, Bada“
Um welches Metall kann es sich gehandelt haben und woher kam das entsprechende
Erz im Kerayan?
Im südlich angrenzenden Bahau-Lurah-Gebiet finden sich neben Sandsteinrücken
auch vulkanische Gesteine, die Kupfererz führen. Eine vorsichtige Einschätzung des
Alters von sehr frühen Bronzearbeiten, möglicherweise von Mokotrommeln oder
Brunei-Bronzen, in diesem Gebiet und Eisenverarbeitung bis ins 20. Jahrhundert
habe ich bereits beschrieben (ZAHORKA 2001,2004).
Die Bergwelt im Kerayan besteht jedoch nur aus Sandsteinen, die in der Regel auch
etwas Eisen führen. In dem geologischen Zeitraum, der erforderlich war, um die ur-
sprünglichen Täler mit Sedimenten so weit aufzufüllen, wie sie sich heute darstellen,
wurden auch kumulative Mengen von farblosem Eisenhydroxyd im Wasser gelöst.
An Ufern und in flachen Gewässern reagiert das Eisenhydroxyd mit dem Luftsauer-
stoff und oxydiert zu rostfarbenem Hämatit, einem Eisenerz. Da es sich in relativ
dünnen Schichten ablagert, ist die deutsche Bezeichnung dafür Raseneisenerz. Es
gilt nicht als sehr wertvolles Erz, aber es kann verhüttet werden. Dies scheint die
Quelle der Eisenverarbeitung im Kerayan gewesen zu sein.
Zum Abgraben des Raseneisenerzes werden Werkzeuge gebraucht. Sie sind bereits
beschrieben, aber als solche nicht erkannt worden. BAIER (1979:79 u. Abb. 13) be-
schreibt und zeichnet ein schweres, hauenartiges „Steinwerkzeug vom Beruwen“ aus
Basalt mit einem Durchmesser von 10,5 cm, das oben durchbohrt ist zur Befestigung
eines Stieles und unten schräg abgeschliffen ist wie eine Haue oder eine Grabhacke
und „vielleicht zum raschen Töten großer Fische“ diente. Es ist aber ein ideales
Werkzeug zum Abgraben von Raseneisenerz. Diesen Steinklotz hat ein Bewohner
von Long Umung 1976 beim Fischen in einer Höhle des Ufergesteins gefunden, wur-
de berichtet.
Vergleichbare, ähnlich geformte, schwere Basaltwerkzeuge wurden in größerer Zahl
am oberen Bahau ausgegraben. Sie sind zwar oben nicht durchbohrt, enden aber
unten auch mit einer breiten Kante wie eine Grabhacke, die ideal zum Graben im
schweren Material ist. Viele sind zeichnerisch von mehreren Seiten dargestellt bei
ARIFIN und SELLATO (2003: 232-235). Die Autoren weisen darauf hin, dass sie
zur Funktion dieser Geräte
keine Hinweise geben. M.E.
sind es typische Grabwerk-
zeuge, mit großer Wahrschein-
lichkeit solche zur Erzgewin-
nung, die dort bis ins frühe 20.
Jh. andauerte (WALCHREN
1907:800).
Abb. 16: Der batu ngarok im
Pa Raye Fluss bei Pa Raye
231
TRI BUS 55,2006
Der Kepala Adat von Pa Raye machte mich auf einen großen rundlichen Felsblock
aufmerksam, der mitten im Fluss gleichen Namens liegt und batu ngarok genannt
wird. Er ist mit mehreren Doppelmaskensymbolen und Einzelmasken verziert in der
Form der mysteriösen Doppelmasken von Long Pulung am Bahau (ZAHORKA
2001, 2004). Die Symbole am batu ngarok können aber keinesfalls so alt sein. Sie
können erst eingemeißelt worden sein, als die Seen schon trocken gefallen waren.
Eins dieser Maskenpaare in Abb. 15 ist von mir teilweise mit Holzkohle nachge-
zeichnet worden.
Die Frage nach dem Alter der ältesten Urnendolmen und Dolmen im Bahau- und im
Kerayan-Gebiet ist noch ungelöst. Diese Grabanlagen waren sicherlich über Jahr-
hunderte benutzt worden. ARIFIN und SELLATO (2003:236) berichten über mög-
licherweise Aufschluss gebende Ausgrabungen am oberen Bahau: „Some very thick
black shards of a container's body may have belonged to a metal-smelting Contai-
ner.“ EineThermolumineszenz-Untersuchung könnte hier neue Ergebnisse bringen.
Nach meinen Vergleichsuntersuchungen kann die vorsichtige Einschätzung des Al-
ters der Urnendolmen von Long Pulung bei 2.000 Jahren liegen (ZAHORKA 2001:
158). Die Agop-Atas-Höhlen in Sarawak waren von 200 - 500 n.Chr. bewohnt und
beinhalteten Fragmente von Bronze und Eisen (McKINNON et al. 1996; 58). Beiset-
zungen in Urnen sind schon aus dem jüngeren Neolithicum bekannt. Die Überein-
stimmung der vorgeschichtlichen Steindenkmäler Indiens, Südostasiens, Europas,
Nordafrikas und Ozeaniens deuten auf einen „gemeinsamen Ursprung dieser Meha-
lithkulturen“ hin (HEINE-GELDERN 1928 cit.VATTER 1931:349).
Teile Borneos waren viel früher als Sumatra und Java auf einer kulturellen Stufe, für
die Metallgeräte vorausgesetzt werden müssen. So stammen die ersten schriftlichen
Aufzeichnungen im ganzen indonesischen Archipel aus Borneo. Es sind die sechs
großen Steintafeln, die am mittleren Mahakam bei Muara Kaman gefunden wurden
und die zwischen 350 und 400 n.Chr. im hinduistischen Königreich Mulawarman mit
Pallawa Lettern in Sanskrit beschrieben wurden. Das kann nur mit Meißeln aus Ei-
sen oder Stahl geschehen sein. Heute wird allgemein angenommen, dass die Bronze-
und Eisenproduktion auf den südostasiatischen Inseln um 500 v. Chr. begann. Der
Homo sapiens lebte auf Borneo im Pleistozän aber schon vor mindestens 35.000 Jah-
ren (BELLWOOD 1985).
4. Die eigenartige Nassreiskultur der Lun Baa ist eine Form der Suinpfreiskultur
Lun ist die Kurzform von lemulun, was Menschen oder Leute bedeutet. Baa ist die
Bezeichnung für Sumpf. Die Lun Baa hatten ihre Langhäuser direkt am Ufer der
Seen, die im letzten Stadium nur noch Sümpfe waren. Das ist daran zu erkennen,
dass die ehemaligen Langhäuser, z.B. Lembudud, nur wenige Meter über der heu-
tigen Talsohle, dem früheren Seeboden standen. Der Wasserstand muss so niedrig
gewesen sein, dass die Lun Baa hier Sumpfreis kultivieren konnten. Diese Technik
wurde weitergeführt, als die Seen schon trocken gefallen waren, aber die hohen Re-
genfälle weiterhin Regen gespeiste Nassreiskulturen auf den weilen Ebenen ermög-
lichten. Diese existieren heute auf großen Flächen. Kultiviert wird mit sehr alten und
schmackhaften Reissorten
bera adan, deren Kornlänge
5 mm nicht überschreitet. Für
die Ladangkultur (Trocken-
reis) werden andere Reissor-
ten verwendet.
Abb. 17: Regen gespeiste Nass-
reisfelder von Kampung Baru
232
Herwig Zahorka: Kerayan - ein unzugängliches Hochland
Abb. 18: Regen gespeiste Nass-
reisfelder bei Long Bawan
Zeitgleich mit der Nassreiskul-
tur wurden auch Berg- oder
Trockenreiskulturen angelegt
(ladang), einige noch heute.
Diese Bevölkerungsgruppe
hatte ihre Langhäuser ur-
sprünglich in höheren Lagen
und wurde daher mit Lun
Dayeh bezeichnet, wobei dayeh Oberland oder upriver bedeutet. Spätestens in der
zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurden alle Langhäuser {umä kadan) aufgege-
ben und neue, weiträumige Siedlungen auf dem ebenen ehemaligen Seeboden er-
richtet, meist unter neuen Namen. Die Unterscheidung zwischen Lun Baa und Lun
Dayeh verlor sich, weil beide Gruppen inzwischen sowohl hauptsächlich Nassreis,
aber einige auch Trockenreis kultivieren. Heute wird für die indigene Bevölkerung
im Kerayan allgemein nur die ethnische Bezeichnung Lun Dayeh oder Lun Kerayan
verwandt. Es haben sich aber noch einige sprachliche Unterschiede erhalten. Die
untenstehende kleine Wortliste stammt vom Evangelisten in Lembudud, Jonny Elly,
selbst ein Lun Baa.
Deutsch Indonesisch Lun Baa Lun Dayeh
Herr Bapak imä yamä
Mutter, Frau Ibu nä inä
Kind männlich Anak laki2 lä ih lä ih
Kind weiblich Anak perembuan desur desur
Säugling männlich Bayi laki2 yabo yabo
Säugling weiblich Bayi perembuan imu yemü
Blasrohr Sumpitan put * eput*
Blasrohrpfeil Anak sumpitan langan langan
Pfeilgift Ipoh, Upas farir farir
Giftbaum (Antiaris) Pohon upas lawar farir lawar farir
Baum Pohon la war lawar
Hund Anjin oko okö
Fisch Ikan lawid lawid
Ich Saya, aku ui ui
Du Kamu ko iko
Haus Rumah umä umä
Tatauierung Cacaban (c=tsch) batik batik
Weg Jalan malan nalan
Kopf Kepala uluh uluh
Arm Tangan tisú ticu (c=tsch)
Auge Mata mate matéh
Essen Makan kuman kuman
Trinken Minum mirup ngirup
Wald Hutan fulung fulung
Fluss, Bach Sunga i fä apä
Speer Tombak mifi mayung
* Interessanterweise ist das Wort für Blasrohr in der Ngorek-Sprache peleput. Die
inzwischen ausgestorbenen Ngorek werden von manchen Autoren als die Nachfah-
ren der LJrnendolmen-Hersteller im Bahau-Gebiet angesehen.
233
TRIBUS 55,2006
Die Zahlwörter sind bei beiden Sprachgruppen gleich:
1 = seh; 2 = dua; 3 = telü; 4 = afat; 5 = limah; 6 = anam/enam; 7 = dudü; 8 = waluh; 9 =
iwä; 10 = fulü; 15 = fulü limah.
Die Nassreiswirtschaft lati’ ha übertrifft flächenmäßig die Ladangwirtschaft lati’
tana’ lun bei weitem, weil sie effizienter ist. Ein Ladang-Reisertrag von 0,947 t/ha,
erwirtschaftet mit 130 Manntagen, steht einem Nassfeld-Ertrag von 2,02 t/ha, erwirt-
schaftet mit 185 Manntagen in Long Umung, gegenüber (PADOCH 1985:182). Pro
Tonne Reis waren danach im Nassfeld nur 91,5 Manntage erforderlich gewesen, im
Ladangfeld aber 137 Manntage. Wegen des kühlen Wetters benötigt der Reis hier
sechs Monate bis zur Reife. Es wird nur eine Ernte pro Jahr erzielt. „According to
local knowledge lati’ ha farming was the first form of agriculture to be practiced in
the valleys“ (PADOCH 1985:287). Das könnte bedeuten, dass die Erbauer der Dol-
men und Urnendolmen bereits Sumpfreisbauern waren. Dagegen spricht wenig,
wenn man bedenkt, dass die Technik der Nassreiskultur zur Zeit der Megalithkultur
ins südostasiatische Inselreich kam.
Mit wenigen Ausnahmen stehen die Nassreisfelder das ganze Jahr unter Wasser. Der
in fast allen Kerayan-Berichten in Bezug auf die Nassreisfelder benutzte Begriff „ir-
rigated“ d.h. “bewässert“, trifft daher nicht zu, eher die Bezeichnung swamp rice ag-
riculture. Infolge des permanenten Wasserstandes von durchschnittlich 30 cm entfällt
das Jäten oder die Bodenbearbeitung mit Wasserbüffeln. Das ist die Ursache des
geringen Arbeitsaufwandes. Die im Saatbeet gezogenen Reissämlinge werden einge-
pflanzt, wenn sie etwa 40 cm hoch sind. Die reifen Ähren werden mit einem Messer-
chen abgeerntet, die Strohstängel bleiben zunächst stehen, und die Wasserbüffel
werden eingetrieben, um das Feld zu düngen. Deswegen sind die Felder umzäunt.
Nach der Ernte werden auch die Fischchen und die Wasserschnecken geerntet, die
sich in diesen teichartigen Feldern vermehren. Zur Vorbereitung der nächsten Be-
pflanzung wird das Stroh zusammen mit eventuellen Unkräutern in den Grund ein-
gearbeitet. Die Frauen von Lembudud (450 Einwohner) auf Abb. 19 benutzen dazu
einen Hakenstock und ein Haumesser.
Abb. 19: Das Stroh der alten Ernte wird mit einem Hakenstock und einem Haumes-
ser in den Grund des Sumpfreisfeldes eingearbeitet.
An Stellen, wo ein Bach aus den angrenzenden Hügeln herunter fließt, werden auch
massive Dämme errichtet mit eingebauten Schleusen zur Regulierung des Wasser-
standes in den so entstandenen, leicht terrassierten Nassreisfeldern. Diese Felder
234
Herwig Zahorka; Kerayan - ein unzugängliches Hochland
können auch soweit entwässert werden, dass es möglich wird, das Bodenrelief einzu-
ebnen. Dies erfolgt mit kleinen Einbaum-Booten, die heute ausschließlich als Schlit-
ten benutzt werden, um Erde von erhöhten Flächen in tiefere Lagen zu bringen.
Derartige kleine Einbäume konnten nur auf ruhigen Binnenseen benutzt werden,
nicht aber auf den stromschnellenreichen Flüssen Borneos. Dies ist neben den Me-
galithen ein weiteres Indiz dafür, dass dieses Gebiet schon besiedelt war, als es noch
eine riesige Seenlandschaft war.
Die Nassreisfelder werden meist sieben Jahre lang kultiviert und dann für einige
Jahre in Brache gelassen (LIAN&LUCY 1989:110).
Abb. 20: Mit alten, kleinen Einbäumen wird wie mit einem Schlitten Erdmaterial zur
Nivellierung des Feldes von höheren Stellen in tiefere Lagen gebracht. Bootsrelikte
aus der Seenzeit.
5. Gesellschaftsordnung und Ethnokultur vor WK II
Die Lun Dayeh und Lun Baa werden von den Lun Kelabit einheitlich auch als Lun
Kerayan, oder nach dem früheren grenznahen Ort Long Berian, Lun Berian bezeich-
net. Sie sind sprachlich und kulturell engstens verwandt mit den ethnischen Gruppen
der Lun Kelabit und Lun Bawang in Sarawak bzw. in Sabah. „Oral traditions indicate
that the Lun Kelabit, Lun Kerayan and Lun Bawang were one people...“ und “... the
Kelabit...are culturally and linguistically related to the Lun Bawang,Lun Berian and
Lun Kerayan.'’ (BALA 2002:18f). Die Ethnologin BALA ist selbst Lun Kelabit aus
einem ehemaligen Langhaus in Pa Umur bei Bario (früher Lern Baa), hat aber ihre
Verwandtschaft auch in Lembudud/Kerayan. Das 1987 dort noch existierende Lang-
haus hatte Toiletten und Badezimmer (BALA 2002: 89). Zusammen mit anderen
verwandten Gruppen in Sabah wurde auch die Bezeichnung „Kelabitic Murut
Group“ in die Literatur eingeführt (LE BAR 1972:153). Mit Murut werden auch die
Lun Bawang bezeichnet. Andere Autoren (Douglas, Harrison und Hose) haben die
Lun Berian und die Lun Kerayan als „Kelabit“ bezeichnet (BALA 2001:103f). Und
PADOCH (1985: 274) schreibt; „Lun Dayeh settlements are also found in neighbo-
ring areas across the bordet in Sarawak where the group is often referred to as Mu-
rut or Lun Bawang, and in Sabah.“ Bawang bedeutet Dorf.
Bis zur Christianisierung existierte bei diesen Gruppen eine stratifizierte Gesell-
schaftsordnung, die die Sphären Dorfpolitik und Heiratspolitik bestimmte. Während
frühere Ethnographen, wie Harrison (1959), Saging (1976),Talla (1979) und Janow-
235
TRI BUS 55,2006
ski (1991) vier soziale Klassen definierten, bleibt es der Insiderin BALA überlassen,
diese zu präzisieren, wobei fünf Klassen erscheinen.
Lun Merar (wörtlich Große Leute) ist die Klasse der Aristokraten, die die Dorfge-
meinden regierte und für die Einhaltung der traditionellen ndnt-Regeln sorgten.
Diese Klasse bestand aber tatsächlich aus zwei unterschiedlichen Gruppen, den Lun
Paran (Mächtige Leute) und den Lun Doo’ (Gute Leute). Der Unterschied bestand
darin, dass die Lun Paran Sklaven hatten, die Lun Doo' nicht. Darunter folgte die
Klasse der Lun Pupa (Halbe Leute). Diese waren die Abkömmlinge von Mischehen
zwischen Lun Merar und Lun Da'at (Schlechte Leute), der untersten Klasse. Darun-
ter stand aber noch die Klasse der Demulun, der Sklaven (BALA 2002:47).
Die Klassen unterschieden sich aber nicht nur am Sklavenbesitz, sondern auch am
Besitzstand von traditionellen Erbstücken und von Vieh. Dazu zählten wertvolle anti-
ke Belanai ma’un (T’ang und Ming „dragon jars“,Tempayan), einige „so wertvoll wie
ein Mensch“, wobei natürlich nur der
Wert eines Sklaven gemeint sein
kann, wertvolle bunte Glasperlen
(ba'o), Frauenkappen (peta) der Aris-
tokratinnen aus gelben Glasperlen,
prunkvolle Mandaus, Blasrohre,
Bronzegongs (tunggul) und Haus-
tiere, wie Wasserbüffel, Hausschweine
und indische Rinder. Die Lun Pupa
und Lun Da'at besaßen keinerlei der-
artige, wertvolle Erbstücke und kaum
Vieh. Die antiken Tempayan kamen
schon im 15. Jahrhundert oder früher
über Brunei ins Hochland (BALA
2002:19,23).
Abb. 21: Rindenjacke aus Lembu-
dud, 2003 dem Verfasser geschenkt.
Weiteres Prestige wurde gewonnen durch weite Handelsreisen, durch erfolgreiche
Jagd und durch Kopfjagd {pebunu'), was allerdings nicht auf die Adelsklasse beschränkt
war. Handelswaren waren Waldprodukte, Vogelnester, Kampfer, Bezoarsteine, Medi-
zinalpflanzen, Rattan, Matten, Körbe, Harze, Salz und Haumesser (BALA 2002: 24).
Die Metallproduktion fand bis in die jüngste Zeit statt. Verwandte, die aus dem Kera-
yan nach Sarawak zu Besuch kamen, brachten unter anderem immer Haumesser (ma-
chetes) als Geschenke mit (BALA 2002:87). „My family receives its supply of... tung-
gul (machetes) from our hin ruyung (Verwandtschaft) from the Berian area“ (BALA
2002: 88 und nochmals 2001: 108). Das war in den 1980er Jahren. Ein weiterer Bericht
hierzu: “In the Kerayan, Clearing was done with locally forged bush knives and axes”
(PADOCH 1985:278). Ihre Feldforschung im Kerayan fand im Jahr 1980 statt.
Nach mündlicher Mitteilung von Bewohnern in Lembudud 2003 war Rindenklei-
dung im Kerayan noch bis zum Ende von WK II weit verbreitet. In keiner mir be-
kannten Quelle wird von Rückcngurtwebstühlen oder von selbst gefertigten Textili-
en berichtet, was aber nicht bedeutet, dass sie früher nicht existierten. JANOWSKI
(2003) hat bei den Kelabit im Grenzbereich Sarawak-Kerayan 1986-1988 und 1992—
1993 alle Objekte gesammelt, die zum täglichen Leben gehören, einschließlich kunst-
handwerkliche. Textilien sind in ihrer umfangreichen Sammlung nicht aufgeführt
(vgl. KING V.T. 2004, Buchbesprechung in Bijdragen 160.2/3).
Die Langhäuser standen auf über zwei Meter hohen Pfählen, die aber nicht wie sonst
üblich in Kalimantan aus Eisenholz waren. In dieser Höhenlage wächst Eisenholz (Eu-
sideroxylon zwageri) nicht mehr. Wie bei den Kenyah. Kayan, Benuaq und anderen
Stämmen Kalimantans zog sich eine überdachte Galerie {tawa') durch die Länge des
236
Abb. 24: Die Physiognomien erinnern
an Philippinos, Vietnamesen oder Süd-
chinesen
Herwig Zahorka: Kerayan - ein unzugängliches Hochland
Gebäudes, wo sich das gesellschaftliche Leben abspielte. Aber die Quartiere der ein-
zelnen Familien waren nicht durch Wände getrennt, wie bei anderen Dayak-Stämmen
(BALA: 2002: 35.44). Dadurch waren die Familien sehr eng miteinander verbunden,
Individualismus hatte wenig Platz, und Außenstehende beklagten den Mangel an Pri-
vatsphäre (HARR1SON 1949: 143). Ein anderer Autor: „...at night, the Lun Dayeh
longhouse is filled with the sounds of love-making as married couples experience the
natural sexuality...” und weiter „... males learn about intercourse front females...”
(CRAIN 1991:336,337). Eine neue Familie gründete bei den Lun Dayeh erst nach der
Geburt des ersten Kindes einen neuen Haushalt (ROUSSEAU 1991:408).
Wie alle anderen Dayak-Stämme Bor-
neos hatten die Lun Dayeh und Lun
Kelabit auch ihre eigenen traditionellen
Tänze, Mythen und Gesänge (lakuh), di-
verse gemeinschaftliche und familiäre
Rituale (irau), bei denen viel burak
(Reiswein) floss (BALA 2002: 46; SEL-
LATO 1996: 8), darunter spezifische
Reisrituale. Diese festlichen Rituale
übten eine wichtige gesellschaftliche
Funktion aus zur Verbrüderung und zur
Förderung der gegenseitigen Hilfsbe-
reitschaft bei den Feldarbeiten. Bei den
Reis- und anderen Ritualen wurde auch
die Geisterwelt angerufen.
Abb. 22: Zwei Lun-Dayeh-Frauen in
traditioneller Tanzkleidung mit Kopfbe-
deckung aus gelben Glasperlen zeigen
einen traditionellen saung (Hut)
Abb. 23; Vom Feld heimkehrende Frau-
en mit traditionellen Rückenkörben
binen
237
TRIBUS 55,2006
Die Lun-Dayeh-Frauen und -Männer waren früher wie alle
ihre Nachbarn tatauiert. Die Ohrläppchen der Frauen waren
durch schwere Ohrringe lang gezogen, und die Ohrmuscheln
vieler Männer waren im oberen Teil durchbohrt (BALA 2002:
134, 137). Von dem alten Kulturgut haben nur einige traditio-
nelle Tänze die Evangelisation überlebt. In handwerklicher Ar-
beit werden nur noch kleine Perlenarbeiten (Abb. 25) sowie
traditionelle Hüte (saung), Rückenkörbe (binen) und Babytra-
gen (agau) und in einem Dorf auch noch Töpferwaren gefer-
tigt.
Über die Herkunft dieser Stammesgruppen gibt es nur Indi-
zien. Nach mündlichen Überlieferungen kamen die Wasserbüf-
fel aus den Küstengebieten des heutigen Sabah oder Brunei,
also aus dem Norden oder Westen, zu den Lun Dayeh und ih-
ren verwandten Ethnien. Das lässt zwangsläufig darauf schlie-
ßen, dass auch die Nassreiskultur daher kam und dass auch die
Menschen von daher eingewandert sein müssten. Die Physiog-
nomie der hoch gewachsenen und sehr hellhäutigen Menschen
erinnert mich an Philippinos, Vietnamesen oder Südchinesen,
auch „kaukasische“ Gesichter sind nicht selten. Eine Einwan-
derung aus dem Malinaugebiet, wie es einige Autoren vermu-
ten, ist äußerst zweifelhaft, weil dort weder Megalithen noch
Nassreiskulturen und natürlich auch keine Wasserbüffel jemals
notorisch waren.
Obwohl im Kerayan heute viele junge Leute Motorräder besitzen, ist der Stand der
Technik auf vielen Gebieten Jahrhunderte zurück. Transportarbeiten werden mit
einfachen Schlitten, gezogen von Wasserbüffeln, durchgeführt. Das Rad ist hier noch
nicht erfunden. Hängebrücken werden auch noch aus Bambus und Rattan gebaut,
ohne Stahlseile.
Abb. 26: Transportarbeiten ohne Räder wie vor Jahr-
hunderten
Abb. 27: Traditionelle
Hängebrücke aus Bam-
bus und Rattan
6. Die „spirituelle Erweckung“
Obwohl Tom Harrisson bestrebt war, die Stammeskultur der Kelabit zu konservie-
ren, legte er doch ungewollt den Grundstein zu einer umwälzenden Entwicklung
dieses Gebietes. Im Frühjahr 1945, wenige Monate vor der japanischen Kapitulation
im WK 11, sprang er mit drei australischen Soldaten mit dem Fallschirm ab und lan-
dete in einem ebenen Feld nahe Bario. Auch Ausrüstungsgegenstände wurden hier
abgeworfen, und später sollte hier ein „guerilla airfield“ entstehen. Die militärische
Aufgabe „Semut I“ lief unter dem Kommando „Z“ Special Military Operations und
238
Herwig Zahorka: Kerayan - ein unzugängliches Hochland
sollte zusammen mit rekrutierten Kelabits die japanische Besatzung guerillaartig aus
dem Hinterhalt bekämpfen, was auch geschah.
Auf Initiative Harrisons erhielt Bario 1946 die erste Schule für das Gebiet der Kela-
bit. Und ein weiteres Jahr später, 1947, baute hier die Borneo Evangelical Mission
(BEM) eine Landebahn für kleine Missionsflugzeuge (BALA 2002; 41). Das war der
Anfang einer flächendeckenden Missionierung „aus der Luft“ auch im Kerayan, wo
in den Folgejahren fast ein Dutzend derartige Graslandbahnen in unmittelbarer
Nähe von Dörfern angelegt wurden (S. Abb. 3: Karte KERAYAN). Die ebenen ehe-
maligen Seeböden erforderten kaum Erdarbeiten. Die Dorfbevölkerung sorgt seit-
dem mit Grasschneiden dafür, dass ein Missionsflugzeug aus Tarakan hier jederzeit
landen und ggf. einen Schwerkranken in ein Krankenhaus nach Tarakan fliegen
kann. Die Flüge sind aber nicht billig. Die Landebahn in Long Bawan ist inzwischen
zu einem staatlichen Flugplatz ausgebaut worden.
Nach SELLATO (1996: 6) begannen christliche Missionare ihre Aktivitäten im Ke-
rayan schon 1932. Er zitiert LEWIS (1987) mit „Bible Schools at Long Budung and
Long Sepayang“. BALA (2002: 50) berichtet, dass unter den Kelabit die Christiani-
sierung in den 1940er Jahren begann. Danach wurden einige junge Kelabits in der
Bibelschule in Belait in Ost-Kalimantan unterrichtet. Sie fanden aber nach ihrer
Rückkehr in ihre Heimat zunächst wenig Gehör. Seit 1966 besteht in Kampung Baru
bei Long Bawan eine Theologische Hochschule der amerikanischen, evangelischen
Missionssekte Gereja Kemah Injil Indonesia (GKII), auch Kemah Injil Gereja Ma-
sehi Indonesia (KINGMI) genannt. Hier wird hauptsächlich Bibelkunde, Predigen
und Sendungsbewusstsein gelehrt. Die hier ausgebildeten einheimischen „Evangeli-
sten“ findet man heute in großer Zahl von Kalimantan bis Papua. Die Organisation
Mission Aviation Fellowship (MAE) hat mit ihren Kleinflugzeugen die Missionie-
rung in allen diesen abgelegenen Gebieten Indonesiens wesentlich unterstützt und
oft überhaupt erst möglich gemacht. In Kalimantan sind MAF-Flugzeuge stationiert
in Tarakan, Samarinda, Palangkaraya und bis vor kurzem auch in Pontianak.
Die Kelabit im Hochland waren 1973 vollständig christianisiert, was sie als ihr „spi-
ritual revival“ bezeichnen (PALA 2002: 50). Mit der Einführung von staatlichen
Schulen und den zeitgleichen missionarischen Aktivitäten war eine enge Verbindung
zwischen beiden entstanden, die eine neue gesellschaftliche Identität entstehen ließ.
Ein neues Zeitalter, eine Art „Aufklärung“, war angebrochen.
Die Kirchen wurden zum gesellschaftlichen Mittelpunkt der Dörfer. In täglichen
Veranstaltungen wird nicht nur gepredigt (im gedeckten Anzug mit Krawatte), son-
dern mit den modernen Musikinstrumenten, die in jeder Diskothek stehen könnten,
wird Jazz gespielt. Dazu werden sehr einfache religiöse Texte gesungen. Gesangsdar-
bietungen verschiedener Gruppen ergänzen die kirchliche Veranstaltung. Jugendli-
che können hier Gitarre, Bassgitarre, Keybord und Schlagzeug spielen lernen. Hier-
für werden natürlich finanzielle Mittel benötigt. Sie werden dadurch aufgebracht,
dass die Getauften ihren „Zehnt“ an die Kirche in bar und in Naturalien zu entrich-
ten haben (ZAHORKA 2003b: 21). Die Kirche organisiert heute in den Dörfern die
kommunalen und die gemeinschaftlichen Feldarbeiten. Während man sich früher bei
der Feldwirtschaft gegenseitig aushalf, fließt jetzt Geld, das aber in einen kirchlichen
Fonds eingezahlt wird, aus dem kirchliche und soziale Aktionen sowie die Bezahlung
des Pastors finanziert werden (PALA 2002; 45). Diese Kirche ist daher finanziell
bestens ausgestattet, was man auch an den großen Kirchenbauten in den kleinen
Dörfern sehen kann.
Diese fundamentalistische Missionsgesellschaft hat den Lun Dayeh und Lun Kelabit
aber ein puritanisches Lebensmuster verordnet. Eine strenge Sittenmoral wird kol-
lektiv überwacht, Alkohol und Rauchen sind tabu, was sich positiv auf die Gesund-
heit auswirkte: Keine Zirrhosen und kaum Lungenkarzinome (BAER 2003: 90).
