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Zur Geschichte des archäologischen Unterrichts in Berlin
unter Friedrich Wilhelm III.
Red e
zur
Gedächtnisfeier am 3. August 1902
in der Aula
der
Friedrich-Wilhelms-Universität
V gehalten
von dem zeitigen Rector
Reinhard Kekule von Stradonitz.
Berlin 1902.
Buchdruckerei von Gustav Schade (Otto Francke) in Berlin N.
• j.
Berlin: U37:
1902:
Stradonitz:
Gel.-Sehr.:
F4
Ba-U: hn i Ol; VWcuXfe : &U ;
Hochansehnliche Versammlung!
Die Feier, die unsere Universität heute wie alljährlich an
diesem Tage begeht, ist dem dankbaren Gedächtnis an ihren
Stifter, König Friedrich Wilhelm III. geweiht. Ursprünglich, fast
drei Jahrzehnte hindurch, galt sie dem Geburtstag des regieren- .
den Königs. Sein Sohn und Nachfolger auf dem Thron hat be-
stimmt, dass in aller Zukunft eine solche Feier an demselben
Tage stattfinden solle und zwar durch zweierlei, einmal durch
Worte, die an König Friedrich Wilhelm III. erinnern, dann durch
die öffentliche Verkündigung der Sieger in den von den ein-
zelnen Fakultäten gestellten Preisaufgaben.
Nicht oft genug kann an die grosse sittliche und staats-
männische That erinnert werden, der unsere Universität ihre
Gründung verdankt. Immer wieder haben die Redner, denen
die Ehre zufiel, an diesem Tage zu sprechen, eindringend ge-
schildert, wie der Gedanke zur That ward, wie alle inneren und
äusseren Schwierigkeiten besiegt wurden und wie, indem er den
Willen seines Königs ausführte, W. von Humboldt, seine helfen-
den Genossen überragend und lenkend, zugleich kühn und ge-
duldig, die erreichbare Wirklichkeit dem hohen Ziele, das er
sich und den nachfolgenden Geschlechtern steckte, anzunähern
verstanden hat. Viele der Redner haben ausgeführt, wie für die
besondere Wissenschaft, deren Vertretung ihnen oblag, in jenen
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Jahren des höchsten geistigen Schwunges die Grundlagen ge-
schaffen worden sind, auf denen sich ihr Ausbau allgemach zu
ungeahnter Grösse emporhob. So mag es dem Archäologen ge-
stattet sein, heute von dem ersten archäologischen Unterricht an
unserer Universität und davon zu sprechen, wie seine Wissen-
schaft unter dem Scepter Friedrich Wilhelms III. Pflege und
mächtigen Fortgang gefunden hat.
Der erste, der an unserer Universität Vorlesungen über
antike Kunst gehalten hat, war Aloys Hirt. Viel angefeindet
und viel gelobt, in hohen Kreisen beliebt, hat er in dem Kunst-
leben Berlins drei Jahrzehnte lang eine mächtige, oft entschei-
dende Stellung eingenommen. Wo ein Urteil in künstlerischen
Dingen zu fällen, eine wichtige Massnahme zu treffen, eine In-
schrift an einem Bauwerk oder einer Ehrenstatue anzubringen
war, wurde er befragt oder doch gehört. Von seiner Persön-
lichkeit lässt sich noch jetzt sehr wohl ein Bild gewinnen.
1759 in einem damals Fürstenbergischen Dorfe im Schwarz-
wald geboren, hat Hirt, in seinen ersten wissenschaftlichen
Studien bei mangelhafter Vorbildung mehrfach wechselnd und
hin und her getrieben, früh — dreiundzwanzig jährig — den
Weg nach Rom gefunden und dort nicht weniger als vierzehn
Jahre zugebracht, seiner Neigung für Kunst und Altertum nach-
gehend und vornehmen Fremden zur Führung erbötig. In Rom
traf ihn Goethe und nahm ihn in seinen „kleinen Hofstaat hilf-
reicher und unterrichteter Männer" auf. Von Weimar aus empfahl
er ihn Herder und der Herzogin Amalia als Führer, wofür, wde
für jede Freundlichkeit, Hirt brieflich lebhaften Dank aussprach.
Im Sommer 1797 hat Hirt Goethe in Weimar und in Jena
Schiller aufgesucht. Am 1. Juli schreibt Goethe an Schiller:
„Hofrath Hirt ist hier; er ist mir auf manche Weise eine fremde
Erscheinung. Die Monumente der alten und neuen Kunst des
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herrlichen Landes, die er noch unverrückt verliess, sind ihm
sehr lebhaft gegenwärtig, und er weiss, als ein Mann vom Ver-
stände, eine vollständige Empirie recht gut zu ordnen und zu
schätzen, wie er z. E. in der Baukunst, die sein eigentliches
Fach ist, recht gut urteilt. Die bekannte Idee der gleichsam
symbolischen Uebertragung der vollendeten Holzbauconstruction
auf den Bau mit Steinen weiss er sehr gut durchzuführen und
die Zweckmässigkeit der Teile sowohl zum Gebrauche als zur
Schönheit herzuleiten. In den übrigen Künsten hat er auch
eine ausgebreitete Erfahrung, aber freilich bei eigentlich ästheti-
schen Urteilen steht er noch auf dem Punkte, wo wir ihn ehe-
mals verliessen, und in Absicht auf antiquarische Kenntnisse
kann er neben Böttiger nicht bestehen, weil er weder die Breite
noch die Gewandtheit hat. Im Ganzen ist mir seine Gegenwart
sehr angenehm, weil sein Streben zugleich lebhaft und behaglich
und ernsthaft ist ohne lästig zu sein. Er hat zu seinen archi-
tektonischen Demonstrationen sehr viel Blätter zeichnen lassen,
wo das Gute und Fehlerhafte recht verständig nebeneinander
gestellt ist."
