TRIBUS
Zeitschrift
6621
58
SDEN-MUSEUM STUTTGART
AATLICHES MUSEUM FÜR VÖLKERKUNDE
JAHRBUCH
BAND 58 - 2009
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TRIBUS - Jahrbuch des Linden-Museums Stuttgart
TRIBUS
JAHRBUCH DES LINDEN-MUSEUMS
Nr. 58 - September 2009
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LINDEN-MUSEUM STUTTGART
STAATLICHES MUSEUM FÜR VÖLKERKUNDE
Stuttgart 2009
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Herausgeber;
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Linden-Museum Stuttgart
Staatliches Museum für Völkerkunde
Hegelplatz 1, D-70174 Stuttgart, Germany
Redaktion: Dr. Doris Kurella, Dr. Uta Werlich,
Martin Otto-Hörbrand
Redaktionsassistenz
und Koordination: Elfie Höfling
Fachbezogene
Beratung: Abteilungsreferenten des Linden-Museums Stuttgart
Fotos des
Linden-Museums: Anatol Dreyer
Die Verfasser der Aufsätze und Buchbesprechungen sind für den Inhalt ihrer
Beiträge allein verantwortlich.
Redaktionsschluss jeweils 1. April
Titelbild; Stickerei-Applikation der Miao für Jackenärmel (Ausschnitt)
Indigogefärbte Baumwolle mit roter Seidenstickerei.
L 90,0 cm; B 105,0 cm.
China, Provinz Guizhou. Ortschaft Shidong, 1980er Jahre.
Inv.-Nr. OA 25.778 L.
Druck: VeBu Druck + Service e.K., Bad Buchau
Copyright: Linden-Museum Stuttgart
September 2009
ISSN 0082-6413
Inhaltsverzeichnis
JAHRESBERICHT
Bericht des Vorstands 7
Jahreshöhepunkte
Sonderausstellungen, Veranstaltungen 15
Kooperationen
Leihnahmen, Leihgaben 24
Sanimlungszugänge im Jahr 2008 des
Afrika-Referats (Hermann Forkl), Lateinamerika-Referats (Doris Kurelia),
Nordamerika-Referats (Sonja Schiede), Ostasien-Referats (Uta Werlich)
und Ozeanien-Referats (Ingrid Heermann) 29
Berichte aus den Arbeitsbereichen
Wissenschaftliche Referate, Restaurierung (Ulrike Bunte),
Bibliothek (Günter Darcis), Dokumentation (Iris Müller, Doris Kurella),
Museumspädagogik (Sonja Schiede), Öffentlichkeitsarbeit
(Martin Otto-Hörbrand) 41
Organisationsplan 62
Jahresbericht 2008 der Gesellschaft für Erd-
und Völkerkunde zu Stuttgart e.V. (Roland Hahn) 63
Korrektur zum Nachruf Dr. med. Ernst Haaf, Tribus 57,2008 66
Nachruf
Bodo Spranz (1920-2007) (Berthold Riese) 67
WISSENSCHAFTLICHER TEIL
Aufsätze
Robertshaw, Peter: Chemical Analysis of Glass from Nupe, Nigeria 83
Schelnberger, Antonia; Vom Nordrand der Welt:
Die Sammlung Henry G. Bryant im Linden-Museum Stuttgart 97
Sassmann, Manuel: Eine buddhistische Votiv-Stele und
ihr religiöser Kontext Ul
Theobald, Ulrich: Selbstinszenierung im Kleinen; In Lack geschnitzer
Lobpreis an Ruhm und Größe der Qing-Dynastie 117
Bautze, Joachim K.: Samuel Bourne und die ihm zugeschriebenen
Fotografien zweier Heiligtümer in Ellora und Ajanta 125
Kurzmann, Peter: Funktionales islamisches Glas im Linden-Museum 137
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TRI BUS 58,2009
Rezensionen
Allgemein
Simon, Artur: Ethnomusikologie. Aspekte, Methoden und Ziele.
Mit Bildern und Notenbeispielen (L.-Ch. Koch) 163
Afrika
Fardon, Richard; Stelzig, Christine: Column to Volume:
Formal Innovation in Chamba Statuary (J.-L. Grootaers) 164
Marx, Annegret; Neubauer, Alexandra: Steh auf und geh
nach Süden - 2000 Jahre Christentum in Äthiopien (E. Biaso) 165
Fardon. Richard; Fusions. Masquerades andThought Style East
of the Niger-Genue Confluence, West Africa (U. Röschenthaler) 167
Stelzig, Christine: Afrika am Museum für Völkerkunde
zu Berlin 1973 - 1919. Aneignung, Darstellung und Strukturen
eines Kontinents (D. Heißenbüttel) 169
Dohrmann, Alke: Die Ensete-Gärten der Hadiyya in Süd-Äthiopien.
Kulturelle Bedeutungen einer Nahrungspflanze (D. Bustorf) 170
Heissenbüttel, Dietrich: Ungleiche Voraussetzungen.
Zur Globalisierung der Künste (H. Forkl) 171
Lateinamerika
Evans, Susan T; Pillsbury, Joanne (Editors): Palaces of
the Ancient New World. A Symposium at Dumbarton Oaks lOth and
1 Ith October 1998 (D. Kurella) 174
Orient
Frembgen, Jürgen Wasim: Am Schrein des roten Sufi. Fünf Tage
und Nächte auf Pilgerfahrt in Pakistan (A. Krämer) 177
Sibirien
Boden, Jürgen E; Myrell, Günter (Hrsg.): Im Bannkreis
des Nordens. Auf den Spuren der Entdecker in die faszinierenden Welten
des Polarkreises (E. Kasten) 178
Südasien
Berger, Peter; Füttern, Speisen und Verschlingen. Ritual und
Gesellschaft im Hochland Orissa, Indien (S. Faller) 180
Anschriften der Mitarbeiter dieser Ausgabe. TRIBUS 58 183
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Bericht des Vorstands für das Jahr 2008
Das Jahr 2008 war für das Linden-Museum ein sehr bewegtes Jahr, sowohl was das
Sonderausstellungsprogramm als auch die internen Umstrukturierungen anging.
Der Beginn des Jahres stand ganz unter dem Zeichen unserer Ausstellung „Von
Kapstadt bis Windhuk“, die sich mit der deutschen Kolonialgeschichte im südlichen
Afrika auseinandersetzte, gleichzeitig aber auch einen fundierten Einblick in die
Kultur einiger im heutigen Namibia beheimateter Gruppen bot. Dieser Ausstellung
folgte im Sommer „Grönland-Inuit: Leben am Rande der Welt“, eine Ausstellung die
nicht nur die Lebensweise der Inuit vorstellte, sondern sich auch mit den Auswir-
kungen des Klimawandels auseinandersetzte. Während der Laufzeit dieser beiden
Ausstellungen waren bereits intensive Vorbereitungen zu „Schamanen Sibiriens -
Magier, Mittler, Heiler“ im Gange. Diese Ausstellung war das größte Ausstellungs-
projekt im Linden-Museum seit „Zeit der Buddhas“ im Jahre 1999. Der Umfang und
Aufwand der Ausstellung forderte unsere Mitarbeiter auf das Stärkste und zeigte
erneut, wie dünn die Personaldecke des Hauses ist. Dennoch entstand durch uner-
müdlichen Einsatz eine anspruchsvolle und sehr ansprechende Ausstellung, die
pünktlich durch den Ministerpräsidenten Günther H. Oettinger und den russischen
Generalkonsul Vladimir G. Lipaev eröffnet werden konnte. Allen an der Ausstellung
beteiligten Mitarbeitern sei an dieser Stelle nochmals herzlich gedankt!
Die Konzeption der Ausstellung wurde in Zusammenarbeit mit unserem Koopera-
tionspartner, dem Russischen Ethnografischen Museum in St. Petersburg, entwi-
ckelt, das uns - vielen Dank auch hier - die umfangreichen Leihgaben kostenfrei zur
Verfügung stellte.
Parallel zu unserem Ausstellungsbetrieb fand ein Strategieprozess statt, der unter
dem Titel „Aufbruch 2011“ unter Einbeziehung unterschiedlicher Arbeitsbereiche
sowie einer internationalen Expertengruppe neue Ideen für das Linden-Museum
entwickelte. Unter anderem wurde auch das unter Mitwirkung aller Mitarbeiter vor
einigen Jahren begonnene Leitbild fertig gestellt und formuliert:
Leitbild des Linden-Museums Stuttgart
1. Wir sind ein Völkerkundemuseum. Wir betrachten alle Kulturen als gleichwertig.
2. Wir übernehmen Verantwortung für das kulturelle Gedächtnis der Menschheit.
3. Unsere Sammlungen sind unsere Herausforderung und unser Ansporn.
4. Wir stellen die Vielfalt menschlicher Kultur dar und verwirklichen die unmittel-
bare, sinnliche wie intellektuelle Begegnung mit originalen Objekten.
5. Wir sensibilisieren für die Dynamik kultureller Prozesse und die Welt von ges-
tern, heute und morgen.
6. Wir fördern aktiv die Begegnung und den Dialog zwischen Menschen verschie-
dener Kulturen.
7. Unsere Besucher beleben unser Museum. Wir machen unser Museum für die
Besucher attraktiv.
8. Wir sind aktiver Partner - weltweit und lokal.
9. Wir sind ein Team, das gemeinsam Ziele realisiert.
10. Wir verändern unser Museum.
Weiterhin entwickelten die Teilnehmer der Arbeitsgruppen ein Gesamtkonzept,
das zahlreiche bestehende Probleme des Hauses aufgriff und Lösungsvorschläge
entwickelte. Das neue Gesamtkonzept sieht unter anderem perspektivisch die Um-
gestaltung der Dauerausstellungen und die Verbesserung der Außenpräsentation
des Hauses vor. Hier soll vor allem die Außengestaltung verbessert werden, um die
Lage am verkehrsreichen Hegelplatz besser zu nutzen und das Museum für Besu-
cher einladender zu machen. Dieser Abschnitt ist, zusammen mit der Neugestaltung
des Foyers und Treppenhauses sowie der Einführung eines Besucherleitsystems, für
die Jahre 2009 und 2010 projektiert.
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TRIBUS 58,2009
Einführung des Landesbetriebes
Einen bedeutenden Einschnitt für das Linden-Museum stellte die Umwandlung in
einen Landesbetrieb nach § 26 LHO zum 1. Januar 2009 dar. Damit einher ging die
Umstellung des Kassen- und Rechnungswesen von der Kameralistik auf die kauf-
männische doppelte Buchführung. Zum Ende des Geschäftsjahres hatte das Linden-
Museum erstmals unter entsprechender Anwendung der für große Kapitalgesell-
schaften geltenden Regelungen des HGB einen Jahresabschluss, bestehend aus der
Bilanz und der Gewinn- und Verlustrechnung sowie eines Lageberichts aufzustellen.
Als Landesbetrieb wird das Museum von einem Vorstand geleitet, der zurzeit aus
dem Wissenschaftlichen Direktor, der Stellvertretenden Wissenschaftlichen Direk-
torin und dem Kaufmännischen Direktor besteht. Die endgültige Vorstandsstruktur
wird in dem noch vom Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-
Württemberg zu erlassenen Finanz- und Betriebsstatut festgelegt werden.
Kooperationen
Das Jahr 2008 war für das Linden-Museum im Hinblick auf Kooperationen mit
anderen Häusern ein besonderes Jahr. Neben der Zusammenarbeit mit dem Rus-
sischen Ethnografischen Museum St. Petersburg, die sich in verschiedenen Arbeits-
bereichen weiter fortsetzen soll, kam vor allem die Partnerschaft mit den großen
Völkerkundemuseen Europas zum Tragen. Ein gemeinsam bei der Europäischen
Union beantragtes Projekt, das unter der Bezeichnung „Reseau International des
Musées d’Ethnographie“ (kurz: RIME) geführt wird, wurde bewilligt. Bereits im
Herbst 2008 begann die Umsetzung mit einem ersten Initialtreffen, bei dem der Pro-
jektablauf festgelegt und die wissenschaftlichen Workshops eingerichtet wurden. An
diesem auf fünf Jahre geplanten Vorhaben sind folgende Museen beteiligt:
Musée royal de l’Afrique centrale deTervuren (B)
Rijksmuseum voor Volkenkunde, Leiden (NL)
Musée du Quai Branly, Paris (F)
Pitt Rivers Museum, Oxford (GB)
Museo Nazionale Preistorico Etnografico “Luigi Pigorini", Roma (I)
Världskulturmuseet, Göteborg (S)
Linden-Museum Stuttgart (D)
Museo de America, Madrid (E)
Museum für Völkerkunde, Wien (A)
Näprstek’s Muzeum, Prag(CZ)
Bei den vorgesehenen Workshops geht es um zentrale Fragen, denen sich alle Völ-
kerkundemuseen stellen müssen: Welche Rolle spielen in Zukunft unsere europä-
ischen, meist aus der kolonialen Vergangenheit entstandenen Museen in einer globa-
len, den Dialog zwischen den Kulturen führenden Welt? Wie soll das Museum der
Zukunft aussehen, wie beziehen wir unsere Diaspora ein? Die Resultate des Pro-
jektes sollen in einer großen Sonderausstellung, an der sich sechs Häuser beteiligen,
präsentiert werden. Auch an ein Theaterstück, das das Thema „Leben in der Diaspo-
ra“ oder auch „Erste Begegnungen“ thematisiert, ist gedacht. Neben diesen die mei-
sten Museen umfassenden Präsentationen ist es außerdem Ziel des Projektes, den
Kuratoren der einzelnen Häuser eine engere Zusammenarbeit zu ermöglichen und
dadurch bilateralen Projekten den Weg zu ebnen. Endziel ist ein europäisches Netz-
werk ethnologischer Museen, das nach und nach auch Museen in außereuropäischen
Ländern mit einbeziehen soll.
Mit dem Royal Ontario Museum in Toronto konnte ebenfalls eine Kooperation
angestoßen werden. Nachdem das Linden-Museum sich mit der Leihgabe einiger
seiner herausragenden alt-peruanischen Goldobjekte an einer Sonderausstellung im
Jahre 20Ü7 mit dem Thema „Ancient Peru Unearthed - Golden Treasures of a Lost
Civilization“ in Toronto beteiligt hatte, erhält es im Gegenzug nicht nur Objekte für
eine großes Ausstellungsprojekt zum Thema „Blackfoot - Indianer der kanadischen
8
Plains“, sondern tritt in eine Kooperation mit dem Nordamerika-Referat des Royal
Ontario Museums ein. Das Ausstellungskonzept wird gemeinsam mit den dort zu-
ständigen Kuratoren entwickelt und möglicherweise ein Modul aus Toronto über-
nommen. Anschließend hoffen wir, soweit es die konservatorischen Bedingungen
zulassen, unsere weltberühmten Objekte der Sammlung des Prinzen Maximilian zu
Wied-Neuwied in Kanada präsentieren zu können. Sie gehören zu den ältesten
Sammlungsobjekten aus den nordamerikanischen Indianerkulturen überhaupt und
werden dementsprechend auch in Übersee als Sensation betrachtet.
Personal
Im Jahre 2008 musste sich das Linden-Museum von drei erfahrenen Mitarbeite-
rinnen verabschieden. Ursula Knöpfle, die 1971 ihren Dienst begonnen hatte - also
insgesamt 37 Jahre am Linden-Museum tätig war, trat in den verdienten Ruhestand.
Mit ihr endete eine Ära, denn nach so langer Zeit gehörte sie untrennbar zur Ge-
schichte des Hauses. Neben ihren Sekretariatsarbeiten betreute sie auch die Ge-
schäftsstelle der Gesellschaft für Erd- und Völkerkunde und war Anlaufstelle für
viele Freunde des Linden-Museums.
Ebenfalls in den Ruhestand trat Beate Müller, seit 1988 im Linden-Museum. Sie
war als Restauratorin organischen und anorganischen Materials beschäftigt. Die
Fliesen der in der Orient-Dauerausstellung präsentierten Gebetsnische einer paki-
stanischen Moschee gingen durch ihre Hände, um nur ein Beispiel zu nennen.
Verabschieden musste sich das Museum auch von Sabine Weik-Barton, die bei uns
im Jahre 1990 als Restauratorin begann. Mit ihr verlässt uns eine ausgewiesene Ex-
pertin organischen Materials, die nicht nur kleine und große Wunder an unseren
Südsee-Objekten vollbrachte, sondern auch die konservatorische Betreuung unserer
weltberühmten Sammlung ostasiatischer Lacke verantwortlich leitete.
Der Vorstand des Linden-Museums dankt allen ausgeschiedenen Mitarbeitern
herzlich für die über die Jahre geleistete Arbeit und wünscht ihnen für ihre weitere
Zukunft alles Gute.
Beate Müller. Foto: A. Dreyer
Neu besetzt werden konnte eine Volontariatsstelle, die diesmal dem Bereich Süd-
asien zugeordnet ist. Susanne Faller bekleidet das Volontariat, womit nach dem
Ausscheiden des Kurators Dr. Gerd Kreisel erstmals nach 2 Jahren wieder eine
Betreuung - wenn auch in eingeschränktem Umfang - dieses wichtigen, Indien,
den Himalaja und Südostasien umfassenden Referates gegeben ist.
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TRIBUS 58,2009
Ruhestand nach 37 Jahren Linden-Museum: Frau Knöpfle im Kreise der Kollegen in ihrem
ersten Jahr im Museum, 1971. Folgende Mitarbeiter sind zu sehen:
1. Dreyer, Restaurierung
2. Didoni, Fotoatelier
3. Auer, Flausmeister
4. Dr. Heinze, Südsee-Kustos
5. Kauter, Bibliothek
6. Haasis, Buchhalter
7. Dr. Brandt, Ostasien-Kustos
8. Dr. Schulze-Thulin, Nord-/Südamerika-Kustos
9. Prof. Dr. Kußmaul, Direktor
10. Sekler, Sekretariat
11. Koch, Restaurierung
12. Auer, Hausmeisterin
13. Knöpfle, Sekretariat
14. Dr. Koloß, Afrika-Kustos
15. Jansen, Praktikantin
16. Weiss, Schreiner
17. Angie, Wachhund
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Personal 2008
Neu eingestellt:
Capasso, Alexander (Aufsichtsdienst)
He, Heng (Referat Ostasien)
Höfling, Elfie (Vorstandssekretariat)
Huber, Alexandra (Referat Orient)
Jost, Alexander (Referat Orient)
Kitzinger-Ihm, Rosine (Verwaltung)
Faller, Susanne (Referat Südasien)
Feldmann, Horst (Aufsichtsdienst)
Hackel-Kuhl, Gabriele (Verwaltung)
Matseridu, Mirofora (Aufsichtsdienst)
Mucha, Michael (Aufsichtsdienst)
Porcaro, Sophia (Öffentlichkeitsarbeit)
Rudolf, Jürgen (Aufsichtsdienst)
Sautter, Cornelia (Aufsichtsdienst)
Schibich, Daniela (Aufsichtsdienst)
Schultz, Simone (Referat Ostasien)
Spieth, Alexander (Aufsichtsdienst)
Thurm, Mannsfeld (Direktion)
Wollmann, Astrid (Restaurierung)
Ausgeschieden:
Gabriel, Juliana (Aufsichtsdienst)
He, Heng (Referat Ostasien)
Huber, Alexandra (Referat Orient)
Jost, Alexander (Referat Orient)
Knöpfle, Ursula (Sekretariat)
Müller, Beate (Restaurierung)
Münzer, Anna-Katharina (Aufsichtsdienst)
Reinhardt, Ulrich (Direktion)
Schuba, Cosima (Aufsichtsdienst)
Schultz, Simone (Referat Ostasien)
Steinbrenner, Elke (Aufsichtsdienst)
Vielen, Mario (Aufsichtsdienst)
Weik-Barton, Sabine (Restaurierung)
Ehrenamtliche Mitarbeiter:
Zhang, Dong (Referat Ostasien)
20-jähriges Jubiläum:
Fastenau, Eva
Mayr, Gudrun
Münzer, Anna-Katharina
10-jähriges Jubiläum:
Kern, Michaela
TRIBUS 58,2009
Besucherstatistik 2008
Gesamtbesucher: 64.286
Sonderausstellung Laufzeit Besucherzahl
Gesamt- laufzeit davon 2008
Von Kapstadt bis Windhuk: „Hottentotten“ oder Khoekhoen? Die Rehabilitierung einer Völkergruppe 29.11.07 bis 27.04.08 8.372 6.709
Grönland Inuit: Leben am Rande der Welt 17.05.08 bis 21.09.08 9.880 9.880
Schamanen Sibiriens - Magier, Mittler, Heiler 13.12.08 bis 28.06.09 3.813
Dauerausstellungen 26.996
Veranstaltungen
Veranstaltungsreihe: China und der Westen 05.07.08 bis 27.07.08 522 522
Museumsbezogene Aktivitäten 12.244
Zweigmuseum Ettlingen 4.122
Geld- und Sachspenden für das Linden-Museum Stuttgart bzw. die Gesellschaft für
Erd- und Völkerkunde zu Stuttgart e. V. im Jahr 2008
Ade, Herbert H., Stuttgart
Air Berlin
Asia Circle, Stuttgart
Baden-Württembergische Bank, Stuttgart
Bergner, Dr. Brigitte, Stuttgart
Berthold, Fritz und Felicitas, Pforzheim
Biedermann, Lilo, Sindelfingen
Billmann, Peter u. Ingeborg, Stuttgart
Bosch, Irmgard, Gerlingen
Brösel, Ernst und Gisela, Stuttgart
Brunner-Traut, Prof. Dr. Emma, Tübingen
Burwig, Bernd und Ingeborg, Weinstadt
Clement, Charlotte, Stuttgart
Daimler, Stuttgart
Dyk, Herbert van, Grafenau
Eißler, Prof. Dr. Werner
Eigner, Magda, Stuttgart
Epple, Dr. Erich und Gertrud, Stuttgart
Erdmann, Klaus, Ditzingen
Ewen, Ada, Saint Rémy de Provence
Firla, Dr. Monika, Stuttgart
12
Fischer, Elfriede, Stuttgart
Flughafen Stuttgart
Frank, Werner
Funk, Theresia, Kornwestheim
Geiger, Dr. Martin, Plochingen
Gierß, Elke und Ulrike, Stuttgart
Glaser, Brigitte, Stuttgart
Guss, Ulrich
Haaf, Dr. Lilienne, Leonberg
Hahn, Prof. Dr. Roland, Stuttgart
Hall-Schwarze, Barbara
Haller, Gertrud, Bad Dürrheim
Hans, Prof. Dr. Birgit, Grand Forks
Hessischer Museumsverband
Höhl, Brigitte, Stuttgart
Holzinger, Johann und Luise, Stuttgart
Holzwarth, Ingrid, Marbach
Hörrmann, Ingeborg, Sindelfingen
Hugendubel, Hans
Ilg-Außenwerbung GmbH, Stuttgart
Jensen, Birgit, Neuhausen
Jimis Gastronomie, Stuttgart
Kaiser, Waltraud, Spraitbach
Kapitel, Irmgard, Kempten
Kraft, Joachim
Kröner, Ulrich, Backnang
Krüger, Olaf, Stuttgart
Kühnle, Gerold und Marianne, Sulzbach
Leitz, Conrad und Inge, Stuttgart
Lerch, Carmen Cornelia, Uhingen
Lernidee Erlebnisreisen, Berlin
Merk, Siegfried, Leutenbach
Mix Markt, Stuttgart
Müller, Diana und Gerhard, Stuttgart
Müller-Arens, Dr. Hans Jürgen und Sigrid, Stuttgart
Narr, Barbara, Stuttgart
Nöth. Doris, Kirchheim/T.
Paul, Herbert, Asperg
Pick-up edition, Stuttgart
Radowski, Monika, Stuttgart
Raich, Dr. Fritz, Böblingen
Renz. Hanna, Stuttgart
Riehm, Dr. Gisela, Stuttgart
Robert Bosch GmbH, Stuttgart
Rotarier, Stuttgart
Schlipf, Thomas, Ilsfeld
Schmidt, Albert und Ursula, Stuttgart
Schütz. Rainer und Ursula, Stuttgart
Schulz-Albrecht, Elke, Nürtingen
Steisslinger, Böblingen
Stiftung Landesbank Baden-Württemberg
Storz, Ulrich und Gerdi, Stuttgart
Strohmaier, Helga, Mössingen
Stuttgart-Marketing GmbH
Szczepanski, Ina von, Stuttgart
Thiele, Prof. Dr. Peter, Berlin
TRIBUS 58,2009
Thierley, Martin und Grimm, Ursula, Stuttgart
Updike, John und Ellen, Waiblingen
VfB Stuttgart
Viniol, Dr. Rek & Partner, Stuttgart
Weber, Wilfried, Pfullingen
Wilhelm, Dr. Peter Raimond, Stuttgart
Wolfangel, Dieter, Reninngen
Zibulski, Katja, Ludwigsburg
Zöller-Unger, Susanne, Stuttgart
Nachträge aus dem Jahr 2007
Heier, Bernd, Stuttgart
Kapitel, Irmgard, Kempten
Thumm, Jürgen, Schönaich
Trautmann, Michael, Stuttgart
Allen Spendern sei an dieser Stelle nochmals herzlich gedankt.
Thomas Michel (Direktor)
Doris Kurelia (Stv. Direktorin)
Mannsfeld Thurm (Kaufmännischer Direktor)
- Vorstand Linden-Museum -
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Jahreshöhepunkte
Veranstaltungen 2008
Umfassende Begleitprogramme machen das Linden-Museum zusätzlich zu den
Ausstellungen lebendig und schaffen oft unmittelbare interkulturelle Begegnungen.
Das Jahr 2008 bot mit 151 eigenen Veranstaltungen1 eine enorme Vielfalt an Vorträ-
gen, Filmen, Vorführungen, Konzerten, Workshops, Kinderprogrammen und vielem
mehr und war reich an Höhepunkten.
Zum Jahresauftakt stand das Begleitprogramm zur Sonderausstellung „Von
Kapstadt bis Windhuk: „Hottentotten“ oder Khoekhoen?“ im Vordergrund. Mit
Vorträgen namhafter Wissenschaftler, Dokumentarfilm-Abenden und einem um-
fangreichen Führungsprogramm für alle Altersgruppen haben wir die Ausstellung
umrahmt. Nachhaltige Wirkung hatte der Vortrag „Der vergessene Völkermord“
des Kolonialhistorikers und Genozid-Forschers Dr. Jürgen Zimmerer (Universität
Sheffield) am 6. Februar. Er löste eine öffentliche Diskussion aus, die letztlich die
Umbenennung der nach dem ehemaligen Gouverneur von Deutsch-Südwestafrika
benannten Leutweinstraße in Stuttgart zur Folge hatte.
Das Wochenende „Das Geheimnis des Zen“ in Kooperation mit dem Ho Ryo Zen
Dojo Stuttgart ermöglichte vom 1. bis 3. Februar in Konzerten, Vorträgen, Work-
shops, Meditationen und einer Kabinett-Ausstellung einen umfassenden Einblick in
die Tradition des Soto Zen.
Die Fokus-Reihe 2008 trug den Titel „Die vier Elemente“ und stellte in jedem
Quartal ein Element und dessen Bedeutung in verschiedenen Kulturen der Welt vor.
Ganz im Zeichen des Elements Wasser stand daher auch die „Lange Nacht der Mu-
seen“ am 5. April, bei der die Besucher die einmalige Wasserstichorgel von Liquid
Soul, den experimentellen Jazz des Trijo Electric Play sowie Tänze rund ums Wasser
von Hora Israel und 35 Kurzführungen in allen Ausstellungen erleben konnten.
Markus Bühler-
Rasom präsentierte
zur Eröffnung der
Ausstellung „ Grön-
land-Inuit“ am
17. Mai sein Lang-
zeitforschungspro-
jekt in Nord-Grön-
land und gab Erläu-
terungen zu seinen
faszinierenden Foto-
grafien.
Foto:
M. Bühler-Rasom
1 ohne Führungen
15
TRIBUS 58,2009
Am Internationalen Museumstag am 17. Mai eröffneten wir die Sonderausstellung
„Grönland Inuit: Leben am Rande der Welt“. Besonderer Gast war hier der Fotograf
Markus Bühler-Rasom, der bei einem Museumsgespräch in der Ausstellung über
seine Fotos und sein Langzeitprojekt bei den Grönland-Inuit sprach.
Zusammen mit „Brot für die Welt“ konnten 2008 zwei besondere Veranstaltung zu
Afrika stattfinden: Am 25. Mai war eine fünfköpfige Delegation des „Indigenous
People of Africa Co-ordinating Committee“ zu Gast und stellte in einem Podiums-
gespräch ihre Arbeit vor. Eine Stuttgart-Premiere gab es am 16. November mit dem
Dokumentarfilm „Land Matters“ des Ludwigsburger Regisseurs Thorsten Schütte.
Im Anschluss an den Film über die Landproblematik in Namibia fand eine Diskussi-
on mit dem Farmarbeiter Immanuel Xuagub und dem Kameramann Markus Zeiser
statt.
Die Veranstaltungsreihe „China und der Westen“ thematisierte vom 5. bis 27. Juli
die Begegnung und wechselseitige Wahrnehmung zwischen China und dem Westen.
Näheres dazu finden Sie im Tätigkeitsbericht des Ostasien-Referats.
„Im Fluss der Worte“ befand sich das Linden-Museum vom 10. bis 12. Oktober
beim 2. Internationalen Erzählfestival, veranstaltet in Kooperation mit dem Forum
der Kulturen und der Akademie für gesprochenes Wort. 20 Geschichtenerzähler aus
aller Welt nahmen ihre Zuhörer mit auf Reisen - unter anderem auf eine Erzählwan-
derung durch die Ausstellungen des Museums.
Der alljährliche „Markt der Völker“ und der „Nepal-Bazar“ verwandelten das
Museum im Herbst zweimal in einen Welt-Bazar. Allein 9.130 Gäste wurden beim
Markt der Völker gezählt.
Im Rahmen des „Jahres von Aserbaidschan in Deutschland 2008“ fanden im Lin-
den-Museum vom 2. bis 4. Dezember Konzerte von Künstlern aus dem „Land des
Feuers“ statt. Das Ensemble des Staatlichen Museums für Musikkultur Aserbaid-
schan unter Leitung von Mejnun Karimov präsentierte traditionelle Volkslieder und
moderne Musik in den Klangfarben alter Instrumente. Der junge Pianist Emil
Mamedov begeisterte mit Ethno-Jazz.
Das Ensemble des Staatlichen Museums für Musikkultur Aserbaidschan zu Gast im
Museum. Foto: A. Dreyer
Den Jahresabschluss bildete die Eröffnung der Sonderausstellung „Schamanen
Sibiriens - Magier, Mittler, Heiler“ am 13. Dezember. Das tuwinische Ensemble
„Tyva Khogzhum“ präsentierte Kehlkopfgesang und traditionelle Musik aus dem
Herzen Asiens und riss die Zuschauer von den Sitzen. Das Konzert wurde von der
Stiftung Landesbank Baden-Württemberg unterstützt und vom SWR aufgezeichnet.
16
Tyva Khogzhum beim Eröffnungskonzert der Ausstellung „ Schamanen Sibiriens“.
Foto; A. Dreyer
Ausstellungen 2008
Von Kapstadt bis Windhuk: „Hottentotten“ oder Khoekhoen?
Die Rehabilitierung einer Völkergruppe
29. November 2007 bis 27. April 2008
Seit Ende der 1960er Jahre wird Deutschlands koloniale Vergangenheit mit konti-
nuierlichem Interesse wissenschaftlich aufgearbeitet, so auch im Linden-Museum
Stuttgart.
Die in Deutschland als „Hottentotten“ bekannte Völkergruppe der Khoekhoen
lebt in Namibia und Südafrika. Die Ausstellung zeigte Geschichte, Leben und All-
tag der Khoekhoen seit dem 17. Jahrhundert über die Zeit der niederländischen
und deutschen Kolonisation bis heute. Sie erinnerte damit an die Niederlage der
Khoekhoen Namibias (Groß-Nama) in ihrem Freiheitskrieg 1903-1908 gegen die
deutsche Kolonialherrschaft. Die deutsche „Schutztruppe“ inhaftierte die meisten
Nama in Konzentrationslagern, in denen auch Kinder Zwangsarbeit verrichten mus-
sten. In diesen Lagern herrschten schlechte klimatische, wohnliche und hygienische
Bedingungen, die - gepaart mit Mangelernährung - zu meist tödlichen Erkran-
kungen führten. Gemäß der UN-Konvention von 1948 werden diese Handlungen
heute als Völkermord eingestuft, ähnlich dem an den Herero. Historiker schätzen,
dass über die Hälfte der damals etwa 20.000 Nama ums Leben kam.
Die Ausstellung stellte die Khoekhoen jedoch nicht nur als Verfolgte dar, sondern
zeigte ihre bemerkenswerten kulturellen Leistungen, die sie in ihrer über 2000-jäh-
rigen Geschichte vollbracht haben. Traditionelle Behausungen, Musikinstrumente,
kunstvoll gearbeiteter Perlenschmuck, aber auch farbenprächtige Patchwork-Stoffe
aus heutiger Zeit gaben einen Einblick in die Lebensweise der Nama.
17
◄
Der Nama-Herrscher Hendrik Witboii, kurz vor seinem Eingreifen in den Krieg gegen
die deutsche Kolonialherrschaft (Namibia, 1904).
Foto: Bundesarchiv Koblenz
Grönland-Inuit: Lehen am Rande der Welt
17. Mai bis 21. September 2008
Als Beitrag zum Internationalen Polarjahr 2007/2008 verband diese Sonderaus-
stellung Geschichte, Gegenwart und Zukunft der Grönland-Inuit. Sie zeigte Fotogra-
fien von Markus Bühler-Rasom und Exponate aus der Sammlung des Museums.
Seit zehn Jahren ist Markus Bühler-Rasom als Fotograf immer wieder in den Nor-
den Grönlands gereist, um die harten Arbeits- und Lebensbedingungen der Menschen
zu dokumentieren, die im nördlichsten Teil der Erde leben. Die moderne Zeit ist auch
in ihren Dörfern angekommen, jedoch bestimmt das arktische Klima weiterhin den
Lebensrhythmus, die Stimmungslage und den Speiseplan. Fische, Robben, Wale, Eis-
bären und Karibu (Rentiere) gehören nach wie vor zum Alltag. Die Jagd sichert immer
noch das Überleben, da alle andere Nahrung importiert werden muss. Doch die Zu-
kunft „schmilzt“, und die Lebensgrundlage der Inuit scheint sich drastisch zu verän-
dern.
Exponate aus der Sammlung des Linden-Museums ließen das traditionelle Leben
vor 100 Jahren lebendig werden. Ein fünf Meter langes Kajak, Kleidung aus Robben-
und Karibufell, Jagdausrüstung, Werkzeuge und Bootsmodelle öffneten den Blick für
eine Anpassung der Inuit an extreme Lebensbedingungen. Mit ihrer detaillierten
Kenntnis der Natur, ihrem handwerklichen Können und ihrer reichen Fantasie ist es
den Grönland-Inuit bis heute gelungen, ihre einzigartige Kultur am Rande der Welt
aufrecht zu erhalten.
Für die Übernahme der Fotoausstellung dankt das Linden-Museum dem Nord-
amerika Native Museum der Stadt Zürich.
Schamanen Sibiriens: Magier - Mittler - Heiler
In Kooperation mit dem Russischen Ethnografischen Museum St. Petersburg
13. Dezember 2008 bis 28. Juni 2009
Seit Jahrhunderten faszinierten die sibirischen Schamanen und Schamaninnen
Wissenschaftler, Missionare und Abenteurer, und bis heute ist die schillernde An-
ziehungskraft des Phänomens ungebrochen. In der Sonderausstellung „Schama-
nen Sibiriens - Magier, Mittler, Heiler“ führte das Linden-Museum auf über 1.200 m2
in sibirische Lebenswelten und die dort ausgeprägte schamanische Weitsicht ein.
Die umfassende Schau war das Ergebnis eines mehrjährigen Kooperationsprojekts
mit dem Russischen Ethnografischen Museum (REM) St. Petersburg, das über
eine der weltweit größten Sibirien-Sammlungen verfügt und dessen Sammlungs-
strategien sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts teilweise bereits mit denen des
Stuttgarter Linden-Museums berührt hatten. In gegenseitigen Arbeitstreffen hatte
das Team deutsch-russischer Kuratoren mit Dr. Valentina Gorbaceva, Dr. Karina
Solov’eva, Dr. Annette Krämer, Dr. Erich Kasten und Ulrike Bohnet M.A. das
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Konzept der Ausstellung entwickelt: Neben der Einführung in die Grundelemente
und facettenreichen regionalen Ausprägungen der „Schamanismen“ Sibiriens wur-
de die dynamische Flexibilität der schamanischen Weitsicht im Austausch mit an-
deren Kulturen und Religionen bis in gegenwärtige Transformationsprozesse be-
leuchtet.
Neben den teilweise erstmals in Europa gezeigten 200 Objekten des REM stellte
das Linden-Museum erstmalig den Großteil seiner eigenen Sibirien-Sammlung aus,
welche in solcher Gesamtheit der Öffentlichkeit nie zuvor zugänglich war. Histo-
rische und zeitgenössische Fotografien, Filme, Audio- und Taststationen ermöglich-
ten eine vielschichtige, sinnliche Annäherung an die Lebenswelten der indigenen
Bevölkerung Sibiriens und ihrer Schamanen. Vor allem die akustische Dimension
des Schamanismus wurde mit Originalaufnahmen von Schamanenliedern aus dem
Sankt Petersburger Lautarchiv „Puskinski Dom“ eindrucksvoll belegt.
Erweitert durch die audiovisuelle Installation einer „Schamanenreise“ des Medi-
enkünstlers und Anthropologen Thomas Ross Miller (New York) und die Arbeiten
russischer und deutscher Objektkünstler aus Berlin und St. Petersburg wurde das
Thema Schamanismus aus dem ethnologischen Verhandlungsraum in einen weiteren
künstlerischen Dialog überführt.
Ein wichtiges Ziel der Ausstellung war die Vermittlung nicht-westlicher Konzepte
zum Umgang mit der als beseelt wahrgenommenen Natur, mit deren Manifestati-
onen Schamanen als außergewöhnlich begabte Spezialisten in einem verantwor-
tungsvollen Allianzverhältnis die Belange ihrer Gemeinschaft verhandeln. So führte
der erste Teil der Ausstellung in die unterschiedlichen Kulturräume Sibiriens sowie
in die Lebens- und Wirtschaftsweisen verschiedener sibirischer Ethnien ein, die sich
als Rentierhalter, Seesäugerjäger, Fischer oder Jäger an die teilweise extremen kli-
matischen und naturräumlichen Vorrausetzungen angepasst haben. Neben der Ver-
ortung der schamanischen Weitsicht im geografischen und historischen Kontext
wurden hier der besondere Charakter sakraler Objekte und deren teilweise höchst
problematischer Weg in die Sammlungen der Museen thematisiert.
Blick in die Ausstellung.
Foto: A. Dreyer
Im Anschluss daran zeigten die Beispiele zweier jahreszeitlicher Feste - dem
Yhyach-Fest der Sacha und dem O-lo-lo-Versöhnungsfest der Korjaken - die ritu-
elle Interaktion zwischen Mensch und Natur. Spezielle schamanische Konzepte zur
Anwendung in Krisensituationen mit den elementaren Themen der Schamanen-
werdung, der Hilfs- und der Schutzgeister sowie die Verortung innerhalb der scha-
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manischen Kosmologie wurden am Beispiel eines evenkischen Schamanen inmitten
seiner traditionellen Behausung eingeführt. Die Rolle der Schamanen innerhalb
ihrer Gemeinschaften sowie deren Wandlung unter dem Einfluss anti-religiöser
Kampagnen der Schamanenverfolgung während der Sowjetzeit wurden ebenso
thematisiert wie auch die Folgen dieses Bruchs für die Vermittlung traditionellen
Wissens. Eine Diaschau des tschechischen Fotografen Stanislav Krupar portrai-
tierte die jüngste schamanische Ge-
genwart am Beispiel Tyvas,
während man an einer Au-
diostation experimen-
teller west-östlicher
Schamanenmusik
lauschen konnte.
Stellvertretend
für die schama-
nische Séance,
welche als at-
mosphärisch
verdichteter
Höhepunkt sol-
cherart nicht aus-
gestellt werden
kann, stand die
Multimediainstallati-
on T. R. Millers für die
„Reise des Schamanen“
in die nicht sichtbaren
Wirklichkeiten: Naturge-
räusche und Originalaufnahmen
sibirischer Schamanenlieder sorgten
zusammen mit einer Videoinstallation
und fluoreszierenden Reproduktionen
von Trommelbemalungen der Tschuk-
tschen und Korjaken für synästhetische
Effekte und kreierten einen besonderen
Erlebnisraum innerhalb der Ausstellung.
Schamanentrommel mit Hilfsgeist
Altai, frühes 20. Jh., Russisches Ethno-
grafisches Museum St. Petersburg.
Foto: I. Sacharov / A. Dreyer
Der Hauptbereich der Ausstellung widmete sich ausgewählten Schamanenpersön-
lichkeiten, die eindrucksvoll die vielfältigen Ausformungen der schamanischen Weit-
sicht in unterschiedlichen Regionen Sibiriens verdeutlichten. Skizzenhafte
Lebensgeschichten und außergewöhnliche Ausrüstungsgegenstände ließen im Ver-
bund mit historischen Fotografien die einzelnen Individuen hinter dem Phänomen
Schamanismus erkennbar werden.
Mit Geistergeschichten gravierte Walrosszähne vom Beginn des 20. Jahrhunderts
leiteten zu zeitgenössischen Schnitzereien, Illustrationen und kunsthandwerklichen
Gegenständen sibirischer Künstler über. Videoclips zeigten, wie indigene Kunst-
handwerker schamanische Themen und Symbole künstlerisch rezipieren (z.B. als
Schnitzerei in Rentierknochen) oder wie korjakische Schulkinder, ihre Sicht der
schamanischen Welt malen.
Eine Fischleder-Installation des mittlerweile in Deutschland lebenden Nanaj-
Künstlers A. Donkan spannte den Bogen zum letzten Teil der Ausstellung; Die hier
gezeigten Gemälde, Objekte und Videoinstallationen moderner Künstler wurden
von schamanischen Objekten der Ausstellung bzw. schamanischen Themen inspiriert
und schufen einen kreativen Dialog zwischen russischen und deutschen Künstlern,
die in unterschiedlichster Weise schamanische Motive aufgriffen und assoziativ ver-
handelten.
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Zur Ausstellung erschien ein umfassender Ausstellungskatalog, in dem internatio-
nale Spezialisten der Schamanismusforschung zentrale Themen vertieften und ver-
dichteten und das Phänomen bis in den reflexiven Diskurs der Gegenwart verfolgten.
Kinder und Jugendliche konnten die Ausstellung mit einem „Forschertagebuch“ be-
reisen. das von der „Gesellschaft für Erd- und Völkerkunde zu Stuttgart e.V.“ finan-
ziert wurde: Als Forschungsassistenten beschäftigten sie sich an ausgewählten
Stationen mit Objekten und Themenschwerpunkten und erschlossen sich so unter
Einbindung aller Sinne wichtige Ausstellungsthemen.
The Beauty of Edo and Meiji - Aesthetics of Doctor Baelz
25. April 2008 bis 10. Mai 2009
Im April 2008 traten 165 Objekte aus der Japan-Sammlung des Linden-Museums
gemeinsam mit ausgewählten Einzelstücken aus der Erwin-Baelz-Sammlung des
Stadtmuseums Hornmoldhaus in Bietigheim-Bissingen eine einjährige Reise nach
Japan an. Unter dem Ausstellungstitel „The Beauty of Edo and Meiji - Aesthetics of
Doctor Baelz” wurden die Exponate bis heute in den folgenden japanischen Partner-
museen gezeigt;
Gifu City Museum of History (25. April bis 25. Mai 2008)
Shimane Art Museum (31. Mai bis 7. Juli 2008)
Sendai City Museum (18. Juli bis 31. August 2008)
Osaka Museum of History (25. Oktober bis 8. Dezember 2008)
Im Jahr 2009 folgen mit dem Takaoka Art Museum (6. Februar bis 15. März 2009) und
dem MOA Museum of Art in Atami (28. März bis 10. Mai 2009) zwei weitere Stationen.
Bislang sahen 52.100 Menschen die Ausstellung; für 2009 werden weitere 28.000
Besucher erwartet.
Die Vorarbeiten für das aufwendige Ausstellungsprojekt nahmen rund 2 Vi Jahre
in Anspruch. Während dieser langfristigen Vorbereitungszeit wurde in regelmäßigen
Besuchen von den japanischen Kuratoren der Ausstellung eine Auswahl herausra-
gender Werke getroffen, die größtenteils noch niemals zuvor in ihrem Herkunftsland
Japan zu sehen waren. Dabei wurde die Objektauswahl von der Leitidee der Ausstel-
lung bestimmt, die europäische Perspektive auf das Japan der Edo- und Meiji-Zeit
sichtbar zu machen.
Begleitend zur Ausstellung ist ein 233 Seiten umfassender Katalog in japanischer
Sprache mit zahlreichen Abbildungen erschienen. Die einzelnen Katalogbeiträge ge-
ben Einblick in die Geschichte des Linden-Museums Stuttgart und seiner Ostasien-
Sammlung, sie beleuchten die Person und das Werk Erwin Baelz’ und diskutieren die
Besonderheiten japanischer Kunst und Kunsthandwerks der Edo- und Meiji-Zeit.
Anlässlich der Ausstellung entstand zudem ein 48-minütiger Dokumentarfilm über
Erwin Baelz und seine Sammlung, der unmittelbar vor Beginn der Ausstellungstour-
nee im japanischen Fernsehen ausgestrahlt wurde. Die Dreharbeiten zum Film fan-
den im April 2008 in Stuttgart und Bietigheim statt.
Katalogcover „ The Beauty of Edo and Meiji - Aesthetics of Doctor Baelz ”.
Foto: A. Dreyer ►
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Kooperationen
Leihnahmen (alphabetisch nach Orten)
Ausstellungsdauer Referat Leihgeber
13.12.2008-28.06.2009 Orient Anna Myga Kasten, Berlin 22 Objekte für die Ausstellung „Schamanen Sibiriens: Magier - Mittler - Heiler“
13.12.2008-28.06.2009 Orient Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Staatliche Museen zu Berlin, Ethnologisches Museum, Berlin 4 Objekte für die Ausstellung „Schamanen Sibiriens: Magier - Mittler - Heiler“
29.11.2007-27.04.2008 Afrika Herzog Anton Ulrich-Museum, Braunschweig 1 Objekt für die Ausstellung „Von Kapstadt bis Wind- huk. „Hottentotten“ oder Khoekhoen? Die Rehabilitie- rung einer Völkergruppe“
22.02.2007-17.05.2008 Ozeanien Katholisches Bildungswerk, Cloppenburg 7 Fototafeln für die Ausstellung „Tanz der Masken“
13.12.2008-28.06.2009 Orient Dr. Erich Kasten, Fürstenberg/Havel 27 Objekte für die Ausstellung „Schamanen Sibiriens: Magier - Mittler - Heiler“
17.05.2008-21.09.2008 Nordamerika Dr. Ing. Wolfgang Zick, Karlsruhe 5 Objekte für die Ausstellung „Grönland-Inuit: Leben am Rande der Welt“
29.11.2007-27.04.2008 Afrika Dr. Sabine Klocke-Daffa, Münster 12 Objekte für die Ausstellung „Von Kapstadt bis Wind- huk. „Hottentotten“ oder Khoekhoen? Die Rehabilitie- rung einer Völkergruppe“
13.12.2008-28.06.2009 Orient Russisches Ethnografisches Museum, St. Petersburg/Russland 240 Objekte für die Ausstellung „Schamanen Sibiriens: Magier - Mittler - Heiler“
29.11.2007-27.04.2008 Afrika Etnografiska Museet, National Museums of World Culture, Stockholm/Schweden 1 Objekt für die Ausstellung „Von Kapstadt bis Wind- huk. „Hottentotten“ oder Khoekhoen? Die Rehabilitie- rung einer Völkergruppe“
29.11.2007-27.04.2008 Afrika Landesmuseum Württemberg, Stuttgart 2 Objekte für die Ausstellung „Von Kapstadt bis Wind- huk. „Hottentotten“ oder Khoekhoen? Die Rehabilitie- rung einer Völkergruppe“
13.12.2008-28.06.2009 Orient Werner Funk, Stuttgart 6 technische Geräte für die Klanginstallation in der Ausstellung „Schamanen Sibiriens: Magier - Mittler - Heiler“
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13.12.2008-28.06.2009 Orient Mareile Onodera und Anatoly Donkan, Fischlederhaus, Viechtach 9 Objekte für die Ausstellung „Schamanen Sibiriens: Magier - Mittler - Heiler“
17.05.2008-21.09.2008 Nordamerika Nordamerika Native Museum, Zürich/Schweiz 57 Fotografien für die Ausstellung „Grönland-Inuit: Leben am Rande der Welt“
Leihgaben (alphabetisch nach Orten)
Ausstellungsdauer Referat Leihnehmer
09.09.2007-02.03.2008 Südasien Museum unterm Trifels, Annweiler 35 Objekte für die Ausstellung „Shiva tanzt - Die Göt- terwelt des Hinduismus“
15.09.2007-01.04.2008 Afrika Afrika Museum, Berg-en-Dal/Niederlande 1 Objekt für die Ausstellung „Ubangi. Kunst en Sculp- turen huit het Hart van Afrika“
23.10.2007-10.02.2008 Ostasien, Südasien, Afrika Deutsches Historisches Museum. Berlin 4 Objekte für die Ausstellung „Novos Mundos - Neue Welten. Portugal und das Zeitalter der Entdeckungen“
15.06.2008-18.01.2009 Ostasien Stadtmuseum Hornmoldhaus, Bietigheim 30 Objekte für die Ausstellung „Japan badet“
24.10.2008-16.11.2008 Afrika Kunst in Böbingen, Böbingen 33 Objekte für die Ausstellung „Heiler, Ahnen und Dämonen“
21.11.2008-15.03.2009 Südasien Kunst- und Ausstellungshalle der BRD GmbH, Bonn 2 Objekte für die Ausstellung „Ghandara - das buddhi- stische Erbe Pakistans“
13.12.2008-03.05.2009 Nordamerika Überseemuseum Bremen, Stiftung öffentlichen Rechts, Bremen 18 Objekte für die Ausstellung „Sitting Bull und seine Welt“
17.08.2008-25.01.2009 Orient Museum für Kunst- und Kulturgeschichte, Dortmund 9 Objekte für die Ausstellung „Evet - Ja, ich will. Hoch- zeitskultur und Mode von 1800 bis heute: eine deutsch- türkische Begegnung“
11.07.2008-19.04.2009 Lateinamerika, Ost- asien, Ozeanien Stiftung Deutsches Hygiene-Museum, Dresden 9 Objekte für die Ausstellung „2° Plus. Das Wetter, der Mensch und sein Klima“
13.06.2008-09.11.2008 Afrika Museum der Weltkulturen, Frankfurt 2 Objekte für die Ausstellung „Ludwig Kirchner und die Kunst Kameruns“
26.02.2008-25.05.2008 Ostasien Museum für angewandte Kunst, Frankfurt 11 Objekte für die Ausstellung „Mangamania“
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31.05.2008-05.10.2008 Orient Dom-Museum, Hildesheiin 1 Objekt für die Ausstellung „Bild und Bestie: Hildes- heimer Bronzekunst der Stauferzeit“
08.10.2008-22.02.2009 Ostasien Louisiana Museum of Modern Art, Humlebaek/Dänemark 11 Objekte für die Ausstellung „Mangamania“
13.07.2008-06.01.2009 Afrika Schwäbisches Bauernhofmuseum Illerbeuren, Kron- burg-Illerbeuren 1 Objekt für die Ausstellung „Ordnung ist das halbe Leben“
14.11.2008-15.03.2009 Ostasien Museo Poldi Pezzoli, Mailand/Italien 27 Objekte für die Ausstellung “Sculpture in palmo di mano - Netsuke dalla collezione Lanfranchi”
17.09.2008-17.11.2008 Lateinamerika Curt-Engelhorn-Zentrum Archäometrie, Mannheim 3 Objekte zur wissenschaftlichen Untersuchung
27.10.2007-24.08.2008 Nordamerika Rheinisches Industriemuseum, Schauplatz Euskirchen, Oberhausen 1 Objekt für die Ausstellung „nacht.aktiv - Schlafens- zeit!“
01.02.2008-20.07.2008 Südasien Heinz Nixdorf MuseumsForum, Paderborn 1 Objekt für die Ausstellung „Zahlen, bitte! - Die wun- derbare Welt von null bis unendlich“
23.02.2008-05.10.2008 Ostasien Historisches Museum der Pfalz, Speyer 18 Objekte für die Ausstellung „Die Samurai“
05.06.2008-17.08.2008 Ostasien ifa-Galerie, Stuttgart 2 Objekte für die Ausstellung „Gründerzeit - Land- schaftsplanung in und aus Peking“
25.04.2008-10.05.2009 Ostasien DAIKO Advertising Inc., Tokyo/Japan 165 Objekte für die Wander-Ausstellung “The beauty of Edo to Meiji - Aesthetic of Doctor Baelz” Ausstellungsorte und -daten: 1) Gifu City Museum of History (25.04.2008-25.05.2008) 2) Shimane Art Museum (31.05.2008-07.07.2008) 3) Sendai City Museum (18.07.2008-31.08.2008) 4) Osaka Museum of History (25.10.2008-08.12.2008) 5) Takaoka Art Museum (06.02.2009-15.03.2009) 6) MOA Museum of Art (28.03.2009-10.05.2009)
26.10.2008-31.12.2009 Nordamerika Fort Mandan Foundation, Washburn (ND)/USA 8 Objekte für die Ausstellung “Enlightened Travel: Prince Maximilian in America, 1832-1834“
08.03.2005-31.08.2008 Orient Vitra Design Stiftung gGmbH, Weil am Rhein 31 Objekte für die Wander-Ausstellung „Leben unter dem Halbmond“
21.01.2007-27.01.2008 Ostasien Kunstmuseum Wolfsburg, Wolfsburg 2 Objekte für die Ausstellung „Japan und der Westen: die erfüllte Leere und der moderne Minimalismus“
24.04.2008-26.10.2008 Lateinamerika Ethno-Expo GmbEk Zürich/Schweiz 1 Objekt für die Ausstellung „Weibs-Bilder - Frau- enträume und Lebensentwürfe“ im Schloss Halbthurn/ Schweiz
02.02.2008-25.05.2008 Afrika Museum Rietberg, Zürich/Schweiz 13 Objekte für Ausstellung „Kamerun - Kunst der Könige“
21.06.2007-27.01.2008 Lateinamerika Völkerkundemuseum der Universität Zürich, Zürich/Schweiz 2 Objekte für die Ausstellung „Expedition Brasilien“
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Sammlungszugänge im Jahr 2008
Afrika-Referat
I
Auch im Jahr 2008 konnten keine Afrika-Sammlungen angekauft werden. Umso
erfreulicher ist der Zugang von dennoch 137 Objekten, wofür ich mich bei den sechs
Spenderinnen hiermit noch einmal herzlich bedanken möchte.
Den weitaus größten Teil dieser Neuzugänge (insgesamt 102) macht der uns von
Frau Dr. Lilienne Haaf geschenkte Nachlass von Herrn Dr. Ernst Haaf aus. Der sie-
benjährigen Tätigkeit des Ehepaars Haaf in Ghana entsprechend stammen die mei-
sten Objekte des Nachlasses aus diesem Land. Ganz überwiegend handelt es sich
dabei um Werke, die in vorkolonialer Tradition stehen. Hinzu kommen einige mo-
derne Arbeiten, die zwar dem Verkauf als Souvenir gedient haben mögen, jedoch
wiederholt durch ihre künstlerische Qualität bestechen bzw. zum Studium traditio-
neller afrikanischer Medizin wichtige Informationen liefern. Immer wieder wurde
ich bei der Durchsicht dieser Sammlung daran erinnert, welch „sicheren Blick“ bei
deren Zusammenstellung das Ehepaar Haaf bewiesen hat.
Der nachstehenden wie üblich regionalen Aufgliederung der Neuzugänge insge-
samt soll diesmal ein kleiner Anhang folgen, der die für die traditionelle afrikanische
Medizin relevanten Objekte der Sammlung Haaf noch einmal eigens mit ihren In-
ventarnummern auflistet. Damit möchte ich nicht nur einem besonderen Anliegen
des Ehepaars Haaf gerecht werden, sondern auch vermehrtes Interesse an diesem
Thema wecken. Vielfach handelt es sich bei diesen Objekten um Klassiker, die von
Herrn Dr. Haaf schon vor längerer Zeit veröffentlicht worden waren (s. das kleine
Literaturverzeichnis am Schluss), nunmehr jedoch in die Sammlungsbestände des
Linden-Museums überführt worden sind.
II
Für die kulturgeographische Region Oberguinea seien zunächst zwei archäolo-
gische Artefakte erwähnt, die leider wegen nicht überlieferter Fundumstände kaum
datiert werden können: aus dem Senegal eine eiserne Arm- oder Beinspirale, die im
Gebiet der heutigen Serer ausgegraben wurde, und eine Steinbeil-Klinge aus Süd-
ghana (?), die aus dem langen Zeitraum zwischen dem 5, Jahrtausend v. Chr. und
dem 1. Jahrtausend n. Chr. stammen muss. Einen figürlichen Maskenaufsatz aus Holz
habe ich den Baga oder Nalü (Guinea-Conakry oder Guinea-Bissau) zugeschrieben.
Erfreulich war auch der Zugang einer Sammlung aus Liberia, die vor allem tradi-
tionelles Werkzeug umfasst: nämlich zwei Hacken, ein Hackenblatt, das Modell eines
Trittspatens, und ein Haumesser für den Feldbau; ein Beil von den Ngere (Dan), zwei
Dexel, darunter ein seltenes altes Stück mit Kerbschnitt-Dekor auf dem Stiel, und
eine Dexelklinge für die Holzbearbeitung; sowie ein Hammer und eine Zange zum
Schmieden. Hinzu kommen ein Bogen, ein Zeremonialbeil, zwei tordierte Eisenbar-
ren als Geldzeichen (Kissi pennies) und drei ebenso schön wie abstrakt gestaltete
Puppen mit Körpern aus Raffiaholz.
Dank der Sammlung Haaf ist diesmal die Akan-Gruppe Südghanas am stärksten
vertreten. Da sind zunächst drei rituelle Holzskulpturen zu nennen, nämlich eine
Krankheitsdarstellung von den Akwapim und zwei Fruchtbarkeitspuppen akua ha
von den Ashanti bzw. Fanti. Hinzu kommen drei verzierte große hölzerne Zeremoni-
al-Frisurkämme.
Am zahlreichsten sind, meist in verlorener Form gegossen. Werke aus Messing
vertreten, und da wiederum die, die mit dem Goldstaub-Handel Zusammenhängen:
Neben einer Dose und zwei aus dem 19. Jahrhundert stammenden Löffeln beson-
ders die Gewichte, davon, jeweils im Anschluss an Garrards Chronologie datiert,
sieben mit geometrischen Motiven der Zeit um 1500-1720, sieben dto. der Zeit um
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1700-1900, sieben figürliche des 18. Jahrhunderts, zwei dto. aus der Zeit um 1700-
1900, vier dto. aus der Zeit um 1750-1900 und sechs rezente.
Zu den Messingobjekten gehören auch eine Fettdose forowa mit Deckel und zwei
rituelle Deckeldosen kuduo, davon eine besonders schöne mit einer Aufsatzplastik
in Form eines geometrischen Goldstaub-Gewichts aus der Zeit zwischen 1500 und
1720. Ferner handelt es sich dabei um einen Aufnäher, einen Schmuckanhänger und
zwei kleinere Figuren.
Wiederum gute Qualität bezeugen die für den Totenkult modellierten Terracotten,
zu denen ein mit Appliquen verzierter Deckeltopf abusua kuruwa sowie vier anthro-
pomorphe Grabfiguren gehören. Endlich seien noch erwähnt ein mit Miniaturen
verzierter Kalebassenlöffel, ein Armband aus Tierknochen, eine Gesichtsplastik aus
Kunststoff, ein neuerer Thronhocker sowie vermutlich ebenfalls aus Südghana stam-
mende Proben von Räucherwerk und bearbeiteten wie unbearbeiteten Schalen von
Kaurischnecken.
Östlich von Ghana schließt sich Togo an, aus dessen Süden eine der Ewe-Gruppe
zuzurechnende rituelle Frauenskulptur mit Symptomen der Pocken stammt. Aus
dem Süden der wiederum östlich benachbarten Republik Benin stammt ein origi-
nelles hölzernes Pfeilgewehr für die Jagd auf Rohrratten.
Die Yoruba Südnigerias sind mit
vier Objekten vertreten, nämlich einer
besonders ausdrucksstarken rituellen
Frauenskulptur im Ekiti-Stil, zwei
Zwillingsfiguren ibeji, wovon eine im
Oyo-Stil wieder als Krankheitsdar-
stellung gehalten ist, und eine Packung
„Schwarzer Seife“ nach altem vorko-
lonialem Rezept. Die im Osten be-
nachbarten Edo sind mit zwei eher
seltenen Gesichtsmasken des dörf-
lichen E/cpoBundes vertreten, darun-
ter einer Antilopenmaske Azigho.
Schon zur Region des Cross River
gehört die Kultur der südnigeria-
nischen Ibibio,von deren Ekpo-Bund
die Gesichtsmaske eines unglück-
lichen Ahnen mit der Darstellung
einer Gesichtslähmung zeugt. Eben-
falls im Cross-River-Gebiet diente
eine dicke Messingdraht-Spirale
während des 18./19. Jahrhunderts als
Zahlungsmittel.
Das Südliche Afrika ist nur vertreten mit einer Halskette aus Terracotta-Perlen
(Südafrika), einer weiteren aus Frucht- und Straußenei-Schalenperlen, einer Speck-
stein-Büste des ersten tansanischen Präsidenten Julius Nyerere aus einer Shona-
Werkstatt (beide Zimbabwe) sowie einer Mutter-Kind-Figur der Makonde (Süd-
tansania?). Aus dem ostafrikanischen Kenia stammen ein Korbteller und wohl auch
ein hölzernes Löffelpaar.
Der kulturgeographischen Region des Zentralsudan zuzuschreiben sind ein ge-
flochtener Kalebassendeckel der Fulbe Nordnigerias, je zwei verzierte Kalebassen-
schüsseln bzw. Schminkfläschchen aus Rohhaut in tandu-Technik von den Hausa
(vermutlich der ghanaischen Diaspora) und eine aus Messing gegossene Haarnadel
mit islamischem Rhombendekor wohl von den Fulbe oder Kanuri Nordkameruns.
Wenden wir uns dem Kameruner Grasland zu, so finden wir von dort eine Beinras-
sel, eine Terracotta-Statuette und, wiederum eine Krankheitsdarstellung, eine roh
Abb. 1: Die Blonde und die Schwarze: zwei
Puppen; Raffiaholz mit Pyrogravur, Pflan-
zenfasern, Glasperlen, Baumwoll-Faden; H
28 u. 26 cm; Liberia, vor 1964; Inv.-Nr F
56.103-04.
aus Holz geschnitzte, doch als künstlerisch gelungen zu bezeichnende modern-ab-
strakte Frauenskulptur. Von den Meta‘,in deren Gebiet Herr Dr. Haaf ein Kranken-
haus aufbaute, brachte er eine ähnlich wie diese Skulptur anmutende Helmmaske
und zwei Amulette eines traditionellen Heilers mit, die aus kleinen, vor allem aus Tex-
tilmaterial und Ziegenhörnern bestehenden Bündeln zusammengesetzt sind. Ferner
sind eine Tabakspfeife aus Messing von den Tikar, ein Hochrelief mit einer Geburts-
darstellung und ein Halsreif jeweils von den Bamum sowie eine mit Antilopenhaut (?)
überzogene Gesichtsmaske von den Bali zu erwähnen.
Abb. 2: Rituelle weibliche Figur; Holz, Abb. 3: Figur einer Schwangeren; Terracot-
Glasperlen, Baumwoll-Faden; H 29 cm; ta; H 16,5 cm; Mopti-Kultur? (Rep. Mali);
Ekiti-Yoruba (Nigeria), um 1900 oder frü- um 1100? Inv.nr. F56.084.
her; Inv.-Nr. F56.043. Alle Fotos: A. Dreyer
Eine Reihe von Objekten stammt auch aus der kulturgeographischen Region des
Westsudan, die meisten darunter von den in der Elfenbeinküste sowie in Mali und
Burkina Faso ansässigen Senufo, nämlich ein hölzerner Webrollenhalter sowie aus
Messing jeweils eine Schelle, ein Armring, ein Schildkröten-Amulettanhänger, ein
Fingerring und eine weibliche Statuette. Ein Leopardenanhänger aus dem gleichen
Material wurde entweder bei den Tusyan oder Senufo ebenso in verlorener Form
gegossen, eine Pfeife bei den Lobi oder Senufo aus Holz geschnitzt.
Die vier von Mosi-Künstlern (Burkina Faso) gegossenen Messingfiguren zitieren
sämtlich medizinische Themen. Auf Nordghana verweisen drei sehr ansprechend ge-
staltete Objekte: ein aus Leder (bemalt mit abstrakten Ornamenten) und einem
Tierhorn gefertigtes Amulett gegen Schlangenbisse von den Kusasi, in deren Gebiet
Herr Dr. Haaf 1959-62 tätig war, ein Paar Messing-Armringe von den Grunshi und
ein islamisches silbernes Pferdeamulett von den Malinke.
Auch Mali ist mit einigen hübschen Stücken vertreten, darunter zwei archäolo-
gische Statuetten aus Terracotta, nämlich dem (nicht intentionellen!) Torso einer
Schwangeren (Mopti-Kultur um 1100?) und einem Figürchen aus der Gimbala-Re-
gion, das nicht genauer als in den Zeitraum zwischen dem 11. und dem 19. Jahrhun-
31
TRI BUS 58,2009
dert datiert werden kann. Auf die Dogon verweisen drei Fingerringe wiederum aus
Messing und eine moderne, roh doch gekonnt aus Holz geschnitzte weibliche Statu-
ette. Und schließlich konnten von den Bamana (Bambara) ein Stück in bögölän-
Technik gefärbter Baumwoll-Stoff und eine, durch Termitenfraß stark beschädigte,
weibliche rituelle Holzskulptur inventarisiert werden.
III
Fast ein halbes Jahrhundert lang galt Herrn Dr. Haafs Sammlerinteresse
besonders afrikanischen Werken, die Aufschluss über die traditionelle Medizin
geben konnten. Diejenigen unter ihnen, die das Linden-Museum 2008 von Frau
Dr. Lilienne Haaf geschenkt bekommen hat, seien hier noch eigens aufgelistet:
1. Darstellungen von Sexualität, Schwangerschaft und Geburt:
- Goldstaub-Gewicht: koitierendes Paar; Messing; Akan-Gruppe, Ghana,
20. Jh.;Inv.nr.F 56.017
- Goldstaub-Gewicht; schlafendes Paar; Messing; Akan-Gruppe, Ghana um
1750-1900; Inv.nr. F 56.018
- Goldstaub-Gewicht; Gebärende mit Geburtshelfer; Messing; Akan-Gruppe,
Ghana, 20. Jh.; Inv.nr. F 56.021
- Hochrelief: Geburtsszene; Holz; Bamum, Kamerun, 2. Hälfte 20. Jh.; Inv.nr.