Aber auch die traditionellen Rituale und Mythen sind tot, es gibt keine Tataus und
keine langen Ohrläppchen mehr. Die Familien wohnen nicht mehr in Langhäusern,
sondern in Einzelhäusern, wodurch die frühere soziale Differenzierung und die Sta-
tussymbole der Oberschicht leichter eliminiert werden konnten. Die Oberschicht
239
TRIBUS 55,2006
Abb. 28: Die Kirche in Kampong Baru ist immer gut besucht.
wurde von der Kirche veranlasst, ihre Statussymbole „aus der heidnischen Zeit“ auf-
zugeben, zu verkaufen, was auch geschah, damit man nicht zum Außenseiter des neu-
en Kollektivs wurde (persönliche Mitteilungen des Camats, eines Kepala Adat u.
v.a.). Es gibt heute keine Tempayan, Bronzegongs, Mandaus, Blasrohre oder andere
Erbstücke mehr in Familienbesitz. Ein letzter Prunkmandau (Abb. 1) ist jetzt im
Besitz eines Buginesen. Der „Brautpreis“ wurde für alle Schichten auf höchstens
drei Büffel reduziert. Durch diese Konversion hat sich eine neue ethnische Identität
entwickelt, die engstens mit diesem Christentum verknüpft ist.
Auch eine weitere evangelische Missionsgesellschaft ist hier in einigen Dörfern prä-
sent unter der Bezeichnung Gereja Kristen Pemancar Injil (GKPI). Sie scheint aber
viel weniger Anhänger zu haben.
Infolge dieser tiefgründigen historischen und soziologischen Veränderungen der Ge-
sellschaft während der letzten fünfzig Jahre ist die traditionelle, kulturelle Identität
dieser Dayak vollkommen verloren gegangen. Traditionelle Feste, Rituale, Gesänge,
das dayakische Kunsthandwerk und auch die antiken Erbstücke sind verschwunden.
Es ist eine kulturelle Verarmung eingetreten. Das hätte vermieden werden können,
wenn das Prinzip der Missionierung nicht eine Ablehnung der alten Kultur, sondern
eine Annäherung an ihre Werte oder eine Akkulturation gewesen wäre. Aber Vorur-
teile aus einer anderen, fundamentalistischen Kultur haben das Verstehen verhin-
dert. Traditionelle Rituale, Mythen und Erbstücke von Stammesgesellschaften sind
kulturelle Werte, die nicht als religiös eingeordnet werden sollten. Auch viele Stam-
mesangehörige empfanden diese Verarmung, aber nur wenige wagten es zu äußern:
„I feel sad to know that most customs and practices of my people will be gone within
a few years, since most of the older generation who are still holding onto these cus-
toms are dying. Not many of younger people are learning how to carve, make bas-
kets, machetes and pots. It is a sad thing. Measures need to be taken to preserve these
rich and beautiful customs” (PALA 1995 in 2002:53).
7. Die gegenwärtige Situation
Zwischen staatlich gelenkter Infrastruktur und privatem Wohlstand der Bewohner
existiert im Kerayan eine auffallende Diskrepanz. Es gibt keine Autostraßen, keinen
elektrischen Strom, keine Wasserleitung, keinen üblichen Radioempfang, keinen di-
240
Herwig Zahorka: Kerayan - ein unzugängliches Hochland
rekten Fernsehempfang, keine Zeitungen, keine Telefonanschlüsse, keine Handys.
Ein kommerziell betriebenes Satellitentelefon existiert nur im Verwaltungsort Long
Bawan, funktioniert aber nicht immer. Leitungswasser und elektrischen Strom gibt
es auch nur hier, den Strom nur für einige Abendstunden. Der Treibstoff für den
Stromgenerator muss ausTarakan eingeflogen oder aus Malaysia geschmuggelt wer-
den und kostet hier das Vierfache. Ein früherer Fernsehumsetzer ist seit langem de-
fekt. Der teure Treibstoff für den Generator machte ihn unrentabel. Der Camat
(Chef des Subdistrikts) gibt eine Art Mitteilungsblättchen heraus. Das Dienstfahr-
zeug dieses Camat ist ein Motorrad.
Im Gegensatz dazu sieht man viele private Satellitenschüsseln, viele Häuser verfü-
gen über ein eigenes Stromaggregat für nächtliche Beleuchtung, und viele junge
Männer besitzen ein Motorrad, mit dem auch Taxifahrten durchgeführt werden, oder
eine deutsche Motorsäge. Die Tische sind reichhaltig gedeckt, auch mit importierten
Süßigkeiten. Die Bevölkerung ist gut gekleidet und äußerst gastfreundlich. Täglich
wird fünfmal gegessen. Der hiesige Wohlstand übersteigt denjenigen in anderen, ver-
gleichbar entlegenen Gebieten Kalimantans ganz beträchtlich. Dies hat jedoch nichts
mit der Kirche zu tun, sondern mit der Wirtschafts- und Währungspolitik im benach-
barten Malaysia.
Als 1998 in den südostasiatischen Ländern infolge Überschuldung die monetäre Kri-
se ausbrach, koppelte Malaysia seine Währung an den US-Dollar, während Indone-
sien auf Druck des Internationalen Währungsfonds seine Währung floaten ließ. Die
indonesische Rupiah ist im Devisenhandel noch immer weit unterbewertet, der ma-
laysische Ringgit nicht. Der kleine Grenzverkehr ins angrenzende Sabah und Sara-
wak und der ungleiche Wechselkurs dieser beiden Währungen sind der Schlüssel des
privaten Wohlstandes. Täglich wechseln allein am offiziellen Grenzübergang nach Pa
Kelalam 40 bis 110 Personen aus dem Kerayan über die Grenze nach Sabah und
Sarawak, um auf den Feldern ihrer Verwandten gegen Entgelt zu arbeiten. „The
Kelabit have become dependent on the Lun Berian to maintain the family rice
farms“ (PALA 2002: 52). Der Tageslohn von umgerechnet 4 USD ist etwa das Vier-
fache von Indonesien.
Eine wissenschaftliche Expedition hat 2003 ermittelt, dass alle Männer aus dem Ke-
rayan im Alter von 15 bis 45 Jahren nach der eigenen Ernte mindestens zwischen
zwei Wochen und einem Monat jenseits der Grenze als Land- oder Bauarbeiter be-
schäftigt sind. Wenn sie in einer Logging Company bei Baumfällungen eingesetzt
werden, können sie pro Tag sogar bis zu 135 USD verdienen. Zehn derartige Arbeits-
tage reichen für den Kauf eines Motorrads in Indonesien (SIMANJUNTAK 2003:
18). Diese Arbeiten sind in Malaysia meist illegal. Die Motorräder werden in Tara-
kan gekauft und per Flugfracht nach Long Bawan geliefert. Junge Frauen arbeiten
jenseits der Grenze auch als Verkäuferinnen.
Auch ein umfangreicher „Export“ nach Malaysia mit allen heimischen Produkten
wird betrieben, insbesondere mit Reis und Salz. Das Salz wird in Rollen geformt, mit
Blättern fest umwickelt und umschnürt und über dem Herd trocken gehalten. Alle
Handelsgüter müssen in Rückenkörben über die Grenze transportiert werden. Von
dem kleinkörnigen, schmackhaften Nassreis werden im Kerayan große Überschüsse
produziert. Früher wurden davon „wesentliche Anteile“ zu Reiswein vergoren (SEL-
LATO 1996: 8). Heute landen jeden Monat mindestens fünf Tonnen auf malaysi-
schem Gebiet (SIMANJUNTAK 2003: 18). Handel mit dem indonesischen Vorder-
land kommt nicht zustande, auch weil durch die erforderliche Luftfracht die Ware zu
teuer würde.
Während meines Aufenthalts im Kerayan 2003 baute eine Kontraktorfirma aus
Brunei mit Planierraupen, Grader und Straßenwalzen den Motorradweg von Long
Bawan über die Staatsgrenze zum malaysischen Ba Kelalan zu einer Autostraße aus.
(Von Ba Kelalan besteht Straßenanschluss bis zur Küste.) Diese Erdstraße wird seit
2004 im „kleinen Grenzverkehr“ von zahlreichen, in Malaysia zugelassenen, kom-
merziellen Toyota-Kleinlastern mit Vierradantrieb permanent frequentiert. Dadurch
hat sich der Warenaustausch zu Gunsten der Lun Dayeh explosionsartig vergrößert
241
TRIBUS 55,2006
und vereinfacht, während die Zahl der Personen, die aus dem Kerayan über die
Grenze wechselten, sehr stark gesunken ist.
Das kann sich aber in Zukunft noch ändern. Sowohl aus Nunukan als auch aus Ma-
linau werden Straßen in Richtung Kerayan und Malaysia durch bisher unberührte
Wälder gebaut, wobei insgeheim das Hauptziel die Exploitation dieser letzten Ur-
wälder Kalimantans und die Lieferung des wertvollen Tropenholzes gegen Devisen
nach Malaysia ist. Seit 1960 hat Ost-Kalimantan mit weniger als 1% der indonesi-
schen Bevölkerung 25% der indonesischen Exporterlöse durch Ausbeutung der na-
türlichen Ressourcen Holz, Rattan, Bodenschätze, Erdöl und Erdgas aufgebracht
(MacKinnon 1996:72). Diesen riesigen Erlösen stehen hier nur minimale Investitio-
nen in die Infrastruktur gegenüber.
Die letzten größeren Waldreserven Kalimantans befinden sich heute nur noch im
Kayan-Mentarang Nationalpark entlang der Grenze zu Sarawak und Sabah, der mit
gut einem Viertel im Kerayan liegt. Wenn das Kerayan und die Naturwälder erst
durch Straßen erschlossen sind, wird nicht nur der Primärwald exploitiert werden,
sondern wird auch die Bürde der unseligen, staatlichen Transmigration folgen mit
der Gefahr der Provokation von blutigen, religiösen Auseinandersetzungen wie in
West- und Zentralkalimantan, in Ambon, auf den Malukken, in Palu/Poso (Zentral-
Sulawesi) und anderen Gebieten geschehen, die ursprünglich überwiegend oder rein
christlich bewohnt waren. 2005 wurde bekannt, dass die indonesische Regierung 1,8
Millionen Hektar bisher unberührten Bergregenwaldes entlang der Grenze zu Sara-
wak und Sabah abholzen und mit chinesischen Investitionen zu Ölpalmplantagen
umwandeln will, „um die in Armut lebende lokale Bevölkerung zu entwickeln“. Da-
mit wäre „das Herz von Borneo“ ökologisch, kulturell und soziologisch endgültig
zerstört.
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Europäisches Institut.
Zahorka, H.
2004 The Mystery of the Twin Masks on Megaliths at Long Pulung in East Kali-
mantan [Indonesia]. Borneo Research Bulletin vol. 35 (in the press).
Alle Abbildungen vom Verfasser, außer Abb. 7 und 8 von Serfianus.
245
. Lrv
И
Buchbesprechungen Allgemein
Bujok, Elke:
Neue Welten in europäischen Sammlungen:
Africana und Americana in Kunstkammern bis
1670. Berlin: Reimer Verlag, 2004. 227 Seiten
mit 42 Seiten SW- und Farbabbildungen.
ISBN 3-496-01299-4
Die vorliegende Publikation basiert auf der Dissertati-
on, die Elke Bujok 2002 im Fachbereich Geschichts- und
Kunstwissenschaften der Freien Universität Berlin ein-
gereicht hat. Es handelt sich somit um eine kunstwissen-
schaftliche Arbeit, nicht um eine ethnologische. Obwohl
die Autorin auch Ethnologie studiert hat und an einigen
Stellen auf Debatten in der neueren Ethnologie ver-
weist, allerdings ohne sie näher vorzustellen, geht sie das
Thema insgesamt aus einer nicht-ethnologischen, relativ
unkritischen Perspektive an, wobei die Arbeit dennoch
auch für Ethnologen von Interesse ist. Das Ziel der Au-
torin ist es, die Denkweise und das Weltbild der Begrün-
der von Kunstkammern zu präsentieren, nicht deren In-
tentionen zu hinterfragen. Daher beschränkt sich die
Analyse der Rezeption der Kunstkammern auf zehn Sei-
ten (S. 170-180), wobei die vorgestellten Sammlungen
lediglich auf zwei Seiten besprochen werden (S. 178-179)
(der Buchrückentext des Verlags ist daher etwas irrefüh-
rend). Schwerpunkt der Arbeit ist eine detaillierte und
überaus umfassende Vorstellung von drei Kunstkam-
mern sowie einer Inszenierung am Stuttgarter Hof.
Oberflächlich betrachtet wirkt die Auswahl auf drei süd-
deutsche Sammlungen etwas mager. Dieser Eindruck
täuscht allerdings, denn bei genauer Betrachtung zeigt
sich die ungeheure Fleißarbeit, die hinter dieser Arbeit
steckt. Die Autorin hat sich regelrecht durch Archive ge-
wühlt und dabei zahlreiche interessante Details über
Sammlungen, die schon lange zerstört wurden und daher
nicht mehr betrachtet werden können, zusammengetra-
gen (es handelt sich um Archivmaterial aus Marburg,
München, Stuttgart und Ulm. sie listet zwar auch Berlin
auf, allerdings ohne Angabe des Materials aus Berlin).
Ihr Hauptaugenmerk ist auf Kunstkammern in Süd-
deutschland gerichtet, wenngleich im Text an einigen
Stellen auch Wien und die Habsburger Höfe erwähnt
werden. Der Hauptteil der Arbeit präsentiert überaus
umfassend Geschichte und Inhalt der drei Kunstkam-
mern, und zwar der Kunstkammer der Wittelsbacher in
München (1565-1606, auf S. 77-102), die Herzogliche
Kunstkammer in Stuttgart (1596-1750) einschließlich
der Kunstkammer des Johann Jakob Guth von Sulz-
Durchhausen (auf S. 103-128), sowie das Exoticophyla-
cium Weickmannianum des Kaufmanns Christoph
Weickmann in Ulm (1653-1681, auf S. 129-142). Es han-
delt sich somit um zwei fürstliche und eine bürgerliche
Sammlung plus der ebenfalls als bürgerlich geltenden
Sammlung des Johann Jakob Guth von Sulz-Durchhau-
sen. Anhand dieser Sammlung beschreibt die Autorin,
welche Objekte gesammelt wurden (anhand Inventarlis-
ten), wie sie angeordnet und präsentiert wurden (anhand
von Beschreibungen von Besuchern), wie teuer sie wa-
ren (anhand von Kaufunterlagen) und mitunter sogar,
welche Informationen über die Objekte bekannt waren
(z.B. anhand von Eintragungen im Inventarbuch). Das
Ergebnis ist eine Auseinandersetzung mit Sammlungen,
die zwar heute nicht mehr existieren (ein Großteil der
Objekte ist nachweislich zerstört), die aber für die spä-
tere Entwicklung der Auseinandersetzung mit fremden
Kulturen wichtig waren. Das Buch bietet somit eine fas-
zinierende Einsicht in die Vorgeschichte der Ethnolo-
gie.
In der Einleitung (S. 9-12) begründet die Autorin die Ein-
grenzung auf Africana (= Subsahara) und Americana (vor
allem aus Mexiko, Karibik und Brasilien) damit, dass die-
se Regionen von Europäern erst seit dem 15. und 16. Jahr-
hundert bereist wurden und die Form der Begegnung und
Auseinandersetzung daher nach den gleichen Mustern
verlief. Wie sie allerdings später, vor allem im Schlusskapi-
tel, deutlich hervorhebt, beschränken sich die Analogien
auf die Rezeption in bestimmten europäischen Regionen
und sollte daher stärker differenziert werden. Hier zeigt
sich bereits, dass sich die Autorin etwas zu sehr mit ihrem
„Forschungsgegenstand“ identifiziert hat. Genau wie in
der Frühen Neuzeit gerne generalisiert wurde und von
„den Indianern“ und „den Afrikanern“ gesprochen wur-
de, neigt auch die Autorin zu Verallgemeinerungen. Dabei
ergeben ihre Detaildarstellungen im Hauptteil durchaus
ausreichend Erkenntnisse, allerdings nicht über Europa
insgesamt, wie behauptet wird, und auch nicht über die
Region „nördlich der Alpen“, wie die Autorin mitunter
einschränkend betont, denn z.B. Skandinavien wird nicht
mit einem Wort erwähnt. Das ist auch nicht notwendig,
zeigen die zusammengetragenen Daten doch eine interes-
sante Fallstudie, die eventuell von anderen Forschern auf
andere Regionen übertragen werden kann. Dieser Ver-
such, anhand einer Detailstudie zu verallgemeinern, ist
überflüssig und schlägt auch fehl.
Nach der Einleitung folgt, zunächst etwas zusammen-
hanglos, die Beschreibung einer Inszenierung der „Köni-
gin Amerika“ am Stuttgarter Hof (S. 13-24); der Kom-
mentar und damit die Erklärung dazu folgen erst am
Ende des Buches (auf den Seiten 143-160). Wenngleich
sich die Beschreibung sehr flüssig liest (im Unterschied
zur Einleitung) war ich anfangs etwas ratlos über Sinn
und Zweck dieser netten Beschreibung. Die Performance
Studies haben sich ausgiebig mit der Analyse solcher In-
szenierungen auseinandergesetzt, was leider der Autorin
entgangen zu sein scheint.
Anschließend folgt ein weiteres einleitendes Kapitel über
„Die Neuen Wellen und Europa in der Frühen Neuzeit“
(S. 25-44). Hier gibt die Autorin einen Überblick über die
Entdeckungsgeschichte, wobei sich hier bereits ein zen-
traler Mangel der Arbeit zeigt: ihre unkritische Auseinan-
dersetzung mit schriftlichem Material (Stadens Buch wird
beispielsweise als ein wichtiges ethnographisches Zeugnis
genannt, ohne es in den Kontext zu stellen, S. 41), was
heutzutage nicht nur in der Ethnologie, sondern auch in
anderen Disziplinen nicht mehr geht, insbesondere für
eine Dissertation. Ich habe mich beispielsweise gefragt,
warum sie nicht auf die lateinamerikanistische Bearbei-
tung von Reiseberichten und anderen Quellen aus dieser
Zeit zurückgreift (z.B. Wehrheim-Peuker 1989 oder Hof-
mann 2001, beides hervorragende Untersuchungen von
frühen Amerikatexten). Die verständliche Abneigung der
Autorin gegen postmoderne Methoden geht hier etwas zu
weit. Sie verweist einerseits auf die Existenz der Reisebe-
247
___________TRIBUS 55,2006
richte, da diese die Neugierde der Europäer verstärkten
(S. 36). Andererseits hält sie fest, dass kritische Texte zur
Eroberung im Kontext der Auseinandersetzung zwischen
katholischen und protestantischen Ländern entstanden
sind. Dennoch nimmt sie diese Feststellung nicht zum An-
lass, die Aussagekraft der Texte insgesamt in Frage zu stel-
len.
An dieser Stelle kommt die Autorin nun zu den Kunst-
kammern. Zuerst stellt sie allgemein dar, wie sie entstan-
den sind und was sie beinhalteten (S. 45-76). Ein zentrales
Element war nach der Autorin die Auseinandersetzung
mit der Fremdheit allgemein, Lokalisierung war zweitran-
gig, so dass gemeinhin nicht die materielle Kultur einer
Ethnie oder einer Region präsentiert wurde (S. 71), son-
dern vielmehr Objekte, die europäischen Vorstellungen
entsprachen oder aber ihnen gegenüberstanden (S. 57).
Gleichzeitig zeigt die Autorin, dass sich anhand der
Sammlungen die Entwicklung von der Darstellung eines
universalistischen Ideals hin zur Verwissenschaftlichung
feststellen lässt. Die Kammern dienten daher dem Zweck,
die Welt zu ordnen und diese Ordnung begreifbar zu ma-
chen (S 58). Die Neugierde war dabei nach der Autorin in
Kombination mit dem Staunen das vordergründigste Mo-
tiv der Sammler. War die Neugierde ehemals verpönt und
als Laster negativ besetzt, erfuhr sie ab 1600 eine positive
Konnotation bis im letzten Drittel des 17. Jahrhunderts
das Staunen verschwand (S. 63-65).
Nach dieser allgemeinen Behandlung von Kunstkammern
folgen nun die detaillierten Vorstellungen der drei bereits
erwähnten Kunstkammern (S. 77-142), wobei die Autorin
die Abschnitte nach Geschichte und Inhalt gliedert. Das
ist, wie bereits hervorgehoben, der Hauptteil der Publika-
tion und präsentiert die Hauptarbeit hinter dem Buch, das
Sammeln von detaillierten Informationen in den Archiven
- eine ausführliche und überaus genaue Darstellung. Die-
ser sehr gelungene Teil bietet interessantes Material für
eine spannende Interpretation der europäischen Zeitge-
schichte, und zwar über eine Etappe unserer Geschichte,
die wichtig für die Entstehung von Völkerkundemuseen
und der universitären Ethnologie war.
Leider verschenkt die Autorin danach ihr überaus span-
nendes Material. Wie sie im Kapitel „Die Rezeption der
Neuen Welten im 16. und 17.Jahrhundert“ (S. 143-180)
schreibt, wehrt sie sich gegen diese Tendenzen in der „mo-
dernen Ethnologie“, alles kritisch zu hinterfragen (S. 170)
- und schafft leider den Mittelweg zwischen dem grund-
sätzlichen Hinterfragen der Postmoderne und einer unkri-
tischen Analyse nicht. Statt die Ergebnisse in den histo-
rischen Kontext zu stellen und zu diskutieren, betont sie
die überaus positive Wahrnehmung fremder Kulturen in
der von ihr behandelten Zeitepoche (z.B. wird die Fast-
nachtsinszenierung der Königin Amerika als eine gleich-
berechtigte Rezeption Amerikas gegenüber den anderen
drei Erdteilen beschrieben, S. 149). Sie weckt den Ein-
druck, dass - im Unterschied zu den (katholischen) Spani-
ern - die (protestantischen) Süddeutschen Fremde ge-
schätzt und als gleichberechtigt behandelt haben (hier
wäre nun erneut ein Hinweis auf die Debatte über die
Amerikatexte sinnvoll gewesen). Als Beleg verweist sie u.
a. auf die so genannten „Hofmohren“, bei denen es sich
um „Afrikaner“ handelte, die - nach Darstellung der Au-
torin - als Kinder versklavt, dann freigekauft und nach
Europa verschifft wurden (S. 146), um an den Höfen zu
dienen. Diese Wortwahl impliziert allerdings nicht gerade
eine Wertschätzung, sondern einen (vermutlich unbewuss-
ten) Hinweis auf den Fortbestand der Sklaverei in Europa.
„Verschifft“ wird lediglich Ware, keine Passagiere, die frei
entscheiden können, ob sie reisen oder nicht. Es handelt
sich bei diesen Dienern keineswegs um freie Angestellte,
allerdings auch nicht - zumindest juristisch gesehen - um
Sklaven (sie erhielten z.B. etwas Lohn), wie z.B. Monika
Firla anhand von der Lebensgeschichte von Anton Wil-
helm Amo illustriert (s.Tribus Vol. 51).Trotz eines Vertrau-
ensverhältnisses zeigt Firla mit dieser Lebensgeschichte
die starke Abhängigkeit, in der die Fremden aus Afrika in
Deutschland lebten. An einer anderen Stelle versucht sie,
die Darstellung von Fremden als Monster damit zu erklä-
ren, dass das damalige Weltbild nun einmal bevölkert von
Fabelwesen. Kannibalen etc. war; das sei durchaus üblich
gewesen, denke man nur an die Inka und ihren Ge-
schichten von Kannibalen bei den Ethnien, die sie ero-
berten. Auch an diesem Punkt hätte eine kritische Ausein-
andersetzung ansetzen können, da das gemeinsame
Element ja schließlich der Eroberungswunsch war bzw. die
Verteidigung der vollzogenen Eroberung und somit eine
strategische Angelegenheit, wie bereits vor 20 Jahren Pe-
ter Hulme in seinem bahnbrechenden Buch Colonial En-
counters festhielt. Auch wenn ich verstehen kann, dass die
Autorin ganz bewusst gerade nicht diesen Weg einschla-
gen, sondern das Weltbild der damaligen Europäer dar-
stellen wollte, so hätte sie dennoch auf diesen überaus
wichtigen Diskurs kurz eingehen müssen, handelt es sich
bei dieser Publikation doch um eine Dissertation. Die Prä-
sentation der historischen Daten ist überaus lobenswert;
gerade hierbei können viele Ethnologen etwas lernen. Was
die Analyse angeht, so hätte die Autorin dabei stärker the-
oretische und methodische Ansätze z.B. aus der Literatur-
wissenschaft heranziehen sollen.
Das Buch endet mit einer kurzen Betrachtung der an-
schließenden Entwicklung im 18. Jahrhundert (S. 181-186)
und einem Schlusswort (S. 187-190), in dem die Autorin
noch einmal auf die Unterschiede zwischen den fürstli-
chen und den bürgerlichen Kunstkammern hinwies.
Insgesamt betrachtet möchte ich noch einmal betonen,
dass das Buch wichtiges Material präsentiert und uns auf
eine Lücke in der bisherigen Forschung hinweist. Wie die
Autorin herausarbeitet, fand in der Zeit keine Auseinan-
dersetzung mit dem Fremden statt, obgleich Ethnographi-
ca unhierarchisch in Kunstkammern eingegliedert wur-
den. Diese Diskrepanz ist bemerkenswert, aber, wie die
Autorin verdeutlicht, mit dem damaligen Weltbild zu er-
klären. Interessant ist auch ihre Schlussfolgerung, dass die
damalige Welt als Einheit erfasst wurde, es sich somit um
eine frühe Form des globalen Denkens, der Globalisie-
rung, handelt. Diese Phase endete dann mit dem Umbruch
in der Wissenschaft um 1670 herum, als ein neues Ord-
nungssystem sich auch auf die Rezeption des Fremden
auswirkte: Fremde wurden bewertet und in zivilisato-
rische Entwicklungsstadien eingeteilt (S. 180), die Folge
war das Aufkommen von Ethnozentrismus. Das Buch bie-
tet somit reichhaltig Material zum Nachdenken und Wei-
terforschen, wenn auch ohne eine umfassende theore-
tische Debatte.
Bettina Schmidt
248
Buchbesprechungen Allgemein
HUSEMANN, DIRK:
Als der Mensch den Krieg erfand - Eine Spu-
rensuche. Ostfildern: Jan Thorbecke, 2005. 176
Seiten, mehrere SW-Abbildungen.
ISBN 3-7995-0156-8
Wer erfand eigentlich den Krieg? Gegenfrage: Was ist
Krieg? Können Auseinandersetzungen zwischen kleinen
ethnischen Gruppen bereits als Krieg bezeichnet werden?
Ist ein Ehekrieg wirklich ein Krieg? Immerhin hängt im
Deutschen das Wort „Krieg“ mit etwas (Materielles)
„kriegen“ zusammen, wenn auch dieser Kontext veraltet
ist. Dann wäre ein Krieg mit einem Beutezug einer Grup-
pe von Menschen außerhalb ihres Siedlungsgebietes
gleichzusetzen. Und der zweite Teil des Wortes „Glau-
benskrieg“ hätte keine Berechtigung, es sei denn der
„Glaube“ wäre nur ein probates Mittel zum Beutema-
chen. wie oft in der Geschichte. Obwohl beide - Mord wie
Krieg - aus vielerlei ethischen Gründen gleichermaßen
abzulehnen sind, haben sie dennoch unterschiedliche
Hintergründe und müssten somit gegeneinander abge-
grenzt werden. Der Verfasser des vorliegenden Buches
drückt sich vor einer exakten Stellungnahme, auch wenn
er in seiner dreiseitigen Einleitung auf die Problematik
teilweise eingeht. Doch der Leser ist bei der Titelwahl
eines populärwissenschaftlichen Sachbuches bereit, Ab-
striche zu machen, zumal zwischen den Zeilen deutlich
wird, dass Husemann „Krieg“ als das nimmt, was das Wort
im allgemeinen deutschen Sprachgebrauch bedeutet: Mit
Krieg ist eine bestimmte Größenordnung verbunden, wo-
bei die Gegner einen gewissen Bevölkerungsumfang auf-
zuweisen haben. Damit fällt Mord als einzelnes Gesche-
hen aus dem Kriegsbegriff heraus, selbst wenn natürlich
innerhalb eines Krieges Morde oft an der Tagesordnung
waren und in Zukunft noch sein werden und heutige Staa-
ten gegen Letztere in ihrer jeweiligen Kriegsgesetzgebung
oft und teilweise weitgehende Bestimmungen erlassen
haben.
Nicht jede Gewalttat ist also bereits ein Krieg. Wo je-
doch fängt der Krieg in der Menschheitsgeschichte an
oder, um mit Husemann zu sprechen, wann erfand der
Mensch den Krieg? Rezensionen sind unter anderem
dazu da, Inhalte des besprochenen Buches mit dem, was
der Titel erwarten lässt, kritisch zu überprüfen. Und so
kann ich jetzt, nach der obigen Definition, zum Punkt
kommen; Danach war Krieg eine Folge der technischen
Errungenschaften sowie des Bevölkerungswachstums
der Menschheit in bestimmten Gebieten. An ihren Grün-
den können Mord, Scharmützel und Krieg nicht unter-
schieden werden. Bezogen auf den europäisch-kleinasia-
tisch-nordafrikanischen Raum kann bei Husemann
erstmals im 6. Kapitel (Jericho) von Krieg gesprochen
werden, und der Verfasser benutzt dieses Wort auch - in
der erwähnten Bedeutung - hier zum ersten Mal (54).
Hinter Krapina, der Großen Ofnethöhle, Talheim und
Herxheim, um die ersten vier Abschnitte des Buches
kurz zu benennen, verbergen sich in keinem Fall Kriege.
Doch Europa soll nicht außen vor gelassen werden. Be-
reits im 7. Kapitel gibt es auch hier, da bildlich wiederge-
geben und datierbar, den ersten Krieg, dargestelll in ei-
ner bekannten Wandmalerei in der Höhle von Les
Dogue (Castellón de la Plana, Ost-Spanien, 40. Breiten-
grad). So richtig los mit den Kriegen geht es dann im 11.
Kapitel mit Mesopotamien und Ägypten, die ja auch in
den erwähnten Großregionen die ersten Hochkulturen
lieferten.
Die folgenden Abschnitte von Kreta über Troja, der Kel-
ten Kulte und Krieger, insbesondere diejenigen der Heu-
neburg, das Hjortspringboot (Schiffe für den Krieg), dem
Tollundmann bis zur römischen „Militärmaschine“ sind
ähnlich wie die vorangegangenen Kapitel aufgebaut. Zwi-
schen den Buchteilen, die namentlich Fundplätzen gewid-
met sind, tauchen auch sachbezogene Abhandlungen auf,
wie „Waffen der Bronzezeit“, die Passagen zum kultu-
rellen Hintergrund enthalten, so etwa „Reichtum und
Krieg“ oder „Burgen und Wehranlagen“, mit denen der
Leser überblickartig gut informiert wird. Dabei wird auch
immer wieder ein Blick auf vergleichbare Befunde in eu-
ropäischen Nachbarstaaten geworfen. Die Informations-
fülle ist begrüßenswert, gibt sie dem Leser doch Anre-
gungen, Weiteres über die angeführten archäologischen
Fundstätten und ethnologischen Grundlagen zu erfah-
ren.
