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SY MBOLIK
UND
MYT OLOGIE
DER ALTEN VOLKER
BESONDERS DER GRIECHEN
Dr. FRIEDRICH CREUZER
PROFESSOR DER ALTEN LITERATUR ZU HEIDELBERG.
DRITTER THEIL
ZWEITE VOLLIG UMGEABRBDBEITETE AUSGABE.
LEIPZIG und DARMSTADT
BEI CARL WILHELM LESKE.
t 8 2 1.
VON
f. Fx Biblioth
Universitatis"
Frider. Gail)
* Berolin. /
{ In.
INHALT DES DRITTEN THEILS.
Drittes Bu ch.
Die Griechische Lehre von den Heroen und
Dimonen; die Bacchischen Religionen
und Mysterien; Pan und die Musen; Amor
und Psysche und die Weihén von Thes-
pii; Ceres, Proserpimä, die Thesmopho-
rien und die Eleusinien; ein Blick auf
das Verhältnifs des Heidenthums zu der
christlichen Religion.
Seats
Erstes Capitel. Von den Heroen und Di. -
monen.
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Note
Zweites Capitel. Von der Bacchischen Reli-
gion.
§. 1. Einleitung ...... 2222222222222. 83
$. 2. Dionysus von Theben .................. $8
$. 8. Fortsetzung L2l22222222222222222222-222. B9
$. 4. Fortsetzung 222-2. cece 106
$. 5. Der Indische Dionysus -............-...-. 117
§. 6. Der Aegyptische Dionysus | -............. 127
$. 7. Von der Fortpflanzung Orphischer Lehre ---- 139
$. 8. Von den Orphischen Schulen | ......-..... 148
$. 9. Bildliche Darstellungen aus diesem Kreise .. 172
$. 10. Von dem Bacchischen Gefolge ----. ----- 155
Bacchantinnen p. 186. Leni p. 189. Na-
jaden und Nymphen p. 190. Thyaden 193.
Mimallonen p. 193. Tityri p. 196.
§. 11. Fortsetzung. Silene, Satyrn und.Faune .... 200
$. 12. Fortsetzung. Silenus Acratus oder Chalis .. 216
$. 13. Pan, die Pane und Panisken .............. 231
6. 14. Fortsetzung ---------.---...l...-2..--... 240
$. 15. Fortsetzung .--.-..-------.-----.--2-2.--... 251
$. 16. Von den Musen ....-.....-.-..-.......-. 266
Drittes Capitel. Orphische Kosmogonien und
Weltalter.
6,1. ..-- 2 22.222222... 201
$. 2. Die verschiedenen Orphischen Kosmogonien -- 298
§. 3. Bildliche Vorstellungen der Orphischen Ur-
wesen ...-.----...22222.2.2----..- 309
$& 4. Die Orphischen Weltalter 2...------.2-2--- 315
Viertes Capitel. Bacchische Mysterien.
$. 1. Die Athenischen Bacchusmysterien 222... ll . 9
$. 2. Vom Jacchus , Zagreus und von dem Tode ‘des
Gottes, besonders nach Cretischem My-
thus na a 335
$. 3. Fortsetzung ...........................- 345
$. 4. Der Bacchusdienst der Phrygier und ihrer Nach-.
barn, Sabos und die Sabazien , Bassareus,
Briseus und ihre Feste .............. 849
$. 5, Fortsetzung 2... 2. -2.ll2l2l2l2l2..2......- 858
$. 6. Koros und Kora, Liber und Libera in Italien
und der Grofsgriechische Dionysus .... 366
Fünftes Capitel. Von der Lehre der Mysterien,
besonders der Bacchischen.
$. 1. Die Lehre von Gott und von der Welt. Dio-
nysus der Schópfer und Herr der Na-
tur _._._.. -. ----.- 3582
$. 2. Pneumatologie und Anthropologie, oder von
deu Genien im Geheimdienste , besonders
von den Bacchischen ....-........... 407
$. 3. Von derSeelen Schicksal und Wanderüng .... 426
$. 4. Fortsetzung ...............-l.l2.......- 432
$. 4. Fortsetzung LL. EM
$. 6. Die Symbole des Bacchischen Lehrkreises , be-
sonders auf Italisch - Griechischen Vasen 446
$. T. Bildliche Darstellungen aus dem Kreise der Sec-
lenwanderung ........-....2.:....... 499
$. 8. Das Fest der Apaturien _............-.--- 505
$. 9. Fortsetzung meee ce cece ee oem ee 511
Seite
31:
VI
Seit
Sechstes Capitel. Amor und Psyche und die —
Weihen von Thespiä.
$.1. Einleitung nnd nn 836
$. 2. Narcissus 22 -.-------.-.2.-.--....-.-.-. 948
$6.3, Eros und Anteros .2..----..-..22.--..-... 558
$. 4. Bildüche Darstellungen aus dem Erotischen
Kreise ....-.-2---.222.l22222.2-.-22.--..-. 562
§. 5. Amor und Psyche | ....-.-...----...------ 566
6.6. Fortsetzung ...-..--------22--.-.-.--.--2-.-. SIA
SYMBOLIK vx» MYTHOLOGIE.
DRITTER THEITLI.
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DriTTrEs Buck
Die Griechische Lehre von den Heroen und
Dämonen; die Bacchischen Religionen und
Mysterien; Pan und die Musen; Amor und
Psyche; die Weihen zu Thespiae; Ceres,
Proserpina, die Thesmophorien und die
Eleusinien; ein Blick auf das Verhältnifs
des Heidenthums zur christlichen Religion.
ERSTES CAPITEL
Von den Heroen und Dämonen.
$. 1.
Zwar mufsten wir dieser Lehre bisher schon im Eine
zelnen gedenhen ; jedoch ilire allgemeine Uebersicht er-
hält hier , bei dem Uebergange zu der gebildeten Mystik
der Griechen, unsers Bediinkens, ihre passendste Ste:le,
weil Heroen und Dämenen nirgends so entschieden her-
vortreten, alsim Geheinidienst und in den damit befreun-
deten Systemen alter Philosophen. Nirgends móchte auch
die nach Griechenland verpfílanzte auslándische Priester-
lehre von der öffentlichen Volkspoesie der Griechen
sich so deutlich unterscheiden und so sichtbar trennen,
als in diesem Capitel von den Mittelwesen. Homerus
verzichtete auf den Vollgehalt dieses Dogma, und sang
im leichteren Sinne eines Glaubens, der die Götter selbst
sich nahe und menschlich hülfreich wähnte; und diesem
Homerischen Gesetz huldigten auch hierin fast alle nach-
folgenden Poeten. So konnten die Griechischen Volkssagen
yon dämonischen Wesen keine sinnliche Haltung und Ge-
stalt gewinnen. Wir wollen davon ausgehen, und, nach
einem kurzen Ueberblick der Volksmeinungen und des
öffentlichen Dienstes, die systematischen Lehren der
von aufsen her nach Griechenland verpflanzten Dámono-
logie andeuten.
$. 2.
Dimon (Suiper). Wie Vieles wufsten nicht Phi-
losophen und Gelehrte aller Art über dieses Wort zu
sagen, und wie verschieden waren nicht ihre Erklärun-
gen, je nachdem sie das Dogma von den Mittelwesen so
oder anders ansahen. Mit Uebergehung dieser Etymo-
logien bemerke ich nur, dafs entweder Jain, ich ler-
ne, als Grundwort angenommen, und danunor, ein-
sichtsvoll, als erste Bedeutung gesetzt wird (Inter-
prett. Graece. ad lliad. L 222.), cder dafs man in dem
Worte 9«io und seiner Wurzel ddo den Begriff des
Eintheilens sucht, und mithin unter daipor, es sey
Gott oder Mittelwesen , sich ursprünglich einen Einthei-
ler, Austheiler und Ordner denkt (Lennep. Etymolog. 1.
Gr. p. 167.); eine Erklärung, die, wie wir unten sehen
werden, bei berühmten Griechischen Schriftstellern
Beifall gefunden hat. Nach Proclus (Schol. in Plato-
nis Cratyl. pag. 5» ed. Heindorf.) hatte man in der alten
Sprache Séuov gesagt. Auch vom Worte Heros ("Hooc)
gaben Griechische Grammatiker die verschiedensten
Herleitungen. Es leidet wohl keinen Zweifel, dafs Zoo
mit Eppos oder £gog (wie Zeus genannt wurde, s. Hesych.
Tom. Y. p. 1445 ed. Albert. und dasclbst die Ausleger )
und mit ëpæ oder 70x, wie Juno biefs, ein und dasselbe
Wort ist, wie auch mit dem Lateinischen herus und
hera und mit dem Deutschen Herr (s. HI. Th. p. 547.).
In welcher Dedeutung fafst nun Homerus den Be-
griff der Dämonen und Heroen? In einer solchen, die
wenig oder keine Spuren 1) von jenem genaueren Sprach-
gebrauche zeigt, der durch die Geheimlehre und philo-
sophischen Schulen eingeführt ward. Darauf machen
schon die Alten ausdrücklich aufmerksam. Hierüber er-
hlárt sich Plutarchus in der Schrift über die Abnahme
der Orakel (p. 415 Francof. p.969 VVytt.) auf eine sehr be-
lehrende Weise. Wir werden auf diese Stelle weiterhin
zuriickkommen, Auch Eustathius und die anderen Grie-
chischen Ausleger nehmen von den Worten des Dichtersa
(lliad. I. 222.) : « Atheniia ging
;in den Pallast des donnerndeu Zeus, zu den andern
Göttern“;
wo Jaipovag steht, Veranlassung, den weiteren Sinn
zu bemerken, worin Homerus dicses Wort gebrauchte.
So waren auch den übrigen Dichtern,, vom Aeschylus
an bis zu den Alexandrinischen und noch weiter herab,
jene Quíportg in der Hegel Götter 2), so wie das Di-
monische (Gaipóviov), das GOttliche, ohne alle Spur je-
ner beziehungsreichen Bedeutsamkeit, die das Dogma
der Priester und Philosophen und, im Einzelnen, zum
1) Doch sind Stellen, wie Odyss. II. 131, sehr sprechend ;
wo Vofs meines Bedünkeus auch Æ2)« 82 dxjuw richtig
übersetzt hat: ,,und andres der Dámon**. Ueber-
haupt sind in der Odyssee mit diesem Worte fast immer
Nebenbegriffe verbunden , auch wenn Gótter damit be«
zeichnet werden,
2) S. Spanheim zu Aristophan, Pint. vs, 81.