F 56.062
- Figürliche Szene: Vorbereitung einer Geburt; Messing; Mosi, Burkina Faso,
20. Jh.; Inv.nr. F 56.067
- Statuette: Schwangere;Terracotta; Mopti-Kultur? Mali um 1100 (?); Inv.nr.
F 56.084
2. Objekte, die die menschliche Fruchtbarkeit fördern sollten:
- Weibliche Figur: rituelle Fruchtbarkeitspuppe akua ba\ Holz; Ashanti, Ghana
um 1900; Inv.nr. F 55.985
- Weibliche Figur: rituelle Fruchtbarkeitspuppe akua ha\ Holz; Fanti, Ghana um
1900; Inv.nr. F 55.986
- Frisurkamm: mit angeschnitztem Kopf einer Fruchtbarkeitspuppe akua ba\
Holz; Akan-Gruppe, Ghana um 1900; Inv.nr. F 56.028
3. Objekte, die der Prophylaxe dienten:
- ^Männliche Figur: Buckliger; Holz; Akwapim, Stadt Anum, Ghana um 1900;
Inv.nr. F 55.984
- Gesichtsmaske des E/c/?o-Bundes; Holz; Edo, Nigeria, 20. Jh.; Inv.nr. F 56.046
- Gesichtsmaske des E/cpo-Bundes: Antilope Azigho\ Holz; Edo, Nigeria,
20. Jh.; Inv.nr. F 56.047
4. Krankheitsdarstellungen:
- *Männliche Figur: Buckliger; Holz; Akwapim, Stadt Anum, Ghana um 1900;
Inv.nr. F 55.984
- *Weibliche Figur: Pockenkranke; Holz; Ewe-Gruppe,Togo um 1900; Inv.nr.
F 56.042
- *Weibliche Figur: rituelle Zwillingsfigur ibeji mit Merkmalen von Kwashior-
kor, an dem das Kind laut Auskunft des Schnitzers verstorben ist; Holz;
Oyo-Yoruba, Nigeria, 20. Jh.; Inv.nr. F 56.044
- *Gesichtsmaske des E/cpo-Bundes: unglücklicher Ahn mit linksseitiger
Fazialisparese; Holz; Ibibio, Nigeria um 1900; Inv.nr. F 56.049
- ^Weibliche Figur: Abdominaltumor; Holz; Kameruner Grasland, 2. Hälfte
20. Jh.; Inv.nr. F 56.058
- *Statuettenpaar: lepröser Trommler und Frau, die Geld für ihn sammelt;
Messing; Mosi, Burkina Faso, 20. Jh.; Inv.nr. F 56.066 a-b
- Figürliche Szene: Mutter bläst ihrem kranken Kind ein Klistier in den After;
Messing; Mosi, Burkina Faso, 20. Jh.; Inv.nr. F 56.068
32
5. Objekte, die der Therapie dienten:
- Zwei Amulettbündel eines traditionellen Heilers, die bei seinem Übertritt
zum Christentum eigentlich hätten verbrannt werden sollen;Textilien,
Ziegenhörner u.a.; Meta’, Stadt Mbengwi, Kamerun, 20. Jh.;
Inv.nr. F 56.056-57
- Amulett; Medizin gegen Schlangenbisse; Leder,Tierhorn; Kusasi, Ghana,
20. Jh.; Inv.nr. F 56.069
Die mit * gekennzeichneten Objekte waren von Herrn Dr. Haaf schon veröffentlicht
worden in:
Haaf, Ernst/ Zwernemann, Jürgen
1971 Krankheitsdarstellungen an afrikanischen Masken und Figuren. Tribus 20,
S. 35-62.
1975 Geburt - Krankheit - Tod in der afrikanischen Kunst. Stuttgart.
Haaf, Ernst
1984 Fetische, Götzen und Dämonen. Krankheitsdarstellungen auf afrikanischen
Masken und Figuren. Deutsches Ärzteblatt B 81, S. 1099-1102.
Hermann Forkl
33
TRIBUS 58,2009
Lateinamerika-Referat
Der Sammlung des Lateinamerika-Referates wurde dieses Jahr von Frau Steisslin-
ger aus Böblingen eine bedeutende Schenkung gemacht: ein Ritualensemble der
Tikuna-Indianer vom Oberlauf des Rio Solimöes, Brasilien. Gesammelt hat es der
Schwiegervater von Frau Steisslinger, der Maler Fritz Steisslinger, der zu den bedeu-
tendsten Künstlern des südwestdeutschen Raumes gehörte (www.fritz-steisslinger.
de), in den Jahren zwischen 1948 und 1959, als er in Brasilien lebte.
Das Ritualensemble ist aus Rindenbast gearbeitet und entspricht dem auf dem
Foto gezeigten Kostüm (mit ausladendem „Schirm“).
Die Tikuna, eine Gruppe von gegenwärtig ungefähr 40.000 Personen, leben im
südlichen Teil Nordwestamazoniens, im Grenzgebiet von Brasilien, Kolumbien und
Peru am Rio Solimöes und seinen Nebenflüssen. Der größte Teil der Tikuna lebt in
Brasilien. Sie sind berühmt für ihre Maskentänze, ein sichtbarer Ausdruck sozialen,
politischen und ökologischen Austausches in Nordwest-Amazonien. In den Masken-
tänzen dieser Region treten häufig Geister oder Geistwesen (Tiere, Pflanzen, Wet-
tergeister) auf. Die Anlässe für solche Tänze sind unterschiedlich: Einweihung eines
Hauses, Reife einer bestimmten Frucht, Initiationsriten oder generell Rites de
Passage, Besuch von Bewohnern eines anderen Dorfes. Sie finden in der Regel zu
festgelegten Zeiten statt: Reife bestimmter Früchte, Maniokernte oder hohes Fisch-
aufkommen.
Ritual der Tikuna, Brasilien. Foto: F. Steisslinger
Bei dem abgebildeten Maskentanz, dem das Kostüm entstammt, handelt es sich
um das „Festa da Moça Nova“, das „Fest des jungen Mädchens“. Dieses Ritual ge-
hört neben dem Namensgebungsritual für kleine Kinder zu den wichtigsten und auf-
wändigsten bei den Tikuna. Anlass ist die erste Menstruation eines Mädchens: Sie
zieht sich sofort zurück und verbringt die Zeit bis zum Ritual, die durchaus bis zu
zwei Monaten dauern kann, in einem kleinen, gesondert für sie eingerichteten Raum.
Um das Fest vorzubereiten, werden große Mengen von Nahrungsmitteln beschafft,
um die Gäste zu verköstigen, und die alkoholischen Getränke, in der Regel
Maniok’bier’, werden hergestellt. Die in den vorangegangenen Monaten aus Rin-
denbast hergestellten und während des Rituals getragenen Masken, werden im Wald
34
aufbewahrt. Die Tänzer ziehen sich bereits im Wald um, so dass sie nicht erkannt
werden können. Während des Rituals stürmen die Tänzer immer wieder das Haus, in
dem das Mädchen untergebracht ist, und trinken Maniokbier. Rituelle Gesänge, be-
gleitet von Trommeln und Trompeten, begleiten den Tanz.
Am Ende wird das Mädchen herausgeholt und nimmt am Tanz teil. Dann werden
ihr in einer schmerzhaften Zeremonie die Kopfhaare ausgerissen. Anschließend
wird es für erwachsen und heiratsfähig erklärt. Sind die Haare einige Monate später
nachgewachsen, gibt es noch einmal eine kleinere Feier, bei der die Masken ver-
brannt werden. Die Rindenbastteile benutzt man häufig als Sitzmatten.
Heute finden diese Rituale immer seltener statt, was auf die zunehmende Christi-
anisierung der Tikuna zurückgeführt wird.
Als kleinere Schenkung erhielt das Referat einige Rollstempel aus Ton (Mexiko)
sowie einen mit Silber beschlagenen Trinkbecher für Kakao.
Doris Kurella
Literatur;
Conselho Indigenista Missionàrio (CIMI)
Nimuendajú, Curt: The Tukuna. University of California Press, Berkeley and Los
Angeles, 1952.
Sampaio-Silva, Orlando: Máscaras de Dan^aTükúna. Revista do Museu de Arqueo-
logía e Ethnologia, Sao Paulo 10:217-288,2000.
35
TRIBUS 58,2009
Nordamerika-Referat
Da im Jahr 2008 keine Eigenerwerbsmittel zur Verfügung standen, konnten keine
gezielten Erwerbungen getätigt werden. Desto erfreulicher ist es, dass dem Linden-
Museum einzelne Stücke geschenkt wurden. Neben einem Parka, der um 1960 von
Inuit-Frauen in Englefield Bay, Grönland, hergestellt wurde, sind ein Birkenrinden-
blatt zu erwähnen, das von der in Saskatchewan lebenden Cree-Künstlerin Ange-
lique Merasty Levac stammt. Die feinen Ornamente entstanden durch das Falten
und Bearbeiten der dünnen Birkenrinden mit den Zähnen. Diese Tradition india-
nischer Frauen im Gebiet der Großen Seen wird heute nur noch von wenigen ge-
pflegt.
Die Sonderausstellung „Grönland-Inuit: Leben am Rande der Welt“ veranlasste
einen Stuttgarter Privatsammler, sich von seiner in den letzten dreißig Jahren ange-
legten Sammlung geschnitzter Figuren zu trennen. Von den fünfzehn Tupilak-Dar-
stellungen konnten einige Stücke bereits im Mai 2008 in der Sonderausstellung ge-
zeigt werden.
Mein Dank gilt ihnen allen, die sich von liebgewordenen „Begleitern“ trennten,
um sie dem Linden-Museum zu schenken.
Sonja Schiede
Schnitzereien.
Grönland, 1970-1985.
Handgeschnitzt aus Walrosselfenbein, Walzahn oder Rentiergeweih sind bildhafte
Darstellungen von Tieren, Menschen oder Geistwesen heute beliebte Souvenirs. Die
grimmig aussehenden Tupilak-Darstellungen (auf dem Foto die zwei Figuren links)
gehen auf die Vorstellung der Inuit zurück, dass Schamanen Mischwesen herstellten,
mit deren Kräften sie Unglück oder Tod über einen Feind bringen konnten. Allein
der Anblick dieser Angst einflößenden Gestalten konnte schon tödlich sein. Die
rechte Figur zeigt ein Wesen, das Elemente von Walross, Mensch und Robbe in sich
vereint.
36
Ostasien-Referat
Im zurückliegenden Jahr erhielt die Ostasien-Abteilung insgesamt 129 neue Ob-
jekte. Hiervon konnte der Großteil, 38 Miao-Textilien, einzelne Schmuckstücke aus
Silber sowie Arbeitsgeräte für die Textilherstellung, bereits Anfang des Jahres mit
Hilfe von Zentralfonds-Mitteln erworben werden. Da die ethnischen Minderheiten
Chinas, zu denen auch die Miao gehören, ungeachtet ihrer Bedeutung für die kultu-
relle Landschaft Chinas, bis jetzt so gut wie gar nicht in der Ostasien-Sammlung des
Linden-Museums vertreten waren, ist hiermit eine Basis geschaffen worden, von der
ausgehend auch dieses spezifische Sammlungsgebiet Schritt für Schritt ausgebaut
werden kann.
Unter den Neuzugängen ebenfalls besonders hervorzuheben ist ein seltenes chine-
sisches Rangabzeichen aus der ersten Hälfte des 18. Jh. Das aus feiner Seidengaze
gefertigte Textil zeigt eine Wildgans, die als Symboltier dem vierten Beamtenrang
der chinesischen Zivilverwaltung zugeordnet war. Es gelangte gemeinsam mit einem
kleinen japanischen Teller mit Bachstelzen-Dekor als großzügige Stiftung ins Haus
und ist nun das älteste Rangabzeichen in unserer Sammlung ostasiatischer Textilien.
Die Textilsammlung der Ostasien-Abteilung wurde des Weiteren durch 17 moder-
ne japanische Textilien ergänzt - auch dies eine willkommene Stiftung.
Per Legat erhielt das Museum Ende des Jahres ein großes chinesisches Bronzebe-
cken aus dem 19. Jh. mit zwei seitlichen in Form von Drachen gegossenen Henkeln
und reliefierten Darstellungen von fliegenden Kranichen auf der Gefäßwandung.
Eine weitere Stiftung stellen eine Gruppe japanischer Kutani-Keramiken dar,
bestehend aus einem fünfteiligen Tellerset, einer Vase in Flaschenkürbisform und
einem kleinen rechteckigen Tellerchen mit Vogeldekor, sowie ein seltener
Nabeshima-Teller aus dem 17./18. Jh. mit einem Dekor aus Blüten in Eisenrot und
Gelb neben Rankwerk mit Blattdekor in Unterglasurblau und hellem Grün.
Uta Werlich
Abb. I: Stickerei-Applikation der Miao für Jackenärmel.
Indigo ge färbte Baumwolle mit roter Seidenstickerei. L 90,0 cm; B 105,0 cm. China, Provinz
Guizhou, Ortschaft Shidong, 1980er Jahre. Inv.-Nr. OA 25.778 L.
37
TRIBUS 58,2009
Abb. 2: Rangabzeichen.
Seide, gewebt. L 24,0 cm; B 25,0 cm. China, Qing-Dynastie (1644-1911), Qianlong-Ära
(1736-1795). Inv.-Nr. OA 25.919.
Abb. 3: Kleiner Teller mit Bachstelzen-Dekor.
Blauweiß-Porzellan vom Typ Ai-Kutani mit Goldlack-Restaurierung. H 3,0 cm; D 14,2 cm.
Japan, Anfang Edo-Zeit (1603-1868). Inv.-Nr. OA 25.920.
Alle Fotos: A. Dreyer
38
Ozeanien-Referat
Trotz fehlender Ankaufsmittel war das Jahr 2008 für die Ozeanien-Abteilung ein
zahlenmäßig gutes Jahr. Inventarisiert werden konnten insgesamt 219 Objekte, die
durch vier ganz unterschiedliche Stiftungen ins Haus kamen, für die wir den Stiftern
zu großem Dank verpflichtet sind.
Bereits zu Beginn des 20. Jh. gesammelt wurden die 59 Objekte, die dem Linden-
Museum aus dem Nachlass der auf Neubritannien geborenen Tochter Lieselotte des
Missionars Heinrich Fellmann zuwuchsen. Frau Lieselotte Fellmann, 2008 in Lud-
wigsburg verstorben, hatte diese Objekte Zeit ihres Lebens als Erinnerungsstücke
der Familiengeschichte in ihrem Besitz. Von der Erbengemeinschaft, vertreten durch
Herrn Dr. Norbert Fellmann, gelangten diese Objekte - aus Neubritannien und
Neuirland, aber auch aus Samoa - jetzt in das Linden-Museum, wo sie die bereits
bestehenden Sammlungen ergänzen, die von Heinrich Fellmann direkt bzw. von sei-
nen Erben dem Museum zu früherer Zeit übergeben wurden und ganz wesentliche
Sammlungskomplexe vor allem von Neuirland und Neubritannien darstellen.
Vermutlich in den 60er Jahren des 20 Jh. im Hochland von Neuguinea gesammelt
wurden die 9 Objekte der Sammlung Staiger, die neben 7 Pfeilen und einem Bogen
auch ein traditionelles Steinbeil umfasst. Sie wurden im missionarischen Kontext ei-
ner christlichen Bruderschaft gesammelt. Pfeile und Bögen - insgesamt 144 Einzel-
objekte, die unter 40 Nummern inventarisiert wurden - enthielt auch eine Stiftung
von Professor Dr. Peter Thiele, gesammelt in den 70er und 80er Jahren. Diese Ob-
jekte sind besonders bemerkenswert, da die traditionellen Waffen, die man auch
Ende des 20. Jh. noch gelegentlich bei Stammesauseinandersetzungen im Hochland
Neuguineas einsetzte, hier als „Kuriositäten“ oder „Erinnerungslücke“ Touristen bei
An- oder Abreise in der Form von Konvoluten angeboten wurden - mit sorgsam
variierenden Dekoren auf den Pfeilen, die mit Drahtschlingen zu Bündeln zusam-
men gefasst sind. In dieser Form geben sie Auskunft über Aspekte der Selbstdarstel-
lung ebenso wie über externe Zuschreibungen.
Schließlich erhielten wir in der 2. Jahreshälfte eindrucksvolle Beispiele für die
Kunst der Aborigines durch zwei Arbeiten in Acryl auf Papier, nämlich „Snakes pro-
tecting their Eggs“ von Wandjidari und „Lizards“ vonTatipai Barsa,und ein kleineres
„Dot Painting“ von Janet Forrester „Uparli - Bush Banana Dreaming“, ausgeführt
in Acryl auf Leinwand. Ergänzt wurde diese Stiftung durch drei kleinere Arbeiten
auf Rinde, deren Autorinnen bisher unbekannt sind, und durch ein Didgeridoo. Be-
sonders die Arbeiten auf Papier sind für die Sammlung von großer Bedeutung, da
dieses Genre - wie auch Künstler aus der weiteren Queensland Region - bisher in
unserer Sammlung nicht vertreten waren. Den Stiftern, Frau Ursula und Herrn Hans
Hugendubel aus Leonberg gilt deshalb unser besonderer Dank.
Ingrid Heermann
39
Berichte aus den Arbeitsbereichen
Wissenschaftliche Referate
Bericht des Afrika-Referats
Zu der Resonanz, die die Sonderausstellung Von Kapstadt bis Windhuk. „ Hotten-
totten“ oder Khoekhoen? Die Rehabilitierung einer Völkergruppe in der Öffentlich-
keit gefunden hat, ist ergänzend zu dem Bericht in Tribus 57,2008, S. 26ff. noch nach-
zutragen, dass dem Vorschlag des Afrika-Referenten an die Stuttgarter Kommunal-
behörden zur Umbenennung der Leutweinstraße in Albert-Luthuli-Straße nur z.T.
entsprochen wurde: Die Leutweinstraße im Stadtteil Obertürkheim wurde in Am
Weinberg umbenannt, doch dafür soll es im Stadtteil Burgholzhof bald einen völlig
neu geschaffenen Albert-Luthuli-Platz geben. Durch die Ausstellung aufmerksam
geworden, luden Die Naturfreunde Bezirk Stuttgart e. V den Referenten zu zwei Vor-
trägen ein, einmal mit dem Thema der Ausstellung selbst (30. III.) und später mit dem
Thema Deutsche Spuren in Afrika (20.VL).
Leider erst nach dem Abbau der Ausstellung konnte in Zusammenarbeit mit dem
Indigenous Peoples ofAfrica Co-ordinating Committee und Brot für die Welt am 25. V.
im Linden-Museum eine kleine Tagung zum Thema Indigenous People in Africa un-
ter Teilnahme von Vertreterinnen und Vertretern der Masai (Kenia),Twa (Burundi),
Tuareg (Rep. Niger) und Griqua (Südafrika) stattfinden. Insbesondere bei Herrn
Cecil Lefleur, einem Mitglied der regierenden Häuptlingsfamilie der Griqua, fanden
die Idee der Ausstellung über die Khoekhoen, zu denen sich die Griqua ja zählen,
sowie der Katalog großen Zuspruch.
Auf einer weiteren Tagung zum Gedenken an den Stellvertretenden Direktor des
Deutschen Landwirtschaftsmuseums der Universität Hohenheim, Bernhard Klocke,
die von der Bernhard Klocke Foundation im Hohenheimer Tropenzentrum organi-
siert worden war, hielt ich am 22.XL einen Vortrag zum Thema Die ethische Ver-
pflichtung des Museums zur Einmischung, der die ethischen Ansprüche der im Lin-
den-Museum gezeigten Sonderausstellungen Gewalt überwinden am Beispiel des
Erdöl- und Pipelineprojektes Tschad/Kamerun (2007, bezogen vom Diakonischen
Werk) und Von Kapstadt bis Windhuk (2007-08) sowie das Problem unseriöser Da-
tierungen im Africana-Kunsthandel erörterte.
Für eine Reihe extern geleiteter Forschungsprojekte konnte ich sowohl das reich-
haltige Material unseres Hauses - als auch meine Kooperation - zur Verfügung stel-
len, nämlich, um nur die wichtigsten zu nennen:
► dreidimensionale Bestände aus dem Afrika-Magazin für eine im Institut für Mu-
sik an der Universität Oldenburg vorbereitete Systematik afrikanischer Musik-
bogen;
► die in der Afrika-Dauerausstellung und in der Sonderausstellung Von Kapstadt
bis Windhuk zu hörenden Beispiele afrikanischer Musik für eine Diplomarbeit
im Fach Museologie an der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leip-
zig zum Thema des Einsatzes akustischer Medien in Museen;
► dreidimensionale Bestände aus dem Afrika-Magazin und Material aus unseren
Archiven (nicht Magazinen; darunter Briefe der niederländischen Forschungs-
reisenden Alexandrine Tinne!) zu einem Projekt aus ethnologischer Sicht über
den im Sudan und in Äthiopien tätigen Forschungsreisenden Theodor v. Heuglin
im Afrika Studie centrum der Universität Leiden;
► Material aus unseren Archiven zu einem Projekt aus geographischer Sicht über
v. Heuglin am Leihniz-Institut für Länderkunde in Leipzig;
► Material aus unseren Archiven zum Thema Die sammelbare Welt, ein Kooperati-
onsprojekt zusammen mit dem Historischen Institut der Universität Mannheim
über die vor allem afrikanisches Material betreffende Sammlungsgeschichte des
Linden-Museums 1882-1973.
41
TRIBUS 58,2009
Dabei fällt auf, dass gerade das Archivmaterial des Linden-Museums zu For-
schungszwecken mit seit Jahren steigender Tendenz gefragt ist.
Der Tod des Ethnomediziners Dr. Ernst Haaf (Nachruf s. Tribus 57, 2008, S. 46ff.
und Korrektur in diesem Band) brachte es mit sich, dass das Linden-Museum als
Nachlass über eine Schenkung von Frau Dr. Lilienne Haaf sowohl seine reiche eth-
nographische Sammlung (vgl. Erwerbungsbericht) - soweit er sie dem Haus nicht
schon zu Lebzeiten übereignet hatte - als auch seine ethnologische Fachbibliothek
übernehmen durfte.
Auf Einladung des Beirats der Ausstellung Black is Beautiful zur Darstellung von
Schwarzafrikanern in der niederländischen Malerei seit dem 14. Jahrhundert in der
Amsterdamer Nieuwe Kerk reisten meine Frau Dr. Monika Firla und ich im Septem-
ber für einige Tage zur Besichtigung dieses Projekts dorthin. Die Einladung erging
vor allem an meine Frau als Anerkennung für die vielen Informationen, in Form von
Publikationen und Vorträgen (nicht zuletzt auch im Jour fixe in der Afrika-Abtei-
lung) zur Geschichte der Afrikanischen Diaspora in Europa, die der Ausstellung zu-
gute kamen. Doch auch unseres Jour fixe zur Geschichte von Suriname mit der Prä-
sentation entsprechender Objekte aus den Sammlungen des Lateinamerika-Refe-
rats am 5.III.2003 wurde bei dieser Gelegenheit noch einmal gedacht, nicht ohne uns
zu weiteren entsprechenden Aktivitäten zu ermuntern.
Schließlich konnten wir am 3.XII. den 20. Jahrestag der Einrichtung des Jour fixe
begehen. Zu diesem Anlass erschien als Band III der Materialien zum Jour fixe in der
A frika-Abteilung im Linden-Museum Stuttgart das von meiner Frau und mir zusam-
mengestellte Büchlein: »Geduld wird nicht sauer, egal, wie lange du sie aufhebst«.
20 Jahre Jour fixe in der Afrika-Abteilung im Linden-Museum Stuttgart.
Hermann Forkl
42
Bericht des Lateinamerika-Referats
Im Jahr 2008 konnte die Publikation „Kulturen und Bauwerke des Alten Peru“
abgeschlossen werden. Das Buch erschien im Juni 2008 im Kroner-Verlag Stuttgart.
Es ist gleichzeitig ein Reiseführer für Individualtouristen, die die archäologischen
Stätten Perus auf eigene Faust erkunden möchten (Reihe “Geschichte im Ruck-
sack“) sowie ein Einführungstext für Studienanfänger und allgemein an der Archä-
ologie und den alten Kulturen Perus Interessierte.
Im Herbst konnte die Arbeit an einer wei-
teren Publikation aufgenommen werden. Das
Buch wird, ausgehend von der Kolumbien-
Sammlung des Linden-Museums, eine ikono-
graphische Studie insbesondere der so
genannten „Tunjos“, Votivgaben der Musica-
Kultur Kolumbiens (1200-1536 n. Chr.) als
Ausgangspunkt haben. Eingebettet wird diese
Studie in eine umfassende Darstellung der
präkolumbischen Kulturen Kolumbiens und
der angrenzenden Regionen Venezuelas (ins-
besondere der Cordillera de Mérida). Die Pla-
nung sieht vor, diese Publikation im Frühjahr
2011 abzuschließen. Gleichzeitig wurde be-
gonnen, die ungefähr 600 altperuanischen Ke-
ramiken der bedeutenden Sutorius-Sammlung,
darunter die berühmte Keramik der „Coca-
Zeremonie“ zu fotografieren, um sie mittels
der Datenbank IMDAS-Pro ins Netz zu stel-
len. Mit einher geht die wissenschaftliche Bearbeitung der Sammlung und eine Pu-
blikation für den nächsten Tribus (mit Prof. Peter Kaulicke, Pontifica Universidad
Católica, Perú).
Doris Kurelia
Doris Kurella
Kulturen und Bauwerke
des Alten Peru
Bericht des Nordamerika-Referats
Als Beitrag zum Internationalen Polarjahr erarbeitete ich die Sonderausstellung
„Grönland Inuit: Leben am Rande der Welt“ (17.5.-21.9.2008), die Gegenwart, Ge-
schichte und Zukunft der Grönland-Inuit thematisiert. Die Ausstellung zeigte Fotos
des Schweizer Fotografen Markus Bühler-Rasom, der seit über zehn Jahren die Ar-
beits- und Lebensbedingungen der im Norden lebenden Inuit dokumentiert, in Ver-
bindung mit Exponaten aus der Sammlung des Linden-Museums. Zur Vorbereitung
erfolgte eine wissenschaftliche Recherche zu ausgewählten Sammlungsobjekten aus
dem Gebiet der Arktis, insbesondere Grönland. Erarbeiten von Informationen zur
Kulturgeschichte Grönlands einschließlich der aktuellen Lebenswirklichkeit. Die
Erstellung und Gestaltung der Ausstellungspanele zum Themenbereich „Grönland:
Naturraum und Klimawandel“ erfolgte in produktiver Kooperation mit Prof. Dr.
Roland Hahn, emeritierter Professor des Instituts für Geographie der Universität
Stuttgart und Vorsitzender der Gesellschaft für Erd- und Völkerkunde.
Zur Ausstellung wurde ein vielfältiges Begleitprogramm entwickelt mit Ge-
sprächen, Erzähl- und Filmprogrammen.
Dank der Förderung durch die Robert-Bosch-Stiftung konnte im Rahmen der
„American Days“ der Hopi-Künstler Michael Kabotie vom 19. bis 26. Juni eingela-
den werden. Unter seiner fachkundigen Anleitung stellten Teilnehmer des Work-
shops „Du und das Metall“ eindrucksvolle Schmuckstücke in der für die Hopi-Indi-
43
TRI BUS 58,2009
aner typischen Overlay-Technik her. Michael Kabotie war zudem ein faszinierender
Gesprächspartner für Schulklassen in der „Nordamerika“-Ausstellung. Auch wurde
die Zeit zur kulturellen Dokumentation der im Linden-Museum vorhandenen
Sammlung an Hopi-Katsina-Figuren genutzt.
Basisvortrag „Maximilian Prince zu Wied and Karl Bodmer Exploring the Inner
North America: Science Meets Art“ am 24. Oktober 2008 als Beitrag zum „Maximi-
lian & Bodmer Symposium“ (23.-27. Oktober 2008), das veranstaltet von der Fort
Mandan Foundation in Bismarck, North Dakota stattfand. Während des anschlie-
ßenden Aufenthalts auf der Fort Berthold Reservation (28.-31.10.) wurden bei Be-
gegnungen mit Stammesmitgliedern aktuelle Entwicklungen diskutiert.
Besuch des Royal Ontario Museums, Toronto, vom 1. bis 5. November, um zusam-
men mit dem Kurator Arni Brownstone Möglichkeiten der Kooperation zwischen
dem ROM und dem Linden-Museum zu prüfen. Nach ausgiebiger Sichtung der
„Nordamerika“-Ausstellung und zahlreicher Sammlungsobjekte zeichnet sich ein
Austausch von Sammlungen ab, der Exponate aus der repräsentativen Blackfoot-
Sammlung des ROM für eine Ausstellung im Linden-Museum vorsieht, einschließ-
lich der Bereitstellung von Forschungsergebnissen zur Anpassung der Kainai
(Blood) an das Reservationsleben. Im Austausch ist das Linden-Museum bereit, Ex-
ponate, die im frühen 19. Jh. von Prinz Maximilian zu Wied und Herzog Paul Wil-
helm von Württemberg in Nordamerika gesammelt wurden, als Leihgaben nach
Toronto zu geben.
Magazinbesuch von Gaylord Torrence 25. Februar mit Untersuchung der aus Roh-
haut gefertigten Falttaschen (Parfleche); dabei konstatierte der auf die Forschung
von Parfleche spezialisierte Kunstprofessor, dass die auf ca. 1800 datierte und von
Herzog Paul Wilhelm von Württemberg gesammelte Parfleche (Inv.-Nr. 12591) welt-
weit die älteste ist, die von östlichen Plains-Indianern bekannt ist. Während des Be-
suchs von David Borlaug, Präsident der in Washburn, North Dakota ansässigen
Lewis & Clark Fort Mandan Foundation, und Clay Jenkinson vom North Dakota
Institute in Bismarck, North Dakota, am 21. und 22. Mai wurden Leihgaben aus der
Wied-Sammlung für eine Sonderausstellung zu Karl Bodmer und Prinz Maximilian
zu Wied gesichtet und der Beitrag europäischer Experten zu dem im Oktober statt-
findenden „Maximilian & Bodmer Symposium“ reflektiert. Nicholas Waller hielt
sich von 26. bis 29. Mai im Magazin auf, im Rahmen seiner Recherche über religiöse
Objekte von den Crow in Sammlungen europäischer Museen. Da für die Ausstellung
„Karl Bodmer und Maximilian zu Wied“ im Lewis and Clark Interpretative Center
in Washburn Archivalien aus dem Wiedisch Fürstlichen Archiv, Neuwied, zusammen
mit Leihgaben des Linden-Museums transportiert wurden, kam Fürst Carl zu Wied
am 2. Oktober nach Stuttgart, um die Objekte persönlich zu übergeben und zugleich
die Gelegenheit zu nutzen, die „Nordamerika“-Dauerausstellung zu besichtigen.
Sonja Schiede
44
Bericht des Ostasien-Referats
Anfang des Jahres bestimmten vor allem die Vorbereitung und Bereitstellung von
165 Objekten für die in Japan gezeigte Ausstellungstournee „The Beauty of Edo and
Meiji - Aesthetics of Doctor Baelz” (25. April 2008 bis 10. Mai 2009) die Arbeit im
Referat.
Es folgten Planung und Durchführung der Veranstaltungsreihe „China und der
Westen“ (5. bis 27. Juli 2008), die bekannte chinesische Exportschlager wie Fengshui,
Kungfu oder Traditionelle Chinesische Medizin genauso in den Fokus rückte wie das
enorme chinesische Wirtschaftspotenzial oder die sensible Frage nach dem chine-
sischen Menschenrechtsverständnis. Als Referenten konnten namhafte Sinologen
und Chinaexperten aus ganz Deutschland gewonnen werden, die umfassend über die
genannten Themen informierten. Ebenfalls im Rahmen der Veranstaltungsreihe fan-
den zwei außergewöhnliche Konzerte statt; Als Auftaktveranstaltung am 5. Juli trat
der in Berlin lebende chinesische Musiker Wu Wei gemeinsam mit dem franzö-
sischen Akkordeonisten Pascal Contet auf und präsentierte ein spannendes Cross-
over-Projekt, in dem sich chinesische Tradition mit westlichen Klängen verband. Am
13. Juli gastierte die chinesische Erhu-Virtuosin Xu Jiangde gemeinsam mit dem
Gufeng-Ensemble im Linden-Museum; es war der erste Auftritt der Ausnahme-
künstlerin in Deutschland überhaupt. Zeitgenössisches Kino sowie Mitmach-Ange-
bote für die ganze Familie rundeten das Programm ab. Begleitend zur Veranstal-
tungsreihe wurde im Kabinettraum der Dauerausstellung Ostasien eine kleine
Sammlung von Miao-Textilien präsentiert, die Anfang des Jahres mit Zentralfonds-
Mitteln erworben werden konnte.
In der zweiten Jahreshälfte rückten die Arbeiten an der bereits im Sommer 2007
begonnenen datenbankgestützten Inventarisierung der Sammlungsbestände wieder
mehr in den Vordergrund. Für das Projekt wurden die beiden studentischen Hilfs-
kräfte Frau He Heng und Frau Simone Schultz eingestellt, die in enger Zusammen-
arbeit mit der Magazinverwaltung arbeiteten. Auf diesem Weg war es möglich, bis
Ende 2008 rund 90 % der Ostasien-Sammlung mit Basisdaten und Magazin-Standor-
ten in der hauseigenen Datenbank Imdas-Pro zu erfassen.
Ebenfalls unterstützt wurde die Abteilungsleitung im vergangenen Jahr von Frau
Zhang Dong, die als ehrenamtliche Mitarbeiterin im Ostasien-Referat tätig war.
Präsentation von Miao-Textilien in der Dauerausstellung Ostasien.
Foto: A. Dreyer
45
TRIBUS 58,2009
Bericht des Ozeanien-Referats
Der weitaus größte Teil der Arbeit in der Ozeanien-Abteilung galt 2008 der Vor-
bereitung der „Atolle-Ausstellung“, die ab Dezember 2009 unter dem Titel „Südsee-
Oasen - Leben und Überleben im Westpazifik“ gezeigt werden soll. Sie hat sich zum
Ziel gesetzt, die Region Mikronesien umfassend vorzustellen - ein durchaus ambiti-
oniertes Unterfangen, zumal sich die unterschiedlichen Inselkulturen nicht als die
„Trittsteine“ auf dem Weg der Austronesier nach Polynesien zeigen, wie früher ange-
nommen, sondern als ganz eigenständige Kulturen mit Einflüssen aus unterschied-
lichen Himmelsrichtungen.
Einer der Schwerpunkte der Ausstellung wird die Umweltproblematik sein, ein
weiterer das in den vergangenen Jahrzehnten auf allen Inseln ständig gewachsene
Bemühen, im Alltag weitgehend obsolet gewordene traditionelle Kenntnisse und
Fertigkeiten zu erhalten, zu revitalisieren und zu dokumentieren. Dies trifft auf tra-
ditionelle Architekturformen zu, in besonderem Maße aber auf die traditionellen
Methoden des Bootsbaus und der Navigation, die den frühen Einwanderern nicht
nur das Auffinden kleiner und kleinster Inselgruppen ermöglichte, sondern das
„Meer der Inseln“ auch zu einem der schon in voreuropäischer Zeit meist bereisten
Gewässer machte. Die einheimischen Auslegerboote, von den europäischen Entde-
ckern wegen ihrer Schnelligkeit als „Flying Proas“ bezeichnet, zeichnen sich bis heu-
te durch Schnelligkeit und Wendigkeit aus, während die traditionelle Navigation
nach Sternen und Strömungen und die langen Phasen des Studiums der Insel- und
Sternenkonstellationen in Stuttgart erstmals mit verschiedenen Medien präsentiert
werden sollen.
Kontakte zu Kollegen an nationalen Institutionen und auch zu im Umweltschutz
tätigen Nicht-Regierungs-Stellen ergaben erste Realisierungsmöglichkeiten, der Be-
such des Filmemachers Eric Metzgar aus Los Angeles viele auch visuelle Anregungen.
Aktivitäten wie die Ausstellung - Riffe, Regenwälder des Meeres - anlässlich des
Internationalen Riffjahres 2008 im Museum für Naturkunde Berlin und der Besuch
des stark in der Klimadebatte engagierten Pfarrers Bäte aus Kiribati schließlich
legten nahe, eine intensive Verbindung zwischen Umweltfragen, völkerkundlicher
Thematik und den Problemen des 21. Jh. nicht nur in Begleitprogrammen, sondern
in der Ausstellung selbst zu suchen.
Eine fünfwöchige Reise im November und Dezember zu den Marshall-lnseln,
Kosrae, Pohnpei und Yap (Mikronesische Föderation) und Guam mit seinem Mi-
cronesian Area Research Centre erlaubte zwar keine völkerkundliche Forschungs-
arbeit, aber doch den Kontakt zu ganz unterschiedlichen Institutionen und Persön-
lichkeiten und einen Einblick in ihre „Sicht der Dinge“. Dass es in Majuro (Mar-
shall-Inseln) und auf Yap möglich war, zumindest eine kurze Erfahrung auf traditio-
nellen Booten zu machen, war für mich persönlich eines der Highlights der Reise.
Wir hoffen, dass die Kontakte zum Bootsbauer Chief Tharnak dazu führen, dass ein
neu erbautes traditionelles Auslegerboot von Yap 2009 für die Ausstellung erworben
werden kann.
Zum Schwerpunkt Mikronesien gesellte sich 2008 als weiterer Schwerpunkt der
Kontakt zum Te Papa Museum in Wellington, Neuseeland, von dem wir hofften, für
2010/2011 eine Ausstellung übernehmen zu können. Obwohl diese Kooperation an-
gesichts der schwierigen finanziellen Situation und terminlicher Probleme inzwi-
schen (April 2009) abgesagt werden musste, gehörte der Besuch vom Maori Direk-
tor Harapata Hakiwai und S.E. dem Botschafter Neuseelands in Berlin zu den äu-
ßerst erfreulichen Ereignissen des letzten Jahres. Dank schließlich schulden wir in
diesem Zusammenhang auch Frau von Wesendong vom Auswärtigen Amt, die uns
äußerst tatkräftig und engagiert unterstützt und uns weitere Kontakte vermittelt
hat. Angesichts vielfältiger Unterstützung im politischen Bereich war es für uns um
zu bedauerlicher, dass dieses Projekt in der nahen Zukunft nicht realisiert werden
kann.
46
Während die Ozeanien-Abteilung im Berichtszeitraum keine eigene Ausstellung
präsentieren konnte, war es möglich, andere Südsee-Aktivitäten zumindest indirekt
zu unterstützen. So entstand ein kürzerer Text zur Kunst der melanesischen Inseln
für die Ausstellung „Oceanie“, die vom Herbst 2008 bis Frühjahr 2009 in Brüssel
nicht zuletzt zur Unterstützung des momentan „abgewickelten“ Lehrstuhls für au-
ßereuropäische Kunst an der Universität Gent mit Objekten vor allem aus Belgien
und den Niederlanden gezeigt wurde. Für die Ausstellung „Paradiese der Südsee -
Mythos und Wirklichkeit“ entstand eine kurze Betrachtung der mikronesischen Kul-
turen, und für die Begleitpublikation „Bildgewaltig“ der großartigen Ausstellung im
Museum Beyeler in Basel, zu dem wir einige Werke der Neuirland-Kunst beisteuern
konnten, ein Beitrag zu den uli-Skulpturen unter dem Titel „Kraftstrotzend - müt-
terlich - zwei Prinzipien in einem Bild“. Die große Regenmacher-Skulptur aus
Neuirland schließlich fand einen vorübergehenden Platz in der Klima-Ausstellung
des Hygiene-Museums in Dresden.
Besonders erfreulich schließlich war, dass wir uns für die großzügigen Leihgaben
aus der Sammlung von Alison Peter W. Klein im Jahr 2005 ein wenig revanchieren
konnten durch einen Beitrag zum Katalog der Australien-Sammlung, der anlässlich
der Hängung # 3 im Kunstwerk Nussdorf - vollständig gewidmet der herausragenden
Sammlung von Aborigine-Kunst - im Oktober 2008 erschien.
Ingrid Heermann
47
TRIBUS 58,2009
Bericht der Abteilung Restaurierung
Exemplarisch für die Arbeiten der Abteilung steht der folgende Bericht über die
Restaurierung einer Rosenwasserflasche aus Nord-Afghanistan.
Die Restaurierung einer Rosenwasserflasche
Die Rosenwasserflasche stammt aus dem nördlichen Afghanistan und wird in die
1. Hälfte des 12. Jh. datiert. Sie hat eine Höhe von 31,0 cm und am Boden einen
Durchmesser von 8,0 cm, im Bauchbereich von 12,0 cm, während der schlanke Hals
2,0 cm misst.
Das Metallgefäß war mit einer Korrosionsschicht bedeckt und mit Erdreich ver-
schmutzt. Das Dekor und die Herstellungstechniken waren nicht klar zu erkennen.
Auch aus konservatorischen Gründen entschloss ich mich daher, die Oberfläche frei-
zulegen. Dies geschah unter dem Mikroskop mit Hilfe verschiedener Schaber und
Skalpelle. Millimeterweise wurde der grüne Belag abgetragen und abgesprengt. Die-
se Arbeit konnte nur manuell durchgeführt werden und erforderte Kraft, gleichzeitig
musste auf den sehr dünnwandigen Metallkörper Rücksicht genommen werden. Un-
ter der rauen korrodierten Auflage befand sich eine recht dünne, aber geschlossene,
glänzende rotbraune Edelpatina, die stabil ist und eine natürliche Schutzhaut bildet.
Nach der vollständigen Freilegung der ursprünglichen Oberfläche zeigten sich alle
Feinheiten des Dekors und auch die Herstellungsweise der Rosenwasserflasche war
deutlich zu erkennen. Die Flasche ist aus drei separat gearbeiteten Teilen montiert.
Der Gefäßkörper ist aus einem Messingblech zu einem Zylinder gebogen und die
Seitennaht verzahnt zusammengehämmert. Im Gegensatz zum Flaschenhals, der in
gleicherweise gearbeitet wurde, ist hier die Naht nur am eingezogenen Fußteil und
auf der Schulter schwach zu erahnen. Der große Zylinder wurde dann bauchig aus-
getrieben, die beiden Ränder eingezogen und der untere eingeengte Fußteil wieder
nach außen geweitet. Das Ornament wurde ziseliert, d.h. das Muster ist von innen
und außen mit verschiedenen Hämmern und Punzen getrieben. Ein Teil der feinen
Linien im Dekor ist geschnitten oder graviert, die Fläche im Hintergrund ist dicht
mit Kreisaugenpunzen gestempelt.
Der Flaschenhals war lose und bereits sekundär mit einem innen liegenden Mes-
singstreifen geflickt. Diese Altreparatur wurde bei der Restaurierung wieder ver-
klebt. Die Flasche ist im Bauchbereich, bedingt schon durch die Ziselierarbeit, sehr
dünnwandig und zum Teil löchrig. Vielleicht hat auch ständiger Gebrauch und häu-
figes Putzen die Bildung von Fehlstellen gefördert. Deshalb wurde für die Altfli-
ckung ein Blechstück von 10,0 cm x 7,5 cm Kantenlänge aus einem anderen Objekt
mit identischem Dekor geschnitten. Dieses Metallteil wurde dann in die große Fehl-
stelle mit ihren nicht ganz geraden Kanten eingesetzt, teilweise überlappend und mit
viel Zinnlot punktförmig gesichert.
Bei der Ausbesserung wurde keine Rücksicht auf das Ornament mit den sich ge-
genüber sitzenden Hasen genommen und so fehlt das Hinterteil eines der Hasen.
Auch sind die waagerecht verlaufenden ziselierten Linien in der Höhe versetzt. Der
ursprüngliche Boden fehlt und ist durch eine glatte Blechscheibe ersetzt worden.
Wie für die damalige Zeit und Region üblich, war der Originalboden sicher gewölbt
und an den Rändern verbördelt.
Trotz der Reparatur war die Rosenwasserflasche nicht mehr in ihrer Funktion zu
nutzen und diente nur noch der Dekoration.
Ulrike Bunte
Bildausschnitt (vergrößerte Darstellung) der Rosenwasserflasche aus Nord-Afghanistan,
1. Hälfte 12. Jh., Inv.Nr. A 41 307.
Foto: A. Dreyer ►
TRIBUS 58,2009
Bericht aus der Bibliothek des Linden-Museums Stuttgart
Bereits zu den Anfängen des Linden-Museums existierte eine Büchersammlung
im heutigen „Haus der Wirtschaft“, aus welcher sich der Bibliotheksbestand entwi-
ckelt hat. Seit 1911 sind die Bestände im Hause des Linden-Museums am Hegelplatz
aufgestellt, und den 2. Weltkrieg hat die Bibliothek dank rechtzeitiger Auslagerung
ohne einen Verlust und ohne Beschädigungen überstanden.
Erst nach dieser Zeit konnte durch die Zuteilung eines Erwerbungsetats an einen
planvollen Bestandsaufbau gedacht werden und die Bibliothek wurde von da an
durch eine hauptamtliche Kraft geleitet. Nach den großen Umbau- und Renovie-
rungsmaßnahmen des Linden-Museums zwischen den Jahren 1978 und 1985 hat seit
Anfang der 1980er Jahre der komplette Bestand der Bibliothek seinen festen Platz
im Linden-Museum gefunden: der Zugang für Interessierte ist über den Wanner-Saal
zu erreichen. Seit 1989 wird die Bibliothek des Hauses von einem Diplom-Bibliothe-
kar geleitet.
Die Bibliothek des Linden-Museums.
Foto; A. Dreyer
Mehr als 120 Jahre Büchersammeltätigkeit prägen das heutige Erscheinungsbild
der Bibliothek. Gemäß der Ausrichtung des Linden-Museums auf die Völkerkunde
(Ethnologie) ist dieses das primäre Sammelgebiet der Bibliothek; dazu kommen
noch einige verwandte Gebiete der Völkerkunde wie Kunstgeschichte, Archäologie,
Anthropologie, Geographie sowie Museumswesen. Was den Erscheinungszeitraum
der Bücher und Zeitschriften betrifft, so setzt unsere Sammlung etwa im letzten
Viertel des 19. Jahrhunderts ein. Darüber hinaus sind durch antiquarische Ankäufe
auch einige ältere und wertvolle Drucke in den Bibliotheksbestand gelangt, so etwa
die dreibändige Ausgabe von „A voyage to the Pacific Ocean“ von James Cook aus
dem Jahre 1785 oder eine der ersten Beschreibungen Japans in französischer Spra-
che mit dem Titel „Histoire naturelle, civile, et ecclésiastique de l’empire de Japon“
von Engelbert Kaempfer von 1729. Die älteste Publikation im Besitz der Bibliothek
ist eine Geschichte der Insel Madagaskar in französischer Sprache, erschienen 1661
in Paris.
Heute präsentiert sich die Bibliothek des Linden-Museums als eine wissenschaft-
liche Spezialbibliothek vor allem für Völkerkunde und zugleich als Präsenzbiblio-
thek, d.h. Bücher und Zeitschriften können nicht außer Haus ausgeliehen werden.
Zum Einsehen des vorhandenen Bestandes steht ein kleiner Lesesaal mit fünf Lese-
plätzen allen Benutzern und Benutzerinnen zur Verfügung. Eine Voranmeldung für
einen Besuch ist erforderlich, da nur eine Kraft für die Benutzerbetreuung zur Ver-
fügung steht.
Im Jahr 2008 wurden mehr als 400 Bücher erworben, teils durch Ankauf, teils
durch den Schriftentausch mit anderen Museen, Bibliotheken und wissenschaft-
50
liehen Einrichtungen in aller Welt, und auch durch Geschenke wuchs der Biblio-
theksbestand auf nun knapp über 50.000 Bände. Daneben werden mehr als 250 Zeit-
schriften und Jahrbücher laufend gehalten, der Bestand an Periodica insgesamt be-
trägt mehr als 1150 Titel, wobei auf die Geschlossenheit der Sammlung großer Wert
gelegt wird. Zeitungen (Tages- oder Wochenzeitungen) sind in der Bibliothek nicht
vorhanden, ebenso wenig nicht gedruckte Materialien wie z. B. Fotos, bildliche Dar-
stellungen, Dias oder handschriftliche Materialien; durch den Schriftentausch kom-
men zahlreiche Ausstellungskataloge ins Haus, worunter sehr viele englischsprachig
sind, aber auch Publikationen in chinesischer, japanischer und koreanischer Sprache
und Schrift sind vorhanden.
Im Jahr 2002 ist der Anschluss an die überregionale Katalogisierungsdatenbank
für die wissenschaftlichen Bibliotheken in Baden-Württemberg, der so genannte
„Südwestdeutsche Bibliotheksverbund (SWB)“, verwirklicht worden. Seit dieser
Zeit werden die Bestände an Monographien und Zeitschriften ausschließlich in die-
se Datenbank katalogisiert, so dass über das Internet von jedem beliebigen Punkt
der Erde aus der Bibliotheksbestand abgefragt werden kann. Die Periodica sind mit
Bestand und Signatur komplett katalogisiert und nachgewiesen; von den Monogra-
phien sind die Neuerwerbungen der letzten Jahre in diesem SWB verzeichnet; der
ältere Bestand muss nach wie vor über einen traditionellen Zettelkatalog (Alphabe-
tischer Katalog) im Lesesaal der Bibliothek ermittelt werden, doch sind von den
50.000 Titeln der Bibliothek immerhin ein Viertel des Bestandes inzwischen per
Computer recherchierbar.
Unsere Bücher stehen komplett in einem geschlossenen unterirdischen Magazin,
doch durch die systematische Aufstellung des Bestandes sind auch Benutzer, welche
noch nie in der Bibliothek des Linden-Museums recherchiert haben, leicht in der
Lage, nach kleiner Einweisung die gesuchte Literatur zu finden. In erster Linie je-
doch steht die Bibliothek den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Hauses zur
Verfügung, sie bildet die Grundlage der wissenschaftlichen Arbeit.
Günter Darcis
51
TRIBUS 58,2009
Bericht des Referats Dokumentation
An Neuzugängen konnten im Jahr 2008 insgesamt 400 Objekte im Linden-Muse-
um verzeichnet werden, die sich auf 17 Sammlungen verteilen.
Daneben stand weiterhin die Bearbeitung des Altbestandes der Orient- und Ost-
asienabteilung im Vordergrund.
Fast 7000 Objekte der beiden Referate sind in diesem Zeitraum unter tatkräftiger
Mithilfe studentischer Hilfskäfte überarbeitet worden; dabei wurden schwerpunkt-
mäßig auch die Objekte in der neuen Textil-Kompakt-Anlage durchgängig erfasst.
Auch das Einbinden von Medien-Objekten machte Fortschritte: So wurden 1.230
Objekt-Photos in das Datenbank-System Imdas Pro integriert und bieten neben der
beschreibenden textlichen Ebene immer mehr auch einen visuellen Zugang zu den
Sammlungen.
Imdas Pro entwickelt sich so zu einem zentralen Arbeitsinstrument im Sinne eines
elektronischen Sammlungskataloges für alle Referate und Abteilungen des Linden-
Museums, was sich auch an den Accounts für die Datenbank ablesen lässt: Ende 2008
sind 17 User für die Benutzung der Datenbank geschult und freigeschaltet worden;
Kuratoren, Magazin-Verwalter, Restauratorlnnen und Dokumentation haben nun
ein gemeinsames Werkzeug zur Aufarbeitung des Bestandes.
Datenschutz und Datensicherheit
Seit 2006 war das Linden-Museum Pilotprojekt für Datenschutz und das IT-Si-
cherheitskonzept für den Einsatz von luK. Im Februar 2009 wurde dieses Projekt
abgeschlossen. Begleitet vom Bibliotheksservicezentrum Baden-Württemberg an
der Universität Konstanz wurden die Anforderungen des Datenschutzes und der
Datensicherung, vor allem für die inzwischen eingeführten „Neuen Steuerungsin-
strumente“ (NSI), erarbeitet. Hierzu gehören; dezentrale Budgetierung, kaufmän-
nisches Rechnungswesen, Kosten- und Leistungsrechnung, Controlling und Be-
richtswesen.
Iris Müller
52
Bericht des Referats Museumspädagogik
Mit 64.286 Besucherinnen und Besuchern lag die Gesamtbesucherzahl 2008 nahe-
zu so hoch wie 2007, der Anteil der geführten Besucher lag mit 36 % geringfügig
unter dem Wert des Vorjahres. Zu berücksichtigen ist dabei, dass 2007 die Anzahl der
Publikumsführungen in der Sonderausstellung „... mehr als nur Gäste. Muslime in
Baden-Württemberg“ durch zusätzliche „Baukasten“-Führungen deutlich erhöht
war. 2008 hingegen fanden 76 % aller Führungen in den Dauerausstellungen statt
und bei den Sonderausstellungen konzentrierte sich die Nachfrage insbesondere auf
„Grönland-Inuit: Leben am Rande der Welt“. In Verbindung mit der erhöhten Nach-
frage der Schulen an Führungen, vor allem der Grundschulen, zeigt sich die Bedeu-
tung der Dauerausstellungen für den Bildungsauftrag des Museums.
Das Interesse an eineinhalb- und zweistündigen Führungen mit praktischen Akti-
vitäten bestätigte sich mit einem Anteil von 35 % auch 2008. Bei den Schulen buch-
ten vor allem Grundschulen, Realschulen und Gymnasien längere Führungen, ganz
im Gegensatz zu den Hauptschulen. Es ist zu vermuten, dass Hauptschullehrer/innen
ihren Schüler/innen eine längere Konzentrationsspanne nicht Zutrauen.
Führungen 2008 im Überblick
Schulen Stuttgart auswärtig 2008 gesamt 2007
Grundschulen 56 81 137 93
Hauptschulen 4 15 19 22
Realschulen 11 34 45 45
Gymnasien 27 82 109 109
Berufsschulen 4 10 14 32
Sonderschulen 5 10 15 15
Fremdsprachige Schulen 6 2 8 4
Gesamt 113 234 347 320
Außerschulische Kinder/Jugendliche 2008 gesamt 2007
Kindergärten 35 34
Kindergeburtstage 21 18
Kinder/Jugendliche 20 29
Gesamt 76 81
53
TRIBUS 58,2009
Sonstige Gruppen 2008 gesamt 2007
Behinderte 2 3
Kunst-Abo der Kulturgemeinschaft 14 12
Kirchliche Gruppen 6 18
Pädagogische Fortbildung 19 24
Private Gruppen 55 38
Senioren 8 8
Uni/PH/FH 25 18
VHS 4 7
Gesamt 133 128
Gruppenführungen gesamt 556 529
Öffentliche Führungen 2007
Familienprogramme 8 6
Ferienprogramme 22 25
Kindernachmittage 3 3
Publikumsführungen in den Dauerausstellungen 84 90
Publikumsführungen in den Sonderausstellungen 74 145
Familienführung 13 10
Workshop 2 6
Die Weite Welt in Worten 7 8
WeltErfahren ab 55 2
Öffentliche Führungen gesamt 215 293
Gesamtzahl aller Führungen 771 822
Verteilung der Führungen auf die Sondcrausstellungen 2008
Insgesamt fanden in den Sonderausstellungen 186 Führungen statt, davon sind 82
als öffentliche Veranstaltungen von Seiten des Museums angeboten und 104 von In-
teressenten gebucht worden. 2008 betrug die Anzahl in „Von Kapstadt bis Windhuk“
(29.11.07 - 27.04.08) insgesamt 84 Führungen, davon 40 angemeldete, in „Grönland-
Inuit“ (17.05.08 - 21.09.08) insgesamt 87 Führungen, davon 59 angemeldete und in
„Schamanen Sibiriens“, die erst ab 13.12. lief, waren es insgesamt 15 Führungen, da-
von 5 angemeldete.
54
Diagramm 1: Prozentualer Anteil der Führungen in den Sonderausstellungen 2008
Diagramm 2: Prozentuale Verteilung der Führungen auf die Dauerausstellungen 2008'
Q Afrika 28%
■ Lateinamerika 8%
ö Nordamerika 21%
□ Orient 15%
■ Ostasien 16%
□ Ozeanien 2%
■ Südasien 10%
Ferien- und Familienprogramme
Im Ferienprogramm lud „Nanu Naseweis“ wiederum zu abenteuerlichen Reisen
ein und fand dabei zahlreiche Kinder, die sich darauf freuten, mit ihm zusammen die
Welt zu entdecken. Im Sommerferienprogramm wurden zum übergreifenden Thema
„Kulturplanet Erde“ dreistündige Veranstaltungen parallel für Kinder ab 8 Jahren,
ab 10 Jahren und für Erwachsene angeboten. Wie schon im Vorjahr war die Nachfra-
ge nicht zufrieden stellend, sehr zur Verwunderung all derer, die mit großer Freude
an den Programmen teilnahmen. Da die Vorbereitung und Durchführung dieser
Programme äußerst aufwändig und kostenintensiv ist, wurde beschlossen, die Kin-
dergruppen im Sommerferienprogramm 2009 zusammenzulegen und lediglich zwei
parallele Angebote anzubieten, eines für Kinder von 8 bis 12 Jahren und eines für
Erwachsene. Es ist eine große pädagogische Herausforderung, die Programme der-
art zu gestalten, dass trotz des hohen Altersunterschiedes der Kinder die Qualität in
der inhaltlichen Vermittlung gehalten werden kann.
Im Familienprogramm konnten Erwachsene und Kinder in den Wintermonaten
gemeinsam erfahren, wie Kinder etwa in orientalischen, afrikanischen oder india-
nischen Kulturen Kenntnisse für das Leben erwerben. Im Herbst 2008 tauchten sie
ein in die Welt des Heilens und befassten sich mit dem Weltbild und Methoden indi-
anischer Heiler in Süd- und Nordamerika sowie der indischen Heilkunst. Angebote
für Familien sind fester Bestandteil des Vermittlungsprogramms und haben sich seit
vielen Jahren als attraktiv erwiesen. Sehr gut angenommen wurde zu Beginn der
Sommerferien auch der von Katrin Kobler entwickelte „Lateinamerika-Rucksack“,
mit dem Erwachsene und Kinder eine interaktive Entdeckungsreise unternehmen
können. Bis zur temporären Schließung der Lateinamerika-Ausstellung Ende Okto-
ber wurde der mit Aktivitäten und Informationen angefüllte Rucksack bereits 34-
mal ausgeliehen.
1 Die Interims-Ausstellung „Tanz der Masken“ in der Ozeanien-Dauerausstellung wurde nach
dem 18.5 geschlossen. Da sich die Sonderausstellung „Schamanen Sibiriens“ nahezu über das
gesamte Erdgeschoss erstreckte, mussten ab Ende Oktober die Dauerausstellungen „Latein-
amerika“ und „Ozeanien“ komplett geschlossen und „Nordamerika“ auf nur einen Raum
reduziert werden.
55
TRI BUS 58,2009
Teepause als Teil der Sommerferienprogramms „ China: die Erde - ein Viereck!“
Foto; A. Dreyer
Veranstaltungen zu Ausstellungen
Bei den Dauerausstellungen konnten die Ausstellungen „Afrika“ und „Ostasien“
signifikant zulegen. Das 90-minütige Programm „KinderWelten: Ein Tropfen Was-
ser...“, welches mit der Unicef-Gruppe Stuttgart entwickelt wurde, stieß bei Grund-
schulen auf eine gesteigerte Nachfrage, da es sich mit seinen inhaltlichen
Schwerpunkten „Kinderalltag“, „Afrika“ und „Wasser“ gut in den neuen Bildungs-
plan einfügt. Im Juli wurde zur Olympiade mit dem vierwöchigen Veranstaltungspro-
gramm „China und der Westen“ das Augenmerk auf China gelenkt, mit einem
gesteigerten Interesse an Führungen in der Ostasien-Ausstellung.
Führungen und Veranstaltungen zu den vierteljährlich wechselnden Fokusthemen,
die 2008 im Zeichen der Elemente Feuer, Wasser, Erde und Luft standen, fanden bei
Besuchern ein sehr positives Echo. So war etwa das Aktionsprogramm für Erwach-
sene und Kinder „Agni - Feuergott und Lebensflamme“ ein voller Erfolg, ebenso
wie die Familienführung „Heiße Sachen. Auf den Spuren des Feuers durch drei Erd-
teile“. die in mehreren Dauerausstellungen stattfand. Überhaupt bestand ein sehr
großes Interesse an den 90-minütigen Familienführungen, so dass diese nun im Win-
terhalbjahr 14-tägig angeboten werden. Unübersehbar führte die besonders große
Werbung für die Sonderausstellung „Schamanen Sibiriens“ auch zu einem deutlich
gesteigerten Interesse an den Dauerausstellungen.
Ein Highlight war im Oktober das 2. Internationale Erzählfestival „Im Fluss der
Worte“, dessen Auftaktveranstaltung renommierte Erzählerinnen und Erzähler im
Linden-Museum gestalteten, ebenso wie die Erzählwanderung durch mehrere Dau-
erausstellungen. Auch das Erzählprogramm „Die Weite Welt in Worten“ mit der Ge-
schichtenspielerin Uschi Erlewein konnte sich 2008 mit zusätzlichem Repertoire
weiter etablieren.
Im Rahmen der Sonderausstellung „Von Kapstadt bis Windhuk“ wurde mit „Er-
innerungen an die deutsche Kolonialzeit“ die neue Veranstaltungsreihe „WeltErfah-
ren“ eingeführt. Das Ziel ist es, Menschen ab 55 Jahren zu einem Erfahrungsaus-
tausch über ethnologische Themen einzuladen. Abgerundet wird diese Begegnung
mit dem Genuss einer landestypischen Spezialität.
56
Fortbildungen, Tagungen und Auszeichnung
Auch 2008 wurden Fortbildungsveranstaltungen durchgeführt, die alle auf eine
äußerst positive Resonanz stießen. So stellte die Lehrerfortbildung „Kinder dieser
Welt“ Themen der Grundschule vor und in einem Tagesseminar wurden Themen für
den Ethik-Unterricht vorgestellt. In Zusammenarbeit mit dem Ernst-Klett-Verlag
Stuttgart, Hubert Sowa, Professor der PH Ludwigsburg, und dem BDK Baden-
Württemberg konnten Kunstpädagogen zu der Veranstaltung „Weltkulturen im
Kunstunterricht“ eingeladen werden. Das Interesse war derart groß, dass die Fortbil-
dung zum Jahresende wiederholt wurde und erneut ausgebucht war. Auf Initiative
der Englisch-Lehrerin Ingrid Stritzelberger in Zusammenarbeit mit dem Medien-
zentrum Baden-Württemberg und dem Diesterweg-Verlag stellten Schüler des
Otto-Hahn-Gymnasiums Ostfildern unter dem Motto „Values. Afrikanische Kurzge-
schichten im Unterricht“ ihre eindrucksvollen Ergebnisse einer aufmerksamen Leh-
rerschaft vor. Zudem wurden Gruppen thematisch interessierter Lehrer und
Referendare mit den Inhalten und pädagogischen Möglichkeiten in den Ausstel-
lungen vertraut gemacht.
Wie dargestellt entstanden einige Fortbildungsveranstaltungen in Verbindung mit
Kooperationspartnern. So auch die Einführung in die Sonderausstellung „Schama-
nen Sibiriens“ als Informationsveranstaltung für Volkshochschulen, die durch den
Verband der Volkshochschulen Baden-Württemberg unterstützt wurde.
Die Geschichtenspielerin Uschi Erlewein lässt „Coyote" in ihren Geschichten lebendig wer-
den. Foto: A. Dreyer
Im Rahmen von Tagungen wurde die Gelegenheit wahrgenommen, auf die päda-
gogischen Angebote des Linden-Museums aufmerksam zu machen. Mit „Vertraut
und Weltfremd“ stellte ich auf der Jahrestagung des Vereins für Museumspädagogik
Baden-Württemberg im Oktober in Schwäbisch Hall Perspektiven zur Vermittlung
des kulturell Fremden für Vorschulkinder vor. Im November konnte ich zudem wäh-
rend der 19. Kunstschultage in der Kunstschule Waiblingen mit dem Vortrag „Muse-
umspädagogik und interkulturelle Bildung“ zahlreichen Kunstpädagogen und
Kunstschaffenden aus ganz Deutschland die museumspädagogische Arbeit des Lin-
den-Museums vermitteln.
57
TRIBUS 58,2009
Wie schon 2007 konzentrierte sich die Fortbildung für die freien Mitarbeiter in der
Museumspädagogik auf den Einsatz der Stimme bei Führungen, wobei sie die verbale
und nonverbale Vermittlung in den Mittelpunkt rückte. Das konstruktive Feedback
der Sprecherzieherin Eva Buechel auf Probeführungen und die dadurch gewon-
nenen Erkenntnisse und praxisorientierten Anregungen wurden von allen als sehr
wertvoll empfunden.
Am 20.9.2008 wurde der „Preis für Toleranz und Völkerverständigung“ des
Ambassador Clubs Deutschland an das Johannes-Kepler-Gymnasium Bad Cann-
statt verliehen. Damit würdigte der Ambassador Club ein Schulprojekt, das im Rah-
men der Sonderausstellung „...mehr als nur Gäste. Demokratisches Zusammenleben
mit Muslimen in Baden-Württemberg“ (25.11.2006-25.3.2007) von unserer Orient-
Kuratorin Dr. Annette Krämer initiiert und gemeinsam mit der Lehrerin Ingrid
Kaesler-Goretzki betreut worden war. Die Schülerinnen und Schüler erarbeiteten
eine eigene Ausstellung, die als Stuttgart-Modul einen attraktiven Fokus innerhalb
der Sonderausstellung bildete.
Kooperationsprojekte
ln Kooperation mit dem Ernst-Klett-Verlag Stuttgart, der im Sommer das erste
deutsche Chinesisch-Schulbuch „Dong bu dong?“ vorstellte, wurden Chinesisch-
Klassen zu einer Verlosung eingeladen. Die Gewinner kamen aus Karlsruhe und
nahmen mit großer Freude an dem für sie neu entwickelten Programm teil, das Spra-
che und Kultur Chinas interaktiv mit den Exponaten verband.
Auch 2008 wurde die Kooperation mit Prof. Dr. Martin Fromm und Sarah Paschelke,
Universität Stuttgart, Abteilung Pädagogik, fortgesetzt. Nach dem Praxisseminar
zur Rezeption museumspädagogischer Vermittlung mit der Entwicklung von Tests
und Befragungsmethoden für Schüler befassten sich die Studierenden im Sommer-
semester mit ausstellungsrelevanten Bildungsplanthemen sowie mit Methoden der
Besucherbeobachtung. Im Herbst fand das erste Treffen mit zwei Gymnasiallehrern
statt, um Schülerprojekte zu entwickeln, die wissenschaftliche Forschungsmethoden
und museumspädagogische Vermittlung vereinen.
Nur durch den großen Einsatz und die Kooperation aller in der Museumspädago-
gik tätigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter war es möglich, die vielfältigen Pro-
gramme zu entwickeln und durchzuführen. Bei ihnen allen möchte ich mich ganz
herzlich bedanken und ganz besonders bei Katrin Kobler, die mit ihrem unermüd-
lichen Engagement und organisatorischen Können einen maßgeblichen Beitrag zu
der erfolgreichen Arbeit geleistet hat ebenso wie Marita Oltersdorf, die Anrufern
mit anhaltender Freude museumspädagogische Angebote vorstellt und Interessierte
individuell berät.