An dieser Stelle sei der Hinweis erlaubt, dass nicht nur
die Archäologie - wie Husemann nicht müde wird zu be-
tonen - zur Aufklärung ur- und frühgeschichtlicher Ge-
schehnisse beitragen kann (es ist ja deren ureigenste
Aufgabe), sondern auch die Ethnologie auf der Grundla-
ge beispielsweise des ethnologisch-prähistorischen Ver-
gleichs (Schulze-Thulin 1991). Der Verfasser der vorlie-
genden Arbeit zeigt hier bereits Ansätze, wenn er sich
beispielsweise auf den ersten Seiten kannibalistischen
Tatbeständen zuwendet (14 ff), deren Schilderungen er
allerdings relativiert und teilweise mit kurz gefassten,
altbekannten Beiträgen garniert. Nebenbei bemerkt; An
einem juvenilen Neandertalerschädel die Überaugen-
wülste zu vermissen, ist als Beweisgrundlage für eine
angebliche Vermischung von Sapiensformen mit der
Spezies Neanderthalensis nicht sonderlich originell.
Auch an anderer Stelle fällt dem nicht unbedarften Le-
ser auf, dass vom Autor schnell, ohne Aufzeigen der un-
terschiedlichen kulturellen Hintergründe, etwas hinge-
worfen wird, wie der als Beispiel für Sekundärbestattung
fälschlicherweise herangezogene Vergleich der Totenge-
rüste bei Plainsindianern des 19. Jahrhunderts und den
„Türmen des Schweigens“ der Parsen (28). Ebenso wol-
len einige der beigegebenen Abbildungen nicht zu dem
Thema des Buches passen. Andererseits werden an-
schaulich in knappen, verständlichen Worten manche
Geräte des während ur- und frühgeschichtlicher Perio-
den gebräuchlichen Materialbestandes geschildert.
Fazit: Als Überblick hat Husemann ein sehr informatives
und umfassendes Buch geschrieben, dessen Fülle an Na-
men. Begriffen, Sachverhalten geradezu nach einem Re-
gister schreit, was es zu einem Nachschlagewerk machen
würde - eventuell bei einer Neuauflage?
Literatur
Schulze-Thulin, Axel
1991 Erste Ansätze zum ethnologisch-prähisto-
rischen Vergleich. In: Saeculum, Bd. 42, H. 1.
Freiburg -München
Axel Schulze-Thulin
249
TRIBUS 55,2006
Kuckenburg, Martin:
Als der Mensch zum Schöpfer wurde - An
den Wurzeln der Kultur. Stuttgart: Klett-Cotta,
2001.238 Seiten mit zahlreichen Färb- und SW-
Fotos, Zeichnungen, Karten.
ISBN 3-608-94034-0
Das Buch enthält alle die Themen zur Menschwerdung,
denen Anthropologen und Prähistoriker verschiedener
Disziplinen seit Beginn der Wissenschaften vom Men-
schen nachgehen, Antworten suchen. Lösungen finden ...
und dennoch oftmals immer wieder ratlos sind. Kein
Wunder also, dass die Literatur zur Entwicklung von Vor-,
Früh-, Alt- und Jetztmenschen sowie ihren kulturellen
Anfängen und Fortschritten Legion ist. Die zeitliche
Grundlage der literarischen Sondierungen des Autors en-
det in etwa mit dem Jahr 2000. Das ist wichtig, weil die
Wurzeln des Menschseins mittlerweile über die sechs Mil-
lionen Jahre hinaus bei acht Millionen gelandet sind (Sa-
helanthropus tschadensis; bei dem gemeinsamen Vorfah-
ren von Mensch und Affe liegen wir mittlerweile sogar bei
13 Millionen Jahren; s. den fast völlig aufrecht gehenden
katalanischen Menschenaffen bzw. Pierolapithecus cata-
launicus). An den vom Autor vorgelegten Tatsachen ein-
schließlich der teilweisen Vermutungen ändert dieser
neue Zeitablauf allerdings nichts.
Kuckenburg hat es verstanden, das Brennende aller in die-
sem Zusammenhang interessanten Fragen, Entwicklun-
gen, Komplexe zusammenzufassen, auf den Punkt zu brin-
gen. dabei mit den jeweiligen Forscherpersönlichkeiten zu
verbinden und auch tragische Lebenswege einiger Wissen-
schaftler einzuflechten. So ist es ihm gelungen, eine in ver-
ständlichen Worten geschriebene Arbeit vorzulegen, die
fasziniert, weil der Stoff selbst eine Faszination darstellt.
Besonders ist dem Verfasser positiv anzurechnen, dass er
sich kenntnisreich in gegensätzliche Meinungen und Aus-
sagen eingeschaltet und sich nicht gescheut hat, Lücken
und Altansichten, wie sie sich insbesondere in amerika-
nischen Publikationen immer wieder feststellen lassen,
aufzudecken. Darüber hinaus ist hervorzuheben, dass Ku-
ckenburg mit seinem Sachbuch oftmals Wissen, das sich in
fachbezogenen Publikationsorganen verbirgt, einer brei-
ten Öffentlichkeit vorlegt, zumindest jedoch Denkanstöße
liefert. Angelpunkt seiner Aussagen ist stets die eigentlich
nicht zu leugnende Ansicht, dass mit den körperlichen Än-
derungen im Laufe der Evolution ebenfalls das Geistige
Wandlungen unterlag, was sich uns Heutigen in materiel-
len Hinterlassenschaften zeigt, sofern sie sich „lesen“ las-
sen. Wen wundert es heute noch, dass mittlerweile selbst
Orang-Utans (und ebenso Schimpansen) eine Kultur
nachgesagt wird, wobei es sogar kulturelle Unterschiede
zwischen denen auf Sumatra und denen auf Borneo gibt
(so Birute Galdikas, immerhin in „Science“). Natürlich
muss ständig geprüft, in Frage gestellt und auch abgelehnt
werden, und hier ist der Autor vielleicht manchmal etwas
zu euphorisch, aber was bleibt ist, dass der menschliche
Geist nicht nur - wie gesagt - in den materiellen Hinterlas-
senschaften, sondern auch in seinen Gehirnstrukturen und
damit Schädelformen sichtbar wird. Doch letztlich steckt
in vielen verlautbarten Ergebnissen noch immer etliches
an „Glauben“.
Dem journalistisch Angehauchten fällt bei allem sachlich
Positivem allerdings ein kleiner Schatten auf, der das
Licht des (der) zuständigen Lektors(in) etwas bewölkt.
Die zahlreichen „man“ stören ebenso wie ein Schreibstil
- als Beispiel -, nach dem „ein Buch erzählen kann“ (das
kann nur ein[e] Berichterstatterjm]). und die „letzten Jah-
re“ haben wir Gott sei Dank auch noch nicht erreicht,
sondern wir können lediglich auf die „zurückliegenden“
verweisen, und selbstredend gibt es eine Paläogenetik,
wie hier in diesem Buch angeführt, aber keine Paläanth-
ropologie, sondern eine Paläoanthropologie.
Die rund acht (bzw. hier sechs) Millionen Jahre umfas-
sende Menschwerdung einschließlich der kulturellen Ent-
wicklung wurden in dem chronologisch aufgebauten Buch
in fünf Kapitel gegliedert. Kein Bereich wurde ausgelas-
sen, von der ostafrikanischen „Wiege“ der Menschheit
über Südafrika mit seinen Australopithecinen, dem bis
jetzt frühesten Homo erectus Europas in Dmanisi, weiter-
hin Atapuerca, Boxgrove und die Holzspeere von Schö-
ningen, die Entstehung von Kunst, Salzgitter-Lebenstedt,
Bilzingsleben, Königsaue, Buhlen und Arcy-sur-Cure bis
zu den späten Neandertalern von Vindija und Lagar Vel-
ho sowie der „Rückkehr ins Neandertal“ (den neuesten
Funden bzw. Ergänzungen zum Skelett des Namen geben-
den Altmenschen sowie das Auftauchen des frühen Jetzt-
menschen auch im Neandertal, erahnt und ergraben durch
Ralf W. Schmitz und Jürgen Thissen vor und nach der
sechs Jahre zurückliegenden Jahrtausendwende).
Das Literaturverzeichnis ist im Anschluss an allgemeine,
umfassende Werke in die fünf Kapiteltitel unterteilt wor-
den. Hieran schließen sich Zitatnachweise und Anmer-
kungen, Abbildungsquellen, ein Personenregister sowie
ein Fundort- und Fundregionen-Index an. Last but not
least ist noch die reichhaltige Ausstattung des Buches mit
Bild- und Kartenmaterial positiv hervorzuheben, womit
es auch dem fachlich Versierten durchaus als Nachschla-
gewerk dienen kann.
Axel Schulze-Thulin
Living Khamsa. Die Hand zum Glück. The
Hand to Fortune. Museumskatalog Nr. 25.
Schwäbisch Gmünd: Museum im Prediger,
2004. 140 Seiten mit zahlreichen Farbabbil-
dungen.
ISBN 3-936988-02-1
Der Begriff „Khamsa“ stammt aus dem Arabischen und
bedeutet fünf. Im Kontext des graphisch sorgfältig edierten
Museumskataloges des Schwäbisch Gmündener Museums
im Prediger bezieht sich diese Fünf auf die fünf Finger der
Hand, die im Vorderen Orient und Nordafrika ein wich-
tiges Element in der Volkskunst und im islamischen sowie
jüdischen Volksglauben darstellt. Wahrscheinlich von den
Muslimen begründet und zu unbekannter Zeit von Juden
übernommen, hat sich der Glauben an die Schutzfunktion
der Khamisa bis heute als ein unverzichtbares Element in
der Kultur der Völker erhalten.
250
Buchbesprechungen Allgemein
Während die Khamisa in bisherigen Darstellungen zu-
meist sehr stark auf die Muslime von Marokko bis in die
Türkei und Pakistan/Indien bezogen wurde, dominiert in
diesem Katalog das Handmotiv im jüdischen, vor allem
auch israelischen Kulturraum. So finden sich Handdar-
stellungen auf jüdischem Frauenschmuck, auf religiösen
Utensilien wie Thora-Vorhängen, Thora-Zeigern, Behäl-
tern für Gebetsschals oder Synagogenlampen bis hin zu
profanen Gegenständen wie Schlüsselanhängern, CD-
Hüllen und selbst Lotterielosen. Daneben werden einige
Handmotive z.B. aus dem islamischen Schmuck Nordafri-
kas behandelt.
Der Katalog gliedert sich durchgängig in einen Bildteil
sowie einen Begleittext in deutscher und englischer Spra-
che, wobei die Bilder den jeweils oberen Teil, die Texte
den unteren Teil der Seiten einnehmen. Oft bleibt aller-
dings der für Bilder gedachte obere Seitenteil leer, an an-
derer Stelle werden statt Bildern abgetönte Handorna-
mente abgedruckt. Der insgesamt knappe Begleittext
beinhaltet einen übergreifenden Beitrag zur historischen
Bedeutung der Hand bzw. des Handsymbols als Schutz
gegen Übel wollende Mächte, eine Überschau über die
verschiedenen Ausprägungen des Handsymbols bzw. der
Fünf im islamischen und jüdischen Kulturraum sowie ei-
nen weiteren Artikel zur Khamsa als Talisman und
Glücksbringer.
Der kleine Katalogband ist handwerklich relativ auf-
wändig erstellt und gefertigt, lässt jedoch eine Vielzahl
von inhaltlichen Fragen offen. Durch die zweisprachigen
Texte, die zudem großzügig gesetzt wurden, bleiben die
Informationen zur Khamsa sehr beschränkt und wirken
teilweise sehr oberflächlich. Die Typologie der Khamsa
erfolgt auf knappstem Raum, der Überblick bleibt sehr
unvollständig. Dabei wird nur in diesem Kapitel auf we-
nigen Seiten einmal eine direkte Beziehung zwischen
Text und Abbildungen geschaffen. Sonst bleiben die Fo-
tos und Ornamentabbildungen relativ zusammenhang-
los, häufig wenig geordnet. Die (einzige) typologische
Bildreihe mit neun verschiedenen kleinen Anhängern in
Form von Silberhänden auf den S. 40 und 41 bleibt wie
andere Abbildungen völlig ohne Kommentierung. Dabei
stellt das breite Spektrum der Abbildungen von wohl
marokkanischen Händen mit den unterschiedlichsten
zusätzlichen Symbolen eine wichtige Typologie der Kha-
misa dar. auf die einzugehen unbedingt notwendig gewe-
sen wäre.
Der Katalog „Living Khamsa“ hinterlässt den Eindruck,
dass hier eine Publikation entstehen sollte, für die nur we-
nig Material vorlag und bei der deshalb das graphische
Element die Inhalte (in Text und Bildmaterial) überde-
cken sollte. Dies ist aus einem doppelten Grunde bedau-
erlich: Zum einen hätten die vorhandenen durchaus inter-
essanten Dokumente eine bessere Präsentation verdient.
Zum anderen gibt es zum Thema Khamisa einerseits viel
Material, in letzter Zeit wurde diesem jedoch nur wenig
Beachtung geschenkt, was eine umfassendere Darstellung
geradezu aufdrängen müsste.
Frank Bliss
Seithel, Friderike:
Von der Kolonialethnologie zur Advocacy An-
thropology. Zur Entwicklung einer koopera-
tiven Forschung und Praxis von Ethnologlnnen
und indigenen Völkern (Interethnische Bezie-
hungen und Kulturwandel, Bd. 34). Hamburg:
Eit Verlag, 2000.528 Seiten.
ISBN 3-8258-4082-4
Eine Geschichte der angewandten Ethnologie, ein Hand-
buch und ein Plädoyer für die im Titel genannte „Advoca-
cy Anthropology“ werden mit dieser in jeder Hinsicht
gewichtigen Publikation vorgelegt. Die Autorin formu-
liert ihr Vorhaben selbst in der folgenden Weise (p. 2):
„Die vorliegende Arbeit befasst sich mit der Entwicklung
eines speziellen Ansatzes praktischer Ethnologie: den als
wertexplizit, interventionistisch, partizipativ und/oder ko-
operativ bezeichneten Praxiskonzepten. Diese werden in
den Gesamtkontext der Geschichte der angewandten
bzw. praktischen Ethnologie gestellt, im Zusammenhang
mit ihren jeweiligen gesellschaftlichen Entstehungsbedin-
gungen analysiert und am Beispiel von Kooperations-
möglichkeiten zwischen Ethnologlnnen und den neuen
Bewegungen indigener Völker konkretisiert.“
Mit dem ersten Satz des Zitates wird bestimmt, was in der
vorliegenden Publikation unter dem Begriff der „Advo-
cacy Anthropology“ verstanden wird. Um den Anspruch,
der mit der Arbeit insgesamt gestellt wird, zu präzisieren,
ist es sinnvoll, an dieser Stelle auch die Definition zu zitie-
ren, die die Autorin für den Begriff der schon im Unterti-
tel des Buches auftauchenden „indigenen Völker“ gibt
(p.2, Anm.5):
„Als indigene Völker werden die ursprünglichen Bewoh-
nerinnen einer Region bezeichnet, die durch nachkom-
mende Bevölkerungsgruppen kolonisiert, verdrängt oder
umgesiedelt wurden. Sie teilen eine eigene Geschichte,
Kultur und Sprache und besitzen heute meist den Status
von sozial und politisch diskriminierten Minderheiten.
Mit der Eigenbezeichnung als indigene Völker verbinden
die betreffenden Gruppen ein spezifisches Wir-Bewusst-
sein. aus dem sie bestimmte politische und rechtliche For-
derungen ableiten. Der Terminus ist vor allem als poli-
tischer und nicht als wissenschaftlich-analytischer Begriff
zu verstehen....“
Vor allem aus der Zusammenschau dieser beiden gleich
am Beginn der Einleitung gegebenen Bestimmungen ist
der wissenschaftsethische - von der Autorin „wertexpli-
zit" genannte - Standpunkt abzuleiten, der Konsequenzen
für die Gliederung und Darstellung des Themas hat. Ob-
wohl die Geschichte der angewandten Ethnologie in einer
klaren Systematik und in relativer Breite jeweils geson-
dert für die US-amerikanische, die britische und die
deutschsprachige Ethnologie entwickelt wird-von einem
historisch jüngeren Zeitpunkt an ergänzend auch für die
lateinamerikanische -.entsteht eine etwas problematische
Simplifizierung daraus, dass erstens in diesem historischen
Aufriss die angewandte Ethnologie jeweils in zu undiffe-
renzierter Weise zusammengefasst wird und zweitens die
Darstellung suggeriert, wie dies auch der Haupttitel des
Buches tut, die angewandte Ethnologie habe tatsächlich
eine historische Entwicklung von der Kolonialethnologie
251
___________TRIBUS 55,2006
hin zu der im Buch propagierten „Advocacy Anthropolo-
gy“ genommen. Die hierauf bezogene Bemerkung des
Rezensenten darf allerdings nicht als Kritik im üblichen
Sinne verstanden werden, sondern nur als eine alternative
Sichtweise auf die in dem hier besprochenen Buch behan-
delte Problematik. Diese andere Sichtweise ist zum über-
wiegenden Teil dem Umstand einer über mehrere Jahre
verzögerten Abfassung der Rezension geschuldet , die der
Rezensent zu verantworten hat. Die Recherche für das
Buch wurde zum Ende des Jahres 1998 abgeschlossen, die
Publikation selbst erfolgte im Jahr 2000. Die neuesten
Entwicklungen gerade in der Bundesrepublik Deutsch-
land, von denen der Rezensent ausgeht, konnten daher
von der Autorin nicht mehr berücksichtigt werden.
Dies klar gestellt, wird man bei Betrachtung der aktuellen
Situation insbesondere der deutschsprachigen Ethnologie
feststellen, dass es sich bei dem Verhältnis von Kolonial-
ethnologie zur „Advocacy Anthropology“ nicht um eine
diachrone Beziehung handelt, wie der Titel und die Anla-
ge des Buches vorgeben, sondern diejenigen Elhnologln-
nen, die sich der angewandten Ethnologie zugewendet
haben, vielmehr synchron agieren, und zwar auf den fol-
genden Arbeitsfeldern. Das erste wird heute - in der Zeit
heftiger werdender Neokolonialkriege wie dem der USA,
Großbritanniens und ihrer Verbündeten im Irak - auch
von deutschen militärischen Geheimdiensten bereitge-
stellt und die dortigen beruflichen Positionen in der ange-
wandten Ethnologie werden von an deutschen Universi-
täten ausgebildeten Ethnologlnnen eingenommen. Das
zweite Feld wird durch die Mitarbeit von ethnologischen
Expertinnen in der seit einigen Jahrzehnten Entwick-
lungszusammenarbeit genannten Entwicklungshilfe be-
zeichnet. Ein beträchtlicher Teil der dort ermöglichten
Projekte wurde schon vor über zwanzig Jahren ihrer Un-
sinnigkeiten wegen von Einheimischen in Westpolynesien
in mild-ironischen Satiren beschrieben (Epeli Hau’ofa
1983), eine Einschätzung, die der Rezensent, der dort
Feldforschungen gemacht hat, leider nur als rundum zu-
treffend bestätigen kann. Für die Beschreibung entspre-
chender Beispiele aus Afrika fand ein deutscher Insider
aus der angewandten Ethnologie ebenfalls nur die Form
der Satire, die in seinem Fall allerdings eher bitter-sarkas-
tisch ausfiel (Richard Rottenburg 2002).
Als drittes Feld gibt es, wenn auch nur in wenigen Beispie-
len, Tätigkeiten in der angewandten Ethnologie, die der
von Friderike Seithel ausgearbeiteten „Advocacy An-
thropology“ sehr nahe kommen. Allerdings gelten auch
gerade für diejenigen Ethnologlnnen, die sich schon seit
Beginn der siebziger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts
dieser zumeist wesentlich härteren und entbehrungs-
reicheren Form der angewandten Ethnologie widmen, die
folgenden Sätze, mit denen die Autorin ihr insgesamt sehr
verdienstvolles und ebenso lesens- wie empfehlenswertes
Buch beschließt (p.473):
„So haben in der Vergangenheit ethnologische For-
schungsarbeiten häufig viel geringere Auswirkungen in
der Praxis gehabt, als die Wissenschaftlerlnnen es gehofft
oder beabsichtigt hatten. Indigenen Gemeinschaften geht
es, ungeachtet aller Bemühungen von ethnologischer und
anderer Seite, hinsichtlich der Sicherung ihrer (Über-)Le-
bensmöglichkeiten heute z.gr.T. eher schlechter als besser.
Die (Über-)Macht politischer und ökonomischer Interes-
sen gegenüber ethischen und moralischen Werten und
Zielen sollte Ethnologlnnen allerdings nicht zur Resigna-
tion oder einem Rückzug ins .ästhetische Exil’ veranlas-
sen, wohl aber zu einer größeren Bescheidenheit hinsicht-
lich ihrer Möglichkeiten, die .inhumane Verfasstheit
dieser Welt’ zu ändern (Habermeyer 1996, p. 182).“
Literatur
Habermeyer, Wolfgang
1996 Schreiben über fremde Lebenswelten. Das
postmoderne Ethos einer kommunikativ han-
delnden Ethnologie. Wissenschaft und For-
schung 12. Köln, Neuer ISP-Verlag.
Hau’ofa, Epeli
1983 Tales of the Tikongs. Neuseeland, Longman
Paul (deutsch 1998: Rückkehr durch die Hin-
tertür. Zürich, Unionsverlag).
Rottenburg, Richard
2002 Weit hergeholte Fakten. Eine Parabel der Ent-
wicklungshilfe. Stuttgart, Verlag Lucius und
Lucius.
Volker Harms
Steppan, Karlheinz:
Taphonomie - Zoologie - Chronologie - Tech-
nologie - Ökonomie. Die Säugetierreste aus
den jungsteinzeitlichen Grabenwerken in
Bruchsal / Landkreis Karlsruhe. Materialhefte
zur Archäologie in Baden-Württemberg,Bd.66.
Hrsg. v. Landesdenkmalamt Baden-Württem-
berg. Stuttgart: Theiss, 2003.244 Seiten mit 134
SW-Fotos, Zeichnungen, Grafiken, Karten im
Text, zusätzlich 80 Tafeln.
ISBN 3-806-21740-8
Landschaftsveränderungen durch den frühen Menschen?
Eher nicht, ist die spontane Antwort. Doch diese Meinung
täuscht. Erinnert sei nur an die so genannten Mounds bzw.
Erdhügel in zahlreichen Regionen der Alten und der
Neuen Welt. Beispielsweise im Osten Nordamerikas, wo
es neben Grab- und Tempelhügeln auch regelrechte Erd-
wallanlagen, die „Effigy Mounds“, gibt. In wesentlich
frühere Zeit sind solche Ergebnisse kollektiver Arbeits-
leistungen in Europa zu datieren, etwa diejenigen aus der
jungneolithischen Michelsberger Kultur in Süddeutsch-
land (6300 - 5500 v.h.). Doch während der Hintergrund
der nordamerikanischen Mounds im Kultischen zu suchen
ist, hatten die südwestdeutschen Erdwerke vornehmlich
politische Gründe. Die klima- und damit wirtschaflsgüns-
tigen Verhältnisse des Kraichgaus (Raum Bruchsal) lock-
ten bereits im frühen Neolithikum Menschen an, die sich
nicht nur wegen der guten landwirtschaftlichen Voraus-
setzungen, sondern auch wegen des angrenzenden Rhein-
tals mit seinen für die nach wie vor bestehende Jagd- (ins-
besondere auf Auerochse, teilweise auch Wildschwein
und Rothirsch) und Sammeltätigkeit optimalen Bedin-
gungen in diesem Raum niederließen. Wo viele Menschen
Zusammenkommen, natürlich in Relation zur damaligen
Zeit gesehen, entstehen schnell Konflikte. So sind die
252
Buchbesprechungen Allgemein
Kraichgauer Erdwerke wohl als Befestigungen jungneoli-
thischer Siedlungen zu verstehen.
Das Buch ist in insgesamt 15 Abschnitte mit zahlreichen
Untertiteln gegliedert. In den ersten beiden Kapiteln wer-
den archäologische Untersuchungsmethoden sowie Be-
griffe erklärt. In den acht folgenden Hauptabschnitten
wird das Spektrum der aufgefundenen Tierknochen vor-
gestellt und nach verschiedenen Gesichtspunkten be-
schrieben. Der elfte Abschnitt hat die Einzeluntersu-
chungen am Fundinventar aufgenommen, jeweils
unterteilt in Spezies sowie Haus- und Jagdtiere. In den
beiden folgenden Kapiteln werden die Haus- und Wild-
säugetiere in ihrer Bedeutung für die jungneolithische
Ernährungswirtschaft beschrieben. Zum Schluss gibt der
Autor eine Zusammenfassung und ein Literaturverzeich-
nis wieder. Die oben erwähnten 80 Tafeln und 8 Beilagen
schließen sich an.
Neben den oft kilometerlangen Erdbauten mit ihren bis
zu fünf Meter tiefen Gräben als Basis der vorliegenden
Abhandlung stehen insbesondere die Abertausende von
Jagd- und Nutztierknochen aus den (ebenfalls so benann-
ten) Grabenwerken Aue und Scheelkopf im Stadtgebiet
von Bruchsal im Mittelpunkt. Diese Knochenfunde wur-
den eindeutig als Schlacht- und Speiseabfälle identifiziert,
abgesehen von den ebenfalls zahlreich vorkommenden
Hundeskeletten bzw. Teilen davon, die im Gegensatz zu
Rind, Schwein und kleinen Hauswiederkäuern in der Re-
gel nicht der Ernährung dienten. Alle diese Knochenin-
ventare datieren in die Zeit zwischen 6100 und 5800 v.h.
Die hinter den Erdwerken sichtbar werdende gemein-
schaftliche Arbeitsleistung ist nur auf der Grundlage der
wirtschaftlich etablierten Haustierhaltung der Michelsber-
ger Bevölkerung zu erklären, wie die in Bruchsal-Aue ge-
borgenen Haustierknochen belegen. In Bruchsal-Scheel-
kopf wurden dagegen vornehmlich Wildtierknochen
ausgegraben. Nur das Hausrind spielte neben dem Wild in-
nerhalb der dortigen Fleischversorgung eine gewisse Rolle.
Diese Diskrepanz zwischen den beiden Fleischversor-
gungslagen lässt Vermutungen weiten Spielraum. Gab es in
diesem begrenzten Gebiet grundsätzliche wirtschaftliche
Gegensätze zwischen zwei oder mehreren Gruppierungen
oder sind die unterschiedlichen Knochenfunde auf einen
einsetzenden Wirtschaftswandel zurückzuführen, der sich
in einer ansonsten homogenen Bevölkerungsgruppe in un-
terschiedlichen Zeitspannen abspielte? Eine weitere Er-
klärung wäre ein Klimaumschwung, der die landwirtschaft-
liche Betätigung für eine gewisse Zeit einschränkte und die
Jagd wieder in den Vordergrund rücken ließ. Klimaverän-
derungen haben das Leben auf unserem Planeten ja seit
jeher begleitet und sind keine langfristig Besorgnis erre-
gende Erscheinung. Sollten allerdings die Knocheninven-
tare von Aue und Scheelkopf zeitgleich sein, so fiele die
klimatische Vermutung ins Wasser.
Über ihre regionalhistorische Bedeutung hinaus ist die
vorliegende Abhandlung auch deshalb von Bedeutung,
weil sie zeigt, wie der Mensch immer wieder gelegentliche
Rückschläge, in diesem Fall wahrscheinlich durch klima-
tische Veränderungen hervorgerufen, überwand und auf
einem Weg fortschritt, der ihn nach sechs Jahrtausenden
in die Gegenwart führte und ihn in eine Zukunft bringen
wird, vor der wir uns nicht zu sorgen brauchen.
Axel Schulze-Thulin
Wienges, Sebastian:
Westlicher Individualismus versus Asiatische
Werte: Die Bedeutung von Individuum und
Kultur für gesellschaftliche Entwicklung. Ber-
lin: Wissenschaftlicher Verlag, 2003. 165 Seiten.
ISBN 3-936846-57-X
Die Problematik des Gegensatzes von Individuum und
Gesellschaft (oder „Kollektiv“), persönlicher Freiheit und
normativem Zwang, ist so alt wie die Wissenschaft vom
Sozialen selbst. Der Autor des vorliegenden Buches nä-
hert sich dieser Thematik mit dem Interesse des „social
engineers“, der herausfinden möchte, warum sich manche
Gesellschaften besser und schneller entwickeln als ande-
re. Konkreter geht es um die wirtschaftliche Entwicklung
in der „asiatisch-pazifischen Region“ und die Frage, ob es
eher der westliche Individualismus oder die traditionellen
„asiatischen Werte“ sind, die in dieser Region ökono-
misches Wachstum gefördert haben. Hintergrund dieser
Fragestellung ist die Debatte in den neunziger Jahren, in
der es um die Behauptung ging, dass die typisch „asia-
tischen Werte“ wie Familienbindung, Loyalität gegenüber
Höhergestellten, Opferbereitschaft zugunsten des Ge-
meinwohls etc. maßgeblich zum Erfolg der Tigerstaaten
beigetragen haben. Mit dem Verweis auf diese Werte wur-
de aber auch von einigen Potentaten dieser Staaten eine
Einschränkung der Menschenrechte gefordert, so dass die
Debatte stark politische Züge trug. Wienges, der auf die-
sen Hintergrund erst gegen Ende des Buches näher ein-
geht, betont denn auch, dass es sich bei diesen „asiatischen
Werten“ um ein Konstrukt handelt (S. 127) - es hat ideo-
logischen Charakter.
Diese Einsicht hält den Autor jedoch nicht davon ab, den
Großteil des Buches darauf zu verwenden, dieses Phan-
tom aufspüren zu wollen. Das erste Kapitel, welches die
Hälfte des schmalen Buches ausmacht, widmet sich den
„kulturalistischen Erklärungen für Entwicklung“: hier
findet man kurze Resümees von Positionen der klas-
sischen Autoren wie Max Weber, Karl Popper und Louis
Dumont (nicht jedoch Emile Dürkheim und Marcel
Mauss) und einen Abriss diverser Modernisierungstheo-
rien. Die Auswahl der Autoren erscheint ziemlich beliebig
und es fehlt eine Auseinandersetzung mit neueren Debat-
ten in Ethnologie und Soziologie, wie z.B. jene über „al-
ternativen Modernitäten“ oder die Frage nach der Hand-
lungsfähigkeit (agency) subalterner Akteure. Stattdessen
verläuft die Diskussion in den eingefahrenen Spuren der
älteren Theorien, die oft Tradition und Moderne, Hierar-
chie und Egalität. Kollektivismus und Individualismus
ziemlich platt gegenüberstellen. Besonders ausführlich
geht Wienges auf die empirischen Studien von Geert
Hofstede ein, der einen weltweiten Vergleich von arbeits-
bezogenen Werten durchgeführt und dabei eine „asia-
tische Werte-Dimension“ ausgemacht hat. Wienges macht
jedoch deutlich, dass diese Betrachtung stellenweise recht
eindimensional ist und vieles vereinfacht.
