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Dieser Band wurde
1994 mit
Ethylenoxid
sterilisiert.
Verfärbungen sind
ohne Bedeutung!
Berlin in Bildern 1810-1910
Mit einer Einleitung von Dr. Max Osborn
3 ®"ito^rala9 Zu Erinnerung an das
"910' Aniversitäts-Zubiläum
i &. 16 .
Berlin 1810-1910
3 wischen dem Gründungsjahr der Friedrich-Wilhelms-Aniversität und^dem Jahre ihrer
Säkulärfeier liegt für Berlin die Entwickelung aus einer norddeutschen Beamten-
und Garnisonstadt zum politischen, wirtschaftlichen und geistigen Centrum einer nationalen
Weltmacht. Am 1810 besaß die preußische Königsresidenz 200000 Einwohner; um
1910 umfaßt das, was wir unter dem Begriff Berlin verstehen, ein Gebiet, auf dem
drei Millionen Menschen wohnen. Die Hochschule, die in ihren Anfangsjahren knapp
hundert Musensöhne und ein Fähnlein Professoren beherbergte, deren Äörsäle bald
darauf während der Freiheitskriege nahezu völlig verödeten, um sich erst allmählich
wieder zu füllen, zählte im letzten Wintersemester über 500 Dozenten und an 10000
Studierende. Aber diese Entwickelung bewegte sich nicht in einer langsam und.stetig
steigenden Gangart aufwärts, lsondern unregelmäßig und sprunghaft. Erst 'nach den
Stürmen von 1848 begann die Stadt ihre provinzielle Physiognomie zu verlieren, dann
folgte wieder ein Rückschlag, und erst in der Mitte des Jahrhunderts, das seit 1810 ver-
flössen ist, nach 1860, setzte der erstaunliche Aufschwung der Industrie und des Kandels
ein, dem Berlin vor allem seine heutige Bedeutung dankt, um nun mit unberechenbarer
Schnelligkeit immer weiter emporzuführen.
Die Bildseiten dieses Bändchens wollen eine Anschauung von dem ungeheuren
Wandel geben, der sich unter dem Einfluß jenes in Europa beispiellosen Wachstums
III
im äußeren Bilde Berlins vollzogen hat. Sie sind darum nach dem Prinzip geordnet,
daß immer einer Ansicht der alten Stadt eine der neuen folgt, die demselben Viertel
entstammt, wenn möglich sogar die gleiche Partie der Straßenzüge betrifft, um so die
gewaltigen Umwälzungen zu sinnfälligstem Ausdruck zu bringen. Der Verleger und
Herausgeber war darauf bedacht, unter den Stichen, Lithographien, Zeichnungen aus der
Vergangenheit, die mit den photographischen Aufnahmen der Gegenwart kontrastieren, so-
weit erreichbar solche Blätter aufzunehmen, die aufs genaueste dem Zustande von 1810
entsprechen. In den wenigen Fällen, wo jüngere und ältere Originale herangezogen
werden mußten, ist diese Auswahl mit Sorgfalt fo getroffen, daß die dargebotenen Ab-
bildungen dennoch den Anblick der Stadt aus der Gründungszeit der Universität wiedergeben.
Damals bildete Berlin als Stadtganzes noch eine schöne und geschlossene Einheit,
die den weithin erkennbaren Stempel preußisch-märkischer Eigenart trug. Seine Architektur
wie der Grundriß seines Straßennetzes hatten sich im Lause vieler Jahrhunderte langsam,
logisch und organisch entwickelt. Wohl hatte die niederdeutsche Stadt, die in ihren An-
sängen durchaus von der Bauart der Gegend bestimmt und in der Epoche ihres ersten
bedeutsamen Aufstiegs, unter dem Großen Kurfürsten, den städtebaulichen und architek-
tonischen Gedanken gefolgt war, die sich im stammverwandten Holland zur Herrschaft
durchgerungen hatten, seitdem sie um 1700 die Heimstätte königlicher Repräsentation und
Prunkliebe geworden, Anregungen des allgemeinen Zeitgeschmacks in sich aufgenommen.
Sie hatte Einflüsse des Barock, des Rokoko, des Klassizismus erfahren, die aus Italien
IV
und Frankreich stammten. Schlüter, Knobelsdorfs, Gontard, Langhans und ihre Neben-
männer waren durch die Schule der internationalen Kunst ihrer Zeit gegangen und hatten
Bauwerke aufgeführt, die eine Architektur von europäischer Geltung in der Mark an-
siedelten. Doch der Berliner Boden erwies sich jedesmal kräftig genug, um, was diefe
Meister schufen, gleichwohl mit feinen Säften zu durchtränken. Ihre Wohnhäuser,
Schmuck- und Monumentalbauten folgten den Tendenzen der Spätrenaissance, der Zopf-
zeit, des Schnörkeltums, des frühklassischen Stils, aber sie präsentierten sich schließlich
dennoch als Werke von berlinischem Wesen. Sie übernahmen die Grundgedanken und
Ziermotive des wechselnden Geschmacks, aber sie bewahrten sich auch die Klarheit,
Reserviertheit und zweckmäßige Schlichtheit, die für das ältere Berlin charakteristisch
waren. Trotz allen Verschiedenheiten zog sich eine große, gerade Linie von den Kirchen
der mittelalterlichen Stadt bis zum Brandenburger Tore.
Mit dem Beginn des rapiden Wachstums hörte diese festgeschlossene Einheit auf.
Schinkel war ihr letzter Vertreter. Aber schon seine Schüler, und noch mehr die Gene-
ration, die ihnen folgte, verloren nach und nach den Zusammenhang mit der Tradition
und das feinere Gefühl für die Kunst, Neues mit Aeberliefertem innerlich zu verschmelzen.
Bis Berlin am Ende des neunzehnten Jahrhunderts in seiner äußeren Erscheinung jede
Individualität eingebüßt hatte und zum Tummelplatz 'eines charakter- und skrupellosen,
historisch kopierenden Eklektizismus geworden war. Das Wirre, Gärende, ewig Werdende
noch Unsichere, Schwankende im Leben der Stadt, das eine Folgeerscheinung des unvor-
V
bereiteten, plötzlichen Aufschwungs war, spiegelte sich in der Ratlosigkeit und Llnruhe
seiner Architektur.
Nach allzu langer Dauer beginnt dieser Zustand der Verwirrung und Unsicherheit
heute langsam wieder sich zu lösen. Aus dem überschnell gewachsenen Gemeinwesen, das
vor Staunen über das atemlose Tempo seiner eigenen Vergrößerung aus dem Gleichgewicht
geworfen wurde, wird nun allmählich eine wirkliche Weltstadt; die Hypertrophie weicht
einer gesetzmäßigen Entwicklung. Durch glänzende Architekten, wie Alfred Messel, Ludwig
Äoffmann, Geßner, Grenander, Möhring, Behrens sind zugleich Grundzüge einer neuen
berlinischen Bau- und Stadtkunst geschaffen worden. Llnd so viele dringliche Wünsche
bis heute unerfüllt blieben: die Stadt wird allmählich wieder zu einer Einheit, bekommt
wieder ein Gesicht und eine Seele. Die Architekturwerke, die von dieser jüngsten, will-
kommenen Matamorphose Berlins Kunde geben, beschränken sich nicht mehr, wie die ahn-
lichen Bauten vor hundert Iahren, auf Stätten des Schmuckes, der Repräsentation, des
behaglichen Wohnens, des kirchlichen und künstlerischen Lebens, sondern bestehen daneben
— entsprechend dem Stoffwechsel des Blutes, das in der Stadt zirkuliert — zum großen
Teil aus Stätten der Arbeit und des Massenverkehrs. Die Anlagen der großen industriellen
Unternehmungen und die Paläste des mächtig aufgeblühten Bankwesens, die gleich auf
die Befriedigung von Tausenden eingerichteten gesellschaftlichen und sportlichen Riesen-
etablissements geben dem Bilde der jetzigen Stadt ebenso sein Gepräge wie die gewaltig
vergrößerten Baulichkeiten der wissenschaftlichen, künstlerischen, sozialen, sanitären, päda-
VI
gogischen Institute. Sie alle sind sprechende Zeugen für die gesteigerten Energien, für
die ungeheure Vermehrung des geistigen und materiellen Kapitals, das heute die Grund-
läge der täglich in Berlin geleisteten, bewundernswürdigen, unaufhörlich neue Werte
schaffenden Arbeit bildet, und — was für unsere Kunst- und Kulturhoffnungen von
besonderer Wichtigkeit ist — sie fangen an, neben dem ihren quantitativen Forderungen
genügenden Maßstab auch einen ihrem Zweck und Wesen wie den geklärten ästhetischen
Anschauungen entsprechenden Stil zu finden.
So darf sich tatsächlich dem Berlin von 1810 ein Berlin von 1910 gegenüberstellen,
das sich zwar gewiß noch nicht der charaktervollen und in sich gefesteten Eigenart rühmen
darf, die jenem von Natur eignete, das jedoch immerhin die Rudimente einer künftigen
Weltstadt von neuer, individueller Gestaltung aufweist und der Gegenwart das fesselnde
Schauspiel bietet, wie sich ein großer moderner Organismus mit enormer Anspannung
und Konzentration seiner vielfachen Kräfte nach einem inneren Plane feste Ausdrucks-
formen für die bestimmenden Elemente seines Wesens schafft. Eine vergleichende Be-
trachtung der alten und neuen Bilder des vorliegenden Bändchens wird dies beredter
als Worte erweisen. MaxOsborn
VII
Inhalt
Seite
Die Universität um 1810......................1
Die Rektoren der Universität 1810, 1811 und
1910..........................................2
Am Portal des Universitätsgartens .... 3
Die Aula.......................4
Die alte Königl. Bibliothek..................5
Die neue Königl. Bibliothek 1910............6
Promenade Anter den Linden und alte
Akademie...........................7
Die neuen akademischen Hochschulen .... 8
Der Opernplatz vor hundert Iahren .... 9
Das Gerüst des künftigen Bibliotheks- und
Akademiebaus................................10
Das Äotel de Rome..........................11
Das Zeughaus und die Opernbrücke vor
hundert Iahren..............................12
König Friedrich Wilhelm III. in seinem
Arbeitskabinett..............................13
Die Äabelsche Weinstube Unter den Linden 14
Das Standbild des alten Dessauer im Lust-
garten vor hundert Jahren........ 15
Die alte Börse vor hundert Jahren .... 15
VIII
Seite
Der neue Dom und die neue Börse .... 16
Handelshochschule und Äeilige Geistkirche . 17
Das Schloß von der Schloßfreiheit vor
hundert Jahren..............................18
Das Denkmal Kaiser Wilhelms I. .... . 19
Der Köllnische Fischmarkt vor hundertIahren 20
Das Märkische Museum......................21
Das Äaus der Vossischen Zeitung.....22
Die Ruine der Petrikirche nach dem Brande
von 1809......................................23
Die Berlinische Feuer-Versicherungs-Anstalt
einst und jetzt................................24
Das alte und das neue Rathaus............25
Das Stadthaus......................26
Die Königskolonnaden..............27
Das neue Land- und Amtsgericht............28
Einzug Friedrich Wilhelms III. durch das
Bernauer Tor..............................29
Kinderspielhalle im Friedrichshain............30
Das Friedrichs - Realgymnasium in der
Schleiermacherstraße........................31
Der Spittelmarkt vor hundert Jahren ... 32
Seite
^ Der Spindlershof ...................33
/ Der Dönhoffsplatz vor hundert Iahren . . 34
Das Kammergericht............................35
Das neue Oberverwaltungsgericht.....36
Die Französischestraße und das Schauspiel-
haus vor hundert Iahren..................37
Die Berliner Äandels-Gesellschast. ..... 38
Das „Äaus der Naturforscher"..............39
Weinhaus Trarbach (Onyxsaal)..............40
Die alte Seehandlung.....................41
Die Neichsbank.................42
Der Zietenplatz vor hundert Iahren .... 43
Der Kaiserhof......................44
Die Promenade am Pariser Platz um 1810 45
Das Äaus des Kultusministeriums.....46
Das Pontonhaus um 1810....................47
Die Kriegsakademie......................47 ^
Das Militärkabinett............................48
Der Neubau der Nationalbank .......49
Das Brandenburger Tor vom Tiergarten
aus, vor hundert Iahren . ........ 50
Das Reichstagsgebäude.............51
Die Berliner Straße in Charlottenburg vor
hundert Iahren..............................52
Die Bilder 4, 14, 16,41, 42,46,63,
aufnahmen der Königl. Preuß
Seite
Die Technische Kochschule ....................53
Neubauten des Zoologischen Gartens ... 54
Eisbelustigung im Tiergarten vor hundert
Iahren.................................55
Der Eispalast............................56
Dorf Schöneberg vor hundert Iahren ... 57
Das neue Schauspielhaus . ........ . 58
Leipziger Platz und Potsdamer Tor vor
hundert Iahren..............................59
Das Warenhaus A. Wertheim ....... 60
Am Weidendamm vor hundert Iahren . . 61
Das neue Geschäftshaus der „A. E. G." . . 62
Alte und neue Charite. . .....................63
Das Rudolf Virchow-Krankenhaus..........64
Die alte Tierarzneischule......................65
Das Museum für Naturkunde................66
Der einstige Werdersche Packhof ......67
Die Bauakademie . ...........................67
Die Darmstädter Bank...............68
Das Mehlhaus und die eiserne Brücke vor
hundert Iahren..............................69
Das Kaiser Friedrich-Museum. ....... 70
Schlößchen Tegel................................71
Die alte Fabrik von Borsig ..............72
66, 67 sind nach Original- IX
Meßbildanstalt zu Berlin.
as Gebäude der Universität, von Friedrich dem Großen für seinen Bruder, den
Prinzen Heinrich, errichtet — 1748 begonnen, aber nach langen Linterbrechungen
durch den siebenjährigen Krieg erst 1766 bezogen —, nimmt in dem architektonischen Bilde
der schönsten Straßensiucht Berlins eine bedeutende Stelle ein. Es schließt das „Forum
Friderici" nach Norden ab. Ursprünglich herrschten hier noch großartigere Pläne.
Knobelsdorf (1699—1753), der Erbauer des Opernhauses (1741—43), dachte daran,
diesem „Zauberpalast" gegenüber einen ähnlichen Tempelbau aufzuführen, das freie
Rechteck des Opernplatzes jenseits der Linden in ganzer Größe zu wiederholen und beide
Teile des so entstandenen Doppelplatzes mit monumentalen Architekturen zu umrahmen.
Später begnügte man sich mit der Anlage, wie sie noch heute, imposant genug, sich vor
uns ausbreitet. Das alte Motiv des barocken französischen Adelspalais mit ioof und
zurückliegenden Kauptteil, das Jahrzehnte vorher namentlich in der Wilhelmstraße so oft
mit prächtiger Wirkung nachgeahmt worden war, benutzte man hier, um in den vor-
tretenden Flügeln östlich dem Opernhause, westlich dem Palais des Markgrasen von
Schwedt, dem späteren Palais Kaiser Wilhelms I., ein effektvolles Gegenüber zu schaffen
und so die Baugruppe rechts und links der Linden einheitlich zusammenzufassen. Ob
der Entwurf des Palais für den Prinzen Heinrich von Knobelsdorff selbst stammt, wie
oft behauptet wird, ist zweifelhaft; Einzelheiten, wie die Köpfe an den Schlußsteinen der
Fensterwölbungen, widersprechen sicher seinem reinen Geschmack. Die Bauleitung hatte
jedenfalls Zoh. Baumann d. Ä. (1706—76). Schon zu Lebzeiten des Prinzen, der als
ironischer Frondeur am liebsten sern von Berlin in Rheinsberg residierte, stand das
Palais meist öde da; der Garten hinter ihm war verwildert nnd erschien den Berlinern
um 1800 sast als ein verwunschenes Revier. Nach Heinrichs Tode (1801) diente das
Gebäude dann verschiedenen Zwecken, bis 1809 3. F. Gentz darin den ersten Hörsaal in
einem Raum nach dem Garten zu einrichtete und im Jahre darauf die Universität mit
ihren Sammlungen einzog.
ls im Oktober 1810 die Berliner Universität eröffnet wurde, ward von der Regierung
der Jurist Theod. Ant. Äeinr. Schmalz als erster Rektor eingesetzt. Schmalz,
(geb. 1760 in Hannover, gest. 1831 in Berlin), der als Professor der Rechte in Rinteln,
Königsberg und Äalle (seit 1803) gewirkt hatte, wo er auch als „Direktor" der Universität
amtierte, war, als Äalle zum Königreich Westfalen gezogen wurde, nach Berlin über-
gesiedelt, wo er dem Kammergericht beitrat. Er wurde nun zum Ordinarius der juristischen
Fakultät und zugleich zum Rektor ernannt. Die erste vom Senat der Professoren
gewählte Magnificenz war Joh. Gottl. Fichte, der im Äerbst 1811 sein Ehrenamt antrat.
Fichte war am 17. Juli 1811 mit elf Stimmen gegen Savigny, der zehn Stimmen erhielt,
gewählt worden und begann sein Rektorat mit einer Rede „Ueber die einzige mögliche
Störung der akademischen Freiheit". Ein Zwiespalt mit der Studentenschaft und dann
auch mit seinen Amtsgenossen nötigte Fichte jedoch schon im Frühjahr 1812, die Regierung
um Enthebung von seinem Amte zu bitten. In einer Eingabe an den Staatskanzler
Hardenberg wurde betont, „daß Fichtes Abdankung anzunehmen sei, da er wegen seiner
Reden an die deutsche Nation bei den französischen Behörden ohnehin übel notiert sei".
Am 18. April übergab der Philosoph die Geschäfte des Rektors an Savigny, der dann
an dritter Stelle, bis Äerbst 1813, die Universität regierte. Zum „Jubiläumsrektor"
wurde am 3. August 1909 der Litterarhistoriker Erich Schmidt (geb. 1853 in Jena)
durch das Vertrauen der Professoren berufen — eine Wahl, die in der Studentenschaft
wie in weiten Kreisen der deutschen Bildung mit Enthusiasmus begrüßt wurde. Unser
Portrait Erich Schmidts ist die Wiedergabe einer Originalradierung von Hermann Struck.