Schiller schreibt zurück, er wisse noch nicht recht, was
er von Hirt eigentlich denken solle und ob er bei einer längeren
Bekanntschaft die Probe halten würde. „Vielleicht ist ihm manches
nicht eigen, wodurch er jetzt in der That imponiert, wenigstens
scheint mir die Wärme und Lebhaftigkeit, mit der er manches
darzustellen wusste, nicht so eigentlich in seiner Natur zu liegen."
Aber er ist ihm ein willkommener Mitarbeiter an den Hören, in
denen Hirts dürrer Aufsatz über das Kunstschöne und sein Ver-
such über den Laokoon gedruckt wurden. Die beiden Heroen
sind einstimmig in der Anerkennung von Hirts Beobachtungen,
Anschauungen, Kenntnissen und innerhalb bestimmter Einschrän-
kungen auch seiner Urteile. Hirt that sich viel darauf zu gut,
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dass zuerst er gegenüber Lessings und Winckelmanns Formeln
die Charakteristik als Hauptgrundsatz des Kunstschönen bezeichnet
hat — freilich mehr in kurzen Behauptungen, als in wirklicher,
weiter und tiefer greifender Durchführung. Dazu bemerkt Goethe,
in dem Aufsatz über Laokoon habe Hirt gar vielfach recht und
doch falle er im Ganzen zu kurz, da er nicht einsehe, dass
Lessings, Winkelmanns und seine, ja noch mehrere Enunziationen
zusammen erst die Kunst begrenzen. Indessen sei es recht gut,
wie er aufs Charakteristische und Pathetische auch in den
bildenden Künsten dringe. Ausführlicher äussert sich darüber
Schiller. Es sei gerade der rechte Moment, dass die griechischen
Kunstwerke von Seiten des Charakteristischen beleuchtet und
durchgegangen würden. „Denn allgemein herrscht noch immer
der Winkelmannische und Lessingische Begriff, und unsre aller-
neuesten Aesthetiker lassen sich's recht sauer werden, das Schöne
der Griechen von allem Charakteristischen zu befreien und dieses
zum Kennzeichen des Modernen zu machen. Mir deucht, dass
die neueren Analytiker durch ihre Bemühungen, den Begriff des
Schönen abzusondern und in einer gewissen Reinheit aufzustellen,
ihn beinahe ausgehöhlt und in einen leeren Schall verwandelt
haben, dass man in der Entgegensetzung des Schönen gegen das
Richtige und Treffende viel zu weit gegangen ist, und eine Ab-
sonderung, die bloss der Philosoph macht und die bloss von
einer Seite statthaft ist, viel zu grob genommen hat." Mit heiterer
Ueberlegenheit verwendet Goethe im Sammler und den Seinigen
Hirt als Charakteristiker und nimmt den Charakteristiker in
seine sechs Klassen von Kunstbeflissenen auf. An Hirts
engem Versuch über Laokoon übt er positive Kritik durch
seine eigene Abhandlung. Drei Jahrzehnte später hat er dem
noch lebenden alten Genossen der sonnigen römischen Tage
in der Schilderung des zweiten römischen Aufenthalts das kleine
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litterarische Denkmal gesetzt, das Hirts Namen in ferne Zeiten
tragen wird.
Als Hirt Goethe und Schiller besuchte, war er kurz vorher
von Rom nach Berlin übergesiedelt. Geneigt und befähigt, seine
eigenen Vorzüge geltend zu machen und die durch die Führungen
in Rom gewonnenen Beziehungen auszunutzen, erlangte er eine
Unterredung mit König Friedrich Wilhelm II., in der er, wie es
scheint, auch den Gedanken aussprach, den zerstreuten könig-
lichen Kunstbesitz in einem einheitlichen Museum zu vereinigen.
Die nächste Folge war, dass er in Berlin Stellung erhielt, als
Mitglied der Akademie der Wissenschaften und Lehrer an der
Akademie der Künste. Wie selbstverständlich wurde er bei der
Einrichtung der Universität in diese mit übernommen als „Pro-
fessor der Theorie und Geschichte der zeichnenden Künste".
Schon Fr. Aug. Wolf, der es sonst an Sarkasmen gegen Hirt nicht
fehlen liess, hatte ihn, nicht für eigentliche Archäologie der
Kunst, sondern „vorzüglich für schöne Architektur" ins Auge
gefasst, in seiner Denkschrift vom 19. September 1807.
Ohne Zweifel war Hirt den grossen Geistern, die der jungen
Universität ihren Glanz verliehen, nicht ebenbürtig. Für uns
Nachlebende sind seine Schwächen auffälliger als seine unleug-
baren Verdienste. Er hatte nicht als Gelehrter und Forscher
begonnen, sondern mit dem allgemeinen Interesse, das in jenen
Jahren alle Gebildeten auf Kunst und Altertum und auf die Er-
örterung ästhetischer Fragen hinführte, und dabei schon in Rom
von Goethe, der nicht jeder Zeit gleich günstig über Hirt urteilte,
und besonders von Herder gelernt. Wenigstens schreibt Herder
aus Rom an Goethe: „Hirt hat Dir, wie er mir einmal gesagt
hat, geschrieben, dass er einen Brief an Dich richten wollte.
