2008
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iinull und Künstler
Vorabend der Reformation.
Ein Bild aus dem Erzgebirge.
Von
Kornelius Hurlitt.
Mit 15 Abbildungen.
fjnllc 189«.
Verein für Reformationsgeschichte,
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Sektion Ästhetik u. fefesnschaften,
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Bereich Kunsiv. i: : nsrJnft
Hurriboldt-Universiiät zu Berfin
Infi alt.
I. Das Erzgebirge. Seite
1. Der Bergbau................................1
2. Die Silbersunde des 15. Jahrhunderts..............4
3. Der Bau der Stadt Annaberg....................9
II. Die Zeitverhältnisse.
1. Die politische Lage..............12
2. Reformatorische Bestrebungen ..........15
3. Strömungen im Volke.............24
III. Der Profanstil der Spätgothik.
]. Humanismus und die Individualität........32
2. Das Schloß zu Meißen............35
3. Der Hüttentag zu Regensburg und Torgau......41
4. Hüttengebiete................44
5. Die Hüttengeheimnisse.............47
6. Die Durchführung der Hüttenordnung.......52
7. Meister Arnold und der Profanbau........55
8. Konrad Pfluger und der Kirchenbau........61
9. Die Predigtkirche...............64
10. Die Kapellenreihen und Emporen.........72
11. Neue Ausfassung des Kirchenbaues .........75
12. Der Naturalismus und die Künstler........80
IY. Die Annenkirche zu Annaberg.
1. Der Kirchbau und die Baugelder.........91
2. Der Annenkultus...............95
3. Gesellschaftliche und kirchliche Verhältnisse......101
4. Die Annaberger Steinmetzen...........113
5. Der Erzgebirgische Kirchenbau..........119
6. Bildnerische Werke..............13&
Y. Schluß.
I. Das Erzgebirge.
1. Der Bergbau.
„Erzgebirge" heißt der Höhenzug zwischen dem nordwestlichen
Böhmen einerseits und der Mark Meißen wie dem Vogtlande
andererseits. Man nannte ihn nicht nach seinen Bewohnern, nach
seiner äußeren Erscheinung, nach den Gottheiten, die der Volks-
glaube aus seine Spitzen träumte, sondern nach den Stoffen, die
im Innern der Berge schlummern, deren vielfach verzweigten
Gängen der Bergmann nachspürt. ^
Der Bergbau ist denn auch für das geistige Leben jener
Lande entscheidend geworden. Die Cisterzienser - Mönche') von
Altzella, welche Markgraf Otto von Meissen 1162 mit einem
großen Landgebiete an der Freiberger Mulde beschenkte, kamen
vom Harz ins Meißener Land, vom Harz, wo damals vor anderen
deutschen Gebirgen der Bergbau gepflegt wurde. Die Cisterzienser
aber waren zu jener Zeit Pioniere der Kultur. Man rief sie
dorthin, wo Landwirtschaft und Gewerbe noch im Argen lagen,
wo das Volk der Lehrer bedurfte, um dem Boden besser seine
Schätze zu entlocken. Von Walkenried kamen die frommen Brüder
über Schulpforta in jenes stille Thal, in dem noch heute die
Ruinen ihres Klosters stehen: von jenem harzischen Stifte, in
deffen Nähe schon seit 968 die Silbergruben des Rammelsberges
eröffnet waren und in welchem die Baukunst eine besonders rege
Pflege gefunden hatte.
Und wenn nun die Cisterzienser kurz nach ihrem Eintreffen
den Grubenbau auf Silber eröffnen^) wenn schon 1185 Mark-
graf Otto Teile der geschenkten Gebiete von ihnen zurückkauft, um
Gurlitt, Kunst und Künstler. 1
2
für die einwandernden Bergleute eine Stadt zu bauen, wenn diese
Stadt in ihrem ältesten Viertel die Stadt der Sachsen, die Sachs-
ftadt, heißt — so drängt sich die Frage auf: waren es die Cister-
zienfer, welche das Silber fanden, oder war es der Silberfund,
welcher Markgraf Otto veranlaßte, jene kundigen Mönche in das
breite Muldenthal und auf die sturmumrauschten Höhen der Bor-
lande des Erzgebirges zu rufen?
Auch das Bergrecht, welches auf der neuen Fundstätte gültig
wurde, war vom Harz gekommen. Später wurde es in Kulm,
weiterhin in den mährischen Bergorten mächtig. Nach Schlesien
übertrug es wieder der Abt eines Eisterzienserklosters, der Schwester
von Altzella, des Stiftes Leubus an der Oder. Ebenso übernahm
Kamenz, die Tochterstiftung von Leubus, dessen Bergrecht, welches
dann in Jglau seine weitere Ausbildung erhielt. In Venedig und
Spanien und sogar weit über die Meere fand es in dieser Gestalt
Anerkennung und Nachtrachtnng.
Der Landesherr, sagt das Freibergische Recht, erteilt Jedem
die Befugnis, nach nutzbaren Stoffen zu „schürfen", d. h. an der
Oberfläche des Bodens zu graben, um bergmännische Schätze zu
suchen. Er galt der Idee nach als der Herr aller unterirdischen
Werte und er mußte daraus bedacht sein, daß alle Kraft angeregt
werde, die verborgenen Güter zu heben. So hatte der Schürfer
das Recht, ohne, ja gegen den Willen des Grundbesitzers, auf
dessen Acker oder in dessen Wald zu graben. Der Bergbau war
frei in der Mark Meissen. Fand ein Glücklicher einen Erzgang,
so trat dieser in seinen Besitz über. Er war nur verpflichtet, dem
Grundeigentümer eine Entschädigung zu zahlen und dem Landes-
Herrn gebührenden Gewinnanteil zu sichern. Das Bestreben der
Gesetzgebung ging also dahin, das Schürfen und somit die Auf-
schließung neuer Berggebiete zu erleichtern. Sie war ein Aufruf
an alle Unternehmungslustige, nach den Schätzen zu greifen, welche
der Boden barg, die Wünschelrute zu schwingen, die dem Auge
den Blick in die innersten Gänge des Berges öffnet. Schnell
strömte eine ungeheure Menschenmenge herbei.
Das kleine Christiansdorf auf der Höhe des für den Berg-
bau freien Berges erweiterte sich in wenig Jahren zu einer Stadt,
die man Freiberg nannte. Im Jahre 1185 noch ein Dorf, um-
3
schloß sie 1225 fünf Pfarrkirchen, drei Klöster und ein Hospital.
Zum ersten Mal öffnete die Mark Meissen ihre Pforten jener
Schaar, die der Silberblick der Berge herbeilockte, zum ersten Mal
entstand eine Stadt in wenig Jahren auf dem Platze, auf welchem
die neckischen Kobolde der habgierigen Menschenwelt ihre Schätze
zeigten.
Nun ging es an ein Schürfen und Graben, wie heute in den
Goldfeldern von Californien. Ein hastiges Suchen, ein Ab- und
Zulaufen hierhin und dorthin, wo sich die Aussicht schnellen Er-
solges bot. Das Bergrecht mußte in seinen weiteren Bestimmungen
bald in Anwendung kommen, denn es ordnete an, daß, wenn ein
Säumiger auch nur einen Tag in seinem Schurs nicht arbeite,
dann „falle er ins Freie," d. h. dürfen andere, Fleißigere oder Be-
harrlichere anstatt des Erössners der Grube, die Arbeit aufnehmen.
Der Bergbeamte des Fürsten, der Zehenter, hatte aber für Ein-
Haltung dieser Rechte zu sorgen, er probte das Erz, welches ihm
vorgelegt werden mußte, sobald es „angebrochen" worden war;
er vollzog die „Vermessung" des Schurfes, durch welche dieser
Besitz desjenigen wurde, der ihn eröffnet oder wiederaufgenommen
hatte. Wenn dann die Ader nicht wieder verschwand, „vor sich
ging," wie der Fachausdruck lautete, stellte der Zehenter die „Maß-
Würdigkeit" sest und bestimmte den „Frohnteil" des Landesherrn,
d. h. er untersuchte, ob der Erzgang reich genug zur erfolgreichen
Förderung sei und setzte fest, ob der Landesherr sich am Abbau
beteiligen wolle oder, wie es später die Regel war, sich damit be-
gnüge, sich das Kaufrecht für das Silber zu sichern und eine be-
stimmte Abgabe, den Zehnten, zu fordern.
Das Augenmerk der Bergleute war auf die Mark Meißen
gerichtet und nun Hub ein eifriges Suchen im ganzen Lande an.
Schon 1241 begann man in der Umgegend des neugegründeten
Cifterzienserklosters Grünhain nach Zinn zu schürfen. Im An-
fang des 14. Jahrhunderts wurden bei Frauenstein Silbergruben
eröffnet, vorher war dies schon um Wolkenstein geschehen, wo der
Bergbau im 14. u. 15. Jahrhundert lebhafter wurde. 1339 ward
Silber bei Hartenstein bergmännisch gewonnen. In den Jahren
1364—1368 erhielten die „Walen" Nicolaus und Augustin von
Florenz Einfluß auf das sächsische Bergwesen.
i*
4
Dieses erhob sich aber erst zu höherer Stufe, seit die hussitischen
Wirren überwunden waren. Zu Mitte des 15. Jahrhunderts fand
man dazu noch reiche Zinnadern bei Altenberg, deren Ergebnisse
das englische Zinn verdrängten. Aber auch der Silberbau nahm
nunmehr immer größere Verhältnisse an.
2. Die Silberfunde des 15. Jahrhunderts.
Im Jahre 1470 hatte einer jener Gewürzkrämer, die noch
in diesem Jahrhundert Kräuter sammelnd, Tränke bereitend und
quacksalbernd vom Erzgebirge aus ganz Europa durchwanderten,
Leute, die von allerhand Dingen besondere geheime Kenntnisse
hatten, in der Nähe des Berghammers von Oberschlem eine fündige
Silbergrube auf dem Schneeberge aufgedeckt.^) Am 6. Febr. 1471
wurde in derselben ein reiches und mächtiges Erz gefunden. Die
Kunde dieser Entdeckung verbreitete sich blitzartig über die Hütten-
gebiete. Die Hoffnung auf schnellen Gewinn war erregt! Wem
es das Glück beschied, an rechter Stelle den Boden anzuschlagen,
der konnte unermeßlich reich werden, rascher Erwerb konnte ihn
für lange Jahre erfolgarmer Berg arbeit entschädigen. Es fehlte
ja nicht an klugem Wünschwort und an geheimer Beschwörung,
den rechten Fleck zu finden, an wohl für das Seelenheil bedenk-
lichen, aber dafür um so untrüglicher gehaltenen Maßregeln, um
die Kobolde zur Dienstbarkeit zu zwingen.
Ein wilder Raubbau begann im Erzgebirges) Ein „selt-
sames Volk aus allerlei Landen, das keine Ordnung noch Regi-
ment leiden wollte und seltsam wüste, widersinnig und aufrührerisch
gewesen," ergoß sich über den Schneeberg. Die Staatsgewalt war
nicht stark genug, dem Andränge zu widerstehen, das Bergrecht
mit fester Hand zu führen. Wie man den Boden durchwühlte
ohne Recht, ohne Plan, ohne Stätigkeit, so drängten sich auch die
Wohnungen an einander ohne Ordnung, ohne regelrechte Straßen.
Niemand dachte an die Zukunft, an die Dauer der Verhältnisse.
Noch heute ist der Plan der Stadt Schneeberg, welche sich aus
den Wohnstätten der Schürfenden bildete, Zeuge der Ziellosigkeit
bei seiner Anlage, noch heute zeigt er, wie jeder silberdurstige
Abenteurer seine Hütte dort aufgerichtet hatte, wo es ihm am be-
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quemsten war, und wie später dem Wirrnis Dauer gegeben werden
mußte. Denn niemand hatte „an einen Bestand, oder daß eine
bleibende Stadt hier werden sollte, gedacht," sondern ein jeder ge-
meint, er wolle „sein Körblein heben und wieder anHeim ziehen."
Schnell war das zu Tage liegende Silber abgeschürft und schon
um 1476 beabsichtigten viele, den Schneeberg wieder zu verlassen
und den durchwühlten Boden wieder dem Winde und dem Regen
zu überlassen, damit diese ihm Busch und Wald wieder zuführen
und die Fichten wieder über den frischen Gräbern so vieler bren-
nender Hoffnungen aufschießen!
Nun erst kam die Zeit derjenigen Fnndgrübner, deren Mittel
eine sachgemäßere Bebauung des Berges gestatteten, jetzt erst griffen
die großen Mächte in das wirre Getriebe ein: der Staat und die
Kirche. Im Jahre 1477 wurde dem heiligen Wolfgang ein
hölzernes Kirchlein errichtet,^ nun auch ein Bergmeister und ein
Richter ernannt, 1479 erhielt der Schneeberg seine erste „Ord-
nnng" vom Landesfürsten und wurde das herzogliche Berg- und
Stadtgericht eingesetzt, welches „über Hals und Hand, Haut und
Haar, ebenso über Hader und Schulden, Unfrieden und Morden"
zu entscheiden hatte und dem „ungeheuren, wilden Wesen und
Leben" steuern sollte.
Aber erst 1481 erhielt der neue Ort städtische Freiheiten,
das Recht, eigene Richter und Schöffen für die niedere Gerichts-
barkeit zu wählen. Die Zeiten leichten Gewinnes waren dahin,
die Gruben mußten tiefer und tiefer getrieben werden, um den
Silbergängen zu folgen. Alle Feinde des Bergmannes begannen
gegen ihn sich zum Kampfe zu rüsten, namentlich das Wasser,
dessen Adern den Berg durchziehen, die Gruben füllen und nur
durch endlose Schöpfarbeiten bekämpft werden konnten. Auch in
Freiberg hatte man mit den Grubenwassern schon längst zu
kämpfen, hatte man begonnen, Stollen zu treiben, d. h. von den
Gruben nach dem Grunde der Thäler Abzugsgänge zu bauen,
soweit dies möglich war, um so in leidlicher Trockenheit der harten
Arbeit obliegen zu können. Aber ein solcher Stollen war ein
Werk, welches das Zusammenwirken vieler, ein bedeutendes Anlage-
vermögen erforderte, eine langwierige Arbeit, die erst nach Jahren
Nutzen bringen konnte. An ihr erlahmte die Thatkraft des Raub-
6
baues; die großen Geldmächte nahmen Besitz von den Anteilen am
Bergwerk, den Kuxen.
Man war in Schneeberg schon genötigt, bis zu 200 Meter
Tiefe die Stollen zu teufen, um reichere Erzgänge zu finden, als
man 1484 den großen „Tiefe Mark Sammler Stollen" anzulegen
begann. Trotzdem „ersäufte" 1491 ein Durchbruch alle Berg-
werke, dem 1511 ein zweiter folgte. Die Schöpfvorrichtungen
waren nicht im stände, die Massen des einbrechenden Wassers zu
bekämpfen, die Naturgewalten vernichteten in kurzem Ansturm das
Werk fleißiger Jahre, die Hoffnung kommender Zeiten.
Nur zu oft überstiegen in solchen Fällen schon jetzt bei minder
großen Betrieben die Ausgaben die Einnahmen. Die kleinen
Gruben konnten sich nicht mehr halten. Immer häufiger wurde
die Ausnutzung des Bergbaues durch geldmächtige Gesellschaften.
So war es in dem Bergstädtchen Geyer schon gewesen, ehe in
seiner Nachbarschaft der Schneeberg erschlossen wurde. Bürger
aus Chemnitz, Zwickau und namentlich auch aus Nürnberg hatten
fast alle Gruben belegt, viele waren verfallen und eingegangen,
ie Stollen gebrochen, die Wassernot nnbekämpst. Dazu wurde
das Leben im Gebirge immer teurer, um 1476 zahlte man dem
Häuer für die Woche einen halben Gulden, während er vorher
nur ein Dritteil eines solchen erhielt, die Haspeler, welche an der
Haspel des Förderungswerkes arbeiteten, die Anschläger, Wasser-
knechte, Stürzer und Jungen forderten steigende Löhne, das Holz
im Walde wurde seltener und der Schlaglohn teurer, immer mehr
zeigte sich unter den kleinen Leuten ein Notstand, während anderer-
seits die großen Fnndgrübner gewaltige Vermögen sammelten, die
Bergwerke mehr und mehr in die Hand der großen Betriebs--
Gesellschaften übergingen.
Der Krösus unter den Grubenbesitzern war der Zwickauer
Martin Römer.") Er war schon ein reicher Mann, ehe die
Schneeberger Silberadern entdeckt wurden. Kaum war dies ge-
schehen, als er zugleich mit einer Reihe anderer Zwickauer Familien
sich zu regen begann. Er brachte das dortige Bergwerk in ge-
regelten Betrieb. Für seine Silberbarren hatte er in Nürnberg
und Augsburg, ja in Venedig eigene Niederlagen. Er lieh der
Stadt Nürnberg 10,000 Gulden und schenkte 1473 die Zinsen
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derselben dem Rat seiner Heimatstadt für eine milde Stiftung.
Schon 1470 wurde er Zehenter in Schneeberg, 1475 Amtshaupt-
mann zu Zwickau. Er zog mit Herzog Albrecht zu Sachsen 1476
nach Palästina') und scheint wesentliche Teile der von 120 Per-
sonen unternommenen Reise aus eigenem Säckel bezahlt zu haben.
Am heiligen Grabe schlug ihn sein Herr zum Ritter. Gegen
34,000 fl. betragen die bekannt gewordenen Stiftungen, welche er
Zwickau machte, eine Summe, die sich den größten Schenkungen
der neueren Zeit an Umfang anreiht, wenn man die Kaufkraft
des Geldes in jener Zeit in Berechnung zieht.
Der Schneeberger Bergbau ergab nicht die einzige Silber-
quelle jener Zeit. Immer noch waren die Gruben von Geyer
und Ehrenfriedensdorf ergiebig. Unweit des Klosters Grünhain
begannen im 15. Jahrhundert die Ansiedelungen, aus denen sich
später die Stadt Buchholz entwickelte. Unter den jungen Städten
der Umgegend galt sie bald für ehrwürdig: „Du bist so alt als
Buchholz," sagte man nach einer Quelle von 1855 noch zu jener
Zeit. Im Jahre 1492 begann man dort nach Silber zu schürfen,
1496 fand man edles Metall, und wenn das Ergebnis auch nicht
so reich war, als zu Schneeberg, so wuchs die Stadt doch bald
heran. Das Erzgebirge war aber erfüllt von einer leicht beweg-
lichen Menge, die stets neuer Kunde von überraschenden Funden
gewärtig war und sich sputete, früh am Platze zu sein, wo das
Glücksrad so reiche Loose auswarf.
So entstand ein neuer Sturm, als sich die Nachricht ver-
breitete, Kaspar Nietzel habe am 27. Oktober 1492 am Schrecken-
berge einen Lettengang aufgedeckt, der im Centner 2 Lot Silber
führet) Bald kamen andere herbei, ihm seinen glänzenden Fund
streitig zu machen. Mit jener Gewalt, die in Freiberg wie in
Schneeberg sich äußerte, drängte die abenteurende Menge der neuen
Silberquelle zu.
Ein altes Bild^) von 1521, welches in der Annaberger Kirche
sich befand, zeigt uns diese Frühzeit des Grubenbaues auf dem
Schreckenberg. Ein Engel verkündet einem Bergknappen, er werde
unter einem bestimmten Baume goldene Eier finden. Er gräbt
und schlägt einen Erzgang an. Bald entstehen ringsumher Hütten,
wird geschürft und gegraben, gewaschen und gepocht, geschmolzen
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und vermögen und, ehe an Stelle der Notbauten, in denen im
rauhen Gebirge und unter rauhen Gefährten der Bergmann sich
und sein Gut birgt, feste Häuser entstehen, ist auf weithin ficht-
barer Höhe schon der Rabenstein aufgerichtet.
Schon 1497 wurde die Umgegend der neuen Fundstelle „mit
Gewalt volkreich." Man begann zu backen und zu schlachten, zu
bauen und zu handeln. Mit Kopfschütteln sah man dem un-
geregelten Treiben zu. Alles Volk bewegte sich frei, fchuf und
wirkte, wie es wollte. Nicht die Innung, nicht das Bannrecht
hielt die Menge in den gewohnten Bahnen. Jeder betrieb, was
er wollte, ob er es gelernt hatte oder nicht. Man fand es zu
unbequem, nach Geyer zwei Stunden weit zum Markt zu gehen.
Bald gab die Siedelung am Schreckenberge eilt ähnliches Bild
wie jene am Schneeberge, als der Landesfürst, Herzog Georg
der Bärtige, in Vertretung seines Vaters, Herzog Albrecht,
der als Statthalter des Reiches in Friesland weilte, sich schnell
entschloß, von Ansang an das Leben auf dem Bergorte auf ge-
regelte Geleise zu führen. Schon 1495 erschienen seine Räte auf
dem Schreckenberge, um zunächst den Bau einer Stadt zu betreiben.
Die politischen Verhältnisse auf dem Schreckenberge waren
die denkbar verwickeltsten. In der Teilung der Wettiner Lande
zwischen Kurfürst Ernst und Herzog Albrecht (1485) erhielt Ernst
die thüringische, Albrecht die meissnifche Reichshälfte. Die Grenze
zog dicht am Schreckenberge hin. Noch heute stehen dort die Grenz-
steine mit den beiden fürstlichen Wappen. Das eine Viertelstunde
entfernt liegende Städtchen Buchholz gehörte demnach der ernesti-
nischen, Annaberg der albertinischen Linie an. Aber es war aus-
gemacht, daß „alle Bergwerksnntzuugeu in beiden Ländern, der
Schneeberg mit dem Neustädtel und allen Gebirgen eine Meile
im Umkreis" gemeinschaftlicher Besitz bleiben sollten. Dazu kam,
daß die Söhne Albrechts 1505 einen „brüderlichen Vertrag"
machten, nach welchem Heinrich, dem jüngeren Bruder Georgs,
die Städte und Aemter Freiberg und Wolkenstein zugesprochen
wurden. In diese gehörte eigentlich Annaberg. Georg blieb aber
trotzdem Landesherr der Stadt, die mit einige^ Nachbardörfern
und der „Herrenmühle" das „Mühlenamt Annaberg" bildete und
als solche von der Grafschaft Wolkenstein abgetrennt wurde.
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Annaberg und Schneeberg gewannen durch diese Verhältnisse
in Zukunft eine gewisse Freiheit, weil sie zu jedem poltitischen
Schritte die Billigung zweier Fürsten bedurften, von denen der
eine später für Luther und seine Lehre ein starker Schutz, der
andere ein erbitterter Gegner wurde.
Die leitende Gewalt blieb aber in der Hand Herzog Georgs.
Dieser Fürst gehörte zu den bestverleumdeten seiner Zeit. Er war
ein ehrlicher Mann und eine unentwegt fleißige und wohlwollende
Arbeitskraft, als Verwalter einer der tüchtigsten Fürsten seiner
Zeit, ein Herrscher voll guten Willens und klaren Strebens, der
in den Stürmen der Zeit nie schwankend mit achtunggebietender
Folgerichtigkeit für seine Ueberzengnng eintrat, ein hart geprüfter
Dulder, den zu den Lasten des Regierens in so schwerer Zeit
die bittersten Schicksalsschläge in der Familie trafen. Seine Söhne
starben vor ihm dahin, selbst den letzten, Friedrich, verlor er, den
er mit der schönen Herzogin von Mansfeld verheiratete, um Kinder
zu erzielen, obgleich er, wie die Zimmer'sche Chronik sagt, so thöricht
war, daß er Nüsse auf der Straße knackte.
3. Der Bau der Stadt Annaberg.
Es ist ein uns eigenartig dünkendes Beginnen, eine Stadt
zu bauen. Dergleichen geschieht wohl in Amerika, aber nicht mehr
in unsern Landen. Die Männer, die sich im Thale der Zschopau
zusammenfanden, um in einer uralten Mühle zu beraten, wo die
neue Stadt stehen sollte, waren auch zu ihrer Zeit nicht mehr
geübt in solchen Dingen. Aber die alte Form erhielt sich wohl
noch, von der uns der Chronist von Zittau erzählt. Nachdem
Feldmark und Stadtmauer nach den Gesetzen der Besestigungs-
kunst und nach der Ortsgelegenheit wohl erwogen, der ungefähre
Umfang nach den Beispielen anderer Bergstädte vorsichtig ermessen
war, zog der Vornehmste mit dem Pfluge die Umfassungslinie, die
Straßen wurden angelegt, der Marktplatz bestimmt, die Hofstätten
verteilt, Bäume in der Umgegend geschlagen, und nun war die
Bahn geöffnet, hurch die die Baulust über die noch wüste Fläche
einströmen sollte. Das geschah am 21. September 1496. Das
Frühjahr 1497 sah schon neue Häuser, wohl Bauten von jenen
10
Formen, wie sie noch heute im Erzgebirge heimisch sind, eine
Mischung von Bauernhaus und Stadtwohnung, teils in Bruch-
steinmauerwerk, teils aus Balken in Blockverband. Im größten
Räume der jungen Stadt konnte schon 1497 die Messe gelesen
werden, im folgenden Jahre entstand eine Holzkirche, in der der
Priester eines benachbarten Dorfes das Hochamt feierte. Schon
5 Jahre nach dem ersten Funde gab Herzog Georg der neuen
Gemeinde Stadtrecht, so daß sie nun ihren eigenen Rat und ihr
Gericht, Zoll- und Geleitsfreiheit, Markt und Wage besaß. Auch
für Röhrwasser war schon gesorgt. Hatte die Regierung doch
freies Bauholz bewilligt, Bier und Wein von Steuer befreit und
das junge Anwesen nach jeder Richtung gefördert.
Eins fehlte dem Orte noch, der Name! „Neue Stadt" nannte
sie Herzog Georg in seinen Urkunden, „Schreckenberg" hieß sie
der Volksmund nach dem Fundorte des Silbers. Aber schon 1498
wurde sie feierlich getauft, nachdem das hölzerne Kirchlein voll-
endet war. Wie man dieses der heiligen Anna geweiht hatte, so
nannte man auch die ganze Stadt St. Annaberg. Kaiser Maxi-
milian gab ihr ein Wappen: lieber gekreuzten Schlägeln stehen
zwei Bergleute, welche die heilige Anna auf ihrem Throne tragen.
Auf den Knien derselben sitzen zwei Kinder. Eins derselben stellt
die heilige Jungfrau, das andere Christus dar. Es ist das
„Selbdritt", die unbefangene Darstellung der Großmutter Christi,
welche zu jener Zeit weit und breit beliebt wurde. Den Helm-
schmuck des Wappens bildet Sonne, Mond und ein Stern.
War mithin die Stadt begründet, so galt es nun, für ihren
Bestand zu sorgen. Früh wurden alle jene Anstalten beschaffen,
deren ein mittelalterliches Gemeinwesen bedurfte. Neben der Annen-
kapelle, welche auf der höchsten Stelle der an der Berglehne sich
hinziehenden Stadt lag, wurde 1502 auf dem rechtwinkeligen
Markte eine Bergkapelle angelegt. In demselben Jahre wurde
der Bau eines Franziskanerklosters begonnen. 1512 trafen die
Mönche in größerer Anzahl ein, die gewiß schon srüher bettelnd
die reiche Ausbeute versprechende Gegend vielfach durchwandelt
hatten. Die Schule entstand neben der Kirche, ein Spital wurde
erbaut, eine Badestube und bald daraus eine zweite sorgte für das
rege Reinlichkeitsbedürfnis der Zeit, ein Kornhaus mit seinen
11
Vorräten bot Sicherheit gegen Hungersnot, ja schon 1501 wurde
eine warme Quelle eine Stunde unterhalb Annabergs von einem
reichen Fundgrübner gefaßt, jenes Warmbad in der Rosenau,
welches noch heute gern von jenen besucht wird, die von den
Mühen der winterlichen Festmahle sich zu erholen gedenken. In-
zwischen hatte man in harter Frohn die Landbevölkerung zum
Bau des Stadtgrabens gezwungen, waren die Werkleute einge-
zogen, welche Stadtmauer und Thore errichteten und 10 Jahre
nach Beginn der Stadt, 1507, den Ring der Ummauerung schlössen,
so daß man in feierlicher Weise zum ersten Mal die Stadt am
Abend schließen konnte.
Die bürgerliche Sicherheit nach außen war geschaffen, denn
die Mauer umschloß in ihrer Länge von 1500 Schritt bereits
eine Bürgerschaft, die sich stark genug fühlte, sie auch zu ver-
leidigen. Man hatte je auf Bogenschußweite, also alle 70 Schritt,
eine Bastion errichtet, man hatte die Straßen zwar unmittelbar
auf den Markt zugeführt, doch leicht gekrümmt, daß ein feindlicher
Schuß nicht die Sammelplätze der Mannschaften erreichen könne,
man gab sich schon den Forderungen der Bequemlichkeit hin,
pflasterte die Straßen, errichtete neue steinerne Häuser und begann,
sich des großen Kunstbaues, der neuen Annenkirche, zu erfreuen,
welche sich langsam aus dem Grunde erhob.
Mächtig wuchs die Volkszahl. „Stadtbau und bürgerliche
Nahrung gingen mit Gewalt fort," fagt die Stadtchronik vom
besonders glückreichen Jahre 1500. Bald zählte man gegen 1300
Häuser. Annaberg erhob sich wie vor dreihundert Jahren Frei-
berg in raschem Aufschwünge. Als der Bischof von Meißen 1519
zur Firmelung der Kinder in die Stadt kam, war die Kirche zum
Erdrücken überfüllt. Nachdem er 2336 Kindern die Hand auf-
gelegt hatte, brach er ohnmächtig zusammen. Es mußten 400
ungesirmelt bleiben. Wir besitzen ein Lied aus der ersten Zeit
der Stadt, welches ihre Erbauung schildert; es sagt:
„Siebentausend menschen seynd genennt
Die ierlich gehn zum sakrament!"
Aber nicht alle mögen diesen Weg zur Kirche eingeschlagen
haben, aus welchen Gründen es auch immer sei, denn der Dichter
fragt weiter: „Wie viel der andern mögen seyn?"
II. Tie Zeitverhältnisse.
1. Politische Lage.
Es war eine schlimme Zeit, in welche die Gründung der
beiden erzgebirgischen Städte fiel.
Maximilian herrschte, der letzte Ritter. Sein ganzes Streben
war darauf gerichtet, die alte Herrlichkeit des deutschen Reiches
wieder erstehen zu lassen, die unter den luxemburgischen Kaisern
und seinem trügen Vater so kläglich versallen war. Er kämpfte
einen schweren, aussichtslosen Kampf, er kämpfte ihn mit redlichem
Bemühen, aber ohne den Geist der Zuversicht. Er schaute nicht
nach den kommenden Dingen, sondern suchte sich am Vergangenen
aufzurichten. Die Selbstsucht der Fürsten, die Unbotmäßigkeit der
den gesellschaftlichen Wandlungen erliegenden Ritter, der Schacher-
geist der Städte, die eben ihre Selbständigkeit erfochten und in
dieser ihr einziges Heil sahen, die Widerspänstigkeit des unter
hartem Druck doch üppigen Bauernstandes — alle Gewalten im
deutschen Volke sträubten sich gegen die Oberherrschaft eines starken
Willens. Jeder fühlte, daß es not thue, zusammenzustehen, sich
zu einigen, die Zwietracht niederzuringen — aber keiner wollte
zuerst Opfer bringen, jeder mißtraute dem Nachbar, weil jeder von
ihm zu gewinnen hoffte, keiner wollte von verbrieften Rechten oder
von mit starker Hand erfaßtem Besitz ablassen. Die Fülle des
deutschen Volkstnmes strömte nicht in tiefem Bette, sondern in
unzähligen, an sich machtarmen Rinnsalen über steiniges Feld
dahin, hier und da lebhaft aufschäumend, wo sich ihr feste Mächte
entgegenstellten, doch ohne Kraft das Mühlwerk seines Staats-
Wesens in gleichmäßigem Gange zu erhalten. Des Kaisers Auge
13
umsch leierte sich mehr und mehr, er blickte rückwärts auf alte
bessere Zeiten, er vertiefte sich in seine lebensfrohe Jugend, in die
Tage des frischen Schwertklanges und der brechenden Turnier-
stanzen, er liebte es, Künstler und Gelehrte um sich zu sammeln,
welche vergangene Dinge ihm wieder beleben sollten. Aber wenn
er der Welt Lauf mit sorgendem Blicke prüfte, sagte er: „Mir ist
aus der Welt keine Freude mehr, armes deutsches Land!"
Freilich in der Mark Meißen fühlte man die üble Lage des
Reiches weniger als sonst wo. Hier herrschte eine starke, ziel-
bewußte Macht, seit Kurfürst Friedrich 1464 gestorben war. Die
Not der Kriege in der ersten Hälfte des Jahrhunderts war über-
wunden, jener unglückselige Bruderstreit zwischen Kurfürst Fried-
rich dem Sanftmütigen und seinem jüngsten Bruder Herzog Wil-
Helm. Es ist bezeichnend, daß die Erzählung Spalatius, der Kur-
sürst habe einen Schützen verhindert, seinen Bruder über den
Haufen zu schießen, noch heute als Beweis besonderer „Sanftmut"
in allen Schulbüchern Sachsens gepriesen wird. Die Roheit, mit
welcher der Krieg von beiden Seiten geführt wurde, war unsagbar.
Wilde Zerstöruugsfucht paarte sich mit Landesverrat. Der Kur-
fürst brach den Vertrag von Zerbst, der eine Versöhnung mit
seinem Bruder anbahnen sollte. Dieser rief 1448, unbesorgt um
die religiösen Fragen und um die 1443 den sächsischen Herzögen
von Papst Felix V. erteilten Ehren als „Bekämpfer der Hnssiten",
9000 Zabracken, jene furchtbaren hufsitifchen Krieger ins Land,
welche, Freund und Feind gleichmäßig brandschatzend, die katho-
tischen Lande mit Brand und Mord erfüllten. Ja Wilhelm scheute
sich uicht, sich 1450 mit dem böhmischen Könige Georg Podiebrad
selbst dann noch zu verbünden, als dieser, auf weite Grenzgebiete
Anspruch erhebend, mit schonungsloser Grausamkeit seine ketzerischen
Scharen über die sächsifch-meißnischen Lande wälzte, Döbeln, Mitt-
weida, Altenburg, Borna zerstörte und, nachdem er sich bei Pegau
mit Wilhelm vereinigt hatte, an Gera ein mörderisches Straf-
gericht vollzog.
Damals waren die deutschen Fürsten an der mittleren Elbe
sich wieder klar geworden, daß ihr Land nicht umsonst den Namen
einer Mark Meißen trage. Mit ungestümer Hand hatten die
Slaven, gegen die der Staat einst errichtet war, aufs neue an den
14
Südgrenzen angeklopft, als in Böhmen der furchtbare Sturm der
hussitischen Bewegung losbrach. Bis tief in das Land hatten sie
den Streit getragen, der ein nationaler Kampf, ein Religionskrieg
und eine gesellschaftliche Umwälzung zugleich war. Die hufsitischeu
Heere, durch und durch revolutionäre Horden, die den Reichen die
Vernichtung androhten, indem sie reich und arm hinmordeten,
hatten zu lange Zeit im Lande gehaust und mit dem Schrecken
ihres Namens die Lehre in demselben verbreitet, daß den Volks-
mengen, wenn sie nur einig sind, die Staatsgewalten jener Zeit
nur schwer zu widerstehen vermöchten. Aber auch die Fürsten,
ja die Kirche lernte mit diesen Gewalten rechnen. Die Prager
Kompaktaten von 1433, der Friede, welchen das Baseler Konzil
mit den Ketzern machte, haben ihr Gegenstück in der Versöhnung,
welche die sächsischen Fürsten mit den politischen Mächten ihrer
südlichen Nachbarn suchten.")
Die heftige Anspannung des Hasses gegen die Hnssiten während
des Krieges, namentlich aber die Übereinstimmung aller in diesem
Hasse hatten im Lause der Jahrzehnte nachgelassen. Die deutschen
Herren und Städte des streitdurchwühlten Königreiches bildeten
die Vermittler an den Grenzen, um den Zwiespalt auszugleichen.
Suchten sie selbst doch, bedrängt durch den großen König Georg
Podiebrad und seine utraquistischen Getreuen, in Deutschland
Bundesgenossen, ja einen Gegenfürsten. Die Politik setzte auch
hier sich in entschiedenen Gegensatz zu dem harten Verdammungs-
eiser der Kirche, im Lande begann man mit mehr Ruhe die Lehre
der Ketzer zu besprechen, sehr zum Aerger der Geistlichkeit, welche
nicht ermüdete, zum Kampfe aufzurufen.
Die Bürger und Bauern, über welche die Zwietracht der fürst-
lichen Brüder solches Elend gehäuft hatte, konnten also keineswegs
von ihren Fürsten eine zielbewußte katholische Politik lernen. An
den Höfen der großen Herren stieß man sich sichtlich nicht an
Podiebrads Ketzerei und den Fluch der Kirche, wenn man seiner
Macht sich bedienen zu können glaubte. Ja im Vertrag zu Eger
1459 erkannten die deutschen Fürsten Georg als König an, Wil-
Helm nicht ohne zum Dank die von diesem besetzten meissnischen
Städte und Schlösser als ein böhmisches Lehen anzunehmen.
Es kam selbst zu einer Doppelheirat des sächsischen Hauses
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mit Georg Podiebrad. Der Braut Herzog Albrechts, des Sohnes
Kurfürst Friedrichs, einer Tochter Markgraf Albrechts von Branden-
bürg wurde mit kaltem Hohn mitgeteilt, man habe eine vorteil-
haftere Verbindung gefunden und dem sächsischen Herzog Zedena,
die Tochter des Ketzerkönigs, 1459 zugeführt. Sie wurde die
Stammmutter des albertinischeu Hauses. Podiebrads Sohn, Hein-
reich, heiratete gleichzeitig die Tochter Herzog Wilhelms.
2. Reformatorisches") Bestrebungen.
Das Beispiel der beiden sächsischen Herzöge Ernst und Albrecht,
welchen 1482 mit dem Tode ihres Oheims Wilhelm das ganze
Wettinische Reich zufiel, wirkte auch auf tiefere gesellschaftliche
Kreise: Es war die Verbindung mit Georg Podiebrad die erste
That der Auflehnung gegen Rom gewesen, welche nicht so leicht
wieder vergessen wurde. Im Volke wirkte die Erregung nnver-
kennbar im Sinne einer Reform weiter.
Die Quellen, welche uns ein Bild des geistigen Ringens in
den Volksmassen Sachsens zu jener Zeit zu schaffen ermöglichen,
sind sehr wenig ergiebig. Aber einige grelle Blitze hier und da
erleuchten doch ungefähr die Lage. Man sieht deutlich ein Gähren
und Wogen, dessen Fortwirken man auch dort annehmen muß,
wohin der offenbarende Lichtstrahl nicht gerade fällt. Der erste
Beweis dafür, daß die Stellung der Geistlichkeit in den Meißner
Landen nicht eben eine sichere war, ist ein mittelbarer: Die nn-
geheuren Anstrengungen, welche das Papsttum durch seine Kloster--
geistlichkeit gerade an den Grenzen Böhmens machte, um die Be-
geisterung für den katholischen Glauben zu entflammen, kann nicht
nur aus dem Bestreben hervorgegangen sein, die böhmischen Ketzer
zu vernichten, angreifend vorzugehen, sondern macht vielmehr meist
den Eindruck der Verteidigung, des Aufrufens eines Teiles der
Bevölkerung, und zwar zumeist der wohlhabenderen Kreise mit
ihren Hintersassen gegen die von Rom sich mehr und mehr ab-
trennende, hnssitisch-sozialen Lehren zugängliche Menge.
Das Mönchtum, diese stärkste Wehr der Kirche, beruht nicht
nur auf der Sehnsucht der einzelnen, sich aus einer schlimmen
Welt in eine friedliche Einsamkeit zurückzuziehen, es ist vielmehr
16
zugleich ein Versuch zur Lösung der gesellschaftlichen Fragen.
Namentlich das Gelübde der Armut ging aus dem Gedanken
hervor, durch Selbstentziehung die Werte der Welt geistig zu ver-
nichten; durch die Aufforderung zum Wohlthun sollte das Elend
tatsächlich gemindert und durch Selbsterniedrigung die Mißachtung
der Bedrückten aufgehoben werden. Das Übermenschliche wurde
an Selbstentsagung von den Ordensmitgliedern gefordert; die
Franziskaners mußten sich erst das Recht, in ihrer Ordnung zu
leben, von Rom erkämpfen. Aber die Mönche waren und blieben
selbst innerhalb der strengsten Regel Menschen. Es ist eine Un-
Möglichkeit, bei einer Menge und auf längere Zeit eine solche An-
spannung in der Bußübung aufrecht zu erhalten, wie sie die
Ordensstifter wünschten. Bald trat Niedrigkeit an die Stelle der
Erniedrigung. Die Bettelorden mischten sich den unteren Volks-
schichten bei, dort fanden sie Boden, dort verbreitete sich auch die
Brüderschaft der Tertiarier. Bot sie doch ihren Mitgliedern An-
teil an dem Segen, der Gnade und dem Verdienst des Ordens,
ohne sie zur Entsagung von der Welt, zur Ehelosigkeit zu ver-
pflichten, wenn sie nur den 20 Regeln folgten, die ihnen leicht-
fertiges Gezänk, Schwören, den Besuch von Schauspielen, das
üppige Leben n. dergl. verboten. Gern nahmen gewaltige Massen
des Volkes die einfache Kleidung des Tertiariers an, die sie ehrte,
ohne sie zu mehr als zu einem schlicht tugendhaften Leben zu ver-
pflichten. Es bildete sich fo ein weit verbreitetes Halbmönchtnm
heraus, das den Orden überall die Wege bahnte.
Aber man ruft die Massen nicht ungestraft auf. Diese breitere
Form der Gemeinschaft, diese Laienbrüderschaften haben dem Papst-
tum in kritischen Zeiten manche Sorge bereitet. Ihr Augenmerk
war aus kirchliche Dinge gerichtet, ohne daß sie einer sesten Auf-
ficht unterzogen werden konnten. Sie waren im Sinne des Mittel-
alters bußfertig und demütig. Aber sie wurden sich ihrer Demut
bewußt, sie wurden stolz auf dieselbe, wenn sie sich mit den
Mönchen verglichen, welche der Opfersinn der um ihr Seelenheil
Besorgten immer aufs neue, oft wider Willen der Besseren unter
ihnen, zu Besitz, zu Wohlstand und somit zum Wohlleben führte.
Die wirklich Armen hatten es leichter, das Gelübde der Armut
zu halten, als die Insassen reich belehnter Klöster.
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Die Ketzereien, welche Rom seit dem 14. Jahrhundert be-
unruhigten, gingen vielfach von den Laienbrüdern ans.") Schon
1299 mußte Papst Bonifaz VIII. Inquisitoren gegen die Irrlehren
unter den Fraticellen im südlichen Italien aussenden. Sie hielten
sich, als buchstäbliche Bekenner der Regel des heil. Franz, für besser
als die Mönche. Tugendstolz ist am schwersten zu beugen. Die
Kirche hatte einen harten Kampf mit ihnen zu bestehen. Schon
1317 verfielen die Anhänger derselber Brüderschaft auch in Deutsch-
land dem Bannfluche. Der Bischof von Straßburg mußte „die
Brüder des freien Geistes und der freiwilligen Armut" verfolgen,
weil sie die Sakramente verachteten, außerhalb der Kirche iu voll-
kommeuem Pantheismus einen ungesetzlichen, erheuchelten Orden
bildeten. Es ist die alte Form des Abfalles: Die Fehler der
Lehrer offnen das Auge für die Mäugel der verkündeten Lehre.
Gerade gegen die Stifter ihrer Geineinschaft, gegen die Minoriten,
richtete sich der Spott der „parvi fratres vel sorores" von An-
kona, gegen welche die Kirche 1373 zu den Waffen greifen mußte.
Gerade weil sie zur strengeren Regel hielten, mußten viele Bettel-
mönche, denen es ernst war um die Armut, und deren Leben eilte
Anklage gegen die Verweltlichung des Ordens darstellte, unter Papst
Johann XXII. die bittersten Verfolgungen erdulden. Viele starben
den härtesten Tod dafür, daß sie auf Erden nichts besitzen wollte::.
Es waren die Fratieellen nicht die einzige Gemeinschaft dieser
Art. Zahlreiche andere Brüderschaften sind uns dem Namen nach
und teilweise auch hinsichtlich der Form ihres Wirkens bekannt.
Wie sie sich unter einander gliederten, wie sie von einander ab-
hingen, wie die Lehre hier und dort sich entwickelte — das wird
wohl schwer je mit Sicherheit ergründet werden. Geheimnisvoll
breiteten sich die Gemeinschaften am Boden aus, bis die Geist-
lichkeit ihr Wirken bemerkte, bis die Inquisition mit mächtiger
Sense über die aufsprießende Saat niedersauste, um niederzumähen,
was das Haupt zu erheben gewagt hatte!
Ueberall zeigte sich der Gedanke der Bußfertigkeit im 15. Jahr-
hundert verquickt mit den gesellschaftlichen Zuständen, überall sahen
Kirche und Staat sich gezwungen, die Uebertreibnng oder Fort-
bildnng ihrer Lehren, ja die selbständige Befolgung derselben mit
den strengsten Strafen zu belegen. Verfielen doch auch die
Gurlitt, Kunst und Künstler. 2
18
thüringischen Geißler und Veitstänzer, welche die Ruhe der Land-
schaft durch ihre lärmende Selbstzüchtigung störten, dem Feuertode,
weil sie die Bluttaufe der Geißel über die Sakramente stellten und
in der Abtötung des Fleisches nach ihrer Weise ein besseres Gnaden-
mittel erblickten, als ihnen die im Wohlleben versunkene Kirche
bieten könne.
Alle jene ketzerischen Bestrebungen hatten sich in Böhmen zu
einem wirren Knoten von Meinungen und Thateu zusammengeballt.
Sie brachten daselbst den Hnssitismns zu Wege. Die Begharden
und Waldenser, die Fraticellen und Lollharden und wie die Brüder-
schaften alle heißen mögen, bildeten in den Nachbarländern eine Kette
von Gemeinden, welche zwischen hingebender Frömmigkeit gegen die
katholische Kirche und ketzerischer Selbstgenügsamkeit schwankten.