2
D
ie feine Lithographie, die dieser Reproduktion zugrunde liegt, ist eines der reizvollsten
Blätter, in denen die Berliner Künstler des Vormärz die Schönheit der Stadt so
beredt zu preisen wußten; ihr Schöpfer, Eduard Gärtner (1801—1877), der vorzüglichste
unter den zahlreichen begabten und tüchtigen Architekturmalern Berlins in jener Zeit.
In seinen Ölgemälden übertraf Gärtner alle Konkurrenten durch seinen außerordentlichen,
in Paris geschulten Farbengeschmack, in seinen Schwarzweißblättern zeigt er sich vor
allem als ein Meister in der Wahl wirkungsvoller Ausschnitte und in der interessanten
Verteilung von Licht- und Schattenmassen, linser Bild, das hierfür ein treffliches Beispiel
gibt, präsentiert sich zugleich als ein Dokument Berlinischer Romantik. Die flotten
Musensöhne, die sich hier in lebhaft bewegten Gruppen am Eingang der Universität
eingefunden haben, sind rechte Vertreter zech- und paukfroher Studentenschwärmerei und
erinnern an den hochgespannten nationalen Idealismus der Burschenschaftsbewegung.
Trotz den sommerlich prangenden Bäumen des Hintergrundes muß die Situation, offenbar
entgegen den realen Möglichkeiten? mit Mondscheinsthnmung Übergossen werden, um
Tiecks „Zaubernacht" auch in diAnüchterne norddeutsche Wirklichkeit zu entbieten.
3
<s
ie Aula der Universität, der einstige Festsaal des Prinzen Heinrich, ist der einzige
Raum, der noch heute von der glänzenden Ausstattung des Palais Kunde gibt.
Mit dem Stuckolustro der Wände, Wandsäulen und Pilaster, mit den marmorierten
Sockelstreisen, mit den vergoldeten Palmstämmen an der Umrahmung der unteren Fenster
und Blenden, mit den Stuckmedaillons und Reliefs über dem Konsolengesims, mit den
Genien und ihren vergoldeten Lorbeergewinden, den Nischen und Bogenverdachungen der
Seitentüren und dem Deckengemälde von 1764, auf dem Gregor Guglielmi nach Friedrichs
des Großen Angaben zwischen Netzwerk und Rokokokartuschen eine Apotheose des Prinzen
Heinrich darstellte, hat der schöne Saal anderthalb Jahrhunderte hindurch im wesentlichen
seinen ursprünglichen Zustand bewahren können. Nur die Sängertribüne und der Katheder-
bau der Westseite (auf unserem Bilde nicht sichtbar) sind später eingefügt. Bor allem
aber zeugt die Marmorbüstenreihe der berühmtesten Universitätslehrer, die sich als ein
edler Fries von bedeutender monumentaler Wirkung rings an den Wänden hinzieht, von
der neuen Bestimmung dieses festlichen Raumes wie des ganzen Äauses. Der jüngsten
Zeit freilich, die mit dem gewaltigen Anwachsen der Hochschule nach und nach für ihre
Sammlungen wie für ganze Wissenschaftszweige an andern Orten Unterkunft fuchen
mußte, konnte auch diefe Aula nicht mehr für alle Zwecke genügen. So wird jenseits
der Linden der freigewordene Lesesaal der alten Königlichen Bibliothek zu einem ge-
räumigeren akademischen Festsaal umgebaut, der bei der Jahrhundertfeier seiner Be-
stimmung übergeben werden soll.
4
it klingendem Spiel und bei gedämpfter Trommel Schlag zieht gar gravitätisch
die Bürgergarde auf, deren militärische Strammheit auch die sanft sich rundenden
Bourgeois-Bäuchlein nicht stören. Es ist die Berliner Schutztruppe, die in der Franzosen-
zeit nach 1806 durch den von den Siegern eingesetzten Bürgerausschuß zur Aufrechter-
Haltung der Ordnung formiert worden war und bis zur Rückkehr des Königs 1809
im Amte blieb. Ämter den höchst martialisch dreinschauenden Reihen aber wird der
Opernplatz sichtbar, der damals noch frei von allen gärtnerischen Anlagen war und so seine
freie Fläche weit eindrucksvoller präsentierte als heute. Von der Opernhausecke links
und der Giebelecke der Äedwigskirche, die hinter der kleinen Gardistenkapelle auftaucht,
wandert der Blick über die vom Turm des Französischen Doms überragten Ääuser
des Hintergrundes zu dem schmucken Bau der Königlichen Bibliothek, mit dem
Friedrich der Große seit 1774 die Reihe der Monumentalgebäude am Opernplatz ab-
schloß. Der Berliner Volkswitz hat die Bibliothek die „Kommode" getaust und die
Legende in Schwang gebracht, der König habe seinen Baumeistern ein geschweiftes
Rokokomöbel als Vorbild hingestellt. An dieser lustig erfundenen Geschichte ist
wenigstens eins wahr: die Eigenwilligkeit, mit der Friedrich die Architekten (Georg
Fr. Boumann d. Z. und Georg Chrn. Anger) auf ein bestimmtes Muster festschnallte,
das nun freilich nicht eine Kommode war, sondern ein Fassadenentwurf Fischer von
Erlachs für die Winter-Reitschule der Wiener Äofburg, dessen genaue Kopie der König
verlangte. Im Winter 1780/81 begann die Llebersiedelung der Bücher aus dem Schlosse
in das neue Gebäude, das aber nur im Obergeschoß für Bibliothekszwecke bestimmt war,
während das Erdgeschoß — trotz der vier Fensterreihen nach außen sanden sich im Innern
nur zwei Stockwerke! — teils als Montierungsdepot, teils als Dekorationsmagazin für
das Opernhaus diente.
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chon zehn Jahre nach der Vollendung des Bibliotheksgebäudes am Opernplatz, ge-
nügte die ursprüngliche Aufstellung bei der wachsenden Büchermasse nicht mehr,
so daß in den Sälen Galerien mit neuen Wandschränken angelegt werden mußten. In
den dreißiger Iahren des 19. Jahrhunderts fertigte dann Schinkel einen Entwurf für die
Errichtung eines neuen Bibliotheksgebäudes im Garten der Universität. Man ließ diesen
Plan jedoch fallen und half sich damit, daß man die Operndekorationen ausräumte
und das Untergeschoß gleichfalls für Bibliothekszwecke in Anspruch nahm, indem man
es zugleich zweistöckig ausbaute, so daß endlich hier wenigstens die Fassade der Innen-
Anlage entsprach. Dreißig Jahre später wurden auch die Räume des Obergeschosses in
zwei Stockwerke geteilt; nur der Mittelsaal, der spätere große Lesesaal (heute die neue
Llniversitätsaula), behielt seine ursprüngliche Äöhe. Aber auch diese Veränderungen
konnten den immer gewaltiger anschwellenden Büchermengen nicht länger gerecht werden.
So ging man denn im Jahre 1903 nach Ihne's und Adams' Plänen an den Bau des
kolossalen neuen Bibliotheksgebäudes, das heute nur erst zum Teil vollendet ist. Zuerst
nahm man den Bauteil in der Dorotheenstraße in Angriff, den später die Universitäts-
bibliothek beziehen soll, der vorläufig aber der Königlichen Bibliothek zum Aufenthalt
dient. Der weit angelegte Sandsteinbau in Barockformen zeigt nach außen eine geschickt
niedriger gehaltene Fassade mit zwei Äauptstockwerken auf einem Sockelgeschoß, um nicht
auf die benachbarten alten Monumentalbauten zu drücken. Im Innern dagegen steigen
die Bücherschuppen fast wie kleine Wolkenkratzer in zahlreichen Etagen empor.
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ic Bild 5, gibt auch dies vom Maler Schwartz gezeichnete und gestochene Blatt
eine hübsche Probe der Berliner Vedutenkunst zu Anfang des 19. Jahrhunderts.
Zur Linken haben wir das Opernhaus, den edlen „Apollotempel", den prächtigen „Zauber-
palast" Friedrichs des Großen, dessen Bau der König schon als Kronprinz geplant hatte
und unmittelbar nach seinem Regierungsantritt von Knobelsdorfs in Angriff nehmen ließ.
Am 7. Dezember 1742 ward das neue Äaus mit der ersten Aufführung von Grauns
Oper „Cäsar und Cleopatra" eingeweiht. Wir sehen hier das schöne Bauwerk noch in
seiner ursprünglichen Gestalt, die es bis zu dem furchtbaren Brande in der Nacht vom
18. zum 19. Äugust 1843 beibehielt; auch noch mit den nach vorn abbiegenden Flügeln
der Freitreppe an der Äauptfassade, die später fortfielen. Ämter dem Opernhause werden
die Baulichkeiten des markgräflich Schwitschen Palais sichtbar, das durch den Ambau
eines alten Äauses im Jahre 1750 seine jetzige Gestalt sowie die figurengeschmückte Rampe
erhalten hatte. 1829 ward das Palais dem Prinzen Wilhelm, dem nachmaligen Kaiser,
als Dienstwohnung überwiesen und von ihm am Tage nach seiner Vermählung mit der
Prinzessin Augusta von Sachsen-Weimar (11. Juni 1830) bezogen. Bald darauf begann
an derselben Stelle der Neubau des Palais, das später als Wohnfitz des ersten Kaisers
des neuen deutschen Reiches zum nationalen Heiligtum wurde; nachdem Schinkels groß-
artige Entwürfe vom schlichten Sinn des Prinzen abgelehnt waren, führte C. F. Langhans
d. 3. den Bau aus. Jenseits der Lindenalle, deren Bäume damals in sechs Reihen
standen, taucht die alte Akademie der Künste und Wissenschaften auf. Das kleinere
Bildchen oben zeigt uns dies Bauwerk in der Gestalt, die es nach dem Brande von
1743 durch I. Boumann d. Ä. erhalten hatte. 1815 fand dann der Ambau statt, dessen
Resultate wir auf dem Bilde von Schwartz erkennen, und der vor allem das Mittel-
rifalit nach den Linden zu rechteckig gestaltete, wobei der Schmuck der paarweis ange-
ordneten Äermen am Obergeschoß fortfiel. Erst jetzt erhielt das Erdgeschoß, das bis
dahin zum Königlichen Marstall gehört hatte, keine Stallungen mehr; es wurde für die
Zwecke des akademischen Unterrichts ausgebaut.
7
ie die Bibliothek, konnte auch die Akademie den gewaltig gesteigerten Ansprüchen
der neuen Zeit nicht mehr genügen. Im Jahre 1803 siel das alte, im Kern
noch dem 17. Jahrhundert entstammende, «musis ed mulis" gewidmete Gebäude.
Art seiner Stelle wird jetzt die neue Bibliothek errichtet, deren Bau auch der Akademie
der Wissenschaften Unterkunft gewähren soll, die sür die Zwischenzeit in einer alten
Privatvilla der Potsdamer Straße gleich hinter der Brücke ein interimistisches Äeim
gefunden hat. Die übrigen Institute, die einst mit ihr friedlich zusammenhausten, wurden
anderweitig untergebracht; die Akademie der Künste erhielt ihr eigenes Äeim in dem
vornehmen Arnim'schen Palais am Pariser Platz, und die akademische Hochschule sür
die bildenden Künste siedelte sich in Charlottenburg an, wo Kayser und von Groszheim
für sie und für die Musikhochschule in der Äardenbergstraße den 1902 geweihten
malerischen Baukomplex errichteten. Die Architekten gaben hier eine organisch gegliederte
Gruppe schmucker Sandsteinbauten in gut altpreußischen Zopfformen, die namentlich
durch die klare Disposition, durch die Verbindung der ungleichen beiden Äauptteile und
durch den schönen Äof der Kunstakademie mit seinen Umgängen, seinen Wandbrunnen
und dem Schmuck seiner üppig emporwuchernden Weinranken fesselt. Eigenartig schließt
sich an diese barocken Bauten das abseits stehende kleine Gebäude des akademischen
Instituts für Kirchenmusik an, das in einer sehr passenden, feinfühlig modernisierten
romanischen Stilsprache gehalten ist.
^^^ies reizende Bild des Opernplatzes, nach einer Schinkelschen Zeichnung von Meyer
gestochen, führt uns recht in das Berlin des beginnenden 19. Jahrhunderts. Wir
sehen, wie das sterbende Rokoko mit der aufsteigenden neuen Zeit um die Herrschaft
ringt. Noch tauchen allerlei Gestalten mit Dreispitz, Puderperrücke, Zopf, weitem Rock
und Wadenstrümpfen auf. Aber daneben erscheinen die neuen modischen Elegants mit
Stulpenstiefeln, knappen Taillenfracks und kühnen Zylindern, die, heute ein Symbol bürger-
licher Würde, damals als ein Anzeichen kecker Neuerungssucht, ja revolutionärer Ge-
sinnung galten. Die Damenwelt hat noch entschiedener den Umschwung zu der neuen
Empiremode mit hoher Taille, lang herabwallendem Gewände, breiten Umschlagtüchern
und schlichten Frisuren vollzogen. Im Hintergründe des Opernplatzes wird der Pantheon-
bau der katholischen Äedwigskirche sichtbar, der so reizvoll in die Ecke des Rechtecks
gestellt ist. In langer Bauzeit, von 1747 bis 1773, war er herangewachsen, aber immer
noch fehlte der Kuppel der Tambour und die Laterne, die erst in den Iahren 1886—1887
durch Äasak aufgesetzt wurden. Zur Linken grüßt auf unserem Bilde eine der hübschen
Berliner Laternen der Empirezeit.
9
Der Opernplatz vor hundert Iahren
tum?
ie Stelle, auf der bis vor kurzem die alte Akademie stand, nimmt zurzeit das ge-
waltige Gerüst des Neubaus der Königlichen Bibliothek ein, das in der konstruk-
tiven Logik seiner Träger, Querbalken und Leitern als ein rechter Repräsentant der
modernen technischen Kultur und ihrer neuen, eigenartigen ästhetischen Werte zum Äimmel
aufragt. Der Bauteil des riesenhaften Komplexes, der heute die Schätze, Verwaltungs-
und Studienräume der Königlichen Bibliothek umfaßt und auf unserer Abbildung 6 er-
scheint, wird, wenn das ganze Architekturwerk fertiggestellt ist, die Universitätsbibliothek
beherbergen. Die größere und ältere Büchersammlung wird einstens nach dem Äauptbau
Anter den Linden übersiedeln. Dort werden dann drei offene Portale durch die barocke
Sandsteinfassade, die mit allegorischen Männerfiguren (die Universitätsstädte darstellend)
geschmückt werden, und hinter der ein Festsaal für die Akademie der Wissenschaften an-
gelegt werden soll, den Einblick in eine große, offene Äalle gewähren, aus welcher eine
Freitreppe zum Mittelbau emporführt. Dieser Mittelbau wird dann als Kern der im-
posanten, weitverzweigten Anlage den großen Lesesaal enthalten, einen mächtigen, acht-
eckig gestalteten Kuppelraum, den kleinere Lesesäle für die Fachabteilungen, Ausstellungs-
räume und Arbeitszimmer aller Art umrahmen sollen.
10
as Äotel deRome an der Ecke der Linden und Charlotten-
straße, das nun bald abgerissen wird, um einem großen
Bureau- und Geschästshause Platz zu machen, gehört zu den
ältesten Gasthöfen Berlins. Nicht immer freilich präsentierte
sich das Äaus so imponierend wie in den letzten Jahrzehnten.
'' In einem der Zmmediatbauten, die unter Friedrich dem Großen
Römischer Äof IM Jahre 1845 von Angerund Boumann d.Ä. errichtet wurden,befandsichjedoch
schon frühzeitig ein Gasthof; Nicolai erwähnt im Jahre 1777 „das Wirtshaus,die StadtRom,
rechter Äand, Ecke der Stallgasse" —so hieß damals die Charlottenstraße nach dem Stall- und
Akademiegebäude, das sie begrenzte. Die „Stadt Rom"war zu Nicolais Zeit im Besitze einer
Witwe Dietrichen und gehörte zu den sieben Gasthöfen l. Klasse, die nach amtlicher Taxe
Logis bis zu zwei Talern, Mittagessen bis zu 16 Silbergroschen, die Flasche Wein bis
zu einem Taler 16 Groschen berechnen durften. Auch ein Cafe befand sich in dem Wirts-
Haus, das sogar, eine besondere Merkwürdigkeit, ein Billard enthielt, deren es damals nur
25 in Berlin gab. Das Äotel wechselte dann mehrfach den Wirt, bis es in der Mitte
der vierziger Jahre des 19. Jahrhunderts in den Besitz der Familie Mühling überging,
die 1865—66 von Ende und Böckmann den stattlichen Neubau, zehn Jahre später eine
bedeutende Erweiterung aufführen ließ und das vornehme Äaus bis zu seinem seligen
Ende als eine Dynastie von Wirten bester alter Schule geführt hat.
11
er hübsche Stich von P. Äaas, der hier nach einer Zeichnung von F. Ealau das
Zeughaus vorführt, zeigt im Vordergrunde noch den südlichen Festungsgraben aus
der Zeit des Großen Kurfürsten, dessen Aebergang im Jahre 1774 mit der hier gleichfalls
sichtbaren, schöngeschwungenen Steinbrücke geschmückt worden war. Erst im Jahre 1816
ward der Graben an dieser Stelle in der ganzen Breite der Straßenflucht glatt überbrückt;
das zierliche Bauwerk aus der Zeit Friedrichs des Großen fiel, und mit ihm wurden
die zopfigen Sandsteinkandelaber, die sich auf den Pfosten des hübschen Steingeländers
erhoben, von dieser Stelle entfernt, um acht Jahre später in den gärtnerischen Anlagen
des Leipziger Platzes eine Anterkunft zu finden, wo sie noch heute als Zeugen einer
lange vergangenen Zeit mitten im brausenden Verkehr der Weltstadt stehen. Das Zeug-
haus selbst, das nach langer Bauzeit, in der I. A. Nering, M. Grünberg und Schlüter
an dem Werke mitarbeiteten, im Jahre 1706 durch Johann de Bodt vollendet wurde,
neben dem Königsschloß der imposanteste Barockbau Berlins, war schon im 18. Jahr-
hundert ein Stolz der Berliner und ein Gegenstand der Bewunderung für alle Fremden.
