Zeitschrift für Ethnologie 115 (1990)
des an mehreren Stellen hervorgehobenen besten Freundes und ständigen Begleiters des Autors
in Mentawai, der selbst kein Sakuddei ist, sondern einer benachbarten Gruppe entstammt und
eine Missionsschule besucht hat (S. 15, S. 50, S. 629, S. 637).
Einzig in dem Kapitel der Rückkopplung geht Schefold náher auf den Aspekt des kulturellen
Wandels ein, wodurch die Aufmerksamkeit des Lesers gegen Ende des Buches gewissermaßen
von der Bühne des rituellen Geschehens abgelenkt und abrupt mit der — anderen — gegenwärti-
gen Realität auf Mentawai konfrontiert wird. Auch hier zeigt der Autor jedoch auf sehr sensible
und differenzierte Weise, was das Nebeneinanderbestehen der ,archaischen Tradition* (z. B.
S. 67) und der Anforderungen des Lebens in einem nach Modernität strebenden Nationalstaat
für die Menschen in Mentawai bedeutet.
Die bestechende Qualitát der ethnographischen Darstellung, der zahlreichen Schwarzweifi-
und Farbfotos, und der auf hohem theoretischem Niveau vollzogenen Interpretation des ,gro-
fien Rituals* lassen dieses umfangreiche Buch zu einem mehr als wertvollen Beitrag sowohl zur
Ethnologie Indonesiens als auch zur allgemeinen Religionsethnologie werden (ohne z. B. die
Darstellung der materialisierten Kultur, der sozialen und der ókonomischen Organisation in
den Hintergrund zu stellen). Hervorzuheben bleibt auch der sehr gute sprachliche Stil, der die
Lektüre zu keinem Zeitpunkt ermüdend werden láfst — bei einem Werk diesen Umfanges sicher-
lich keine Selbstverstándlichkeit.
Martin Rôssler
Schlee, G.: Identities on the move: Clanship and pastoralism in Northern Kenya. 278 Sei-
ten, 2 Karten, 43 Diagramme und Abbildungen. London: Manchester University Press for the
International African Institute 1989.
Seit nahezu zwanzig Jahren betreibt Günther Schlee Feldforschungen unter den kuschi-
tischsprachigen Hirtennomaden im Nordosten Kenias und Südäthiopiens. Ursprünglich ausge-
hend von den Rendille südöstlich des Turkana-Sees, hat er im Laufe der Zeit alle Hirtenvôlker
des Raums in seine Untersuchungen einbezogen. Dabei ist er einem Phänomen auf die Spur ge-
kommen, das vor ihm weder von Völkerkundlern noch Sozioanthropologen beschrieben und
analysiert wurde. Es handelt sich darum, daß die betreffenden Völker trotz tiefgreifender ethni-
scher und kultureller Unterschiede eine gemeinsame Klanstruktur besitzen. Schlee hat die von
ihm entdeckte Erscheinung, die allen überkommenen Vorstellungen der Ethnologie wider-
spricht, zum Thema einer historisch-vergleichenden Untersuchung gemacht, deren aufregende
Ergebnisse ın diesem Werk dokumentiert und beschrieben sind. Hervorgegangen ist diese Stu-
die aus einer Habilitationsschrift an der Universität Bayreuth. Diese wurde der internationalen
Lesbarkeit wegen ins Englische übertragen und für die Publikation nochmals gründlich überar-
beitet.
Im einleitenden Kapitel formuliert Schlee seine Thesen. Sie stellen zugleich auch das Ergeb-
nis der sich anschließenden empirisch-deduktiven Betrachtungen dar: Gesellschaftliche Identi-
täten sind keine starren und unveränderlichen Bindungen, denen das Individuum von der Ge-
burt bis zum Tod verhaftet ist, sondern Zuordnungssysteme, die dem Individuum zwar vorge-
geben sind, die es aber aus opportunistischen Erwägungen für sich selbst ständig überprüft und
neu definiert. Nimmt man die sozialen Gruppen als Bezugsgrößen, bedeutet die neue Erkennt-
nis, daß diese sich in allen ihren Merkmalen im Laufe der Geschichte ständig verändern. Schlee
begnügt sich aber nicht damit, die heutige Zusammensetzung der sozialen Gruppen, insbeson-