Die Interpretation ist sohin eine einmalige Tätigkeit, die
damit abschließt, daß das Recht im Zusammenhänge erfaßt wurde.
Wer das Recht einmal kennt, der braucht nicht mehr zu inter
pretieren. Freilich gelangt diese Tätigkeit niemals zu einem
völligen Abschlüsse, weil einerseits der Rechtsstoff dazu zu groß
ist und weil andererseits dieser Rechtsstoff unausgesetzt wechselt.
Wenn aber auch das Ideal nicht erreichbar ist, so hindert das
nicht, daß eine größtmögliche Annäherung an dasselbe ver
sucht werde.
Die Erfassung des Rechtsstoffes (geltende Gesetze und Ge
wohnheiten) in seinem Zusammenhänge ist unmöglich ohne gleich
zeitige restringierende und extendierende Interpretation der
Gesetzesworte und Gesetzessätze einerseits, der konkreten Rechts
handlungen anderseits. Darin liegt ja eben das Wesen und
der Wert der Erfassung einer Sache in ihrem Zusammenhänge,
daß sie andere Erkenntnisse vermittelt als die summierte Er
fassung aller Teile. Der Ausschluß induktiver Bearbeitung der
Gesetze wäre gleichbedeutend mit der Leugnung des systematischen
Zusammenhanges der Rechtssätze, also auch gleichbedeutend mit
der Behauptung, daß das Recht ein ganz zufälliges Konglomerat
von Vorschriften sei; der Ausschluß induktiver Bearbeitung der
Rechtshandlungen, welche das Gewohnheitsrecht ausmachen, wäre
aber gleichbedeutend mit der Leugnung der Existenz abstrakter
Rechtssätze, also mit der Leugnung von Gewohnheitsrecht über
haupt. Es ist ja wohl richtig, daß die Induktion außer dem Falle
der vollständigen Induktion Erkenntnisse von bloßem Wahr
scheinlichkeitswert liefert und daß es bei der Interpretation vor
wiegend zu unvollständigen Induktionen kommt. Es ist weiters
auch richtig, daß jeweils mehrere verschiedene Induktionen bei
verschiedenen Menschen platzgreifen können. Man darf aber
nicht vergessen, daß der Wahrscheinlichkeitswert von unvoll
ständigen Induktionen bis zur Aufstellung von Naturgesetzen
führen kann, und daß bei der Verwendung eines so großen In
duktionsmaterials, wie das Recht es bietet (allerdings auch nur
bei Berücksichtigung des ganzen vorhandenen Rechtsstoffes in
seinem Zusammenhänge), die Subjektivität des Interpreten wohl
ziemlich ausgeschlossen wird. Der Ausschluß der Subjektivität