Lass es ihn thun: der Mensch bessert sich gewaltig und er hat
mir einige Sachen, z. E. über Drouet und über F.....(nun
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wie heisst der alte Maler, dessen Bild in der Minerva an der
einen Thür stehet?) geschrieben, die recht brav sind. Es wird
ein nützlicher Mensch in der historischen Kunststatistik ans ihm
werden. Ich treibe und hobele ihn gewaltig, und er hat viel
von mir zu leiden, welches er alles aber recht gut aufnimmt.
Er hat mir viele Gefälligkeiten erwiesen, und Du stehest bei ihm
hoch droben." Schon früher hatte von diesen und anderen Ar-
beiten Hirt selbst Goethe Nachricht gegeben. Die beiden Auf-
sätze, der über den früh gestorbenen französischen Maler Drouais,
dessen Tod Goethe in Rom in schmerzlicher Teilnahme mit-
erlebt hatte, wie die Beschreibung von Fiesoles Fresken in der
nach Papst Nicolaus Y. benannten Kapelle im Vatikan sind in
Hirts und Moritz' Zeitschrift „Italien und Deutschland" veröffent-
licht worden. Die Kapelle mit ihren Fresken war völlig ver-
gessen gewesen und Hirt durch die Lektüre Yasaris zuerst
wieder auf sie aufmerksam geworden. Sein Hauptstudium indes
war Yitruv. Mit diesem hat er sich am längsten, am eindrin-
gendsten und glücklichsten beschäftigt. Denn sein eigentliches
Fach war, wie Goethe es aussprach, die Architektur, seine grösste
Leistung das 1809 erschienene Lehrbuch „Die Baukunst nach den
Grundsätzen der Alten", ein Band in Folio mit fünfzig Kupfer-
tafeln. In diesem lange vorbereiteten Werk hat Hirt das beste,
was er wusste, von andern übernommen und selbst erarbeitet
hatte, niedergelegt. Offenbar schwebt ihm vor, einen zeitgemäss
erneuerten und vervollkommneten Yitruv zu liefern. Er will
Anleitung und System geben, eine Theorie, oder wenn man es
so nennen wolle, ein Ideal der Baukunst vor Augen stellen.
Und diese Baukunst ist für ihn keine andere als die griechisch-
römische. „Nicht weil sie die griechisch-römische ist" — so er-
klärt er — „geben wir sie als das Ideal der Baukunst, sondern
weil diese begünstigten Völker alles erschöpften, was zur Voll-
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kommenheit dieser Kunst gehört". Er würde auch „ohne Anstand
den Bauarten anderer Völker des Mittelalters oder der neueren
Zeit gehuldigt haben, wenn er sich überzeugt hätte, dass sie
irgend etwas Neues erfunden oder sonst etwas mit mehr Ueber-
legung und Verstand benutzt hätten als Griechen und Römer
thaten". Ein solcher Fall finde sich freilich in seinem ganzen
Werke nicht. Denn er sei „im wesentlichen auf nichts gestossen,
was die Griechen und Römer nicht bereits gekannt, und wovon
sie nicht einen zweckmässigem Gebrauch gemacht hätten, als
die Völker, welche vor und nach ihnen bauten". Die Engigkeit
dieser classicistischen Anschauung thut der Leistung selbst keinen
Eintrag, auch nicht, dass die breiten allgemeinen Erörterungen
gescheidtes und triviales neben einander bringen und man oft das
Gefühl hat, als ob auch die Schwächen des Vorbildes Vitruv
sehr glücklich nachgeahmt seien. Der praktische Lehrzweck
einer ausführlich erklärenden Einführung in die thatsächlich vor-
handenen Formen der antiken Architektur ist wohl erreicht. Man
begreift den Beifall, der dem Lehrbuch zu Teil wurde, und gerade
die theoretische Darlegung, die später den lebhaftesten Wider-
spruch hervorgerufen hat, die Herleitungen aus einem dem Stein-
bau vorausgehenden Holzbau sind jetzt, mit einer bestimmten Ein-
schränkung, allgemein als richtig anerkannt. Zehn Jahre später
folgte als längst angekündigte Ergänzung die „Geschichte der
Baukunst der Alten". Auch hier ist das Verdienst gross, wenn
nicht in der Durchführung, obwohl sie, nicht eine kritische, doch
noch immer die ausführlichste Zusammenfassung der litterarischen
Quellen giebt, durch die Stellung der Aufgabe selbst. Freilich
die Mängel drängen sich auf, und ebenso bei den vielen einzelnen
von Hirt geschriebenen Aufsätzen. Fast immer steht kluges und
verständiges, oft sinnreiches, inmitten von oberflächlichem und
trivialem. Je weiter er sich von seinem eigentlichen Studien-
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gebiet und dem technischen, handwerksmässigen entfernt, um so
unerfreulicher sind nicht nur die Ergebnisse, sondern die Be-
handlung selbst. Auch den besten Arbeiten haftet etwas encyk-
lopädisch oberflächliches und dilettantisches an. Bei aller Klug-
heit fehlt die wirkliche Tiefe und Grösse der Auifassung und die
Schärfe der Bestimmung. Es fehlt ihm das eigentliche Merkmal
des Gelehrten, die Erkenntnis und das Gefühl dessen, was er
nicht weiss. Bei völligem Versagen wirklicher selbständiger
historischer und philologischer Kenntnis und Methode, traut er
sich überall die Fähigkeit und das Recht zu Urteil und Ent-