Sonja Schierle
58
Bericht des Referats Öffentlichkeitsarbeit
Das Referat Öffentlichkeitsarbeit war maßgeblich am internen Strategieprozess
zur Neubestimmung des Museums beteiligt. Im Teilprojekt „Öffentlichkeitsarbeit/
Museumspädagogik“ wurde ein Ziel-Image entwickelt, das für künftige Konzepti-
onen als Folie dienen soll: Als Leit-Images haben wir uns die Attribute „welt-offen“,
„kompetent und verantwortungsvoll“, „anregend“, „erstaunlich“ und „präsent“ auf
die Fahnen geschrieben. An der Durchsetzung dieser Images im Bewusstsein der
Bevölkerung werden wir in den kommenden Jahren arbeiten. Das neue Selbstver-
ständnis soll sich auch in einer Umgestaltung des Außen- und Foyerbereichs wider-
spiegeln. Vorplatz, Fassade und der Foyer- und der Treppenhausbereich sollen als
Ausbaustufe des Corporate Designs bis zum Jubiläumsjahr 2011 ein neues Gesicht
erfahren, das für eine bessere Wahrnehmung und einen freundlicheren Besucher-
empfang sorgt. Erste Gespräche mit Architekten fanden im Herbst 2008 statt. Im
Rahmen des Strategieprozesses wurde auch ein Merchandising-Konzept entwickelt.
Als erste Produkte wurden u. a. Magnete mit verschiedenen Motiven sowie der groß-
formatige, auf Kunstdruckpapier gedruckte Wandkalender „Gesichter des Linden-
Museums 2009“ gestaltet, der auch über diverse Stuttgarter Buchhandlungen ver-
trieben wurde. Zur Besucherbindung wurde zudem im Herbst 2008 eine Jahreskarte
für Einzelpersonen und Familien aufgelegt.
Dank eines erhöhten Budgets konnte für die Ausstellung „Schamanen Sibiriens:
Magier, Mittler, Heiler“ eine umfangreiche Marketing- und Werbekampagne umge-
setzt werden, die weit im Vorfeld der Ausstellung bis ins angrenzende Ausland aus-
strahlte. Die Stuttgart-Marketing GmbH fungierte hier als hervorragender Multipli-
kator für Gruppenreiseveranstalter, aber auch für kulturell interessierte Individual-
reisende.
Die werbliche Präsenz in der Region konnte durch eine Kooperation mit Ilg-Au-
ßenwerbung zusätzlich massiv ausgebaut werden. Eine flächendeckende Plakalie-
rung an Säulen, Bahnhöfen und S-Bahnen sowie die Auslage von Postercards in
Stuttgarter Cafés und Restaurants wurden dank dieses Sponsorings möglich. Durch
die Möglichkeit der Schaltung eines Werbespots über die Gesamtlaufzeit hat auch
die Flughafen Stuttgart GmbH der Ausstellung großzügig Unterstützung geleistet.
Der Spot wurde ebenfalls in der Mercedes Benz Arena (ermöglicht durch den VfB
Stuttgart) gezeigt. Erstmals wurde zur Vermarktung der Ausstellung ein Stand auf
der CMT angemietet. Die enge Vernetzung mit Multiplikatoren wie Tourist-Infor-
mationen in Baden-Württemberg, Buchhandlungen, Bibliotheken sowie dem Sibi-
rien-Reiseanbieter Lernidee Erlebnisreisen als Partner sorgte dafür, dass die Aus-
stellung vom Eröffnungswochenende an sehr gut frequentiert war.
Gradmesser für den Erfolg des Referats Öffentlichkeitsarbeit sind in quantitativer
Hinsicht die Besucherzahlen1, die Presseresonanz und die Besucher der Website. In
qualitativer Hinsicht ist für uns die Zufriedenheit der Besucher der wichtigste Indi-
kator.
Diese wird seit Mitte des Jahres mittels eines Fragebogens nach dem Besuch er-
fasst. 96 % der Besucher bewerten ihren Besuch gut bis sehr gut, auch der Service im
Museum erhält mit 94 % gute bis sehr gute Noten. Ziel ist es, die Zufriedenheit der
Besucher stetig zu steigern, in dem Wissen, dass begeisterte Besucher die beste Wer-
bung sind.
An diesem Gesicht kam Ende 2008 niemand vorbei: Werhepostkarte zur Sonderausstellung
„Schamanen Sibiriens: Magier, Mittler, Heiler“.
Gestaltung; Ebner Design unter Verwendung der Fotografie eines Nanaj-Schamanen
(Russisches Ethnografisches Museum), siehe nächste Seite ► 1
1 s. Bericht des Vorstands/Statistik
59
sehr gut gut zufrieden- stellend schlecht sehr schlecht
Wie hat Ihnen der Muse- umsbesuch gefallen? 75% 21% 1% 3% 0%
Wie beurteilen Sie unseren Service? 62% 32% 5% 0% 1%
Die Presseresonanz stabilisierte sich auf dem hohen Niveau des Vorjahrs, wobei
mit Beginn der Sonderausstellung „Schamanen Sibiriens“ zum Jahresende ein deut-
licher Zuwachs an Medieninteresse zu registrieren war, vor allem überregional und
international. Ausführliche Fernsehbeiträge auf Arte, 3Sat und in Südwest 3 sowie
zahlreiche Hörfunkbeiträge (u. a. Deutschlandradio Kultur, Deutschlandfunk, SWR
2 und 4) machten die Ausstellung sehr schnell einem großen Publikum bekannt. Ge-
zielt wurden hier frühzeitig auch Medien angesprochen, die sich auf russische bzw.
sibirische Kultur, Naturheilkunde oder Spiritualität spezialisiert haben. Die Zeit-
schrift „Damals“ machte ein Themenheft zur Ausstellung. Auf reges Echo stieß im
Sommerhalbjahr auch die Ausstellung „Grönland-Inuit“. Besonders Fotomagazine
publizierten die faszinierenden Aufnahmen Markus Bühler-Rasoms.
2004 2005 2006 2007 2008
Presseartikel gesamt 1.797 1.649 1.398 1.876 1.837
Anstieg/Abstieg im Vgl. zum Vorjahr +50,1% -8,2% -15,2% +34,2% -2,1%
Gesamtauflagenhöhe aller Artikel 61,2 Mio. 75,2 Mio. 44,0 Mio. 47,4 Mio. 48,3 Mio.
Anstieg/Abstieg im Vgl. zum Vorjahr -0,8% +22,9% -41,5% +7,7% +1,9%
Die Website wurde 2008 von insgesamt 211.940 Personen besucht, was täglich 580
Besuchern entspricht. Jeder Besucher ruft im Durchschnitt 6 Seiten auf. Die Abon-
nentenzahl des E-Mail-Newsletters konnte um 17 % auf 1942 Abonnenten gestei-
gert werden.
Auf das Veranstaltungsmanagement, das ebenfalls in den Verantwortungsbereich
der Öffentlichkeitsarbeit fällt, wurde bereits im Artikel „Veranstaltungen 2009 - Hö-
hepunkte“ eingegangen.
Als neue Volontärin unterstützt seit 1. Februar 2008 Sophia Porcaro das Team der
Öffentlichkeitsarbeit. Mit beeindruckendem Engagement arbeitete sie sich sehr
schnell in ihre Aufgaben ein und stieß bereits nach kurzer Zeit eigene Projekte vor
allem in den Bereichen Marketing und Fundraising an. Dank gilt auch den Prakti-
kanten, die einen wichtigen Beitrag zum Erfolg der Abteilung und damit des ganzen
Museums leisten: 2008 unterstützten die Öffentlichkeitsarbeit Kristin Kretzschmar,
Ebru Ilkinönü-Vogt, Benjamin Schäfer und Sophia Bittner.
Martin Otto-Hörbrand
61
Betriebe
- Shop
- Restaurant
- Wanner-Saal
Aktivitäten der Gesellschaft für Erd- und Völkerkunde
zu Stuttgart e.V. (GEV) im Jahr 2008
Die Gesellschaft für Erd- und Völkerkunde (GEV) im Umbruch - neue Heraus-
forderungen in 2008 - künftige Ziele, Inhalte
Die Umwandlung des Museums in einen Landesbetrieb bedeutet für die GEV
eine neue Herausforderung. Die Geschäftsstelle der GEV, die 35 Jahre lang im Rah-
men der Verwaltung des Museums erfolgte, wurde aus dem Museum ausgegliedert.
Neu zu organisieren sind Mitgliederbestand und Beitragszahlung, Spendenverwal-
tung, Einladungen zu Vorstands- und Mitgliederversammlungen, Jahresabschluss
mit Einnahmen und Ausgaben, Rechnungsprüfung, Veranstaltungsprogramm mit
Einladung der Referenten usw. Die Arbeit erfolgt jetzt durch zeitlich begrenzt Be-
schäftigte und durch ehrenamtliche Mitarbeit von Mitgliedern. Dies bedeutet eine
wachsende Belastung für den Vorstand.
Hinzu kommen personelle Veränderungen in der GEV: Der langjährige Vorsitzen-
de und ehemalige Direktor des Museums, Herr Prof. Dr. Thiele, ist zum Jahresende
nach Berlin umgezogen, die allen Mitgliedern bekannte und geschätzte Frau Knöpf-
le hat ihren Ruhestand angetreten.
Hauptaktivitäten der GEV in 2008 waren das Vortragsprogramm, die Exkur-
sionen, die Sonderveranstaltung Leopoldina Symposium und die Neugestaltung der
Geschäftsstelle.
Das Vortragsprogramm umfasste 12 Vorträge und erreichte 1225 Besucher. Mit
dem inhaltlich breiter gestreuten Programm erreichten wir mit durchschnittlich 100
Besuchern pro Vortrag ein gutes Ergebnis.
Die Vorträge behandelten die Themen Klimawandel, Strukturwandel in ver-
schiedenen Wirtschafts- und Stadtregionen, auch länderkundlich kulturhistorisch
ausgerichtete Darstellungen, z. B. über Armenien. Die völkerkundlichen Vorträge
betrachteten Themen wie Peruindianer, Mayaforschung, ethnologische Samm-
lungsobjekte und Fälschungen sowie die Entdeckungsreisen von Sven Hedin.
Exkursionen im Nahraum:
- Der Hafen Stuttgart wurde 50 Jahre alt. Bei einer Hafenrundfahrt wurde von der
Wasserseite aus der deutliche Strukturwandel gezeigt und erläutert, einschließlich
spezieller Führungen durch das neue Container Terminal und durch das Logistik
Zentrum von Mercedes, das auf einem zugeschütteten Hafenbecken errichtet wurde.
- Gefragt waren auch 2 Exkursionen auf die Mittlere Alb mit geomorphologischen,
vegetationskundlichen Beobachtungen und Erläuterungen. Beachtlich war die
gründliche Führung durch einen Steinbruch im Weißen Jura. Bei der anschlie-
ßenden Einladung in die Gaststätte am Schopflocher Hochmoor wurden viele
Fragen von den Spezialisten erläutert.
Exkursionen nach Norddeutschlaad:
- Im Ruhrgebiet standen im Vordergrund ganz neue kulturlandschaftliche Entwick-
lungen, die mit den Begriffen Industriekultur und Industrienatur charakterisiert
wurden. Hierbei bildete der Montansektor nur noch eine Randerscheinung. Das
Ergebnis war: Ein ganz neues Ruhrgebiet, auch für Personen, die aus dem Ruhr-
gebiet stammten.
- Die Exkursion „Bremen und Worpswede“ hatte als thematische Schwerpunkte:
die bedeutende kulturelle Tradition der Renaissance-Zeit sowie die künstle-
rische Umgestaltung einer Innenstadtstraße in Jugendstil- und Bauhausformen
- dies waren echte, unvergessliche Stadterlebnisse. Stadtgestaltung im 21. Jahr-
hundert wurde in den Hafenarealen sichtbar mit dem Wandel der traditionellen
Hafenanlagen und Dienstleistungen zu den neuen Dienstleistungsfunktionen
63
TRIBUS 58,2009
Übersee-Museum: Modell einer Megacity in einem Schwellenland.
Unterhaltung, Hotels, Konsum in Megastrukturen von Architektur. Von besonde-
rem Interesse war der Besuch im Übersee-Museum, einem Völkerkundemuseum
mit ähnlicher historischer Entwicklung wie bei unserem Linden-Museum. Die mo-
derne, attraktive, besucherfreundliche Neugestaltung der Ausstellungen beein-
druckte alle Mitreisenden. Einige äußerten den Wunsch und die Notwendigkeit
zur Neugestaltung unseres Linden-Museums.
Die Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina hat in Verbindung mit
dem Institut für Geographie der Universität Stuttgart und der GEV im Wannersaal
ein national bedeutsames Symposium veranstaltet mit dem Thema: „Wüsten - natür-
licher und kultureller Wandel in Raum und Zeit“. Die GEV-Mitglieder konnten an
2 Tagen die entsprechenden Experten Deutschlands kennenlernen bei Vorträgen zu
den Themen: Klima- und Landschaftswandel, Desertifikation als Umweltproblem,
Klimawandel und Kulturgeschichte, Trockengebiete als Risikoräume.
Förderprojekte der GEV in 2008
- Gruppenführungsanlage für das Museum (Förderbetrag von € 12.645)
- Grönland-Ausstellung (€ 238)
- Forschungsarbeiten des Instituts für Geographie in Namibia (€ 12.645)
- Leopoldina-Veranstaltung (€ 4.250)
Entwicklung des Mitgliederbestandes
- Mitgliederzahl: 1.560
- die Zahl der Rentner hat in den vergangenen 10 Jahren von 300 auf 500 zugenom-
men.
Allgemein gefordert wird „eine größere Außenwirkung der GEV“.
In den vergangenen Monaten haben wir unter der Leitung von Frau Dr. Thamm
(Schatzmeisterin) einen „Runden Tisch“ organisiert. Rund 10-15 Mitglieder der
GEV treffen sich in 6-wöchigem Rhythmus, um weiterführende Aktivitäten zu disku-
tieren und zu gestalten. Diese Keimzelle sollte durch weitere Interessenten wachsen.
64
Eine Zusammenarbeit zwischen GEV und Vertretern des Museums ist im ver-
gangenen Jahr mit einer interdisziplinären Gestaltung von Führungen (Ethnologie
und Geographie) begonnen worden, z. B. bei der Grönland-Ausstellung und bei der
Schamanen-Ausstellung, u. a. auch mit speziellen Führungen für GEV-Mitglieder. Sol-
che Gelegenheiten bieten die besten Möglichkeiten zur Werbung von Mitgliedern.
In den nächsten Monaten benötigen wir gemeinsame Anstrengungen zur künf-
tigen Gestaltung der GEV Gefragt sind Inhalte, neue Adressaten, neue Aktivitäten;
im Einzelnen sind zu klären
- die weitere Ausgestaltung und Finanzierung der Geschäftsstelle
- die inhaltliche Ausrichtung der GEV
• nur noch ein Förderverein für das Museum im engeren Sinn mit entsprechender
Gestaltung der ergänzenden Veranstaltungen?
• Fortführung der traditionellen Konzeption des „Vereins für Handelsgeogra-
phie“:
• um 1900 bedeutete dies Vermittlung von Wissen und Erkenntnissen über die
damals unbekannten Kolonialländer in Verbindung mit dem Aufbau von völker-
kundlichen Sammlungen und dem Bau des Museums in 1911
• heute heißt dies Vermittlung von Wissen und aktuellen Erkenntnissen über die
neuen Weltregionen des 21. Jahrhunderts.
Übersee-Museum: Eindrucksvolle Objekte in einer gut ausgeleuchteten Vitrine.
In diesem Zusammenhang wäre eine Anbindung an Institute der Universität Ho-
henheim und an das Geographische Institut der Universität Tübingen wahrschein-
lich hilfreich. Gespräche sind im Gange.
Die Forderungen sind bekannt, notwendig sind Aktivitäten.
Mit unserem derzeit niedrigsten Jahresmitgliedsbeitrag unter allen Vereinen der Re-
gion bieten wir das preisgünstigste Kulturangebot der Region. Dies sollten wir alle
zur Werbung nutzen!
Roland Hahn, Vorsitzender der GEV
65
TRIBUS 58,2009
Korrektur zum Nachruf Dr. med. Ernst Haaf, Tribus 57,2008,
S. 46-48.
i
Leider haben sich in die Bibliographie der Veröffentlichungen von Ernst Haaf vor
der Drucklegung eine Reihe schwerwiegender Fehler eingeschlichen, für die ich nicht
verantwortlich bin. Deshalb wird sie hier noch einmal vollständig wiedergegeben;
Veröffentlichungen von Dr. Ernst Haaf zur Ethnologie Afrikas und Südwest-
Deutschlands
1967a Die Goldgewichte von Asante. Die Grünenthal-Waage 6, S. 135,153-59.
1967b Die Kusase. Eine medizinisch-ethnologische Studie über einen Stamm in
Nordghana. Stuttgart.
1968 Hexenwahn in Afrika. Bild der Wissenschaft 6, S. 507-17.
1969 Goldgewichte aus Ghana. Bild der Wissenschaft 10, S. 954-62.
1970 Schutz- und Abwehrzauber in Westafrika. Bild der Wissenschaft 12, S. 1262-70.
Zusammen mit Jürgen Zwernemann
1971a Krankheitsdarstellungen an afrikanischen Masken und Figuren. Tribus 20,
S. 35-62.
1971b Aus dem Leben der Meta-Frauen. Menstruation, Schwangerschaft und
Geburt. Ethnomedizin 1, S. 83-99.
1971c Religiöse Vorstellungen der Meta im Grasland von West-Kamerun. Anthro-
pos 66, S. 71-80.
1974a Sika Amapa. Gold aus Afrika. München.
1974b Der Tod in Westafrika. Evangelisches Missionsmagazin 118, S. 202-08.
Zusammen mit Jürgen Zwernemann
1975 Geburt - Krankheit - Tod in der afrikanischen Kunst. Stuttgart.
Zusammen mit Lilienne Haaf
1977 Priester, Medizinmann, Arzt. Wer die Qual hat, hat die Wahl. Die Grünen-
thal-Waage 16, S. 159-62.
1978 Mit Asche und Wasser. Arzt-Priester und Heiler in Ghana. Tonbildreihe.
Stuttgart.
1984 Fetische, Götzen und Dämonen. Krankheitsdarstellungen auf afrikanischen
Masken und Figuren. Deutsches Ärzteblatt B 81, S. 1099-1102.
Zusammen mit M. Fondö
1992 Die Meta. Eine ethno-medizinische Studie über eine Ethnie im Grasland von
Westkamerun. Giessen.
Zusammen mit Lilienne Haaf
1996 „1 läb no“. Die Leonberger Krankenhäuser. Geschichte und Geschichten.
Leonberg.
1998 Herrenberger Krankenhausgeschichte(n). Ein Beitrag zur Medizin- und
Sozialgeschichte der Stadt. Herrenberg.
2002 Das Bürgerspital zu Mosbach; für Arme gedacht, für Pfründer gemacht.
Mosbacher Jahresheft 12, S. 12-43.
2003 Alles: Nur nicht krank werden! Der steinige Weg zum Bezirkskrankenhaus.
Mosbacher Jahresheft 13, S. 81-119.
Zusammen mit Lilienne Haaf und Margarete Helmes
2007 Nachgedacht. Die Arbeit der Sozialstation und des Hospiz Leonberg. Gerlingen.
Hermann Forkl
66
Berthold Riese: Nachruf Bodo Spranz
BERTHOLD RIESE
Bodo Spranz
(1. Januar 1920 bis 1. September 2007)
Bodo Spranz, am 1. Januar 1920 in Nordhausen geboren, hat hintereinander in
zwei völlig getrennten Lebensbereichen bedeutend gewirkt. Nach dem Schulab-
schluss, und dem damals für junge Männer obligatorischen Arbeitsdienst, wurde er
1938 zur deutschen Wehrmacht eingezogen. Aufgrund des im darauf folgenden Jahr
beginnenden Krieges blieb er sieben Jahre lang Soldat. Als Artillerist hat er sich in
der Panzerbekämpfung so mutig bewährt, dass er, nach vorangegangenen weniger
hohen Auszeichnungen, 1943 das Eichenlaub zum Ritterkreuz verliehen bekam. Da-
nach hat ihn der Generalstab zeitweilig vom Dienst an der Front zurückgezogen, um
ihn in einem Lehrgang für höhere Stabsaufgaben zu schulen. Er hat den Krieg, von
dieser kurzen Unterbrechung abgesehen, in seiner ganzen Länge und an allen
Fronten bis zum Ende mitgemacht. Nach der Gefangennahme durch US-amerika-
nische Truppen 1945 in Oberitalien hatte Bodo Spranz das Glück, als politisch nicht
belastet schon im selben Jahr entlassen zu werden. Von dieser Zeit als Soldat und
von seinen hohen Auszeichnungen hat er später nie Aufhebens gemacht, wenn er
auch für zwei Bücher über die Panzerkriegführung Beiträge geschrieben hat. Eines
von ihnen wurde in den U.S.A., das andere in Israel verlegt.1 Seine Kriegsorden hat-
te er, so berichtete mir Peter K. Lehnert, ein naturalisierter Amerikaner, der ihn in
Bremen besucht hat, an einer unspektakulären Stelle in seiner Wohnung aufbewahrt.
Diese Zurückhaltung seiner Lebensgeschichte gegenüber bewahrte Bodo Spranz je-
doch nicht davor, Gegenstand merkwürdiger Formen der Heldenverehrung, - vor
allem in den Vereinigten Staaten von Nordamerika -, zu werden, wie ein Blick ins
Internet zeigt.
Seine zweite Karriere begann Spranz, als er sich nach der Entlassung aus der
Kriegsgefangenschaft in Bremen an der Kunsthochschule einschrieb und seit 1950
oder 1951 seinen Lebensunterhalt als technischer Zeichner am dortigen Übersee-
Museum verdiente. In dieser Zeit hat er für das Museum einige kleinere sammlungs-
bezogene Veröffentlichungen und Ausstellungskataloge verfasst. Um der ange-
strebten wissenschaftlichen Karriere als Archäologe, das war seine Jugendleiden-
schaft vor der langen Unterbrechung durch den Krieg gewesen, die nötige Unterfüt-
terung zu geben, hat Spranz sich neben seiner Museumsarbeit in Bremen in den Fä-
chern Völkerkunde, Volkskunde und Vorgeschichte an der Universität Hamburg
eingeschrieben. Die Kombination dieser drei Studienfächer war bis in die 1970er
Jahre in Hamburg beliebt, ließen sich doch so ohne allzu große Belastungen Interes-
sen an fremden und vergangenen Kulturen gut bündeln. Sein Arbeitgeber, der Senat
der Freien Hansestadt Bremen, hat sein Studium in Hamburg ausdrücklich geneh-
migt. Hamburg war von Bremen aus, damals wie heute, mit der Eisenbahn in etwa
einer Stunde leicht zu erreichen, doch hat Spranz die Fahrt, sogar im Winter, meist
mit dem Motorrad zurückgelegt. Während seiner Hamburger Studienzeit war Spranz
Mitglied der informellen „Hamburger Schule“, zu der außer ihm Günter Zimmer-
mann [1914-1972], Thomas S. Barthel [1923-1997] und Wolfgang Haberland [geb.
1922] zählten.1 2 Die Studenten der Völkerkunde in Hamburg hatten im unzerstörten
Museum an der Rothenbaumchaussee mit seiner reichhaltigen und gut geführten
Bibliothek eine für damalige Verhältnisse ideale Arbeitsstätte, denn auch die Lehr-
1 Da mir diese Information nur mündlich zugetragen wurde und ich sie nicht überprüft habe,
sind diese beiden Veröffentlichung im Schriftenverzeichnis nicht aufgeführt.
2 Außer diesen haben in den ersten Nachkriegsjahren auch Ursula Schlenther, später Profes-
sorin in Ost-Berlin, Hans Fischer, später Professor in Hamburg, Hans Becher, später Museums-
kustos für Völkerkunde in Hannover, in Hamburg Völkerkunde studiert.
67
TRIBUS 58,2009
Veranstaltungen fanden im Museum statt. Wenn auch Spranz nicht an allen Kneipen-
und Diskussionsabenden der „Hamburger Schule“ teilnahm - er wollte abends wie-
der zu seiner Familie nach Bremen heimkehren - zeigt seine Dissertation über die
Ikonographie der Codex-Borgia Gruppe vorspanischer mexikanischer Bilderhand-
schriften in Ziel und Anlage doch deutlich den Stil dieser Schule. Günter Zimmer-
mann hatte mit seiner Dissertation über die Hieroglyphen der Mayahandschriften
von 1951 (1956 in erweiterter Fassung gedruckt) die Form vorgegeben, und Spranz
folgte ihr, indem er ein systematisches Verzeichnis der Bildelemente eines klar be-
grenzten ikonographischen Corpus anlegte. Auch Haberland (1952), Barthel (1958)
und der sehr viel jüngere Hanns J. Prem (1967) sind mit ihren Dissertationen, bzw. im
Fall von Barthel mit der Habilitationsschrift, diesem Modell gefolgt. Promoviert
wurde Spranz mit seiner ikonographischen Dissertation 1958 unter dem Museums-
direktor und Professor für Völkerkunde Franz Termer [1894-1968]. Die 1964 veröf-
fentlichte Dissertation hat bei Spezialisten als nützliches Verzeichnis großen An-
klang gefunden und ist daher zehn Jahre später in Mexiko in einer spanischen Fas-
sung nochmals gedruckt worden.
In den frühen 1960er Jahren bot sich Bodo Spranz die Chance im damals neu ge-
gründeten Mexiko-Projekt der Deutschen Forschungsgemeinschaft3 mitzuarbeiten.
Er wurde das einzige Mitglied der Hamburger Schule, das sich lange, intensiv und
erfolgreich daran beteiligt hat, wohingegen Zimmermann und Barthel nur spora-
disch mitwirkten und der Archäologe und Museumsmann Haberland seine Feldfor-
schungen schon früher außerhalb des Projektgebietes in Zentralamerika begonnen
hatte. Als Archäologe im Mexiko-Projekt hatte Spranz das Glück, Ausgrabungen an
zwei bedeutenden Ruinenorten im Hochtal von Puebla durchführen zu können: Zu-
erst im präklassischen Totimehuacän und danach am Cerro Xochitecatl, dem Pyra-
miden-Komplex bei dem, allerdings erst nach Spranzens Arbeit, sein Archäologie-
Kollege im Projekt, Peter J. Schmidt [geb.1940], die klassischen Palast-Fresken von
Cacaxtla entdeckt hat. Mit seiner Ausgrabung in Totimehuacän, hat sich Spranz an
der Geowissenschaftlichen Fakultät der Universität Freiburg im Breisgau habilitiert,
wo er 1962 erster Leiter des nach Jahrzehnten der Magazinierung wieder für das
Publikum geöffneten Museums für Völkerkunde geworden war.
Die Museumsarbeit in Freiburg hat Bodo Spranz, der großes künstlerisches Talent
besaß (er zeichnete vorzüglich und hat seine Publikationen daher selbst illustriert),
mit wenig Aufhebens und anscheinend bescheidenen Mitteln sehr erfolgreich durch-
geführt. Strategisch packte er seine Aufgabe sehr breit an; Kleine Leihgaben an Ban-
ken und andere Institutionen, die damit ihre Auslagen schmückten und zugleich für
das Museum werben konnten, und professionelle Ausstellungen im Museum in den
Räumen des ehemaligen Dominikanerklosters „Adelhausen“ waren die Grundlage.
Schon diese beiden Maßnahmen ließen dieses kleinste Freiburger Museum im Be-
wusstsein der Bevölkerung und auswärtiger Besucher viel bedeutender erscheinen
als es tatsächlich war.4 Hinzu kam die Gründung einer eigenen fachlichen Veröffent-
lichungsreihe, die die Aufmerksamkeit anderer Fachmuseen und auswärtiger Ethno-
logen auf die Freiburger Völkerkunde lenken sollten. Schließlich hat Bodo Spranz
im südbadisch-württembergischen Einzugsgebiet Freiburgs in seiner Zeit als Mu-
seumsleiter zahlreiche Lichtbildervorträge gehalten, und erschloss somit auch das
Umland für die Freiburger Völkerkunde.
Auch wenn Bodo Spranz nach seiner Habilitation 1969 nur im Nebenamt an der
Universität Völkerkunde gelehrt und geprüft hat,5 zeichnete er sich in dieser Tätig-
keit doch als ungewöhnlich kooperativer und auf Harmonie bedachter Kollege
3 Oft auch nach der Forschungsregion in Mexiko „Puebla-Tlaxcala-Projekt“ genannt.
4 So äußerte sich mir gegenüber der damals junge Prähistoriker Burchard Sielmann.
5 In seinen Meldungen von Examenskandidaten bei der Geschäftsstelle der Deutschen Ge-
sellschaft für Völkerkunde (DGV) im Zeitraum von 1980 bis 1985 sind 15 von ihm betreute
Kandidaten aufgeführt, etwa zur Hälfte Doktoranden und Magistranden, sowie ein Habilitand.
68
Berthold Riese: Nachruf Bodo Spranz
Bodo Spranz
Foto: W. Spranz
neben dem hauptamtlichen Professor Rolf Herzog [1919-2006] aus. Das muss betont
werden, weil in fast allen deutschen Städten, wo Völkerkunde (Ethnologie) sowohl
an der Universität als auch an einem Museum vertreten ist, Spannungen zwischen
diesen Institutionen ersprießliches Zusammenarbeiten erschweren. In Freiburg war
das unter Spranz und Herzog anders, und diese Harmonie setzte sich unter Herzogs
Nachfolger Ulrich Köhler fort, was sich in der Festschrift für Rolf Herzog, die Spranz
herausgegeben hat und in der für Bodo Spranz manifestiert, in der Herzog den Jubi-
lar würdigte, sowie schließlich in der Festschrift für das Museum, in der Köhler die
biographische Würdigung des damals allerdings schon pensionierten Leiters Bodo
Spranz geschrieben hat.6
6 Die Festschrift für Rolf Herzog ist 1979 als Veröffentlichung des Museums für Völkerkunde
in Freiburg erschienen, die für Bodo Spranz ist Teil des Bandes 33 der Zeitschrift Tribus, die das
Stuttgarter Linden-Museum herausgibt, und der 1984 erschienen ist. Die Festschrift für das
Freiburger Völkerkunde-Museum wurde 1995 als Monographie vom Museum selbst heraus-
gegeben.
69
TRIBUS 58,2009
Nach seinem Eintritt in den Ruhestand 1984 hat Bodo Spranz, der in seiner eige-
nen Forschung bis dahin auf die Archäologie Zentralmexikos spezialisiert gewesen
war, sein Interesse auf die Maya von Yukatan ausgedehnt. Freilich hatte er während
seiner Aufenthalte in Zentralmexiko, meist in den Weihnachtsferien, das Maya-Ge-
biet schon mehrfach bereist. Dort hat er jetzt nochmals mit den Geographen und
ehemaligen Kollegen aus dem Mexiko-Projekt Wilhelm Lauer [1923-2007] und Enno
Seele [geb. 1931] erfolgreich nach der frühesten Besiedlung der Ostküste der Halb-
insel gesucht und nebenher als Schreibtischgelehrter auch zu anderen Themen der
Geschichte des Mayagebietes, darunter auch der Kolonialgeschichte, veröffentlicht.
Zehn Jahre nach Eintritt in den Ruhestand ist Bodo Spranz von Freiburg wieder
nach Bremen übergesiedelt. Dort verbrachte er seine letzten Jahre im Kreise seiner
Familie. Der Tod seiner Ehefrau 2006 und zunehmende eigene Gebrechen haben ihn
das Ende seines Lebens herbeisehnen lassen, und er hat es am 1. September 2007 in
Ruhe beschlossen.
* * *
Bodo Spranz erscheint im Rückblick als erfolgreicher, gewissenhafter und produk-
tiver Vertreter der amerikanistischen Völkerkunde und Archäologie, der sein ganzes
berufliches Leben diesen Bereichen gewidmet hat und dennoch kaum Wirkung auf
die Gestaltung des Faches oder den Gang der Forschung erzielte. Sein Wirkungskreis
in Freiburg und Südbaden, wo die Völkerkunde erst aufgebaut werden musste und
stets ein kleines Fach blieb, und die bildungspolitischen Prioritäten, die als dring-
lichste Aufgabe den Wiederaufbau des Universitätsfaches und der Forschung in
Deutschland als Ziele setzten, ließen ihn als Person und in seinen Beiträgen stets
hinter diesen übergeordneten Zielen zurücktreten. Auch seine Beteiligung am Mexi-
ko-Projekt der Deutschen Forschungsgemeinschaft, so bedeutend und dauerhaft sie
letztlich war, erzielte nur kurzfristig öffentliche Wirkung. Spranzens Sache war es
außerdem nicht, sich an theoretischen oder forschungspolitischen Debatten zu betei-
ligen, wie sie seinerzeit in Fachkreisen, vor allem an den Universitäten der großen
Städte (Berlin, Hamburg, Frankfurt am Main), heftig, kontrovers und sehr hart-
näckig geführt wurden und die einigen ihrer Protagonisten lange anhaltende öffent-
liche Aufmerksamkeit brachte.7
Die finanzielle Entwicklung der Stadt Freiburg im Breisgau nach seinem Aus-
scheiden aus dem Museumsdienst hatte zur Folge, dass „sein Museum“ in Freiburg
unter seiner Nachfolgerin Eva Gerhards wieder zu einer Abteilung des Naturkunde-
museums hinabgestuft wurde und als heutiges „Museum in Bewegung“ (so der Ge-
meinderatsbeschluss vom März 2008) wieder weitgehend aus dem Blick der Öffent-
lichkeit verschwunden ist.
Spranzens Grabungen in Mexiko wurden und werden, das liegt in der Natur der
Sache, durch größere anschließende mexikanische Ausgrabungen und Restaurie-
rungen überlagert. Es ist dort außerdem nicht Brauch, die Pionierleistungen von
Ausländern zu würdigen. Seine reiche Büchersammlung hat Bodo Spranz schon zu
Lebzeiten an Kollegen und Institutionen abgegeben, die ihm dafür dankbar sind, und
in deren Beständen sie eingegliedert aber nicht mehr als geschlossene Sammlung
erkennbar sind.8 Als verantwortungsbewusster Archäologe hat Bodo Spranz keine
Privatsammlung an Kunstschätzen zusammengetragen, die als Stiftung seinen Na-
7 Ich denke dabei vor allem an Fritz Kramer und Hans Peter Duerr, die in der ideologisierten
Theoriedebatte den Ton angaben und an die Museumsgruppe, die sich zwischen Leitern und
Kustoden der Museen in Bremen, Hamburg und Lübeck bildete und die die Debatte um die
publikumswirksame und sozialkritisch engagierte Aufgabe der Völkerkundemuseen be-
förderte. In letzterer waren Herbert Ganslmayr, Rüdiger Vossen, Helga Rammow und Antje
Keim die Wortführer.
8 Ein Großteil scheint an das Iberoamerikanische Institut Preußischer Kulturbesitz in Berlin
gegangen sein; kleinere Bestände sind an Bruno Illius und Berthoid Riese gekommen.
70
Berthold Riese: Nachruf Bodo Spranz
men hätte bewahren können. So bleibt als Vermächtnis bei seinen Schülerjüngeren
Mitarbeiter und Freunden vor allem die Erinnerung an einen liebenswürdigen, hilfs-
bereiten und immer aufmunternden Kollegen, der eine makellose berufliche Lauf-
bahn vorgelebt hat.
Schriftenverzeichnis9
a) Veröffentlichungen
1955 Die Keramik der Sammlung Lahmann, Costa Rica. In; Jahrbuch der Bre-
mischen Wissenschaften, 1.
1956 Die Speerschleuder in Amerika. In: Veröffentlichungen aus dem Übersee-
Museum Bremen, Reihe B, Band 1, Heft 2. Bremen
Tlatilco. Eine archaische Kultur im Hochland von México. Tlatilcofunde im
Übersee-Museum Bremen. In: Veröffentlichungen aus dem Übersee-Mu-
seum Bremen, Reihe B, Band 1, Heft 2. Bremen
1956/7 Die Steinarbeiten der Sammlung Lahmann, Costa Rica. In; Jahrbuch der
Wittheit, 1. Bremen
1958 Versunkene Kulturen. Ägypten, Mittel- und Südamerika. Unpaginiert, zahl-
reiche Abb. Bremen: Übersee-Museum. [Führer durch die Ausstellungen
über Altägypten und Altamerika im Bremer Übersee-Museum; die Photos
sind von Hed Wiesner.]
1961 Zauberei und Krankenheilung im Brauchtum der Gegenwart bei Otomi-ln-
dianern in Mexiko. In: Zeitschrift für Ethnologie, 86, S.51-67. Braunschweig:
Albert Limbach Verlag. [Illustriert mit 7 Photos & 21 Strichzeichnungen.
Spranz referiert den Bericht eines in Mexiko ansässigen Reinold Herold, der
seine Beobachtungen von September bis November des Jahres 1958 im Dorf
San Pablito machte und dort auch gefilmt hat.]
Ostasien und die Südsee. Ein Führer durch das Übersee-Museum Bremen.
Bremen
Art from Central Africa/ L’art d’Afrique Centrale. In: Africa. Periódica! in
Politics, Economic Affairs and Culture in the New Africa, Nr.3, S. 94-95. Mün-
chen
Besprechung von: Amerikanistische Miszellen (Termer-Festschrift) (= Mittei-
lungen aus dem Museum für Völkerkunde in Hamburg, 25). In: Tribus, 10,
S. 154-155. Stuttgart: Linden-Museum. [Franz Termer war der Doktorvater
von Bodo Spranz.]
Besprechung von; Günter Zimmermann, Das Geschichtswerke des Domingo
de Muñón Chimalpahin Quauhtlehuanitzin. 1960. In: Tribus 10, S. 208-209.
Stuttgart; Linden-Museum
Besprechung von: Günter Zimmermann, Die Hieroglyphen der Mayahand-
schriften. 1956. In: Tribus 10, S. 209-211. Stuttgart: Linden-Museum
1964 Göttergestalten in den mexikanischen Bilderhandschriften der Codex-Bor-
gia-Gruppe; eine ikonographische Untersuchung. (= Acta Humboldtiana, Se-
ries geographica et ethnographica, 4). Wiesbaden: Franz Steiner Verlag. [D.i.
die Dissertation an der Universität Hamburg von 1958; besprochen von Karl
9 Weniger vollständige Schriftenverzeichnisse liegen in den Festschriften von 1984 und 1995
vor. Bei der Zusammenstellung dieses Schriftenverzeichnisses, das gegenüber den bisherigen
vor allem um Buchbesprechungen ergänzt wurde, hat mich Harald Grauer unterstützt. Hin-
weise auf im Nachlaß vorliegende Exemplare beziehen sich auf den Teilnachlass im Besitz von
Berthold Riese in Bonn.
71
TRIBUS 58,2009
Anton Nowotny in; Zeitschrift für Ethnologie, 92, S. 311,1967; von Henry B.
Nicholson in: American Anthropologist, 68, No. 3, 799-801. 1966; von Law-
rence S.Thompson in; Revista Interamericana de Bibliografía, no.3, vol. XVI,
1966; von A.G. in: Archives Suisses d’Anthropologie Générale, 30, Genève
1965; von Otto Zerries in: Mundus, l,Nr.l,S. 37-38.1965; von Karlheinz Pfeif-
fer in; Informationsblatt. Archiv für amerikanische Völkerkunde (AVA), 4.
Jahrgang, Nr. 2. Düsseldorf 1967; von Cottie A. Burland in: Man, November/
Dezember 1965, No. 216; von Basso von Winning in; The Hispanic American
Historical Review, 47, Nr. 4, S. 553-554.1967; von Thomas S. Barthel in: Tribus,
14, S. 225-226, Stuttgart: Linden-Museum 1965. [Das Buch ist 1973 in einer
spanischen Übersetzung in Mexiko wiederveröffentlicht worden.]
Kunst im alten México. Freiburg im Breisgau
Besprechung von: Karl Anton Nowotny, „Tlacuilolli“. 1961. In; Zeitschrift für
Ethnologie, 89, S. 313-314. Braunschweig; Albert Limbach Verlag
Besprechung von; Günter Zimmermann, Die Relationen Chimalpahin’s.
Hamburg 1963. In: Tribus 13, S. 173-174. Stuttgart: Linden-Museum
Besprechung von; Julie Jones, Bibliography for Olmec Sculptures. 1963. In:
Tribus 13, S. 174. Stuttgart: Linden-Museum
1965 Afrika, Australien, Südsee. Freiburg im Breisgau. [Führer durch die Ausstel-
lung im Völkerkunde-Museum]
Bericht über die Grabungen in der Pyramidengruppe von Totimehuacán,
Puebla (México) 1964/65. [Zwei maschinenschriftliche Exemplare liegen im
Nachlass vor.]
1966 Las pirámides de Totimehuacán. Excavaciones 1964/65.32 S. Puebla: Instituto
Poblano de Antropología e Historia. [Mit zahlreichen Auf- und Grundrissen,
sowie in schlechter Qualität gedruckten Photos. Ein Exemplar liegt im Nach-
lass vor.]
Die Grabungen in Totimehuacán/ Puebla, México. In: Umschau in Wissen-
schaft und Technik, 66, S. 637. Frankfurt am Main
Brauchtum und Sitte. In; Der Weiße Turm 5/IX. Biberach an der Riß; Dr. Karl
Thomae G.m.b.H.
Bedeutsame Ausgrabungen in den Pyramiden von Totimehuacán. In; Über-
see-Rundschau 1966, Heft 2, S. 28-30. Hamburg: Übersee-Verlag
Verborgene Schätze im Freiburger Museum für Völkerkunde. In: Freiburger
Jahreszeiten, 2. Jahrgang, Heft 4. Freiburg im Breisgau
Besprechung von: Hermann Trimborn, Die indianischen Hochkulturen des
Alten Amerika. 1963. In: Zeitschrift für Ethnologie, 91, S. 315. Braunschweig;
Albert Limbach Verlag
Besprechung von: Günter Zimmermann, Die Relationen Chimalpahins.
Hamburg 1965. In: Tribus 15, S. 217. Stuttgart: Linden-Museum. [Den ersten
Band dieser Veröffentlichung Zimmermanns hatte Spranz im Jahre 1964 be-
sprochen.]
1967 Bericht über die Grabungen in der Pyramidengruppe von Totimehuacán,
Puebla (México) 1966/67. [Ein maschinenschriftliches Exemplar liegt im
Nachlass vor.]
Archäologische Feldarbeit im Puebla/Tlaxcala-Projekt, México. Die zweite
Grabung in Totimehuacán. In: Mitteilungen der DFG, 2/67, S. 10-12. Bad
Godesberg; Deutsche Forschungsgemeinschaft
Descubrimiento en Totimehuacán, Puebla. In; Boletín INAH, 28, S. 19-22.
México: Instituto Nacional de Antropología e Historia
Staat und Kultur der Azteken. In: Die Reisehochschule, Zürich 1967, S. 10-13.
Zürich
72
Berthold Riese: Nachruf Bodo Spranz
Besprechung von: Ferdinand Anton, Alt-Mexiko und seine Kunst. Leipzig
1965. In: Tribus 16, S. 245-246. Stuttgart: Linden-Museum
Besprechung von: Ferdinand Anton & Frederick Dockstader, Das alte Ame-
rika. Baden-Baden 1967. In: Die Bücherkommentare 3/1967, S. 119.
Besprechung von Lieselotte & Theodor Engl, Glanz und Untergang des Inka-
Reiches. Conquistadoren - Mönche - Vizekönige. München: Callwey 1967. In;
Die Bücherkommentare, 3/1967, S. 119
Besprechung von: Erna Sichert & Werner Formann, Indianerkunst der ame-
rikanischen Nordwestküste. Hanau 1967. In; Die Bücherkommentare 3/1967,
S. 119
Besprechung von: Walter Hanf, Mexiko, Ein Traum in Licht und Farbe. Mün-
chen 1967. In; Die Bücherkommentare 3/1967, S. 119. [Titel der Sammelrezen-
sion „Mexiko - Land der Azteken und der Olympiade“]
Besprechung von: Wolfgang Cordan, Mexiko - Land der hundert Gesichter.
Düsseldorf 1967. Besprochen in; Die Bücherkommentare 3/1967, S. 119. [Titel
der Sammelrezension „Mexiko - Land der Azteken und der Olympiade“]
Besprechung von: Theodora Kroeber, Der Mann der aus der Steinzeit kam.
Die Biographie des letzten wilden Indianers in Nordamerika. München 1967.
In: Die Bücherkommentare 3/1967, S. 119
Besprechung von: H. D. Disselhoff, Alltag im alten Peru. In: Die Bücherkom-
mentare 1967. [unsicher ob veröffentlicht]
1968 Keramik Alt-Mexicos. In: Mexiko und die altindianischen Kulturen Mittel-
amerikas. Ludwigsburg: Karawane-Verlag. [Es handelt sich vermutlich um
einen Beitrag in einem Begleitheft für Bildungsreisen, die das Unternehmen
„Die Karawane“ durchzuführen plante.]
Präklassische Figuren aus Totimehuacän, Puebia/Mexiko. In; Zeitschrift für
Ethnologie, 93, S. 107-118. Braunschweig: Albert Limbach Verlag
Die Grabungen in Totimehuacän, Puebla. In: Franz Tichy (Hg.). Berichte über
begonnene und geplante Arbeiten (= Das Mexiko-Projekt der Deutschen
Forschungsgemeinschaft, 1), S. 80-89. Wiesbaden: Franz Steiner Verlag
Im Tempel des Regengottes. In: Bei uns. Freiburger Informationen, Heft 1,
S. 33-38. Freiburg im Breisgau
Die präklassischen Pyramiden von Totimehuacän, Puebla (Mexico). In: Tri-
bus, 17, S. 17-26. Stuttgart: Linden-Museum. [Erläuternde Fußnote zum Titel
„Vorläufiger Bericht über die Grabungen 1964/65 und 1966/67 im Rahmen
des Puebla/Tlaxcala-Projektes der DFG.“ Mit 3 Photographien und zwei
Lageskizzen.]
Besprechung von: Irene Nicholson, Mexiko heute. Wien: Econ Verlag 1967. In;
Die Bücherkommentare 2/1968, S. 25. [Teil der Sammelrezension „Mexiko“]
Besprechung von: Frank Tannenbaum, Mexico. Gesicht eines Landes. 1967.
In; Die Bücherkommentare 2/1968, S. 25. [Teil der Sammelrezension „Mexi-
ko“]
Besprechung von: Hans Reich, Mexico. München 1967. In: Die ßücherkom-
mentare 2/1968, S. 25. [Teil der Sammelrezension „Mexiko“]
Besprechung von: Frank Willet, Ife. Metropole afrikanischer Kunst. Bergisch
Gladbach; Lübbe 1967. In; Die Bücherkommentare 3/1968, S. 39
Besprechung von M. Leirs & J. Delange, Afrika. Kunst des Schwarzen Erd-
teils. München: C.H. Beck 1968. In: Die Bücherkommentare 4/1968, S. 33
Besprechung von: Hans Dietrich Disselhoff, Geschichte der Altamerika-
nischen Kulturen. 2. Auflage. München & Wien 1967. ln: Tribus, 17, S. 226-7.
Stuttgart: Linden-Museum
73
TRIBUS 58,2009
Besprechung von: Carlo T. E. Gay, Mezcala Stone Sculpture. The Human
Figure. In: Tribus, 17, S. 228-229. Stuttgart: Linden-Museum
1969 Dokumente der Naturvölker. Wertvolle Neuerwerbungen aus der Geschichte
der außereuropäischen Kulturen im Freiburger Museum für Völkerkunde. In:
Freiburger Almanach 1969, S. 81-86. Freiburg im Breisgau
Besprechung von: Alfonso Caso, La cerámica de Monte Albán. 1967. In:
Anthropos 63/64, S. 1024-1026.
Besprechung von: Hans Biedermann, Handlexikon der magischen Künste
von der Spätantike bis zum 19. Jahrhundert. Graz 1968. In: Die Bücherkom-
mentare, 1/1969, S. 41
Besprechung von: Codex Peresianus. Graz: Akademische Druck- und Ver-
lagsanstalt 1968 In; Die Bücherkommentare, 3/1969, S. 28
Besprechung von: Douglas S. Byers (Hg.), The Prehistory of the Tehuacan
Valley, Vols. 1 & 2.1967. In: Tribus 18, S. 201-202. Stuttgart: Linden-Museum.
[Spätere Bände dieser Veröffentlichung hat Spranz im Jahre 1972 bespro-
chen.]
Besprechung von: Ferdinand Anton, Kunst der Maya. Leipzig 1968. In; Tribus
18, S. 202-203. Stuttgart: Linden-Museum
Besprechung von: Michael D. Coe,The Jaguar’s Children. 1965. In: Tribus 18,
S. 203-204. Stuttgart: Linden-Museum
Besprechung von: Christiane Desroches-Noblecourt & Georg Gerster, Die
Welt rettet Abu Simbel. 1968. In: Die Bücherkommentare, 4/1969, S. 29
1970 Die Pyramiden von Totimehuacán, Puebla (México) und ihre Einordnung in
die Entwicklung des präklassischen Pyramidenbaues in Mesoamerika. (= Das
Mexiko-Projekt der Deutschen Forschungsgemeinschaft, 2). Wiesbaden;
Franz Steiner Verlag. [Habilitationsschrift an der Universität Freiburg im
Breisgau; besprochen von Jürgen Kurt Brüggemann in; Anthropos 69,
S. 1005-1007.1974; von Klaus Jaecklein in; Mundus, 15, Nr. 2, S. 129-130,1979;
von Dean Snow in: Hispanic American Historical Review, November 1979;
von Helmut Windl in: Mitteilungen der Anthropologischen Gesellschaft in
Wien, 101, Heft 1, S. 137-138, 1971; von Wolfgang Haberland in: Tribus, 20,
S. 249-250,1971, Stuttgart: Linden-Museum; von Gerhard Franz im Österrei-
chischen Rundfunk, Studio Steiermark, gesendet am 19. Februar 1975; von H.
G. Franz in: Jahrbuch des Kunsthistorischen Institutes der Universität Graz,
9/10, S. 211-212,1974/5; von Herbert Wilhelmy in: Mundus, 9, Nr. 3, S. 266-267.
1973]
Investigaciones arqueológicas en el Cerro Xochitecatl, Tlaxcala, Temporada
1969/70. In: Comunicaciones del Proyecto Puebla-Tlaxcala, Heft 1/1970,
S. 37-38. Puebla
Investigaciones arqueológicas en el Cerro Xochitécatl, Municipio de Natívi-
tas, Tlaxcala. In; Estudios y Documentos de la Región de Puebla-Tlaxcala, 2,
S. 7-19. Puebla: Instituto Poblano de Antropología e Historia
Nuevas excavaciones en Tlaxcala. In; Boletín IN AH, 41, S. 1-3. México: Insti-
tuto Nacional de Antropología e Historia
Neue Ergebnisse archäologischer Forschung im mexikanischen Hochland
(Das Puebla/Tlaxcala-Projekt der Deutschen Forschungsgemeinschaft). In:
Antike Welt. Zeitschrift für Archäologie und Vorgeschichte, 1. Jahrgang, Heft
2, S. 22-29. Zürich: Raggi-Verlag
Besprechung von: Friedrich Katz „Vorkolumbische Kulturen“ 1969. In: Zeit-
schrift für Ethnologie, 95, S. 305-306. Braunschweig: Albert Limbach Verlag
Besprechung von: Friedrich Ratzel „Aus Mexiko“ 1969. In: Zeitschrift für
Ethnologie, 95, S. 313-314. Braunschweig: Albert Limbach Verlag
74
Berthold Riese: Nachruf Bodo Spranz
Besprechung von; John L. Stephens, Reisen in Zentralamerika (gekürzte Aus-
gabe). 1969. In: Zeitschrift für Ethnologie, 95, S. 314. Braunschweig: Albert
Limbach Verlag
Besprechung von: Kazimierz Michalowski, Ägypten - Kunst und Kultur. Frei-
burg im Breisgau: Herder Verlag 1969. In: Die Bücherkommentare, 2/1970,
S. 24
Besprechung von: François Daumas, Ägyptische Kultur im Zeitalter der
Pharaonen. München 1969. In: Die Bücherkommentare 1/1970, S. 22
1971 Ergebnisse und Probleme der Erforschung vorspanischer Kulturen in México.
In: Saeculum, 22 (4), S. 326-333. Freiburg i. Br.: Alber. [Derselbe Vortrag wur-
de in spanischer Sprache in kurzer Zusammenfassung in: „Resumen de
ponencias“ des 39. Internationalen Amerikanistenkongresses in Lima veröf-
fentlicht.]
Besprechung von; Ursula Dyckerhoff, Die Crónica Mexicana. Hamburg 1970.
In: Tribus, 20, S. 251-252. Stuttgart: Linden-Museum
1972 Besprechung von: C. W. Ceram, Der erste Amerikaner. 1972. In: Die Bücher-
kommentare 1/1972, S. 4
Besprechung von: Codex Magliabechiano. Graz: Akademische Druck- und
Verlagsanstalt 1970. In: Anthropos, 67, Hefte 1 & 2, S. 310-311
Besprechung von: Dee Brown, Begrabt mein Herz an der Biegung des Flusses.
Hamburg 1972. In: Die Bücherkommentare, 3/1972, S. 18. [Teil der Sammel-
rezension „Indianer - Legende und Wirklichkeit. Zur Geschichte des Roten
Mannes“]
Besprechung von: Peter Färb, Die Indianer. 1971. In: Die Bücherkommentare
3/1972, S. 18. [Teil der Sammelrezension „Indianer - Legende und Wirklich-
keit. Zur Geschichte des Roten Mannes“]
Besprechung von: Jonathan Norton Leonard, Die indianischen Imperien.
Reinbek 1971. In; Die Bücherkommentare 3/1972, S. 18. [Teil der Sammel-
rezension „Indianer - Legende und Wirklichkeit. Zur Geschichte des Roten
Mannes“]
Besprechung von: Robert S. MacNeish (Hg.),The Prehistory of the Tehuacan
Valley, Band 3. 1970. In: Tribus 21, S. 292-293. Stuttgart: Linden-Museum
[Bände 1 & 2 dieser Veröffentlichung hatte Spranz 1969 besprochen.]
Besprechung von: Berthold Riese, Grundlagen zur Entzifferung der Maya-
hieroglyphen, 1971. In; Tribus, 21, S. 294-296. Stuttgart; Linden-Museum
Besprechung von; Eike Hinz, Antropologische [sic, schon in der besprochenen
Publikation] Analyse altaztekischer Texte. 1971. In: Tribus 21, S. 296-297.
Stuttgart: Linden-Museum
Besprechung von: W. P. Cumming, R. A. Skelton, D.B. Quinn, Die Entdeckung
Nordamerikas. 1972. In: Die Bücherkommentare 4/1972, S. 29
Besprechung von: Waldemar Stöhr, Lexikon der Völker und Kulturen. 3 Bän-
de. 1972. In: Die Bücherkommentare, 4/1972.
Besprechung von: Laurette Séjourné, Altamerikanische Kulturen. 1971. In:
Historische Zeitschrift, 215/3, S. 761-762.
1973 El preclásico en la arqueología del Proyecto Puebla-Tlaxcala. In: Comunica-
ciones, 7, S. 63-64. Puebla de los Angeles
Los dioses en los códices mexicanos del grupo Borgia. México: Fondo de Cul-
tura Económica. [Spanische Übersetzung von „Göttergestalten...“ 1964.]
Besprechung von: Wolfgang Haberland. Die Kunst des indianischen Amerika.
Zürich 1971. In: Mundus, Heft 1.
Besprechung von: Immina von Schuler-Schömig, Figurengefäße aus Oaxaca.
Berlin 1970. In: Anthropos, 68,1973, S. 344-345.
75
TRIBUS 58,2009
Besprechung von: Dieter Eisleb, Westmexikanische Keramik. Berlin 1971. ln;
Anthropos, 68,1973, S. 344-345.
Besprechung von: Jean-Jacques Hatt, Kelten und Galloromanen; Rolf Hach-
mann, Die Germanen; Constantin Daicoviciu & Emil Condurachi, Rumänien
und Antoine Bon, Byzanz, 1970-1972. In: Die Bücherkommentare 5/1973,
S. 22. [Teil der Sammelrezension „Zwischen Gallien und Byzanz. Beiträge zur
frühen Geschichte Zentral- und Südosteuropas“]
Besprechung von: Jacques Lafaye, Manuscrit Tovar. Graz: Akademische
Druck- und Verlagsanstalt 1972. In: Tribus, 22, S. 281-282. Stuttgart: Linden-
M use um
Besprechung von; Ernst Mengin, Bocabulario de Mayathan. Graz: Akade-
mische Druck- und Verlagsanstalt 1972. In: Tribus 22, S. 282-283. Stuttgart:
Linden-Museum
Besprechung von; Codex Vaticanus 3773. Graz: Akademische Druck- und
Verlagsanstalt 1972. In: Tribus 22, S. 283-284. Stuttgart: Linden-Museum
Besprechung von Horst Hartung, die Zeremonialzentren der Maya. Graz:
Akademische Druck- und Verlagsanstalt 1971. In: Tribus 22, S. 285-287. Stutt-
gart: Linden-Museum
Besprechung von: Das Mexiko-Projekt der DFG, Band 4 (Nahua-Dialekte in
Puebla-Tlaxcala von Gisela Hertle). 1972. In: Tribus 22, S. 287. Stuttgart: Lin-
den-Museum
1974 Late Classic Figurines from Tlaxcala, México, and their Possible Relation to
the Codex Borgia-Group. In: Elizabeth P. Benson (Hg.), Mesoamerican
Writing Systems, S. 217-226. Washington, D.C. 1973. [Besprechung des ganzen
Bandes von Berthold Riese in; International Journal of American Linguistics,
42, Heft 4, S. 384-388. Chicago: Chicago University Press 1976.]
Untersuchungen zur vorspanischen Geschichte von Puebla und Tlaxcala
(Mexiko). In: Jahrbuch für Geschichte von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft
Lateinamerikas, 11, S. 1-11. Köln: Böhlau
Übersetzer von: Cottie A. Burland, Montezuma, Herrscher der Azteken.
253 S. Würzburg: Ploetz KG. [Die englische Originalausgabe war 1973 er-
schienen.]
Besprechung von: Geoffrey Bibby, Dilmun. Die Entdeckung der ältesten
Hochkultur. 1973. In: Die Bücherkommentare, 1/1974, S. 14
Besprechung von: Charles Berlitz, Geheimnisse versunkener Welten. 1973. In:
Die Bücherkommentare 4/1974, S. 20
Besprechung von: Richard Fester, Die Eiszeit war ganz anders. 1973. In: Die
Bücherkommentare 4/1974, S. 20
1975 Mit W. Wenz & W. Kosack: Blick in die Vergangenheit; Ägyptische Mumie im
Röntgenlicht. In: Radiologie, 15, S. 45-49. Heidelberg & Berlin; Springer
Besprechung von; Franz Termer, Palo Gordo. 1973. In: Tribus 24, S. 236-237.
Stuttgart: Linden-Museum
Besprechung von: Alexej Pawlowitsch Okladnikow, Der Mensch kam aus
Sibirien. Russische Archäologen auf den Spuren fernöstlicher Frühkulturen.
In: Die Bücherkommentare, 2/1975, S. 14
Besprechung von: Hermann Müller-Karpe, Geschichte der Steinzeit. Mün-
chen 1974. ln: Die Bücherkommentare 2/75, S. 14
Besprechung von: Leo Deuel, Kulturen vor Kolumbus. München: C.H. Beck
Verlag 1975. In; Die Bücherkommentare 6/75, S. 16. [Teil der Sammelbespre-
chung „Das Abenteuer Archäologie. Auf den Spuren versunkener Kulturen“]
76
Berthold Riese; Nachruf Bodo Spranz
Besprechung von: Michael D. Coe, Die Maya. In: Die Bücherkommentare
6/75, S. 16. [Teil der Sammelbesprechung „Das Abenteuer Archäologie. Auf
den Spuren versunkener Kulturen“]
Besprechung von: Karl Gutbrod, DuMont’s Geschichte der frühen Kulturen
der Welt. 1975. In: Die Bücherkommentare 6/1975, S. 16. [Teil der Sammelbe-
sprechung „Das Abenteuer Archäologie. Auf den Spuren versunkener Kul-
turen“]
Besprechung von: Warwick Bray & David Trump, Lexikon der Archäologie.
1975. In; Die Bücherkommentare 6/75, S. 16. [Teil der Sammelbesprechung
„Das Abenteuer Archäologie. Auf den Spuren versunkener Kulturen“]
1976 Cerámica preclásica de Puebla, México. In: Comunicaciones del Proyecto
Puebla Tlaxcala. Puebla de los Angeles 1976
El Proyecto México de la Fundación Alemana para la Investigación Científica:
Investigaciones en las pirámides del Cerro Xochitécatl, Tlaxcala. In: Akten
des 41. Internationalen Amerikanistenkongresses. México
Besprechung von: Wolfgang Findig, Vorgeschichte Nordamerikas. Mannheim
1973. In: Historische Zeitschrift, 223, Heft 1, S. 155-156. München
Besprechung von: Otto H. Muck, Alles über Atlantis. Düsseldorf 1976. In: Die
Bücherkommentare, 4/1976, S. 25. Freiburg im Breisgau
Besprechung von; Codex Vindobonensis Mexicanus Primus. Graz: Akade-
mische Druck- und Verlagsanstalt 1974. In: Historische Zeitschrift, 223,
S. 156-157. München
Besprechung von; Irenäus Eibl-Eibesfeldt, Menschenforschung auf neuen
Wegen. Wien 1976. In: Die Bücherkommentare 6/1976, S. 18. Freiburg im
Breisgau
Besprechung von: Hanns J. Prem, Matricula de Huexotzinco. Graz 1974: Aka-
demische Druck- und Verlagsanstalt. In: Tribus, 25, S. 211-212. Stuttgart: Lin-
den-Museum
Besprechung von: Pierre Ivanoff, Maya Monuments of Civilizations. London
1975. In: Tribus 25, S. 213-214. Stuttgart: Linden-Museum
Besprechung von: Carlo T. Gay, Chalcatzingo. Graz 1971: Akademische
Druck- und Verlagsanstalt. In: Tribus 25, S. 213-214. Stuttgart: Linden-
Museum
Besprechung von: Codex Borbonicus. Graz: Akademische Druck- und Ver-
lagsanstalt 1974. ln: Mundus, 12, Nr. 3, Stuttgart
1977 Besprechung von: Codex Borgia. Graz: Akademische Druck- und Verlags-
anstalt 1976. In: Tribus 26, S. 165-167. Stuttgart; Linden-Museum
Besprechung von: Codex Ixtlilxochitl. Graz: Akademische Druck- und Ver-
lagsanstalt 1976. In: Tribus 26, S. 167-168. Stuttgart: Linden-Museum
Besprechung von; Eduard Seler. Popol Vuh. Berlin 1975. In; Tribus 26,
S. 168-169. Stuttgart: Linden-Museum
1978 Mit D.E. Dumond & Peter Paul Hilbert: Die Pyramiden von Cerro Xoch-
itecatl, Tlaxcala. México. (= Das Mexiko-Projekt der Deutschen Forschungs-
gemeinschaft, 12). Wiesbaden: Steiner. [Besprochen von Hanns J. Prem in:
Tribus, 28, S. 204-205. Stuttgart: Linden-Museum 1979.]
Amerika, Asien. Freiburg im Breisgau. [Führer durch die Ausstellungen im
Museum für Völkerkunde]
1979 Mit Mercedes Figueras Übersetzer von: José Alcina Franch. Die Kunst des
alten Amerika. Freiburg i. Br. & Wien; Herder Verlag
Das Museum für Völkerkunde in Freiburg i. Br. In; Bodo Spranz (Hg.), Völ-
kerkunde in Freiburg, Museum-Universität (Herzog-Festschrift). (= Veröf-
fentlichungen des Museums für Völkerkunde, 3). Freiburg i. Br.
77
TRIBUS 58,2009
1980? Besprechung von: Frank Waters, Das Buch der Hopi. Düsseldorf & Köln:
Eugen Diederichs Verlag 1980. In: Wissenschaftlicher Literaturanzeiger
1981 Besprechung von: Codex Vaticanus 3738. Graz: Akademische Druck- und
Verlagsanstalt 1979. In: Tribus 30, S. 342-343. Stuttgart: Linden-Museum
Besprechung von: Matricula de Tributos. Graz: Akademische Druck- und Ver-
lagsanstalt 1979. In: Tribus 30, S. 343-344. Stuttgart: Linden-Museum
Besprechung von: El Libro de Chilam Balam de Tizimin. Graz: Akademische
Druck- und Verlagsanstalt 1980. In: Tribus 30, S. 344-345. Stuttgart: Linden-
Museum
Besprechung von: Anales de Tula. Graz: Akademische Druck- und Verlags-
anstalt 1979. In: Tribus 30, S. 345-346. Stuttgart: Linden-Museum
Besprechung von: Donald Cordry, Mexican Masks. 1980. In: mexicon, 3,Nr. 1,
S. 19. Berlin: von Flemming
1982 Besprechung von: Gertrud Weber & Strecker, Matthias, Petroglyphen der
Finca Las Palmas (Chiapas, México). Graz: Akademische Druck- und Verlags-
anstalt 1980. In: Tribus 31, S. 152. Stuttgart: Linden-Museum
Besprechung von: Francés Pratt & Carlo Gay, Ceramic Figures of Ancient
México. 1979. In: Tribus 31, S. 148-149. Stuttgart; Linden-Museum
Besprechung von: La Obra del Obispo Martínez Compañón sobre Trujillo del
Perú. 1978. In: Tribus 31, S. 147-148. Stuttgart: Linden-Museum
Besprechung von; Jill Fürst & Peter Fürst, Mexiko. Die Kunst der Olmeken,
Mayas und Azteken. 1981. In; Wissenschaftlicher Literaturanzeiger.
Besprechung von; Miroslav Stingl, Das Reich der Inka. Ruhm und Untergang
der „Sonnensöhne“. Düsseldorf 1982. In: Wissenschaftlicher Literaturanzei-
ger.
Besprechung von; Donald E. Worcester, Die Apachen. Adler des Südwestens.
Düsseldorf & Köln 1982. In: Wissenschaftlicher Literaturanzeiger 1982 (?)
1983 Berichte über die im 18. Jahrhundert entdeckten Ruinen von Palenque, Mexi-
ko, in einer deutschen Veröffentlichung von 1832. In: Jahrbuch für Geschichte
von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft Lateinamerikas, 20 (Festschrift zum 70.
Geburtstag von Erwin Walter Palm), S. 239-256. Köln: Böhlau [Erwähnt von
Frauke J. Riese in ihrer Edition desselben Berichtes, der 1993 erschienen ist.]
Archaeology and the Art of Mexican Picture Writing. In: Elizabeth Hill
Boone (Hg.),The Art and Iconography of Late Post - Classic Central Mexico:
A Conference at Dumbarton Oaks, October 22nd and 23rd, 1977, S. 159-173.
Washington, D.C.: Dumbarton Oaks. [Eine kurze Zusammenfassung dieses,
wohl auch auf dem Amerikanistenkongress gehaltenen Vortrages ist in den
„Abstracts“ des 43. Internationalen Amerikanistenkongresses veröffentlicht.
Eine maschinenschriftliche Manuskriptfassung der Langfassung liegt im
Nachlass in drei Versionen in den Sprachen Deutsch, Englisch und Spanisch
vor.]
