Buchbesprechungen
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nächsten kommt, ist Robinson, der isolierte
Mensch — der sich durch diesen Tatbestand
selbst negiert.
Die These des Verf. besteht die Probe auf
das Exempel nicht. Sonst wäre seine Formu
lierung, daß „die Tierzüchtung von totem-
istischen Stämmen magisch geleistet“ wor
den ist — nicht gefallen. Für den Ethnologen
erklären heute diese Formeln gar nichts.
Wenn sie zu Recht bestünden, dann müßte
der Verf. auch behaupten, daß unsere mo
derne Industrie „magisch geleistet“ worden
ist. Ein Blick auf die Geräte und Jagd
methoden der naiven Völker offenbart uns
ein sehr rationales Handeln, das wir voll
ständig verstehen und nachvollziehen kön
nen. Daß diese Menschen außerdem auch
Religion hatten und haben, ist völlig natür
lich — das eine schließt das andre nicht aus.
Auf diese Weise erscheint uns der Mensch
— um den es dem Verf. auch geht — auf
einem gemeinsamen Grund zu stehen, der
die einzelnen Kulturen verbindet. Die spe
ziellen Kulturen aber sind „notwendige“
(im Sinne Nikolai Hartmanns) Kommuni
kationsfelder wechselnder Größe und Inten
sität, eine Art autonomer Beziehungssysteme,
die dadurch gekennzeichnet sind, daß sie
aus der Fülle des Möglichen eine beschränkte
Auswahl treffen und zu einem Ganzen zu
sammenfügen, das aber immer weniger ist
als das schlechthin Ganze, weil dieses sämt
liche Kulturen einschließlich der künftigen
umfaßt. Unter diesen Voraussetzungen ist
die vorliegende Arbeit als Orientierungs
versuch einer geschichtlichen Phase zu werten,
der besonders viele neue stoffliche Erfah
rung zugewachsen sind. Solche Phasen sind
unruhig. Gültige Bilder ihres Zustandes zu
geben, ist unmöglich, solange diese Epoche
nicht abgeschlossen ist.
„Das Zusammenwachsen des Geistigen mit
unserem Bewußtsein von Ursprung und Ge
genwart“ als „Konkretation des Unbegreif
baren“, wie G. sein Anliegen nennt, bedarf
immer der Fiktion des Fertigen und Abge
schlossenen.
Unbeschadet dieser Kritik stellt das vor
liegende Werk eine imponierende Leistung
dar, weil es einem breiten Leserkreis zu
demonstrieren weiß, was es mit der oft nur
unverbindlich angesprochenen Einheit einer
komplexen höheren Kultur auf sich hat.
J. F. Glück
ALFRED WEBER:
Prinzipien der Geschichts- und Kultur
soziologie. 176 S.. R. Piper & Co.. Mün
chen 1931.
ALFRED WEBER:
Der dritte oder vierte Mensch. Vorn Sinn
des geschichtlichen Daseins. 273 S.. R. Piper
& Co., München 1933.
In den beiden vorliegenden Büchern zieht
der Heidelberger Soziologe das Fazit seiner
wissenschaftlichen und menschlichen Bemü
hungen.
In den „Prinzipien“ geht es dem Verf. um
die „innere Strukturlehre der Geschichte“,
die erst durch den äußeren, d. h. sichtbaren
Kulturaufbau real wird. Am Beispiel Alt-
Ägyptens und Alt-Babylons werden diese
Prinzipien erörtert, ohne eigentlich überzeu
gen zu können.
Es läßt sich bei einem so umfassenden Ver
such nicht vermeiden, daß gerade für seinen
Ansatz auch ethnologische Fakten heran
gezogen werden. Der hierbei verwendete Be
griff vom „magischen Menschen“ darf jedoch
heute als überholt gelten, wie dies audi den
modernen tiefen- und ganzheitspsychologi
schen Erkenntnissen entspricht. Der natur
völkische und wohl auch der frühe Mensch
ist kein grundsätzlich anderer — anders wäre
ein Verstehen unmöglich. Dasselbe Argu
ment gilt auch für den „mythischen“ und den
„metaphysischen“ Menschen. Es gibt, insbe
sondere für einen Soziologen, objektivere
Kriterien, z. B. in den demographischen Da
ten und in der wachsenden Arbeitsteilung.
Die kleine, sprachlich und kulturell isolierte
soziale Einheit wird immer als magisch,
mythisch oder etwas Ähnliches angesprochen
werden können, weil einfach die äußeren
Mittel fehlen, die vorhandenen Denkmög
lichkeiten im Sinne des modernen Bewußt
seins auszuschöpfen. Der Blick in unsere Ta
geszeitungen, wo immer wieder von den
Auswirkungen des Hexenaberglaubens unse
rer Zeit berichtet wird, zeigt, daß Naives
immer vollziehbar ist, solange der Mensch
Mensch sein wird. Von einer „abgrundtiefen
Fremdheit“ etwa zwischen uns und Alt-Ba
bylon kann daher keine Rede sein.
Wir sind eher berechtigt anzunehmen, daß
der Mensch in seinen elementaren Zügen