scheidung zu. Die Geschichte der bildenden Kunst (1833), die
über alle Völker und Epochen des Altertums flüchtig dahin eilt,
steht auffällig gegen die guten Partieen in den Arbeiten über
Architektur zurück. Wenn Goethe und Schiller urteilten, Hirts
Voranstellung des Charakteristischen sei im Augenblick ganz
wohl angebracht, so darf man vielleicht sagen, dass Hirts Hypo-
these einer starken Abhängigkeit der altgriechischen Kunst von
der spätägyptischen ganz nützlich gewesen sei, wie er überhaupt
unleugbar anregend und noch mehr anreizend gewirkt hat. Aber
Thierschs Widerspruch gegen diesen griechisch-ägyptischen Spät-
frühling war so berechtigt wie seine Behauptung, dass mit Hirt
auf irgend einem Wege historischer Folgerung nicht viel anzu-
fangen sei, wie Otfried Müllers Kritik und August Wilhelm
Schlegels früher Spott über Hirts Aesthetik und Ausdeutung des
Laokoon. Das an sich zweckmässig erdachte populäre mytholo-
gische Bilderbuch, das ein Gottfried Schadow mit Freuden be-
grüsste, ist und war immer wissenschaftlich ganz ungenügend
und irreführend. Die Anmassung endlich, mit der Hirt als
unfehlbarer Kenner der italienischen Malerei auftrat und sich mit
Kritteleien an den grossen Begründer der wissenschaftlichen
modernen Kunstgeschichte, Carl Friedrich von Rumohr heran-
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wagte, zogen ihm von Ruinohr selbst und von Waagen die
Keulenschläge der Kritik zu, die sein ungerechtfertigtes Ansehen
auf diesem Gebiet für immer vernichteten.
Man begreift, dass nach seiner ganzen Art und Persönlich-
keit Hirts Wirken als Lehrer an der Universität nicht glücklich
oder stark sein konnte. Ich weiss von keinem Gelehrten, der
als sein Schüler gelten könnte. Trotz allem — sein Name wird
nicht nur durch Goethe, sondern in der Geschichte der Wissen-
schaft unvergessen bleiben. Wir lächeln, wenn er sich als dritten
neben Winckelmann und Eckhel stellt. Die Thatsache bleibt
bestehen: zuerst Hirt hat die antike Architektur und ihre Ge-
schichte als wesentlichen und grundlegenden Teil in die antike
Kunstgeschichte eingeführt, und es ist sehr lange Zeit ver-
strichen, ehe diese Forderung wieder ernstlich begriffen und sie
zu erfüllen Hand angelegt worden ist. Und noch eins. So sehr
Hirt in allen Kunstfragen seine eigene Person geschäftig vorge-
drängt haben mag, so wenig er geneigt und fähig war, sich an-
deren, auch wenn sie hoch über ihm standen, unterzuordnen
oder mit ihnen zusammenzuarbeiten — thatsächlich sind bei
der Begründung des Berliner Museums seine ins weite gehenden
und vielleicht nicht immer klar durchdachten Forderungen und
Ansprüche für eine Lösung der Aufgabe in grossem Sinne för-
derlich und nützlich gewesen.
Neben und nach Hirt hat an der Universität Ernst Töl-
ken das Fach der Archäologie vertreten. Auch er begann mit
halb ästhetischen, halb kunstgeschichtlichen Untersuchungen. Die
Abhandlung über das Basrelief und den Unterschied der plasti-
schen und malerischen Composition (1815) und der Vortrag über
das verschiedene Verhältnis der antiken und modernen Malerei
zur Poesie (1822) haben sich lange Zeit eines grossen und ge-
radezu massgebenden Ansehens erfreut. Freilich erschöpfen sie
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ihre Themata nicht, aber sie zeigen einen feinen, künstlerisch
empfindenden Sinn und sind voll treffender Beobachtungen. Die
Rede über Malerei und Poesie knüpft, rückgreifend, ausdrücklich
an Lessings Laokoon an. Geistreich wird die These verteidigt,
dass die von Lessing aufgestellten Gesetze zwar richtig seien
und daher für die modernen Maler verbindlich sein sollten, dass
aber die antiken Maler diese Lessingschen Gesetze nicht befolgt
hätten — eine unbewusste und unwillkürliche Kritik, wie man
sie nicht treffender wünschen kann. Er beruft sich dabei nicht
ausschliesslich, aber vielfach auf die Gemäldeschilderungen der
Philostrate, ohne die Frage nach ihrer Wahrheit aufzuwerfen,
während später Friederichs umgekehrt daraus, dass die philo-
stratischen Gemälde den Gesetzen Lessings widersprechen, ein
Argument gegen ihre Realität entnahm. Nach diesen ersten,
Aufsehen erregenden Arbeiten hat Tölken, durch seine amtliche
Stellung am Museum veranlasst, sein Studium nicht ausschliess-
lich, aber hauptsächlich den antiken geschnittenen Steinen und
den oft schwierigen Fragen nach ihrer Echtheit zugewandt. Im
Ganzen darf man wohl sagen, dass seine Thätigkeit wie früher
neben Hirt, so später neben Eduard Gerhard zurücktrat. Als er
im Jahre 1864 fast neunundsiebenzigjährig starb, stand er längst
fremd und einsam in der in ihren Zielen und Mitteln völlig
veränderten Wissenschaft, in der neu erstandenen deutschen
Archäologie, wie sie durch Welcker, Otfried Müller und Eduard
Gerhard neu begründet, von Otto Jahn und Heinrich Brunn
weiter geführt war.
