Rückkehr: Statuspassage und Passageriten
türkischer Migrantinnen*
Barbara Wolbert
Hochschule der Künste Berlin, Fachbereich Visuelle Kommunikation, Ernst-Reuter-Platz 10, D—1000
Berlin 10, Deutschland
Abstract. This article deals with return migration as a status passage. The data were collected between 1986
and 1988 in Izmir and Istanbul and consist of biographical interviews with first generation women workers
and youth who had returned to their home country. The autobiographical reconstructions of migration ex-
periences are conceptualized as a way of coping with the crisis that return process by migrant women
resembles the structure of *ritual processes". Return is thus explained as part of a *social drama". Using Vic-
tor Turner's concept of transformational processes, this article introduces status passage as a paradigm to
understand migration processes.
1 Der getótete Paf
»Pasaportumuzu óldürdük*, sagen türkische Rückkehrer. — , Wir haben unseren Pafi
sterben lassen, wir haben unseren Paß getötet.“ So bezeichnen sie den amtlichen Vor-
gang, bei dem die Aufenthaltserlaubnis in ihrem Paß ungültig gestempelt wird. Nur
denjenigen erstattet die Rentenversicherung ihre Beiträge zurück, die ihre Aufent-
haltsberechtigung für die Bundesrepublik aufgeben. Auf dieses Geld sind die meisten
angewiesen.! Für sie wird die Rückkehr zu einem irreversiblen Übergang.
ee ES
* Ich danke meinen Interviewpartnern in der Türkei, allen, die bei Transkriptionen und Übersetzungen ge-
holfen haben und denjenigen, die meine Untersuchungsergebnisse zu „Rückkehr und Ritual“ mit mir dis-
kutiert haben. Für Kritik und Anregungen zur Abfassung dieses Manuskripts danke ich Ayse Caglar und
Hannelore Vögele sowie den Studenten des Studiengangs ‚Qualitative Sozialforschung‘ der FU Berlin, die in
der Auswertungsphase an meinem Untersuchungsprojekt beteiligt waren, Karin Jordan, Beatrix Metzler-
Frercks und Peter Rieken. Für finanzielle Unterstützung meiner Forschung und meiner Arbeit an dieser
Veröffentlichung bin ich der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Förderkommission für Frauen-
‚Orschung des Berliner Senats dankbar.
In einer Untersuchung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesanstalt für Arbeit
gaben 57% Rückkehrer, die im Zeitraum der Rückkehrförderungsmaßnahmen der Bundesregierung (siehe
Fußnote 2) in die Türkei zurückgekehrt sind, an, daß sie bei der Rückkehr über keine weiteren Ersparnisse
Verfügten. 55,295 haben die rückgezahlten Rentenbeitráge in die türkische Rentenversicherung eingezahlt,
45,9% haben sie auf ein Devisenkonto eingezahlt. 39,4% haben ein Haus oder eine Wohnung gekauft (vgl.
Hónekopp 1988: 21. Mehrfachnennungen waren móglich; hier sind nur die am háufigsten gegebenen Ant-
Worten wiedergegeben). Diese Verteilung entspricht auch der Zusammenstellung der Daten zur ókonomi-
Schen Situation aus meiner statistisch nicht repräsentativen Untersuchung. Das Geld wurde danach zur Ein-
"Ichtung und zum Bestreiten des Lebensunterhaltes ausgegeben. Ohne Rückzahlungen aus der Rentenversi-
cherung hätten die meisten der von mir befragten Rückkehrerinnen und ihre Familien nicht die finanzielle
Grundlage gehabt, sich in der Türkei niederzulassen.
Zeitschrift für Ethnologie 115 (1990) 169-197 © 1992 Dietrich Reimer Verlag