D er Ausdruck mythisch ist zu einem passenden Hilfsmittel geworden, die Welt des Wunderbaren mit ihren Geistern, Göttern und Zauberdingen zu kennzeichnen, die sich in den Er zählungen und den religiösen Handlungen und Vorstellungen der Naturvölker offenbaren. So nennt z. B. Ernst Cassirer den zweiten Teil seiner „Philosophie der symbolischen Formen“: „das mythische Denken.“ In der Tat ist die Bezeichnung ganz ver ständlich, insofern dadurch zum Ausdruck kommen könnte, daß es daneben ein nicht mythisches, also von allem Wunderbaren freies, in gewöhnlichem Sinne vernunftgemäßes Denken der Naturvölker gibt. Merkwürdigerweise wird diese anscheinend selbstverständliche Annahme aber dadurch bestritten, daß manch mal grade von Ethnologen von dem „Denken der Naturvölker“ schlechtweg im Sinne des mythischen Denkens geredet wird, und bekanntlich hat Leyi-Brühl sich nicht gescheut, dieses „Denken“ gradezu als prälogisch zu bezeichnen. Solche Ungereimtheiten erklären sich aus zwei Gesichtspunk ten. Der Eeligionsforscher auf ethnologischem Gebiete hat selten die Religion eines einzigen Volkes im Auge; er will gar nicht den Umfang und die Grenzen seiner religiösen Vorstellungen und ihren Zusammenhang als Ganzes erfassen; er sieht nicht, daß keineswegs alles und jedes tägliche Tun unter religiöse Rück sichten gestellt wird; er beobachtet auch nicht, daß der Primi tive auch in allen Lebenslagen, wo die Religion angewandt wird, in erster Linie sich immer auf seine Einsicht und Erfahrung ver läßt und sich z. B. auf bloße religiöse Verheißungen hin nicht unvernünftig in Gefahr begibt — sondern er wendet meist die l*