Der treffliche und redliche, fleissige und bescheidene
Konrad Levezow, der 1835 starb, hat an der Universität nicht
gelehrt, Theodor Panofka dagegen bald nach und neben Gerhard,
durch Monumentenkenntnis ausgezeichnet und so lange er in
Gerhards Weise auf dem Wege der Aufnahme und Bekannt-
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machung der Denkmäler blieb, förderlich in die Wissenschaft
eingreifend. Wo er darüber hinausging, hat er durch die spitz-
findige Willkür im Erfinden und Raten von Rätseln den guten
Ruf der Archäologie nur allzu oft geschädigt.
Eduard Gerhard, dessen Andenken den A eiteren unter uns
noch lebendig ist und dessen Namen ich heute, wo ich an dieser
Stelle zu sprechen berufen bin, nicht ohne das Gefühl des per-
sönlichsten tiefsten Dankes nennen kann, ist erst im Jahre 1843
in den Verband der Universität eingetreten. Vorlesungen hat er
als Mitglied der Akademie schon seit 1835 gehalten. Die ersten
fünfundzwanzig Jahre seiner wissenschaftlichen Laufbahn fallen
in die Regierungszeit Friedrich Wilhelms III. und fällt das, was
er selbst als das wichtigste und folgenreichste in seiner Thätig-
keit bezeichnen würde, die von ihm nach schweren Mühen und
Kämpfen erreichte Gründung des archäologischen Instituts in
Rom. Sein Lebensbild hat 0. Jahn ausführlich in liebevoller
Treue gezeichnet. Ich darf mich auf weniges beschränken, um
Gerhards eigentümliche, grosse und einschneidende Bedeutung
in der Geschichte der archäologischen Arbeit kenntlich zu
machen.
Gerhard ist unter Boeckhs Lehre und Zucht als strenger,
zu jeder kritischen Aufgabe befähigter Philologe aufgewachsen.
Aus innerem Drang und zugleich durch die Schwäche und
Krankheit der Augen, mit der er sein Leben lang den bewun-
dernswürdig beharrlichen Kampf eines Märtyrers kämpfte, nach
dem milderen Süden geführt, begriff er die grenzenlose Wichtig-
keit der nicht litterarisch überlieferten, leibhaftig und unmittel-
bar vorhandenen Zeugnisse des Altertums. Er wollte eine, wie
er sich ausdrückte, monumentale Philologie neben die litterarische
stellen. Nicht allein und nicht einmal in erster Linie künst-
lerisch zu betrachtende Denkmäler waren ihm die Schöpfungen
14
der antiken Kunst, sondern Dokumente für Religion und Sitte,
jede Schöpfung der grossen Kunst und jedes, auch das geringste
und unscheinbarste Erzeugnis des Kunsthandwerks war für ihn
ein sprechender Beweis aus griechischem Cultus, aus griechischem
Götter- und Heroenglauben. Darin liegt seine Schwäche und
seine Grösse. Wie oft ist er in der Ausdeutung des sinnlich
und wirklich gegebenen in die Irre gegangen und hat sich in
willkürlich geschaffene Dogmen und Mysterien verloren! Aber
er hat erkannt, dass sich aus einzelnem nichts folgern lässt,
sondern nur aus langen Reihen. Sein philologisches Gewissen
lehrte ihn, aus wie unglaublich 'lückenhaftem, nur zufällig zu-
sammengerafftem Stoff wissenschaftliche Scheingebäude aufge-
richtet wurden. Er bestand auf zuverlässigen und weit um-
spannenden Aufnahmen in Zeichnung und Beschreibungen, um
darauf als breiter und sicherer Grundlage eine umfassende
Monumentenkunde aufzubauen, auf der allein ernsthafte und
redliche Forschung möglich ist. Er hat damit in die Bahnen
zurückgelenkt, die vor Winckelmann, im siebzehnten Jahrhundert,
der Piemontese Cassiano dal Pozzo, nach Winckelmann der ge-
lehrteste aller Archäologen, der grosse Georg Zoega eingeschlagen.
Und er begnügte sich nicht mit der Forderung dessen, was ge-
schehen müsse, sondern er legte selbst Hand an, unermüdlich
im Katalogisieren, im Beschreiben, im Bekanntmachen, in der
Bearbeitung ganzer Monumentenklassen. Sein Rapporto Vulcente,
der die neuen Vasenfunde in Yulci übersichtlich und meister-
haft zusammenfasste und die einzelnen Gattungen schied, seine
vielen Vasenpublikationen haben zuerst die Möglichkeit eines
fruchtbaren Studiums dieses wichtigen Kunstgebietes geschaffen.
