100
Texte Im Völkerkundemuseum aus der Sicht von Schülern
Gegenstände sprechen nicht für sich, weder im
Museum noch anderswo. Vielmehr ist es der Be
trachter, der sie zum Sprechen bringt. Dafür muss
er den Gegenstand allerdings in einen subjektiv
sinnvollen Zusammenhang einordnen können.
Das gelingt dort, wo der Gegenstand Anhalts
punkte für eine Einordnung bietet oder ein un
mittelbar intuitiver Zugang möglich ist. Darauf
kann sich das Völkerkundemuseum nicht verlas
sen: Unbekannte Materialien, Techniken, Arbeits
abläufe lassen bei Cebrauchsgegenständen häufig
deren Funktion nicht erkennen; bei sakralen Ge
genständen bleibt der Sinn ohne den spirituellen
Hintergrund unverständlich. Rein intuitiv mag ein
Gegenstand gefallen, beeindrucken, abstoßend
oder lustig wirken - verstanden wird er nicht.
Das geringere Problem besteht darin, dass Gegen
stände falsch verstanden werden und der Besu
cher beispielsweise einen Pflanzstock als Waffe
wahrnimmt und entsprechend darauf reagiert.
Das größere Problem ist, dass das Völkerkunde
museum vor allem Eindrücke von Fremdheit ver
mittelt, wenn die Geschichten dahinter, die eine
verstehende Auseinandersetzung mit der ande
ren Kultur ermöglichen, nicht erzählt werden.
Texte im Museum als Forschungsgegenstand
Neben visuellen Verständnishilfen haben erzähl
te und geschriebene Texte eine zentrale Funkti
on bei der Schaffung eines Kontextes, in den der
Besucher den gezeigten Gegenstand sinnvoll ein
ordnen kann. Die Besucherforschung beschäftigt
sich daher schon seit längerer Zeit mit der Gestal
tung von Texten in Museen (vgl. Weber/Noschka
1988; Parmentier 2009). Nach der Analyse von
Parmentier beschränken sich allerdings «die Be
mühungen um bessere, das heißt verständliche
re Museums- beziehungsweise Ausstellungstexte
fast ausschließlich auf formale Gestaltungsmerk
male wie die Typografie (grafische Gestaltung,
Farbe, Schriftform, Schriftgröße, Zeilenabstand),
den textuellen Aufbau (Wortmenge, Satzlän
ge, Abschnittsgröße, Überschriften), Vokabu
lar (Anteil von Vokalen und Konsonanten, von
Fremdworten, Alltagswendungen, Wissenschaft
sterminologie) und die Verknüpfungsformen
(argumentativ, narrativ, parataktisch, hypotak
tisch)" (2009: i). Nun sind linguistische Merkmale
eines Textes sicherlich nicht unwichtig. Was zu
klein geschrieben oder zu umständlich formu
liert ist, kann auch nicht verstanden werden. Die
Wirkung eines Textes hängt aber natürlich auch
von seinem Inhalt ab. Nach den Inhalten von Mu
seumstexten und ihren Wirkungen hat jedoch die
bisherige Forschung kaum gefragt (vgl. Parmen
tier ebd.). Wurde die Wirkung von Texten unter
sucht, konzentrierte sie sich bisher überwiegend
auf einfach zu quantifizierende Variablen: Wie
viele Texte wurden zu welchen Anteilen gelesen,
welche Informationen erinnert und so weiter?
Differenziertere Untersuchungen, die genauer
erfassen, wie ein Text von Besuchern aufgenom
men, beurteilt und verarbeitet wird und die dann
etwa erklären können, warum bestimmte Infor
mationen unbeachtet bleiben, sind dagegen sehr
selten (vgl. Weber/Noschka 1988). Ansätze in die
ser Richtung gibt es beispielsweise in einer Studie