Die klare Gliederung des wuchtigen Bauwerks, das mit den helmbekrönten Fensterbögen
des Erdgeschosses, mit der Pilasterordnung des Äauptstockwerks, mit dem majestätischen
Portalrisalit und der von Trophäen geschmückten Balustrade recht als ein Kriegs- und
Siegespalast erscheint, kommt auf unserem Bilde gut zur Geltung. Dem Zeughause
gegenüber gewahren wir das Kronprinzen-Palais, während zwischen diesem und dem Graben
der nach den Linden zu gelegene Bautrakt des Prinzessinnenpalais noch fehlt; auch die sechs-
spännige, prächtigeÄofkutfche, die vomSchlosse daherkommt, weist uns ja noch mehr ans Ende
des 18. Jahrhunderts als in die schlichtere Zeit Friedrich Wilhelms III. Im Hintergründe
wird der Schloßapothekenflügel sichtbar, der bei der Anlage der Kaiser-Wilhelmbrücke
und dem Durchbruch der Kaiser Wilhelmstraße vor wenigen Jahrzehnten verkürzt wurde.
12
ic später Wilhelm I., auch als er die Königskrone trug und zum Kaiser proklamiert
war, bis zu seinem Tode seinen Wohnsitz in dem Palais behielt, das sür ihn
als Prinzen von Preußen bei seiner Verheiratung erbaut worden, so blieb auch sein
Vater Friedrich Wilhelm III. als König bis zu seinem Lebensende in dem Palais wohnen,
das er 1793 als Kronprinz mit seiner Gemahlin Luise bezogen hatte. Der Kern des
schmucken Schlosses stammte noch aus dem 17. Jahrhundert, da das an dieser Stelle
befindliche Privathaus bereits allgemein bewundert wurde. 3m Jahre 1732 ward es
von Friedrich Wilhelm I. angekauft, der es durch Philipp Gerlach zu einem Palast für
den Thronfolger umbauen ließ. Nach Friedrichs des Großen Thronbesteigung wurde es
von seinem Bruder, dem Prinzen August Wilhelm, und nach dessen Tode von seiner
Witwe bewohnt. Den letzten Ambau erfuhr das Gebäude in den Jahren 1856—57,
da es für den Kronprinzen Friedrich Wilhelm (Kaiser Friedrich) vor seiner Verheiratung
mit der Prinzessin Viktoria eine durchgreifende Neugestaltung erfuhr. Zur Zeit
Friedrich Wilhelms III. präsentierte sich das Gebäude nach außen hin genau so wie ein
Jahrhundert zuvor. Im Innern aber wurde eine neue Ausstattung durchgeführt, die,
wie unser Bild, ein Gemälde von Zielke, erkennen läßt, ganz im Geschmack des
Spätempire gehalten war; die schlichte Art des Königs war jedem Prunk abhold und
prägte seiner Umgebung durchaus den Stempel einer vornehmen Bürgerlichkeit auf.
Durch das Fenster zur Linken blickt man auf die Straße und das gegenüberliegende
Zeughaus.
13
£V\ur wenige alte Ääuser der Berliner Prachtstraße Anter den Linden haben sich bis
<%/ V heute ihre ursprüngliche Gestalt bewahrt. Zu ihnen gehört das Gebäude der
Äabelschen Weinhandlung, das im Jahr 1801 erbaut wurde, ein überaus reizvolles
Werk des neuklassischen Geschmacks. An der Fassade ist über den Fenstern des Erdge-
schosses ein kräftig modellierter Relieffries mit Vasen, Maske und Weinlaub angebracht. Die
Bogenblenden darüber mögen einen fernen Anklang an römische Wasserleitungen darstellen.
In dem dreifenstrigen Gastraum rechts vom Flur, der seine einfache und bescheidene alte
Einrichtung bis heute beibehalten hat, sindet man unter der Decke einen in Reliefmanier in
braunen Tönen gemalten Fries, der, ganz im Stil der Zeit, einen Bacchuszug vorführt,
um die zechenden Berliner des beginnenden 19. Jahrhunderts an ihre trinkfrohen Ahnherren
im griechischen Olymp zu erinnern. Die allbekannte Weinhandlung war im Jahre 1779 von
Ioh. Äeinr. Habel begründet; sie erfreut sich nun schon im dritten Jahrhundert der
Zuneigung der Berliner.
14
3U den weiteren Veränderungen in der Umgebung der Universität seit ihrer Begründung
gehört die durchgreifende Umgestaltung des Lustgartens. Die alten Gebäude, die
dort standen, und von denen wir den alten Dom aus der Zeit Friedrichs des Großen
hier noch in seiner ursprünglichen Gestalt vor uns sehen, haben sämtlich nach und nach
neuen Bauwerken Platz gemacht. Die freie Sandfläche des Platzes, in die Friedrich
Wilhelm I. den prächtigen Renaissancegarten einst für seine Paradezwecke verwandelt hatte,
erhielt nach und nach neue gärtnerische Anlagen. An Stelle des Denkmalsschmuckes,
den der Lustgarten seit 1871 trägt, da das Reiterbild Friedrich Wilhelms lll. dort
aufgestellt wurde, stand damals Gottfried Schadow's prachtvolle Statue des alten Dessauer,
die ihren Platz freilich nicht in der Mitte des Vierecks, sondern an feiner südwestlichen
Ecke hatte, dicht an der heutigen Schloßbrücke. Dies Standbild, das im Jahre 1800 im
Lustgarten aufgestellt wurde und dort blieb, bis es 1828 auf den Wilhelmsplatz verfetzt
wurde, spielt in der Geschichte der deutschen Plastik eine wichtige Rolle, da die
Denkmalsfigur dieses friedericianifchen Generals zu den ersten gehört, die mit beHerz-
tem Realismus in historischer Zeittracht auftraten und auf alle barocke Kostümierung
verzichteten.
Das Gebäude, das links vom Dom hinter den Bäumen sichtbar wird, erscheint auf
dem unteren Bilde deutlicher, es ist die in den Jahren 1800—1805 erbaute Alte Börse,
die bis zur Einweihung von Äitzig's neuem Börsengebäude in der Burgstraße (1865) der
Versammlungsplatz der Kaufmannschaft blieb. Das hübsche Empirehaus bot seitdem
verschiedenen gelehrten Instituten Unterkunft, zuerst der Bergakademie, dann dem Orien-
talischen Seminar, bis es 1893 abgerissen wurde. Der altertümliche Äalbkreisbau, der
hier im Hintergründe auftaucht, ist das Orangeriehaus des Großen Kurfürsten vom
Jahre 1685, das von 1750—1850 zu den Anlagen des Packhofes gehörte.
15
und Börse haben auch in ihrer neuen Gestalt die alte Nachbarschaft aufrecht-
erhalten. Die Börse erhielt zuerst ein neues Keim: den prächtigen Bau in der
Burgstraße, den Kitzig in den Jahren 1859—1864 errichtete, und der um 1885 nach
Süden zu eine Erweiterung erfuhr. Es ist ein charakteristisches Werk der jüngeren
Schinkelschule, die von den schlichten antikisierenden Motiven zu prunkvolleren Renaissance-
Vorbildern abbog, berühmt zugleich als das erste Gebäude Berlins, das nach der spar-
samen und bescheidenen Epoche der napoleanischen Kriege und ihrer Folgezeit wieder in
echtem Sandsteinmaterial hergestellt wurde. Die Äauptfront, die durch ihre Säulenreihen
hervorgehoben ist, erhielt einen wirkungsvollen Schmuck durch die barocke plastische Gruppe,
die sich aus der Balustrade über dem kräftigen Gesims erhebt — es ist ein Frühwerk
von Neinhold Begas, das seinerzeit Stürme des Beifalls und Widerspruchs erweckte.
— Der neue Dom, ebenso wie die Börse in den Formen einer italienisierenden Koch-
renaissanee erbaut, ward nach Plänen von Julius Raschdorff und seinem Sohne Otto in den
Iahren 1894—1905 errichtet. Das umfangreiche Bauwerk, außen wie innen durch mannig-
fachen künstlerischen Schmuck ausgezeichnet, gliedert sich in vier Kauptteile: die Predigtkirche
in der Mitte, die Gruft- oder Denkmalskirche zur Linken, die Taufkapelle rechts und die
das Ganze zusammenfassende, langgestreckte Vorhalle mit den beiden Glockentürmen.
16
n unmittelbarer Nachbarschaft der Börse ward in den Iahren 1905—1906 in der
Spandauer Straße von den Architekten Cremer und Wolffenstein der jüngste
Äochschulbau Berlins errichtet: das stattliche Gebäude für die von den Aeltesten der
Kaufmannschaft begründete Handelshochschule. Zu dem Baugelände gehörte auch die
kleine Äeiligegeist-Kapelle, eins der ältesten Denkmäler Berlins aus gotischer Zeit, das
ums Jahr 1300 dem Armenhospital zum heiligen Geist am damaligen Spandauer Tor
angefügt worden war. Es ist eins der ersten und schönsten Ergebnisse des wiederer-
wachten Interesses für die Reste Altberlins gewesen, daß es damals gelang, die schon
bedrohte ehrwürdige Kapelle zu retten. Sie ward mit großem Geschick in das neue
Äaus eingebaut, sodaß die hübsch gegliederte gotische Giebelsront und das Sterngewölbe
des Innern, das nunmehr als Vortragssaal benutzt wird, für alle Zukunft erhalten
blieb. Ueberaus glücklich ward das Dach der in barockartigen Stilformen (ähnlich der
Akademie in der Äardenbergstraße, Abb. 8) gehaltenen Handelshochschule über die
Kapelle gezogen, sodaß die ungleichen, sechs Jahrhunderte auseinanderliegenden Bauteile
zu einer malerischen Einheit verbunden wurden.
17
D
er Westflügel des Königsschlosses präsentierte sich in der ersten Äälfte des ver-
gangenen Jahrhunderts so, wie unser von F. Calau gezeichnetes, von P. Äaas
gestochenes Bild ihn vorführt. Aus der Mitte der breit gelagerten Fassade, hinter deren
Fenstern im nordwestlichen (linken) Teile sich der Weiße Saal befindet, erhebt sich das
pompöse Barockportal, das Schlüters Nachfolger in der Bauleitung, Eosander von Göthe,
im Anfang des 18. Jahrhunderts hier errichtete: eine Nachbildung des Septirnius Severus-
Bogens in Rom, mit der der schwedische Architekt die grandiosen Schloßplatz-Portale
seines Vorgängers übertrumpfen wollte. Eosander plante als Aufsatz dieses Triumph-
bogen-Portals einen bombastischen Turmbau, der Schlüters unseligen Münzturm ersetzen
sollte. Dieser Plan blieb jedoch unausgeführt, und erst in den Iahren 1845—1846 er-
richtete an dieser Stelle über dem Portal F. W. Stüter mit Albert Schadow's Äilfe
die achteckige Schloßkapelle mit der hohen Kuppel, die mit so feinem Verständnis als
Abschluß des Triumphbogens und als Krönung des ganzen Schloßbaus gewählt wurde.
Das Äaus links gehört zu den malerisch sich drängenden Baulichkeiten der Schloßfreiheit,
denen gegenüber der Königspalast um so imposanter erschien; sie sielen erst im Jahre
1890, um dem Bau des Riesendenkmals für Kaiser Wilhelm !. Platz zu machen.
18
22. März 1897, zur Centenarfeier Wilhelms I., ward auf der Schloßfreiheit,
■\\ deren alte Ääuser zu diesem Zweck niedergerissen wurden (vergl. zu Bild 18), das
National-Denkmal für den ersten Kaiser enthüllt. Aus den Konkurrenzen, deren ver-
wickelte Geschichte sich durch Jahre hinzog, ging Reinhold Begas als Sieger hervor,
der die Anlage des Ganzen bestimmte und selbst mit seinen Schülern die plastischen
Einzelheiten ausführte, während der Architekt Äalmhuber die umgebende Sandsteinhalle
mit den gekuppelten ionischen Säulen auf der neuangelegten Plattform nach der Spree
erbaute. Begas' eigenstes Werk sind die großen Bronzeteile des Denkmals selbst: das
neun Meter hohe Reiterbild des Kaisers mit dem führenden Friedensgenius, die Sieges-
göttinnen an den Ecken, die schönen Gruppen des Friedens und des Krieges an den
Wangen des Sockels und die prachtvollen, Trophäen zusammenraffenden Löwen an
den auslaufenden Treppenpfosten des Änterbaus. Die Eckpavillons der Säulenhalle
tragen bronzene Viergespanne, die dort von der Borussia, hier von der Bavaria gelenkt
werden; die Attika der Äalle ist mit verschiedenen Sandsteingruppen geschmückt, Allegorien
der deutschen Königreiche, von Äandel und Schiffahrt, Kunst und Wissenschaft, Ackerbau
und Gewerbefleiß. Die gesamte Anlage ward in ihrem barocken Charakter durch das
gegenüberliegende Eosandersche Portal bestimmt.
19
Köllnische Fischmarkt behielt die Gestalt, in der ihn der Kupferstecher Johann
Georg Rosenberg in diesem wunderhübschen Blatte am Ende des 18. Jahrhunderts
schilderte, im wesentlichen bis zum Jahre 1899, da sein Hauptgebäude, das Köllnische Rat-
haus (in der Mitte unseres Bildes), abgerissen wurde. Das Rathaus der ^>chwesterstadt
Berlins stand von jeher an dieser Stelle. Von seiner ursprünglichen Gestalt, die in die
gotische Zeit hineinreicht, wissen wir allerdings so gut wie nichts; nur daß es, ebenso wie
das Berliner, eine Gerichtslaube besessen hat, können wir seststellen. Von dieser ältesten
Anlage enthielt das Gebäude, das hier vor uns steht, nur noch geringe Reste: im 16.,
dann vor allem im Beginn des 18. Jahrhunderts war es von Grund aus umgebaut worden,
und der Barockstil aus der Zeit des ersten preußischen Königs gab ihm sein Gepräge,
das auch die weiteren Anbauten und Zutaten des 19. Jahrhunderts nicht verwychen konnten.
Zuletzt diente dasÄaus verschiedenen städtischen Verwaltungszwecken; auch den Sammlungen
des Märkischen Provinzial-Museums gewährte es eine Zeitlang Anterkunst. Von den übrigen
Ääusern des Fischmarktes sind von denen zur Rechten noch mehrere erhalten. Das statt-
liche Gebäude links mit den Sandsteinfiguren auf der Dachbalustrade ist das ehemalige
Wohnhaus des Feldmarschalls Derfflinger, das nach gründlichem Tlmbau auch heute noch
Spuren seiner früheren Gestalt trägt. Im Hintergründe wird die Petrikirche sichtbar, die
1809 durch Feuer zerstört wurde.
20
ie Sammlungen des Märkischen Museums, die, wie wir eben sahen, eine Zeitlang
im alten Köllnischen Rathause, vorher im Creutz'schen Palais in der Klosterstraße,
später im Vordergebäude der Markthalle in der Zimmerstraße untergebracht waren,
erhielten erst in den letzten Iahren ein würdiges Äeim in dem genialen Bauwerk, das
Ludwig Äoffmann für sie am Köllnischen Park schuf. Es war das Ziel des Architekten,
schon das Aeußere des Baues museal zu gestalten; an ihm Paradigmata der besten
märkischen Architekturperioden, von denen in Berlin selbst nur noch geringe Reste vorhanden
sind, zu vereinigen. So ließ er auf dem unregelmäßigen Gelände eine malerische Anlage
aus gotischen und Renaissanceteilen erstehen, deren Verschiedenartigkeit durch einen mäch-
tigen Turm in einfachem, mittelalterlichem Backsteinstil zur Einheit gezwungen wird, und
die zwischen dem sommerlichen Grün des Parkes oder im winterlichen Schnee einen
bezaubernden Eindruck hervorrufen. Dies vielgliedrige Aeußere des Bauwerks gibt
den rechten Rahmen für die mannigfachen Abteilungen und Rubriken seines Inhalts.
Im Verein mit dem Stadtbaurat haben die ausgezeichneten Beamten des Museums,
Kustos Buchholz und Bibliothekar Professor Pniower, durch eine originelle Anordnung
die reichen Sammlungen erst jetzt nach Gebühr zur Geltung gebracht. Nach jahrelanger
Arbeit wurde das Museum im Sommer 1908 eröffnet.
21
/itine unmittelbare Verbindung zwischen dem alten und dem neuen Berlin stellt das Äaus Breite-
^2- straße 8/9 dar; in ihm residiert die Vossische Zeitung, die älteste Berlins, deren zweihundert-
jährige Geschichte ein getreues Spiegelbild des politischen, geistigen und geschäftlichen Lebens der Stadt
im gleichen Zeitraum darstellt. Im Oktober 1704 erhielt Johann Michael Rüdiger, der ehemalige
angesehene Buchführer der Heidelberger Universität, der nach der Zerstörung der Neckarstadt durch
die Franzosen eine neue Äeimat suchen mußte und 1693 in Berlin eingewandert war, vom ersten
preußischen Könige die Genehmigung zur Herausgabe eines wöchentlichen „Diarium von dem, was
im Keiligen Römischen Reich, da Sedes belli ist, passieret". In diesem „Diarium", das allerdings
spätestens zwei Jahre daraus infolge eines allgemeinen Zeitungsverbots schon wieder eingegangen ist,
haben wir den Ursprung der hochangesehenen Zeitung zu erblicken, für die erst Johann Michaels Sohn
Johann Andreas im Jahre 1721 von Friedrich Wilhelm I. das Privilegium erleilt wurde. Am 25. Feb-
ruar dieses Jahres erschien als Fortsetzung der Lorentzschen „Berliner ordinären Zeitung", die erste
Nummer der nun von Rüdiger geleiteten „Berlinischen Privilegierten Zeitung", die wöchentlich dreimal,
Dienstags, Donnerstags und Sonnabends, erschien. Nach Rüdigers Tod 1751 ging der Besitz der Zeitung
aus seinen Schwiegersohn Christian Voß über, nach dem sie sür alle Zeiten den inoffiziellen Namen
erhielt — denn ihr offizieller Titel blieb mit geringen Aenderungen der alte, bis sie 1785 die noch
heute geführte Bezeichnung „Königlich privilegierte Berlinische Zeitung von Staats- und gelehrten
Sachen" erhielt. Die erste literarische Persönlichkeit von Ruf, die dauernd an der Zeitung mitarbeitete,
war Lesiings Kalbvetter und Leipziger Studienfreund Christlob Mylius (seit 1748), der sür die Rubrik
„Gelehrte Sachen" bald auch Lessing selbst zu litterarisch-kritischer Mitarbeit heranzog. Die bedeutungs-
vollste Tätigkeit Gotthold Ephraims für die Vossische Zeitung setzte jedoch erst unter Voß ein, da er,
zuerst 1751 nach Mylius' Ausscheiden, dann vom Dezember 1752 bis zum Oktober 1755, den gelehrten
Artikel, eine Zeit lang auch die monatliche Beilage „Das Neueste aus dem Reiche des Witzes" redi-
gierte und damit die litterarische Kritik und das Feuilleton, ja den ganzen Journalismus in Berb.n
zuerst aus sesttn Boden stellte. Eine Zeit lang hat auch sein Bruder Karl Gotthels Lessii'g an der
Zeitung m (gearbeitet, der dann der Schwiegersohn Vossens wurde; nach dem Tode des älteren und
des jüngeren Voß 1891 wurde Lessings Gattin Besitzerin des Blattes, dessen oberste Leitung heute
ihr Enkel, der Geheime Iustizrat Karl Robert Lessing, führt. Seit dem 1. Januar 1824 erscheint die
Vossijche Zeitung, die ihre führende Stellung im Berliner Geistesleben bis heute niemals verloren
hat, täglich. Das Äaus, in dem ihre Geschäfts- und Redaktionsräume liegen, ist in der zweiten Hälfte
des 18. Jahrhunderts erbaut worden, hat aber am Ende des i9, Jahrhunderts einen durchgreifenden
Umbau und neuerdings eine große Erweiterung erfahren.