Man thäte unrecht, wollte man an eine feste innere Gemeinschaft
denken, man würde sie überschätzen, traute man ihnen zielbewußten
Kamps, planmäßige Agitation zu. Sie erschienen und gingen, sie ver-
breiteten sich und wurden gemindert, je wie die Strömungen im
Volksleben hin und her wogten. Aber die von ihnen ausge-
sprochenen Gedanken waren unauslöschbar. Das Streben, die
Volksmassen für das Mönchstum zu gewinnen, chatte auch in
Meißen für dieses nur so lange gute Früchte getragen, als die
Orden ihrem eigentlichen Zwecke noch genügten. Die wahrhaft
Armen verachteten aber bald jene, die nur von ihrer Armut zu
predigen wußten; die von des Lebens Notdurft Bedrängten ent-
fachte es zu wildem Grimme, wenn die üppigen Mönche ihrer
Bußkünste und der durch dieselben erworbenen Heilsmittel sich
rühmten; die in gesittetem Volkstums Aufwachsenden konnten von
den in verfallender Zucht lebenden Klosterleuten sich die Gesetze
der Keufchheit nicht ohne Lächeln vortragen lassen. Immer feind-
seliger stellten sich die Brüderschaften gegen die Geistlichkeit, der
sie ihre Verbrechen vorhielten, während diese sie als Frömmler,
Sektierer verhöhnten und den Namen Begharde zum Schimpfwort
umstempelten.
Die breiten Maffen des Volkes aber waren immer noch geneigt
den Sendboten der Kirche Glauben zu schenken, welche sie zum
Kampf gegen den Drachen der Ketzerei aufriefen.
Gegen diefen zogen vorzugsweise die großen Bußprediger des
19
15. Jahrhunderts aus. Johannes Capistranus , der Mann
der flammenden Beredtsamkeit, aber auch der blutigen That, war
1426 der Inquisitor gegen die Fratieellen, die Abkömmlinge seines
eigenen Ordens, gewesen. Ihn machte Papst Nikolaus V. zu seinem
Legaten, als es galt, den Lehren des Hns gegenüber zu treten,
jene Brüderschaften zu vernichten, die unter dem Deckmantel der
Heiligkeit das Unkraut der Ketzerei säen. Sichtlich fand er in
Sachsen besonders viel zu thun.
Die Ketzer hinterließen aus jenen Zeiten selten andere Ur-
künden als ihre Gerichtsakten. Ihrem Leben ist viel schwerer
nachzuspüren als dem der kirchlichen Würdenträger. Aber es
erscheinen doch schon aus jener Zeit Anzeichen, daß in den Volks-
mengen, auch im Meißenfchen, die kirchliche Erregung sich zu
rühren begann, welche später der Reformation zum Sieg verhalf.
Geheimnisvoll schlössen sich die Verbindungen unter den Gleich-
gesinnten, doch mit dem grausamsten Tode Bedrohten. Peter von
Dresden 16) war der Freund des Johannes Hns gewesen, scheint
aber seines Volkstums wegen 1409 die Hochschule von Prag ver-
lassen zu haben, an der er lange Jahre neben dem tschechischen
Reformator lehrte. Er wirkte trotz dieser Vergangenheit in
Chemnitz und Zwickau, seit 1412 in Dresden als Lehrer an
der Kreuzschule neben Nikolaus, einem zweiten Anhänger der
Wiklefschen Anschauungen. Es wurde beiden Ketzern von der
geistlichen Behörde der Proceß gemacht, Peter verwies man aus
der Meißner Diöcese. Er starb 1421 auf dem Scheiterhaufen
als ein verstockter Anhänger und eifriger Verbreiter der Lehre
seines englischen Meisters.
Sein Schüler scheint Johannes Drändorfl7) gewesen zu sein,
der 1425 in Worms voni Jnquisitionsgericht dem Feuer übergeben
wurde, ein sächsischer Edelmann, der gegen das Papsttum und
gegen das Abendmahl in einer Gestalt predigend, Süddeutschland
durchzog und den Bann des Bischoss von Würzburg gegen die
Stadt Weinsberg dazu benutzte, diese zu offenem Abfall von der
Kirche zu bereden. Auch er bekannte sich freimütig zu ketzerisch-
hussitischer Lehre. Auf der Synode der Brüdergemeinden zu Augs-
bürg 1424 werden Sebastian von Freiberg und Max Meier von
Beiersdorf, also zwei Sachsen, mit aufgeführt. Haus von Plauen,
2*
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ein Nürnberger „Waldenser", verhandelte 1418 über den Anschluß
der deutschen Wanderprediger an die Hnssiten.
Waren doch auch sonst während des Krieges zahlreiche Deutsche
zum Feinde übergetreten, um den hnssitischen Beutezügen sich an-
zuschließen. Der Boden, welchen Ziska mit Blut düngte, nahin
zugleich die Ansichten auf, welche seine erbitterten Horden in den
Kampf trieben, jene merkwürdige Lehre des Johannes Hns, daß,
wer eine Todsünde begangen habe, nicht im Besitz der geistlichen
und weltlichen Obrigkeit bleiben dürfe, ja daß für ihn jeder Be-
sitz, jedes Gut zun: Raub, zum Diebstahl au den Gerechten werde.
Diese Lehre faßte den Aufschrei von Millionen grausam unter-
drückter Höriger zusammen, welche mit harter Faust zur Frohu
getrieben wurden, während sie die Fürsten, die Geistlichkeit, ihre
Gutsherren in rücksichtslos roher Genußsucht dahin leben sahen.
Die Bauern, die verarmten Bürger, die nachgeborenen nnseß-
haften Adeligen — sie hatten am Hussitenkriege den Rausch des
Sieges, der Rache an den vom Glücke Begünstigten kennen ge-
lernt, sie hatten gesehen, welcher Wucht die Volksfaust fähig sei
wenn sie sich gegen die Verlotterung der großen Herren, gegen
die Sünden der übersatten Geistlichkeit, gegen den herzlosen Druck
eifriger Beamten erhebe und das Schwert der Vergeltung selbst
in die bluttriefende Rechte nehme. Der Kommunismus in feiner
rohesten Form hatte einmal eine kurze Zeit die Oberhand gehabt.
Der Eindruck diefes Sieges auf die Unzufriedenen ließ sich nicht
so bald verwischen. Noch lebten Gemeiudeu in Böhmen nach den
Gesetzen der Gütergemeinschaft, noch konnte man in der Stadt
Tabor jene zerlumpten, harten, bäurischen Gesellen sehen, welche
in Ziska ihren Helden verehrten und dem Papste kein Recht über
sich zugestanden, die Heiligenbilder verwarfen und in trotziger
Selbstgenügsamkeit und ächt tschechischem Schmutze ein kirchlich
sreies Dasein führten.
In Rom war man sich der Gefahr wohl bewußt, welche jene
der Kirche bereiteten. Auf dem Baseler Konzil besprach man die
Gefahren für die Grenzlande Böhmens, die Sorge, daß das
„husfitische Gift" auf Reichsboden übertragen werden könne.
Kardinal Cäsarini schrieb 1432 an Papst Eugen I V., die böhmischen
Ketzer hätten ihre Schriften in ganz Deutschland verbreitet. Wollte
21
man doch das Konzil nach Bologna verlegen, weil „die böhmische
Pest über viele Teile Deutschlands ihr Gift verbreitet hatte und
viele Städter nach dem Vorbilde der böhmischen Ketzer den römischen
Klerus verfolgten und grausam mordeten." Waren doch „die
Bösen aus allen Ländern" in großen Scharen dem Taboritenheere
zugezogen, verwendeten doch deutsche Fürsten böhmische „Kriegs-
brüderschasten", „die Bettler und Buben", in ihren Fehden, die
überschüssige Volksgewalt der Hussiteu sich selbst zu Nutze machend.
Wanderprediger zogen umher, im Böhmerwald, im Vogtland, bis
nach Unterfranken, Schwaben und in den Schwarzwald und fanden
in den Begharden und Lollharden eine Stütze und willige Hörer.
Die Bauern vernahmen die wunderbar kühne, befreiende Rede und
steckten die Köpfe zusammen bei den Bedrückungen der Herren, die
Städter suchten außer der Innung verbotene Gemeinschaften, weil
jene ihnen nicht mehr den Ansporn zum Fortschreiten bot, ja
sie hinderte und beengte, allerlei Brüderschasten und geheime
Einungen verbanden die jungen Männer und lebhafter denkenden
Köpfe. ,
Es ist kein Zufall, daß Johannes Capistrano auf seiner
Rundreise durch Deutschland die Grenzlande Böhmens Vorzugs-
weise aufsuchte. Er predigte gegen die Türken. Als er 1451
in Kärnthen seine Bekehrungsarbeit begann, war die Gesahr
vor dem Erbfeinde groß. Er hatte 1444 bei Warna, 1448 auf
dem Amselfelde die Christenheere vernichtet, der Fall von Konstan-
tinopel (1453) stand dicht bevor. Aber wenn Capistrano auch
durch den Tod an der türkischen Grenze den Ernst feines Auf-
rufes zum Kreuzzuge besiegelte, so lag ihm doch die Vernichtung
eines anderen Feindes viel näher: der Ketzerei. An ihr hatte er
die Macht seiner Rede kennen gelernt. Im Süditalischen und in
Mailand hatte er seine erschlaffenden Ordensgenoffen, die Obser-
vanten, wieder aufgerichtet und deren Verspötter, die Fratieellen,
durch Wort und Schwert vernichtet. Die Schwestern der h. Clara
und die Tertiarier, alle jenen, welche von der Auffrischung des
Ordenswesens, von der Bußfertigkeit das Heil der Welt erwarteten,
strömten ihm zu. Und dies war weitaus die Mehrzahl. Mit dem
Verbrennen der Schmiukbüchfeu, der Schuhschnäbel und des Ge-
schmeides, mit der Hingabe der äußeren Zeichen verderblicher
22
Ueppigkeit glaubte man schon die Sünden der Welt beseitigt zu
haben. Man war noch weit von der inneren Zerknirschung ent-
fernt, welche die Männer der Reformationszeit empfanden. Die
gewaltige Rednergabe des feurigen kleinen Mannes erfocht leichte
Siege. Ging ihm doch der Ruf der Wnnderthätigkeit voran, zählte
man doch die von ihm vollbrachten Heilungen nach Tausenden,
wußte man doch, daß er hartes Brot aß und dabei nicht einmal
am Tische Platz nahm, sondern am Boden kauerte, daß er Fleisch
und warme Speisen verschmähte, verdünnten Wein trank und wenn
unter dem härenen Gewände Hunger und Geißel nicht die sündigen
Gelüste ertöteten, sich nackt im Koth und Schnee wälzte, um im
Schmutz feine Seele zu reinigen. Mit Verwunderung sah man
die Selbstkasteiung vor sich, welche die Geistlichkeit als das hohe
Verdienst der größten Heiligen aller Orten anpries, ohne sie selbst
zu üben.
Capistrano aber rief auf zum Gehorsam gegen den heiligen
Stuhl, dessen „apostolischer Kommissar und General-Inquisitor
ketzerischer Verderbtheit" er war, er rief die vom Hussitismus An-
gekränkelten zum Eintritt in den Franziskaner - Orden auf und
versprach ihnen das zukünftige Heil durch die Gnade, welche diese
Gemeinschaft vor Gott erlangt habe. Auch er wußte eben kein
besseres Mittel, die Welt von ihren Gebrechen zu heilen, als Buße
und Mönchstnm. Immer wieder von neuem drängte man in der
Ratlosigkeit, wie die gesellschaftlichen und kirchlichen Schäden zu
beseitigen seien, die Menge diesen beiden Mitteln zu. Man wollte
sie Selbstbeschränkung lehren, weil ja doch alle Welt sah, daß es
in so nackter Selbstsucht nicht fort gehe; man wollte sie an die
Kirche fesseln, mußte sie aber somit der unverbesserlichen Geist-
lichkeit verbinden. Es half Capistrano der augenblickliche Erfolg
nichts. Auch wenn ganze Städte, mit Rat und Geistlichkeit an
der Spitze, Tertiarier wurden, vermochte er sie nicht katholischer
zu machen, führte er die noch Unbefangenen nur immer näher zur
Erkenntnis der inneren Fäulnis der Kirche. Es nützten die Heil-
mittel nichts, wo die Aerzte selbst den Krankheitsstoff von Haus
zu Haus schleppten.
Freilich der äußere Erfolg war ein gewaltiger; die Berichte
erzählen von dem Triumphzuge des eifernden Mönches. Es muß
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der den Siebzigern sich nähernde Greis eine eigene Macht über
die Geister besessen haben. So zog er beispielsweise am 16. Febr.
1452 in Chemnitz ein. Vier Ordensbrüder zu Pferde und vier
zu Wagen folgten ihm. Am 4. März schon nahm er die ganze
Stadt in die Laienbrüderschaft der guten Werke seines Ordens
auf. Er predigte täglich 3—4 Stunden lang. Aber er predigte
lateinisch und ein Ordensbruder verdolmetschte die Rede der Menge,
den zur Heilung herbeiströmenden Kranken. Er forderte von den
Gemeinden prunkvolle Einholung, schön geschmückte Kanzeln, damit
seine Einfachheit desto kräftiger absteche. Tagelang vor ihm ritten
seine Boten ein, seine Wunder verkündend. Er hatte einmal dem
Donner geboten, zu schweigen und ein andermal dem Regen unter-
sagt, seine Gemeinde zu stören. Die Vögel zwitscherten nicht, und
die Heimchen zirpten nicht, wenn er sprach. Mit Staunen sahen
die bedächtigen Deutschen des Südländers heftige Bewegungen, wie
er „nach italienischer Sitte" mit Händen und Füßen gestikulierte,
zu Leipzig auf der Kanzel einen Totenkopf schwang, um an ihm
die Vergänglichkeit aller Dinge zu lehren. In Meißen redete er
vom Dache eines Hauses am Markt herab, die Dresdner Bäcker
sührten Brot zu, um die Volksmassen in der Stadt zu speisen.
Als man im März des „andächtigen Vaters" Ankunft in Dresden
erwartete, zahlte der Rat an 12 Gesellen auf 3l/2 Tage Lohn sür die
Reinigung des Marktes, der Zimmermann baute einen Predigt-
stuhl — aber die Dresdner warteten vergeblich. Capistrano zog
nach dem Süden, in die deutsch-böhmischen Lande. Er hütete sich
vor den tschechischen Gebieten, denn er durfte sich der Gefahr eines
Mißerfolges nicht aussetzen, er durfte nicht aufhören, der unwider-
stehliche Wundermann zu sein. Daher kehrte er bald aus Böhmen
zurück, um in Thüringen leichtere Erfolge zu erkämpfen, wo da-
mals der Vernichtungskampf gegen die Geißler begann. Erst Ende
Dezember kam er nach Dresden, wo er in einer Woche mit seinen
8 Gesellen 12 Schock 12 gl. auf Ratskosten verzehrte. Welscher
Wein sür den „andächtigen Vater" bildete dabei, trotz der Büß-
Übungen, einen nicht geringen Posten. Jene Summe aber würde
nach heutigem Gelde und Preisstande etwa 1200 Mk. ausmachen!
Der Kampf gegen den Unglauben, die Ketzerei war der Zweck
der großen Anstrengungen. Man sieht dies an den Folgen von
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Capistranos Reise. Die Breslauer wurden zu glühendem Haß
gegen ihren utraquistischen König Georg Podiebrad aufgestachelt.
Tie Städte nahmen auch in der Lausitz eine drohendere Haltung
an. Im Meißnischen und ht Obersachsen begann das Volk sich zu
regen. Capistrauo umging das Ketzerland Böhmen, wie der
Böttcher das Faß, um mit dem dröhnenden Hammer seiner
Beredsamkeit ihm die eisernen Bande Roms anzuschmieden. Aber
als die Utraqnisten ihm zu antworten begannen, als ihr Führer
Rokyczana ihn zum Redeturnier herausforderte, machte er Be-
dingungen, welche beweisen, daß seine Klugheit größer war als
seine Leidenschaftlichkeit, daß er der Kraft seiner Worte nur dann
völlig traute, wenn auch die Macht ihnen zur Seite stand. Aber
zwischen dem Schloß Krumau int Böhmerwald, wo er als Gast
des großen deutschen Herrengeschlechts der Rosenberge lebte und
der Taynkirche in Prag, wo Rokyczana herrschte, flogen Schimpf-
reden hin und her, als wenn homerische Helden sich bekämpften.
3. Strömungen im Volke.
Obgleich Tausende auch iu Meißen, aufgeregt durch die
eigenartige Erscheinung des italienischen Mönches, sich zu Ter-
tiariern hatten anwerben lassen, waren sie den Mißstünden der
Kirche gegenüber nicht blinder geworden. Die Anfange einer
Umwälzung im Volke äußern sich nicht durch grundsätzlichen
Bruch mit den bestehenden Gewalten. Man erkennt die Nebel,
nicht aber alsbald ihre Ursache. Man schwankt in den Mitteln,
den wachsenden Schaden im Volksleben zu bekämpfen. Jeder
sieht in der Befriedigung seiner Wünsche das Heil der All-
gemeinheit. Die durchgreifendsten Vorschläge finden beit größten
Anklang. Die Gesahr liegt nicht in der Klarheit, sondern im
Schwanken der Meinungen, nicht in der Folgerichtigkeit der Führer,
sondern in den Stauungen der Bewegung in den Volksmassen,
die ihr Augenmerk den Nebendingen zuwenden, da sie das große
Ganze uicht versteht. Die Zahl der bewußten Ketzer hatte in
Sachsen wohl nicht zugenommen, wohl aber die Zahl der in geistige
Bewegung Geratenen; der Volksstrom war in Fluß gekommen.
In Böhmen schien die Bewegung ihren Gipfelpunkt schon
überschritten zu haben. Dort waren die Taboriten in vereinzelte
Städte zurückgedrängt. Die gemäßigtere Richtung der Utraqnisten
hatte mit Georg Podiebrad die Oberhand gewonnen, seit 1448
die katholische Partei, welche von Prag wieder Besitz ergriffen
hatte, überrumpelt worden war. In Böhmen selbst standen jetzt
die katholischen Barone dem Volkskönigstum, die Deutschen den
Tschechen erbittert gegenüber. Das hielt aber Podiebrad nicht
ab, die Sektierern mit scharfer Geißel aus seinem Lager auszu-
treiben. Er trug die Macht in fester Hand, gestützt auf Rokyezaua
und die utraquistische Geistlichkeit. Aber durch den Ausgleich mit
der katholischen Kirche, durch die Compactaten, war der hussitischeu
Sache die volkstumliche Schwungkraft genommen. Die Verteidigung
des Kelches allein, die nun zur Aufgabe der Bewegung gemacht
wurde, konnte die Massen zwar entflammen, aber nicht sie geistig
erheben. Es blieb in Böhmen das Bewußtsein unter den Massen,
daß sie einst für andere Dinge das Schwert ergriffen hätten, als
für rein theologische Fragen. Der Kirche aber waren diese die
entscheidenden. Sie bekämpften die Ketzer, während die Bücher
der Neuerer mehr und mehr gelesen und bewundert wurden, sie
wendeten sich gegen die Zerstörer der Kirche, während der Haß
gegen die „Pfaffheit" im Volke täglich wuchs.
Die Parteien in der Menge hatten nicht die klaren Ziele
der ntraqnistischen Führer. Sie sehnten sich nach Verbesserung
ihrer Lage, sie hatten im Meißnischen bei Podiebrads Einfall erst
1450 die rohe Hand der tschechischen Krieger zu schwer gefühlt, um
sich für diese begeistern zu können; sie horchten aber doch der Rede
wandernder Agitatoren, welche ihnen die kommende glückliche Zeit
der Befreiung vom Papst, dem Antichrist, verkündeten. Unerfahren
in politischen Dingen, von der noch selten gehörten Rede gewandter
Führer leicht hingerissen, schwankten sie zwischen den Versprechungen
der Kirche und den aufreizenden Worten der Winkelprediger, leicht
geneigt zu schneller That, schwer festzuhalten zu einheitlichem,
folgerichtigem Wirken.
In den mittleren Gefellschaftskreisen überwog die konservative
Richtung. Die Stände murrten darüber, daß die Fürsten durch
ihre Verbindung mit Georg Podiebrad die katholischen Grundsätze
aufgegeben hatten. Aber die politischen Vorteile, welche die Ver-
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bindung mit dem König brachten, ließen auch sie verstummen.
Also auch sie waren schlaff in der Verteidigung des allein selig-
machenden Glaubens.
Auf diese Kreise im Sinne Roms zu wirken war vorzugsweise
die Aufgabe eines andern päpstlichen Abgesandten gewesen, der sich
1450—1458 in den hussitisch beeinflußten Landen aufhielt, des
Enea Silvio de Piecolomini.^) Er war ein feingeistiger Mann,
ein Dichter, ein Humanist, der aus der Höhe des Wissens seiner
Zeit stand. Seine Aufgabe war, das religiöse Freiheitsbedürfnis
aus politischem Wege zu zerstören, jenem Bündnisse zwischen Papst
Nikolaus V. und Kaiser Friedrich III. zum Sieg zu verhelfen,
welches der Welt die Ruhe und Ordnung nach dem Sinn der
Kirche wiedergeben sollte. Auch er betonte stets die Türkenfrage
und benutzte sie als Mittel, um das Geschrei nach kirchlichen
Reformen einzulullen, auf kommende große, sittliche Thaten Roms
zu vertrösten. Wie Capistrano auf offenem Plane in heftiger, er-
schlitternder Beredsamkeit, doch auch mit den Mitteln des Markt-
schreiers die Volksmassen gegen Böhmen aufzuregen suchte, so
trachtete sein vornehmer Landsmann durch eine in Deutschland
von den am höchsten Gebildeten viel bewunderte Wohlredenheit,
durch die Feinheit diplomatischer Wendungen die Vornehmen in
das Lager der streitbaren Kirche hinüber zu ziehen.
Als ein dritter stand neben ihnen Nicolaus Cusanus^o), der
berühmte deutsche Gelehrte und Kardinal — er stammte von Koes
an der Mosel —, der ursprünglich neben Enea die Uebermacht
des Papstes auf dem Konzil zu Basel bekämpft hatte, später aber,
angesichts des Hussitismus, zur strengsten Reaktion übertrat und
eifrig an der Reform des Klosterwesens und durch diese für die
Zwecke der römischen Kirche arbeitete. Seine Agitationsreise durch
Oesterreich, Bayern, Franken, Thüringen, Sachsen und die Nieder-
lande, welche 1451 stattfand, zeigte ihn als Bahnbrecher des
Capistrano. Denn auch er predigte vor dem Volk, rief zur Opfer-
leistung auf, verteilte den Ablaß und brachte durch diesen so viel
Geld auf, daß er dem Papste 200,000 Goldgulden abzuliefern ver-
mochte.
Das Kreuz wurde nicht vergebens gepredigt. Wenn es auch
die Fürsten über fich brachten, den „Aufgerückten" wie sie Georg
27
Podiebrad spottend genannt hatten, den einfachen Edelmann, mit
ihrem Geschlechte zu verbinden, so fanden sich doch Männer genug,
die einen tiefen Haß gegen die Utraquisten im Busen trugen und
den Sendlingen Roms Gehör schenkten. Inzwischen war Enea
Papst geworden, saß als Pius II. auf dem Stuhle Petri, ein
Mann, der die Gefahr des Hufsitismus aus der Nähe kennen
gelernt hatte. 1462 kam es zum Bruch mit Georg, der bisher
zwischen den kirchlichen Parteien geschwankt hatte, in der Hoffnung,
die Tschechen würden die nationale Frage von der kirchlichen zu
trennen vermögen. Dann (1465) wurde Georg wegen Ketzerei,
Rückfall in die Ketzerei, Meineid, Kirchenraub, Gotteslästerung
und anderer todeswürdiger Verbrechen vor den Richtstuhl des
Papstes geladen und endlich, weil er nicht erschien, am 6. August
1465 verdammt.
Der neue Legat, Rudolf, Bischof von Lavant, sollte gegen
alle Anhänger Georgs mit geistlichen Processen vorgehen, alle
Familienbündnisse und Verbindungen, die der Ketzer mit Katholiken
geschlossen habe, aufheben, alle Eide, die ihn: geleistet seien, für
null und nichtig erklären und die deutschen Fürsten zum entscheidenden
Kampf gegen die Ketzer, zu deren Vernichtung, aufrufen.
Den Bischofstuhl zu Meissen nahm seit 1463 Dietrich von
Schönberg ein, zwar ein durchaus kirchlich gesinnter Mann, doch
ein Gegner jener allzu scharfen Maaßregeln Roms, von welchen
er nur zu deutlich erkannte, daß sie verfehlte seien. Denn die Aussicht
auf dauernden Erwerb des Planen'schen Landes ließ Herzog Albrecht
keinen Augenblick zögern, aufs neue feinem Schwiegervater den
Lehnseid zu schwören „zu merklichem Verdruß, Schaden und Schmach
nnserm allerheiligsten Vater, dein Papst, und der heiligen römischen
Kirche"; ja 1466 zogen Albrecht von Sachsen und Markgraf
Albrecht von Brandenburg persönlich nach Prag, um sich mit
Georg zu verbinden.
Damit war noch nicht genug geschehen. Bedeutende deutsche
Männer begannen Georgs Recht öffentlich zu verteidigen. Gregor
von Heimburg 2>) machte sich zum Anwalt des Königs, einst der
Sekretär Eneas, als dieser in Basel noch der Führer der Reform-
Partei war, jetzt seit 1461 selbst ein feierlich Verbannter, der von
Hof zu Hof ziehend überall mit leidenschaftlichem Ungestüm gegen
28
die Kurie zum Kampf antrieb. Damals, 1466, ging er aus
sächsischen Diensten in böhmische über, blieb aber zugleich in
sächsischem Sold. Seine Schriften, welche Haß gegen Rom atmeten,
wurden überall eifrig besprochen. Auf die öffentliche Verlesung
der Bannbulle, welche zum großen Aerger der sächsischen Fürsten
selbst in ihrer Hauptkirche und Hauptschloß zu Meißen stattfand,
antworteten die Böhmen durch viel gelesene Erklärungen ihres
Rechtes.
So drängten auf die Volksmengen die widerftrebendsten
Parteinngen ein. Der Bifchof vermittelte, die Herzöge verbanden
sich mit den Ketzern; dagegen hörten die Bußprediger nicht auf,
zum Kampf aufzurufen. Der Dominikaner Heinrich von Schletstadt
zog wieder durch die Lausitz und Meißen und verkündete allen,
die gegen die Ketzer die Waffen ergreifen, Sündenerlaß und sonstige
Gnaden; Sammelstellen für Beiträge zun: heiligen Kriege wurden
errichtet; von den Hinterlanden zogen schon ungeordnete Schaaren
Abenteuerlustiger herbei, um im Kriege ihr Heil zu suchen, der in
der Lausitz, in Schlesien wie in Böhmen zwischen der königlichen
Macht und den katholischen Herren und Städten bereits aus-
gebrochen war.
Im Erzgebirge, unter der beweglichen Menge der Bergleute,
blieb die planmäßige Bearbeitung des Volkes durch die kämpfenden
Parteien nicht ohne tiefgehende Wirkung. Wieder sind wir über
den Erfolg der kirchlichen Hetzerei gut, über jenen der Gegenpartei
wenig unterrichtet. Freiberg wurde der Mittelpunkt einer neuen
schwärmerischen Brüderschaft, welche 1465 Livinins von Wiers-
berg -), ein Franziskaner, nach Eger übertrug, die dann bis nach
Regensburg und Eichstätt sich ausdehnte und dem Klerus ernste
Sorge bereitete. Die Lehre, daß der Papst der Antichrist sei, daß
die Niedrigen erhöht und die Gewaltigen entsetzt werden müssen,
kündet die Verwandtschaft mit den hnssitischen Bestrebungen an.
Tie Sekte verschwand nicht, als 1467 Wiersberg in Regensburg
gefangen wurde und feine Lehre abschwor. Noch auf der Mühl-
dorfer Provinzialfynode süddeutscher Kirchenfürsten von 1490
mußten die Laienprediger und ihre Hörer verbannt werden. Im
Jahre 1475 schreibt Matthias von Kemnat „der Verkehrer und
Winkelprediger sind sast viel vor dem Böhmerwalde, besonders um
29
Eger unb int Vogtland", Begharden und Lollharden, „uumäßliche
große Bosheit, Schalkheit und Buberei" trieben dort ihr Wesen.
Schon mag in den Arbeiterkreisen das 1438 von einem deutschen
Weltgeistlichen verfaßte Buch der „Reformation Kaiser Sigis-
immds" n) abschriftlich verbreitet gewesen sein, welches die Buch-
druckerkuust zu eiuem furchtbaren Kampfmittel in der Hand der
Agitatoren machte. „Die Trompete des Bauernkrieges" hat man
es genannt. Eine neue Ordnung sollte durch dasselbe aufgerichtet
werden. Niemand setzt sich wider göttliches Gebot, so lehrt das
Buch, „als die Gelehrten, Weisen und Gewaltigen; aber die
Kleinen rufen und fchreien zu Gott um Hüls und um gute Ordnung!"
„Wenn die Großen schlafen, müssen die Kleinen wachen!" Freiheit
und Gleichheit müsse auf Erden durchgeführt werden. Es sei eine
unerhörte Sache, daß ein Christ vom andern sagen könne: „du bist
mein!" während doch der Heiland um unser aller Freiheit willen
gestorben sei. „Darum wisse Jedermann, wer der ist, der seinen
Mitchristen eigen spricht, daß er nicht Christ ist und ist Christo
wider!" Den soll man „ganz abthnn", wenn er ein Weltlicher
ist; ists ein Kloster, so soll man es „ganz und gar zerstören:• das
ist göttlich Werk!" Die Preistreiberei der Großhändler und die
Handelsgesellschaften müssen ebenfalls abgeschafft werden, ebenso
die Zünfte. Jeder solle sein Handwerk treiben und kein zweites,
alle Preise sollen festgestellt werden, ebenso die Löhne. Geistlich
und weltlich solle ganz geteilt werden. Wer sich aber der neuen
Ordnung widerfetze, folle vogelfrei fein: „denn die Ungehorsamen
sind Gott nicht nutz!" Mau solle nur fröhlich zuschlagen und
das Schwert brauchen. „Gott verläßt die Seinen nicht." „Wenn
nun die gemeine Welt bekennen wird unsere Freiheit, so ist den
gewaltigen Häuptern die Kraft genommen!"
So lehrten die Soäalisten des 15. Jahrhunderts in einer
Sprache, deren glühender Hauch deu wilden Haß gegeu die be-
stehenden Zustände ebenso wie die felsenfeste Ueberzengnng aus-
strömt, daß der Welt zu helfen sei, wenn die bestehenden Mächte
erst gefallen wären.
Der Bauernkrieg kündete sich an! Schon 1476 gings im
Würzburgischen los unter Johann Böheim. Alle Obrigkeit, welt-
liche und geistliche, sollte abgeschafft werden, da alle Christen
' 30
Brüder seien. Wenn keiner mehr habe als der andere, dann haben
alle genug. Die Pfründen der Geistlichen waren dem in Haufen
sich sammelnden Volke ein besonderer Dorn im Auge, der Geiz, der
Hochmut, die Wollust der Priester sollten gezüchtigt werden. Aus
allen Nachbarlanden erhielten die Haufen Böheims Zuzug. Die
Handwerksgesellen liefen aus den Werkstätten, die Bauernknechte
vom Pflug, die Grasemägde von ihren Sicheln fort, alle ohne
Urlaub von ihren Meistern, vielfach ohne Kleider und Zehrung, dem
Apostel der Brüderlichkeit zu, dessen mystisch begeistertes Wort alle zu
wildem Taumel hinriß. Aber der Bischof von Würzburg machte mit
Gewalt dem Treiben ein Ende, Johann Böheim wurde verbrannt.
Aber auch die Sendboten Roms hatten im Erzgebirge Erfolge.
Die Franziskaner fanden auch hier 1468 Kreuzfahrer, welche in den von
ihnen gepredigten Krieg zu ziehen sich bereit zeigten. Es war dies nicht
verlaufenes Volk, sondern Lehnsleute des Landesherrn, angesessene
Bürger, Bergwerksbesitzer, namentlich aber Handwerker. In Freiberg
allein schlössen sich dem Kreuzzug 400 Manu an. Der Dienst war nicht
hart. Man verpflichtete sich nur, den Verkehr mit Böhmen zu ver-
hindern, alle Güter der Einfuhr und Ausfuhr fortzunehmen. Es ging
ein wüster Krieg gegen Fuhrleute auf der Landstraße und gegen Güter
in deu Speichern der Städte los, den die Herzöge nicht zu unter-
drücken vermochten, ohne sich offen für die Ketzer zu erklären. Erst
als die ganze Landschaft in Aufregung und Unruhe kam, als die
Kreuzfahrer sich gegen die Anordnungen der herzoglichen Beamten
zur Wehre setzten, machten sie Ernst gegen die „Straßenräuber
und Landesbeschädiger" und schufen mit bewaffneter Hand Ruhe
unter den allzu dienstbereiten Vollstreckern des päpstlichen Bann-
flnches, fodaß diese mit demütigen Gesuchen sich entschuldigten.
Während zu den Winkelpredigern die unteren Massen hielten,
sehen wir unter den der Kirche Folgenden große Fnndgrübner,
wie Lneas Schönberg, der sich rühmte, den Herzögen mehr Silber
aus seinen Werken überantwortet und erbaut zu haben, als ein
anderer in langer Zeit gethan, also ein reicher Mann, der viel
Arbeiter beschäftigte. Noch 1470, als der Schneeberg aufkam,
waren die Kreuzfahrer nicht allen Verpflichtungen nachgekommen,
die man ihnen zur Strafe und als Ersatz für verursachte Schäden
auferlegt hatte.
31
Mit den Kreuzpredigten und Kreuzzügen aber machten die
Herzöge nun ein Ende. Sie wollten nicht, daß „das gemeine
Volk und unendlich Pofel allein dazu bewegt werde." Die Politik
des Hinhaltens, welche Sachsen eingeschlagen hatte, bewährte sich
aufs beste. Es glimmte der Haß der Parteien im Lande freilich
fort. Aber er verlor feinen Einfluß auf die große Politik, feit
1472 Georg Podiebrad starb und sich somit die Spannung von
selbst löste, welche über den von den Bußpredigern wie von den
Neuerern durchwühlten Grenzlanden Böhmens lag. Die Staats-
gewalt trat siegreich aus dem Ringen hervor. Die Landesfürsten
hatten verstanden, Rom hinzuhalten und seinem Drängen zu
trotzen. Sie thateu es aber nicht, ohne ihrem Volke eine Lehre
zu geben über den Wert des höchsten Richteramtes des Papstes
und seines Bannfluches, welche unvergessen blieb und im folgenden
Jahrhundert mächtig weiterwirkte.
Zwar vernahm man auch in der Folgezeit noch das „Murmeln"
in den tieferen Kreisen des Volkes. Aber die Staatsgewalt hatte
sich unter der kräftigen Regierung der sächsischen Fürsten zu sehr
befestigt, als daß revolutionäre Bewegungen möglich gewesen waren.
Selbst nach dem Eingreifen der Lutherschen Reformation, selbst
im Wirkungskreise eines Carlstadt und Thomas Münzer kam es
nur in jenen kleinen Reichsgebieten zu einem hellen Aufflackern
des Socialismus, in welchen die Polizeimacht schwach war. Die
erzgebirgische Revolte von 1520 erhielt nie eigentlich staatsgefährliche
Bedeutung, obgleich sie in einem Gebiete ausbrach, das an Zünd-
stoff außerordentlich reich war.
III. Der Proflmstil der Spätqothik.
1. Der Humanismus und die Individualität.
Der Reichtum der Freiberger Bergwerke hatte sich schnell in
künstlerische Thaten umgesetzt. Die berühmte goldene Pforte ist
sein Denkmal; sie überdauerte die Jahrhunderte in unvergänglicher
Jugendschönheit. Die Schätze aus jenen Gruben, welche im
15. Jahrhundert erschlossen wurden, äußerten sich auf minder form-
vollendete, doch gleich eigenartige Weise: sie schufen einen Profanstil
der Gothik.
Als der Schneeberg sich aufthat, um 1470, begann gerade
eine neue Zeit der Geister anzuheben, der Humanismus auch in
sächsischen Landen wirksam zu werdeu, welcher der Geistlichkeit die
Führung des Volkes entriß und die bürgerliche Wissenschaft und
Kunst zu Ehren brachte. Erst mit dem Humanismus beginnt
auch in Italien der Palastbau, wird aus dem festen Haus ein
offener Fürstensitz, aus der Burg ein Schloß. Denn mit dem
Humanismus kommt das Recht der Individualität, die Kraft des
Staates als Gesetzesgeber und -Wächter zur Geltung, verschwindet
die Vorherrschaft der Faust uud beginnt die Sicherstellung der
Bürger im Staate durch den Staat. Mühsam hatten sich
einzelne Köpfe von der Ueberlieferuug losgerissen, von der
bequemen Form, Dinge und Empfindungen nach den Aussprüchen
und Funden längst vergangener Tage zu beobachten. Die
Mystiker waren seit langer Zeit die ersten, welche wieder in
sich selbst die Quelle der Anregung suchten. Wenn sie die
Wahrheit auch noch vorzugsweise aus dem älteren Schrifttum
hervorholen zu müssen glaubten, setzten sie ihr doch das eigene
Empfinden als eine Bestätigung zur Seite. Nach und nach stählten
33
die Geister das Schwert des Denkens an dem Vorbilde der Antike.
Es überkam sie eine junge Kampflust, die Sehnsucht nach geistigem
Ringen, nach einem Strecken und Recken der Gedankenkräfte. Das
Ich trat hervor, und wenngleich Alle im Christentum sest zu be-
harren entschlossen waren, spiegelte dieses sich doch sehr verschieden-
artig in den Köpfen wieder. Das Suchen nach dem rechten Wege
zur Erkenntnis der gleichen Wahrheit führte die Geister in den
Streit. Der Streit aber gab ihnen Mut, ihre Kräfte zu brauchen
und förderte die Selbständigkeit der Denkenden. Der Wert des
Menschen wurde neu entdeckt, der nun den großen Einrichtungen
gegenüber an Bedeutung gewann. Die Persönlichkeit der Volks-
sührer, namentlich der Fürsten, trat immer mächtiger in den
Vordergrund. Sie verlangte nach künstlerischer Darstellung.
Dazu kam die Ausbildung des Bürgertums zu steigendem
Wohlstand. Die Städte wuchsen an Ausdehnung und Macht.
Noch waren die Bürger wehrhaft, die Zünfte meist ein
Förderuugsmittel für ihre gesellschaftliche Lage, nicht ein Hemm-
fchuh. Die Stünde waren minder scharf getrennt. Wer Geld oder
Macht erwarb, näherte sich dem Adel; wer Wissenschaft und
Geschäftskenntnis erlangte, konnte sich am Hofe über die Ritter er-
heben. Die Städte lieferten den Fürsten jene Staatsmänner,
welche die unglaublich schwierigen politischen Verhältnisse in der
deutschen Kleinstaaterei mit einem gewissen meisterlichen Behagen
zu bewältigen wußten.
Die Fürsten liebten es mehr und mehr, sich die Wohnlichkeit,
die Hilfsmittel der Städte zu Nutze zu machen. Während Kaiser
Sigismund noch von Burg zu Burg, von Land zu Land zog
und sich, oft zum Gespötte seiner Zeitgenossen, dort fesseln ließ,
wo ihm Vergnügen winkte, war Kaiser Friedrich III. völlig
seßhaft geworden, mehr als es dem Reiche zum Heile war. Der
Begriff der „Residenz" bildete sich nun erst heraus, seitdem die
Verwaltung eine verwickeltere geworden, die Feder zu höherem
Rechte neben dem Schwert gelangt war, seit die Gliederung des
Staates stärker sich nach der Person des Herrschers zuspitzte und
die viel beschäftigten Hofämter an Arbeitskräften und an Akten-
stücken reicher wurden.
In Sachsen macht sich um jene Zeit ein völliger Wandel des
Gurlitt, Kunst und Künstler. Z
34
Profanbaues geltend. Es giebt einige alte Burgen, die bis in
romanische Zeit zurückzuweisen sind. Die Kapelle des Milden-
steines bei Leißnig, der Schlösser Gnandstein und Kohren östlich
von Altenburg, Scharssenberg bei Meissen, das Schloß zu Grimma
seien als Beispiele genannt. Aber es hat sich in den Städten,
wo noch der Fachwerkbau überwog, kaum ein Baurest erhalten,
der über die Mitte des 15. Jahrhunderts hinausreicht. Seit 1470
etwa entstanden nun in den sächsischen Städten große Steinhäuser,
Zeugnisse gediegenen Wohlstandes, behäbigen Sinnes, kräftigen
Unternehmungsgeistes. An der Spitze der Städte steht Zwickau
mit einer Anzahl stattlicher Bürgerhäuser. Aehuliche finden sich
in Leipzig, Reste in Dresden. Vieles zerstörte Brand und
Neuerungseifer. Wie die Bürger dachten auch die Herren an die.
Umbildung ihrer Heimstätten. Es entstanden künstlerisch geschmückte
Rittersitze.24) Seit die Fürsten begannen, an die Ausgestaltung
ihres Wohnsitzes höhere Ansprüche zu stellen, bildeten sich auch
festere stilistische Formen heraus. Bisher hatten sie kein Schloß
besessen, welches ihrer Bedeutung auch nur einigermaßen entsprochen
hätte. Noch war die sturmumtobte Burg auf der Höhe des Berges
oder inmitten eines Wallgrabens, der enge, verteidigungsmäßig
finstere Nutzbau, ihre gewöhnliche Heimat, sahen sie mit Neid auf
die Klöster und deren mächtige Dormitorien und Refektorien, auf
den Prunk jener, welche das Gelübde der Armut geleistet hatten.
Aber die Fürsten mußten sich auch zu künstlerischen Thaten
angeregt sehen, wenn sie in andere Länder hinüberschauten. Der
Wandergeist lockte auch jetzt in den Tagen der Herausbildung der
Individualität. Einige halbverstandene Stellen aus älteren
Schriften, also ein Stück Ueberlieferung, und einige zufällige Natur-
beobachtungen, alfo ein Stück des neuen Geistes selbständiger
Prüfung, gaben Kolumbus den Mut zu seiner Fahrt gegen den
Westen; das wäre früher unmöglich gewesen. Man wollte selbst
beobachten, man gefiel sich in kühnen Gedankenverbindungen. Die
Unzufriedenheit mit der eigenen Welt steigerte die Sehnsucht, fremde
Anschauungen kennen zu lernen. 1461 zog Herzog Wilhelm III.
von Sachsen nach dem gelobten Lande, 1476 solgte sein Neffe
Albrecht seinem Beispiele, 1493 Kurfürst Friedrich der Weise, 1498
Herzog Heinrich, der Sohn Albrechts. War es nur kirchlicher
35
Bußsinn, nur ein „gutes Werk", welches diese Fürsten, die Ver-
bündeten und Verwandten Georg Podiebrads nach Palästina zog?
Oder waren sie und ihr zahlreiches Gefolge Männer, welche
beobachten, vergleichen und dann aus eigener Lebensbereicherung
heraus fördernd wirken wollten?
Italien war das beliebteste Reiseziel der Deutschen, Rom die
Sehnsucht der Frommen, wie der Lebenslustigen. Dort blühte
schon längst eine städtische Kunst, dort hatte das kräftigere Hervor-
treten des Ich schon längst ein bürgerliches Bauwesen ins Leben
gerufen. Herzog Wilhelm sah 1461 in Venedig den Dogenpalast
und viele andere Bauwerke fertig, welche ihm eine höhere Profan-
kunst boten, als sie in seinen Landen betrieben wurde. Aber er
war allem Anschein nach weit davon entfernt, an eine Nachbildung
dieser Werke zu denken. Die Kunde von derartigen Bauten war
aber sicher in Deutschland verbreitet, wo die Kunst bisher eine
vorzugsweise kirchliche gewesen war. Seine Neffen und Erben
begannen zuerst in Sachsen etwas ähnliches zu planen. Die
Schätze des Schneeberges gaben ihnen die Mittel dazu.
2. Das Schloß zu Meißen.
Meißen war der Lieblingssitz des Kurfürsten Ernst und des
Herzogs Albrecht. Dorthin bauten sie ihr neues Fürstenschloß25),
einen Bau, der an Größe alles überragt, was an ähnlichen Werken
in den Nachbarlanden entstanden war seit den Tagen, in welchen
Kaiser Karl IV. die Karlsburg bei Prag errichtet hatte. Die Lage
des Baues ist bezeichnend. Er steht auf jener von steilen Fels-
wänden umgebenen Hochebene, auf welcher der Dom der Meißner
Bischöfe seit dem 12. Jahrhundert sich erhob. Von jeher war auf
ihr die Kirche ansässig gewesen. Die Stadt lag zu Füßen des
über stattliche Brücken zugänglich gemachten Berges. Es war
das Ganze eine Burg, deren Mauern aber nicht einen engen Raum
zur Verteidigung eines Hofgefolges, sondern auch die Landeskirche
umschloß. Sie war nicht der Sitz eines fürstlichen Ritters, sondern
als der Mittelpunkt eines Staates gedacht, dessen beide leitenden
Gewalten, Fürstentum und Kirche, zu einem nur in sich getrennten,
nach außen vereinten Ganzen verbunden, sich über Bürgerschaft
3*
Abbildung 1. Das Schloß zu Meißen. Links die Sitze der Domherren^und das Bischofschloß mit dem starken Eckturm, rechts das
Fürstenschloß (die Albrechtsburg); dazwischen der Dom, dessen Westtürme hier als nach Art jener des Domes zu Erfurt ausgebaut
dargestellt wurden; unter dem Schloß die Stadt mit der Wasserkapelle an der Elbe.
37
und Land zu freier Stellung erhoben. So ragt die Meißner Burg
noch heute in die Lande (Abbild. 1). Der mächtige gothische Dom
bekundet den mittelalterlichen Grundgedanken ihrer Lage, die Ueber-
gewalt der Kirche. Aber der Staat hat diese im 15. Jahrhundert
mit seinen Bollwerken umgeben und hat sein Heim neben die
Kirche gestellt. Er schützt sie, schmiegt sich ihr an, aber er über-
wältigt ihre äußere Macht durch seine Umarmung.
Das Meißner Fürstenschloß enthält eine Menge großer Räume,
deren Zweck zum Teil von alters her bekannt ist (Abbild. 2). Die
großen Säle des Erdgeschosses waren die „Hofstuben" der beiden
Fürsten, die Versammlungsräume für ihr Gefolge. Daneben fanden
sich kleine Hofstuben als Amtsräume. Das Erdgeschoß hat also weite
Gelasse sür den großen Geschäftsverkehr. Zwei Treppen führen in den
darüber liegenden Stock. In der Mitte zwifchen diesen liegt die
„Appellationsstube", jener Raum, welcher die Räte in nähere
Verbindung mit den Fürsten brachte, deren Wohngelasse in den
beiden Flügeln sich befanden. Das dritte Geschoß dürfte dem
Gefolge zur Wohnung gedient haben, im Keller befanden sich
mächtige Wirtfchaftsräume. So umfaßte das Schloß Gelegenheit
für den Hof beider Fürsten, der zugleich deren Regierung war. Die
Räume sind noch sehr ausgedehnt. Das Leben spinnt sich in einer
Gemeinschaft ab, die trotz der Zahl ihrer Angehörigen etwas vom
Wesen eines Haushaltes im Sinne des Großgrundbesitzers hat; die
Glieder derselben sind noch Diener, die Herren noch ihren Genossen
menschlich nahe, ihr Leben liegt offen vor diesen, wie das des Haus-
Herrn vor seinem Gesinde. Aber die Verhältnisse beginnen sich ins
Weite zu recken; der gegliederte Staat beginnt sich aus der
Fürstenherrschaft herauszuschälen.
