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berichten von der epidemischen Verbreitung homosexueller Prak
tiken in Weibergefängnissen. Ueberall, wo Homosexualität
plötzlich als eine Massenerscheinung auftritt, handelt
es sich nicht um echten, originären Uranismus, sondern um
Pseudo-Homosexualität. Das für diese sehr zugängliche lüsterne
Milieu der Pensionswelt hat Hans v. Kahlenberg in „Nix-
chen“ (Wien 1904, S. 41) anschaulich geschildert.
Die jugendliche Bisexualität findet sich in leichten Anklängen
fast in jedem Menschen, ist aber ein typisches Pubertätsphänomen
und verschwindet mit dieser, um der voll ausgebildeten Hetero
sexualität Platz zu machen. Uebrigens kommt bei Homosexuellen,
wo die gleichgeschlechtliche Empfindung erst nach der Pubertät
in bestimmter Weise sich geltend macht, auch eine ganz analoge
Neigung zum anderen Geschlecht vor und während der Pubertät
vor. So erzählte mir ein 23 jähriger typischer Homosexueller,
der jetzt horror feminae hat, daß er mit 16 oder 17 Jahren
für Mädchen stark geschwärmt habe und ihnen nachgelaufen sei,
übrigens ohne geschlechtliche Begierden. Diese vorübergehende
unklare Schwärmerei Homosexueller für das andere Geschlecht
ist eine Art von „Pseudo-Heterosexualität“.
Bisweilen dauert die Bisexualität über die Pubertätszeit
hinaus oder persistiert in seltenen Fällen durch das ganze Leben,
nach Hirschfeld besonders bei „genialisch und priesterlich-
pädagogisch veranlagten Männern“. Meist hat jedoch auch dann
eine Triebrichtung, die heterosexuelle oder die homosexuelle,
das Uebergewicht. Man nennt diese Individuen „psychische
Hermaphroditen“ (K r a f f t - E b i n g). Diese bisexuellen Varie
täten können sich auf sehr verschiedene Weise äußern, meist
ist diese Gynandrie oder Androgynie rein seelisch, kommt nur
durch Verknüpfung mit bestimmten Neigungen, besonders
fetischistischen, zum Ausdruck. Die beiden folgenden, sehr
merkwürdigen Fälle werfen auf diese eigentümliche Form der
Bisexualität ein helles Licht. Man könnte für die in diesen Fällen
geschilderte ziemlich spezifische Art der Bisexualität den vor
geschlagenen Namen „Junoren“ akzeptieren:
1. Fall eines psychischen Hermaphroditen:
N. N., ein amerikanischer Journalist, 33 Jahre alt, schreibt: Von
frühester Jugend her hatte ich einen Drang, in weiblicher Kleidung
zu erscheinen, und wenn immer sich eine Gelegenheit bot, schaffte ich
mir elegante Wäschestücke, seidene Unterröcke und was immer in der