Das zweite Kapitel ist ein Exkurs nach Australien und be-
fasst sich mit den kollektivistischen Formen der Aborigi-
nes, die sozusagen (wie schon bei Dürkheim) als Exempel
eines ganzheitlichen, prämodemen sozialen Gefüges an-
geführt werden. Solche primär verwandtschaftlich organi-
253
____________TRIBUS 55,2006
sierten Gesellschaften, die heute mit einer komplexen
Staatlichkeit konfrontiert sind, gibt es freilich auf der
ganzen Welt, und der Hauptgrund, weshalb Wienges sich
mit dieser Region ausführlich befasst, scheint darin be-
gründet, dass er dort einige Zeit studiert hat. Für die Ar-
gumentation des Buches ist dieses Kapitel nicht entschei-
dend. Es zeigt lediglich, dass es „kollektivistische“ Werte
überall gegeben hat und die Veränderungen der Moderne
die sozialen Bindungen schrittweise schwächen. Dies ist
allerdings keine besonders neuartige Erkenntnis.
Im dritten Kapitel geht der Autor schließlich näher auf
die wirtschaftlichen Verhältnisse in der Asien-Pazifik Re-
gion ein und betrachtet die verschiedenen Formen des
Unternehmertums und des sozialen Handelns. Bei der
Beschäftigung mit „pater-enterpreneurs“, Händlerkasten,
Familiennetzwerken und „cronyism“ wird deutlich, dass
in Asien vieles anders (aber auch nicht völlig anders) läuft
als im Westen. Dies ist der interessanteste Teil des Buches:
es wird fleißig zusammengetragen, was in der Literatur
verfügbar ist. Allerdings springt der Autor oft schnell von
einer Region zur anderen, von Japan nach Indien und von
den Philippinen nach China, so dass die Betrachtungen
selten in die Tiefe gehen. Dabei offenbart sich auch die
Schwäche des Vergleichs; Die Regionen sind bei näherer
Betrachtung so unterschiedlich (z.B. Buddhisten in Korea,
Muslime in Indonesien, Staatskapitalismus in China und
freies Unternehmertum in Taiwan), dass jeder Versuch,
eine gemeinsame Wertehaltung herauszufiltern, fragwür-
dig bleibt.
Was bleibt von den asiatischen Werten? Bestenfalls eine
vage Familienähnlichkeit, aber die meisten der Werte fin-
den sich auch, wie der Autor selbst bemerkt, in anderen
Kulturen rund um den Globus. Wienges schließt denn im
knappen 4. Kapitel nur noch mit einer Betrachtung der
Bedeutung von Kollektivismus und Individualismus allge-
mein für die wirtschaftliche Entwicklung und betont salo-
monisch, dass beides seine Vorteile hat, insistiert aber
(trotz einiger Zweifel an einer klaren Kausalität im vor-
herigen Kapitel), dass letzteres für nachhaltige Entwick-
lung entscheidend ist. Indem der Autor bis zum Schluss in
der verkrusteten Dichotomie verhaftet bleibt, verschenkt
er die Chance, nicht-westliche Formen der Moderne als
solche anzuerkennen. Es gibt, wie an einigen Stellen des
Buches aufscheint, auch eine andere Zukunft als die der
einfachen Verwestlichung.
Martin Gaenszle
Buchbesprechungen Afrika
Albert, Klaus-Dieter / Löhr, Doris / Neu-
mann, Katharina (Hrsg.):
Mensch und Natur in Westafrika. Ergebnisse
aus dem Sonderforschungsbereich 268 „Kultur-
entwicklung und Sprachgeschichte im Natur-
raum Westafrikanische Savanne“. Weinheim:
Wiley-Vch-Verlag, 2004. 537 Seiten mit zahl-
reichen SW-Fotos, Landkarten und Zeich-
nungen.
ISBN 3-527-27734-X
Mensch und Natur in Westafrika - hinter diesem schlich-
ten Titel verbirgt sich ein facettenreicher Band, der
exemplarisch die Ergebnisse des Sonderforschungsbe-
reichs „Kulturentwicklung und Sprachgeschichte im Na-
turraum Westafrikanische Savanne“ dokumentiert. Dabei
handelte es sich um ein groß angelegtes Forschungspro-
gramm der Universität Frankfurt, das zwischen 1988 und
2002 von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geför-
dert wurde. Interdisziplinarität war die konzeptionelle
Leitlinie dieses breit gefächerten Vorhabens, das Kultur-
entwicklungen in Relation zu den sie umgebenden Natur-
räumen untersuchte und in fünf interdependent miteinan-
der verbundene Projektbereiche aufgeteilt war. Es ging
um die Siedlungs-, Kultur- und Sprachgeschichte, die Ar-
chäologie und Archäobotanik und um heutige Vegetati-
onsformen und geographische Strukturen bzw. Dyna-
miken in der westafrikanischen Savanne. So wurden Wan-
derungsbewegungen, Muster der Gemeinschaftsbildung,
Kulturkontakte, Sprachentwicklungen, Ressourcennut-
zung und Wirtschaftsformen an ausgewählten regionalen
Fallstudien und unter Berücksichtigung verschiedener na-
turräumlicher Gegebenheiten von Forschergruppen un-
tersucht. Bei der landschaftsökologischen Entwicklung
konzentrierten sich die Studien auf die Klima- und Vege-
tationsgeschichte, analysierten aber auch menschliche
Einflüsse in unterschiedlichen Perioden.
Vom Erkenntnisgewinn dieser breit gefächerten For-
schungen lebt die 45-seitige Veröffentlichungsliste der
beteiligten Wissenschaftler. Eine stattliche Zahl internati-
onaler Tagungen, Workshops sowie Vortragsreihen, Sekti-
onen auf Fachkonferenzen und Ausstellungen dienten
ebenfalls der Präsentation der Forschungsergebnisse. Zu-
dem wurde auf die Zusammenarbeit mit afrikanischen
Wissenschaftlern Wert gelegt; das betraf sowohl die Gast-
professuren als auch die Nachwuchsförderung. An einzel-
nen, von Forscherteams verfassten Veröffentlichungen
sind afrikanische Wissenschaftler beteiligt.
Im vorliegenden Band präsentieren die Frankfurter Wis-
senschaftler ein Panorama ihrer erzielten Ergebnisse. In
fünf Teilen und mit insgesamt dreizehn Aufsätzen vermit-
telt das Buch anschauliche Einblicke in den Erkenntnis-
gewinn. Während im ersten Teil das Forschungskonzept
und die Herausforderungen interdisziplinärer Arbeit er-
läutert werden, widmet sich der zweite, dritte und vierte
Teil inhaltlichen Fragestellungen. Der fünfte Teil doku-
mentiert die wissenschaftlichen Erträge, wie Veröffentli-
chungen, Dissertationen, Habilitationsschriften, Konfe-
renzen usw.
Buchbesprechungen Afrika
Bis auf zwei sind alle Artikel von Forscherteams geschrie-
ben und belegen die Leitlinie, im gesamten Forschungspro-
zess fächerübergreifend zu arbeiten, was im Folgenden
kurz skizziert werden soll. Katharina Neumann, Karen
Hahn-Hadjali und Ulrich Salzmann, Mitarbeiter der Ur-
und Frühgeschichte sowie der Geobotanik, laden in ihrem
Beitrag zu einer Zeitreise durch die Entstehung der
westafrikanischen Savanne ein und illustrieren die Vegeta-
tionsentwicklung an Beispielen aus Nord-Ostnigeria und
Burkina Faso. Sie können die These widerlegen, dass die
Sudanzone früher bewaldet gewesen sei und erst durch
menschliche Eingriffe Savannenvegetation entstanden sei.
Pollenanalysen beweisen, dass schon im frühen und mittle-
ren Holozän - also lange bevor Menschen durch Ackerbau
und Viehzucht die Landschaft gestalteten - in der Sudanzo-
ne ein dichter Grasbewuchs vorherrschte.
Mit der Landdegradierung im Sahel befassen sich zwei
geographisch orientierte Artikel. Während Heinrich Thie-
meyer einen gut illustrierten Überblick über den spät-
pleistozänen und holozänen Landschaftswandel in ver-
schiedenen Regionen Burkina Fasos und Nordost-Nigerias
bietet, setzen sich Klaus-Dieter Albert, Jonas Müller, Jo-
hannes B. Ries und Irene Marzolff mit der aktuellen Bo-
dendegradierung in der Sahel-Zone Burkina Fasos aus-
einander. Sie kommen zu ähnlichen Schlussfolgerungen
und warnen vor der Ausweitung des Anbaus und einer
hohen Bevölkerungs- und Viehdichte, die die Tragfähig-
keit von Böden und Weiden überschreitet. Ihr Plädoyer
für eine lokal angepasste Weidewirtschaft bezieht neben
ökologischen und klimatologischen historische Dimensi-
onen der Nomadisierung in Burkina Faso ein und fordert
die Entwicklung neuer Strategien.
Inwieweit das lokale ökologische Wissen von Nomaden
Antworten auf die heutigen Herausforderungen geben
kann, untersuchen Ulac Demirag und Julia Krohmer. Aus
geo-botanischer Sicht stellen sie Umweltklassifikations-
systeme verschiedener Fulbegruppen vor. Sie verdeutli-
chen, dass keineswegs nur ökologische Bedingungen
Wanderungsbewegungen bestimmen. Vielmehr spielen
sozio-kulturelle Faktoren eine wichtige Rolle. Das betrifft
soziale Hierarchien und Netzwerke, aber auch Konkur-
renz in der Ressourcennutzung. Demnach sind es vor
allem Ressourcenkonflikte und sozio-politische Faktoren,
die der Anwendung des komplexen Umweltwissens ent-
gegenstehen. Dieser Beitrag reflektiert auch, inwieweit es
möglich ist, handlungsleitende Umweltkonzepte aus der
Sicht der jeweiligen Akteure zu erfassen, ohne europä-
ische Kategorien zu projizieren.
Mobilität und Migrationsprozesse in Vergangenheit und
Gegenwart ziehen sich wie ein roter Faden durch diese
Veröffentlichung und die zu Grunde liegenden For-
schungsprojekte. Herrmann Jungraithmayr, Rudolf Leger
und Doris Löhr widmen sich aus sprachwissenschaftlicher
Sicht Migrationsprozessen und Sprachentwicklungen im
südlichen Tschadseegebiet, wobei sie geographische und
historisch-politische Faktoren mit Bezug auf intereth-
nische Beziehungen berücksichtigen.
Diese Verzahnung verschiedenartiger Bedeutungskon-
texte zeichnet auch den Beitrag von Ina Franke-Scharf,
Holger Kirscht, Matthias Krings, Editha Platte und Hein-
rich Thiemeyer aus. Aus geographischer und ethnolo-
gischer Sicht erhellen sie die Besiedlungsgeschichte am
Tschadsee. Seespiegelschwankungen in früheren Jahr-
hunderten und heutige Uferveränderungen finden dabei
ebenso Beachtung wie die Anlage ganz neuer Siedlungen
von Migranten ganz unterschiedlicher Herkunft. Einer-
seits sind Ressourcenkonflikte in der Nutzung des Neu-
lands sowie der Fischereigebiete festzustellen, anderer-
seits beobachteten die Forscher ein hohes Maß an Flexibi-
lität, mit dem Bauern, Fischer und neue Siedler auf den
saisonal variierenden Seespiegel reagierten.
Insgesamt verdeutlicht der Sammelband, wie fruchtbar
die systematische interdisziplinäre Zusammenarbeit zwi-
schen Natur- und Kulturwissenschaften sein kann. Auch
die Perspektive, geographische Strukturen und das Han-
deln von Menschen in Relation zu sehen und lokale Res-
sourcenkonflikte mit Bezug auf historische und aktuelle
politische Veränderungen zu erklären, ist richtungswei-
send. Wünschenswert wäre es, wenn afrikanische Wissen-
schaftlerinnen und Fachkollegen noch stärker in die Ver-
öffentlichung der Forschungsergebnisse einbezogen wür-
den.
Rita Schäfer
Allman, Jean (Hrsg.):
Fashioning Africa: power and the politics of
dress. Bloomington: Indiana University Press,
2004.233 Seiten mit vielen SW-Fotos.
ISBN 0-253-21689-3
“Historians of dress and textiles have learned to mine the
meaning of material objects, visual and tactile culture, not
as a substitute for verbal sources when these are unavaila-
ble, but in order to reveal dimensions of political and social
transformations that cannot be discerned in observed so-
cial behaviour or verbal and written articulations. ”l
Kleidungsverhalten und Kleidungsstile sind erst seit ein
paar Jahren als neues Forschungsthema in den Afrikawis-
senschaften entdeckt worden, während es zuvor im We-
sentlichen nur in der Ethnologie im Rahmen der Be-
standsaufnahme ethnisch-kultureller Eigenheiten vorkam.
Wegbereiter dieser neuen Forschungsrichtung waren si-
cherlich die kulturhistorische Arbeit von Phyllis Martin
Leisure and society in colonial Brazzaville (Cambridge
1995), in der die Autorin u. a. die Kleidungsexperimente
und Kreationen neuer Kleidungsidentitäten im städ-
tischen Umfeld von Brazzaville unter den Bedingungen
der französischen Kolonialherrschaft untersucht, und das
monumentale zweibändige Werk des Autorenpaares Co-
moroff Of revelation and revolution (Chicago 1991) über
die Moderne in Südafrika. Hier werden der Körper der
Kolonisierten und die „Verkörperung“ durch Kleidung
als eine soziale Fläche behandelt, auf der die Konvertie-
rung zum Christentum ausgetragen wurde und auf der
sich Herrschaftsstrukturen, Marginalisierung und Ohn-
1 Barbara Burman, Carole Turbine, 2002. Introduction:
material strategies engendered. Gender and History, 4, 3:
375
255
___________TRIBUS 55,2006
macht eingeschrieben haben. Einen weiteren wichtigen
Beitrag liefert der Sammelband von Hildi Hendrickson
Clothing and différence. Embodied identities in colonial
and post-colonial Africa (Durham-London 1996). In der
Einleitung formuliert die Herausgeberin das zentrale Fa-
zit, das sich aus den Ergebnissen der thematisch so ver-
schiedenartigen Aufsätze - es geht um die textile Verkör-
perung im Kontext von Totenritualen, Spiritualität,
Ethnizität, Mann-Frau Beziehungen, Tourismus, Morali-
tät von Frauen etc. - ergibt, nämlich die Erkenntnis, dass
in der Kreation von Kleidungsidentitäten ein bedeutendes
Instrument der Ausformung der afrikanischen Moderne
liegt: Clothing and other treatments ofthe body surface are
primary symbols in the performances through which mo-
dernity - and therefore history - have been conceived,
constructed, and challenged in Africa. (13)
In dem hier vorliegenden Band von Jean Allman geht es
auch insbesondere um diesen Zugang zu afrikanischer
Modernität bzw. Modernitäten über den Weg der Aus-
drucksformen durch Kleidung. Wie im Untertitel ange-
kündigt, werden Kleidung und Mode hier explizit in die
Sphäre des Politischen gesetzt, indem auf ihren Instru-
mentalcharakter und ihr Machtpotenzial verwiesen wird.
Der Themenkomplex ist breit gefächert und wird von den
einzelnen Autoren, die aus den Disziplinen der Ethnolo-
gie, Anthropologie, Kunstgeschichte und Kommunikati-
onswissenschaft stammen, aus verschiedenen Perspekti-
ven beleuchtet. Gemeinsam ist jedoch allen Beiträgen die
Betrachtung der sich verändernden Kleidungsstile in ih-
rer historischen Dimension, wobei der gesamte Zeitrah-
men vom vorkolonialen Sansibar bis ins heutige Lusaka
und Minneapolis reicht.
Kleidung als materielles Kulturgut und Mittel sozialer
Kommunikation besitzt ein ungeheures, bis dahin nicht
erkanntes Archivarpotenzial, das als Ergänzung zu den
schriftlichen Dokumenten nutzbar gemacht werden soll-
te, um sozialen Wandel neu beleuchten zu können. Darü-
ber hinaus bietet sie die Möglichkeit, einen Einblick in die
Selbstwahrnehmung und Formen der Selbstdarstellung zu
gewinnen sowie Diskussionen über Sexualität und Ziem-
lichkeit nachzuvollziehen. Durch die neue Sicht auf das
Medium Kleidungsstile und -verhalten werden aber auch
unsere bisherigen Untersuchungskategorien hinterfragt,
die aufgrund der Dominanz schriftlicher Quellen den Be-
reich des Politischen und der Öffentlichkeit als einen fast
exklusiv männlichen definieren. Also werden hier Aus-
drucksformen gesichtet, die das politische Handeln von
Frauen in ihren Bestrebungen um Emanzipation, bürger-
lichen Status und Nationalismus offen legen.
Da Kleidung mehr als jedes andere materielle Gut mit
dem Körper und damit auch mit - kulturell definierter -
Geschlechtlichkeit verbunden ist, lassen sich auf dieser
Ebene besonders eindrücklich die Geschlechterideolo-
gien ablesen, aber auch andere soziale Kategorien werden
auf der Körperoberfläche abgebildet wie z. B. das Alter,
die soziale Schichtung, die Ethnie, der Stand des Bürgers,
die Nation, der Transnationalismus.
Wie oben bereits herausgestellt, haben die kreativen Klei-
dungsstile einen wesentlichen Beitrag zur Konstruktion
der afrikanischen Modernität geleistet, die sich in den ver-
schiedenen historischen Epochen in sehr unterschied-
lichen sozio-politischen Konstellationen herausgebildet
hat: in der Zeit der Befreiung von der Sklaverei, unter
dem Kolonialismus, in der Konfrontation mit den Missi-
onen. auf dem Weg der Staatsbildung, im Kontext von
Staatsherrschaft, in der Austragung des Geschlechter-
kampfes, in der nationalistischen Bewegung und im Rah-
men der Bürgerrechtsentwicklung. Auf diesem Weg der
Befreiung von europäisch-westlichen Modellen wird das
Gegensatzpaar von Modernität versus Tradition über den
Haufen geworfen, denn das Traditionelle ist weder zeit-
lich dem Modernen vorangestellt noch lässt es sich im
Kontrast dazu definieren. Vielmehr sind sie zeitgleich und
beziehen sich aufeinander.
Die einzelnen Untersuchungen machen deutlich, dass es
keine allgemeingültige Bedeutung von Kleidung gibt,
sondern dass ihr Sinn je nach politischer, historischer Situ-
ation immer wieder neu bestimmt werden muss. Von da-
her ist der Bezug zur Lokalität, in dem sie entsteht und
vorgeführt wird, von großer Wichtigkeit. Sobald ein Klei-
dungsstück seinen Ort verlässt und über räumliche oder
zeitliche Grenzen zieht, erfährt es über die Neuaneignung
einen neuen Sinn. Von daher kann die Dominanz europä-
ischer Kleidungsstile auch nicht von vornherein als ein
Zeichen kolonialer Hegemonie angesehen werden. Die
Fallbeispiele zeigen deutlich, wie ehemals fremde Stile
ganz im Sinn lokaler Werte und Ambitionen und im Kon-
text konkreter Machtverhältnisse neu gedeutet und ange-
passt werden. Dieses Verhalten, das in der älteren Litera-
tur meist noch als Verwestlichung gedeutet wurde, be-
zeichnen viele der Autoren hier daher auch als kosmopo-
litisch oder weltlich.
Im Nachwort betont Phyllis Martin auch noch einmal die
Bedeutung von Kleidungserfahrung als einer zusätzlichen,
alternativen Analysekategorie. Sie ist bislang zugunsten
der Untersuchung verbaler, expliziter Verhandlungen au-
ßer Acht gelassen worden, die aber eben nur einen Teil
der Wirklichkeit wiedergeben. Die Wahl von Kleidung
und das Sich-Kleiden bedeuten physisch und psychisch
erlebte Realität, die von Schmerz, Scham, aber auch Freu-
de begleitet sein kann.
Die zentralen thematischen Punkte, die sich aus den 11
Aufsätzen herausschälen, können in Anlehnung an die
Gliederung von Martin in der Rückschau folgenderma-
ßen umschrieben werden;
In allen Analysen wird dem Leser die lange Tradition der
Afrikaner im elaborierten Umgang mit Kleidung und
Körperausdruck vor Augen geführt, die sie für ihre per-
sönlichen, sozialen, politischen und religiösen Ziele insze-
nierten und in speziellen Stilen und Materialien kodifi-
zierten. Die heutigen Diskussionen um Mode, Stile und
Körperverhalten setzen eben genau diese Hinwendung zu
diesem Ausdrucksmittel und den Facettenreichtum hin-
sichtlich ihrer Bedeutungen fort.
In der textilen Verkörperung liegt ein wirksames und
leicht zugängliches Mittel, mit dem persönliche oder kol-
lektive Identitäten ausgedrückt werden können. Dieses
Thema wird u, a. am Beispiel der Luo im kolonialen Kenia
entfaltet (Margaret Jean Hay, Changes in clothing and
struggles over identity in colonial Western Kenya), wo sich
die Christen und Migrationsarbeiter als neue soziale
Gruppen mittels Kleidung artikulierten und heftige Re-
aktionen bei den „Traditionalisten“ und alten Machtha-
bern auslösten. Später taten auch Frauen ihr verändertes
256
Buchbesprechungen Afrika
Selbstverständnis kund, indem sie ihre Ansprüche ihren
Männern gegenüber in Form von bestimmten Mengen eu-
ropäischer Kleidung ausdrückten. - Ein weiterer Aufsatz
mit dieser Fragestellung (Laura Fair, Remaking fashion in
the Paris of the Indian Ocean: dress, performance, and the
cultural construction ofa cosmopolitan Zanzibari identity)
bezieht sich auf die Situation der Frauen im städtischen
Milieu auf Sansibar zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Nach
der Abschaffung der Sklaverei 1896 führten sie neue Klei-
dungsstile in einen Initiationsritus ein und ebneten durch
diese Praxis ihren Weg in die moderne kosmopolitische
Staatsbürgerschaft. Die neuartige Kombination und Mo-
difikation der unterschiedlichen transnationalen Klei-
dungstraditionen waren ein Mittel, die bis dahin hetero-
genen Identitäten neu und einheitlich zu definieren - jen-
seits der zuvor herrschenden rassischen, sozialen und
kulturellen Barrieren zwischen Arabern und Afrikanern,
Sklaven und Freien. Das soziale und materielle Produkt
der gesellschaftlichen Transformation verdient insofern
das Attribut kosmopolitisch’, als hier weder auf europä-
ische noch auf arabische Vorbilder zurückgegriffen wur-
de, sondern eine Mischform verschiedener kultureller
Stile und Symbole disparater geografischer Orte produ-
ziert wurde.
Durch die Vereinigung der verschiedenen Stile überwan-
den die Frauen die ehemaligen sozialen Diskriminie-
rungen und brachten ein weibliches Selbstbewusstsein als
gleichberechtigte politische Bürgerinnen zum Ausdruck,
das der allen patriarchalischen Ordnung und der ara-
bischen Werteoberhoheit widerstand.
Zu der Vielfalt der Ziele, die durch Kleidung ausgedrückt
und umgesetzt werden können, zählen auch der politische
Kampf und die Solidarität. Im Fall der Abeokuta Women’s
Union, der politisch einflussreichsten Frauenbewegung
der Nachkriegszeit in Nigeria, wird das traditionelle Kos-
tüm als Einheitsuniform für alle Mitglieder als Integrati-
onsinstrument eingesetzt, um gemeinsam gegen spezi-
fische kolonialpolitische Diskriminierungen zu kämpfen
(Judith Byfield, Dress and politics in post-World War II
Abeokuta). Die Kommunikation in diesem Verband war
umso schwieriger, als seine Mitglieder (Christinnen. Mus-
liminnen, Analphabetinnen, Bürgertum, Marktfrauen)
aus den unterschiedlichsten Milieus stammten. Wie be-
deutsam die von der Frauenunion erlassene Kleiderord-
nung war, lässt sich auch insbesondere durch den Ver-
gleich mit der gängigen lokalen Kleiderpraxis ermessen.
Bei den Yoruba war die Wahl des Stoffes hinsichtlich sei-
ner Ästhetik, seiner Qualität und seines Wertes äußerst
wichtig für eine angemessene soziale Selbstdarstellung.
Auch europäische Kleiderstile waren bei der Elite sehr
verbreitet.
Eine vergleichbare Bedeutungskonstellation von Klei-
dung lässt sich auch bei den Somali-Frauen beobachten,
die in der Diaspora in Minnesota im mittleren Westen der
USA leben (Heather Marie Akou, Nationalism without a
nation: understanding the dress of Somali women in Min-
nesota). Sie haben sich nach ihrer Flucht in den 90er Jah-
ren vor dem Bürgerkrieg in Somalia für einen dezidiert
religiös geprägten Kleidungsstil in ihrer neuen Heimat
entschieden, durch den sie sich einerseits als distinkt eth-
nisch-kulturelle Gruppe in Erscheinung bringen, anderer-
seits ihre Erinnerung an die Zerrissenheit ihres Heimat-
landes hochhalten. Die Exil-Somalierinnen begreifen sich
als eine solidarische Gruppe, die ihren politischen Wunsch
nach nationaler Einheit durch das Kleidersymbol in die
Öffentlichkeit trägt und immer wieder neu belebt, wo-
durch sie sich zu einer Art Gegenmacht zu der Männer-
Gesellschaft in ihrem Land konstituieren, die für die Kri-
sensituation und den Unfrieden verantwortlich ist.
Was geschieht, wenn afrikanische Textilien und Mode als
Konsumgut in den globalisierten Warenkreislauf inte-
griert werden? Mit dieser Frage beschäftigen sich die Bei-
träge von Victoria Rovine in Bezug auf den handgefärb-
ten Stoff hogolan aus Mali (Fashionahle traditions: the
globalization of an African textile) und von Boatema Boa-
teng (African textiles and the politics of diasporic identity-
making), die die Aneignung afrikanischer Stoffe durch die
African-Americans problematisiert. Das lokale, kulturell
geprägte Produkt des hogolan hat sich, wie die Autorin
am Beispiel seiner erfolgreichen Verwendung in der nati-
onalen und internationalen Mode zeigt, als extrem anpas-
sungsfähig im Hinblick auf seine Gestaltung und seine
Bedeutung erwiesen. Außerdem lässt sich nun gerade an
diesem Fall die Vereinbarkeit und fruchtbare Verquickung
von Tradition und Moderne exemplarisch vorführen.-Al-
lerdings ergibt sich bei der Internationalisierung und Ver-
marktung von Stoffen, die aufgrund ihrer Herstellungs-
technik und ihrer besonderen Ästhetik den Anspruch auf
ein schützenswertes Original erheben können, ein
ethisches und wirtschaftliches Problem. Zum einen geht
in der massenhaften Reproduktion der Respekt vor der
kulturellen Leistung der Autoren (hier eine Gesellschaft)
völlig verloren, und zum anderen werden die Produzenten
der Originale als rechtmäßige Erben der Kunstform ihrer
Absatzmärkte beraubt.
Der öffentliche Charakter von Kleidung kommt insbe-
sondere bei Uniformen und politischer Staatskleidung
zum Tragen (Elisha P. Renne, From khaki to agbada: dress
andpolitical transition in Nigeria). Die Beschreibung eines
Regierungswechsels durch ein Kleidungssymbol „From
khaki to agbada“ tauchte in Nigeria zum ersten Mal beim
Übergang von der Militärherrschaft zur zivilen Regierung
auf, die die 2. Republik (1979 - 1983) begründete. Wäh-
rend die khaki Uniform politische Formen der Kolonial-
zeit fortschreibt, insofern als die Engländer diesen Herr-
schaftsstil und die Uniformtradition mit ihren Bedeu-
tungen als Rangmarkierer eingeführt haben, löst der ag-
bada, das traditionelle Gewand der politischen Yoruba-
Elite, zunächst Assoziationen an die Befreiung von der
Kolonialmacht aus. Denn dieser Kleidungsstil wurde zum
materiellen Träger der Ziele der nationalistischen Bewe-
gung, in ihm sahen die Nigerianer einen zentralen kultu-
rellen Wert und ihre Identität schlechthin verkörpert. Al-
lerdings wirken in ihm aber auch die Erfahrungen der in-
direct rule im kolonialen Machtzusammenhang und die
vorkolonialen Machtstrukturen des Sokoto-Reichs weiter
fort. Diese Vielschichtigkeit und d. h. Uneindeutigkeit der
Aussagen des einen und des anderen Stils als sichtbare
Demonstration von Herrschaft findet sein Pendant in der
Vergabepraxis dieser Roben und Uniformen. Die Briten
wollten die Verleihung kostbarer Gewänder an Abhän-
gige, wie sie schon seit Jahrhunderten bei den Herrschern
in Nigeria üblich war, unterbinden, verteilten selber aber
auch die Uniformen kostenlos an die Soldaten, wodurch
257
___________TRIBUS 55,2006
das Prinzip der Klientelbeziehungen sanktioniert und so-
gar weiter gestützt wurde.
Die Rolle von Kleidung in der politischen Arena kann
aber noch einen Schritt weiter gehen, wenn sie nämlich
zum Inhalt der nationalen Politik wird bzw. als Mittel der
Nationswerdung eingesetzt wird (Jean Allman, “Letyour
fashion he in line with our Ghanian costume”: nation,
gender, and the politics of clothin g in Nkrumah’s Ghana).
In ihrem Projekt eines modernen Staates, das die poli-
tische Elite Ghanas unmittelbar nach der Unabhängigkeit
zielstrebig verfolgte, spielte die Idee von angemessener
Kleidung eine große Rolle. Zielgruppe der vom Süden
ausgehenden Reformbewegung war die Bevölkerung im
Norden, die nur dürftig bekleidet war und sich in mehr-
facher Hinsicht als widerständig erwies und in vorkoloni-
aler Zeit auch den Hegemonialbestrebungen des Akan-
Reiches Widerspenstigkeit’ entgegen gebracht hatte.