Um dem neuen Bausinne der Fürsten, ihrem auf das Große
gerichteten Streben und noch dazu der Vielseitigkeit der von ihnen
gestellten künstlerischen Aufgabe zu genügen, bedurfte es eines
hervorragenden Baumeisters. Denn die Aufgabe war neu. Nicht
weit von Meißen finden sich die Reste des Cisterzienferklosters Alten-
zelle. Man benutzte die dort gegebenen Vorbilder aber nicht. Die
Fürsten dachten nicht daran, sich einen Festsaal von jenen mächtigen
Verhältnissen, von jener klaren Grundanlage zu bauen, als es
das Refektorium der Mönche war. Diese aber hatten es dafür
Abbildung 2. Die Albrechtsburg zu Meißen, Grundriß des zweiten Hauptgeschosses. In der Mitte die Apellationsstube mit von
den beiden Treppen zugängigen Vorsälen und dem reizenden Erholungsraum gegen Norden. Anstoßend nach beiden Seiten je 4 Säle
als Fllrstenwohnungen. Der Turm gegen Nordwest enthält den erst 152» vollendeten Wappensaal.
00
CO
39
sich mit dem Plane leicht gemacht. Er ist eine fast sklavische Nach-
bildnng jenes von Maulbronn und dieser geht zurück auf das
Mutterkloster Citeaux. Der Orden hielt an der Ueberlieferung,
er baute Raum neben Raum um den Kreuzgang herum, eine
klare, prächtige, übersichtliche Anlage, die aber von außen den
Eindruck einer kleinen Stadt, einer Häusergruppe machte. Der
Meister, welcher für die sächsischen Fürsten baute, war bemüht,
die ungleich vielseitigeren Zwecke in einem Bauwerk zu verbinden,
den Teilen ihr Recht zu lassen, aber dabei sie als einem Willen
unterthan, darzustellen. Die Mönche errichteten für ihren gemein-
samen Haushalt viele Einzelhäuser, die Fürsten vereinten zwei
Haushalte und die Zwecke des Staates unter einem Dach; jene
breiteten sich behäbig über dem Boden aus, diese strebten nach
geschlossener, wohlabgewogener Verbindung. Dies aber ist es,
was den Profanbau zum Palast macht: Erst wenn es gelingt,
alle Anfordernisse des fürstlichen Lebens in ein künstlerisches Ganze
zusammenzufassen, wenn die Teile so verbunden sind, daß ein
Grundzug alle gemeinsam beherrscht, jeder dem andern sördersam
zur Darstellung der Hauptabsicht dient, dann wird aus dem mittel-
alterlichen Schloß der Palast.
Und der neue Bau in Meißen ist ein Palast im Sinne der
Italiener. Er verbindet die vielgestaltigen Teile zu einem Kunstwerk
(Abbild. 3). Freilich war sein Erbauer kein Brunellesco, ist Meißen
nicht Florenz, Sachsen nicht Italien. Er hatte eine ungleich
schwierigere Aufgabe zu lösen als der große Florentiner, welchem zuerst
nach langer Zeit gothischer Kunstbestrebungen sich die Augen für die
Schönheit der Antike wieder öffneten. Jener fand fertige Formen vor,
um seine neuen Gedanken in diese zu hüllen. Die Befreiung von
der zur Fortbildung ihm untüchtig erscheinenden, als barbarisch
verhaßten mittelalterlichen Gestaltungsart der Kunst war ihm die
Hauptsache. In Italien hatte man schon längst jene neuen Bau-
aufgaben des modernen Staates sich gestellt und hatte sie nur mit
Widerstreben in die Formen des Nordens gehüllt. Man empfand
dort den inneren Zwiespalt zwischen der nordischen Kunst und
den Aufgaben des modernen Profanbaues. Als Brunellesco für
diesen die entsprechenden Ausdrucksmittel in Rom wiederfand, in
der Stadt, die sich nie mit der Gothik befreundet hat, in jenem
40
Rom der Republik und der Cäsaren, als die Steine der Rumen
wieder zu sprechen und die Italiener deren Sprache zu verstehen
begannen, da war der Uebergang vom Alten zum Aelteren, von
der Gothik zur Antike, die nun wieder in anderer Gestalt neu
wurde, ein schneller, von allen freudig begrüßter.
Anders war es in Deutschland. Die Gothik war der Stil
41
des nordischen Kirchenbaues. Aber tausende lebten im Reiche,
welche Rom kannten und wußten, daß die römischen Kirchen anders
gestaltet seien als jene in Frankreich und Deutschland. Die Gothik
mußte jenen, die zum Grabe der Apostelfürsten wanderten, nicht
als die wahrhaft kirchliche Kunst erscheinen, seit sie zu beobachten,
zu vergleichen gelernt hatten. Dazu war sie, wie die Kirche selbst,
erschöpft, müde, verderbt. Der Schwung der Schaffenskraft war
erlahmt. Schon griff man zu künstlichen Mitteln, sie zu beleben.
Namentlich die Baukunst stockte. Trotz der außerordentlichen Auf-
gaben, welche ihr gestellt wurden, fehlte ihr der freie, große Zug,
der sie früher belebt hatte. Sie hatte schon längst ihre Innerlichkeit
eingebüßt, die Hingabe an die eigentlichen Aufgaben, die Darstellung
des Bauzweckes, und war eine Zierkunst geworden, welche sich selbst
genügte, jenes Mangels eines Zweckes sich zu rühmen schien, den
auch Moderne als das Wesen der Kunst hinstellen. Aber was
des Zweckes entbehrt, sich selbst Zweck ist, wird leicht zwecklos, unnütz.
Das 15. Jahrhundert ist die Zeit der großen Thurmbauten
an den deutschen Domen, die Zeit der reich verzierten Altäre und
Sakramentshäuser, des kirchlichen Prunkes und der künstlerischen
Spitzfindigkeit. Im gesellschaftlichen Leben der Künstler ist es die
Zeit der großen Brüderschaften, der Vereinigung zu gemeinsamer
Vertretung der Lebensvorteile. Es bildet sich nun erst die Bau-
kunst zum Handwerk heraus, erst jetzt treten die vornehmen Stein-
metzen in Verbände, welche jenen andrer Gewerbetreibender ähnlich
sind. Sie hatten, seit die Geistlichen nicht mehr selbst bauten,
als deren Nachfolger, etwas von deren Würde mit überkommen.
Von Schritt zu Schritt näherten sie sich aber nun den bürgerlichen
Gewerben.
3. Der Hüttentag zu Regensburg und Torgau.
Es war ein ganz ungewohntes Unternehmen in den damals
noch in künstlerischer Beziehung infolge der Kriege darnieder-
liegenden Elblanden, als zu Bartholomäi 1462 und darauf nochmals
zu Michaelis desselben Jahres in Torgau eine große Anzahl
Meister und in Vertretung vieler Fehlender, deren Poliere zur
Beratung zusammentraten, um eine Ordnung für die Steinmetz-
42
Hütten aufzustellen.-") Vertreten waren zunächst geistliche Gebiete:
Magdeburg, Halberstadt, Hildesheim, Merseburg, dann „Müllburgk",
also wohl jene Herrschaft Mühlberg an der Elbe, welche seit 1443
dem reichen nordböhmischen Geschlechte der Berka von der Dnba
durch Tausch zugefallen war und im Vertrag von Eger böhmisches
Lehen blieb, bis sie 1520 an Sachsen zurückfiel. Weiter waren
auf dem Tage vertreten: Meißen, Vogtland, Thüringen, Harzland.
Ein Hüttenrecht gab es schon in den sächsischen Landen,
jenes Hauptrecht, welches die kirchlichen Patrone der Steinmetzen
selbst geschaffen haben sollten, die unter Kaiser Diokletian hin-
gerichteten heiligen vier gekrönten Märtyrer. Als man eine
neue Ordnung aufstellte, berief man sich auf die alte. Aber
nichts deutet darauf hin, daß eine Verbindung unter den Hütten-
schon früher bestanden habe, vielmehr erkennt man aus der Hütten--
ordnung von 1462 deutlich, daß sie auf Anregung von außen zu
Stande kam. Sagt sie selbst doch, „etliche Werkmeister im Ober-
land" hätten eine Ordnung in ihre Lande gesendet und sie er-
mahnet, diese anzunehmen und zu bestätigen. Sie war also etwas
neues für die Hütten des Unterlandes, die sich auch keineswegs geneigt
zeigten, jene zugesendete Ordnung rundweg anzunehmen. Sie
konnten es schon ihrer Landesherren wegen nicht, weil diese schwerlich
eine weitgehende Gerichtsbarkeit der Hütten über deren Angehörige
in ihren Landen geduldet hätten. Man beschloß also sofort, daß
jene Bestimmungen, welche die „Herren" nicht dulden wollen, ab-
gethan werden dürften, und daß man den Werkmeistern und Gesellen
nicht das „rechte Buch" d. h. also nicht alle Bestimmungen der Ord-
nung in die Hand geben, sondern dieses für „Berufungen" bewahren
wolle. So wenig man also wußte, wie die Fürsten die Neuerung
aufnehmen würden, so wenig war man geneigt, diesen Einblick in
die eigenen Verhältnisse zu geben. Es wurde die Ordnung der
Hütte als ein Teil ihres Geheimnisses betrachtet.
Es ist uns eine Hüttenordnung der Erfurter Steinmetzen von
1423 erhalten, die von einem allgemeinen Verbände nichts weiß,
fondern ihre Verhältnisse unbekümmert um das, was sonst für Her-
kommen galt, in ihrer Weise ordnete. Eine zweite, etwa von 1500
stammende, zeigt die Verhältnisse keineswegs geändert, obgleich
Thüringen den Hüttentag in Torgau beschickt hatte und obgleich der
43
Erfurter Dommeister Hans Phawe von Straßburg 1464 die
Straßburger Ordnung unterschrieb. So wenig also die mittel-
deutschen Meister in ihrer Gesamtheit die Straßburger Ordnung
annahmen, so wenig dürften auch die Steinmetzen der einzelnen
Lande geneigt gewesen sein, der Torgauer Neuerung allseitig
beizupflichten. Die Verhältnisse gestalteten sich sichtlich auch
in diesem Gebiete nicht sso klar, wie [die Schwärmer für das
Mittelalter annehmen, welche zu glauben scheinen, es habe wirklich
dort Ordnung geherrscht, wo eine „Ordnung" aufgerichtet wurde.
Durch diesen Irrtum ist man meines Ermessens zu einer starken
Überschätzung des Wertes der Hüttenverbände gelangt.
Die Sachlage ist wohl eine andere als gemeinhin dargestellt
wird. Man empfand im Oberland, namentlich am Rhein,
daß das Steinmetzenhandwerk dem Verfall entgegengehe. Man
klagte über Zwieträchten, Mißhelle, Kummer, Kosten und Schaden,
die durch unordentliche Handlung unter den Meistern beschwerlich
geworden seien. Das alte, gute Herkommen und die Gewohnheit,
welche die Altvordern und Liebhaber des Handwerks vor alten
Zeiten in guter Meinung gehandhabt und hergebracht hatten, waren
um ihre Macht gekommen. Daher traten eine Anzahl Meister
„kapitelweise" zusammen, um das Herkommen zu erneuern und
zu erläutern. Sie setzten eine Ordnung auf, an der zu halten
sie sich feierlich gelobten.
Wäre die Ordnung nicht eine Neuerung gewesen, so würden
die Meister sich sicher mehr auf die früher giltige als auf das in
Schwanken geratene Herkommen berufen haben, würden sie nicht als-
bald erklären, daß sie bereit seien, von den aufgerichteten Artikeln jene,
welche zu schwer und hart ausgefallen seien, zu mildern nach der
Ansicht der Mehrzahl und nach des Landes und der Zeit Notdurft.
Dann hätten sie auch nicht gesagt, nur der solle verpflichtet sein, die
Ordnung zu halten, der mit gutem Willen „in sie will". Nur solchen
gegenüber solle die Ordnung auch Macht haben, zu strafen. Es
war also nicht die Ordnung die Fortbildung eines bestehenden, für
alle Steinmetzen giltigen Gesetzes, sondern ein wahrscheinlich erster
Versuch, Uebelstände durch eine größere Einigung zu beseitigen.
Am 25. April 1459 fand in Regensburg der erste große
Hüttentag statt, von dem wir Kunde haben. Hier wurde jene
44
Ordnung beschlossen, welche den in Torgau Versammelten drei
Jahre später zur Beratung zuging. Wir wissen nicht, wie viel
fremde „Meister Steinmetzen" in Regensburg beisammen waren.
Das Domkapitel zahlte laut erhaltener Rechnung 3 Schock 6 Groschen
für 12 Kannen Wein, den Kopf Welschen Wein zu 14, den
Frankenwein zu 6 Pfennige. Es müßten also etwa 225 Kopf
getrunken worden sein. Ich kenne nun den Durst der Steinmetzen
jener Zeit nicht. Die bayrische Kanne mißt etwa 1,7 Liter. Also
werden den Steinmetzen 20 Liter Wein bewilligt worden sein.
Die Ordnung unterschrieben 19 Meister; an ihrer Spitze
stand Jost Dotzinger von Worms, der Meister des Straßburger
Domes; als zweiter wird genannt Lorenz Spening, Meister des
Steffans-Domes zu Wien. Vertreten waren zwar sehr tüchtige
Künstler, jedoch nur solche aus Schwaben, Franken, Bayern, vom
Oberrhein, der Schweiz und aus den Oesterreichischen Erblanden.
Es fehlte das ganze Gebiet nördlich der Mosel, des Spessarts und
des Thüringer Waldes. Unter den 25 Gesellen waren anscheinend
Nikolaus von Ockel (Ackhl, Aachen?) und Sebastian Nyderländer
die einzigen Norddeutschen.
Die Einigkeit, mit welcher die süddeutschen Meister in
Regensburg auftraten, war das Ergebnis von Besprechungen, welche
vorher in Speyer und Straßburg stattgefunden hatte. Eine weitere
Versammlung solgte zur endlichen Feststellung der Beschlüsse von
Regensburg in Speyer am 9. April 1464. Inzwischen sendete
man die neue beschlossene Ordnung zur Eintragung von Hütte zu
Hütte. In den Jahren 1465—1472 folgte noch eine Reihe von
Einzeichnnngen, welche geographisch über den Kreis der früheren
hinausgingen.
4. Hüttengebiete.
Wenn man eine Ordnung haben wollte, bedurfte man auch
einer Behörde, die sie handhabe. Man wählte auf dem Regens-
burger Tage Jost Dotzinger zum obersten Richter. Ein Nachtrag
sagt, Lorenz Spening von Wien soll auch zu Wien in dem Lande
oberster Richter sein. Ein Richter für Köln wird nicht gewählt, wohl
weil die Vertreter hierfür nicht anwesend waren. Der Nachtrag,
45
daß Meister Konrad von Köln und seine Nachkommen dieses Amt
einnehmen solle, ist, wie die Wahl des Steffen Hnrder von Bern
als Meister für die Schweiz, anscheinend später hinzugefügt, obgleich
Hurder zur Stelle war. Es klingt durch die ganze Anordnung
des Textes der Versuch durch, Straßburg über die andern Städte
zu stellen. Dies ist beachtenswert, weil Straßburg den Mittelpunkt
einer ganz bestimmten Schule bildet.
Jodocus Dotziuger war seit 1452 Werkmeister des Straßburger
Münsters -7) und als solcher Nachfolger des Mattheus von Ensingen,
der etliche Bauten am Münster angefangen hatte, gleichzeitig aber
am Ulmer Dom baute und, da ihm nicht erlaubt wurde, zwischen
beiden Städten ab und zu zu reiten, das Straßburger Werk auf-
geben mußte. Nun ist Notzinger keineswegs ein Meister ersten
Ranges gewesen. Es waren schwerlich rein persönliche Verdienste,
welche Jobst die höchste Stelle unter den Steinmetzen einbrachte.
Wohl aber waren es, neben dem hohen Ruhm des von ihm ge-
leiteten Baues, freundschaftliche Verbindungen, die dabei mitsprachen.
Hans von Landshut, der Mitunterzeichner der Regensburger Be-
schlüsse, war z. B. Jobsts Genosse von Jugend auf. Er wurde
1494—1509 Dommeister, nachdem er sich in Bayern einen be-
deutenden Namen gemacht hatte. Sein Werk, die Laurentiuskapelle
am Dom zu Straßburg, zeigt vollkommen die spielend reiche
Architektur, welche die Steinmetzen von den Bildschnitzern erlernt
hatten und bei der sich schon Fialen und Gesimse neigen und
beugen, als seien sie schwankende Halme und Rohr. Ein dritter
Meister war Vinceuz von Konstanz. Das war der Sohn des
Matthäus Ensinger, der 1463 gestorben war. Er leitete 1459
bis gegen 1484 den Münsterbau zu Konstanz. Meister Hans
von Eßlingen gehörte einer anderen Steinmetzenfamilie an, er war
ein Böblinger; die Ensinger und Böblinger aber wechselten an
den südwestdeutschen Bauten sich gegenseitig ab, sie bildeten eine
reine Dynastie. Stesfan von Salzburg gehörte unter die Krumauer
Meister, welche allem Anschein nach von den Pragern abstammten
und in Wien zur Bedeutung gelangt waren — er baute die prächtige
Kirche zu Braunau in Oberösterreich. Es ließen sich die Beziehungen
unter den Unterschreibenden fortspinnen, so mangelhaft auch unsere
Kenntnis jener Zeit ist. Wir sehen aber eines! Es war ein ganz
46
netter Rattenkönig von Freundschaft und Vetterschaft zwischen
einigen leitenden Sippschaften in Regensburg beisammen, der
sich um den Straßburger Dom gruppierte und die wichtigsten
Bauhütten sich unterthan zu machen suchte. Dies gelang den
Hauptfamilien auch in Schwaben in einer Weise, daß neben deren
Mitgliedern kaum ein anderer Meister an den großen Bauten zu
leitender Wirksamkeit gelangte.
Sichtlich traute man aber von Haus aus nicht der an die
Haupthütten neu verliehenen Gewalt. Von vorn herein beugte
man sich den politischen Notwendigkeiten. Man schuf nicht einen
Mittelpunkt, wie die leitenden Köpfe wohl gewollt hatten, sondern
deren vier. Straßburgs Machtbezirk wurde beschnitten durch die
staatliche Sonderung gewisser Teile. Die österreichischen Erblande
hielten sich zurück, sie bildeten ihre eigene Provinz. Die Eid-
genossen, welche zur Kirchenprovinz Besanyon gehörten, hatten
damals gerade ihren Strauß mit Kaiser Maximilian, der sie völlig
vom Reich trennte. Köln hatte das alte Vorrecht für den Nieder-
rhein. Was aber sonst zur Kirchenprovinz Mainz gehörte, sprach
sich Straßburg zu. Ja selbst auf das Erzbistum Magdeburg er-
streckte es seine Wünsche, denn auch Thüringen und Sachsen,
Meißen, Frankfurt und Hessen sollten nach Regensburger Ordnung
der Haupthütte Straßburg unterstehen. Wirklich erfolgte eine
ganze Reihe von Einzeichnungen in diesen Gebieten. Aber die
1462 in Torgau versammelten Meister dachten jnicht daran, sich
Straßburg unterzuordnen. Sie gründeten eine eigene Brüderschaft,
wie es scheint ohne feste Haupthütte. Auch hier sprengten die
politischen Verhältnisse den Plan der Straßburger. Kurfürst
Friedrich jder Sanftmütige gab 1464 eine eigene Ordnung heraus,
die sich freilich nur auf die Arbeits- und Lohnverhältnisse bezog.
Aber er faßte doch die Frage als eine landesrechtliche auf Zund
dürfte mit seinen Meistern darin einverstanden gewesen sein, daß
sie sich nicht an den Tagen im Oberland zu beteiligen hätten.
Ebensowenig that dies Matthis Roritzer, der Dommeister von
Regensburg, obgleich unter dem Schatten seines Domes die be-
gründende Versammlung getagt hatte. Als die Passauer Hütte 1473
Meister Hans Phawe aus Erfurt vor ihren Stuhl forderte, erklärte
der Erfurter Rat, er sei des Werkmeisters mächtig und bereit,
47
Klagen gegen ihn anzunehmen, niemand anders dürfe ihn nach
den Rechten der Stadt vor seinen Richterstuhl fordern.
Es würde auffallend sein, wenn dem nicht so wäre. Auch
unter den Steinmetzen des Reiches gabs Irrungen und Späne im
15. Jahrhundert in Menge. Die alte gute Zeit war auch in die
Hütten nicht zurückzubringen. Auch diese waren morsch und ver-
fielen in sich. Die Ordnungen vermochten den Zusammenbruch
nicht aufzuhalten.
5. Die Hüttengeheimnisse.
Seitdem die Klosterbrüder selbst nicht mehr bauten, wie sie
es im frühen Mittelalter gethan, war die Kunst der Architekten
Laienhänden zugefallen. Es war dies in einer Zeit, in welcher
eine völlige Umgestaltung des Bausystems durch die Einführung
der Gothik sich vollzog. Jene Meister und Gesellen, welche die
Bauherren eines Domes damals berufen mußten, sahen ihren
Vorteil darin, daß die Lehre ihrer Baukunst nicht Gemeingut
werde. Ganz entsprechend dem mittelalterlichen Geiste umhüllten
sie ihr Können und ihr Wissen mit dem Schleier des Geheimnisses,
das sie nur jenen übertrugen, welche ihrer Genossenschaft sich dauernd
anschlössen. Soweit man die Namen der Baumeister verfolgen
kann, liebte man es, die Kunst den eigenen Kindern vor allem
anzuvertrauen. Meister Erwins, des berühmtesten Werkmannes
von Straßburg, Söhne und Enkel waren Steinmetzen. Es blieb
die Regel, daß die Söhne der Lehre des Vaters folgten. Zogen
sie doch mit diesen von Bau zu Bau, wenn es hier und da zu
arbeiten gab, bildete sich doch eine Genossenschaft von selbst, so
lange die Zahl der tüchtigen, kunstverständigen Steinmetzen gering
und die der baulustigen Herren und Konvente groß war. Aber
mit der Zeit breitete sich das Wissen aus. Das Geheimnis konnte
nicht vollkommen gewahrt bleiben, die Zahl der Eingeweihten
mehrte sich in steigender Progression. Die Hütten wurden zahl-
reicher, sie begannen in den Städten, in denen es viel zu thun
gab, angesessen zu werden, sich zu einer Innung auszubilden.
Aber das Wandern erhielt sich. Die Steinmetzgesellen zogen zu
ihrer Ausbildung hin und her, stolze Künstler, die sich für besser
48
hielten als alle andern Handwerker. War doch die Architektur
die leitende Kunst der Zeit; konnten sie doch dereinst berufen
werden, einen jener mächtigen Dome zu errichten, welche uns noch
heute mit Staunen erfüllen; ists nicht ein geheimnisvolles Ding,
daß ein kleiner Mensch so gewaltige Bauwerke erdenken kann, wie
die Dome des Mittelalters? Die Wandernden hielten aber
zusammen, wenn sie sich trafen, sie hatten in Rede und Gegen-
rede besondere Begrüßungsformen, an denen sie sich erkannten,
sie hatten bedeutungsreiche Gebräuche, die der Lehrling auf der
Hütte gelernt hatte, und deren Beobachtung ihn als ehrlichen
Steinmetz bekundeten, sie hatten eine weitverbreitete Kenntnis der
Vorgänge im Bauwesen, der Meister hier und dort, wie denn
Wandernde sich nichts Besseres wissen, als ihre Kenntnis von
Dingen und Menschen unter sich auszutauschen.
So bestand eine Verbindung unter den Steinmetzen, wie
etwa unter den fahrenden Schülern. Sie hatten kein geschriebenes
Gesetz, keine Obrigkeit, die die Einhaltung des Herkommens über-
wachte, keine hemmenden Bestimmungen, sondern jenes freie Künstler-
dasein, aus dem das Große sich gestaltet.
Aber die Zeiten änderten sich. Der Wettbewerb begann
Meister und Gesellen zu schädigen. Die Ueberzahl der Wissenden
mußte dem Einzelnen erwünscht erscheinen lassen, mehr als andere
zu vermögen. Das war einerseits möglich durch die Steigerung
der Leistung in den Meisterfamilien. Aus der schlicht großen
Kunst verstieg man sich zur Künstelei, die Konstruktion der
Formen wurde mathematischer, gelehrter, das Wissen begann die
Baukunst einseitig zu beeinflussen; und das Wissen, das Vorwiegen
des Verstandesmäßigen, das Zurückdrängen der künstlerischen
Unbefangenheit — das waren stets die verderblichsten Feinde der
Kunst. Andererseits versuchten allem Anscheine nach jene Familien
sich unter sich abzuschließen. Es bildete sich eine Sonderstellung
vornehmerer Steinmetzen heraus, welche die Lehren kannten, nach
welchen man große Dome baute. „Meister, die köstliche Bäue und
Werke können und machen, da sie drauf gefreit sind und keinem
Handwerk dienen, sie wollen es denn gern thnn", also Meister,
die sich über die Hütten und das Handwerk erhoben und nur frei-
willig sich ihm anschlössen.
49
Und dann gab es auch wieder viele Gesellen,' die nicht ein-
geweiht waren in die letzten und feinsten Geheimnisse der Kunst,
denen Kirchen und Städte aber doch zum Aerger der besser
Unterichteten Bauten auftrugen. Es war eben ein schlimmes
Ding, daß man noch zu der Zeit, in welcher ein Bramante und
Rafael bauten, in Deutschland die Meister großer Dome in einen
Stand mit den Handwerkern zusammenpferchen wollte. Damit
hemmte man die freie Entfaltung des Könnens. Dürer wußte
in seiner Kunst von dieser zünftigen Auffassung des Schaffens
Trauriges zu erzählen. Die großen Dommeister aber gaben sich
dazu her, die Baukunst durch Hüttengerechtsame regeln zu wollen.
Sie mußten sich hier in eine Reihe mit den minder Befähigten
stellen, denn all ihre Gesetze gehen auf die Beschränkung, auf die
Hemmung der Individualität hinaus. Man muß in der zweiten
Regensburger Ordnung von 1514 oder in der Erfurter von 1588
nachlesen, wie gering die Anforderungen waren, die man an einen
Steinmetzmeister zu jener Zeit stellte. Die Erfurter Ordnung
von 1423 kennt überhaupt keinerlei Prüfung, jene von Torgau
begnügte sich damit, daß der junge Steinmetz zwei Meister als
Zeugen seiner Tüchtigkeit aufzuführen habe. Es ist also ein
Irrtum, zu glauben, im Mittelalter habe ein Gleichmaß des
Könnens bestanden. Die Schwachen wollten vielmehr die Starken nicht
aufkommen lassen, und den Starken fehlte der^freie Blick, um eine
echte, über das Handwerk sich erhebende Künstlerschaft zn erstreben,
wie sie die Meister noch des 14. Jahrhunderts infolge der Selten-
heit ihres Wissens und Könnens, oder früher die bauenden Geist-
lichen besessen hatten. Nicht die Hüttengemeinschaft mit ihrem
Berbietuugsrecht und ihren Streiten machte die Architektur des
Mittelalters groß, sondern als der Baukunst der Schwung genommen
war, blühte das Hüttenwesen; und als die Gothik zusammenbrach,
erreichte dieses seine höchste Ausbildung. Es ist, soweit bisher nach-
weisbar, lediglich eine Schöpfung jenes 15. Jahrhunderts, welches
die Schwärmer für die Gothik und ihre Brüderschaften als „Verfall"
Zu bezeichnen lieben.
Die Uebelstände, welche die Hütte beseitigen sollte, waren
verschiedener Art. Je schwieriger und verwickelter die Aufgaben
der Spätgothik wurden, desto mehr mußten die Dommeister darauf
Gurlitt, Kunst und Künstler. 4
50
sehen, gute Gesellen heranzubilden. Man kam zu einer immer
längeren Ausdehnung der Lehrzeit, zur Erschwerung des Eintritts
in die Hütte, zu Ausschließungen nicht zunftmäßig Vorgebildeter.
Schon war im 15. Jahrhundert am Oberrhein die fünfjährige
Lehrzeit im Gebrauch. Dazu kam die Wanderzeit. Je mehr man
aber den Eintritt zu den Hütten erschwerte, desto breiter wurde
die Menge jener, welche sich außerhalb dieser hielten. Un-
zweifelhaft entstand nach und nach ein Zwiespalt zwischen den
großen Domhütten und den städtischen Meistern, der sich in
vereinzelten Streitigkeiten und Versöhnungen nachweisen läßt.
Der Hüttengeselle führte mit Stolz sein „Zeichen". In
neuerer Zeit hat man diesen Steinmetzzeichen mit Recht große
Aufmerksamkeit zugewendet. Man hat ihre Entstehung folgender-
maßen erklärt: Wie die Konstruktion der gothischen Bauformen
auf der Durchdringung gewisser geometrischer Figuren sich auf-
baut, so hatte man in den Hütten geometrische Grundgestalten ge-
bildet aus Kreis, Viereck, Dreieck, Dreizack und Achteck, denen man
eine symbolische Bedeutung beilegte. Jede Haupthütte bildete die
Figuren anders aus. Wurde nun ein Geselle freigesprochen, so
gab man ihm einen Teil dieser Figur, einige geometrische Linien,
als Zeichen. „Man nahm" das Zeichen „aus dem Grunde", wie
der technische Ausdruck lautet. Dann wurde das Zeichen in das
Brüderbuch eingetragen. Jeder, der nun die Grundfiguren, die
„Schlüssel" der verschiedenen Hütten kannte, vermochte aus dem
Zeichen zu erkennen, woher dasselbe stamme. Es war also dieses
.nicht nur dazu da, jeden einzelnen vom Gesellen behauenen Stein
für die Lohnabrechnung anzumerken, sondern hatte auch den Zweck
einer Künstlerinschrift an demselben. Der Meister brachte sein
Zeichen an gewissen Stellen am Bau oft in einem Wappenschilde
an, wie er es auch als Siegel führte. Es war also das Ehren-
schild des Steinmetzen.
Diese Darstellung der Entstehung der Zeichen hat sehr viel
Wahrscheinliches für sich, wenn man sie auf das 14. und 15.
Jahrhundert und die Folgezeit beschränkt. Erst mit der Vor-
liebe sür geometrische Spielereien in der Spätgothik dürfte der
„Schlüssel" sich gebildet haben. Die älteren Zeichen sind uuver-
kennbar teils Buchstaben, teils sogar Darstellungen verschiedener
Gegenstände, teils so einfach, daß sie sich oft wiederholen. Wenn
51
sich aber an einzelnen alten Bauten des Mittelalters, welche im
Stil und der Entstehungszeit nahe zusammengehören mehrere ganz
gleiche Zeichen finden, wie ich sie in der Zeit der Frühgothik in
Sachsen nachzuweisen vermag —, so zeigt sich, daß schon damals
in den wandernden Hüttengemeinschaften das Zeichen den Gesellen
angiebt, der den Stein behaute; ohne daß man sreilich dabei zu
glauben hat, es sei seine Absicht gewesen sich von einem weiteren
Kreise von Fachgenossen durch sein Zeichen zu unterscheiden. Erst
insolge der dichteren Verteilung der Laienhütten über ganz Deutsch-
laud und namentlich erst seit der Mitte des 15. Jahrhunderts
beginnen die Zeichen Formen anzunehmen, welche aus dem Grund
genommen sein müssen.
Wie der „Schlüssel" der Hütte, so waren deren geome-
trischen Künste überhaupt „Geheimnis". Es ist uns das Ver-
mächtnis eines rheinischen Steinmetzen an seinen Sohn erhalten28),
in welchem dieser sein Wissen auf jenen zu übertragen strebt.
Vergeblich suchen wir hierin tiefsinnige Offenbarungen. Was er
zu lehren bemüht war, deckt sich mit dem, was wir heute Kon-
strnktionsknnde nennen würden. Wie man für jeden Fall die
rechte Mauerstärke finde, wie man ein Gewölbe auszureißen habe
und dergleichen, — das sind die Kenntnisse, welche der Wissende
vor Anderen voraus hatte. Wer die Baugeschichte der Zeit nach
dem dreißigjährigen Krieg, des Verfalles der Hütten und ihres
Wissens kennt, der weiß, wie viel Unfälle, ja Einstürze von Kirchen
und Palästen die Folge der zurückgekommenen technischen Bildung
waren und schätzt die baupraktische Lehre der Hütten nach ihrem
rechten Wert. Keinesfalls sahen die Meister, welche sich zu den
Ordnungen zusammeuthaten, ihre Aufgabe darin, die Kunst des
Bauens weiten Kreisen zu lehren. Es ist eine der großen
Errungenschaften des Humanismus und der Renaissance, daß sie
das Wissen einzelnen Genossenschaften entriß und es auf den
Markt des Lebens brachten. „Es soll kein Werkmann, noch
Meister, noch Polier, noch Geselle Niemanden, wie der auch ge-
uauut sei, der nicht unseres Handwerkes ist, aus keinem Auszuge
unterweisen aus dem Grunde zu nehmen..." heißt es in der
Regensburger Ordnung. Und dann serner wird Jedem, der nicht
wisse aus dem Grunde zu nehmen und keinem Werkmann „um
52
Steinwerk gedient hat", d. h. der nicht als Steinmetz gelernt hat,
noch der Hütte „Förderung gebraucht" hat, d. h. in der Hütte
gearbeitet hat, verboten, sich „der Stücke", also der Haustein-
Arbeit, „anzunehmen". Dieses Verbot wurde damit begründet,
daß sonst die Bauherren leicht in Kosten kämen durch solche
„unwissenen" Meister. Den Gesellen ward verboten bei solchen
Meistern zu arbeiten. Auch sollte der Meister den Gesellen nicht
um Geld etwas, was das Steinwerk betrifft, lehren, sondern die
Lehre sollen sie „um des Gesellen willen" oder „ein Stück um
das Andere" erteilen. Aus alledem geht hervor, daß man es
keineswegs gern sah, wenn die Kunde von den Gesetzen der Bau-
kunst sich zu weit verbreitete, daß vielmehr die Regensburger
Ordnung nach dieser Richtung dem Grundgedanken der Abschließnng
diente, daß also Mathäus Roritzer, der Meister von Regensburg
und Hans Schmuttermayer sich gegen die Hüttenordnung vergingen,
als sie ihre mittelalterlichen Lehrbücher der Gothik zu Nutz und
Frommen aller Baulustigen Herausgaben.
6. Die Durchführung der Hüttenordnung.
Die Durchführung der Ordnung stieß natürlich auf zahlreiche
Schwierigkeiten. Gesetz wäre sie erst geworden, wenn der Reichs-
tag sie angenommen und die Reichsstände sie in ihren Landen
verkündet hätten. An einen solchen Weg dachten die Hüttenmeister
nicht. Ihnen war ein noch im 18. Jahrhundert vielfach von den
Handwerkern angewendetes Strafmittel gegeben, der Verruf. Um
diesem zu entgehen, ertrugen die Meister gern schwere Strafen.
Der Verruf eines Meisters brachte nach sich, daß kein Geselle bei
ihm arbeitete, und daß, wer es doch that, selbst nicht mehr auf
anderen Hütten geduldet wurde. Die Macht dieses Kampfmittels
war eine große. Man war auch bemüht, alle Vergehen, welche
„Steinwerk" betrafen, und womöglich alle anderen auch, welche
nicht dem öffentlichen Gericht unterstanden, in der Hütte zu richten,
so einen Staat im Staate zu bilden, wie dies das Bestreben fast
aller Einigungen jener Zeit war. Die öffentlichen Gewalten
mußten es zwar gern sehen, wenn die Hütten für Eintracht,
Sittlichkeit, tüchtige Ausbildung unter den Ihrigen sorgten, mußten
53
aber jede Überschreitung des Rechtsgebietes bekämpfen. Die
Grenze, wo die Anmaßung der Hüttenmeister der staatlichen
Rechtspflege gegenüber beginnt, brachte diese in Streit mit den
Landesherren. Wiederholt haben die Akten uns von solchen Vor-
gängen berichtet.
Das zeigte sich auch schon bei dem zweiten wichtigen Erfolge,
welche die Straßburger Hütte erlangte, bei der Bestätigung ihrer
Ordnung durch Kaiser Maximilian I. am 3. Oktober 1498. Der
Kaiser war den Hütten herzlich zugethau. Denn wie er bestrebt
war, die Summe der Kenntnisse seiner Zeit in sich auszunehmen,
so hatte er sich auch den Steinmetzen „aggregieren" lassen. Er
war in ihre Geheimnisse eingeweiht. Aber trotzdem war er nicht
eben geneigt, allen Wünschen der Straßburger gerecht zu werden.
Vor der Bestätigung wurden zu Basel 1497 und Straßburg
1498 Tage abgehalten, in denen abgestellt werden sollte, was in
der Ordnung von 1459 zu hart gewesen sei und die Brüderschaft
gehindert habe. Man erkannte also den Mißerfolg an und hoffte
von einer „verminderten" Ordnung bessere Erfolge, wenigstens im
eidgenössischen und im straßburger Gebiet. Das erstere versagte,
wie es scheint, gänzlich — wir wissen wenigstens nichts davon,
wie es sich zur Bestätigung verhielt.
Was aber „minderten" die Straßburger, welches waren die
Punkte, welchen sie ihren Mißerfolg zuschrieben?
Zunächst stellten sie die Grenzen ihres Gebietes neu fest.
Die Bestätigung bezieht sich nur auf den Oberrhein, auf Schwaben
und Franken, nicht mehr auf Sachsen, Meißen, Thüringen u. s. w.
Es wird also ausdrücklich das Gebiet des Torgauer Steinmetztages
frei gegeben. Aehnliche Tage mochten an anderen Orten, namentlich
auch in Hessen stattgefunden haben. Der Kaiser dachte nicht
daran, die Steinmetzen seiner Erblande unter Straßburg zu stellen,
eine Oberherrschaft der Rheinlande hierin anzuerkennen, er dachte
auch nicht daran, der Ordnung Gesetzeskraft zu geben, sondern
überließ es den Meistern sich für ihre Satzungen die Hütten
willig zu machen.
Zweitens stellt die Ordnung den Hüttenmitgliedern nun nicht
mehr frei, in die Brüderschaft einzutreten, sondern fordert schon,
jeder Steinmetz solle „gebrudert" sein, „der anders sich Steinwerkes
54
gebrauchen will." Es handelt sich in diesen beiden Fällen also
darum, die Grenzen des Wirkungsgebietes zu beschränken, in diesem
aber die Macht und das Verbietungsrecht um so stärker aus-
zuüben.
Dagegen gab man den Satz auf, daß die Meister auch
Streitsachen „die Steinwerk nicht berühren" nirgends anders als
in den Hütten erledigen sollten. Hierin erkennt man die Hand
des Kaisers, welcher die Uebergehung der ordentlichen Gerichte
nicht billigen konnte.
Alle inneren Fragen der Hütten, die nicht auf die Beziehungen
derselben zum Bauherrn oder zum Staate Einfluß haben, wurden
in der Bestätigung thunlichst fortgelassen. Nur in einer dieser
Fragen sieht man die Absicht, vermittelnd einzugreisen.
Im Meißnischen und in den umliegenden Landen bestand
eine vierjährige Lehrzeit, am Rhein eine fünfjährige. Es gab
nun allerhand Streitigkeiten, ob jene minder lang ausgebildeten
Gesellen für voll anzusehen seien. Nun setzt die Bestätigung fest,
daß die Vierjährigen auf den Hütten der Fünfjährigen gefördert
werden sollen, daß diese aber eine Strafe von 2 fl „in den
Gottesdienst" zu zahlen hätten. Der Lohn eines Gesellen betrug
damals 8—14 Groschen in der Woche. Also sollten sie den Lohn von
4—6 Wochen fahren laffen, um die Lücke ihrer Ausbildung
damit auszufüllen.
Sehr beachtenswert sind die Bestimmungen religiöser Art.
Es liegt in der Natur der Sache, daß die Kirchenbaumeister dem
Gottesdienste nahe standen. Die Steinmetzen verehrten in den
vier gekrönten Märtyrern ihre eigenen Heiligen. Die Torganer
bestimmten eine ganze Reihe von Messen, welche die Steinmetzen
halten zu lassen hätten. Die Ordnung von 1459 thut den in
Verruf, der nicht alle Jahre die heiligen Sakramente empfängt
und christliche Ordnung hält. Vom Gesellen wird die jährliche
Beichte gefordert Diefe Forderungen fielen in der kaiserlichen
Bestätigung von 1498 fort. In Erfurt forderte die Ordnung von
1423 zwar oft Wachs als Strafgeld, mithin Mittel zur Feier der
Messe, jene von 1510 aber bestimmt 'unter Strafe, daß an
Petri Stuhlfeier und am Tage der vier gekrönten Märtyrer
nicht gearbeitet werden dürfe. Für erstere Zeit war die Unter-
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ordnung unter die kirchlichen Feste selbstverständlich, später nicht.
Dafür traf eine Bestätigung des Papstes für die Ordnung ein. Man
hat viel von alten Bullen gefabelt, durch welche die Oberherrschaft
Straßburgs schon im 13. Jahrhundert festgestellt worden sei. Aber
jetzt steht so gut wie sicher fest, daß Alexander VI. der erste war,
welcher dem Beispiele Kaiser Maximilians folgend, am 16.
September 1502 durch Erzbifchof Raimund von Gnrk die Ordnung
bestätigen ließ, dem dann im Januar 1517 Leo X. folgte. —
7. Meister Arnold und der Profanbau.
Es ist gewiß kein Zufall, daß uns aus der älteren Zeit
Namen von Steinmetzen aus Sachsen durch Inschriften oder
Chroniken so gut wie gar uicht genannt sind. Ja selbst die
älteren Bauwerke entbehren fast ganz der Zeichen. Nun erst,
seit dem Torgauer Tage, treten die Bauarbeiter mit mehr Selbst-
gefühl auf, zeigt sich ein Ruhmsinn unter den Künstlern, der aus
eine Erhaltung ihres Namens dringt, der ihre Persönlichkeit mehr
und mehr in den Vordergrund treten läßt. Wir werden diese
Zeugnisse des neuerwachten Individualismus noch des näheren
betrachten müssen. Glänzend äußert sich sein Wirken an dem
Meister des neuen Schlosses auf der Albrechtsburg, des ersten
Steinmetzennamen, den uns die ältere Geschichtsschreibung Meißens
überhaupt erhielt.
Arnold hieß der Meister, er stammte aus Westphalen und
wurde zu Pfingsten 1471 als Baumeister für alle fürstlichen
Bauten bestellt. Eine nicht sichere Vermutung läßt annehmen,
daß er vorher in Dresden thätig gewesen sei. Ich habe in West-
phalen keine Anknüpfung dafür finden können, daß er seine Eigenart
von dort entlehnt habe. Aber es ist immerhin von Bedeutung,
daß er aus dem Lande kam, in welchem die Vertiefung des reli-'
giösen Lebens, die aus derselben hervorgehende freiere kirchliche
Auffassung und die litterarische Durchbildung in Deutschland
damals die größten Fortschritte gemacht hatte. Arnold war ein
geachteter Mann, der sich über die zünstlerischen Kreise erhob,
er heiratete Margarete, eine Tochter aus dem altadeligen Geschlechte
der Rülcke, er besaß ein Gut in Langenau und ein Haus in
56
Leipzig. Um Pfingsten 1481, also nach etwa lOjähriger Thätigkeit
im Dienste der sächsischen Fürsten, war er gestorben.
Arnold von Westphalen war es also, welcher dem Wunsche
der sürstlichen Brüder entsprechend, das Schloß zu Meißen baute.
Wir wissen nicht, ob er mit den Torgauer Hütten in Verbindung
stand. Die Fürsten werden sür die neue Aufgabe wohl nach
einem Manne gesucht haben, der mehr war als ein bloßer Hand-
werker, der sich über die Menge erhob. Ein solcher war zweifellos
Meister Arnold, denn sein Bau ist eines der kunstgeschichtlich merk-
würdigsten Werke der Zeit. Er wurde lange nicht genug beachtet,
weil er nicht eigentlich formvollendet ist. Jedoch nicht die Vollendung
allein zeigt den Künstler: die Weite des Wollens, die Größe der
Absicht, die Innerlichkeit des künstlerischen Dranges bringt ihn
unserer Bewunderung kaum minder nahe, wie die fertige Reife.
Der Grundriß des Schlosses offenbart sich dem Kundigen als
ein Werk des ernstesten Ringens. (Vgl. Abb. 2.) Die Grundfläche
war gegeben. Noch wagte es Arnold nicht, sich von dem Gedanken
der Burg völlig frei zu machen. Die gebrochenen Linien, welche der
Felsenabhang gegen Norden darbot, glaubte er festhalten zu müsfen.
Das Schloß erhebt sich thurmartig über dem Thale, seine einzelnen
Fenster sind derart gestellt, daß man die Mauerflächen mit Geschoß
bestreichen kann. Anders gestaltete er den Bau schon nach der Hos-
seite. Hier wird die Grundlinie einfacher, hier sollten große klare
Massen wirken. Nur die Treppenthürme beleben die in einem
rechten Winkel zu einander stehenden Fronten.
Merkwürdig ist die Raumverteilung im Innern. Wenig
Gelasse haben eine regelmäßige Gestalt. Man sieht, wie mühsam
es dem Architekten wurde, in die zufällige Grundform des Bauplanes
die geforderten Räume zu verteilen, dazu allen jenen Wünschen
gerecht zu werden, welche die Bequemlichkeit des Lebens und des
Wirtschaftens schon damals stellten. Da fehlt es nicht an ver-
borgenen Ecken und heimlichen Gemächern, an zweckdienlichen
Verbindungsgängen und tiefen Fensternischen. Und alles das ist
geistreich in einander gefügt, ungleich verwickelter, als es etwa
italienische Künstler gemacht hätten, voller Notbehelfe und nur
halb verdeckter Unregelmäßigkeiten, das Werk einer halb mühsamen
halb sorglosen Planung, ein bemerkenswerter Versuch, eine Lösung
57
an welcher die aus allen Teilen hervorschauenden, nur halb beseitigten
Schwierigkeiten und die an sie gewendete geistige Anstrengung den
Fachmann fast ebenso überraschen, wie den unbefangenen Beobachter
die fast beabsichtigt erscheinenden Sonderbarkeiten der Planbildung.