©
Theil selbst das Volk kennt. Um in einer an sich nicht
bestreitbaren Sache nicht Citate zu hänfen , verweise ich
den Leser auf die Beweisstellen, die Staveren zum Ful-
geutius (Mythologicon pag. 7:2.) aus den Griechischen
Dichtzrn gegeben hat. Diesem Sprachgebrauch schliefsen
auch gewöhnlich die Attischen Prosaiker und andere
Schrittstetler der Griechen sich an. die über allgemeinere
Gegenstände und nicht im Sinne philosophischer Schulen
schreiben. Die Schriften des Xenophon und ähnliche
können hier als Beispiel dienen, wiewohl dabei nicht
anfsevr Acht zu lassen ist, dafs, wenn auch 9atuov und
Üewuióviog sehr háufig nichts anders als den Begriff von
Gott und göttlich bezeichnet, unzähligemal doch
auch der Nebenbegriff von Fortuna, von Glück und Un-
glück, daran geknüpft ist (C. Barth Adversarr. XXXV.
17.) Ohne alles weitere Räsonnement war dem Griechen
Saiuor und Jauôrror die hôhere , dunkele Macht, die,
ohne sein Zuthun, seine Schicksale lenkte, jedes gött-
liche Wesen überhaupt, dessen Kraft das Maafs seiner
Hräfte überstieg.
Nicht minder allgemein ist der Gebrauch, den Ho-
merus von dem Worte Heros macht. Er entspricht
ganz der allgemeinen Urbedeutung Herr. Ich verweile
dabei um sv weniger, je bekannter die Bemerkungen
sind, die neuere Ausleger des Dichters und die Verfasser
der Wörterbücher darüber gemacht haben. Schon die
Griechischen Grammatiker gedenken der Freigebigkeit,
womit Homerus den Namen Heroen austheilt. Die Be-
obachtung, dafs bei ihm so Viele, ganz ohnc Hinsicht
auf Kriegsthaten, bis anf den Mundschenken, Heroen
heifsen, leitete ‘sie zum Theil zu dem Ausspruch : alle
Männer der Vorzeit würden Heroen genannt (Hesych. I.
p.659. v. 'Hocov. Apollon. Lex. Homer. s. voc.). Es
waren eben die Herren, d. h. jene Kämpfer und ihre
Geführten, die in der Griechischen Nationalsage , durch
die Zeitferne mehr und mehr verherrlicht, als eine ge-
hobene Menschenclasse gepriesen wurden, Hiermit
stimmt auch die Angabe des Aristoteles (Problem. XIX,
49.) zusammen, wenn sie auch in Betreff der Dämonen
nicht ganz Homerisch ist. Nach ihm theilten sich’die
Unsterblichen in Gótter und Dámonen, die Sterblichen
in Heroen und gewóhnliche Menschen. Hiernach ist also
ein Jeder, den seine Trefflichkeit über das Maafs gemei-
ner Menschheit hinaushebt, ein Heros, d, h. ein Edler,
ein Adelicher in diesem Sinne. Diejenigen besonders,
die aus den Schranhen der Gegenwart entrücht in vor-
züglicher Erinnerung fortlebten, erhielten diesen Ehren-
namen. Nach der Natur aller Volkssagen wichst die
Grófse der Stammhelden mit zunehmender Zeitferne.
Was in den dämmernden Hintergrund der Vorwelt zu-
rücktritt, entschwindet den Gränzen der Menschenwelt,
und geht in die göttlichen Kreise über. Schwach schim-
mert auch dieses in den Homerischen Gedichten durch,
So wird unter denen, die vor Troja fielen, ein Geschlecht
von Halbgüttern genannt (Iliad. XIL 23.). Dieser
Ausdruck bestimmte Griechische Erklärer, an den Kime
pfer aus früherer Vorzeit, an Herakles, zu denken;
und der scharfsichtige Bentley wollte die Stelle sogar in
den sonstigen Homerischen Ausdruck umändern. Die
neuesten Herausgeber Heyne und Wolf sind beim ge-
wühnlichen Texte geblieben, und es ist gerathener, in
diesem Ausdruck, von Avamemnon und seinen Gefáhrten
gebraucht, eine'Spur jener gesteigerten Heroenidee an-
zuerkennen, die sonst so häufig ist.
$. 3.
Diese Steigerung ist schon entschiedener beim He-
siodus, in dessen Haustafel einzelne unzweideutige Sátze
einer ganz ausgebildeten Dámonologie liegen. In der
Stelle von deu Zeitaltern. ('Egy. 122 seqq. nach Vofs)
singt der Dichter von den Menschen des goldnen Alters :
nach ihrem Tode
,,Werden sie fromme Dümonen der oberen Erde ges
nennet,
Gute, des Wehs Abwehrer, der sierblichen Menschen
Behüter ,
Welche die Obhut tragen des Rechts und der schnöden
Vergehung ,
Dicht in Nebel gehüllt, ringsum durchwandelnd das
‚Erdreich,
Geber des Wohls: dies ward ihr königlich glänzendes
Ehramt, ““
So führen die Alten diese Stelle an: Plato im Cratylus
(p. 398. p. 5o ed. Heind.) und Andere. Hier treten die
Menschen der frühesten, seeligsten Vorwelt ganz sicht-
bar in einer Würde auf, die der göttlichen zunächst
steht. Sie sind Mittler zwischen Göttern und Menschen,
unsichtbare Aufseher über der Menschen Thun, Hand-
haber der Gerechtigheit. Zugleich sind sie Geber des
Rerchthums (rAovrodota:), Segenbringer aus der Erde,
wie die tcliurischen Gottheiten alle. Ganz entsprechend
ist die Beschreibung, welche ein Orphischer Hymnus
(LXXIIL [72.]) von einem Dämon vorzugsweise macht.
Er heifst auch Segenbringer (zAovvodóvz;), wenner gute
Gaben bringend in ein Haus eingeht , aber er nimmt auch
wohl die Fülle wieder, und führet die Schlüssel des Lei-
des und der Lust. Ganz so hatte Sophocles in seinem
Inachus den Pluto als zAovvodóvqg mit herrlicher Fülle
im Hause eintreten lassen (Scholiast. Aristoph. Plut. 727.),
und bei Diodorus (L ;2.) heifst in einem Orphischen
Fragment Demeter Mutter. Erde und Segengeberin (1X0v-
v00017tt04) ; so Wie man auch an den Lenäen den telluri-
schen Dionysus zAovvoOóvo anredete ?). Die l'odesgott-
3) S. Moser zum Nonnus p. 220. und die dort citirten Scho-
lien des Aristophanes Ran. 479.
heiten sind auch die grofsen Erdkräfte. Amenthes- Ades
giebt und nimmt. Haben und Verlieren ist ihr Werk.
Sie sind die Schlüsseltráger und Austheiler (Dionysus
p. 206. 242.) , und die Dämonen sind in diesem Austhei-
lungsamte ihre Diener. Darum heifsen sie auch Oaíuovsc.
Also in einem Gedicht, und zumal in dem ältesten und
unbestrittensten Poem dieser Schule, schon ganz deut-
liche, ausgesprochene Sätze einer systematischen Dä-
monenlehre,
In einer andern Stelle (Hes. "Egy. 231 sqq.) ruft der
Dichter den Verwaltern des Rechts erinnernd und war-
neud zu, sie sollten an jene Mittelwesen denken. Dort
heifsen sie heilige Diener des Zeus, Unsterbliche, und
ihre Zahl wird genannt: Drei Myriaden oder dreifsig
tausend sind es, die als Hüter und Aufseher über die
Rechtspflege die ganze Erde durchwandeln. Mithin ist
ihnen das Beich der Freiheit wie das der Natur angewie-
sen. Hier geben oder nebmen sie die Güter der Erde
und die guten Gaben, dort lohnen oder strafen sie;
beides nach sittlichen Gründen. — Auch die Abstufung
dieser Mittelwesen khennet Hesiodus , aber er bezeichnet
sie weniger deutlich für uns. Er singt nur ganz kurz
davon. Denen er sang, waren es bekannte Lehren. Vom
zweiten silbernen Alter sagt er nämlich (vs. 140.) :
, Aber nachdem auch dieses Geschlecht; einnüllte die
Erde,
Werden sie sterbliche Gátter der oberen Erde genennet,
Als die zweiten ; jedoch ward ihnen auch Ehre zum Au-
tbeil** 4),
4) Unwillkührlich mufs man hier an die Indischen Ri schis,
an die Persischen Heiligen, und an deren Abtheilungen
in kónigliche, grofse, gerechte, gute, er-
wühite, fromme u. s. w. denken; s. Kosegarten zum
Indischen Gedicht Nala p. 214. 289. und besonders Sil»
vestre de Sacy zum Pend« Naméh p. LVAII. — LX.
10
Auch ohne die streitige Lesart ( £xiySório, und ózox9ó-
7».40; wovon doch Exrsteres billig vorgezogen worden)
liest das Verhältnifs dieser zweiten VYesenclasse zu der
ersteren wenig im Klaren, Dafs sie geringer ist, ergiebt
sich von selbst, wie man die Worte auch ordnen mag
(vergl. Graevii Lectt. Hesiod. cap. IV. p. 525 ed. Lüsn.).
Hierbei kommt auch die Frage in Anregung: Dachte
sich Hesiodus die Dämonen sterblich oder unsterblich,
oder nur zum Theil unsterblich, etwa die des etsten
Weltalters? Nach der angeführten Uebersetzung war
diese zweite Classe bestimmt sterblich. Auch alte Schrift-
steller waren der Meinung. Plutarchus in der Hauptstelle
(de def. Orac. p. 415. C. p. 700 sq. Wytt.) sagt bestimmt
und ganz allgemein, dafs Hesiodus die Dàmonen für
sterblich gehalten habe, und führt zur Bestätigung die
Worte einer Nymphe an, welche in steigendem Fort-
schritt die Lebensdauer der lang lebenden Naturen auf-
zählt und zuletzt mit den Worten schliefst:
— — — und wir zehn Alter des Phónix,
Wir schénlockige Nymphen, des Aegiserschütterers
Töchter. “
Plutarchus führt diese bildliche Angabe auf eine be-
stimmte Zahl zurück, deren Resultat dieses ist, dafs die
Dämonen Neuntausend Siebenhundert und Zwanzig Jahre
leben. Aber, wird man sagen, was berechtigte den
Plutarchus , aus dieser Stelle von der Nymphe auf die
Hesiodeische Meinung von den Dámonen zu schliefsen ?