Dem politischen Integrationsversuch auf nationaler Ebe-
ne stand ein teils feministischer Ansatz zur Seite, der in
der Beseitigung der ,Nacktheit’ der Frauen ein soziales
Anliegen sah. Die Verteidigung der sozialen Rechte der
Frauen auf eine den Männern ebenbürtige Entwicklung
- wie z. B. durch die Erwerbsmöglichkeit von Kleidung
und entsprechende Einkommensquellen - trug einerseits
feministische Züge, war andererseits aber auch ange-
reichert durch koloniales Denken, das Kleidung als Zei-
chen der zivilisatorischen und moralischen Überlegenheit
bzw. als Fortschritt und Modernisierung deutete.
In der Öffentlichkeit kann das Tragen bestimmter Klei-
dung ein Gefahrenpotenzial für Leib und Leben darstel-
len, denn sie ist beladen mit Werten und starken Gefüh-
len, die je nach Erfahrung, Stellung in der Gesellschaft
und Interessen unterschiedlich ausfallen können. Beson-
ders umstritten sind Kleidungsstile, die relativ eindeutige
Bezüge zur Sexualität, Geschlecht, Alter und sozialem
Stand enthalten. In Zeiten sozialer Transformation be-
stimmen moralische und religiöse Gefühle sehr stark die
Diskussion darüber, was als angemessener Kleidungsstil
anzusehen ist.
ln erster Linie sind es Frauen, auf deren Körper Macht-
kämpfe ausgetragen werden, wenn es um die Kontrolle
über ihre Sexualität geht sowie um andere gesellschaft-
liche Bereiche, in denen Frauen sich einen Platz zu ero-
bern suchen. In zwei Aufsätzen geht es um die öffentliche,
z. T. gewaltsame Auseinandersetzung um Miniröcke und
deren spezifischen sozio-politischen Kontext zum einen
im Tansania der 60er Jahre (Andrew M. Ivaska, “Anti-
mini militants meet modern misses”: urhan style, gender,
and the politics of “national culture” in 1960s Dar es Sa-
laam, Tanzania) und zum anderen in Lusaka, der Haupt-
stadt Sambias, an der Wende zum 21. Jahrhundert (Karen
Transberg Hansen, Dressing dangerously: miniskirts,
gender relations, and sexuality in Zambia). Für Hansen gilt
es, die Diskussionen um den Minirock und andere For-
men umstrittenen Konsumverhaltens, die weltweit zu ver-
schiedenen Zeiten geführt wurden, je nach Kontext, Ursa-
che und Inhalt zu unterscheiden. In Bezug auf Sambia
kommt sie zu der Schlussfolgerung, dass die heftigen Re-
aktionen seitens der Männer gegen die unzüchtigen und
provozierenden engen Kleider und kurzen Röcke aus der
Angst vor dem Verlust der ideologischen und sozialen
Kontrolle über die Frauen resultieren. Dennoch verweist
sie auf die unterschiedlichen Inhalte und Bedingungen,
unter denen die Angriffe stattfanden. Während sie in der
1. Republik (in der Zeit gegen Ende der 60er/Anfang der
70er Jahre) um die Frage des gesellschaftlichen Platzes
der Frauen in der neuen Nation kreisten und die ,schänd-
liche’ Kleidermode fremden Einflüssen angelastet wurde,
war in der späteren Phase der 90er Jahre von der Gefahr
der sexuellen Invasion der Frauen in die Gesellschaft die
Rede. In der Diskussion machte sich eine zunehmende
Sexualisierung des Frauenkörpers breit, während sich
gleichzeitig aber auch das feministische Bewusstsein und
Engagement verstärkten.
Als 1968/9 der Jugendflügel der herrschenden TANU-
Partei in Tansania eine Kampagne gegen verschiedene
Formen anstößigen und unanständigen Konsumverhal-
tens von Frauen lancierte und unter Gewaltanwendung
durchsetzte, dienten im offiziellen Diskurs Begriffe wie
,Modernität’ und nationale Kultur’ als Legitimations-
grund. In Wirklichkeit spiegelten diese aggressiven Ten-
denzen aber nur die Verunsicherungen und Ängste der
Männer angesichts der sich verändernden städtischen Le-
bensbedingungen wider. Die zunehmende geografische
und soziale Mobilität von Frauen, ihre Integration in die
Lohnarbeit, ihr autonomer Konsum, die Rivalität von jun-
gen und älteren Männern um junge Frauen bestimmten
also die Dynamik der Spannungen, die durch die gegen-
sätzlichen Interessen zwischen den Geschlechtern und
den Generationen gestaltet wurden.
In vielen Fallbeispielen erleben wir Kleidung als ein wirk-
sames Symbol oder sogar Instrument, um Macht in Szene
zu setzen bzw. hervorzubringen, oder auch, um Macht
über andere auszuüben. Dabei ist das Kleidungsverhalten
eine Domäne, in der auch die Grenzen hegemonialer
Machtausübung sichtbar werden. Das, was aus der Per-
spektive der Portugiesen als Erfolg ihrer Assimilierungs-
politik aussah, als die Angolaner sich in den 50er Jahren
zunehmend westlich kleideten, war allerdings mehr eine
Hinwendung zu einem weltlichen, kosmopolitischen Klei-
dungsstil, der sich seine Inspiration in der brasilianischen
und amerikanischen Kultur, in der internationalen Musi-
kerszene und in lokalen Werten suchte (Marissa Moor-
man, Putting on a pano and dancing like our grandparents:
nation and dress in late colonial Luanda).
Dieser an empirischen Studien so reiche Sammelband
bietet einerseits einen Einblick in das weite Feld der Klei-
dungskulturen in Afrika und zeigt andererseits auch die
unglaubliche Bedeutungsvielfalt von Stilen und Verhal-
tensweisen zu unterschiedlichen Zeiten und in verschie-
denen geografischen, kulturellen und sozialen Kontexten.
Als Forschungsgegenstand, der gleichzeitig auch eine
neue Methode verkörpert, wird sich das Thema Mode und
Kleidung sicherlich weitergehende Anerkennung in den
empirischen Afrikawissenschaften verschaffen, wozu die
äußerst interessanten Einzelstudien einen weiteren
Grundstein gelegt haben. Dieses ist auch deshalb wün-
schenswert, weil es nur so gelingt, seine Sonderstellung zu
relativieren und eine gelassenere Ausgangsposition einzu-
nehmen. Bis jetzt stehen das Interesse und Engagement
der Autoren, ein Gegengewicht zu den traditionellen Ak-
kulturationstheorien aufzubauen, die die Folgen der Ko-
lonialherrschaft als kulturelle Entfremdung deuten, ein-
fach noch zu stark im Vordergrund. Deshalb konzentrie-
Buchbesprechungen Afrika
ren sich die Autoren - wie eben auch in diesem Band - auf
die aktiven, konstruktiven Aneignungsprozesse und kul-
turellen Umdeutungen kolonialer bzw. westlicher Kon-
summuster, um den souveränen Gestaltungswillen und
die autonomen sozialen Strategien offen zu legen. Aller-
dings besteht dabei aber auch die Gefahr, die Stilentwick-
lung. den selektiven Konsum und das Kleidungsverhalten
einseitig als Ausdruck emanzipatorischer Absichten zu
interpretieren und die Möglichkeiten der Kapitulation,
der Dominanz und Unterordnung ganz auszublenden.
Auch die Begrifflichkeit bezüglich der die kulturellen und
sozialen Identitätskonstruktionen mit Hilfe externer An-
leihen muss unbedingt klarer abgegrenzt und differenziert
werden. An die Stelle des überholten, negativ besetzten
Sammelbegriffs .Akkulturatiom sind nämlich nur andere
globale Begriffe mit eindeutig positiver Konnotation ge-
treten wie z. B. ,bricolage’ oder kosmopolitische Orien-
tierung’, die aber bislang auch noch keine genaueren em-
pirischen und analytischen Unterscheidungen zulassen.
Ilsemargret Luttmann
Kapfer, Reinhard:
Die Frauen von Maroua. Liebe, Sexualität
und Heirat in Nordkamerun. Wuppertal: Peter
Hammer Verlag, 2005. 188 Seiten mit SW-Ab-
bildungen.
ISBN: 3 7795 0033-7
Der Titel des Buches macht neugierig, denn man ist sehr
motiviert, sich über das Thema der sexuellen, zwischenge-
schlechtlichen Beziehungen und Ehe, von dem man ja
selber unmittelbar betroffen ist, einen Zugang zu einer
anderen Kultur zu verschaffen. Doch wie gelingt es nun
dem Autor, uns das Denken, die Gefühle, Werte und Ver-
haltensweisen der Frauen und Männer im von der Fulbe-
Kultur und dem Islam geprägten Maroua, einer Stadt im
Norden Kameruns, in ihrer Andersartigkeit und Gleich-
wertigkeit zu beschreiben und zu erklären? Auf welchem
Ansatz beruht sein Vorgehen?
Wenn man das Buch in die Hand nimmt, freut man sich
zunächst über die Serie von Schwarz-Weiß-Fotos, die die
einzelnen Kapitel einleiten und auf denen wunderschöne
junge Frauen aus Maroua abgebildet sind, so dass man
einen Eindruck von ihrer Erscheinung gewinnt, wie sie
sich nach außen hin präsentieren und von den Männern
gesehen werden wollen. Man wird in der Erwartung be-
stätigt, auf eine Reise zu gehen, neue Möglichkeiten zu
erkunden. In „Erste Eindrücke“ gibt Kapfer seine Wahr-
nehmung des städtischen Ambientes wieder, wozu für ihn
die Bewegungen und Kleidung der Frauen gehören sowie
die Mofas als Fortbewegungsmittel und das Anwachsen
des Warenangebots, worüber man gerne Konkreteres ge-
wusst hätte, besonders in Bezug auf die Art der Waren,
lokale Konsummuster und Einkommen!
Die Ergebnisse des Buches beruhen auf einer sich über
mehrere Jahre erstreckenden Untersuchung (1994-98
und weitere regelmäßige Aufenthalte), die es dem Autor
ermöglichen, sich mit den Verhältnissen intensiv vertraut
zu machen und sie auch in der Entwicklung mitzuerleben.
Er bezieht einzelne Biografien von jungen Frauen ein, die
er als Beobachter und guter Bekannter über die Jahre be-
gleitet hat. Darüber hinaus bedient er sich der situations-
bezogenen Analyse von zentralen sprachlichen Ausdrü-
cken, die sich auf den Verhaltenskodex von Fulbe-Frauen
und -Männern beziehen. Sein formulierter Anspruch, un-
sere eigene Sicht durch die Auskünfte der Afrikanerinnen
in Frage stellen zu wollen, wird allerdings schon in der
Formulierung seiner Fragestellung, die er in der Einlei-
tung knapp vorstellt, untergraben. Darin wird nämlich
deutlich, wie stark er seinem Vorverständnis, dem Ideal
uneigennütziger Liebe in einer institutionalisierten Zwei-
erbeziehung, verhaftet bleibt. Im weiteren Verlauf der
Untersuchung taucht immer wieder der (wertende) Ver-
gleich zwischen der emotionalen Logik des Westens und
dem sozialstrategischen Handeln der Frauen in Maroua
auf.
Dem eigentlichen Thema nähert sich das Buch ab dem
Kapitel 5 über die Erscheinung der Fulbe-Frau, wo es um
die Rollenerwartungen und das Rollenverhalten der
Frauen in ihren Beziehungen zu Männern, dem Vater,
dem Bruder, aber insbesondere dem Ehemann, geht. Ih-
rer finanziellen Abhängigkeit von den Männern entspricht
deren Kontrolle über ihre physische Bewegungsfreiheit,
ihre Sexualität, ihre soziale und ökonomische Entfaltung.
Das gesellschaftlich wünschenswerte Verhalten einer Frau
wird durch die Werte von Zurückhaltung, Schamgefühl
und Geduld bestimmt, die sich im Kleidungs- und Körper-
verhalten, in der Sprache und in einer entsprechenden
Anpassung und Unterordnung unter den Mann ausdrü-
cken. Kontrolle über die eigenen Gefühle, Diskretion, Re-
spekt und Scham werden aber ebenso vom Mann erwar-
tet, in ihrem Fall legitimieren diese jedoch ihre
Überlegenheit und ihre Herrschaft über das andere Ge-
schlecht. Ein Mittel, um der Kontrolle durch die Männer
z. T. zu entkommen, sieht Kapfer in der inszenierten
Schönheit der Frauen, die sie mit Hilfe von kostbarer
Kleidung, Schmuck, Parfüm und entsprechender sinn-
licher Körperpräsenz kreieren. Die Männer beklagen die-
se Freizügigkeit als einen Verfall der Sitten, obwohl diese
Praxis schon lange etabliert ist und Männer diesen Zu-
stand selber produzieren, wenn sie außereheliche Kon-
takte suchen und pflegen.
Die Ehen im Fulbe-Miheu (Thema des Kapitels 6) sind
relativ instabil, was erstaunlich ist, wenn man bedenkt,
dass die Frau zum Gehorsam und zur Unterordnung un-
ter den Mann erzogen wird und gerade sie die Initiative
zur Scheidung ergreifen. Welche Möglichkeiten ergeben
sich im Rahmen dieser freizügigen Scheidungsregelung,
wo Frauen den Ehemann, auch den, den ihre Eltern aus-
gesucht haben, so leicht wieder verlassen können? Sie
können versuchen, durch eine weitere Ehe mit einem an-
deren Mann ihre Lebensbedingungen zu verbessern - wo-
bei emotionale, sexuelle, soziale und materielle Aspekte
in Betracht kommen -, ein gesellschaftlich anerkanntes
Leben außerhalb dieser Institution ist jedoch nicht denk-
bar. Die Frauen, die zeitweise in dem Zustand des Nicht-
Verheiratet-Seins leben, geraten leicht in den Ruf der
Prostituierten, da sie sich von verschiedenen Männern
den Unterhalt sichern lassen. Allerdings gilt auch in der
Ehe ein System von Rechten und Pflichten zwischen den
259
___________TRIBUS 55,2006
Geschlechtern, das dem Austausch von Geben und Neh-
men in diesem Sinn nicht unähnlich ist. Die sexuelle Be-
friedigung, die Versorgung des Haushalts und die Erzie-
hung der Kinder machen im Wesentlichen das aus, was die
Frau zu geben hat, als Gegenleistung dafür erwartet sie,
versorgt zu werden. Diese Beziehungsform zeichnet sich
durch eine für diesen Kulturraum charakteristische
Durchdringung privater, emotionaler Beziehungen mit
materiellen Leistungen aus. Das Interesse eines Mannes
an einer Frau sowie sein späteres Verantwortungsbe-
wusstsein ihr gegenüber drücken sich jeweils durch kodi-
fizierte Geschenke bzw. spezifische Gaben aus, die die
Voraussetzung für eine funktionierende Beziehung sind.
Heutzutage lamentieren die Männer in Maroua über die
überzogenen Ansprüche der Frauen, ihren Materialismus
und ihre Untreue. Für sie besitzt die Ehe mit einem gut
situierten Mann, der ihre „Bedürfnisse“ erfüllen kann, die
höchste Priorität, an der sie ihre Strategien ausrichten.
Diese Überlegungen spielen eine entscheidende Rolle bei
der Wahl ihres Partners.
Auf beiden Seiten kommt dem Wert der persönlichen Ge-
fühle und des Auslebens einer Liebesbeziehung eine un-
tergeordnete Bedeutung zu. Die Schuldzuweisungen der
Männer, die von den Frauen enttäuscht sind, sieht der Au-
tor nicht in der ,moralischen Dekadenz' der modernen
Frau begründet, sondern vielmehr in der veränderten
ökonomischen Situation. Der zunehmenden Ausweitung
des Marktes, der auch die Konsumbedürfnisse stimuliert
und erweitert, stehen die gleich bleibenden bzw. zurück-
gehenden Einkommen und monetären Einkünfte gegen-
über, so dass die Männer ihren materiellen Verpflich-
tungen nicht in dem Umfang nachkommen können, wie es
erwünscht wird. Den dadurch erlittenen Macht- und Kon-
trollverlust über die Frauen versuchen sie, durch entge-
gengesetzte Angriffe auf die Moralität der Frauen zu ver-
bergen. Auf jeden Fall sind sie (noch) nicht bereit, die
Folgen ihrer geschwächten Position zu tragen.
Trotz dieses Bemühens, das Konzept Ehe und die darin
aufgehobenen Beziehungen für die Frauen und Männer
in Maroua aus dem anderen Wertesystem und den ent-
sprechenden Verhaltensformen zu erklären und versteh-
bar zu machen, hält Kapfer an seinen Erwartungen und
Vorstellungen fest. Er fragt ununterbrochen, wo in diesem
System Platz für Liebe, Vertrauen, Intimität und Uneigen-
nützigkeit ist, weil doch danach im Grunde genommen
alle Menschen streben und streben sollten. „... Vertrauen
in einer Beziehung ist in unserem habituellen Reservoir
grundlegend. Ich wage zu sagen, die habituelle Praxis der
Mann-Frau-Beziehung im muslimischen Maroua kennt
nur die Absenz von Vertrauen.“ (120-1) Oder: „Im Selbst-
verständnis unserer euro-amerikanischen Kultur vermi-
schen sich diese Sphären nicht: Liebe, Gefühle, mit Geld,
Materiellem. Liebe ist rein, Begehren hat authentisch zu
sein;(146) Wie wandelbar und konstruiert unsere ei-
genen Bilder und Ideale sind, zeigt ein Blick in die aktu-
elle Diskussion hier über die ideologischen Implikationen
unseres Beziehungsbegriffs, der dringend den realen Ver-
hältnissen angepasst werden muss.
Trotz des Verdienstes des Autors, das ewig interessante
Thema der sich wandelnden Geschlechterbeziehungen im
modernen, städtischen Kontext von Maroua vorgestellt zu
haben, und der generellen Empfehlung der Lektüre für
260
Kamerun-Reisende, Entwicklungsexperten und an
Gender-Fragen Interessierte sind einige kritische Anmer-
kungen angebracht. In Bezug auf die formale Ausführung
fällt die ständig wieder auftauchende Betonung seiner
Qualifikation als Ethnologe auf, was mir auch deshalb
nicht so angemessen erscheint, weil das Buch doch eher
einen populärwissenschaftlichen Charakter hat. Daran
ändern auch die vielen, z. T. überflüssigen und/oder de-
platzierten Fußnoten nichts, die sich manchmal über meh-
rere Seiten erstrecken. Zum Teil hätte der Schreibstil eine
stilistische Überarbeitung gut vertragen können.
Vom Inhalt her gesehen, muss gesagt werden, dass es dem
Autor leider nicht wirklich gelingt, eine andere Wertewelt
glaubhaft als andersartig und gleichwertig darzustellen.
Stattdessen konfrontiert er die Orientierungen und Ver-
haltensweisen der Frauen und Männer in Maroua mit sei-
nen europäischen Überzeugungen und fördert dann Bei-
spiele zutage, wo die Liebe denn doch noch siegt; so z. B.
im Fall der Frau, die gegen alle Konventionen einen Mann
liebt und bei ihm bleibt, obwohl sie keinen materiellen
Nutzen von ihm hat! (160) Außerdem wäre es im Zusam-
menhang mit der Argumentation Kapfers wichtig gewe-
sen, die Marktentwicklung einerseits und die (erwähnten,
aber nicht näher beschriebenen) veränderten sozioöko-
nomischen Bedingungen der Frauen andererseits zu er-
läutern und sichtbar zu machen. - Erstaunlicherweise
findet der Islam keine weitere Erwähnung als kulturell
prägender Faktor, der das Verhältnis der Geschlechter
mit definiert.
Ilsemargret Luttmann
Speeter-Blaudszun, Sonja:
Die Expeditionen der Familie Marshall. Eine
Untersuchung zur ethnographischen Erfor-
schung der Nyae Nyae !Kung (Mainzer Bei-
träge zur Afrika-Forschung, 13). Münster: Lit-
Verlag, 2004.380 Seiten mit SW-Abbildungen.
ISBN 3-8258-7726-4.
Der Erkenntnisprozess während ethnographischer For-
schungen steht im Betrachtungsmittelpunkl der vorlie-
genden Publikation. Es handelt sich dabei um eine aus-
führliche Aufarbeitung der Forschungen, die Lorna und
Laurence Marshall sowie deren erwachsene Kinder Eli-
zabeth und John in den 1950er Jahren bei Ju/’hoansi-
Buschleuten im Nordosten Namibias durchführten. Diese
Studie, die 2004 an der Universität Mainz als Dissertation
eingereicht wurde, wertet zahlreiche Interviews, persönli-
che Dokumente der Familie Marshall, etliche Archivma-
terialien sowie eine kurze Reise ins Ju/’hoansi-Gebiet aus.
Sie gliedert sich in drei Teile und insgesamt zwölf Kapitel.
Der Schwerpunkt liegt auf einer chronologischen Be-
schreibung der verschiedenen Forschungsreisen und de-
ren inhaltlichen Akzentsetzungen. Gleichzeitig widmet
sich Sonja Speeter-Blaudszun der Frage, wie die Tatsache,
dass hier eine ganze Familie als Forscher auftrat, die
Durchführung und die Ergebnisse der Studien beeinflusst
hat. Zudem weist sie auf andere soziale Dimensionen im
Buchbesprechungen Orient
Forschungskontext hin, etwa auf Konflikte mit einzelnen
Interviewpartnern oder ganzen Gruppen von Buschleu-
ten. Auch gelegentliche Verstimmungen mit anderen wei-
ßen Forschern kommen zur Sprache, schließlich handelte
es sich bei den so genannten „Marshall-Expeditionen“
um ein generalstabsmäßig geplantes, technisch bestens
ausgestattetes, interdisziplinäres Forschungsprojekt mit
Wissenschaftlern aus den USA und in Zusammenarbeit
mit südafrikanischen Regierungsethnologen.
Zwar variierte die Zusammensetzung der Teams während
der acht Expeditionen zwischen 1950 und 1961, dennoch
war eine archäologisch-naturwissenschaftliche Ausrich-
tung charakteristisch. Die exakte Dokumentation der
Buschmann-Kultur, die aus der Perspektive der Expediti-
onsteilnehmer als Inbegriff einer archaischen Lebensform
galt, war ein persönliches Anliegen der Marshall-Familie;
sie befürchteten den baldigen Verlust dieser Lebensform
durch Akkulturationsprozesse. Laurence und John Mar-
shall versuchten, mittels Fotos und Filmen ein möglichst
originalgetreues Bild von den Buschleuten zu vermitteln,
auch wenn sie dabei etliche Jagd- und Tanzsequenzen in-
szenierten. - womit etliche Ethnologen in Europa und
den USA in der Folgezeit offenbar mehr Probleme hatten
als die darstellenden Buschleute selbst. Während Eliza-
beth Marshall die Ernährungsgrundlagen untersuchte
und Ju/’hoansi-Frauen bei ausgedehnten Sammelaktivitä-
ten begleitete, konzentrierte sich Lorna Marshall auf die
Ethnographie, z.B. auf die Verwandtschaftsorganisation
und religiösen Vorstellungen, die sie durch Übersetzer er-
fragen ließ. Schließlich war die gesamte Familie Marshall
nicht fachwissenschaftlich ausgebildet. John Marshall er-
hielt erst 1957 einen BA in Anthropologie.
Während die Marshalls die meisten Ju/’hoansi, vor allem
solche, die noch „ursprünglich“ lebten, wohlwollend be-
handelten, wobei z.B. bei Lorna Marshall gelegentlich ein
maternalistischer Unterton mitschwang, griffen die süd-
afrikanischen Anthropologen in die Mottenkiste der Ras-
senanthropologie und vermaßen möglichst viele Men-
schen. Außerdem nahmen sie zahllose Gipsabdrücke von
ihren Gesichtern. Lorna Marshall beteiligte sich punktu-
ell daran. Dass dieses Vorgehen nicht im Sinne der Unter-
suchten war, wurde ihr offenbar erst klar, als sich die ver-
messenen Frauen weigerten, ihren Schamschurz zu lüften,
um ihre Steatopygie bzw. Labialdehnungen zu zeigen und
für die Nachwelt fotografisch dokumentieren zu lassen (S.
90). Denn gemäß der bei einigen südafrikanischen Ethno-
logen noch vorherrschenden Rassenvorstellungen galten
die „besonderen Körperproportionen“ der Khoi-ZSan-
Frauen als Beleg für eine niedere Rasse und eine animali-
sche Sexualität. Sie beriefen sich dabei auf europäische
Rassentheoretiker des 19.Jahrhunderts, deren sexistischen
Männerphantasien die junge Khoifrau Sarah Baartman
1815 in Paris zum Opfer fiel.
Dass die Autorin dieses Buches solche Zusammenhänge
offenbar nicht kennt, ist verzeihlich. Irritierend ist aller-
dings, dass sie die Kontroversen und das komplexe Macht-
gefüge innerhalb der südafrikanischen Ethnologie igno-
riert, obwohl sie den Anspruch hat, die Marshall-For-
schungen mit denen anderer Wissenschaftler im südlichen
Afrika zu vergleichen. Schließlich handelte es sich um
fachliche, methodische und politische Auseinandersetzun-
gen zwischen Regierungsethnologen, wie Van Warmelo,
dem Leiter des Department of Native Affairs, der die
Marshalls 1956 begleitete und liberalen Vertretern der
Sozialanthropologie in Südafrika wie Winifred Hoernle,
einer Schülerin von Radcliffe-Brown und Professorin an
der Universität in Johannesburg, die Studien über die
Nama-Bevölkerung durchführte, deren Ergebnisse sie be-
reits 1918 im Harvard Africa Studies veröffentlichte. Auch
ihre Schülerinnen, zu denen zahlreiche namhafte Ethno-
loginnen und Ethnologen, wie das Forscherpaar E.J. und
J.D. Kriege zählten, führten Langzeitstudien durch und
dokumentierten den gesellschaftlichen Wandel afrikani-
scher Gesellschaften.
Eine wissenschaftskritischere Distanz zur Forschergrup-
pe wäre wünschenswert gewesen, denn beispielsweise
idealisiert Lorna Marshall nur die „ursprünglich“ leben-
den Buschleute - die ihrer Vision vom „edlen Wilden“
möglichst nahe kommen - und begegnet anderen Afrika-
nern, vor allem Menschen in Akkulturationsprozessen.
eher ablehnend. Auch die afrikanischen Zuarbeiter ihres
Forscherteams werden von ihr als „boys“ bezeichnet und
tauchen offenbar nur mit Vornamen in den Dokumenten
auf. Wenn jemand so viel Wert auf Ideale des menschli-
chen Zusammenlebens legt und auf der Suche danach
sogar um die halbe Welt reist, sollte sein eigenes Verhal-
ten auch daran gemessen werden.
Ein differenzierteres Bild sowohl hinsichtlich der For-
schungsprozesse als auch mit Blick auf die innerfamili-
ären Konstellationen wäre möglich gewesen, wenn die
Arbeit von John Marshall, der sich über Jahre hinweg mit
Veränderungen der Ju/’hoansi-Gesellschaft auseinander-
setzte und sich für ihre Interessenvertretung engagierte,
stärker berücksichtigt worden wäre. So illustriert dieses
Buch die Schwierigkeiten einer biographischen Studie,
die aufgrund freundschaftlicher Verbindungen eigene
Gewichtungen vornimmt. Trotz dieser Einwände ist die-
ses leicht verständliche Buch ein wichtiges Dokument für
die Aufarbeitung der Marshall-Expeditionen, denn es lie-
fert eine breite Materialfülle und gibt durch die Berück-
sichtigung persönlicher, bislang unveröffentlichter Auf-
zeichnungen Einblicke in individuelle Forschungsper-
spektiven jener Zeit.
Rita Schäfer
Buchbesprechungen Orient
Mensen, Bernhard (Hrsg.):
Islam. Akademie Völker und Kulturen St. Au-
gustin. Vortragsreihe 2002/2003. Band 26. Net-
tetal; Steyler Verlag, 2003.122 Seiten.
ISBN 3-8050-0483-4
Der unter dem Titel „Islam“ publizierte Sammelband
fasst sechs Vorträge von fünf Referenten zusammen, die
zwischen Oktober 2002 und März 2003 in der „Akademie
Völker und Kulturen“ in St. Augustin gehalten wurden.
Der Schwerpunkt der Beiträge liegt auf der Beziehung
zwischen Islam bzw. islamischer Gesellschaft und dem
Christentum bzw. der deutschen Gesellschaft.
261
___________TRIBUS 55,2006
Im ersten Vortrag von Thomas Lemmen „Der Islam in
Deutschland'1 wird ein knapper Überblick über isla-
misches Leben in Deutschland, angefangen vom Vereins-
wesen (Stichwort „Wer betreibt z.B. die Gebets- und Ver-
sammlungsräume?“) über die rechtlichen Rahmen der
muslimischen Religionsausübung bis hin zur Anerken-
nungsfrage muslimischer Organisation als Körperschaften
des öffentlichen Rechts vorgelegt.
Der zweite Beitrag von Hans Vöcking handelt von „Islam
und Moderne“ und versucht anhand von Schlüsselbegrif-
fen einerseits, die verschiedenen Richtungen des Islam
darzustellen, auf der anderen Seite im engeren Sinne des
Titels das Verhältnis des Islams zur (säkularen) Moderne
abzuklären, worunter so verschiedene Fragen wie Erzie-
hung, diverse Gesichtspunkte des Demokratieverständ-
nisses bis hin zur Menschenrechtsproblematik zählen. Die
Kürze, mit der hier auch komplexe Themen behandelt
werden, erlaubt sicher nicht immer eine hinreichende Dif-
ferenzierung. Wenn „traditioneller“ Islam im ersten Vor-
tragstext zum Beispiel in sechs Zeilen abgehandelt wird,
besteht kaum eine Möglichkeit, zwischen einem konser-
vativen Azhar-Islam und der lebendigen Volksfrömmig-
keit zu unterscheiden, die beide unter diesen Begriff fal-
len. In acht Zeilen zur „Erziehung“ im zweiten Beitrag
lässt sich ebenfalls weder klären, wie der Islam traditio-
nell zur Erziehungsthematik steht, noch was sich ggf. hier-
aus an Konsequenzen für den Umgang mit modernen
Bildungssystemen ableiten lässt.
Abgerundeter, weil einer engeren Fragestellung nachge-
hend, ist der dritte Vortragstext von Günter Riße, der
nach dem Islam als „Religion des Friedens“ oder „Religi-
on der Gewalt“ fragt. Deutlich wird hier, dass es isla-
mische Terroristen gibt, der Islam als Religion Gewalt je-
doch weitgehend ablehnt, außer zur Selbstverteidigung.
Offenkundig, so die Tendenz des Vortrages, missbrauchen
Terroristen den Islam als Religion.
