Buchbesprechungen
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Piaroa-Gruppe am Cano Fruta, einem Zu
fluß des Rio Mataveni, wo Gheerbrant und
seine Gefährten einem Initiationsfest bei
wohnen konnten. Die Beschreibung dieses
Kultfestes, bei dem die Männer sorgsam vor
den Augen der Frauen gehütete Flöten und
Trompeten bliesen, Jaguarmaskentänzer in
federgekrönten Palmblattvermummungen
auftraten, und das seinen rituellen Höhe
punkt in dem „Kraftstoff“ spendenden Zau
berakt der Ameisenmarter fand, ist der eth
nologisch gehaltvollste Abschnitt des Buches.
(Einzelne Kultszenen wurden von der Expe
dition auch gefilmt und eine Anzahl kulti
scher Gesänge in Tonaufnahmen festgehal
ten.) Daß Gheerbrant nicht erkannt hat,
welch günstige Ansätze zu einem gründ
lichen Studium der Piaroa und ihrer Kultur
er mit seinen Beobachtungen an Cano Fruta
gewonnen hatte, ist umso bedauerlicher, als
dieser interessante Stamm noch niemals ge
nauer untersucht wurde, was schon Koch-
Grünberg beklagte.
Enttäuschend ist für den Ethnologen be
sonders der Hauptteil des Gheerbrantschen
Buches, der den Weg der Expedition durch
die Wälder des Ventuari zur Parimakette,
also durch das Gebiet der Makiritare und
Guaharibo (Shiriana-Waika) schildert. Er
bietet in den zusammenhanglosen Einzel
beobachtungen, wie sie sich aus den Situatio
nen des Expeditionsalltags im Umgang mit
Angehörigen dieser Stämme, auf der Fluß
fahrt, im Lager oder in den Dörfern, er
gaben, weder neues Tatsachenmaterial noch
allzuviele völkerkundliche Angaben über
haupt. Doch ist der grundsätzliche Unter
schied in Lebensweise und kulturellem Ge
samthabitus zwischen den seßhaften Maniok
bauern der Makiritare und den schweifen
den Guaharibo, die zwar keine Wildbeuter
im strengen Sinn, aber auch keine echten
Pflanzer sind, gut erfaßt. Wie unzulänglich
aber die Möglichkeiten ethnologischer Feld
arbeit gerade unter diesen Stämmen genutzt
wurden, wird deutlich, wenn man zum Ver
gleich die Forschungsergebnisse heranzieht,
die die Frobenius-Expedition 1954/55 nach
Venezuela aus ihrem nur wenig südlicher ge
legenen Arbeitsgebiet heimgebracht hat (s.
den vorläufigen Bericht von R. Zerries in
„Paideuma“, Bd. 7, H. 3, April 1956, S. 181
ff.).
Eine deutsche Ausgabe des Buches erschien
unter dem Titel „Welt ohne Weiße“ im Ver
lag von F. A. Brockhaus, Wiesbaden (370 S. r
mit 29 Textabb. und Tafelbildern). Dr. Fritz
Montfort hat den französischen Text zuver
lässig und gewandt übertragen und ist der
fesselnden Darstellung, die das Abenteuer
dieser Reise in Gheerbrants Erlebnisbericht
gefunden hat, nichts schuldig geblieben. Un
verständlich ist, weshalb der Übersetzer
durchgängig das Wort „hamac“ statt „Hän
gematte“ gebraucht. Eine Liste aller wich
tigen Fremdwörter sowie ein Namens- und
Sachregister vervollständigen die deutsche
Ausgabe, die der Verlag mit gewohnter
Sorgfalt ausgestattet hat.
Jäger
MAXIMILIAN PRINZ ZU WIED:
Unveröffentlichte Bilder und Handschrif
ten zur Völkerkunde Brasiliens. Unter
Mitarbeit von Josefmc Huppertz, Udo
Oberem und Karl Viktor Prinz zu Wied
herausgegeben von ]osef Röder und Her
mann Primborn. 150 S. Mit 16 Abb. und
einer Buntbildermappe F. Dümmlers Ver
lag, Bonn, Hannover, Stuttgart 1954.
Broschiert DM 12.S0
Auf dem Amerikanisten-Kongreß in Cam
bridge konnten Karl Viktor Prinz zu Wied
und Josef Röder die überraschende Mittei
lung machen, daß sich im Familienarchiv zu
Neuwied die Originalhandschriften und
Zeichnungen zu den großen Werken des
Prinzen Maximilian zu Wied erhalten hät
ten. Da die Werke, die der Prinz über seine
Reisen in das innere Brasiliens (1815—1817)
und Nordamerikas (1832—34) verfaßt hat,
zu den Klassikern der Völkerkunde und Na
turgeschichte gehören, ist es ganz besonders
zu begrüßen, daß das wiederentdeckte wich
tige Material in Gemeinschaftsarbeit sogleich
untersucht worden ist.
Die erhaltenen Manuskripte liegen in einer
Art „Tagebuch“ in drei Bänden vor, das auf
Grund der ersten, in kleinen Heften eingetra
genen Notizen abgefaßt worden ist, sowie in
einer zweiten, vierbändigen Fassung des
Reiseberichtes, die eigenartigerweise erst
nach der Veröffentlichung des Werkes
vom Prinzen aus unbekannten Gründen nie
dergeschrieben worden ist. Wichtiger noch
als dieses schriftliche Material, das interes
sante Vergleichsmöglichkeitcn mit dem ge
druckten Text gestattet, sind die im Fand-