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Rezensionen
Anthropos 79.1984
über den traditionellen Kalunga zu schreiben, bewußt bin,
möchte ich doch einige Bemerkungen machen.
Aarni bietet sehr viel Informationsmaterial, nach meiner
Kenntnis praktisch alles, was er auftreiben kann. Man würde
sich aber eine kritischere Verarbeitung dieses Materials
wünschen. Daß er bezüglich Gottesnamen ganz disparate
und zum Teil sich widersprechende Feldinformationen gibt,
ist in Bantu-Afrika gang und gäbe (es gibt mehrere Gründe
hierfür). Doch diese Informationen können meist nach einer
kritischen Sichtung geordnet und gewertet werden: Man
kann zeitliche Sequenzen erstellen, man kann aber auch die
Informanten, Autoren und ihre Informationen kritisch
prüfen und dann eine Bewertung vornehmen. Man weiß ja,
daß Autoren und Informationen nicht gleichrangig sind.
Nehmen wir z. B. Aarnis Aussagen ab Seite 102, wo er
die etymologischen Ableitungen des Wortes Kalunga auf
führt. Es ist nicht möglich, ein derart verbreitetes Wort wie
Kalunga aus einer Bantu-Sprache erklären zu wollen. In
praktisch jeder Bantu-Sprache könnten Wörter gefunden
werden, von denen Kalunga abgeleitet werden kann. Aber
mehr als Spielerei ist ein derartiges Vorgehen nicht. Dem
Autor ist deshalb beizustimmen, wenn er sagt (103): „... we
are not able to say with any certainty what the word
,Kalunga' really means“; dennoch ist unter den diversen
Etymologien eine bestimmte Wertigkeit auszumachen. Carl
Meinhof hat bereits 1910 einige Bantu-Gottesnamen auf die
Urbantu-Wurzel *lungu mit der Bedeutung „Sippe“ durch
geführt. Aarni zitiert dann auch (104) diese Meinung mit E.
Dammanns Worten. Eine Bewertung desselben nimmt er
aber nicht vor. Da aber der anzestrale Charakter von Kalunga
bei den Ovambo derart im Vordergrund steht, wäre ein
näheres Eingehen auf diese alte Meinhofsche Etymologie
sicher von Nutzen gewesen.
Die enge Verquickung Kalungas mit dem Königtum der
Ovambo hätte ebenfalls weiter verfolgt und vertieft werden
können. Kalunga müßte in diesem Zusammenhang gar nicht
„Gottheit“ bedeuten, sondern „Königsmacht“, wie sie vom
Urahn institutionalisiert wurde. Ähnliche Ideen gibt es auch
in anderen Bantu-Reichen, so etwa bei den Bakongo und
Bakuba (man vergleiche hierzu; W. G. L. Randles, L’ancien
royaume du Congo, Paris, Mouton, 1968: 30-32). So müßte
der König der Ovambo auch nicht als „göttlich“ bezeichnet
werden, wie Aarni (88) richtig betont.
Aus Kapitel 7, wo es um Parallel-Namen Kalungas in-
und außerhalb des Ovambo-Landes geht, hätte Aarni mehr
Nutzen ziehen können. Zu Beginn des Kapitels macht er die
Aussage: „My hypothesis is that Kalunga is a very old Bantu
name, which it is used in different ways by different peoples“
(102). Hätte der Autor nicht besser seine Hypothese anders
formuliert, denn diese seine Aussage ist keine Hypothese
mehr, sondern es sind Fakten? Hätte er den fast allgegenwär
tigen anzestralen bzw. chthonischen Bezug Kalungas in seine
Hypothese aufgenommen, hätte er das Thema wesentlich
bereichern können. In diesem Zusammenhang hätte auch die
Vorsilbe Na- (111 ff.) Beachtung verdient. Auch auf das
Problem der Doppelnamen hätte näher eingegangen werden
können. Ebenso ist der Parallelismus in den Sprichwörtern in
seiner ganzen Tragweite nicht ausgeschöpft worden. Wie
unser Autor ja zeigt (113), wird Muthithi (Mushishi) mit
Kalunga in Parallele gesetzt. Haben wir es hier dann noch mit
einem Gottesnamen zu tun? Die Übersetzung von Muthithi
mit „spirit“ (112, 113) kann sich wohl kaum auf ursprüngli
ches Denken der Ovambo berufen.