Ebenso wie der Grundriß zeigt der Aufriß die merkwürdige
Kunstrichtung Meister Arnolds. Zunächst fällt auf, daß namentlich
in der äußeren Ansicht und in den sicher von ihm errichteten
unteren Bauteilen eigentlich alles das fehlt, was wir als die
Merkmale der Gothik kennen. Die Fenster sind nicht im Spitz-
bogen abgeschlossen, sondern zeigen eine gänzlich willkürliche Form,
welche sich in der Zeit des wildesten Barockstiles wieder findet
und mit Recht den Namen des Vorhangbogens trägt. Das
Maaßwerk ist verschwunden bis auf einige dürftige Linien, welche
wie Fangschnüre unter dem Vorhange sich hinziehen. Der Bau
hat äußerlich keine Strebepfeiler. Die Mauerflüchen sind senkrecht
gar nicht, wagrecht aber um so kräftiger geteilt. Von den gothischen
Ornamenten fehlt so gut wie Alles: Kein Maßwerk, keine Knaggen,
keine Kreuzblumen, keine Fialen! Nur an den steil aufsteigenden
Dachausbauten erscheinen fein gezeichnete Kreuzblumen. Ein
Werk von besonderem Geiste ist der Treppenturm. Man beachte,
dabei, daß sein oberstes Geschoß mit der Spitze neuen Ursprungs ist,
daß die Verzierungen in den Brüstungen der drei Hauptgeschosse
teilweise nachweisbar erst nach Arnolds Tode eingefügt wurden.
Die Treppe ist von rundem Grundriß, dreht sich um eine Spille,
welche aus drei schneckenförmig sich frei erhebenden Stützen ge-
bildet ist und entwickelt sich nach außen im Sechseck, so daß an
die fast völlig durchbrochene Außenwand sich drei breite Strebe-
pfeiler legen, welche unter sich durch Spitzbogen verbunden in
jedem Stockwerke einen Umgang tragen. Dieses geistvoll durch-
gebildete Werk ist ohne Vorbild in Deutschland. Wenn es gleich
Wendeltreppen in großer Zahl gab, so wurde doch erst von Arnold
und durch dessen Palastbau diese zu einem künstlerisch durch-
bildeten, weil vom Bedürfnis gefordeten Prunkstücke. Es offenbart
sich also auch hier ein Geist, der nicht am Ueberlieferten klebt,
sondern selbständiger Entwicklung zustrebt. Mag sich der Meister
der innersten Triebkräfte seines Handelns auch nicht bewußt ge-
Wesen sein — es wäre ein Irrtum, wollte man ihn auch hierin
58
über seine aller ästhetischen Grübelei so serne stehende Zeit er-
heben — so war er darum doch nicht minder ein Mann der
neuen Zeit, der sich mit ganzer Kraft aus dem überkommenen
Alten heraus nach eigenartigen Gebilden sehnte, nicht im Geist
der Verneinung, sondern in dem thatensrischen Streben, sein Ich
zu neuen Gestaltungen auszuprägen, selbst das zu schassen, was
der Kunst der Hütteumeister gebrach: nämlich die Befreiung der
Form aus der Ueberlieferuug und aus den herkömmlichen und
erstorbenen Gesetzen.
Im Innern spricht sich der gleiche Geist aus. Die Netz-
gewölbe der Spätgothik haben hier besonders willkürliche Form,
59
die Stützen sind fast überzierlich. Aber bald wird die alte Wölbart
über Rippen ganz aufgegeben. An deren Stelle treten scharfe,
in Ziegel hergestellte Grate, zwischen denen die Kappen schlnchten-
artig hoch eingewölbt sind. Dies Gratgewölbe entwickelt sich zu einem
erstaunlichen Reichtum, es zeigt sich willig, jedem Räume gerecht
zu werden, es entbehrt jener Strenge der Linienführung, welche
die Rippen notwendiger Weise haben mußten. Es beherrscht den
ganzen zweiten Stock des Baues, es erscheint schon in den kleineren
Räumen des ersten, wie des Erdgeschosses. Namentlich in der
Kapelle, welche aus vier Seiten des Sechseckes gebildet wurde,
derart, daß ein Pseiler, wie an böhmischen Bauten, in der Achse
des Raumes steht. Fünf Säuleu bilden einen Umgang um den
ebenso anmutigen, aber der Kirchlichkeit im gothischen Sinne ent-
Kehrenden Raum. Ich will auf die technischen Eigenschaften des
Schlosses nicht weiter eingehen, nur die eigentümliche, kapellenartige
Ausbildung der Fensternischen betonen, welche kleine Zimmer
zwischen den tiefen Manerpfleilern bilden; ich will ferner nur
darauf hinweisen, daß diese Pfeiler als nach innen gezogene Streben
erscheinen und in dem oberen Geschosse regelmäßig stärker gebildet
sind, als die sie tragenden, weil dem Meister eine größere Belastung
der Streben erwünscht war, je höher der Gewölbdruck einsetzte
— kurz, es sei auch nach dieser Richtung darauf hingewiesen, daß
in dem Meißner Schlosse, ein Geist der Selbständigkeit und des
Individualismus herrscht, wie in keinem andern deutschen Werke
jener Zeit, daß es ein erstes mächtiges Auftreten der Renaissance
ist, ehe die Formen derselben diesseits der Alpen bekannt wurden,
ein wunderbares Denkmal dasür, daß die Gothik aus sich selbst
heraus neue Formen zu einer Zeit anstrebte, in welcher Italiens
Boden seinen Söhnen jene des alten Rom wiedergab, daß sich das
Mittelalter aus sich selbst heraus den Garaus zu machen begann,
ehe die antiken Gebilde Einfluß gewannen.
Das große Werk des Meißner Schlosses hat Arnolds Kraft
nicht völlig mit Beschlag belegt. Er baute auch den Hauptteil
des Schlosses Rochsburg, in dem er — verkleinert und bei der
Enge des Raumes in die Grenzen der Umfassungsmauern seines
Flügels hineingezogen — die Wendeltreppe wiederholte; ferner
wahrscheinlich die Kapelle zu Rochlitz, welche im Grundriß einfach
60
gehalten, in den Aufrißformen den Geist des Meisters aufs neue
bekundet. Die stattliche Ausbildung des das Thor überdeckenden
Hauptbaues, namentlich das Obergeschoß zeigt wieder dem Palastbau
zustrebende Absichten (Abbild. 4). In der Kapelle ist wenigstens den
Spitzbogen ihr Recht gelassen und die Strebepfeiler sind in freilich
verkümmerter Form erhalten (Abbild. 5). So bildet dieser Bau
Abbildung 5. Schloß Rochlitz, Kapelle.
ein bemerkenswertes Zwischenglied zur alten Formenbehandlung.
Was Arnold sonst an kleineren Schlössern nachweisbar schuf,
ist ohne Belang. Auch von seinen eigentlich kirchlichen Bauten
wissen wir wenig: An der Stadtkirche von Mittweida hat er
wahrscheinlich nur die Wölbung gebaut; die kleine Wolfgangskirche
bei Meißen ist in Ausstattung und Abmeffuug von großer Be-
fcheidenheit, merkwürdig nur durch die enge Verbindung von Chor
61
und Schiff zu einem saalartigen Räume. Eigenartig sind die Ober-
geschosse der Türme des Domes zu Meißen durch die Massigkeit
des Aufbaues und die sast rohe Willkür in der Behandlung
der Ornamente, welche in freier Weise das Maßwerk fortbilden.
Auch in allen diesen Bauten zeigt sich Arnold als ein Mann,
der sein Ich künstlerisch zur Darstellung bringen wollte und konnte.
Sie unterscheiden sich dem Kundigen ebenso sehr durch die Ein-
fachheit, ja Nüchternheit und Gedankenarmut der Profile, welche
fast nur aus an einander gereihten flachen Kehlen bestehen, als
durch die kräftige Eigenwilligkeit der Hauptformen. Was er baut
ist selten oder nie formvollendet, aber stets eigenartig. Er ist ein
Mann des Kampfes, der vordrängenden Selbständigkeit, eine ge-
waltige Kraft, nicht aber eine in sich beruhigte Künstlernatur.
Sein Wollen war größer als sein Können: Wollte er doch das
schwerste, was sich je ein Künstler zur Aufgabe gestellt hat: Den
Bruch mit der Ueberlieferuug und die Geburt, nicht die Wieder-
gebnrt einer neuen Baukunst!
Solche Männer, wie Arnold, sind zu allen Zeiten vereinzelte
Erscheinungen gewesen. So wenig wie man ihn bis heute zu
würdigen verstand, so wenig mögen seine Zeitgenossen ihrer Mehr-
zahl nach dies gethan haben, jene Meister, die in der zünftlerischen
Regelung das Heil der Künste sahen.
8. Konrad Pfluger und der Kirchenbau.
Unverkennbar ragt unter den Nachfolgern Arnolds der
Meister Konrad Pfluger am höchsten hervor.-") Urkunden
lassen vermuten, daß er 1484 in Graupen in Böhmen arbeitete,
1488 wird sein Name in Wittenberg genannt, 1490 ist er in
Görlitz am Bau der Peters- und Paulskirche angestellt, nachdem
er vorher in Böhmisch-Eicha gebaut und schon seit 1488 der
Stadt Görlitz gedient hatte und wahrscheinlich an der Errichtung
des dortigen heiligen Grabes mit Anteil hatte. 1497 baute er
Pfeiler und Gewölbe der Peterskirche in Leipzig, 1497 für Kurfürst
Friedrich, wahrscheinlich am Schloß zu Wittenberg und der
dortigen Schloßkirche, 1498 die Kreuzkirche zu Dresden. Er dürfte
also die weltbekannte Thüre geschaffen haben, an die Luther seine
62
Thesen schlug. Im Jahre 1502 legte Konrad Schwad, wie eine
alte Chronik berichtet, den Grundstein zum Thurm der Annaberger
Kirche. Es ist wahrscheinlich, daß es heißen sollte: Konrad Schwab,
wie es wahrscheinlich ist, daß dieser mit seinem Bruder Hans Schwab
1483 in Meißen, später in Dresden gemeinsam arbeitete und daß
Psluger und Schwab eine Person seien, d. h. daß Pslnger aus
Schwaben stammte. 1504 baute Konrad Pfluger in Meißen für den
Herzog und für den Bischof, 1506 ging er nach Bautzen. In der
Lausitz, in Wittenberg, in Meißen finden wir ihn überall dort, wo
es große Aufgaben zu lösen gab. Man wird nicht fehl gehen, wenn
man bei den bedeutendsten sächsischen Werken jener Zeit seine Mit-
Wirkung annimmt.
Ihm gehört die reiche Ueberwölbuug der Görlitzer Peter--
und Paulskirche an. Hier ist das Netzwerk der Albrechtsburg
nun schon auf die dreischisfige Halle erstreckt, so daß das
gesamte Gewölbe ein Ganzes bildet. Ja gegen Süden ist ein
viertes Schiff mit in das Netz der Gewölbe gezogen. Die Säulen
sind fast übermäßig schlank gebildet. Weite lichte Räume er-
schienen dem Architekten als wichtigstes Gebot. Die Maßwerk-
fenster werden breit und hoch, die Zeichnung derselben wird aber
immer mehr durch gerade Linien beeinträchtigt, erscheint phantasielos
und trocken. Schon sind an dem Südschiff die Strebepfeiler teil-
weise in die Kirche hineingezogen, derart, daß sich nicht, wie früher,
blos nach außen zwischen denselben einspringende Räume, sondern
auch nach innen Nischen befinden.
Es bekommt demnach der Kirchenbau eine neue Grundriß-
gestaltnng, welche keineswegs zufällig ist. Man empfand den
Uebelstand, daß die alte gothifche Anlage nur im Chor geeignete
Plätze zur Aufstellung von Altären bot. Die unter der Predigt
der Mönche wachsende Sucht, sich den Himmel zu verdienen, die
Gewiffensbedrängnis der Menge, der stets erneute Aufruf der
Geistlichkeit zu Opfern an die Kirche hatte immer neue Altar-
stiftungen herbeigeführt. Schon stand in den Kirchen der wohl-
habenden Städte und reichen Stifte vor jedem Pfeiler, auch des
Langhauses, ein Altar. Dort gehörte er sichtlich nicht hin, das
empfand man fehr wohl, aber die Kirche bot keinen geeigneteren
Platz. Lästig war die Menge der heiligen Tische, weil sie den.
63
Verkehr im Schiff hinderte. Schon begann die kirchliche Erregung,
der Anwuchs an Volk in den Städten selbst große Kirchen als
nicht geräumig genug erscheinen zu lassen. Man bedurfte mächtiger,
einheitlicher Räume für eine Gemeinde, die sich als solche zu fühlen
begann. Aber die Altäre entzogen nicht nur der Menge den Platz,
den ihr Tisch einnahm, sondern es forderte die Achtung, daß man
sich ihnen nicht zu nahe andränge. Die Ueberfülle von Messen,
welche die Kirche besaß, bewirkte, daß jederzeit an mehreren Stellen
der Kirche das Opfer gebracht wurde. Der Hauptaltar hatte an
Bedeutung und damit das Querschiff seinen Zweck verloren. Denn
dieses ist der Raum, der die Gemeinde von dem Klerus trennte,
welcher im Chore seinen Sitz haben sollte. Nun aber amtshandelte
er an einem Dutzend Nebenaltären, war mitten unter das Volk
geraten — keineswegs zur Stärkung des religiösen Gefühls, zur
Befestigung jener Ansicht, welche Gott selbst im Meßopfer gegen-
wärtig glaubt.
Die vielen Bruderschaften und kleinen Vereinigungen hatten
die Stiftung von Altären besonders betrieben. Jeder wollte in
der Kirche sein Kirchlein, für fein Gebet feinen Heiligen, für sich
ein Sonderrecht haben. Wer nicht zu einer Bruderschaft gehörte,
mochte sehen, wie er mit Gott ins reine kam, ohne besondere Für-
spräche. Diese Altarstiftungen sind der Ausfluß der im Sinne
der römifchen Kirche gehandhabten guten Werke; sie sind stets der
Beweis einer starken, kirchlichen Strömung, eines lebhafter erregten
katholischen Sinnes. In religiös-friedlichen Zeiten genügen die
alten Heiligen, die alten Wallfahrtsorte, die alten Gnadenmittel;
erst der Kampf um die Gnade zeitigt neue kirchliche Bedürfniffe.
Solange die Meffe an vielen Altären die bevorzugte Form
des Gottesdienstes war, störten diefe indes noch nicht allzu
empfindlich. Ueberall aber, wo es galt, durch das Wort zu über-
reden und umzustimmen, häretische Meinungen zu entwickeln oder
zu bekämpfen, überall dort, wo aus den Bruderschaften und kirch-
lichen Vereinen sich wieder eine' Gemeinde herausbildete, wo die
Glaubensfragen vor der Menge umstritten wurden, dort traten
die Nebenaltäre dem Gottesdienst in den Weg, dort fuchte man
sie beiseite zu rücken, große einheitliche Räume zu schaffen. Nicht
etwa, um im Sinne von heute dem vorher erwogenen Gedanken
64
einen künstlerischen Ausdruck zu geben, vollzog sich dieser Wechsel
der Kirchengrundrisse — ästhetische Erwägungen lagen jener Zeit
völlig sern — sondern das einfache Bedürfnis bildete, wie mir
scheint, an verschiedenen Stellen langsam die gleiche Form heraus.
Freilich sind die Beweise, welche ich für diese meine Ansicht bei-
bringen kann, nur sprungweise. Aber es wäre wünschenswert, daß
die Kunstgeschichte den Grundrißformen mit der Absicht nachginge,
sie als Ergebnis der kirchlichen Strömungen zu erklären. Sie
würde die Hallenchöre des 13. Jahrhunderts, die Hallenkirchen des
14., die freiere, offenere Raumentfaltung zu allen Zeiten und
Orten gepaart finden mit einer freieren wissenschaftlichen Richtung
und die dämmernden, lichtarmen, mystisch farbentiefen Kirchen zu
aller Zeit nicht als das Ergebnis zufälliger Neigungen der Bau-
meister, sondern nur als Verkünder der kirchlichen Grundstimmung
im Volke erkennen.
9. Die Predigtkirche.
So kam es schon unter dem Einflüsse der Albigenser zum
Wandel im Kirchengrundrisse»"), denn diesen südfranzösischen
Häretikern war die Kirche nicht wie der katholischen Kirche ein
Gotteshaus, sondern nur eine Versammluugsstätte.^) Sie verwarfen
die Tempel, da Gott nicht in Gebäuden von Holz und Stein wohne,
sondern in guten und heiligen Menschen. Für ihre einfachen
religiösen Gebräuche genügten schlichte, hallenartige Bethäuser ohne
Bilder, Kreuze und Kerzen. Auf dem Tische lag das aufgeschlagene
neue Testament. Die Predigt war ihnen der wichtigste Teil des
Gottesdienstes und der Predigtsaal daher die richtigste Kirchenform,
d. h. ein des Chores, der niederen Seitenschiffe, der verwickelten
Grundrißanlage entbehrender, einheitlicher Raum.
Südfrankreich32) hatte früh eine entwickelte Wölbkunst gehabt
und sich auf einschiffige Kirchen beschränkt, um diese anwenden zu
können, solange noch das Wölben über freistehende Stützen den
Ausführenden als bedenklich erschien. So deckten sich hier die
baukünstlerischen und die die Menge beherrschenden religiösen Be-
strebungen. Im Kampf gegen das Albigensertnm begannen sich
in den von der herrschenden Kirche angelegten Bauten die Altar-
65
anlagen zu mehren, und zwar geschah dies in scharf erkennbarer
Absichtlichkeit alsbald nach der Unterdrückung der Ketzerei, also
etwa seit 1230, und unter der geistigen Führung des heiligen
Dominikus und des von ihm gestifteten Prediger-Ordens. Es
fehlt noch an einer Untersuchung des Einflusses der Dominikaner
auf den gesamten Kirchenbau. Ihre eigene Regel gebot ihnen,
solche Kirchen zu errichten, die für die Predigt geeignet seien. Denn
ihr Orden hatte den Zweck, die häretische Erklärung des Wortes durch
. die katholische zu verdrängen. St. Dominikus nahm also den Ge-
danken, daß der Schwerpunkt der geistlichen Thätigkeit in die Predigt
zu legen sei, für seinen Orden auf und dieser bildete deshalb auch
seine Kirchen in entsprechendem Sinne. Wenn er sich auch später
dem Einfluß der mystischen Anschauungen nicht entziehen konnte,
so zeigen sich doch anfangs in seinem Heimatlande, Südfrankreich,
fehr beachtenswerte Erscheinungen: Die Kirche zu Cavaillou, östlich
von Avignon, welche teilweise 1251 geweiht wurde, zeigt eine
Erweiterung des ältereu Grundrißsystems der schlichten Halle, etwa
desjenigen von Le Thor und St. Queutiu zu Vaisou, nördlich von
Avignon. Dieselbe Fortbildung findet sich im Dom von Orange
und an St. Jacques zu Beziers. Es sind an diesen Bauwerken
die Pfeiler der einfchiffigen Saalbauten in das Innere der Kirche
hineingezogen, so daß sich zwischen diesen rechtwinklige Kapellen bieten.
Der ältere, unter dem Führer der Albigenser, Raimond VI., Grafen
von Toulouse (1195—1222), erbaute Dom zu Toulouse verkündet
in seiner einfachen Saalanlage schlichten Ernst und evangelische
Größe der Gesinnung. Als dagegen die katholische Kirche siegreich
in den Dom eingezogen war, setzte sie im stärksten Gegensatz an
diesen rechtwinkligen Bau 1272 einen Chor, in welchem das System
der Nebenkapellen vollkommen ausgebildet ist, so daß zwar die
große, einheitliche Mittelhalle auch dort erhalten bleibt, aber in den
schmalen Seitenschiffen und den sich anlehnenden Polygonalkapellen
sich jene Grundformen des kämpfenden Katholieismus offenbaren,
die wir auch anderweit als ein Merkmal der eeclesia militans
erkennen können. Diese verließ hierbei nicht ganz den Boden
der von den Gegnern ausgebildeten Predigt- oder Gemeindekirche,
den Saalbau, bequemte ihn aber dem Heiligen- und Altardienste an,
indem sie Standorte für Altäre an den Saal anfügte. Die Fortbildung
Gurlitt, Kunst und Künstler. 5
66
des Grundrisses von Beziers, in welchem zuerst die Seitenkapellen
durch Thüreu unter sich verbunden sind, und von St. Trinite zu
Angers, in dem die Kapellen halbkreisförmig ausgebaut wurden, er-
geben in auffälliger Übereinstimmung das System der Langhäuser
des Gesü zu Rom und der St. Michaeliskirche in München wieder,
der beiden Hauptkirchen des Jesuitenordens, jener Nachfolger der
Dominikaner aus der Zeit des 16. Jahrhunderts. Und dabei ist zu
bedenken, daß gerade die Langhäuser der Jesuitenkirchen es waren,
welche bald für taufende von Bauten das Vorbild gaben, nämlich der
einschiffige Saal mit Kapellen an den Langfeiten. Diese Bauten eut-
standen unter dem Einflüsse des Kampfes der katholischen Kirche mit
der Häresie, oft gewissermaßen als Missionsbauten in zu eroberndem
Lande. Die großartigste Entfaltung dieser Kunstrichtung stellt der
Tom inMlbi^-) dar, also in jener Stadt, welche der Mittelpunkt der
ketzerischen Bewegung gewesen ist. Er wurde 1282 vom Bischof
Bernard de Castanet gegründet, jenem Manne, der am eifrigsteu
Ludwigs IX. Heiligsprechung betrieb, ist also ein Siegesdenkmal über
die Ketzerei, wie ja auch Ludwig seinen Heiligenschein im Kampfe gegen
diefe sich erworben hatte. Der Dom besteht aus einem mächtigen
Schiff, welches gegen Osten mit süns Seiten des Achtecks schließe
Die Pfeiler find ins Innere gezogen, so daß sich an den Chor 5 sechs-
seitige, an das Langhaus je 12 rechtwinklige Kapellen, zusammen also-
an die Halle 29 Kapellen anlegen. Ueber diesen zieht sich eine
Empore hin. Es vereinigen sich also hier die Merkmale der
katholischen Heiligen- und Meßkirche mit dem Predigtsaal in einer
Weise, welche Bewunderung für die Fähigkeit Roms einzuflößen
vermag, selbst Feindseliges in sich aufzunehmen und sich zu Nutzen
umzubilden.
Das System der einschiffigen Kirchen ist nicht ein zufälliges,
sondern bereitete sich langsam vor und blieb noch geraume Zeit
in der Languedoc wirksam, ja ging bald nach Spanien über, wo
ähnliche Verhältnisse herrschten wie in den Albigenserlanden..
Standen doch beide gleich mächtig unter dem Einfluß der über-
mächtigen, noch lange nach der Eroberung Eatalouiens nachwirkenden
arabischen Kultur und Wissenschaft, der durch diese bedingten freieren,
zur Sektenbildung anregenden Weltanschauung. Sie kam zum
Durchbruch an dem Langhause des Domes zu Geroua uahe der
67
französischen Grenze, wo an die alte, dreischissige Choranlage ein
südfranzösischer Architekt ein einschiffiges Chor anschloß, abgesehen
von den Emporen, ganz dem Beispiele von Aldi folgend. Auch
hier finden sich die Seitenkapellen, die also aus der Mitte des
saalartig gestalteten Baues an die Seiten gerückten Nebenaltäre,
die Eröffnung des Einblickes in den Chor, d. h. die Heranziehung
der Gemeinde zur öffentlichen Opferhandlung. Erst die Spütgothik
hat in den Dom jene Chorschranke eingeführt, welche den Klerus
von den Laien sondert.
Die deutschen Predigerorden liebten es gleichfalls weitgesprengte
Hallen zu bauen, welche große Volksmengen faßten, vermieden den
Prunk und blendenden Reichtum, ließen die überflüssige Symbolik
bei Seite, verschmähten die reiche Choranlage, den Kapellenkranz
und die Querschiffe. Durch die erweiterte Pfeilerstellung gewannen
sie Raum und ersparten Material. Ihre Kirchen, im 13. Jahr-
hundert die größten in Deutschland, machen durch die schlanken
übersichtlichen Verhältnisse, durch die lichte freie Wirkung der
Durchblicke meist einen günstigen Eindruck.315)
Die nächste Übertragung der einschiffigen Grundrißform auf
größere Bauten — an kleinen Werken kommt er ja selbstver-
ständlich leichter vor — d. h. also die Betonung des Raumes
als einheitliche Halle für eine Volksmenge, eine Gemeinde,
treffen wir in England in der auf Wiclif folgenden Zeit, der
bekanntlich 1384 starb. Freilich konnten weder dieser Reformator
noch die Lollharden Kirchen bauen, angesichts ihres Kampfes
gegen den Reichtum des Klerus und der dauernden Verfolgung,
welche auf ihnen lastete. Aber der Kampf gegen die Häresie
steigerte auch dort die Teilnahme an den Dogmenfragen, welche
sich wieder in der saalartigen Ausgestaltung der Kirche:: und
in der Uebersülle, jedoch auch im Beiseiteschieben der Kapellen
offenbarte. Ein schönes Beispiel der dortigen Bauweise ist Kings
Collegs Chapel in Cambridge ^), deren Grundstein 1446 gelegt
wurde, ein mächtiger rechtwinkliger Saal mit zwischen die außen
angelehnten Streben eingefügten Nebenkapellen. Es ist dieser
Bau der vollkommene Gegensatz zu den englischen Kathedralen
mit ihrer mehrfachen Gliederung durch Querschiffe und ihrer
vorzugsweise für einen großen Klerus angelegten Planbildung,
5"-
68
mit ihren schmalen Schiffen und gesteigertem Höhenverhältnis,
diesem Merkmal nordischer Vertiefung der katholischen Glaubens-
andacht. Und zwar unterscheiden sich diese Bauten in demselben
Maße von einander, wie Wiclifs Ansichten über den Wert der
Predigt und der Sakramente von dem der katholischen Kirche.
Denn er hielt die Verkündigung des Gotteswortes für das erste
und vorzüglichste Werk des Priesters und nannte sie köstlicher als
die Sakramente. „Selig sind die, die das Wort Gottes hören und
es bewahren!" (Lueas 11, 28).35) Es fehlt uns aber leider noch
an Vorarbeiten, um den Gang der Kirchbauentwicklung in England
völlig klar übersehen zu können.
In Italien^) spielten andere Dinge bei der Entwicklung
des Kirchengrundrisses in den Zeiten reformatorischen Dranges mit.
Während die Kapellenreihen längs der Seitenschiffe dort früh
sich geltend machen, verbleiben die Kirchen der Gothik fast aus-
uahmslos bei der Längenentwicklung, bei der alten Basilikal-Anlage
mit Querschiff und gesondertem Chor. Die hier beliebten Central-
bauten aber entstanden weit mehr unter dem Einfluß humanistischer
als reformatorischer Gedankenverbindungen. Der Uebergang von
der Prozessionskirche zum Centralbau vollzog sich an St. Peter
unter jenem Papst Julius II., unter dem die italienische Kunst in
Rom ihren Gipfelpunkt erreichte und durch einen Meister, Bramante,
bei welchem das formale Schönheitsgefühl alle anderen Bedenken
niederhielt. Die katholische Kirche, so wie sie ist, vermag im Grunde
genommen mit Centralanlagen nicht viel anzufangen. Ihr Gottes-
dienst sührt unmittelbar auf die Basilika. Es ist kein Zufall, daß
in der Zeit der katholischen Reform St. Peter zu einem drei-
schiffigen Langbau umgeschaffen und dem ausgebildeten Heiligen-
kultus angemessen ausgestaltet wurde. Der Gesii siegte über das
Pautheou, der Papst über den Pontifex Maximus!
Die Wiederkehr derselben Baugedanken in verschiedenen Ländern
sei hier nur augedeutet. Sie war die Folge religiöser Erwägungen
im Volksleben. Das germanisch beeinflußte Mittelalter fah in
feiner Blütezeit sein Ideal in schmalschissigen, hochentwickelten
Bauten von thunlichst reicher Gruudrißeutwickluug. Dadurch er-
gaben sich reiche Durchblicke, kühnes Anstreben, mystische Beziehungen
zu religiösen Dingen, zur Kreuzesform, zu der Anschauung, Gott
69
wohne räumlich über uns. Diese Kirchen haben alle die scharfe
Trennung zwischen Versammlungshaus der Laien und Gottes-
Haus sür den amtshandelnden Klerus. Türme deuten gen Himm el,
der formale Reichtum ist groß, entspricht der Opferfreudigkeit
einer nach Bethätigung ringenden Frömmigkeit, einer unbefangenen
Unterwerfung unter die Sätze der kirchlichen Lehre. Der Kampf
um das Dogma aber, die kritische Behandlung der Glaubensfragen,
kurz die Geistesfreiheit oder doch Geistesregsamkeit schufen stets weite
Hallen, möglichst einfache in sich abgeschlossene Raumgestaltungen.
So war die Anlage jener Kapellenreihen, welche nicht nur
in Sachsen, aber dort im hohen Grade, ihre Ausbildung fand,
ein Ergebnis der Wandlung im Katholieismus, der übermäßig sich
ausbildenden Verehrung der Heiligen. Diese wieder entsprang
aus der Glaubensunsicherheit des Volkes, aus dem Bestreben der
Gutgesinnten, angesichts des sittlichen Verfalles überhaupt irgend
etwas zu thuu. Denn die Zweifel, welche hier und da auftauchten,
hatten noch nicht die Kraft, das System der herrschenden Kirche zu
durchbrechen.
Dem allgemeinen Zuge der nach Erkenntnis ringenden Zeit
folgend, hatten sich die Kirchen zu weiten Hallen umgebildet.
Diese Umgestaltung war der regen Teilnahme des Volkes am
Gottesdienst zu danken, welchem viele jetzt nicht ausschließlich mit
hingebender Gläubigkeit, sondern mit jenem prüfenden Anteile folgten,
welchen das Streben nach Erkenntnis der Wahrheit einflößt. Die
Hallenkirchen der Gothik fanden in dem Augenblick ihre stärkste Aus-
bildung, in welchem in Deutschland die Volksmengen durch den
Buchdruck aufs neue zu religiösen Schwankungen geführt wurden.
Zwei Arten von Druckwerken lagen den Gebildeten im
deutschen Volke am meisten am Herzen. Jene Klassiker der alten
Welt, welche man früher nur hier und da in Klosterbibliotheken
und auf Hochschulen zu lesen bekommen hatte und die nun in
billigen Ausgaben, ja in Übersetzungen erschienen und mit einer
der mystisch durchtränkten Welt doppelt erstaunlichen Klarheit
die Kunde brachten von dem Bestehen eines Rechtes, einer Sittlich-
keit vor dem Christentum, der Möglichkeit einer von der Kirche
unabhängigen Weltordnung, eines in strengere, kältere Formen
gebrachten, aber einheitlich wirksamen Staatswesens. — Und
70
dann die Bibel. Bis zum Jahre 1500 wurde die Vulgata beinahe
hundert mal aufgelegt, vor der Lutherischen erschienen vierzehn
vollständige Bibelübersetzungen in hochdeutscher und fünf in nieder-
deutscher Sprache. Tausende von Abzügen müssen ins deutsche
Volk gedrungen sein. Das Lesen aber brachte mit sich das
Prüfen. Es ist ein anderes, das Gotteswort in der Kirche zu
vernehmen oder es daheim auf sich wirken zu lassen. Die Harm-
losigkeit gegen die verkündeten Wahrheiten schwand erst bei den
Gelehrten, dann in immer weiteren Volkskreisen. Die heilige
Schrift, sagt zwar der Herausgeber der Kölner Bibel „ist mit
Innigkeit und Ehrfurcht von jedem Christenmenschen zu lesen,
aber er soll es uuterthänig thuu und was er nicht versteht, uu-
geurteilt lassen." Wer jedoch vermag durch wohlmeinenden Rat
dem emsig forschenden Geiste Fesseln anzulegen? Junge Wahr-
heiteu wollen ansgähren. Die Bibel und die Klassiker wurden
in den Händen der nach Wahrheit Suchenden zu durchaus revo-
lutionären Büchern! „Wir haben jetzt die heilige Schrift selbst
in Händen und können selber wissen und auslegen, was zur
Seligkeit not und bedürfen nicht dazu Kirche und Papst!" So
sprachen schon zu Zeiten Geilers von Kaisersberg die unruhigen
Köpfe. Junges Wissen will sich bethätigen: „Es hebt den niedrig
Geborenen zu den Höchsten empor", sagte selbst Papst Pius II.
in der Stiftungsbulle der Basler Universität. Die Buchdrucker-
kuust gab den Humanisten in den Klassikern der Alten die Waffen
gegen die Kirche in die Hand, sie gab ihnen die Sprache fin-
den Schwertton der Wifsenschastlichkeit, mit der sie gegen die Keulen
der Dunkelmänner fochten, sie stärkte das scharfe, verstandesklare
Denken, mit dem man nun an die Bibel selbst herantrat.
Die Predigt 3') gewann gewiß an vielen Orten einen anderen
Inhalt. Sie war nicht mehr ausschließlich eine Mitteilung des
Wortes an solche, die es zu erfahren strebten, sondern sie wurde zu
einer Erklärung desselben sür solche, denen Zweifel an seiner Be-
deutung auftauchten. Der Geistliche belehrte nicht mehr blos
Unwissende, fondern er suchte auch Wissende zu überzeugen; seine
Hörer begannen bereits sich ihr eigenes Urteil zu bilden. Er
sprach als Verteidiger der Heilswahrheiten und mußte nach neuen
Gründen suchen, um die überall emporschießenden Deutungen zu
71
widerlegen. Es wurde die Kanzel, obgleich nur einer sprach, doch
ein Ort des Meinungsaustausches, denn schon unterschieden viele
in der Predigt zwischen dem Wort Gottes und dem des Redners.
„Kein Wort, sagt Johann Ulrich Surgant 1506, geht über Gottes
Wort, und Gottes höchster Segen ergießt sich über den, der predigt,
und über alle, die demütig zuhören und ohne Arglist!" Es
war wohl noch meist unbefangene Frömmigkeit, welche die Deutschen
und zwar auch jene an den Grenzen Böhmens zu den Predigten
lockte, aber es gab doch „Arglist". Es war wohl gläubiger Opfer-
sinn, der sie veranlaßte, große Stiftungen für eigene Predigtämter
Zur Belehrung der Menge zu machen, aber es gab doch in der-
selben Leute, die immer aufs neue der Belehrung im Sinne der
Kirche bedurften. Man erhob in vielen Städten zum Gesetze,
jeder Bürger solle zweimal an Sonntagen die Kirche besuchen und
die Predigt bis zum Ende hören, bei Strafe des Bannes. Aber
es war der Kirchenbesuch auch deshalb gewachsen, weil in der
Predigt jene Fragen des sittlichen und religiösen Lebens erörtert
wurden, welche die Geister lebhaft beschäftigten, weil die Art der
Erklärung, die Persönlichkeit des Geistlichen, das Parteileben der
Nation in der Kirche zum Ausdruck kam.
Wie sich durch die Bermehnmg der Predigten die Art der
Benutzung der Kirchen änderte, wandelte sich auch die Grundrißform.
Um der Predigt zu genügen, bedurfte man weiter, möglichst wenig
unterbrochener Räume. Es entsprach vollkommen dem Bestreben
der derzeitigen Steinmetzen, welche in technischer Meisterschaft die
Höhe ihrer Kunst sahen, diesen Erfordernissen zu dienen. Die
Hallen der Kirchen dehnten sich, die Pfeiler rückten weiter aus-
einander und wurden thunlichst schwach gebildet. Man gelangte
zu weiten Raumbildungen, zu einer Empfindung dafür, daß die
drei Dimensionen des künstlerisch gestalteten Raumes sich gegen-
seitig bedingen. Man gewann somit nicht nur die wenigen
Quadratzoll Grundfläche, um welche die stärkeren und dichter
stehenden alten Pfeiler ausgedehnter waren als die neuen, fondern
die größere Übersichtlichkeit in der ganzen, minder streng in Schiffe
geteilten Kirche. Das Gewölbe^wurde mit einem dichten Rippennetz
bedeckt, welches alle Schiffe gleichmäßig nmfpann nnd^ der Kirche
die entschiedene Längsteilung, den processionsartigen Zug gegen
72
den Hauptaltar nahm, soweit dies ohne Aufgabe des ganze:: gothischen
Bausystems möglich war. Es beginnt die Zeit, in der man der
Ausschmückung der Kanzeln ganz besondere Aufmerksamkeit zu-
wendete. Erst das 15. Jahrhundert schuf in Deutschland die meisten
der reichen Kanzelanlagen. Jene berühmten Werke in den Domen
von Straßburg und Wien gehören erst seiner zweiten Halste an.
Es ist ein sast ganz neues Kunstgebiet, auf das sich die Steinmetzen
mit Eifer warfen, jene Stätte glänzend zu schmücken, von der das
Wort ausgeht, jenen Aufbau, durch den der Volksredner über die
Menge erhoben wird.
10. Die Kapellenreihen und Emporen.
Besonders wichtig aber war sür den Grundriß, daß man nun
an den Außenwänden der Kirche nach Plätzen für die Nebenaltäre
suchte. An den großen nordfranzösischen Domen des 13. Jahr-
Hunderts hatte man zunächst nur den Chor mit solchen Altären
umgeben. Nur Notre Dame zu Paris hat zwischen den Strebe-
pseilern der Schiffe ebensolche niedere Kapellen, wie sie in der
Languedoe üblich geworden waren. Aber diese entstammen nicht
dem ursprünglichen Plane, sondern erst der Spätgothik. Der
Gedanke kam, wie mir scheint, aus dem Süden. In Spanien fand
er besonders reiche Ausbildung, aus der Gegend von Avignon
wurde er unmittelbar durch den von Kaiser Karl IV. dort an-
gestellten Meister Matthias von Arras nach Prag übertragen und
kam, wie an anderer Stelle bewiesen werden soll, auf diesem Um-
Wege nach Deutschland.
Im Erzgebirge begnügte man sich künstlerisch damit, daß man
die Mauer zwischen den Streben von deren innerem zu deren
äußerem Ende hinausrückte. Damit war aber dem Bedürfnis nicht
genug geschehen. Die Kapellen, etwa der Kathedrale zu Orange
wie die zu Paris und Cambridge, ja selbst die höher entwickelten
spanischen und italienischen Kapellen, etwa von Gerona oder
St. Petronio in Bologna, erreichen doch nie die Höhe des Haupt-
gewölbes, sind niedere Anbauten an das hoch aufragende Schiff
und haben ihre eigenen Dächer. Eine feit dem Dome zu Albi
zum zweiten Male gemachte Erfindung des Erzgebirges ist es, die
73
Außenmauern der Kapellen hoch über deren Gewölbe hinaus zu
führen, so daß die Fenster nicht mehr zwischen dem inneren End-
punkte der Streben, sondern zwischen deren äußeren Linien ein-
gestellt wurden. Dadurch rückte der ganze Pfeiler in das Innere
der Kirche, und erscheinen die Kapellen nicht mehr als Ausbauten,
sondern als Einbauten. Ihr Dach lag nicht mehr außerhalb der
Kirche, man konnte vielmehr an Stelle eines solchen innerhalb dieser
eine wagrechte Fläche schaffen und diese als Emporen benutzen.
Meines Wissens erscheinen solche Emporen in ausgebildeter
Gestalt zuerst um 1480 im Erzgebirge. Emporen an und für
sich sind ja nichts neues. Fast alle Frauenklosterkirchen haben
solche, meist an der Westseite, dem Altar gegenüber. Das Tri-
forium, der kleine, schmale Gang über den Seitenschiffen gothischer
Kirchen, eine anscheinend französische Erfindung, ist eine unentwickelte
Emporenanlage. Aber diese Bauteile haben rein dekorative Zwecke.
Ja selbst am Chor der Lorenzenkirche zu Nürnberg, der schon
1477 beendet war, ist noch kaum an eine Benutzung durch größere
Volksmassen zu denken. Der Dom zu Freiberg (Abbild. 6) zeigt nach
seinem Umbau von 1480 aber bereits ganz andere Gestaltung. Dort
wird der Chor, wie am Dom zu Meißen, durch einen hohen
Lettner abgeschlossen. Dieser letztere hatte wohl nur den Zweck, die
Geistlichkeit von der Laienschaft zu trennen, diente also vollkommen
den klerikalen Anschauungen vom Gottesdienst, dem Sondergeist
des Domstiftes. Die Erweiterung des Meißner Lettners im
14. Jahrhundert zu einer breiten Empore ist eine Eigentümlich-
keit des Baues, die wohl mehr mit der Verstärkung des Kirchen-
sängerchores als mit der Fürsorge für die Laienschaft zu thun
zumal die Empore sich hinter dem Altar befindet.
Der Freiberger Dom dagegen wird durch den Lettner zu einem
rechtwinklichen Saal, in dessen Mitte ungefähr die Kanzel steht,
ein glänzend geschmücktes, gleichzeitig mit dem Domumbau er-
richtetes Bauwerk. Die Pfeiler find möglichst schlank gebildet. Da-
durch stören sie weniger den Hinblick zur Kanzel. Bei etwa
95 m Brüstungslänge der Emporen giebt es nur 16—18 m, von
denen aus der Prediger nicht zu sehen ist. Es sind um jeden
Pfeiler herum balkonartige Verbindungen jener Räume über den
74
Kapellen geschaffen, es sind Wendeltreppen angelegt, welche die
hier zunächst nur das Schiff umziehenden Umgänge dem Zutritte
eröffnen. Es ist somit der Kirche eine größere Aufnahmefähigkeit
für die Volksmengen verliehen. Noch find diese Emporen nicht
sehr ausgedehnt, aber die Art ihrer Anlage spricht schon für einen
Wandel in der Benutzung des Gotteshauses. Es hat dasselbe an
Abbildung 6. Dom zu Freiberg, Kanzel und Emporen.
proeessionsgemäßem Wesen verloren, denn auf den Emporen kann
man nicht wandeln. Aus drei Schiffen versuchte man einen Saal
zu gestalten. In diesem sitzt oder steht man, um einen Redner an-
zuhören. Zugleich liegt in der praktischen Ausnutzung der Kapellen
als Träger eines für die Menge bestimmten Kirchenteiles eine wohl
unbewußte aber tatsächliche Mißachtung der Nebenaltäre, welche
75
die Jesuiten veranlasste, die Emporen, welche auch sie im Gesü
brauchten, künstlerisch wenigstens möglichst nebensächlich zu be-
handeln, während in den spätgothischen Kirchen des Erzgebirges die
Kapellen möglichst bescheiden, die Emporen aber der wirknngs-
vollere Teil sind.
11. Neue Auffassung des Kirchenbaues.
Der Emporenbau wurde später das Merkmal des Prote-
stantismus, dem es darauf ankommen mußte, eine große Menschen-
menge der Kanzel und dem von dort verkündeten Gottesworte
möglichst nahe zu führen. Er wäre zwar ein grober Fehler, wollte
man an den erzgebirgischen Kirchen eine bewußte Wirkung resor-
motorischer Gedanken vor Luthers Auftreten erkennen. Aber wie
Luther nicht zufällig kam, sondern das Ergebnis der Zeitumstände
ist, wie er den Protestantismus nicht als ein Fertiges gebar,
sondern aus der alten Kirche Schritt für Schritt heraus entwickelte,
so regten sich neben und vor ihm Kräfte, welche, ihres Endzieles
noch unsicher, doch schon das allgemeine Empfinden und Denken
beeinflußten. Nicht Klarheit ist das Merkmal der Zeiten, in welchen
sich große, geistige Wandlungen vollziehen, sondern die Zwiespältig-
feit zwischen den verschieden sich äußernden Bestrebungen, von
welchen keine, selbst die das Alte verteidigende, vom Zeitgeist uu-
berührt bleibt.
Luthern selbst und der ganzen Folgezeit lag es fern, für ihre
religiösen Anschauungen ästhetische Ausdrucksformen zu suchen.
Innere Triebkraft zu glänzenden Bauten lag überhaupt der refor-
matorischeu Bewegung seru. War sie doch in hohem Grade eine
Gegenströmung wider die Prachtentfaltung, gegen den übermäßigen
Pomp und die übermäßige Zahl der Kirchen. Jene Hussiten,
welche ein gerechtes Gericht zu vollziehen glaubten, indem sie
Klöster und Stifte niederbrannten, konnten unmöglich im Bauen
eine Lebensaufgabe fehen, konnten das Bedürfnis nicht fühlen, die
Uebermenge der Kirchen durch neue zu vermehren. Die reiche
Ausbildung der Teynkirche in Prag erfolgte wohl nur im Wetteifer
mit dem Veitsdom, nicht aus innerem Antrieb. Der utraquistischen
Zeit Prags gehört der Bau reich verzierter Festungstürme an,
76
nicht jener von Kirchen. Hatten die Taboriten doch gelehrt:
„Das genehmste und größte Gestift und Gotteshaus, darin Gott
soll angebetet werden und die Toten begraben, ist die Welt. Die
aber Kirchen bauen und Klöster und Kapellen wollen die göttliche
Majestät in einen Winkel zwingen, als ob sie nicht an allen
Stätten gleich möge gnädig sein."^) Sie hatten der katholischen
Kirche gegenüber nicht so ganz Unrecht. Denn dort geschieht die Dar-
bietung Christi an die Gemeinde durch die Messe. In dieser macht
aber der Priester Christus auch leiblich in der Kirche gegenwärtig,
ebenso wie die Juden Gott im Allerheiligsten über der Bundeslade,
gegenwärtig dachten. Der Priester opfert den Sohn auf dem
Altare dem Vater. Es wird also ein Opferdienst, wie in vor-
christlicher Zeit, in veränderter Form dargebracht. Der Chor ist
der Tempel, das Wohnhaus Gottes, welches an die für die Laien
bestimmte Kirche angefügt ist. Nach hussitischer Uebertreibuug des
Gedankens ist er der Winkel, in den die göttliche Majestät ge-
zwnngen werden soll.
Aehnlich hatten schon die Waldenser über den Wert des Kirchen-
baueus gedacht.'^) Schon im 13. Jahrhundert hatten jene Brüder
der geheimen Gesellschaft, welche ihre Lehre über Süddeutschland
und Oesterreich verbreiteten, sich entschieden gegen die Prachtbauten
der Kirche ausgesprochen. Besser wäre es, Arme zu unterstützen,
als Gotteshäuser prächtig auszustatten. Gott wohne nicht in einem
Steinhause, das Gebet sei dort nicht erhörlicher; Lichter, Weihrauch,
Weihwasser und Reliquien, Procession und Wallfahrt seien wertlos
und geradezu verwerflich. Die heiligen Gewänder stammen nicht
von Christus ab, das Linnen, in welchem die Hostie verwahrt
werde, sei nicht mehr wert als ein Hosentuch, der Altar ein Stein-
hausen. Es sei schade, daß die Decken darüber faulen. Und die
Hussiten lehrten: „Zierliche Wat, Meßgewand, Altartücher, Kappen,
Teppich, Corporate, Kelch, Patenen, Rauchfaß sei unnütz und ver-
lorene Kosten."40) Das Wort Christi (Matth. 6,6): „Du aber,
wenn du betest, so gehe in deine Kammer und schließe die Thüre
und bete zu deinem Vater im Verborgenen", ging nicht unbemerkt
an ihren Ohren hin. „Gott, der die Welt gemacht hat und alles,
was darinnen ist, sintemal er ein Herr ist Himmels und der Erde,
wohnt nicht in Tempeln von Händen gemacht" (Apostelgesch. 17,24).