22
n der Nacht vom 19. zum 20. September 1809 wurde die Petrikirche, die auf
Abb. 20 auftaucht, das Opfer einer Feuersbrunst. Diese erste Pfarrkirche von Alt"
Kölln war im Laufe der Jahrhunderte vom Anglück verfolgt worden. Das gotische Gottes-
haus, das zuerst im Jahre 1237 erwähnt wird, aber schon am Ende des 14. Jahrhunderts
von Grund aus umgebaut wurde und auch später noch mannigfaltige Veränderungen erfuhr,
wurde im Jahre 1730 durch einen Blitzstrahl zerstört. Bald darauf ging man an den
Neubau, der zuerst von I. F. Grael, dann von Philipp Gerlach geleitet wurde, der aber
auch niemals seine völlige Vollendung erlebte, da der Turm — ein Fall, der im Berlin
der ersten Königszeit keine Seltenheit war — einstürzte und schließlich nur als Fragment
stehen blieb. 1740 ward diese turmlose Barockkirche, die nach der Brüderstraße zu ein
stattliches Säulenportal mit antikisierendem Giebel und darüber ein mächtiges Dach zeigte,
in ihrer provisorischen Gestalt, die eine dauernde bleiben sollte, eingeweiht, aber, wie wir
sahen, noch nicht 70 Jahre später brannte das Gotteshaus abermals bis auf die Grund-
mauern ab. Ein fleißiger Stecher hat den malerischen Anblick dieser Ruine festgehalten,
ebenso wie unter Friedrich dem Großen I. G. Rosenberg in seinem bekannten Kupferstich
den Einsturz von Gontards Turm am französischen Dom in sauberer Nachzeichnung für
die Nachwelt festhielt. Kleber ein Menschenalter blieb dann der Platz der ehemaligen
Petrikirche öde und leer, bis in den vierziger Iahren, durch Z. £>. Strack, der jetzige
Neubau begann, der 1852 vollendet wurde.
(j^icht bei der Petrikirche, in der Brüderstraße, befindet sich ein Äaus, das beredt von
den Wandlungen des Jahrhunderts erzählt. Die durch den 30jährigen Krieg herbei-
geführten Verwüstungen in Brandenburg suchte König Friedrich I. durch Schaffung
von öffentlichen Feuerversicherungs-Sozietäten auszugleichen/ Im gleichen Sinne verfuhr
Friedrich der Große, indem er die Sozietäten vermehrte, ihr Wirken erweiterte. Da
diese trotzdem ihrer Aufgabe nicht voll gewachsen waren, wurde 1765 die „Assecnranz-
Compagnie zu Berlin" mit einem Grundkapital von einer Million Taler gegründet, die
aber 1791 wieder aufgelöst werden mußte. In der schweren Zeit, 1806 bis 1812, hatte
der nur noch von vier Millionen bevölkerte Staat 142 Millionen Taler an Frankreich
abliefern müssen. Durch das Besatzungsheer war die Landwirtschaft ausgesogen, und durch
die Wirkung des im Jahre 1806 von Berlin aus erlassenen Dekrets betr. den Blockade-
zustand über die „britischen Inseln" wurden alle Geschäftsverbindungen abgeschnitten, der
Sandelsverkehr Peußens ertötet, seine Industrie, sein Geldumsatz vernichtet. In dem
Bestreben, an der Wiedergesundung des Erwerbslebens mitzuarbeiten, errichteteten An-
gehörige alteingesessener Berliner Familien: W. C. Bennecke, Wilh. Brose, Äeinr. Qotho,
F. G. von Äalle die Berlinische Feuer-Versicherungs-Anstalt, zu der die Kon-
zession am 11. Dezember 1812 erteilt wurde, nachdem der Staatskanzler von Hardenberg
persönlich sein Interesse für das Unternehmen betätigt hatte. Vom Jahre 1819 ab sind
in Deutschland in rascher Folge eine Reihe von Feuerversicherungs-Anstalten mit gleicher
Tendenz errichtet worden, denen das Wirken des nun fast hundert Jahre bestehenden
ehrwürdigen Berlinischen Unternehmens als Muster gedient hat. Die Abbildungen veran-
schaulichen das alte ioeiitt der Feuerversicherungs-Anstalt aus dein vorigen Jahrhundert
und den 1905 von den Regierungsbaumeistern Reimer und Körte errichteten Neubau.
24
ie beiden Rathausbilder dieses Blattes erzählen mit vernehmlicher Sprache von
den Wandlungen Berlins im 19. Jahrhundert. Oben links in der Ecke sehen wir
den vorspringenden Flügel des alten Rathauses im Schnittpunkt der König- und Spandauer
Straße, von dem die Neuzeit keinen Stein mehr übrig gelassen hat: den Eckturm, der
wohl einem Erweiterungsbau des ältesten Rathauses am Ende des 14. Jahrhunderts seine
Entstehung verdankt, daneben den kleinen Bauteil mit dem Giebel nach der Spandauer
Straße, der in seinen Mauern die alte, aus gotischer Zeit stammende Gerichtslaube enthielt
und daneben noch ein Stück des Renaissancebaus, den Z. A. Nering unter dem Sohn des
Großen Kurfürsten in den Jahren 1692—1695 mit einer Fassade von schöner und schlichter
Geschlossenheit anfügte. Diese ganze malerische Gebäudegruppe verschwand ums Jahr 1860;
nur die Gerichtslaube, die man freilich am besten ihrer Ammauerung entkleidet und am alten
Platz stehen gelassen hätte, wurde halb und halb gerettet, indem man sie im Parke des
Schlosses Babelsberg bei Potsdam „wiederaufbaute". Auf dem frei gewordenen Terrain
aber, das durch Niederlegung der Nachbargebäude zu einem riesigen Viereck erweitert wurde,
entstand nun das neue Rathaus von F. A. Waesemann (1861—1869), das „Rote Äaus",
wie es bald allgemein genannt wurde. In den Fassaden gab der Architekt eine Mischung
aus mittelalterlichen und Renaissanceformen. Durch die Gegensätze des sorgfältig be-
handelten Backstein- und Terrakottamaterials mit dem grauen Granit des Sockels und dem
Sandstein der Fensterkreuze suchte er eine ausdrucksvolle Farbenwirkung zu erzielen. Der
wuchtige Turm erhebt sich darüber als Zeichen städtischer Kraft und Größe.
25
Das alte und das neue Rathaus
L
Ott allen Bauwerken, durch die Ludwig Äoffmann dem neuen Berlin seinen Charakter
gegeben hat, darf wohl das zweite Rathaus, das „Stadthaus", wie es zum
Unterschied von dem Roten Äause an der Königstraße genannt wird, als das Meister-
stück bezeichnet werden. Der glückliche Gedanke des Stadtbaurats, aus einer logischen
und organischen Fortentwicklung altberlinischer Traditionen zu einer Architektur zu gelattgen,
die zugleich bodenständig und modern, historisch und dem Geist der neuen Zeit ent-
sprechend ist, hat kein glänzenderes Werk hervorgebracht als diesen mächtigen und wuchtigen
Bau, der eine italienisierende Renaissancesprache so behandelt, daß sie uns Berlinern trotz-
dem ohne weiteres geläufig erscheint. Das majestätische Sandstein-Viereck mit dem
kräftigen Anterbau aus großen Rustikablöcken, das durch die unmittelbare Nachbarschaft
der alten Ääuser in den umliegenden Straßenzügen doppelt imposant erscheint, wird,
das fühlen wir, in kurzer Zeit ebenso mit dem Berliner Boden verwachsen wie Schlüters,
Knobelsdorfs, Langhans' und Schinkels Werke. Mit glänzender Wirkung ist der Frontbau
mit dem Portalrisalit nach der verbreiterten Jüdenstraße hin als Äauptsassade charakterisiert,
und der Turm, der langsam emporsteigt, weil hier ein Baumeister am Werke ist, der
noch die abwägende Ruhe der alten Meister hat, wird als Wahrzeichen des 20. Jahr-
hunderts den benachbarten, fünfzig Jahre älteren Turm Waesemanns brüderlich grüßen.
26
(j^Nie endgültige Beseitigung der Festungswerke des Großen Kurfürsten unter Friedrich
dem Großen gab Anlaß, dem freigewordenen Verkehr durch Errichtung neuer und
Llmbau älterer Brücken über die Festungsgräben zu dienen, die zugleich zur Verschönerung
des Stadtbildes beitragen sollten. Die Gräben selbst sind nun inzwischen auch schon ver-
schwunden, aber die Kolonnaden, die auf der Spittelbrücke und in der Mohrenstraße den
Wasserübergang selbst zierten, am Königsgraben jedoch als Vorbau zur Brücke gehalten
wurden, deuten noch heute auf die Linien, die im 17. Jahrhundert Berlin nach Westen
und Osten hin begrenzten. Von diesen Anlagen sind die „Mohren-Kolonnaden", die 1789
von C. G. Langhans, dem Meister des Brandenburger Tores, erbaut wurden, die jüngsten.
Die andern beiden verdanken einem der bedeutendsten Baumeister der friderizianischen
Zeit ihre Entstehung: Carl von Gontard, der 1776 die Spittel-Kolonnaden, 1777 — 80
die schönsten seiner Schmuckbauten, die Königskolonnaden mit der prächtigen Brücke,
aufführte. In geraden Linien, mit geschmackvoller Gliederung der Säulen, mit wirksamer
Betonung der Endpunkte uud der Mitten durch vortretende pavillonartige Bauteile, mit
zierlichem plastischen Schmuck der Brüstung durch Einzelgestalten und Kindergruppen, und
mit klug berechnetem malerischen Wechsel der Licht- und Schattenmassen zogen sich diese
zierlichen Architekturen zu den geschwungenen Ausbauten der Brückensiügel, mit denen
sie zusammen, wie unser Stich von P. Äaas zeigt, ein Stadtbild von hohem Reiz bildeten.
Später, als der Königsgraben zugeschüttet wurde und sein Lauf den Weg für die Stadtbahn
frei gab, entstand durch den Kontrast der graziösen Rokokoanlage mit dem wuchtigen Glas-
und Eisendach des Bahnhofs Alexanderplatz ein nicht minder reizvolles Bild, das nun durch
den erbarmungslosen Abbruch der Königskolonnaden leider der Vergangenheit angehört.
LZ
mmm.
u den eigenwilligsten und originellsten Bauwerken der neuen Zeit gehört das Amts-
und Landgericht in der Grunerstraße am Alexanderplatz, das der frühverstorbene,
geniale Otto Schmalz erbaut hat (1904 vollendet). Mit außerordentlicher Begabung,
freilich ein wenig undiszipliniert, versuchte der Architekt hier einen freien Anschluß an
süddeutsche Barockformen, die er mit üppig quellender Phantasie verwertete, indem er
das weitläufige Gebäude im Äußern wie im Innern mit zahllosen ornamentalen und
symbolischen Zierraten geradezu übergoß. Das Bauwerk wird gewiß in späterer Zeit
wie heute ohne engeren Zusammenhang mit dem Berliner Stadtbilde bleiben, aber die
interessante Durchbildung der einmal gewählten Formelemente, die merkwürdige Ver-
bindung alter Stile mit der modernen Eisenkonstruktion des überraschenden, aber bei
aller scheinbaren Kompliziertheit doch übersichtlichen Treppenhauses, die Fülle der Schmuck-
gebilde, die eine unerschöpfliche Erfindungskraft mühelos an allen Teilen anbrachte, wird
für alle Zeit als das Denkmal einer siegreich schaffenden Architektenlaune seine An-
ziehungskraft bewähren.
28
28
er feierliche Einzug Friedrich Wilhelms III. in Berlin im Jahre 1809, nach den
Schicksalsschlägen des unglücklichen Krieges gegen Napoleon und dem Frieden zu
Tilsit, ist oftmals dargestellt worden. Anser Bild, eine Zeichnung von Calau, gibt den
Augenblick wieder, da der König, von Garde-Kavallerie eskortiert, an der Spitze seiner
Suite unter dem Jubel der Bevölkerung durch das Bernauer Tor reitet. Es mutet
wie der Vorklang ähnlicher militärischer Ereignisse an, die später Krüger und Menzel
gern schilderten. Das Bernauer Tor, später Königstor genannt, gehörte zu den Stadt-
ausgängen, die in den dreißiger Jahren des 18. Jahrhunderts nach der bedeutenden
Stadterweiterung unter Friedrich Wilhelm I. angelegt wurden. Die Mauer, die zuerst
nur westlich von der Spree eine wirkliche Mauer war, während sie im Osten durch
einen Pallisadenzaun vertreten wurde, hatte keine festungsmäßige, sondern nur noch
eine steuer- und militärpolizeiliche Bestimmung. Erst nach dem Tode Friedrichs des
Großen wurde auch auf der rechten Spreeseite jener Zaun durch eine massive Mauer
ersetzt, von der ein Teil auf unserem Bilde zu sehen ist. Die Tore waren nicht mehr
als Maueröffnungen, die von bescheiden verzierten Pfeilern eingefaßt und durch hölzerne
Torflügel verschlossen wurden. Aeberall gehörte dazu ein Wachlokal und ein Äaus für
den Steuerbeamten, den Torschreiber. Eins dieser kleinen Nebengebäude erscheint hier
mit einer Festdekoration und Girlanden geschmückt.
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om alten Bernauer-, späteren Königs-Tor zieht sich heute der Friedrichshain
nach Osten hin, ein 1845 angelegter, 1875 erweiterter Park. Seinen Eingang
wird später der lang geplante Märchenbrunnen schmücken; doch andere Schmuckanlagen,
wie dieser Brunnen nach den Entwürfen Ludwig Äoffmanns erbaut, zieren schon heute
den schönen Volksgarten. Dazu gehört die Spielhalle, die unser Bild vorführt;
die Ausführung einer glücklichen und praktischen Idee. Der Stadtbaurat hat hier vor-
trefflich die Aufgabe gelöst, ein Bauwerk mit massiven Steinwölbungen und behäbigem
Dach in die Landschaft des Parkes einzugliedern. Die Äalle hat, so einfach sie gehalten
ist, das Anziehende, die Traulichkeit, die alle Bauten Äoffmanns besitzen.
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3usammen mit dem vorigen mag dies Bild des Friedrichs-Realgymnasiums
eine Anschauung von der energischen Fürsorge geben, mit der sich die Verwaltung
der Stadt Berlin der Erziehungsprobleme annimmt, und zugleich als schöne Probe für
die bewundernswerte Kunst gelten, mit der Ludwig Äoffmann als Stadtbaurat diesen Wegen
folgt. Gerade die Schulbauten spielen in dem reichen Lebenswerk, das Äoffmann bis-
her für die Hauptstadt geschaffen, eine besondere Rolle. Sie sprechen ein gewichtiges
Wort in der architektonischen Erneuerung Berlins mit, die er mit Messel angebahnt hat.
Äoffmann hat wieder den Sinn für die Fügung und Wirkung der Baumafsen geweckt
und geläutert, hat der Bevölkerung bewiesen, daß architektonische Schönheit in der
Größe der Linien, in der Klarheit des Grundrisses und der Raumanordnung beruht und
nicht in einer Häufung der Ornamente und Schmuckdetails. Und er hat bewiesen, wie
man die brauchbaren Motive der großen Vergangenheit nützen und doch Bauten er-
sinnen kann, die alsbald mit dem Berliner Boden verwachsen. Ein Schulgebäude von
so imposanter Kraft und Einfachheit muß jedem Schüler, der hier ein- und ausgeht, trotz
aller Zucht und allem Zwang, dem er sich beugen muß, doch auch ein Gefühl stolzer
Freudigkeit geben.
31
er Spittelmarkt ist aus einer Bastion der Festungswerke des Großen Kurfürsten
entstanden, die nach dem alten Kirchlein, das seit dem 15. Jahrhundert an dieser
Stelle stand, Gertraudtenbastion genannt wurde. Diese Kapelle, die 1405 gegründet
und 1411 eingeweiht wurde, war von vornherein mit einem Stift verbunden, das sich
nachmals in ein Äospital verwandelte, nach dem die Kirche bald auch Spittelkirche genannt
wurde und der Platz seinen Namen bis heute behalten hat. Das alte gotische Kirchlein,
das in der Vignette unseres Bildblattes so erscheint, wie es um 1690 aussah, wurde
im Jahre 1739 unter Favres Leitung nach Dieterichs' Zeichnungen von Grund aus
umgebaut — so erscheint es aus unserem Bilde, einem Stich von I. G. Rosenberg —
und behielt die bescheidenen Barockformen dieser Neugestaltung bei, bis es, abermals
baufällig, im Jahr 1833 durch Schinkel seinen letzten 51mbau ersuhr. Es stand dann noch
bis 1881, da es, völlig altersschwach geworden, dem wachsenden Verkehr weichen mußte.
Von den Schätzen seines Innern ist mancherlei ins Märkische Museum gewandert, wie
die hübschen Flügel eines Altarschreins, eine holzgeschnitzte Gruppe der Dreieinigkeit und
ein vortrefflicher Kronleuchter in Gelbguß vom Jahre 1655.