Der nächste Beitrag von Eugen Nunnenmacher beschäf-
tigt sich mit der Gottesfrage, d.h. ob Juden, Christen und
Muslime zum selben Gott beten. Während diese Frage zu-
mindest implizit in den Ausführungen positiv beantwortet
wird, stellt der Vortrag die Nuancen im Gottesbild heraus,
aus denen auch deutliche Unterschiede sichtbar werden.
So ist Gott aus islamischer Sicht sicher nicht derselbe stra-
fende Gott wie aus jüdischer Perspektive. Der Trinitäts-
glaube der Christen schließlich wird von Juden und Mus-
limen gleichermaßen strikt abgelehnt. Zumindest aus
christlicher Perspektive werden am Ende des Beitrages
zwei Stimmen aus dem Vatikan zu der Kernfrage zitiert:
Paul VI. und Johannes Paul II bescheinigen beide, dass
Christen und Muslime den Glauben an denselben Gott
teilen.
Der fünfte Vortrag beschäftigt sich mit dem Koran als
göttlicher Offenbarung in christlicher Sicht. Nach knap-
per Darlegung des Anspruchs der Muslime versucht Au-
tor Adel Theodor Khoury eine differenzierte christliche
Antwort. Dabei wird deutlich, dass ein Teil der christlich-
katholischen Theologie diesen Anspruch kategorisch ab-
lehnt. Aus religionsphänomenologischer Sicht kommt der
Autor zu dem Schluss, dass die Gestalt Muhammads ty-
pische Merkmale des Prophetentums aufweist. In seinem
theologischen Urteil schließlich tendiert er zu der Auffas-
sung, dass kein echter Prophet sein kann, wer seine Bot-
schaft im ausdrücklichen Widerspruch zu den verbind-
lichen Dogmen des christlichen Glaubens im Rahmen
eines universellen Geltungsanspruchs erhebt. Dieser Hin-
weis beantwortet nicht direkt die Frage nach der gött-
lichen Offenbarung des Islam, der/die Leser/in wird je-
doch den Schluss ziehen müssen, dass mit der Infragestel-
lung der Prophetentums Muhammads auch der Koran als
göttliche Offenbarung zurückzuweisen ist. Solange die
Christologie des Korans die christliche Christologie zu-
rückweise und verurteile, werde die Trennung der Religi-
onen auszuhalten sein.
Der letzte Beitrag, ebenfalls von Adel Theodor Khoury,
beschäftigt sich mit dem christlich-islamischen Dialog,
seinen Problemen und Möglichkeiten. In einem ersten
Resümee weist der Autor auf die schwierige Geschichte
der Begegnung zwischen Islam und Christentum u.a. wäh-
rend der Kolonialzeit hin, die den heutigen Dialog natür-
lich mit beeinflusst. Entsprechend ist seine Einschätzung
nur verhalten positiv. Immerhin gäbe es auf beiden Seiten
erhebliche Kräfte, die sich für einen Dialog einsetzen vor
dem Hintergrund gemeinsamer Zukunftsprobleme. Der
Ausschließlichkeitsanspruch des Islam sei in diesem Kon-
text aber nicht sehr hilfreich, insbesondere die Forderung
islamischer Kräfte, dass Christen zuerst die prophetische
Sendung Muhammads und den Koran anzuerkennen hät-
ten. Umgekehrt verstärken Migration und islamisch ver-
brämter Terrorismus das negative Bild auf christlicher
Seite.
Khourys Vorschlag geht deswegen dahin, zunächst die
kompatiblen Aspekte in den Vordergrund zu stellen und
Themen wie Frieden, Gerechtigkeit, Rechte der
Schwachen usw. in den Mittelpunkt der Debatte zu stel-
len. Mit Blick auf Deutschland regt der Autor an, dass sich
die deutsche Gesellschaft zunächst einmal ihrer eigenen
Ziele im Hinblick auf eine Integration bewusst wird. Mus-
lime müssten im Prinzip ihrerseits entscheiden, ob sie zu
einer Integration bereit seien und entsprechend eine posi-
tive Haltung zum säkularen Staat finden und abstimmen.
Der Vortragsband versteht sich als ein Diskussionsbei-
trag, nicht als eine auch nur halbwegs erschöpfende Zu-
sammenstellung. Dies sollte den Lesern bewusst sein. Alle
fünf Beitragenden sind christliche Theologen und vier
von ihnen sind offenkundig katholisch. Trotz aller Sach-
lichkeit werden sämtliche gestellten Fragen daher alleine
aus christlicher, ja katholischer Perspektive beantwortet,
was weniger den Problemaufriss, wohl aber die Analysen
und Schlussfolgerungen erheblich beeinflusst. Islamwis-
senschaftler würden vermutlich zumindest teilweise ande-
re Nuancen setzen, und hätte man Muslime an der Dis-
kussion beteiligt, würden die Antworten auf die sicher
interessanten Fragen noch etwas anders ausfallen.
Frank Bliss
262
Buchbesprechungen Amerika
Buchbesprechungen Amerika
DeMallie, Raymond J. (ed.):
Handbook of North American Indians, Vol. 13:
Plains, 2 Bde. Washington; Smithsonian Institu-
tion, 2001. 1360 Seiten mit zahlreichen Abbil-
dungen und Karten.
ISBN 0-16-050400-7
Mit zwei Bänden, die zusammen 1360 Seiten umfassen, ist
der 13. Band des „Handbook of North American Indians“
zu den „Plains-Kulturen“ die umfangreichste Ausgabe
dieser Reihe, in der seit 1978 bereits elf von insgesamt 20
konzipierten Bänden erschienen sind.
Obwohl sich der ausgewiesene Plains-Experte Raymond
J. DeMallie 1983 als neuer Herausgeber für eine zügige
Veröffentlichung einsetzte, dauerte es doch noch viele
lange Jahre bis zur Fertigstellung. Allerdings hat sich das
Warten gelohnt, da die bereits in den 1970er Jahren ver-
fassten Beiträge auf den neuesten Stand gebracht und in-
haltlich abgeglichen wurden. Ein Stab ausgewiesener Spe-
zialisten war in die Vorbereitungen einbezogen und be-
strebt, ein hohes wissenschaftliches Niveau zu halten.
In seiner Einführung stellt der Herausgeber in großen
Zügen die kennzeichnenden Merkmale des Kulturareals
der Prärie und Plains vor, um dann auf die Geschichte der
archäologischen, ethnologischen und ethno-historischen
Forschung überzuleiten. Da das Handbook Band 4 bereits
die facettenreichen Beziehungen der indigenen Bevölke-
rung mit europäischen Einwanderern als zentrales Thema
behandelte, wurde nun der Schwerpunkt auf die For-
schungsgeschichte gelegt. Waren es Mitglieder der Fran-
cisco Väsquez de Coronado Expedition, die 1541 zuerst
über Indianer der Südlichen Plains berichteten, so stam-
men die frühesten Dokumentationen der Lebenssituation
in den nördlichen Plains aus dem 17. Jahrhundert von
französischen Händlern und Missionaren. Ende des 19.
Jahrhunderts stattete das Bureau of Ethnology in Zusam-
menarbeit mit der Smithsonian Institution Spezialisten
für Feldforschungen aus, um durch die Befragung india-
nischer Persönlichkeiten möglichst viel Wissen über kul-
turelle Traditionen zusammenzutragen. Die veröffentlich-
ten Berichte sowie zahlreiche von Museums- und Univer-
sitätswissenschaftlern verfassten Monographien bilden
noch heute wichtige Quellen der Forschung. In Archiven
lagern bis heute Manuskripte und Texte, die darauf war-
ten, aufgearbeitet und veröffentlicht zu werden.
Das Kapitel „Umwelt und Subsistenz“ widmet sich der
Nutzung der Prärie und Plains als Naturraum. Eine Karte
zeigt die physische Beschaffenheit dieser Region samt
wichtiger Rohstoffquellen. Fotografien stellen zentrale
Landschaftsformen vor und eine weitere Karte zeigt die
Vegetationszonen, als Grundlagen der Nahrungsgewin-
nung. Es handelt sich lediglich um einen allgemeinen
Überblick, da eine detaillierte Darstellung dieses The-
menkomplexes in dem noch nicht erschienenen Hand-
book Themenband 3 zu „Umwelt, Herkunft und Bevölke-
rung“ vorgesehen ist.
Obwohl der Themenband 17 „Sprachen“ die linguistische
Forschung thematisiert, wird der sprachlichen Vielfalt der
Plains-Region auch in den Einführungskapiteln des
„Plains“-Handbook Rechnung getragen. In ihren Grund-
strukturen werden die großen Sprachfamilien vorgestellt:
Algonkin (gesprochen von Plains Cree, Blackfoot, Gros
Ventre, Arapaho oder Cheyenne), Caddo (gesprochen
von den Arikara, Pawnee, Kitsai, Wichita und den Caddo)
und Sioux (gesprochen von den Crow, Hidatsa, Mandan,
Sioux, Assiniboine, Omaha, Ponca, Osage oder Quapaw).
Der Einführungsartikel bezieht auch die Sprachtraditi-
onen des Athapaskischen, Kiowa-Tanoan, Uto-Azte-
kischen sowie Tonkawa in seine Betrachtung mit ein. Als
Ausdruck der eigenen Identität wird in den Beiträgen auf
das erstarkende Interesse am Erhalt indigener Sprachen
und Bestrebungen zur Revitalisierung hingewiesen.
Im Kapitel „Frühe Geschichte“ fokussieren die Autoren
die Bedeutung von Jagd- und Sammeltätigkeiten sowie
die Kultivierung von Nahrungspflanzen. Sie stellen Er-
kenntnisse vor, die sich anhand zahlreicher Fundorte in
den kanadischen, nordwestlichen und zentralen sowie den
südlichen Plains belegen lassen. Dabei finden die regional
unterschiedlichen und gegenseitig beeinflussenden Sied-
lungstraditionen große Beachtung, aber auch die grundle-
genden Veränderungen, die der Kontakt mit Europäern
mit sich brachte.
Das anschließende Kapitel widmet sich den historischen
Entwicklungen, die das Leben der Prärie- und Plains-In-
dianer in Kanada und in den USA im 19. und 20. Jahrhun-
dert nachhaltig prägten. Dabei geht es um die tödliche
Macht der Epidemien, um Handelsnetzwerke sowie das
wirtschaftspolitische Kräftespiel der Kolonialmächte und
die Folgen für die indianische Bevölkerung. Auch die Ex-
pansion der Siedler nach Westen, Einrichtung von Reser-
vationen, Maßnahmen der Assimilationspolitik und die
Verwirklichung politischer Souveränität durch Stammes-
regierungen wird thematisiert.
Die beiden Kapitel „Prärie Plains“ und „High Plains“ bil-
den das Kernstück der Publikation, wobei Raymond J.
DeMallie die entlang der großen Flusssysteme in (semi-)
sesshaften bäuerlichen Dorfgemeinschaften lebenden
Prärie-Indianer der Kategorie „Prairie Plains“ zuordnet
und die eher als Bisonnomaden bekannten Gruppen der
Kurzgrassteppen unter dem Oberbegriff „High Plains“
zusammenfasst. Wie er selbst anmerkt, handelt es sich da-
bei um eine unscharfe Trennung, ebenso wie dies für viele
andere Versuche der Klassifizierung gilt. Als wertvolle
Orientierungshilfe dient eine Karte, die in generalisierter
Form die regionale Zuordnung der vorgestellten Grup-
pen im frühen 19. Jahrhundert zeigt.
In den Darstellungen der einzelnen Ethnien werden die
kulturellen Ähnlichkeiten, Überlagerungen und Unter-
schiede dann doch sehr gut sichtbar, da alle Beiträge
einem thematischen Grundraster folgen. So gehen die
Autoren in ihren ethnohistorisch geprägten Beschrei-
bungen auf sprachliche Merkmale, territoriale Verortung
und historische Entwicklungen nach dem ersten Kontakt
mit Europäern ein. Im Mittelpunkt steht zudem die Cha-
rakterisierung kultureller Traditionen, die sich bis in das
20. Jahrhundert hinein entfaltet haben. Folgende Themen
werden dabei besonders ausgeführt: politische Organisa-
tion, Subsistenz und Jahreszyklus, Religion und Mytholo-
gie, soziale Organisation, Lebenszyklus, Kleidung und
Schmuck, Technologie, Benennung von Lokalgruppen
und die Auflistung von Synonymen, die in der englischen
263
îS
____________TRIBUS 55,2006
Literatur verbreitet sind. Die Erfassung der Synonyme ist
äußerst wertvoll, da gleiche Bezeichnungen für unter-
schiedliche Gruppen eine häufige Fehlerquelle sind. Die
differenzierte Betrachtung der einzelnen Bevölkerungs-
gruppen ist gerade bei der hohen Mobilität der (Prärie-)
Plains-Indianer notwendig, um die kulturelle Dynamik
der vielen Lokalgruppen zu erfassen.
Im Kapitel „Prairie Plains“ wird die Ethnohistorie und
Kulturtradition der Hidatsa, Mandan, Arikara, Omaha,
Ponca, Iowa, Otoe und Missouria, Kansa, Osage, Quapaw,
Pawnee, Wichita und Kitsai beschrieben. Ein separater
Artikel ist den Three Affiliated Tribes gewidmet, die sich
nach der Einrichtung der Fort Berthold Reservation etab-
liert haben. Dieser Zusammenschluss von Mandan, Hi-
datsa und Arikara als politische Einheit konnte nicht ver-
hindern, dass alle drei Bevölkerungsgruppen ihre kultu-
relle Identität bewahrt haben. Dies steht im Gegensatz zu
den Kitsai, die seit dem frühen 20. Jahrhundert nicht mehr
als tribale Einheit existent sind und sich kulturell den Wi-
chita angenähert haben.
Das Kapitel „High Plains“ ist mit 393 Seiten das umfang-
reichste und stellt auf der Grundlage des beschriebenen
Themenrasters folgende Ethnien vor: Assiniboine, Stoney,
Blackfoot, Sarcee, Plains Cree, Plains Ojibwa, Plains Métis,
Gros Ventre, Crow, Sioux, Arapaho, Cheyenne, Comanche,
Kiowa, Plains Apache, Lipan Apache und Tonkawa. Beson-
ders ausführlich werden dabei die Regionalgruppen der
Sioux (Santee, Yankton und Yanktonai,Teton) behandelt.
Auch hier wurden analog der Darstellung der Prärie-Indi-
aner Schwerpunkte gesetzt, die eine vergleichende Be-
trachtung zulassen. Anhand einzelner Beispiele gelingt es,
den hohen Differenzierungsgrad innerhalb der einzelnen
Gruppen aufzuzeigen. In übersichtlichen Tabellen wurde
versucht, die komplexen Strukturen sozialer Einheiten
nachvollziehbar zu machen. Zugleich werden die histo-
rischen Ereignisse und deren destruktive Auswirkungen
auf diese vielschichtigen Beziehungsnetzwerke skizziert.
Als Extrem wird auf das Beispiel der Tonkawa verwiesen,
die ihre kulturelle Identität als eigenständige Gruppe völ-
lig verloren haben. Bei der aufgezeigten Vielfalt werden
wesentliche Merkmale im Leben von Prärie- und Plains-
indianern zwar nur kursorisch vorgestellt, allerdings er-
lauben zahlreiche Hinweise auf weiterführende Literatur
die Vertiefung einzelner Themen.
Der Darstellung der regionalen Kulturen schließt sich ein
umfangreiches Abschlusskapitel an, das sich auf eine Rei-
he von Spezialthemen konzentriert, um Einzelaspekte in
einen übergreifenden inhaltlichen Zusammenhang zu
stellen. So wird die Schwierigkeit „enigmatischer“ Grup-
pen thematisiert, die als soziale Einheiten schwer zu fas-
sen und kaum mit bekannten (Prärie-)Plains-Gruppen in
Verbindung zu bringen sind. Ebenfalls komplex, doch
weitaus fassbarer ist die Darstellung zentraler Verwandt-
schaftstypen und sozialer Organisationsstrukturen. Die
einzige indianische Autorin, Jo Allyn Archambault, stellt
die Bedeutung des Sonnentanzes als identitätsstiftendes
Ritual vor. Dabei geht sie auch auf dessen Popularisie-
rung ein und leitet über zu der Darstellung intertribaler
religiöser Bewegungen etwa des Midewiwin, Geister-
tanzes oder der Native American Church.
Die Verteilung von Geschenken wird als herausragendes
Merkmal der Festtraditionen thematisiert, ebenso wie die
Tradition des Powwow, die sich als panindianische Bewe-
gung durchgesetzt hat und zugleich die Revitalisierung lo-
kaler Tanztraditionen beinhaltet. Das Kapitel zur Musik
gibt einen Überblick über den Gebrauch von Musikinstru-
menten und betont vor allem das weite Spektrum von Lie-
dern und damit verbundenen Tänzen. Obwohl das weite
Thema der „Kunst“ nur in groben Zügen dargestellt wird,
gelingt es, die Kultur prägenden Formen und Techniken so-
wie die Entwicklungen nach 1900 vorzustellen. Es erscheint
logisch, dass sich der abschließende Beitrag mit der Über-
lieferung und Dokumentation von Wissen befasst, einem
zentralen und zunehmend kontrovers diskutierten Thema.
Da weitere allgemeine Fragen zu indianischen Kulturen
Nordamerikas in dem noch ausstehenden Band 1 des
Handbook aufgegriffen werden, lassen sich inhaltliche
Überschneidungen sicherlich nicht vermeiden. Zugleich
stellen diese Themenbände eine wertvolle Ergänzung und
Vertiefung dar. So werden in den geplanten Bänden 18
und 19 mit Biographien indianischer Persönlichkeiten
auch renommierte Personen aus dem (Prärie-)Plains-Ge-
biet ihren Platz finden.
Die beiden Bände des Handbook „Plains“ ist im wahrsten
Sinne ein Handbuch, das die Vielfalt der Prärie- und
Plainsindianer fundiert vorstellt. Äußerst wertvoll sind
neben zahlreichen bibliographischen Hinweisen zur Ver-
tiefung von Einzelthemen der Index und Illustrationen.
Sonja Schiede
Köhler, Ulrich (Hrsg.):
Nueva Maravilla. Eine junge Siedlung im Kon-
text massiver indianischer Migration nach San
Cristóbal de las Casas, Chiapas, Mexiko. (Eth-
nologische Studien, Band 37). Münster, Lit-
Verlag, 2004. 427 Seiten, 56 SW-Abbildungen,
16 Farbabbildungen, 19 Tabellen, 7 Karten,
Zusammenfassungen auf Tzotzil, Spanisch und
Englisch.
ISBN 3-8258-8315-9
Am Rande der südmexikanischen Stadt San Cristóbal de
las Casas liegt die Siedlung Nueva Maravilla. Ulrich Köh-
ler, Freiburger Ordinarius für Ethnologie, hat diese Sied-
lung mit 12 Studentinnen und Studenten und einer Feld-
forschungsassistentin im Rahmen einer Exkursion nach
Mexiko untersucht. Vier Wochen hielt sich die gut vorbe-
reitete Gruppe im Frühjahr 2002 in San Cristóbal auf, es
folgten insgesamt acht Wochen Nachforschung durch
Herrn Köhler, verteilt auf die Zeit vom Sommer 2002 bis
Sommer 2004.
Die Initiative, eine neue Siedlung zu gründen, ging 1995
von dreiTzotzil-Indianern aus der Gemeinde Chamula aus,
die zu diesem Zeitpunkt bereits in der Stadt wohnten und
zuvor schon eine andere Siedlung gegründet hatten. Nueva
Maravilla ist schachbrettartig angelegt und besteht aus 602
Grundstücken zu je 10m x 20m Grundfläche. Jede Parzelle
kostete damals 4.000 Peso (umgerechnet etwa um die 300
Euro), was im Vergleich zu anderen Siedlungen ein ausge-
sprochen niedriger Preis war. Abwasser- und Trinkwasser-
264
Buchbesprechungen Amerika
leitungen wurden gelegt, seit 1999 sind die Haushalte mit
Elektrizität versorgt, Straßenlaternen und Telefonanschlüs-
se sind in Teilen der Siedlung vorhanden, Kindergarten
(1996) und Grundschule (1997) wurden gebaut und gut be-
sucht: kaum eines der minderjährigen Kinder der Siedlung
musste einer bezahlten Arbeit nachgehen. Wegen der Hö-
henlage konnte die Siedlung bis Sommer 2004 noch nicht
mit fließendem Wasser versorgt werden, weshalb sich viele
Eigentümer einen Brunnen bauen ließen. Die Anbindung
der Siedlung an das Zentrum von San Cristóbal wurde
durch eigene Kleinbusse gewährleistet. 1996 und 1998 wur-
de die Siedlung um zwei Bereiche erweitert, die sich im
Verlauf des Jahres 2002 von ihr abspalteten und sich mit
eigenen Namen und eigenen Siedlungsvorständen ver-
selbstständigten. Im Frühjahr 2002 waren etwa 564 Grund-
stücke in Nueva Maravilla und seinen Erweiterungen be-
baut, mehrheitlich mit Holzhäusern, aber mit zunehmender
Tendenz zu Steinhäusern. In 10 % der Häuser wurde Ein-
zelhandel betrieben. Die Bevölkerung der Siedlung wurde
auf etwa 3.000 Bewohner geschätzt, davon 80 % Indianer.
Damit war Nueva Maravilla damals eine der größten jun-
gen Siedlungen in San Cristóbal. Bis auf wenige Ausnah-
men war in den Familien der Mann der Allein- oder Haupt-
verdiener, meist arbeitete er als Handwerker, Händler oder
im Dienstleistungsbereich. Eine institutioneile medizi-
nische Versorgung war in Nueva Maravilla nicht ansässig,
es konnte aber eine Hebamme ausfindig gemacht werden.
Im Krankheitsfall standen den Bewohnern die schulmedi-
zinischen Kliniken im Zentrum der Stadt zur Verfügung
oder die Heilerinnen und Heiler der indianischen und die
der nur spanisch sprechenden Bevölkerung. Im religiösen
Bereich zeugten die Hausaltäre in Nueva Maravilla von
einem lebendigen Glauben. Als einzige Kirchen befanden
sich eine prebyterische und eine Pfingstkirche auf dem Ge-
biet der Siedlung. Wer eine der zahlreichen übrigen protes-
tantischen Gemeinden besuchen wollte, eine katholische
Kirche oder die Moschee, ging in eine andere Siedlung
oder in die Stadt.
Das Buch, Ergebnis der Exkursion, gliedert sich in drei
große Bereiche: Der erste Teil besteht aus einer Darstel-
lung der sich verändernden Beziehungen zwischen der
nur spanisch sprechenden Bevölkerung und den India-
nern (Köhler, S. 9-15) und einer allgemeinen Übersicht
über die Zuwanderung von Indianern nach San Cristóbal
ab 1970 - hierfür konnte mit J.I. Angulo Barredo ein Spe-
zialist der Autonomen Universität von Chiapas gewonnen
werden (S. 16-33). Als Kernstück des Buches folgt im
zweiten Hauptteil die Beschreibung der untersuchten
Siedlung (verschiedene Autoren, S. 34-303). Auf neun Ka-
pitel verteilt finden sich 21 Aufsätze zur Gründung der
Siedlung, zum Hausbau, zur Wirtschaft, zu den Vorgefun-
denen Handwerksarten, zur Sozialstruktur, zur medizi-
nischen Versorgung, zur Religionsausübung, zur Primar-
erziehung und zu den Veränderungen bis 2004. Im dritten
Hauptteil weitet sich die Perspektive wieder auf San
Cristóbal (6 Aufsätze, verschiedene Autoren, S. 305-393).
Hier wird der indianische Kunsthandwerksmarkt ausführ-
lich beschrieben, die Angebote zur Erwachsenenalphabe-
tisierung werden ebenso vorgestellt wie die Arbeit eines
katholischen Ordens mit Kindern auf der Straße. Haupt-
stück des dritten Teils ist das Kapitel, das die (eher unty-
pischen) Lebenswege von 12 indianischen Frauen (davon
sechs Tzotzil-Frauen) im Alter zwischen 20 und 40 Jahren
aufzeichnet und nach verschiedenen Gesichtspunkten un-
tersucht, als da wären z.B. Kindheit im Dorf, Gründe für
die Migration, Umfeld und Beziehungen der Frauen
(Meyer/ Wagner, S. 334-393). Mit einer Würdigung der
Leistungen der Siedler und dem Aufzeigen von Proble-
men und Perspektiven schließt das Buch (Köhler, 394-
405), gefolgt von einer umfangreichen Bibliographie und
der in drei Sprachen verfassten Zusammenfassung.
Insgesamt liegt ein solides Buch vor, dem man selten an-
merkt, dass es aus Daten entstanden ist, die im Wesent-
lichen in nur vier Wochen zusammengetragen wurden. Es
lässt sich gut und flüssig lesen und wartet z.T mit Daten
zu bislang wenig bekannten Themen auf. Den Autorinnen
und Autoren ist es gelungen, die Struktur und Dynamik
einer relativ jungen Stadtrandsiedlung einzufangen. Sie
haben damit einen Grundstein für weitere Forschungen
gelegt. Vor allem aber konnten sie aufzeigen, dass die Be-
wohner einer solchen Siedlung nicht automatisch Sozial-
hilfeempfänger oder Bettler sind.
Noch besser wäre das Buch gewesen, wenn die Autoren
nicht so flüchtig mit der Sprache umgegangen wären.
Dann würden Informanten nicht als “Orangenleute” (S.
76), sondern vielleicht als Orangenverkäufer bezeichnet
werden, die muslimische Moschee würde nicht unter den
“Besonderheiten bestimmter protestantischer Gruppen”
zu finden sein (S. 243), der Leser würde nicht darüber stol-
pern, ob es wirklich “eine Art Hierarchie der [Primar-]
Schulen” gibt (S. 277), oder ob nicht die Eltern von Schul-
kindern bestimmte Primarschulen bevorzugten, und der
künftige Feldforscher würde nicht rätseln, was genau im
Jahr 2002 denn “Kleinkram” (S. 307) auf dem Kunsthand-
werksmarkt war. Nur Eingeweihte wissen, worum es sich
bei Unterstützern der “Abejas” (wörtlich: Bienen) (vgl. S.
390,393) handelt. Alle andern können nur vermuten, dass
es kein Imkerkreis ist. Ebenfalls hätten die Wendungen
kommentiert werden müssen, die die Autoren für die
Übersetzung des “Vater Unser” und des “Gegrüßest seist
du Maria” gewählt haben. Warum wurde der offizielle ka-
tholische spanische Ritualtext nicht mit dem entspre-
chenden deutschen Ritualtext übersetzt? Es macht einen
Unterschied, ob man den offiziellen Text “perdona nu-
estras ofensas” mit dem offiziellen “Vergib uns unsere
Schuld” oder wie im Buch mit “Vergib unsere Beleidi-
gungen” (S. 218) übersetzt. Warum wurden die individu-
ellen Änderungen, die die Informantin in Reihenfolge
und Wortwahl vornahm, nicht kommentiert?
Nicht erschlossen haben sich der Rezensentin die Krite-
rien, aufgrund derer die Autoren einen Tzotzil-Infor-
manten, der auf drei Generationen kräuterheilkundiger
Vorfahren zurückblicken konnte und der seine Unterwei-
sung in Umgang und Anwendung der Pflanzen sowohl
von seiner indianischen Mutter als auch in Träumen von
einem “Herrn” (der Pflanzen?, oder christliche Deutung?)
erhalten hatte (S. 152), nur in Anführungsstrichen als tra-
ditionellen Heiler (S. 151) und allenfalls als “ein[en]
Mensch[en] mit besonders guten Kenntnissen von Heil-
pflanzen” (S. 156) bezeichnen, während etwa 20 Seiten
weiter, im Kapitel zur traditionellen Medizin, ein Heil-
pflanzenkundiger auftritt, der im Falle des Informanten
aber nur auf zwei Generationen heilender Vorfahren ver-
weisen konnte und auch keine Träume erwähnte (S. 172.
265
___________TRIBUS 55,2006
174. 178). Die Rezensentin bedauert auch, dass die von
Köhler genannten Perspektiven und die anderen von ihr
als positiv empfundenen Anregungen für die weitere Ent-
wicklung der Siedlung und auch San Cristobals nicht in
den Zusammenfassungen erscheinen. So können sie lei-
der zu einem späteren Zeitpunkt nicht den Siedlungsvor-
ständen oder anderen politischen Entscheidungsträgern
als Anregungen zur Diskussion gestellt werden. Dies ist
umso bedauerlicher, als dass im Verlaufe des Buches im-
mer wieder das aktive Engagement der Exkursionsteil-
nehmer zur Sprache kommt, sei es, dass sie sich ein Thea-
terstück für die Straßenkinder ausdenken und aufführen
(ab S. 328) oder dass sie in öffentlichen Archiven nach der
Höhe von Stauseen forschen, deren Wasser der Wasser-
versorgung der Siedlung dienen könnte (S. 297) oder beim
présidente municipal versuchen, auf die Notwendigkeit
der Ansiedlung von Industrie aufmerksam zu machen (S.
397,398), oder wenn eine Menschenrechtsorganisation auf
die hohen Notarskosten angesprochen wird (S. 386,387).
Claudia Kalka
Leipold, Claudia:
„Our Native Thing“. Studie zum Geschichts-
bild der Sanandresanos in der kolumbianischen
Karibik (Reihe Curupira, Bd. 16). Marburg:
Förderverein „Völkerkunde in Marburg“ e. V,
2004.297 Seiten mit SW-Abbildungen.
ISBN 3-8185-0382-6
Wenngleich die meisten der karibischen Inseln eine wech-
selvolle Geschichte haben, die von Übergängen zwischen
verschiedenen europäischen Kolonialmächten charakte-
risiert ist, dürften nur wenige so starke Gegensätze hin-
sichtlich Sprache (Englisch/Spanisch) und Religion (Puri-
tanismus/Katholizismus) aufweisen wie das aus drei
Hauptinseln bestehende San Andrés-Archipel (San And-
rés, Providencia und Santa Catalina).
Der Schwerpunkt der Untersuchung von Claudia Leipold
liegt auf San Andrés, der wohl größten der Inseln, die al-
lerdings nur 24 Kilometer lang und maximal 5 Kilometer
breit ist. Die Arbeit ist eine an der Universität Marburg
eingereichte Dissertation und basiert neben Schriftquel-
len hauptsächlich auf Ergebnissen der vierzehnmonatigen
Feldforschung der Autorin in den Jahren 1994-95 sowie
narrativen Interviews. Diese werden auch in einem um-
fangreichen Anhang wörtlich wiedergegeben.
Ihre Ziele kreisen um die Thematik der Erfahrung und
Entstehung von Geschichte seitens der „Native Islän-
ders“, also eine emische Herangehensweise. Bereits in der
Einleitung betont C. Leipold ihr Engagement für die „Na-
tive Isländers“, deren Position sie annimmt, als wäre sie
„ein Anwalt ihrer Interessen“ (S. 9). Der erste Teil enthält
eine chronologische Abfolge historischer Begebenheiten
sowie die Geschichte der „Native Isländers“ selbst; ihre
„oral history“ wird der schriftlich belegten Geschichte ge-
genübergestellt.