77
Darum wollten sie kein „Steinhaus", mißachteten die aufgemauerten
Kirchen. Der beghardische Gründer des „Gotteshauses" zu Straß-
bürg, Rulman Mersvin, schreibt 1377, als die Johanniter eine
Kirche errichten wollten, der Bau sei ohne Rat des heil. Geistes
unternommen, das Werk verbotener Eitelkeit. „Ich habe große
Münster gesehen mit dicken Mauern und kostbaren Gewölben, die
durch ein Erdbeben umgestürzt wurden; einfache, von Holz gebaute
Kirchen sind dagegen stehen geblieben, darum rate ich euch aus
göttlicher Liebe, bauet auch nur ein hölzernes Gebäude!" Im
Gegensatz zu diesen Aussprüchen^) steht sreilich die lebhafte Teil-
nähme, welche Rulman und der ihm geistesverwandte „Gottessrennd
aus dem Oberlande" gerade für den Steinbau äußerte; diese zeigt
sich so lebhaft, daß man geradezu beide für Werkleute erklärt hat.
Sollten sie aber gebaut und zugleich das Bauen für wertlos ge-
halten haben?
Enea Silvio beschreibt die Kirche zu Tabor42), jener Stadt,
in welcher sich der letzte Rest des wildesten Zweiges der Hussiten
noch in einer Zeit in bäurischem Stolz und kriegerischem Un-
abhängigkeitssinn erhielt, in welcher sonst überall die utraquistische
Lehre zum Siege gekommen war. Er nennt sie einem Stalle
ähnlicher als einer Kirche.
Bis aus Luther findet man diese, dem prunkhaften Kirchenbau
abgeneigten Anschauungen der Waldenser fortwirken. Luther giebt
eine Erklärung des Wortes Matth. 21,13. „Mein Haus foll
ein Bethaus heißen, ihr aber habt eine Mördergrube daraus
gemacht."^) Dort sagt er, Gott habe den Juden die große
Gnade verkündet, daß er sich im Tempel, also an einem be-
stimmten Ort wolle finden lassen. Christus aber habe Gott eine
Kirche gebaut, die so weit sei, als die Welt reiche, sein Wort und
die Sakramente seien der Tempel, darinnen Gott unser Gebet er-
höre. Der Papst habe jedoch aus Christus dem Erlöser einen
Zornigen Richter gemacht, den wir durch Mittler, Heilige, Mönche,
Ablaß oder Wallfahrt und sonstiges Gaukelwerk versöhnen müssen
„ums Geld". „Ich, als ein Narr, fährt Luther fort, trug auch
Zwiebeln gen Rom und brachte Knoblauch wieder!" Aber die
rechte Kirche sei zum Gebet gestiftet und nach Matth. 18,20 überall
zu finden, denn: „Wo zween oder drei versammelt sind in meinem
78
Namen, da bin ich mitten unter ihnen". Also habe Christus jetzt
keinen gewissen Ort und Stätte, er sei überall gegenwärtig im Schiff
auf dem Meer oder im Hause auf dem Lande. Luther zeigt sich
auch hier als der Nachfolger der hussitischen Lehre. „Denn, sagt
er ein anderes mal, wo Gott wohnet, da schweiget er nicht still,
und wo er redet, da wohnet er auch!" „Was gehört aber dazu,
daß Gott dort wohue? Nichts mehr, denn daß Gott da sei mit
seinem Wort. Wo das gehet, da wohnet er gewißlich, und wiederum,
wo das nicht ist, da wohnet er nicht, man baue ihm ein Hans
so groß man wolle.
Und ein anderes mal, am Tage St. Stephani 1524, predigte
er über Ev. Matth. 23, 34—39. Man diene Gott nicht mit
Kirchenbauen. Denn der Herr habe Jesaias 66, 1.2 gesagt: „Der
Himmel ist mein Stuhl und die Erde meine Fußbank, was ist
es denn für ein Haus, das ihr mir bauen wollt?" „Meinest du,
fährt Luther fort, daß Gott auf Erden wohne? Siehe der Himmel
und aller Himmel Himmel mögen dich nicht versorgen, wie wollt
es denn dies Haus thuu, das ich erbaut habe?" Es sei Verloreue
Mühe, wenn man Gott damit gesallen wolle. Gott habe den
Tempel der Juden verworfen, in dem er sich einst finden lassen
wollte. „Siehe, euer Haus soll Euch wüste gelassen werden", weil
auch die Juden ein gutes Werk damit zu thuu geglaubt hätten,
daß sie den Tempel bauten. Und ergänzend sagt er in der Epistel
am St. Stephanstage von jener Stelle aus Jesaias, sie sei so klar
und gewaltig, daß ihr niemand mag widerstehen, und schließt, daß
Gott nicht wohnen möge in gemachten Häusern. Auch die Patri-
archen hatten keine Kirchen gehabt, Christus mehr im Freien als
in der Synagoge gepredigt. Darum habe Gott kein Gefallen an
Kirchenbauen und Stiften. „Nicht daß es böfe sei, sährt Luther
fort, Kirchen zu bauen und stiften, sondern böse ists, daß man
darauf fället und vergisset des Glaubens und der Liebe darüber,
und thuts der Meinung, als sei es ein gut Werk, damit man für
Gott verdienen wolle." Der einzige Zweck der Kirche sei, daß die
Christen zusammen kommen, beten, Predigt hören, Sakramente
empfangen. „Wo diese Ursache aufhört, sind die Kirchen unnütz
und soll man sie abbrechen, wie man andern Häusern thnt, die
unnütz sind." Besser man wurzele alle Kirchen aus, als daß eine
79
Seele verloren gehe. Denn „Wisset Ihr nicht, daß Ihr Gottes
Tempel seid und der Geist Gottes in Euch wohnet; so jemand
den Tempel Gottes verderbet, den wird Gott verderben, denn
der Tempel Gottes ist heilig, der seid Ihr!" (1. Corinth.3.16—17).
Noch viel schärfer als Luther spricht Johann Eberlin von
Günzburg"), einer der eifrigsten Kämpfer für die Reformation,
den Gedanken ans, daß die Kirche nicht ein Gotteshaus sondern
ein Gebethaus sei. Er wendet sich 1525 in seinem Traktat
„Wider die Schünder der Kreaturen Gottes durch Weihen
und Segnen" gegen einen Annaberger Franziskaner, Johann
Fritzhans, mit welchem schon 1521 Karlstadt im Hader lag,
indem er die Meinung bekämpft, als gewännen durch Weihung
Menschen und Dinge Heiligkeit. Auch er berief sich auf die Predigt
Stepham in der Apostelgeschichte 7, ferner auf Jes. 66, das Ev.
Johannes 4, 21—24, welches besagt, nicht der Ort der Anbetung,
sondern die wahre Form im Geist und in der Wahrheit mache
das Gebet zum rechten; endlich auf Ev. Matthäus 6, 6, wo das
Gebet ins Kämmerlein verwiesen wird. Die Kirche, sagt Eberlein,
ist ein nicht von Gott, sondern ein von der Gemeinde zu ihren
christlichen Zusammenkünften bestimmtes Hans. Wenn einer Ge-
meinde das Haus nicht mehr gefällt, so mag man es zu anderen
Zwecken benutzen, ohne Bedenken. Besser aber gebe man den
Armen das Geld, als den Abgöttern. Zwar sei nicht unrecht,
ein Haus zur Erbauung zu haben, aber Gott habe hieran keine
besondere Freude. Möge er Allen den Sinn geben, alle marmor-
steinernen Kirchen abzubrechen und Spitäler und Häuser für
arme Leute dafür zu bauen.
Und dann fagt Eberlein im Dialog: „Mich wundert, daß kein
Geld im Land ist": es sei wohl begreiflich, daß man Gott
und seinen Dienern das Beste auf Erden geben wolle, denn er sei
der höchste Fürst und Herr. Daher habe man angefangen Gott
in Städten und Dörfern Häuser zu bauen, dergleichen nicht viele
am Ort sind. Derweil müßte aber manch arm Ehevolk mit
seinen Kindern in einem zerbrochenen Häuslein Herberge halten.
Die Pracht der Kirchen nennt er aber eine Menge Plunder.
Nicht genug, daß man an einer Kirche solch unsägliche Kosten
habe, „jedes kleine Dörflein muß deren zwei und drei haben,
80
und an allen Wegen müssen wir Kapellen haben. Die jungen
Gesellen freilich haben das gern, denn da kommen Kunz und
Grita zusammen!" Besser aber als Hilft zum Kirchenbau zu thuu
sei, man lege seine Steuer an arme Leute, die lebendigen Tempel
Gottes.^)
Diese Anschauungen, welche die Reformation zur lauten
Aussprache brachte, im erzgebirgischen Kirchenbau wirksam zu
sehen, soll den Schluß dieser Untersuchung bilden. Nur nach
und nach kam es dazu, nicht die Reformation an sich, sondern
die Zeit des Kampfes auch zu architektonischer Anschauung zu
bringen, nachdem in Meister Arnold der formale Individualismus
kräftig sich geltend gemacht hatte. Die folgenden, minder be-
gabten Meister kamen zwar in der Ausbildung der Formen
nicht weiter, aber sie ließen sich von den durch die religiöse
Bewegung gestellten Forderungen im Kirchenbau leiten und führten
somit die Baukunst um einen Schritt vorwärts, nach jenem noch
heute unbekannten Ziele der dem Protestantismus völlig eigen-
artigen Form, dessen Erreichung durch das Auftreten der Renaissance
nun seit vier Jahrhunderten verhindert worden ist.
12. Der Naturalismus und die Künstler.
In den nächsten Jahrzehnten bauten die erzgebirgischen
Architekten in jenen Formen, welche überall in Deutschland die
üblichen waren. Nur die Profilbildung Arnolds erhielt sich
dauernd, ebenso wie seine Vorhangbogen für den Profanban die
Regel bleiben (Abbild. 7). Nur nach einer Richtung erfuhr die
Formeugebung einen völligen Wandel. Der Natnralismns
begann siegreich vorzudringen. Er stützt sich vorzugsweise auf die
Bildhauer, in welchen sich eine neue künstlerische Auffassung
insofern geltend machte, als sie mit schärferem Blick der Natur
und fremden Kunsterscheinungen gegenüber traten, als eine junge
Lust, Neues zu sehen und zu schaffen, auch ihre Hand zu ver-
ändertem Thun anregte.
Es ist eine ganz neue Erscheinung, daß ein Bürgermeister
von Görlitz, Georg Emmerich, 1465 auf die Wallfahrt nach
Jerusalem einen Steinmetzen, wahrscheinlich den Blasius Börer,
81
mitnimmt46), mit der Absicht das heilige Grab aufzumessen und
in der Heimat wieder aufzubauen und daß er dabei nicht eine
idealisierte, d. h. im Stile deutscher Kunst gehaltene Wiedergabe
Abbildung 7. Fensterformen der sächsischen Spätgothik. I. und II. vom
Paulinum zu Leipzig. III. von der St. WolfgangÄki'rche zu Meißen. IV. von
der Stadtkirche zu Lommatsch. V. von der Stadtkirche zu Oederan. VI. vom
Schloß zu Roch-Zburg.
erstrebt, sondern mit scharfem Auge die Eigentümlichkeit der
orientalischen Bauweise nachahmt, bis aus die Einzelheiten jene
Gruftkapelle nachbildet, die er in der Grabeskirche zu Jerusalem
Gurlitt Kunst und Künstler. g
82
gesehen hatte. Dieser archäologische Sinn ist das Merkwürdige:
Nicht der ganze Grundgedanke des Nachahmens, sondern jene ver-
schärfte Beobachtung, jene fast wissenschaftliche Erhebung über
die eigenen künstlerischen Empfindungen. Er wäre nicht möglich
gewesen in einer Zeit, welche zu sich selbst das Vertrauen trug, das
Beste zu leisten; er ist der Beweis, daß das Stilgefühl ins Schwanken
gekommen und des Neuen gewärtig worden war.
Derselbe Geist gab den Bildhauern auch den Zug zu
erneuerter Natnrbeobachtuug. Ein Rundgang durch das vou der
Kunstwissenschaft viel zu wenig beachtete Altertumsmuseum zu
Dresden^), durch seine zahlreichen Bildwerke lehrt dies zur
Genüge. Die erste Hälfte des 15. Jahrhunderts hat nur eine
glänzende Leistung aufzuweisen, das heilige Grab, in welchem der
Christus seltene Größe der Empfindung und Formenrichtigkeit zeigt,
die drei trauernden Frauen vou hoher Vollendung sind. Das Ganze
steht den besten Werken jener Zeit nicht nach, übertrifft die meisten
sogar an realer Kraft und Feinheit der Darstellung. Was aber
sonst an Altarwerken bis an die Grenze des 16. Jahrhunderts
heran geschaffen wurde, ist im Gedanken wie in der Ausführung
gleich mittelmäßig. Meist findet man in Reihen aufgestellte
Heilige ohne Gruppierung, Figuren in kraus gefaltetem Gewand,
untersetzten Gestalten mit großen, viereckigen Köpfen, himmelnden,
etwas blöden Augen, bei denen nur die Lieblichkeit der Frauen-
köpfe, das sanfte Rund der Wangen, das zierliche einer kleinen
Halbkugel gleichende Kinn, der süßlich gespitzte Mund das Streben
nach Ausdruck verraten. Die Körper verflüchtigten sich meist
unter den schwulstigen Kleiderfalten.
Einen gewaltigen Umschwung offenbaren aber die Werke
des folgenden Zeitabschnitts und des Erzgebirges. Da finden sich
zunächst zwei Reihen von Jungfrauen, die klugen und die thörichten,
der biblischen Erzählung, welche einer reichen Sammlung fast
lebensgroßer Holzfignren aus dem Besitze des Domes zu Freiberg
angehören. Die verklärte Freude der Klugen ist noch befangen
im Ausdruck, die Köpfe sind weich, aber geistlos. Um so ent-
schiedener ist die Verzweiflung der Mädchen, welche kein Oel
mehr in ihren Behältern sehen. Sie ist mit einer Kraft dargestellt,
welche vor schmerzvollem Verzerren des Gesichts, vor völligem
83
Zusammenbrechen der Gestalt, vor ins Bläuliche hinüberspielenden
Gesichtsfarben nicht zurückschreckt, der es nicht auf eine schönheitliche
Form, sondern ans ein möglichst scharfes, individuelles Darstellen
der Empfindung ankömmt. Einen Schritt weiter geht ein zweiter
Meister, welcher den Heiland und die zwölf Apostel für die
Annenkapelle zu Freiberg in überlebensgroßen Holzfiguren darstellte
(Abbild. 8). Sein Name verdiente unter den besten feiner Zeit genannt
zu werden. Zwar sind die Körper überall noch mager, die Glieder
erscheinen oft wie zerbrochen. Aber das Gewand ist besser gebildet,
wohl fchon etwas stark geknittert, wenn auch in den Hauptlinien ein-
fach und natürlich. Eine gewaltige Kraft aber liegt in den Köpfen
der Apostel: Es sind durchgearbeitete Gesichter mit schweren, massigen
Zügen, starken Nasen, breiten Backenknochen, weit abstehenden,
oft lockenartig gekräuselten Bärten, Männer von tiefem Gedanken--
inhalt, aber schwerer Form, ein derb empfindendes, aber mächtig
wollendes Geschlecht, ganz die Wiedergabe ihrer Zeit, Bildnisse
der geschäftsgewandten und überzeugungstreuen Ratsherren, der
tüchtigen Handwerker. An diesen Gestalten ist nichts idealisiert,
nichts verkündet die Absicht, Schönes zu schaffen. Dagegen sieht
man das junge Streben, die einzelne Erscheinung dem Leben
abzulauschen, der Natur gerechtzuwerdeu, das Menschendasein
nicht in seiner Allgemeinheit, sondern in seinen eigenartigen
Teilen zu erfassen. Dort wo ein Ideal, die männliche Schönheit
und reine Größe des segnenden Christus dargestellt werden soll,
versagt die künstlerische Kraft, wird der Kopf typisch, wirken die
Unbeholfenheiten in der Darstellung des Leibes störender. Anders
aber ist's, wenn die Leiden des Erlösers vorgeführt werden.
Da sehen wir eine Pietk von gewaltiger Kraft. Eine Madonna,
deren schmerzdurchzucktes Gesicht gespenstisch unter dem Schatten
des weit vorgezogenen Kopftuches hervorschaut. Die Augen sind
thränenunterlauseu, die Farbe hilft mit, den Eindruck des Ver-
weintseins mit rücksichtsloser Gewalt zur Darstellung zu bringen.
Dem Heilande, welcher der Gottgebärerin auf den Knieen liegt, ist
kein Merkmal des Todes geschenkt. Die Starrheit und Härte
der Bewegungen in dem fleischlosen Körper, die Farbe, die tiefe
Brustwunde find erbarmungslos wahr nachgebildet. Das Haar ist
.ächt, lange schwarze Strähnen hängen über das furchtbar entstellte
o*
Abbildung 8. Christus und zwei Apostel, Kolzschnitzwerke aus dem Besitze der Domkirche zir.
Freiberg.
85
Gesicht herab. Ein anderes Mal ist Christus am Kreuze dar-
gestellt. Seiu Leib ist voller, fleischiger, besser verstanden, als an
allen übrigen Darstellungen. Schon klingt etwas von der aller
Bußübung sich abwendenden Renaissance in den männlich sehnigen
Gliedern wieder. Aber wie unerbittlich grauenhaft sind die Leiden
Christi vergegenwärtigt! Der Leib überfät mit Geißelschrunden,
die Brust weit aufklaffend und überwallt von Blutströmen. Das
Auge gebrochen, der Mund verzerrt. Und wieder hängt unter
der Dornenkrone, über die blutende Stirne hinweg, in langen
Strähnen natürliches schwarzes Haar.
Das ist eine Absichtlichkeit des Grauens, wie sie in der
Kunst nicht oft aufgetaucht ist. Die Bildwerke sollen erschrecken,
sollen erbeben machen. Das ist die Kunst jener, die Gott zu
einem zornigen Richter machen wollten, welche mit den Schrecken
der Strafe nach dem Tode die Welt zur Bußfertigkeit zwingen
wollten. Man hat heute die Werke dieser grausamen, erschrecklichen
Kunst selbst im Museum mit einem Teppich verhängt, obgleich sie
einst geschaffen wurden, um in vielbesuchter Kirche die sündige Menge
zu erschüttern, ihr die körperlichen Leiden des Herrn in ihrer ganzen
Gräßlichkeit darzustellen, weil man für die geistigen Leiden des
zum Heile der Menschheit Duldenden den Maßstab verloren hatte.
Eine abstoßende Herbheit des religiösen Empfindens spricht sich
in diesen Werken aus. So steht in der Klosterkirche zu Chemnitz
ein weit über lebensgroßes Schnitzwerk, in dem die Geißelung
Christi geschildert wird (Abbild. 9). Dem endenden 15. Jahrhundert
genügte es so wenig wie dem endenden 17. Jahrhundert, den
Gottessohn, den Hohen, Reinen, in den Händen wüster Kriegsknechte
zu sehen, um dadurch die Empfindung der tiefen Erniedrigung
und der Leiden des Herrn zu erlangen, es nnißte den äußersten
Grad der Rohheit darstellen, es mußte mit henkersmäßiger
Phantasie besondere Qualen ersinnen, damit dem derben Geschlechte
die Empfindung ungewöhnlichen Leidens sinnlich klar würde.
Aber in diesen Werken offenbart sich doch ein mächtiger
Fortschritt gegen srüher. Sie geben Handlung, sie stellen In-
dividnalitäten, Erschautes, geistig Erlebtes dar. Sie sind Werke
eines unverkennbar ernsten Ringens nach Wahrheit. Wenn es
Aufgabe der Kunst ist, die Zeit zum Ausdruck zu bringen, wenn
Abbildung 9. Die Geißelung Christi, Holzschintzwerk aus der Schloßkirche zu Chemnitz.
87
es löblich ist, die bewegenden Gedanken anschaulich zu machen,
wenn es verzeihlich ist, nicht über seiner Zeit zu stehen, — so
müssen wir selbst an solchen künstlerischen Gewaltsamkeiten das
kräftige Vorwärtsstreben jener Bildhauer achten.
Unbestechlich sind sie in ihrem Realismus. Die Frage, ob
Statuen bemalt werden dürfen, ist ja eine wieder neu auf-
geworfene. Das Mittelalter hat sie nicht gekannt, denn es hat
wohl nie daran gedacht, aus ästhetischen Rücksichten aus die
Färbung zu verzichten. Es ist ihm auch wohl nie in den Sinn
gekommen, aus solchen Gründen den Farben nur einen Bruchteil
ihrer natürlichen Kraft zu geben. Eher war man zu übertreiben
geneigt, namentlich dort, wo es dem Farbensinne noch an Fein-
heit gebrach und die Kraft des Tones wertvoller erschien, als
der Reichtum des Lichtspieles auf der sarbigeu Fläche. Die
sächsischen Künstler der Zeit um 1500 freute es wohl, Gold in
breiten Massen, kräftige, leuchtende Farben anzubringen, aber ihr
erstes Bestreben ist es, ihren Bildwerken in Form und Ton die
ungeschminkte Realität zu geben. Mit jener Entschiedenheit des
Erfassens einmal erkannter Wahrheiten, mit demselben Geist, der
weite Kreise über Luther hinaus radikalen Ueberzenguugen zu-
sührte, ergreifen sie die Natur, versenken sie sich in die junge
Erkenntnis, daß in der Wiedergabe des Modells, in der nnbe-
fangenen und unbehinderten Vertiefung in die Gottesgebilde der
Kern und das Wesen jedes Kuustsortschrittes liege. Es ist diese
jegliche Stilisierung verschmähende Wahrheitsliebe das Seitenstück
zu Arnolds Bestrebungen, sich über die Regeln der überkommenen
Kunst hinwegzusetzen, sie bildet den Ansatz zu Neuem, Keime zu
einer Kunst des Protestantismus, die nur zu früh durch die klassische
Bildung Roms und die ungleich bequemere Nachbildung italienischer
Kunstformen im Fortschreiten erstickt wurde.
Ich bezeichnete diese Kunst als dem Stilisieren abhold. Damit
ist nicht gesagt, daß ihr nicht ganz bestimmte besondere Merkmale
eigen seien, welche sie als zeitartig darstellen. Der Naturalismus
ist kein unbedingter, sondern ihm klebt deutlich die Menschenhand
an, welche die Naturnachbildung schuf und der Zeitgeist, welcher
die Menschenhand leitete. Merkwürdig an den Werken sächsischer
Kunst jener Zeit, welche den Drang nach Befreiung in sich trägt,
88
jener dem Neuen zustrebenden Denkart ist nur der Mangel der
Absicht, die erschauten Dinge im Bildwerke zu verschönern. Der
gewaltige Zug nach Erkenntnis der Natur und nach Wahrheit in
deren Wiedergabe drängt alle Bedenken zurück: Eine Wahrheit,
die vor dem Häßlichen sich nicht scheute, so wenig wie Luther vor
der Derbheit!
Selbst wo ideale Gestalten wiedergegeben werden sollen, tritt
diese Erscheinung hervor. Jene beiden überlebensgroßen Engel
der Kirche zu Ebersdorf, welche als Buchhalter gedacht sind,
gewaltige Holzschnitzereien von merkwürdigem Schwung der Linien,
haben die derbe Unbefangenheit der Form, jene portraitartige
Bildung der etwas schwerfälligen Köpfe, welche die Apostel aus-
zeichnet. Auch Dürer schuf solche Männerengel. Man sah eben
nicht mehr im Himmel die Heimat süßer, mystischer Lust, sondern
eines ernsten, herben Gerichtes mit der in den Grundfesten
schwankenden Zeit.
Nicht mehr wollte man im Bildwerk das Uebersinnliche,
Göttliche darstellen, nicht mehr sollte dasselbe in unerreichbarer
Form dem Menschen ein doch immer wieder nur von Menschen-
Hand geschaffenes, also der gottgeschaffenen Natur nachstehendes
Ideal vor Augen rücken — man war sich des eigenen Wertes
bewußt geworden, man legte den Schwerpunkt geistiger That, der
Erlösung vom Uebel und Ueberwindung der Sünde in innere
Vorgänge, in die individuelle Kraft des Glaubens, man wollte
daher feste, starke Erscheinungen an Stelle der weichen Hingabe,
der gothischeu Anschmiegung sehen; nicht büßende Verzückung,
sondern menschliche Seelenkraft; nicht süßes Lächeln einfältigen
Glaubens, sondern kräftige Gesichter, an welchen man erkennt, daß
sie im Kampf mit dem Zweifel gesiegt und daß sie auf lebendig
gewordenes Erkennen der Wahrheit ihr Lebensglück gebaut haben
— kurz nicht Heilige, sondern erst starke, dann später schöne
Menschen!
Die Malerei jener Gegenden geht nicht gleiche Wege. Was
sich von ihr erhielt, ist meist noch in jener weicheren Kunstweise
rheinischer und süddeutscher Schulen des 15. Jahrhunderts ge-
halten. Namentlich das großartige Dombild zu Meißen zeigt
zwar ein geistvolles Individualisieren, nicht aber jene Gewaltsam-
89
leiten der Erzgebirgischen Schule. Ein Zug dieser Schaffensart
findet sich dagegen in Lucas Cranach, der bei nicht eben sehr
hohem Können mehr als irgend ein Maler jener Zeit das Streben
nach Wahrheit mit Rücksichtslosigkeit gegen die Schönheit verband.
Wenn er das Häßliche schildern wollte, so säumte er nicht, sich
ins Breite zu ergehen. Es ist ihm nicht so sehr das Gegenbild
des Schönen, als ihm der derbe Ausdruck seines Abscheues eine
Freude gewährt. Aber in dieser Eigentümlichkeit liegt nichts Ver-
stecktes, nichts Lüsternes, nichts Unsittliches. Es ist die Folge
ernsten Widerwillens, der nach dem beleidigendsten Worte, der
verächtlichsten Form greift, um sie dem Bösen, Unholden ent-
gegen zu schlendern.^) Das „Recht des Cynismus" brauchte
in jener Zeit nicht erst vertheidigt zu werden. Eine unbefangen
sinnliche und daher im Kern sittliche Welt, eine erst nach innerer
Verfeinerung ringende Gesellschaft nahm sich das Recht, ohne sich
über dessen Ursprung klar zu machen!
Die Maler waren in jener Zeit eine wilde, keineswegs
fromme Gesellschaft. Man sehe in den Leipziger Ratsbüchern
des 15. Jahrhunderts nach, welch schlimme Streiche sie in keckem
Uebermut mit ihren weiblichen Modellen trieben49), man lese
die Listen derer, welche die Nürnberger zur Zeit religiöser Wirren
aus ihrer Stadt vertreiben mußten, um zu erkennen, daß die Künstler
damals keineswegs ein „harmloses Völkchen" waren, wie man sie
heute wohl nennt. Ein deutscher Stecher gab 5") das Spottbild
vom „Papstesel" 1496, wahrscheinlich in Nachbildung eines italieni-
schen Blattes, heraus und zeichnete es keck mit seinem Namens-
zng. Jene Spottbilder an gothischen Kirchen, in welchen die
Geistlichkeit in ihrem weltlichen Treiben verhöhnt wird, sind keines-
Wegs so unverfänglich als man glaubt, jene Darstellungen der
Hölle, in denen die hohen dreifachen Kronen und die Bifchofs-
mützen eine fo hervorragenden Rolle spielten, reden in jener
Anfangszeit des Buchdruckes eine für die Kirche fehr bedenkliche
Sprache. Und wenn die Kunst aus dem Dienst der Kirche trat,
z. B. im Kupferstich, dann war sie schon in der zweiten Hälfte des
15. Jahrhunderts gern bereit, die Laster der Zeit im Geiste der
großen Prediger zu geißeln, aber zugleich mit einem Behagen
an ihrer Schilderung sich' aufzuhalten, welches oft erkennen läßt,
90
daß es ihnen nicht ausschließlich immer nur um den Haß gegen
das Verwerfliche zu thun ist.
Bekannt ist das Ergebnis des Verhöres, dem die jungen
Maler Georg Penz und die beiden Behaim 1525 vor dem Rat
zu Nürnberg unterzogen wurden. In demselben bekannten sie sich
zu einem reinen Deismus. Zwar empfänden sie, daß ein Gott sei,
aber sie wissen nicht, was sie wahrhaftig für Gott halten sollen.
Sie glauben nicht an Christus und nicht an die Bibel und fühlen
auch in weltlicher Beziehung keinen Herrn über sich als Gott.
Die Lehre von der Transsubstantiation ist ihnen eben so uubegreif-
lich als die von der Heilswirkung der Taufe, beide feien bloßer
Menschentand.* Dagegen wollen sie warten, bis die Wahrheit komme,
und dieser sich gern unterwerfen. Man verbrannte damals solche
Ketzer in Nürnberg schon nicht mehr, sondern wies sie aus der
Stadt. Der Rat und die Bürgerschaft konnten oder wollten den
weltlichen Arm zur Ausführung der früher üblichen Kirchen-
strafen nicht mehr teilen.51)
Doch kehren wir zurück zu der neuen Stadt, welche der
Bergsegen im Erzgebirge geschaffen hatte.
VI. Die Annenkirche zu Annaberg.
1. Der Kirchbau und die Baugelder.
Im Jahre 1495 wurde zu Annaberg in der Stube eines
reichen Fundgrubners die erste Messe gelesen, 1498 ein hölzernes
Kirchlein erbaut, 1499 erteilte Herzog Georg den Befehl eine
Steinkirche außen um die hölzerne herum zu bauen und legte
dazu am 1. März den Grundstein, 1500—1502 war der Bau
im vollen Schwünge, 1503 wurde der Grundstein zum Turme ge-
legt, 1505 wurde die große Glocke aufgezogen, 1507 legte Meister
Conrad den ersten Pfeiler der Kirche an, nachdem die Thurm-
und die Umfassungsmauern aus dem Grunde gehoben waren.
1512 waren die letzteren bis an das Kranzgesims fertig, konnte
man das alte Kirchlein, welches der Neubau umschloß, abtragen
und zogen zum Tage Maria Magdalena die jungen Gesellen 49
Fuder Holz, das zum Dach uud zur Wölbung bestimmt war,
ohne Pferde in die Stadt. Meister Erasmus entwarf die
„beyliege" (ungefähr) fchöne Visierung zum Gewölbe, Jost Freitag
holte Kupfer aus Krakau für die Dachdeckung, 1513 wurde das
Sparrenwerk von Meister Lorenz Lössler von Berlin aufgesetzt;
der Turm ist nun im Gevierte bis an den Glockenstuhl fertig, in der
neuen Kirche wird die erste Taufe vollzogen. 1514 deckt Meister
Sebald Wald stein er aus Alteuburg die Kirche mit Kupfer,
derselbe, welcher 1505—1509 das Rathaus in Zeitz baute, errichtet
ferner Meister Bernhard Doppelt die Kirchtürme achteckig und
den Glockenstuhl, wird im Innern viel gearbeitet, werden namentlich
etliche Pfeiler aufgeführt, 1515 läßt Albrecht von Schreibersdorf,
der Münzmeister, sein Wappen an einem Pfeiler anbringen,
unter welchem fein Stuhl zu stehen pflegte, 1516 werden die Annen-
92
kirche und die Türme über den Sakristeien fertig gedeckt. Hans
Messing er, der Zimmermann, macht den Glockenstuhl des Haupt-
turmes, hängt dort die Glocke ans, welche Oswald und Martin
Hilger aus Freiberg, Vater und Sohn, 1511 gegossen hatten,
im Innern wurde die „Mnsica" und der Predigtstuhl gebaut,
der Annenaltar im Chor mit seinein eisernen Gitter ausgestellt, der
Turm bis zu einer Höhe von 116 Ellen unter Dach gebracht und
erhielt dieser einen schönen, vergoldeten Knopf auf grünem, durch--
sichtigen Türmlein, darin die 1501 gegossenen kleineren Glocken
„Maria" und „Anna" als Bergmannsgeläut ausgehängt werden,
die um 3, 4, 11, 12, 7 und 8 Uhr zur Schicht angeschlagen wurden.
1517 siud alle Pfeiler in die Höhe geführt, die Emporenbogen
geschlossen, ist die Wölbung begonnen 52), 1518 wird die Sakristei
gewölbt.
Bei diesem Zustande der Kirche wollen wir einen Augenblick
verweilen. Em äußerer Umstand giebt uns die Veranlassung
dazu: Es zeigten sich Risse im Mauerwerk. Ende Januar 1519
wurden Sachverständige berufen wn den Schaden zu besehen?»)
Es sind dies der Dombaumeister von Prag, Benedix Rned,
Meister Hans von Torgau, der die Kirche zu Schneeberg baute,
und Meister Haus Schickentanz, Werkmeister vom heil. Kreuz
zu Dresden. Diese gaben ein Gutachten ab. Es haben sich
zwei Risse in der Mauer oberhalb der neuen Sakristei gebildet,
hieraus sei aber keine Gefahr zu besorgen, da die Last nicht auf
den Mauern, sondern auf den Pfeilern ruhe und diefe das
Doppelte von dem zu tragen im Stande wären, was ihnen zu-
gemutet worden ist. Ehe man das Gewölbe mache, solle man
die Emporenbogen wölben, da sonst die belasteten Pfeiler für die
Widerlager angebrochen werden müßten. Die Meister schlugen
vor, die Mauer durch Bogen unter dem Hauptgesims noch mehr
zu entlasten, „haben über das Alles den Bau sehr gelobt und wissen
ihm keinen Tadel oder Gebrechen zu geben".
Der Bauzustand war also damals etwa folgender:
Die Umfassungsmauern, die inneren und äußeren Pfeiler
stehen, der Dachstuhl ist aufgesetzt, die West- und Nordemporen
und die Kanzel sind errichtet, an den Südemporen wird gebaut.
Die Kirche ist im Wesentlichen in ihrem heutigen Zustande, nur
93
fehlt ihr noch das Gewölbe, zu welchen: jedoch der Plan vorliegt.
Nachdem nach 1518 durch Meister Jacob von Schweinfurt
das Gewölbe der südlichen Sakristei hergestellt worden ist, erfolgt
1519 die Weihung der Kirche, obgleich das Gewölbe erst 1520
vollendet wurde. In demselben Jahre sind auch die Gewölbe
der beiden Seitenchöre vollendet. Auf die Thürme über den
Sakristeien wurden goldene Knöpfe aufgesetzt. 1521 begann man
die Kirche zu malen, wozu Herzog Georg 1000 sl., Churfürst
Friedrich 200 sl., das Kapitel zu Meißen 20 sl. und zahlreiche
Annaberger Bürger reiche Geschenke gaben. Der Knappschafts-
altar wird aufgerichtet. 1522 schuf Meister Adolf Dow her
aus Augsburg den Marmoraltar, zu welchem Herzog Georg
wieder 1000 fl. gegeben hatte. Mau zahlte 1 sl. Fuhrlohn für
den Centner von Augsburg her und 2551 fl. für das ganze Werk.
In demselben Jahre wurde der Müuzer- und Schmelzeraltar
fertig, wurden die Felder der Emporen mit Bildern und Figuren
ausgemalt, 1523 ließ ein fremder Pfarrherr vom Lande auf seine
Kosten die Sakristei ausmalen, 1524 begann man die Emporen zu
„illumiuireu", wurden die Kirchenfenster gefertigt. Und 1525
endlich war die Kirche fertig (Abbild. 10). Doch vollendete erst
1526 der Tischler Matthes Eckstein die Schalldecke über der
Kanzel, welche er in seinen Lehrjahren begonnen hatte.
Wir sind über die Entstehungsgeschichte weniger gothischer
Bauten so gut unterrichtet als über die der Annenkirche. Wir
können sogar den den Bau begleitenden Nebenumstünden folgen, die
Stimmungen innerhalb der bauenden Gemeinde beobachten. Er ent-
stand aus dem religiösen Drange der Zeit heraus. Aber er ist nicht
das Ergebnis jener hingebenden Frömmigkeit, welche die Frühzeit
des deutschen Volkes durchwehte, sondern erregter Gewissensangst,
einer sast stürmischen Ausübung guter Werke im Sinne der katholischen
Kirche. Man wollte das eigene Herz und die Schäden der Gesellschaft
durch Gutthateu, Gott durch ein großes Wohnhaus, und eine
prunkvolle Dienerschaft versöhnen. Man richtete die Kirche, um
mit Luther zu reden, ohne Gottes Wort, aus menschlichem Gut-
dünken auf"), sie heißt Gotteshaus, „allein von dem Werk und
Dienst, den wir gestiftet haben". „Der verzweifelte Bösewicht,
der Papst, hat aus Christus einen zornigen Richter gemacht, den
Abbildung 10. St. Annenkirche zu Annaberg. Perspektivischer Einblick in den Bau. Dieser ist ,so dargestellt, als wenn das Dach, das Gewölbe,
Teile der Umfassungsmauern und der Pfeiler abgetragen wären, damit man von oben einen völligen Ueberblick über den Jnnenraum gewinne. Man
sieht gegen die drei Chöre mit ihren Altären, vor dem mittleren den Taufstein, links und rechts die Sakristeien und die Orgelempore über diesen, serner
die Emporen und die Kanzel.
95
wir durch Mittler und Heilige, Mönche, Ablaß, Wallfahrt und
sonst Gaukelwerk versöhnen sollen, ums Geld".^)
Wie das Geld zum Kirchenbau aufgebracht wurde, lehrt die
einzige erhaltene Jahresrechnung der Stadt Annaberg von 1518/19,
also aus jener Zeit, in der Jacob von Schweinfurt die Gewölbe
baute. Ich gebe nur die runden Zahlen. 91 Schock Groschen
„erbat" man „mit der Tafel", brachte also der Bittgang in der
Stadt; 77 Schock kamen an heiligen Tagen ein, 250 Schock gab
der Herzog Georg Beitrag, 29 Schock gewann man aus dem
Verkauf silberner, zinnerner und wächserner Zeichen, also der kleinen
Darstellungen jener Gliedmaßen, deren Heilung man in der
Wallfahrt erflehte; 11 Schock ergaben die Testamente, 86 Schock
brachten die Frauen der Kirche ein, welche geweihte Lichter ver-
kauften; 237 Schock brachte der „Kasten" des Jubeljahres der
heiligen Anna, von denen 49 Schock an den Papst gesendet
wurden. Die Gesamteinnahme der Kirche bestand in 865 Schock
23 Groschen 7 Pfennige, während die Ausgaben, deren Rest die
Stadt zu bestreiten hatte, 1107 Schock 48 Groschen 7 Pfennige
betrugen. Der Kirchenbau verschlang also ein Drittel der sich auf
3270 Schock 42 Groschen 5 Pfennige belaufenden Gesamteinnahme
der Stadt. Außer jenen 49 Schock zahlte die Stadt für Ablaß
dem Papste nocb 79 Schock, also fast 4 % ihrer Einnahme.
2. Der Annenkultus.
Die Wallfahrt zur Kirche war iu mächtigem Schwung.
Man würde nicht fo viel „wächserne Füff und Händ" gekauft
haben, hätte man nicht an die Wunderkraft der Heiligen geglaubt.
„Nun weiter ich zu redt muß kummen
Von mercklichen Zeychen die geschechen:
Von Kindern die seind gewesen tot,
Den half sant Ann aus aller not.
Krippel an füßen vnd von armen
Des sich sant Anna that ser erbarmen.
Viel Wechssel (wächserne) vnd viel silberne byld,
Das mir zu dichten ist zu wild.
90
Die wechssen byld sieht man stan
In aller groß gleych wie die man:
Das kumt als von sant Anna her
Wer sie heimsucht mit milder Hand
Dem thut sie gnad und Hülff bekannt."
So singt der Lobredner Annabergs. Luther selbst, einst
ein Verehrer der heiligen Anna, seines „Abgottes", zu dem er ries,
als er Mönch wurde, sagt aber: „Zuvor, da wir noch im Irrtum
steckten, da hob man mit beiden Fäusten: Bei meinem Gedenken
ist ein groß Wesen voll St. Alma ausgekommen, als ich eiu
Knabe von 15 Jahren war (also 1499). Zuvor wußte man
nichts von ihr, sondern ein Bube kam itnb brachte St. Anna.
Flugs geht sie an, bemt es gab Jedermann dazu. Daher ist
die herrliche Stadt und Kirche aus St. Anuaberg ihr zu Ehren
gebauet worden, und wer nur reich werden wollte, der hatte
St. Anna zur Heiligen. Solcher Heiligendienst hat dem Pabst
Gelds genug getragen. Aber da itzt Christus anhebt mit dem
Wort umzustoßen die Wechselbänke und wir sind die Peitschen und
Geißeln, damit er des Pabstes Hurenhäuser zerstört!"56)
Die Förderung des Annenkultus6T) war einer der vielen
Versuche, die sächsischen Lande bei ihrer Treue an dem päpstlichen
Stuhl festzuhalten. Was das 15» Jahrhundert an Feinheit im
Marienkultus, an ritterlicher Hingebung gegen „unsere liebe Frau"
eingebüßt hatte, das ersetzte es durch Düftelei und Spitzfindigkeit.
„Des Herrn Sippschaft" zu vermehren, schien ein verdienstvolles
Werk. Mit jener widrigen Sinnlichkeit, welche stets das Ende
der Gefühlsüberanstrengung ist, spürte man den geschlechtlichen
Verhältnissen derselben nach. Auch die heilige Juugsrau soll
makellos geboren sein. Jene Geistlichen, welche trotz ihrer Ehe-
lofigkeit in der Enthaltsamkeit das am schwersten zu erfüllende
Gebot erblickten, konnten sich nicht vorstellen, daß bis in die
Nähe des Herrn schlicht menschliche Verhältnisse sich erstrecken
sollten. Da mußte Besonderes, Übersinnliches sich zugetragen
haben. Schon im 4. Jahrhundert kam die Lehre auf, Anna
habe ohne Zuthnn ihres Gatten, des heiligen Joachim, empfangen.
Später fand man, dies sei durch einen Kuß Joachilns geschehen.
97
In den Tagen des Niedergangs der Kirche kam man auf diese
Gedanken zurück. Es mag die erneute Lust zu Wallfahrten
ins gelobte Land Anteil daran gehabt haben. Denn namentlich
die griechischen Katholiken verehrten die heilige Anna eifrig.
Kaiser Justinian I. baute ihr 550 eine Kirche in Konstantinopel,
Justiuian II. 705 eine zweite. Mit der Zerstörung des By-
zantinischen Reiches scheint der Kult nach Südeuropa gelangt
zu sein. Spanien nahm ihn früh auf, schon 1378 wurde er in
England durch päpstliches Breve gestattet, 1425 in Dänemark.
In Südfrankreich fand er eine neue Stätte. In Jerusalem und
Kairo hatte St. Anna vielbesuchte Wallfahrtstätten. Wie Christus
mit dem Golde und der Sonne, Maria mit dem Silber und dem
Monde verglichen wurde, so wurde der Stern das Sinnbild der
heiligen Anna, sie aber die Mutter und mithin Patronin von
Silber und Gold, und weiterhin des Bergbaues. War sie doch
jene Heilige, welche man anrief, wenn man irgend etwas finden
wollte. Man liebte sie im „Selbdritt" darzustellen, wie sie das
Annaberger Stadtwappen zeigt, indem sie die Tochter und den
Enkel, beide als Kinder gebildet, auf dem Schoß wiegt, eine
Madonna zweiten Grades.
Die heilige Anna kam bald in ganz Deutschland in Auf-
nähme. Kurfürst Friedrich der Weise schlug nach seiner Rückkehr
aus dem gelobten Lande eine Münze mit der Umschrift „Hilf
Sankte Anna." Im Jahre 1494 war in.-ganz Sachsen durch
landesfürstliches Rundschreiben ihre Verehrung angeordnet worden;
1495 bestätigte dies der Papst Alexander II. Schrieb man ihrer
Fürbitte doch die Blüte des Bergbaues und durch diesen der
ganzen Finanzlage zu. Der Name Anna wurde in den Fürsten-
Häusern häufiger, obgleich er auch früher nicht fehlte. Die große
Verehrung, welche die Kurfürstin Anna, die Gemahlin des Kur-
fürsten August I., noch heute in Sachsen genießt, ist zum Teil wohl
auf Uebertraguug der Eigenschaften der Heiligen auf die irdische
Wohlthäterin zu schreiben.
Johannes Abt von Sponheim, der ganze Augustiuerorden
traten für die Heilige ein. Später waren die unmittelbaren Gegner
Luthers, Dr. Eck, Dr. Dungersheim in Zwickau it. a., die Haupt-
vertreter des Ruhmes der modisch gewordenen Heiligen. Man
Kurlitt, Kunst und Künstler. 7
98
kam zuletzt soweit, zu erklären, sie sei, nachdem sie dem heiligen
Joachim im 36. Jahre Maria geboren habe, noch zweimal ver-
heiratet gewesen nicht aus fleischlicher Lust, sondern auf Antrieb des
heiligen Geistes. Es kam nämlich den Heiligengläubigen darauf an,
Christus mit einer großen Verwandtschaft zu umgeben und dieser
wieder eine besondere Bedeutung verleihen zu können. Bellarmin, der
gelehrte Jesuit, und sein Orden waren es, welche die „Monogamie
der heiligen Anna" in der katholischen Kirche wieder zu Ehren und
die Lehre vom trinubium zu Fall brachten. Luther nannte diese nicht
nur „eitel Lüge und Fabel," sondern fand das rechte Wort, indem
er sie als „unflätige Zote" bezeichnete.^)
In Annaberg aber hatte sie viele Anhänger. Dort schien
auch der rechte Ort für den neuen Sendboten von Rom, für
Tetzel 59), welcher feit 1507 in Dresden, Freiberg und Leipzig
fem Bußkreuz aufgerichtet hatte und 1509 nach Annaberg kam,
wo er sich zwei Jahre aufhielt.
Die Bußpredigten Tetzel's waren eine Übertragung derjenigen
Capistrauo's ins Grobe, Gemeine. Niemals hat jemand daran
gezweifelt, daß es Capistrano selbst Ernst war um das, was er
betrieb. Auch an seine ungezählten Wunder und Heilungen mag
er selbst geglaubt haben. Eine Schaar von Dienstbeflissenen
waren bereit, sie übertreibend weiter zu verbreiten. Freilich der
feinsinnige, humanistisch gebildete Enea Silvio dei Piccolomini sah die
Großthaten des Schwärmers nicht, ihm, der sich nach Cicero
gebildet hatte, mochte die lärmende Art, das Predigen more italieo,
mit Händen und Füßen, nicht behagen. Noch weniger hätte ihm
Tetzel gefallen. Der war ein großer, starker Mann, beredt von
Haus aus, kühn in der Sprache, „ziemlich gelehrt", aber frei in
seinen Lebensanschauungen. Man machte ihm böse Dinge zum
Vorwurf; seine Feinde warfen ihm vor, daß er nur durch Fürsten-
gnade der Todesstrafe wegen Ehebruchs entgangen sei, seine Glaubens-
genossen, daß er, obgleich Geistlicher, zwei Kinder habe. Völlig auf-
geklärt ist ersteres freilich nicht; Verleumdung spielte ja in beiden
Lagern eine unerfreuliche Rolle. Er reiste als großer Herr und
bezog 80 fl. monatlich, Kost für sich und sein Gesinde, 10 fl.
monatlich für seine Gehilfen. Ein Wagen, drei Pferde führten
ihn von Ort zu Ort. Das ist immerhin ein sehr reichlicher Gehalt
99
für jene Zeit. Freilich für Annaberg, die Stadt, in welcher so
stattliche Vermögen erworben wurden, war er nicht übertrieben
doch stand der Aufwand dem Bettelmönch besonders übel an.