Freilich unterschied man zuweilen jene lündlichen Gott-
heiten, Satyrn, Nymphen und dergl. von den gewesenen
Menschen, die nach ihrem Tode in eine höhere Stufe , in
die der Mittelwesen , versetzt worden waren. Jenelünd-
lichen Gottheiten bildeten den Chor der Untergótter,
plebs deorum oder dii plebeji, wie sie bei Römischen
Schriftstellern zuweilen heifsen, die man von den auser-
wählten Göttern (dii selecti) oder von dem hohen Göt-
terrath (Senatus deorum) unterschied (Augustin. de Civ.
D. VIL. 3) Allein zuweilen wird von jenen Unter.
gottheiten gerade wie von den zu Halbgottheiten
erhobenen Menschen geredet. So heifsen z. B. die Drya-
den, also eine Nymphenclasse, beim Ovidius (Heroid.
Epist. IV. 49.) ausdrüchlich Halbgóttinnen (semideae;
vergl. Cuperi Observatt. IlL 16). Und damit man nicht
denke, dafs dies erst spätere Römische Begriffsverwir-
rung sey, so nennt Theopompus (beim Aelianus V. H.
ITL. 18.) den Silenus: ein Wesen dunkler als ein Gott,
besser als ein Mensch und dem Tode nicht unterworfen,
während ihm Conon (Narrat. L), gleichfalls ‚aus alten
Nachrichten, eine menschliche Natur beilegt, und Pau-
sanias (VI. 24. 6. 6) versichert, dafs man bei den Per-
gamenern Silenengráber zeigte. So wird auch der Seher
Silenus wohl Düàmon genannt. Plutarchus nun, ein ge-
nauer Kenner der Hesiodeischen Ideen, hielt sich aus
jener Beschreibung des Looses der Nymphen für berech-
tipt, das, was von diesen Wesen, die so nahe an die
Dämonen gránzten und oft damit zusammenfielen, aus-
gesagt ward, als von den Dämonen überhaupt gesagt
anzunehmen. Und nach dem bisher Bemerkten dürfen
wir ihm wohl hierin folgen, Aristoteles freilich in der
oben angeführten Stelle folgte einer andern Theorie,
und ganz gewifs gab es darüber schon verschiedene Dog-
men.‘ Und auch Hesiodns ("Epy. 232 sqq.) scheint, dem
Ausdrucke nach, eine Dámonenclasse, die erste, als
unsterblich gedacht zu haben. —VVahrscheinlich folgte
er, so sehr er die Lehrsysteme der Vorzeit kannte, in
seinem Volksgedicht doch lieber dem Volksglauben, der
in diesem Gebiete , sich selbst überlassen, überall im
Unbiestimmten beharret. Das Nebelhafte, Schwimmen-
de, Charakterlose ist eben der Charakter dieser geister-
haften Sphäre. Darum vermied sie auch der klare Ho-
merus, dessen helles Epos bestimmte Umrisse forderte.
3h
12
Das letzte Bruchstück dieser Hesiodeischen Geister-
lehre bezieht sich auf das vierte Weltalter. Zeus (heifst
es ebendas. 142 — 144 sqq.) schuf
,Jcner Heroen Geschlecht, das göttliche : welche die
Vorwelt
Einst Halbgötter genannt, in der Erd’ unendlichen
Räumen, ““
Darauf wird von diesen Heroen gesagt, dafs sie theils
im Thebanischen Kriege, theils vor Troja, der Helena
wegen, gefallen wären, und dafs sie nun, nach Zeus
Ratbschlufs, am Bande des Weltalls in den seeligen In-
seln des Oceanus ein seeliges Leben führen — Begriffe,
die eben so sehr mit der Homerischen Stelle (Iliad. XII.
23.), als mit manchen ÁAeufserungen des Pindarus und
anderer Griechischen Poeten übereinstimmen. Jene He-
siodeische Beschreibung mufs aber als eine Hauptstelle in
Betreff der GriechischenBegriffe von den Heroen gelten.
Auch Plutarchus (de def. Orac. p. 415. B. p. 699 Wytt.)
ertheilt dem Hesiodus das Lob, dafs er die vernünftigen
Naturen gesondert habe in Gótter, Dümonen, Heroen
und Menschen; unter den Heroen seyen die Halbgótter
mitbegriffen. Durch dieses Sondern und Bestimmen ei-
nerseits, so wie durch die bemerkten Unbestimmtheiten
andrerseits, tritt dieser Dichter zwischen der priester-
lichen und philosophischen Dämonologie und dem Volks-
glauben in die Mitte 5). Er bildet mithin den schick-
lichen Standpunkt, von welchem wir auf dieses Gebiet
der Griechischen öffentlichen Religion zurückblicken,
und sodann zu einer kurzen Andeutung der philosophi-
schen Lehrsätze übergehen können.
3) Man kann hiermit vergleichen , was ich schon im zweiten
Theile Cap. VII. §. 4. p. 442 ff. über das Verhältnifs des
Homerus und Hesiodus zur Religion ihrer Altvüter und
zu der ihrer Zeitgenossen gesagt habe,
1
$. 4.
Von dem Thun und Leben des Griechischen V o1-
kes, von dem gemeinen Glauben und Denken sind die
Gedichte des Homerus die ültcste, getreueste Urkunde.
Die Scheidung der Stände, wie seine Welt sie zeigt,
giebt uns manchen Aufschlufs über die Entstehung jener
allgemeinen Heroenverehrung.' Es ist unter den Men-
schen jener Zeit schon eine grofse Ungleichheit bemerk-
bar. Der gemeine Freie blickt zu dem Adelichen als
einem ‚Wesen höherer Art hinauf, Sie standen auch
höher , bei aller übrigen Einfalt ihres Lebens, sie waren
gehoben durch Ehre, Macht, Güterbesitz, wie durch
Leibeskräfte, Schönheit und Bildung. Von den Heer-
führern aus alten Königshäusern , von den Königen selbst
galt dies im höheren Grade. Hatten letztere vor dem
Adel nur Vorrang, keine Herrschaft über ihn, so er-
scheint der Znstand des Landmanns (und lindliches Ge-
werbe war ja das allgemeinste im damaligen Griechen-
land) desto gedrückter. Unterjenen Begünstigten konnte
mithin nur die frische, volle Hraft des Menschen sich
entfalten. Ihr freies, ritterliches Leben, unter Jagd-
belustigung, VWaffeniibung und Krieg oder beim gemein-
schaftlichen Mahle, gestattete jenes unverlümmerte Ge-
deihen kräftiger Naturen. Hiernach bestimmte sich
denn auch ihr Antheil an öffentlichen Handlungen in der
Versammlung der Gemeine und in der Schlacht. Wie
dort das Wort der Edlen entschied, so hier der Kampf,
oft Zweikampf, unter ihnen.
Es ist unnüthig dieses Bild der Homerischen Welt
weiter auszumalen, da jetzt, unter uns Deutschen zu-
mal, die Henntuifs derselben allgemein vorausgesetzt
werden kann, Das religiöse Denken von den Heroen
und ihrem öffentlichen Dienste wollten wir kürzlich
überblicken. Beides erwuchs aus jenem Zustande des
heroischen Alters, Das Volk wufste nicht anders, als
dafs jene Adelichen seine Vorstreiter und Vertreter
seven. Auf ihren Schultern ruhete die Last des Krieges,
auf ihren Geist stützte sich das gemeine Wesen. Und
jene Heerführer und Könige an ihrer Spitze, sie waren
und hiefseu &vaxtes, Besorger, Verweser, wie die
Götter selber. Was Zeus unter den Göttern war, war
Agamemnon unter den Menschen. Die Herrschaft der
Könige kommt von Zeus, dem obersten König ^), und
so auch das Vermögen zu herrschen, Leibeskraft und
Leibesgröfse , Muth, Entschlufs und Weisheit. Daher
denn ein solcher Heerführer nicht nur götterähnlich,
Deoedig, Lo0Jeog, sondern in jener Beziehung besonders
Oioyevís , Ototpe@ñs, ein.Sohn des Zeus, genannt ward;
Benennungen, die freilich zu allgemeinen Königstiteln
geworden waren, aber um so mehr für das Herrschende
dieser alten Vorstellungen sprechen. Es war mithin des
älteren Griechen eigenste Gewohnheit, es war in sein
ganzes Denken verwebt, jene Heerführer und Könige,
wie deren Kinder , in einem religiósen Gefühle hoch über
sich zu stellen, wegen der Fülle erhannter oder voraus-
gesetzter Vorzüge. So blickte das Griechische Volk
schon bei Lehzeiten zu seinen Herren (%voe;) hinauf,
Was im Sinne des Volkes lag, führten die Denker der
Nation auf Begriffe zurück. Aristoteles, der aus Volks-
glauben und Sprache so manchen fruchtbaren Gedanken
zu gewinnen weifs, benutzt in seiner Ethik (VI. ı.)
auch diese Vorstellungen zu einer Eintheilung der Tu-
genden und Laster. Auf der Linie der Menschennatur,
sagt er, stehen einerseits T'auglichkeit und Enthaltsam-
keit, andrerseits Untauglichheit und Unenthaltsamkeit.
6) Die weitere Ausführung dieser Punkte s. oben II. 'Th.
p. 505 ff.
15
Unter derselben steht das thierische Wesen (Snordrne) 3
über ihr diejenige Tugend, die wir die heroische und
góttliche nennen miissen (&osrzvjgoixZv vivo xói delay);
s0 wie Homerus den Priamus vom Hector sagen lasse,
er scheine keines Menschen Sohn zu seyn, sondern eines
Gottes, Jenes über und unter werde überall selten
unter den Menschen gefunden; eine thierische Natur
sey eben so selten, als eingóttlicher Mann (ceiog &véo),
wie die Lacedämorier einen solchen Bewundernswerthen
zu nennen pflegten. So weit Aristoteles, -
Mit dem Tode solcher Edlen nahm natürlich diese
Bewunderung zu. Was jene bei ihrem Leben geübt,
das war ihnen auch nachher angelegen, und mit wach-
sender Zeitferne wuchs das Maafs ihrer Verdienste, bis
die steigende Bewunderung zu güttlicher- Verehrung
überging. Hier darf ich nur an einige Hauptzüge erin-
nern: In den Sagen aller alten Völker lebt der Glaube
von dem hohen Alter, das die Menschen der Vorwelt
erreicht haben. Beweise aus den Mythen hät Spanheim
zum Callimachus (H. Dian. 132.) zur Génüge gesammelt.
