Geschichte und Struktur der balto-slavischen Religion
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Anthropos 81.1986
are those of the pastures of meadows, then
come those for river and lakes (1974: 88).
Ferner könne man feststellen, daß Velinas
schon seit dem 16. Jh. auch mit anderen Namen
bezeichnet werde, nämlich Pikis, Piktis, Piku-
las. Dann weist die Autorin auf deren verschie
dene interessante Charakterzüge hin, von
denen wir hier nur einige der bezeichnendsten
erwähnen.
Velinas könne man auch mit dem germani
schen Odin verknüpfen, denn auch “Velinas’s
one eye is magic”, er ist “a seer” - clairvoyant.
Hierzu könne man sich auf das Sprichwort
“clever as a Velnias” beziehen.
Ferner sei auf lettisches Material zu verwei
sen, aus dem Vorstellungen wie “the cows of
Veli” bekannt seien [! nicht lett. veli und nicht
lett. Vel(n)i nom. pl., die Teufel; richtig: lett.
ve\i nom. pl.]. Diese Hinweise beendet sie mit
der Erwähnung, “Velinas rides a black horse”.
Auf Grund dieses Materials könne man
schließen:
The recognition of Velinas’s ancient fea-
tures in folklore as one of the very impor
tant pre-Christian gods fills a gap in the
study of Baltic mythology. The baltic Veli
nas was no less important than and of
similar stature as Veles/Volos in Slavic,
Odin and Uli in Old Norse, Varuna in
Indic, and Hades and Hermes in Greek
mythology (1974: 92).
Auf diese Weise wird also ein neuer baltischer
Gott mit Zügen internationaler Verwandtschaft
entdeckt. Es ist selbstverständlich, daß man sich
zu dieser Ansicht nur äußern kann, wenn man
alle zugänglichen Quellen überprüft, soweit sie
Nachrichten über lett. velis nom. sg., ve/f nom.
pl., Geister der Verstorbenen, und lett. velns
nom. sg., velni nom. pl., der Teufel, enthalten,
ebenso über lit. veles, velys, Geister der Ver
storbenen, und lit. velnias, dial. velinas nom.
sg., der Teufel. Vor allem ist der jeweilige
etymologische und semantische Zusammenhang
dieser Wörter auf linguistischer Ebene zu erklä
ren. Erst dann kann man über ihre eventuelle
Bedeutung und Funktionen auf religiöser Ebe
ne sprechen.
2. Alle erwähnten Wörter werden noch heute
in der lettischen und in der litauischen Sprache
benutzt. Sowohl lett. velis und velns als auch lit.
vele und velnias sind in der Umgangs- wie in
der Schriftsprache weit verbreitet. 3 Von beiden
Wörtern gibt es auch verschiedene abgeleitete
Formen mit unterschiedlicher Bedeutung. Wir
nennen hier nur einige von ihnen, die in der
weiteren Diskussion eine Rolle spielen. Zu
erwähnen sind solche Wörter wie lett. veläniesi
(27798, 5; 32408 [Numerierung nach Barons’
Sammlung, 1922]) und ihre verschiedenen
Nebenformen veleniesi (27800), velenisi
(32408), veläniesi (27798,4), veldnisi (27798, 2),
alle mit der Bedeutung Geister der Verstorbe
nen. Daneben wird auch die Form lett. ve\uonis
mit demselben Sinn vermerkt (cf. Etnografiskas
1891: 48). Hierzu ist gleich zu bemerken, daß
diese Form dem in der heutigen litauischen
Sprache gebräuchlichen lit. veliönis mit der
Bedeutung der Verstorbene entspricht (Bojäte
1964: 804). Zu der grammatischen Form dieser
Wörter ist zu sagen, daß sie alle von der Wurzel
vel- abgeleitet, mit dem Suffix -on- bzw. -non-
und der Endung -is gebildet sind, ähnlich sol
chen Wörtern wie lett. slikonis, der Ertrunke
ne, mironis, der Verstorbene, u.a. Substantive
mit dem Suffix -on- sind in der heutigen letti
schen Sprache nicht besonders häufig. 4 Dazu ist
zu bemerken, daß eine solche Ableitung von
Nomina für die baltischen Sprachen nicht
typisch ist. Mehrere Wissenschaftler für indoeu
ropäische Sprachen haben sich über diese
Erscheinung eingehender geäußert, daher be
steht kein Anlaß, sie hier zu erörtern. 5 * Um auf
die hier erwähnten baltischen Wörter zurückzu
kommen, so ist zwar festzustellen, daß sie alle
aus der Wurzel vel- abgeleitet sind. Doch
besagt diese Tatsache nichts über ihren semanti
schen Inhalt.
3 Cf. Endzellns (redig.) 1955/4: 530, 532. Senn 1968/
5; 250; Bojäte 1964: 804 f.; Fraenkel 1965/2: 1218, 1220;
Kurschat 1973/4: 2656 f., 2659.
4 Müsdienu 1959/1: 146. Marija Saule-Sleine bietet
hier auch eine umfangreichere Übersicht über die Ablei
tung solcher Wörter in der lettischen Sprache. Darüber
eingehender Endzelins 1951: § 159b.
5 Cf. Specht 1932: 233 ff.; Leskien 1891: 397; Traut
mann 1906: 30; Gerullis 1922; 254; Büga 1958: 516 f.