Die Ansiedlung der englischen Puritaner auf San Andrés
ab 1631 ging mit der Entwicklung der Plantagenwirtschaft
(vor allem Baumwolle und Kokosnuss) und der Einfüh-
rung schwarzer Sklaven aus Jamaika einher. Ein Jahrzehnt
später von den Spaniern vertrieben, wurde San Andrés
erneut ein Jahrhundert später von puritanischen Englän-
dern aus Jamaika besiedelt - einer Bevölkerungsgruppe,
die das Selbstverständnis der „Native Isländers“ bezüg-
lich Religion und Sprache prägte.
Seit dem Jahr 1822 ist der Archipel ein Gebiet der Repu-
blik Kolumbien, und seit 1952 ist San Andrés Zollfreiha-
fen, außerdem wurde dort ein Flughafen errichtet. Dies
löste Einwanderungswellen aus Kolumbien in Gang, die
zu einer Vervielfachung der Einwohnerzahl innerhalb von
zwanzig Jahren (1950-1970) führte. Die Insel gilt heute als
Touristen-Paradies und ist zugleich einer der dicht bevöl-
kertsten Orte der Welt (wobei von etwa 80.000 Einwoh-
nern nur etwa 30.000 „Native Isländers“ sind).
Im Gegensatz zu anderen karibischen Inseln sind die afri-
kanischen Wurzeln auf San Andrés weitgehend in Verges-
senheit geraten. Dies gilt vor allem für die ältere Generati-
on, die offensichtlich ein „Wir-Gefühl“ über die Religion
(Puritanismus) und die gemeinsame englische Sprache auf-
baute. Hingegen entwickelte die Jugend in den letzten zwei
Jahrzehnten durch ihr Bekenntnis zur jamaikanischen
Rastafari-Bewegung zumindest eine indirekte Beziehung
zu deren afrikanischen Wurzeln. Konflikte gab und gibt es
zwischen den Sprachen (Englisch vs. Spanisch) und den Re-
ligionen (strenger Puritanismus vs. Katholizismus). Heute
ist die protestantische Kirchenpraxis und die 1998 gegrün-
dete Christian University eine private, von der Baptisten-
kirche ins Leben gerufene Universität, die das Englische
pflegt.
Widerstand aus intellektuellen Kreisen entwickelte sich
in den 1980er Jahren. Diese Bewegungen kanalisierten
die generelle Unzufriedenheit und setzten sich für die An-
erkennung der „Native Isländers“ als ethnische Gruppe
ein - es wird sogar die Unabhängigkeit von Kolumbien
angestrebt.
Die ausschließliche Fokussierung auf San Andrés verstellt
leider den Blick über die Grenzen und somit auf die Be-
sonderheiten der Insel. Ein zumindest ansatzweiser Ver-
gleich zwischen der sprachlichen, sozialen und politischen
Situation auf San Andrés mit anderen karibischen Inseln
hätte dem Leser die besondere Situation verdeutlicht: es
handelt sich hier nicht um ein sprachliches, ethnisches und
religiöses Mosaik, wie wir es aus vielen anderen kari-
bischen Inseln kennen (z.B. Trinidad), sondern vielmehr
um einen stark dichotomisierten Konflikt bezüglich
Sprachgebrauch (kreolisiertes Englisch/Spanisch), Ethni-
zität (Native Islanders/Kolumbianer) und Christentum in
verschiedenen, oftmals konkurrierenden Ausprägungen
(Puritanismus/Katholizismus).
Zuweilen fehlt der Argumentation der rote Faden. Die
Einstufung der soziokulturellen Spannungen als Konflikt
„zwischen Ethnien“ beinhaltet, dass kolumbianische
Staatsbürger als Ethnie zu verstehen sind. Fehlerhafte Zi-
tate in spanischer Sprache und das Fehlen von im Text
erwähnten Quellen in der Bibliographie sind Hinweise
auf mangelndes Lektorat. Trotz dieser Schwächen ist die
Arbeit von Claudia Leipold ein Gewinn für die kari-
bischen Studien, vor allem weil sie eine wenig bekannte
regionale Problematik aus der emischen Perspektive der
„Native Isländers“ untersucht.
María Susana Cipolletti
266
Buchbesprechungen Amerika
McLaughlin, castle:
Arts of Diplomacy - Lewis & Clark’s Collec-
tion. Cambridge, Mass.: Peabody Museum of
Archaeology and Ethnology, Harvard Univer-
sity; Seattle - London: University of Washing-
ton Press, 2003. 360 Seiten, zahlreiche SW- und
Farb-Fotos, Zeichnungen, Karte.
ISBN 0-295-98360-4 und 0-295-98361-2
Vor mir liegt einer jener Prachtbände über frühe india-
nische Kunst in Nordamerika, die nicht nur Kenner wegen
des kostenträchtigen Layouts und der zahlreichen Farb-
Abbildungen ehrfurchtsvoll in sich gehen lassen, sondern
ebenso jene, die Kunst autochthoner Völker überall auf
der Welt zu schätzen wissen. Kein Wunder, wird hier doch
einerseits eine Sammlung aus dem angesehenen Peabody
Museum of Archaeology and Ethnology der Harvard
University vorgestellt, andererseits Sammlungsstücke der
ebenso weltberühmten Forschungsreisenden Meriwether
Lewis und William Clark, die rund drei Jahrzehnte vor
Maximilian Prinz zu Wied eine Expedition den Missouri
aufwärts führten und dabei, nach Überschreiten der Ro-
cky Mountains, bis an den Pazifik gelangten, was ungefähr
der doppelten Strecke entspricht, die unser deutscher
Forscher 1833/34 zurücklegte. Zwar hatten Lewis und
Clark keinen Karl Bodmer bei sich, doch hatten sie den
Vorteil, in von Europa unbeeinflusstere Gebiete Norda-
merikas, wie es sie 1804 - 1806 gab, vorzustoßen als der
Deutsche.
Der Missouri bildete einst über weite Strecken die Gren-
ze zwischen zwei bedeutenden nordamerikanischen Kul-
turgebieten, das der Prärien östlich und das der nördlichen
Plains westlich des genannten Flusses. Da die beiden
Amerikaner wie später auch Prinz zu Wied den Missouri
ab seiner Mündung in den Mississippi als Reiseroute be-
nutzten, trafen sie zwangsläufig auf Ureinwohner der bei-
den erwähnten Großräume. Mit den östlichen Gebirgszü-
gen der Rocky Mountains verließen die amerikanischen
Forscher die Plains und kamen in die Region, die später
von Ethnologen Plateau genannt wurde. Bei der Durch-
querung des Plateaus konnten sie etwa ab dem letzten
Drittel ihrer Fahrt den Columbia als Route nutzen, der sie
zum Schluss durch den südlichen Teil der Nordwestküste
führte. Insgesamt durchreisten Lewis und Clark vier Kul-
turgebiete Nordamerikas, wovon zwei das Bild des norda-
merikanischen Indianers weltweit prägten.
Die Zahl der Publikationen über nordamerikanische Indi-
anerkunst ist Legion. In der Regel bildet die Gliederung
Nordamerikas in kulturelle Großräume die Grundlage sol-
cher Abhandlungen, angefangen vom Nordosten bis nach
Kalifornien und von Südwesten bis zur Subarktis. Eine sol-
che Aufteilung des Stoffes hätte sich auch für das vorlie-
gende Werk angeboten, und zwar entsprechend dem Ver-
lauf der Expedition von Ost nach West. Doch Castle
McLaughlin, Mitarbeiterin des Peabody Museums und
„führende“ Autorin des beteiligten Stabes, sowie das Team
des Museums wählten einen anderen Weg, der eine gewisse
Unübersichtlichkeit entstehen ließ und die Publikation le-
diglich über den Index als Nachschlagewerk nutzbar macht,
allerdings mit der Einschränkung, dass der zweite Buchteil
nach Materialgruppen geordnet ist, die jedoch nur zum Teil
aus dem Inhaltsverzeichnis ersichtlich sind. Vielleicht ist
der Grund für die unorthodoxe Anordnung der Themen
auch darin zu sehen, dass vier der insgesamt neun Mitwir-
kenden nicht dem Peabody Museum angehören bzw. ange-
hörten und dass etliche der Arbeiten, die in das Buch ein-
gingen, unter Umständen bereits Vorlagen.
Nach einer Liste der Abbildungen und einem Vorwort
von James P. Ronda (University of Tulsa, OK), einem Pro-
log von Rubie Watson (Peabody Museum) und einer Ein-
führung (NN) folgt das erste von insgesamt zwei Kapiteln.
Dieser erste Hauptabschnitt „Die Lebensgeschichte einer
Sammlung“ enthält vier Aufsätze, wovon die ersten bei-
den über die Lewis-und-Clark-Expedition nicht nament-
lich kenntlich gemacht wurden. Allerdings enthalten bei-
de je eine Art Epilog, einer davon mit Verfassernamen:
zum einen „The Fabric of Empire“ von T. Rose Holdcraft
und Castle McLaughlin (auch Erstere vom Peabody Mu-
seum), in dem die Bedeutung europäischer Handelswa-
ren, hier insbesondere Tuche, für die indianischen Her-
steller hervorgehoben wird, zum anderen „Glass Beads“
(NN), die von Autochthonen oft wie Gold und Silber von
Europäern geschätzt wurden. Von beiden Objektgruppen
führten Lewis und Clark große Mengen als Tauschware
mit sich. In der dritten Abhandlung des ersten Hauptteils
stellt der selbständige Autor Mike Cross, ein Mandan-Hi-
datsa aus North Dakota, die Mandan, Hidatsa und Anka-
ra vor, mit dem Vorspann „Vor undenklichen Zeiten“ (für
Europäer sind 200 Jahre ein eher kleiner Abschnitt ihrer
Geschichte). Im dritten Beitrag dieses Kapitels (ebenfalls
NN) wird beschrieben, wie die Sammlung „Lewis and
Clark“ entstand, wobei der/die Museumsmann/frau be-
dauern mag, wie viele Objekte, die heute hochgeschätzte
Indianerkunst darstellen, zur Zeit ihrer Entstehung Ge-
brauchsgüter waren und einfach verschlissen wurden. Er-
wähnenswert ist auch, dass ursprünglich 70 Sammelstücke
von den beiden amerikanischen Forschern dem Peabody
Museum geschenkt wurden. Die anderen Objekte, die
während der Expedition 1804-1806 eingetauscht wurden,
gelangten auf oft kuriosen Umwegen und sehr viel später
an den Ort ihrer heutigen Aufbewahrung. Diesem letztge-
nannten Bereich ist der Schlussartikel dieses ersten Buch-
teils gewidmet, geschrieben vermutlich von Castle
McLaughlin, die auch für die von mir mit NN gekenn-
zeichneten Beiträge verantwortlich sein kann.
Der zweite Hauptabschnitt des Werkes mit dem Titel
„Die Peabody-Museumsobjekte“ beginnt mit dem fünf-
ten Artikel, in dem die Gegenstände vorgestellt werden,
die von Lewis und Clark als Erinnerungsstücke an ihre
Reise zunächst behalten wurden. Zum Teil, wie beispiels-
weise ein Otterbalgbeutel mit Quillverzierung, entstam-
men sie nicht den Kulturgebieten, durch die die beiden
Forscher kamen, sondern waren von weither, wie von den
westlichen Regionen der Großen Seen, in die Prärien und
Plains verhandelt worden. Dieser Aufsatz enthält, wie
auch einige der folgenden, zunächst einen Exkurs, hier
verfasst von der Ouill-Künstlerin Jo Esther Parshall, und
zwei weitere über zwei Korbhüte indianischer Waljäger
(Makah oder Nootka), geschrieben von Anne-Marie Vic-
tor-Howe (Peabody Museum), sowie einen über Raben-
gürtel-Ornamente (NN). Zum Schluss dieser Beitragsfol-
ge wird von Gaylord Torrence ein Gürtelschmuck von
den Plains mit vier Rabenbälgen vorgestellt.
267
___________TRIBUS 55,2006
In den folgenden zwei Abhandlungen dieses zweiten
Hauptabschnitts werden sechs Objekte beschrieben, die
Leutnant George Christian Hutter, Ehemann der Nichte
von Frau Clark, entweder selbst sammelte oder von Wil-
liam Clark geschenkt bekam. Beigegeben ist diesen aus-
führlichen Seiten mit vielen prächtigen Farb-Fotos ein
Exkurs über den Mandan-Hidatsa-Flötisten Keith Bear.
Paradestück der Hutter- oder Lewis/Clark-Sammlung ist
die im folgenden Artikel vorgestellte quillverzierte Bison-
robe von 1800-1825 ohne Quellenangabe der in Frage
kommenden Ethnie (S. 189). Sie wird mit mehreren far-
bigen Abbildungen vorgeführt. Darauf folgt ein mit
Kriegsszenen bemalter Bisonumhang von den Mandan
oder Yankton aus den Jahren 1780-1825, der stark der
Robe des Linden-Museums Stuttgart, Inv.-Nr. 36125 a
(Sammlung Wied), ähnelt, wobei das Peabody-Stück die
Quillverzierung lediglich auf der Rückennaht, diejenige
des Stuttgarter Museums aber noch zusätzlich zwei Quill-
Rosetten auf der linken Seite und Ohren- sowie Stirn-
schmuck aus Quill aufweist (Schulze-Thulin 1987,2. Aufl.,
S. 45). Den Abschluss dieser Passagen bildet eine kurze
Vorstellung des Hunkpapa-Lakota-Künstlers Butch
Thunder Hawk.
Im achten Aufsatz werden dem Leser die Tabakpfeifen
der Sammlung nahe gebracht. Beeindruckend sind hier
nicht nur die Objekte selbst, sondern auch das Begleitma-
terial mit selten zu sehenden Zeichnungen von George
Catlin. Unterbrochen werden diese Passagen von drei
Einschüben, erstens dem von Carla Dove von der Smith-
sonian Institution in Washington, DC zur Identifizierung
von Federn, zum anderen dem von Bruce Hoadle zur
Feststellung der für Pfeifenrohre verwendeten Holzarten,
zum Dritten wird von T. Rose Holdcraft (beide Letztge-
nannten vom Peabody Museum) den seidenen Schmuck-
bändern nachgegangen, die Tabakpfeifen oftmals zierten.
Natürlich ist die Sammlung an Catlinit-Pfeifenköpfen im
Peabody Museum besonders groß.
Hinter dem etwas ungewöhnlichen Titel „Grizzlykrallen,
Strumpfbänder und modische Hüte“ des neunten und
letzten Aufsatzes verbergen sich Sammelobjekte, die nicht
eindeutig auf Lewis und Clark zurückgeführt werden
können. Zunächst werden indianische Waffen vorgestellt,
angefangen von Pfeilen bis zu seltenen Bögen. Daran
schließen sich Grizzlykrallenketten an, weitere bemalte
und quillverzierte Roben bzw. Fragmente, Gürtel und
Strumpfbänder aus europäischem Handelsgarn, verziert
mit Perlen und Quill, weiße und dunkellila Wampum-
stränge, Körbe aus der Plateauregion, einzelne Geräte zur
Bearbeitung verschiedenen Pflanzenmaterials sowie eine
beeindruckende Sammlung von Hüten von diversen Eth-
nien der Nordwestküste. Im Anschluss an diesen neunten
Aufsatz stellt Pat Courtney Gold, eine Wasco-Künstlerin,
ihre zeitgenössische Korbflechtkunst vor. Offenbar ist die
Redaktion mit ihrer komplizierten Buchgliederung dann
selbst etwas ins Schwimmen gekommen, denn ein wei-
terer Exkurs der bereits erwähnten Anne-Marie Victor-
Howe über einen Lendenschurz für Frauen aus gefloch-
tenen Grasfaserschnüren fehlt im Inhaltsverzeichnis. Da-
für ist der sich hieran anschließende Einschub „Zeder: der
Lebensbaum“ von der genannten Autorin auch inhaltlich
erfasst. Doch dann vermisst der Leser im Inhaltsverzeich-
nis wiederum die folgenden Ausführungen dieser Verfas-
serin über einen geflochtenen Schwarzrandhut der Makah
oder Nootka und eine Matrosenmütze aus Korbgeflecht,
über hölzerne Babytragen der Chinook sowie über einen
zylinderförmigen Flechthut.
In einem Nachwort wird über das Peabody-Monticello-
Eingeborenen-Kunstprojekt berichtet, mit dem versucht
wurde, für eine Ausstellung aus Anlass der 200. Wieder-
kehr der Lewis-und-Clark-Reise Exponate auszuleihen
bzw. Kreationen ähnlichen Typs von zeitgenössischen in-
dianischen Künstlern nachbilden zu lassen, um mit diesen
der Bedeutung der verlorenen Jefferson-Sammlung Rech-
nung tragen zu können.
Nach Anmerkungen und Korrekturen / Vermutungen zu
einzelnen Zeitangaben und Provenienzen einiger Samm-
lungsobjekte, gegliedert nach der Abfolge der Buchkapi-
tel, folgt ein Verzeichnis der zitierten Literatur, eine
Danksagung an die Mitwirkenden, Kurzbiografien der
Autor(inn)en, ein weiterer Dank an die Institutionen, die
Abbildungen beisteuerten, und ein ungegliederter Index.
Das Buch ist insbesondere beeindruckend durch seine
Vielzahl an ausgezeichneten Farbfotos sowie Zeich-
nungen von George Catlin und zeitgenössischem Bildma-
terial. Es ist ein Grundlagenwerk für jedes Völkerkunde-
museum sowie jedes ethnologische und historische Insti-
tut einschließlich der Amerika-Häuser weltweit, da hier
erstmals umfassend und geschlossen das Material der Le-
wis-und-Clark-Expedition vorgelegt wird.
Literatur
Schulze-Thulin, Axel
1987 Indianer der Prärien und Plains - Reisen und
Sammlungen des Herzogs Paul Wilhelm von
Württemberg (1822-24) und des Prinzen Maxi-
milian zu Wied (1832-34) im Linden-Museum
Stuttgart, 2. Aufl.
Axel Schulze-Thulin
McMahon, Darcie A. / Marquardt,
William H.;
The Calusa and Their Legacy - South Florida
People and Their Environments. Gainesville,
Fl. u. a.: University Press of Florida, 2004. 185
Seiten, zahlreiche Färb- und SW-Abbildungen,
Grafiken, Zeichnungen
Wer kennt sie nicht, die nordamerikanischen Indianer -
die Sioux-Stämme wie Oglala, Krähen-Indianer und Assi-
niboin sowie viele der anderen federgeschmückten ameri-
kanischen Ureinwohner, die einst über die Plains zogen,
oder die zahlreichen Algonkin- und Irokesen-Gruppen
des Ostens oder die Pueblo-Indianer des Südwestens und
ihre einstigen Widersacher, die Apachen und Navaho, und
und und. Doch bei den Indianern Floridas wird auch der
Nordamerikanist kurz durchatmen und neben Seminolen
noch die Miccosukee zu nennen wissen. Obwohl der Frei-
heitskampf der Indianer Floridas dem der Plainsindianer
kaum nachstand, wurden sie doch selbst von der populär-
wissenschaftlichen Literatur in Deutschland weitgehend
Buchbesprechungen Amerika
außen vor gelassen. So ist es begrüßenswert, dass sich in
Nordamerika immer wieder einmal Ethnologen den ver-
schiedenen Gruppierungen der südöstlichen Halbinsel
widmen, wie die beiden Autoren des Florida Museum of
Natural History mit ihrer reichen Museumserfahrung, die
das vorliegende Buch über die Calusa gemeinsam erar-
beitet haben.
Angesiedelt in den Küstenregionen des südwestlichen
Floridas beeinflusste die reichhaltige Kultur dieser India-
ner im 16.-18. Jahrhundert auch etliche südöstliche Land-
striche der Halbinsel, und dies teilweise bis an die Atlan-
tikküste. Manche der östlich von ihnen ansässigen Einge-
borenengruppen waren ihnen sogar tributpflichtig, wie
diejenigen in der Gegend des heutigen Miami und der
südlichen Inselwelt, die als Florida Keys bekannt ist. Das
eigentliche Calusa-Gebiet umfasste Anfang des 17. Jahr-
hunderts mehr als 60 Dörfer, und zwar ohne diejenigen
indianischen Niederlassungen, die ihnen abgabenpflichtig
waren. Zentrum der Calusa-Region war das Land um die
heutige Stadt Fort Myers mit den Flüssen Peace, Myakka
und dem Caloosahatchee im südwestlichen Florida.
Ähnlich wie die Taino und Kalino Westindiens waren die
Calusa dem Meer zugewandt. Dass sie mit Erstgenannten
Kontakt gehabt haben müssen, zeigt der Hinweis Aarons,
der von Arawak-Sprachsplittern im Idiom der Calusa
schreibt (1990:10). Entsprechend den westindischen Indi-
anern waren die Calusa von alters her nicht nur Fischer
und Muschelsammler, sondern machten in geringem Um-
fang auch Jagd auf Wasserschildkröten und Wasservögel.
Darüber hinaus jagten sie Schalwild, diverse Nager und
weitere Kleintiere. Der pflanzlichen Ernährung dienten
vielerlei Gewächse bzw. deren Früchte. Anders als süd-,
zentral- und mesoamerikanische sowie westindische Indi-
aner haben die Calusa keine Pflanzen kultiviert, mögli-
cherweise bis auf eine Flaschenkürbis- und eine Papaya-
Art. Entgegen den umliegenden Ethnien haben sie auch
keinen Tabak (Nicotiana rustica) kultiviert (Seig 1971:9).
Entsprechend berichten MacMahon und Marquardt auch
nirgends in ihrem Buch über den Gebrauch von Tabak bei
den Calusa. Eine Abbildung zeigt lediglich einen Pfeife
rauchenden Fischer aus Kuba am Strand des südwestli-
chen Floridas im frühen 19. Jahrhundert (123). Nur allge-
mein wird darauf hingewiesen, dass im späten 18. Jahr-
hundert Indianer von Florida mit spanischen Kubanern
Handel trieben und dabei auch Tabak erhielten (122). Ne-
ben Holz und verschiedenen Pflanzenfasern zur Errich-
tung von Fallen, Wehren und Gehegen, zur Herstellung
von Behältern und Kultobjekten sowie insbesondere ih-
rer Lebensgrundlage, dem Kanu, nutzten die Calusa Mu-
schel- und Schneckenschale wie auch Geweih, Knochen
und Zahnbein zur Anfertigung von Jagd- und Fischereige-
räten, Werkzeug und Schmuck.
Wie die westindischen Ureinwohner gehörten auch die
Indianer Süd-Floridas zu den ersten Eingeborenengrup-
pen Amerikas, die mit den europäischen Eroberern in
Kontakt kamen. Und sie waren die letzten, die der frühen
Invasion der weißen Kolonisten erlagen. In den 1760er
Jahren verschwanden die Calusa infolge direkter und in-
direkter Ausrottung in die Geschichte (zum Begriff des
direkten und indirekten Genozids s. Schulze-Thulin 2005:
184-187). Ihre meerorientierte Wirtschaft wurde von ein-
gewanderten Florida-Bewohnern weitergeführt, zunächst
von spanischsprachigen Kubanern, später von Ankömm-
lingen aus europäischen Staaten, die sich ab 1776 allmäh-
lich Amerikaner nannten. Von den heutigen bekannten
Indianern Floridas, den bereits erwähnten Seminolen und
Miccosukee, die auch von den Verfassern am Rande be-
schrieben werden, haben höchstens Erstere noch etwas
Blut der Calusa in ihren Adern.
Wie bereits betont, erinnert vieles der materiellen und im-
materiellen Kultur der Calusa an die westindischen India-
ner. So ähnelten auch die Anlage ihrer Dörfer und Hütten
derjenigen der Taino und Kalino. Es gab sowohl große Ge-
meinschaftshäuser für mehrere Großfamilien mit bis zu 30
oder 40 Personen als auch solche Unterkünfte, in denen
eine einzige Großfamilie wohnte. Körperbemalung, eben-
falls die alltägliche, war üblich, die Kleidung minimal. Die
Calusa-Gesellschaft war in Notable und Gemeine geschich-
tet, erstere waren von körperlicher Arbeit befreit. Es gab
Medizinmänner und offenbar auch einen obersten „Pries-
ter“. Eine Art Kommunalwirtschaft existierte neben der
Individualwirtschaft. Die Führung lag in der Regel in
männlichen Händen, doch gab es auch Kazikas.
Die Autoren haben ihr Buch in insgesamt 17 Kapitel un-
terteilt. In ihnen werden nicht nur die kulturellen Hinter-
gründe der Calusa beleuchtet, sondern auch Umweltfra-
gen im Allgemeinen sowie die Tier- und Pflanzenwelt
Süd-Floridas im Besonderen ausführlich behandelt. Ab-
gesehen von einem gerafften Überblick über Geschichte
und Kultur der Calusa am Anfang der Publikation sowie
Einblicken in die Arbeit von Archäologen sind die ersten
neun Kapitel dem Leben am Rande des Ozeans gewid-
met, sowohl der vielfältigen Flora als auch der Fauna vom
Plankton bis zur Seekuh. Erst im letzten Abschnitt des 9.
Kapitels tauchen die Calusa wieder auf. Das zehnte Kapi-
tel enthält einen Überblick über die Kultur der angespro-
chenen Ethnie sowie einzelne Bereiche von besonderem
Interesse, wie Wirtschaftsfragen und Religionsgrundla-
gen. In den folgenden Passagen wird die Ingenieurkunst
im südwestlichen Florida beleuchtet, halten die Calusa
doch über w'eite Strecken künstliche Wasserstraßen ange-
legt sowie „Mounds“ hinterlassen, die allerdings nicht wie
diejenigen im nordöstlichen Nordamerika als Kultanla-
gen anzusehen sind, sondern als Bais für die erwähnten
großräumigen Wohnbauten, ähnlich südamerikanischen
Malocas, dienten. Das 12. Kapitel enthält das, was die Ca-
lusa an Kunstobjekten hinterlassen haben, wie Schnitze-
reien aus den oben genannten Materialien, vereinzelt
auch aus Metall von den spanischen Schiffswracks, wie
Gold und Silber, womit der Übergang zu den sich an-
schließenden drei Kapiteln gegeben ist, und zwar der eu-
ropäischen Entdeckungsgeschichte, der Fischerei wäh-
rend der Post-Calusa-Ära sowie den indianischen Grup-
pen im heutigen Süd-Florida. Das 16. Kapitel wird somit
der Seminolen-Miccosukee-Kultur gewidmet, und im 17.
und letzten Abschnitt werden Sehenswürdigkeiten für
Touristen, Literaturvorschläge, eine fünfseitige Biblio-
grafie sowie ein ungegliederter Index geboten.
Das Buch erfüllt alle Erwartungen, die an ein Sachbuch zu
stellen sind. Es informiert umfassend über eine bedeutsame
indianische Kulturlandschaft Floridas in ihrem Zusammen-
hang mit der Umwelt, der Geschichte und den heutigen
Gegebenheiten. Dazu tritt eine reichhaltige Bebilderung
mit SW- und Farb-Fotos, Grafiken, Auszügen aus alten Do-
269
___________TRIBUS 55,2006
kumenten und insbesondere auch den ansprechenden
Zeichnungen von Mcrald Clark. Das Buch ist ein Muss für
jedes ethnologisch ausgerichtete Museum und jede Institu-
tion zur Geschichte und Völkerkunde Amerikas.
Literatur
Aarons, George A.
1990 The Life and Times of the Lucayans; The First
Bahamians. Hrsg. v. Department of Archives,
Ministry of Education. Commonwealth of the
Bahamas. Nassau.
Schulze-Thulin, Axel
2005 Anmerkungen zur ethnologischen Grundla-
generforschung der Indianer des Christoph
Kolumbus (der ersten und zweiten Reise) -
Überblick und materielles Substrat. In: TRI-
BUS 54. Linden-Museum Stuttgart.
Seig, Louis
1971 Tobacco, Peace Pipes, and Indians. Palmer
Lake, CO.
Axel Schulze-Thulin
Quilter, Jeffrey / Hoopes, John W. (Hrsg.):
Gold and Power in Ancient Costa Rica, Pana-
ma, and Colombia. A Symposium at Dumbar-
ton Oaks 9 and 10 October 1999. Washington:
Dumbarton Oaks Research Library and Coll-
ection, 2003.429 Seiten mit SW-Abbildungen.
ISBN 0-88402-294-3
Der Band „Gold and Power...“ schließt inhaltlich an den
1992 erschienenen „Wealth and Hierarchy in the Interme-
diate Area“ an, beides aus einem Symposium in Dumbar-
ton Oaks hervorgegangene Publikationen. Ziel der neu
vorgelegten Publikation ist es, einerseits den gegenwär-
tigen Wissensstand über diese Region zusammenzufassen
und, andererseits, die von Mary Helms (1979) postulierten
und nach wie vor stark diskutierten Thesen zur Entstehung
unterschiedlicher Lokalstile erneut zur Diskussion zu stel-
len. Gleichzeitig bietet der Topos „Gold“ die Möglichkeit,
unterschiedliche Disziplinen zusammenzuführen und ihre
Forschungsergebnisse so zu einem größeren Ganzen zu
verbinden.
Quilter stellt in seiner Einführung den wesentlichen
Schwachpunkt jeder archäologischen Diskussion, die Län-
der Zentralamerikas und des nördlichen Andenraums be-
treffend, heraus: obwohl zahllose Goldobjekte die Vitrinen
in Museen und Privatsammlungen füllen, passen die wis-
senschaftlich ausgegrabenen Objekte (mit Ausnahme von
Sitio Conte in Panama) „auf einen großen Esszimmertisch“
(Quilter 2003:1).