Er war Ketzernleister. Er drohte in seinen täglichen Predigten,
er wolle allen denen, die gegen ihn reden, die Köpfe abreißen
und sie blutig in die Hölle stoßen. Die Ketzer sollten brennen,
daß der Rauch über die Mauern schlage. Sein rothe Kreuz
mit dem Wappen des Papstes — es war das schöne Wappen
Julius' II., das wir an den herrlichsten Werken der Renaissance
Roms zu sehen gewöhnt sind — sei so kräftig als jenes Christi.
Wohl predigte er die Ablaßlehre im Sinne des Katholicismus, die
Lehre von dem Reichtum der Kirche an guten Werken, von der
Macht der Erlösung, welche diese ihr verliehen. Aber er lehrte,
durch Geld könne man vom Papste Genugthuung lösen, er über-
trieb die Lehre vou der Gnade ins augenfällig Rohe, indem er den
doch um einen Viertelgulden oder wohlfeiler zu erlangenden Ablaß
auch ohne Bußfertigkeit für wirksam marktschreierisch ausbot und
ihm eine Kraft zu lösen zuschrieb, für die kein Verbrechen zu
groß sei. Selbst wer sich an der Jungfrau Maria vergriffen
habe, würde seiner Sünde ledig werden, so lehrte er in roher
Spitzfindigkeit. Später freilich leugnete er das böse Wort ab.
Ja, wer für Verstorbene deu Ablaß kaufe, sichere diesen den Himmel.
„Hört Ihr nicht die Stimmen Eurer Eltern, rief er auf dem
Annaberger Markte, wie sie Erbarmen! Erbarmen! rufen. Kauft
ihnen den Ablaß, damit sie in den Himmel einziehen können!"
Ja, wenn das Geschäft nicht ging, drohte er das Kreuz nieder-
zulegen und somit die offenen Pforten des Himmels zu schließen.
Friedrich Mykonins stand, dicht vor seinem Eintritt in's Anna-
berger Franziskaner-Kloster, einer angezweifelten, aber alten Quelle
nach, unter der Menge, halb betäubt von der Wucht £er Rede,
von der kecken Unbegreiflichkeit ihrer Verheißungen. Er hörte
den Bußprediger oft und aufmerksam. Er konnte ihn später in
Stimmfall und Geberde trefflich nachahmen, so tief hatte seine
Art sich ihm eingeprägt. Aber er erkannte schon in jungen Jahren
das Verwersliche des ganzen Handels. Er bat Tetzel um den
Ablaß ohne Geld, auf sein Sündenbekenntnis. Es wurde ihm
verweigert. Er beteuerte keinen Pfennig zn besitzen, als man
7*
100
ihm den Zettel zu dem niedrigsten Preis bot. Da schenkte ihm
einer der Kommissare eine kleine Münze: er lehnte sie ab, weil
er grundsätzlich den Ablaß umsonst haben wolle. So ließ
man den unbequemen Dränger nnverrichteter Sache und tief be-
troffen abziehen.
In den Jahren 1508 —1510 hatte Tetzel das Kreuz in
Annaberg aufgerichtet. Die junge Stadt war die Heimstätte
und der rechte Boden für sein Wirken. Tetzel war der Praktiker
des Ablasses. Sein Geschäft verstand er meisterhaft, denn er
betrieb es ohne Umschweife, mit jener frech lächelnden Schamlosig-
keit, die der Anfang des Zusammenbruchs ist. Es wäre für
einen Einzelnen unmöglich gewesen mit dem Gedanken der Gnade
durch die guten Werke solchen Unfug zu treiben, als hier mit jener
praktischen Gemeinheit geschah, die auf den Erfolg pocht und der
dieser Recht zu geben nicht zögert, wenn nicht die ganze Lehre
schon vorher zur Uebertreibung geführt worden wäre.
Aber nicht nur der Ablaß lockte zum Besuche der Stadt.
Wohl hatte der „Gotteskasten" solchen Zudraug, daß man eine
große von einem eisernen Gitter umgebene Truhe vor dem Annen-
altar aufrichten mußte, in die die Beiströmenden bequem ihre milden
Gaben werfen konnten. Doch bildete schon im Jahr 1518 auch
der Schatz der Annaberger Kirche eine Sehenswürdigkeit, welche
mit den Kirchschätzen zu Wittenberg und Halle ^wetteiferte. Es
waren diese Sammlungen von Heiltümern die Museen jener Zeil.
Jeder wollte sie sehen: Die Gemahlin Herzog Georgs, durchreisende
Leipziger Bürgerfrauen und Adlige gaben stattliche Beiträge zum
Kirchenbau, als man sie ihnen zeigte.
Früh finden sich Goldschmiede in Annaberg ein. Da saß
schon 1506 Meister Oswald Müller als Schöffe im Rat, der
war ein „gar höflicher und lustiger Mann." Denn nach dem
Tode seiner ersten Frau verheiratete er sich wieder an dem
gleichen Tage wie seine beiden Töchter, und ging in seiner Zobel-
schaube zwischen seinen beiden Schwiegersöhnen zum Altar. Im
Jahr 1508 machte Hieronymus von Magdeburg das Brustbild
der heiligen Anna aus 36 Mark 8 Loth Silber. Solche Brust-
bilder, deren noch manche erhalten sind, waren als Reliquien-
behälter damals besonders beliebt. Die Mark feines Silber wurde
101
damals in 140 Groschen geprägt,60) deren 20 einen Gulden, 60 ein
Schock Groschen ausmachten. Also hatte jenes Stück etwa 255 fl.
Wert. Nach heutigem Geld, wo 50 Mark aus einer Mark Feinsilber
geprägt werden, würde das Bild einen Silberwert von 1825 Mark
'gehabt haben.
Es blieb nicht bei diesem einen Stücke. Ein Bild Christi
von 32 Mark 12 Loth, Monstranzen und ein silberner Arm für
den Finger der heiligen Anna entstanden bald darauf. 1511
wurde das Bild des heiligen Nikolaus aus 30 Mark 4 Loth, des
heiligen Christophorus aus 48 Mark 121/2 Loth gemacht. Nun
durfte St. Anna nicht zurückstehen! Sie erhielt ein Hauptbild,
welches 190 Mark schwer war, also fast 10000 Mark heutigen
Silberwertes enthielt. Zwei Kirchner wachten abwechselnd bei
dem Schatz, nachts hatten sie scharfe Hunde bei sich, denn die
Versuchung des Raubes war groß. Das Kirchengerät wog bei
der Aufnahme von 1526 nicht weniger als 1036 Mark 91/.2 Loth,
hatte also über 50 000 Mark heutigen Geldes allein an Silberwert!
3. Gesellschaftliche und kirchliche Verhältnisse.
Damals galt eine solche Summe viel mehr, als heute. Man
muß versuchen dies sich klar zu machen. Betrachten wir beispiels-
weise den Stand der Vermögen in Dresden, denn über diese
besitzen wir gute Unterlagen. Diese Stadt, welche Herzog Georg
als Wohnsitz zu bevorzugen begann, die aber weder durch Gewerbe
noch durch Bergwerke sich auszeichnete, höchstens durch den Handel
auf der Elbe von einer Ackerbaustadt sich unterschied, besaß mit den
Vorstädten im Jahre 1489 etwa 4700 Einwohner, 1507 nach
dem großen Brande von 1491 deren 3300.6') Gerade als kleine
Landstadt ohne hervorragende Industrie eignet sie sich zur Be-
rechuung der mittleren Vermögen jener Zeit. Im Jahr 1488
besaß Dresden nach den Steuerlisten einen Mann, der ein Ver-
mögen von 2350 fl. sein nannte, vier, die zwischen 1500 fl.
und 2000 fl. besaßen, und im ganzen 44 Einwohner, deren
Vermögen 400 fl. überstieg, dagegen 227 Bürger, welche zwischen
200 und 400 fl. eingeschätzt waren und 685 die noch tiefer
standen. Im Jahr 1502 standen die Verhältnisse folgendermaßen.
102
Der Bürgermeister Hans Smeißer war der reichste Mann, er
besaß 2200 fl. Ueber 400 fl. hatten 48 Einwohner, darunter bis
200 fl. 174 Einwohner und unter 200 fl. 658 Einwohner. Ein
die Stadt zerstörender Brand — oder der Beginn des Wirtschaft-
lichen Niederganges haben ihren schädigenden Einfluß alfo besonders
an den mittleren Vermögen gezeigt, die von 227 auf 174 fielen.
Das Gefammtvermögen von Dresden betrug 1488 77,477 fl.,
1502 66,757 fl.
Betrachten wir aber auch den Lohn der Arbeiter:
Ein Tagelöhner erhielt 1476 in Meißen 7 Gr. 6 Pf. bis 9 Gr.
in der Woche, ein Hüttenjunge 5 Gr. 4 Pf. bis 6 Gr., ein Geselle
13—16 Gr. Wie viel stellen nun diese Löhne in einer Zeit dar, in
welcher der Dresdener Scheffel Korn etwa 6 Gr. 4 Pf. kostete,
Weizen 9 Gr. 6. Pf., Gerste 7 Gr. 3 Pf., alle drei zusammen also
23 Gr. 1 Pf. kosteten? Es hat im letzten Jahrzehnt die gleiche
Getreidemenge in Sachsen etwa 38,50 Mark gekostet.^') Wenn man
nun das Getreide als Maßstab für den Wert des Geldes annimmt,
derart, daß man den Lohn nach der Menge von Gerste, Weizen
und Korn mißt, welche für die Münzeinheit zu kaufen ist, so
ergiebt sich, daß ein Pfennig von 1476 gleichen Wert hat
mit etwa 14 Pfennigen von heute. Der Tagelohn eines Tage-
löhners stellt sich also auf 1,26—1,51 Mark, der eines Hüttenjungen
auf 0,90—1,01 Mark, der eines Gesellen auf 2,18—2,69 Mark.
Das sind Löhne, die den heutigen etwas nachstehen. Aber nach
denselben Umrechnungen würde die Kaufkraft jenes toten Kapitales,
welches man allein in Silber der heiligen Anna zu Füßen legte,
244,000 Reichs-Mark betragen haben. Dazu kam, daß man den
Wert der ganzen Kirche, wohl übertrieben, auf 209,000 fl. berechnete,
was nach heutigem Begriffe einer Summe von über 6,02 Millionen
Reichsmark gleich käme. Freilich fanken die Preise schnell. Schon
1550 stellt sich das Verhältnis so, daß ein Pfennig von damals
etwa gleich 5,5 heutigen Pfennigen an Kaufkraft gleich kam. Der
Wert des Silberschatzes der Kirche hätte etwa 95,700 Mark, der
der Kirche 2,76 Millionen betragen — eine merkwürdige Lehre von
den Schwankungen der Preise am Ausgang des Mittelalters.
Diese Zahlen geben einen Vergleich für die Bedeutung des
völlig unproduktiv im Schatz der Annaberger Kirche angelegten
103
Vermögens. Dasselbe war etwa 3—4 mal so groß als das des
reichsten Mannes in Dresden, und entsprach einem Zehntel des
Gesammtvermögens der 4700 Dresdener Einwohner! Und das
in einer Zeit, in welcher bares Geld so teuer und selten war,
die Verarmung so mächtige Fortschritte machte.
„Kirchenbauen und Messestiften", sagt Luther, „ist geringer
als seinem Nächsten dienen; man thnt Gott keinen Gefallen,
wenn man Glaube und Liebe darüber vergißt."63) Freilich
den Annaberger Fundgräbern wurde es nicht schwer, ihre Selig-
keit sich am Annenaltare zu erkaufen. Die Ausbeute wuchs
von Jahr zu Jahr. Sie hatte 1496 und 1497 mit 13312 und
13980 fl. begonnen, stieg 1498 auf 33920 fl., 1499 auf 69504 fl.,
1500 auf 94682 fl. und ereichte 1501 die außerordentliche
Höhe von 102426 fl. Bis 1508 sank sie langsam wieder auf
35733 fl., um 1513 wieder 107844 fl. zu erreichen, ja nach einigen
schlechten Jahren 1517 auf 112230 fl. zu steigen. Hiermit beginnt
aber der jähe Fall. Im Jahr 1518 sank das Gesamtergebnis der
Gruben auf 50955 fl. und blieb während der Bauzeit der Anna-
berger Kirche, also bis 1525 unter 30000 fl., ja erreichte in
diesem Jahr selbst nur 17544 fl.
Diese ganz außerordentlichen Schwankungen lehren, wie sehr
der Bergbau noch vom Zufalle des Schürfens reicher Adern
abhängig war, wie sehr das gute Glück noch eine Rolle im
Betriebe der Gruben spielte und wie weit dadurch dem Aber-
glauben die Thore geöffnet waren. St. Anna, die Heilige jener,
die ihr Glück in: Bergbau suchten, hatte deshalb erntereiche Zeiten.
Alles drängte nach hastigem Ausnutzen der ausgedeckten
Erzgänge. Die „Gewerken" erwarben unverhältnismäßig hohe
Ausbeuten. Allem die Gruben am „Prögel", deren gegen 80
im Gange waren, brachten bis 1519 310690 Meißner Gulden.
Das Erz lag auch dort fast zu Tage. Hilfsbaue, d. h. solche
zur Abführung des Wassers, anzulegen wurde verschmäht. Daher
kam der Prögel bald völlig zum Brachliegen. Erst 1536 wurden
neue Erzgänge dort fündig, entstand die Fundgrube „Himmlisches
Heer." Die Kuxe (Anteilscheine) waren vorher billig zu kaufen
gewesen. Ein Bürger kaufte deren fünf von einer Bäckerswitwe,
die am Buchholzer Thore Semmeln feilhielt. In den nächsten 7
104
Quartalen gab der Kux 2346 fl. Ausbeute, 1536 wurden 124098,
1537 126676 Meißener Gulden aus der eiueu Grube an die 28
Besitzer der wahrscheinlich 100 Kuxe verteilt. Kaspar Kirschner
z. B. besaß allein 8 Kuxe und gewann demnach in jenen beiden
Jahren etwa 20000 fl. Seine Verschwendung setzte die ganze
Stadt in Erstaunen. Er ritt auf kostbarem Pferde und von
vielen Dienern umgeben ins Bad. Dort ließ er sich ein Becken
mit Malvesier und auf Kohlen geröstete Semmeln reichen. Mit
diesen mußte man ihm die Fußsohlen reiben, damit sein Hunger
sich stärke. Dann aber weichte er die Semmeln in Wein ein
und hatte seine Freude daran, sie von den ihn umlagernden
Armen verspeisen zu sehen. Kirschner wog 2 Centner 15 Pfund.
Er ist das vollendete Bild des Protzentums, jenes Pochens auf
schnell erworbenes Geld, das keine Grenzen des Uebermutes
kennt. Aber ihn ereilte auch das Ende des Spekulanten: er
starb arm.
Anderen Geschlechtern Annabergs diente der Reichtum um
sich zu dauernder Lebensstellung zu erheben. Die Thmushirue,
welche von Böhmen herübergekommen waren, sind ein solches.
1508 hatte Paul Thumshirn einen sündigen Stollen in Annaberg.
Bor 1516 stiftete er schon einen Altar und diesem 600 fl.; 1511
lieh er der Stadt 2000 fl. Bon seinen Söhnen erwarb Anselm
durch die Gruben „mächtige Schätze", Wilhelm Kriegsruhm als
einer der tüchtigsten Landsknechtsführer seiner Zeit und den Adel.
Lorenz Pflock, der beim Fahren auf der Straße im Dorf
Fronau eine fündige Grube entdeckte, da von der Erschütterung
der Boden von dem zu Tage liegenden Erzgang abbröckelte, konnte
bald darauf dem Amt Dippoldiswalde 1000 fl. leihen, eine Kapelle
und einen Altar in Fronau und dem Annaberger Hospital 300 fl.
stiften. Bei ihm wohnte Tetzel während seines Aufenthalts in
Annaberg. Andreas Stürtz fand einen Gang mit gediegenem
Silber, den „Frohnleichnamsstollen", beim Fischen. Er soll
aus demselben 400000 fl. gewonnen haben. Bald begannen die
großen Grübner ihr Vermögen in Grund und Boden anzulegen-
Martin Schnee kaufte das Dorf Tannenberg, Johann Eckenbrecht
das Dorf Mauersberg, Hans Rölingk die Herrschaft Bärenstein.
Aber auch andere Geschäfte waren unter ihnen im Gang: Christof
105
Härtung wurde 1535 wegen Wuchers seiner städtischen Aemter
entsetzt.
Vergleicht man die Liste der reichen Fundgrübner mit jener der
städtischen Richter und Schöffen, so findet man, daß in Annaberg
sich alsbald ein oligarchisches Regiment einzurichten begann. Die
Verwaltung lag sast ausschließlich in den Händen der Großbürger,
die Macht neigte sich dem Gelde zu.
Die Form der Verquickung städtischer und bergmännischer
Verwaltungen hier zu schildern ist nicht der Platz. Es ist nur
zu erwähnen, daß der Rat der Stadt unter gewissen Bedingungen,
meist nach Einholung des Urteils vom Leipziger Schöffenstuhl,
das hohe Gericht auszuüben berechtigt war, daß er seinen Henker
hielt und seinen Galgen sich baute.
Es ist der Zeit kein Vorwurf daraus zu machen, daß sie
nicht die Mittel fand, den gesellschaftlichen Schäden entgegen zu
treten. Sie erschöpfte sich in guten Werken und in Anstrengungen,
durch kirchliche Thaten den Lenker der Weltengeschichte zu versöhnen,
dessen Zorn jedem vor Augen schweben mußte, welcher die ungeheure
Spannung sah, in der sich das Volk befand. Das Platzen des
immer mehr eiternden Geschwüres am Körper der Nation suchte
man durch die besänftigenden Mittel immer neuer Heiligen-
Verehrung zu dämpfen.
Herzog Georg fendete den Stadtzimmermeister und reichen
Fundgrübner Johann Weffinger, der sich dazu erboten hatte, nach
einem Annenkloster in Lyon, um von dort Reliquien der heiligen
Frau zu holen, deren Namen die Stadt tragen sollte. Deren
gab es damals an vielen Orten, namentlich auch am Niederrhein,
obgleich die Heiligengeschichte lehrte, Anna sei vom Grabe erstanden
und mit Christus und Maria zum Himmel aufgefahren. Das
Haupt der Heiligen lag, nachdem es ein Steinmetz in Mainz
gestohlen hatte, in Düren, bewacht von der Stadt, welche den
Bann über sich ergehen ließ, ohne daß sie ihr wundertätiges
Heiligtum heraus gab.64) Weffinger reiste in Gesellschaft eines
freiberger Pfarrers, versehen mit Geschenken und Geleitsbriefen
ab. Sonntag nach Lätare 1504 kamen die Reisenden zurück.
Zehn vornehme Bürger und der Bischof von Meißen waren
ihnen nach Zwickau entgegengeritten. Denn es war ihnen ge-
106
lungen eine Kniescheibe, eine Rippe und ein Achselbein der
Heiligen zu erstehen, das nun „mit großem Frohlocken und
Ehrerbietung" in feierlichem Umzüge nach Annaberg gebracht
wurde. Am Tage nachher erhielten die Armen, jeder der es
begehrte, für 3 Pf. Bier, einen Hering und ein Groschenbrod.
„Da war ein großes Volk allhier, da sähe man viele gewapnete
Männer, die Bürger zu Roß, die Ratsherrn zu Fuß, viel Weiber
und Jungfern, da hörte man großes Jnbiliren auf den Gebirgen
und wurde also dies Heiligtum der heiligen St. Anna von allen
Einwohnern und Fremden sehr geehrt, besucht und angerufen."
„Do worden zeichen viel gesehn
An krancken leuten weit erkant.
Auch etlicb gruben man do fandt
Dardurch sich alle dingk do mert."
Andere Heiltümer kamen 1506 aus dem Cisterzienserkloster
zu Roermondt, ein Merseburger Kapitelherr brachte weitere aus
Rom mit. Der Rat schickte zu ihm um einiger Partikel willen
und erhielt sie „verpetschirt;" ja 1510 brachte des Herzog Georgen
Gattin, Barbara, Tochter König Kasimirs von Polen, einen Finger
der heiligen Anna, den einst Kaiser Karl IV. aus Rom mitgebracht
hatte. Mit großem Geprüng und unter Freudenschüssen wurde auch
diese kostbare Gabe von den geschmückten Jungfrauen der Stadt
vor dem Wolkensteiner Thor empfangen.
So waren bis 1518 nicht weniger als 120 Heiltümer mit
vielen Kosten nach Annaberg gebracht worden, unter denen ein
Partikel der heiligen Elisabeth, ein Zahn der heiligen Barbara,
blutiges Barthaar von Johannes dem Täufer, Theile vom Haar,
dem Gürtel, dem Hemde, dem Bett und dem Grab der Jungfrau
Maria die bemerkenswertesten waren. Ein Dorn der Kreuzes-
kröne und ein Stück vom Kreuze Christi fehlte auch nicht.
Aber den Einheimischen genügten die Gnadenmittel der
heiligen Anna immer noch nicht. Sie erlangten 1517 von Papst
Leo X. einen wirkungsvollen Ablaß aus 25 Jahre und stifteten für
diesen eine Brüderschaft, die auf die stattliche Zahl von höchstens
1000 Mitgliedern festgefetzt wurde. Diese hatten das Recht ihren
Beichtiger selbst zu wählen, der sie von allen Kirchenstrafen, selbst
dem großen Bann, ja sogar der Simonie freisprechen könne. Ferner
107
durfte dieser von allen Sünden, selbst solchen, über die man sich
billig erst zu Rom belehren lassen sollte, lossprechen und den
Sündern die Absolution erteilen, wenn sie nur nach Befinden
des Beichtigers eine Buße zum Kirchenbau beitrügen. Ja es
sollte den Beichtvätern erlaubt sein, denjenigen zu absolvieren,
welcher unrechter Weise Güter entwende oder streitigen, ja fremden
Besitz, selbst der Armen, sür sich behalten habe, ohne daß er des-
halb gehalten sei seinen Raub herauszugeben. Ferner brauchten
die Mitglieder der Brüderschaft die Fasten nicht zu halten.
Alle diese Vergünstigungen galten auch für Frau, Kind und
Geschwister. Wer beitrat, erhielt einen ihn ausweifenden Brief,
durfte nun, wenn er etwas begangen hatte, aus den Hunderten
von Geistlichen, welche damals überall zur Hand waren, den ihm
passend scheinenden sich zum Beichtiger wählen und konnte sünden-
frei gesprochen werden, wenn er bei genügender Reue die ihn:
auferlegte Buße „gewißlich auf St. Annenberg und in der
Kirche St. Annen in verordneten Kasten und an keinen andern
Ort überfandt" hatte.
Ist diese Urkunde echt — ich entnehme sie der Annaberger
Chronik von A. D. Richter — so ist sie eines der ungeheuer-
lichsten Denkmale dafür, wohin die Lehre vom Werte der „guten
Werke" geführt hat. Sie lehrt den Haß verstehen, welchen die
Reformatoren gerade gegen diese hatten.
Die Bruderschaft wurde so reich, daß sie nach Fertigstellung
der Kirche nicht recht wußte, was mit ihrem Gelde anfangen.
Der Rat lieh 1534 bei ihr 1600 fl. Im Jahre 1519 gab der
Bifchof von Meißen für den Kirchbau noch einen besonderen
Ablaß, daß wer an drei bestimmten Sonntagen nacheinander die
Annenkirche besuche, und in den Kasten sein Geld einlege, der solle
Vergebung aller Sünden haben, die er im Herzen bereue und
mit dem Mund bekenne.
Ueberall sieht man den Verfall der Kirche, die Leichtfertig-
keit, mit der sie ihre eignen Lehren „ums Geld" in den Staub
zog. Was Wunder, daß ihre Diener solchen Kirchendienstes
würdig waren.
Allbekannt ist das Treiben in Zwickau. Dort hatte schon
früher, zu Anfang des 16. Jahrhunderts Dr. Hieronymus Dun-
108
gersheim65) aus Ochsenfurt das große Wort geführt, jener
Geistliche, der 1503 die Stiftskirche zu Wittenberg weihte, ein
hervorragender Vertreter des alten Glaubens, der sich durch seinen
streitvollen Briefwechsel mit Luther (1518—1519) Ansehen er-
rang. Er kam als Professor in Leipzig wegen der h. Anna mit
Johann Silvius Egranns, also einem Sohn der durchketzerten
Stadt Eger in Streit, welcher seit 1517 als Prediger in Zwickau
angestellt war. Dieser, sreier gesinnt, wollte die Lehre von den
drei Gatten der Heiligen und den drei Marien nicht annehmen.
Egranus wurde wieder von Thomas Münzer, dem berühmten
Schwärmer, verdrängt und verkam später in Joachimsthal im
Trunk. Münzer stellte dem noch auf humanistischem Standpunkte
stehenden Gegner, seit er 1520 in Zwickau einzog, seine Lehre
von der Erkenntnis Gottes aus der Tiefe des eigenen Empfindens
heraus entgegen. In ihm zeigte sich alsbald die gesellschaftliche
Seite der Umwälzung, seine Bestrebungen waren auf die nie-
deren Volksklassen gerichtet, er hoffte auf eine innere Wiedergeburt,
auf eine Erneuerung der altchristlichen Gemeinden mit ihrer
Gütergemeinschaft und ihrer selbsterwühlten Obrigkeit. Unter den
Tuchmacherknappen fand er bald Anhang: Nikolaus Storch wurde
sein Genosse im Haß gegen die Bettelmönche und in schwärmerisch-
thatenlnstigem Sozialismus. Nur mit Gewalt war der Aufstand
der Unterdrückten niederzuhalten, bis Münzer 1521 sloh.' In
Schneeberg hatte der in Freiberg geborene Nikolaus Hausmann
schon seit 1519 die katholischen Mißstände bekämpft, ohne zu
Luther überzutreten, bis er 1521 nach Zwickau ging, um Münzers
Anhang mit mildem Sinne in ruhigere Bahnen zu lenken. So
lösten sich in schneller Folge die Parteien jener Stadt ab, welche
den Mittelpunkt des erzgebirgischen Bergbaues bildete.
Schlimmer noch stands in Annaberg selbst. Von dem zwei-
ten Pfarrer der Kirche, Johannes Pfennig, ging bereits 1500 das
Gerücht, er wolle nach Prag gehen um Bifchof bei den Huffiteu
zu werden. Wirklich floh er 1501, weil er den „Ablaß und andere
Irrtümer des Papstes" verwarf. Aber er wurde gefangen und
starb aus der Beste der Meißner Bischöfe, auf dem Stolpen. Das
war 16 Jahre, ehe Luther seine Thesen wider den Ablaß an die
Thür der Wittenberger Schloßkirche schlug, ö Jahre ehe Tetzel
109
ins Land kam. Sein Nachfolger Wolf Messerschmidt widerstand
nicht der Lockung selbst Bergbau zu treiben, und sammelte großen
Reichtum. /Das hinderte ihn aber nicht, in seinem Hause das
Freibier öffentlich zu verzapfen, welches einen Teil seiner Be-
soldung bildete. Er tanzte auf offener Straße, zechte und prügelte
sich, lebte in Unzucht, der Gemeinde zum Aergernis, kümmerte
sich wenig um Messen und Gottesdienst. Alle Klagen gegen
ihn halfen nichts, bis er 1519 seines Weges nach Wittenberg
zog. Er mochte hoffen von der neuen Lehre Vorteil zu ziehen.
Der Kaplan Moritz, der sich nachsagen lassen mußte, oft im
Trunk viel Schläge erhalten zu haben, wurde 1519 im Streit
erstochen. Es kamen 1518 Unterhändler nach Annaberg, welche
vier Tage lang wegen des Streites der Geistlichen unter sich
verhandelten, „weiß aber niemand wie die Sache vertragen worden,
denn sie trunken, daß man sie mußte nach Hanse auf den
Mist tragen." Der Spitalpfarrer, Balten Barchel, wurde auf
unsittlicher That ertappt. Sein Vorgänger, Johann Pachmann,
hatte vor Herzog Georg wegen Ketzerei flüchten müffen. Aus
gleichem Grunde wurden Johann Lindmann, Lorenz Lautenbeck
und andere Franziskanermönche verhaftet. Es ist beachtenswert,
daß der Rat von Annaberg hernach den Beginn des Bauern-
krieges auf das Gebühren der Geistlichkeit schob, die in den Bierhäusern
mit leichtfertigen Leuten disputiere und vom Predigtstuhl schelte.
Johann Zeidler, der sechste Pfarrer von Annaberg in wenig Jahren,
war jener, von dem Kurfürst Johann Friedrich zu Sachsen 1530
sagte, nachdem er ihn in der neuen Kirche hatte predigen hören:
„Der Vogelbauer ist schön, aber der Vogel singt nichts gutes."
Als Freund Tetzels war er die Veranlassung, daß dieser zwei
Jahre sich in Annaberg aufhielt, ein „unverschämter Manu und
grober Katholike", wie ein Chronist sagt. Später verdrängte ihn
die Reformation.
Man würde unrecht thun, wollte man die Parteistellung für
das Entscheidende halten, ob die Geistlichen sich eines ihres
Amtes würdigen Wandels befleißigten. Auch die Reformation
mußte die Männer übernehmen, welche sich ihr anschlössen
und mit ihnen ihre Unsitten. Aber es ist doch erfreulich zu
sehen, daß ein anderes Geschlecht aus dem Pfuhle empor-
110
wuchs, etn sittlich gereinigtes, besseres, wenn auch keineswegs ein
absolut gutes!
Wir wissen wenig von den Lehrern der Annaberger Schulen.
Magister Simon Aws war einer, er wurde der erste Verkünder
des Evangeliums in der böhmischen Bergstadt Joachimsthal.
Aber die Schüler sprechen dafür, daß die Lehre eine gute war.
Aus Franken herauf kam 1503 Friedrich Mykonius als 13 jähriger,
die Schule zu besuchen, den sein Vater schon mit ketzerisch-evangelischer
Lehre erfüllt hatte, ehe ihn die Erkenntnis des sittlichen Verfalles
der Welt gleich Lutheru in das Auuaberger Franziskanerkloster
führte. Adam Riese, der berühmte Annaberger Mathematiker,
dessen Namen das Sprichwort in aller Munde erhielt, mag
neben ihm gesessen .haben, Johann Psefsinger, eine der ehr-
würdigsten Erscheinungen der Reformation, kam von Wasserburg am
Inn, um die Schule zu Annaberg zu genießen. Johann Rivius ge-
hörte ihr an. In etwas späterer Zeit stand Leonhard Badehorn
als Rektor der Anstalt vor, der später am Hofe des Kurfürsten
Moritz als Theologe und Politiker zu Einfluß kam.
So sehen wir die junge Stadt auch in geistiger Beziehung
schnell zu einem wichtigen Punkte sich erheben. Auch hier setzte
sich, wie Jahrhunderte früher in Freiberg, das Silber bald in ein
lebhaftes bürgerliches Leben um. Wir haben wenig Anhalt dafür,
woher diegroßen Volksmengen kamen, welche plötzlich in Annaberg
sich begegneten. Viele mögen aus deu umliegenden Ortschaften zu-
geströmt sein, andere aus weiterer Ferne. Böhmen und seine
Bergwerke lieferten eine große Anzahl. Aus Nürnberg kamen
Männer, welche zum Teil mit Geldmitteln ausgestattet waren. Jene
Zeit sah das deutsche Volk überhaupt in merkwürdiger Bewegung.
Mit Staunen liest man in den Lebensbeschreibungen z. B. der
Geistlichen und Schulmänner, wie sehr auch Gebildete geneigt
waren, den Stab weiter zu setzen, wie nnstät sie hin und her
wanderten. Die Baurechnungen allein geben einigen Anhalt für
das Leben aus den Werkplätzen. Aber auch sie sind selten. Wir
müssen die Beispiele auch benachbarter Städte heranziehen. So
ergeben die Lohnlisten der Kreuzkirche in Dresden von 1493/94oti),
daß bei einem dnrchschnitlichen Stand von 8—10 Steinmetzen
am Bau in einem Jahre nicht weniger als 41 Gesellen angestellt
111
wurden. Manche arbeiteten ein paar Tage, andere ein paar
Wochen. Am Ende des Rechnungsjahres waren trotz des angen-
blicklich starken Betriebes mit 16 Gesellen außer dem Polierer
Gregor Schulmeister nur noch drei Gesellen auf dem Bau,
welche ein Jahr lang ausgehalten hatten, abgesehen von den fünf,
welche im Stücklohn arbeiteten. Die Mehrzahl der Gesellen stammten
aus den sächsischen Nachbarstädten, doch kamen auch solche aus
Landshut, Hof, Gratz, Meiningen, ein Bayer, zwei Schlesier, je einer
aus Liegnitz, aus Bautzen, aus Bischosswerda vor. Bei vielen fehlt
die Angabe ihrer Herkunft, wohl weil sie aus der Nähe kamen.
Im Rechnungsjahr 1518/19 der Annenkirche zu Annaberg
arbeiteten bei einem Betriebe mit etwa 10—29 Steinmetzen 52
verschiedene Gesellen am Bau, vou welchen acht bei ihren Familien-
namen genannt werden, zehn aus dem jetzigen Königreich Sachsen
stammen, während der Rest weither zugewandert war. Aus
Franken, Würzburg, Schweinfurt, Hof stammten 7; aus Schwaben
und Baden: Maulbronn, Durlach, Augsburg 8; aus Hessen und
vom Rhein: Wezlar, Büdingen 3; aus Oesterreich: Steyer, Lienz,
Bötzen, Kärnten, 5; aus Thüringen 3 Gesellen. Einer kam sogar
von Zug.
Es ist begreiflich, daß eine so leicht bewegliche Gesellschaft
wie diese wandernden Steinmetzen den Meistern viele Sorge
bereitete. Zwar erhielt sich ein Stamm tüchtiger Arbeiter, aber
die Mehrzahl derselben lockte der Bau nicht zum Verweilen.
Wenngleich in den anderen Gewerben, welche in jeder Stadt
seßhafte Zünfte besaßen, bessere Verhältnisse obgewaltet haben mochten,
so zeigt das eine Beispiel doch, wie wenig jene Schilderungen
der „guten alten Zeiten", als einer Zeit der Dauer im Wandel,
auf den Vorabend der Reformation paßt.
Aber nicht nur ehrsame Handwerker zogen die Straßen des
Erzgebirges, fanden den Weg durch seine Wälder und Thäler:
Wilde Gesellen kamen aus allen Landen herbei. Schon in
Schneeberg hatten sie allen Gesetzen Hohn gesprochen. Das
Augenmerk aller jener, die im Leben Schisfbruch erlitten hatten,
war auf die verlockenden Schätze des Erzgebirges gerichtet, auf
die neue Glücksstadt Annaberg. Schon in den ersten Jahren
der Stadt wurde sie „mit Gewalt volkreich", entstand ein großer
112
Aufruhr zwischen dem Volk unter den Bergleuten, so daß der Amt-
leute nicht genug waren, um die Streitigkeiten zu schlichten. Bald,
1503, brauchte man wegen der Menge des Volkes „einen anderen
Schrecken" als die gewöhnlichen Gerichte; 1510 baute man den
Rabenstein; 1511 entstand ein Aufruhr der Fleischer, dann der
Bäcker, welche einen Konkurrenten vertrieben, der Kümmelbrod
gebacken hatte. Ein großer Aufruhr richtete sich gegen die „von der
Schauben", alfo die Reichen, so daß man Tag und Nacht im Harnisch
reiten mußte. Vom Jahr 1518/19 sind uns die Verzeichnisse jener
Strafen erhalten, welche der Rat verhängen durfte. Da finden
sich 18 Fälle des „Haderns" d. h. lärmenden Streitens, 40 Fälle
von Raufen, 11 Fälle, daß das Messer oder die Wehr gezogen
wurde, viermal mußte wegen Widersetzlichkeit, dreimal wegen Ein-
bruch in die Häuser, dreimal wegen Unfrieden im Frauenhause gestraft
werden. Zwei Morde wurden durch Sühne vom Rat selbst gestraft,
wegen drei Morden wendete man sich an das Leipziger Schöffen-
gericht. Ein Mordfall, welcher die Stadt in Aufregung verfetzte,
geschah im Jahr 1514, als ein heruntergekommener vom Adel,
Wilwald Dyrmann, mit einem Spießgesellen den reichen aus
Nürnberg eingewanderten Kaufmann Johann Mengemeyer nieder-
stieß. Des Mörders Vetter, ein gleichfalls uustät herumschweifender
Adliger, Philipp Weysenburg, hatte ihn gedungen, um an Menge-
meyer Verrat und Fälschung zu rächen. Die Mörder starben
am Rade. Vier Jahre darauf erstach Hans Hünerskopf, ein
stattlicher Bürger, den Kaplau Moritz.
Der Kampf um's Dasein wurde mit roher Gewaltthätigkeit
betrieben. Auch die Großen bedienten sich rücksichtslos ihrer
Macht. Zwar bestanden gegen Ausbeutung der Kräfte des Berg-
manns durch die Grubenbesitzer bereits Gesetze: die Schicht war
auf 8 Stunden festgesetzt, für Bergpolizei wurde gesorgt. Die
Stadt hatte selbst seit 1497 Stadt- und Bergrecht, die Einwohner
wählten unter sich selbst Richter und Geschworene, die über
„Schulden und Gulden, Scheltworte, geschlagene oder geworfene
Male, die nicht aufgelauffen oder wnndt sind, zu richten" hatten.
Der Bergmeister, dessen Aufgabe es auch fönst war für Lebens-
mittel zu sorgen, den Bergbau und seine Arbeiter zu überwachen,
hielt mit zwei Landvoigten das Berggericht.
113
So stellt sich das Leben einer erzgebirgischen Stadt jener
Zeit dar. Aus der Gewissensangst, aus dem Erschrecken vor der
eigenen Verrohung ging das Bedürfnis hervor, sich in kirchlichen
Werken zu bethätigen. Diese Stadt brauchte daher zur Be-
srieduug ihres Bußbedürfnisses Bauleute, ihr Heiligtum zu schmücken.
Auch diese waren in dem jungen Anwesen nicht heimisch, sondern
mußten von auswärts berufen werden.
4. Die Annaberger Steinmetzen.
Die alten Chroniken bezeichnen Conrad Schwad, wie bereits
gesagt wahrscheinlich dieselbe Person wie Conrad Pflüger, als
den Meister, der den Bau anlegte.
Als Polier des Meister Conrad erscheint Jobst im Jahre
1502. Jost von Schweinfurt heißt ein Meister, der die
Straßburger Ordnung von 1459 im Jahre 1468 unterschrieb.
Zwei Schweiufurter Meister wurden bald darauf die Bauleitenden
in Annaberg, seit der erste Meister Peter von Pirna sich zurückzog:
Jacob von Schweinfurt als Werkmeister und Peter von
Schweinfurt als Polier. Meister Jacobs Zeichen kennen wir
wir aus seinem Siegel; es ist folgendes:
Er nennt seinen Namen auf dem Siegel durch die Initiale
I EI. Nun wird ein Meister Jacob ^ Hellwig als zu jener
Zeit am Bau beschäftigt genannt, und zwar als derjenige, welcher
die Emporen ausschmückte. Aber gerade dieser Emporenbau
vollzog sich untei Meister Jacob von Schweinfurt. Es ist
also wohl zweifellos, daß Hellwig dessen Familienname war.
Er erscheint wieder bei dem in Rothenburg a. T. arbeitenden
Meister Hans von Annaberg, welcher den Familiennamen Hall-
weg trägt. 6')
An der künstlerischen Ausstattung der Kirche arbeitete eiu
Bildhauer mit, Franz von Magdeburg. Der Goldschmied
Hieronymus von Magdeburg, welcher im Rate der Stadt
Sitz und Ansehen erlangte, war vielleicht dessen Verwandter.
Jedenfalls war er es, der neben dem Bauverwalter des Rates,
Dickmichel, und Meister Jacob 1518 vom Rat wegen des Kirchen-
baues an den Herzog Georg gesendet wurde. Diese Beteiligung
Gurlitt, Kunst und Künstler. g
114
eines Bildhauers am Bau brachte bald schwere Zerwürfnisse mit
den süddeutschen Steinmetzhütten.
Meister Jacob war in der Straßburger Hütte, vielleicht noch
von seinem Vater her, gebrudert.^) Aber er fand in Meißen
alte Herkommen, welche mit jenen in Oberdeutschland nicht über-
einstimmten. Seit mehr als hundert Jahren galt als Recht
daß der Lehrling in 4 Jahren freigesprochen werde. Das bestätigt
auch die Erfurter Ordnung von 1423. Es stand, wie aus ver-
fchiedenen Andeutungen hervorgeht, den Hütten frei, auch solche
Künstler, welche nicht um Steinwerk dienten, zum Bau zuzu-
ziehen. Es thaten dies ja auch die Schlesier vor dem Eingreifen
Meister Conrads.
Die Hütte von Magdeburg nahm damals einen neuen
Aufschwung. Namentlich die eigenartigen stumpfen Turmhelme
wurden erbaut, der Dom damit endgiltig fertig gestellt. Bis
dahin hatte Meißen dem Tieslande Künstler gegeben: Hans
Reynhart in Weißensels, Hans Kümelke und sein Sohn
Matthes, die Erbauer der Nicolaikirche in Zerbst (1446—1486),
wie Lorenz Pfennig, der Erbauer des Nordturmes an der
Wiener Stephanskirche, stammten aus Dresden, Michel von
Wolken st ein, der den Turm der Frauenkirche in Halle baute,
war 1519/20 in Annaberg thätig. Meister Hans von Torgau
hatte am Schloß zu Meißen unter Meister Arnold gearbeitet.
Die Verbindung zwischen den Hütten war immer reger ge-
worden. In Magdeburg war Meister Bastian Binder Hütten-
meister. Er begehrte, wie später die Annaberger sagten, in Straß-
bürg das Handwerk und hoffte somit die Steinmetzen von Meißen,
Sachsen und Thüringen unter sich zu bringen. Man sendete ihm
die Kopie der Kaiserlichen Konfirmation vom Jahre 1498 und
nun begann er „gewaltiglich" die Satzungen derselben zur Durch-
führung zu bringen. Sein Wirken scheint etwa 1516 begonnen
zu haben. Denn das Siegel ^ der Steinmetzen zu Magdeburg
zeigt neben dem Zeichen Binders diese Jahreszahl. Er war es,
der nun die Straßburger Regel ^ zur Durchführung bringen
wollte, daß jene Gesellen, welche nur 4 Jahre gelernt haben, 2 fl.
Strafe zahlen sollten, ehe sie auf Hütten der Brüderschaft gefördert
würden. Nun war er sich bewußt, daß das Brüderbuch „mit
115
Rat der Werkleute nach Gelegenheit und Notdurft eines jeden
Landes verändert und verbessert" werden dürse. Aber der Kaiser
und die päpstliche Legation habe die Hauptartikel konfirmiert und
bestätigt, die ein jeglicher Steinmetz bei schwerer Strafe brauchen
solle. Gestützt aus die Verordnung des Meisters Hans Hammer
obersten Conservators der Hüttenbrüderschaft am Straßburger
Münster, hielt er sich für befugt, die Ordnung „zu beständigem Ge-
brauch zu fördern." Dieser Hans Hammer war einer der Meister
der geometrischen Künste in der Spätgothik im Gegensatz zu der
mehr plastischen Richtung, welche neben dieser herging. Geboren
wie es scheint zu Meyger in Franken zeichnete er sich 1471 zu
Wertheim in die Liste der Straßburger Hütte ein. Vorher war
er in Basel gewesen, 1486 bis 1487 war er am Straßburger
Münster, später in Zabern thätig, um dann wieder an den
großen Rheinischen Dom zurückzukehren, den seine Kunst mit
der prachtvollen, überreich geschmückten Kanzel beschenkte. Man
rühmt ihm besondere Entschiedenheit in Vertretung der Hütte
nach. Meister Binders und seine Thätigkeit scheint in den
geistlichen Gebieten Unterstützung von den Behörden gefunden
zu haben. Man hört nichts von Störungen aus jenen Landes-
teilen. Ja auf dem Tage zu Halle 1517 zeigen sich bei ändert-
halb hundert Meister mit einem Vorgehen einverstanden, welches
bald die Frage der Macht Straßburgs zu einer prinzipiellen
Entscheidungsührensollte.Halle besaß damals in Nicolaus
Hofmann einen Hüttenmeister, ^<der sich ganz der Schule der
Meißener anschloß und nament- * lich int Gewölbebau Außer-
ordentliches leistete, später einer der tüchtigsten Vorkämpser der Re-
naissanee wurde. Aber er scheint entschieden zur Magdeburger
Hütte sich gehalten zu haben.
Jacob von Schweinsnrt konnte der Unterstützung des Anna-
berger Rates sicher sein. Jene Zusammenkunft von Sachver-
ständigen und das von ihnen seinem Werk gespendete Lob mußte
seine Stellung befestigt haben. Auch sein Genosse, Meister Franz,
fand volle Anerkennung.
Wir wissen aus der einzig erhaltenen Stadtrechnung von
1519—1520 ziemlich genau, was dieser am Bau ausführte: nämlich
die Bildhauerarbeiteu, jene Reliefs an der von Jakob erbauten
8*
116
Empore, jene Köpfe, welche die abgebrochenen Gewölbrippen der
Sakristei zieren. Es arbeitete hier also ein Bildhauer in Steinwerk.
Er that das mit Wissen und Willen der Hütte: 24 Steinmetzen
hatten beschlossen, daß Meister Franz zu erlauben sei, daß er
Steinmetzen in seine Dienste nehme, „fördere". Die Hütte selbst
hatte es ihm gestattet, nicht blos ein einzelner Meister. Es lag
hier also die Veranlassung zu einem Hüttenstreit vor, wie er auch
sonst öfter stattgefunden hatte, wie ihn in der Lausitz Meister
Conrad Pfluger allen: Anscheine nach grundsätzlich durchzufechten
bestrebt war.09)
Aber es kam noch hinzu, daß Meister Binder die Straßburger
Bestimmung, jeder Geselle, der nur vier Jahre gelernt habe, solle
2 st. Strafe zahlen, ehe er an Brüderhütteu gefördert werde, nun
erst thatkräftig zur Geltung brachte. Diesem Gesetz dachte man
sich in Meißen nicht zu fügen, man bestritt Binders und der
Straßburger Recht in Meißen zu strafen, man berief sich auf
das alte Herkommen des Landes.