32
er Spittelmarkt, vor hundert Iahren noch ein Idyll, ist heute ein Mittelpunkt des
stärksten Berliner Verkehrs geworden. Das Kirchlein ist verschwunden, die
Marktbuden, die dort einst aufgebaut wurden, nicht minder. Äohe neue Cityhäuser
umgeben den Platz, und in seiner unmittelbaren Nachbarschaft tragen die ersten Ääuser
der Wallstraße zwei in der Berliner Industrie- und Geschäftswelt berühmte und populäre
Namen: Spindler und Ravens. Der Spindlershof, den unsere Abbildung wiedergibt,
ist als Denkmal der großartigen Entwicklung eines kaufmännischen Unternehmens zugleich
ein Symbol für die Wandlungen der ganzen Stadt in den letzten Menschenaltern. Als
Wilhelm Spindler am 1. Oktober 1832 seine Seidenfärberei in der Burgstraße eröffnete,
war sie mit den bescheidensten Einrichtungen in den Kellerräumen untergergebracht; dazu ge-
hörte noch eine Waschbank in der Spree. Aber bald wuchs das Geschäft rapide empor. Seit
1841 wurden nach und nach große Grundstücke in der Wallstraße und Neuen Grünst», aße er-
worben. Das Unternehmen entwickelte sich durch Aufnahme neuer Zweige, namentlich durch
die heute allbekannte „chemische Wäscherei", dieReinigung durch Benzin unter Ausschluß von
Wasser, die der Firma vor allem Volkstümlichkeit einbrachte (seit 1853). Bald genügten
die Räumlichkeiten in der Stadt nicht mehr; man entschloß sich 1871 zur Verlegung des Fa-
brikbetriebs nach außerhalb und fand ein Gebiet am linken Afer der Oberspree dicht bei Köpe-
nick, wo nun die großartige Fabrikanlage Spindlersfeld entstand, eine ganze Kolonie für sich
mit Park und Wohlfahrtseinrichtungen von nachahmenswerter Organisation. Auf dem Ber-
liner Grundstück zwischen Wall-, Seydel- und Neuer Grünstraße aber entstand der „Spindlers-
hos", ein weitläufiger; mächtiger Gebäudekomplex, dessen Äauptfassade in der Wallstraße
(9—13) sich in romanischen Formen erhebt. Die gewaltig Anlage, die in Berlin vielfach vor-
bildlich gewirkt hat, dient in den Hauptgebäuden und in den Querfiügeln zu Betriebsstätten
der Firma W. Spindler und einer Reihe anderer Gewerbetreibenden.
33
er Dönhoffsplatz bot vor hundert Iahren, ähnlich wie der Gensdarmenmarkt, das
Bild einer städtischen Anlage von besonderer Schönheit. Auch er war von schmucken
und monumentalen Gebäuden umzogen, die zum Teil Immediatbauten aus der Zeit Friedrichs
des Großen waren — sie sind sämtlich heute verschwunden, bis auf ein freilich gründlich
umgebautes Äaus an der (hier nicht sichtbaren) Südseite des Platzes. Zu ihnen gehörte
auch das größte der schönen Wohnhäuser der Leipzigerstraße, die unser Bild vorführt-
es war von 1804—1822 von Hardenberg, dem großen Staatsmann der schwersten Zeit
Preußens, bewohnt; später kam es in Besitz des Fiskus und wurde nach Einführung der
Verfassung (1849) als Sitz des Abgeordnetenhauses bestimmt, blieb ein halbes Jahrhundert
lang diesem Berufe treu, bis (1898) die zweite Kammer den Neubau in der Prinz Albrech*'
straße bezog, diente dann noch sechs Jahre lang dem Herrenhaide als Unterkunft bis zu*
Fertigstellung seines neuen Gebäudes in der Leipzigerstraße und wurde 1904 abgerissen. 3^
Hintergründe unseres Bildes wird die Gertraudtenkirche auf dem Spittelmarkt sichtbar, von
der soeben (Abb. 32) die Rede war. Rechts das Haus (mit 3 bezeichnet) ist die alte
Elephantenapotheke, in der der junge Theodor Fontane als unwilliger PharmazeutenlehrlinS
saß. Der „Meilenzeiger" auf dem Platze war 1730 gesetzt und stand fast anderthalb
Jahrhunderte, um 1875 dem Denkmal des Freiherrn vom Stein Platz zu machen.
34
d
\
^er Dönhoffsplatz vor hundert Iahren
L._
ZWIMWS
3u den schönsten Bauwerken aus dem Anfang des 18. Jahrhunderts gehört das alte
Kammergericht in der Lindenstraße, das, ursprünglich mit umfassenderem Titel
als „Collegienhaus" bezeichnet, bis heute der modernen Neuerungsfreude getrotzt
und dem höchsten preußischen Gerichtshof Unterkunft gewährt hat. Das stattliche Äaus,
das hoffentlich auch künftig unangetastet bleibt, wenn das Kammergericht in seinen Neu-
bau auf dem Gelände des ehemaligen Botanischen Gartens in Schöneberg übersiedelt,
ist der beste Repräsentant eines bestimmten architektonischen Typus, der unter Friedrich
Wilhelm I. zur Herrschaft gelangte. Neben den Gebäuden mit Vorhöfen, Seitenflügeln
und zurückliegendem Äaupttrakt, die sich nach dem Schema der französischen Adelspalais
richteten, steht eine zweite Gruppe von Bauwerken, deren Ausgangspunkt der holländische
Renaissancegeschmack ist, der schon unter dem Großen Kurfürsten in Berlin Äeimatsrecht
erworben, nun aber unter dem zweiten König eine neue Ausprägung erfuhr. Charakteristisch
für diese Architekturwerke, zu denen auch das Palais des Markgrafen von Schwedt
(vergl. Abb. Nr. 7), das kronprinzliche Palais in seiner ursprünglichen Gestalt, die Fassade
des Prinzessinnenpalais in der Oberwallstraße und mehrere heute verschwundene oder
völlig umgebaute Ääuser in der Leipzigerstraße gehörten, ist die durch Pilaster gegliederte,
zweigeschossige Front mit dem durch reicheren Schmuck betonten Portalrisalit und dem
malerischen Doppeldach, das sich als wichtiges Bauglied darüber erhebt; vor allem
aber die Auffahrtsrampe, die diesen Bauwerken inmitten der schlichteren Käuserreihe eine
vornehme Besonderheit verleiht.
as neue Oberverwaltungsgericht in der Äardenbergstraße zu Charlottenburg, das
nach den Plänen von Grischke und Fürstenau erbaut und im Jahr 1907 seiner
Bestimmung übergeben wurde, zeigt, wie auch die staatliche Bautätigkeit der städtischen
und privaten auf dem Wege gefolgt ist, einheimische Barockformen von älteren Berliner
Architekturen für die neuen Bauwerke zu verwerten. Die Zeit der kühlen und schematischen
Renaissanceentwürfe ist vorüber, und überall, wo historische Stile für öffentliche monu-
mentale Gebäude herangezogen werden, ist man eifrig und erfolgreich bemüht, die spezifilch
märkisch- berlinische Nuance dabei zu Worte kommen zu lassen. Gewiß, das stattliche
Gerichtsgebäude am Bahnhof Zoologischer Garten trägt in seiner Anlage, Äöhe und
Ausdehnung durchaus den Stempel unserer Zeit, und es wäre auch nichts falscher als
die gesunde historische Anlehnung bis zur Kopie und zur Augentäuschung zu treiben.
Aber das lose gefügte Rustika-Sockelgeschoß, die Pilasterpaare, welche die oberen Stock-
werke gliedern und namentlich das uns bereits wohlbekannte Doppeldach des Berliner
Barockstils stellen eine seine Verbindung mit den Traditionen des 18. Jahrhunderts her.
Auch das stark vorspringende Mittelrisalit mit der Giebelbedachung des kühn durch die
Gesimslinie schneidenden mittleren Bogenfensters im Obergeschoß und der statu enge-
schmückten Ballustrade vor dem steil aufsteigenden unteren Dachteil weist altberlinische
Anklänge aus. Gleichwohl sagt uns immer wieder das solide echte Material und die
imposante Stattlichkeit des ganzen Werkes, daß wir es mit einem Erzeugnis der Kaiser
zeit zu tun haben.
36
36
ie prächtigste Schöpfung des friderizianischen Berlin war der Gendarmenmarkt.
Er hatte bis in die siebziger Jahre des 18. Jahrhunderts noch ein bescheidenes
Aussehen; denn aus dem weiten Platz erhoben sich nur die geduckten kleinen Bauwerke
der Französischen und der Neuen Kirche, die noch in der Zeit des ersten Königs auf
dem damaligen „Friedrichstädtischen Markt" errichtet worden waren. Nun ließ Friedrich
der Große diesen Kirchlein Gontards mächtige Turmbauten anfügen, die zwar weder
im Aussehen noch im Grundriß zu den alten Gotteshäusern paßten, dafür aber durch
ihre dekorative Pracht den Platz zu einem der schönsten in der Welt machten. Zwischen
den Kirchen entstand schon im Jahre 1774 ein kleiner Theaterbau, das „Französische
Schauspielhaus", das Boumann d. Ae. erbaute. And rings wurden, hauptsächlich
durch Gontard, der dabei vielfach durch seinen Schüler Anger unterstützt wurde, Reihen
stattlicher Immediatbauten gezogen, von denen heute am Gendarmenmarkt selbst nur noch
das Gebäude der Lotterie-Direktion steht. Anser Bild zeigt noch die schöne alte
Einheit dieses Straßenbildes. Das große Gebäude in der Mitte der Häuserreihe links
gehörte am Anfang des Jahrhunderts dem Oberbaurat Anger; heute befindet sich dort
der Neubau der Berliner Äandels-Gesellschaft. Rechts daneben war das Äaus der
Französischen Kolonie. Geradeaus in der Markgrafenstraße, neben dem Eckhause, wird das
alteGebäude derTrarbachschenWeinhandlung sichtbar, daneben noch (amPortikus der Kirche)
ein Stückchen der schon genannten Königlichen Lotterie-Direktion. Am 1810 aber stand das
alte Französische Schauspielhaus nicht mehr; denn schon 1802 war ein neuer Theaterbau von
Langhans eröffnet worden — jenes „Deutsche National-Theater", das 1817 abbrannte,
und auf dessen Grundmauern dann Schinkel sein neues Schauspielhaus erstehen ließ.
37
ort den neuen Gebäuden, die am Gendarmenmarkt die Zmmediatbauten Gontards
ablösten, war sich nur ein einziges seiner monumentalen Pflicht an so hervorragender
Stelle bewußt: der Bau der Berliner Äandels-Gesellschaft, dasjenige Werk Alfred
Messels, durch das der Name dieses genialen Architekten zuerst allgemein bekannt wurde.
Von einer Wiederaufnahme der Zopf- und Rokokoformen sah Messel freilich ab. Er
hielt sich an eine aus modernem Geist erneuerte Renaissance und dachte wohl daran, daß
auch die großen Florentiner Palazzi des 15. Jahrhunderts zum Teil Wohnsitze großer
Bankherren waren. An der Fassade dieses Gebäudes nach der Französischen Straße und
noch mehr fast an der jüngeren Front der Äandels-Gesellschaft nach der Behrenstraße hin, die
unsere Abbildung zeigt, lernten die Berliner zuerst wieder, was die Kraft und Wucht des ,
Rustika-Llnterbaus, was eine nicht von der Nachahmungssucht, sondern von einer freien
Architektenphantasie geborene Wiederaufnahme von Nenaissanceformen bedeuten kann.
Alles ist Sicherheit und Festigkeit; es ist, als sollte ein Symbol geschaffen werden für die
Solidität und Kapitalkraft der industriellen Unternehmung, die hier ihre Bureaus auf-
schlug. Schwer und mächtig liegen die Sandsteinblöcke aufeinander, streben die Äalbsäulen
des Anterbaus als deutlich betonte Vertikale empor, um oben wieder in die ruhigen, horizon-
talen Linien des großen Dachaufbaus zu münden. And dieses Dach, das im Grunde zu
dem florentinischen Palaststil nicht zu passen scheint und doch hier von keinem als etwas
Anorganisches empfunden wird, stellt zugleich wieder die Beziehung zum Berlinischen her
Messel war der Erste, der dies Dachmotiv in den Vordergrund schob.
38
as Äaus der Naturforscher, Französischestr. 29, gehört zu den wenigen Bau-
werken in der Umgebung des Gendarmenmarktes, die sich aus der Zeit um 1800
bis heute erhalten haben. Es ist unmittelbar nach dem Regierungsantritt Friedricl)
Wilhelms II. für die 1773 gestiftete „Gesellschaft naturforschender Freunde" erbaut
worden und erhielt 1788 die Giebeldekoration (die jetzt durch den Aufbau eines zweiten
Stockwerks in anderer Weise zur Geltung kommt als früher) sowie die Widmungsschrift
in Goldlettern: „Friedrich Wilhelm den Naturforschern". Die schlichte Fassade die durch
die schlank aufsteigenden Pilaster eine feine Gliederung erhält, ist ganz im Stil der 3$
gehalten, die auf Zopf- und Rokokoschmuck zu verzichten und das Wesen der Architektur
lediglich in der Ordnung der Massen und Flächen zu sehen lernte. Man versteht &
heute nicht, wenn man in einer Beschreibung Berlins vor nicht länger als zwanzig
Jahren das reizvolle Gelehrtenheim als ein altersgraues Haus mit abschreckendem Aeußeren
bezeichnet findet — so gering war noch um 1890 das Interesse und das Verständnis f#'
altberliner Kunst- und Kulturdenkmäler. Seit einiger Zeit befindet sich in dem Gebäude
das Jahrzehnte hindurch die Bibliothek und die umfangreiche Sammlungen jen^
Naturforscher-Vereins beherbergt hat, ein Bankinstitut, der Berliner Makler-Verein,
nun einmal nicht in einem modernen Palazzo, sondern auf einer historischen Stätte
einquartiert hat.
39
eute ist die Gegend um den Gendarmenmarkt besetzt mit modernen Geschäftshäusern.
Als Beispiel dafür sei hier das Weinhaus Trarbach in der Behrenstraße (Nr. 47)
vorgeführt, ein rechter Vertreter des modernen Berliner Restaurant-Typus. Es ist ein in
allen seinen technischen Einrichtungen mit liebevoller Sorgsamkeit auf den Massenbetrieb
zugeschnittenes Riesenetablissement und zugleich ein interessantes und bedeutsames Dokument
des kunstgewerblichen Zeitgeschmacks. Die Außenfront von R. Walter hält sich bei
allem Reichtum bescheiden zurück, wie es sich für ein 5)aus in der Straßenflucht geziemt.
Im Innern hat dafür der Münchner Richard Riemerschmid ein Füllhorn origineller
kunsthandwerklicher Ziergedanken ausgeschüttet. Große Säle und intime kleine Räume,
Ecken, Winkel und Nischen lösen einander ab, damit der, der große Gesellschaft und
das Gewimmel vieler Menschen sucht, wie der, der still beschaulich sein Gläschen trinken
will, gleichermaßen auf seine Kosten kommt. In den kleinen Räumen sind mit Glück
zopfige Elemente, Tabaks-Kollegium-Töne aus der Zeit Friedrich Wilhelms l. angeschlagen.
In den weiten Sälen aber ward zum ersten Male in Berlin versucht, die konstruktiven
Gedanken, die neue, auf kleinliche Details verzichtende, mit großen Formen und Linien wirt-
schaftende Ornamentik, die eigenartigen Wirkungen der Beleuchtungskörper für das elektrische
Licht, die nicht aus historischem, sondern aus modernem Geist entstandenen Formen für
Möbelstücke, Wandbekleidung, für Porzellan und Silberzeug zu erproben. Tüchtige hand-
werkliche Arbeit, strenge, vom Schnörkelwesen befreite Einfachheit und solides Material sind
die Grundgesetze dieser Riemerschmidschen Ausstattungskunst.
40
der Gendarmenmarkt boten auch die anliegenden Straßen noch zu Anfang
des 19. Jahrhunderts Stadtbilder von schöner und geschlossener Einheit.
Namentlich die breite Iägerstraße galt mit ihren hübschen Bürgerhäusern als eine Stätte
repräsentativer Vornehmheit. Anser Bild bringt eine Reihe dieser Häuser, die sich trotz
aller Verschiedenheit in der Gestaltung der Fassade und in der Äöhe so trefflich zusammen-
schlössen, daß nicht das einzelne Gebäude sich ungebührlich vordrängte, sondern ein Teil
des Straßenganzen blieb, dem es diente. Es sind erlesene Proben jener altberliner Bauten,
deren Anmut von den modernen Architekten jetzt endlich erkannt und für ihre neuen Werke
genutzt wird. Das Äaus rechts, das vom Bildrand durchschnitten wird, ist Jäger-
straße Nr. 49 u. 50; es gehört heute, wie die Nachbarhäuser bis Nr. 53, dem Bankhaus
und der Familie von Mendelssohn und hat mit ihnen bei den Llmbauten der letzten Zeit
seine alte vornehme Einfachheit bewahrt. Das zweite Bild unserer Seite zeigt die alte
Seehandlung von 1772, eins der reizvollsten Berliner Ääuser mit den bezeichnenden
Zopfeigentümlichkeiten: dem Balkon vor dem Bogenfenster über dem Eingang, dem ver-
krusten Gesims und dem Attikageschoß über dem Mittelrisalit, durch das der hier als
durchbrochener Bogen gehaltene Schmuckaufsatz des Portalbaus mit seiner Kartusche
hindurchschneidet. Das Äaus ist leider um 1900 gefallen und hat einem Neubau Platz
gemacht, den die Raumbedürfnisse dieses preußischen Bankinstituts leider allzuweit von
der künstlerischen Feinheit seines Vorgängers fortdrängten.