Positiv sei schon hier zu vermerken, dass dieser Band we-
sentlich homogener ist als der letzte. Einer der wesent-
lichen Schwachpunkte des „Wealth and Hierarchy...“-
Bandes war, dass sich die Symposiumsteilnehmer noch
nicht einmal an ein einheitliches Konzept der so genannten
„Intermediate Area“ gehalten hatten. Dadurch entstand
ein etwas verwirrender Gesamteindruck, obwohl die ein-
zelnen Beiträge sehr qualitätvoll waren. Diesmal steht eine
klare Definition des betrachteten Gebietes im Vorder-
grund, die auch von vorne herein den größten Teil des andi-
nen Kolumbien mit einbezieht. Dies scheint einer der
Punkte zu sein, der die Sichtweise der kulturellen Zusam-
menhänge in dieser Region am stärksten verändert: Die
bisher als „Intermediate Area“, also als Zwischenzone zwi-
schen zwei bedeutenden Kulturräumen betrachtete Regi-
on wird zu einer „Isthmo-Colombian Area“ aufgewertet
(Kap. 2; Hoopes und Fonseca 2003:50). Das dominante Ele-
ment in diesem Gebiet ist die Verbreitung der Chibcha-
Sprache, die auch die geographischen Grenzen definiert: im
Norden das östliche Honduras, die Kernzone Costa Rica
und Panama und als südliche Grenze das Siedlungsgebiet
einer der größten chibcha-sprachigen Gruppen der präko-
lumbischen Zeit: das der Muisca im Hochland Kolumbiens,
mit seinem Zentrum auf dem „Altiplano Cundiboyacen-
se“, in der östlichen Kordillere. Diese Idee ist zwar nicht
grundlegend neu, denn sie wird schon von Bray (1984:322)
in seinem grundlegenden Artikel über die Beziehungen
des nördlichen Andenraumes zu Zentralamerika erstmals,
wenn auch in sehr vorsichtiger Form, vorgetragen. Er be-
nennt in diesem Artikel bereits eine „Isthmian-Colombian
interaction sphere“ (1984:308; 322), was aber nur zaghaft
aufgenommen und weiter getragen wird. Ein wirklicher
Schritt erfolgt erst in dem vorliegenden Beitrag von Hoo-
pes und Zamora.
Als in der religiösen Kunst kennzeichnende Elemente, ja
Leitmotive dieses neu definierten Kulturareals sehen Hoo-
pes und Zamora: den „meditierenden Schamanen“, die
„Spiralornamente“, den „doppelköpfigen Saurier“, die
„Greifvögel“, den „Krokodilmann“ und den „Fledermaus-
mann“. Hoopes und Zamora sehen ein „pan-Chibchan be-
lief System“, also ein übergreifendes Glaubensschema der
Chibcha, das in der angesprochenen Region lediglich regi-
onale, im Stil unterschiedliche Ausformungen bildet. Es
wären demnach nicht einzelne Stile, die es zu korrelieren
gilt, sondern das System mit einheitlichen Inhalten wäre zu
definieren, die Stile danach unter diesem Gesichtspunkt zu
untersuchen. Eine derartige Ansicht könnte die Betrach-
tungsweise dieser Region weitgehend verändern. Auffal-
lend an der Zusammenstellung der Leitmotive erscheint
der Autorin zudem, dass die meisten dieser Elemente auch
in der Ikonographie der Moche anzutreffen sind. In den
Sammlungen des Linden-Museums (und sicher nicht nur
dort) finden sich Moche-Keramiken, die dem „meditie-
renden Schamanen“, dem „doppelköpfigen Saurier“ sowie
dem „Fledermausmann“ zugehörig erscheinen.
Dieses von Hoopes und Zamora verfasste Kapitel steht an
zweiter Stelle des Symposiums-Bandes, erscheint jedoch
zentral für die gesamte Diskussion.
Das erste Kapitel (Saunders) als auch Kapitel 9 (Falchetti)
betrachten nicht die Objekte an sich, sondern sehen in ih-
rem Erscheinungsbild oder besser gesagt, in ihrer inneren
Struktur das Wesentliche: Saunders sieht im Glanz des
Goldes, Silbers, poliertem Stein und Ähnlichem den Spiegel
des Jenseits. Menschen, die Schmuck aus diesen Materialien
trugen, waren im Besitz des kosmischen Lichtes, der Schöp-
ferkraft, die durch das gleißende Licht sichtbar wird. Auch
Falchetti sieht bereits in der Herstellung von tumbaga oder
guanin, einer Gold-Kupferlegierung, die Verschmelzung
der Sonne (Gold) mit Blut (Kupfer). Gold steht gleichzeitig
für das Männliche, Kupfer für das Weibliche. Es geht bei der
270
Buchbesprechungen Amerika
Herstellung bestimmter Legierungen demnach um Pro-
zesse der Transformation, auf kosmologischen und biolo-
gischen Modellen basierend. Es sind Rituale, die die Konti-
nuität des Lebens und das Gleichgewicht des Universums
gewährleisten sollen. Implizit in den Studien, vor allem der
kolumbianischen Wissenschaftler, sind die grundlegenden
Arbeiten von Gerardo Reichel-Dolmatoff, die als Aus-
gangsbasis für ihre Überlegungen dienen.
Kapitel 4 (Snarskis) untersucht die kulturellen Einflüsse in
Costa Rica. Insbesondere der Übergang von Jadebearbei-
tung zur Herstellung von Goldobjekten steht im Zentrum
der Untersuchung. Snarskis bezieht an dieser Stelle auch
andere Aspekte mit ein: der um 500 n.Chr. beginnende und
um 800 n.Chr. vollendete Umschwung von Jade zu Gold ist
von einer Änderung der Siedlungsweise begleitet. Offen-
sichtlich führten bestimmte Ereignisse zu einem Abwen-
den vom Jade-Kult, der stark von Mesoamerika beeinflusst
war, und zur Hinwendung in Richtung zu den Kulturen des
nördlichen und möglicherweise sogar zentralen Anden-
raumes. Belegt ist dies durch Funde wie Kalkbehälter, die
zum Genuss von Coca benötigt werden, als auch eine Kera-
mik in Form eines Lamas. Die Gründe für diesen Um-
schwung sind nicht ganz klar, gingen jedoch wahrscheinlich
mit rückläufigen Entwicklungen im Mayagebiet einher,
wodurch die Handelsrouten für Jade unterbrochen wur-
den. Die ersten Goldobjekte kamen nach Ansicht Snarskis
über den Seeweg aus Nordkolumbien, dem so genannten
„Tairona-Gebiet“ der Sierra Nevada de Santa Marta. Die
Siedlungsweise in Costa Rica ähnelt ab diesem Zeitpunkt
sehr stark der Bauweise von Buritaca 200, einer größeren
Siedlung der Tairona-Kultur, an deren Goldobjekten Bray
(2003) Ähnlichkeiten mit Goldschmuck, der von der Atlan-
tikküste Costa Ricas stammt, feststellt. Es scheint demnach,
obwohl die Tairona-Kultur nach Ansicht Brays „in situ“
entstanden ist, bedeutende Kontakte nach Zentralamerika
gegeben zu haben.
Kapitel 5 (Fernández und Quintanilla) und 6 (Langebaek)
beschäftigen sich mit regionalen Ausformungen der „Isth-
mo-Colombian Area“, dem Diquis-Delta in Costa Rica
und einigen der bedeutendsten Kulturen Kolumbiens. Im
Diquis-Delta scheint es komplexe Gesellschaften gegeben
zu haben, belegt durch die Herstellung von Machtsymbolen
wie Steinskulpturen und Goldobjekten. Ob es auch Ansät-
ze zu einer Konzentrierung von Macht an einem bestimm-
ten Ort und damit eine Hierarchisierung der Siedlungen
gibt, ist bis jetzt nur eine Vermutung und kann noch nicht
endgültig belegt werden. Langebaek widmet sich den Kul-
turen Kolumbiens, am ausführlichsten den Muisca im
Hochland Kolumbiens. Er regt an, die Analyse von Gold-
objekten in einen breiteren sozialen Kontext zu stellen. So
weist er nach, dass die Verwendung von Goldobjekten in
der späteren Phase der Muisca (11. bis 16. Jh. n.Chr.) sehr
viel breiter angelegt war als in der Zeit davor. Insbesondere
die tunjos, kleine Votivfigürchen, die in Keramikvasen auf
Gräber gestellt wurden, schienen allen Bewohnern des
Muisca-Gebietes zugänglich gewesen zu sein.
Wer trug den Goldschmuck? Mit dieser Frage setzen sich
die Autoren der Kapitel 3 (Cooke et. Al.) und 8 (Bray) so-
wie 10 (Ibarra) auseinander. Eine einheitliche Antwort
darauf lässt sich nicht geben, aber es gibt zumindest in Pa-
nama ähnliche Annahmen wie bei den Muisca. In der
früheren Phase (vor 750 n.Chr.) scheint Goldschmuck in
Verbindung mit zeremoniellen Aktivitäten in Zusammen-
hang mit Feldbau und auch Schamanismus gestanden zu
haben. Das Tragen von Goldschmuck schien auf einige we-
nige Würdenträger beschränkt gewesen zu sein. Später
dann, nach 750 n.Chr., schien auch hier eine Art „Säkulari-
sierung“ eingesetzt zu haben, nach der Goldschmuck von
den meisten Männern (kaum Frauen) getragen werden
durfte. Hergestellt wurde der Schmuck wohl vor Ort, in
Codé und Veraguas, wo es große Produktionszentren gege-
ben haben muss. Bray vergleicht die Verwendung von
Goldobjekten bei den rezenten Kogi mit den archäolo-
gischen und ethnohistorischen Informationen über die Tai-
rona-Kultur. Noch heute verwenden die Kogi archäolo-
gische Goldobjekte bei ihren Ritualen, die von den
Priestern abgehalten werden, ln präkolumbischer Zeit
schienen sowohl die mohanes. die Priester, als auch die ca-
ciques. die Häuptlinge, Goldschmuck verwendet und beses-
sen zu haben, allerdings unterschiedlichen. Ibarra sieht bis
zum Beginn des 20. Jahrhunderts die Verwendung von
Goldobjekten. Sie unterscheidet zwischen rituellen, mone-
tären und reinen Schmuckobjekten.
Graham unternimmt in Kap. 7 den Versuch nachzuweisen,
dass die doppelgeschlechtlichen Figuren Darstellungen
von Ursprungsmythen sind.
Insgesamt stellt der Band einen reichhaltigen Fundus für
alle an der Isthmo-Kolumbianischen Region Interessier-
ten dar. Sowohl die neuesten archäologischen Erkennt-
nisse, als auch ethnohistorische und ikonographische Er-
gebnisse sind in dieses Symposium eingeflossen. Die
Vielfalt an Motiven, die für dieses Kulturareal stehen,
sollte jedoch nicht über die wahrscheinlich zutreffende
These hinwegtäuschen, dass der Ikonographie der religi-
ösen Kunst dieser Region ein einziges, gemeinsames reli-
giöses Konzept hinterlegt ist. Auffallend ist weiterhin,
dass es zwischen 500 n.Chr. und 1000 n.Chr. in der gesam-
ten Region eine Wandlung von eher auf kleine, aber
mächtige Eliten ausgerichtete Gesellschaften hin zu we-
sentlich stärker geschichteten Einheiten gekommen ist. In
Zentralamerika findet eine Abwendung von Mesoameri-
ka hin zum nördlichen und zentralen Andenraum statt.
Allen Interessierten sei dieser Band, nicht zuletzt seines
umfassenden Informationsgehaltes und der neuen Er-
kenntnisse wegen, empfohlen. Die ausführlichen Litera-
turlisten, die auch ältere, bedeutende Publikationen wie-
der aufnehmen, runden das positive Bild ab.
Literatur
Bray, Warwick
1984 Across the Darien Gap: A Colombian View of
Isthmian Archaeology. In: The Archaeology of
Lower Central America (Frederick W. Lange
and Doris Z. Stone, eds.): 305-403. Academie
Press, London
Helms, Mary W,
1979 Ancient Panama: Chiefs in Search of Power.
University of Texas Press, Austin.
Lange, Frederick W. (Ed.)
1992 Wealth and Hierarchy in the Intermediate
Area. A Symposium at Dumbarton Oaks, lOth
and 1 Ith October 1987. Dumbarton Oaks,Trus-
tees for Harvard University, Washington D.C.
Doris Kurelia
271
TRIBUS 55,2006
Taylor, Colin F. / Dempsey, Hugh A. (coor-
DIN. / ED.):
The People of the Buffalo. Vol. 1: The Plains In-
dians of North America - Military Art. Warfare
and Change. Essays in Honor of John C. Ewers.
Wyk a. E: Tatanka Press (Dietmar Kuegler),
2003. 183 Seiten, zahlreiche SW- und Farb-Ab-
bildungen. Karten, Zeichnungen.
ISBN 3-89510-101-X
Hinter dem Titel des ersten Bandes dieser Reihe verbirgt
sich eine sehr interessante und vielschichtige Zusammen-
stellung von Beiträgen namhafter Autoren. Im Mittel-
punkt steht das Lebenswerk von John C. Ewers (t), dem
das Buch auch gewidmet ist.
Die insgesamt sechzehn Abhandlungen sind in sechs Ab-
schnitten oder Kapiteln untergebracht. Nach einem Vor-
wort von Bill Holm, insbesondere als profunder Kenner
der Nordwestküstenkulturen bekannt, sowie einer An-
merkung der Koordinatoren und Herausgeber Colin F.
Taylor (t) und Hugh A. Dempsey folgt im ersten Kapitel
mit der Überschrift „Researching the Plains Indians“ ein
Nachruf auf den herausragenden Kenner der Plainsindia-
ner John C. Ewers (1909-1997), verfasst von Taylor, sowie
ein Bericht von Dempsey über seine 45-jährige Freund-
schaft mit Ewers.
Aus der Feder des Letztgenannten stammt der sich an-
schließende Artikel „Military Art of the Plains Indians“,
der auch gleichzeitig den zweiten Abschnitt des Werkes
ausmacht. Das dritte Kapitel enthält dann wieder mehr,
nämlich fünf Beiträge, die unter „Warfare: History.Tactics
and Pictography“ zusammengefasst wurden. Vor dem
Hintergrund des Omaha-Rendezvous beleuchtet Kings-
ley M. Brav die Bedeutung des intertribalen Wirtschafts-
verkehrs für die Plainsindianer insgesamt. Castle
McLaughlin befasst sich anschließend mit den bekannten
und unbekannten Fakten der Mandan-Robe, die von Le-
wis und Clark erworben wurde (s. hierzu die Rezension
„Arts of Diplomacy - Lewis & Clark’s Collection“ in die-
sem TRIBUS-Band). Raymond J. DeMallie und Douglas
R. Parks fassen die Kriegführung der Plainsindianer zu-
sammen und Äke Hultkrantz beschreibt zusammen mit
Christer Lindberg die letzten Gefechte zwischen Schwarz-
fuß-lndianern (Blackfeet) und Schoschonen, wie sie in
der Erinnerung der letztgenannten Indianer und einiger
Trapper fortleben. David Fridtjof Haiaas und Andrew E.
Masich beschließen diesen Buchabschnitt mit einem ein-
gehenden Blick auf die farbigen Notizbuch(ledger book)-
Zeichnungen der Cheyenne (zum allgemeinen Hinter-
grund s. Schulze-Thulin 1973:29 ff).
Der vierte Abschnitt ist mit „Symbolismus“ überschrie-
ben. Er beginnt mit einem Aufsatz von Winfield Coleman
über das Wesen der Berdache bei den Cheyenne. Der Ver-
fasser spricht in diesem Zusammenhang von „schamanis-
tischem Symbolismus“. Leider ist die Gleichsetzung von
Medizinmann(frau)wesen und Schamanismus weit ver-
breitet. Daher weise ich auch hier wieder wie an anderer
Stelle im Bereich der Urgeschichte darauf hin, dass die
beiden erwähnten Termini nicht unterschiedslos ge-
braucht werden dürfen. In der Region der High Plains
war das Medizinmannwesen immer zugegen, nicht jedoch
der Schamanismus. Natürlich ist das eine Definitionsfra-
ge. Äke Hultkrantz, der sich im Hinblick auf nordameri-
kanische Indianer besonders um Religionsbelange ge-
kümmert hat, hinterließ oftmals auch einen etwas ver-
schwommenen Eindruck in dieser Frage. Unter Umstän-
den können die Arapaho mit schamanistischen Riten in
Zusammenhang gebracht werden. Dies würde im Kontext
mit ihrer nordöstlichen Herkunft stehen. - Im sich an-
schließenden Beitrag von Imre Nagy ist viel vor dem Hin-
tergrund der Schilde und Visionen der Cheyenne über
deren Heraldik zu erfahren. Paul Raczka berichtet da-
nach über die Olikiniksi der Schwarzfuß, das heißt über
die mit „Medizin“ ausgestatteten Gehänge, meist in Form
von Tierbälgen mit angeheftetem Zierrat.
Das fünfte Kapitel „Memories and Change“ wird mit
einem Beitrag von George P. Horse Capture, mit dem der
Rezensent in früheren Jahren bekannt wurde, eröffnet. Er
schreibt über die Weidenstockpferde der nördlichen
Plainsindianer, in erster Linie Spielzeug, das jedoch si-
cherlich auch erzieherischen Wert besaß. Hier wie auch
anderenorts werden persönliche Zusammenkünfte, Ge-
spräche und Treffen mit John C. Ewers erzählt. So eben-
falls von Barbara Feezor Buttes, die eine Arbeit über
Mdewakanton-Frauen (Dakota-Gruppe, ursprünglich in
Minnesota beheimatet) verfasst hat und in dem vorlie-
genden Buch einige Auszüge unter Einbeziehung blu-
miger Perlenmuster wiedergibt. Im Anschluss berichtet
Richard A. Pohrt über ein bemaltes Tipi der Gros Ventre,
Carling I. Malouf über den Hidatsa Bear-In-The-Water
und Joseph Medicine Crow über „Coup Zählen“ und
„Pferde Stehlen“.
Im Anhang werden Hinweise und Erklärungen zu den
Abbildungen gegeben, wobei sich Bill Holm auch als Il-
lustrator „outet“. Wertvoll sind insbesondere die fol-
genden Kurzbiografien der Autoren sowie ein Namens-
und Sachregister.
Dem Verleger Dietmar Kuegler gebührt Lob und Dank,
dass er diese instruktive Zusammenstellung verschie-
dener Artikel „unter einem Dach“ verlegerisch betreut
hat. Das „Dach“ bilden vor allem die Einblicke in die Ar-
beit von Ethnologen und hier insbesondere in das Le-
benswerk von John C. Ewers. Auch die zahlreichen Abbil-
dungen, etliche in Farbe, sind hinsichtlich ihres Informati-
onsgehaltes wertvoll. Alles in allem ein Buch, das in jede
größere Bibliothek, vor allem in solche von völkerkund-
lichen und historischen Institutionen gehört.
Literatur
Schulze-Thulin, Axel
1973 Indianische Malerei in Nordamerika 1830 bis
1970 - Prärie und Plains, Südwesten, Neue In-
dianer. Linden-Museum Stuttgart
Axel Schulze-Thulin
272
Buchbesprechungen Südasien
Buchbesprechungen Südasien
Sibeth, Achim;
Vom Kultobjekt zur Massenware. Kulturhis-
torische und kunstethnologische Studie zur
figürlichen Holzschnitzkunst der Batak in
Nordsumatra/ Indonesien (Sozioökonomische
Prozesse in Asien und Afrika, Bd. 8). Herbolz-
heim: Centaurus, 2003. 416 Seiten mit 59 SW-
Fotos.
ISBN 3-8255-0415-8
Es ist ein in jeder Hinsicht gewichtiges Buch, das Achim
Sibeth, Kustos der Südostasienabteilung am Museum der
Weltkulturen in Frankfurt am Main, mit der nun gedruck-
ten Dissertation vorlegt. 1981 war der Verfasser ein erstes
Mal bei den Batak, damals noch als Tourist. Die als „Alt-
indonesier“ klassifizierten Batak im Norden Sumatras
umfassen sechs Untergruppen: Mandailing, Angkola,
Toba, Pakpak/Dairi, Simalungun und Karo; sie unter-
scheiden sich in vielerlei Hinsicht, wobei sie offensichtlich
alle als ihr gemeinsames Ursprungsgebiet den Tobasee
angeben; dieser befindet sich auf rund 1000 Meter Höhe,
im Krater eines vor rund 75.000 Jahren entstandenen Vul-
kans. Sibeth hat sich seit seinem ersten Besuch bei den
Batak auf vielfältige Weise mit dieser keineswegs einheit-
lichen Bevölkerungsgruppe (sofern man überhaupt von
der Ethnie der Batak sprechen kann) auseinander gesetzt;
bibliographisch (man kann Sibeth wohl als einen der her-
vorragendsten Kenner der historischen Literatur über die
Batak bezeichnen), im Rahmen von mehreren mehrwö-
chigen Feldaufenthalten, während mehrjähriger Samm-
lungsbearbeitungen im Linden-Museum und schließlich
auch mittels Ausstellungen, zuerst im Linden-Museum,
dann, ab 1990 im Museum für Völkerkunde (dem heu-
tigen Museum der Weltkulturen) in Frankfurt am Main.
Bevor er seine Dissertation rund 20 Jahre nach seiner ers-
ten Bekanntschaft mit den Batak einreichte bzw. promo-
vierte, hatte Sibeth bereits eine Reihe von viel beachteten
Katalogen und Artikeln publiziert. Das Buch bildet in vie-
lerlei Hinsicht eine Synthese seiner kunstwissenschaft-
lichen, museologischen und ethnologischen Arbeiten.
Gewichtig ist das Buch, abgesehen von seinem Umfang,
auch hinsichtlich des weit gespannten Inhalts, der be-
redtes Zeugnis von den profunden Kenntnissen des Ver-
fassers ablegt. Obwohl im Mittelpunkt die aus der Muse-
umsarbeit hervorgegangene Beschäftigungmit materiellen
Kunstwerken, vor allem der figürlichen Holzschnitzkunst,
steht, hat sich Sibeth ebenfalls ausführlich mit der Ge-
schichte und der Kultur der Batak auseinandergesetzt,
auch hinsichtlich des Tourismus und der damit einher ge-
gangenen Funktionsveränderung der ehemaligen Ritual-
gegenstände zu Souvenirs. Entsprechend diesem breiten
inhaltlichen Bogen ist das Buch aufgebaut: Nach einer
Einleitung gibt der Verfasser einen Überblick über die
Geschichte der Batak, die, wenigstens was schriftliche
Quellen betrifft, etwa im 10. Jahrhundert mit reisenden
arabischen Geographen beginnt, sich dann während der
Kolonial- und Missionierungszeit - die Batak sind heute
Christen - verdichtet; erst aus dieser Zeit stammen die
ersten ausführlicheren Kulturbeschreibungen. Die Skiz-
zierung von Gesellschaft, Verwandtschaft, Wirtschaft so-
wie die geistigen und materiellen Grundlagen - etwa die
eindrücklichen Häuser der Batak - führen hin zu den re-
ligiösen Grundlagen, den Götter-, Seelen- und Geister-
vorstellungen sowie dem Totenkult, der Batak-Kunst. Eng
damit verbunden waren die Spezialisten, „Zauberpries-
ter“, datu, welche für Praktiken zuständig waren, die so-
wohl das Leben erhalten als auch solche, die es vernichten
(je nach Kontext) und für die Wahrsagerei. Darin spielten
die Ritualgegenstände, vor allem die figürliche Holz-
schnitzkunst, denen das dritte Kapitel gewidmet ist, eine
zentrale Rolle; sie bildeten gleichzeitig Kultobjekt und
Kultsubjekt, d.h. sie waren belebte Wesen. Sibeth hat die
Holzschnitzkunst nach musealen bzw. kunstanalytischen
Kriterien (z.B. „vollplastische Darstellung der mensch-
lichen Gestalt“, „Figürliche Darstellungen an Zeremoni-
algeräten“, „Figurenschmuck an Objekten des Alltags“)
gegliedert. In logischer Konsequenz folgt eine Stilanalyse
und Ikonographie der Objekte am Beispiel der wichtigs-
ten Sammlungen (und ihrer Sammlerpersönlichkeiten);
tatsächlich tragen viele der gesammelten Objekte nur die
rudimentäre Herkunftsbezeichnung „Batak“ und eine ge-
nauere Zuordnung fehlt in vielen Fällen bis auf den heu-
tigen Tag. Dieses Kapitel bildet das Kernstück des Buches,
um das herum sich die anderen Kapitel gruppieren; in ihm
zeigt sich am deutlichsten das Selbstverständnis des Ver-
fassers von Ethnologie bzw. Kunstethnologie sowie sein
Bemühen um die Dokumentation und Erforschung der
erhalten gebliebenen kulturellen Objekte,
Im vierten Kapitel findet ein abrupter Themenwechsel
statt, indem sich Sibeth zuerst mit dem Verhältnis von
Ethnologie und Tourismus auseinander setzt, dann dem
Batakbild in Reiseführern nachspürt und schließlich nach
den „Auswirkungen“ des Tourismus fragt und die damit
verbundenen Probleme aufzeigt. Dann wird jedoch klar,
warum das Thema Tourismus überhaupt eingeführt wur-
de: Im Umfeld des Tourismus hat die Batakkunst ihre
(vorläufig) letzte Umformung erfahren, also das, was
schon im Titel der Arbeit angesprochen ist; Massenware,
also Kunst, die zum Souvenir geworden ist. Diesem The-
ma ist das fünfte Kapitel gewidmet. Das sechste Kapitel
ist ein Resümee, in welchem der Verfasser prägnant die
einzelnen Phasen externer Beeinflussung zusammenstellt,
denen die Batak-Kultur und ihre Schnitzkunst ausgesetzt
waren und die dadurch einen entsprechenden Wandel er-
fahren haben: Von der, wie es an verschiedenen Stellen
heißt, „authentischen“ Kultur über Kolonisierung. Missio-
nierung, Indonesisierung, bis hin zum Tourismus.
Insgesamt betrachtet handelt es sich um ein eindrückli-
ches museumsethnologisches Werk, das die Objekte in
einem kulturellen und vor allem historischen Kontext ver-
ankert und Wandel aufzeigt. Was manchmal „altvaterisch“
wirkt, ist die Tatsache, dass Sibeth implizit ein Bild von
authentischen „Ur-Batakern“ vermittelt, die durch nie-
derländische Kolonisierung, christliche Missionierung,
Indonesisierung (kommt noch am besten weg) und Tou-
ristifizierung von ihrer eigentlich Kultur sozusagen weg
geführt, d.h. dem Wandel „unterworfen“ wurden. Das be-
ginnt schon damit, dass er der Batak-Kultur eine gesell-
schaftliche Einheit und eine bis zur Kolonialzeit nahezu
unveränderte Identität zuschreibt, die irgendwo in einer
273
___________TRIBUS 55,2006
grauen Vorzeit begonnen hat und mehr oder weniger
konstant geblieben ist. So schreibt er (S. 20):“ Man nimmt
an, dass sie [die Batak als Teil der „Altindonesier“] nach
Beendigung der Eiszeit in den letzten Jahrtausenden vor
der Zeitenwende aus Zentralasien gekommen sind.“ Und
an anderen Stellen ist von „Kulturverlust“ (z.B. S. 355) die
Rede. Insgesamt ist die Arbeit rückwärts gerichtet. Ge-
sellschaft und Verwandtschaft (und auch anderes) werden
so beschrieben, wie sie vor 50,80 oder 100 Jahren als Pra-
xis gelebt wurden. Leider kommen heutige Männer und
Frauen kaum zu Wort, vor allem nicht bezüglich der kul-
turellen Veränderung und auch hinsichtlich ihrer Einstel-
lung zu den früheren Kultobjekten. Sprechen auch sie von
„Kulturverlust“? Die Menschen werden dadurch, unbe-
absichtigt, zu Objekten gemacht, denen kaum eine Hand-
lungsfähigkeit zuerkannt wird; sie werden in einer weitge-
hend passiven Opferrolle dargestellt. Ob die Batak dies
auch tatsächlich so sehen? So haftet dem Buch etwas Nos-
talgisches, aber auch Verklärendes an, das neuere Ent-
wicklungen in der Ethnologie nur am Rande zur Kenntnis
genommen hat.
Brigitta Hauser-Schäublin
Anschriften der Mitarbeiter von TRIBUS 55, 2006
Bliss, Prof. Dr. Frank, Bliss & Gaesing, Sinziger Str. 4, D-53424 Remagen
Brandt, Dr. Klaus X, Linden-Museum Stuttgart. Hegelplatz 1, D-70174 Stuttgart
Cipolletti, Priv.Doz. Dr. Maria Susana, Weinbergstr. 6, D-53227 Bonn
Dreyer, Anatol, Linden-Museum Stuttgart, Hegelplatz 1, D-70174 Stuttgart
Forkl, Dr. Hermann, Linden-Museum Stuttgart, Hegelplatz 1, D-70174 Stuttgart
Gaenszle, Prof. Dr. Martin, Südasien-Institut der Universität,
Im Neuenheimer Feld 330, D-69120 Heidelberg
Habighorst, Prof. Dr. med. Ludwig V., Neuendorfer Str. 22, D-56070 Koblenz
Hahn, Prof. Prof.E. Dr. Dr.h.c. Roland, Universität Stuttgart,
Institut für Geographie, Azenbergstr. 12, D-70174 Stuttgart
Harms, Dr. Volker, Universität Tübingen, Institut für Ethnologie,
Schlossburgsteige 11, D-72070 Tübingen
Hauser-Schäublin, Prof. Dr. Brigitta, Institut und Sammlung für Völkerkunde der
Universität,Theaterplatz 15, D-37073 Göttingen
Heermann, Dr. Ingrid, Linden-Museum Stuttgart, Hegelplatz 1, D-70174 Stuttgart
Heißenbüttel, Dr. Dietrich, Kernerstr. 11, D-70182 Stuttgart
Kalka, Dr. Claudia, Manhagener Allee 64, D-22926 Ahrensburg
Knöpfle, Ursula, Linden-Museum Stuttgart, Hegelplatz 1, D-70174 Stuttgart
Knüppel, Dr. Michael, Seminar für Turkologie und Zentralasienkunde
der Universität, Waldweg 26, D-37073 Göttingen
Kreisel, Dr. Gerd, Linden-Museum Stuttgart, Hegelplatz 1, D-70174 Stuttgart
Kurella, Dr. Doris, Linden-Museum Stuttgart, Hegelplatz 1, D-70174 Stuttgart
Luttmann, Ilsemargret, Karpfangerstr. 5, D-20459 Hamburg
Michel, Prof. Dr. Thomas, Linden-Museum Stuttgart, Hegelplatz 1,
D-70174 Stuttgart
Otto-Hörbrand, Martin, Linden-Museum Stuttgart, Hegelplatz 1, D-70174 Stuttgart
Schäfer, Dr. Rita, M.A., Daimlerstr. 5, D-45133 Essen
Schiede, Dr. Sonja, Linden-Museum Stuttgart, Hegelplatz 1, D-70174 Stuttgart
Schmidt, Dr. Bettina, Theology Faculty Centre, 41, St. Giles, Oxford 0X1 3LW / UK
Schulze-Thulin, Dr. Axel, Franz-Liszt-Str. 3, D-85391 Allershausen
Stelzig, Dr. Christine, Museum der Weltkulturen, Abt. Afrika, Schaumainkai 29-37,
D-60594 Frankfurt am Main
Stifel, Florian, M.A., Plochinger Str. 156, D-73730 Esslingen
Zahorka, Herwig MSc, II. Bondongan, Puri Mas C27, Bogor 16131 / Indonesien
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