So wie oben ein Álter von mehr als neuntausend Jahren
den Dámonen beigelegt ward, so sprechen alte Griechi-
sche Sagen von tausendjührigen Menschen der Vorwelt
(Joseph. Antiqq. I. 4. und daselbst die Zeugnisse des
Acusilaos und anderer Geschichtschreiber). Diese lange
Lebensdauer ward besonders von jenen Edlen des Lan-
des, von den alten Stammfürsten, erzählt. Durch ihre
hohen Tugenden hatten sie solche , das war die Meinung,
als Belohnung verdient (Spanheim a. a. O.). - Es kann
meine Absicht nicht seyn, das Historische dieser 'Tradi-
tionen von den Zuthaten des Mythus zu scheiden. Um
die mythischen Züge ist es hier gerade zu thun. So sehe
ich denn vorjezt auch die Schiffersage der Phocáer aus
der fernen Westwelt an, wobin ja der Mythus die Woh-
nungen der Heroen versetzte: Der milde, freundliche
14.
Arganthonius 7) fegierte iiber die Tartesser achtzig Jahre
und lebte hundert und zwanzig (Herodot. I. 163.). —
Dieselbe Meinung hatte man auch von ihrer Leibes-
grófse. Auch hier stimmen die Zeugnisse aller Völker
zusammen, Welches Land der Erde hat nicht seine
Riesen, seine Riesensteine , seine Riesenfufsstapfen u.
$. w.? An den Schuh des Perseus in Aegypten und des
Herahles im Scythenlande ist oben, bei einer andern
Gelegenheit, erinnert worden. ch führe noch einen
Zug aus der Griechischen Heroensage an. Es ist die Er-
zihlung von den Gebeinen des Orestes : wie die Lacedá-
monier , in einen schweren Krieg mit denen von Tegea
in Arcadien verwickelt, im Uebermaafs der gemeinen
Noth zu dem Delphischen Orakel ihre Zuflucht nehmen,
wie dieses darauf, mit räthselhafter Bezeichnung des
Ortes, den Agamemnoniden aus Arcadien, als das sichere
Unterpfand hünftigen Sieges, nach Sparta zu bringen
gebietet; wie darauf der Laconier Lichas unverhoffi den
Sarg des Orestes zu Tegea in dem Hof eines Schmiedes
findet, und den Wunderkasten nach Sparta bringt —
sieben Ellen lang, «so grofs wie die Gebeine, Gebeine
viel gröfser als die, wie jezt die Menschen sind» ( Hero-
dot. 1. 68. Pausan. Il. 3.) ?). Das ist derselbe verwun-
dernde Ausruf, den wir so oft beim Homerus finden,
wenn von der Grófse, Stárke oder von anderen Leibes-
vorzügen der Heroen der Vorweit die Rede ist: wie jezt
die Menschen sind (oiov vé» Bporoi eto). Eben so be-
merkt Pausanias (VI. 2. init.), ganz im Geiste des Volks-
7) Ueber diesen weifsblühenden Alten vom Berge
habe ich die physisch - symbolischen Nachweisungen ‘in
den Homerischen Briefen an Hermann p 178 £. gegeben.
#) Ich habe hierüber in den Commentatt. llerodott. I. p. 301.
Mehreres zusammengestellt,
1}
17
glaubens, bei Gelegenheit der Bildsiule des Polydamas,
dieser sey der Grüfseste unter allen Menschen nach jetzi-
gem Maafse gewesen, mit ausdrücklicher Ausnahme der
Heroen, «und so etwa noch andere Sterbliche vor den
Heroen gelebt hátten ».
Und diese Ueberresie des alten Landeshó'igs (denn
auch über Sparta hatte Orestes geberrscht; Pausan. lf.
16.) waren das Unterpfand von des Landes Wohlfahrt,
Wo sie waren, da var derSieg — Vorstellungen, die
wir in vielen Griechischen Stammgeschichten wiedorfin-
den, und die bei vielen Völkern bis auf den heutigen Tag,
nur hie und da etwas anders gewendet, auf die Offent-
liche Meinung einen grofsen Einflufs äufserten. Die
Vertheidigung der Gräber der Vorfahren, besonders
der Stammíürsten, schmolz mit den religiósen Pflichten
zusammen , die man den Stamm. und Landesgottheiten
schuldig zu seyn glaubte. Daher jene Grabstitten so
häufig mit den Tempeln jener Gottheiten zusammen ge-
nannt werden, "wenn von der Beschützung des Theuer-
sten. die Rede ist, was ein Volk zu besitzen glaubt ?).
Sie hiefsen auch recht eigentlich Landesheroen, heimi-
sche (£yyógiov) 10, so wie man jene Landesgottheiten
79090. zu nennen pflegte. Die Heroen waren ja auch
selbst wieder die Beschützer, /die in óffentlicher Noth
dem Lande beistanden. und zuweilen im Kriege. wunder.
bar erscheinend dem Feinde Furcht und Schrecken ein-
jagten, wie wir oben in Bezug auf Attica vom Jacchus
und von dem Pflugmann Echetlávs zu bemerken Gelegen-
heit hatten. Darum sorgten alte Gesetzgeber, denen
9) Aelian. V. H. II. 28. Lucian. Eunuch. Tom. V. pag. 206
ed. Bip.
10) Beide, die 980i &yywei0r oder éreguigeet , werden deshalb mit
den Heroen genannt, und beiden gemeinschaftlich Opfer
gebracht; s. meine Commentt. Herodott. I. p. 265.
lil.
M
es angelegen war, auf das Heiligste im Menschen die
bürgerlichen Pflichten zu gründen, neben der Sanction
des Gütterdienstes, vorzüglich auch für die Verehrung
der heimischen Heroen, Unten werden wir in einem Ge-
setz des Charondas daiuoves éatioëxoe (Inhaber des va-
terlándischen Altars) nachweisen. Ein anderes Beispiel
liefert die Verordnung des Draco, die es allen Bewoh-
nern des Attischen Landes «als eine ewige und für alle
Folgezeit unverbrüchliche Satzung einschürft, die Gótter
und vaterländischen Heroen zu verehren » (beim Por-
phyr. de Abstin. iV. p.380 Bhoer. und daraus inPetiti Legg.
Ait. p. 69 VVessel). Wie bei jenem Attischen Jacchus
und Echetláus, so hingen die beiden Vorstellungen hàáu-
figer zusammen, dafs der Segenbringer aus dem Schoofse
der vaterlándischen Erde auch zugleich der Vertheidiger
dieses theuren Bodens sey. Dieselben Heroen bringen
Schutz und Lebensfülle. Hier náhert sich also die Volks-
vorstellung jener Lehre von den Dimonen, die uns He-
siodus als Geber des Reichthums darstellt. Beide gehen
im Vaterlande ein und aus, sie wachen und wehren, sie
geben und beglücken. Es láfst sich wohl nach dem gan-
zen Sinne dieses allgemeinen Glaubens nicht zweifeln,
dafs auch das Griechische Volh Orts. Dámonen an-
nahm, locale Genien, die jedem einzelnen Orte
einwohnend, über ihn die Obhut führten, wenn gleich,
wie über Anderes in diesem schwankenden Gebiete des
Volhsglaubens, heine deutlichen Zeugnisse vorliegen.
Die 9atpovec iduóo v0oAX0v, die man dafür hat ansehen
wollen, sind hierher nicht zu rechnen , sondern gehören
zu den philosophischen Wesen, wenn auch nicht erwie-
sen würe, da(s diese Classe auf der falschen Lesart einer
Stelle des Porphyrius (de Abstin. II. p. 171. und daselbst
de Rhoer) beruhete. Die Italische Volksreligion hatte
ihre órtlichen, Genien, wie unter andern die Inschriften
zeigen, wo neben den Gottheiten zuweilen eines Genius
16
J
loci gedacht wird, und die Stellen der Alten, in denen
genii locales vorkommen (Gruteri Inscriptt. p. 4. vergl.
Cuperi Observv, HI. 16. pag. 333). Jene hatte auch in
ihrem Begriff von dem Lar familiaris (s. oben II. Th,
pag. 857 ff.) den Punkt aufgefafst, wo die Heroenlehre
sich mit der Vorstellung von Ortsdámonen eng verbin-
det, und so zu sagen damit zusammenfliefst. Jene see-
ligen Herren, die nach einem frommen und gerech-
ten Leben die unsichtbaren und heimlichen Besitzer des
Hauses blieben, und sich den lebenden frommen Bewoh-
nern durch jeweilige Wohlthaten aufserordentlich und
durch Haussegen immerfort kund tbaten, waren ja in
der That nichts anders als jene Segen bringenden Genien
der alten Griechischen Welt, deren unsichtbare Fuls-
stapfen beim Eingang ins Haus von der Fülle aller guten
Gaben überflossen. Die Erde, die des Seeligen Leich-
nam oder Asche birgt, birgt auch die Glückseeligkeit in
ihrem Schoofse, Heichthum an Saamenkërnern wie an
edlen Metalien, und Pluto, Plutus, wie die daiuoves
mAovtoñotar, sind desselben Bewahrer und Geber. Der
Sprachgebrauch ist uns Bürge, dafs jene Ideen denGriechen
mit den Römern gemeinschaftlich waren. Die Römischen
Schriftsteller übersetzten zuweilen das Griechische dal.
poves durch Lares (s. z. B. Cic. de Universo sect. 11.
und daselbst die Ausleger), und im fortdauernden Grie-
Chischen Sprachgebrauch ward häufig jpoc von einem
Verstorbenen in dem Sinne von paxapitne, der See-
lige, gesagt (Alciphron. Epist. MI. 35. und daselbst
Bergler); also der Herr, der unsichtbare Aufseher,
nach Griechischer Sprache, wie in der Sprache der
Etrusker.
Aber auch die Kehrseite war dem Griechen nicht
unbekannt. Der sogenannte Plutarchus in der Schrift
von den Sätzen der Philosophen (de plac. Philos. 1. 8.)
sagt ausdrücklich , unter den Heroen habe man sich die
1C
20
vom Leibe geschiedenen Seelen zu denken ,- und jene
seyen gut oder büse wie die Seelen. Mehrere Spuren in
den Dichtern und Volkssagen lassen heinen Zweifel übrig,
dafs diese Unterscheidung auf der öffentlichen Meinung
berahete. Wie sehr die Einbildung in diesem Gebiete
religiósen Glaubens zwischen Furcht und Vertrauen in
der Mitte schwankte, ‚sieht man aus der Art, wie sich
der Grieche den Heroenmahlen nahete. Mit Stillschwei-
gen, war die Meinung, müsse man an ihnen vorüber
gehen, weil die inwohnenden Wesen reizbar seyen und
durch Geräusch leicht zu erzürnen. Im Gefühle des
sonst so heiteren Griechen lag hierbei immer die gehei-
me Furcht, es móge nicht gebeuer seyn in dieser Nähe.
