Buchbesprechungen
nehmen Beigeschmack der Wörter „Fremdarbeiter“ und „Ostvölker“. Dennoch, „Fremdheit“
scheint mir ein zentraler Begriff der Ethnologie. Dies kann nur ein relationaler Begriff sein (p.
26), deshalb ist der Ausdruck „relationale Fremdheit“ (p. 95) unnötig.
Wichtiger scheint mir, einen Unterschied zwischen „Fremdheit“ einerseits und „Unter-
schiedlichkeit“ oder „Verschiedenheit“ andererseits zu machen. Sie laufen hier durcheinander,
wenn es heißt, nicht alle fremden Kulturen seien Gegenstand des Faches, ein zweites Merkmal
sei der Grad (so betont) der Unterschiedlichkeit (p. 26). „Fremdheit“ ist nach meiner Auffas-
sung subjektive, ist emische Wahrnehmung, ist situationsbedingt, „Unterschiedlichkeit“ (oder
„Verschiedenheit“) ist etische, „objektive“ Feststellung nach angelegten Maßstäben. Das Aus-
maß der wahrgenommenen Fremdheit braucht mit nachweisbaren Unterschiedlichkeiten nicht
übereinzustimen. So kann das „Fremde“ auch zum „Vertrauten“ werden, kann überwunden
werden, sich (und seine Gefahr) verlieren, während Unterschiede gleich bleiben. Kein Zweifel,
daß „Fremdheit“ emotional mitbestimmt ist, mit Abneigung, Angst, Aggression, Faszination,
Begeisterung oder Abenteuer verbunden sein kann. Gerade das aber macht die Beschäftigung
mit dem Fremden in diesem Sinne notwendig und relevant. Meine Bemerkungen sind also
kein Einwand gegen die Bestimmung des Gegenstandes der Ethnologie als „das Fremde“, „Frem-
de“, „fremde Kulturen“. Schon die bloße Beschäftigung damit macht bekannt und kann ver-
traut machen, „entfremden“, Abneigung, Angst und Aggression überwinden. Damit wäre eine
ganz wesentliche Zielsetzung der Ethnologie bestimmt.
Hans Fischer
Institut für Ethnologie der Universität Hamburg
Kuhnt-Saptodewo, Sri: Zum Seelengeleit bei den Ngaju am Kahayan. Auswertung eines
Ritualtextes zur Manarung-Zeremonie beim Totenfest. 367 Seiten. München: Akademischer
Verlag 1993.
Im Zentrum der linguistisch-ethnologischen Arbeit von Sri Kuhnt-Saptodewo steht die Wie-
dergabe eines Ritualtextes als Teil eines Totenfestes bei den Ngaju-Dayak, die am Kahayan-
Fluf in Mittel-Kalimantan, Indonesien leben. Die Totenfeier wurde von der Autorin und
einem 3kópfigen Team der Münchener Universitát im Zeitraum von November 1987 bis Ja-
nuar 1988 anhand von Tonband-, Foto- und Videoaufnahmen dokumentiert. Die Autorin
hielt sich zur Überprüfung und Verdichtung ihrer Forschungsergebnisse darüberhinaus von
September 1989 bis Februar 1990 in der Untersuchungsregion auf. Die Untersuchungseinheit
war das Dorf Tumbang Malahui. Ziel der Untersuchung ist die Transkription, Übersetzung,
Kommentierung und Interpretation eines Ritualtextes.
In den einleitenden Kapiteln stellt die Autorin den kulturellen Hintergrund der Sprache
und Religion der Ngaj u-Dayak im allgemeinen und der "Totenfeier und der dabei verwendeten
Sakralsprache im besonderen als Auswertung der vorhandenen Literatur, kontrastierend mit
den Aussagen der Einheimischen, dar. Bestattungsrituale gehóren zu den wichtigsten Ereignis-
sen im Leben der Ngaju-Dayak. Sie sind in zwei Phasen unterteilt, die Primár- und die Sekundár-
bestattung. Die Priester, als Hauptakteure des religiósen Geschehens, verwenden beim Rezitie-
ren der Texte eine Sakralsprache, Base Sangiang. Eine Besonderheit bildet die sog. Tandak
Ebene, ein Code, der formelhaft und metaphorisch Personen, Orte, Tiere und Gegenstánde in
der Sakralsprache umschreibt. Um diesen Code und die Sakraltexte des Bestattungsrituals zu-