Demselben Ziele diente das archäologische Institut in Rom, wie
es in Gerhards Sinn hiess das Institut für archäologische Corre-
sponded. Hier sollten alle Nachrichten über alle Kunstdenk-
15
mäler unci Reste jeder Art aus dem ganzen Gebiet der antiken
Welt zusammenströmen und an dieser Centralstelle gesammelt,
gesichtet und verwertet werden. Das Institut allein konnte
dennoch Gerhards wissenschaftlicher Thätigkeit und seinen
Plänen nicht genügen. Er hätte sie nicht verfolgen können
ohne das von Friedrich Wilhelm III. neu begründete Museum,
durch welches Berlin zu einem Mittelpunkte der archäologischen
Forschung geworden und zugleich für den Universitätsunterricht
ein unvergleichliches Hilfsmittel geschaifen worden ist.
Es wird ewig denkwürdig bleiben, wie grosses unter
Friedrich Wilhelm III. für die Kunst geleistet worden ist, unter
einem Monarchen, dem, seiner Natur nach, enthusiastische
Kunstliebe fremd war, und in Zeiten, in denen der Staat,
finanziell erschöpft, seine Kraft sparsam zusammen zu halten
genötigt war.
Nicht ohne eine natürliche Begabung fürs Zeichnen war
Friedrich Wilhelm III., und er hat sie in seiner Jugend geübt.
Unter den Dilettanten, die im Jahr 1786 auf der akademischen
Kunstausstellung Zeugnisse ihrer Kunstfertigkeit darboten, figuriert,
neben den Kindern des Prinzen Ferdinand, Seine Königliche Hoheit
Prinz Friedrich Wilhelm von Preussen, von dessen Hand eine
„Minerva, mit Bleistift nach Bouchardon gezeichnet" zu sehen
war. Als Gottfried Schadow im Jahr 1794 die Kronprinzessin
Luise und ihre Schwester Friederike, die Gemahlin des Prinzen
Ludwig, zu porträtieren hatte und mit der Buste der Kron-
prinzessin begann, war Friedrich Wilhelm stets anwesend, und
Schadow erzählt: „Aus einem Stückchen Thon modellirte er ein
Köpfchen mit Stutz-Perruque, und habe ich zu bedauern, es
nicht sorgfältig aufbewahrt zu haben, indem es eine Anlage
zeigte, die der Herr aus angeborenem Misstrauen von sich selbst
16
nicht einräumte, und so hierin nicht mehr Versuche machte."
Als König, bei dem regelmässigen Besuch der akademischen
Kunstausstellungen, urteilte er, wie aus Schadows Aufzeichnungen
hervorgeht, immer selbständig und, wie es scheint, fast immer
treffend. Sein Sinn war auch hier auf das Thatsächliche, Ein-
fache und Schlichte gerichtet. Er bevorzugte wohlgetroffene
Porträts und freute sich, wenn er in Bildern Landschaften, die
er gesehen hatte, wieder erkannte. Ein unentbehrliches Element
des Lebens war ihm die bildende Kunst nicht. Wohl traten
ihre Schöpfungen ihm entgegen wie Symbole des Schicksals, das
er zu erleben, zu erdulden und zu überwinden hatte. Als Kron-
prinz hatte er den stolzen Bau des Brandenburger Thors auf-
richten und mit der Quadriga der Siegesgöttin bekrönen sehen.
Als König musste er ihre Wegführung durch den siegreichen
Feind geschehen lassen, bis sie endlich als neue Verkörperung
des jungen Sieges zur alten Stelle zurückkehrte. Merkzeichen
der Errettung aus Schmach und Not, Ausdruck des königlichen
Dankes waren die Standbilder, die er den siegreichen Helden
des Befreiungskrieges setzte. Nur einmal, im tiefsten Schmerz,
hat er sich mit dem persönlichsten Empfinden sehnsüchtig an
die wohlthätige Macht der Kunst gewendet — nach dem Tod
der Königin Luise, um die geliebten Züge zurückzurufen und
festzuhalten. Keines der vorhandenen Bildnisse that ihm Genüge.
Der Maler Ternite, der die Königin auf dem Todtenbett nach der
Natur gezeichnet hatte, erhielt den Auftrag, mit Hilfe dieser
Zeichnung und der vorhandenen Büsten und Bilder ein Porträt
auszuführen. Der König war überzeugt, dass dies nur unter
seinen Augen und mit seiner Hilfe geschehen könne. „Wir
müssen alles benutzen, um sie so ähnlich als möglich darzu-
stellen, wir müssen sie in- der Kleidung malen, die sie zuletzt
getragen hat." Tagtäglich und oft mehrmals am selben Tag
17
kam er in das Malzimmer und brachte lange Zeit vor dem Bild
zu, für sich allein und im Gespräch mit dem Maler. Als das
von Ternite in Pastell ausgeführte Bild endlich so weit war, dass
es den König befriedigte, befahl er, der Vergänglichkeit der
Pastellfarben wegen, eine Copie in Oel, die Wach übertragen
wurde. Dieselbe persönlichste Teilnahme bewies der König, als
Rauch die berühmte Statue modellierte, die die Königin im
Todesschlaf ruhend darstellt. Auch hier war er darauf bedacht,
jede mögliche Schädigung zu verhüten. Er trennte sich ungern,
und ehe Rauch das Modell nach Rom schaifte, um es dort in
Marmor auszuführen, musste ein zweiter Abguss hergestellt und
zurückgelassen werden. Die Gefahren, denen die fertige Statue
bei ihrer Ueberführung aus Rom nach Deutschland ausgesetzt
war, machen die ängstliche Vorsicht wohl begreiflich.