Mit der sinkenden Sonne vermehrte sich das Grauenvolle.
Einem Heroen in der Nacht zu begegnen, sagte man,
bringe Schaden , Schlagflüsse und audere Uebel des Lei-
bes und des Geistes 1). Auch in den Gesetzen des Za-
Jeucus. und Charondas hommen, neben andern hierher
gehörigen Zügen, ganz bestimmte Begriffe von bösen
Dämonen vor — Vorstellungen, die wir mithin für
Aeufserungen des üffentlichen Glaubens h;lten müssen,
wenn gleich die Referenten in diesen alten Gesetzen
Manches nach ihrer Weise anfgefafst, haben mögen. In
einem Gesetz des Zaleucus beim Stobáus ( Serm. XLII.)
wird derjenige, dem ein bóser Dämon sich nahet, an-
gewiesen , bei den Altáren der Gótter Zuflucht zu suchen,
und Zu tugendhaften Männern sich zu wenden, damit er
sein Gemüth von allen bösen Trieben reinige und be-
freie. Die ethische Anwendung dieser Meinung wird
hier wohl Niemand verkennen. In einem Gesetz des
Charondas (ebendas.) wird demjenigen, der den Obrig-
keiten des Vaterlandes den Gehorsam versagt, die Ahn-
11) Aristophan. Aves 1490. mit em Scholiasten; vergl. Beck
zum a. O. und Alciphron 41I. 58, unddaselbst Bergler.
1
dung der dailuoves £o vio9 70v (vermuthlich der Di-
monen, die den vaterländischen Altar im Prytaneum
bewachen) angedrohet. Eben so sollen , nach Charon-
das Gebot, die Frauen heusch leben, fern vom uner-
laubten Umgang mit andern Màánnern, eingedenk der
Dämonen, welche Hader aussien und die Familien zu
Grande richten (dauudror éfourotdy xoi iy30oosotóv;
vergl. Heyne Opusce. acadd. 11. p. 83. 101. 105,) 12), —
12) Wir erinnern hier an den Lacedämonischen Heros Astra-
bacus, welcher als ein Gespenst ((4cpa), ühnlich dem
Lacedámonischen Kónig Aristo , der Gattin dieses Kónigs
in der dritten Nacht nach ibrer Verheirathung sich nahet,
und sie zur Mutter des Demaratus macht; was in der
Folge den unglücklichen Demaratus zur Flucht aus Sparta
nóthigte ( Herodot. VI. 61 sqq.), indem man seine Ab-
kanft aus dem kóniglichen Geschlechte in Zweifel 20g.
Es, war dieser dem Deinaratas so feindselige Dümon ein
alter Lacedámonischer Landesheros, dessen aufser An-
dern auch Pausanias Lacon. XVI. 6. gedenkt, und mit
dessen Namen die Sage vielfach spielte, Denn des De-
maratus Feinde hatten wegen der Namensähnlichkeit die-
sen Astrabacus (CAoridBaves) zu cinem Eseltreiber
gemacht —. von dorçd34, Saumesel. Dann erzählt auch
Pausanias, wie dieser alte Heros und sein Bruder Alo-
pekos, als sie das alte Schnitzbild der Diana Orthia ge-
funden, in Raserei oder Ekstase gerathen ( rag &oé-
v»4029). Weun uüs der Name Astrabacus an den Esel
erinnerte, so erinnert uns der Name seines Bruders und
Gefährten Alopekos an den Fuchs; und wir denken so-
gleich an Aegypten, wo der Esel als ein Typhonisches
Thier nicht blos wegen anderer Beziehungen , sondern
auch «einer Farbe wegen, welche der eines Fuchses
so ähnlich ist, gehafst und verachtet ist (s. oben I. 'Th.
pag. 318.). — Aber auch siderische Beziehungen dürfen
wir nicht übersehen. Denn Astrobacus ( AergóBawos,
wie einige Handschriften haben) erklären die Alten bereits
durch deorcov%4405, einen Sternseher, Sterndeuter, be-
geisterten Seher und Singer, der auch mit Bacchus und
22
So wufsten edle Gesetzgeber des Alterthums auch an
diesen Volksglauben die heilsamsten Grundsätze der Mo-
ral anzukniipfen, Dieselbe ethische Haltung darf man
freilich nicht in allen Sagen suchen , womit das Griechi-
sche Volk sich trug. Mehrere davon sind jedoch recht
charakteristisch. Der böse Heros von Temessa
z. B. war zum allgemeinen Sprichwort geworden (Aelian.
V. H. VIII. :8.), Diese Geschichte spiegelt den alten
Wahn des gemeinen Mannes recht augenscheinlich ab:
Einer der Gefáhrten des Ulysses hatte an Italiens Küste
im trunkenen Muth ein Mädchen von Temessa geschän-
det. Die Einwohner nahmen auf der Stelle Rache, und
steinigten ihn. Nun ward der Geist (daipoy) des Ge-
tódteten sofort ein Würgengel für die Gegend, der mit
Morden der Bürger jung und alt gar nicht abliefs, bis
das Orakel zu Delphi den Einwohnern rieth , den Heros
(Hoo) zu versóhnen durch Stiftung eines Hains, eines
Tempels und durch jáhrliches Darbringen der schünsten
Jungfrau, Dies sollte einst eben wieder geschehen, als
der Locrier Euthymus, eintrefflicher Faustkämpfer , der
sich durch seine Siege zu Olympia eine Statue verdient
hatte, von Mitleid und Liebe bewegt, den Kampf mit
dem Dämon unternahm und glücklich bestand. Der böse
Heros ward aus dem Lande vertrieben , und verschwand
unter den Wellen des Meeres. Die schöne Jungfrau
den Silenen oder Satyrn in Verbindung tritt, wie ich an-
derwärts gezeigt habe. | Eben er, der Lacedámonische
Landesheros , wird daher auch von Clemens dem Alexan-
driner den Dämonen zugezühlt (s. Protrept. pag. 35
Potter... Da ich im ersten 'l'heile meiner Commentatt,
Herodott. $. 21. pag. 241 — 270 diesen ganzen Gegenstand
ausführlicher bebandelt habe, so móge es mir genügen,
aufmerksam gemacht zu haben, wie der Landesheros
zugleich als ein Dämon in diesen alt - Griechischen
Vorstellungen hervortritt.
25
ward des Wohlgemuthen Euthymus Weib, und
von Stund an war Temessa von der Plage erlóset, Der
Sieger erreichte ein hohes Alter, und auch jezt entging
er dem Tode. Er stieg in den Flufs Cácinus hinab, der
das Gebiet der Locrier von dem Hheginischen scheidet,
und ward nicht mehr gesehen, galt aber seitdem bei
seinen Landsleuten für einen Sohn des Flufsgottes. —
Noch in der Rómischen Periode zeigte man die Copie
eines alten Bildes mit mehreren Figuren von Göttern
und Menschen, und darunter den bösen Heros von Te-
messa, schwarz und fürchterlichen Ansehens und mit
einer Wolfshaut 15) belleidet (Ael. l. 1. Pausan. VI. 6.).
In wie weit hierbei ein Betrug statt gefunden, liegt ganz
aufser unserer Untersuchung. | Auch der Betrug mufste
auf den Volksglauben gebaut seyn; und diesen beurhun-
det die Geschichte sehr charakteristisch. — Zuvórderst
beweiset sie die alte Meinung von der Existenz büser
Heroen, sodann zeigt sie in mehreren Zügen das An-
grünzen der heroischen Wesen ans Dümonische und ans
Góttliche. Jener Euthymus war ja selbst ein dámonischer
Mann (9atpóvioc) in jedem Sinne, besonders durch seine
Stärke und durch seinen Muth, Jene gewäun ihm den
Sieg zu Olympia und eine treffliche Statue von der
Hand des grofsen Künstlers Pythagoras, Auch zeigten
die Locrier noch spät einen Riesenstein, den er vor
seine Hausthüre gewälzt hatte (Aelian. a. a. O.). Er war
also selbst wie jener Heroen einer. Sodann, als Mit-
leid und Liebe seinen edlen, strebenden Geist jede Ge-
fahr vergessen macht, bewährt sich dieser sein Geist
als der gröfsere, stärkere. Also Dämon über Dämon,
Ein herrschender Zug alten Volksglaubens, In diesem
43) Der Leser wird hier von selbst an die höse Bedeutung
des Wolfs und an die Wolfsmenschen oder Wehrwölfe
denken, S. oben II. Th. p. 134 f.
Glauben sagte auch der Aegyptische Wahrsager zum
Antonias, sein Genius sey edel und hohen Strebens;
aber vor dem Genius des Octavius bebe er doch feige
zurück. Hier überwáltigt der edlere Dámon des Euthy-
mus den thierischen Plagegeist des Heros. Der gebän-
digte Dämon gehet unter im Meere, und den betagten
Euthymus, der den Tod nicht fühlen soll, nimmt freund-
lich der vaterländische Flufs auf. Hier gränzen Natur
und Geist im Ahnen alter Völker nahe an einander.
Was den Willen beweget, was über des Menschen Sinn
und Leben waltet, das'beweget auch die Elemente, das
waltet auch in der Tiefe des Meeres und in dem dahin-
gleitenden Flusse. Da(ís jener Zug nicht zufällig ist,
beweiset seine Wiederkehr in ähnlichen Volkssagen.
Noch heut zu Tage läfst der gemeine Glaube Gespenster
in Fliisse '4) und Wilder bannen; und von den Wal-
dungen des Parnassus, aus Griechenland herüber zu
dem !talischen Sybaris hin, tönten ähnliche Laute eines
alten Volksmährchens. Dort am Fufse des Parnassus,
bei Crissa , hausete ein weiblicher Plagegeist von furcht-
barer Grófse und Gestalt, Sybaris, auch Lamia genannt.
Hier fielen schóne Jünglinge als Opfer, bis einst Eury-
bates !5), des Euphemus Sohn, aus Liebe zu dem schó-
14) Ich erinnere hier an den bósen DüámonSintes, wo-
von oben Il. Th. pag. 308. Not. So verstand der Para-
phrast des Homer, Demosthenes, die Stelle in der Odys-
see XT. 597. — or" droorcéVaoue uçaraudls, Von einem
starken Dämon, Namens Cratais, der dem un-
glücklichen Sisyphus immer wieder den Stein vom Berg-
giptel herabwilzt; s. Eustath. zu der angeführten Stelle
p.460, 9 sqq. Im zwölften Gesang der Odyssee vs. 124.
heifst die Mutter der Scyila Kratais (Koaz4i;).
