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Buchbesprechungen
sich immer gleichbleiben wird. Unter diesem
Gesichtspunkt ist es wohl kaum möglich, vom
„dritten oder vierten Menschen -4 zu spre
chen — wohl aber von bestimmten histori
schen Lagen, die jeweils neue Aspekte des
Menschen aufdecken. Unter dem vierten
Menschentyp will der Verf. den Roboter des
bürokratisch-autokratischen Staates verstan
den wissen — unter dem dritten, den durch
Rousseau und die französische Revolution
geformten freiheitlichen Menschen. Der zweite
ist der naturvölkische und der erste ist der
frühe Mensch. Diese Einteilung kann man
hinnehmen, wenn man Geschichte mit
Mommsen „ab urbe condita“ beginnen läßt,
wie dies der Verf. tut.
Der Geschichtsbegriff des Ethnologen er
scheint uns dagegen als der umfassendere.
Wir meinen, daß der „Mensch 44 prinzipiell
mit „Geschichte“ verknüpft ist, auch wenn
keine Tafeln und Relikte mehr davon kün
den. Der frühe wie der naturvölkische Mensch
erscheint geschichtlich gegliedert, je nachdem
er uns als Sammler, Jäger, Fischer, höherer
Jäger, Pflanzer, Klein- und Großviehhirte
oder gar als pflügender Bauer begegnet.
Gegen die Annahme, daß Kultur irrever
sible Vorgänge umfaßt, wie z. B. die tech
nische Entwicklung und die Erweiterung des
Bewußtseinshorizontes erheben sich Beden
ken, da es sich hier um Dinge handelt, in de
nen dem Menschen ein gewisser Entschei
dungsspielraum gelassen ist. Irreversibel sind
m. E. nur biologische Fakten. Aus diesem
Grunde ist die morphologische Betrachtung,
d. h. die Auffassung vom Rhythmus in der
Geschichte wissenschaftlich zulässig, was auch
der Verf. bejaht.
Es mag noch vieles geben, wo man mit
dem Verf. rechten könnte, was bei einer der
artigen polyhistorischen Schau, die die mo
derne Physik ebenso einbezieht, wie die alten
Kulturen oder die Kunst der Gegenwart,
nur natürlich ist. Aber es läßt sich nicht
übersehen, daß hier ein Gelehrter von Rang
und ein Geront seine persönliche Erfahrung
und Weisheit als Quintessenz niedergelegt
hat. Wenn dies manchmal auch in einer
sprachlichen Formulierung geschieht, deren
Kompliziertheit uns als Studenten schon vor
25 Jahren erschreckt hat, so nimmt dies den
beiden Werken an Gehalt nichts weg.
Die Bedeutung dieser Arbeiten scheint mir
in dem Bekenntnis zu den physisch-metaphy
sichen „Kräften“ zu liegen. Es gestattet dem
Verf. ohne die inneren Widersprüche auszu
kommen, die für das normale spiritualistisch-
dualistische Denken Europas bezeichnend
sind. Damit hebt er die Phänomene in eine
höhere Einheit und steht so in einer Linie
mit der großen Mystik aller Zeiten und Kul
turen, die letztlich eher ein Mehr an Denken
als an Fühlen ist.
J. F. Glück
ARNOLD HAUSER:
Sozialgeschichte der Kunst und Literatur.
2 Bde. 536 und 586 pp. C. H. Beck sche
Verlagsbuchhandlung. München 1953
Eine Sozialgeschichte der Kunst, die im 1.
Bd. mit der älteren und jüngeren Steinzeit
beginnt, über die altorientalischen Stadt
kulturen der Antike führt, dann das Mittel-
alter behandelt und schließlich mit Renais
sance, Manierismus und Barock schließt, ist
allein schon vom Material her gesehen im
ponierend. Im 2. Bd. führt der Verf. seine
Darstellung fort über Rokoko, Klassizismus
und Romantik und endigt beim Film.
Die naturvölkische Kunst bleibt außerhalb
der Betrachtung. Dies erscheint nicht ganz
konsequent, da der Verf. dann auch auf die
„Steinzeit 44 hätte verzichten müssen, die me
thodologisch auf ungefähr der gleichen Ebene
liegt, wie die Kunst der Naturvölker.
Auch wenn man in religionswissenschaft
licher Hinsicht nicht den P. W. Schmidt'schen
Optimismus vom Urmonotheismus teilt, so ist
die Annahme, daß der Lithiker „keine Ge
bete“ kannte, so fragwürdig, wie das in sol
chen Fällen dann herbeigerufene Verlegen
heitswort der Magie.
Vom ethnologischen Standpunkt erheben
sich auch Bedenken gegen die Formulierung,
wonach für den Paläolithiker „die Welt der
Fiktionen und Bilder“ noch keinen eigenen
von der Erfahrungswelt verschiedenen Be
zirk „bedeutete“. Das ist füglich zu bezwei
feln, weil er nämlich sonst verhungert wäre.
Die im prähistorischen Schrifttum immer
wieder vertretene Auffassung, daß am An
fang der Kunst der naturnachahmende Stil
stehe, wird auch von Hauser übernommen —
weil, wie er begründet, sonst der magische
Zweck nicht erreicht worden wäre. Dieses
Argument ist in keiner Weise stichhaltig,
dies wird schon durch die Existenz von