Zunächst suchten die Straßburger den Meister von Anna-
berg, Jakob vou Schweinfurt, dadurch einzunehmen, daß sie ihm
wie dem Magdeburger Werkmeister, ein Bruderbuch anboten mit
„Obrigkeit in Meißen", damit die „gezänkischen Parteien" nicht
außer Landes gefordert würden. Aber Jakob erinnerte daran, daß
in Dresden schon eine Brüderschaft für Meißen angefangen habe,,
der er willig seinen Büchsenpfennig geben wolle.
Der Streit gegen die Magdeburger einte die Gegner. Am
Annentage 1518, alfo am 26. Juli, traten sie zu einem Tage in
Annaberg zusammen. Es waren die Meister aus Meißen, Böh-
men, der Lausitz und aus Schlesien vertreten. An ihrer Spitze
stand Benedikt Rned, der Werkmeister des Veitsdomes zu Prag,
dem man nnangezweiselt den Vorrang ließ: Es zeigt sich, daß
die Meister jener Lande in Prag dauernd, noch aus der Zeit
Kaiser Karls IV. her, ihren Vorort erblickten. Den offenen Brief,
welchen der Steinmetztag erließ, untersiegelte das ehrbare Hand-
werk der „Steinmetzen auf Saut Auuaberck" mit einem 1518
datierten Siegel, sowie Benedikt mit seinem „verdienten, erblichen
Sekret". Dies enthält ein Wappen mit nach links schreitendem
Löwen, der einen Zirkel hält, geschlossenen Helm mit quadrierten
117
Flügeln, darauf wieder einen Zirkel und zwei Spruchbänder, mit
leider unleserlicher Inschrift. Also führte Benedikt, als vornehmer
Herr und über der Zunft stehender Meister, selbst auf einem
Steinmetztage nicht ein Zeichen.
Die Annaberger erklärten sich entschieden gegen die Anma-
ßnng von Magdeburg und drohten mit Gegenmaßregeln. Die
wichtigste derselben war, daß sie nun Dresden zur Haupthütte
und Hans Schicketantz, den Meister der Kreuzkirche daselbst, zum
Hüttenmeister ernannten. Ja, sie erbaten sich am 2. November
1518 vom Herzog Georg die Gunst, er möge den Kaiser bestim-
men, ihnen eine Befreiung auf ihre Ordnung zu senden, damit
sie sich in Meißen nach ihrem alten Bruderbuch verhalten könnten,
welches vier Meister handhaben sollten, und damit sie ein eigenes
„Sekret," einen Zirkel in schwarzem Schild erhielten.
Dickmichel, Hieronymus von Magdeburg und Meister Jakob
verzehrten 2 Schock 37 Gr. auf der Reise nach Dresden, welche
der Rat zahlte. Man suchte die Sache zu betreiben, solange
Meister Erasmus beim Kaiser sei, d. h. solange jener Künstler,
der das Gewölbe der Annenkirche entworfen hatte, sich bei dem
greisen Maximilian befinde. Dieser aber war damals seinem Ende
nahe: Er starb zu Wels am 12. Januar 1519. Schwerlich hat
ihn die Bitte der Annaberger noch erreicht.
Sehr bezeichnend ist die Art, mit welcher Herzog Georg die
Angelegenheit auffaßte. Er fragte zunächst bei den Magde-
burgern nach den päpstlichen Bullen, auf welche sie sich beriefen.
Diefe waren aber nicht zur Hand, es mußte die Urschrift in
Straßburg eingesehen werden. Aber sichtlich machten dieselben
wenig Eindruck auf den sonst so eifrig für Stärkung der katho-
tischen Sache bedachten Fürsten. Er schrieb am 23. Februar 1519
an das Kapitel zu Magdeburg, es solle Meister Binder verbieten,
in den herzoglichen Landen Ordnungen machen zu wollen. Schon
vorher hatte er dasselbe dem Rat der Stadt Magdeburg geschrieben,
der sich am 14. Januar 1519 damit entschuldigt hatte, Binder
sei Dommeister und unterstehe ihm also nicht. Am 15. September
1519 war Herzog Georg selbst in Annaberg, bald darauf, vor
dem 17. November, war der eifrigste Förderer des Hüttenwesens,
der Straßburger Meister Hans Hammer gestorben.
118
Sein Nachfolger, Bernhard Nonnenmacher von Heidelberg,
zog alsbald mildere Saiten auf. Man kam dahin überein, daß
zwei Annaberger Gefellen nach Straßburg reisen follten, um die
Bruderbücher einzusehen. Man wählte zwei Arbeiter, «welche
schon 1518 am Bau beschäftigt waren, Barthel von Durlach und
Thomas von Liuz, also zwei Leute, welche ursprünglich der
Straßburger oder Wiener Hüttengemeinschaft angehört haben dürf-
ten. Der Erfolg ihrer Sendung war, daß Meister Bernhard
auf den Sonntag Jndiea 1521 einen neuen Tag zu Halle an-
setzte, dessen Zweck ein Vergleich zwischen Jakob und Binder sein
sollte. Jedenfalls endete dieser nicht mit dem Nachgeben der
Meißener in den wichtigsten, grundsätzlichen Fragen, solange Herzog
Georg mit Eifersucht über das Fernhalten fremder Rechte aus
feinem Lande wachte. Die großen Wirren brachten überhaupt
bald eine allgemeine Stockung ins Bauwesen.
5. Der Erzgebirgische Kirchenbau.
Die Meister, welche sich gemeinsam gegen die Angriffe der
oberdeutschen Hütten verteidigten, führte auch eine gemeinsame
Kunstanschauung zusammen.
Dafür sprechen die Grundrisse der erzgebirgischen Kirchen.
Die zu Annaberg (Abb. 10) besteht aus drei Schiffen, von welchen
das mittlere nur wenig breiter ist als die äußeren. Gegen Osten
find drei aus dem Achteck gebildete Chorbauten angeordnet. Der
Bau bildet im übrigen ein Rechteck, welches etwa doppelt fo
lang als breit ist.
Die Kirche zu Pirna entspricht Annaberg fast völlig. Ab-
gesehen davon, daß der nördliche Chor verkümmert ist, weil dort
Nachbarbauten die Ausgestaltung der Kirche erschwerten, sowie daß
die Gesamtanlage etwas kürzer ist, decken sich die Systeme auch
hinsichtlich der je sieben Gewölbjoche und hinsichtlich des An-
schlnsses der rechtwinklichen Sakristei an das zweite Joch — vom
Chor gezählt. Auch die Anlage je eines massigen Turmes an
der Südwestecke ist beiden' Bauten gemeinsam. In dieser Plan-
bildnng sehen wir die ältere Schule jener Gegenden. Denn die
Pirnaer Kirche entstand seit 1504, ihr Meister dürfte jener
119
Peter von Pirna gewesen sein, von dem wir wissen, daß er
vor Jakob von Schweinfurt in Annaberg baute und daß er 1512
Werkmeister in Pirna war, vielleicht jener Meister Peter, der
1480 aus Füßen in Bayern nach Dresden kam, um den „Oelberg"
an der Frauenkirche zu fertigen. Diese Grundrißform war keine
neue. Ihre Wahl in Annaberg war vielleicht sogar bei Conrad
Pfluger, der f. Z. der Gefährte des Blasius Börer beim Bau
des heiligen Grabes in Görlitz gewesen war, durch Jerusalem
beeinflußt. Denn Börer hatte dort sicher auch die Abtei St. Aunae
besucht, welche im 12. Jahrhundert von den Kreuzfahrern über
der Gruft der Großmutter Christi errichtet worden war.™) Auch
sie zeigt jene Form, und war eine jener Heilstätten, welche damals
kein Wallfahrer unberührt ließ. Auch die Petrikirche zu Görlitz,
an der Pfluger Anteil hat, aber auch manche ältere Bauten, zeigten
denselben Chorabschluß. Schwerlich ist aber die Annenkirche in
Jerusalem allein maßgebend gewesen. Das Vorbild der Teynkirche
zu Prag und anderer verwandter Bauten wirkte jedenfalls mit.
Der dortige Chor findet sich z. B. schon 1388 an der Moritzkirche
zu Halle wiederholt.
Aber zwischen allen diesen Bauten und Annaberg besteht ein
sehr entscheidender Unterschied. Dort sind die Umfassungsmauern
zwischen die inneren Endungen der Strebepfeiler gestellt, so daß
diese nach außen die Waudfläche gliedern, hier ist die Außen-
wand völlig glatt gebildet, sind die Streben ganz nach innen
gezogen.
War das von jeher die Absicht des entwerfenden Bau-
meisters? Wir erfuhren, daß 1499 der Bau der Steinkirche
begann und zwar 1507 die ersten „Pfeiler", also doch wohl
freistehende Pfeiler, angelegt und die Umfassungsmauern aus dem
Grunde gehoben wurden, die dann 1512 fertig waren. Da nun
von 1499—1507 der Bau „im vollen Schwange" war, so
kann in dieser Zeit nicht gut etwas anderes gebaut sein als die
Strebepfeiler, welche jedoch noch nicht auf Aufnahme von Em-
poren berechnet waren, denn wir erfahren, daß deren Widerlager
erst nachträglich eingebrochen werden mußten. Es hat demnach
den Anschein, als sei ursprünglich die Lage der Umfaffungs-
mauern anders geplant gewesen, als sie später, unter Meister
120
Jakob, ausgeführt wurde. Peter von Pirna und Conrad Pfluger
blieben demnach im wesentlichen bei der Hallenkirche stehen. Die
folgenden Meister gingen erst zur Emporenkirche über, den zweiten
Schritt zu einer neuen, nicht mehr mittelalterlich gedachten Kirchen-
form wagend.
Meister Hans von Torgau uud Meister Beuedix Rued
liefern die Beweise hierfür. Ersterer in der feit 1516 begonnenen
Wolfsgangskirche zu Schneeberg, letzterer an den von ihm beein-
flußten nordböhmischen Bauten. Eine der ersten unter diesen
ist die Kirche zu Laun, deren drei Schiffe zwar je einen Chor-
abschlnß für sich haben, die Seitenschiffe einen solchen aus zwei
Seiten des Vierecks; aber diese Chorbildung ist bei der Weite
der Schiffe, bei dem saalartigen Grundwesen des Baues so
unselbständig, daß der Barockmeister, welcher den gewaltigen
Altar errichtete, es für angemessen hielt alle drei Chöre für einen
zu nehmen und sein mächtiges Werk über die ganze Breite der Kirche
auszudehnen. Das entspricht auch der Emporenanlage an der West-
seite, welche die drei Schiffe wieder zusammenfassend den saalartigen
Eindruck noch im hohen Grade verstärken hilft. Eine andere Form
der Saalkirche trotz ihrer drei Schiffe, bildet die Dechanteikirche zu
Brüx (1517), wieder ein Werk des Benedix Rued. Die Grundform
ist zwar nicht neu. Es ist hier das Mittelschiff durch Engerstellung
der beiden Ostpfeiler chorartig abgeschlossen und die Umfaffungs-
maner aus fünf Seiten des Zwölfecks gebildet, eine Anordnung
wie sie seit dem 14. Jahrhundert öfter vorkommt. Es bildet sich
so ein hallenartiger Umgang um den Chor. In Brüx sind aber
die Strebepfeiler vollständig in das Kircheninnere hineingezogen,
so daß die Umfassungsmauern außen glatt emporsteigen. Der
Emporenumgang über den eingebauten Kapellen erstreckt sich nun
auch über den Chor, so daß die ganze Kirche gleichmäßig von
ihm umschlossen ist. Die reiche, bildnerische Ausschmückung der
Emporeubrüstuugen, die feine Gliederung der Pfeiler, die die
Decke zu einem Ganzen zusammenfassende Bildung der sich durch-
dringenden Kurvenrippen, die Stellung der Kanzel — Alles
dies giebt der Kirche im hohen Grade den Eindruck des Saal-
artigen, des Gemeindebaues, der Predigtkirche, foweit dies bei
gothischen Formen überhaupt erreichbar ist.
Ganz ähnlich ist die Schneeberger Kirche gestaltet (Abb. 11 u.12).
Auch sie hat einen Chor, der aus fünf Seiten etwa des Zwanzigecks
gebildet ist, also flacher als der von Brüx. Schon hielt man nicht
mehr für nötig dem Mittelschiff einen chorartigen Abschluß zu geben.
Der Altar steht frei vor der ringsum laufenden, den Eindruck
des Raumes künstlerisch beherrschenden Empore. Diese Form war
122
entlehnt von der Marienkirche zu Zwickau, welche 1465 bis 1475
erbaut wurde.
Abbildung 12. St. Wolfsgangskirche zu Schneeberg.
System der Längswände.
In Schneeberg legte Meister Hans von Torgau, um Platz
auf der Empore zu schaffen, die Strebepfeiler breiter an, als er
sie für das mit Kühnheit und Geschick auf schwache Stützen
123
gestellte Gewölbe brauchte. Ein Blick in die Kirche belehrt,
daß man es hier mit einem Predigtraum zu thun habe und daß
die Pfeiler nicht mehr den Zweck haben den Raum in Schiffe zu
teilen, fondern daß sie eben einfach nicht zu vermeiden waren, um die
Decke zu stützen.
In der Kirche zu Oederan (Abb. 13) aber, wie in jener zu
Penig und Geithain, sämtlich kleineren Orten des Erzgebirges, ließ
man auch die Stützen fort und fchnf lediglich den von Emporen
umgebenen Saal, an den der Chor als etwas Selbständiges sich an-
legt. Das rechtwinklige Langhaus der Frauenkirche in Halle,
welches ein Erzgebirgischer Meister, Hans von Wolkenstein, 1507
bis 1513 baute, hat eigentlich gar keinen Chor.")
Am entschiedensten und merkwürdigsten zeigt sich die neue
Richtung an der Kirche zu Joachims thal, welche erst nach
dem Beginn der lutherischen Reformation angelegt wurde. Die
böhmische Bergstadt ist in vielen Beziehungen eine Tochter Anna-
bergs. Als hier der Bergfegen sank, kam er dort aus. Dort
wurde denn auch vollendet, was hier die Geister beschäftigte.
Die Joachimsthaler Kirche ist ein rechtwinklicher Saal, der nach
älteren Plänen zwar einst Holzstützen hatte, dessen Decke aber
sich wohl früher frei trug. Die Emporen mögen frei in den
Raum eingebaut gewesen sein. An Stelle des Chores findet sich
eine flache Nische, hinter der die Emporentreppe liegt. Diese ist
zu einem Thurme ausgebildet. Die ganze Anlage ist sehr
nüchtern, ein Versuch — aber sie ist durchaus protestantisch,
durchaus zweckmäßig, durchaus im bewußten Gegensatz zu der
Altarkirche des alten Glaubens errichtet; so daß hier dem Katho-
lizismus ernste Schwierigkeiten erwuchsen, als er den Bau
für feinen Gottesdienst einrichten ließ.
War also das Aufgeben der malerisch reizvollen Grundriß-
formen der Gothik zu Gunsten einer möglichst klaren, einheit-
lichen Raumgestaltung ein Werk des Bestrebens, Predigt- und
Gemeindekirchen zu schaffen, fo zeigt sich dies auch in der
Pfeilerbildung. Die Pfeiler wurden nun fast zum notwendigen
Nebel, notwendig, da man weite Räume nicht zu überwölben
vermochte, ein Uebel, weil sie in den Räumen den Verkehr nur
hemmten. Man bildete sie deshalb so einfach als möglich, gab
125
ihnen einen Querschnitt, dessen flache, steglose Kannelüren an die
dorische Sänle mahnen nnd snchte einen Stolz darin, die Zahl der
Stützen nnter den Gewölben thnnlichst zn beschränken. Dabei war
man bestrebt, den einzelnen Schiffen den proeessionsartigen Charakter
zn nehmen, indem man die Gewölbe der drei Schiffe zn einem Ganzen
gestaltete, nicht aber, wie früher, die Verbindnngsbogen in der
Achsenlinie der Pfeiler kräftig hervorhob. Schon an der Görlitzer
Kirche sind die Verbindnngsbogen nnr wie Gewölberippen profilirt,
ist ihre Hauptlinie durch Sterne dnrchbrochen. In Schneeberg
ist das sehr nüchterne System der Gewölblinien in allen drei
Schiffen dasselbe, in Laun tritt eine Eigentümlichkeit der Spät-
zeit der Gothik auf, daß die Rippennetze aus Kurven gebildet
sind, eine Erscheinung die sich in Brüx, am Hauptchor in Pirna,
am Chor der Stadtkirche zu Lommatsch (1505) nnd an der
Annaberger Kirche wiederholt. Diese Formen finden sich anch
wieder am Wradislavsaale des Schlosses ans dem Hradschin nnd in
dem erst durch Jaeob von Schweinsnrt errichteten Wappensaale
der Albrechtsbnrg in Meißen (Abb. 2). Eine merkwürdige Kapelle,
die Annenkapelle im Domkreuzgange zu Freiberg, ein reines
Rechteck, dessen Knrvengewölbe nur auf zwei Pfeilern ruht, zeigt
die nüchtern klaren Ziele als erreicht.
Von besonderer Wichtigkeit ist zu seheu, wie die Architekten
sich den Emporen gegenüber verhielten. Im Dom zu Freiberg
finden diese sich nur an den Schiffwänden (Abb. 6). In Zwickau
ist, wie gesagt, dieselbe Anordnung. Dort wurde 1506 zunächst
die nördliche Mauer „hinausgerückt" d. h. an die Außenkante der
bestehenden Strebepfeiler eine neue Außenwand mit kurzen Pfeilern
angebaut. (Abb. 14). Im Jahr 1517 geschah dies auch an der Süd-
mauer. Nun richtete man neben den Pfeilern des Mittelschiffes der
altenKirche die neuen, schwächeren Pseiler auf, spannte die Gewölbe
ein und konnte dann die alte Kirche ans dem Innern der neuen
entfernen. Dieselbe Bauweise wurde ja auch in Annaberg an-
gewendet, wo man um die alte Holzkirche den neuen Bau herum
aufführte. Da der Zwickauer Chor jünger und viel kunstreicher
war als das Langhaus, zog man ihn nicht mit in den Umbau
hinein. Aber man durchbrach doch die Nordwand des Chores
nach der dort anstoßenden Kapelle und bildete über dieser
126
eine neue Empore. Eine Doppel-Wendeltreppe, wie eine solche
hinter dem Altar zu Brüx steht, erleichterte den Gang und
Abbildung 14. Marienkirche zu Zwickau. Empore und Pfeiler an der Nordseite
des Chores. Man sieht links die Empore von I5V6, rechts die über der Nordkapelle
angelegte Empore, in der Mitte die Wendeltreppe.
Wandel zu beiden Emporen. Denn sie war so angelegt, daß
zwei Spiralen um eine Spille gelegt waren, "also die Auf-
steigenden den Absteigenden nicht zu begegnen brauchten. Das
127
Umschließen des Chores mit Emporen war auch an der Stadt-
kirche zu Plauen i..V. unmöglich, da ein alter romanischer Bau
zu Grunde liegt. Aehnlich lag die Sache in Chemnitz und
in Jena.'2)
In Annaberg entwickelte sich der Emporenbau nur schritt-
weise, der älteste Teil ist die „Musika", die Orgelempore an
der Westseite, welche 1511 entstand. Eine solche Anlage aus
der Zeit des Umbaues von 1516 findet sich auch in der Stadt-
kirche zu Torgau. Bald folgten die Einbauten an der Nordseite,
dann an der Südseite, langsam gegen den Chor vorschreitend.
Die Kanzel aber stellte man 1511 an den vierten Pfeiler vom Chor
recht mitten zwischen die Emporen. Erst unter Meister Jacob,
entstanden die Emporen im letzten Joche vor dem Chor. In
Brüx aber und namentlich in Schneeberg, Ruppertsgrün, Marien-
berg, Oelsnitz u. a. O. zieht sich die Empore rings um den Chor
herum, es wird also auch hierdurch das Wesen eines solchen als das
eines der Laienwelt unzugänglichen geheiligten Ortes vollkommen
verneint. Da in Schneeberg dazu noch ein Pfeiler in der Achse des
Mittelschiffes steht, und auf diese Weise der Platz für einen Altar in-
mitten der Gemeinde gefunden wurde, offenbart sich der ganze Bau
im höchsten Grade als ein schlichter Predigtsaal von mächtigen Ver-
Hältnissen.
Noch entschiedener geschah dies bei der erst in protestantischer
Zeit 1558—1564 erbauten Kirche zu Marienberg (Abb. 15). Dort
liegt auch die Sakristei hinter der Empore, welche den ganzen
Bau umzieht. Vier Treppen ermöglichen den Aufstieg. Der Chor-
als solcher ist tatsächlich aus dem Plane gestrichen. Der Altar
und der Taufstein stehen an einem Ende der für die Gemeinde
bestimmten möglichst freien Halle.
In eigenartiger Weise machen die Leipziger Kirchen sich
frei von der früher üblichen Regel. So die Paulinerkirche,
welche 1519 ein Langhaus in den neuen Formen mit großartig
entwickeltem Netzgewölbe erhielt. Oberhalb eines an der Süd-
front sich hinziehenden Kreuzganges wurde eine Empore angelegt.
Der früher durch einen Lettner abgetrennte Chor bildet einen
Bauteil für sich, wie iu Freiberg, der mit der Predigtkirche
wenig Gemeinsames hat. Ganz ähnlich ist die Anlage der
128
Thomaskirche, deren Langhaus, seit 1496 umgebaut, als stattliche
Predigthalle mit völlig entwickeltem Emporenbau erscheint. Der
1513 —1525 erfolgte Umbau der Nikolaikirche hat nicht die
Emporen, wohl aber durchaus die Saalform. Dagegen treffen wir
diese in gleicher Weife wie an der Thomaskirche an der Frauen-
kirche in Halle. Dort baute Nickel Hofmann die Emporen
Abbildung 15. Kirche zu Marienberg.
Perspektivischer Einblick. Rechts ist das Dach abgehoben, links der Bau bis auf 1 Meter-
Höhe abgetragen dargestellt, so daß man rechts die Empore, links den Gang unter
dieser sieht. Zwischen den beiden Wendeltreppen am Ende der letzteren die Sakristei
mit hinter dem Altar in die Kirche mündenden Thore.
frei in die Seitenschiffe ein und zierte sie bereits in den Formen
der neuen Kunst. Seinem Beispiele folgte Wolf Blechschmidt,
der Vollender der Stadtkirche in Pirna, und zahlreiche andere
Meister während des ganzen 16. Jahrhunderts. Es weisen diese
wormen auf die kleinen Schloßkapellen zurück. Jene zu Dresden,
Felche in dem von Kurfürst Moritz umgebauten, alten Schloß
129
sich befand, wohl ein Werk des Hans Reinhardt, kennen wir
nur aus einem Modell: Es war ein rechtwinkliger Raum,
den an zwei Seiten Emporen umgaben. Die Kapelle zu Sachsen-
feld hat nur an der Westseite eine solche, die wie in den älteren
Kirchen die Nonnenchöre angelegt ist. Aehnlich gestaltet sich
Meister Arnolds Schloßkapelle zu Rochlitz. Von hoher Bedeutung
ist jene zu Wittenberg 1493—1499, eine einschiffige, nach Osten
in drei Seiten des Achtecks abgeschlossene langgestreckte Anlage,
welche, vielfach zerstört, nur schwer die alten Formen erkennen
läßt. Doch hat der Geh. Oberbaurath Adler, der diese Geburts-
stätte des Protestantismus zu erneuern berufen wurde, wohl
völlig das Richtige und den früheren Zustand getroffen, indem
er rings um den Bau Emporen anlegte und sie in den Formen
bes Erzgebirges zu halten beflissen war. An diese mahnt die fast
allein unbeschädigt gebliebene Bildung der Fenster mit Vor-
hangbogen, an denen, wie in Schneeberg, ein wagrecht durch die
Fensterreihe durchgeführter Wafferschlag die Abteilung der Emporen
auch nach außen zur Geltung bringt. Ein ähnliches Werk, doch
noch ohne Emporen, ist die Wolfgangskapelle zu Meißen, welche
wohl noch Arnold fchuf. In Eger und Görlitz finden sich solche
Anlagen, bei denen der saalartige Zug immer mehr hervortritt.
Ein Muster der ganzen Art ist die Kapelle des Moritzschlosses
in Halle, die 1509 entstand und wohl auch, von Nickel Hofmann
erbaut wurde. Die Emporen ruhen hier auf Säulen und ziehen
sich rings um den aus drei Seiten des Achtecks gebildeten Chor;
serner die Bergmannskapelle zu Annaberg.
Je mehr die Strebepfeiler nach innen rückten, desto uuge-
gliederter wurde das Aeußere. Schon der Bautzener Dom verzichtet
in wesentlichen Teilen ganz auf Außemoirkuug, in Samt, in
Freiberg, Schneeberg, Oederan, Buchholz erschienen die Streben
als mehr oder minder schwache Wandstreifen. In Brüx und
Annaberg sind die Umfaffuugswände ebenso glatt, wie an den
meisten Schloßkapellen. Das ganze System der Gothik ist um-
gewendet. Während am Dom zu Köln, wie an den großen fran-
zöfischen Kirchen ein gewaltiger Apparat von .Nebenkapellen,
Strebepfeilern und Bogen, Fialen, Brüstungen und Wimpergen
sich äußerlich zeigt, der ein fchmales, schlank aufsteigendes Mittel-
Gurlitt, Kunst und Kunstler. 9
130
schiff als eigentlichen Hauptraum der Kirche umrahmt, erscheint
hier ein äußerlich schmuckloser, ganz nach innen gekehrter Hallen-
bau; während dort das Ganze in seinen zahlreichen Teilen,
seinen verschiedenartigen Schiffen und Kapellen dem Wesen der
Heiligen- und Klerikerkirche entspricht, ist hier der Predigt-
bau des Protestantismus bei allem Bauaufwand doch in seiner
zweckdienlichen Einfachheit ausgebildet, ein durchaus neues, zwar
aus der Gothik entwickeltes, aber keineswegs mehr Mittelalter-
liches Werk geschaffen.
Freilich — vom rein künstlerischen Gesichtspunkt betrachtet,
stehen diefe erzgebirgischen Bauten an Vollendung beträchtlich unter
den Werken der Frühgothik. Sie sind Versuche, etwas Neues, dem
veränderten Zeitgeist Entsprechendes zu schaffen. Sie erheben Wider-
sprnch gegen die Aeußerlichkeit der alten Bauweise, gegen den über-
müßigen Aufwand für ein verhältnismäßig wenig Volk fassendes
Haus, gegen die ungemessene Höhenentwicklung, der nicht ein Ebenmaß
auf dem Boden gegeben ist, gegen diese schlanken Hallen, die wie
eine Wandelbahn zum Altar erscheinen, gegen die ungeheuren archi-
tektonischen Hüllen eines doch engbrüstigen, asketisch empfundenen
Raumes.
Wären Luther ästhetische Erwägungen geläufig gewesen, er
hätte Bauten wie die französischen Dome als „werkheilig" be-
zeichnet. Die Kirche war ihm ja „nicht besfer als andere Häuser,
da man Gottes Wort predigt!" '^) „Christus baute eine neue
Wohnung und neu Jerusalem, nicht von Steinen und Holz,
sondern wer mich liebet und mein Wort hält, da soll mein Schloß,
Kammer und Wohnung seht!"74) „Kirchen haben ist wohl nicht
geboten, aber gut sür die Einfältigen." 75) So sagt der Refor-
mator. Er konnte den ungeheuren Aufwand an Konstruktions-
gliedern unmöglich lieben.
Licht! lautet eine Grundforderung der erzgebirgischen Bauten.
Die Gewölbejoche sind breiter geworden, die Fenster haben Raum
sich zu entfalten. Der humanistisch gebildete Chemnitzer Mönch
Paul Niavis, einer der fruchtbarsten Schriftsteller seiner Zeit'^), klagt
in einem 1485—1487 verfaßten Dialog, daß jetzt die Kirchen zu
hell feien, während gerade die düsteren geeigneter wären die Andacht
zu erwecken; die neumodischen, lichten dienten dagegen mehr den
131
Liebenden zum Vergnügen als der Hingabe an die Predigt. Und doch
wurde die Kirche seines eigenen Klosters seit 1499 umgebaut, indem
man die alten Pfeiler des Schiffes abbrach und durch höhere von
schlichter Grundform ersetzte, dem System von Zwickau folgend.
Die ungemein hohen Fenster, welche in den Hallenkirchen die Regel
sind, werden durch die Emporen geteilt. In Freiburg führte man
die Profile der Fenstergewände durch die ganze Höhe durch, so daß
die beiden Stockwerke künstlerisch mit einander verbunden sind.
In Chemnitz aber sind sie bereits getrennt, ja dort sind die Fenster
in den Kapellen fast kellerartig klein, ein Beweis dafür, daß
mau mehr und mehr die Empore für das Wichtigste, die Räume
für die Nebenaltüre für untergeordnet hielt. Aber das Licht in
den Schiffen ist überall reichlich und gleichmäßig verteilt.
Die katholische Kirche machte einen Unterschied in der Heilig-
keit der einzelnen Räume und gab ihnen dem entsprechend ver-
schiedene Beleuchtung. Sie benutzte gern die Wirkung, welche den
Gläubigen berührt, wenn er aus dunkelem Schisf in die Helle des
lichtumstrahlten Altars schaut, oder wenn er umgekehrt den Altar
in geheimnisvolles Düster verhüllt sieht. Auch Luther machte noch
in seinem 1521 gehalteneu „Sermon von dreierlei gutem Leben"
den Unterschied zwischen Atrium d. i. Hof, Sanctum d. i. Kirche
und Sanctum sanctorum d. i. Allerheiligstes, die „nie einerlei
Gebän" seien. Aber es handelte sich sür ihn hier um einen
bequemen Vergleich, um ein rednerisches Bild. Er bediente sich
zu diesem der bekannten, alten Begriffe. Die Meister jener erz-
gebirgischen Predigtkirchen aber fanden statt der Abteilung des
Baues in verschieden heilige Teile eine einheitliche Form, nicht durch
Grübelei, sondern in unbefangener Ausgestaltung der Forderungen
des neuen Gottesdienstes. Sie zeigten fo den Weg, welchen die
evangelische Kirche lange Zeit im Kirchenbau Fortschritt, bis der
Rationalismus mit seiner unbedingten Schwärmerei für Hellas kam
und später, ihn ergänzend oder ersetzend, die romantische, unklare,
rein formalistifche Begeisterung für die Gothik der protestantischen
Kunst die Fähigkeit zu selbständiger Entfaltung raubte, zu welcher sie
schon im 15. Jahrhundert achtungsgebietend Keime zu treiben begann.
Das früher hervorgehobene Merkmal des erwachten Jndivi-
dualismus in der Plastik, die Naturwahrheit, offenbart sich nun
9*
132
auch bald in der Baukunst. Der Weg, den die Gedanken hierbei
machten, ist ein höchst merkwürdiger. Nicht etwa suchte man
einzelne Naturgegenstände als Schmuck den bestehenden Formen
anzufügen, sondern man begann in den Architekturformen die
Natur selbst zu sehen. Die alten Ornamente erhielten somit
verändertes Leben. Jene ganz zu willkürlichen Knollen gewordenen
Knaggen, d. h. jenes Blumen- und Blattwerk, welches die
aufsteigenden Gesimslinien wie Knospen den Stengel begleitet,
gewannen wieder Blattgestalt, aus den sich kreuzenden Rundstäben
und Plättchen an den Gewänden von Thür zu Fenster wurde
knorriges Reisigstabwerk, an Giebeln und Kreuzblumen begannen
Menschengestalten Hervorzulugen, die schon gauz unfruchtbar er-
scheinenden Formen blühten nach langer Brachzeit zu Gebilden auf,
welche zwar nicht dem eigentlichen Wesen des Bauteiles entsprachen,
dafür aber um so kecker selbständigen Wert für sich in Anspruch
nahmen.
Für die alten Schmuckformen schwand die Begeisterung fast
ganz. Das Maßwerk wurde geistlos und eintönig mit einer gewissen
mathematischen Linienführung gebildet (Abb. 7), an dem Rippen-
profil wechselt nur ganz vereinzelt die voir Arnold vorgezeichnete
Bildung von Hohlkehlen mit einer ausdrucksvolleren Gestaltung,
die Fenstergewände entbehren der reicheren Gliederung, die Kapi-
täle der Dienste sind schon längst verschwunden. Dafür aber
werden die Vorhangbogen immer reicher und eigenwilliger aus-
gebildet, treten allerhand Absonderlichkeiten hervor, durch die ein
Meister sich, wenn nicht über seinen Nachbar erheben, so doch
von ihm unterscheiden möchte. Jene bis zur Ermattung gesteigerte
Verfeinerung des Systemes von Maßwerk, Fialen, Wimpergen
und Baldachinen, welches z. B. Adam Kraft am Tabernakel zu
Nürnberg oder Hans Hammer an der Kanzel zu Straßburg
durchbildete, das Einführen von geometrischen Spitzfindigkeiten,
von Kurven in die Fialen, wie sie aus der Holzschnitzerei in die
Architekturteile überging, Formen wie sie Hans von Landshut am
Straßburger Münster zu schaffen liebte, diese Übertreibungen
des gothifchen Systems nach der Richtung des Architektonischen
kommen in dem minder hüttenmäßig gegliederten Sachsen nur
vereinzelt vor. Hier greift die Bildhauerei in die Baukunst in
138
deutlich erkennbarer Weise ein und beweist, daß es auch stilistische
Gründe waren, welche zu den Hüttenstreiten die Veranlassung
gaben, daß nicht umsonst die Annaberger Steinmetzen den Bild-
Hauer Franz von Magdeburg in ihren Kreis aufnahmen.
6. Bildnerische Werke.
Das merkwürdigste Werk des neuen Geistes in der Auffassung
der Kunstformen ist die Kanzel im Dome zu Freiberg (Abb. 6).
Ein wunderbares Gebilde: Aus dem Boden sprießen kakteenartige
Pflanzen hervor, deren hochaufschießende Blätter durch naturalistisch
nachgebildete Stricke zusammengehalten werden. Kindergestalten
spielen zwischen durch. Oben entfaltet sich eine Blume aus jenem
langen, tangartigen Blattwerk, das wir als Zeugnis spätester Gothik
schon kennen. In diesen Blättern erscheinen die Büsten der Kir-
chenväter. Auf ganz naturgetreu nachgebildeten Knüppeln ruhen
die Stufen der fehr halsbrecherischen Treppe. Ein auf einem
Baumstumpf sitzender Bergmann stützt sie mit seinem Rücken.
Ein zweiter sitzt am Fuß der Kanzel, den Rosenkranz betend. —
Alles dies in voller Naturwahrheit, aber auch voll Leben, eine
wunderbare Dichtung, die sich um die Kanzel dreht, als um den
Ort, von welchem das Heil der neuen Kirche ausgeht. Adam
Krasts knieende Gestalten tragen noch das Sakramentshaus von
St. Lorenz zu Nürnberg, die freiberger Bergleute tragen auf
ihrem Rückeu das Rednerpult, von welchem die Erbauung der
neuem Glauben zustrebenden Gemeinde erklingt. In unbefangenem
Vertrauen auf die Schönheit der Naturgebilde schlingen sich die
Pflanzen um den hohen, einem Abendmalskelche in den Haupt-
formen sich nähernden Aufbau.
Wer dieses Werk schuf, vermag ich nicht zu sagend) Der
Geist in ihn: ist aber ein anderer als in dein rein ornamentalen
Teile der Annaberger Kirche.
An diesem sind verschiedene Hände erkennbar. Einer der
Schöpser desselben war der „Laubhauer" Barthel von
Durlach. Er meisselte vor- "j zugsweise das Blattwerk, schuf
das Wappen von 1515 für den Bergmeister von Schreibers-
dorf und seine Frau, er machte dieXReliefs der Kanzel, arbeitete
N- f / /
\ .
134
an den dem Chor zunächst liegenden Pfeilern, an den Strebe-
Pfeilern der Nordwestecke und an den Teilungen der Emporen:
das .weist fein Steinmetzzeichen aus. Er scheint eine gewisse
Selbständigkeit genossen und diese im Sinne der Straßburger
Schule verwendet zu haben. Nicht ohne Grund sendete man wohl
gerade ihn nach Straßburg, als die Versöhnung der Hütten an-
gebahnt werden sollte. Ein anderer Steinmetz, der später zu Ruf
kam, ist Conrad Krebs 1540), dessen Zeichen an seinem
Hauptwerke, dem berühmten _ Torganer Schloß festzustellen
ist, wohl jener Conrad von ^ Büdingen, welcher 1519
in den Lohnlisten von Anna- ^ berg als einer der besten
Gesellen erscheint. Ehe er dahin kam, scheint er einen hervor-
ragenden Anteil am Bau der Kirche zu Krimitschau (1513) ge-
habt zu haben, wo sich sein Zeichen an allen wichtigeren Stellen
sindet. Die Übereinstimmung der eigenartig gebildeten Gewölbe
dieser Kirche mit jenen der Torgauer Schloßkapelle, welche er
baute, und der Schwesterkirche von Annaberg, jener zu Schnee-
berg, ist nicht außer Acht zu lassen. In Annaberg erscheint
Conrads Zeichen an einem der Strebepfeiler der Nordwand. Ein
dritter Geselle, welcher Beachtung verdient, ist Kunz von Aachen,
dessen Name auf einer Grab- platte in Römhild neben sei-
nem Zeichen steht. Dies wie- derholt sich an den Kanzeln zu
Annaberg und Pirna, an den ' Hauptpfeilern und den In-
fchrifttafeln daselbst. Ebenso 'findet es sich an den Jnschristtaseln
von Schneeberg, an einigen Pfeilern der Annaberger Kirche, welche
wohl vor 1518 entstanden. Auch diese Gesellen wanderten also
von Bau zu Bau und brachten einen Teil ihrer Kunstart von
einem zum andern. Sie alle zeigen aber in ihren Formen jene
Schulung, welche in den sächsischen Hütten zu erlangen war und
die sich nicht wesentlich von der anderer Länder unterscheidet.
Anders stand es um die Bildhauer. In Annaberg haut
1519/20 Meister Christof die „Propheten". Es waren dies
mächtige Figuren, welche in die Gewölbe der Seitenschiffe ein-
geflochten erschienen und bei ihrer Schwere eine besonders sichere
Gewvlbetechnik beanspruchten. Die Künstelei hielt damit einen
weiteren Einzug in den Kirchenbau. Eine an englische Vorbilder
erinnernde Erscheinung sind die eigenartigen Tropfengebilde, welche
135
in den oberen Gewölben der Sakristeibauten, sowie in einzelnen
Emporen, also in Werken Meister Jacob's sich finden. Eine
gewundene Säule mit reich verziertem unterm Knaus hängt an
Stelle des Schlußsteines hernieder, von der aus, wie in Pirna,
freistehende Rippen in die Wappen tragenden Systeme hinüber-
führen. So ist dem Gewölbe auf Kosten der Einfachheit plastisches
Leben gegeben. Benedikt von Laun und Nickel Hosfmaun liebten
beide diese Gebilde, die jener an der Wenzelsempore des Domes zu
Prag und dieser an seinen Kirchen-Gewölben in Brüx anbrachte.
Bedeutender ist aber, was die Bildhauer selbst schufen. Die
„schöne" Pforte der Franziskanerklosterkirche zu Annaberg (Abb. 15),
welche 1512 entstand und das Zeichen „Anno domini 1512 H W
trägt, wurde später an die Annenkirche versetzt, wo sie sich noch heute
erhielt. Wer der Meister derselben ist, vermag ich nicht anzugeben.
Er steht dem Freiberger Holzschnitzer, welcher die Apostel und die
Kanzel schuf, namentlich aber jenem der Buchträger aus Ebersdorf
und der Geißlergruppe in Chemnitz nahe. Seine eigenartig gezoge-
nen, einem länglichen Viereck sich nähernden, aber ausdrucksvollen
Gesichter lassen sich leicht von den weicheren, anmutigeren Köpfen
der sräukischeu Schule unterscheiden. Er folgt der Richtung der
Oesterreicher, dem ausgezeichneten Michael Pacher aus Brunneck
bei Brixen. Eine mittelbare Beziehung ist nicht unmöglich, waren
doch Hans von Bötzen und Thomas von Lienz Gesellen in
Annaberg. Bis nach Thüringen erstreckte sich die Thätigkeit des
Bildschnitzers, dem z. B. das prachtvolle Altarwerk zu Dienstedt bei
Kahla im Altenbnrgischen7S) angehören dürfte. Seine schöne Pforte
ist ihrer berühmten Schwester aus romanischer Zeit, der goldenen
zu Freiberg, nicht unwürdig. Die Grundgestalt dieses Thores ist
durchaus im Stil der damaligen Hütten, die Gewände sind mit
gekreuztem Stabwerk verziert. Sie werden von zwei gedrehten,
nach Art der geschnitzten Vortragkreuze gebildeten Säulen ein-
gefaßt, auf deren Knäufen ein Wimperg und zwei Fialen stehen.
Diese architektonischen Formen sind von derber, wenig glücklicher
Bildung. Das tangartig gestreckte Blattwerk der Knaggen er-
innert deutlich an Schnitzarbeiten in Holz. .Man erkennt das
Werk des Bildschnitzers, der sich im Steinwerk versucht. Die
Sockel sind wie an spätgothischen Hütten-Arbeiten aus übereck-
Abbildung 15. Die schöne Pforte zu Annabcrg.
137
gestellten, reich verzierten Plättchen aufgebaut, eine selbstgefällige
geometrische Spielerei der Zeit. Bald aber beginnt die Plastik
an dem Werke die Führung zu übernehmen und die Bauformen
nur zum Rahmen einer bewegten Figurenwelt zu benutzen. In
der Mitte thront Gott Vater, der die Rechte segnend erhebt uud
mit der Linken vor den Knieen den gekreuzigten Heiland hält.
Auf einem Kreuzesarm sitzt die Taube. Das von Strahlen um-
gebene, von langem Barte umwallte Haupt des Weltenschöpfers
ist eine Leistung, welche hinter jener der Brüder von Eyck am
Genter Altar nicht allzuweit zurücksteht. Wenn es gleich stets
eine Vermessenheit ist, den Allgegenwärtigen, über Zeit und Raum
Erhabenen im Bilde darstellen zu wollen, da wir doch ihn nicht
anders darzustellen vermögen als einen ehrwürdigen Menschen,
so ist das Wagnis doch soweit gelungen, daß es nicht beleidigt.
Der Meister hat seine ganze Kraft, namentlich sein ganzes schön-
heitliches Können aufgewendet, um alles Große und Tiefe, was
er zum Ausdruck zu bringen vermochte, in dieses Haupt zu legen.
Seine Absicht unterstützte er durch einen Hofstaat anbetender Engel,
an deren Köpfen die Andacht, die brünstige Hingabe in meister-
hafter Weife dargestellt ist. Die ganzen Körper neigen sich ver-
zückt dem Herrn zu. Zur Seite knieen die heilige Clara und der
heilige Franz; namentlich letzterer, ein schlanker und schöner Mann,
ist in einer Haltung von so glühender Hingabe dargestellt, daß
man sich wohl unter ihm jenen liebenswürdigsten aller asketischen
Ordensstifter vorzustellen vermag.
An den Pfosten des Aufbaues stehen die Großeltern der
Himmelskönigin, St. Anna und St. Joachim, die zu neuer Gunst
gelangten Heiligen. Sie begegnen sich hier nach der Lehre der
Tradition unter dem goldenen Thore.
Jnschristtaseln verbinden die einzelnen Gruppen, welche das
Wehe der Zeit in lateinischen Sprüchen verkünden. „Sei uns gnädig,
Herr, sei uns gnädig, denn wir sind sehr voll Verachtung. Sehr
voll ist unsere Seele der Stolzen Spott, und der Hoffärtigen
Verachtung" (Psalm 123, 3. 4.) „Gott sei uns gnädig und segne
uns, er lasse sein Antlitz leuchten!" (Psalm 67, 2.) „Deine Güte,
Herr, ist über uns, wie wir auf dich hoffen." (Psalm 33, 22.)
Vieles am Thor, namentlich die Kinderfiguren über der
138
Hauptgruppe, ist mißlungen. Die Spruchbänder, welche in reich ge-
schwungenen Linien die Architektur verhüllen zu sollen scheinen,
drängen sich oft etwas vorlaut dem Beschauer auf. Sicher aber
ist das Werk eines der künstlerisch freiesten und formal reinsten,
welches die Zeit schuf und kann sehr wohl den Vergleich mit den
Werken etwa des Veit Stoß aufnehmen. Namentlich die groß-
artige, nur in den Nebenteilen knitterige Behandlung der Falten
läßt uns den Meister als einen der formsichersten seiner Zeit
erkennen.
Das Bild Gottvaters ist wiederholt worden am Thor der
Klosterkirche zu Chemnitz, an dem das Umschaffen der Architektur-
formen in Naturgebilde am stärksten hervortritt. Dort trägt Gott
eine Krone und sitzt auf einem Throne, der schon Renaissance-
formen zeigt. Es entstand dies Werk im Jahre 1525, als die
ersten Zeugen der neuen Kunst in Annaberg aufgetreten waren.
Es zeigt sonst keineswegs den Geist der Annaberger schönen
Pforte. Die Statuenreihen, die plumperen, schwulstigeren Falten,
die. unbeholfene Haltung, namentlich das unfreie Aufsitzen der
Köpfe auf dem Rumpfe, entspricht der älteren Schule der sächsischen
Bildschnitzerei.
Betrachten wir nun den Schmuck an der Brüstung der
Emporen der Annaberger Kirche. Derselbe beginnt am Pfeiler
hinter der Kanzel mit Darstellung der Erschaffung der Welt und
führt vom Paradies schnell auf die Verkündigung der Geburt
Marias, welche Michael Lotter,79) stiftete, ein nürnberger Zuge-
Wanderter und reicher Fundgrubner. Dieser war seit 1535 im
Rate der Stadt. Die Begegnung Marias mit Elisabeth stiftete
Gregor Schütze, seit 1533 Zehenter der Stadt. In der Achse der
Kirche an der Westempore sieht man Christus am Kreuz. Darauf
folgt die Darstellung der Auferstehung und die Martyrien der
Apostel, die Seligkeit der Begnadigten und die Qual der Verdammten
endet die 79 Tafeln umfassende Bilderreihe, von der einzelne Dar-
stellungen unverkennbar Dürer'schen Holzschnitten entlehnt sind. Die
eigentliche Heiligengeschichte fehlt fast ganz. Der Mythus der heiligen
Anna ist nur gestreift, das Leben der heil. Jungfrau ist nur in jenen
Bildern dargestellt, welche den Evangelisten entnommen wurden,
nur ihr Tod und ihre Himmelfahrt findet eine weitere Ver-
139
herrlichung. Der ganze Bilderkreis scheint — absichtlich oder ohne
bestimmten Zweck — nach alle dem abseits von dem damals in.der
katholischen Kirche vorwiegenden Gedankenkreis zu stehen, in dem der
Heiligenkult eine so außerordentlche Rolle gespielt hatte. Auf der
Kanzel zu Annaberg, welche 1516 entstand, zeigt sich noch die
alte Richtung in Kraft: Das Selbdritt an der Vorderseite, neben ihr
die vier Kirchenväter, Christus mit der Dornenkrone nur gewisser-
maßen als Füllbild. Andere Vorstellungen sind hier noch vor
jenen, welche die Bibel allein giebt, bevorzugt. Und doch sind
beide von einer Hand, wie die Vergleichnng der der fränkischen
Schule näher stehenden Figuren, der knitterigere Faltenwurf, die
rundliche Gesichtsform leicht ergeben.