Besprechung von: Elizabeth H. Boone (Hg.), Falsifications and Misre-
constructions of Pre-columbian Art. Washington D.C. 1982. In: Tribus 32,
S. 208-209. Stuttgart: Linden-Museum
Besprechung von: Hasso Hohmann & Annegret Vogrin, die Architektur von
Copán. 2 Bände. Graz: Akademische Druck- und Verlagsanstalt 1982. In:
Tribus 32, S. 2134-214. Stuttgart: Linden-Museum
Besprechung von: Arthur G. Miller, On the Edge of the Sea. Washington D. C:
Dumbarton Oaks 1982. ln: Tribus 32, S. 214-215. Stuttgart: Linden-Museum
1984 Seßhafte Wildbeuter in Mesoamerika, ln: Paideuma, 30, S. 331-337. [Mit einer
Karte]
78
Berthold Riese: Nachruf Bodo Spranz
Vorwort. In: Otto Turza u.a. (Hg.), Boote. Technik und Symbolik. Die
Schiffahrt in außereuropäischen Kulturen (= Veröffentlichungen des Mu-
seums für Völkerkunde 5 & 6), S. 3. Freiburg: Museum für Völkerkunde
Besprechung von: Werner Müller, Amerika - Die Neue oder die Alte Welt.
Berlin 1982. In: Wissenschaftlicher Literaturanzeiger, 21./22. Jahrgang
Besprechung von: Nigel Davies, Die versunkenen Königreiche Mexikos. Düs-
seldorf 1983. In: Wissenschaftlicher Literaturanzeiger 21./22. Jahrgang
Besprechung von: Christine Pellech, Die Odyssee - eine antike Weltumseg-
lung. Berlin 1983. In: Wissenschaftlicher Literaturanzeiger 21./22. Jahrgang
Besprechung von: Guglielmo Guaraglia & Yamamoto Masakatsu, Mexiko.
Die Sonnenpyramide. 1983. In: Wissenschaftlicher Literaturanzeiger 22./23.
Jahrgang
1985 Besprechung von; Janet Catherine Berlo (Hg.),Text and Image in Pre-Colum-
bian Art. In; Tribus, 34, S. 236-237. Stuttgart: Linden-Museum
Besprechung von; Gerdt Kutscher & Ulf Bankmann, Nordperuanische Ge-
fäßmalerei des Moche-Stils. München: Verlag C.H. Beck 1983. In: Tribus 34,
S. 239. Stuttgart: Linden-Museum
Besprechung von; Ross Parmenter, Four Lienzos of the Coixtlahuaca Valley.
1982. In: Tribus 34, S. 239-241. Stuttgart: Linden-Museum
1986 Der Kulturraum. In: Hanns J. Prem & Ursula Dyckerhoff (Hg.), Das Alte
Mexiko., S. 29-34. München: Bertelsmann [Mit „Kulturraum“ ist das Kultur-
areal Mesoamerika gemeint. Von diesem Buch sind zahlreiche Lizenzausga-
ben und Übersetzungen in andere Sprachen erschienen.]
1987 Besprechung von: Elizabeth Hill Boone (Hg.), The Aztec Templo Mayor.
Washington, D.C.: Dumbarton Oaks 1987. In: Tribus 36, S. 190-191. Stuttgart:
Linden-Museum
Besprechung von: Lee Allen Parsons,The origin of Maya art. 1986. In: Tribus
36, S. 200-201. Stuttgart: Linden-Museum
1988 Gravierte Knochen aus Südost-Puebla. Ein weiterer archäologischer Beleg
für den Maya-Einfluß im Hochland von Mexiko. In: Baessler-Archiv, Neue
Folge, 36, S. 61-97. Berlin; Dietrich Reimer Verlag. [Mit 11 Abbildungen; ein
maschinenschriftliches, gebundenes Exemplar liegt im Nachlass vor.]
Besprechung von: Elizabeth Hill Boone & Gordon R. Willey (Hg.), The
Southeast Classic Maya Zone. Washington, D.C. 1984. In: Tribus 37, S. 213-214.
Stuttgart: Linden-Museum
1989 Besprechung von: Elizabeth P. Benson & Gillet G. Griffin (Hg.), Maya Icono-
graphy. Washington, D.C.: Dumbarton Oaks. In: Tribus 38, S. 216-218. Stutt-
gart: Linden-Museum
Besprechung von; Elizabeth Hill Boone (Hg.), Painted Architecture and
Polychrome Monumental Sculpture in Mesoamerica. Washington, D.C.: Dum-
barton Oaks 1985. In: Tribus 38, S. 218-219. Stuttgart: Linden-Museum
1990 Die Erhebung der Yucatán-Maya von 1761 (La sublevación de Cisteil). ln;
Bruno lllius & Matthias Laubscher (Hg.), Circumpacifica. Festschrift für Tho-
mas S. Barthel, Band 1, S. 401-413. Frankfurt am Main; Lang. [Es handelt sich
im Wesentlichen um die Übersetzung ins Deutsche eines Berichtes, den Eligió
Ancona in seiner vierbändigen Geschichte Yukatans 1889 veröffentlicht hat.
Ein maschinenschriftliches Exemplar des Manuskriptes liegt im Nachlass
vor.]
Recorridos de superficie en el Estado de Quintana Roo, 1989. In: Boletín del
Consejo de Arqueología, INAH, 1. México, D.F.: Instituto Nacional de Antro-
pología e Historia
79
TRIBUS 58,2009
Besprechung von: Dorothy Hosler, Heather Lechham & Olaf Holm, Axe-
Monies and their Relations. 1990. In: Tribus 39, S. 246-247. Stuttgart; Linden-
Museum
Besprechung von: David Webster (Hg.), The House of the Bacabs, Copan,
Honduras. Washington, D.C.: Dumbarton Oaks 1989. In:Tribus 39, S. 252-253.
Stuttgart: Linden-Museum
Besprechung von: Elizabeth Boone (Hg.), Incarnations of the Aztec Super-
natural. The Image of Huitzilopochtli in Mexico and Europe. 1989. In: Tribus
39, S. 241-242. Stuttgart: Linden-Museum
1991 Spanische Ortsgründungen im Südosten der Halbinsel Yucatan. Zur Ge-
schichte von Bacalar und Chetumal. In: Baessler-Archiv, N.F., 39, S. 185-207.
Berlin: Dietrich Reimer Verlag. [Ein handschriftliches Manuskript liegt ge-
bunden im Nachlass vor.]
Besprechung von: Wolfgang Haberland, Amerikanische Archäologie. Ge-
schichte, Theorie, Kulturentwicklung. Darmstadt: Wissenschaftliche Buch-
gesellschaft 1991. In: Tribus 40, S. 258-259. Stuttgart: Linden-Museum
1992 Untersuchungen zur Vorgeschichte der Maya in Quintana Roo, Mexiko. In:
Beiträge zur Allgemeinen und Vergleichenden Archäologie, 12, S. 213-260.
Mainz am Rhein: Philipp von Zabern
Puebla und Tlaxcala in vorspanischer Zeit. (Archäologische und ethnohisto-
rische Arbeiten des México-Projektes der Deutschen Forschungsgemein-
schaft). In: Baessler-Archiv, N.F., 40, S. 241-287. Berlin: Dietrich Reimer Ver-
lag. [mit 7 Abbildungen; ein Manuskript liegt im Nachlass vor.]
Spanische Ortsgründungen im Südosten der Halbinsel Yucatan. Zur Ge-
schichte von Bacalar und Chetumal. In: Baessler-Archiv, Neue Folge, 39,
S. 185-207. Berlin; Dietrich Reimer Verlag
Besprechung von: Virginia E. Miller, The Frieze of the Palace of Stuccoes,
Acanceh, Yucatán, Mexico. 1991. In; Tribus 41, S. 238-239. Stuttgart: Linden-
Museum
1993 Besprechung von: Andreas Hermann, Auf den Spuren der Maya. Eine Foto-
dokumentation von Teobert Maler (1842-1917). Graz: Akademische Druck-
und Verlagsanstalt 1992. In: Tribus 42, S. 175-176. Stuttgart: Linden-Museum
1994 Nuno de Silva als Gefangener mit Francis Drake auf Kaperfahrt um Spa-
nisch-Amerika. Ein Manuskript von 1579 im Archivo General de la Nación in
Mexico, D.F.. In: Iberische Welten. Festschrift zum 65. Geburtstag von Günter
Kahle. Lateinamerikanische Forschungen. Köln: Böhlau Verlag. [Ein unpagi-
niertes maschinenschriftliches Manuskript & handschriftliche Transkription
der Handschrift und Photofaksimile derselben im Anhang liegen im Nachlass
vor.]
1995 Das Übersee-Museum nach dem Krieg, ln: Bremen - Handelsstadt am Fluß.
Bremen
1996 Die Zeichen Hand und Fuß in Mesoamerika. In: Tribus, 45, S. 119-137. Stutt-
gart: Linden-Museum. [Eine Fassung von 26 S. Text und 68 Abbildungen
(meist Strichzeichnungen) liegt im Nachlass vor.]
Totimehuacán und Xochitecatl. In: Tribus, 45, S. 138-150. Stuttgart: Linden-
Museum. [Unter dem Titel „Totimehuacán und Xochitecatl. Zwei Plätze in
Puebla und Tlaxcala, Mexiko, in präklassischer Zeit. Zusammengestellt nach
den Grabungsunterlagen von 1964/65 und 1966/67“ liegt ein gebundenes
Exemplar des maschinenschriftlichen Manuskriptes im Nachlass vor.]
80
Berthold Riese: Nachruf Bodo Spranz
b) Veröffentlichungsstatus ungeklärt bzw. Unveröffentlichtes
o.D. (vermutlich um 1960 oder früher) Ein mexikanisches Tongefäß aus der
Sammlung des Übersee-Museum Bremen (Kat. Nr. C 3974). [Ein 10-seitiger
maschinenschriftlicher Text mit Textabbildungen (Strichzeichungen) und
2 Phototafeln als Anhang liegt im Nachlass vor.]
1983? Wissenschaftliche Ergebnisse der geographischen Beobachtungen zu einer
frühen Besiedlung in Quintana Roo, Méxiko. [Eine maschinenschriftliche
Fassung liegt im Nachlass vor.]
1986 Bericht über die wissenschaftlichen Ergebnisse der archäologischen Unter-
suchung vorkeramischer Phasen in Quintana Roo, México, 1984 und 1985.
[Eine maschinenschriftliche Fassung liegt im Nachlass vor.]
1989 Informe sobre recorridos de superficie en el Estado de Quintana Roo, México.
[Eine maschinenschriftliche Fassung liegt im Nachlass vor.]
1990 Bericht über die wissenschaftlichen Ergebnisse eines von der Deutschen For-
schungsgemeinschaft geförderten archäologischen Projektes zur Unter-
suchung vorkeramischer Phasen in Quintana Roo, México 1984, 1985, 1989.
[Ein maschinenschriftliches gebundenes Exemplar liegt im Nachlass vor.]
1991 Die Venus von Valdivia. [Ein maschinenschriftliches Exemplar liegt im Nach-
lass vor. Auf dem Sammeltitelblatt des Aktenordners, in dem sich dieses
Exemplar fand, ist vermerkt „Unvollendetes Manuskript einer Bearbeitung
der Sammlung Eric van Aro in Zürich-Kilchberg“.]
1996 Altmexikanische Frauenkleidung nach Tonfiguren aus der Zeit um 500 nach
Chr. [Ein maschinenschriftliches gebundenes Exemplar liegt im Nachlass vor]
2003 (oder später) Utopie oder Realität? Die Katastrophentheorie des Imma-
nuel Velikowsky. [Ein 18-seitiges maschinenschriftliches Manuskript und
1 Seite Abbildungen (Strichzeichnungen) liegt im Nachlass vor. Das er-
schlossene Abfassungsdatum ergibt sich aus den im Nachlassexemplar beige-
bundenen Zeitungsartikeln, deren jüngster aus dem Jahr 2003 stammt.]
81
Peter Robertshaw: Chemical Analysis of Glass from Nupe, Nigeria
PETER ROBERTSHAW
Peter Robertshaw,1 Constanze Weise,1 2 Laure Dussubieux,3 James Lankton,4 Rachel
S. Popelka-Filcoff,5 Michael D. Glascock6
Chemical Analysis of Glass from Nupe, Nigeria
Introduction
Nupe in west-central Nigeria is the only region of sub-Saharan Africa where glass
is reported to have been made from raw materials as a craft industry in recent times.
The Linden-Museum in Stuttgart possesses various glass artifacts and a piece of cul-
let (waste glass) known or reported to have been made in Nupe. While there are
several ethnographic accounts from the 1860s onwards of Nupe glass-making, there
have been no chemical analyses of the products of this industry prior to the present
study. Thus, the purpose of the chemical analysis reported here was to identify the
recipe and raw materials used to make the glass collected in Nupe and to evaluate
the hypothesis that the Nupe glass in the Linden-Museum collection was locally
manufactured. However, it is important to note that glass artifacts have been made
in various regions of sub-Saharan Africa, probably including Nupe, for more than a
millennium, but this usually involved the melting and reworking of glass imported
from other parts of the world. It is the reports that glass was made in Nupe from raw
materials that make this particular glass so worthy of investigation. The Nupe case is,
however, rendered complicated by the fact that the ethnographic descriptions clearly
state that glass artifacts were made here both from locally manufactured glass and
from melted-down imported bottles and jars. Moreover, it appears that local and
imported glass was sometimes mixed together in the making of artifacts. Therefore,
interpretation of the chemical data reported in this paper is difficult.
Historic and Ethnographic Accounts of Nupe Glass-Manufacture
Bida, now a modern populous city, has been the center of the Nupe glass-manufac-
turing industry since the middle of the 19th century when Bida was established as the
capital of the Fulbe-Bida Emirate and became part of the Sokoto Caliphate (Weise
2003). The first modern reference to the glass industry at Bida is a brief mention by
the missionary-explorer Bowen (1968), who traveled in West Africa between 1849
and 1856 (TheBeadSite.com). Thereafter occasional German and British travelers
and administrators visited Bida and recorded their observations of the glass-making
industry and sometimes associated oral traditions and histories (see Gobel 1969 for
a review of the published accounts).
Since at least the mid-19th century, the glass industry of the Nupe region has been
in the hands of a guild whose members call themselves “masagd” (Nadel 1940:85,
1942:274-8) and whose head was known as the Masagd (Robertson 1935; Nadel
1942:278) and greeted as “turawa”, meaning “Arab” (Thomas-Emeagwali and Idrees
1989:42). All sources identify the masagd as immigrants to the region. As discussed
by Gobel (1969), Staudinger (1906:231-2) claims that the glassworkers came from the
east and were originally Jews, while Meek (1925:157) reported a tradition of an
Egyptian origin, as later did Nadel (1942:274). The masagd have been Muslims for at
1 Department of Anthropology, California State University, San Bernardino, CA 92407-2397,
USA. Email: proberts@csusb.edu.
2 Department of History, University of California Los Angeles, USA
3 Department of Anthropology, The Field Museum, Chicago, USA
4 Institute of Archaeology, University College, London, UK
5 Department of Archaeology, University of Flinders, Adelaide, Australia
6 Research Reactor, University of Missouri-Columbia, Columbia, USA
TRIBUS 58,2009
least much of the last century, if not far longer (Robertson 1935;Thomas-Emeagwali
and Idrees 1989:42). Other oral traditions, including some of the masagâ themselves,
indicate that they came from the Kanem-Bornu region (Weise, unpublished data), an
origin that fits well with the observation that one of the ingredients (natron) used to
make glass was imported from the Lake Chad region (Nadel 1940:85; 1942:275).
Wherever their origin, masagâ appear to have settled in Nupe first at Gbara, perhaps
more than 200 years ago, and subsequently they followed the court of the Fulbe ru-
lers to other towns in Nupe before moving to the quarter of the town of Bida named
after them, masagâ fu, soon after 1857 at the encouragement of Etsu (King) Masaba,
who ruled from 1859 to 1873 (Robertson 1935; Nadel 1942:82; Thomas-Emeagwali
and Idrees 1989:41). The success of the masagâ, whose products were bought and
sold across the whole of the Middle Niger region, fueled an almost constant demand
for new labor, met by the purchase of slaves and, in the colonial period, by taking on
apprentices. In both cases, the new workers were expected to marry masagâ women
and thus become members of the kinship group (Nadel 1942:278; see also Robertson
1935).
The most detailed accounts of the glass-manufacturing process, as well as its asso-
ciated economic and cultural context, are those provided by Nadel (1940,1942:274-
278). The major ingredients of the glass were local sand (Jikana) mixed with natron
(kanwa) brought by Hausa caravans from the region of Lake Chad. Natron is ex-
ploited nowadays on a commercial basis from the northeastern shores of the lake
(Kusnir and Moutaye 1997:559). Near the mid-point of the glass production process,
a handful of slag from a blacksmith’s forge was added to the furnace. Long iron rods
were also used to probe the furnace occasionally and to remove the finished product.
This locally manufactured glass (bikini) is reported as being of a “deep glossy black”
color (Nadel 1942:275), a description that matches a piece of cullet analyzed as part
of the present study. Nadel (1942:276) reported that the masagâ did not know how to
color the glass during the manufacturing process, so instead they mixed bikini with
colored European bottle-glass (kwâlaba or kallaba [“bottle”]) or, in the case of red,
by smelting down thin iron sticks. Meek (1925:158-9) and Robertson (1935), how-
ever, stated that coloring materials were obtained by melting down colored beads of
European origin. Some earlier accounts of Nupe glass manufacture mention the use
of “potash” (e.g. Meek 1925:158; see Gobel 1969:236), but these descriptions, unlike
that of Nadel, may not have been based on first-hand observation. Both bikini and
recycled bottles were made into bangles and beads and indeed this industry contin-
ues today. However, even as early as the mid-1930s when Nadel undertook his field
research, he observed that “the Bida glass-workers have almost completely aban-
doned making their own glass, and make their bangles and beads of smelted down
bottle glass of European manufacture” (Nadel 1942:240, fn.l). Moreover, Meek
(1925:158) had reported that the practice of recycling bottle glass and European
beads had begun some 50 years before his compilation of data collected for the 1921
census, while Frobenius (1913:11, 435) remarked that local manufacture was prac-
ticed alongside the recycling of European glass.
Sample selection
Thirty-two items of glass were borrowed from the Linden-Museum in Stuttgart for
chemical analysis. These items comprise bangles, bead necklaces, and one piece of
cullet (waste glass). The items had been collected by various individuals, mostly in
Nupe, Nigeria, but also in Abidjan and Bouaké, Ivory Coast, though the Ivory Coast
specimens were identified as originating in Nupe. The earliest items were catalogued
in 1914; more items were collected in the 1970s and 1980s; the most recent item was
collected by Dr. Forkl in 2003.
While all the Linden-Museum glass on loan was given sample numbers and submit-
ted to the Missouri University Research Reactor (MURR) laboratory for analysis, it
84
Peter Robertshaw: Chemical Analysis of Glass from Nupe, Nigeria
was not possible to analyze several of the specimens, particularly most of the bangles,
because they were too large to fit into the analysis chamber. Thus, a total of 16 speci-
mens were analyzed. These comprised 11 beads, which were removed from 9 diff-
erent strings (necklaces) of beads, 4 bangles (all fragments of different bangles), and
the piece of cullet (PR953).
Images of all the beads were shown to Stephen Long, a specialist in modern West
African beads, who reported that all of them were typical of Nupe-made beads from
Bida with the exception of the translucent beads of PR937, which look like typical,
Ghanaian, recycled glass beads from Somanya district, made by Krobo bead-manu-
facturers. Both Long and another bead specialist, Marilee Wood, stated that none of
the beads was made in Europe.
Fig. 1: Linden-Museum / Glass beads from a section of two necklaces', diameter per bead
approx. 1 cm; of Nupe origin (Nigeria), but bought by the collector in Abidjan (Ivory
Coast) in 1979.
Above (blue-white): bikini glass; Inv.-Nr. F 55.128
Bottom (green-white): mixture of bikini and kwdlaha glass? Inv.-Nr. F 55.127
In addition to the Linden-Museum specimens, five other specimens, collected by
one of us (James Lankton) in Bida in 1998, were also analyzed, at the Field Museum
(FM) in Chicago. These specimens comprised a lump of cullet (BD-01), two black
beads (BD-02, 03), a black bracelet (BD-05), and an orange bead (BD-04). All
these specimens were purchased in a shop run by masagd glass-workers. The brace-
let was identified as bikini glass by the masagd salesperson, while the lump of cullet
appears to have be drawn from the glass in the furnace, based on the parallel stria-
tions visible in the glass. Lankton also noted that the glass recovered from the
bottom of the furnace was referred to as bikini glass by the masagd, but his obser-
vations suggested that there could have been variable amounts of recycled glass
mixed in with it.
Analytical method
Laser-ablation (LA) coupled to state-of-the-art inductively coupled plasma mass
spectrometers (ICP-MS) has gained popularity for materials analysis during the last
decade (Speakman and Neff 2005). The advantages of LA-ICP-MS include ease of
sample preparation, rapid sample throughput, high spatial resolution, excellent sen-
sitivity, and the capability of measuring isotope ratios. About 50 elements can be
measured with relatively good precision in glass using LA-ICP-MS.
TRIBUS 58,2009
MURR analytical method
The MURR laboratory used a high-resolution Axiom ICP-MS with a New Wave
213 nanometer laser-ablation system for the sample introduction system. As descri-
bed in greater detail elsewhere (Robertshaw et al 2006; Speakman and Neff 2005),
each sample was measured for elemental concentrations using a continuous line scan
of approximately 2 millimeters length to provide the most accurate bulk characteri-
zation. To eliminate the effects of surface contamination, each line was pre-ablated
twice before the start of data collection.
Elemental concentrations for the beads were calculated using a normalization
procedure described by Gratuze et al. (2001) that sums the total concentration of
oxides to 100 %. Precisions reported as relative standard deviation for the elements
range from 2 to 20% depending upon the strength of the signal for each element.
A comparison of the accuracy between our results for the calibration standards
and published values for the standards is in the range of 5 to 10 % for most of the
elements.
Field Museum (FM) analytical method
The analyses carried out at the Field Museum of Natural History in Chicago, USA
involved a Varian quadrupole inductively coupled plasma mass spectrometer (ICP-
MS) and a New Wave UP213 laser, for direct introduction of solid samples.
The parameters for ICP-MS were optimized to ensure a stable signal with a maxi-
mum intensity over the full range of masses of the elements and to minimize oxides
and double ionized species formation (XO+/X+ and X++/X+ < 1 to 2 %). For that pur-
pose the argon flows, the RF power, the torch position, the lenses, the mirror and the
detector voltages were adjusted using an auto-optimization procedure.
For better sensitivity, helium was used as a gas carrier in the laser. To be able to
determine elements with concentrations in the range of ppm and below while leaving
a trace on the surface of the sample invisible to the naked eye, the single point ana-
lysis mode with a laser beam diameter of 55 pm was used, operating at 70 % of the
laser energy (0.2 mJ) and at a pulse frequency of 15 Hz. A pre-ablation time of 20 s
was used in order, first, to eliminate the transient part of the signal and, second, to be
sure that a possible surface contamination or corrosion does not affect the results of
the analysis. For each glass sample, an average of four measurements corrected from
the blank is considered for the calculation of concentrations.
The isotope Si29 was used for internal standardization. Concentrations for major
elements, including silica, were calculated assuming that the sum of their concentra-
tions in weight percent in glass is equal to 100 % (Gratuze 1999).
Two different series of standards were used to measure major, minor and trace
elements. The first series of external standards were standard reference materials
(SRM) manufactured by NIST; SRM 610 and SRM 612. Both these standards are
soda-lime-silica glass doped with trace elements in the range of 500 ppm (SRM 610)
and 50 ppm (SRM 612). Certified values are available for a very limited number of
elements. Concentrations from Pearce et al. (1997) were used for the other elements.
The second series of standards were manufactured by Corning. Glasses B, C and D
best match the compositions of ancient glass (Brill, 1999, vol. 2, p. 544). The detection
limits range from 10 ppb to 1 ppm for most of the elements. Accuracy ranges from 5
to 10 % depending on the elements and their concentrations.
A separate study involving the analysis of the same glass beads at both the MURR
and FM laboratories revealed good agreement between the results obtained at each
laboratory, except in cases where the glass exhibited surface corrosion, which is not a
concern with the well-preserved ethnographic specimens from Nupe analyzed here
(Dussubieux et al. 2009).
86
Peter Robertshaw: Chemical Analysis of Glass from Nupe, Nigeria
Results
The results of the analyses are presented in Tables 1-3, in which the results from
the Field Museum are reported with the letters “FM” after the analytical identifica-
tion (ANID) number. All the other results were obtained at MURR.Table 1 displays
the calculated oxides of all analyzed elements, except the rare earth elements
(REEs), following the order of the periodic table. Values not listed with a weight
percentage (%) are presented as parts per million (ppm). Oxides containing less than
1000 ppm (0.1 %) are shown as ppm; higher amounts are shown as percentages. Ma-
jor oxides in the glasses generally comprise Na20, MgO, CaO, Si02, A1203, and K20,
whereas other oxides comprise minor and trace compositions of the glass. Table 2
presents the results for the Lanthanide series of elements, the REEs.
A common first step in the examination of glass compositional data is to calculate
the reduced compositions of the glass beads by normalizing seven major and minor
oxides to 100 %.This normative reporting removes most of the compositional effects
of additives, such as colorants, so that one can examine the main components of the
glasses (Brill 1999:11,8-11). The reduced compositions of the Nupe glass are presen-
ted in Table 3, where the oxides are marked with an asterisk to indicate that these
represent reduced compositions. Perusal of these data indicates that all the glass is
soda-lime-silica (Na20:Ca0:Si09) glass. This result is not particularly surprising sin-
ce almost all Roman, Byzantine, Islamic, Indian and modern European glasses are of
this type (Brill 1999:11; Dussubieux 2001; cmog.org 2009). However, it is notable that
the Nupe glass samples contain no potash glass, so if potash-lime glass was made in
earlier times at Nupe, as has been suggested (Thomas-Emeagwali and Idrees 1989),
it is not represented among the samples reported here.
The type of soda (alkali) used to make soda-lime-silica glass varies. Two major
sources of alkali were used in glass manufacture: mineral soda, often in the form of
naturally occurring natron, or plant ash (see e.g. Brill 2001). These different alkali
(soda) types can be differentiated chemically on the basis of magnesia (MgO) con-
centration. Glasses where the alkali is derived from plant ashes generally contain
>2.5% MgO*, while mineral-soda glasses generally have <1.5% MgO*. Perusal of
Table 1 reveals that most of the Nupe glass are probably of mineral-soda type, with
only PR937 possessing an MgO* concentration well outside the expected range.
Mineral-soda glasses
Setting aside discussion of PR937 for the moment, research has shown that there
are three well-known subtypes of glass that used mineral soda as their alkali: modern
European glass, Roman and Byzantine glass (employing natron from the Wadi
el-Natrun near Cairo in Egypt), and a South Asian glass known from both ethno-
graphic and archaeological contexts. A fourth subtype is the bikini glass reported
ethnographically, but hitherto unknown chemically, by Nadel (1940,1942:274-8) for
Nupe, primarily comprising sand and mineral soda (natron) from the Lake Chad
region. Given the ethnographic evidence from Nupe, the most likely candidates for
the Nupe glass are modern European bottle glass and bikini glass. Thus, we first exa-
mine whether we can identify any of the Nupe samples as modern European or biki-
ni glass or, as seems likely, a mixture of the two.
Modern European bottle glass is generally made with relatively pure ingredients.
In particular, based on available data from Southeast Asia, we have observed that the
absolute strontium (SrO) concentration and the ratio of SrO to lime (CaO) are both
considerably lower for modern glass than for glass made from traditional raw mate-
rials (Lankton 2008, unpublished observation). Table 4 shows the CaO/SrO ratios in
the Nupe samples, while Figure 2 is a scatter plot of these ratios and the amount of
SrO in the Nupe glasses, in three modern industrial glasses from Thailand (analyzed
by Lankton) and in 36 beads of soda-lime-silica glass from the medieval city of
Essouk in Mali dated between about AD 800 and 1350 (Nixon 2008; glass analyzed
by Dussubieux). The highest CaO/SrO ratio recorded in the Essouk beads is 152,
87
Table 1: Results of the chemical analysis of the Nupe glass for all the analyzed oxides except the Lanthanide series. <dl=less than detection limits.
ANID Stuttgart/ Lankton ID Year acquired or cataloged Color/Item Glass Type Li20 Na20 MgO ai2o3 Si02 p2o5 K20 CaO Ti02 v2o5 Cr203 MnO Fe203 CoO
PR1014FM BD01 1988 black & green cullet bikini 14,92 13,85% 0,40% 2,61% 70,98% 0,21 0,86% 10,77% 500,35 18,35 0,14% 0,06% 0,46% 5,37
PR953 F52.812 1983 black cullet bikini 14,76 11,89% 1,49% 3,30% 70,56% 0,93% 2,21% 7,16% 0,29% 41,64 58,21 0,42% 1,34% 23,56
PR929 F55.128 1979 blue bead bikini 5,30 11,80% 353,46 6,64% 71,27% 591,82 3,11% 6,17% 431,02 2,63 2,19 127,64 0,37% 10,18
PR1017FM BD04 1988 orange bead bikini 20,84 14,19% 0,65% 3,44% 71,67% 88,89 1,10% 8,79% 765,01 5,12 10,13 58,26 0,12% 4,07
PR960 F52.811 1983 black bead/ white stripe kwálaba 7,68 14,75% 492,95 0,83% 72,81% 205,16 0,21% 9,08% 461,63 16,64 0,23% 0,70% 636,57 304,64
PR934 115.458 1914 blue bangle kwálaba 9,06 11,13% 0,66% 0,89% 64,84% 195,75 0,44% 19,97% 642,57 22,85 19,02 0,25% 0,20% 82,46
PR944 115.457 1914 blue bangle kwálaba 7,71 11,12% 0,57% 0,78% 70,51% 357,58 0,56% 11,46% 673,53 13,77 11,44 0,48% 0,19% 592,05
PR936 brown F55.129 1979 brown bead/ yellow stripe kwálaba 10,10 15,90% 0,87% 1,34% 68,68% 127,85 1,02% 11,85% 463,21 17,73 87,30 104,96 0,22% 2,48
PR954 115.460 1914 light blue bangle kwálaba 12,40 9,84% 0,53% 1,00% 69,45% 374,61 0,50% 15,99% 789,75 21,18 20,76 0,19% 0,17% 313,73
PR957 115.456 1914 pink bangle kwálaba 13,92 12,53% 0,61% 0,87% 64,34% 269,78 1,35% 14,02% 578,08 20,39 13,65 0,16% 0,23% 4,35
PR931 red F55.122 1975-77 red bead/ yellow stripes kwálaba 17,84 16,99% 0,84% 1,40% 70,11% 267,28 0,93% 8,96% 585,60 19,94 4,32 165,58 0,12% 1,71
PR930 F55.126 1979 translucent bead kwálaba 4,55 14,50% 523,05 0,97% 74,32% 195,54 0,49% 9,41% 253,41 21,78 0,63 27,21 340,52 1,85
PR958 white F52.813 1983 white bead kwálaba 10,52 13,66% 278,06 5,97% 71,25% 545,54 2,96% 5,88% 194,53 2,77 1,06 36,01 567,32 0,52
PR1015FM BD02 1988 black bead mixed? 17,38 14,06% 0,81% 2,78% 69,26% 0,32% 1,32% 9,01% 0,18% 38,26 41,25 0,95% 1,47% 8,84
PR1016FM BD03 1988 black bead mixed? 17,85 14,87% 1,14% 1,70% 72,38% 0,23% 0,46% 8,92% 623,38 5,83 11,40 488,05 0,25% 2,44
PR931 black F55.122 1975-77 black bead/ yellow stripes mixed? 10,79 14,41% 1,24% 1,94% 69,48% 0,19% 1,10% 10,47% 0,12% 26,61 816,29 0,22% 0,57% 6,91
PR1018FM BD05 1988 black bracelet mixed? 12,72 13,22% 1,35% 2,05% 72,27% 0,22% 0,92% 9,34% 0,13% 21,31 71,52 0,11% 0,52% 10,08
PR958 blue F52.813 1983 blue bead mixed? 134,94 13,35% 2,07% 1,61% 73,24% 318,64 0,77% 7,86% 337,39 6,16 22,93 136,76 0,12% 981,47
PR959 F52.814 1983 blue bead mixed? 4,35 14,31% 1,93% 1,53% 70,59% 234,33 0,95% 10,27% 211,58 2,61 2,11 103,53 406,67 972,37
PR937 no number 2003 blue-grey bead mixed? 18,31 14,11% 4,02% 1,95% 69,96% 383,42 1,20% 8,09% 412,46 7,89 37,34 127,18 0,21% 23,28
\ PR935 green F55.127 1979 green bead mixed? 8,06 11,67% 0,78% 1,79% 73,75% 206,73 0,98% 9,79% 552,13 41,56 0,21 % 453,68 0,31% 2,94
TRIBUS 58,2009
Table 1: Continued.
ANID NiO CuO ZnO As2°3 Rb20 SrO y2o3 Zr02 Nb02 Mo02 InO Sn02 Sb20g Cs20 BaO Hf02 PbO Th02 u3o8
PR1014FM 5,45 14,92 53,81 3,24 23,35 522,62 5,65 107,90 27,18 0,55 0,01 0,65 1,06 0,57 0,99% 2,11 14,05 4,10 1,39
PR953 <dl 11,49 70,00 31,83 82,36 457,49 12,71 813,92 11,17 4,31 <dl 5,44 3,30 <dl 0,13% 911,37 <dl 14,41 15,01
PR929 11,39 42,50 380,74 395,82 120,78 871,12 5,76 0,14% 3,01 42,00 0,05 2,92 1,87 0,63 0,13% 19,87 220,60 0,94 7,35
PR1017FM 2,02 4,94 0,14% 15,75 48,50 490,75 11,06 357,76 5,68 4,79 0,03 1,92 2,30 0,90 0,11% 8,75 248,67 2,13 0,97
PR960 0,35% 154,21 508,58 0,39% 8,49 113,96 3,56 525,07 1,54 3,69 13,52 13,36 0,19% 0,03 711,14 9,47 406,83 1,19 5,53
PR934 13,28 251,47 28,09 160,62 18,68 125,79 5,86 101,65 2,03 0,61 0,11 6,64 199,53 0,41 292,77 2,01 1,40% 1,82 7,43
PR944 24,68 877,73 78,61 0,30% 44,54 88,33 5,24 130,98 2,07 0,50 0,35 21,13 646,52 0,31 761,52 2,16 3,59% 1,92 6,11
PR936 brown 12,01 23,97 9,99 2,20 69,18 67,51 3,23 83,31 1,09 0,32 0,02 1,24 1,09 2,69 228,20 1,70 16,22 1,28 3,63
PR954 17,91 0,18% 35,26 904,92 25,30 120,68 6,83 162,86 2,63 0,51 0,31 19,35 0,36% 0,35 416,06 3,00 1,48% 3,07 8,69
PR957 3,43 84,56 78,75 0,24% 22,33 130,47 4,99 73,08 1,81 0,50 0,36 20,23 0,17% 0,85 991,73 1,43 5,24% 1,80 7,25
PR931 red 4,43 10,81 0,20% 925,41 93,36 97,15 6,24 243,23 2,70 2,73 0,13 2,46 68,91 4,18 0,10% 4,23 799,27 2,14 6,78
PR930 7,56 4,56 45,63 510,29 16,55 55,90 3,38 318,85 1,29 0,25 0,03 2,36 4,22 0,31 562,32 4,78 42,76 0,79 3,05
PR958 white <dl 5,88 23,07 26,39 465,52 20,39 25,68 326,38 3,97 7,76 0,11 5,56 0,39 24,34 126,55 7,05 83,23 1,68 22,45
PR1015FM 16,32 72,82 198,24 19,65 39,69 236,46 9,38 189,63 8,15 2,69 0,06 3,50 3,98 0,67 752,43 4,26 29,47 3,18 1,57
PR1016FM 28,50 45,79 28,83 11,12 16,16 239,11 30,16 187,77 2,01 0,51 0,01 0,93 77,53 0,28 0,47% 4,12 15,41 2,83 2,73
PR931 black 12,06 30,39 47,76 10,54 63,08 185,34 7,13 262,62 9,32 1,73 0,06 3,51 4,13 2,42 926,78 3,93 36,47 3,99 12,82
PR1018FM 8,48 17,70 46,70 3,72 38,80 360,50 7,02 215,63 8,43 2,04 0,01 2,33 4,40 0,66 438,82 4,50 34,42 3,44 2,10
PR958 blue 5,46 0,17% 263,19 214,70 25,28 264,63 5,80 781,66 2,15 35,24 0,09 2,42 13,72 0,02 0,45% 12,62 22,69 1,68 6,21
PR959 <dl 255,63 44,38 84,93 23,12 318,30 4,36 715,69 1,53 18,14 0,02 1,06 5,72 <dl 785,28 11,30 <dl 0,71 6,49
PR937 4,82 563,98 75,68 212,94 94,81 208,19 5,81 240,44 2,42 1,13 0,81 49,11 134,57 5,98 0,13% 4,46 438,84 2,74 8,38
PR935 green 11,33 7,90 243,49 3,14 39,41 185,16 5,65 348,17 26,97 0,26 0,04 1,85 2,83 1,15 0,50% 5,35 61,00 4,90 10,83
Peter Robertshaw: Chemical Analysis of Glass from Nupe, Nigeria
Table 2: Concentrations of the Lanthanide series of elements in the Nupe glass. <dl=less than detection limits.
ANID Stuttgart/ Lankton ID Color/ltem Glass Type La Ce Pr Nd Sm Eu Gd Tb Dy Ho Er Tm Yb Lu
PR1014FM BD01 black & green cullet bikini 8,93 16,04 1,61 4,42 0,75 0,30 0,66 0,10 0,61 0,14 0,38 0,07 0,43 0,07
PR953 F52.812 black cullet bikini 19,49 38,03 2,70 13,78 1,58 <dl 1,49 <dl 2,86 <dl 4,62 0,31 14,78 2,75
PR929 F55.128 blue bead bikini 6,29 13,30 1,27 3,71 0,51 0,61 12,25 0,11 0,51 0,16 0,41 0,11 0,65 0,19
PR1017FM BD04 orange bead bikini 6,44 22,21 1,38 4,55 0,80 0,24 0,83 0,17 0,90 0,22 0,60 0,11 0,70 0,13
PR960 F52.811 black bead/white stripe kwálaba 3,12 6,59 0,77 2,26 0,43 0,07 0,63 0,08 0,44 0,15 0,29 0,07 0,36 0,11
PR934 115.458 blue bangle kwáiaba 5,53 11,58 1,63 4,69 0,85 0,18 1,11 0,14 0,52 0,15 0,37 0,08 0,47 0,11
PR944 115.457 blue bangle kwálaba 4,89 10,30 1,36 4,05 0,80 0,17 0,88 0,13 0,61 0,19 0,41 0,09 0,42 0,11
PR936 brown F55.129 brown bead/yellow stripe kwálaba 3,32 7,41 1,07 2,96 0,59 0,29 1,17 0,12 0,51 0,15 0,31 0,06 0,33 0,08
PR954 115.460 light blue bangle kwálaba 6,56 15,74 1,98 5,37 1,10 0,20 1,01 0,18 0,88 0,28 0,59 0,13 0,58 0,17
PR957 115.456 pink bangle kwálaba 4,75 11,27 1,46 4,66 0,88 0,49 1,71 0,18 0,69 0,21 0,47 0,09 0,43 0,11
PR931 red F55.122 red bead/yellow stripes kwálaba 4,09 9,88 1,19 3,63 0,90 0,21 2,36 0,21 1,01 0,32 0,64 0,15 0,77 0,19
PR930 F55.126 translucent bead kwálaba 3,53 8,16 0,88 2,40 0,47 0,17 0,61 0,07 0,36 0,12 0,28 0,05 0,31 0,09
PR958 white F52.813 white bead kwálaba 5,39 13,63 1,58 4,67 1,60 1,59 3,49 0,57 2,45 0,55 1,04 0,18 0,86 0,19
PR1015FM BD02 black bead mixed? 9,89 20,90 2,11 7,00 1,40 0,30 1,21 0,20 1,13 0,26 0,67 0,11 0,71 0,13
PR1016FM BD03 black bead mixed? 13,40 51,00 2,78 9,73 2,15 0,48 2,37 0,39 2,35 0,57 1,54 0,22 1,37 0,22
PR931 black F55.122 black bead/yellow stripes mixed? 9,92 23,23 2,61 7,86 1,27 0,40 1,89 0,22 1,04 0,30 0,69 0,15 0,73 0,17
PR1018FM BD05 black bracelet mixed? 8,23 19,53 1,82 5,52 1,09 0,21 0,90 0,15 0,88 0,20 0,52 0,09 0,65 0,10
PR958 blue F52.813 blue bead mixed? 4,04 7,93 1,01 2,93 0,52 0,35 3,40 0,12 0,53 0,16 0,42 0,09 0,49 0,15
PR959 F52.814 blue bead mixed? 3,29 6,22 0,74 2,13 0,37 0,16 0,87 0,09 0,39 0,13 0,34 0,07 0,33 0,13
PR937 no number blue-grey bead mixed? 7,13 19,47 1,98 5,16 1,02 0,32 1,60 0,15 0,70 0,20 0,49 0,09 0,52 0,14
PR935 green F55.127 green bead mixed? 9,28 19,29 2,02 4,78 0,80 0,67 2,68 0,12 0,58 0,19 0,41 0,09 0,51 0,14
TRIBUS 58,2009
Table 3: Reduced compositions by percentage weight of the Nupe glass
ANID Stuttgart/ Lankton ID Color/Item Glass Type Na20* MgO* ai2o3* Si02* ICjO* CaO* Fe203*
PR1014FM BD01 black & green cullet bikini 13,86 0,40 2,61 71,03 0,86 10,78 0,46
PR953 F52.812 black cullet bikini 12,14 1,52 3,37 72,04 2,25 7,31 1,37
PR929 F55.128 blue bead bikini 11,87 0,04 6,68 71,70 3,13 6,20 0,37
PR1017FM BD04 orange bead bikini 14,20 0,65 3,44 71,70 1,10 8,79 0,12
PR960 F52.811 black bead/white stripe kwálaba 15,08 0,05 0,85 74,45 0,21 9,29 0,07
PR934 115.458 blue bangle kwáiaba 11,35 0,67 0,91 66,08 0,45 20,35 0,20
PR944 115.457 blue bangle kwálaba 11,68 0,60 0,82 74,06 0,59 12,04 0,20
PR936 brown F55.129 brown bead/yellow stripe kwálaba 15,92 0,87 1,34 68,77 1,02 11,87 0,22
PR954 115.460 light blue bangle kwálaba 10,09 0,54 1,02 71,26 0,51 16,41 0,17
PR957 115.456 pink bangle kwálaba 13,33 0,65 0,93 68,49 1,44 14,92 0,25
PR931 red F55.122 red bead/yellow stripes kwálaba 17,10 0,85 1,41 70,56 0,94 9,02 0,12
PR930 F55.126 translucent bead kwálaba 14,53 0,05 0,97 74,48 0,50 9,43 0,03
PR958 white F52.813 white bead kwálaba 13,69 0,03 5,98 71,39 2,96 5,89 0,06
PR1015FM BD02 black bead mixed? 14,25 0,82 2,81 70,16 1,34 9,13 1,49
PR1016FM BD03 black bead mixed? 14,91 1,14 1,70 72,59 0,46 8,95 0,25
PR931 black F55.122 black bead/yellow stripes mixed? 14,52 1,25 1,96 70,03 1,11 10,55 0,57
PR1018FM BD05 black bracelet mixed? 13,27 1,35 2,05 72,51 0,92 9,37 0,52
PR958 blue F52.813 blue bead mixed? 13,48 2,09 1,62 73,97 0,78 7,94 0,12
PR959 F52.814 blue bead mixed? 14,36 1,93 1,54 70,86 0,95 10,31 0,04
PR937 no number blue-grey bead mixed? 14,17 4,04 1,96 70,27 1,21 8,13 0,21
PR935 green F55.127 green bead mixed? 11,78 0,78 1,81 74,45 0,99 9,88 0,31
Peter Robertshaw: Chemical Analysis of Glass from Nupe, Nigeria
TRIBUS 58,2009
Table 4; The amount of strontium (SrO) and the ratio of lime (CaO) to strontium in the Nupe samples
ANID Year acquired or cataloged Color/Item CaO/SrO SrO Glass type
PR1017FM 1988 orange bead 179 491 bikini
PR953 1983 black cullet 156 457 bikini
PR929 1979 blue bead 71 871 bikini
PR1014FM 1988 black & green cullet 206 523 bikini
PR958 white 1983 white bead 2886 20 kwdlaba
PR936 brown 1979 brown bead/yellow stripe 1755 68 kwdlaba
PR930 1979 translucent bead 1684 56 kwdlaba
PR934 1914 blue bangle 1587 126 kwdlaba
PR954 1914 light blue bangle 1325 121 kwdlaba
PR944 1914 blue bangle 1298 88 kwdlaba
PR957 1914 pink bangle 1074 130 kwdlaba
PR931 red 1975-77 red bead/yellow stripes 923 97 kwdlaba
PR960 1983 black bead/white stripe 797 114 kwdlaba
PR931 black 1975-77 black bead/yellow stripes 565 185 mixed?
PR935 green 1979 green bead 529 185 mixed?
PR937 2003 blue-grey bead 389 208 mixed?
PR1015FM 1988 black bead 381 236 mixed?
PR1016FM 1988 black bead 373 239 mixed?
PR959 1983 blue bead 323 318 mixed?
PR958 blue 1983 blue bead 297 265 mixed?
PR1018FM 1988 black bracelet 259 361 mixed?
while the modern glass ratios range from 932-1039. Based on these data, nine of the
Nupe samples, with ratios ranging from 797 to 2886 and with small quantities of SrO
(s!30 ppm), can be identified as modern industrial glass, likely European bottles
{kwdlaba), including all the samples collected early in the 20th century (Table 4).
These are generally the lighter colored glasses. Four samples with CaO/SrO ratios of
s206 and relatively high quantities of SrO (>450 ppm), including the two samples of
cullet, are considered to be bikini glass made in Nupe from raw materials, while the
remainder may represent mixtures of varying proportions of kwdlaba and bikini
glass. It is also worth noting that there is a significant correlation (p<0.01) between
the quantities of A1703* and K20* in the modern industrial glass that is lacking in the
other samples. Similarly, there is a positive correlation between lanthanum (La) and
cerium (Ce) quantities in both the kwdlaba and mixed glasses (pcO.Ol), but not in the
bikini glass. However, apart from these observations, the different glass types are
disappointingly heterogeneous in their composition, precluding any attempt to cal-
culate the composition of a typical kwdlaba or bikini glass. Furthermore, it is possible
that modern European glasses may also be characterized by very low phosphorus
concentrations (P205), given that the flux used in glass manufacture is often derived
from sea salt (Chopinet 2004). Most of the Nupe samples possess very little phospho-
rus, though there is a lack of correspondence between the phosphorus concentra-
tions and the Nupe glass types defined on the basis of CaO/SrO ratios. All in all this
confirms the chemically heterogeneous character of the Nupe samples.
The piece of black cullet (PR953) contained more iron (Fe,03) than any other
sample except for one black bead (PR1015FM).This may reflect the addition of iron
92
Peter Robertshaw: Chemical Analysis of Glass from Nupe, Nigeria
Fig. 2: Plot of the ratio of lime (CaO) to strontium (SrO) vs. the quantity of strontium in
parts per million in glass samples from Nupe, modern Thailand, and medieval Essouk
(Mali).
A Essouk
ф Nupe
В Thailand
SrO
slag in the manufacturing process of bikini glass, as noted by Nadel (1940,1942:274-
278). Cobalt (CoO) and sometimes copper (CuO) were used to give a blue color to
beads and bangles.
Plant-ash glass (?)
PR937 differs from all the other analyzed Nupe specimens in possessing a much
larger quantity (>4%) of magnesia (MgO). This suggests that the bead was made
from a glass in which plant ashes were used as a flux. These plant ashes would have
been derived from burning alkali-tolerant, halophytic plants found in coastal, salt
marsh or desert regions (Tite et al 2006:1285). However, there is a surprisingly small
amount of phosphorus (P,05) in this bead compared with plant-ash glasses else-
where; suggesting that the identification of the flux in this glass as being plant ash
must be considered tentative. The intermediate Ca:Sr ratio of this bead also suggests
that a plant-ash glass may have been mixed with bikini glass in its manufacture.
Nevertheless, the different chemistry of this bead is consistent with its identification
as the product of Ghanaian rather than masagâ (Nupe) glass-workers (see above).
Conclusions
This paper has reported the results of the first chemical analyses of the products of
the masagâ glass-working guild resident in Bida (Nupe), Nigeria. With one possible
exception (PR937), all the glass is soda-lime-silica glass, with the soda derived from
mineral sources. No potash glass is represented among the analyzed samples despite
earlier reports of its manufacture by masagâ craftsmen. On the basis of CaO/SrO
ratios and the reduced compositions of the glasses, it has been possible, albeit tenta-
tively, to identify some samples of glass manufactured in Nupe from raw materials
(.bikini glass), some made from recycled European glass (kwâlaba), and others that
combined both of these types of glass in varied proportions. However, as noted above.
93
TRIBUS 58,2009
the samples are very heterogeneous in composition, even the four samples that have
been identified as bikini glass. Lankton, who visited the masaga craftsmen at Bida in
1998, observed that there was a semi-molten mix of glass in the bottom of the glass-
workers’ furnace. Recycled bottles and panes of glass frequently fell into this mix.
Thus, whatever the “original” mixture might have been, the actual mixture was
almost constantly changing depending on what glass slipped off the iron rods, used to
stir the mixture and remove glass, and fell into the furnace or, indeed, was deliber-
ately added to the furnace. This continual mixing of probably many dozens of glass
types ensured that the actual glass that ended up in beads and bracelets could change
in composition considerably on a daily or even hourly basis. This observation is suf-
ficient to explain why coherent compositional groups were not evident among the
samples whose analysis has been reported in this paper. Heterogeneity of chemical
composition is a defining feature of the products of glass-working in Nupe.
If we are to learn more about Nupe glass manufacture, particularly the chemistry
of bikini glass, an experimental approach involving the collaboration of masagâ
craftsmen is needed. An attempt should be made to manufacture bikini glass in a
furnace that has either been manufactured for this experiment or in one that has
been thoroughly cleaned of all other glass and associated debris. Samples of both the
raw materials and the bikini glass made from them should be collected for chemical
and isotopic analyses. Every effort should be made to glean as much information as
possible about this unique African glass manufacture.
Acknowledgements
This research was funded by a grant from the National Science Foundation, USA
(BCS-0209681). We thank Stephen Long and Marilee Wood for sharing their bead
expertise with us.
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95
Antonia Scheinberger: Vom Nordrand der Welt
ANTONIA SCHELNBERGER
Vom Nordrand der Welt: Die Sammlung Henry G. Bryant
im Linden-Museum Stuttgart
1. Einleitung
Die Objekte der Sammlung Henry G. Bryant des Linden-Museums Stuttgart stam-
men sowohl vom nordwestlichen Ende des nordamerikanischen Kontinents, aus
Alaska, als auch vom nordöstlichen Ende, aus Grönland. Die 30 Stücke wurden von
dem US-amerikanischen Geographen und Forschungsreisenden Henry Grier Bryant
Ende des 19. Jhs. bei seinen Aufenthalten in Grönland und Südostalaska gesammelt
und durch Tausch mit dem United States National Museum (USNM) erworben.
Henry G. Bryant wurde 1859 geboren und wuchs in Philadelphia, P.A., auf. Nach
einem Studium der Rechtswissenschaften verwaltete er das Vermögen seines Vaters
und arbeitete bei der Edison Electric Light Company in New York. Wie schon zu
Studienzeiten unternahm er viele Reisen, die ihn unter anderem auch nach Europa
führten. Breite Anerkennung als Geograph verschaffte er sich mit seiner Expedition
zu den Grand Falls in Labrador im Jahr 1891. Nach seiner Rückkehr in die Vereinig-
ten Staaten gründete Bryant mit anderen den Geographical Club of Philadelphia, ab
1894 Geographie Society of Philadelphia genannt. Die neuen Beziehungen eröff-
neten ihm die Möglichkeit einer Zusammenarbeit mit dem Arktisforscher Robert
Edwin Peary und damit auch die Teilnahme an zwei Grönlandreisen. Die erste Reise
nach Grönland unternahm er an Bord der Kite 1892, als er an der Peary Relief Expe-
dition als stellvertretender Leiter teilnahm. Zwei Jahre später, im Jahr 1894, führte
Bryant dann die Peary Auxiliary Expedition an Bord der Falcon an. Auf beiden Rei-
sen hatte er Kontakt zur indigenen Bevölkerung und erlangte von diesen ethnogra-
phische Gegenstände. 1897 organisierte und unternahm Bryant eine Expedition zur
Mount Saint Elias Region in Südostalaska. Sein Versuch, den Mount Saint Elias zu
besteigen, scheiterte jedoch. Wie schon auf seinen Grönlandreisen sammelte er auch
hier ethnographische Objekte. Mehrere große Reisen, bei denen er hauptsächlich als
Bergsteiger oder Kartierer teilnahm, führten ihn in verschiedene Regionen der Welt
- von den Rocky Mountains bis zu den Alpen, von Mexiko bis Sri Lanka.
Henry G. Bryant führte ein sehr aktives Leben sowohl in wissenschaftlichen Ge-
sellschaften als auch in Clubs rein sozialen Charakters. Er war Mitglied in mehreren
geographischen Gesellschaften unterschiedlicher Länder. Im Alter von 73 Jahren
verstarb Bryant am 7. Dezember 1932. In seinem Nachruf beschreibt Williams1 ihn
als bescheiden, schüchtern und zurückgezogen, als ehrlich, loyal und als einen Men-
schen mit Ausdauer und Organisationstalent sowie voller Unternehmungslust und
Enthusiasmus1 2.
2. Die Sammlung Henry G. Bryant
Zehn der 30 Objekte der Sammlung stammen aus Grönland. Diese hat Bryant bei
seinen Expeditionen 1892 und 1894 gesammelt. Vier weitere Objekte hat er 1897 in
Südostalaska (Yakutat Bay und Dry Bay) erhalten, als er versuchte, den Mount Saint
Elias zu besteigen. Die restlichen 16 Stücke stammen aus Westalaska. Sie wurden
wahrscheinlich 1876 von Luden McShan Turner für das USNM gesammelt. Bryant
erhielt die Objekte schließlich durch einen Tausch mit diesem Museum3. Er über-
1 Williams 1933:250.
2 American Philosophical Society 2003; Fraser 2004; Oberholtzer 1912: 81; Williams 1933:
247-250.
3 Balikci 1979: v; Bryant 1905; Holland 1994:295; Turner 1979.
97
TRIBUS 58,2009
m über NN
500
1000
Nord West-
küste
L
_JpT
I r
sandte die ursprünglich 31 Objekte4 1905 dem Schatzmeister des Württembergischen
Vereins für Handelsgeographie, Theodor G. Wanner, für das Museum des Vereins,
aus dem später das Linden-Museum hervorgegangen ist. Seitdem bilden die Stücke
die Sammlung Henry G. Bryant.
Unter den Objekten der Sammlung sind keineswegs „spektakuläre“ Artefakte. Sie
haben ihren Ursprung vielmehr im gewöhnlichen Leben und illustrieren dadurch
den Alltag der Menschen am Nordrand der Welt. Es handelt sich bei ihnen um her-
kömmliche Geräte wie Messer oder Nadelbehälter. Besonders häufig sind Objekte
zum Fangen von Seesäugern und zur Bearbeitung von Häuten. Daneben sind aber
auch Spielzeuge und Amulette vertreten.
3. Die Objekte in ihrem Ursprungskontext
Hier soll der Gebrauch der Objekte, für den sie hergestellt wurden, beschrieben
werden. Die Stücke waren nicht nur für das tägliche Überleben notwendig, sondern
dienten auch der Unterhaltung oder waren bedeutend für die Vorstellungswelt.
Abb. 1 zeigt die Herkunftsgebiete der Objekte und die Kulturareale, in denen die-
se hegen. An der Nordwestküste handelt es sich dabei um das Gebiet bei Yakutat
Bay und Dry Bay (Südostalaska). Die Ursprungsgebiete in der Arktis erstrecken
sich sowohl an der Westküste Grönlands auf der Höhe von Disko Bay und an der
Nordwestküste Grönlands als auch auf das Gebiet um den Norton Sound in West-
alaska.
4 1969 wurde laut dem Iventarbuch des Linden-Museums ein Objekt der Sammlung abgege-
ben.
98
TRIBUS 58,2009
sandte die ursprünglich 31 Objekte41905 dem Schatzmeister des Württembergischen
Vereins für Handelsgeographie, Theodor G. Wanner, für das Museum des Vereins,
aus dem später das Linden-Museum hervorgegangen ist. Seitdem bilden die Stücke
die Sammlung Henry G. Bryant.
Unter den Objekten der Sammlung sind keineswegs „spektakuläre“ Artefakte. Sie
haben ihren Ursprung vielmehr im gewöhnlichen Leben und illustrieren dadurch
den Alltag der Menschen am Nordrand der Welt. Es handelt sich bei ihnen um her-
kömmliche Geräte wie Messer oder Nadelbehälter. Besonders häufig sind Objekte
zum Fangen von Seesäugern und zur Bearbeitung von Häuten. Daneben sind aber
auch Spielzeuge und Amulette vertreten.
3. Die Objekte in ihrem Ursprungskontext
Hier soll der Gebrauch der Objekte, für den sie hergestellt wurden, beschrieben
werden. Die Stücke waren nicht nur für das tägliche Überleben notwendig, sondern
dienten auch der Unterhaltung oder waren bedeutend für die Vorstellungswelt.
Abb. 1 zeigt die Herkunftsgebiete der Objekte und die Kulturareale, in denen die-
se liegen. An der Nordwestküste handelt es sich dabei um das Gebiet bei Yakutat
Bay und Dry Bay (Südostalaska). Die Ursprungsgebiete in der Arktis erstrecken
sich sowohl an der Westküste Grönlands auf der Höhe von Disko Bay und an der
Nordwestküste Grönlands als auch auf das Gebiet um den Norton Sound in West-
alaska.
4 1969 wurde laut dem Iventarbuch des Linden-Museums ein Objekt der Sammlung abgege-
ben.
98
Antonia Scheinberger: Vom Nordrand der Welt
Abb. 1: Ursprungsgebiete der Sammlungsobjekte.
Karte, auf Basis der Digital Chart of the World Server. Pennsylvania State
University Libraries (Hrsg.). 1997, sowie Coe, Michael D. (Hrsg.) u.a.: Bildatlas der
Weltkulturen. Amerika vor Kolumbus. 1998,43.
3.1 Das Kulturareal Arktis
Das Kulturareal Arktis umfasst das Land und das Wasser südlich des Nordpols bis
zur 10°C-Juli-Isotherme beziehungsweise bis zur Baum- oder Permafrostgrenze.
Das Klima der Arktis ist charakterisiert durch die relative Kälte. Das Packeis er-
streckt sich im Winter auf fast alle Meeresoberflächen im arktischen Gebiet. Flora
und Fauna sind geprägt von diesem kalten Klima. Häufig vorkommende Tiere um-
fassen Fische, Wale, Walrosse, Seehunde, Eisbären, Karibus, Wölfe, Bären und
kleinere Nagetiere. Im Sommer kommen viele Zugvögel in die Arktis5.
Ein grundlegendes Kriterium für die Abgrenzung des Kulturareals bildet die ge-
meinsame Eskimo-Aleutische Sprachfamilie. Ein weiteres Merkmal dieses Gebiets
ist die Ähnlichkeit der Anpassungsstrategien an die Umwelt wie beispielsweise die
materielle Kultur, die verschiedenen Jagdtechniken oder die winterlichen Reisen6.
3.1.1 Westalaska
Die 16 Objekte aus Westalaska stammen aus der Gegend um den Norton Sound.
Unmittelbar südlich des Polarkreises gelegen, lässt sie sich in einen nördlichen (die
Ostküste des Norton Sound und die Seward Peninsula) und einen südlichen Teil (das
Gebiet zwischen den Unterläufen von Yukon und Kuskokwim) gliedern. Beide
Areale werden größtenteils durch den Norton Sound voneinander getrennt. Die bei-
den geographischen Areale entsprechen zwei kulturellen Zonen, Südwestalaska und
Nordwestalaska. Die Bewohner dieser beiden Gebiete haben eine besondere An-
passungsstrategie an ihre Umwelt7 entwickelt.
5 Damas 1984:1; Freeman 1984:36-42; Stager & McSkimming 1984:27-32.
6 Damas 1984:1.
7 VanStone 1984a: 205 L
99
Antonia Scheinberger: Vom Nordrand der Welt
Abb. 1: Ursprungsgebiete der Sammlungsobjekte.
Karte, auf Basis der Digital Chart of the World Server. Pennsylvania State
University Libraries (Hrsg.). 1997, sowie Coe, Michael D. (Hrsg.) u.a.: Bildatlas der
Weltkulturen. Amerika vor Kolumbus. 1998,43.
3.1 Das Kulturareal Arktis
Das Kulturareal Arktis umfasst das Land und das Wasser südlich des Nordpols bis
zur 10°C-Juli-Isotherme beziehungsweise bis zur Baum- oder Permafrostgrenze.
Das Klima der Arktis ist charakterisiert durch die relative Kälte. Das Packeis er-
streckt sich im Winter auf fast alle Meeresoberflächen im arktischen Gebiet. Flora
und Fauna sind geprägt von diesem kalten Klima. Häufig vorkommende Tiere um-
fassen Fische, Wale, Walrosse, Seehunde, Eisbären, Karibus, Wölfe, Bären und
kleinere Nagetiere. Im Sommer kommen viele Zugvögel in die Arktis5.
Ein grundlegendes Kriterium für die Abgrenzung des Kulturareals bildet die ge-
meinsame Eskimo-Aleutische Sprachfamilie. Ein weiteres Merkmal dieses Gebiets
ist die Ähnlichkeit der Anpassungsstrategien an die Umwelt wie beispielsweise die
materielle Kultur, die verschiedenen Jagdtechniken oder die winterlichen Reisen6.
3.1.1 Westalaska
Die 16 Objekte aus Westalaska stammen aus der Gegend um den Norton Sound.
Unmittelbar südlich des Polarkreises gelegen, lässt sie sich in einen nördlichen (die
Ostküste des Norton Sound und die Seward Peninsula) und einen südlichen Teil (das
Gebiet zwischen den Unterläufen von Yukon und Kuskokwim) gliedern. Beide
Areale werden größtenteils durch den Norton Sound voneinander getrennt. Die bei-
den geographischen Areale entsprechen zwei kulturellen Zonen, Südwestalaska und
Nordwestalaska. Die Bewohner dieser beiden Gebiete haben eine besondere An-
passungsstrategie an ihre Umwelt7 entwickelt.
5 Damas 1984:1; Freeman 1984:36-42; Stager & McSkimming 1984:27-32.
6 Damas 1984:1.
7 VanStone 1984a: 205 L
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TRI BUS 58,2009
Westalaska besteht nahezu unverändert zum größten Teil aus baumloser Tundra,
durchzogen von Seen, Sümpfen und vereinzelten Wäldern. Im Norden erstrecken
sich zudem mehrere Bergketten über das Land. Die verschiedenen Gruppen, die in
Westalaska lebten, hatten unterschiedliche Schwerpunkte in ihrer Subsistenzwirt-
schaft. Manche jagten besonders kleine Seesäuger oder betrieben Fischfang oder die
Karibujagd. Andere wiederum, vor allem im Norden an der Beringstraße, speziali-
sierten sich auf den Wal- und Walrossfang. Trotz der unterschiedlichen Schwerpunkte
waren die Gruppen über die ökologischen Grenzen hinaus mobil8.
Die Objekte aus Westalaska stehen zum größten Teil in Zusammenhang mit der
Jagd und der Verarbeitung von Tierhäuten. Andere Stücke der Sammlung aus die-
sem Gebiet sind beispielsweise eine Schnupftabakröhre, Spielsteine und ein Story-
knife, auf das weiter unten noch eingegangen werden soll.
Die Glaubensvorstellungen in Westalaska beruhten auf Schamanismus und
animistischen Prinzipien. Es besaßen nicht nur Menschen und Tiere eine Art Seele
oder Geist, sondern neben Naturerscheinungen auch Natur- und Artefakte. Dieser
Geist wurde als Inua bezeichnet, was soviel bedeutet wie „sein Eigner“ oder „seine
Person“. Um die Inua nicht zu verärgern und damit sicherzustellen, dass sie immer
wieder zurückkamen, mussten die Menschen respektvoll mit Tieren und Objekten
umgehen9. Diese Vorstellungen spiegeln sich in der materiellen Kultur wider. Geräte
wurden beispielsweise in Form von Tieren geschnitzt oder mit figürlichen oder geo-
metrischen Mustern graviert.
Grundlegend für die Subsistenzwirtschaft der Menschen in Westalaska war die
Arbeitsteilung zwischen Frauen und Männern. Männer jagten, betrieben Fischfang
und stellten Geräte und andere Objekte aus Elfenbein, Knochen, Stein und Holz her.
Die Frauen kümmerten sich um die Verarbeitung der gejagten Tiere und dessen, was
sie gesammelt hatten. Sie waren somit verantwortlich für die Nahrungsvorräte und
die Zubereitung von Speisen, sie sammelten Pflanzen und kümmerten sich um die
Kinder. Des Weiteren be- und verarbeiteten sie die Tierhäute, die einen wesentlichen
Bestandteil der Subsistenzwirtschaft ausmachten und nicht nur als Bekleidung
dienten, sondern etwa auch Bootsrahmen und Zelte bedeckten10 11.
Auf Abb. 2 ist das wichtigste Arbeitsgerät der Frauen dargestellt. Es handelt sich
um ein Ulu, ein Messer der Frauen, mit dem sie die gejagten Tiere aufschnitten und
häuteten. Solche Messer mit halbrunder Klinge und Griff aus Knochen oder Elfen-
bein wurden auch zum Zerlegen von Fisch und zum Zurechtschneiden der Häute
benutzt11. Zum Nähen der Häute besaßen die Frauen neben dem Ulu auch Ahle,
Nadeln, Nadelbehälter, Nähtaschen, Sehnenzerfaserer und Spulen, von denen man-
che auch in der Sammlung vertreten sind.
Das Nähen von Kleidung war eine der wichtigsten Aufgaben der Frauen, denn
gute Kleidung war grundlegend für das Überleben in der arktischen und subark-
tischen Welt. Die Frauen im Nordwesten, auf der Seward Peninsula, und die im Süd-
westen, am Yukon-Kuskokwim-Delta, benutzten im Wesentlichen die gleichen
Werkzeuge, jedoch konnten sich diese in Aufbewahrungsmethoden und stilistischen
bzw. gestalterischen Merkmalen unterscheiden. Auch benutzten sie - abhängig von
den verfügbaren Ressourcen - unterschiedliche Tierhäute für ihre Kleidung. Rob-
ben- und Karibuhaut wurden aber überall verwendet12.
Südlich des Norton Sound benutzten die Frauen verschließbare Nadelkästchen,
die sie zusammen mit anderen Nähwerkzeugen in Taschen verstauten. Die Nadel-
kästchen bestanden meist aus hohlen Vogelknochen, häufig von Gänsen oder Schwä-
nen, die mit eingeritzten geometrischen Mustern verziert waren. An beiden Enden
8 Ray 1975:104; Ray 1984:285; VanStone 1984a; 205-207.
9 Fitzhugh & Kaplan 1982:14.
10 Fitzhugh & Kaplan 1982:119; Lands 1984:217; VanStone 1984b: 233.
11 Fitzhugh & Kaplan 1982:119; Ray 1984:290.
12 Fitzhugh & Kaplan 1982:13ÜL
100
Antonia Scheinberger: Vom Nordrand der Welt
verschlossen Holzpflöcke die Röhre. Oft hatte dieses Kästchen die Form eines
Fisches, indem die Holzenden den Schwanz und den Kopf dieses Tieres darstellten13.