Die Pflege der Kunst hat Friedrich Wilhelm III. als eine
selbstverständliche königliche Pflicht betrachtet. Die hervor-
ragendsten Künstler, die durch ihre Werke Aller Augen auf
sich zogen und die Mitlebenden in ihre Bahnen rissen, den
genialen Architekten Schinkel und den grossen Bildhauer Rauch,
der den älteren, grösseren Gottfried Schadow in der Beliebtheit
und Schätzung verdrängte, hat Friedrich Wilhelm III. zur Lösung
der Aufgaben berufen, die der äusseren Erscheinung und dem
Schmuck der Hauptstadt auf lange hinaus das Gepräge verliehen
haben. Und ebenso selbstverständlich war die Fürsorge für das
künstlerische Erbe der Vergangenheit. Seit den Tagen des
grossen Kurfürsten haben die Erben seines Thrones Kunstwerke
und mit Vorliebe antike Kunstwerke jeder Art gesammelt und
ihren Besitz hoch geschätzt und in Ehren gehalten. Nur einmal
hat Friedrich Wilhelm I. in seinem harten Eifer des Sparens
sechsunddreissig antike Marmorwerke im Tausch gegen zwei
Dragoner - Regimenter nach Dresden abgegeben, an August II.
18
Für sinnlosen Aufwand war auch Friedrich der Grosse nicht.
Auf das Angebot eines Bilds yon Rafael rescribiert er: „Dem
König in Pohlen stehet frey, vor ein Tableau 30 m. Ducaten
zu bezahlen, und in Sachsen vor 100 in. Rthr. Kopfsteuer auszu-
schreiben, aber das ist meine Methode nicht. Was ich bezahlen
kann, nach einem resonablen Preis, das kaufe ich, aber was zu
theuer ist, lass ich dem König in Pohlen über, denn Geld kann
ich nicht machen und Imposten aufzulegen ist meine Sache nicht."
Die Grenzen dessen, was Friedrich noch für raisonnable hielt,
waren immerhin weit gesteckt. Für den Ankauf der Stoschischen
Sammlung geschnittener Steine hat er 30 000 Ducaten aufgewendet,
für die Polignacschen Marmorstatuen 36 000 Thaler. Mit welcher
Freude, mit wie viel Eifer und mit wie glücklichem Erfolg er
antike Werke der verschiedensten Art und moderne Gemälde
sammelte, ist allbekannt. Eine der schönsten Bronzestatuen, die
aus dem Altertum erhalten sind, den betenden Knaben, heute noch
eine der kostbarsten Zierden unseres Museums, hat der grosse
König nicht ohne Mühe für sich erworben. Auf demselben
Wege schritt wie Friedrich Wilhelm II., so auch Friedrich Wil-
helm III. weiter. Und in einem hat er alle Vorgänger über-
troffen. Er hat den zerstreuten Kunstbesitz nicht nur vereinigt,
sondern in einem gross angelegten Museum der freiesten Be-
nutzung zugänglich gemacht.
In demselben Jahre, in dem unsere Universität eröffnet
wurde, sind die ersten entscheidenden Bestimmungen für das
Museum getroffen worden, nicht in dem Sinne, dass die Betrach-
tung der Kunstwerke die Sache eines nutzlosen verfeinerten Luxus
sei, sondern in der Ueberzeugung, dass Wissenschaft und Kunst
für die Nation und für die Hebung ihrer geistigen Kraft unent-
behrlich ist. In dem berühmten Antrag auf die Errichtung der
Universität, den W. von Humboldt am 24. Juli 1809 an den König
19
richtet, nennt er mit den wissenschaftlichen Instituten die Kunst-
sammlungen. Die Akademien der Wissenschaften und der Künste,
die wissenschaftlichen Institute, die Universität selbst sollen sich
dergestalt in Ein organisches Ganze verbinden, dass jeder Teil,
indem er eine angemessene Selbständigkeit erhält, doch gemein-
schaftlich mit den andern zum allgemeinen Endzweck mitwirkt.
Eine Cabinetsordre vom 29. März 1810 an den Staatsminister
Grafen zu Dohna lautet: „Es war bereits früher meine Absicht,
die Bildergalerie und Antikensammlung zu Sanssouci durch den
als Mitglied bei der hiesigen Akademie der Künste angestellten
von Mechel ordnen zu lassen, und eine Anzeige des Hofrats
Puhlmann wegen der nötigen Ergänzung der im Kriege verlorenen
Stücke veranlasste mich, dem etc. von Mechel hierzu den Auf-
trag zu erteilen. Ich finde dessen anliegenden Vorschlag, hier
in Berlin eine öffentliche, gut gewählte Kunstsammlung anzu-
legen, vorläufig sehr angemessen, um so mehr, als diese dadurch
in Verbindung mit den übrigen wissenschaftlichen und Kunst-
Instituten kommen wird, und veranlasse Euch, wegen des Plans
dazu Euch mit dem Chef der Section für den öffentlichen Unter-
richt und dem etc. von Mechel zu beraten und mir darüber
Bericht zu erstatten".