41
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n der Stelle, da kurz nach dem Tode des Großen Kurfürsten Nering den Iägerhof
baute, der damals weit vor den Toren der Stadt lag und der bald entstehenden
Iägerstraße den Namen gab, ward in den Iahren 1869—76 der Neubau der Deutschen
Reichsbank nach Äitzigs Plänen aufgeführt. Es ist ein charakteristisches Bauwerk
der jüngeren Schinkelschule, die von dem Klassizismus ihres künstlerischen Ahnherrn, dew
wachsenden Prunkbedürfnis folgend, zu Renaissanceformen überging, und neben der uw
zehn Jahre älteren Börse Äitzigs beste Arbeit. Mit Glück suchte der Architekt durch
eine Verbindung von Backstein und Sandstein eine farbige Wirkung. In den Iahren
1892—94 erfuhr die Reichsbank dann die stattliche Erweiterung nach dem Äausvogtei'
platz hin, wobei die Architekten Emmerich und Äasak sich mit außerordentlichem GeschO
den älteren Teilen anschlössen, indem sie doch zugleich den Anbau als einen neuen
Bauteil kennzeichneten. Auch diese Partie des Bankgebäudes, von dem unser Bild dav
Kontor für Wertpapiere vorführt, erhebt sich auf historischer Stätte; auf demselben
Gelände stand einst die wohlbekannte „Äausvogtei", die als Untersuchungsgefängnis diente,
ihre Berühmtheit aber besonders durch die zahlreichen politischen Gefangenen gewonnen ha^
die darin für ihre freiheitliche Gesinnung büßen mußten. Auch Fritz Reuter hat hier einl^
hinter Schloß und Riegel gesessen.
42
er Wilhelmsplatz, oder, wie er nach seinem schönsten plastischen Schmuck gern ge-
nannt wird: der „Zietenplatz", bot schon unter Friedrich dem Großen wie heute
eins der prächtigsten Berliner Straßenbilder. Aus der einen Seite flankiert von den vor-
nehmen Palais der Wilhelmstraße, aus der andern, wie unser Bild zeigt, von einem malerischen
Gedränge kleiner alter Ääuser, trug er die Denkmäler, die der König seinen Generälen setzen
ließ. Die ersten dieser Statuen waren die von Schwerin und Winterfeld, denen die
Bildhauer Adam, Michel und die Brüder Raenz, noch ganz im französischen Theaterstil,
ein römisches Kostüm verliehen. Der flämische Bildhauer Antoine Tassaert war dann
der erste, der es wagte, für seine Figuren von Keith und Seidlitz die Zeittracht der
friderizianischenAniformen anzuwenden, ein kühner Schritt in einer Epoche, deren Geschmack
noch voll war vom Äang zur Maskerade und zum tändelndem Spiel. Den Weg
Tasfaerts ging dann sein Schüler Ioh. Gottfr. Schadow weiter, dessen meisterliches
Zietenstandbild im Jahre 1794 auf dem Wilhelmsplatz aufgestellt wurde. Das Werk
gehört durch die volkstümliche und doch monumentale Charakteristik, mit der Schadow
Zieten als den bedächtig überlegenden Reiterführer schilderte, durch die außerordentliche
Kunst, mit der er einen fast genrehaften Aug: die Haltung der rechten Äand gegen das
Kinn, doch mit Vermeidung alles Spielerischen und Kleinlichen behandelte, weitaus zu
den besten Denkmälern der heutigen denkmalreichen Stadt.
43
Zietenplatz vor hundert Jahren
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uch der Wilhelmsplatz zeigt heute, wie gewaltig sich das Berliner Stadtbild in den
letzten hundert Iahren verändert hat. An Stelle der alten Marmordenkmäler der
friderizianifchen Rokoko-Bildhauer, Tassaerts und Schadows (vgl. dazu unsere Abbildung 15),
die sich heute im Kaiser Friedrich-Museum befinden, stehen seit 1860 die Bronzenach-
bildungen von August Kiß, der auch den Statuen von Winterfeld und Schwerin nun die
Liniform der Zeit gegeben hat. Der ungeheuer angewachsene Wagenverkehr der Leipziger
Straße machte die Anlage eines Fahrweges quer über den Platz notwendig. Lind
zwischen den beiden Adern dieser Fahrstraße erhebt sich, flankiert von Schadows Stand-
bildern des alten Zieten und des alten Dessauer, die hübsche Pergola aus Muschel-
kalkstein, mit der Alfred Grenander den Eingang zur Untergrundbahn schmückte. Völlig
verändert aber ist das Straßenbild an der Stelle, da auf dem vorigen Blatt (Nr. 43) die
bescheidenen Bürgerhäuser vor der Dreifaltigkeitskirche stehen: dort wurde seit dem Jahre
1875 nach den Plänen der Architekten Äude undÄennicke das ÄotelKaiserhof errichtet,
der erste großstädtische Hotelbau Berlins, der in der wachsenden Zahl der modernen, wie
Pilze aus dem Boden geschossenen Riesengasthöfe seine Stellung gewahrt hat; zumal
nach dem durchgreifenden.Umbau, der vor einigen Iahren vorgenommen wurde. Zum
ersten Male sahen die Berliner damals ein mächtiges Ääuserviereck niederlegen, einen
gewaltigen Baublock erstehen, der wie eine kleine Stadt für sich erschien. Ein bekanntes
Ereignis der Berliner Stadtgeschichte war der verheerende Brand, der das fast vollendete
Gebäude erfaßte und seine Eröffnung verzögerte.
44
Der Kaiserhof
44
je Straße Linter den Linden war vor hundert Iahren noch weit mehr als heute
das allgemeine Rendezvous der Berliner Spaziergänger. An schönen Tagen und
am Sonntag strömte die ganze Bevölkerung hier zusammen, um, vom Wagenverkehr noch
weniger belästigt, über den Pariser Platz und durchs Brandenburger Tor in den Tier-
garten zu lustwandeln. Die preußische Via triumphalis hatte damals in der Hauptstadt
die Rolle inne, die noch heute in kleineren Städten gewisse Hauptstraßen zur Stunde der
„Promenade" spielen. Anser Bild gibt eine Vorstellung davon, wie sich das Berlinertum
der Empirezeit dort bewegte und begrüßte. Die Lindenallee bestand noch aus sechs
Baumreihen, während sie heute aus vier reduziert ist, da der Verkehr die Opferung
der schönen alten Bäume rechts und links von dem Mittelwege verlangte. Rechts
an der Ecke des Pariser Platzes und der Linden sehen wir das alte v. Kamekesche Äaus,
das noch aus der Zeit Friedrich Wilhelms l. stammte, wie seine Rampe beweist. Es ist
das Gebäude, das bald daraus, im zweiten Dezennium des 19. Jahrhunderts, Schinkel
in einem interessanten Mischdialekt aus Motiven der älteren klassisch-berlinischen Zeit
und mittelalterlich-slorentinischen Elementen sür den Grafen von Redern umbaute. Auch
dies Redernsche Palais ist inzwischen verschwunden. Es wurde 1905 niedergerissen, um
dem Neubau des Äotel Adlon von Gause und Leibnitz Platz zu machen, der sich jedoch
mit Geschick dem Straßenbilde anpaßte.
as Äaus Anter den Linden 4, nahe dem Pariser Platz, der heutige Sitz des
Kultusministeriums, gehörte noch im Zahre 1822 einem Privatmann, dem
Branntweinbrenner Meuß. Später ward es vom Könige von Hannover angekauft und
im Jahre 1849 vom preußischen Staat erworben. Im Lauf der Jahrzehnte wurden
jedoch vielfache Umänderungen und Erweiterungsbauten nötig, um den wachsenden An-
forderungen gerecht zu werden, welche die Mannigfaltigkeit der in diesem Ministerium
vereinigten Ressorts stellte. Der Neubau, nach den Plänen des Baurats P. Kühn
von Bürckner ausgeführt, wurde im Jahre 1883 eingeweiht. Die große Gebäudeanlage,
die bis an die Behrenstraße reicht und später (um 1890) dort noch den Ausbau des
Äauses Nr. 72 nötig machte, gruppiert sich um zwei Äöfe. Die Fassade nach den Linden
erhielt die strenge und geschlossene Form der älteren Berliner Architektenschule. Anter
dem Äauptgesims ward ein breiter Fries in Kalksandstein angebracht, eine allegorische
Darstellung der verschiedenen Zweige der Künste und Wissenschaften, deren staatliche
Pflege der hier residierenden Behörde anvertraut ist und von den Tagen Wilhelm von
Humboldts bis zu denen Wilhelm Althosss zu so bedeutungsvollen Taten und Ergeb-
nissen geführt hat.
46
egenüber dem Kultusministerium, auf der Nordseite der Linden, befindet sich heute
die Kriegsakademie. Vor hundert Iahren stand dort das (auf der einen unserer
Abbildungen sichtbare) „Pontonhaus", das 1736 von Friedrich Wilhelm I. zur Aufbe-
Währung von Schiffsbrücken erbaut worden war. Auf dem Äofe war das Laboratorium
der Artillerie und das Krankenhaus für das 1. Artilleriekorps. Später kamen die Pontons
nach der Spree, und für die 1810 von Scharnhorst gegründete Artillerie-- und Ingenieur-
schule, die heutige Kriegsakademie, wurde 1822 an dieser Stelle der Neubau errichtet,
den unser zweites Bild wiedergibt. Er entstand nach Plänen Bürdes, ganz im schlichten
und vornehmen Geiste der Schinkelschen Architektursprache. Vierzehn korinthische Pilaster
gliedern die altpreußisch einfache Fassade, deren Aufbau durch ein Konsolengesims bekrönt
wurde. Die neuen Teile nach der Dorotheenstraße, die in den Jahren 1879 bis 1883
von Bernhardt und Schwechten aufgeführt wurden, zeigen den prächtigeren, mit massivem
Material wirtschaftenden Stil der Kaiserzeit.
Das Pontonhaus um 1810
Die Kriegsakademie
as prächtigste Äaus des Berliner Frühklassizismus ist das Gebäude des Militär
kabinetts, Behrenstraße 66, das 1792—93 nach den Plänen von W. Titel als
königlicher Immediatbau errichtet wurde. Ursprünglich diente es der Witwe des Staats'
rats v. Massow, später der Landgräfin von Hessen-Cassel, einer Tochter des Markgrafen
Friedrich Wilhelm von Schwedt, dem Minister von Schrötter, dann dem Äandels-Ministeriuw
und dem Generalstab als Unterkunft, bis es 1872 dem Militärkabinett des Kaisers übet'
wiesen wurde. Die schöne Fassade mit den vornehmen Mittel- und Eckrisaliten, mit &ef
ausgezeichnet wirkenden, durch beide Obergeschosse reichenden Nische über dem ÄaupteinganS
und ihrem kassettierten Äalbkuppelgewölbe, mit den Nundbogenblenden an den Ecken und &eItt
Fries des Äauptgesimses hat sich bis heute völlig unverändert erhalten, als ein imponieren
des Denkmal der Berliner Baukunst der vorschinkelschen Zeit.
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icht neben dem Militärkabinett befand sich bis vor vier Iahren ein zweites, schönes
und vornehmes Wohnhaus aus der Zeit des Berliner Frühklassizismus: das Palais
des Fürsten zu Solms -Baruth (Behrenstr. 68/69). 1906 ward es niedergerissen, um
dem Neubau der Nationalbank für Deutschland Platz zu machen, einem der letzten
großen Werke von Alfred Messel. Das ältere Gebäude aber gab dem Architekten den
Anlaß, wenigstens einen Anklang an seine äußere Erscheinung zu bewahren, von dem
seit Jahrzehnten üblichen, auch von Messel selbst angewandten Typus der Renaissance-
Paläste für Bankbauten abzuweichen und statt dessen Motive der altberliner Baukunst
um 1800 anzuwenden, die nun natürlich wieder mit dem modernen Geist des Künstlers
selbst wie der Bestimmung des Gebäudes in Einklang gebracht werden mußten. Bei
der Gestaltung der Grundrisse konnte Messel seine älteren Erfahrungen nutzen, um nun
das Muster einer klaren, einfachen und zweckentsprechenden Anlage zu schaffen. Zweck-
Mäßigkeit und Solidität waren auch die einzigen Gesetze bei der Wahl der Materialien,
wobei jede Prunkentfaltung vermieden werden sollte: schlichteste Behandlung der Fassade,
die in großen rauhen, rötlich-grauen Putzflächen gehalten ist, im Wechsel mit den be-
stimmenden Architekturteilen in Kalkstein; im Kassenhof und Äaupt-Treppenhaus ernste
Säulen aus Skyrusmarmor, die Wände auch im Innern vielfach in kalksteinähnlichem
Putz. So fügt sich das Gebäude als ein interessantes Glied in die Neubauten-
reihe der Behrenstraße ein, die sich immer mehr und mehr zur Heimstätte der Groß-
banken Ättwickelt.
49
as Brandenburger Tor, das sogar noch einige Jahre früher als das Äaus des
Militärkabinetts (Abb. 46) entstand, zeigt die Berliner Architektur schon auf dem
entschiedenen Wege zum antikisierenden Klassizismus. Auch dieser Stadtausgang am alten
„Quarre", das erst nach dem Freiheitskriege den Namen Pariser Platz erhielt, zwischen
dem Anterbaumtor an der Spree und dem Potsdamer Tor die einzige Durchbrechung
der westlichen Mauer, hatte unter Friedrich Wilhelm l. noch den einfachen Schmuck
zweier Pfosten mit gequaderten Putzflächen erhalten, die durch einfache Reliefs geziert
und von einer Vase bekrönt waren. Am Ende des Jahrhunderts aber, in den Jahren
1788—1791, ward nun der großen Hauptstraße ein prunkvoller Abschluß verliehen, und
Carl Gotthard Langhans (1733—1808) gab mit dem neuen Brandenburger Tor der
Stadt den schönsten Schmuck, den sie seit Schlüter erhalten hatte. Langhans hatte die
ausgesprochene Absicht, hier eine Nachbildung der Propyläen zu geben, von denen er in
dem Kupferstichwerke von Stuart und Revett über die Altertümer von Athen (1762)
eine Abbildung gesehen hatte. And doch ward es eine ganz originelle Schöpfung, durch-
aus nicht nur Nachahmung, und ein Werk, das rasch mit dem Berliner Boden verwuchs. Die
Freiheit, die der Architekt sich nahm, indem er die Säulenhalle nicht mit einem griechischen
Giebel, sondern mit einer römischen Attika deckte, kam der Wirkung nur zugute, es ward
kein Triumphbogen, sondern ein richtiges Tor, das sich in die Mauer trefflich einfügte.
An der Tiergartenseite, die unser Bild (ein Stich von Äaas nach einer Zeichnung von
Serrurier) zeigt, wurden die kleineren Säulenhallen erst 1868 durch Strack angebaut.
50
or dem Brandenburger Tore entstand im Tiergarten, nachdem die alte Stadtmauer
längst gefallen, nach dem französischen Kriege das Forum des neuen, kaiserlichen
Berlin: der Königsplatz, vor allem beherrscht vom Reichstagsgebäude. Der gewaltige
Bau, nach den Plänen und unter der Leitung Paul Wallots in den Iahren 1884 bis
1894 errichtet, nimmt in der jüngsten Geschichte der deutschen Architektur einen hervor*
ragenden Platz ein. Er ist das bedeutendste Werk der Frankfurter Schule, deren Kenn*
zeichen in einer freieren, selbständigen Verwertung historischer Formen bestanden, und die
darum einen wichtigen Fortschritt über die geschichtlichen Kopien der vorausgegangenen
Periode darstellt. Auch Wallot, der von Frankfurt nach Berlin gekommen war, hielt
sich an Motive der Renaissance und anderer Stilepochen der Vergangenheit; aber die
Art, wie er sie benutzte und mischte, wie er aus ihren Linien- und Ornamentgedanken
neue Massen- und Schmuckwirkungen entwickelte, war völlig originell und persönlich-
Prachtvoll stützte er den weitläufigen Bau durch vier imposante Ecktürme von kräftigem
Llmriß, ordnete die zahlreichen Räumlichkeiten des Innern nach einem überaus klaren
und zweckmäßigen Grundriß an und deckte den Mittelbau, der den Sitzungssaal enthält,
mit einem großen Glasvach (nicht einer „Kuppel"), das so den Hauptpunkt der ganzen
Anlage weithin kenntlich macht. Im Innern gelangte Wallot dann durch eine eigen-
artige Verbindung von gotischen und Renaissaneemotiven zu einer sehr interessanten
Formensprache. Namentlich die Treppenhäuser, die Vestibüle und die große Wandelhalle
ergeben in ihren stolzen Abmessungen und Raumanordnungen gewaltige Effekte.
51
s war im Jahre 1695, als Kurfürst Friedrich III., der nachmalige erste König von
Preußen, den Entschluß faßte, bei dem nahen Dorfe Lietzow für seine Gattin
Sophie Charlotte inmitten eines prächtigen Parkes an der Spree ein Schloß für die
Sommermonate zu errichten. Für den Garten wurde der größte europäische Meister
dieses Kunstzweiges: Le Nütre selbst, bemüht, der die Entwürfe von Paris aus lieferte
der Schloßbau wurde wohl Nering, die Innenausstattung Schlüter anvertraut. Der
kleine Ort aber verdankte der Herrin dieses schmucken Spreesitzes die Erhebung zu dem
würdigeren Namen Charlottenburg. Von der Dorotheenstadt und den Linden her
wurde zugleich durch den Tiergarten in fast schnurgerader Linie eine breite Chaussee
angelegt, die jenseits des Landwehrkanals, wo das Charlottenburger Gebiet begann, den
Namen Berliner Straße annahm. Vor hundert Iahren war dieser bedeutendste
westliche Vorort noch sehr weit von der Stadt entfernt; von einer unmittelbaren Nachbar-
schaft der Häuserblocks beider Gemeinden war noch auf Jahrzehnte hinaus keine Rede.
Man machte nach Charlottenburg Landpartien und zog dorthin, wie nach Schöneberg,
„auf Sommerwohnung". So blieb es im großen Ganzen bis nach dem Kriege 1870, auch
jene Äauptstraße behielt den halbdörflichen Charakter, den unsere Zeichnung von Calau um
1820 sesthielt. Zu Beginn der siebziger Jahre wurde dann vom Brandenburger Tor aus
die erste Berliner Pferdebahn nach Charlottenburg gelegt; und nun begann der große
Aufschwung der Stadt, die noch 1880 wenig über 30000, 1910 aber bereits 285 00t)
Einwohner zählte.