Das Objekt auf Abb. 3 ist ein solches Nadelkästchen. Nur an einer Seite ist noch ein
Holzpflock befestigt, der einen Fischschwanz zeigt und an dem ein Büschel Robben-
haare angebracht ist.
Nördlich des Norton Sound verstauten die Frauen ihre Nadeln in Riemen aus
Robbenhaut, über die eine Knochen- oder Elfenbeinröhre zum Schutz gezogen wur-
de. Am unteren Ende dieses Riemens wurden mit kleineren Leinen handliche Werk-
zeuge wie Ahle oder Fingerhüte, Schmuck und kleine Schnitzereien als Amulette
befestigt. Brauchte man die Nadel, zog man die Röhre nach unten und entnahm sie
dem Riemen. Die Röhre eines solchen Nadelbehälters war häufig in Form eines Wals
geschnitzt, dessen Vorderflossen reduziert waren auf kleine Ausbuchtungen14. Diese
typische Form eines Wals weist auch das Objekt in Abb. 4 auf, das mit großer Wahr-
scheinlichkeit ein solcher Nadelbehälter ist.
ln der Gestaltung der Nadelkästchen spiegeln sich die Schwerpunkte der Subsis-
tenzwirtschaft in Südwest- und Nordwestalaska wider. Fische bildeten für die Bevöl-
kerung im Landesinneren von Südwestalaska einen wesentlichen Bestandteil ihrer
Ernährung. Wale und Walrosse spielten hingegen im Nordwesten eine große Rolle.
Vor allem bei den Küstenbewohnern bildete der Grönlandwal eine reiche Quelle
für Fleisch, Öl und Barten. So wurden nicht nur Nadelbehälter, sondern auch viele
andere Geräte in Form von Walen gefertigt15.
Ein Objekt der Sammlung veranschaulicht das Leben der Kinder in Westalaska.
Es handelt sich um ein Messer, mit dem vor allem Mädchen, während sie Geschichten
erzählten, bestimmte Szenen illustrierten. Dazu nahmen sie ein solches Storyknife,
wie es auf Abb. 5 zu sehen ist, und ritzten die Bilder in den Boden. Diese Messer
waren an beiden Seiten mit Gravuren verziert. Eine Linie zog sich meist oben über
das ganze Messer. Schräg dazu verliefen kleinere Linien. Fitzhugh & Kaplan16 gehen
davon aus, dass es sich um sehr abstrakt dargestellte Tiere handelte. War der Griff in
Form eines Tieres gestaltet, häufig ein Fisch oder ein Vogel, stellte die lange Linie mit
den Seitenlinien Rückgrat und Rippen dar. Die Mädchen erzählten sich Geschichten,
die häufig von einem Kind und seiner Großmutter handelten, und benutzten mehr
oder weniger standardisierte Symbole, um diese zu verbildlichen. Meistens basierten
diese Erzählungen auf solchen, die sie zuvor in ihren Familien gehört hatten, und so
wurden soziale Werte und Traditionen der Gesellschaft den Kindern übermittelt17.
3.1.2 Grönland
Grönland ist zum großen Teil von einem Eisschild bedeckt. Nur die eisfreien Ab-
schnitte der Küsten werden von Menschen bewohnt. Ihre Siedlungsgebiete konzen-
trieren sich auf drei Areale: die Ostküste, die Westküste und die Nordwestküste.
Diese sind jeweils getrennt durch schwer zu überquerende, teilweise vergletscherte
Küstenstreifen18.
Der Großteil der Objekte der Sammlung aus Grönland stammt aus dem Nord-
westen des Landes. Nur das Kajakmodell und das Kajakzubehör sammelte Bryant
Ende des 19. Jhs. an der Westküste, die sich von der Südspitze Grönlands bis hoch zur
Melville Bucht im Norden erstreckt. Zu dieser Zeit waren die Grönländer der West-
küste mit europäischen Gütern und Ideen schon gut bekannt19.
13 Fitzhugh & Kaplan 1982; 131,134,247; Lands 1984:216; Nelson 1983:103.
14 Fitzhugh & Kaplan 1982:131,134,224; Nelson 1983:104.
15 Fitzhugh & Kaplan 1982:224.
16 Fitzhugh & Kaplan 1982:156.
17 Fitzhugh & Kaplan 1982; 156-159; Nelson 1983:345f.; VanStone 1984b: 239.
18 Kleivan 1984a: 522; Kleivan 1984b: 595.
19 Kleivan 1984b: 596 f..
101
TRI BUS 58,2009
Abb. 2: ülu aus Alaska.
Foto: A. Scheinberger
Abb. 4: Nadelbehälter aus Alaska. Foto: A. Scheinberger
Anders dagegen die Inuit der Nordwestküste Grönlands. Diese kamen erst mit
Europäern in Kontakt, als ab 1818 Forschungsreisende, Walfänger und die Expedi-
tionen auf der Suche nach John Franklin bis in die Baffin Bay vordrangen. Bis zu den
Expeditionen Robert Edwin Pearys ab 1886 aber wurden die Inuit der Nordwest-
küste dadurch nur sehr wenig beeinflusst. Auch ihr Kontakt mit anderen Inuit war
nur sporadisch. Erst Ende des 19. Jhs. begann ein intensiver Kontakt mit den Euro-
päern20.
Auf Abb. 6 ist ein Kajakmodell der Sammlung zu sehen, das vermutlich aus Disko
Bay an der Westküste Grönlands stammt. Zugehörig zu diesem Modell sind aus
Knochen geschnitzte Geräte, ein Doppelruder aus Holz und ein Schwimmer. Über
den Rumpf gespannt sind Leinen angebracht und die Luke ist von einem Holzring
eingefasst.
Das Kajak war Jagdgerät und Transportmittel der Inuit. Sein leichter Holzrahmen
war ca. 5 m lang und ca. 60 cm breit und überzogen mit wasserfester enthaarter See-
20 Gilberg 1984; Steensby 1910:256-266.
102
TRI BUS 58,2009
hundhaut. Eine zentrale Öffnung nahm den Seemann auf, dessen wasserdichter
Mantel fest um sein Gesicht, seine Handgelenke und den Holzring der Luke gebun-
den war. Zur Ausrüstung eines Kajaks gehörten unter anderem Handschuhe aus ent-
haarter Haut und Kratzer, mit denen man das Eis vom Deck des Bootes entfernen
konnte. Jeder Jäger besaß sein eigenes Kajak. Das Kajak wurde unter anderem bei
der Seehundjagd eingesetzt. Auf dem Deck des Kajaks waren zu diesem Zwecke
spezielle Waffen wie Harpune und Lanze befestigt. Der Jäger näherte sich dem See-
hund mit seinem Kajak, warf die Harpune mit einem Wurfbrett und stieß den
Schwimmer ins Wasser sobald die Harpunenleine abgewickelt war. Dann paddelte er
hinter dem Tier, bzw. wenn es abgetaucht war hinter dem Schwimmer her, und tötete
den erschöpften Seehund mit einer Lanze oder einem Messer. Der Schwimmer be-
stand aus einer mit Luft gefüllten Blase oder der Haut eines ganzen Seehundes und
diente nicht nur dazu, das Tier zu ermüden, sondern auch dazu, bei einem Fehlwurf
die Harpune nicht versinken zu lassen. Meistens fuhren mehrere Jäger zusammen
auf das offene Meer, um sich notfalls gegenseitig helfen zu können. Eine richtige
Gemeinschaftsjagd gab es aber nur in Südgrönland. Neben Seehunden wurden auch
kleinere Wale wie der Grönlandwal vom Kajak aus gejagt21.
Es gibt verschiedene Konstruktionsformen des westgrönländischen Kajaks. Wahr-
scheinlich handelt es sich bei dem Objekt aus der Sammlung um eine Modelldarstel-
lung einer Form aus Kangamiut. Diese Form heißt auf Grönländisch imarsiut, was
„Seegänger“ bedeutet, weil dieser Typ über längere Zeit auch in unruhigem Fahr-
wasser benutzt werden konnte22.
Kajakmodelle wurden zu Beginn des 20. Jhs. entlang der ganzen Westküste Grön-
lands in großer Zahl angefertigt. In Godhavn bei Disko Bay, wo Bryant das Modell
vermutlich im Juli 1894 erhalten hat, wurden um diese Zeit jährlich mindestens 50
solcher Kajakmodelle hergestellt. Inklusive der Miniaturformen von Jagdgeräten
wurden diese an Reisende oder Schiffsmannschaften als Souvenirs verkauft. Nicht
immer entsprechen die Modelle dem Vorbild, teilweise sind die Proportionen nicht
richtig abgebildet oder die Konstruktion ist anders aufgebaut23.
Der Nordwesten Grönlands erstreckt sich von der Melville Bucht bis zum nörd-
lichen Rand des Landes. In diesem Gebiet lebte eine Gruppe von Inuit, die zur Zeit
der Reisen Bryants die nördlichste Bevölkerung der Welt darstellte. Die kleine iso-
lierte Gesellschaft von 200 bis 250 Menschen besiedelte die Küsten des Nordwestens
in verstreuten Gruppen von ein bis drei Familien und lebte wie die meisten Inuit
hauptsächlich von der Jagd auf Seesäuger. Wegen der klimatischen Bedingungen
konnten die Inuit von Oktober bis Juni Hundeschlitten für die Jagd benutzen und in
den restlichen drei Monaten das offene Wasser mit Kajaks befahren24.
Ein wichtiges Material - wie überall in der Arktis - waren die Häute von Tieren,
die den Inuit nicht nur in Form von warmer Kleidung das Leben nördlich des Polar-
kreises ermöglichten. Sie waren ebenfalls nötig etwa für Behausungen in Jagdlagern,
für Eimer, Taschen und Jagdausrüstung wie Schwimmer, Bremsanker, starke Leinen
oder Riemen. Tierhäute waren vor allem unverzichtbarer Bestandteil eines wich-
tigen Jagdgeräts und des einzigen Transportmittels im Sommer, des Kajaks. Ab Ende
des 19. und mit dem Beginn des 20. Jhs. wurden sie schließlich auch zu einer wich-
tigen Handelsware.
Wie in Westalaska benutzten auch die Frauen in Nordwestgrönland das Ulu zum
Bearbeiten der Tierhäute und zum Abkratzen des Fettes und anderer unerwünschter
Rückstände von diesen. Das Frauenmesser bestand ebenfalls aus einem Griff aus
Knochen oder Elfenbein und einer Metallklinge, die auf unterschiedliche Weise mit
dem Griff verbunden war. Das Exemplar auf Abb. 7 entspricht einer geläufigen ein-
heimischen Form.
21 Kleivan 19845:598,602-606.
22 Jensen 1975:23.
23 Porsild 1915:233; Rink 1974:6.
24 Gilberg 1984; 577 f., 585.
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Antonia Scheinberger: Vom Nordrand der Welt
Abb. 5: Story knife aus Alaska. Foto: A. Scheinberger
Abb. 6: Kajakmodell aus Westgrönland (ca. 70 cm lang). Foto: A. Scheinberger
3.2 Das Kulturareal Nordwestküste
Das Kulturareal der Nordwestküste erstreckt sich ca. 2500 km an der Nordpazifik-
küste Nordamerikas entlang. Es reicht ungefähr vom Delta des Copper River am
Golf von Alaska bis zum Winchuk River an der Grenze zwischen Oregon und Kali-
fornien. Dieses Areal zeichnet sich nicht nur durch eine besondere kulturelle Aus-
prägung aus, die es von den umliegenden Gebieten unterscheidet, sondern auch
durch das feuchtere Klima, die üppige Vegetation und die artenreiche Fauna. Eine
Besonderheit der Nordwestküste war - und ist noch heute - die hoch entwickelte
Technologie der Holzbearbeitung. Für dieses Gebiet spezifische Eigenheiten der
materiellen Kultur sind etwa Korbarbeiten,Textilien oder Einbäume. Andere beson-
dere Merkmale waren die große Sprachenvielfalt, die größtenteils permanenten
Winterdörfer und die soziale Stratifizierung aufgrund von Geburt und Reichtum.
Die bekannteste Eigentümlichkeit der Nordwestküste bildet wohl der Kunststil, des-
sen verschiedene Ausprägungen sowohl auf Malereien und Schnitzereien als auch
auf Textilien zur Anwendung kommen25.
Eine der Gruppen, die in diesem Kulturareal leben, sind die Tlingit. Ihnen können
die vier Objekte der Sammlung von der Nordwestküste zugewiesen werden. Die
Stücke stammen aus dem Gebiet um Yakutat und Dry Bay.
Wie in Westalaska war auch bei den Tlingit der Schamanismus verbreitet. Der
Schamane nahm als Vermittler zwischen den Menschen und Geistern eine zentrale
Rolle in Gesellschaft und Kosmologie ein. Oft waren Schamanen männlich, jedoch
konnten ebenfalls Frauen diese Rolle ausfüllen. Ähnlich der Inuit glaubten auch die
Tlingit, dass jeder Mensch, jedes Tier, jede Pflanze und jede Naturerscheinung eine
Seele oder einen Geist habe, und dass ein Schamane besser als andere mit diesem in
Kontakt treten könne. Schamanen wurde unter anderem die Fähigkeit zugespro-
chen, Kranke zu heilen, Einfluss zu nehmen auf den Erfolg von Jagd und Kriegs-
zügen, die Zukunft vorauszusagen und das Wetter beeinflussen zu können. Ihre Vor-
gänger vererbten ihnen Hilfsgeister, die durch die Ausrüstung des Schamanen reprä-
sentiert wurden und die ihn inspirierten. Zur Ausrüstung des Schamanen gehörten
beispielsweise Masken, Decken, Amulette, Ketten. Rasseln, Trommeln und Kopf-
schmuck, der je nach Ausgestaltung unterschiedliche Geister repräsentierte26.
25 Suttles 1990a: 1,4 f.; Suttles 1990b: 16 f..
26 de Laguna 1972:670,683,685 f.; Rickenbach 2001:21.
105
Antonia Scheinberger: Vom Nordrand der Welt
Abb. 8: Kopfschmuck aus Alaska.
Foto: A. Scheinberger
107
TRIBUS 58,2009
Teil einer Schamanenausrüstung ist auch das Objekt der Sammlung auf Abb. 8. Es
handelt sich laut Bryant um einen Kopfschmuck, der beim Tanzen getragen wurde27.
Das im unteren Drittel geschnitzte Gesicht lässt den typischen Kunststil der Nord-
westküste erkennen. Der Kopfschmuck stellt die Flosse eines Schwertwals dar, der
als ein Freund des Menschen gilt und diesem hilft. Die Schwertwalflosse - häufig mit
einem Gesicht am unteren Ende dargestellt - ist sowohl das Zeichen des Kut-kow-ee
Klans der nördlichen Tlingit (Raben-Moiety) als auch ein Wappen der Wolf-
Moiety28. Als Wappen hatte der Kopfschmuck nicht nur eine persönliche Bedeutung
für seinen Benutzer, sondern verkörperte vor allem die Geschichte, die Gegenwart
und das zukünftige Schicksal eines ganzen Klans. Wappen sind die visuellen Symbole
der Macht, des Prestiges, des Reichtums und der Geschichte eines solchen Klans. Um
den Status einer Gruppe ausdrücken zu können, müssen Wappenobjekte von Mit-
gliedern der anderen Moiety hergestellt und vor ihnen bei einem Potlatch29 gezeigt
werden. Erst damit wird der Rang einer Familie oder eines Klans bestätigt30.
4. Abschließende Betrachtung
Die Sammlung Henry G. Bryant des Linden-Museums Stuttgart umfasst Objekte,
die die typische Lebensweise der Inuit und Tlingit widerspiegeln. Die Stücke weisen
sowohl auf unterschiedliche gestalterische Merkmale in den jeweiligen Regionen hin
als auch auf die Ähnlichkeit der Anpassungsstrategien an die Umwelt in den Gebie-
ten am Nordrand der Welt. So lässt sich an den Ulus, die sowohl aus Alaska als auch
aus Grönland stammen, die Ähnlichkeit der materiellen Kultur und die große Be-
deutung von Tierhäuten im arktischen und subarktischen Raum erkennen. Ebenfalls
über das ganze Gebiet verbreitet sind schamanistische Elemente in den Glaubens-
vorstellungen. Dabei werden Artefakte als belebt angesehen.
Nachdem Henry G. Bryant die Stücke dem Museum geschenkt hatte, zogen sie ab
1911 in den Neubau am Hegelplatz um. Im Zuge der Bombardierung Stuttgarts im
Zweiten Weltkrieg wurden sie in andere Gebäude ausgelagert und kamen schließ-
lich Ende der 1940er Jahre in das wieder aufgebaute Linden-Museum zurück. Heute
machen die Stücke einen kleinen Teil des großen Bestandes des Museums zu den
Kulturarealen Nordwestküste und Arktis aus.
27 Bryant 1905.
28 Die Tlingit gruppierten die Menschen ihrer Gruppe in zwei Hälften, die sogenannten Moie-
ties. So gehörte jeder Tlingit entweder der Raben- oder der Adler- bzw. Wolf-Moiety an. Die
beiden Moieties waren matrilinear und exogam organisiert und zwischen ihren Mitgliedern
bestanden reziproke zeremonielle Verpflichtungen (de Laguna 1972; 450; Jonaitis 2001: 38f.).
29 Das Potlatch-Fest ist die wichtigste Zeremonie der Tlingit. Dabei lud das Oberhaupt eines
Klans Mitglieder der anderen Moiety ein, bewirtete sie reichlich und machte ihnen Geschenke.
Zu diesem Anlass wurden die Privilegien und Wappen des Klans zur Schau gestellt. Nahmen
die Gäste die Speisen und Geschenke an, bezeugten und akzeptierten sie damit die Ansprüche
und Privilegien des Oberhauptes und seines Klans (Jonaitis 2001:39 f.; Rickenbach 2001:20).
30 Jonaitis 1986:67f..
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Antonia Scheinberger: Vom Nordrand der Welt
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Manuel Sassmann: Eine buddhistische Votiv-Stele
MANUEL SASSMANN
Eine buddhistische Votiv-Stele und ihr religiöser Kontext
Im Besitz des Linden-Museums Stuttgart ist eine buddhistische Votivstele (Inv. Nr.
120780) aus grauem Kalkstein (179x70x 15cm) mit Resten einer Farbfassung aus
dem Norden der heutigen chinesischen Provinz Henan, datiert auf das Jahr 538 der
Östlichen Wei-Dynastie (534-550). Sie zeigt eine plastisch ausgearbeitete Buddha-
Trias vor einer imposanten Mandorla, deren Konturen der Stele ihre spitz nach oben
zulaufende Form verleihen. Auf der Stelenbasis, auf den Seitenflächen und auf der
Rückseite befinden sich im Flachrelief kleine Bildnisse mit den Namen und Titeln
der Stifter der Stele. Rückseitig ist auf Höhe der Stelenbasis ein längerer Text einge-
meißelt. Die Inschriften geben genaue Auskunft über Herkunftsort, Entstehungszeit
und rituelle Funktion des Objekts.
Die Buddha-Trias setzt sich aus einem Buddha und zwei begleitenden Bodhisatt-
vas zusammen, die dem Betrachter frontal zugewandt sind. Der Buddha trägt das
traditionelle Mönchsgewand, das aus Untergewand (dhoti), Obergewand und Über-
wurf besteht. Es legt sich eng um den Körper und verleiht ihm so eine weiche, tail-
lierte Gestalt. Er hat seine rechte Hand zur Geste der Ermutigung zur Furchtlosig-
keit (abhaya mudra) erhoben, die linke zum Zeichen der Wunschgewährung (varada
mudra) gesenkt. Aufgrund eines Bruchs, der sich in der Mitte horizontal über die
gesamte Breite der Stele zieht, ist der ursprüngliche Kopf des Buddha nicht mehr
erhalten. Er wurde mit seinem für den Östlichen Wei-Stil typischen, besonders ho-
hen Schädelauswuchs (ushnisha) später angestückt. Die Gesichtszüge sind denen
der begleitenden Bodhisattvas nachempfunden. Ob es sich ikonographisch um Bud-
dha Maitreya oder Shakyamuni handelt, kann allein aufgrund der bildlichen Dar-
stellung nicht festgestellt werden. Nur anhand der Inschrift kann man vermuten,
dass es sich eventuell um Maitreya handelt.1 Die Bodhisattvas stehen links und
rechts des Buddha, mit ovalen, klobig wirkenden Schuhen, die für die Darstellung
eines Bodhisattva ungewöhnlich sind, auf zylinderförmigen Sockeln mit stilisierten
Lotosblüten. Sie tragen Schmuck um den Hals und über ihrem Untergewand eine
Stola, die sich über der Taille kreuzt, wo sie mit einem Ring fixiert ist. In der erho-
benen rechten Hand halten beide eine geschlossene Lotosknospe. Der rechte hat ein
kleines Fläschchen am Flaschenhals zwischen seinen Fingern eingehängt, der linke
einen Fächer.
Die Trias steht vor einer im Flachrelief gestalteten, spitz nach oben zulaufenden
Mandorla, welche der Figurengruppe ihre Geschlossenheit verleiht und sie mit der
Aura einer der Welt entrückten Sphäre umgibt, deren Zentrum der Kopf des Bud-
dhas bildet. Ihn umfasst ein runder Kopfnimbus aus stabförmig stilisierten Lotosblü-
ten. Darauf folgt ein Dekorband mit sieben ausgearbeiteten Lotosblüten, das die
Konturen des gehauenen Steins imitiert, aber immer noch allein den Buddha umgibt.
Erst das in wellenförmigen Linien ausgeführte Flammenmeer, das sich bis kurz vor
die Stelenkante erstreckt, umfasst alle Figuren. In der Mitte über dem Buddha ist,
kaum noch zu erkennen, ein kleiner sitzender Buddha vor einer Mandorla eingemei-
ßelt. Links und rechts, etwas unterhalb der Spitze des zweiten Dekorbands fliegen
zwei Gottheiten mit langen, wehenden Gewändern. Die linke spielt eine Bambusflö-
te, die rechte eine Pipa, ein chinesisches Zupfinstrument.
Die nüchterne Wirkung des blanken Kalksteins täuscht etwas darüber hinweg, wie
eindrucksvoll die Stele für ihre Betrachter gewesen sein muss, als sie noch ihre ur-
sprüngliche Fassung hatte, von der heute nur noch kleine Reste roter Farbe im Be-
reich der Gewandung der Figuren erhalten sind. Dass die Stele aber primär nicht der
1 Vgl. Wong (2004), S. 95.
111
TRIBUS 58,2009
ästhetischen Betrachtung diente, sondern eine besondere Funktion in der religiösen
Praxis ihrer Stifter hatte, davon zeugt besonders die Inschrift auf der Rückseite der
Stele2;
„Am zwanzigsten Tag wuyin des fünften Mondmonats, dessen ers-
ter Tag mit den zyklischen Zeichen jiwei begann, im ersten Jahr der
Regierungsperiode Yuanxiang der großen Wei-Dynastie (538), als der
regierende Stern (Jupiter) im Zeichen wuwu stand,3 hat sich der Schü-
ler des Buddha Lü Mengxi mit weiteren achtzig Personen zu einer
buddhistischen Laiengesellschaft zusammengeschlossen. Wissend um
die Vergänglichkeit des Körpers, dass der Reichtum nicht uns gehört,
[und dass] die unvorhersehbare Gelegenheit sehr selten ist, geben wir
alle gemeinsam [unsere] Reichtümer aus und lassen ein Bildnis anfer-
tigen, rechts des Weges an einer auffälligen Stelle. Wir bringen es Sei-
ner Majestät dem Kaiser dar. Wir wünschen denen, die sich zu dieser
Laiengesellschaft zusammengeschlossenen haben, unseren Eltern
und Vorfahren bis in die siebte Generation, unseren Verwandten und
allem Leben auf Erden, dass der Geist auf dem Weg zur Erleuchtung
sich täglich weiterentwickle, dass wir an den drei Versammlungen des
Maitreya teilnehmen, dass wir uns von Kummer und Leid auf den drei
schlechten Wegen entfernen. Alle [unsere] Wünsche mögen in Erfül-
lung gehen.“
Der Aufbau des Textes folgt einem typischen Schema, das sich auf vielen Stelen
des 6. Jahrhunderts findet.4 Auf das Datum folgen der Name des Stifters und der
Anlass der Stiftung. Eine Stiftung von mehr als achtzig Personen ist nichts Unge-
wöhnliches. In manchen Quellen werden sogar über tausend Stifter genannt. Auch
die Nennung des Kaisers und die detaillierte Beschreibung der Wünsche der Stifter
sind typisch. Die Stifter schlossen sich zu einer Laiengesellschaft zusammen, um ge-
nügend finanzielle Mittel aufbringen zu können, die Stiftung gemeinsam zu bezah-
len. Ihr Beitrag zur Stele war eine Art Investition, mit der sie für sich und ihre Fami-
lienmitglieder Verdienste zu erwerben glaubten, die zu einer besseren Wiedergeburt
führen und letztendlich im Erreichen des Nirvana gipfeln sollte.
Interessant ist die genauere Beschreibung des Ortes, an der die Stele errichtet wur-
de. Die Errichtung an einer auffälligen Stelle am Wegesrand lässt sich vor dem Hin-
tergrund religiöser Praxis des 6. Jahrhunderts in ländlichen Gebieten erklären. Wahr-
scheinlich wurde die offensichtliche Stelle gewählt, damit mehr Menschen im Vorü-
bergehen das Buddhabildnis sahen, dem dargestellten Buddha huldigten, und sich so
2 Transkription des chinesischen Textes (Interpunktion M.S. ): ;M/ÄT. AJJ
E(i)*JB. U BilcWo «AfA W#E(Ü)W, Ä(iii)Ä
«I#. «(iv)MMAä±, M«To WÜ, P&2.A-
«541#, ATW(v)TAEHi, ilAEIt, IMHt, ütPiHÜ(vi)^lffi, ü(")
(vii)ü'll'o
Epigraphische Anmerkungen: (i)E wurde eingemeißelt, aber hier gemäß der zyklischen
Zeichen: E. (ii) Siehe (i). Vgl. auch Foshuo wu wu fanfu jing (T. 751,573b23): „&P WM#. PT#
BW“. (iü)Ä wurde eingemeißelt. Aber “ÄJS” bzw. “S3S” ergibt keinen Sinn. ist ander-
erseits die Sonderform von % (^FEfc# S. 308). mehrmals imTaisho und be-
deutet „unvorhersehbare Fügung“. Vgl. Gaoseng faxian zhuan (T. 2085,858al6-17):
m A#A^”. (iv) W: mit 4 als linkem Teil ('WI&IIS###, S. 133). (v) W ist klar zu sehen,
scheint aber nur der obere Teil des Zeichens zu sein. Außerdem ergibt “cf#” keinen Sinn. “ W
Tl” bedeutet “alles Lebendige”. Sonderzeichen von 's mit W als oberem und P als unterem
Teil (ii^Ü^fr&ii, S. 33). Eine Inschrift einer Stele zweier Nonnen, datiert auf 575, enthält eine
ähnliche Formulierung. Vgl. Yan Juanying (2008), S. 264f. (vi) Sonderzeichen von ii (I^ÜT#
Ä), hier verwendet als ü; ('/Hin A#ft), d.h. Hü entspricht Hüb (vii) Symbol für die Wieder-
holung des vorhergehenden Zeichens.
3 Nach dem Gregorianischen Kalender ist das genaue Datum der 7. Februar 538 n. Chr.
4 Vgl. Hou Xudong (1998), S. 87f.
112
Manuel Sassmann: Eine buddhistische Votiv-Stele
Schutz von ihm erhofften. Mit der Aufstellung einer Stele wurde gleichzeitig ein hei-
liger Raum (daochang^M) geschaffen, an dem die Laiengesellschaft regelmäßig
religiöse Rituale abhielt. Für Mönche könnte sie als Ort zum Predigen gedient ha-
ben.5
Die 80 in der Inschrift erwähnten Stifter werden auf der Stele namentlich genannt.
Sie verteilen sich auf alle vier Seiten: 2 vorne, jeweils 12 auf beiden Seitenflächen und
54 verteilt auf die neun Register der Rückseite. Ihnen sind meist eindeutig im Flach-
relief ausgeführte Stifterbildnisse zuzuordnen, deren Figuren alle im seitlichen Profil
dargestellt sind. An der Anordnung der Stifter lässt sich der Aufbau einer buddhi-
stischen Faiengesellschaft sehr gut nachvollziehen. Wie der Kopf des Buddha den
Mittelpunkt der Stelenvorderseite bildet, so befindet sich im Zentrum der Rückseite,
genau hinter dem Buddhakopf, der Name des Initiators der Gründung der Laienge-
sellschaft: Lü Mengxi Er gehört wie die meisten Stifter der Familie Lü S an
und trägt den Titel Duweina was bedeutet, dass er eine führende Position
innerhalb der Laiengesellschaft innehatte. Um ihn sind hierarchisch gegliedert die
anderen Stifter angeordnet. Direkt neben ihm ist eine weitere Person mit demselben
Titel. Mönche (biqiu tfcJx) und besonders verdienstvolle Stifter finden sich in den
oberen Registern. Links und rechts folgen dann Personen mit Titeln niedereren
Rangs, wobei auch hier wieder die Hierarchie durch eine Abstufung von oben nach
unten und von innen nach außen deutlich wird. Die gewöhnlichen Laienanhänger
(yizi E.7?) werden dann unten einfach nur noch listenartig aufgezählt. Der Vorsit-
zende der Laiengesellschaft {duyizhu Ifßei) steht wiederum vorne auf der Stelen-
basis an besonders exponierter Stelle.
Einige Stifter tragen besondere Namenszusätze, welche die Art ihrer Stiftungen
genauer spezifizieren. Eine Gruppe an Stiftern kann direkt mit einzelnen Bildteilen
der Stele in Verbindung gesetzt werden. Auf der Vorderseite wird der Stifter der
großen Buddhafigur {Daxiangzhu genannt, links und rechts unten die der
Bodhisattvas (Pusazhu IfÜi). Beispielhaft für Reliefdarstellungen lässt sich der
Stifter des meditierenden Buddhas (Siweifozhu in der Spitze der Mandor-
la auf der Rückseite anführen. Zum anderen gibt es Stifter, die rituelle Handlungen
bezahlten. Der Stifter des vegetarischen Festessens für das Weiheritual der Stele,
(Zhaizhu Isfi), namens Lü Fangyu im zweiten Register von oben ist für die
geographische Verortung der Stele besonders wichtig. Er trägt den Beamtentitel
„Magistrat6 von Dongyan“ (Dongyanling Der Ortsname lässt Rückschlüsse
auf den möglichen Herkunftsort der Stele zu. Dongyan befand sich zur Zeit der Öst-
lichen Wei-Dynastie etwa 70 km nord-östlich der heutigen Stadt Zhengzhou Ü№|ffi
im Norden der Provinz Henan.7 Der Stifter der Öffnung des Augenlichts des Bud-
dhas (Kaifoguangmingzhu im dritten Register bezahlte wahrscheinlich
das Ritual, bei dem die Stele spirituell belebt wurde. Es gibt Quellen die besagen,
dass mit einem besonderen Pinsel der heiligen Figur schwarze Pupillen eingemalt
wurden.8 Erst danach war die Figur überhaupt empfänglich für die Anbetung durch
die Gläubigen. Die Inschrift rechts daneben nennt den Stifter eines Himmelspalasts
('Tiangongzhu womit wahrscheinlich die Reliefdarstellung in der Mitte
dieses Registers gemeint ist. Hinter den letzten beiden Titeln stehen keine Namen,
obwohl noch genügend Platz zur Verfügung stünde. Derartige Leerstellen gibt es auf
vielen Stelen dieser Zeit. Sie lassen sich eventuell aus der Praxis der Stelenherstel-
lung erklären. Oft wurden die Stelen in größeren Werkstätten in Massenproduktion
hergestellt und dann in ländliche Gebiete geliefert, wo dann nur noch die Namen
eingemeißelt wurden.9
5 Vgl. Liu Shufen (1995), S. 19-47.
6 Hücker (1985), No. 3733.
7 Zhang Xirong (1988), S. 46-47,2/6.
8 Vgl. Seckel (1957), S. 88.
9 Vgl. Liu Shufen (1995), S. 31.
113
Rückseite einer Votivstele aus dem Jahr 538. Linden-Museum Stuttgart. Inventar-Nr. 120780.
Foto: Anatol Dreyer
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TRIBUS 58,2009
Die Kultbildherstellung für rituelle Zwecke hatte in den nördlichen Dynastien
ihre Blütezeit. Neben den Monumentalskulpturen und großen Skulpturenensem-
blen der buddhistischen Höhlentempeln Yungang oder Longmen und anderen, teil-
weise staatlich geförderte buddhistischen Zentren, sind heute auch noch viele einzel-
ne Stücke unterschiedlichen Formats erhalten. Von kleinen Figürchen für den per-
sönlichen Gebrauch, über mannshohe Skulpturen, bis hin zu Stelen, die - wie die hier
vorliegende - von einer oder mehreren Familien gestiftet wurden. Die Gläubigen
erwarben mit ihrer Stiftung für sich, ihre Familie und ihre Ahnen religiöse Ver-
dienste. Nach der Aufstellung waren die Kultbilder in religiöse Handlungen einge-
bunden. Sie wurden unter anderem zur visuellen Kontemplation des Buddha (Guan-
fo li№) genutzt, zu dem zum Beispiel ein in der Östlichen Jin-Dynastie (316-420)
ins Chinesische übersetztes Sutra anleitet.10 Die vorliegende Stele zeichnet sich nicht
nur durch ihre handwerkliche Qualität aus, sondern hilft dank ihrer Inschriften in
ausgezeichneter Weise, das facettenreiche Bild des chinesischen Buddhismus im
6. Jahrhundert zu präzisieren.
Quellen:
Buddhabhadra (359-429). Foshuo guanfo sanmei hai jing
MM (T. 643,645)
Faxian (334-420). Gaoseng faxian zhuan (T. 2085,858al6-17).
Juqujingsheng '/UlilkSI (-446). Foshuo wu wu fanfu jing ifyWtfiMBi'lUM (T. 751,
573b23).
Literatur:
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Geng Shu u.a. (1970 ^^H-fjl^F-j.Jinshi wenz bianyi ^Ti^T^iH-Taibei.
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it7j FiA№WlflfU- Common people's buddhist beliefs in northern China during
thefith and sixth centuries. Beijing.
Liu Shufen (1995). Art, Ritual, and Society: Buddhist Practice in Rural China during
the Northern Dynasties, in; Asia Major, Pt. 1, Vol. 8.
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Zhonghua minguo jiaoyubu guoyu tuixing weiyuanhui W wßlilln
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bei.
Rückseite einer Votivstele aus dem Jahr 538. Linden-Museum Stuttgart. Inventar-Nr 120780.
Foto: Anatol Dreyer
10 Foshuo guanfo sanmei hai jing, (T. 643,645).
116
Ulrich Theobald: Selbstinzensierung im Kleinen
ULRICH THEOBALD
Selbstinszenierung im Kleinen:
In Lack geschnitzter Lobpreis an Ruhm und Größe
der Qing-Dynastie
Kunstobjekte werden gemeinhin als Gegenstände des Friedens verstanden. Aber
natürlich gehört auch der Krieg selbst zu den Ereignissen, die in der Kunst dar-
gestellt werden, sei es, um seine Schrecken zu zeigen, oder sei es, um den Sieger zu
feiern oder Erinnerungen an Heldentaten wach zu halten.
Die Sammlungen des Linden-Museums beherbergen eine chinesische Lackdose,
die im Jahr 1775 angefertigt wurde, und zwar gleichzeitig aus zwei Anlässen heraus:
Der erste Anlass war die Beendigung einer reichsweiten Sammlung von wertvollen
Schriften, die Teil der „Vollständigen Bibliothek der Vier Schätze“ (Siku quanshu 0
/i^H) werden sollte. Der zweite Anlass war der zum gleichen Zeitpunkt sich sei-
nem Ende zuneigende zweite Krieg gegen das aufsässige Bergvolk von Jinchuan
(iAH) im Westen der heutigen Provinz Sichuan. Die zwölfeckige Dose aus rotem
Schnitzlack mit dunkelgrünem, auf fast schwarz nachgedunkeltem Grund ist in der
Fachliteratur bereits mehrfach detailliert beschrieben worden.1
Ahh. 1: Zwölfeckige Schnitzlackdose von 1775 mit zwei Inschriften, eine auf der Innenseite
des Deckels und die zweite auf der Außenwand entlanglaufend. Oben auf dem Deckel be-
finden sich die 12 Zykluszeichen und 96 Varianten des Schriftzeichens für „Langlebigkeit“.
Linden-Museum Stuttgart, Inv.-Nr. OA 20.787 L.
Foto; A. Dreyer
1 Brandt (1988), S. 122-123. Clifford (1992), S. 124-126. Kopplin/Linden-Museum (2006),
S. 178-182. Technische Details finden sich in Brandt/Burmester (1982). S. 240, und Burmester
(1985), S. 174.
117
TRIBUS 58,2009
Die Kultbildherstellung für rituelle Zwecke hatte in den nördlichen Dynastien
ihre Blütezeit. Neben den Monumentalskulpturen und großen Skulpturenensem-
blen der buddhistischen Höhlentempeln Yungang oder Longmen und anderen, teil-
weise staatlich geförderte buddhistischen Zentren, sind heute auch noch viele einzel-
ne Stücke unterschiedlichen Formats erhalten. Von kleinen Figürchen für den per-
sönlichen Gebrauch, über mannshohe Skulpturen, bis hin zu Stelen, die - wie die hier
vorliegende - von einer oder mehreren Familien gestiftet wurden. Die Gläubigen
erwarben mit ihrer Stiftung für sich, ihre Familie und ihre Ahnen religiöse Ver-
dienste. Nach der Aufstellung waren die Kultbilder in religiöse Handlungen einge-
bunden. Sie wurden unter anderem zur visuellen Kontemplation des Buddha (Guan-
fo Üft) genutzt, zu dem zum Beispiel ein in der Östlichen Jin-Dynastie (316-420)
ins Chinesische übersetztes Sutra anleitet.10 Die vorliegende Stele zeichnet sich nicht
nur durch ihre handwerkliche Qualität aus, sondern hilft dank ihrer Inschriften in
ausgezeichneter Weise, das facettenreiche Bild des chinesischen Buddhismus im
6. Jahrhundert zu präzisieren.
Quellen:
Buddhabhadra (359-429). Foshuo guanfo sanmei hai jing
MM. (T. 643,645)
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Juqujingsheng MUlJjiSI (-446). Foshuo wu wu fanfu jing (T. 751,
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Zhulin Jushi (1999 KIUAAAA)- Fojiao nanzi zidian Tai-
bei .
10 Foshuo guanfo sanmei hai jing, (T. 643,645).
116
Ulrich Theobald: Selbstinzensierung im Kleinen
ULRICH THEOBALD
Selbstinszenierung im Kleinen:
In Lack geschnitzter Lobpreis an Ruhm und Größe
der Qing-Dynastie
Kunstobjekte werden gemeinhin als Gegenstände des Friedens verstanden. Aber
natürlich gehört auch der Krieg selbst zu den Ereignissen, die in der Kunst dar-
gestellt werden, sei es, um seine Schrecken zu zeigen, oder sei es, um den Sieger zu
feiern oder Erinnerungen an Heldentaten wach zu halten.
Die Sammlungen des Linden-Museums beherbergen eine chinesische Lackdose,
die im Jahr 1775 angefertigt wurde, und zwar gleichzeitig aus zwei Anlässen heraus:
Der erste Anlass war die Beendigung einer reichsweiten Sammlung von wertvollen
Schriften, die Teil der „Vollständigen Bibliothek der Vier Schätze“ (Siku quanshu 0
!$■ ^felSr) werden sollte. Der zweite Anlass war der zum gleichen Zeitpunkt sich sei-
nem Ende zuneigende zweite Krieg gegen das aufsässige Bergvolk von Jinchuan
(ifejll) im Westen der heutigen Provinz Sichuan. Die zwölfeckige Dose aus rotem
Schnitzlack mit dunkelgrünem, auf fast schwarz nachgedunkeltem Grund ist in der
Fachliteratur bereits mehrfach detailliert beschrieben worden.1
Abb. 1: Zwölfeckige Schnitzlackdose von 1775 mit zwei Inschriften, eine auf der Innenseite
des Deckels und die zweite auf der Außenwand entlanglaufend. Oben auf dem Deckel be-
finden sich die 12 Zykluszeichen und 96 Varianten des Schriftzeichens für „Langlebigkeit“.
Linden-Museum Stuttgart, Inv.-Nr. OA 20.787 L.
Foto: A. Dreyer
1 Brandt (1988), S. 122-123. Clifford (1992), S. 124-126. Kopplin/Linden-Museum (2006),
S. 178-182. Technische Details finden sich in Brandt/Burmester (1982), S. 240, und Burmester
(1985), S. 174.
117
TRI BUS 58,2009
Entsprechend den beiden Anlässen, für die Kaiser Qianlong (reg. 1736-1795) die
Dose in Auftrag gab, hat er auch zwei Gedichte bzw. Texte dazu geschrieben. Der
eine Text findet sich, mit goldenen Schriftzeichen geschrieben, auf der in Schwarz
lackierten Innenseite des Deckels. Eine Übersetzung desselben wurde von Patricia
Frick und Helga Stahl angefertigt,2 die auch über die Hintergründe des Projektes der
„Vollständigen Bibliothek“ informieren. Auf den zwölf quadratischen Flächen der
Außenseite der Dose (in der unten folgenden Übersetzung sind die Felder numme-
riert) findet sich ein vom Kaiser verfasster Text zu den Jinchuan-Kriegen.3 Der Text
ist teilweise in Prosa und teilweise als Gedicht geschrieben. Was erzählt dieser Text
nun aus dem Krieg, und was hat der Krieg gegen die Bergstämme von Jinchuan mit
dem Projekt der „Vollständigen Bibliothek“ gemein?
Während die Ming-Dynastie (1368-1644) ein - bis auf wenige Ausnahmen - eher
nach Innen gerichtetes Selbstverständnis hatte, das sich in der ritualisierten Pflege
der eigenen Kultur äußerte, verstand die von den Mandschuren gegründete Dynastie
der Qing (1644-1911) sich zumindest bis um etwa 1800 als jung, dynamisch, kriege-
risch und nach Außen gekehrt. Die Unterwerfung nicht nur der Chinesen, sondern
auch der Nachbarvölker vor allem im Westen und Südwesten gehörte darum zum
Grundprogramm des vom Himmel gegebenen dynastischen „Auftrags“: Mongolen,
Dzungharen, Uighuren und Tibeter wurden Teil des chinesischen Reiches, nicht nur
als Volk selbst, sondern mitsamt ihrer Sprache, Kultur und Religion. Kein anderer
Kaiser nahm seine Aufgabe als Herr des Reiches der Mitte so ernst wie Qianlong.
Als „Herr der Welt“ und Polarstern am Firmament vereinte er alle Völker, Kulturen
und Religionen in seiner Person, väterlich gut und wohl gesonnen zu allen, die ihm
nach konfuzianischer Tradition angemessene kindliche Pietät und Ehrfurcht entge-
genbrachten. Daher war er Förderer der Künste und der Literatur, selbst Sammler
und Liebhaber. Aber er musste auch strenge Maßstäbe setzen für das, was nötig war,
den Kosmos in Ordnung zu halten. Durch die Kompilation der „Vollständigen
Bibliothek“ wurde festgesetzt, was eine dem Reiche förderliche Literatur war, und
was zu vernichten war. Im politischen Bereich wiederum musste Qianlong Maßstäbe
setzen für diejenigen, die dem Staate gute Untertanen waren, und solche züchtigen,
die seine Gesetze missachteten. Zu letzteren gehörten die mit den Tibetern verwand-
ten Stämme von Groß- und Klein-Jinchuan (eine Region, die von den Einheimi-
schen Rab-tan oder Gyal-rong genannt wurde)4 im Hochgebirge an der Grenze zwi-
schen Sichuan und Tibet, die wie ihre Nachbarn zum Reich der Qing in einem Tribut-
verhältnis standen. Die harten klimatischen Konditionen der Gegend führten zu
ständigen Raubzügen, bei denen man Vieh und Getreide der Nachbarn stahl. Dabei
taten sich die Fürsten von Groß-Jinchuan (Chu-chen) besonders hervor.5 1748-49
griff die kaiserliche Armee zum ersten Mal Groß-Jinchuan an, nachdem dieses
Klein-Jinchuan (Tsan-la) besetzt hatte. Nach hohen Verlusten auf chinesisch-man-
dschurischer Seite schloss man einen Friedensvertrag. Dieser wurde hinfällig, als die
beiden Jinchuan sich zusammenschlossen und ihre Nachbarn erneut belästigten. In
einem fast fünf Jahre währenden Stellungskrieg kämpften 1771-76 mehr als 100.000
kaiserliche Soldaten gegen die wenigen tausend Einheimischen, die sich in ihren
festen Wehrtürmen (diao iüi) verschanzt hatten. Für den Krieg wurden mehr als 60
2 Kopplin/Linden-Museum (2006), S. 181-182.
3 Kaiser Qianlong ist bekannt dafür, selbst mehr als 40.000 poetische Werke hinterlassen zu
haben. Ein großer Teil davon ist verständlicherweise von „Ghostwritern“ vorgefertigt worden,
so dass man die Aussage „vom Kaiser verfasst“ (yuzhi §|1^) nicht allzu wörtlich nehmen muss.
4 Bei tibetischen Orts- und Personennamen sind hier der Lesbarkeit halber die zwar geschrie-
benen, aber nicht ausgesprochenen Konsonanten weggelassen. Bei einigen Ortsnamen (Djang-
gu. Dando, Mingdjeng, Kungsar) ist lediglich die chinesische bzw. mandschurische Transskrip-
tion bekannt und wird hier lesefreundlich wiedergegeben.
5 Eine gute deutschsprachige Informationsquelle über die Jinchuan-Feldzüge ist Haenisch
(1935). Einen Eindruck von der Unwirtlichkeit der Region bekommt man aus den Reise-
beschreibungen von Tafel (1923).
118
Ulrich Theobald: Selbstinzensierung im Kleinen
Millionen Silber-Tael6 ausgegeben, von denen ca. 5 Millionen durch eine Kontribu-
tionskampagne gewonnen wurden, bei der vor allem Salzhändler, aber auch gut si-
tuierte Beamte Geld „spendeten“.7 Der Sinn des Krieges lag nicht nur darin, die
widerspenstigen Bergvölker wieder fügsam zu machen: Durch ihre Aktivitäten hat-
ten sie die Hochstraße von Sichuan nach Tibet bedroht, und ihre Fürsten waren
Schutzherren der alttibetischen Bön-Schule. Der Kaiser hingegen war Protektor der
„Gelbmützen“-Schule (Gelug-pa), deren Hauptvertreter der Dalai Lama ist. In
einem Reich, in dem Maßstäbe gesetzt werden mussten und legislative Standards
fixiert wurden, war kein Platz für „häretische Sekten“ wie die Bön-Schule.8 Im Rah-
men der Standardisierung der Verwaltung war auch kein Platz mehr für kleine, unzu-
verlässige Tributvölker: Diese mussten einer regulären Kreis- und Präfekturverwal-
tung weichen. Das Gebiet wurde ab 1776 von chinesischen Siedlern kolonisiert, die
„Rebellen“ versklavt oder massakriert.
Abb. 2: Drittes Feld der Inschrift auf der Dosenwandung (Beginn rechts oben, Schreib-
richtung in Säulen nach unten). Der gemusterte Hintergrund und die Beschädigungen der
Schriftzeichen sind gut erkennbar. Foto: A. Dreyer
6 Ein Silber-Tael wog ca. 37,3 g. Das Wort tael, mit dem man die Silberwährung Chinas und
Südostasiens bezeichnet, ist malaiischen Ursprungs.
7 Als Gegenleistung für eine Kontribution (Jüan li) wurde dem „Spender“ ein Diplom auf
einen Beamtenrang ausgestellt, was im Grunde genommen nichts anderes als regulierter
Ämterkauf war.
8 Zum religiösen Hintergrund der Jinchuan-Kriege und die Rolle der Jesuiten als technische
Helfershelfer der Artillerie s. Mansier (1990), Martin (1990) und Waley-Cohen (1993).
119
TRIBUS 58,2009
Kaiser Qianlong weinte dem vielen Geld, das er für karges Gebirgsland ausgege-
ben hatte, ausdrücklich „keine Träne nach“. Sein Ziel war erreicht, im Reich Reli-
gion und Verwaltung, Sitten und Gebräuche, Kunst und Kultur zu vereinheitlichen.
Durch seine Methoden hatte er das Reich in eine ruhige Bahn gelenkt, in der es auf
immerdar blühen und gedeihen würde. So konnte er sich zu Lebzeiten schon selbst
feiern und seine Verdienste für die Literatur und den Frieden des Reiches (die „zehn
erfolgreichen Feldzüge“) selbst besingen, wie er es auf der zwölfeckigen Dose aus
rotem Schnitzlack zweifach getan hat.9
Die Schriftzeichen sind nicht alle gut erkennbar, zum einen weil Teile abgebrochen
sind, zum anderen weil kalligraphisch ungewöhnliche, verdrehte oder Ersatz-For-
men verwendet wurden (fl statt $|, {^ +^} statt {i+ß } statt Pä) oder Teile eines
Schriftzeichens ausgelassen wurden (üf statt 1H, statt Ü). Ob diese vom Kaiser
vorgegeben worden waren oder ob der Schnitzmeister sich diese künstlerische Frei-
heit gestattete, ist nicht bekannt. Im Folgenden sind der Einfachheit halber die je-
weils gängigen Varianten aufgeführt.
Der Text erzählt, wie es durch die ständigen Streitereien zwischen den „beiden
Jinchuan“10 und den benachbarten Kleinstaaten immer wieder zu Streitereien kam,
die in der unbändigen, „ungezieferhaften“ Natur der dortigen Völker lag. Die kaiser-
liche Regierung überließ die Bestrafung der Übeltäter dabei im Rahmen ihrer „Po-
litik der lockeren Zügel“ (jimi Ü)^) den lokalen Fürsten (tusi ±t]) und mischte sich
erst ein, als es dazu kam, dass der Fürst von Groß-Jinchuan permanent die Friedens-
verträge mit seinen Nachbarn brach und schließlich so expansiv wurde, dass er den
Fürsten des Nachbarlandes ermorden ließ - so lautet zumindest die offizielle Ver-
sion. Eine ebenso offizielle Sichtweise ist die fast sozialistisch anmutende Behaup-
tung im letzten Gedicht, die Völker wollten eigentlich Frieden, aber seine Herrscher
seien die Unruhestifter, die darum nur umso leichter „wie Eier zerquetscht“ werden
könnten. Die Fakten sprechen gegen diese Behauptung, denn das gesamte Volk von
Jinchuan stand hinter seinem Herrscher und zog die kaiserliche Armee in einen jah-
relangen Krieg gegen wohlbefestigte Wehrtürme in unwegsamen Hochgebirgstälern
hinein. Allein die Tatsache, dass der Text fast ein Jahr vor Beendigung des Krieges
abgefasst wurde, zeigt, wie viel politische Rhetorik hinter all den Gedichten, Oden
und Hymnen stand, die der Kaiser verfasste: Qianlong konstruierte sich selbst ein
Bild, das er auszufüllen strebte oder darzustellen vorgab. Es war nicht so, dass er
seine militärischen Siege und seine kulturellen Errungenschaften, nachdem sie fak-
tisch vollbracht waren, im Nachhinein besang: Auch die „Vollständige Bibliothek“
wurde erst 1782 vollendet.
9 Über die Selbstinszenierung des Kaisers Qianlong hat Crossley (1997) ein Kapitel geschrie-
ben, s. dort besonders S. 112-117.
10 Die Bezeichnung „Jinchuan“ (wörtlich; Goldfluss) ist chinesischen Ursprungs und hat mit
den einheimischen Namen nichts zu tun.
120
Ulrich Theobald: Selbstinzensierung im Kleinen
Übersetzung der Inschrift auf der Dosenwandung;11
(1) üS^jil,
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(2) &MzÄW¥. Ä/
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31, #/
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(3) Iji,
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(4) ttih, 4Sl±w]/
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fP /3£fh ft/
Ü> Üo /
(1) Von Jinchuans wildem Räuberheer, das fern
aus Tibets Landen,11 12 spricht furchtsam alte
Bauernmär,13 denn bös Gezücht zuhanden
brach Eid und Schwur allzeit.
Nachdem das Land Chu-chen (Groß-Jinchuan) im Jahr
Qianlong wachen (1748)14 befriedet war, (2) kam es im
Jahr wuyin (1758) dazu, dass [Fürst] Nam-kha mit sei-
nem westlichen [Nachbarn], dem [Fürsten] von Geb-
shi-tsa. Streit hatte und plante, dessen Gebiet zu er-
obern und es seiner eigenen Herrschaft einzuverleiben.
Zu jenem Zeitpunkt befahlen Generalgouverneur Kai-
tai und der Provinzmilitärkommandeur Yue Zhong-
huang [dem Fürsten Nam-kha], seine Truppen [aus
Geb-shi-tsa] abzuziehen, doch er gehorchte nicht. Da-
raufhin entsandte man lokale Hilfstruppen aus dem
Fürstentum Khro-skyab,15 [Nam-kha] den Versor-
gungsweg abzuschneiden, und befahl weiters den Für-
sten von Djanggu undTsan-la (Klein-Jinchuan), [Nam-
kha] mit ihren Truppen in einem Handstreich anzugrei-
fen. (3) Erst dann zog er seine Truppen nach Dando
zurück,16 brannte dort die Amtsburg nieder und kehrte
heim. Die ständigen Auseinandersetzungen mit den
Nachbarn gingen jedoch weiter, und Nam-kha lag mit
den neun Lokalfürsten17 regelmäßig im Streit, so dass
die Barbaren sich gegenseitig mordeten und einander
bekriegten, was nicht wunder nehmen darf. Doch weil
[Nam-kha] noch nicht die Frechheit besessen hatte, auf
Reichsgebiet überzugreifen, brauchte man sich keine
Sorgen zu machen, und es war nicht nötig. Strafmaß-
nahmen (4) zu ergreifen; es wurde stattdessen den
neun Fürsten befohlen, die Bestrafung [Nam-khas]
selbst gemeinsam in die Hand zu nehmen. Die neun
Fürstentümer sind: Khro-skyab, Geb-shi-tsa, Ba-bam,
Tsan-la (Klein-Jinchuan), Dam-pa, welches Chu-chen
(Groß-Jinchuan) am nächsten liegt, A-gzhi, Dzong-gag,
So-mang und Cog-tse, die etwas weiter weg sind.
11 Ich danke Gu Jia (lüH), Tübingen, für ihre große Hilfe bei der Entzifferung und Überset-
zung.
12 Wörtlich: „Zur Tang-Zeit (618-907) gehörten sie zum Reich Tubo (Tibet).”
13 Wörtlich: „Rinder und Harken (= die Bauern) in ihren engen Hochtälern fürchteten sich
allesamt.“
14 Jeder chinesische Kaiser hatte eine Regierungsdevise. Qianlong bedeutet „Himmlische Er-
habenheit“, der Kaiser selbst hieß eigentlich Hongli {%M). Wachen ist die Bezeichung des
Jahres anhand des immerwährenden Sechziger-Zyklus, unten ebenso.
15 Der Fürst von Khro-skyab stellte als treuer Untertan der kaiserlichen Regierung Hilfstrup-
pen.
16 Muss wohl heißen: Dandung (Ff A), das eine kleine Herrschaft im Land Geb-shi-tsa war und
eine Zeit lang mit Nam-khas Hilfe gegen seinen Herrn, den Fürsten von Geb-shi-tsa, rebel-
lierte.
17 Werden weiter unten aufgezählt.
TRIBUS 58,2009
(5) Äftg-Ä,
m / mmm,
m m/*m,
mm /MM,
№ü-&Ä/'C.s
M&jStilf. /
(6)
fEte'/ÜL ßiH? |]
iq?wflu teil/
$:H/
iwmm, #it/
#£te$rTO;t/
im 3uim/
Ü#^, X^H/
(7) H£L ^ffnl/
iiit, X»E/
0fo ##№ia)i, /
eu^/
ee^E. Äi^is/
±aj> üä±m. /
(8) teüÄitko ^S/
itfö±<£№/
^Ijtüf^ifo /
ifEPffli, /
UEÄ^H/
te, ÜMi/
Müi&fiÄ, /
¥OTfS&ü/
Wlir^^JitfP/
£ff.
(9) ffi«fl=r, «in/
£T, _gJS^IE±/
wlH^, ÄH/
(5) Aus ihrer Burgen18 sichrem Sitz führt Stich auf
Stich die Horde; der Kaiser lässt mit ruhiger
Hand den Gouverneur zu Werke.19 Doch
Schlangenherz ist nimmerstet, verdreht, miss-
staltet Worte, (6) baut hinterhältig Burg und
Turm.20
Im Jahr renwu (1762) wurde Nam-kha gewahr, dass die
anderen Fürsten allesamt seine Gegner waren und be-
setzte daher alle Bergrücken mit fest gefügten Burgen,
mehr als tausend an der Zahl, und plante, die Nachbar-
gebiete heimzusuchen. Er begann, indem er im Lande
Khro-skyab die Burg A-po besetzte und Leute aus der
Herrschaft Dam-pa tötete. Außerdem gab es (7) Ge-
fechte mit [Leuten aus] San Tsha-khog und Geb-shi-
tsa, und er griff auf das Gebiet von Ba-bam über. Seine
Eroberungslust wurde immer größer, der Sohn lernte
vom Vater, und als Nam-kha starb, entwickelte sich sein
Sohn So-nam zu einem noch schlimmeren Unhold. Er
ermordete den Fürsten von Geb-shi-tsa, raubte sein
Weib21 (8) und besetzte seine Ländereien. Er stiftete
Seng-ge zang, den Fürsten von Tsan-la, dazu an, A-gzhi
anzugreifen.22 Daraufhin begaben sich Generalgouver-
neur Artai und Provinzmilitärkommandeur Dong
Tianbi dorthin und befahlen Seng-ge zang, botmäßig
seine Soldaten abzuziehen und das Land zurückzuge-
ben. Im Sommer xinmao (1771) verstieß Tsan-la gegen
das Versprechen [Ruhe zu halten] und griff A-gzhi er-
neut an. Die beiden Aufsässigen (9) schlossen sich zu-
sammen, und wie Wölfe auf Beute attackierten sie die
Amtsburgen im Lande Mingdjeng, wo sie (zahlreiche)
Zwingburgen errichteten, in denen sie erbitterten
Widerstand leisteten. Ihrer Verbrechen waren daher zu
viele, als dass sie noch einmal davonkommen sollten,
und so musste man eine gewaltige Armee entsenden.
18 Wörtlich: „die zwei Höhlen“. Gemeint sind die beiden Klosterburgen von Le-wu-we und
Ka-lai.
19 Wörtlich; „[Die Angelegenheit war nur örtlicher Art], so dass der Kaiser nicht die
Drachenkavallerie zu entsenden brauchte, sondern [lediglich] den Provinzbeamten (fangbo)
befahl, [militärische] Vorkehrungen zu treffen.“
20 Wörtlich: „Die Kavallerie- und Infanterietruppen (ma zu) bauten vermehrt Kriegstürme.“
Der oberflächlich neutral erscheinende Begriff ma zu hat jedoch eine tiefere Bedeutung, die
sich aus der Homophonie von ma (M „Pferd“) und ma (ü „Ameise, Geziefer“; in V. 2 erscheint
tatsächlich das Wort yi [ib«] „Ameise“) erschließt, sowie der kalligraphisch gekünstelten Schrei-
bung des Wortes zu (^ „Soldat“), das in dieser uneindeutigen Form auch als shuai (^) gelesen
werden kann, mit dem ausdeutbaren Sinn von shuai (!&$ „Grille, Getier“).
21 Es ist nicht klar, ob die Ermordung des Fürsten von Geb-shi-tsa im Auftrag von So-nam ge-
schah oder doch eher eine Tat von Baronen aus Geb-shi-tsa war, die ihren Lehensherrn loszu-
werden trachteten. Die Gattin des Fürsten von Geb-shi-tsa stammte aus Groß-Jinchuan, wes-
halb der Raub in jedem Fall eher eine „Heimholung“ war und keine „Entführung“, wie hier
suggeriert wird.
22 Der Fürst von A-gzhi hatte angeblich durch einen Mantra-Fluch Krankheit über das Haus
Tsan-la gebracht. Seng-ge zang wollte daraufhin, mit Rückendeckung durch So-nam, das an der
Burg von A-gzhi vergrabene Mantra ausgraben, um es zu zerstören, und verlangte territoriale
Kompensation für den erlittenen Schaden.
122
Ulrich Theobald: Selbstinzensierung im Kleinen
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Wer aufbegehrt, fühlt Großmut nicht, (10)
darf keine Gnade hoffen, wird nun bestraft
mit Heeresmacht, die wertlos Ödnis nur er-
ficht.23 Das Bergvolk gehrt ein Leben sacht,
doch ihrer Führer übler Brut nur Urgewalt
ein Ende macht.24
(11) [Marschall] Agoi schlug sein Feldlager in Kungsar
auf, nicht weit von Le-wu-we. Nun hat er vorgeschla-
gen, zusammen mit [General] Mingliyang [die Re-
bellen] zu einem festgesetzten Zeitpunkt von allen Sei-
ten anzugreifen und baldmöglichst die Räuberhöhlen
auszufegen und die Banditenführer festzusetzen. Die
erfolgreiche Eroberung soll dann sofort dem Kaiser
berichtet werden. Die Tangutenjungen, die schweinsle-
derne Stiefel tragen, werden gefangen sein,25 und dem
Erfolg soll nichts in den Weg gelegt werden, so dass
(12) die Bezwingung des Feindes nur noch eine Frage
von wenigen Tagen ist. Daher wird hier von Jinchuan
gesungen. Im Jahr Qianlong yiwei (1775), im ersten
Sommermonat, in der zweiten Zehntagewoche vom
Kaiser geschrieben.
23 Die Bergwildnis von Jinchuan war es nicht wert (wertlos wie „Hühnerknochen“), dass man
sie dauerhaft besetzen und in regulär von einem Beamtenapparat verwaltetes Gebiet verwan-
deln wollte. Letzten Endes tat man dies doch, und der Entschluss dazu stand 1775 schon längst
fest.
24 Wörtlich: „Das Hundsfott und Fliegengeschmeiß [ihrer Anführer] wird [von der kaiserlichen
Armee] zerquetscht wie Eier von einem Berg.“
25 Nach einem Gedicht von Du Fu (|±^i; 712-770; Quantangshi
217).Tanguten (Qiang) sind ein östlicher Zweig der Tibeter. Die Einwohner Jinchuans werden
heute noch als „Tanguten“ bezeichnet.
123
TRIBUS 58,2009
Weiterführende Literatur:
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gart und Autor.
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S. 217-251.
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China und die innere Mongolei in das östliche Tibet. Stuttgart: Union Deutsche
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124
Joachim Bautze; Samuel Bourne und die ihm zugeschriebenen Fotografien
JOACHIM K. BAUTZE
Samuel Bourne und die ihm zugeschriebenen Fotografien
zweier Heiligtümer in Ellora und Ajanta
Im Juni 1869 veröffentlichte das auf eine Gründung der Herren William Howard,
Samuel Bourne und Charles Shepherd zurück gehende fotografische Unternehmen
von „Bourne & Shepherd“ insgesamt 9 großformatige Fotos von „Ajunta, Bombay
Presidency“1 und 14 ebenso große Aufnahmen von „Flora“1 2, wobei mit ersterem das
heutige Ajanta im Distrikt Aurangabad des Bundesstaates Maharashtra, Indien und
mit letzterem das im selben Distrikt gelegene Ellura oder Ellora gemeint ist. Die
Monumente beider Orte gehören seit 1983 zum Weltkulturerbe der UNESCO und
bedürfen daher, da sie auch sonst zu den bekanntesten Baudenkmälern Asiens zu
rechnen sind, an dieser Stelle keiner weiteren Vorstellung.
Da die Fotos vom berühmteren Fotografen des Unternehmens, Samuel Bourne
(1834-1912) in der Regel mit „Bourne“ und einer von „1“ beginnenden bis vierstel-
ligen Zahlenfolge im Negativ signiert beziehungsweise nummeriert wurden, war be-
reits vermutet worden, dass die besagten Aufnahmen nicht von Samuel Bourne
selbst, aber von seinem späteren Nachfolger, Colin Murray (1840-1884) stammen
könnten3, zumal die Fotografien weder signiert noch im Negativ nummeriert sind.
Die Bestell- oder Fotonummern wurden hier lediglich handschriftlich in Blei auf der
Rückseite der noch unmontierten Aufnahmen vermerkt. Obwohl einige der Bilder
- wenn auch ohne ausdrückliche Nennung des Studios - bereits 1896 in gedruckter
Form veröffentlicht wurden4 5, schafften sie es in den vergangenen Jahrzehnten in kei-
ne der nicht wenigen Abhandlungen über Samuel Bourne und das von ihm gegrün-
dete, heute noch in Kolkata existierende Studio. Die wahrscheinlich umfangreichste
Sammlung an Indienfotos des 19. Jahrhunderts, die „Asia. Pacific and Africa Collec-
tions“ der British Library, London, verzeichnet nur drei Fotos von „Bourne &
Shepherd“ für Ajanta'1 und zwei für Ellora6.
Von letzterem Ort verdient besonders die obere Etage der heute meist „Cave
4“7genannten Anlage unsere Aufmerksamkeit, zumal diese, wahrscheinlich wegen
ihres ruinösen Zustandes,8 kaum Eingang in die Illustrationen der einschlägigen Li-
teratur gefunden hat.9 „Cave 4“ dominiert Aufnahme Nr. 1947 des Kataloges von
Bourne & Shepherd, die mit „Figure of Umudge in the Dher-warra“ betitelt ist10,
wobei letzteres soviel wie „low caste’s quarter“ bedeuten soll; „It is not clear whether
1 Photographie Views in India, p. 33, Nummern 1928 - 1936.
2 Photographie Views in India, p. 33f, Nummern 1937 - 1950.
3 Bourne 2001, Seite 252.
4 Furneaux 1896, p. 142 = Nr. 1935 in Photographie Views in India; Furneaux 1896, p. 143 = Nr.
1930 in Photographie Views in India („Interior of cave No. 9 [sic! Lies: 19]); Furneaux 1896,
p. 145 = Nr. 1941 in Photographic Views in India
5 Mss Eur G91/(65) = Photographic Views in India, Nr. 1929; Mss Eur G91/(65a) = Photo-
graphic Views in India, Nr. 1932 (Figures to the right of Cave 10 [sic! Lies: 9]) und Mss Eur G91/
(65b) = Photographic Views in India, Nr. 1933 (The front of Cave 26 [sic! Lies; 19]).
6 Mss Eur G91/(65c) = Photographic Views in India, Nr. 1944 (Abgebildet: Bautze 2003, Fig. 2)
und Mss Eur G91/(65d) = Photographic Views in India, Nr. 1938.