Von da an beginnen die Ermittlungen, Vorschläge, Pläne
zunächst in bescheidenen Grenzen und in vielfachem Wider-
streit der zur Arbeit berufenen. Ein von W. von Humboldt
gezeichneter Bericht vom 24. April 1810 an den König führt aus,
die Section habe auf Grund von dessen früheren Aeusserungen
bereits den Plan ins Auge gefasst und im Universitätsgebäude
den erforderlichen Raum zu einer Galerie ausgewählter Bilder
ausgemittelt. Zunächst sei die Aufstellung eines genauen Inventars
von sämtlichen in den Königlichen Schlössern befindlichen
Gemälden, Statuen, Büsten und dergleichen erforderlich, um so-
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dann eine Auswahl aus den vorhandenen Kunstsachen zu einem
öffentlichen Museum treffen zu können. Die im Universitäts-
gebäude verfügbaren Räume erwiesen sich bald als nicht aus-
reichend. Im November 1815 befahl der König, die Kavallerie-
ställe im Akademiegebäude Unter den Linden für das zu be-
gründende Museum auszubauen, Museum und Universität sollten
dann durch einen Bogengang verbunden werden. Mit diesem
Ausbau der Kavallerieställe war sofort begonnen worden und
der Flügel an der Universitätsstrasse 1818 fertig gestellt. Aber
ehe der übrige Umbau zu Ende gebracht war, fand eine völlige
Veränderung des Planes statt. In der Commission drang Hirt
auf eine möglichst vollständige Ueberführung alles königlichen
Kunstbesitzes in das neu zu eröffnende Museum. Die bisher
in Aussicht genommenen Räume waren dafür und für die voraus-
zusehende Fortentwicklung unzureichend und an sich nicht ge-
eignet. Der König entschied, die Fortsetzung des Umbaues solle
unterbleiben. Am 8. Januar 1823 legte Schinkel den Plan eines
völligen Neubaus am Lustgarten vor. Trotz der grossen Schwierig-
keiten, welche die Herstellung des Bauplatzes selbst und die
Fund am enti erung voraussehen liess, billigte der König den neuen
Plan. Im Sommer 1830 war das in der Schönheit der Erscheinung
wohl am höchsten stehende Meisterwerk Schinkels vollendet;
am 3. August, heute vor zweiundsiebzig Jahren, dem allgemeinen
Besuch eröffnet.
Aus dem alten königlichen Besitz waren alle vorhandenen
Antiken, 315 an der Zahl, and die besten Gemälde, 378, dem
Museum überwiesen, nach Rumohrs Meinung der Zahl nach
ein Drittel, dem Werte nach die Hälfte des Ganzen. Dazu
kamen, abgesehen von Einzelankäufen, die 1815 für 540 000 Francs
erworbene Giustiniani sehe und die nach langen Verhandlungen
erworbene Sollysche Bildersammlung, für deren Erwerb der König
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aus seinem persönlichen Eigentum 200 000 Thaler hergab, aber
verbot, dies öffentlich bekannt werden zu lassen.
Der nächste Zweck der Museums war die unmittelbare
Anschauung, die W. von Humboldt hauptsächlich durch die
antike Skulptur und die Malerei in allen ihren Schulen und
Epochen geben wollte; daneben müsse alles andere zurücktreten.
Sobald sich die Möglichkeit bot, hat man diese Schranken durch-
brochen, andere Abteilungen angegliedert und gepflegt. Von
Anfang an war keine Bestimmung und Deutung, keine Gruppierung
und Anordnung möglich ohne die Hilfe der wissenschaftlichen
Forschung. Gelegentlich ist wohl ein Gegensatz künstlerischer
und wissenschaftlicher Ansprüche herausgekehrt worden. Er ist
längst überwunden. Denn es hat sich gezeigt, dass sich beides
durchdringen muss.
Kein Museum der Welt wird je durch seinen Besitz an
Originalskulpturen ein volles Bild der antiken Kunst bieten können.
Gerade die relative Armut bei den Anfängen hat dazu gedrängt,
dieses Bild durch die Sammlung von Abgüssen zu vervollständigen,
die stets als ein besonderer und unentbehrlicher Vorzug des
Berliner Museums gegolten hat. Ein Professor der Archäologie
ist ohne ein über die notdürftigsten Hilfsmittel hinausgehendes
Museum so wenig denkbar, wie ein Chemiker ohne Laboratorium.
Einer hohen Genialität wird es möglich sein, auch bei
beschränkten Hilfsmitteln im Forschen und Lehren grosses zu
leisten. Aber die Wissenschaft haftet am zugänglichen Stoff.
Je reichhaltiger und zweckmässiger eingerichtet die Hilfsmittel
für Forschung und Lehre sind, um so weniger wird sich wenig-
stens im Unterricht die menschliche Unzulänglichkeit fühlbar
machen. Die Wechselwirkung von Universität und Museum ist
bisher niemals unterbrochen worden. Seit dem Abscheiden des
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Stifters unserer Universität sind zweiundsechzig Jahre verflossen.
Wie grosses und gewaltiges ist seitdem für die Kenntnis der
antiken Kunst geschehen! Ich nenne wie Symbole nur die
Namen Olympia und Pergamon. Wir wollen nie vergessen, dass
diese von unsern erhabenen Herrschern beschützte rasche und
starke Fortentwicklung auf den Grundlagen beruht, die unter
Friedrich Wilhelm III. in zugleich massvollem und kühn vor-
schauendem Sinne fest gelegt wurden, dass wir auch hier die
Früchte dessen gemessen, was er gepflanzt hat.
Universitätsbibliothek der HU Berlin
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