52
Ii
)?^Verlme^SrraM^n(?hänottenburg vor hundert Jahren
L
eute ist Charlottenburg eine der schönsten und vor allem der reichsten Städte Preußens,
die der Mutterstadt Berlin tatsächlich in vielen Punkten Konkurrenz macht. Durch
die Verlegung derTechnischenÄochschule auf ein Gelände der größten Nachbargemeinde
ward diese überdies auch in die Reihe der Äochschulstädte aufgenommen, und es ist
charakteristisch für das moderne Wesen Charlottenburgs, daß es die technischen Wissen-
schaften waren, die sich hier einquartierten. Die Hochschule selbst ist in dieser Gestalt
natürlich gleichfalls eine moderne Schöpfung, sie ist im Jahre 1879 entstanden und hervor-
gegangen aus einer Vereinigung der 1799 gegründeten Bauakademie und der seit 1821
bestehenden Gewerbe-Akademie. Für diese neue Universität des Architekten-, Maschinen-
bau- und Ingenieurwesens wurde an der Berliner Straße in den Jahren 1878—84
nach den Entwürfen von Lucae und Äitzig, nach Äitzigs Tode unter Naschdorffs kürt st-'
lerischer Leitung jenes prächtige Gebäude ausgeführt, das nun den in Charlottenburg
Eintretenden zuerst grüßt. Namentlich das Mittelrisalit des zurückliegenden Äauptbaus
mit den hohen Säulen zwischen den Fenstern der zweigeschossigen Aula, mit der kräftigen
Attika über dem Gesims und dem reichen, gut angeordneten Skulpturenschmuck ist von
ausgezeichneter Wirkung. Der ganze Bau ist wie ein stolzes Symbol der Machtstellung,
die sich die Technik den alten Geistes- und Naturwissenschaften gegenüber errungen hak-
53
as Terrain des Zoologischen Gartens, ein Teil der ehemaligen Fasanerie, lag
noch im Sommer 1844, da die Eröffnung stattfand, weit draußen vor der Stadt,
inmitten weithin sich erstreckender, öder und unbebauter Charlottenburger Ländereien. Der
Berliner „Zoo", wie ihn die Bevölkerung abkürzend gern nennt, abgesehen von der
Menagerie des „Jardin des plantes" zu Paris und der zu Schönbrunn der viertälteste
Europas (London 1829, Amsterdam 1838, Antwerpen 1843), erlebte ein Vierteljahrhundert
nach seiner Begründung einen außerordentlichen Ausschwung. Damals entstanden nach
den organisatorischen und architektonischen Plänen von Ende und Böckmann die Bauten
und Anlagen, die das Institut vor allem in der Welt bekannt machten, namentlich da
man hier zuerst den originellen Gedanken in großem Stile ausführte, die Tierhäuser durch
geschmackvolle Anwendung fremdländischer Bauformen in gewisse Beziehungen zu ihren
Bewohnern zu bringen. Die letzte Zeit, da L. £>eck die wissenschaftliche, F. Ä. Meißner die
kaufmännische Leitung sührte, bedeutete dann eine neue Blüteepoche des Unternehmens.
Linter der Aegide Böckmanns wurde der Zoologische Garten als wissenschaftliche Schauanstalt
wie als großes Sommeretablissement von Grund aus umgestaltet. Es ersolgte eine jWe'~
matische Vermehrung des Tierbestandes, eine neue, übersichtliche und belehrende Anordnung,
eine Verschönerung des Gartens durch große, klare Linienführung und vor allem ein Neubau
der wichtigsten Anlagen, wobei jene alte Tendenz zu phantastisch-exotischen Formen, die bet
Gebäuden solcher Bestimmung durchaus logisch und sinnvoll ist, wiederaufgenommen wurde.
Besonders die Architekten Zaar und Vahl, Schultz und Stegmüller, Kayser und v. Großheün
haben sich dabei verdient gemacht. Die Gebäude am Eingang Kurfürstendamm, die unsere
Abbildung wiedergibt, das Verwaltungshaus, das Elefantenportal, die kleinen Pförtner-
Häuschen, zeigen durch ihren launisch japanisierenden Stil von weitem an, daß sich hier
mitten in dem Gelände des modernen Berlin ein fremdes Reich der Wunder erhebt.
54
Reubauten des Zoologischen Gartens
L_
3U Anfang des 19. Jahrhunderts gab es in Berlin nur zwei regelmäßig geführte,
gegen Entree zugängliche Eisbahnen. Die eine „bei Nanzleben", hinter einem
Saufe der Kochstraße, die andere hinter den Zelten, die unsere hübsche Zeichnung von
Calau festgehalten hat. BeiZeltl beginnend, liefein zu bequemerer Ausladung der Spreeschiffe
angelegter Stichkanal bis an den Llnterbaum; er ist längst zugeschüttet und heißt heute
Richard Wagner-Straße. Dort war besonders am Sonntag Mittag zwischen 11 und
1 Ahr allgemeines Winterrendezvous der Berliner Gesellschaft, wo man mit schwerfälligen
„Schrittschuhen" seine Kunst zeigte. Das Zelt Nr. 2 hatte an der Rückseite einen
doppelten offenen Balkon, wo man sich beim Punsch gütlich tun konnte, und wo die
jungen Damen warteten, um von den Kavalieren zu einer Fahrt auf dem „Pickschlitten"
eingeladen zu werden; denn das schwächere Geschlecht traute sich selbst noch nicht aufs Eis.
55
ie Welt eines Jahrhunderts liegt zwischen jenem Altberliner Eisbahnbilde, das uns
die vorige Abbildung zeigte, und dem neuen Eispalast draußen in der Luther-
straße, wo das Weichbild Berlins längst aufgehört hat. Weit großartiger als die älteren
ähnlichen Anlagen in anderen Weltstädten ward hier die Technik der künstlichen Eisbereitung
ausgenutzt, um eins der merkwürdigsten modernen Etablissements zu schaffen. In weiten
Eisenwölbungen zieht sich die mächtige Äalle um die glitzernde Fläche, von kräftigen Pfeilern
gestützt und von breiten Galerien umzogen, die für die Zuschauer und für einen Riesen-
Restaurationsbetrieb Raum bieten. Der Bau von Walter Äentsche l, der 1908 eröffnet
wurde, zeichnet sich durch die Geschlossenheit seiner Fassade, durch den geschickten Grund-
riß des weitläufigen Äauses, das, recht im Sinne unserer Zeit, gleich einer ganzen Anzahl
verschiedenartiger Zwecke dienen muß, und durch die luftige, hohe Weite der großen
Sporthalle aus.
56
Der Eispalast
as „Dorf Schöneberg" galt vor hundert Iahren noch als eine ländliche Siedelung,
die von Berlin eine gute Stunde Weges entfernt lag. Man sprach davon, daß es
wegen seiner anmutigen Lage vielfach für „Sommerwohnungen" benutzt werde, und daß
auch manche wohlhabenden Berliner dort schon Landhäuser bauten. Das Kirchlein, das
so hübsch von einem Äügel herabgrüßte — es muß um die Mitte des 18. Jahrhunderts
entstanden sein —, hat gewiß sein gut Teil zu der dörflichen Lieblichkeit dieses Vororts
beigetragen. Aebrigens war bereits seit einiger Zeit eine Verbindung zwischen dem alten
Schöneberg und Berlin angebahnt worden. Denn schon im Jahre 1750 war die Begründung
des Kolonistendorfes Neu-Schöneberg erfolgt, indem unter Aufsicht des Generals von
Rezow zehn Kolonistenhäuser für zwanzig Familien erbaut wurden. Es ist das ungefähr
die heutige Gegend westlich vom Landwehrkanal, die später zum Teil in Berlin eingemeindet
wurde. Aber es sollten noch fast anderthalb Jahrhunderte vergehen, bis sich die großen
Lücken zwischen Berlin und Schöneberg völlig schloffen. Die Vorlage unserer Abbildung
ist von I. F. Äennig nach der Natur gezeichnet und gestochen.
57
er Nollendorfplatz auf Schöneberger Gebiet, noch vor zwei Jahrzehnten ein Punkt
idyllischer Ruhe, hat sich mit dem Beginn des 20. Jahrhunderts zu einer der verkehrs-
reichsten Straßenkreuzungen des neuen Großberlin entwickelt. Neben der Anlage des
Äochbahnhofs und dem rapiden Bevölkerungszuwachs des Hinterlandes hat daran der
große Schmuckbau des Neuen Schauspielhauses, der gleichsam als der Schlußstein
eines ganzen Viertels der nun zu städtischen Würden erhobenen Gemeinde Schöneberg
gelten darf, bedeutenden Anteil. Die ungeheure Wandlung, die sich in der Aus-
dehnung und im Leben der preußischen Hauptstadt zwischen 1810 und 1910 vollzogen
hat, kann nicht deutlicher illustriert werden als durch die Gegenüberstellung des vorigen
Bildes mit dem dieses mächtigen Theaterbauwerks, das ein großes Bühnenhaus mit
allen seinen Nebenräumen, einen Konzertsaal und ein riesiges Restaurantgebäude zugleich
umfaßt und sich eben durch diese Mannigfaltigkeit als ein Produkt der jüngsten Zeit
bewährt. Erbaut wurde das Neue Schauspielhaus 1906 durch die Firma Boswau und
Knauer, die seit langer Zeit in der alten wie in der neuen Welt Jahr für Jahr eine
erstaunliche Zahl von Neubauten aus dem Boden steigen läßt — ein moderner Groß-
betrieb, der nur wenig seines Gleichen hat. Namentlich die Lösung der stumpfen Elke
und die streng gehaltene Fassade des Restaurantbaus, sowie die Verstellung des überaus
schwierigen und komplizierten Grundrisses der ganzen Anlage sind dem Architekten trefflich
gelungen.
58
er Leipzigerplatz — damals das „Achteck" genannt — war vor hundert Iahren
das Ende der Stadt nach Westen zu, der vornehme Abschluß einer ruhigen, dem
Lärm und Getriebe des Verkehrs entzogenen Wohnstraße. Als Wilhelm von Humboldt,
ins preußische Ministerium berufen, der noch in Rom weilenden Gattin von Berlin
aus berichtet, er habe in einein der ersten Ääuser der Leipzigerstraße nach dem Platze zu
Wohnung gemietet, muß er Karoline mit vielen Worten darüber beruhigen, daß er ein so
weit „von der Stadt" entferntes Quartier gewählt habe. Auch unser Bild zeigt, daß
es damals an dieser Stelle noch recht still zuging (während sonst die Vedutenzeichner
gerade die Neigung haben, den Verkehr renommistisch zu übertreiben), und daß der schön
geformte Platz von schlichten, landhausartigen Gebäuden umzogen war. Das Potsdamer
Tor hatte zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts noch ganz die Gestalt wie zur Zeit,
da es angelegt wurde: im Jahre 1735. Die mit Trophäen geschmückten Barockpfeiler
und das Äolztor, die sich ungefähr mitten auf dem heutigen Potsdamerplatz erhoben,
waren jedoch schon recht baufällig und wichen denn auch bald (1822) einer Neuanlage',
den dorischen Tempel-Torhäuschen von Schinkel. Am 1810 aber grüßte das dem 18. Jahr-
hundert angehörige Äaus der Ring'schen Apotheke — wie wir es auf der Vignette
unserer Bildseite sehen — noch über das alte Tor herüber vom Thiergarten in die
Stadt. Das allen Berlinern wohlbekannte Gebäude stand genau an der Stelle, an der
sich heute das Cafe Iosty befindet.
59
eute sind der Leipziger- und Potsdamerplatz zum Mittelpunkt des neuen großberliner
Verkehrs geworden, der sich ganz nach Westen hin verschoben hat. Einen be-
deutenden Anteil an dieser Wandlung hat die Anlage des Warenhauses A. Wertheim
in der Leipzigerstraße, das dann bis zur Ecke des Platzes vorrückte, um ihn nun völlig
zu beherrschen. Alfred Messel, dessen Name durch dies gewaltige Werk am meisten an
Ruhm und Volkstümlichkeit gewann, gab hier zuerst das maßgebende, seitdem überall
hundertfach nachgeahmte Beispiel eines modernen Geschäftshauses aus Stein und Eisen,
das seine Bestimmung jedem Beschauer nach außen verrät und vor allem auf Licht und
Luft, auf große Verkaufs- und Lagerräume, auf geräumige Schaufenster, breite Verkehrs-
wege, bequeme Beförderungsmöglichkeiten usw. angelegt ist. Von der Gotik her über-
nahm der Architekt die hohen, durchgeführten Sandsteinpfeiler, aber der moderne Sinn
des ganzen Bauwerks, dem sie durch ihre stark betonten Vertikalen den Charakter geben,
läßt dabei doch keinen Gedanken an historische Formen auskommen. Am bewundernd
wertesten war dann, wie Messel von diesem reinen Nutz- und Zweckstil später an der Platz'
ecke, die eine monumentale Ausgestaltung verlangte, zu einer prächtigen und doch organisch
aus dem Nachbarbau erwachsenen Lösung kam. Die Fassade aus fränkischem Muschelkalk'
stein, der plastische Schmuck des Eckbaus, dessen Behandlung der Struktur des Steines
folgte, das Gewölbe der Vorhalle, der dann im Innern der großartige Lichthof und
der Teppichsaal entsprechen, der architektonische Gesamtentwurf wie die dekorativen Einzel'
heiten — das alles trägt den Stempel des Neuen, durchaus Persönlichen, das nach
zahllosen Richtungen hin anregend und reformierend gewirkt hat und noch heute fortwirkt.
60
---
Das Warenhaus A. Wertheim 60
L.__
ls Eosander von Göthe, Schlüters intriganter Nebenbuhler und sein Nachfolger am
Schloßbau, im Jahre 1706 für die Gattin des königlichen Günstlings, des Grafen
Wartenberg,auf dem Gelände eines alten Vorwerks vor dem SpandauerTore als Sommersitz
das Schlößchen Monbijou errichtete und mit einem Garten in französischem Geschmack,
mit Grotten, Götterstatuen, geschorenen decken und einer Terrasse, umgab, lag dies anmutige
Buenretiro noch weit von dem Verkehr der Stadt entfernt. Hundert Jahre später sah
es dort schon wesentlich anders aus. Unsere Abbildung aus dem Jahre 1821 zeigt, wie
der Garten des Schlosses damals bereits zu beiden Seiten von Häuserreihen begrenzt
war, und wie auch sein Gegenüber sich gewandelt hatte. Dort, am nördlichen Rande
der Spreeinsel vor ihrer Spitze — also an der Stelle, wo heute die Säulenhalle der
Nationalgalerie, die Viadukte der Stadtbahn und das Kaiser Friedrichmuseum zu suchen
wären — befand sich eine Straße, deren Name heute am linken Afer des Flusses nach
der Einmündung des Kupfergrabens fortlebt: der Weidendamm. In der ersten 5>älfte
des 18. Jahrhunderts hatte man hier, um die Afer zu befestigen, einen Damm aufge-
schüttet, der aber niedrig und schmal blieb, bis man ihn 1730 nach dem Brande der
Petrikirche mit dem Schutt der Ruine erhöhte und verbreiterte. Bald darauf wurde
er mit Weiden bepflanzt. Das Äaus, von dem links vorn auf unferm Bilde ein Stück
zu sehen ist, gehörte dem Bauinspektor Cantian, dessen Werkstätten später dieser ganzen
Gegend das Gepräge gaben. Im Hintergründe links wird das Gebäude der Artillerie-
kaserne sichtbar; weiter rechts, über dem Wasser, die alte Ebertsbrücke.
61
-
Am Weidendamm vor hundert Iahren gj
Ä
eute sieht es am Weiden- und Schiffbauerdamm anders aus. Die Häuserreihen
haben sich fortgesetzt und begleiten die Spree bis an den Tiergarten. Weit unten
am rechten Flußufer erhebt sich seit einigen Iahren das neue Verwaltungsgebäude
der Allgemeinen Elektrizitäts-Gesellschaft, der „A. E. G.", wie der Berliner
nach englischem Muster abkürzend gern sagt. Dies gewaltige industrielle Unternehme«,
das gegenwärtig an 36 000 Angestellte beschäftigt, hat schon seit geraumer Zeit neben
der musterhaften Organisation seiner riesenhaften Betriebe auch die künstlerische Ge-
staltung seiner Gebäude und Anlagen, die mit der Zweckmäßigkeit Äand in Äand geht,
eifrig bedacht. Das mächtige Äaus am Schiffbauerdamm, bei dem die großartig zu-
sammenfassende Front, die Treppen- und Äofanlagen besonders beachtenswert sind, ist
eins der letzten Werke Alfred Messels, der hier wieder in ganz origineller Weise eine
neue Verbindung zwischen altberliner Zopftraditionen und den Erfordernissen eines modernen
Geschäftsgebäudes herstellte. Für die kolossalen Fabrikbauten auf den weiten Fabrik-
Grundstücken der Gesellschaft im Nordosten und Nordwesten Berlins, in der Acker-, der
Brunnen- und der Äuttenstraße, wurde dann nach Messels Tode Peter Behrens ge-
wonnen, der namentlich in der großen Turbinenhalle in der Äuttenstraße das bewundern^
werte Beispiel eines modernen Bauwerks solcher Bestimmung schuf.
62
/^ie alte und die neue Zeit begegnen sich in den Baulichkeiten des zur Medizinerstadt
gewordenen Berliner Nordwestviertels an der alten Dorotheenstadt. Gerade jetzt
hat man dort ein Zweihundertjahrjubiläum begehen können; denn im Jahre 1710 hatte
König Friedrich !. als Zufluchtsstätte für die Armen und Bedürftigen gegen die Berlin
bedrohende Pest jenes zweistöckige Fachwerkgebäude errichten lassen, das 1727, nachdem
daraus ein Lazarett zur Unterweisung der Militärchirugen geworden war, von Friedrich
Wilhelm I. den Namen „Charite" erhielt: „absonderlich dieser Arsache halber, damit es
jedem freistände, von seinem Lieberfluß aus christlicher Liebe den armen Kranken beizu-
springen oder, wie man sagt, Charite zu erweisen". Das alte Gebäude erfuhr bald
Erweiterungen und Vergrößerungen, bis 1785 der Grundstein zu einem neuen Äause
gelegt wurde. Zu den übrigen medizinischen Anstalten und Instituten wurden feste Be-
ziehungen hergestellt, so auch 1810 zu der neugegründeten Universität. Seitdem waren
die bedeutendsten Männer der Wissenschaft in Deutschland dirigierende Aerzte der Charite,
deren Verwaltung 1819 vom Armen-Direktorium auf die königliche Regierung überging.
Die neue Zeit hat natürlich noch ganz andere, gewaltige Erweiterungen nötig gemacht.