7 Der obere Teil der „Cave 4“ wird von einigen Autoren „Cave 5“ genannt, siehe Malandra
1993, Figs. 45-48; 50-51.
8 Burgess 1929, p. 12: „It [cave IV] is much ruined, the whole of the outer half of it having disap-
peared.“
9 Zu den wenigen Ausnahmen gehören Sotaro 1977, doppelseitige Abbildung 9: „Fallen Shrine
above the Cave 4“, Berkson 1992, die Abbildung auf p. 58 und Malandra 1993, Figures 45-48,
50-51.
10 Photographic Views in India, p. 34.
125
Abbildung 1
TRIBUS 58,2009
this term was applied by the modern Hindus, or is a corruption of Therawara, or
quarter of the Theras or teachers [...]“ schreiben James Fergusson und James Burgess
in oder vor 1880.11 Abbildung 1 zeigt einen Ausschnitt aus dem Zentrum der Foto-
grafie, dessen vollständige Größe 24,5 x 29,5 cm (Höhe vor Weite) beträgt. Deutlich
ist auf der vom Betrachter aus linken Seite der auf einem Doppellotos stehende, den
Eingang zum Schrein flankierende, von einigen als Avalokiteshvara identifizierte11 12
Türwächter in Begleitung einer kleinformatigeren Dame zu erkennen. Sein Gegen-
über dürfte schon vor Jahrhunderten weg gebrochen sein, da nichts mehr auch nur
auf seine Spuren hindeutet. Dafür ist aber der Schrein mit dem monumentalen, die
Geste des „Rad der Lehre in Bewegung setzen“ vollführenden, auf einem „Lö-
wenthron“ (Sanskrit: simhasana) in europäischer Manier sitzenden Buddha zu se-
hen, der bei vollständiger Erhaltung der Anlage wegen der Dunkelheit im Inneren
des Raumes aus der Perspektive des Fotografen kaum zu sehen gewesen wäre. Be-
merkenswert ist der gut erhaltene, von der Figur des Buddha aus linke Teil der
Thronlehne mit, von unten nach oben, einem liegenden Elefanten, einem aufsprin-
genden Vyalaka (eine Art Löwe) und darüber dem Kopf eines Makara (eine Art
See-Ungeheuer, ein Mischwesen basierend auf dem Gangesgavial [Gavialis gangeti-
cus] und dem Gangesdelfin [Platanista gangetica]). Von einer darüber fliegenden
Figur mit den Beinen in der archaischen Flughaltung ist der obere Teil des Körpers
von der noch erhaltenen monolithischen Wand zu der vom Betrachter aus rechten
Seite des Einganges verdeckt.13
11 Fergusson / Burgess 1880, p. 368.
12 Malandrà 1993, Figure 46.
13 Zur schematischen Darstellung, Datierung und Symbolik derartiger Throne in Indien siehe
Auboyer 1949, p. 36f und p. 112ff.
126
Joachim Bautze: Samuel Bourne und die ihm zugeschriebenen Fotografien
Abbildung 2
Diese Art der Darstellung des Buddha mit den herabhängenden Beinen wurde
wohl während des ausgehenden 5. Jahrhunderts in Sarnath (Distrikt Varanasi, Uttar
Pradesh) entwickelt14 und könnte von der annähernd zeitgenössischen, überlebens-
großen Darstellung des Kushana-Herrschers Vima Kadphises, Vater des Kanishka
(regierte ab 127 u. Z.), im Government Museum, Mathura, maßgeblich beeinflusst
worden sein15.
Die „Figure of Umudge“, wobei weder Samuel Bourne noch Charles Shepherd
verraten, was genau damit gemeint sein soll, ist auch in einem weiteren Foto der
Reihe auszumachen, und zwar Nr. 1946, betitelt mit „General view of the Dher-war-
ra, or outcasts’ quarter“. Von dieser, 23,9 x 29,0 cm (Höhe vor Weite) messenden
Aufnahme, zeigt Abbildung 2 einen etwa briefmarkengroßen Ausschnitt mit dem
oberen Teil der „Cave 4“. Hier wird ein Avalokiteshvara16 zur rechten Seite des Bud-
dha erkennbar; auf der von der Figur des Buddha aus rechten Wand sind eine weib-
liche Figur17 in Begleitung einer kleiner dargestellten, weiteren weiblichen Figur
auszumachen.
Die vom konservatorischen Standpunkt aus immense Bedeutung dieser Aufnah-
men demonstriert ein Vergleich mit dem heutigen Zustand der Anlage. So belegt die
1979 aufgenommene Abbildung 3 nicht nur, dass der linke Unterschenkel der Wäch-
terfigur verloren ging, auch das linke Bein und der linke Unterarm des Buddha feh-
len, ebenso die Thronlehne mit dem Löwen als Teil des Sitzes. Aufgrund der Größe
und der Bruchstellen handelt es sich hier nicht um europäisches „Sammlertum“, wie
es James Fergusson (1808-1886) bereits während seines Vortrages vor der „Royal
Asiatic Society of Great Britain and Ireland“ am 5. Dezember 1843 darlegte, da die
Stücke viel zu groß und schwer wären, als dass sie der gewöhnliche Reisende der
14 Vergl. Chanda 1936, Plate VI.
15 Inventarnummer 12.215. Abgebildet und erläutert: Bachhofer 1929, Band 2, Tafeln 77-78;
Vogel 1930, Planche II (mit weiteren Hinweisen). Beschrieben; Sharma 1976, p. 50f.
16 Folgend Malandra 1993, Figure 51.
17 Bhrikuti folgend Malandra 1993, Figure 50.
127
TR I BUS 58,2009
Abbildung 3
Zeit sie hätte abtransportieren können.18 Den stufenweisen Abbruch der mittlerwei-
le für immer verlorenen Teile der monolithischen Reliefs veranschaulicht ein Aus-
schnitt einer Aufnahme, die das Studio des damaligen Hoffotografen des 6. Nizams
von Hyderabad, Nawab Mir Sir Mahbub Ali Khan Bahadur (r. 1869-1911), Lala Din
Dayal (1844-1905) gegen 1900 in Ellora machte. Die gesamte Aufnahme, Nr. 5102
der Bestellnummerliste von Din Dayal19, ähnelt sehr der erwähnten Nummer 1946
der Liste von Bourne & Shepherd, weist aber, im Detail betrachtet, bedeutende Un-
terschiede auf, wie ein Vergleich von Abbildung 2 mit vorliegender Abbildung 4 de-
monstriert: Alles, was von der Figur des sitzenden Buddha in Abbildung 2 vorhanden
ist, existiert auch noch in Abbildung 4, nur, dass die in Abbildung 3 völlig fehlenden
Teile des Reliefs hier nur noch auf einem abgebrochenen, abgerutschten Felsblock
vorhanden sind. Der linke Unterschenkel der Wächterfigur fehlt auch schon in der
Aufnahme vom Studio von Lala Din Dayal völlig. Der Zustand der Anlage aus der
Zeit um 1960 ist der Fachliteratur zu entnehmen.20
Warum der Archaeological Survey of India beziehungsweise das Archaeological
Department of His Exalted Highness the Nizam’s Dominions offenbar nichts unter-
nommen hat, um die überlebensgroße Plastik vollständig zu erhalten, sollte hier ge-
fragt werden.
18 „The caves of Ellora, [...] are entirely deserted as places of worship, and therefore easily ac-
cessible to all Europeans. Their stucco and painting have however almost entirely disappeared,
but their sculptures are not so easily broken, and are on too large a scale to tempt the cupidity
of most collectors.“ Fergusson 1846, p. 90.
19 Das Studio von Din Dayal betitelte die Aufnahme mit: „Ellora. Dhedwada Cave, general
view.“ Einen weiteren Abzug dieser Aufnahme besitzt die „Asia, Pacific and Africa Collec-
tions“ der British Library unter „Photo 97(2)“ sowie „Photo 430/35 (19)“. Die Abmessungen
der hier benutzten Aufnahme betragen 20,3 x 28,6 cm, Höhe vor Weite.
20 Gupte 1964, Plate 20a, gegenüber p. 149.
128
Joachim Bautze; Samuel Bourne und die ihm zugeschriebenen Fotografien
Die wegen ihrer Fassade von allen 26 für den Besucher heute zugänglichen Anla-
gen von Ajanta am meisten gelobte Klosteranlage ist die „Nummer 1“, die diese
Bezeichnung Herrn James Fergusson verdankt.21 Fergusson beschreibt sie zunächst
als „a very handsome vihara cave“22, dann, einige Jahre später, bemerkt er über die
Fassade: „Taking it altogether, this façade is perhaps as pleasing a specimen of design
as is to be found in this style of architecture. There is a richness of effect produced by
the whole composition, for which it would not be easy to quote a rival in any other
building of the same size or pretensions.“23 Zusammen mit James Burgess nennt
Fergusson sie „one of the finest Vihâras of its kind. Certainly no Vihâra at Ajantâ has
been so handsomely ornamented as this one. Its façade is the only one instance here
of a Vihâra decorated with sculpture.“24 In einer Publikation von 1925 beschreibt der
Künstler Mukul Chandra Dey (1895-1989) die Fassade als „beautifully designed“25
und wiederholt, größtenteils wortwörtlich, was ansonsten schon James Fergusson
und James Burgess sagten. Nur zwei Jahre später erscheint eine aufwendig publi-
zierte Monographie zu den Wandmalereien der „Nr. 1“ von Ajanta.26 Ghulam Yazda-
ni meinte sogar: „Cave I, [...], is considered architecturally to be the finest vihara
(monastery) among the rock-hewn temples of India. This praise will not be consi-
dered as exaggerated on seeing and rejoicing in the exquisite beauty of the sculpture
with which the cave is adorned.“27 Im ersten, nach Erlangung der Unabhängigkeit
Indiens geschriebenen, offiziellen Führer zu Ajanta von Debala Mitra heißt es zu
„Nr. 1“: „It is one of the finest viharas at Ajanta.“28 Herbert und Ingeborg Plaeschke
rechnen die „Nr. 1“ zu den „prächtigsten Bauwerken“ von Ajanta29 und setzten eine
Abbildung der Fassade farbig auf die vordere Umschlagseite ihrer Publikation. Wal-
ter Spink, der mit Abstand erfahrenste Forscher über Ajanta, nennt „Cave 1“: „The
most sumptuous vihara at the site“.30
Fotonummer 1935 des Kataloges von Bourne & Shepherd ist mit „South end of
veranda of Cave 1“ betitelt. Bei der 23,5 x 28,5 cm (Höhe vor Weite) messenden
Aufnahme, Abbildung 5, schaut der Betrachter eigentlich von Nordwesten nach Süd-
osten. Die Aufnahme könnte auf einem bereits 1864 veröffentlichten Stereofoto von
Robert Gill (1804-1875) basieren,31 ist aber, naturgemäß, von größerem Format. Von
Bedeutung ist diese Ansicht nicht nur, weil sie den damaligen ramponierten Zustand
der monolithischen Pfeiler der Veranda offenbart - alle Pfeiler wurden heute durch
eine Art Kunststein so überzeugend vervollständigt, dass die Ergänzungen nur dem
Kenner auffallen - es sind noch wesentliche Teile des zentralen Vorbaus der Veranda
vorhanden, die in anscheinend sämtlichen nach 1925 publizierten Aufnahmen fehlen.
21 „Names had been given to some of the caves, but these are neither very appropriate nor well
understood, and as the local cicerone who accompanied me first day gave the same name to
different caves at different times, and, I believe, invented others when his memory failed him, I
adopted the surer plan of using numbers; and. beginning at the northern end, or that lowest
down the stream, called the first cave number one, and so on to twenty-seven, which is the last
accessible cave at the south-eastern extremity; and as this plan can lead to no confusion, I shall
now follow it.” Fergusson 1846, p. 45.
22 Fergusson 1846, p. 52.
23 Fergusson / Gill 1864, Plate 38.
24 Fergusson / Burgess 1880, p. 320.
25 Dey 1925, p. 182.
26 Goloubew 1927.
27 Yazdani 1930, Text, p. 2. Ein beinahe identischer Satz taucht dann zunächst bei Singh 1965,
p. 170 („One of the finest viharas among the rock-hewn temples of India...“) auf, um dann in
einem 1998 erschienen Reiseführer zu Ajanta noch einmal zu erscheinen: „... considered archi-
tecturally to be the finest monastery among the rock-hewn temples of India“, Nasir 1998, p. 16.
28 Mitra 1956, p. 10. In späteren Ausgaben wird an dieser Stelle die Bezeichnung „viharas“ mit
„monasteries“ ersetzt.
29 Plaeschke / Plaeschke 1983, Seite 48.
30 Spink [1987], p. 9.
31 Fergusson / Gill 1864, Plate 35.
129
TRIBUS 58,2009
Abbildung 4
Die Bruchstelle ist dabei unübersehbar.32 Herbert und Ingeborg Plaeschke nannten
diesen Teil „Viersäulenpavillon“ und bemerkten dazu, dass dieser heute zerstört
ist.33 Die in der englischsprachigen Literatur gebräuchliche Bezeichnung dafür ist
„porch“: „In front of the veranda there has been a porch supported by two advanced
columns, of which only fragments of the bases and elegant capitals [...] remain.“34
Soweit eine Beschreibung, die ohne Hinweis auf die eigentlichen Verfasser - James
Fergusson und James Burgess - einfach von folgender Passage abgeschrieben wurde:
„In front of the veranda there has been a porch supported by two advanced columns,
of which only fragments of the bases and elegant capitals remain [,..].“35 Da Dey
nicht nur bei der Beschreibung der „Nr. 1“ signifikant häufig auf ältere Quellen pla-
giierend zurückgegriffen hat, dürften auch die von ihm veröffentlichten Fotos
früheren Datums sein als sein Besuch der Anlage von Ajanta. Wir möchten daher
behaupten, dass neben der bei ihm abgebildeten Aufnahme von „Cave l“36 wahr-
scheinlich auch die meisten anderen Fotografien der von ihm abgebildeten An-
sichten der monolithischen Architektur von Ajanta noch im 19. Jahrhundert erstellt
worden waren.
Die beiden sich an der Basis der westlichen Säule des „Viersäulenpavillons“ auf-
haltenden, mit Turban versehenden Herren sorgen, wie in so vielen Fotos von Samu-
el Bourne, für den Größen vergleich. Die Frontseite, das heißt die nach Südwesten
weisende Fassade des „Viersäulenpavillons“, wird zwar von Bournes’ „1935“ nicht
erfasst, dafür aber von Nr. 4369 der „Frith’s Series“ oder „Frith’s / Photo-Pictures -
32 Vergleiche zum Beispiel folgende fotografische Ansichten: Goloubew 1927, Planche VIII;
Yazdani 1930, Plates, Plate III; Mitra 1956, Plate II;Takata/Taeda 1971, Abbildung p. 61; Stern
1972, Figure 50;Yanagi / Miyaji 1981, Plate 21; Plaeschke / Plaeschke 1983, Farbtafel 12, Seite 25;
Nou / Okada 1993, Tafel Seite 45; Nasir 1998, Farbtafel gegenüber p. 9, oben links; Koezuka /
Miyaji 2000, p. 233, Plate 202;Takata / Omura / Yasuda 2000, Band 2,Tafel C.1-1, um nur einige
zu erwähnen.
33 Plaeschke / Plaeschke 1983, Seite 48.
34 Dey 1925, p. 182.
35 Fergusson / Burgess 1880, p. 320.
36 Dey 1925, Abbildung gegenüber p. 182: Façade of Cave 1.
130
Joachim Bautze: Samuel Bourne und die ihm zugeschriebenen Fotografien
Abbildung 5
The Universal Series“, Abbildung 6.37 Zwischen 1864 und 1874 steuerten mehrere, in
Indien gearbeitet habende, meist namentlich unbekannte Fotografen dieser vom
Lichtbildner Francis Frith (1822-1898) gegründeten Agentur Aufnahmen bei, insge-
samt etwa 598.38 Die 21,0 x 16,1 cm (Flöhe vor Weite) messende Aufnahme der Ab-
bildung 6 entstand daher höchstens fünf Jahre nach dem Foto der Abbildung 5. Ein
jüngerer Mann hockt zum Größenvergleich neben dem Rest des südöstlichen Pfei-
lers des Portikus, dessen seit etwa 1900 eintretender totaler Verlust von einigen Fach-
leuten als den Gesamteindruck der Fassade „beschädigend“ empfunden wurde:
„The exterior view of the vihara has been somewhat marred by the destruction of the
porch which was the prominent figure of it.“39 In der Tat erscheint die entstandene
Lücke in der Dekoration der Fassade bei einigen Fotografien störender zu sein als
bei anderen.40 Obwohl der Portikus sehr wahrscheinlich gegen Ende des 19. Jahrhun-
derts - genau wie Teile der linken Körperhälfte des Buddha der „Cave 4“ in Ellora-
weggebrochen waren ohne wieder angesetzt zu werden41 -, basieren bis heute noch
die meisten Grundpläne von „Nr. 1“ auf einem 1880 von Fergusson und Burgess
veröffentlichten und von „Ganpat Purshotam“ gezeichneten Plan, in dem naturge-
37 Der in der unteren linken Ecke einbelichtete Titel lautet: „4369. Ajunta: Entrance] to Cave
No. 1“. Nr. 4370 der „Frith's Series“ zeigt die gesamte Veranda.
38 Freundliche Mitteilung von Hugh Ashley Rayner, Bath, U.K.
39 Yazdani 1930, Text, p. 2.
40 Siehe vor allem Goloubew 1927, Planche IX; Singh 1954, Abbildung gegenüber Seite 10;
Stern 1972. Figure 44 und Takata / Omura / Yasuda 2000. Band 2, Tafel C.l-1 im Vergleich zu
vorliegender Abbildung 6.
41 Als ich vor über 10 Jahren vor den Viharas von Ajanta Walter Spink auf den Verbleib der
weggebrochenen Teile der Fassade von „Nr. 1“ ansprach entgegnete dieser lakonisch: „They
must have pushed them down into the Waghora“, wobei „Waghora“ den nur zur Monsunzeit
reißenden Fluß bezeichnet, der hufeisenförmig das Tal der Felsmonumente bildet, die nunmehr
nach der vorherrschend islamischen Ortschaft „Ajanta“ benannt wurden.
131
TRIBUS 58,2009
Abbildung 6
maß der Portikus Bestandteil der Anlage ist.42 Somit lässt sich bereits mit dem ver-
wendeten Grundplan der „Nr. 1“ veranschaulichender mit den heutigen Verhältnis-
sen vor Ort vertraut ist und dazu über genügend Einfluss verfügt, diese Vertrautheit
in gedruckter Form geltend zu machen.43
Vom 23,4 x 29,4 cm (Höhe vor Weite) messenden Foto 1936 des Kataloges von
Bourne & Shepherd zeigt vorliegende Abbildung 7 lediglich einen Ausschnitt. Der
Katalog gibt als Titel der Aufnahme „View of the veranda of Cave 1, looking North“
an,44 gezeigt wird vor allem der nordwestliche, sich an die Veranda anschließende,
mit einem Säulenportal verzierte Raum. Ein Vergleich mit Fotos des 20. Jahrhun-
42 Fergusson / Burgess 1880, Plate XL. Obwohl gerade in japanischen Publikationen zu Ajanta
aktualisierte Grundpläne veröffentlicht wurden (siehe folgende Fußnote) wird dieser Grund-
plan selbst noch von Takata / Omura / Yasuda 2000, Band 2, auf p. 165, links, übernommen!
43 Eine auf den neuesten Stand gebrachte Fassung des Grundplanes ist u.a. folgenden Publika-
tionen zu entnehmen:Takata /Taeda 1971, die Falttafel gegenüber Seite iv am Ende des Bandes;
Sotaro 1985, Textband, p. 133, Abbildung 210.
44 Photographie Views, p. 33.
132
Joachim Bautze: Samuel Bourne und die ihm zugeschriebenen Fotografien
Abbildung 7
derts verdeutlicht, dass das vom Betrachter aus linke oder südwestliche Drittel des
Felsens mit den Figuren in den zwei „Chaitya-Fenstern“ und somit auch ein Teil des
wahrscheinlich narrativen Frieses oberhalb des Raumes mit dem Säulenportal un-
wiederbringlich weg gebrochen ist.45 Die zwei nunmehr nicht mehr vorhandenen
„Chaitya-Fenster“ und den Teil der Geschichte, in der der Bodhisattva Gautama die
„Weltflucht“ vorbereiten könnte - sofern die seit 1880 von Fergusson und Burgess
vorgeschlagene, und seither oft wiederholte Interpretation dieses Teils des narra-
tiven Frieses mit den „vier Ausfahrten“ korrekt ist,46 illustriert noch das Foto von
Samuel Bourne, Abbildung 7.47 Einen besseren Erhaltungszustand dieses Teils der
Anlage bietet ein so genanntes Raumbild von Robert Gill, das aber wegen des
kleineren Formats zu wenig Einzelheiten zu erkennen gibt.48
Wie diese wenigen Beispiele zu zeigen versuchen, sind die von Samuel Bourne
während seiner beiden Aufenthalte in Indien zwischen 1863 und 1870 gemachten
Aufnahmen nicht nur wegen ihrer betont „westlichen“ oder europäischen Ästhetik
von Belang, sondern aufgrund ihrer Datierbarkeit auch für die Archäologie und die
Denkmalpflege des Subkontinentes von bisher unterschätzter und ausschlagge-
bender Bedeutung.
45 Takata /Taeda 1971, Plate 55; Sotaro 1985, Tafelband, Plate 158; Yanagi / Miyaji 1981, Plate
21 [hier wurde versucht, in Umrissen die fehlenden Teile in Kunststein nachzuformen].
Besonders deutlich ist die Bruchstelle in Ghosh 1967, Plate K.
46 „Predictive signs“, siehe Fergusson / Burgess 1880, p. 322. Eine deutsche Übersetzung dieser
Episode aus dem Leben des künftigen Buddha bietet Dutoit 1906, Seiten 18-20.
47 Zu Nahaufnahmen des heute noch existierenden Teiles dieses Reliefs vergl. Yanagi / Miyaji
1981, p. 92, Plate 50.
48 Fergusson / Gill 1864, Plate 38.
133
TRIBUS 58,2009
Zitierte Quellen
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135
Peter Kurzmann: Funktionales islamisches Glas
PETER KURZMANN
Funktionales islamisches Glas im Linden-Museum
Im Rahmen der Arbeit über ein islamisches Glasgefäß im Landesmuseum Württ-
emberg, Stuttgart, wurde ich auf die Glassammlung im Linden-Museum aufmerk-
sam. Diese Sammlung geht auf Altbestände des Hauses sowie Zugänge und Ankäufe
seit den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts zurück. Die etwa 200 im Wesentlichen isla-
mischen (v.a. Iran) und vorislamischen (vorwiegend iranischen, römischen, altägyp-
tischen) Objekte wurden inventarisiert, aber sonst kaum bearbeitet. Lediglich fünf
kamen in die ständige Ausstellung der Orientabteilung; die meisten lagerten im Ma-
gazin. Unter den in die ständige Ausstellung gelangten Teilen fand ich eine Pyxis, ei-
nen Trichter, einen Messkrug und ein Objekt, das ich zunächst als Sublimierhelm
ansprach. Diese letzteren drei Teile gehören mit Sicherheit zu einem Komplex alche-
mistischer Gläser, und es bestand die Hoffnung, dass sich im Magazin weitere Ge-
fäße dieser Art befinden. Die zuständige Kustodin, Frau Dr. A. Krämer, gewährte
mir freundlicherweise den Zugang zum Magazin, und zu meiner Freude fand ich
darin weitere Objekte funktionaler Art, darunter solche, die dem alchemistischen,
medizinischen und pharmazeutischen Umkreis angehören.
Die vorliegende Arbeit befasst sich mit diesen Objekten, die in mein besonderes
Arbeitsgebiet fallen.1
Als besonders interessant erwies sich das oben als Sublimierhelm bezeichneteTeil,
zu dem sich ein zweites, kleineres gesellte. In der Literatur werden diese Helme, wie
sie neutral zu bezeichnen sind, als Destillierhelme oder Schröpfköpfe bezeichnet.
Zwei alchemistische Helme
Abb. la. Großer Helm (Kat.-Nr. 1.)
Höhe 7,5 cm; D max. 7,9 cm; d 0,3 cm
FO: Nischapur. Dat.: 9./10. Jh. n. Chr.
Foto: A. Dreyer, Linden-Museum
V:
Mt
Abb. 1b. Kleiner Helm (Kat.-Nr. 2.)
Höhe 5,8 cm; D max. 5,0 cm; d 0,2-0.3 cm
FO: Nischapur. Dat.: 9./10. Jh. n. Chr.
Foto: A. Dreyer, Linden-Museum
Es handelt sich um unterschiedlich geformte, kuppelförmige Gefäßkörper aus
praktisch farblosem Glas, an die seitlich ein aufwärts weisendes Röhrchen angesetzt
ist. Die Interpretation in der modernen Literatur1 2 als Alembiken, also Destillier-
helme, ist nicht ganz falsch, trifft aber auch nicht den Kern der Sache. Das Gleiche
gilt für die Interpretation als Sublimierhelme.3
1 Für freundliche und geduldige Hilfe bei der Bearbeitung der Objekte danke ich Frau U.
Bohnet M.A. und Frau U. Bunte, Restauratorin, ganz herzlich.
2 Kröger 1995,186-88.
3 Kurzmann 2005.
137
TRIBUS 58,2009
Abbildung 2 zeigt einen „klassischen“ Destillierhelm als Baustein der zugehörigen
Apparatur, einem destillatorium, wie es in der lateinischen Alchemie jahrhunderte-
lang verwendet wurde.
Abb. 2. Eine Destillierapparatur der lateinischen Alchemie (Zeichnung: Autor)
Das zu destillierende Gut wird im Kolben erhitzt. Die aufsteigenden Dämpfe kon-
densieren im Destillierhelm, sammeln sich in der Rinne und fließen durch den
Schnabel in die Vorlage. Wichtig ist, dass der Schnabel abwärts weist, damit das De-
stillat in die Vorlage abfließen kann. Hier liegt der wesentliche Unterschied zu den in
den Abbildungen la, b gezeigten Teilen: Diese besitzen keine Sammelrinne und kei-
nen abwärts weisenden Schnabel. Sie sind zur klassischen Destillation untauglich, es
sind keine Destillierhelme, keine Alembiken im Sinne der lateinischen Alchemie.
Auch die Deutung als Schröpfköpfe4 5 muss als nicht zutreffend bezeichnet werden.
Ein Schröpfkopf ist ein becherförmiges Gefäß, das vor dem Schröpfen über eine Flam-
me gehalten wird. In ihm entsteht dadurch ein luftverdünnter Raum, der beim Aufset-
zen auf die Haut ein Festsaugen bewirkt. Die in den Abbildungen la, b gezeigten
Abb. 3. Schröpfköpfe in einer um 1300 aus dem Arabischen übersetzten Handschrift des
Abu alQäsim (936-1013, bedeutender Arzt arabischer Herkunft in Andalusien), zitiert aus
K. SudhofF.
Gefäße vermögen wegen des seitlich angebrachten Röhrchens kein Vakuum zu hal-
ten (es sei denn, man hält die kleine Öffnung des Röhrchens zu - was nicht sehr
sinnvoll ist) und können sich also zum Schröpfvorgang nicht festsaugen. Die falsche
Deutung als Schröpfköpfe geht augenscheinlich auf eine Miniatur in einer Hand-
schrift aus Bagdad, zitiert aus R. Hasson6, zurück, die in Abbildung 4 gezeigt ist.
4 Hasson 1979,4-5.- Lamm 1935,Taf. 15, A. B. C.
5 Sudhoff 1914,125.
6 Hasson 1979,4-5.
138
Peter Kurzmann: Funktionales islamisches Glas
Abb. 4. Arzt- oder Baderszene:
Das Schröpfen.
Miniatur aus einer Bagdader
Handschrift (datiert 1225-1235)
der Maqämät1 von al-Harirl.
Über dem Kopf des Patienten sind
zwei Gefäße zu sehen, die den in
den Abbildungen la, b gezeigten
gleichen.
Die Abbildung beweist jedoch keineswegs, dass die fraglichen Gefäße dem Schröp-
fen dienten. Es werden lediglich Gefäße gezeigt, die in den Kontext Arzt/Bader ge-
hören. Das Gefäß in der Hand des Arztes/Baders lässt sich leider nicht genau erken-
nen.
Die richtige Interpretation gelingt mit Hilfe des arabischen Manuskriptes des
al-Kindl aus dem 9. Jahrhundert n. Chr.7 8
Der arabische Autor al-Kindi
Die in den Abbildungen 5 und 6 wiedergegebenen Geräteskizzen verdanken wir
dem Philosophen, Naturwissenschaftler, Mathematiker, Arzt und Musiker Abu Yüsuf
Ya'qüb ihn hhäq al-Kindl, geboren um 800 n. Chr. in Kufa, gestorben wohl 873 in Bag-
dad. Er war ein Gegner der Alchemisten, deren Ziele, die Umwandlung von gewöhn-
lichen Steinen in Edelsteine, der unedlen Metalle in Silber und Gold er ablehnte. Er
begab sich dadurch in deutlichen Gegensatz zu ihren Vertretern und wurde noch
nach seinem Tode von dem bedeutendsten arabischen Alchemisten al-Rdzi in einer
Schrift scharf angegriffen. Al-Kindi arbeitete vielmehr u. a. als Pharmakologe, wie wir
heute sagen würden, stellte Parfüms und Heilmittel her. Dabei benutzte er natürlich
alchemistische Arbeitstechniken wie z. B. die Destillation, die Wasserdampf-Destil-
lation, die Sublimation u. a.. Die Schrift al-Kindis zu diesem Arbeitsgebiet, in der die
beiden gezeigten Abbildungen zu finden sind, trägt den Titel „Buch über die Chemie
des Parfüms und die Destillationen“. Sie ist leider nur in einer Abschrift, angefertigt
um 1015 n. Chr., erhalten und behandelt die Darstellung von organischen Präparaten
aus pflanzlichen und tierischen Drogen in 107 Rezepten. Erstaunlicherweise be-
schreibt er auch ohne Skrupel die Verfälschung und Streckung von teuren Präpara-
ten wie Moschus, Kampfer oder Safran durch Ersatz- und Fremdstoffe und gibt auch
7 Die Maqämät sind eine besondere, hoch stehende Gattung der arabischen Literatur, die u. a.
als Übungstexte für die Schulung von Rednern dienten und z. T. auch enzyklopädischen Cha-
rakter besitzen. Die Maqämät von al-Harin (1054-1122, arabischer Dichter und Gramma-
tiker) genossen eine besondere Wertschätzung.
8 Garbers 1948,48-50:93-95.
139
TRIBUS 58,2009
an, dadurch gute Geschäfte gemacht zu haben.9 Aus heutiger Sicht ist das natürlich
Betrug, aber in der damaligen Zeit sah man den Unterschied zwischen Original und
(billiger) Kopie nicht so streng, konnte ihn vielleicht auch nicht so einfach erkennen,
weil die analytischen Methoden hierzu fehlten. Das galt für das Gold- und Silberma-
chen genau so: Als wesentlich wurde zunächst die Farbe des erzeugten „Edelmetalls“
angesehen. Wenn der Kunde zufrieden war und nichts merkte, lag offenbar nichts
Unredliches vor.
Die Rezepte Nr. 79-106 (außer Nr. 84 und 100a) haben das Wort tas'ld im Titel. Sie
beschreiben die Darstellung von Präparaten unter Anwendung der Destillation. Re-
zept Nr. 83 beschreibt eindeutig die Sublimation10 11 von Kampfer, ebenfalls unter der
Bezeichnung tas'ld, in besonderen Apparaturen, auf die hier nicht weiter eingegan-
gen werden soll.
Die Bezeichnung al-tas'ld wird also sowohl für die Destillation als auch für die
Sublimation verwendet. Die Zahl der Destillationen überwiegt bei weitem, was an-
gesichts der geringen Zahl sublimierender Substanzen nicht weiter verwunderlich
ist.
Rezept Nr. 74 erwähnt die Destillation („in Kürbis11 und Alembik im Wasserbad“)
zur Darstellung von Kampferwasser (genau: eines Ersatzproduktes12). Bei der Bear-
beitung dieser Stellen des Manuskriptes wurde die Bedeutung der im Absatz 82 (es
handelt sich nicht um ein eigentliches Rezept) gezeigten Apparatur (vgl. Abbildung
5) klar: Es handelt sich um eine Apparatur zur Wasserdampf-Destillation. Mit dieser
besonderen Destillationstechnik können insbesondere Terpene, die Hauptbestand-
teile der in Pflanzen vorkommenden ätherischen Öle (Duftstoffe), aus dem pflanz-
lichen Trägermaterial gewonnen werden. Sie finden sich z. B. in Eukalyptusöl, Ro-
senöl, Lavendelöl, Zitrusölen, Pfefferminzöl, Terpentin. Auch Kampfer gehört zu
dieser großen Stoffklasse. Die ätherischen Öle sind wichtige und begehrte Bestand-
teile von Parfümen und pharmazeutischen Produkten.
Kampfer zeichnet sich durch einen starken, charakteristischen Geruch aus, war
und ist eine von der Pharmakologie geschätzte Substanz. Er bildet eine farblose,
kristalline Masse, die bereits bei Zimmertemperatur sublimiert. Er ist in Wasser
kaum löslich (1,2 g/1), aber mit Wasserdampf flüchtig (d. h. er wird von Wasserdampf
mitgetragen).
Die geschilderten Eigenschaften des Kampfers ermöglichen seine Gewinnung aus
dem Holz (Rinde, Harz) des Kampferbaumes mit Hilfe der in Abbildung 5 gezeigten
Apparatur von al-Kindl. Das kleingeschnitzelte Holz wird mit Wasser im Kolben (in
der Skizze gezeichnet, aber nicht benannt) im Wasserbad erhitzt. Da der in Wasser
kaum lösliche Kampfer wegen seines erheblichen eigenen Dampfdruckes den
Dampfdruck des Wassers stark erniedrigt, siedet und verdampft das Wasser weit un-
ter 100°C. Das Erwärmen im Wasserbad (dieses verhindert ein Überhitzen der Sub-
stanzen im Kolben) reicht daher aus, um Wasserdampf entstehen zu lassen, der den
Kampferdampf mit sich trägt. Das Dampfgemisch steigt durch Helm und Schnabel
9 Garbers 1948,2-3.
10 Unter Sublimation versteht man das Verhalten einiger Substanzen, die beim Erhitzen, ohne
zu schmelzen, direkt in den Dampfzustand übergehen. Beim Abkühlen geht ihr Dampf direkt
in den festen Zustand über, der flüssige Zustand wird übersprungen. Kampfer ist eine subli-
mierende Substanz.
11 Garbers schreibt „Kürbis“ für den Destillierkolben, lat. cucurbita, arab. qar’a.
12 Rezept Nr. 74 lautet in der Übersetzung von K. Garbers:
74. Ein Rezept für Kampferwasser, das man nicht zurückweisen wird.
Du nimmst Knorren von Holz der Fackelfichte; zerstoße sie wie frische Linsen und nimm
davon 5 Teile; ferner von den Rinden des Weihrauchs, und zwar davon allein, nichts vom Weih-
rauch dazwischen, zerstoße es und nimm davon einen Teil. Mische beides und treibe es in
Kürbis und Alembik hoch im Wasserbad. Es tropft davon ein Kampferwasser ab, in das kein
Parfümeur und auch sonst niemand einen Zweifel setzt. Erprobt.
140
Peter Kurzmann: Funktionales islamisches Glas
Abb. 5. Die Apparatur zur Wasserdampf-Destillation nach al-Kindi
Zeichnung zitiert aus al-Hassan, Hill13. Ergänzung durch Umschrift und Übersetzung:
Autor
auf. Der auf den ersten Blick unsinnig aufwärts gerichtete Schnabel lässt die Haupt-
menge des Wasserdampfes entweichen, während sich der Kampfer in der Vorlage
zusammen mit etwas Wasser fest abscheidet. Das wenige Wasser in der Vorlage ist
unerheblich. Wesentlich ist, dass fester Kampfer gewonnen wird. Bei der Wasser-
dampf-Destillation anderer ätherischer Öle würden sich diese als Schicht auf dem
Wasser in der Vorlage sammeln, da sie spezifisch leichter sind. Es handelt sich also
um eine außerordentlich sinnvoll erdachte Apparatur, vorzugsweise zur Gewinnung
von Kampfer, vielleicht auch von ätherischen Ölen.
Das Rezept Nr. 74 erwähnt Fichtenholz und Weihrauchstrauchrinde, die ebenfalls
Terpene enthalten und bei der Wasserdampf-Destillation ein kampferähnliches Pro-
dukt liefern.
Al-Kindl gibt eine Apparatur wieder, die neben anderen Teilen auch das fragliche
Glasgefäß umfasst. Besonders wertvoll ist die Skizze weiterhin dadurch, dass sie die
arabischen Bezeichnungen aller Komponenten enthält. Abbildung 5 zeigt sie mit den
originalen arabischen Beschriftungen, ergänzt um die Umschrift in lateinischen
Buchstaben und die deutschen Übersetzungen.
13 al-Hassan, Hill 1986,138.
141
TRI BUS 58,2009
Die Bezeichnung des Helmes mit dem aufwärts weisenden Schnabel als al-anblq
bei dieser eigentlich für die Destillation ungeeigneten Apparatur ist besonders inte-
ressant. Beim Destillieren in dieser Apparatur würde das Destillat höchstens zu
einem ganz geringen Teil in der Vorlage aufgefangen, wie ein Vergleich mit der in
Abbildung 2 gezeigten Destillierapparatur zeigt.
Natürlich kann die Wasserdampf-Destillation auch in einer „normalen“ Destillier-
apparatur (wie in Abbildung 2 gezeigt) durchgeführt werden; das gewünschte Destil-
lat, das ätherische Öl, muss dann von einer größeren Wassermenge dekantiert (abge-
gossen) werden.
Im gleichen Manuskript zeigt al-Kindl noch die in Abbildung 6 wiedergegebene
Apparatur. Auch hier wird der Helm mit al-anblq bezeichnet, sein Schnabel weist
jedoch nach unten, und der Helm besitzt eine Sammelrinne. Diese Apparatur ent-
spricht völlig der in Abbildung 2 gezeigten Destillierapparatur, wenn man von den
geringen Verzeichnungen bei Schnabel und Vorlage absieht.
Abb. 6. Destillierapparatur nach al-Kindl
Zeichnung zitiert aus al-Hassan, Hill14, Ergänzung durch Umschrift und Übersetzung:
Autor
Als erstaunliches Ergebnis der Betrachtung der beiden Skizzen von al-Kindl bleibt
also festzuhalten, dass die in ihrer Funktion verschiedenen Helme mit abwärts und
aufwärts weisenden Schnäbeln mit der gleichen Bezeichnung al-anblq benannt wer-
den. Ferner bleibt festzuhalten, dass Destillation, Wasserdampf-Destillation und
Sublimation von al-Kindl unter der gleichen Bezeichnung al-tas'ld geführt werden.
Man darf nicht die heutigen streng definierten und unterschiedenen Begriffe in das
9. Jahrhundert projizieren.
Noch eine Anmerkung zu Abbildung 6: Die Vorlage zeigt die für islamische Glas-
flaschen typische Einschnürung zwischen Hals und Flaschenkörper. Auf weitere Ein-
zelheiten, insbesondere die Bedeutung der zwei Bezeichnungen für Ofen, wird hier
nicht weiter eingegangen. Sie werden Gegenstand einer Betrachtung an anderer
Stelle werden.
14 al-Hassan, Hill a. a. O.
142
Peter Kurzmann: Funktionales islamisches Glas
Die lateinische Alchemie, deren Beginn etwa im 12. Jahrhundert anzusetzen ist,
übernahm nicht nur Bezeichnungen und Stoffkenntnisse von der arabischen Alche-
mie, sondern auch Geräteformen. Zwei in einem lateinischen Manuskript des 14. Jahr-
hunderts15 gezeigte Geräte gehen vielleicht auf die in den Abbildungen la und 1b
gezeigten Helme zurück. Der Trichter (Kat.-Nr. 4) hat sicherlich eine noch längere
Geschichte hinter sich. Diese Zusammenhänge lassen sich jedoch nicht beweisen, son-
dern nur vermuten. Die arabische Alchemie übernahm vieles von der griechischen
Alchemie, verarbeitete und gab es an die lateinische Alchemie weiter. Am Beispiel
des Wortes al-anbiq (Plural al-anäbiq) lässt sich dieser Vorgang gut zeigen: es ist nicht
arabischen Ursprungs. Es geht vielmehr auf das Griechische zurück, wurde von der
arabischen Alchemie übernommen, und die lateinische Alchemie übernahm es ihrer-
seits. Als Alembik existiert das Wort bis heute, das Gerät war noch in Laboratorien des
19. Jahrhunderts in Gebrauch. Tabelle 1 zeigt den Vorgang in einer Übersicht.
6 äfdßiKog ho ambikos Griechische Alchemie ab ca. 1. Jh. n. Chr.
(Jüul) y I al-anbiq Arabische Alchemie ab ca. 8. Jh. n. Chr. (2. Jh. n. d. H.)
alanbic alembicus Lateinische Alchemie ab ca. 12. Jh, n. Chr.
Alembik Chemie ab ca. 18. Jh. n. Chr.
Tab. 1. Etymologische Entwicklung des Wortes al-anbiq
Bemerkenswert ist noch, dass anäbiq, wie von al-Kindi beschrieben, im Orient rela-
tiv häufig gefunden wurden und in Museen gezeigt werden. Es hat den Anschein,
dass die Gewinnung von Duftstoffen aus pflanzlichen Stoffen weit verbreitet und
nicht nur auf alchemistische Laboratorien beschränkt war, sondern auch z. B. in ge-
hobenen Haushalten durchgeführt wurde. Die Entwicklung einer speziell für die
Kampfergewinnung geeigneten Apparatur zeigt, dass diese Substanz eine besondere
Wertschätzung genoss.
Mit dieser Feststellung soll die Behandlung der Helme abgeschlossen werden. Es
gibt in der Sammlung des Linden-Museums noch weitere, jedoch nicht so spektaku-
läre Gefäße mit einem alchemistischen/medizinischen/pharmazeutischen Hinter-
grund, die im Folgenden behandelt werden sollen.
Interessant ist ein kleines, röhrenförmiges Gefäß (Kat.-Nr. 3.), das ich ohne Zögern
als Reagenzglas anspreche. Wegen seines extrem guten Erhaltungszustandes beste-
hen allerdings erhebliche Zweifel an einer mittelalterlichen Datierung; es dürfte
vielmehr rezenten Ursprungs sein.
Der Trichter (Kat.-Nr. 4.) ist ein Durchläufer durch die Jahrhunderte, sogar durch
die Jahrtausende. Er ist ein Gerät, das ebenso im Haushalt wie im Laboratorium
Anwendung fand.
Der Messkrug (Kat.-Nr. 5) ist ein Gefäß (vielleicht ebenfalls aus Küche und Labo-
ratorium), das in dieser Form für eine Reihe von ähnlichen Objekten aus Ägypten
typisch ist. Durch Auslitern mit Wasser konnte das Volumen bestimmt werden, das
vermutlich mit Hilfe dieses Kruges abgemessen wurde; 1 kleiner qadah, ein ägyp-
tisches Volumenmaß, das 94 ml entspricht.16
Mörser (Kat.-Nr. 6) und Pistill (Kat.-Nr. 7) sind Geräte, die sicher sowohl in der
Küche als auch im Laboratorium Anwendung fanden.
15 Kurzmann 2005.
16 Trapp 1998,223.
143
TR1BUS 58,2009
Das Urinierröhrchen (Kat.-Nr. 8) ist ein uns fremdartig erscheinendes Gerät der
Kinderpflege, das mehr dem medizinischen als dem alchemistischen Bereich ange-
hört. Es ist als sicher identifiziert zu betrachten, da hölzerne Parallelen aus einem
rezenten Babypflegekomplex vorliegen und in der ständigen Ausstellung gezeigt
werden.17 Die gelegentliche Ansprache als Schröpfgefäße18 ist sicher falsch.
Tintenfass (Kat.-Nr. 9) und Wasserpfeifengefäß (Kat.-Nr. 10) sprechen für sich.
Das kleine zoomorphe Gefäß (Kat.-Nr. 15) fand vermutlich Verwendung als deko-
rativer Behälter für Saucen, Essig, Öl o. ä. Flüssigkeiten bei Tisch, vielleicht auch für
Parfüms.
Beispielhaft werden noch vier Fläschchen (Kat.-Nr. 11. 12. 13. 14) vorgestellt, die
wohl als dekorative, repräsentative Behältnisse für Parfüms dienten und daher im wei-
testen Sinne auch zum hier behandelten Komplex der funktionalen Gefäße gehören.
Damit schließt die Vorstellung der funktionalen Glasgefäße aus der noch weitge-
hend im Verborgenen existierenden Sammlung. Die weitaus wichtigsten Objekte
sind die beiden alchemistischen Helme, die wesentliche Rückschlüsse auf die prak-
tische Seite der arabischen Alchemie erlaubten.
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al-Hassan, Hill 1986
A. al-Hassan. D. R. Hill, Islamic Technology (Cambridge 1986).
Hasson 1979
R. Hasson. Early Islamic Glass (Jerusalem 1979).
Kröger 1984
J. Kröger. Glas. Band 1. Berlin, Staatliche Museen Preussischer Kulturbesitz, Mu-
seum für Islamische Kunst, in: K. Brisch (Hrsg.), Islamische Kunst, Loseblattsamm-
lung unpublizierter Werke aus deutschen Museen (Mainz 1984).
Kröger 1995
J. Kröger. Nishapur. Glass of the Early Islamic Period (New York 1995).
Kurzmann 2005
P. Kurzmann. Ein Manuskript mit Zeichnungen und Benennungen alchemistischer
Geräte aus dem 14. Jahrhundert, Sudhoffs Archiv 89,2005,151-69.
Lamm 1930/1929
C. J. Lamm. Mittelalterliche Gläser und Steinschnittarbeiten aus dem Nahen Os-
ten, I Text (Berlin 1930); II Abbildungen (Berlin 1929).
Lamm 1935
C. J. Lamm. Glass from Iran in the National Museum Stockholm (Stockholm 1935).
Sudhoff 1914
K. Sudhoff. Beiträge zur Geschichte der Chirurgie im Mittelalter 1 (Leipzig 1914),
II (Leipzig 1918).
Trapp 1998
W. Trapp. Kleines Handbuch der Maße, Zahlen, Gewichte und der Zeitrechnung
(Köln 1998).
17 Ich danke der Rcstauratorin des Museums, Frau U. Bunte, dass sie mich auf diesen Komplex
aufmerksam machte.
18 Kröger 1984,17-18.
144
Peter Kurzmann: Funktionales islamisches Glas
Einige Bemerkungen zur Kunst der Glasbläser,
ihren Geräten und Arbeitsweisen
Die wichtigsten Geräte, die z. T. seit Jahrtausenden benutzt werden, sind
• die Glasbläserpfeife, im Wesentlichen ein eisernes Rohr
• das Pontil oder Hefteisen, im Wesentlichen eine eiserne Stange
• zangenähnliche Werkzeuge zum Zusammendrücken, Aufweiten, Prägen
• eine Schere
• Holzspatel
Der Glasbläser nimmt mit der vorne glühenden Pfeife einen Glasposten aus dem
Glashafen und bläst ihn zunächst zu einem kleinen länglichen Ballon, dem Kölbel,
auf. Der Kölbel wird dann nach erneutem Erwärmen entweder frei weiter oder in
einer Form aufgeblasen. Die Form kann einteilig oder für hinterschnittene Gefäße
mehrteilig sein. Der aufgeblasene Kölbel wird mit Hilfe der Werkzeuge weiter ge-
formt, z. B. zu einer Flasche. Zur Bearbeitung des an der Pfeife haftenden Teiles (der
späteren Mündung) wird das an der Spitze glühende und einen kleinen Glasposten
tragende Pontil an den Boden geheftet. Am Pfeifenende wird das Glas mit einem
nassen Holz abgesprengt. Mit Hilfe der Werkzeuge wird nun der Mündungsbereich
geformt. Zum Schluss wird das Gefäß von einem durch die Mündung gesteckten
Werkzeug gehalten und das Pontil abgesprengt; am Gefäßboden verbleibt eine raue
Glasstelle, der Pontilansatz oder die Heftnarbe. Das heiße Glas muss sehr langsam
abgekühlt werden, da es sonst innere Spannungen aufbaut, die beim Gebrauch zu
Sprüngen führen.
Als Dekor dienen aufgeschmolzene Glasfäden oder Nuppen, ggf. verschieden ge-
färbt, oder mit einer rotierenden Schleifscheibe aufgebrachte Flächenschliffe oder
Kerben.
Literatur
P. Kurzmann. Mittelalterliche Glastechnologie (Frankfurt/M 20Ü4).
TRIBUS 58,2009
KATALOG
Großer Helm
Kleiner Helm
Reagenzglas
Trichter
Messkrug
Mörser
Pistill
Urinierröhrchen
Tintenfass
Wasserpfeifengefäß
Backenzahnfläschchen
Kugelfläschchen
Vierkantfläschchen
Zylindrische Flasche
Zoomorphes Gefäß
alle Fotos: A. Dreyer
Abkürzungen
D: Durchmesser
Max. D: Maximaler Durchmesser
L; Länge
H: Höhe
B: Breite
d: Wandstärke
FO; Fundort oder Herkunft
Dat.: Datierung
146
Peter Kurzmann: Funktionales islamisches Glas
Kat.-Nr. 1. Großer Helm zur Wasserdampfdestillation
Inv.-Nr. A 35.984 L
H 7,5 cm; max. D 7,9 cm; d 0,3 cm
Farbloses Glas
Herstellung: frei geblasen und zusammengesetzt. Pontilansatz deutlich er-
kennbar.
FO: Nischapur
Datierung: 9./10. Jh. n. Chr.
Zustand: fragmentiert, vollständig zusammengesetzt und geklebt. Mündung
des Schnabels leicht bestoßen. Korrodiert, starke Iris.
Der glockenförmige Körper besitzt ein an den Mantel angesetztes, nach oben
gebogenes, sich zur Mündung hin zunächst verjüngendes, am Ende jedoch
trompetenförmig aufgeweitetes Glasrohr, den Schnabel (al-ihlil).
Das Objekt stellt den Helm (al-anbiq) einer Apparatur zur Wasserdampfde-
stillation dar, wie sie im Manuskript von al-Kindi erkannt wurde.
In der Literatur finden sich Deutungen als Destillierhelm bzw. Sublimier-
helm. Beide Deutungen sind nicht ganz falsch, wenn sie auch nicht den Kern
der Sache treffen. Völlig abzulehnen ist die Deutung als Schröpfgefäß, da sich
wegen der Öffnung im Schnabel kein Vakuum einstellen kann.
Literatur
Ya'qüb b. ishäq al-kindl, kitäb klmiya al-'itr wat-tas'ldät (/. ihn I. al-Kindi. Buch über die
Chemie des Parfüms und die Destillationen), übersetzt von K. Garbers (Leipzig
1948), arab. 48-50 bzw. dt. 93-95.
A. Y. al-Hassan, D. R. Hill. Islamic Technology (Cambridge 1986) 138.
R. Hasson. Early Islamic Glass (Jerusalem 1979) 4-5.
J. Kröger. Nishapur. Glass of the Early Islamic Period (New York 1995) 186-88.
P. Kurzmann. Neues über die Destillation im Mittelalter, ZAM Zeitschrift für Archä-
ologie des Mittelalters 35,2007,87-100.
C. J. Lamm. Mittelalterliche Gläser und Steinschnittarbeiten aus dem Nahen Osten
(I. Text Berlin 1930; II. Abbildungen Berlin 1929) I. 28,16; 33,13.14; II. Taf. 1,16; 2,
13.14.
C. J. Lamm. Glass from Iran in the National Museum Stockholm (Stockholm 1935)
Taf. 15, A. B. C.
147
Kat.-Nr. 2. Kleiner Helm zur Wasserdampfdestillation
Inv.-Nr.A 31.268
H 5,8 cm; max. D 5,0 cm; d 0,2 cm
Hellgrünes Glas
Herstellung: frei geblasen und zusammengesetzt. Pontilansatz erkennbar.
FO; Nischapur
Datierung: 9./10. Jh. n. Chr.
Zustand: fragmentiert, vollständig zusammengesetzt und geklebt. Mündung
des Schnabels leicht bestoßen. Stark korrodiert, starke Iris.
Der glockenförmige Körper besitzt ein an den Mantel angesetztes, nach oben
gebogenes, sich zur Mündung hin verjüngendes Glasrohr, den Schnabel ('al-ihlil).
Das Objekt stellt den Helm (al-anbiq) einer Apparatur zur Wasserdampfdes-
tillation dar, wie sie im Manuskript von al-Kindl erkannt wurde.
In der Literatur finden sich Deutungen als Destillierhelm bzw. Sublimier-
helm. Beide Deutungen sind nicht ganz falsch, wenn sie auch nicht den Kern
der Sache treffen. Völlig abzulehnen ist die Deutung als Schröpfgefäß, da sich
wegen der Öffnung im Schnabel kein Vakuum einstellen kann.
Literatur
Ya'qüb b. ishäq al-kindi, kitäb kimiya al-'itr wat-tas'idät (J. ihn 1. al-Kindt, Buch über die
Chemie des Parfüms und die Destillationen), übersetzt von K. Garbers (Leipzig
1948) arab. 48-50 bzw. dt. 93-95.
A. Y. al-Hassan, D. R. Hill. Islamic Technology (Cambridge 1986) 138.
R. Hasson. Early Islamic Glass (Jerusalem 1979) 4-5.
J. Kröger. Nishapur. Glass of the Early Islamic Period (New York 1995) 186-88.
P. Kurzmann. Neues über die Destillation im Mittelalter, ZAM Zeitschrift für Archä-
ologie des Mittelalters 35,2007,87-100.
C. J. Lamm. Mittelalterliche Gläser und Steinschnittarbeiten aus dem Nahen Osten
(I. Text Berlin 1930; II. Abbildungen Berlin 1929) I. 28,16; 33,13.14; II. Taf. 1,16; 2,
13.14.
C. J. Lamm. Glass from Iran in the National Museum Stockholm (Stockholm 1935)
Taf. 15, A. B. C.
148
Peter Kurzmann: Funktionales islamisches Glas
Kat.-Nr. 3. Reagenzglas
Inv.-Nr. 079557
L 17,3 cm; D 1,8 cm; d 0,2-0,3 cm
Leicht grünliches, sehr blasiges Glas
Herstellung: frei geblasen, Pontilansatz deutlich erkennbar
FO: Palästina
Datierung: vermutlich 19. Jh. n. Chr.
Zustand; völlig intakt, keine Korrosion
Ein röhrenförmiges Gefäß mit verdicktem Boden und stark verschmolzener
Mündung, interpretiert als Reagenzglas (unbüh ihtibär).
Ein analoges Gefäß ist aus einem lateinischen, in das 14. Jahrhundert n. Chr.
datierten Manuskript bekannt, leider ohne Maße. Es handelt sich also um
eine alte Form.
Lesung Übersetzung
infundibulum est calamus Eine Gieße ist ein Rohr
vel vas ad modum calami oder Gefäß in der Art eines Rohres
Beide Gefäße erinnern stark an rezente Reagenzgläser, die also auf eine lange
Geschichte zurückblicken. Auch hier zeigt sich wieder die altbekannte Tatsache, dass
bewährte funktionale Gefäße (und Geräte) Durchläufer über Jahrhunderte hinweg
sind. Ihre Datierung ohne Kontext ist daher äußerst schwierig und unsicher.
Rezentes Reagenzglas. L 18,3 cm; D 1,8 cm (Foto: Autor)
Literatur
P. Kurzmann. Ein Manuskript mit Zeichnungen und Benennungen alchemistischer
Geräte aus dem 14. Jahrhundert, Sudhoffs Archiv 89,2005,151-69.
149
TRIBUS 58,2009
Kaf.-Nr. 4. Trichter
Inv.-Nr. А 35.983 L
H 10,5 cm; max. D 6,3 cm; d 0,l-0,2 cm; L Rohr 7 cm
Farbloses Glas
Herstellung: frei geblasen und geformt
FO: Nischapur
Datierung: 9./10. oder 12./13. Jh. n. Chr.
Zustand; völlig intakt, stark korrodiert und irisierend
Halbkugeliger Trichter (qam0 mit etwas geknickter Wandung. Rohr direkt
angeformt mit gerade abgeschnittener Mündung. Es handelt sich um eine
alte Form, die später von zylindrischen (Steilwand-) oder kegeligen Formen
abgelöst wurde.
150
Peter Kurzmann: Funktionales islamisches Glas
Kat.-Nr. 5. Messkrug
Inv.-Nr. A 35.982 L
H 9,5 cm; unterer D 5,9 cm; oberer D 3,3 cm; d 0,4 cm. Henkel in der Mitte
rund D 1,0 cm.
Leicht olivgrünes Glas, irisierend. Pontilansatz erkennbar. Nur wenige Gas-
blasen.
Herstellung: frei geblasen und geformt, Henkel flach gedrückt angesetzt.
FO: Nischapur
Datierung; 11./12. Jh. n. Chr.
Zustand; fragmentiert, vollständig zusammengesetzt und geklebt.
Das Gefäß wird als Messkrug interpretiert. Es besitzt die Form eines schiefen
Kegelstumpfes mit angesetztem großen Henkel.
Sein Volumen wurde durch Wasserwägung bestimmt. Es beträgt bis zum obe-
ren Rand 106 ml. Es könnte sich also um das Messgefäß für das ägyptische
Volumenmaß 1 kleiner qadah — 94 ml handeln. Eine Markierung oder ein
Siegel ist auf dem Gefäß jedoch nicht festzustellen.
C. J. Lamm beschreibt zwei solcher Gefäße aus grünlichem Glas, die in Fustät,
Ägypten, gefunden wurden und „gegen 800 n. Chr.“ datiert werden.
Literatur
C. J. Lamm. Mittelalterliche Gläser und Steinschnittarbeiten aus dem Nahen Osten
(I. Text Berlin 1930; II. Abbildungen Berlin 1929) I 65,21.23; II Taf. 15,21.23.
W. Trapp. Kleines Handbuch der Maße, Zahlen, Gewichte und der Zeitrechnung
(Köln 1998) 223.
TR1BUS 58,2009
Kat.-Nr. 6. Mörser
Inv.-Nr.A 31.269
H 3,1 cm; max. D 4,4 cm; d ca. 0,2 cm
Leicht grünliches Glas, stark korrodiert und irisierend
Herstellung: frei geblasen, Rand umgelegt. Pontilansatz erkennbar, verschliffen
FO: Iran
Datierung: 9./10. Jh. n. Chr.
Zustand; fragmentiert, vollständig zusammengesetzt und geklebt
Kleine halbkugelige Schale mit geknickter Wandung und abgesetztem Fuß.
Die geknickte Wandung und die relativ geringe Wandstärke führen zu einer
gewissen Unsicherheit bei der Deutung. Aus der arabischen Literatur ist die
Bezeichnung für einen gläsernen Mörser (häwün zugäg) bekannt. Ein dazu
passendes Pistill ist leider nicht erhalten. Die geringe Größe kann mit der
Verwendung zum Verreiben teurer Substanzen, z.B. Safran, erklärt werden.
152
Peter Kurzmann: Funktionales islamisches Glas
Kat.-Nr. 7. Pistill
Inv.-Nr. A 35.986 L
H 9,2 cm; max. D 7,3 cm
Schmutzig-grünes Glas mit roten Schlieren und cremefarbenen Einspren-
gungen
Herstellung: vermutlich durch Gießen und Pressen in eine oberhalb der kon-
vexen Unterseite horizontal zweigeteilte Form, Auflegen und Kerben eines
dicken Glasfadens am oberen Ende des Griffes. Das leicht überstehende zy-
lindrische Ende wurde grob beschliffen.
FO: Nischapur
Datierung; 9./10. Jh. n. Chr.
Zustand: drei Ausbrüche am Rand, oberes Ende etwas bestoßen, sonst gut
erhalten. Praktisch keine Korrosion. Die konvexe Unterseite zeigt Reib-
spuren.
Massives stempelförmiges Teil mit leicht konvexer Unterseite. Am oberen
Ende des Griffes Auflage eines dicken Glasfadens gleicher Farbe in einer
Windung, die durch Eindrücken mit einem Werkzeug achtmal grob gekerbt
wurde.
Es handelt sich um ein grob gearbeitetes Pistill (ßhr), das zum Verreiben von
Substanzen auf einer ebenen Platte, vermutlich ebenfalls aus Glas (aus der
arabischen Literatur bekannt als saläyat zugäg), oder einem ebenen Reibstein
(siläya), dient. Diese Platte liegt leider nicht vor.
Kat.-Nr. 8. Urinier-Röhrchen
Inv.-Nr. A 35.985 L
L 16.8 cm; Öffnung 5,1 x 2.6 cm, grünliches Glas, kaum korrodiert
Herstellung: ein Glasrohr wurde an einem Ende verschlossen, aufgeblasen,
geschlitzt und geformt
FO: Nischapur, Datierung: 9./10. Jh. n. Chr. (?)
Zustand: 4,3 cm des Rohrendes ergänzt, sonst vollständig erhalten. Die ge-
ringe Korrosion lässt Zweifel an der frühen Datierung aufkommen.
Das Objekt besitzt eine pfeifenähnliche Form: links eine etwa rechteckige
Öffnung, rechts ein glattes Rohr.
Bei diesem Objekt handelt es sich um ein medizinisches Gerät der Kinder-
pflege, das die Urinabnahme bei weiblichen Babies, die im Babybettchen
fixiert sind, erlaubt.
Diese zunächst befremdende Deutung des Objektes (jedoch bereits von
Lamm vertreten) wird bestätigt durch den Erwerb eines rezenten Ensembles
aus Afghanistan, den das Linden-Museum verzeichnen konnte: Ein Baby-
bettchen, ein hölzernes Töpfchen und zwei hölzerne Röhrchen, eines für
Mädchen, eines für Jungen, entsprechend den jeweiligen anatomischen Ge-
gebenheiten geformt. Die Abbildung zeigt die Röhrchen. Ähnliche Röhrchen
werden noch heute verwendet.1
Röhrchen
für Mädchen
L21,3 cm; Öffnung 3,6 x 1,2 cm
für Jungen
L 19,9 cm; Öffnung D 1,9 cm
nochmals das oben abgebildete
Glasröhrchen
(Foto: Autor)
In der Literatur anzutreffende Deutungen als Schröpfgefäße sind nicht richtig, da
das offene Ende des Röhrchens nicht die Ausbildung des erforderlichen Vakuums
erlaubt.
Literatur
J. Kröger. Glas. Band 1. Berlin, Staatliche Museen Preussischer Kulturbesitz, Muse-
um für Islamische Kunst, in: K. Brisch (Hrsg.), Islamische Kunst, Loseblattsammlung
unpublizierter Werke aus deutschen Museen (Mainz 1984) 17-18.
C. J. Lamm. Mittelalterliche Gläser und Steinschnittarbeiten aus dem Nahen Osten
(I.Text Berlin 1930; II. Abbildungen Berlin 1929) 1.29,18; II.Tat 1,18.
1 Freundlicher Hinweis von Prof. Dr. J. Kalter
154
Peter Kurzmann: Funktionales islamisches Glas
Kat.-Nr. 9. Tintenfass
Inv.-Nr.A 35.197 L
H 6,7 cm; max. D 7.8 cm
Grünes Glas, dünner blauer Glasfaden
Herstellung: formgeblasen und bearbeitet. Einsatz und Ösen ein- bzw. ange-
schmolzen. An den Rändern des Einsatzes und der Ösen wurde ein dünner
blauer Glasfaden tief eingeschmolzen. Fuß angeformt. Pontilansatz erkenn-
bar, verschliffen.
FO: Ghazni, Afghanistan
Datierung; 12./13. Jh. n. Chr.
Zustand: vollständig erhalten, nur leichte Korrosion, durch Lehm ver-
schmutzt.
Es handelt sich um ein schweres, stark ausgebauchtes Gefäß mit einem ange-
formten Fuß und einer weiten Mündung, über der eine Platte mit einem nach
innen weisenden Zylinder (ca. 3 cm tief) angeschmolzen ist. Auf der Gefäß-
schulter sind vier kleine bandförmige Ösen angesetzt. Sie stehen sich paar-
weise diagonal gegenüber; die Verbindungslinien bilden einen spitzen Winkel
von ca. 55°. Der Gefäßkörper besitzt einen Dekor aus drei übereinander auf
Lücke angeordneten Reihen von Ringen mit einem zentralen Punkt.
Das Tintenfass wurde mit Schnüren an der Seite des Schreibpultes aufge-
hängt.
Literatur
St. Carboni, D. Whitehouse. Glass of the Sultans, Katalog der Ausstellung New York
2001/2002 und Athen 2002 (New York 2001) 79.
TRIBUS 58,2009
Kat.-Nr. 10. Wasserpfeifengefäß
Inv.-Nr. A 35.995 L
H 16,4 cm; max. D 15,1 cm, Mündung D 4,7 cm
Farbloses Glas, kalt bemalt
Herstellung: frei geblasen und bearbeitet, leicht kegelförmiger Hals zu einem
Kropf gestaucht. Pontilansatz deutlich erkennbar.
FO: Indien, wahrscheinlich Import aus Europa (Frankreich)
Datierung: Mogulzeit 18. Jh. n. Chr.
Zustand: völlig intakt ohne Korrosion. Kaltbemalung stellenweise abgerieben.
Die Kugelflasche stellt das Gefäß einer Wasserpfeife (urdu: huqqah) dar; es
besitzt einen leicht kegelförmigen Hals, der etwa auf 1/3 seiner Höhe zu
einem Kropf gestaucht ist. Das Objekt ist mit Blüten in den Farben rosa, rot
und gold, hellgrünem Rankenwerk mit großen Blättern sowie goldfarbenen
Ringen dekoriert. Die Blüten sind in fünf Ringen um Bauch, Schulter und
Hals angeordnet. Der Kropf ist golden gefasst, der Hals trägt am Übergang
zum Flaschenkörper einen hellgrünen Ring.
Literatur
St. Carboni, D. Whitehouse. Glass of the Sultans, Katalog der Ausstellung New York
2001/2002 und Athen 2002 (New York 2001) 282-85.
Peter Kurzmann: Funktionales islamisches Glas
Kat.-Nr. 11. Backenzahnfläschchen
Inv.-Nr. A 33.572 L
H 6,9 cm; Kantenbreite 2,1 cm; d 0,3 cm
Farbloses Glas
Herstellung; in Form geblasen und dekorativ beschliffen. Pontilansatz kaum
erkennbar, weil verschliffen.
FO: Nischapur
Datierung: 9./10. Jh. n. Chr.
Zustand: drei Füßchen abgebrochen und verloren, zwei provisorisch ersetzt.
Leicht korrodiert.
Das Fläschchen mit seiner sehr eigenartigen Form, die an einen Molar erin-
nert, besitzt einen Körper mit quadratischem Querschnitt und gerundeten
Kanten. Es steht auf vier Füßchen, sein kegelförmiger Hals ist sechskantig
beschliffen. Der Dekor besteht aus horizontal eingeschliffenen tiefen Kerben.
Es diente vermutlich als dekorativer Behälter für ein teures Parfüm.
Literatur
St. Carboni, D. Whitehouse. Glass of the Sultans, Katalog der Ausstellung New York
2001/2002 und Athen 2002 (New York 2001) 153.