415) Ueber EvcußdTys und ElçuBaros , so wie üher EveuAaro« in
der Mehrzahl, wovon.man viele Sagen hatte (Hô Geox
-9
nen Alcyoneus, der eben als Opfer fallen soll, die bise
Sybaris von den Felsen des Parnassus herunterstürzt.
Sie zerschmettert den Kopf an einem Steine ; aus diesem
Steine entspringt sofort eine Quelle, Sybaris genannt,
woher nachgehends die Stadt der Locrier Sybaris in Îta-
lien den Namen erhielt (Antonin. Liber. cap. 8. aus dem
Nicander). | Auch hier ühnliche Züge. Der Held, der
die Lamia bündigt und beschwichtigt, ist des Euphe-
mus Sohn; Wie dort der Sieger selbst Euthymus , der
Wobhlgemuthe, heifst , so heifst hier der glückliche
Kämpfer Sohn des Euphemus, der Sohn des guten
Wunsches, oder der glücklichen , bindenden Formel,
Mit heiliger Stille und mit dem guten. Worte des Heils
soll besonders auch den Heroen gedient werden (Por-
phyr. de Abstin. IV. p.380.). Ferner auch ihn den Eu-
rybates, wird ausdrücklich bemerkt, hat ein Dämon
(daipov) des Weges nach Crissa geführt. Also auch
hier wieder Geist gegen Geist. Endlich geht auch hier
die aufgelósete Natur des büsen Geistes in lebendiges
VVasser über, sein Wesen strómt mit der Quelle fort
und fort, und wenn Euthymus im Glauben seiner Lar ds-
leute Sohn eines Flufsgottes beifst, so mufste Eurybates
wenigstens , nach der Delphischen Sage, sein Geschlecht
vom Flusse Axius herleiten. Der Mythus von dem aus
dem Biute des WVunderwesens Marsyas entsprungenen
Flusse dieses Namens , so wie andere ähnliche , beruhet
auf demselben Grunde. Das eigenthümlichste Seyn und
Wirken jedes Wesens ist sein Genius (2aiíuov). Er ist
der gesammelte Strahlenpunkt seiner Kräfte, die wir-
more ooty deidsTa Ed gußdrowr) , s. Eustathius zur Odyssee
XIX. 247. p. 694 Basil. vergl. mit Ephori Fragmm. Marx.
p.207. Es liegen hierin vielerlei Fabeln und "Traditionen,
Die Stelle des Eustathius ist zum Theil aus des Gregorius
Commentar über Hermogenes p. 925. genommen.
e)
kende Ursache seines eigenthümlichen Bestehens, SCY es
Quelle, Pflanze, Thier oder Mensch, und mithin bald
regsames Leben, Vegetation, bald Instinct, bald Sinn,
Charakter ; Art und Wille. Wie diese Griechische Reli-
gion der Phantasie alle Elemente beseelte und somit eine
Menge von Naturgeistern setzte, so erblickte sie in der
Stufenreihe kräftiger menschlicher Individualitäten eben
so viele Dämonen. Was in den verborgenen Tiefen der
Natur rubet und waltet, so wie was im dunkelen Hinter-
grunde der Menschenseele ruhet oder das Aufserordent-
liche einer Menschenkraft — das Alles gehört in diesen
dämonischen Kreis. Wo eine unerklärliche Macht wir-
ket in Natur oder in Freiheit , zum Heil oder Unheil,
da ist etwas Dämonisches. Dieser Gtaube der
hblofsen Phantasie weifs zunächst noch eben
$0 wenig von ethischem Unterschied zwi-
schen Gut und Büs, als er in diesem schwe-
benden Gebiete bestimmte Abtheilungen
von Hoch und Hóher, heroisch, dümonisch
oder göttlich kennt. Jener Fausthámpfer Euthy-
mus war ein VYundermensch durch Kraft und Willen,
Was cr that, schlug zum Heile aus. Der Fausthámpfer
Cleomedes von Astypalia war nicht minder stark. Auch
er errang den Sieg. Aber weil er im Rampfe den Leib
seines Gegners Iccus mit einem Schlage aufrifs, so ver-
sagten die Hellanodiken ihm den Preis. Darüber ward
er schwermüthig. In diesem Wahnsinne reifst er zu
Astypalia, als ein zweiter Simson, einen Pfeiler um,
auf dem das Dach einer Schule ruhete, und sechszig
Knaben werden unter den Ruinen begraben. Die Bürger
wollten ihn steinigen. Er flüchtet in den Tempel der
Athene, und als man einen Hasten, worin er sich ver-
borgen, zerschligt, findet man Leine Spur von ihm.
Das deswegen befragte Orakel befichlt den Astypaläern,
den Cleomedes als den letzten unter den Heroen zu ver-
26
-
ehren 16). .So ruhete auf Cleomedes gleiche Wunder-
kraft, aber sehr ungleiches Geschich. Was er that,
schlug zum Unheil aus. Dennoch endet er ehrenvoll,
und lebet im Volksglauben und Volksdienst als Heros
fort, so wie Euthymus als Gott des Flusses gilt, in den
er entschwunden war.
Diese ganze Unbestimmtheit verschmolzener Begriffe
hat der Griechische Sprachgebrauch im Worte 0a1107L06
aufbehalten. Es bezeichnet einen aufserordentlichen
Menschen bald als thätig und wirksam gedacht, wie dort
Agesilaus über den in Sparta eindringenden Epaminon-
das das Wort aussprach, bald als leidend und unter dem
Einflufs höherer Mächte ,‘ nach sémem Geschick betrach-
tet, nach dem Sinne seines Lebens , mithin glücklich,
unglücklich. Daher schon der unbestimmte Gebrauch,
in welchem Homerus dieses Wort so oft nimmt, wodurch
es häufig zu einer allgemeinen Anrede wird, oder auch
im tadelnden Sinne gesagt wird. Beispiele werden jedem
Leser dieses Dichters in Menge einfallen. Schon die
Alten haben darauf aufmerhsam gemacht (s. z. B. Plu-
tarch. d. Isid. p. 360. F. und 361. A. p. 455 sqq. Wytt).
Die Bedeutung, in der Homerus das Hauptwort Jeíuov
für Gott selbst nimmt, wurde oben bemerkt. Auch das
Substantiv. 9aiuóviov schliefst sich diesem Sinne an, wo-
von Aristoteles (Hbetor. 11. 23.) schon die sehr gute
Erklárung giebt : es bezeichne einen Gott oder eines
Gottes Werk,
Hier müssen wir auch des Verhältnisses zwi-
schen Heroen, Dämonen .und Göttern gedenken,
wie es sich in Sprache und Meinung des Volkes zeigt,
Ein systematisches Unterscheiden wird man, nach dem
16) Oenomaus beim Euseb. Pr, Ev. V. 34. Pausan. VI. 9. 3.
Aelian. V. H. X1. 3.
2
Bemerkten, hier nicht erwarten; aber eine Art von
Grundrifs eines geordneten Gebiets scheint doch im
Helldunkel des Volksglaubens durchzuschimmern. Eines
Theils treten, wie wir sahen, die Heroen (“Hpoes) und
Dämonen (Aaiuoves) in geschichtlicher Wiirdigung
über die Menschen (@vSpono:), als über die jezt Leben-
den. So nach der Darstellung des Hesiodus, der in nä-
herer Vorzeit Heroen nennt und in dem ferneren Hin-
tergrunde der Vorwelt zweierlei Dämonengeschlechter.
In diesem Sinne werden also die Dümonen in die histo-
rische Reihe (um so zu sprechen) mit aufgenommen.
Gleichwohl fühlte auch der gemeine Sinn der Alten einen
Unterschied des Heros-und des Dämon, der zunächst
mit jenen Bestimmungen einer förmlichen Dämonologie
nichts zu thun hat, wovon sich im Hesiodus Spuren zei-
gen. Darüber láfst der Sprachgebrauch, als die eigent-
liche Volksstimme, sich deutlich vernehmen. Man
kann nicht in Abrede stellen, dafs daiuor und Zooc oft
von einem und demselben Wesen gesagt werden konnte
und gesagt ward. Der Heros von Temessa hiefs und
konnte auch der Dümon von Temessa heifsen ( Pausan.