Neben jenem Bauwerk aus dem Ende des 18. Jahrhunderts, der „alten Charite", die
als Vignette unserer Bildseite erscheint, sehen wir auf diesem Blatte einige der zahl-'
reichen Einzelgebäude und Pavillons, in denen jetzt die verschiedenen Abteilungen und
Kliniken untergebracht sind, um dem dreifachen Zweck des „Teilens, Lehrens, Forschens"
besser gerecht zu werden.
63
HOf^aS schon die Neubauten der Charite erkennen ließen, zeigt das neue Rudolf
Virchow - Krankenhaus Ludwig Äoffmanns noch weit deutlicher: das moderne
Prinzip der Zerlegung eines großen Äospitalbetriebes in einzelne Pavillons. Äier ilt
das ganze weitausgedehnte Gelände mit seinen mannigfachen Bauwerken durch eine Haupt-
achse, welche die Männer- und Frauenabteilung, und durch eine Ouerachse, welche die
Abteilungen der inneren und der äußeren Krankheiten von einander scheidet, durchschnitten.
Diese Achsen sind, wie aus unserer Abbildung zu ersehen, als breite, freundliche Alleen
gehalten, an denen sich die Pavillons kleinen Landhäusern gleich entlang ziehen. Geradeaus
fällt der Blick auf das Verwaltungsgebäude, das sich am Eingang dieser riesigen Kranken-
und Medizinerstadt erhebt. Die Meisterschaft des Stadtbaurats im Ausgleich künst-
lerifcher und sachlicher Forderungen konnte sich bei keiner anderen Aufgabe fo glänzend
bewähren wie bei der eines großen Krankenhauses, wo wahrlich zunächst andere Ge-
danken als ästhetische im Vordergrunde zu stehen haben, wo aber die Rücksicht auf
das Behagen und die Stimmung von Patienten und Aerzten doch auch darauf hin-
leitet. Bauten, Räume und Umgebung so schmuck und freudig wie möglich zu gestalten.
64
as alte Äaus der Tier arzneischule im Garten des großen Grundstücks Luisen-
straße 50, das heute von den modernen Frontbauten verdeckt wird, ist ein inter-
essantes Bauwerk von C. G. Langhans, dem Meister des Brandenburger Tores, der es
1789—90 auf dem Terrain des ehemaligen Gräflich Reuß'schen Gartens errichtete. Der
Bau wird bestimmt durch die vornehme und klare Einfachheit der Berliner Architekten-
schule vom Ende des 18. Jahrhunderts. Von außen sieht man ein einstöckiges Gebäude in
Form eines griechischen Kreuzes mit einer Flachkuppel. Die Roßschädel an den Schluß-
steinen der Bogenfenster deuten auf den Charakter der Wissenschaft hin, die hier gelehrt
werden sollte. In der Mitte unter der Kuppel befindet sich der schöne runde Hörsaal,
den das zweite Bild unseres Blattes zeigt, ein Raum von glücklich abgewogenen Ver-
Hältnissen, dessen Sitzreihen amphitheatralisch um den Demonstriertisch ansteigen. Allerlei
Malereien an der Kuppel und zwischen den Fenstern des Tambours gaben einen diskreten
Schmuck ab; zum Teil sind es Arbeiten von B. Rode, einfache Szenen mit Äirten,
Landleuten, Äunden, Äerden und Haustieren. Die neueren Bauteile der Tierärztlichen
Hochschule, hinter denen sich Langhans' reizvolles Theatrum anatomicum verbirgt, stammen
aus dem Jahre 1840.
65
icht weit von der alten Tierarzeneischule, in der Invalidenstraße nördlich vom 'Neuen
Tore, wurde fast hundert Jahre später, um 1850, aus dem Grundstück der ehe-
maligen königl. Eisengießerei abermals ein Zentrum wissenschaftlicher Anstalten geschaffen.
Es entstand ein neues Beispiel jener typischen Anlage zweier Seitengebäude und eine?
zurückliegenden Mittelbaus, die man in Berlin seit dem Beginn des 18. Jahrhunderts gut
kannte, und die nun zu gleicher Zeit bei der technischen Hochschule in Charlottenburg wieder
auftauchte. Die Flügel wurden zuerst vollendet: westlich die Bergakademie (1878), ostl^ct)
die Landwirtschaftliche Äochschule (1880). Sehr schön sügte sich inhaltlich wie architek-
tonisch das Museum für Naturkunde zwischen sie ein, das in den Iahren 1883
nach den Plänen des Baurats A. Tiede errichtet wurde. Das Gebäude, zu dessen Portal
der Weg durch gärtnerische Anlagen und über eine breite Freitreppe führt, enthält drei
selbständige, mit Museen verbundene Institute: das geologisch-paläontologische, das mine-
ralogisch-petrographische und das zoologische Institut. Die Bestände sind systematisch geteilt
in eine dem Publikum zugängliche Schausammlung und eine Studiensammlung („5>aupt-
sammlung"), die lediglich den Zwecken wissenschaftlicher Forschung und Belehrung dient.
66
ies Doppelbild veranschaulicht denWandel, den der in unmittelbarer Nähe des Schlosses
gelegene Platz an der Spree, auf dem Gelände des einstigen Friedrichswerder, durch-
gemacht hat. Vor hundert Iahren sah es an dieser Stelle noch so aus, wie die obere der Ab-
bildungen zeigt: es war dort der alte „Werdersche Packhof", der diesen Namen zwar längst
nicht mehr zu Recht trug — denn schon 1742 war der Packhof nach dem Lustgarten ver-
legt worden, von wo er erst vor dreißig Iahren nach Moabit kam —, der aber doch die alte
Bezeichnung beibehalten hatte. Erst nach 1830 wurden diese malerischen alten Baulich-
keiten abgerissen, und auf ihrem Platze ward von Schinkel die Bauakademie errichtet
(1832-35), ein Werk, das durch die kühne Wiederaufnahme des einheimischen märkischen
Backsteinbaus, durch seine Verbindung mit feinem Terrakottaschmuck und durch die Ver-
schmelzung mittelalterlicher und klassizistischer Formen in der Baukunst Berlins wie in der
Lebensarbeit des großen Architekten einen bedeutungsvollen Platz einnimmt. Schinkel
selbst hatte übrigens hier bis zu seinem Tode (1841) seinen Wohnsitz aufgeschlagen. Seit
der Begründung der technischen Hochschule gewährt die alte Bauakademie verschiedenen
wissenschaftlichen Anstalten Unterkunft, so dem Geographischen Institut der Universität,
dem Meteorologischen Institut und der königlichen Meßbildanstalt mit ihrem kostbaren
Bilderarchiv, deren mustergültige Aufnahmen auch unseren Abbildungen verschiedentlich
zugute gekommen sind.
67
L
67
uch die Umgebung des ehemaligen Werderschen Packhofes hat sich sehr verändert,
vor allem durch die langgestreckte Flucht des Geschäftshauses der Darmstädter
Bank am Schinkelplatz. Der alte Bau, auf unserer Abbildung rechts hinter den Zweigen
der Bäume, hat durchaus den Charakter der Renaissancebauten von Ende und Böckmann,
die auch hier ihres Amtes walteten. Ganz anders ist der große Anbau gehalten, der erst
den letzten Iahren seine Entstehung verdankt. Der Architekt, der diesen schönen Bau ent-
worfen, ist Ä. Dernburg, der Bruder des Staatssekretärs und früheren Direktors der
Darmstädter Bank, Bernhard Dernburg. Er hat aus den allgemeinen Renaissance-
Formen, die von der älteren Berliner Bauschule gern angewandt wurden, den Anschluß
an die bodenständige historische Architektur gewonnen, die Messel und Äosfmann seit Iahren
in Berlin predigten, und mit großem Geschick trotzdem eine innere Beziehung des neueren
Teils zu dem alten hergestellt. Das Motiv des Attikageschosses, das Ende und Böckmann
angewandt hatten, war hier noch besser am Platze, weil es geschichtlich begründet ist. Andere
Teile, wie das Dach, zeigen, daß man resolut auf das Nebeneinander der im ganzen Wesen
verschiedenen Stilarten hinarbeitete. 51nd gerade dies sicherte der Anlage ihre Wirkung-
68
as Mehlhaus, das hier nach einer Abbildung von 1826 erscheint, war bis ums
Jahr 1870 ein beliebtes Berliner Festlokal, wo an Sonnabenden und Sonntagen
öffentliche Tanzvergnügungen stattfanden, und wo die meisten Vereine ihre Winterfeste
abhielten. Es war im Jahr 1824 erbaut worden, als das ältere „Mehlwagehaus" der
Bäckerinnung von 1766, das ungefähr an der Stelle der heutigen Nationalgalerie stand,
wegen der Erweiterung der dort befindlichen Porzellanmanufaktur beseitigt wurde. Auch
das „neue" Mehlhaus, wie man es lange Zeit nannte, befand sich auf dem Gelände
der jetzigen „Museumsinsel", dicht an der späteren Cantianbrücke, die zu dem einstigen
Kunstausstellungsgebäude auf dem „Cantianplatz" führte und am Terrain des späteren
Kaiser Friedrich-Museums. Dort war noch die bescheidene altberliner Gemütlich-
keit zuhause, die mehr auf gute Gesellschaft als auf üppige Verpflegung sah und
mit der Speisekarte des Mehlhauses: Limonade, Bier, Grog, Pfannkuchen, durchaus
vorlieb nahm. Die Sage ging, der Fußboden des großen Festsaals „ruhe auf Federn",
nur darum könne man dort so leicht und schmiegsam tanzen. Im Jahre 1890 verkaufte
die Bäckerinnung ihr Mehlhaus, das als winterliches „Berliner Äeiratsbureau" berühmt
geworden war (ähnlich wie für den Sommer der gleichfalls verschwundene „Moritzhof"
zwischen Landwehrkanal und Tiergarten), und 1897 endlich ward das Gebäude abgerissen,
um den neuen Museumsbauten Platz zu machen. Vom Kupfergraben nach der „Insel" —
damals war es wirklich eine Insel, da auf dem Terrain des späteren alten Museums
ein Kanal floß, der die beiden Spreearme verband — ward zu Anfang des Jahrhunderts
die hübsche eiserne Brücke gezogen, die wir auf dem zweiten Bilde unserer Seite sehen.
Sie zeigte ganz die feine und graziöse Linienführung des besten Berliner Empiregeschmacks.
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Das Mehlhaus und die eiserne Brücke vor hundert Iahren
i
eute sieht es in der Gegend des einstigen Mehlhauses ganz anders aus und in wenigen
Iahren wird dieser Bezirk abermals eine bedeutende Umwandlung erlebt habe«,
wenn erst Messels hinterlassene großartige Projekte sür die Staatsmuseen, deren Aus-
führung nun in den bänden Ludwig Äoffmanns ruht, Wahrheit geworden sind. Den
Anfang mit der Neugestaltung des Berliner Museumswesens, deren treibende Kraft
von vornherein Wilhelm Bode war, machte der Bau des Kaiser Friedrich-Museums,
das nach den Plänen und unter der Leitung E. E. von Ihnes errichtet und im Äerbst
1904 feierlich geweiht wurde. Der Architekt hatte hier vor allem die außerordentliche
Schwierigkeit des sehr ungünstigen Terrains zu überwinden, das auf zwei Seiten vom
Wasser, auf der dritten von den Viadukten der Stadtbahn begrenzt ist. Auf diesem
engen Raum sollte für eine der wichtigsten Abteilungen unseres staatlichen Kunstbesitzes:
für die Gemäldegalerie und die Skulpturen der christlichen Zeit, eine würdige Anterkunft
geschaffen werden. Die Renaissancezeit, in der der Schwerpunkt dieser Sammlungen
ruht, gab auch dem Äause selbst das Gepräge. Die Messel-Äoffmannschen Neubauten
werden nun zwischen diesem Renaissancebau und den älteren Bauten Schinkels, Stüters
und Stracks (dem Alten, dem Neuen Museum und der Nationalgalerie) eine äußere
und innere, architektonische Verbindung herstellen, so daß nach ihrer Vollendung tatsächlich
die ganze Spitze der Spreeinsel mit monumentalen Museumsgebäuden besetzt sein und
eine einheitlich gefügte, organisch zusammenhängende Gruppe von Bauwerken dar-
bieten wird.
70
chon der Große Kurfürst hatte, gegen 1660, beim Dorf Tegel nördlich von Berlin
ein Jagdschloß bauen lassen, das in der Folgezeit vielfach den Herrn wechselte
und 1765 von dem Major Alexander Georg von Humboldt, dem Vater des berühmten
Brüderpaares, in Erbpacht genommen wurde. Nach seinem Tode, 1797, kam „Schlößchen
Tegel", wie es allgemein genannt wurde, in den Besitz Wilhelm von Humboldts, der
später durch Schinkel den entscheidenden Ambau vornehmen ließ. Der Großmeister des
Berliner Klassizismus gab dem alten Bauwerk Symmetrie und Geschlossenheit. Dem
einen Turm aus der Zeit des Großen Kurfürsten, der noch stand, und der ganz den
Charakter der allgemein üblichen Türme altmärkischer Landsitze trug, setzte er drei ähnliche
zur Seite und verlieh der Front eine strenge und klare Durchbildung, deren ornamentale
Verzierungen der Hausherr selbst genau angab. Dieser stolzen Fassade entsprach im
Innern eine mit Kunstwerken geschmückte Halle, während das Schloß nach dem Hofe
zu und in den Wirtschaftsräumen noch seine älteren Formen beibehielt. Ansere Abbildung,
die einen Stahlstich von Ioh. Poppel nach einer Zeichnung von L. Rohbock wiedergibt,
vermittelt uns eine Vorstellung von der idyllischen landschaftlichen Ruhe und Schönheit^
die das Schlößchen umgab, und die in Wilhelm von Humboldts Schriften, namentlich
in seinem „Briefwechsel mit einer Freundin", so leuchtenden Abglanz gefunden hat.
71
eute ist Tegel nicht mehr ein Ort ländlicher Ruhe und Beschaulichkeit, sondern
eine gewaltige Fabrikvorstadt Berlins geworden. Denn die altberühmte Maschinen-
fabrik und Eisengießerei von A. Borsig, die seit Jahrzehnten nicht nur eins der groß-
artigsten, sondern zugleich eins der volkstümlichsten industriellen Unternehmen der Äaupt-
stadt ist, hat seit zwölf Iahren ihre riesenhaften Werkstätten nach Tegel verlegt. Die Firma
wurde im Jahre 1837 von August Borsig (1804—54) gegründet, und unter diesem
ersten Chef wie unter seinem Sohne Albert Borsig (1829—70) entwickelte sie sich zu
der größten Lokomotivfabrik in Europa. Ein halbes Jahrhundert lang, von 1837—88,
befand sich der Betrieb in der Chausseestraße, wo 1841 die erste Lokomotive erbaut
wurde — unsere Lithographie gibt ein anschauliches Bild dieser bedeutenden Anlage
im Norden Berlins. Von Albert Borsigs Söhnen, Arnold, Ernst und Konrad Borsig,
wurde die erheblich vergrößerte neue Fabrikanlage in Tegel erbaut und 1898 in Betrieb
gesetzt. Sie ist für eine jährliche Produktion von 500 Lokomotiven eingerichtet und be-
treibt außerdem in gewaltigem Amfang den Bau von Dampfmaschinen, Kesseln, Pumpen,
Kompressoren, Eismaschinen, hydraulischen Anlagen usw. Im Jahre 1878 war die
Zahl der Lokomotiven bereits auf 4200, 1909 auf 7000 gestiegen. Zugleich mit dem
Berliner Werk wuchsen die der Firma gehörenden Hütten- und Bergwerke zu Borsig-
werk in Oberschlesien, die mit der Fabrik in Tegel zusammen etwa 14 000 Beamte und
Arbeiter beschäftigen.
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Z. Spiro, Verlag, Berlin W 57, Pallasftraße 12
Bilder aus der Brandenburg-Preußischen Geschichte
nach Radierungen von Daniel Chodowiecki
Album mit 84 Lichtdruckbildern und erläuterndem Text von Professor Dr. Georg Vo ß.
Vierte Auflage. Preis Mark 4.—
Heber dieses Werk äußern sich u. a.:
Deutscher Reichsanzeiger und Kgl.
Preutz. Staatsanzeiger. Es ist ein mit
großem Dank zu begrüßendes Unternehmen,
dessen Ausführung Professor Voß und der
Veriagsbuchhändler Spiro mit dieser schönen
Sammlung wertvoller Chodowieckischer Bilder
in die Äand genommen haben. Der Heraus-
geber brachte dafür seine genaue Kenntnis der
Kunstentwicklung während des 17. und 18. Jahr-
hunderts mit. DerVerleger aber ist seit lange in
einer Spezialrichtung tätig, in der er den Beifall
Aller findet, die Alt-Berlin lieben und gern
sich von seinem Werdegang erzählen lassen. In
diese Richtung paßt auch die vorliegende neue
Gabe ganz prächtig hinein ... hoffentlich läßt
sich das große Publikum die Gelegenheit nicht
entgehen, ein Werk von dieser Anschaulich-
keit und historischen Treue, zugleich ein so
unterhaltendes und belehrendes Buch, sich zu
dauerndein Besitz zu erwerben.
Wirkl. Geh. Ober - Reg. - Rat Dr. N. Koser,
Generaldirektor der Staatsarchive.
„Es ist mir eine große Freude, lauter alte
gute Bekannte hier in enggeschlossenem Kreise
beieinander zu sehen. Der Gedanke, die Alma-
nach - Literatur des 18. Jahrhunderts auszu-
beuten, um ein authentisches Miniaturbilderbuch
zu unserer vaterländischen Geschichte zusammen-
zustellen, war sehr glücklich, und die Ausführung
muß als vortrefflich bezeichnet werden.
Prof. Dr. Gustav von Schmoller.
Berlin, 16.7.1909.
„Ihre Bilder aus der brandenburg-preuß.
Geschichte,Radierungen von Daniel Chodowie<R,
habe ich mit großem Interesse durchgesehen. Wo
man abstrakter Belehrung Anschauungen hinzu-
fügt, ist das ein selten förderliches Mittel ein-
dringlicher Wirksamkeit. And was gäbe das
Preußen des 18. Jahrhunderts (neben unserem
großen Menzel) besser wieder als der seinsinnig
beobachtende Chodowiecki."
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2 g. Juni 1965 .... v
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