157
TRIBUS 58,2009
Kat.-Nr. 12. Kugelfläschchen
Inv.-Nr.A 31.265
H 4,3 cm; max. D 3,1 cm; d 0,3 cm
Farbloses Glas
Herstellung: frei geblasen, Schliffdekor. Pontilansatz erkennbar, verschliffen.
FO: Nischapur
Datierung: 9./10. Jh.
Zustand: vollständig intakt bis auf einen kleinen Ausbruch an der Mündung,
stark korrodiert und irisierend
Das fast kugelförmige Fläschchen besitzt einen kurzen zylindrischen Hals.
Der Dekor besteht aus acht größeren und acht kleineren elliptisch einge-
schliffenen Flächen, die in jeweils einer Reihe auf dem Gefäßkörper ange-
ordnet sind.
Es diente vermutlich als dekorativer Behälter für ein teures Parfüm.
158
Peter Kurzmann: Funktionales islamisches Glas
Kat.-Nr. 13. Vierkantfläschchen
Inv.-Nr.A 31.266
H 5,3 cm; Kante B 2,0 cm; d 0,2 cm
Farbloses Glas
Herstellung: formgeblasen und bearbeitet. Pontilansatz erkennbar und ver-
schliffen.
FO: Nischapur
Datierung: 9./10. Jh. n. Chr.
Zustand: vollständig erhalten, stark korrodiert und irisierend
Das Fläschchen besitzt vier abgeflachte Seiten, stark gerundete Kanten sowie
einen kegelförmigen Hals.
Es diente vermutlich als dekorativer Behälter für ein teures Parfüm.
159
TRIBUS 58,2009
Kat.-Nr. 14. Zylindrische Flasche
Inv.-Nr.A 35.980 L
H 13,7 cm; max. D 8,4 cm; d 0,4-0,6 cm
Farbloses Glas
Flerstellung: frei geblasen und geformt. Pontilansatz erkennbar.
FO: Nischapur
Datierung: 9./10. Jh. n. Chr.
Zustand: vollständig erhalten, starke blaugrüne Iris.
Die Flasche trägt ein Schliffdekor aus kleinen, auf dem Bauch in vier Reihen
horizontal und auf der Schulter in einer Reihe schräg angeordneten ellip-
tischen Flächen. Am deutlich kegelförmigen Hals sind vier senkrechte Strei-
fen grob eingeschliffen.
Die Flasche mag einem dekorativen und praktischen Zweck, z. B. am Tisch,
gedient haben.
160
Kat.-Nr. 15. Zoomorphes Gefäß
Inv.-Nr.A 31.712 L
H über alles 9,0 cm; L in horizontaler Projektion über alles 14 cm;
Bauch D 5,7 cm
Farbloses und blaugrünes Glas
Herstellung: frei geblasen und geformt, Ohren, Halsring, Griff, Füße und
Schwanz (als Nuppe, verdeckt den Pontilansatz) angesetzt
FO: Nischapur
Datierung: 11 ./12. Jh. n. Chr.
Zustand: fragmentiert, vollständig zusammengesetzt und geklebt. Irisierend.
Das Gefäß in der Gestalt eines kleinen Tieres mit langem Hals, großen Ohren
und einem als trichterförmige Öffnung ausgebildeten Kopf könnte als Tisch-
gefäß für eine Sauce, Essig, Öl o. ä. gedient haben. Eine Verwendung als Par-
fümgefäß ist wegen der schlechten Verschlussmöglichkeit weniger wahr-
scheinlich. Für ein Aquamanile ist es zu klein.
Literatur
St. Carboni, D. Whitehouse. Glass of the Sultans, Katalog der Ausstellung New York
2001/2002 und Athen 2002 (New York 2001) 112-13.118-19.
F. Kußmaul. Das Tier in der Kunst Irans, Katalog Ausstellung Linden-Museum Stutt-
gart 1972, Kat.-Nr. 149.
161
Buchbesprechungen Allgemein
Buchbesprechungen Allgemein
Artur Simon:
Ethnomusikologie. Aspekte, Methoden und
Ziele. Mit Bildern und Notenbeispielen. Berlin:
Simon Verlag für Bibliothekswissenschaften,
2008.127 Seiten.
ISBN 978-3-940862-07-5
Artur Simon kann auf mehrere Jahrzehnte musikethnolo-
gischer Arbeit zurückblicken. Nach einen Studium der
Musikwissenschaft (Vergleichende Musikwissenschaft,
Systematische Musikwissenschaft) und Völkerkunde
übernahm er 1972 die Leitung der Abteilung Musikethno-
logie am damaligen Museum für Völkerkunde der Stif-
tung Preußischer Kulturbesitz. Während dieser Zeit
prägte er das Fach in Deutschland nachhaltig. Aus seinen
zahlreichen Publikationen ist vor allem sein umfang-
reicher Aufsatz „Probleme, Methoden und Ziele der Mu-
sikethnologie“ von 1979 heraus zu heben, der internatio-
nal Anerkennung und Verbreitung fand und noch immer
in der Lehre als theoretische Einführung genutzt wird.
Die hier vorliegende Publikation erweitert diesen Artikel
beträchtlich und bringt ihn auf den Stand der Zeit.
Simon beginnt mit wissenschaftsgeschichtlichen As-
pekten, dabei stehen selbstverständlich die Anfänge der
Erforschung außereuropäischer Musikkulturen in Berlin
durch den Psychologen und Naturwissenschaftler Carl
Stumpf und dessen Assistent Erich Moritz von Hornbo-
stel im Vordergrund. Die von ihnen durchgeführten Auf-
nahmen führten schließlich 1903 zur Gründung des Berli-
ner Phonogramm-Archivs, was wesentlich zur Etablierung
des Fachs Vergleichende Musikwissenschaft beitrug. Auf-
grund der Naziherrschaft war der Großteil einer Genera-
tion von Musikethnologen gezwungen, zu emigrieren.
Dies hatte zur Folge, dass vor allem in den USA das Fach
in völlig neue Diskurse eingebunden wurde. Das führte zu
Bezeichnungen wie Musikethnolgie, Ethnomusikologie
und weiterhin vergleichende Musikwissenschaft. Hier
sind aber gleichzeitig die methodischen Schwierigkeiten
gekennzeichnet, denen das Fach mit seinem großen For-
schungsgebiet heute noch gegenüber steht. Diese Aspekte
beleuchtet das Buch in Kapitel zwei, in dem Phänomene
der Abgrenzung in Forschungsbereichen beschrieben
werden.
Der Hauptteil dieser Publikation ist aber vor allem in Ka-
pitel drei zu sehen, das auf dem bereits erwähnten Aufsatz
basiert und noch einmal die Ziele und vor allem Metho-
den der Musikethnologie auflistet und beschreibt. Vieles
davon ist auch heute noch uneingeschränkt von Bedeu-
tung. Dokumentation und Klassifikation musikalischer
Aktivitäten, deren Strukturanalyse und Ethnographie
sind heute noch genauso von Bedeutung wie die ethno-
theoretische und ethnopsychologische Analyse, die erwei-
tert und ergänzt werden von Funktionsanalyse,Textanaly-
se und interdisziplinären Methoden.
Das folgende vierte Kapitel beschäftigt sich mit ethnomu-
sikologischen Forschungen von 1980-2005, wobei vor
allem die neuen Aufnahmetechniken und die sich da-
durch ergebenden neuen Methoden der Dokumentation
eine Rolle spielen. Dies ist vor allem für den Lehrbetrieb
von großem Wert. Die darauf folgenden Beispiele moder-
ner Transkriptionen afrikanischer und afroamerika-
nischer Musik geben zwar einen guten Einblick in zeitge-
nössische Methoden, verkürzen aber doch den
Methodenpluralismus heutigen musikethnologischen
Arbeitens, bei dem besonders im Bereich der außereuro-
päischen Popularmusik neue Ansätze aus dem kulturwis-
senschaftlichen Methodenspektrum hinzukommen. Das
Schlusskapitel versöhnt in dieser Hinsicht wieder etwas
mit einem deutlichen Hinweise auf Legitimation und Nut-
zen musikethnologischen Arbeitens.
Neben der Einordnung und Positionierung der For-
schungen und der Literatur vermittelt das Buch einen
ausgezeichneten Überblick über das Fach und wird seinen
Platz in der Lehre finden.
Lars-Christian Koch
163
___________TRIBUS 58,2009
Buchbesprechungen Afrika
Richard Pardon & Christine Stelzig:
Column to Volume. Formal Innovation in
Chamba Statuary. London; Saffron Books,
Eastern Art Publishing, 2005.159 Seiten.
ISBN 1-872843-47-6
In many ways Column to Volume is an unusual, highly suc-
cessful book on African art. For a start, it is entertaining
reading! It is also an innovative collaboration between a
social anthropologist with field experience among Chamba
communities along the Nigerian-Cameroonian border, and
a historian-anthropologist with knowledge of German mu-
seums and archives. The book unravels in Sherlock Holmes-
fashion an intriguing mystery; to wit, the appearance on the
world art market of an unknown type of Chamba statuary
in the early 1970s. Ever since then art historians and dealers
have claimed these volumetric statues - characterized by
swelling and flexing, and conspicuous arms carved away
from the body - to constitute the quintessence of Chamba
art. Yet not a single such object had been collected during
early colonial times, nor were they observed during field-
work undertaken from 1976 on. So where did these much
publicized and dearly traded statues come from? When,
where, why, and by whom were they made?
In order to find answers to these questions - and we are
told that some answers remain conjectural - the authors
weave a tight net to capture all the available evidence. The
evidence includes: (1) the main corpus of Chamba art,
about one hundred statues, collected in the course of the
twentieth century, and kept in private collections and (Ni-
gerian and Western) museums; (2) first-hand colonial ac-
counts from German officers and travelers in the first de-
cade of the twentieth century, a British administrator
between the two World Wars, and a Catholic missionary in
the 1940s; (3) post-colonial fieldwork records, including
photos, from two researchers; (4) testimonies, collected es-
pecially for this book, from European art dealers who
“brought out” the best of the volumetric statues between
1968 and 1972; and (5) results of CAT (computed axial to-
mography) scan examination of two such statues.1 The
sheer variety of sources is quite unique in African art stu-
dies, and all elements prove vital in untangling the mystery.
It should be recognized that geographic and ethnic com-
plexities underlie the label “Chamba”. The people who
today consider themselves Chamba speak two, unrelated
languages - Chamba Daka in the west and Chamba Leko
in the east. However, historical, cultural, and sociological
ties between the two render ethnic identity far less clear-
cut. Furthermore, neighboring Mumuye to the northwest
and Verre to the northeast have influenced Chamba art,
or even manufactured art used by Chamba in their rituals.
One is faced with a cultural crucible, in which a variety of
cults traveled between populations who welcomed con-
ceptual and formal innovation (89,120) - a situation not
1 CAT scans are being increasingly used in studies of Af-
rican art - to authenticate objects, uncover details of man-
ufacture, or analyze usage (see, for instance, Bouttiaux
and Ghysels 2008, Rasmussen 2008).
uncommon in Africa, yet not readily acknowledged by art
dealers, collectors or scholars.2
The authors draw up an inventory of volumetric statues,
identifying fifteen of them - five single statues and ten
double ones - as closely related stylistically. It is these that
have “more or less monopolized the aesthetic plaudits”
(48), and their canonical style has often been copied. The
book also reviews a number of so-called variant styles,
most of which are undoubtedly authentic, while some are
almost certainly fakes. By including the latter in what is
bound to become the reference on Chamba statuary, one
runs the risk of vetting these objects and others resem-
bling them, which seems problematic to me. None of the
early Chamba pieces are volumetric; all of them, and many
post-colonial statues too, are columnar: elongated, often
minimally carved, with arms attached to the body. The au-
thors inventorize this statuary too, which includes single
and double figures, and iron-shod and freestanding ones.
Contrary to what has often been written about Chamba
sculpture in general these statues belonged to cults, found
among the Chamba and most of their non-Fulbe neigh-
bors and mainly aimed at controlling misfortune.
The formal shift “from column to volume” (which is the
book’s title) gets a name and a face thanks to notes com-
piled in 1944 by Father Cullen, who apparently also dona-
ted a barely used double volumetric statue to the Lagos
Museum in 1946. It would seem that the innovation was
due to a single Chamba Leko carver called Soompa, prob-
ably active between the mid 1920s and the late 1940s.
CAT-scans reveal patterns of damage, not always visible
from the outside, which corroborate the placement of these
statues upon the ground and their relatively young age.
One of the most fascinating aspects of the investigation is
the reconstruction of the appearance of volumetric statues
on the art market - which occurred, not by accident, during
and immediately following the Biafran War (1967-1970).
Not often is one offered a glimpse behind the scenes of how
collectors, middlemen, restorers, and dealers operate.
In the end, as the authors conclude, “Chamba statuary
only became a meaningful category at the interface be-
tween Europeans and Africans in an international system
of trade” (114). It is sincerely hoped that this kind of care-
fully documented deconstruction will inspire other schol-
ars in the field of African art studies.
Jan-Lodewijk Grootaers
References:
Bouttiaux, Anne-Marie, and Marc Ghysels
2008 “Explorer 1’art au scanner a rayons X”,Arts &
Cultures, pp. 230-49.
Grootaers, Jan-Lodewijk, ed.
2007 Ubangi. Art and Cultures from the African
Heartland. Brussels: Fonds Mercator.
Rasmussen, Mark
2008 “Setting the Standard for Due Diligence: Sci-
entific Techniques in the Authentication Pro-
cess”. In Original - Copy - Fake?, ed. E. Per-
nicka and S. von Berswordt-Wallrabe, pp.
19-32. Mainz: Verlag Philipp von Zabern.
2 For a similar case in Central Africa’s Ubangi region, see
Grootaers, ed. (2007).
Buchbesprechungen Afrika
Annegret Marx &
Alexandra Neubauer (Hg.):
Steh auf und geh nach Süden - 2000 Jahre
Christentum in Äthiopien / Arise and Go
Toward the South - 2000 Years of Christiani-
ty in Ethiopia. Tübingen; Legat-Verlag, 2007.
368 Seiten, 45 SW- und 284 Farbabbildungen,
2 Tabellen, 1 Karte.
ISBN 978-3-932942-28-0
„Steh auf und geh nach Süden.“ Mit diesen Worten soll
ein Engel den Apostel Philippus von Jerusalem nach
Gaza geschickt haben, wo er den Kämmerer der äthio-
pischen Königin Kandake getroffen hat. (Apg. 8.26-40).
Der vorliegende Katalog mit diesem enigmatischen Titel
wurde als Begleitpublikation zur gleichnamigen Ausstel-
lung herausgegeben, die im Ikonen-Museum der Stadt
Frankfurt am Main vom 27. November 2007 bis 2. März
2008 stattfand. Geplant wurden Ausstellung und Katalog
auf Beginn des 21. Jh., das in Äthiopien nach dem Ale-
xandrinischen Kalender am 11. September 2007 einge-
läutet wurde. Ausgangspunkt für die Ausstellung und
den Katalog war eine deutsche hochkarätige Privat-
sammlung von Ikonen, Kreuzen und Handschriften aus
Äthiopien, die im Anschluss an die Ausstellung an das
Ikonen-Museum überging. Sie wurde durch Leihgaben
aus deutschen und österreichischen Museen, Biblio-
theken und Sammlungen thematisch ergänzt und be-
reichert. All diese Informationen erfährt der Leser aus
dem Vorwort und den zahlreichen Grussworten, die den
Band einleiten.
Der erste Beitrag mit dem Titel „Die Wurzeln Äthiopiens
- Der Einfluss Südarabiens auf die äthiopische Kultur
und das äthiopische Christentum“ stammt von Walter
Raunig. Leider geht der Autor nur kurz auf den südara-
bischen Einfluss auf Sprache, Schrift, Religion, Kunst und
Bodenbau im damaligen Reich Aksum ein. Zwar ist eine
der Stelen von Aksum abgebildet, doch sie findet im Text
keine Erwähnung. Ebenso wenig führt Raunig die zahl-
reichen Stätten von Tempeln und anderen Funden auf, die
vom südarabischen Einfluss Zeugnis ablegen, oder frühe
christliche Kirchen, die Elemente südarabischer Bauwei-
se aufweisen. Dafür beschreibt er ausführlich die Christi-
anisierung des Landes im 4. Jh., die aber keineswegs auf
den Einfluss Südarabiens zurückgeht, sondern auf den
des östlichen Mittelmeerraums.
Karl Christian Fclmy gibt in seinem Artikel „Bilder in der
Äthiopisch-Orthodoxen Kirche - Die Äthiopisch-Ortho-
doxe Kirche im Verband der Kirchen des Ostens und ihre
Stellung zu bildlichen Darstellungen“ eine kurze, aber
einprägsame Einführung in die orthodoxen Kirchen des
Ostens und erklärt die christologischen Differenzen, die
sich auf Grund verschiedener Konzilien ergaben. Er posi-
tioniert die äthiopische Kirche innerhalb dieser Kirchen,
geht unter anderem auf ihre kirchlichen Regeln, die Litur-
gie-Ordnungen und die Anaphoren (Eucharistiegebete)
ein. Doch der Autor handelt das eigentliche Thema, näm-
lich die Bilder in der äthiopischen Kirche, nur kurz ab,
indem er feststellt, dass das Verhältnis zum Bild in der
äthiopischen Kirche nicht festgelegt sei, dass die Äthio-
pier die in den Bildern dargestellte Heilsgeschichte als
gegenwärtig betrachten und die abgebildete Gestalt oder
das abgebildete Ereignis ehren wollen.
Auch der folgende Beitrag von Merawi Tebege „Glaube
mit dem Herzen - Die Äthiopisch-Orthodoxe Kirche und
ihre Tradition der Vermittlung des Glaubens“ geht nur
kurz auf das im Titel angesprochene Thema ein. Als Erz-
priester und Haupt der Äthiopisch-Orthodoxen Kirche in
Deutschland wäre der Autor wie kein anderer befähigt
gewesen, die Liturgie ausführlich von Innen zu beschrei-
ben. Doch er stellt die bereits in den vorigen Artikeln be-
handelte Christianisierung und die Entwicklung des
Christentums dar und gibt einen Hinweis auf die christo-
logischen Differenzen der verschiedenen orthodoxen Kir-
chen. Dann präsentiert er eine bedauerlicherweise nur
kurze Beschreibung der Liturgie an Sonn- und Feiertagen
und charakterisiert einige Liturgietexte. Der Rest des
Beitrags besteht aus einer Kompilation verschiedener In-
formationen, wie z. B. die Anzahl der Bischöfe, die nicht
stattgefundene Auseinandersetzung der äthiopischen Kir-
che mit der Scholastik oder die Bedeutung des Heiligen
Täklä Haymanot.
Der längere Aufsatz von Denis Nosnitsin über die „Äthi-
opische Literatur in Go'az“ gibt einen kenntnisreichen
Überblick über die Literatur von der Christianisierung im
4. Jh. bis in die zweite Hälfte des 18. Jh. Der Autor wertet
die Bedeutung der Königshöfe, Kirchen und Klöster für
die Schriftkultur, die ausschliesslich von Klerikern und
Mönchen gepflegt wurde, und geht auf einzelne Werkka-
tegorien ein. Nosnitsin benennt auch zahlreiche Beispiele
auf Go'az und in deutscher Übersetzung. Als einziger Bei-
trag enthält er zahlreiche Fussnoten, die noch zusätzliche
Informationen liefern oder auf Referenzliteratur hinwei-
sen.
Michael Gervers schreibt in seinem Essay über „Christ-
liche Baudenkmäler vom 6. bis 13. Jahrhundert in Äthio-
pien“. Er weist immer auf die zum Teil unsichere Datie-
rung hin, gibt eine profunde Beschreibung der Architektur
von ausgewählten Beispielen, erläutert koptische oder
nubische Einflüsse auf einzelne Bauten und betont die
Beziehung zwischen der Kirchenanlage und der Liturgie.
Ewa Balicka-Witakowska widmet ihren Beitrag dem The-
ma „Wandmalerei - Die unbekannte Welt der äthio-
pischen Kultur“. Die Autorin gibt einen Überblick über
den Wandel von Stil und Ikonographie zwischen dem 12.
und 18. Jh., beschreibt ausgewählte Beispiele und weist
immer wieder auf den schlechten Zustand der Malereien
hin, die dringend fachmännisch restauriert werden sollten.
Jörg Weinerth stellt in seinen Artikel „Mälka’-Hymnen
im Bild“ die Bilder von Shebeshe Eshete vor, einem Ma-
ler, der 1992 sein Studium an der School of Fine Arts and
Design in Addis Abäba abgeschlossen hatte. Diese Hym-
nen grüßen und besingen jeden Körperteil einer sakralen
Person, und der Maler hat die Hymne, die „den Bund der
Barmherzigkeit“ und somit die Jungfrau Maria besingt, in
54 einzelnen, aneinander gereihten Szenen bildlich umge-
setzt. Der Autor hat in Zusammenarbeit mit anderen die
Strophen der Hymne aus dem Amharischen übersetzt
und sie den einzelnen Bildern zugeordnet. Weinert weist
darauf hin, dass Shebeshe Eshete aus der Tradition der so
genannten „antika-Malerei“ schöpft, ohne den Begriff zu
erklären, der in der Literatur über äthiopische Kunst
meines Wissens nicht vorkommt. Doch es wird klar, dass
165
___________TRIBUS 58,2009
damit die zeitgenössische Malerei im traditionellen Stil,
auch Volksmalerei oder populäre Malerei genannt, ge-
meint ist.
Annegret Marx und Wolfgang Hahn beschreiben die
„Kreuzformen in der äthiopischen Kunst“. Sie gehen im
ersten Teil auf die Kreuze auf aksumitischen Münzen ein,
die seit der Christianisierung des Landes im 4. Jh. präsent
sind. Dann folgt eine Übersicht über die Klassifikation
der Kreuze, nämlich Hals-, Hand- und Prozessionskreuze
sowie Dachkreuze auf Kirchen. Die Autoren gehen auch
auf die Symbolik der Kreuze ein und zitieren dazu einige
Bibelstellen. Allerdings hätte auch der spezifischere äthi-
opische Kontext berücksichtigt werden müssen. Insbeson-
dere Chojnacki (2006:82 f.), dessen Werk die Autoren als
Referenzliteratur angeben, warnt vor symbolischen Inter-
pretationen westlicher Wissenschaftler.
Im Beitrag von Annegret Marx „Ikonen aus Äthiopien“
findet sich zuerst eine kurze Entwicklungsgeschichte der
äthiopischen Ikonenmalerei, insbesondere der Marien-
ikonen. In diesem Zusammenhang erwähnt Marx
(S. 120), dass der erste feste Wohnsitz der äthiopischen
Herrscher Gondär gewesen sei (errichtet unter Kaiser
Fasilädäs, r. 1632-67), doch die erste feste Residenz war
das Schloss Gorgora in Hmfraz, das ins Jahr 1586 datiert
wird. (Pankhurst 200e:4f.) Auch im Überblick über die
Bildthemen findet sich eine Missinterpretation (S. 123,
Kat. 237 auf S. 249, Kat. 239 auf S. 251, Kat. 248 auf S. 258,
Kat. 249 auf S. 259), indem die Autorin die ikonogra-
phischen Konzepte des „Ecce Homo“ (in Äthiopien
Kwor’atä ra’asu genannt) mit der „Imago Pietatis“ oder
„Schmerzensmann“ gleichsetzt. Während das „Ecce
Homo“-Bild Jesus nach der Geisselung mit der Dornen-
krone zeigt, stellt der „Schmerzensmann“ Jesus nach der
Kreuzigung mit allen Wundmalen, inklusive der Seiten-
wunde dar.
Im ausführlichen Katalogteil mit sehr ansprechenden
Fotografien werden vor allem Handschriften, Prozessi-
ons-, Hand- und Halskreuze vorgestellt sowie Ikonen.
Zu jedem Bildblock hat Marx einen kleinen Einfüh-
rungstext verfasst und die Objekte beschrieben. Leider
wurden aber die Inschriften auf Prozessionskreuzen und
Ikonen nicht übersetzt, was vor allem bei den Ikonen
noch Hinweise auf die Ikonographie gegeben hätte. Bei
den Kreuzen wäre darauf hinzuweisen gewesen, dass die
Datierung noch immer unsicher ist, und es wäre auf-
schlussreich gewesen zu erfahren, nach welchen Krite-
rien die Autorin die Kreuze datiert hat. Auch bei den
Handschriften und Ikonen gibt es Ungenauigkeiten oder
Unkenntnisse zu vermerken. Kat. 15 (auf S. 144, Text
S. 285) zeigt nicht das Entschlafen Marias sondern die
Errettung des Menschenfressers Bälla a‘säb vor der Höl-
le, eines der „Wunder Marias“. Der Gestus des Jesus-
kindes mit zwei ausgestreckten Fingern, wie er auf den
Darstellungen der so genannten „Maria di Santa Maria
Maggiore“ vorkommt, ist nicht der „Segensgestus“, son-
dern der „Redegestus“ (Kat. 241 auf S. 253, Text S. 347),
und der Rabe, dem der heilige Täklä Haymanot Wasser
zu trinken gegeben haben soll (S. 348), kommt in dieser
Legende nicht vor, sondern in der Legende des heiligen
Gäbrä Mänfas Qeddus, in der der Teufel in Rabengestalt
dem Heiligen die Augen auspickt, was auch dargestellt
wird (Kat. 246 auf S. 257).
Positiv zu vermerken ist, dass durchwegs die wissenschaft-
liche Transliterierung zur Wiedergabe äthiopischer Be-
griffe und Namen verwendet wurde, dass der Text auf
Deutsch und Englisch wiedergegeben wird und dass
Kurzbiographien die Autoren vorstellen. Trotz der Män-
gel, auf die hingewiesen wurde, gibt das Buch vor allem
interessierten Laien einen vertieften Einblick in die Welt
äthiopischer Kunstschätze. Als Wissenschafter vermisst
man hingegen die bereits erwähnten Anmerkungen oder
Hinweise auf Referenzliteratur im Text, doch nimmt man
gerne die Publikation einer noch unbekannten Sammlung
von Äthiopien zur Kenntnis.
Elisabeth Biasio
Literatur:
Chojnacki, Stanislaw
2006 Ethiopian Grosses. Skira, Mailand.
Pankhurst, Richard
2004 A Tale of Four Cities: Late-16th and Early-17th
Century Ethiopian Capitals and Their Turkish,
Portuguese and Indian Connections. In: Ma-
nuel Joäo Ramos mit Isabel Boavida (Hg.):
The Indigenous and the Foreign in Christian
Ethiopian Art - On Portuguese-Ethiopian
Contacts in the 16th-17th Centuries. Hants,
England S. 3-15.
166
Buchbesprechungen Afrika
Richard Fardon:
Fusions. Masquerades and Thought Style East
of the Niger-Benue Confluence, West-Africa.
London; Saffron Books, 2007. 208 Seiten, 62
Abbildungen, 14 schematische Darstellungen,
1 Karte in mehreren Ausschnitten.
Das sorgfältig gestaltete Werk von Richard Fardon lädt
seine Leser ein, die etwa sechzig bekannten Chamba-
Masken, die zwischen 1903 und 2003 in ethnographische
Museen und Sammlungen gelangt sind, gedanklich zu
ihrem sozialen und kulturellen Herkunftskontext zurück-
zuverfolgen. Hiermit setzt dieser zweite Band der von
Richard Fardon, Graham Furniss und Francis Nyamnjoh
herausgegebenen Reihe Saffron Afriscopes: Illustrated ar-
guments about African Culture das Anliegen fort, wissen-
schaftliche Arbeiten zur Vielfalt und Komplexität afrika-
nischer Ausdruckskultur mit einer großzügigen Anzahl
von Fotos zu bebildern und zu publizieren.
Fusions ist in drei Teile und neun Kapitel gegliedert. Teil I
gibt eine detaillierte Analyse der Chamba-Masken aus
einer abgelegenen Region am Benue südlich von Yola. Sie
baut auf die Feldforschungskenntnisse des Autors auf -
Fardon führt seit Mitte der 1970er Jahre Forschungen in
dieser Grenzregion Kameruns und Nigerias durch - und
enthält Details zur Sammlungsgeschichte der Objekte.
Teil II thematisiert die Motiv-Verschmelzungen bei den
westlichen Chamba und benachbarten ethnischen Grup-
pen südwestlich (Jukun, Mumuye) und südlich (Mambila,
Wuli, Wawa, Kwanja) der Chamba-Region. Teil III führt
in die östliche Richtung und studiert die Motiv-Ver-
schmelzungen der Masken mit Ritualen benachbarter
ethnischer Gruppen, die keine solchen Masken besitzen
(Pere, Dowayo). Den drei Teilen geht eine detaillierte
Einführung in die Fragestellungen des Bandes voran. Ein
ausführlicher Anhang listet alle bekannten Chamba-Mas-
ken in ethnographischen Museen und Sammlungen auf.
Kernstück der Arbeit sind methodische Überlegungen
zur Eingrenzung von Stilen. Dabei geht es um die Frage,
in welchem Verhältnis das ethnologische Konstrukt eines
lokalen Kunst- und Denkstils, wie er sich aus der statio-
nären ethnographischen Feldforschung an einem Ort
oder in einer Gruppe ergibt, zu einer vergleichenden eth-
nologischen Forschung über einen weiträumigen regio-
nalen Kunststil steht, und wie sich dadurch jeweils das
Verständnis der Masken ändert.
Vom lokalen ethnographischen Standpunkt bei den
Chamba stellt sich dies folgendermaßen dar: Den Cham-
ba ist ein Maskentyp gemeinsam, dessen geschnitzter an
einen Büffelkopf erinnernder Holzaufsatz im Tanz auf
dem Kopf getragen wird. Den Grundtyp dieser ge-
schnitzten Maske bezeichnet Fardon als template (52),
also das typisierte Modell einer Chamba-Maske, das alle
vorkommenden Stilvarianten gemeinsam haben (ein Be-
griff, den im Übrigen schon Edwin Ardener im Kontext
von religiösen Vorstellungen verwendete). Dieser Mas-
kenaufsatz wird zusammen mit einem unförmigen Faser-
kleid getragen, das vom geschnitzten Aufsatzkopf bis fast
zum Boden herunterhängt und den Körper im allgemei-
nen vollständig verdeckt. Diesen Maskentyp gibt es bei
den meisten Chamba- und denjenigen Klans, die eine
Chamba-Identität angenommen haben. Sie haben auch
nur diesen einen Maskentyp, was afrikaweit eher unge-
wöhnlich ist.
Vom Blickwinkel der Chamba aus, haben nur sie solche
Masken, nicht die um sie herum lebenden Gruppen. Spra-
che, Religion, soziale und politische Organisation dage-
gen variieren unter den verschiedenen Chamba-Gruppen
und werden teils auch von den darum herum lebenden
Gruppen geteilt. Geht man also vom Konzept einer tem-
plate als Stilkernstück aus, so scheinen Vorkommen und
Stil der Masken mit einer Chamba-Identität zu korrelie-
ren, und die Abweichungen werden zu Varianten des
Chamba-Stils. Doch nähert sich in den Außenregionen
der Stil der Masken dem der angrenzenden Gruppen an,
die, wie die Jukun zum Beispiel, ähnliche horizontale the-
riomorphe Masken besitzen, die neben Büffeln, auch an-
deren großen Tieren ähneln. Diese im Faserkleid tan-
zenden Büffelmasken bezeichnen die Chamba mit dem
Begriff nam gbalang, was „Buschwesen“ bedeutet. Der
Begriff bezieht sich nicht auf die Maske selbst, also das
holzgeschnitzte Objekt, das in die Museen gelangt. Hier-
für gibt es in der Chamba-Sprache keinen entsprechenden
Begriff. Naheliegend ist, dass der Chamba-Begriff nam
gbalang für eine solche Maske dieselben Konnotationen
hat wie zum Beispiel die entsprechenden aku wunu-Mas-
ken bei den Jukun (25). Fardon legt jedoch Wert darauf,
nicht von vornherein davon auszugehen, dass die Existenz
ähnlicher horizontaler Masken auf einem ähnlichen
Denkstil (thought style) basiere, denn die horizontale
Form könnte auch aus ganz anderen Gründen weit ver-
breitet sein.
Solche methodischen und konzeptionellen Herausforde-
rungen stellen sich, wenn man die Horizontalität der Mas-
ken als formales oder stilistisches Kriterium der Untersu-
chung zugrunde legt und annimmt, diese spezifische
Form, Masken zu tragen, deute auf eine gemeinsame Kul-
tur ihrer Träger hin. Um eine solche Herangehensweise zu
problematisieren, diskutiert Fardon die regionale Studie
von Patrick McNaughton. Sie fasst die horizontalen Mas-
ken Westafrikas in Anlehnung an Arnold Rubin und Roy
Sieber aus formal-stilistischen Gründen in einen westafri-
kanischen horizontalen Stil zusammen. McNaughton fand
solche Masken in einem weiten Gebiet von den Mande-
Gruppen im Westen bis zu den Chamba im Osten. Dazwi-
schen gibt es immer wieder Gruppen, die keine Masken
und solche, die mehrere verschiedene Maskentypen besit-
zen. McNaughton, der den gemeinsamen Ursprung von
horizontalen Masken finden wollte, sah in der Absenz sol-
cher Masken lediglich einen weißen Fleck auf der Karte.
Das Fehlen der materiellen Maskenform bedarf jedoch,
so argumentiert Fardon, einer Erklärung. Er denkt dabei
wohl bewusst nicht an eine Levi-Strauss’sche Antwort,
sondern räumt ein, die Häufigkeit der horizontalen Mas-
ken in Westafrika könne genauso gut mit der Häufigkeit
von rechteckigen Bildern in Europa verglichen werden
(30). McNaughton’s Verdienst sei es jedoch, dass er der
Ansicht entgegenwirke, es gäbe „tribally specific styles“,
also ethnischen Gruppen eigene Kunststile. Die Absenz
einer Maskenform zwischen Regionen mit Masken lässt
sich also weder durch eine strukturell bedingte binäre
Opposition von An- und Abwesenheit noch durch feh-
lende Übernahme (weiße Flecken) erklären. Vielmehr
167
___________TRIBUS 58,2009
liegen den sichtbaren kulturellen Ausdrucksformen je
nachdem entweder tiefer liegende Handlungsschichten
zugrunde, die nur manchmal einen solchen sichtbaren ma-
terialisierten Ausdruck erhalten, oder Gesellschaften sind
doch so unterschiedlich, dass ihre Denkweisen und mate-
riellen Ausdrucksformen nicht vergleichbar sind.
Die geschnitzten Masken haben bovine Form und stellen
in ihrer Performance gebündelte tierische Energie vor.
Sie werden von Chamba als Buschkuh und auch als Schä-
del bezeichnet. In einem Mythos geht die erste Maske auf
eine Frau zurück, die eigentlich ein solcher Büffel war.
Gemeint sind nicht die mobilen Savannenbüffel mit Hö-
cker, sondern im Wald lebende Zwergkühe. Kein Chamba
sagte jedoch jemals, die Masken würden eine Buschkuh
darstellen. Vielmehr vereint der geschnitzte Kopf in flie-
ßenden Übergängen Bestandteile der Lebenden, der Ver-
storbenen und wilder Tiere - ein Thema, mit dem sich
Fardon bereits in früheren Arbeiten befasst hat. Er be-
zeichnet sie daher als theranthropic oder jiision masks (92,
99), wobei sich fusions auf die Kombination tierischer und
menschlicher Formen in den Masken bezieht.
Chamba argumentierten, jede ihrer Masken sei leicht un-
terschiedlich. Die detaillierte stilistische Analyse ergab:
Die östlichen Chamba haben kleinere, feine und runde, an
menschliche Schädel erinnernde Masken mit Hörnern;
die westlichen Chamba dagegen besitzen größere Büffel-
köpfe, mit gröberen eckigen Zügen, Schmucknarben und
Frisuren, wie sie Chamba bis in die 1960er Jahre noch
häufig trugen; im Süden gibt es männliche rot bemalte
und weibliche schwarze Masken; im Norden tragen sie
beide Farben und sind alle weiblich. Die Zwergkühe spie-
len auch bei den Gruppen östlich der Chamba, bei den
Dowayo, die keine Masken besitzen, eine große Rolle.
Diese ersetzen die Masken durch Tierfelle und Schädel,
und während des Beerdigungsrituals, dem bedeutendsten
einer Serie von drei Ritualen zur Erlangung von Prestige,
erlegen sie einen Stier, und verteilen das Fleisch an be-
stimmte Kategorien von Verwandten. Die Hörner binden
sie dem Verstorbenen an den Kopf. Hier wird nach der
Tötung eines Feindes oder Leoparden ein gegabelter
Pfahl aufgestellt, während die Gruppen südlich der
Chamba danach Büffelmaskentänze aufführen. Im Cross
River-Gebiet, das im Regenwald um einiges weiter süd-
westlich liegt, so drängt es mich anzufügen, traten in ähn-
licher Weise Maskenpaare bei prestigeträchtigen Ritu-
alen nach dem Töten von Feinden und großen Tieren auf,
die Verschmelzungen tierischer und menschlicher For-
men beinhalteten. Hier jedoch sind es seltener horizonta-
le Masken, und mehr geschnitzte Aufsatzköpfe, und hier
ist die Färbung umgekehrt: die weibliche Maske ist rot
und die männliche schwarz. Die „Denkstile“ und ihre
Ausdruckformen treten also in vielfältigen Variationen
auf und verändern sich in unterschiedlichen historischen
Konstellationen.
Fardon hatte die Büffelmasken zum Ausgangspunkt sei-
ner Untersuchung gemacht, da sie seiner Ansicht nach
Ausdruck eines Denkstils der Chamba sind, den er bovine
therantropic fusion nennt. Dabei erleichterte es die Mate-
rialität der Masken, eine solche vergleichende Untersu-
chung durchzuführen, im Gegensatz zu flüchtigeren Aus-
drucksformen wie zum Beispiel der Sühnung der Tötung
von Feinden und großen Tieren oder der Kontrolle von
Reproduktion und Gesundheit, die mal mit Masken und
mal ohne Masken ihren gestalterischen Ausdruck finden.
In dieser Studie gelingt es Fardon jedenfalls in überzeu-
gender Weise, den Nutzen eines eingegrenzten und durch
ethnographische Kenntnisse abgesicherten regionalen
Vergleichs zu demonstrieren, der sehr viel reichhaltiger
ausfällt als die rein formale, ein großes Gebiet umfas-
sende Objektanalyse ebenso wie eine noch so tiefgrün-
dige ethnographische Forschung an einem Ort.
Ute Röschenthaler
168
Buchbesprechungen Afrika
Christine Stelzig:
Afrika am Museum für Völkerkunde zu Berlin
1873-1919. Aneignung, Darstellung und Kon-
struktion eines Kontinents. (Kulturen im Wan-
del 10). Herbholzheim: Centaurus-Verlag,2004.
450 Seiten, 13 SW- und 2 Farbabbildungen.
ISBN 3-8255-0399-2
„Davon überzeugt, daß eine deutsche Kolonialpolitik
eine deutliche Aufwertung der Ethnologie bedeuten wür-
de, deren Ergebnisse u.a. dem Museum in Form zahl-
reicher Ethnographica zugute kommen würden, beteiligte
Bastian sich in der Zeit zwischen 1880 und 1889, vor allem
aber seit der Kongo-Konferenz 1884/85, aktiv an der kolo-
nialpolitischen Debatte.“ So benennt Christine Stelzig
das Verhältnis des „Vaters der deutschen Ethnologie“
und Gründers des Berliner Völkerkundemuseums, Adolf
Bastian, zur Kolonialpolitik, nur um gleich einzuschrän-
ken: „Zwar war er gegen einen Siedlungs- und für einen
Handelskolonialismus und warnte vor eigenen Koloni-
alerwerbungen durch das Deutsche Reich, doch hinderte
ihn diese Auffassung nicht, sich an der Auswahl geeig-
neter Kolonialobjekte zu beteiligen.“ (S. 70)
Völkerkundemuseen und Ethnologie hatten es bisher
nicht eilig, ihre kolonialhistorischen Wurzeln offenzule-
gen. Dabei ist der Zusammenhang unverkennbar: Drei
von vier der rund 70.000 afrikanischen Objekte, die sich
heute im Berliner Völkerkundemuseum befinden, ge-
langten dorthin in den Jahren 1880 bis 1914. Vor allem
Bastian und Felix von Luschan, seit 1885 sein Assistent
und dann Leiter der Afrika-Abteilung, hinterließen ein
umfangreiches schriftliches Werk: 670 Titel im Falle Basti-
ans, davon allein 80 Monografien, „deren schwieriger und
leicht ermüdender Stil’ bereits zu seinen Lebzeiten deut-
liche Kritik hervorrief“ (S. 59/60). Aus von Luschans Fe-
der sind neben 200 gedruckten Arbeiten 66 Kisten mit
handschriftlichen Aufzeichnungen erhalten.
Christine Stelzig gebührt das Verdienst, in die ungeheure
Masse dieses Materials erstmals eine Bresche geschlagen
zu haben. Sie behandelt die Zeit zwischen der Gründung
des Museums 1873 - das allerdings erst 1886 eröffnet wur-
de - und 1919, als Deutschland im Vertrag von Versailles
auf Kolonien verzichtete. Auf von Luschan folgte 1911
Bernhard Ankermann, den Stelzig noch mit behandelt.
Ihr Untertitel „Aneignung, Darstellung und Konstruktion
eines Kontinents“ bezieht sich auf die drei genannten Ver-
antwortlichen: Bastian ging es vorrangig um das Sammeln
der materiellen Kultur „primitiver Naturvölker“, die er
vom Aussterben bedroht sah. Erst von Luschan begann,
die gesammelten Gegenstände im Detail zu beschreiben,
bis hin zu seinem krönenden, 1919 erschienenen Werk
über „Die Altertümer von Benin“. Bernhard Ankermann
schließlich suchte in der von ihm mit begründeten Kultur-
kreislehre nach einem theoretischen Rahmen, um die um-
fangreichen Bestände systematisch zu ordnen.
Aber Stelzig hat auch Edward Said und Johannes Fabian
gelesen: Das Afrika des Völkerkundemuseums ist eine
europäische Konstruktion, geschaffen von Forschern , die
den Kontinent selbst wenig kannten. Einzig Ankermann
unternahm einmal, 1907, eine gezielte Forschungsreise ins
Kameruner Grasland. Alle drei Wissenschaftler aber ver-
fassten detaillierte Anleitungen zum Sammeln von Eth-
nographica, die Kolonialbeamten in die Lage versetzen
sollten, möglichst viel hochwertiges Material nach Hause
zu schicken. „Material“ meint hier neben Gebrauchsge-
genständen und künstlerischen Arbeiten auch mensch-
liche Körperteile wie die einem lebenden Mann unmittel-
bar an der Kopfhaut abgeschnittene Frisur bis hin zum
kompletten Skelett; Die physische Anthropologie gehörte
ebenso zum Rüstzeug der Forscher wie eine Evolutions-
theorie, die Afrikaner nahe am primitiven Ursprung der
Menschheit verortete.
Insbesondere Felix von Luschan hat sich früh gegen rassi-
stische Theorien gewandt. Anders als die meisten Ge-
lehrten seiner Zeit hielt er die Messing- und Elfenbeinar-
beiten aus Benin nicht für einen Import aus Asien,
sondern für hohe Kunst, die vor Ort im heutigen Nigeria
entstand. Aus seinen Sammelanleitungen und weiteren
Quellen resultiert jedoch auch das Bild eines Forschers,
der sich, wenn es um die Vermehrung und den Ruhm sei-
ner Sammlungen ging, um die Interessen und Wünsche
der ursprünglichen Besitzer der Gegenstände wenig
scherte, auch wenn es sich um Hautnarben und Knochen
handelte. Diese Erstbesitzer sind in den Aufzeichnungen
als eigenständige Subjekte nicht präsent - sie sind Gegen-
stand der Forschung, aber keine Gesprächspartner.
Es spricht für Stelzigs Arbeit, die als Dissertation bei
Adam Jones in Leipzig entstanden ist, dass sie solche Wi-
dersprüche nicht zu glätten versucht. Sie vielmehr auszu-
halten und weiter zu vertiefen, stellt sich als Aufgabe für
die weitere Forschung, die allein mit dem Nachlass von
Luschans wohl noch lange zu tun haben wird. Bis dieser
erarbeitet ist und die verschiedenen, heterogenen Dis-
kurse, von der physischen Anthropologie über Theorien
wie die Kulturkreislehre und die Kulturmorphologie bis
hin zur Würdigung afrikanischer Objekte als Kunst auch
im zeitlichen Horizont ihrer Entwicklung näher unter-
sucht sind, bleibt Stelzigs Arbeit zu ihrem Gebiet die er-
ste, unverzichtbare Grundlage.
Dietrich Heißenbüttel
Literatur:
Luschan, Felix von
1919 Die Altertümer von Benin. Veröffentlichungen
aus dem Berliner Museum für Völkerkunde
VIII-X, Berlin.
Said, Edward W.
1978 Orientalism. Western Conceptions of the
Orient, London/ New York [deutsch 1981].
Fabian, Johannes
1983 Time and the Other. How Anthropology
Makes its Object, New York.
169
TRIBUS 58,2009
Alke Dohrmann:
Die Ensete-Gärten der Hadiyya in Süd-Äthio-
pien. Kulturelle Bedeutungen einer Nahrungs-
pflanze. (Göttinger Studien zur Ethnologie 14).
Münster: L1T Verlag, 2004.376 Seiten.
ISBN 3-8258-8125-3
Am Beginn meiner Buchbesprechung muss eine Befangen-
heitserklärung stehen. Nicht allein, dass die Autorin des
betreffenden Buches eine befreundete Kollegin ist, „schlim-
mer“ noch, ich gehörte 1999 genauso wie Alke Dohrmann
zu Ulrich Braukämpers Forschungsteam in Hadiyya. Wenn
ich auch meist auf den Spuren interethnischer Beziehungen
durch das nördliche Hadiyya zog, konnte ich doch bei mei-
nen Aufenthalten im Dorf unseres „Hauptquartiers“ einen
Eindruck von Dohrmanns Forschung gewinnen. Die Faszi-
nation ihres Themas „Ensete“ {Ensete ventricosum) hat
mich dabei ebenfalls ergriffen. So kann ich bis heute kaum
an einer dieser über alle Maßen nützlichen Pflanzen vorbei
gehen, ohne zu mutmaßen, ob es sich wohl um ein Exem-
plar der astara, gimho’o, sisqeela oder einer anderen der
zwischen 30 und 60 Variationen handeln möge, welche die
Hadiyya gemäß ihres emischen Klassifikationssystems un-
terscheiden (vgl. Kap. 3.1 und Anhang II).
Alke Dohrmanns Anliegen ist die Dokumentation des
Ensete-Komplexes bei den Leemo-Hadiyya und die Unter-
suchung der „Beziehung der Menschen zu ihrer Hauptnah-
rungspflanze Ensete“. Ihre theoretischen Ausgangspunkte
stammen vorwiegend aus der Ethnobotanik, der Ethnolo-
gie der Ernährung und der Agrarethnologie. Die unter-
schiedlichen Perspektiven von denen aus sie sich ihrem
Gegenstand nähert, betreffen ätiologische Mythen und die
kulturelle Bewertung der Ensete, die Wirtschaftsgeschich-
te, soziale Beziehungen, Geschlecht und Generation, Alltag
und Festtag, die materielle Kultur, außerdem die Pflanzen-
biologie, die ernährungsphysiologische Rolle der Ensete
und ihre Bedeutung in der traditionellen Medizin, die Me-
thoden der Vermehrung, des Anbaus, der Herstellung so-
wie der Verwendung und des Vertriebs der Ensete-Pro-
dukte. Auch neuere Ansätze zur möglichen Modifikation
der Produktionsmethoden werden diskutiert. Zudem zeigt
die Autorin das ökonomische und alltagspraktische Inein-
andergreifen von Ensete-Wirtschaft und anderer Bereiche
des wirtschaftlichen Lebens. Soweit aufgrund der Informa-
tionslage möglich zieht sie den Vergleich zu anderen Ense-
te kultivierenden Gesellschaften (Kap. 4.7,5.4,6.5). In die-
sem Zusammenhang kritisiert sie, Bothke (o. J.) ergänzend,
zu Recht die Kategorisierung der Ensete anbauenden Kul-
turen als Teile eines regelrechten Ensete-Kulturkomplexes.
Wie aus ihrer vergleichenden Analyse hervorgeht, ist mit
der Ensete-Kultivierung heute kein transelhnisches kultu-
relles Gesamtsystem verbunden (Kap. 3.2.3).
Die Hadiyya sind ein süd-äthiopisches Volk hochland-
ostkuschitischer Sprache mit einer Bevölkerungszahl von
etwa einer Million Menschen. Ihr Hauptsiedlungsgebiet
befindet sich im südwestlichen Hochland Äthiopiens, vor-
wiegend in der mittleren Höhenzone zwischen 1.800 und
2.500 m. In einem umfassenden kulturellen Wandlungs-
prozess, der in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein-
setzte, gingen sie nach Einwanderung in ihr heutiges Ge-
biet vom nomadischen Pastoralismus zu der bei ihren
heutigen Nachbarethnien bereits Vorgefundenen sess-
haften und agrarischen Lebensweise über. Dabei über-
nahmen die Hadiyya von diesen zunächst den Anbau von
Getreide und Hülsenfrüchten. Die Übernahme der inten-
siven Bewirtschaftungsform des Ensete-Komplexes ent-
wickelte sich zunächst zögerlich, da der Verzehr von Ense-
tespeisen im pastoralistisch geprägten Wertesystem der
Hadiyya gering geschätzt wurde. Ihre zentrale Rolle im
Wirtschaftssystem der Hadiyya erlangte die Ensete unter
anderem über die Frauen der Endägany und Kambaata
(s. z. B. Kap. 2). Diese waren in ihren Gruppen die Bewah-
rerinnen des Wissens über ihre Kultivierung und leisteten
als bevorzugte Heiratspartnerinnen einen bedeutenden
Beitrag zur Einführung dieser Nahrungspflanze bei den
Hadiyya. Die mit der Ensete in Zusammenhang stehenden
Tätigkeiten werden dort bis heute fast ausschließlich von
Frauen ausgeführt, während die Männer vornehmlich für
Getreideanbau und Viehhaltung zuständig sind (Kap. 5).
Dohrmanns Buch ermöglicht der Leserschaft einen tiefen
Einblick in zentrale Aspekte des bäuerlichen Alltagsle-
bens der Hadiyya im Allgemeinen und der Hadiyya-
Frauen im Besonderen. Es scheint an vielen Stellen in den
Abschnitten über Anbau, Ernte und Verarbeitung der En-
sete, als könnten wir den Frauen aus geringer Entfernung
direkt über die Schulter schauen (besonders Kap. 4,5, 6).
Dies wird nicht zuletzt erleichtert durch die eingestreuten
Zitate aus Dohrmanns Feldnotizen. Ihr monatelanges ge-
duldiges Protokollieren und Diskutieren der Aktivitäten
in den Ensete-Gärten und Häusern des Dorfes Qaalisha,
von denen ich damals am Rande mitbekam, zahlt sich hier
voll aus. Sie beschreibt mit großer Präzision - als ginge es
darum ein Handbuch für eine (akademisch gebildete) an-
gehende Ensete-Bäuerin zu verfassen - die einzelnen
Verrichtungen, angefangen bei der Anlage der Gärten,
dem Ziehen der Setzlinge und dem mehrfachen Umpflan-
zen über die Düngung, den Problemen mit Pflanzen-
krankheiten und dem Jäten bis hin zu den einzelnen
Schritten des Ernteprozesses, der Fermentation und der
Lagerung. Auch die (in den meisten Fällen sehr ratio-
nalen) Gründe, für die einzelnen Handlungsweisen und
Kniffe werden soweit möglich eruiert. Die hohe Komple-
xität und der Umfang des zur Ensete-Kultivierung nöti-
gen Erfahrungs- und Wissenschatzes wird auf diese Weise
ebenso deutlich, wie die Schwere der Arbeit der Frauen
und Mädchen. Das Verständnis der beschriebenen Pro-
zesse wird durch (leider wenige und in der Qualität der
Wiedergabe dem Lit Verlag nicht zum Ruhme gerei-
chende) Fotos im Anhang ergänzt.
Die Ensete ist für die Hadiyya eine pflanzliche Variante
der berühmten „eierlegenden Wollmilchsau“. Alke Dohr-
mann geht sämtlichen Verwendungsmöglichkeiten dieser
erstaunlichen Pflanze auf den Grund (Kap. 6): Ernährung,
Medizin, Verpackungsmaterial, Fasern und gelegentlich
Viehfutter. Die ernährungsphysiologische Bedeutung der
Ensetespeisen liegt in ihrem hohen Kohlehydratgehalt.
Ohne Kombination mit Vitaminlieferanten wie Kohl führt
die Ensete-Ernährung zu Mangelerscheinungen. Verzehrt
wird die in den Blattscheiden und vor allem in der Knolle
befindliche stärkehaltige Masse, welche zuvor in einer mit
einem speziellen Pflanzenpräparat vorbereiteten Erdgru-
be zur Fermentation gebracht wird. Die Autorin gibt ei-
nen Überblick der häufigsten Zubereitungsformen der
fertigen Ensetemasse und liefert in einigen Fällen sogar
detaillierte Kochrezepte mit. In ähnlicher Manier widmet
170
Buchbesprechungen Afrika
sie sich den übrigen Verwendungsmöglichkeiten sowie
den im Zusammenhang mit der Ensete-Kultivierung ste-
henden Werkzeugen und den für die Zubereitung der En-
setespeisen nötigen Küchengeräten.
Die Kultivierung der Ensete ist in größerem Stil nur als Ge-
meinschaftsarbeit und mit einer gut abgestimmten Organi-
sation der anfallenden Arbeiten machbar. Dohrmann be-
leuchtet die unterschiedlich stark institutionalisierten
Formen der Gemeinschaftsarbeit (Kap. 5). Zu nennen sind
die kleinen Arbeitseinheiten der weiblichen Haushaltsmit-
glieder und die auf dem Prinzip der Gegenseitigkeit basie-
renden spontanen oder organisierten, großen oder kleinen
Arbeitsgemeinschaften sowie deren Ergänzung durch be-
zahlte Arbeit. Wir erfahren in den betreffenden Kapiteln
über die spezifischen Regeln der Reziprozität, die Formen
der Bewirtung durch die Gartenbesitzerin und den mög-
lichen Arbeitslohn.
Bei der Arbeit im Ensete-Garten können die Frauen die
Welt aus ihrer Sicht besprechen und gewisse (Quasi-) Tabus
herausfordem, beispielsweise Tanzen, Singen, manchmal
alkoholische Getränke konsumieren und anzügliche Witze
machen, ohne eine Störung durch Männer befürchten zu
müssen. Ein Mann, der sich dennoch in die Ensete wagt -
das kann ich aus eigener Erfahrung bestätigen - wird zum
Gegenstand großer Belustigung. An dieser Stelle sei eine
Bemerkung eingeflochten: Während das ethnographische
Kameraauge, wenn die Metapher erlaubt ist, in der Nahper-
spektive ein beeindruckend scharfes Bild zeichnet, hat die
Autorin auf die Totale etwas weniger Gewicht gelegt. Dies
fällt in der Tendenz an mehreren Stellen auf, etwa in Gen-
der-Fragen: Das Buch legt Zeugnis ab für die Tatsache, dass
die Ensete nach emischer Sicht im Guten und im Schlechten
eine Angelegenheit der Frauen ist. Eine gebündelte theorie-
geleitete Darstellung der Rolle(n) der Frauen in der
Hadiyya-Gesellschaft (über den unmittelbaren Ensete-
Bezug hinaus) wäre deshalb möglicherweise ein Gewinn
nicht nur in Hinblick auf das Verständnis der Hadiyya-
Kultur insgesamt, sondern auch der „Beziehung der Men-
schen zur Ensete“ gewesen. Die Frage jedoch, welche so-
zialen Strategien der Selbstbehauptung den Frauen
aufgrund ihrer Beherrschung des sozialen Raumes „En-
sete-Garten und Nahrungsproduktion“ zur Verfügung
stehen und wie sie gleichzeitig durch die Ensete-Arbeit
erhebliche Einschränkung erfahren (z. B. Primat der En-
sete-Ernte gegenüber dem Schulbesuch, s. Seite 160), be-
antwortet Dohrmann vor allem am Exempel. An dieser
Stelle muss der Rezensent seiner subjektiven Erwar-
tungshaltung allerdings sogleich Einhalt gebieten. Das
Hauptgewicht des Buches liegt nun einmal auf der Doku-
mentation und Analyse der Ergebnisse einer Grundla-
genforschung. Diese gilt in besonderem Maße der Er-
schließung des Wissens- und Erfahrungsschatzes der
Hadiyya in Hinblick auf die Ensete-Kultivierung sowie
dessen konkreter Anwendung sowie sozio-ökonomischer
und ökologischer Einbettung. Was diese Punkte betrifft
ist Alke Dohrmanns Buch eine reichhaltige Erkenntnis-
quelle. Jedem der sich ernsthaft mit Ensete ventricosum,
den Ensete kultivierenden Gesellschaften Äthiopiens, ih-
rem landwirtschaftlichen System oder der Alltagswelt der
Hadiyya-Frauen beschäftigen möchte, sei Alke Dohr-
manns Buch als eine vollkommen unverzichtbare Lektüre
anempfohlen.
Dirk Bustorf
Dietrich Heissenbüttel:
Ungleiche Voraussetzungen. Zur Globalisie-
rung der Künste. (Reihe Reflexiv). Stuttgart:
merz & solitude, 2008. 240 Seiten, 36 Abbil-
dungen.
ISBN 978-3-937158-43-3
Wie viele in den letzten Jahren sieht sich der Autor in der
Tradition von Homi K. Bhaba (S. 227). Umso dankbarer
müssen wir ihm dafür sein, dass er in seinen Texten nicht
ein einziges Mal das biologistische Unwort Hybrid ver-
wendet (nur die Vorwortschreiberin Julia Warmers hat‘s
getan, S. 10), um aus Kulturkontakten resultierende Syn-
thesen zu benennen.
Wohl aber finden wir ständig das verharmlosende Postko-
lonial, obwohl uns doch der Autor klar umrissene Ein-
blicke in die wahren Verhältnisse des heutigen Afrika ge-
währt. So wenn er den Wandel von traditioneller zu
moderner Kunst an veränderten politischen Strukturen
festmacht, die sich der kolonialen Institutionen und deren
Amtssprachen schlechthin bedienen müssen (S. 64). Und
gleich zweimal zitiert er genüsslich den in der Videoinstal-
lation des Senegalesen Arfang Sarr-Crao zu lesenden
Spruch;
LAfrique n'existe pas, l'Afrique c‘est juste une itnage que
tont le monde manipule. (S. 127, Abb. 20)
Überhaupt zieht sich die Aussage des Titels dieser
Sammlung von ansonsten inhaltlich jeweils selbstän-
digen sechs Aufsätzen und einem Interview durch das
ganze Buch, das direkt bzw. indirekt als Ergebnis des
Aufenthalts des Autors in den Jahren 2003-04 als Stipen-
diat an der Akademie Schloss Solitude in Stuttgart anzu-
sehen ist, was viele Kontakte zu Künstlerinnen und
Künstlern aus Afrika und Asien mit sich brachte (S. 11,
225ff.). Der ebenso wie der Titel des ganzen Buches for-
mulierte erste Aufsatz Ungleiche Voraussetzungen bildet
dabei, zunächst durch Heißenbüttel selbst nicht vorher-
sehbar, eine Klammer für die gesamte Textsammlung
(S. 227). Dabei geht es dem Autor vor allem um die kul-
turellen und politökonomischen Rahmenbedingungen,
innerhalb derer die Künstler jeweils zu entsprechend an-
deren Ergebnissen gelangt sind, wobei jedoch auch
innerhalb ein und derselben Kultur bemerkenswerte
Unterschiede zwischen den Künstlerindividuen auf-
scheinen (S. 228).
Unter Ungleichen Voraussetzungen, von denen der Au-
tor in seinem gleichnamigen Aufsatz ausgeht, versteht
er den zwischen afrikanischen wie asiatischen Ländern
einerseits und westlichen Ländern andererseits un-
gleich verteilten Zugang zu materiellen Ressourcen,
Bildung und Reisemöglichkeiten (S. 14-15). Doch
selbst unter solch ungünstigen Voraussetzungen erwei-
sen sich gerade, durch das Weltbild vom angeblich Pri-
mitiven und durch Exotismus geprägte, westliche Vor-
urteile für afrikanische bildende Künstler immer wieder
als fruchtbare Herausforderung (S. 16ff.). Dagegen
mündete der Dialog zwischen der vor allem auf der No-
tation beruhenden westlichen E-Musik und der vor
allem mit dem Publikum kommunizierenden afrika-
nischen Musik schon sehr bald in eine Sackgasse
(S. 29ff.).
171
___________TRIBUS 58,2009
Der zweite Aufsatz Die Reliquiarfiguren der (Ba-)Kota im
ursprünglichen Kontext: Versuch einer Rekonstruktion
setzt sich das Ziel, durch westliche Künstler entwickelte
Missverständnisse aufzudecken. Der Autor weist zunächst
mit Recht darauf hin, dass solche Figuren in Gabun nur
von einigen sowohl Ikota (nicht: Bakotal) als auch Mbete
sprechenden Gruppen hergeslellt wurden. Daraus aber
mit Vansina den Schluss zu ziehen, auf eine ethnisch aus-
gerichtete Zuordnung traditioneller afrikanischer Kunst
generell zu verzichten (S. 46), muss jedem, der schon ein-
mal in einem Völkerkunde-Museum mit alten, vor Ort
erworbenen, afrikanischen Sammlungen gearbeitet hat,
kontraproduktiv erscheinen.
Aus einem Vergleich mit der kosmologischen Symbolik
der viel weiter südlich am unteren Kongo ansässigen Ba-
kongo-Gruppe zieht der Autor den kühnen Schluss, bei
der Aufteilung der ovalen konkaven Gesichter der gabu-
nesischen Reliquiarfiguren durch ein Kreuz in vier Seg-
mente handle es sich um ein von vornherein konzeptuelles
Zeichen und nicht etwa um eine abstrahierte Darstellung
des menschlichen Gesichts (S. 48-49), als welche es die
Kubisten und andere Künstler in deren Umfeld wahrge-
nommen hätten. Kurz darauf muss Heißenbüttel dann
doch zugeben, dass es sich im übrigen bei den Gesichtern,
legt man die Entfernung von der Anatomie zugrunde, um
abstrakte Darstellungen handle (S. 50,51,53).
Wie schon vor ihm Rubin (1985:270) kommt der Autor zu
dem Schluss, dass Pablo Picassos Demoiselles d'Avignon
aber nicht als Kopien afrikanischer Werke betrachtet wer-
den können (S. 51). Dagegen sieht er in Alberto Giaco-
mettis Das Paar schon eher eine Reaktion auf die „Kota“-
Figuren, wobei freilich die starke Betonung sekundärer
und primärer Geschlechtsmerkmale das nicht nur den Ex-
pressionisten eigene Vorurteil von der stärkeren Triebhaf-
tigkeit der Afrikaner erkennen lässt (S. 53-54). Ähnlich
zeigt die Verfremdung der Rauten, die die gabunesischen
Reliquiarfiguren nur abstützen sollten, in Werken von
Fernand Léger und Paul Klee mit Blick auf Erotik und
tänzerische Bewegung eine Umwertung von der afrika-
nischen Konzentration auf den Kopf zu den ursprünglich
ja gar nicht vorgesehenen Beinen (S. 55-56). Und schließ-
lich missdeutete Picasso traditionelle afrikanische Bild-
werke als Medien zur Vertreibung böser Geister, während
doch in Wirklichkeit unsere Reliquiarfiguren als Darstel-
lungen wohlwollender Ahnen eine im doppelten Sinne
durchaus positive Wirkung ausüben sollten (S. 57-58). Auf
die moderne westliche Kunst sinnvoll übertragen werden
konnte von diesen gabunesischen Kunstwerken nur der
formale Aspekt im Sinne von Abstraktion und der seither
im Kubismus immer wieder auftauchenden konkaven
Form (S. 59-60).
ln seinem dritten Beitrag Vom Wandel der Begriffe: Mhari
und die frühe postkoloniale Kunst Nigerias beklagt der
Autor zunächst eine in Austeilungen weit verbreitete dop-
pelt ahistorische Auffassung afrikanischer Kunst; Weder
werde der modernen von ihr eine historische Entwicklung
zugestanden noch die traditionelle als solche gekenn-
zeichnet und damit im ethnographischen Präsens angesie-
dell. (S. 61-62) Während ich ersteres Problem der weitge-
henden Bildungsresistenz in unserer Galeristenszene
zuschreiben möchte, wird bei letzterem gerne übersehen,
dass traditionelle afrikanische Kunst nicht selten bis in
unsere Gegenwart hinein geschaffen und angewandt wird,
somit ebenfalls zeitgenössisch sein kann. In diesem Zu-
sammenhang hätte ich mir auch vom Autor eine diszipli-
nierte terminologische Trennung zwischen zeitgenössisch
und modern gewünscht.
Ferner warnt Heißenbüttel davor, nur in der westlichen
Klassifikation angesiedelte Begriffe wie Ästhetik oder
Kunstphilosophie auf afrikanische Kunst angewandt an-
ders als nur in Anführungszeichen und als vorläufige An-
näherung zu gebrauchen (S. 63). Tatsächlich arbeitet je-
doch die Ethnologie schon seit langem mit der
Unterscheidung zwischen etisch und emisch, welche bei-
den Vorgehensweisen von der jeweiligen Fragestellung
abhängen, sich nicht gegenseitig ersetzen können und für
unser Verständnis gleichermaßen legitim sind.
Doch in jedem Fall ist es nützlich, dass Heißenbüttel die
bei den Igbo Südnigerias und bei weiteren Gesellschaften
Südghanas übliche emische Begrifflichkeit zum Thema
Kunst aufzeigt: Für diese gibt es zwar kein eigenes Wort,
aber eine Fülle von Begriffen zur ästhetischen Unter-
scheidung künstlerisch gestalteter Objekte gleich welcher
Funktion (S. 66-67). Zudem benützen die Igbo dieselbe
Begrifflichkeit für moralische, funktionale oder ästhe-
tische Qualität einerseits (S. 72) sowie für durch uns un-
terschiedene Kunstgattungen, wie Musik, Tanz, Plastik
usf., andererseits (S. 73-74).
Dementsprechend sind auch die in der traditionellen,
einem religiösen Kontext verpflichteten Kunst der Igbo
von Owerri anzutreffenden Mbari-Häuser gleichermaßen
Stätten für Plastik, Zeichnung, Musik, Tanz usf. Darauf
beriefen sich zu Beginn der 1960er Jahre nigerianische
Maler, Schriftsteller, Musiker und Schauspieler bei der
Gründung des ersten Mbari-Clubs von Ibadan, in dem sie
die besten Kräfte moderner nigerianischer Kunst verei-
nen wollten, um die Kultur ihres Landes zu erneuern und
damit eine neue Identität aufzubauen. (S. 81-82)
Im Lichte dieser Vereinnahmung der Tradition durch die
Moderne ist nach Heißenbüttel auch die Künstlerbiogra-
phie von Demas Nwoko zu betrachten, der sich nachei-
nander der Malerei, der Theaterinszenierung, traditio-
nellen Töpfereitechniken Südnigerias und der Architektur
zuwandte. Und nicht zuletzt schien das Theater besonders
dazu geeignet, an traditionelle Kunstformen anzuknüp-
fen. (S. 83ff.) Die Gründung des zweiten Mbari-Clubs
1962 in Oshogbo durch Ulli Beier und Duro Ladipo
brachte dann nicht nur die Erneuerung des Volkslheaters
der Yoruba mit sich, sondern auch die Unterrichtung der
Schauspieler in Malerei und Druckgraphik durch den ka-
ribischen Künstler Dennis Williams und Georgina Beier
- im Unterschied zu Nwokos Werdegang also eine entge-
gengesetzte Verlegung vom Theater zur Bildenden Kunst
hin (S. 89ff.).