VI. 7.). Aber keine dieser Bezeichnungen war mit der
andern völlig synonym. Fassen wir jenes Volksmährchen
mit seinem einzelnen Wortgebrauch einmal etwas näher
ins Auge: Der Fausthümpfer Eutbymus, heifst es, ging
nach Italien zurück, und dort kämpfte er mit dem Heros
(woos Tov “Hpw). Hier konnte noch nicht Dämon ge-
sagt werden. Es wird uns erst das in der Sage be-
rühmte Wesen angekündigt, wozu auch in solchen
Fállen der Artilie! ; als Ausdruck einer gangbaren Sage,
mithilft, Nun geht die Erzählung fort bis zum Tode
jenes Geführteun des Ulysses, wo wir dann von dem Scha-
den hóren, den dev Geist (9«íp ov) des gesteinigten
Menschen (ciSporrow) gethan hatte. Hier heifst der vom
Leibe getrennte Plagegeist, oder die personificirte schäd-
705
3
liche Hraft, natürlich 9eipor. | Darauf folgt die Erwäh-
nung des Orakels, wonach sie ihn versóhnen sollen,
Wen? den Dámon? Nein, jenen Ulvssesgeführten,
der von ihnen erschlagen worden, wodurch sie gegen
Helden und Schützlinge der Athene gefrevelt hatten,
wenn gleich Ulysses ohae Nachfrage nach ihm weiter
gesegelt war; also wieder den Heros (róv"Hoo). Nun
folgen die Jahre des Jungfrauentributs, wodurch der
Geist (Jaipwr) abbezahlt wird, bis endlich der Zufall
den Euthymus nach Temessa führt, gerade zu der Zeit,
als man das Herkômmliche that — dem Dämon (dai-
port). So mufs es jezt heifsen, denn jezt ist von dem
Unglücksgeiste die Rede, welchen die Jungfrauen
fürchten müssen. Es folgt des Euthymus That. Er
hält den Angriff des Düámons (9«inovoc — so heifst
jezt die furchibave feindselige Kraft) standhaft aus,
und bindigt ihn. Und nun wird jener aus dem Lande
getrieben, und verschwindet im Meere. Wie heifst er
hier? der Heros (ó "Hyo,). Eigentlich war ja dev
Plagegeist, der Dámon gebannt. Es heifst aber
jezt: der Heros war vertrieben; d.h. jener Urheber
des ganzen Jammers, von dem man so lange ge-
hört, der immer wieder gekommen war, dieser konnte
nun nicht wieder kommen: jener bóse Mann, der in
seinem frevelnden Thun die Bewohner des Ortes bis zur
Verzweiflung gebracht, der für sein Unrccht nur ver-
diente Strafe gelitten, und dennoch fortwährend Rache
suchte; daher ihn denn auch das Volk in dem Denk-
spruch: der Heros von Temessa (ó év Teuzom
"Hpozc) als ein Exempel aller Ungerechten hinstellt, die
Genugthuung fordern, wosie solche zu leisten hät-
ten. Es ist also die ganze historische und mensch-
liche Personalitàt in jenen Worten bezeichnet:
«der E eros war ins Meer gebannt». Zuletzt wird des
Gemáldes gedacht, worauf man neben der Here, neben
2C
20
dem Flufsgott Calabrus , der Quelle Calyca und der Stadt
Temessa, mitten unter den Finwohnern dieses Ortes
auch den erblickte, den Euthymus vertrieben hatte. —
Jezt heifst es wieder d'aluor, denn jezt sollen wir hö-
ren, wie im Bilde das Gespenst !7) aussah, d. b. der
verfinsterte, böse Geist des erschlagenen Menschen,
dessen schwarze Seele sich, auch vom Leibe getrennt,
mit schwarzer, furchtbarer Hülle umgeben hatte. —
Gleichlautend mit dieser Volkssprache ist die Natur-
sprache des Homerus. Gleich in dem Eingange zur Hias
wird der Seelen der Helden (dvyoi ooov) gedacht,
die Achilles zur Unterwelt sendete, und hinzugefügt,
sie selbst (ai$«056j habe er den Hunden und Vögeln
zum Haube hingeworfen (vergl. II. Th. pag. 456.). Und
wer erinnert sich nicht vieler andern Stellen, die diese
kindische, populidre Anthropologie verrathen? An an-
dern ist von den Schatten (ei09oA«) der Heroen dic
Rege, die in der Unterwelt sind, während sie selbst über
der Erde schweben , in der Luft u. s. w., oder, wie es
in den Heralleen biefs, Herahles Schatte ist beim
Ades, er selbst, sein verkhlártes Wesen, ist im Olymp
bei den Góttern (vergl. Il. Th. p. 455.). Immer ist hier
Heros (pos) der ganze Mensch, der gepriesene
Held mit Leib und Seele. Was die Sprache so trennt,
dessen Unterschied liegt im Verstande oder zum wenig-
sten im Gefühle des Volkes. Es ist mithin Dämon
(daiuor), dafs ich so sage, das empfundene, das
gefühlte Abstractum einer Individualität,
esistdas, wodurch jedes Einzelnwesen seinen eigenthüm-
lichen Bestand hat: die Elemente (Quell- Flufsgeist —
17) Sonst kommt auch das Wort @do pa (Brscheinung, Ge-
spenst } von denen vor , die bald x 9«wss bald dafpoves
heifsen ; s. die Note 215. in den Commentt. Herodott, P. 1.
p. 233 sq.
31
Feuer- Erdgeist u.s. w.), die Vegetabilien (Baumgeister
u. $. W.), so wie im Menschen die abgesondert - ange-
schaute Individualität in Phantasie, Verstand, Willens-
kraften u. s. w. Heros (pws) hingegen ist zuerst die
Bezeichnung des ganzen, natiirlichen Menschen,
besonders des hervortretenden, wiirdigen Menschen, des
Helden; sodann und vorziiglich die historische
Erscheinung einer imposanten Personalität,
das Bild eines grofsen Menschen der Vorzeit in seinem
ganzen Seyn und Handeln, Trifft der Blick im prä-
gnanten Moment einer grofsen That die Kraft, die sie
verrichtet, dann sagt der bewundernde Zuschauer : daı-
poviog, und damit meint er denn den Grund dieses Thuns,
den Geist der Kraft, den duiney, Genius; überschauet er
aber die Thatenreibe eines Heldenlebens, oder, die Zeiten
hindurch, jene Folge grofser Menschen, der Helden
u. s. W., dann gedenkt er des Heros und der Heroen
(gov). Darum redet man auch von einer heroischen
Periode und nicht von einer dámonischen. So sprach
auch der Römer vom Genius, wenn er die Kraft be-
zeichnete, die einen Camillus und andere Helden in ent-
scheidenden Momenten getragen und gehoben, oder wäh-
rend ihres thatenvollen Lebens geleitet hatie; trat er
aber etwa in den Vorsaal (in das atrium) eines edlen Ge-
schlechts, und sah darin die Bilder grofser Männer und
Helden aufgestellt, so honnte er sie, im Ueberblick
der historischen Reihe, mit dem Namen Heroen be-
zeichnen.
In diesem Decomponiren und Personificiren des De-
componirten liegt der Schlüssel zur Erklärung einiger
durch das ganze Alteithum bindurchgreifenden Gewohn-
heiten. Nicht ohne Absicht haben wir daher zugleich
der Römer gedacht. Dafs eine potenzirte Individualität,
als Dämon , als Genius gedacht, nun selbst wieder zur
Person wird, dadurch ist das ganze Genienwesen, das
_
te
32
in den Mysterien so wesentlich ist, schon gewissermafsen
erklärbar. Doch, da dies noch bestimmt eine orientali-
sche Quelle hat, wie urten sich ergeben wird, so erin-
nere ich hier nur daran, um zu zeigen , wie dieser Theil
der Geheimlehre dem Griechischen Vollsglauben so zu
sagen die Hand reichte , und folglich gewissermafsen im
Mystischen populár war. Zweitens liegt hier der Grund
jener künstlichen Personificationen, wodurch dem Geist
eines Gottes oder Heros u.s. w. neben dem Gott und
Heros selbst ein eigenes Daseyn verliehen und, dem
Charakter des Grundwesens gemáfs, seine eigenthümliche
Form gegeben wird. Wir werden unten gelegentlich
eines Bildwerks mit Bacchischen Genien gedenken. Wer
weifs nicht,, wie viel Sinnvolles und Liebliches die le-
bendige Phantasie der Griechen in diesem Kreise geschaf-
fen hat. Diese mehrentheils geflügelten Jünglings- und
Knabenfiguren , deren Schläfe man mit Blumen bekränzt
sieht, und die zuweilen Schalen in den Händen tragen,
sind gleichsam die kleinen schönen Ebenbilder der gros-
sen Gottheiten, denen sie dienen. Mit Bewunderung
sprechen ‚die Kenner von mehreren dieser Kunstwesen,
z. B. Winckelmann in der Gesch. der Kunst (Il. p. 8i ff.
neueste Ausg.) von dem Genius in der Villa Borghese 15).
Diese Genien, in mehrerer Zahl einer cinzigen Gottheit
beigegeben, möchte ich die personificirten Momente,
Tage, Stunden eines göttlichen Lebens nennen, Es sind
darin die verschiedenen Stimmungen ergriffen, in denen
der menschlich gedachte Gott erscheint, bald milde und
freundlich, bald ernst oder wohl auch zürnend. Man
erinnere sich hierbei àn jene zürnende Isis, an den zor-
18) Man vergleiche die beiden Genien, welche den Kopf
eines Widders wagen — Frühlingsweihe, dem Juppiter -
Ammon gefeiert, auf unserer 'latfel XXXVII. vergl. Er-
klárung p. 26.).
55
nigen Hercules, und an die Begleiter des Aesculapius,
Euamerion (der gute Tag; s. II. Th. pag. 399.) , Teles-
phorus und andere. Drittens ist aus jener persouifici-
renden Volksdämonologie die spüterhin so sehr verbrei-
tete Sitte der Vergütterung (Apotheose) herzuleiten.
§. 5.
Doch ehe wir davon sprechen, miissen wir nach
Griechischen Begriffen jene Steigerung verfolgen,
wodurch der Heros zum Halbgott eder auch zum Gotte
wird. Hierbei mufs uns die Grundansicht gegenwärtig
seyn, wovon der Grieche bei allem religiösen Denken
ausging, Sein Standort dabei war immer die Erde, und
die Menschenwelt lieferte ihm seine güttlichen Wesen.
Die grofsen Gestalten, wie sie ihm in der Stammsage
erschienen , die aufserordentlichen Bestrebungen unge-
meiner Naturen geben ihm den Maafsstab dessen ,was
er göttlich nannte. Jene klare und scharfe Beobachtung
des ächt Menschlichen in Charakteren und Handlungen
leitete ihn zum Göttlichen hinauf. Was von mensch-
lichen Gesinnungen und Bestrebungen in seiner Art das
Edelste war, und was in diesem Sinne von Stammhelden
die Ueberlieferung zu melden hatte, das war heroisch
und dem Gôttlichen verwandt. Es lag mithin im Geiste
Hellenischen Vollsglaubens, von unten auf, aus der
umgebenden Mitwelt, den Blick aufwärts zu erheben,
und mit wachsender Zeitferne das gesteigerte Mensch-
liche immer höher und höher zu stellen, bis in den
Olymp selber hinauf. Das ist der Sinn und Ton des gan-
zen Griechischen Stammmythus und der Herogonie. Die
Genealogien der Regentenhiuser knüpfen sich durch
Géóttersühne an die hüchsten Wesen nationaler Religion
selbst an. Man wird sagen, dafs wir bisher dasselbe ja
von allen Völkern des alten Asiens und Aegvptens zu be-
merken Gelegenheit gehabt haben. Dasselbe wohl, aber
ir
uf, 2
>.
auf andere Weise. . In jéhen Religionen des Morgenlan-
des sind auch die Götter Väter der Stammhäupter, und
letztere sollen in ihrem Seyn und Thun die Vollkom-
menheit jener zu erreichen streben; und in so weit
steigt auch die populäre‘ Stammreligion von unten auf.