Nun waren 1517 die Emporen, 1518 auch jene vor den
Sakristeien fertig, 1522 wurden sie mit „Bildern und Figuren
ausgemalt." In diesen noch ganz gothischen Werken erscheinen
durchweg die Formen der hüttenmäßigen Baukunst. Sie haben
wahrscheinlich einen anderen Schöpfer als jene Bildnereien, an
welchen die deutsche Renaissance zuerst in Annaberg erscheint.
Wir wissen, daß Franz von Magdeburg sicher seit 1518,
wahrscheinlich schon früher, der hervorragendste Bildhauer Anna-
bergs war. Er ist es, der sür Jakob von Schweinfurt arbeitete.
Von ihm dürften die Flachbilder an der Sakristeiempore sein, an
welchen nördlich die „Lebensalter" der Männer, südlich jene der
Frauen dargestellt sind. Das heißt: es ist ein Knabe von
10 Jahren mit einem Kalb im Schilde, ein Jüngling von 20 Jahren
mit dem Bocke/ ein Mann von 30 Jahren mit dem Stier, ein
Krieger von 40 Jahren mit dem Löwen, ein Würdenträger von
50 Jahren mit dem Fuchs, ein Geldmann von 60 Jahren mit
dem Wolf, ein Frommer von 70 Jahren mit dem Hund, ein
Greis am Stock von 80 Jahren mit der Katze, ein solcher von
90 Jahren mit Stuhl und Esel, endlich einer von 100 Jahren
mit der Bahre und dem Sensenmann auf der einen Seite dar-
gestellt, während gegenüber ein Mädchen mit der Puppe und der
Wachtel, eine Jungfrau mit der Taube, Frauen mit der Elster,
dem Pfau, der Henne, der Gans, dem Geier die Zeit bis 70 Jahren
im Leben des Weibes darstellen, dessen Ende Greisinnen mit
der Eule, der Fledermaus und der Totenbahre in derbem Witze
140
vergegenwärtigen. Zierliche Renaissauee - Umrahmungen, Formen,
die etwa an das Sebaldnsgrab in Nürnberg mahnen, umgeben
jedes Bild, das in großen kräftigen Zügen und im Zeitkostüm
Menschen aus dem gegenwärtigen Leben wiedergiebt.
Wir haben also vor uns eine Art Totentanz, jene merk-
würdigen Darstellungen des menschlichen Lebens, erste Aeußerungen
des Realismus,' der Sittenschilderei, die noch nicht eine freie
Wiedergabe des bürgerlichen Daseins zu sein wagten, sondern die
Wahrheit, das Erschaute unter die Gewalt eines großen und
feierlichen Gedanken stellten, die Natur, das Leben vorführten, doch
mit dem sofortigen Vermerk, wie vergänglich sie seien. Diese
Bilder schildern in spottender Weise das Aufblühen und Vergehen
des Menschen. Das Flüchtige der Menschenkraft und Schönheit
soll gelehrt werden, eine schlichte Laienmoral, die man sonst wohl
nicht in die Kirche getragen hätte, wäre die kirchliche Moral stärker
gewesen. Auch Herzog Georg, der Beschützer der Annaberger
Kirche, verwendete zweimal dieselben Gedankenreihen an seinen
Schlössern: zu Meißen und zu Dresden, wo Hans Schickentantz
im Geiste der Annaberger Figuren einen großartigen Totentanz
schuf. Der Schritt vom Heiligen zum Alltäglichen war für jene
Zeit zu groß, als daß man nicht eine Vermittlung gesucht hätte.
Sie liegt im Tode, in der Verknüpfung des endlichen Daseins' mit
dem unendlichen Jenseits. Nur als Hintergrund für dieses erscheint
den Künstlern die Darstellung des Menschen gerechtfertigt.
Daß man sich vön den religiösen Bilderkreisen abwendete und
selbst in die Kirche reale Dinge brachte, entspricht dem Geist der Zeit.
„Man soll abthuu alle Bildnis, es sei zu Gottes Ehre oder
der reinen Jungfrau Maria oder der Heiligen!" lehrten die
Hussiten. &0) Sie übertrugen ihre Anschauungen mit roher Gewalt
durch die Bilderstürmer in die Wirklichkeit.
Dem Protestantismus bliebeu lange Zweifel über die Nützlich-
keit der Bilder eigen. Luther war nicht frei von ihnen, obgleich
unter feinen Augen, namentlich von der Hand Kranachs, große
und treffliche Werke dieser Art entstanden.
„Wiewohl wir auch den Götzen nicht viel gönnen, achten wir
doch die nicht zu verdammen, als wider Gott gethan sei, so jemand
141
Bildlein malen läßt oder hätte", heißt es in einem Gutachten
vom Jahre 1525, welches Luther, Justus Jonas, Bugenhagen und
Melanchthon unterschrieben. „Sintemal", heißt es weiter, „auch
Christus die Münz des Kaisers gehen ließ und auch selbst braucht,
da doch Bilder aus stunden und noch stehen." Aber ein anderes-
mal 1522 sagt er: „Wahr ists, daß Bilder sährlich sind und ich
wollt es wären keine auf den Altären." 81)
An einem der Annaberger Altäre, dem 1521 errichteten der
Knappschaft, zeigt sich wieder die Mischung zunächst nur halb-
verstandner Renaissanceformen mit gothischen. Auch hier findet man
nicht die sonst beliebten Statuenreihen, sondern ein Lebensbild
von anmutigem Aufbau, die Anbetung Christi durch seine Eltern
und die Hirten im Stalle von Bethlehem; und in der Predella den
Tod Mariä zwischen zwei knieend betenden Bergleuten. Das
Ornament zeigt in zierlicher Renaissance-Umkleidnng entzückendes
Laubwerk und eine Fülle figürlicher Darstellungen, deren Anmut
an Peter Bischer mahnt. Ebenso mischen sich am Münzeraltar von
1522 alte und ueue Motive, Gothik und Renaissance, katholische
Gedankenkreise und junger Realismus.
Mitten zwischen den beiden Bildwerkreihen der Emporen
steht die Gestalt eines Mannes, welcher ein Spruchband hält:
„1499 ist gelegt das Fundament, 1525 ist das Werk vollendet."
Und die Albinnssche Chronik sagt dazu: „Da stehet der Meister,
der die Kirch, die Stein und die Bilder gearbeitet hat, mit
Namen Jakob Hellwigk." Daneben befanden sich vor der letzten
Uebermalnng der Kirche zwei Wappen, ein Steinmetzzeichen und
eiue Weintraube. Diese Zeichen wa-
gemalt. Aber wir
Morizens von En-
auch nur aufgemalt, nicht körperlich gebildet waren. Das erstere
Zeichen fand ich in Meißen, an höchst wahrscheinlich von Mei-
ster Jakob erbauten Teilen des Domes, nämlich der Grabkapelle
Herzog Georgs, wieder. Da es sicher nicht jenes des Jakob
selbst ist, so ist es wahrscheinlich, daß es dem Franz von
hard Engelbergs
gegen den Chor
am Triumphbogen
142
Magdeburg angehörte und sein Steinmetzzeichen war, das ihm
die Annaberger Hütte verlieh, während das andere sein Bildschnitzer-
zeichen ist. Er also schuf dem Meister, der so thatkräftig für ihn
eingetreten ist, in jener Figur an der Empore ein Denkmal, und
zwar an jener Stelle, wo Jakobs Thätigkeit am Bau endete.
Seit 1524 war Jakob in Meißen thätig und schuf dort wieder
einen ähnlichen Bilderkreis für den Treppenturm der Albrechtsburg,
diesmal wieder eine derb komische Darstellung des Kampfes der
Weisen mit der Gewalt der Laster.
Bei Franz bricht also zuerst die Renaissance in den Einzel-
formen am Annaberger Bau durch. Das Ringen von innen
heraus hat damit ein Ende, es beginnt ein leichteres Spielen mit
willig angenommenen italienischen Formen. Jakob hielt sich von
denselben noch fern, er schwelgte in den Kurvensystemen der Netz-
gewölbe, in den nun mit höchster Meisterschaft gehandhabten
letzten Bildungen der Gothik, er bedeutet mit feinen Kunst-
genossen die Vollendung des technischen Systems der Mittelalter-
lichen Kunst nach einer ganz bestimmten, dem Zeitgeiste dienenden
Richtung.
Die neue Kunst offenbart sich dann am Hauptaltar der Kirche,
welchen die Annaberger in Augsburg bei dem Meister Adolf
Dowher bestellten und der 1522 aufgerichtet wurde. Schon feine
Herstellung in buntem Marmor und Solenhofer Kalkstein, das
Aufgeben der Farbe bedeutet den Anfang klassischer Einflüsse.
Die Formen der Renaissance, welche er ausweist, einer spielenden,
in den Grundformen der Antiken noch ganz unsicheren Kunst,
haben wohl Meister Franz angeregt, aber der Inhalt seiner
Darstellung ist dem Kreise des Annenkultus entnommen: In der
Predella ruht Abraham, aus seiner Brust wächst ein Baum, auf
deffen Blüten in erster Reihe die Brustbilder der jüdischen Könige
von David an, in'zweiter Reihe die Sippschaft Christi sich darstellt.
Das Hauptbild aber führt Anna und Joachim, die Großeltern des
Herrn und endlich Maria und Joseph mit dem Kinde vor. Ein
Glorienschein fällt von oben aus den mit Engelsköpfen belebten
Wolken auf die Knieenden nieder.
Wenn auch die Sippe Christi nicht im Sinne des vi-. Eck
dargestellt ist, fo ist doch der Gedankenkreis ein dem feinigen ver-
143
tocmbter, altgläubiger gerade an diesem Werke, welches in hervor-
ragender Weise eine Frühschöpfung der Renaissance ist.
Ueberblickt man all diese bildnerischen und baukünstlerischen
Schmuckwerke, so zeigt sich nur eines klar: daß die Strömungen
der Gothik und der Renaissance sich kreuzten, daß es nicht die
Altgläubigen sind, welche allein dem alten Stile anhangen und
nicht die Neugläubigen, welche die neue Kunstweise betreiben. Wie
in allen Tagen tiefgehender geistiger Wirrungen äußert sich das
Leben in Widersprüchen und zeigt die Kunst deutlich die in jede,
selbst in die zum Alten zurückdrängende Brust versenkte Zwie-
spaltigkeit.
y. Schluß.
Es sind die geschilderten Vorgänge im Kunstleben des Erz-
gebirges von großer Bedeutung auch für weitere Kreise. Das
Berggebiet hatte Angehörige der verschiedensten Stämme aus
engem Räume in sich vereint. Der slinke Nordböhme traf sich
hier mit dem kunstreichen Franken, der gemütvolle Thüringer mit
dem werkeifrigen Obersachsen.
Bei der eigentümlichen Lage des Erwerbslebens, in der Un-
stätigkeit des Raubbaues aus Silber zeigten sich hier manche gesell-
schastlicheu Erscheinungen schärfer als wohl sonst in Deutschland
ausgeprägt. Gleichzeitig ist das künstlerische Leben ein lebhaftes,
fortschreitendes, werden die in ihm auftauchenden Fragen besonders
entschieden gestellt, ist die Zwiespältigkeit im Schassen besonders
klar vor Augen geführt.
So bietet die erzgebirgifche Kunst eine treffliche Handhabe,
um die Gänge der geistigen Entwicklung auszudecken und manche
Unklarheit zu beseitigen, welche durch die verschiedenen, zu An-
sang des 15. Jahrhunderts dnrcheinanderslutenden Strömungen
herbeigeführt, das Verständnis der Lage erschwerten.
Denn hier begegnete sich der Humanismus mit der Reuaissauee
und der Reformation fast gleichzeitig. Das heißt: Als Luther seine
Thesen in Wittenberg anschlug, als die Kenntnis der klassischen
Schriftwelt und der aus ihr hervorgehende Geisteswandel allgemeiner
geworden war, fanden sich auch jene künstlerischen Formen ein, welche
von den Italienern und weiterhin von den Römern und Griechen
entlehnt waren und die wir als deutsche Frührenaissance bezeichnen.
Aber dies zeitliche Zusammentreffen beweist nicht, wie so gern
angenommen wird, daß die drei Geistesformen einerlei Ursprungs
145
seien. Sie sind nur die äußeren Erscheinungsarten, welche zu-
s all ig im gleichen Jahre austreten, ihr tieferer Grund und
ihre eigentliche Wurzel liegen in wesentlich anderen Zeiten.
Es wäre eine sehr oberflächliche Anschauung der Dinge,
wollte man in den mit unbefangenem.Schmucksinn auf gothische
Konstruktionen übertragenen antiken Formen allein die Renaissance
erkennen. Dem ist sicher nicht so. Die Renaissance bedeutet mehr
als die Wiedergeburt antiker Form, sie ist, wie der Humanismus,
eine Belebung des antiken Geistes. Sie äußert sich zunächst in
der Nerweltlichung der' bisher rein kirchlichen Kunst. Es kam ein
* Zug der Zweckmäßigkeit in diese, welcher dem Mittelalter sern lag.
Die Kunst wurde dem Menschen dienstbar, während sie bisher nur
der Kirche gewidmet war. Denn der Mensch, das Ich, die Jndivi-
dnalität waren neu entdeckt worden. Der Künstler begann sich im
Kunstwerk geltend zu machen, er schuf zur Befriedigung seiner
selbst, seines Schönheitsgefühles, seines Darstellungsdranges —
nicht mehr ausschließlich im Dienst des Glaubens. Er suchte nach
Ausdruck und prüfte die Natur darauf, ob sie ihm Mittel zu
diesem Zwecke böte. So trat er der Natur kritisch entgegen, kam
er zu freier Wahl der Motive, zur Empirik, zur individuellen
Ausbildung der Stilformen, zu erneutem Nüturempfinden, zur
Kühnheit sich über die überkommenen Gestaltungen hinwegzusetzen.
All diese Erscheinungen finden sich in der erzgebirgischen
Kunst — und auch anderswo — zu einer Zeit, in welcher die
Kenntnis antiker Formen noch nicht über die Alpen gelangt war,
vor dem Austreten Luthers. Schon Arnold von Westphalen zeigt
sich als ein Meister der Renaissance in diesem Sinne. Der
Katholizismus hat in der Renaissance — wenigstens bis in die
Zeiten moderner Romantik hinein — nie einen Gegner gesehen,
sondern er ist es gerade, der sich ihr am eifrigsten in die Arme warf
und das Heidnische in ihr am gründlichsten verarbeitete. Der
Pontisex maximns hat sich im Pantheon nie als Fremder gefühlt!
Also ist die Renaissance nicht etwa ein Begriff, der sich mit
dem der Reformation deckt. Ebenso wenig entspricht aber der
Begriff der Gothik jenem der alten Kirche. Rom felbst hat
diesem Stil nie eine rechte Heimstätte geboten. Länger als ein Jahr-
tausend bestand der Katholizismus ohne die Gothik. Diese entwickelte
Gurlitt, Kunst und Künstler. 10
146
sich in Frankreich aus der Verbindung der Kirche mit dem germanischen
Geiste des Mittelalters. Sie ging gleichzeitig mit allen den Ergeb-
nissen zu Grunde, welche diese Verbindung hervorgebracht hatte:
mit dem Feudalstaat und der alten Kirche, dem Ritterwesen
und dem Minnesang. Sie ging zu Grunde nicht etwa, weil böse,
neuerungssüchtige Menschen von ihr abfielen, sondern weil sie
ihren Inhalt verloren hatte. Lange ehe man in der Baukunst
nene Formen anwendete, suchte man in ihr nach neuen Gedanken.
Die Spätgothiker sind die Meister, welche aus dem alten Stile
nach einen: unbekannten neuen hindrängten, die Renaissance gab
dem Streben nur den formalen Ausdruck. Reformatorische Gedanken
sind in der Spätgothik reichlich vorhanden. Ihnen fehlt nur die
Klarheit des Wollens, die völlige Erkenntnis ihrer selbst. Es
wäre daher ganz verkehrt, die Spätgothik für den Stil der Recht-
gläubigkeit und die Renaissance für jenen der Häresie zu erklären
— im Gegenteil, in der Gothik stecken alle Anfänge eines neuen,
unrömischen Geistes, eines gegen die Tradition sich auflehnenden
Individualismus, ein Drang nach vorwärts in unentdeckte Gefilde
der Erkenntnis. Auch ihr letzter, so viel geschmähter Ausläufer,
der zwar nicht formvollendet und in sich abgefchlofsen wirkt, ist
doch ungleich tiefer und ernster als die Frührenaissance. Denn er-
bietet den Aublick eiues geistigen Ringens nach Darstellung Volks-
bewegender Gedanken, einen freiheitlichen Zug, ein Durchbrechen
veralteter, morsch werdender Fesseln, einen Vorstoß frifcher Kräfte
gegen erstarrende Regeln ■— während die Renaissance nur Formen,
nur harmloses Spiel, nur Detail bietet. Die tiefen Grundriß-
gedanken, die das ganze Banfystem ändernden Neuerungen kamen
erst dann in Stillstand, als man die neue Kunst der Profile und
der antiken Ornamentation erlernt hatte. Die Renaisfance trat an
Stelle eines Bestrebens im gothifchen Bauwesen, welches an Luthers
kraftvolles Herausbauen aus dem Bestehenden erinnert, eine Kunst,
welche nur im Kleinen groß und im Großen klein war, eine Kunst
der silbernen Becher und zierlichen Tonkrüge, der geätzten Rüstungen
und feinen Schlosserarbeiten an Stelle jener Schaffensart. die Grund-
riffe umformte und neue Konstruktionsweifen erfand.
So hat denn die Reformation die Gothik nicht verdrängt,
sondern sie mit neuem Geist erfüllt. Dürer, Holbein und Kranach
147
sind in ihrem besten Schaffen gothisch und reformatorisch zugleich.
Die Größe der mittelalterlichen Kunst endete erst sür Deutschland,
seit sie humanistisch wurde. In Italien wirkten der Humanismus
und die Antike belebend, kräftigend. Dort trafen beide auf ein Volk,
welches sich nie ganz vom Geiste des alten Rom entfernt hatte,
dort bildeten sie sich alsbald national um, durchdrangen sie alle
Lebenskräfte, läuterten sie das früher in dunkelem Drange ihnen
zustrebende Empfinden. In Deutschland blieb der Humanismus
fremd, erst Goethe versöhnte ihn zeitweilig mit der Nation. Als
die Formen der humanistischen Kunst über die Alpen kamen, be-
grüßte man sie mit Jubel. Denn sie täuschten Künstler und Volk,
indem sie glauben machten, sie böten den Ausdruck sür die neuen
Gedanken, welche die Nation aufwühlten. Zwar boten sie ihr
nur Aeußerliches, aber sie befriedigten einstweilen die Suchenden,
Weiterstrebenden. Ehe man erkannte, daß sie dem Deutschen nur
Schale, keinen Kern brachten, war der reformatorische Eifer ver-
flogen und an Stelle Luthers das unfruchtbare Streittheologentum
getreten! Die Zeit eines Andreä und Flacius, eines Martin
Chemnitz und Olevianus, ließ die deutsche Renaissance erst recht
aufblühen! Dem gemäß entwickelte sie sich auch: sie hat nicht
einen großen Grundrißgedanken geschaffen. Erst die Gegen-
reformatio:: gab ihrer stillstehenden, spielenden, rein ornamentalen
Art einen höheren, monumentalen Schwung!
Also nicht Renaissance und Reformation sind eins, sondern
Renaissance und Humanismus. Em großer Nachteil für die
protestantische Baukunst war, daß in ihr die Renaissance über die
Anfänge selbständiger Neugestaltung siegte, d. h. daß man nur zu
bald geneigt war, die Form für das Wesentliche zn nehmen,
die der Spätgothik innewohnenden Gedanken aber für neben-
sächlich zu halten.
Nicht überall und nicht immer! Daß jene Gedanken bis ins
18. Jahrhundert hinein im echt protestantischen Kirchenbau sort-
lebten, ist aus der Geschichte des Barockstiles und des Rococo in
Deutschland zu ersehen. Möge die damals gegebene Anregung
unserer Zeit und unserer Kirche bald wieder zu einer unverlier-
baren werden!
10*
Anmerkungen.
1. (S. 1.) C. E. L euthold, Untersuchungen zur ält. Geschichte Frei»
bergs im N. Archiv für sächs. Gesch. u. Alterthumskunde 1889. — Winter,
Die Cisterzienser im nordöstl. Deutschland, Gotha 1868. — R. Dohme,
Die Kirchen des Cistercienserordens in Deutschland während des Mittel-
alters, Leipzig 1869. Siehe dort S. 6 die Literatur. — Ferner: Sebast.
Brunner, Ein Cistercienserbuch, Würzburg 1881.
2. (S. 1.) Herrmann & Ermisch, Das Freiberger Bergrecht im N.
Archiv für sächs. Gesch. III. — H. Ermisch, Codex diplomaticus regiae
Saxoniae, Abth. II. Bd. 13. Siehe dort die Litteratur.
3. (S. 4.) Die Litteratur über Schneeberg siehe: R. Steche, Beschrei-
bende Darstellung der älteren Bau- und Kunstdenkmäler des Königreichs
Sachsen. Heft VIII. Dresden, 1887. Dieses treffliche Werk bildet in vielen
Punkten die Grundlage zu meinen Untersuchungen. In der Regel nur dort,
wo ich glaube ergänzende Bemerkungen auf Grund eigener, zum Theil äl-
terer Bauuntersuchungen machen zu müssen, werde ich es citiren. Ich be-
merke hierbei, daß ich meine Untersuchungen an der Annaberger Kirche vor
ihrer Erneuerung machte, während Steche, so viel ich weiß, erst nach der
Uebermalung des Innern seine Forschungen unternahm.
4. (S. 4.) Ueber die gesellschaftlichen Verhältnisse im Erzgebirge ver-
gleiche die verschiedenen Stadtchroniken: I. Falke, Geschichte der Bergstadt
Geyer, Mittheil, des k. f. Alterthumsvereins, Heft XV. Dresden 1866. —
Fr. W. Köhler, Hist. Nachrichten von der Bergstadt Wolkenstein, Schnee-
berg 1781. — A.D.Richter, Umständliche Chronica der Stadt Chemnitz,
1753—1767. — C. W. Zöllner, Gesch. d. Fabrik- u. Handelsstadt Chemnitz,
Chemnitz 1886. — Christian Meitzer, Stadt- u. Bergchronik von Schnee-
berg, 1719. — Chr. Fr. Kästner, Chronik der Stadt Crimmitzfchau,
Crimmitzfchau 1853. — Dr. E. Herzog, Geschichte der Kreisstadt Zwickau,
Zwickau 1839. — M. Chr. Meißner, Umst. Nachrichten von Altenberg,
Dresden 1747. — Andr. Möller, Chronik von Freiberg, Freiberg 1653.—
Benseler, Geschichte Freibergs und seines Bergbaues, Freib. 1843 u. a. m.
5. (S. 5.) R. Steche, a. a. O. Heft VIII.
6. (S. 6.) E. Herzog, Martin Römer, Mitth. d. kgl. sächs. Alterthums-
Vereins, Heft 14.
149
7. (©. 7.) Dr. Röhricht u. Dr. H. Meißner, Briefe die Jerusalemer-
fahrt des Herzogs Albrecht von Sachsen betr. — N. Archiv für sächs. Gesch.
Band IV. Dresden 1883. — Vergleiche auch Röhricht und Meißner,
Deutsche Pilgerfahrten.
7a. (S. 7.) Außer den bei Steche angegebenen Quellen benutzte ich zur
Geschichte Annabergs noch: Petr. Albinus, Annabergische Annales äs anno
1472 biß 1539 (Handschrift!, in der kgl. öffentl. Bibliothek zu Dresden) und
die Stadtrechnung: Rechnung S. Annaperg, Stadt und Kirche, Angefangen
Sonntag Quasmodo geniti Anno ic~ xix°, Beschlossen Quasmogeniti Anno
ic" x'x°, brengt l Wochen. (Im städt. Museum zu Annaberg.)
8. (S. 7.) Abgebildet in der Richterschen Chronik von St. Annaberg,
1746.
9. Außer den bekannten größeren Werken über sächsische Geschichte ist
vorzugsweise benutzt: H. Ermisch, Studien z. Gesch. der sächsisch-böhmischen
Beziehungen in den Jahren 1464—1468 im N. Archiv für sächs. Geschichte,
Band I; in den Jahren 1468—1471, ebendaselbst Band II. Siehe dort den
Literaturnachweis Band I Seite 209.
9a. (S. 15.) Unter „reformatorisch" verstehe ich hier natürlich nicht
dasselbe wie „evangelisch", sondern das allgemeine Streben nach Besserung
der Kirche.
10. (S. 16.) Henry Thode, Franz von Assisi, Berlin 1888. — Ludw.
Keller, Die Reformation und die älteren Reformatoren, Leipzig 1885.
11. (S. 17.) Vergleiche über das Sektenwesen die Litteraturangaben
bei Karl Müller, Die Arbeiten zur Kirchengeschichte des 14. u. 15. Jahr-
Hunderts aus den Jahren 1875—1884. Zeitschr. für Kirchengesch. VII. Bd.
Gotha 1885. — lieber die Begharden und.Beguinen siehe hie betr. Artikel
von G. E. Petri, Gruber und Ersch: Allg. Encyclopedie, VIII Theil, Leip-
zig 1822. — R. Bauer, S. I., Wetzer und Welte's Kirchenlexikon, II. Bd.
II. Aufl, Freiburg 1883. — Hallmann, Geschichte und Ursprung der
Beghinen, Berlin 1843. — Hermann Haupt, Beiträge zur Geschichte der
Sekte vom freien Geiste und des Beghardenthums in Zeitschrift für Kirchen-
gefchichte, VII. Bd. Gotha 1885. Siehe dort die Litteratur S. 533, 536. —
Ferner Simonde di Sismondi, Die Kreuzzüge gegen die AlbiZ'enser,
Leipzig 1829. — Peyrat, Histoire des Albigeois, Paris 1870—72. —
Bender, Gesch. der Waldenser, Ulm 1850. — I. Nepom. Brischar,
Albigenser, in Wetzer u. Welte's Kirchenlexikon. — C. Schmidt, Katharer,
in Herzog und Plitt, Real-Enchclopädie für Protest. Theol. Siehe dort die
Litteratur. — Herm. Haupt, Neue Beiträge zur Geschichte des Mittelalter-
lichen Waldenserthums, in v. Sybels Hist. Zeitschr. 1889. S. dort die Litteratur
S. 39 ff. — I. Göll, Die Waldenser im Mittelalter und ihre Litteratur in
Mitth. des Jnstit. f. österr. Geschichtsforschung 1888. — Endlich Delprat,
Die Bruderschaft des gemeinsamen Lebens, aus dem Französischen von
Mohnike, Leipzig 1840; Wilh. Preger, Geschichte der deutschen Mystik
150
im Mittelalter, Leipzig 1854; G. Lechler, in Herzog u. Plitt, Real-Encykl.
für Protest. Theol. II. Aufl. Band 8, Leipzig 1SS1.
12, 13, 14. Diese Verweiszahlen sind leider durch ein Versehen bei
der Korrektur ausgefallen.
15. (S. 19.) G.Voigt, Johannes von Capistrano, ein Heiliger des
15. Jahrhunderts in v. Sybels Hist. Zeitschrift, Band 10, München 1803. —
Dr. Otto Richter, Der Bußprediger Johannes von Capistrano in Dresden
und den Nachbarstädten 1452. Mitth. des Vereins für Gesch. Dresdens,
Heft IV, Dresden 1883.
10. (S. 19.) Lic. Dr. Mulert, Evangelische vor der Reformation in
Sachsen, Wiss. Beilage der Leipz. Ztg. 1889. Nr. 28. — Dr. O. Meltzer,
Die Kreuzschule zu Dresden bis zur Reformation (1539), Mitth. d. Vereins
für Geschichte Dresdens, Heft VII. Dresden 1886. Siehe das. Nachtrag I.
17. (S. 19.) I. Hartman» in Deutsche Biographie, Band V. Leip-
zig 1877.
18. (S. 21.) Ein Beispiel aus dem Jahre 1448: siehe A. Bachmann,
Herzog Wilhelm und sein böhmisches Söldnerheer auf dem Zuge vor Soest,
N. Archiv für sächs. Gesch. Bd. II. Dresden 1881.
19. (S. 26.) G. Voigt, Enea Silvio de'Piccolomini, als Papst Pius II.
und sein Zeitalter, Berlin 1856—63.
20. (S. 26.) Prantl in Deutsche Biographie, Band IV. Leipzig 1876.
Siehe dort die Litteratur. Ferner Karl Grube, Die Legationsreise des
Nicolaus von Cusa durch Norddeutschland 1451. Hist. Jahr. d. Görresges.
1880. Bd. I.
21. (S. 27.) Bachmann, in Deutsche Biographie, Band XI. Leipzig
1880. Siehe dort die Litteratur.
22. (S. 28.) H. Gradl, Die Irrlehren der Wirsperger, in Mittheilungen
des Vereins für Geschichte der Deutschen in Böhmen. Band XIX. S. 2'70.
23. (S. 29.) W. Böhm, Fr. Reiser's Reformation des Kaisers Sigis-
mund, Leipzig 1879.
24. (S. 34.) Haenel und Adam und Cornelius Gurlitt, Sächs.
Herrensitze und Schlösser, Dresden, Gilbers.
25. (S. 35.) Th. Distel, Meister Arnold, der Erbauer der Albrechts-
bürg, Archiv für die sächs. Geschichte. N. F. Band V. — C. Gurlitt, Das
Schloß zu Meisten, Dresden 1881; siehe dort die Litteratur.
26. (S. 42.) S. die Litteratur über d. Hüttenwesen b. Alwin Schultz,
Die deutschen Dombaumeister des Mittelalters in Kunst und Künstler, Leip-
zig 1877; Fr. Rziha, Studien über Steimnetzzeichen, Wien 1883; und bei
A. Klemm, Württembergische Baumeister und Bildhauer, Stuttgart 1882.
Außerdem: J.Neuwirth, Die Satzungen des Regensburger Steinmetztages,
Wien 1888. — Derselbe, Die Wochenrechnungen und der Betrieb des Präger-
Domes 1372—1378, Prag 1890. — St. Beissel, Die Bauführung des
Mittelalters, 2. Aufl. Freiburg i. B. 1889. Ich fand eine Anzahl hier der-
151
wendeter Akten über die Erfurter Hütte im dortigen Stadtarchiv und hoffe
sie demnächst im Repertorium für Kunstwissenschaft veröffentlichen zu können.
Aehnliche bei A. Reichensperger, Vermischte Schriften, Leipzig 1856.
27. (S. 45.) F. X. Kraus, Kunst und Alterthum in Elfaß-Lothringen,
Straßburg 1876—84.
28. (S. 51.) Lorenz Lachners Unterweisung an seinen Sohn Moritz
1516. Siehe Reichensperger, Vermischte Schriften. Vgl. Roritzers Büch-
lein von der Fialen Gerechtigkeit, 1486, herausgegeben v. C. Heideloff, Die
Bauhütte d. Mittelalt; und — wesentlich besser — von A. Reichenfperger,
1845. — Ferner Hans Schmuttermayers Druckschriftchen. Abgedr. im An-
zeiger für Kunde deutscher Vorzeit, 1881 und 1882.
29. (S. 61.) Dr. E. Wernicke, Sachs. Künstler in Görlitzer Geschichts-
quellen; N. Archiv für die fächf. Geschichte. Band VI. Dresden 1885. —
Derselbe, Schlefifche Steinmetzzeichen, in Schlesiens Vorzeit in Wort und
Bild, 1877. — Derselbe, Anzeiger für Kunde deutscher Vorzeit, 1877. —
Leider habe ich in dem vorliegenden für ein größeres Publikum berechneten
Büchlein meine Fachstudien hier nur in ihren Ergebnissen mittheilen können,
hoffe aber bald Gelegenheit zu finden, meine Annahmen foweit thunlich zu
beweisen.
30. (S. 64.) I. Nep. Brischar, Albigenser, in Wetzer und Welte's
Kirchenlexikon. — C. Schmidt, Katharer, in Herzog und Plitt's Reallexikon
für Protest. Theologie. Siehe dort die Litteratur sowie Anmerkung 11 dieses
Buches.
31. (S. 64.) Ueber die Frage, wie die einzelnen Stilarten zur katho-
tischen Kirche stehen, ist in dieser felbst ein beachtenswerther Streit aus-
gebrochen. Vergl. J.Graus, Die katholische Kirche und die Renaissance,
2. Aufl. Freiburg i.V. 1888. — Derselbe, Ueber eine Kunst-Anschauung,
Bamberg 1889. — Derselbe, Zum modernen Stylhaß, im Kirchenschmuck,
1890. Nr. 6. — A. Reichensperger, Zur Kennzeichnung der Renaissance,
in Zeitschr. für christl. Kunst 1890. Nr. 1 u. 2. — C. Gurlitt, Die Gothik
und die Confeffionen, Gegenwart 1889 Nr. 38. — Derselbe, Kathol. Kunst-
wissenschaft, Gegenwart 1890 Nr. 24.— Graus weist sehr geschickt nach, daß
die einschiffige Kirchenanlage, welche jetzt vom deutschen Ultramontanismus
infolge seiner romantischen Kunstanschauungen abgelehnt wird, nicht minder
„katholisch" sei als die Kreuzanlage. Seine Arbeit berührt sich also viel-
fach mit der vorliegenden. Nur scheint ihm entgangen zu sein, daß die viel-
gestaltigen, unübersichtlichen, reich gruppirten Grundrisse eine andere geistige
Grundanschauung bedingen als die klareren, einfacheren und daher auch
nüchterneren. Der Ultramontanismus wie er heute ist, thut ganz recht in
dämmerige, auf das Gemüth einwirkende, die Besucher traumhaft umfangende
Kirchen sich zurückzuziehen, weil er nicht in der Predigt, nicht in der Kraft
des überzeugenden Wortes sein Heil sieht. Das war nicht immer so. In
den Kampfzeiten des Mittelalters und der Reformation entwickelt sich das
Ringen für und wider die römische Lehre gleichmäßig auf allen Kanzeln. Die
152
Saalkirche ist daher meiner Ansicht nach stets der Ausdruck der die Lehre
durch das Wort bekämpfenden Häresie oder der mit gleichen Waffen sie der-
theidigenden katholischen Kirche, sie ist eben die Gemeinde- und Predigtkirche
im Gegensatz zur Meßkirche, die Kirche des Wortes, im Gegensatz zur Opfer-
kirche. Dabei ist es natürlich künstlerisch gleichgültig, ob das Wort in
dieser oder jener Weise ausgelegt werde! Diese meine Ansicht steht im vollem
Gegensatze zu der Reichenspergers, der den Katholizismus in der gothischen
Form zu erkennen scheint, während ich in dem Zwecke, welchem zu liebe der
Bau seine Gestaltung erhielt, das geistig Entscheidende suchen zu müssen glaube.
32. (S. 66.) G. Dehio und G. v. Bezold, Die kirchliche Baukunst
des Abendlandes, Heft II. Stuttgart1887. Siehe dort den Literaturnachweis.
Ueber das benachbarte Nordspanien vergleiche I. Graus, Kunstbetrach-
tungen auf einer Reise nach Spanien, Kirchenschmuck 1887—1888. — Ca-
veda, Christliche Kunst in Spanien, übers, von P. Heyfe, Leipzig 1853. —
Junghändel und Gurlitt, Die Baukunst Spaniens, Dresden 1889. —
G. E. Street, Lome |account of Gothic Architecture in Spain, London
1869. — G. Dierks, Die Araber im Mittelalter, Annaberg 1875.
33. (S. 67.) A. Niedermayer, Kunstgeschichte der Stadt Würzburg,
II. Ausl. Freiburg i. B. 1864.
34. (S. 67.) John Britton, Architectural Antiquities, London 1807.
35. (S. 68.) I. Loserth, Die latent. Predigten Wicliss in Zeitschr. f.
Kirchengesch., Band IX., Gotha 1888.
36. (S. 68.) I. Burkhardt, Gesch. der ital. Renaissance, III. Aufl.
Stuttg. 1890. — Derselbe, Cicerone, Y. Aufl. Leipzig 1884. — R. Redten-
Bacher, Die Architektur der ital. Renaissance, Frankfurt a. M. 1886. —
Graus, Die kathol. Kirche und die Renaissance, II. Ausl. Freib. i. B. 1888.
37. (S. 70.) R. Cruel, Geschichte der deutschen Predigt im Mittel-
alter, 1879.
38. (S. 76.) Die Chroniken der deutschen Städte, Bd. III (Nürnberg).
Leipzig 1864. S. 175.
39. (S. 76.) Müller, Die Waldenser und ihre einzelnen Gruppen in
Ullmann's theol. Studien 1886 und 1887.
40. (S. 76.) Die Chroniken der deutschen Städte a. a. O.
41. (S. 77.) P. H. S. D enisle, Der Gottessreund im Oberland und
Nikolaus von Basel. Zeitschr. für Kirchengesch. Band III. Gotha 1879. —
Derselbe, Die Dichtungen des Gottesfreundes im Oberlan in Zeitschr. für
deutsch. Werth, u. Litt. XXIV. N. F. XII. 1880. — I)r. E. Keller, Die
Reformation und die alten Reformatoren, Leipzig 1885. S. 215 ldem ich
nicht überall zustimmen kann).
42. (S. 77.) Janssen, Geschichte des deutschen Volkes. I.Band. Frei-
bürg 1876.
43. (S. 77.) Dr. M. Luthers Deutsche Schriften, sogen. Erlanger
Ausgabe, Band 44. S. 245. Band 7. (2. Aufl.) S. 219; Band 15. S. 172.
158
44. (S. 79.) Riggenbach, Eberlin von Günzburg, Tübingen 1874. —
Vergl. G. Kaiverau, Caspar Güttel, Excurs I in Zeitschr. d. Harz-Vereins
für Geschichte und Alterthum, Wernigerode 1882.
43. (S. 80.) Ich vermisse den Hinweis auf Evang. Joh. 2, 18—21, wo
Christus den Juden das Zeichen zu geben verspricht, daß er den Tempel,
welchen jene in 46 Jahren erbaut haben, in drei Tagen neu erbauen will.
„Er aber redete von dem Tempel seines Leibes." „Denn in ihm wohnet die
ganze Fülle der Gottheit leibhaftig," Col. 2. 9.
46. (S. 81.) Wernicke a. a. O.
47. (S. 82.) vr. A. von Eye, Führer durch das Museum des königl.
sächs. Alterthumsvereins, Dresden. Einzelne Bildwerke abgebildet bei C. An-
dreae, Monumente des Mittelalters aus dem sächs. Erzgebirge, Dresden,
Gilbers, 1875. Vgl. ferner Steche, a. a. O.
48. (S. 89.) Schuchardt, L. Cranachs des älteren Leben und Werke,
Leipzig 1851—71.
49. (S. 89.) G. Wuftmann, Beiträge zur Geschichte der Maler in
Leipzig, Leipzig 1879.
50. (S. 89.) Dies Blatt, welches durch Thausing, Dürer, Geschichte
seines Lebens und seiner Kunst, Leipzig 1876, für ein Werk des Wohlgemuth
erklärt wurde, ist jetzt durch M. Lehrs als eine Arbeit des Wenzel von
Olmütz und als einer Skulptur an der Porta della rana des Domes zu Como
nachgebildet erkannt. Vergl. Chronik für vervielfältigende Künste, Jahrg. III.
1890. Nr. 3 S. 22.
51. (S. 51.) Woltmann, die betr. Artikel in der Deutsch. Biographie.
Siehe dort die Litteratur. Ferner Kolbe, Zum Prozeß Denk und der
„gottlosen Maler" in Kirchengesch. Studien 1888.
52. (S. 92.) Alle diese Nachrichten entlehnt aus Albinus handschristl.
Chronik in der kgl. öff. Bibliothek zu Dresden.
53. (S. 92.) Hauptstaats-Archiv zu Dresden: Acta, die Stadt Anna-
berg belangend, Loc 9827. Vol. I. S. 14. — Abgedr. bei Steche, a. a. O,
Heft IV,S. 9.
54. (S. 93.) Luthers Werke, Erlanger Ausgabe Band 34. S. 121.
55. (S. 95.) Ebendaf. Band 44. S. 245.
56. (S. 96.) Ebendas. Band 44. S. 241.
57. (S. 96.) F. Falk, Die Verehrung der hl. Anna im 15. Jahrh., im
Katholik, 55. Jahrg., Mainz 1878. — G. Kawerau, Casp. Güttel a. a. O. —
Alwin Schultz, Jkonogr. Studien über die Sippe der H.Jungfrau, im
Anz. für Kunde Deutscher Vorzeit, 1870. — Derselbe, Legende vom Leben
der Jungfrau Maria. 1878.
58. (S. 98.) Jrmifcher, a. a. O. Band 44. S. 241.
59. (S. 98.) Kayser, Geschichtsquellen über Tezel, Annab. 1877. —
Myconius, Historia reformationis, ed. C. S. Cyprian, Gotha 1718. —
I
4
154
Ledderhose, Friedrich Mykonius, Gotha 1854. Die Echtheit des Berichtes
von Mhconius wird, wie mir scheint, ohne genügenden Grund, angezweifelt.
60. (S. 101.) Johs. Falke, Beiträge zur sächsischen Münzgeschichte
(1-144—1470) in Mitth. d. kgl. sächs. Alterthumsvereins. Heft 16—18.
61. (S. 101.) vr. Otto Richter, Zur Bevölkerungsstatistik Dresdens
im 15. Jahrh. im N. Archiv für die sächs. Gesch., Bd. II. Dresden 1881. —
Derselbe, Zur Bevölkerungs- u. Vermögensstatistik Meißens im Jahre 1481,
Mitth. des Vereins für Gesch. der Stadt Meißen. Heft I. Meißen 1882. —
Joh. Falke, Archiv für Nationalökonomie, Band XVI, pag. 68. — Der-
selbe, Die Finanzwirthschaft im Kurf. Sachsen um das Jahr 1470, in Mitth.
des königl. sächs. Alterthumsvereins. Heft 20.
62. (S. 102.) Diese Angaben verdanke ich der Güte des Direktors des
städtischen statistischen Amtes zu Dresden, Herrn Edelmann. Es kostete
in den Jahren 1879—1889 an der Dresdner Börse der Dresdner Scheffel
Weißweizen durchschnittlich 15,88 Mi, sächsischer Roggen 12,15 Mk., säch-
sische Gerste 10,47 Mk. Da jetzt Getreide nach Gewicht verkauft wird,
wurden folgende Ansätze in die Rechnung aufgenommen: 1 Dresdner Scheffel
Weizen wiegt 81 kg., Roggen 77,5 kg., Gerste 68 kg. Vgl. K. v. Langs-
dorfs, Die Landwirthfchaft im Königreich Sachsen, Dresden 1889.
63. (S. 103.) Erlanger Ausgabe, Band 15. S. 214.
64. (S. 105.) Siehe Falk a. a. O. Anm. 57.
65. (S. 105.) Vergl. Deutsche Biographie; dort die Litteraturangabe
über die einzelnen, im Nachstehenden genannten Männer.
66. (S. 110.) Im Ratsarchiv zu Dresden. Herr Ratsarchivar
vr. Otto Richter hatte die Güte mir Einblick in sein Manuskript für den
2. Band feiner Verfassungsgeschichte der Stadt Dresden (1. Band, Dresden
1885) zu gestatten.
67. (S. 113.) A. Klemm, Würtemb. Vierteljahrshefte f. Landesgesch.,
1885. Vergl. auch über die Anschauungen, welche in Würtemberg über pro-
test. Kirchenbau und besonders über jenen im Erzgebirge herrschten, Klemm's
Aufsatz über A. Tretfch, Repertorium für Kunstwissenschaft, 1886. Heft I.
S. 41 und 42.
68. (S. 114.) Vergl. Janner, Die Bauhütten des Mittelalters. Leip-
zig 1876.
69. (S. 116.) Wernicke a. a. O.
70. (S. 119.) I. N. Sepp, Jerusalem und das heilige Land. II. Aufl.
Regensburg 1876.
71. (S. 123.) Außer Steche a. a. O. vergl. B. Grueber, Die Kunst
des Mittelalt. in Böhmen, Wien 1871—79 — P. Lehseldt, Bau- u. Kunst-
denkmale Thüringens, Jena 1888 ff. — Beschreibende Darstellung der Bau-
und Kunstdenkmale der Prov. Sachsen, Halle 1882 ff. — Puttrich, Denk»
mäler der Baukunst des Mittelalters in Sachsen, Leipzig 1836—1850. Auf
die Kirche zu Joachimsthal machte mich Herr vr. R. Weil in Berlin auf-
merksam, dem ich auch hier für vielseitige Unterstützung in der kgl. Biblio-.
155
thek in Berlin meinen Dank ausspreche. Vgl. seinen Artikel über Joachims-
thal, in Christliche Welt, Nr. 2, Jahrg. 1890.
72. (S. 127.) Lehfeldt a. a. O. Heft I.
73. (S. 130.) Erlanger Ausgabe Band 17, S. 243.
74. (S. 130.) Ebendas. Band 17, S. 120.
75. (S. 130.) Ebendas. Band 39, S. 159.
76. (S. 130.) A. D. Richter, Chronik der Stadt Chemnitz, Annaberg
1753, Band I, S. 73.
77. (S. 133.) Das bei Steche a. a. O. Heft 3 S. 36 angegebene Zeichen
stammt meiner Ansicht nach nicht aus der Zeit der Errichtung der Kanzel.
78. Lehfeldt (S. 135.) a. a. O. Heft 2.
79. (S. 137.) G. Wustmann, Hieronymus Lotter, Leipzig 1875.
80. (©. 139.) Die Chroniken Deutscher Städte a. a. O.
81. (S. 140.) De Wette, Luthers Briefe, Berlin 1856, Band VI.
S. 58. — Erlanger Ausgabe, Band 28, S. 309.
Druckfehler.
Seite 95, Zeile 4 von oben,
„ III, „ 11 von oben und
„ 115, „ 9 von oben
muß es heißen 1519—1520 statt 1518—
DruS von Ehrhardt Karras, Halle a. S.