Nur am Rande und zur Absicherung des Rezensenten
(vgl. Forkl 2004: 78ff.) sei bemerkt, dass Ruprecht (1988;
lOff.) die traditionellen Mbari-Häuser keineswegs als
mögliche Vorläufer für die Zementplastiken der Ibibio-
Künstler in Betracht zieht (vgl. S. 94), sondern sie lediglich
als Beleg für weitere Traditionen irdener Plastiken zitiert.
Den vierten Beitrag hat Heißenbüttel überschrieben mit
Stereotypen vermeiden: Künstlerische und kuratorische
Strategien im Umgang mit dem afrikanischen Kontinent.
Diese Stereotypen lauern in zweierlei Gestalt: zum einen
172
Buchbesprechungen Afrika
in Afrika als Projektionsfläche für westliche Ängste und
Sehnsüchte, mit Vorstellungen von „Wildnis“ über „Na-
turvölker“ bis hin zur Kannibalenkarikatur der Suttgarter
Zeitung (S. 98); zum anderen in der Umkehrung solcher
(Un-)Wertvorstellungen in die der Tugend vermeintlicher
Irrationalität der afrikanischen Menschen in der négri-
tude Léopold Sédar Senghors (S. 102).
Weitere Stereotypen sieht Heißenbüttel in der Oshogbo-
Kunst in dem Sinne, dass sich Williams und Georgina Bei-
er in den von ihnen gehaltenen Kursen aus dem Primiti-
vismus der westlichen Moderne bedient haben müssen.
Das habe die Akzeptanz der Oshogbo-Arbeiten in west-
lichen Augen wiederum erhöht, die jene dank ihrer Flä-
chigkeit, Buntheit, Liebe zum Ornament und zur Abstrak-
tion von anatomisch korrekten Proportionen leicht als
„afrikanisch“ wiedererkennen konnten. Denn diese stili-
stischen Besonderheiten seien keineswegs etwa auf man-
gelnde akademische Ausbildung zurückzuführen, wie die
oft sehr lebensnahen Darstellungen durch afrikanische
bildende Künstler, die nur für lokales Publikum arbeiten,
zeigen. (S. 107—08) Seine analoge Unterscheidung zwi-
schen moderner Funktion mit traditionellen Inhalten und
traditionellen Funktionen mit modernen Inhalten hat sich
immerhin als so tragfähig erwiesen, dass der Rezensent
seine eigene Ausstellung darauf aufbauen konnte (Forkl
2004).
Auf die genannten Stereotypen, z. B. von einem naturna-
hen, ländlichen A frika, antworten Künstler wie der Kon-
golese Bodys Isek Kingelez mit seinen bunt glänzenden
geometrischen Modellen moderner städtischer Architek-
tur, andere, indem sie sich ohnehin nur noch mit kon-
kreten Anliegen ihres eigenen Landes beschäftigen und
sich an dessen Publikum wenden (S. 11 Off.).
Dagegen macht Heißenbüttel in dem Titelbild von Jean-
Hubert Martins Ausstellung Afrika Remix mit seinen
grellen Teppichen, dem Leopardenfell und den Plastik-
blumen schon wieder ein abgedroschenes Klischee aus.
Doch sieht er die Aufgabe des afrikanischen Kurators Si-
mon Njami, diese Ausstellung ihrem Untertitel Kunst
eines Kontinents gemäß mit Exponaten aus Afrika inner-
halb seiner topographischen Umrisse zu bedienen, als ge-
löst an (S. 112ff.); subjektiv betrachtet vielleicht schon.
Allerdings wird bei einem solchen Vorgehen den histo-
rischen und kulturellen Konstanten Gewalt angetan zu-
gunsten eines geographischen Determinismus, der „afri-
kanische“ Kunst dann willkürlich mitten im Orient am
Suez-Kanal enden lässt. Seit wann ist denn Kunst nicht
mehr aus dem sozialen Kontext, sondern aus topogra-
phischen Umrissen zu erklären?
Eine ähnlich mechanistische Betrachtungsweise muss
m. E. auch Okwui Enwezors Projekten The Short Century
und Documenta 11 vorgeworfen werden, die jedoch mit
ihrer historisch-empirischen Ausrichtung in ihren konti-
nental gebundenen bzw. globalen Ansätzen das Vorgefun-
dene Material immerhin seriös aufarbeitelen (S. 117).
Christian Hanussek ging einen ganz anderen Weg, indem
er für seine lokal in Europa bzw. Afrika angesiedelten
Projekte Gleichzeitig in Afrika... und Réjlexjf die ver-
schiedensten afrikanischen Künstler gewonnen hat, um
mit der Dokumentation lokaler Verhältnisse jeweils ei-
nen Bogen zu schlagen zu globalen Strukturen mit ihrer
ungerechten Verteilung von Ressourcen. Die schon er-
wähnte Videoinstallation von Sarr-Crao in Dakar machte
dabei einen integrierenden Bestandteil von Re_flex_if
aus. (S. 118ff.)
Mit seinem fünften Beitrag Das Spiel der Differenzen: Sie-
ben Künstlerinnen aus Asien verfolgt Heißenbüttel das
gleiche Anliegen wie in seinem Interview mit dem chine-
sischen Komponisten Shi-Rui Zhu: Immer gibt es jeweils
eine lokale, sprachlich und kulturell geprägte Komponen-
te zusammen mit einer globalen, deren symbolisches Sys-
tem das des rein lokalen endgültig durchbrochen hat (S.
130-31) , oder, wie Zhu es ausdrückt, also nicht einen chi-
nesischen Klang, sondern überhaupt einen neuen Klang zu
finden (S. 209).
Der sechste Aufsatz Nicht notiert oder nicht notierbar?
Zur Diskussion um Mündlichkeit und Schriftlichkeit the-
matisiert das Spannungsfeld zwischen Musiktraditionen,
die auf Notation verzichten (z. B. traditionell afrikanisch
und arabisch) bzw. auf Notation beruhen (traditionell
westlich). Die entsprechende Auseinandersetzung mün-
dete in der neueren westlichen E-Musik in zwei Wege:
entweder in den eines exzessiven Ausbaus von Notati-
onssystemen. um jedes Detail exakt festzulegen, oder in
den einer teilweisen Ersetzung der Notation überhaupt
durch mündliche Verfahren, womit der Komponist die
Kontrolle über sein Werk teilweise den Musikern sowie
der Nachwelt überlässt. Somit treffen wir hier die glei-
che Tendenz an wie seit 40 bis 50 Jahren in der Bilden-
den Kunst: eine Verschiebung weg vom Werk hin zum
Prozess. (S. 187ff.)
Ein paar kleine Bemerkungen seien noch gestattet. Tradi-
tionelle afrikanische Kultbünde sollte man ebensowenig
als Geheimbünde (S. 25, vgl. S. 63) bezeichnen wie bei uns
die Unbeschuhten Karmelitinnen. Ahmadu Bello war
nicht der Präsident (S. 24) von Nordnigeria, sondern der
Premierminister. Auch im Senegal finden wir übrigens
eine Maskentradition bei den muslimischen (!) Malinke
(Schaffer 1980:101ff.). Wikipedia (S, 104 Anm. 16), deren
Beiträge bekanntlich jedermann jederzeit unkontrolliert
abändern kann, gehört ebensowenig als Referenz in ein
Werk mit (berechtigtem!) wissenschaftlichem Anspruch
wie der Galerist Peter Herrmann (S. 229), dessen seit zwei
Jahrzehnten aus kommerziellen Gründen gegen seriöses
wissenschaftliches Arbeiten geführten plumpen (gerichts)
aktenkundigen Kampagnen - nicht nur gegen die Arbeit
des Rezensenten (Forkl 2004:31), sondern auch gegen die
von Enwezor - notorisch sind.
Dass wir Ethnologen uns angeblich nur für vorkoloniale
Kunst interessieren (S. 228), weise ich energisch zurück,
nicht zuletzt um meiner Kolleginnen Johanna Agthe (t,
Frankfurt/M.) und Elisabeth Grohs (t, Mainz) sowie mei-
ner Kollegen Wulf Lohse (Hamburg) und Giselher Blesse
(Leipzig) willen, nur um einige zu nennen. Da sehe ich
mich doch versucht, Sarr-Craos Spruch etwas zu verfrem-
den:
L'ethnologie n'existepas, Vethnologie c‘est juste une Image
que tout le rnonde manipule.
Gleichwohl habe ich Heißenbüttels Aufsatzsammlung mit
Vergnügen gelesen und bin der Meinung, dass wir seinem
Buch viele tiefe Einsichten und innovative Anregungen
verdanken. Zumal seine bemerkenswerte Kompetenz
gleichermaßen auf den Gebieten von Bildender Kunst.
Musik und Schöner Literatur ihn dazu befähigt, diese in
173
___________TRIBUS 58,2009
einer Zusammenschau zu behandeln, die für die Beschäf-
tigung mit auBerwestlichen Künsten unerlässlich ist, wie
wir gesehen haben.
Hermann Forkl
Literatur:
Forkl, Hermann
2004 Die andere Moderne Afrikas: Kunst aus den
Sammlungen des Linden-Museums Stuttgart.
Stuttgart.
Rubin, William
1985 Pablo Picasso. Dtsch. v. Peter Stepan u. Michael
Hofmann. In: Rubin, William (Hrsg.); Primiti-
vismus in der Kunst des zwanzigsten Jahrhun-
derts. München, 2. Aufl., S. 248-353.
Ruprecht, Ronald
1988 Vom Lehm zum Zement. Großskulpturen in
Westafrika. In: Deecke, Thomas/Ruprecht,
Ronald: Zementskulpturen aus Nigeria.
Sunday Jack Akpan. Aniedi Okon Akpan.
Stuttgart, S. 8-23.
Schaffer, Matt
1980 Mandinko. The Ethnography of a West African
Holy Land. New York.
Buchbesprechungen Lateinamerika
Susan Toby Evans & Joanne Pillsbury (Hg.):
Palaces of the Ancient New World. A Sympo-
sium at Dumbaton Oaks 10th and llth October
1998. Washington D. C: Dumbarton Oaks Re-
search Library and Collection, 2004.416 Seiten.
Das vorliegende Buch erschien als Sammelband von Vor-
trägen, die auf einem der Symposien in Dumbarton Oaks
gehalten wurden. Die „Paläste der Alten Neuen Welt“
sind nicht nur Thema der Vorträge und somit des Buches,
sondern das Konzept des „Palastes“ ist der Schlüssel zur
Herangehensweise an die Kulturen. Es fungiert als „Hy-
pothese“, die es zu testen gilt. Legte man mit Einführung
der „New Archaeology“ zunehmend Wert auf das Erfas-
sen von Siedlungen und der dadurch möglichen Rückver-
folgung sozialer Prozesse, so gerieten die Paläste als eben-
falls aussagekräftiges Konzept etwas in den Hintergrund.
Mit dem Symposium sollte korrigiert und aufgezeigt wer-
den, dass der Weg, sich über die Paläste den Kulturen an-
zunähern, ebenfalls viel versprechend und auf jeden Fall
ergänzend ist, da er neue Perspektiven eröffnet.
Das Buch umfasst zwei Kernregionen Alt-Amerikas: Me-
soamerika und den Zentralen Andenraum. Der erste Teil,
Mesoamerika gewidmet, bewegt sich chronologisch
„rückwärts“, beginnend mit den Palästen der aztekischen
Kaiser (Susan Toby Evans), über die taraskischen Resi-
denzen in West Mexiko (Ben A. Nelson), den Palästen in
Monte Albán (Ernesto González Eicon) hin zu Tikal und
Copan (Peter D. Harrison und El Wyllys Andrews) und
schließlich den Fürstensitzen des niederen Adels in
Copan und Aguateca (David Webster und Tekeshi Ino-
mata). Der andine Teil beginnt nach einer Einführung von
Joanne Pillsbury mit dem Mittleren Horizont, den Paläs-
ten der Huari, Pachacamac und Tiahuanaco (William H.
Isbell), gefolgt von einer Analyse Chan Chan’s, der
Hauptstadt des Königreiches von Chimor (Joanne Pills-
bury und Banks L. Leonard), um schließlich mit der Dar-
stellung dreier Paläste aus der Inkazeit Huánuco Pampa,
Tambo Colorado (Craig Morris) und Machu Picchu (Lucy
C. Salazar und Richard L. Burger) abzuschließen. Eine
direkte Verbindung zwischen den Palästen als Herr-
schaftssymbol und den menschlichen Körpern der Kaiser
stellt das Schlusskapitel (Stephen D. Houston und Tom
Cummins) her.
Vorangestellt ist dem gesamten Band eine Definition der
Paläste, die als komplexe Residenzen gesehen werden,
von Herrschern ebenso komplexer Gesellschaften ge-
nutzt. Sie waren private Residenzen, die aber auch eine
öffentliche Funktion erfüllten. So unterschiedlich die Pa-
läste in Mesoamerika und im Zentralen Andenraum auch
ausgestaltet waren, lassen sich doch bemerkenswerte Ge-
meinsamkeiten erkennen: Obwohl Paläste letztlich pri-
vate Anlagen waren, boten sie auch Platz für halböffent-
liche Veranstaltungen wie Rituale oder Tausch; es gab
einen Innenhof und beschränkten Zugang zum Palast.
Spezielle Palasttypen hatten große Stauräume; amerika-
nische Paläste waren keine reinen Verwaltungsgebäude.
Die Bedeutung von Gärten und Wasserfällen war sehr
174
Buchbesprechungen Lateinamerika
groß. Sie dienten teilweise zur Erbauung und Erholung
des Herrschers, aber auch um die Verbundenheit mit den
Naturgottheiten zum Ausdruck zu bringen.
Einen besonders guten Einblick in die aztekische Kultur
bietet der erste Essay von Susan Toby Evans. Die Anzahl
und Vielfalt der Paläste, die sie größtenteils aus der Lite-
ratur und Aufzeichnungen rekonstruiert, muss enorm ge-
wesen sein, was auf eine extrem hierarchische und stark
nuancierte Gesellschaft schließen lässt. Genauer betrach-
tet werden die Regierungssitze der aztekischen Kaiser,
die auch die menschliche Vorliebe für Luxus und Be-
quemlichkeit offen legen. Hier wird bereits die zweite In-
tention des Bandes klar: Neben dem Konzept der Paläste,
das getestet werden soll, geht es hier vor allem auch da-
rum, detaillierte Beschreibungen bekannter Paläste be-
reit zu stellen, um Strukturen kenntlich zu machen, die
auf alle Paläste zutreffen und so die Identifizierung wei-
terer zu ermöglichen.
Jedem Kaiser des Aztekenreiches stand eine große Band-
breite an Wohnsitzen zur Verfügung, vom Kaiserpalast
(tecpan) in Tenochtitlan bis hin zur Jagdhütte auf dem
Land. Es findet neben anderen vor allem der Palast Neza-
hualcoyotls in Texcoco Erwähnung, der in der berühmten
Mapa Quinatzin aus dem Jahre 1541 dargestellt ist. Er
wurde ungefähr um 1430 erbaut, erstreckte sich über ei-
nen Quadratkilometer und hatte extensive Gärten. Im
Zentrum, wo auf der Mapa die Feuer zu sehen sind, fan-
den die Treffen des Herrschers mit dem Rat der Fürsten
statt. An der Anzahl und Ausstattung der aztekischen Pa-
läste wird der Reichtum und die Macht der Herrscher
nochmals sehr sichtbar. Sie kontrollierten mehr Ressour-
cen als jede Vorläuferkultur und waren dadurch in der
Lage eine sehr breite Oberschicht auszubilden, die in re-
lativ großem Luxus lebte.
In West Mexiko hingegen waren Paläste ein eher unüb-
liches Phänomen. Wenn überhaupt, traten sie erst im Post-
klassikum auf und dann in Regionen, die mit Zentral-
mexiko in Verbindung standen. Residenzen, die sich von
den anderen Wohnstätten abhoben, gab es jedoch bereits
ab dem Frühen Klassikum. Als einzige architektonische
Struktur, die möglicherweise ein Palast gewesen sein
könnte, wird Tzintzuntzan angesehen.
In Oaxaca hingegen gab es mit Monte Alban bereits sehr
viel früher klar erkennbare Paläste. Der Herrscher lebte
wahrscheinlich auf der nördlichen Plattform von Monte
Alban, während viele adlige Familien ihre Residenzen im
Tal von Oaxaca hatten. Nach dem Kollaps von Monte
Alban schien es im Tal von Oaxaca keine zentrale Autori-
tät mehr gegeben zu haben. Kleinere regionale Einheiten
wie Mitla und Yagul gewannen an Bedeutung, erreichten
jedoch nicht die Macht und Strahlkraft wie Monte Alban.
Bei den Palästen vonTikal und Copän geben die Autoren
zu bedenken, dass der Begriff „Palast“ auf die Architek-
tur der Maya nur schwer zu übertragen ist, ist er doch sehr
mit europäischen Vorstellungen überfrachtet. „Palast“
steht im europäischen Denken in der Regel im Gegensatz
zu „Tempel“ - während sie bei den Maya, und nicht nur
dort, meist beide Funktionen erfüllten.
Der Vergleich zwischen den beiden Zentren ergab, dass
Maya-Architektur sehr variabel war und eine große
Bandbreite an vernetzten Funktionen ausübte, die man
unter „königlicher Hof“ oder „königlicher Hofstaat“ zu-
sammenfassen könnte. Deutlich wird, dass mit zuneh-
mender Kulturentwicklung eine Trennung zwischen Re-
gierungssitz und Wohnsitz des Herrschers einsetzt. Die
sechsundvierzig Paläste Tikals, deren Bauphasen sehr gut
die Entwicklung der Maya-Kultur widerspiegeln, erfüllten
nur in wenigen Einzelfällen die Funktion eines Wohn-
sitzes. In Copän, dessen Beginn um 400 n.Chr. angesetzt
wird, erkennt man klar den deutlich gewollten Einfluss
aus dem Tiefland. Man umgab sich durch Nachahmung
oder Übernahme von Architekturstilen, exotischen Mö-
beln, Dekorationen und Ideologie mit der Aura des Ma-
ya-Tieflandes. In der materiellen Kultur Copäns zeigen
sich starke Verbindungen nach Teotihuacän. Das Ensem-
ble der Akropolis mit der Hieroglyphentreppe, dem Ball-
spielplatz und den offenen Plätzen bildete den öffent-
lichen Gebäudekomplex Copäns, errichtet durch seine
Herrscher, die dadurch sich und ihre Familien an die über-
natürliche Welt und mythische Ahnen anbinden wollten.
Klar davon getrennt waren die Wohngebäude der Herr-
scherfarailie.
Die Ausgrabungen an Residenzen niederrangigen Adels
in Copän und Aguateca verdeutlichen die Notwendigkeit
großflächiger Siedlungsarchäologie. David Webster und
Takeshi Inomata machen an einem Beispiel klar, dass rei-
ne Suchschnitte und Testgrabungen ein falsches Bild erge-
ben hätten. In Aguateca konnten Wohnstätten von Ad-
ligen identifiziert werden, die als Schreiber, Künstler oder
auch Verwaltungsbeamten tätig gewesen waren.
Der zweite Teil des Bandes ist dem zentralen Andenraum
gewidmet, beginnend mit einem Artikel von William H.
Isbell über die Paläste der Huari,Tiahuanaco und Pacha-
camac. Pachacamac existierte von ungefähr 300 n. Chr. bis
zur spanischen Eroberung. Es bestand aus mehreren
großen Tempeln und einem kleineren Gebäudetyp, der
auf dem Areal in vielfacher Wiederholung erscheint. Er
wird als „Pyramid with Ramp“ bezeichnet und als Sitz der
religiösen Botschafter identifiziert. Dagegen erhebt sich
Widerspruch, denn es werden keine Wohn- und Lager-
möglichkeiten gesehen. Eckhout sieht diese Pyramiden
ebenfalls als kleine Paläste, die (symbolischer?) Regie-
rungssitz einzelner Könige waren und bei deren Tod in ein
Monument umgewandelt wurden.
In Huari wurde kein königlicher Palast entdeckt, was aber
daran liegen mag, dass man bisher nicht danach suchte.
Aus den fehlenden Palästen leitete man ab, dass der Staat
der Huari auf einer Konföderation von lineages basierte,
eine Staatsform, die keine Paläste braucht. Als Testfall für
die Huari-Provinz dienen Isbell Viracochapampa und
Pikillacta, die er als mögliche Provinzpaläste identifiziert.
Huari Architektur schien in den Provinzen durch ausge-
dehnte rechteckige Innenhöfe gekennzeichnet gewesen
zu sein, kombiniert mit vielen weiteren Räumen und teil-
weise unvollendeten Gebäuden. In Tiahuanaco unter-
sucht Isbell zwei Strukturen. Einmal Tiahuanaco selbst
und dann die „Satellitensiedlung“ Omo 10 im Moquegua-
Tal. Er widerspricht der These des Archäologen Gold-
stein, der Omo 10 als Tempel identifzierte, indem er sich
an der analogen Struktur des Gebäudes zum abgetieften
Innenhof in Tiahuanaco selbst orientierte. Isbell hält Omo
10 für einen Palast oder zumindest einen „Tempel mit Pa-
lastfunktion“. obwohl er für seine These keinen Vergleich
anführen kann. In Tiahuanaco sieht er in vielen Bauwer-
175
____________TRIBUS 58,2009
ken die Möglichkeit, als Palast gedient zu haben (er macht
dabei nicht einmal vor der Kalasasaya halt), nur nicht in
jenem, das von Alan Kolata als möglicher Palast gesehen
wird („Palace of the Multicolored Rooms“). Letztlich ist
es auf Grund der schlechten archäologischen Quellenlage
nicht möglich, einen Palast in Tiahuanaco zu identifizie-
ren, obwohl es natürlich nahe liegt, dass es dort welche
gab. Isbell sieht in dem Konzept der Paläste und der da-
raus folgenden Interpretationsmöglichkeiten archäolo-
gischer Stätten eine große Chance und fordert auf, das
Konzept weiter zu verfolgen.
In Chan Chan sind es die Zitadellen, die ciudadelas, die
genauer untersucht werden. Auch wenn man sicher zu-
recht vermutet, dass sie Wohn- und Herrschaftssitz der
königlichen lineages waren, ist ihre Funktion im Einzel-
nen nach wie vor nicht völlig geklärt. Die Zitadellen stel-
len wahrscheinlich eine einzigartige Form von Palast-
architektur dar. Die ummauerten Viertel, die innen sehr
streng organisiert waren, werden als Chimü-Experiment
gesehen, das sich aus dem Moche- und Chicama-Tal he-
raus entwickelte. Als Besonderheit gilt die Entwicklung
der architektonischen Ausgestaltung in horizontaler
Richtung und nicht in vertikaler. Die Gebäude wurden
nicht immer höher, sondern innen stetig komplexer, was
an Galindo erinnert. Die Zitadellen repräsentieren nach
Ansicht Pillsburys und Leonards eine erhebliche Konzen-
tration von Aktivitäten und Macht, wie sie in den Vorläu-
ferkulturen nicht existierte.
Der Architektur der Inka sind zwei Kapitel gewidmet.
Das erste, verfasst von Craig Morris, vergleicht Huänuco
Pampa, La Centinela im Chincha-Tal undTambo Colora-
do. Der Kern, der sich in allen Bauwerken der Inka findet,
ist der kancha, ein Innenhof, der in der Regel von mehre-
ren kleinen Gebäuden mit rechteckigem Grundriss gebil-
det wird. Er meint in dieser Struktur den Palast selbst zu
erkennen. In Huänuco Pampa kann er klar einen Palast
identifizieren, den er in dem von ihm als Zone II bezeich-
neten Bereich lokalisiert. In La Centinela wurde die Inka-
Architektur in einen bestehenden Palast integriert, was
der Beziehung der Inka zum lokalen Herrscher entsprach,
der einer der loyalsten Gefolgsleute der Inka gewesen ist.
In Tambo Colorado findet man den typischen zweiteiligen
Inka-Palast, mit einem öffentlichen und einem könig-
lichen Sektor.
Selbstverständlich darf in einer Publikation über „Palaces
of the Ancient New World“ Machu Picchu nicht fehlen.
Inzwischen als Landsitz des Inka Pachacuti (oder Pacha-
cutec) gesehen, zeigt es - ähnlich den Beschreibungen
aztekischer Paläste - sehr gut, wie Herrschaft, Macht und
Religion mit Annehmlichkeiten verbunden wurden.
Das letzte Kapitel beschäftigt sich mit dem Körper der
Herrscher, die auch gleichzeitig eine social skin waren, die
- wie die Paläste - immer wieder verändert wurden und
dadurch symbolischen Charakter bekamen. Besonders
die Maya unterzogen die Körper ihrer Herrscher zahl-
reichen Veränderungen. Von Schädel(de)formationen
über Tatauierungen hin zu besonderem Schmuck, stand
der Körper des Herrschers für verschiedene Gottheiten
oder vereinigte Elemente solcher in sich. Häufig bestat-
tete man die Herrscher in ihrem Palast.
Insgesamt bietet der Band Dank der detaillierten Be-
schreibungen einen hervorragenden Überblick über
zentrale Bauwerke in Mesoamerika und dem zentralen
Andenraum. Das Konzept des Palastes und die Herange-
hensweise an die Kulturen aus diesem Blickwinkel er-
weitert klar die Perspektiven. Etwas störend wirkt teil-
weise die immer wieder angestoßene Diskussion, ob es
sich nun um „rein weltliche“ oder „rein religiöse“ Bau-
werke handelt. In Gesellschaften, in denen Religion so
eng mit allem anderen verwoben war, die Herrscher
gleichzeitig die religiösen Oberhäupter waren, erscheint
dieser Gegensatz als künstlich konstruiert. Selbstver-
ständlich fand die Göttlichkeit des Herrschers auch Ein-
gang in seinen Wohnsitz, ebenso wie ein Tempel gewisse
Annehmlichkeiten zu bieten hatte. Ein Palast hatte in
kaum einer Gesellschaft nur eine Funktion, war immer
öffentlicher und privater Raum zugleich.
Dennoch ein gelungener Band, der dem Leser viele An-
regungen und wie immer exzellent zusammengestellte
Literaturlisten bietet.
Doris Kurella
176
Buchbesprechungen Orient
Buchbesprechungen Orient
Jürgen Wasim Frembgen:
Am Schrein des roten Sufi. Fünf Tage und
Nächte auf Pilgerfahrt in Pakistan. (Gedächt-
nis der Völker). Frauenfeld: Waldgut Verlag,
2008.165 Seiten.
Jürgen Wasim Frembgen, Leiter der Orient-Abteilung am
Staatlichen Museum für Völkerkunde in München, er-
zählt in „Am Schrein des roten Sufi“ von fünf Tagen und
Nächten auf Pilgerfahrt zu Ehren des 1274 gestorbenen
Heiligen Lai Schahbas Qalandar an den heiligen Stätten
im südpakistanischen Sehwan. Zum größten aller Heili-
genfeste Pakistans treffen dort einmal jährlich bis zu einer
Million Pilger zusammen - Grund genug, sich diesem
Spektakel als Ethnologe, Islamwissenschaftler und Mus-
lim zu nähern. Doch Anlass der Pilgerfahrt ist die Anlei-
tung eines Sufi-Meisters aus dem Pandschab, der Fremb-
gen auffordert - oder auf den Gedanken bringt -, nach
Sehwan zu reisen und „berauscht zu sein“.
Der außergewöhnliche, gelungene Bericht ist bewusst als
subjektive Erzählung gestaltet und will keine wissen-
schaftliche Studie sein, „nicht geordnetes Datensammeln
und Tiefeninterviews, aber dichte Teilnahme und Erfah-
rungen“ , wie der Autor formuliert.
Frembgen macht sich, getragen von einem Netz pakista-
nischer Bekannter und Freunde, von Lahore aus auf den
Weg. Angefangen von der Aufforderung des Sufis zur
Reise selbst, über Hinreise, die Organisation der Unter-
kunft bis hin zur Rückkehr wird Frembgen in diesem Netz
„weitergereicht“ und in die Lage versetzt, seine Pilger-
fahrt durchzuführen, die sich schwerlich als Individualrei-
se hätte gestalten lassen.
Bereits im Zug und Bus in die Provinz Sindh und nach
Sehwan wird der Leser in das Rauschhafte, Dionysische
des Heiligenfestes entführt: Begeisterte Menschenmassen
lassen die Feiern bereits auf der Reise beginnen, Musik
und Drogen sind als wesentliche Elemente der Pilgerfahrt
ebenfalls dabei.
Angekommen in Sehwan, werden wir Zeugen eines sich
steigernden Festes, vom dem sich Frembgen immer weiter
gefangen nehmen lässt, dabei aber stets auch die Perspek-
tive des Beobachters wahrt.
Der Leser nimmt teil an dem Besuch der heiligen Stät-
ten, speziellen Ritualen - etwa den Hennazeremonien -
zu Ehren des Heiligen, und beobachtet die tänzerische
Ekstase ganz unterschiedlicher Menschen verschie-
denster gesellschaftlicher Hintergründe. In Sehwan ist
vor allem die „Qalandar“-Tradition des Sufismus zu
Hause: „mystische Wanderer“, so Frembgen. „die der
Welt entsagen und ganz von der Liebe zu Gott absor-
biert leben. Sie sind freie, ungebunden vom religiösen
Gesetz lebende Sufis, die sich augenfällig vom Establish-
ment ihrer Gesellschaft abwenden.“ So trifft der er-
staunte Leser in Frembgens Erzählung nicht zuletzt auf
Außenseiter der Gesellschaft, wie etwa die „Hidschras“,
Menschen zwischen Mann und Frau, oder auf Tänze-
rinnen, häufig mit offensichtlichen Verbindungen zur
Prostitution. Er erfährt, dass auch diese Außenseiter im
Qalandar-Rausch spirituelle Erfahrungen machen dür-
fen - ohne von Fanatikern aggressiv als Sünder gebrand-
markt zu werden.
Chronologisch durch fünf Tage geführt, erlebt der Leser
immer wieder die Menschenmassen, das bunte Straßen-
bild, Gerüche und vor allem Musik, Klänge, Lärm und
Kakophonien der Pilgerfahrt und tritt über Frembgens
Gespräche in Kontakt mit zahlreichen Menschen.
Dabei machen die Beschreibungen des Autors die Szene-
rie in besonderem Maße lebendig. Frembgen ist ein au-
ßergewöhnlich guter Beobachter, geschult nicht zuletzt
durch die jahrelange Beschäftigung mit materieller Kul-
tur. Der Leser braucht keine Fotografien, um sich einen
Wanderderwisch mit seinen Accessoires vorstellen zu
können - auch wenn er nach der Lektüre des Buches, neu-
gierig geworden, vielleicht nach Bildmaterial oder Auf-
nahmen von Qawwali-Musik suchen wird.
Nicht zuletzt begleitet der Leser den Autor auf dessen
ganz persönlicher Reise. Frembgen erzählt von Einschlaf-
schwierigkeiten und der segensreichen Wirkung von Ohr-
stöpseln. den Problemen der Morgentoilette, Platzangst
in Menschenmassen und großer Erschöpfung: Die Reise
ist anstrengend. Man erlebt jedoch auch die spirituellen
Erfahrungen Frembgens mit, die in ihrer Entwicklung
überzeugend komponiert sind. Beobachten, Kennenler-
nen, das Aufnehmen der Pilgerfahrt mit allen Sinnen kul-
minieren schließlich in Erlebnissen, die den Autor dauer-
haft geprägt haben müssen: Am Abend des dritten Tages
erlebt Frembgen, von einem Hausdach aus, das große Fest
mit, ist gefangen genommen vom prachtvoll ge-
schmückten Schrein, den tanzenden Pilgern in den Stra-
ßen und den Klängen und Melodien: „Das visuelle und
auditive Drama berührt mich emotional, nein mehr noch,
es zieht mich förmlich in einen Sog körperlich-seelischer
Verzückung, tritt durch die Poren ein und fließt durch
mich hindurch...“. Damit ist der Höhepunkt seiner Pilger-
fahrt erreicht. Am vierten Tag stellt sich Sehwan langsam
auf die Abreise der Pilger ein, und in Frembgens Bericht
markiert das erste Bad seit Tagen, eine große Reinigung,
die Vorbereitung auf die Rückkehr und ein Zu-Sich-
Kommen.
Langsam wird sich der Autor der Größe seiner Erlebnisse
bewusst. Er erzählt von einem überwältigenden Glücks-
gefühl, das sich bei einem letzten Sufi-Konzert einstellt.
Dies weiß er mit der Liebe als „glühendem Kern des Is-
lam“ verbunden. Frembgen formuliert seine Freude darü-
ber, endlich einmal nicht nur mit der Vernunft beobachtet
zu haben, sondern „mit Leib und Seele dabei gewesen zu
sein, die rituellen Entgrenzungen durch die Poren der
Haut gespürt zu haben.“ Der Leser kommt kaum umhin,
sich den Sympathien des Autors für den von ihm erlebten
und geschilderten Islam anzuschließen - der auch im Zug-
abteil auf der Rückfahrt nach Lahore noch einmal mit
allen Mitreisenden diskutiert und dem „Taliban-Islam“
gegenübergestellt wird.
In der Natur eines subjektiven Erfahrungsberichts liegt
es, dass sich dem von den „dichten Beschreibungen“ ge-
fangen genommenen Leser im Nachsinnen über das Gele-
sene so manche Fragen und Gedanken aufdrängen, die
über das Gelesene hinausgehen: Was hätte ein Nicht-
Muslim, auch wenn er in ähnlicher Weise von Netzwerken
getragen worden wäre wie der Autor, am Schrein des
177
Buchbesprechungen Sibirien
____________TRIBUS 58,2009
roten Sufi erleben können, wie hätte ihn oder sie das
Spektakel der mela berührt? Hätte der Konfessionen auf-
hebende Sufismus des Schahbas Qalandar eine vergleich-
bare Wirkung erzielen können? Man wird neugierig, ahnt
jedoch, dass letztlich nur die speziellen Voraussetzungen
Frembgens die beschriebenen Erfahrungen möglich wer-
den ließen - als Wissenschaftler, als deutscher Muslim und
Pakistankenner, eingebunden in Netzwerke und getragen
vom Vertrauen der Menschen vor Ort. Gerne hätte man
indes ein wenig mehr erfahren über den persönlichen, re-
ligiös-biographischen Hintergrund des Autors.
Im Dunkeln bleiben muss auch die Erfahrungswelt der
Frauen, die sich alljährlich nach Sehwan aufmachen.
Frembgen beansprucht nicht, auch diesen Aspekt der Pil-
gerfahrt nach-erlebbar zu machen und thematisiert seine
Beobachtungen der „weiblichen“ Pilgererfahrung nur am
Rande. Denn jeglichen „Annäherungsversuchen“ sind
Grenzen gesetzt. Doch wenn seine Beobachtungen neben
den zum Teil professionellen Tänzerinnen auch die sitt-
sam bedeckten verheirateten Frauen streifen, die sich
ebenfalls in Ekstase tanzen können, wüssten nicht nur Le-
serinnen gern mehr - hier liegen die Grenzen eines
„männlichen“ Reiseberichtes, ebenso wie dies im umge-
kehrten Fall zu konstatieren wäre.
Möglicherweise erschweren trotz des Glossars manchem
Leser auch die vielen Begriffe aus orientalischen Spra-
chen und zahlreiche religiöse Termini die Lektüre. Doch
dürfte der intensive, farbige Bericht den Leser neugierig
auf das Thema werden lassen und zum Weiterlesen inspi-
rieren. Eine in den letzten Jahren stetig zunehmende For-
schung und Produktion wissenschaftlicher Literatur steht
hierfür bereit. Sie betont die Vielfalt innerhalb des Sufis-
mus, der unterschiedlichste, zum Teil konträre Positionen
und daraus entstandene Organisationsformen kennt. Der
ekstatische Sufismus am Schrein des roten Sufi ist sicher-
lich für Millionen pakistanischer Muslime von Bedeu-
tung, anderen Muslimen mag er ein Dorn im Auge sein -
oder einfach nur fremd, vielleicht zu „berauscht“.
Sicherlich greift deswegen auch die häufig vertretene Po-
sition zu kurz, den Sufismus insgesamt vereinfachend als
das „weiche und tolerante Gesicht“ des Islam einem „Ge-
setzesislam“ gegenüberzustellen und damit ein „Gut“
und „Böse“ im hierzulande immer noch oft zu wenig ver-
standenen Islam zu konstruieren.
Frembgens außergewöhnliches Buch ist literarisch-sub-
jektives Zeugnis einer spirituellen Reise-Erfahrung, das
ein nicht-wissenschaftliches, aber auch ein Fachpublikum
faszinieren kann. Neben dem Autor ist nicht zuletzt dem
Waldgut-Verlag dafür zu danken, dass in der Reihe „Ge-
dächtnis der Völker“ auch ein Erfahrungsbericht aus der
muslimisch geprägten Welt Aufnahme gefunden hat.
Annette Krämer
Jürgen F. Boden & Günter Myreix (Hg.):
Im Bannkreis des Nordens. Auf den Spuren
der Entdecker in die faszinierenden Welten
des Polarkreises. Oststeinbek: Alouette-
Verlag, 1999. 319 Seiten, über 350 Farbabbil-
dungen, Karten, Literaturhinweise, Personen-
und Ortsregister.
ISBN 3-924324-09-3
Das Buch ist bereits vor zehn Jahren als Begleitband zu
der gleichnamigen mehrteiligen ZDF-Dokumentation er-
schienen, doch hat es seitdem nichts an Aktualität einge-
büßt. Denn angesichts des sich abzeichnenden Klimawan-
dels richtet sich das Augenmerk seit einiger Zeit verstärkt
auf die Polarregionen, wo erste Auswirkungen bereits er-
kennbar sind und wo entsprechende wirtschaftliche und
soziale Auswirkungen voraussichtlich zuerst zu spüren
sein werden. So haben interdisziplinäre Forschergruppen
im Rahmen des hierzu ausgerufenen Internationalen Po-
larjahres (IPY) ihre vorläufigen Ergebnisse vor allem im
Hinblick auf die dort lebenden Urbevölkerungen wäh-
rend der internationalen Konferenz (ICASS) in Nuuk im
August 2008 umfassend diskutiert.
Vor diesem Hintergrund erweisen sich viele Beiträge
dieses Buches als besonders aufschlussreich, indem sie
aufzeigen, wie Menschen in jenen unwirtlichen ark-
tischen Gebieten es offenbar bereits seit frühesten
Zeiten verstanden haben, sich mit immer neuen Kultur-
entwicklungen an zum Teil drastische klimatische Verän-
derungen anzupassen. Das erfolgte nicht allein durch
wiederholte weiträumige Erschließungen neuer Lebens-
räumc, sondern auch durch die Entwicklung neuer Jagd-
methoden und -techniken und mit Hilfe entsprechender
neuer Formen der sozialen Organisation. Eine wichtige
Rolle spielten dabei nicht zuletzt auch Anreize und
neues Wissen von angrenzenden Völkern oder solchen,
mit denen man in zunehmenden Handels- und Kultur-
kontakt gekommen war. Das soll aber nicht heißen, dass
bevorstehende Klimakatastrophen von den dort leben-
den Völkern in ähnlicher Weise ohne weiteres zu bewäl-
tigen sein würden, obgleich sie offenbar bis heute wenig
von ihrer Fähigkeit eingebüßl haben, sich mit besonde-
rer Flexibilität auf sich verändernde Verhältnisse einzu-
stellen. Hierin sieht auch Peter Schweitzer hoffnungs-
volle Perspektiven für die Zukunft, wenn kulturelles
Erbe indigener Gesellschaften heute mehr bedeutet als
„die bloße Tradierung traditionellen Wissens und jahr-
hundertelanger Lebens- und Überlebenspraktiken“,
sondern dass es vor allem auch darum geht, gleichzeitig
westliche Institutionen und moderne Techniken sinnvoll
zu nutzen - wozu es insbesondere bei den Inuit auf
Grönland und in der kanadischen Arktis vielverspre-
chende Ansätze gibt (S. 310 f.).
Die Einführung (S. 5-10) von Günter Myrell gibt eine
Übersicht zu Motiven und Gründen, weshalb arktische
Gebiete Entdeckungsreisende und Wissenschaftler bis
heute in ihren Bann ziehen und wie diese trotz aller Ge-
fahren und Beschwernisse dafür - wie man anhand der
178
Buchbesprechungen Sibirien
Fotos sieht - oft durch grandiose Eindrücke belohnt wer-
den. Wirtschaftliche Erwartungen, politisches Prestige
und individuelles Abenteurertum kamen in den meisten
Fällen zusammen, als es zuerst vor allem um die Suche
nach neuen Schiffspassagen zu den begehrten Handels-
plätzen Südostasiens ging.
Im ersten Kapitel „Gigant aus Eis und Schnee“ (S. 12-69)
von Oie Marquardt und Jens-Christian Manniche werden
die Landschaften, Tierwelt und die Kulturen der Men-
schen auf Grönland kenntnisreich dargestellt. Es wird
gezeigt, wie sich bei den Inuit im Laufe ihrer Geschichte
bestimmte Weltbilder sowie soziale Beziehungen und ge-
meinschaftliche Strukturen herausgebildet hatten, die
den besonderen ökologischen Verhältnissen und entspre-
chenden Siedlungsmustern Rechnung trugen. Interessant
abgehandelt wird ebenfalls die vorübergehende frühe
Besiedlung der Insel im 12. und 13. Jh. durch norman-
nische Viehhalter und deren spätere Annäherung an
Wirtschafts- und Lebensweisen der Inuit, und wie ent-
sprechende Kulturkontakte auch gesellschaftliche Diffe-
renzierungen bei letzteren auslösten. Die nach Jahren
der Kolonisation und Missionierung schließlich im Jahre
1979 von der Urbevölkerung Grönlands erlangte Selbst-
verwaltung wird als zukunftsweisend dargestellt, indem
sie Modernisierung vor dem Hintergrund der Inuit-Tra-
dition ermöglicht, wenngleich wirtschaftliche Abhängig-
keiten und bereits in der Vergangenheit erfahrene Um-
weltbelastungen damit nicht ohne weiteres aus der Welt
zu schaffen sind.
Wie auch im Anschluss an die anderen Kapitel folgt ein
Beitrag von Robert McGhee zur Frühgeschichte der Po-
larvölker, in diesem Fall im Hinblick auf Grönland.
William R. Morrison geht unter dem Titel „Aufbruch ins
Unbekannte“ (S. 76-135) auf die Erschließung des Nor-
dens Kanadas ein. Der in mitunter „lässiger“ Sprache ge-
haltene Beitrag („angekratzte Autorität“, S. 98) enthält
nicht immer erhellende Aussagen („Kanada wird in erster
Linie durch seine Landschaft geprägt“), so dass z. B. Ka-
nadas Naturgeschichte seiner Meinung nach „eine we-
sentlich größere Bedeutung als der Kulturgeschichte zu-
kommt“ (S. 88) - was nicht nur Ethnologen stutzig macht,
da beide Entwicklungen üblicherweise in Wechselwir-
kung und als Einheit verstanden werden. Wenig differen-
ziert werden auch die so wichtigen jüngsten Entwick-
lungen zur Realisierung der Inuit-Selbstverwaltung von
Nunavut abgehandelt.
Im Unterschied dazu dürfte der beachtliche Artikel von
Peter Schweitzer vor allem die hier angesprochene ethno-
logische Leserschaft begeistern, der sich unter dem Titel
„Im Land des weißen Todes“ (S. 144-203) mit den kultu-
rellen Entwicklungen bei Völkern Sibiriens befasst, die
sich im Laufe der Erschließung des Landes vor allem
durch russische Pelzhändler vollzogen haben. Parallel
dazu führte die Suche nach der Nordost-Passage zu einer
Reihe von Expeditionen, die letztlich auch der wissen-
schaftlichen Erforschung der Beringsee-Region dienten,
deren Meeresressourcen nach dem baldigen Rückgang
der Pelztierbestände im Landesinnern zunehmend an Be-
deutung gewannen. Schließlich wird die indigenc Bevöl-
kerung Sibiriens mit ihren unterschiedlichen Ethnien und
den jeweiligen besonderen kulturellen Entwicklungen
umfassend vorgestellt, bevor sich der Autor ausführlicher
und sehr kenntnisreich mit der indigenen Bevölkerung
Tschukotkas befasst, die er auf mehreren Feldforschungen
seit den 1990er Jahren eingehend untersucht hat. So ver-
mittelt er schlüssige Erklärungen für die enorme kultu-
relle Dynamik, die sich seit dem 19. Jh. innerhalb und zwi-
schen den dort lebenden Tschuktschen und sibirischen
Eskimo-Gruppen - offenbar unter äußerem Einfluss -
vollzogen hat, die letztlich zu sozialen und wirtschaft-
lichen Differenzierungen in Rentierhalter- und Küsten-
Tschuktschen geführt hat.
Auch hinsichtlich aktueller Entwicklungen seit Perestroi-
ka findet man hier die treffenden Akzente. So ist nach den
seitdem öffentlich diskutierten Umweltsünden der Ver-
gangenheit und Gegenwart das Thema des Umwelt-
schutzes zunehmend brisanter geworden. Doch wurden
bei den dort geplanten großflächigen Naturschutzgebie-
ten zunächst elementare Erfordernisse der indigenen Be-
völkerung zur nachhaltigen Nutzung ihrer traditionellen
Ressourcen und des Erhalts ihres besonderen Kultur-
erbes nicht immer angemessen berücksichtigt. Immerhin
hat die Internationale Walfangkommission (IWC) im Jahr
1993 einem begrenzten Walfang durch Einheimische zu-
gestimmt, indem indigenen Gemeinschaften entspre-
chende Fangquoten erteilt wurden. Ein solcher Erhalt
oder eine Wiederbelebung lokaler Kulturtraditionen im
Rahmen einer nachhaltigen Entwicklung ist insofern rich-
tungweisend, da dadurch wichtige soziale Strukturen in
indigenen Gemeinschaften zu erhalten sind. Schließlich
finden in diesem Beitrag auch die hierfür notwendigen
traditionellen Weltbilder und Rituale gebührend Beach-
tung, durch die vor allem Werte im Umgang mit der Natur
vermittelt werden. Auch neuere Missionsbestrebungen
bleiben nicht unerwähnt, die häufig von Alaska aus erfol-
gen und mitunter durchaus als problematisch anzusehen
sind.
James R. Gibson beschreibt in dem Kapitel „Sturm auf
Alaska“ (S. 212-247) die von Russland ausgehenden Ex-
peditionen über Kamtschatka und die Aleuten bis hin zur
nördlichen Pazifikküste Amerikas zur Erschließung des
maritimen Pelzhandels, zunächst vor allem um die be-
gehrten Seeotterfelle, bis man dort schließlich auf kon-
kurrierende Handelsmächte und mitunter auf gewalt-
samen Widerstand indigener Gruppen (z. B. der
Tlingit-Indianer) stieß. Nach dem Verkauf von Russisch-
Amerika an die USA im Jahre 1867 konzentrierten sich
die russischen Handelsaktivitäten dann wieder stärker
auf die Amur-Region, wo China nun weniger Widerstand
entgegenzusetzen hatte als noch in dem Jahrhundert zu-
vor.
Die Entwicklungen vor allem auch im Inneren Alaskas
werden in „Das Große Land“ (S. 248-297) von Stephen
Haycox abgehandelt. Dabei geht es zunächst um die ver-
schiedenen Phasen der wirtschaftlichen Erschließung -
Goldrausch. Fischereiindustrie, Bodenschätze - und
schließlich die militärisch-strategische Bedeutung des Ge-
biets seit dem 2. Weltkrieg. Weiterhin wird die Entwick-
lung territorialer Gesetzgebung bis zur schließlichen Er-
langung der Eigenstaatlichkeit von Alaska behandelt
sowie die Besonderheiten indianischer Gesetzgebungen
in diesem Gebiet, die 1971 in das umfassende Abkommen
des Alaska Native Claims Settlement Act (ANCSA)
mündeten.
179
Buchbesprechungen Südasien
___________TRIBUS 58,2009
Am Ende des Buchs steht der wertvolle - sich auf alle
Polargebiete beziehende - zusammenfassende Beitrag
von Peter Schweitzer „Die Völker des Nordens: Von kolo-
nialer Vergangenheit zu selbstbestimmter Zukunft“
(S. 304-311), wobei dieser Artikel allerdings leider im
Textfluss als Anhängsel zum Kapitel „Alaska“ ein wenig
verloren zu gehen droht.
Das Buch überzeugt durch großartige Fotografie sowie
durch wissenschaftlich fundierte und zugleich auch für ein
breiteres Publikum angenehm zu lesende Beiträge von
führenden Experten zu den jeweiligen Regionen und
Fachgebieten. Als etwas irritierend werden allerdings die
Art der Zusammenstellung bzw. unzureichende Abgren-
zungen und die zu Wiederholungen führenden Über-
schneidungen bestimmter Inhalte in den Beiträgen der
jeweiligen Autoren empfunden. So werden einige The-
men in verschiedenen Kapiteln mehrmals abgehandelt,
wie z. B. der Goldrausch, die Suche nach der Nordwest-
Passage und vor allem frühgeschichtliche Entwicklungen.
Da sich letztere in besonderem Maße regionsübergrei-
fend vollzogen haben, wäre es vermutlich sinnvoller ge-
wesen, die wichtigen Einzelbeiträge von Robert McGhee
in einem (einführenden) Block zu bündeln, als sie jeweils
regionalen Kapiteln einzeln zuzuordnen.
Erich Kasten
Peter Berger:
Füttern, Speisen und Verschlingen. Ritual und
Gesellschaft im Flochland von Orissa, Indien.
Berlin: LIT Verlag. 2007.548 Seiten.
ISBN 978-3-8258-9789-5
Die vorliegende Dissertation ist das Ergebnis einer 22
Monate dauernden ethnographischen Feldforschung im
Hochland von Orissa in Indien. Thematisiert werden die
Rituale und Feste der Gadaba unter besonderer Berück-
sichtung der alimentären Prozesse.
Ein Ziel der Arbeit ist es, ganz im Sinne der strukturalen
Anthropologie, die Rituale in ihrer Gesamtheit zu erfas-
sen und auf Beziehungen untereinander zu verweisen.
Zudem soll gezeigt werden, wie sich die Rituale in der so-
zialen Ordnung widerspiegeln.
Das umfangreiche Werk leistet einen wichtigen Beitrag
zur Ethnographie Orissas, bisher haben sich nur wenige
Forscher dieser Region angenommen und viele Ethnien
des Hochlandes bleiben bis heute in der Literatur fast
gänzlich unerwähnt. Darüber hinaus schließt die Disserta-
tion eine bedeutende Lücke in der Erforschung der Spei-
se in tribalen Kontexten in Indien.
Im einführenden Kapitel beginnt der Autor mit einer de-
taillierten geographischen Beschreibung der Forschungs-
region, er gibt einen Überblick über die Ethnographie der
Gadaba und über seine eigene Feldforschung. Dann setzt
er sich mit mehreren Ethnologen auseinander, die sich
mit dem Thema Speise befasst haben, wie z.B. S. B. Ortner,
C. Lévi-Strauss, M. Douglas, M. Harris, M. D. Sahlins und
A. Meigs.
Der „Speise in Indien“ ist der nächste Abschnitt gewid-
met. Exemplarisch hierfür wird die ö/ru/ci/'-Verehrung
Krishnas angeführt: Durch Hingabe an den Gott und Tei-
len der Speise (prasad) finden die Gläubigen den Weg zur
Erlösung. Die Anhänger des Jainismus hingegen sehen
ihren Weg zum Heil im extremen Fasten. Über die Spei-
sen der Stammesgruppen gibt es fast keine Studien. Sie
werden als minderwertig betrachtet von Hindus und Mus-
limen, denn der Verzehr von Rindern, Ratten und Schwei-
nen wäre für diese undenkbar.
Des Weiteren stellt der Autor Ethnologen vor, die sich mit
der Thematik des Kastensystems auseinandergesetzt ha-
ben wie L. Dumont, A. C. Mayer und McKim Marriatt.
Rituelle Speisevorschriften werden hier als Ausdruck von
Hierarchie verstanden.
Die wichtigsten Grundnahrungsmittel der Gadaba sind
Reis und Hirse, daraus werden einfache Speisen zuberei-
tet, als Beilage dienen verschiedene Gemüsesorten.
Fleisch wird außerhalb von rituellen Kontexten nur selten
konsumiert. Die bedeutendste rituelle Speise wird als
tsoru bezeichnet. Tsoru wird im Rahmen der Opferung
zubereitet. Meist wird dafür der Kopf des Opfertieres, zu-
sammen mit dessen Blut und einem Teil der Leber in
einem neuen irdenen Tontopf am Ort der Opferung ge-
kocht. Tsoru darf nur von einem relativ eng begrenzten
Personenkreis gegessen werden (z.B. den männlichen
Agnaten eines Dorfes oder den Agnaten eines Hauses).
180
Buchbesprechungen Südasien
Aus dem Rumpf des Tieres wird lakka, eine untergeord-
nete Speise hergestellt. Diese steht einem weiteren Feld
an Konsumenten zur Verfügung.
In den Ritualen des Jahreszyklus wird tsoru vorwiegend
geteilt, wie z.B. am Schrein der Erdgöttin. In den Ritualen
des Lebenszyklus wird tsoru überwiegend getauscht, bzw.
gegenseitig gefüttert, wodurch soziale Beziehungen kon-
stituiert und transformiert werden.
Im zweiten Kapitel wird die soziale Ordnung der Gadaba
dargestellt. Dieser Teil der Arbeit steht unabhängig von
der späteren Beschreibung der Rituale, kann als „Nach-
schlagewerk“ verwendet werden und gibt einen wichtigen
Einblick in die Sozialstrukturen des Hochlandes von
Orissa, auch für denjenigen Leser, der sich nicht vor-
nehmlich für die rituellen Prozesse interessiert.
Thematisiert werden u.a. Hausaufbau und -ausstattung,
besondere Bedeutung erhält hierbei der zentrale Pfosten
doron deli, der den Hausgott repräsentiert. Dieser befin-
det sich im „inneren Raum“, in dem auch tsoru gekocht
wird und der für Fremde und Affine nicht zugänglich ist.
In einem größeren Raum wird lakka gekocht.
Erläutert werden Deszendenzgruppen wie kutum und die
nächstgrößeren sozialen Einheiten kuda. Ein kutum bil-
det bei Festen eine rituelle und kommensale Einheit. Die
kuda-Gxupp&n übernehmen unterschiedliche Aufgaben
wie z.B. die des Opferers (Sisa/pujari) oder des Kochs
(Kirsani/rauf/ön). Eine weitere Deszendenzkategorie ist
bonso. Bei den Gutob-Gadaba finden sich die vier bonso-
Kategorien: Kobra/Schlange (hantal), Tiger (killo), Affe
(golori) und Sonne (kora). Innerhalb eines bonso darf
nicht geheiratet werden, aber man speist gemeinsam
tsoru. Der Autor bezeichnet eine ¿»onso-Gruppe, die in
einem Dorf anzutreffen ist, auch als „Dorfklan“ und er
hebt hervor, dass die Bedeutung dieses Dorfklans bisher
kaum wahrgenommen wurde.
Es werden rituelle Orte des Dorfes vorgestellt und die
wichtigsten Götter differenziert in „unten“ und „oben“,
Erdgottheit und Sonne/Mond. Der Erde werden blutige
Opferungen dargebracht (Rinder, Büffel und Schweine)
und Sonne und Mond erhalten „weiße“ Opfergaben (Zie-
gen). Der Schrein der Erdgottheit (hundi) befindet sich
im Dorfzentrum, der Schrein von pat kanda, der mit der
Sonne assoziiert wird, außerhalb der Dorfgrenzen.
Das dritte Kapitel ist den Ritualen des Lebenszyklus ge-
widmet, beginnend mit den Ritualen der Schwangerschaft
und der Geburt. Die Gadaba glauben, dass mit dem Tod
einer Person die Lebensenergie (jibon) freigesetzt wird
und, durch den Wind getragen, sich später an eine andere
weibliche Person anheftet, die schwanger wird. Rituale
während der Schwangerschaft werden u.a. durchgeführt,
um den rau-Dämon davon abzuhalten, das jibon des un-
geborenen Kindes zu essen. Nach der Geburt wird u.a.
kordi-Reis verzehrt, eine Speise, die oft zusammen mit
Fisch bei Riten des Übergangs zubereitet wird. Bei der
„Beendigung der Unreinheit“ (sutok sorani) wird das
Kind Teil der neuen Gemeinschaft, es empfängt zum er-
sten Mal tsoru und erhält einen Namen.
Der Prozess der Hochzeit beginnt mit der Brautwerbung.
Die Brautwerber besuchen das Haus des auserwählten
Mädchens und bringen Bier und Schnaps. Bevor das Mäd-
chen das Elternhaus verlässt, wird es zum letzten Mal mit
tsoru gefüttert. Von nun an erhält es nur noch lakka und
wird wie eine Affine behandelt. Im neuen Haushalt ange-
langt füttert sich das Brautpaar gegenseitig mit tsoru.
Auch beim Hochzeitsritual wird das Brautpaar von ver-
schiedenen Gruppen mit tsoru gefüttert. Am bedeu-
tendsten dabei ist die kommensale Gemeinschaft der
„Zwölf Brüder“, ihre Darreichung der Speise gilt als be-
deutendste Opfermahlzeit des Lebenszyklus.
Liegt eine Person im Sterben, so wird sie nicht ins Kran-
kenhaus gebracht, da die Furcht vor dem Tod außerhalb
des Dorfes größer ist als der Tod selbst, denn außerhalb
der Dorfgrenzen herrschen Totengeister und Dämonen.
Der Tote (duma) wird auf dem Scheiterhaufen verbrannt
und zwei Tage später rituell ins Reich des Totengottes ge-
schickt. Auch bei den Bestattungsritualen spielt die tsoru-
Kommensalität eine Rolle und auch der Tote erhält tsoru.
Von besonderer Bedeutung ist die letzte Phase der Be-
stattung, das gotr. Hier werden die Körper der Toten in
Wasserbüffeln wiederbelebt und tagelang von ihren An-
gehörigen gefüttert und beweint. Die Büffel werden mit
persönlichen Gegenständen der Toten geschmückt und
bekleidet, in einer Prozession aus dem Dorf geführt, von
externen Agnaten mitgenommen und verzehrt.
Das vierte Kapitel gibt einen Einblick in die Rituale des
Jahreszyklus. Die drei wichtigsten Feste der Gadaba sind
das chaitporho (April-Fest) in der heißen Zeit, das banda-
pan porbo (August-Fest) in der Regenzeit und das diali
porbo (November-Fest) in der kalten Zeit. Nur bei diesen
drei Festen wird der Schrein der Dorfgottheit geöffnet
und in jedem Haus wird für den doron deli geopfert und
tsoru zubereitet.
Beim chait porbo werden die Reissamen rituell ausgesät,
es finden Opferungen für pat kanda statt und das Dorf
wird vorübergehend nach außen verschlossen. Im Rah-
men des diali porbo wird die erste Rispe der Nassreis-
ernte eingeholt und es wird für die Dorfgöttin geopfert
{hundi sitla). Ein besonderes Merkmal der Nassreisernte
ist, dass der Reis wie eine Braut ins Dorf gebracht wird.
Die Flussgötter kamni gelten als die Eltern des Reises
und an sie richtet sich die „Brautwerbung“.
Im letzten Kapitel werden die Heilrituale der Gadaba
thematisiert. Als Krankheitsursachen gelten u.a. Übertre-
tungen, Schadenszauber durch Menschen, der böse Blick,
Angriffe von Dämonen und Vernachlässigung der Götter
und der Toten. Durch regelmäßige Opferrituale sichert
man sich die Unterstützung der Götter und Krankheiten
können ferngehalten werden. Als therapeutische Spezia-
listen fungieren u.a. der dissari (Wahrsager), der gunia
(Heiler) und die gurumai (Medium). Behandlungsmetho-
den sind Gelübde,Tieropfer, Zaubersprüche und Medizin,
die um den Körper gebunden oder oral eingenommen
wird. Als Hilfsmittel dient auch jupan,eine Eisenkette, die
vor Attacken gefährlicher Wesen schützt. Jupan „isst“ im
Rahmen von Opferungen Blut, um wirksam zu bleiben
und zu verhindern, dass Dämonen und Hexen das mensch-
liche Blut verschlingen. Häufig wird Medizin in Eisenzap-
fen {luar kuti) gefüllt, die in die Erde geschlagen werden.
Auch Schnaps dient dazu, die Toten oder Dämonen aus
den Körpern der besessenen Personen auszutreiben. Die
Flüssigkeit wird mit voller Wucht in die Nasenlöcher, den
Mund und die Ohren der geschädigten Person gespuckt.
Wie bei den anderen Ritualen wird auch bei den meisten
Heilritualen das Fleisch von Opfertieren verzehrt.
181
___________TRIBUS 58,2009
Im Schlusswort und in den Zusammenfassungen der ein-
zelnen Kapitel gelingt es dem Autor sehr gut, Bezie-
hungen aufzuzeigen, die er auch durch Graphiken ver-
deutlicht. So bestehen z.B. zwischen den Heilritualen, den
Ritualen des Lebenszyklus und den Ritualen des Jahres-
zyklus Analogien: Das Leben des Menschen und das
Wachstum der Pflanzen läuft jeweils Gefahr, von Dämo-
nen verschlungen zu werden. Auch stellt der Verfasser
fest, dass die Klassifikationen der Speise mit denen der
räumlichen und sozialen Ordnung korrespondieren: Es
finden sich Oppositionspaare wie tsoni/lakka, innen/au-
Ben, Agnaten/Affine.
In einem Epilog problematisiert der Autor die Person des
Ethnographen, seine Wahrnehmung und die Integration
in eine fremde Gesellschaft. Er gibt einen kurzen Über-
blick über die Geschichte der Feldforschung und lässt den
Leser schließlich teilhaben an seinem eigenen allmäh-
lichen „Eintauchen“ in das Stammesgebiet der Gadaba.
Einen Höhepunkt erfährt seine „teilnehmende Beobach-
tung“ durch die eigene rituelle Hochzeit mit seiner Le-
bensgefährtin.
Im Anhang findet sich auch ein sehr nützliches Glossar, in
dem für die Arbeit relevante Begriffe der indigenen Spra-
chen Desia und Gulob übersetzt werden.
Alles in allem handelt es sich hier um eine sehr lobens-
werte und gewissenhaft erarbeitete Dissertation über
Speise und Rituale der Gadaba. Die Publikation leistet
einen bedeutenden Beitrag zur Erforschung der tribalen
Bevölkerung Orissas. Wenn man überhaupt eine Kritik
anbringen möchte, dann evtl, bezüglich der Fülle des ein-
gebrachten Materials, die das Lesen bisweilen erschwert.
Aber in Anbetracht der Tatsache, dass es sich hier um eine
Dissertation handelt über eine noch relativ unerforschte
Region und ein noch fast unbehandeltes Thema, kann
dies nicht als Beeinträchtigung sondern als Verdienst an-
gesehen werden.
Susanne Faller
182
Anschriften der Mitarbeiter TRIBUS 58,2009
Bautze, Dr. Joachim K., Priv.-Doz., Gastprofessor, Kunsthistorisches Institut,
Abt. Kunstgeschichte Südasiens der FU Berlin, Koserstraße 20, D-14195 Berlin
Biaso, Lie. phil. Elisabeth, Höhenweg 16, CH-8032 Zürich
Bohnet, Ulrike M.A., Linden-Museum Stuttgart, Hegelplatz 1, D-70174 Stuttgart
Bunte, Ulrike, Linden-Museum Stuttgart, Hegelplatz 1, D-70174 Stuttgart
Bustorf, Dirk, Universität Hamburg, Asien-Afrika-Institut, Rothenbaumchaussee 19,
D-20948 Hamburg
Darcis, Günter, Linden-Museum Stuttgart, Hegelplatz 1, D-70174 Stuttgart
Dreyer, Anatol, Linden-Museum Stuttgart, Hegelplatz 1, D-70174 Stuttgart
Faller, Susanne M.A., Linden-Museum Stuttgart, Hegelplatz 1, D-70174 Stuttgart
Forkl, Dr. Hermann, Linden-Museum Stuttgart, Hegelplatz 1, D-70174 Stuttgart
Grootaers, Ph. D. Jan Lodewijk, Institut of Arts Minneapolis, 2400 Third Avenue
South, Minneapolis, MN 55404, USA
Hahn, Prof. Dr. Dr. h.c. Roland, Gesellschaft für Erd- und Völkerkunde zu
Stuttgart e.V., Hegelplatz 1, D-70174 Stuttgart
Heermann, Dr. Ingrid, Linden-Museum Stuttgart, Hegelplatz 1, D-70174 Stuttgart
Heissenbüttel, Dr. Dietrich, Hohenkreuzweg 26,73732 Esslingen
Höfling, Elfie, Linden-Museum Stuttgart, Hegelplatz 1, D-70174 Stuttgart
Kasten, Dr. Erich, Uferweg 4, D-16798 Fürstenberg/Havel
Koch, Prof. Dr. Lars-Christian, Ethnologisches Museum der Staatlichen Museen
zu Berlin, Abt. Medien-Technik und Berliner Phonogramm-Archiv, Arnimallee 27,
D-14195 Berlin
Krämer, Dr. Annette, Linden-Museum Stuttgart, Hegelplatz 1, D-70174 Stuttgart
Kurella, Dr. Doris, Linden-Museum Stuttgart, Hegelplatz 1, D-70174 Stuttgart
Kurzmann, Dr. phil. Dr.-Ing. Peter, Grabenstraße 6a, D-71116 Gärtringen
Michel, Prof. Dr. Thomas, Linden-Museum Stuttgart, Hegelplatz 1,
D-70174 Stuttgart
rsP-
Müller, Iris, Linden-Museum Stuttgart, Hegelplatz 1, D-70174 Stuttgart
Otto-Hörbrand, Martin M.A., Linden-Museum Stuttgart, Hegelplatz 1,
D-70174 Stuttgart
Riese, Prof. Dr. Berthold, Universität Bonn, Institut VII, Abt. für
Altamerikanistik und Ethnologie, Römerstraße 164,53117 Bonn
Robertshaw, Peter, Professor and Chair, California State University, Department of
Anthropology, San Bernardino, CA 92407-2397, USA
Röschenthaler, Dr. habil. Ute, Institut für Ethnologie an der Goethe-Universität
Frankfurt a. Main, Grüneburgplatz 1,60323 Frankfurt a. Main
Sassmann, Manuel, Joseph-Haydn-Straße 28, D-71254 Ditzingen
Schelnberger, Antonia M.A., Weberstraße 26, D-53113 Bonn
Schierle, Dr. Sonja, Linden-Museum Stuttgart, Hegelplatz 1, D-70174 Stuttgart
Theobald, Ulrich M.A., Universität Tübingen, Asien-Orient-Institut, Abt. für
Sinologie und Koreanistik, Wilhelmstraße 133, D-72074 Tübingen
Thurm, Mannsfeld, Linden-Museum Stuttgart, Hegelplatz 1, D-70174 Stuttgart
Werlich, Dr. Uta, Linden-Museum Stuttgart, Hegelplatz 1, D-70174 Stuttgart
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