2 Zeitschrift für Ethnologie 119 (1994)
asiatischen Dorf- und Stammesgesellschaften ,Recht‘ hatten,? wurde um eine neue
Dimension erweitert. Im Zentrum der neuen Diskussionen über Rechtspluralismus
steht die Frage, ob man in einer staatlich organisierten Gesellschaftsordnung davon
ausgehen kann, daf$ es mehr als eine, den Begriff Recht verdienende normative und
institutionelle Ordnung oder Teilordnung geben könne. Dabei ist die ‘eine’ fast selbst-
verstándlich die staatlich getragene, und meist von der Rechtswissenschaft systemati-
sierte Ordnung. Zur entscheidenden Frage dabei wird dann, ob man von mehreren
Rechtsordnungen sprechen kann, auch wenn die nicht-staatlichen Ordnungen durch
die staatliche nicht als Recht anerkannt werden.
Und hiermit bin ich bei meinem Andererseits. Diskussionen über Recht und Rechts-
pluralismus sind in hohem Mafe politisch und ideologisch geladen — in einem viel
hôheren Make, so meine ich, als andere begriffliche Diskussionen. Da eine begriffs-
theoretische Diskussion des Rechts oder des Rechtspluralismus sich nicht auf bestimmte
Teilgebiete des gesellschaftlichen Lebens beschránken kann, wird, will man konse-
quent sein,? auch die politische Ordnung der Gesellschaft Teil der Diskussion. Und
damit die Frage, ob es neben der rechtlichen Grundlage für die Ordnung des Staates
auch andere rechtlich legitimierte Ordnungen geben kónne. Es geht also um Ord-
nungen, welche den Gebrauch von Macht in einer Gesellschaft legitimieren, vor al-
lem der Macht, für die Gesellschaftsmitglieder verbindliche Verhaltensregeln zu erlas-
sen und diese in konkreten Entscheidungsprozessen auch gegen den Willen oder Wi-
derstand der Gesellschaftsmitglieder durchzusetzen. Die legitime Herrschaft der staat-
lichen Ordnung, die Idee der Souveránitát und des Gewaltmonopols des Staates, wer-
den durch den Begriff des Rechtspluralismus in Frage gestellt. Kein Wunder also,
wenn sich hier die Geister scheiden, und viele Autoren vor den Konsequenzen des
Begriffes zurückschrecken. Obwohl der Begriff ursprünglich mit dem bescheidenen
Anspruch eines sensitizing concept introduziert wurde, hat er mittlererweile viel mehr
sensibilisiert als methodologische und theoretische Uberlegungen. Was wir beobach-
ten können, ist eine zunehmende Politisierung und Ideologisierung des Begriffes statt
der erwünschten analytischen Verfeinerung. Diesen emotionalen Diskussionen liegt
eine ganz bestimmte Denkhaltung zu Grunde. Dies ist die weitgehende Identifikation
von analytischer, begrifflicher Gleichheit oder Gleichwertigkeit mit empirischer, mor-
phologischer und politischer Gleichheit oder Gleichwertigkeit. Die Frage, welche so-
. eines vergleichenden analytischen Referenzrahmens, siehe Bohannan 1969, Nader 1969. Für meinen
eigenen Versuch, einen solchen zu entwickeln, siehe E von Benda-Beckmann 1981.
? Diese Konsequenz wird jedoch nur selten gezogen. Die meisten Definitionen des Rechts werden (nach
Hobbes und Austin) logisch von der Existenz des Souveräns und/oder von legitimen Sanktionsinstanzen
abhängig gemacht. Dies führt zu den bekannten tautologischen Definitionen, in denen rechtlich ist, was
durch rechtliche Instanzen sanktioniert wird. Siehe ausführlicher E. von Benda-Beckmann 1981.