Ich möchte die Rezension endlich abbrechen, sonst
entsteht noch der Eindruck, Teddy Aarnis Buch sei schlecht.
Mein Rezensionsexemplar ist zwar mit Anmerkungen über
sät, nicht aber weil ich viel zu kritisieren hätte, sondern weil
die Arbeit stimuliert, sich neue Zusammenhänge auftun, man
manches natürlich gerne anders gemacht hätte. Ich glaube
aber, es ist kein schlechtes Zeichen für eine Zusammenarbeit,
wenn sie derart anregend ist und der Rezensent sie mit
großem Gewinn gelesen hat. J. F. Thiel
Ackerknecht, Lucy K. Individualpsychologische Kin
der- und Jugendpsychotherapie. 128 pp. München und Basel
1982. Ernst Reinhardt.
Das handliche Buch konzentriert sich auf Kinder- und
Jugendtherapie (ergänzend dazu wurde von der in Ethnolo
gie und Psychologie geschulten Verfasserin in Vorträgen in
Deutschland vor Experten die psychotherapeutische
Behandlung alter Menschen aus derselben Sicht wie dieses
Buch, nämlich vom Standpunkt der Individualpsychologie,
behandelt). Aus dem Eigenstand dieser Grundpsychologie
gegenüber anderen Schulrichtungen der Psychotherapeutik,
deren Verhältnis zueinander sorgfältig dar gestellt ist, wird
das zentrale Kap. 4 des wegweisenden Büchleins, „Kinder
und Jugendliche kennen und verstehen lernen“, zu einer
Gewissenserforschung mehr für die Erziehenden als die
Erzogenen. In Ethnologie wird mit Berufung auf M. Mead
die Krise der Adoleszenz in Europa und Amerika Gegen
stand einer Fehldiagnose. Durch methodische Befragung
samoanischer Mädchen hatte Mead erkundet, daß sie die
Pubertät als die glücklichste Zeit ihres Lebens betrachten.
Inzwischen hat allerdings der Ethnologe D. Freeman („Mar
garet Mead and Samoa. The Making and Unmaking of an
Anthropological Myth.“ Cambridge 1983. Harvard Univ.
Press) bei der soziologischen Nachprüfung dieser These
deren Geltung bestritten; das Erziehungssystem bei den
polynesischen Samoanern sei nämlich autoritär und purita
nisch. Daß Frau Mead bei den Aussagen der Mädchen darauf
nicht aufmerksam wurde, ist allerdings verwunderlich. Doch
muß damit die Beglücktheit der Mädchen wegen ihrer
erreichten Vollweiblichkeit (was nicht gleich sein muß mit
erlangter Ehefähigkeit) nicht erfunden und wissenschaftlich
nichtig sein. Die individualpsychologische Relevanz dieser
Euphorie besteht.
Soweit sich die Psychotherapie auf S. Freud stützt,
erhebt die Autorin Einwände. Ausführlicher und zustim
mend beschäftigt sie sich dagegen mit der „humanistisch“-
psychotherapeutischen Stellung der Archetypen C. G. Jungs,
der Persönlichkeit, der Anima und des Animus, sowie des
Selbst. Al. Closs t
Allan, Sarah. The Heir and the Sage: Dynastie Legend
in Early China. (Chinese Materials Center. Asian Libraries
Series, 24.) XIV+165pp. San Francisco 1981. Chinese
Materials Center. Price; $24.75.
In ihrer Analyse der mythologischen Struktur der
altchinesischen Geschichtstraditionen geht die Autorin die