Allein dort tritt in der Summe des religiösen Denkens:
das Metaphysische mehr hervor. Die Epiphanien der
einzelnen Götter , die Lehensgeschichten der ins Fleisch
gebornen Wesen hündigen sich mehr ais periodisc he
Ausstrahlungen aus einem Grundwesen an, in das sie
zurückkehren, und von denen sie sich nie so ganz los-
trennen. Der mythische Lebenslauf eines jeden Natur-
gottes behält fast durch und durch die Farbe der Licht-
sphäre, aus welcher er ausgegangen. Der orientalische
Jahresgott z. B. wandelt fort und fort in dem Lichte des
Sonnenkreises, und giebt in jedem Zeichen und Lebens-
moment seine Abkunft kund. In den Griechischen Volks-
sagen und Volksgedichten von dergleichen Halbgörtern
ist das Nationalmensehliche so überwiegend und hat eine
so grofse Breite, dafs man in der Regel nur das mythisch
verherrlichte Abbild wirklicher Stammhelden und
der Heldenleben siehet, ausgeprügt mit einigen Grund-
zügen aus dem Cyclus physischer Deificationen. — Die
Griechischen Herakleen in ihrer nationalen Mensehlich-
keit liefern überzeugende Lewrise. So sehr trennt sich
in diesem Punkte die Griechische Volksreligion von dem
Glauben des Orients !?), dafs hier Könige der Vorzeit,
mit himmlischen Kräften ausgerüstet; in die ungemesse-
nen Räume der Geisterwelt entschwinden, während dort
im populär Homerisehen Bilde selbst der Olympus nur
die verberrlichte Copie eines Griechischen liónigshauses
ist, und Zeus nur ein gesteigertes ldeal des Stamm-
—_—
19) Vergl. oben I. 'Th. p. 296 ff.
35
königs. Der Griechische Mathus ist im~Ganzen nach dem
Mittelmaafs des Menschen gemessen ; in den Göttersagen
des Orients herrscht das Unendliche vor. Euhemerus
und seine Anhänger hatten gewifs diesen Scheidepunkt
ins Auge gefafst, als sie die ganze Zahl der Griechischen
Gottheiten für blofse vergütterte Menschen erklärten
(s. 11. Th. p. 599 ff.). Plutarchus (de Isid. pag. 359 seq.
p. í71 sqq. Wyttenb.) widersetzt sich diesem System aus
allen Kräften, und erklärt sich dabei für die Meinung
derer, die jene leidenden, trauernden und menschlich
atficirten Gottheiten, wie Osiris, Dionysus, Isis, Ceres,
für grofse Dámonen erklüren, d. h. für Wesen, in de-
nen das Göttliche nicht unvermisceht ist, die mit solchen
Hegungen der Seele, mit solchen Empfindungen des
Leibes begabt sind, dafs sie an Lust und Unlust und am
Loose der Menschheit Antbeil nehmen müssen u. s. w.
In .diesen Halbgottheiten ist die religiöse Anschauung
des Orients mit dem Griechischen Volksglauben ver-
mittelt, odev, wenn man will, hier trifft der Weg von
oben und der von unten zusammen, Ein und der andere
Stammheld erscheint als Heros im hóheren Sinne. Er
thut mehr als andere Heroen , er. schreitet aus den Grän-
zen der Menschheit hinaus, und væilbringt Gättliches.
Aut allen ruhet göttliche Kraft. Mit diesen Einzelnen
aber läfst der Volksglaube die ewigen Grundkräfte der
Natur, die Gettheiten (nach dem Elementendienst der
Griechen), auf aufserordentliche Weise in Verbindung
treten. Sie haben das Ungemeine vermocht, weil ein
Gott oder eine Göttin ihnen das Leben gegeben, so dafs
also, wie beim Heralilles, ihr eigenthbümliches Wesen aus
Gott war, oder weil, wie Philo (Quod omnis bonus liber
p. 6801. p. 46» Mangey) sagt, die sterbliche Mischung von
dem Unsterblichen in ihnen überu ältigt war. In dieser Be-
ziehung sprach man auch gerade in Betreff des Hercules
von einem reinen Leibe, von einem göttlichen Leibe
9.
(Julianus Ofat. VII. pag. 21$ sq. ed. Spanh.), und , zum
Beweise der Popularität dieser Vorstellung, sprachen
Dichter selbst von einem vergötterten Leibe, wie Calli-
machus (H. in Dian. 159.), der den Herakles, seinen Glied-
mafsen d. h, dem Leibe nach, Gott werden làfst. Der
ätherische Körpertheil, der vom Vater war, stieg auf
dem Oeta zum Vater auf. Daher ward Hercules auch
nicht, wie andere Heroen, in den Luft- und Mondkreis
versetzt, sondern er gelangte in die Versammlung der
Olympier selbst, und er ward als Hercules immor-
talis, wie er auf Münzen heifst, ein allgemeiner Gott
(vergl. Spanhcim zum Callimachus a. a. O.). Hier steigt
also eine Gottheit durch Zeugung ins Fleisch herab,
Von diesem Vereinigungspunkte aus geht nun orientali-
sche Göttersage und Griechischer Volksmythus jedes sei-
nen eigenen Weg. Während jene bemüht ist, die Götter-
emanation in physischen Bildern (wie z. B. dort beim
Attis, in den Symbolen vom Mandelbaume, von der Pi-
nie, von der Ziege, von dem Saamen des Zeus und von
der Entmannung) den Ungeweiheten offenbar zu machen,
zeigt der Hellene, wie sein Götterschn durch 'Phaten
Hellenischer Art seine göttliche Abkunft beurkun-
det, und dadurch sich endlich die Aufnahme zum olym-
pischen Vaterhause verdient habe. Dieses Streben
und Verdienen füllt den Heroenmythus der Griechen
aus, und so ist dieser Halbgott dem Heros und der Heros
dem Menschen als Vorbild hingestellt. Diesen Weg der
Bestrebungen von unten auf, wie ihn die Volks-
sage dem Griechen vorzeichnet, fafsten Einige in fol-
gender Idee auf, die zwar philosophisch, aber doch ganz
im Geiste des gemeinen Glaubens gedacht ist: Wie die
Körper stufenweise in einander übergehen, so, sagten
sie, sey es auch mit jener Vergötterung beschaffen. Denn
wie aus Erde Wasser, aus Wasser Luft, aus Luft Feuer
sich entwickeln durch eine Steigerung der Natur, eben
A
“7
so werden die besseren Seelen aus Menschen Heroen,
aus Heroen Dämonen. Auf der Stufe der Dämonen wer-
den sodann einige wenige Seelen durch lange Láuterung
ganz und gar der Góttlichkeit theilhaftig; während an.
dere auf jenen Höhen sich nicht halten können, und
wieder zur menschlichen Natur zuriickfallen (Plutarch.
de Oracul. defect. p. 415. B. p. 699 Wyttenb.). Jenen
Weg der Läuterung hatten, wie wir sahen , die orienta-
lischen Religionen nach ihrer Weise aufgefafst und zu
einer Hauptlehre gemacht; und daher haben ihn die
Griechischen Mysterien, die folglich in dieser Heroen-
lehre sich mit dem Volksglauben freundlich berühren.
Daher auch Griechische Nationaldichter, wie Pindarus,
diese dem gemeinen, wie dem höheren Glauben gemein-
schaftliche Wahrheit so trefflich benutzen konnten. Dies
werden wir unten bei den Bacchischen Mysterien zeigen,
Vorjezt verfolgen wir noch die populären Vorstellungen
von dem heroischen Stufengange zum Géttlichen, —
Vom historischen Standpunkte, den Volkssage und
Epos nahmen, ist mit den letzten Helden, die vor Troja
gestritten, die heroische Zeit geschlossen, nnd das
gegenwärtige ist das eiserne Geschlecht. Gleichwohl
blieb die Vorstellung herrschend, dafs auch aus diesem
späteren Weltalter einzelne Treffliche die Heroenwürde
verdienten, oder zu eiser noch erhabeneren Stufe. hin-
aufstiegen. Schon Cuper (Observ. pag. 33o ed. Lips.)
hat daran erinnert, dafs Eunapius vom T'yaneischen
Apollonius, wie von einem Mittelwesen zwischen Gott
und Mensch redet. Dahin gehóren auch die Aeufserun-
gen der Alten über Pythagoras, welchen Xenocrates
und Andere für Apollo's Sobn hielten; Andere hingegen
für einen Geist, der auf aufserordentliche VVeise vom
Apollo influirt worden sey (Jamblich. vit. Pythag. pag. 5
ed. Kust.). Doch weil gegen die Popularität dieser Sagen
von Einem und dem Andern Zweifel erregt werden könn-
ten, so erinnere ich an das aus Pausanias (VI. 9.) oben
angeführte Orakel, das den Bewohnern von Astypaläa
sehr charakteristisch verkündigt, ihr Mitbürger Cleome-
des sey der letzte der Herven, und sie sollten ihm
Opfer bringen als cinem, der nicht mehr sterblich sey.
Das war also ein Heros aus der zweiundsiebzigsten Olym-
piade. Aus der sechsundsechzigsten stellt Athen ein
Heroenpaar in seinem Harmodius und Aristogiton auf.
Wehigstens versetzt jenes berühmte Scolion des Samiers
Callistratus ( beim Athenius XV. p. 695. B.), das doch
als ein rechtes Volkslied gelten mufs, den Harmodius in
die Inseln der Seeligen neben Achilles und Diomedes.
So lernen wir auch aus Charon beim Plutarchus (de vir-
tutib. mulier. p. 45. s. Historicc. graecc. Fragmm. p. 111.)
eine Heroine Lampsace kennen, die gegen die ein und
dreifsigste Olympiade gelebt haben mufs ; und so liefsen
sich, wenn es nüthig wäre, noch viele Beispiele häufen.
Das letzte kann auch als Beweis der im Griechischen
Volksdienste mitunter eingeführten Vergötterung
der Heroen gelten. Gedachte Lampsace hatte, gegen
das harte Iicgchren ihrer Landsleute, der Debryker,
eine ganze Culonie von Phocáern vom Tode gerettet.
Als die Retterin. bald darauf gestorben war, hatte die
dankbare Gemeine ihr Heroenchre zuerkannt, — Nach ei-
niger Zeit ward in öffentlicher Versammlung besch!os-
sen, sie als Göttin zu verehren. Vielleicht ward dieser
neue Beschlufs durch eine Sage motivirt,. dafs die edle
Retterin von einer Gottheit ihr Daseyn habe. Es sagt
zwar der genannte Logograph davon nichts. Auch finden
sich sonst Spuren von wirklicher Vergütterung Griechi-
scher Heroen, die nicht Güttersóhne waren, So ward
z. B. Menelaus von den Bewohnern von '"'herapne, ne-
ben der Helena, erst als Heros, dann als Gott verchrt
(lsocrat. Helen. encom., cap. 27. fin. p. 359 Lang. vergl.
Panathen. 20. pag. 414.). Ein Exempel von zwiefacher
AN
39
Verehrung Eines Wesens haben wir oben (IT. pag. 204.)
am Herakles gesehen. — Schriftsteller , wie Herodotus
und Plutarchus (de [sid. p.361. E. p. 482 W yttenb.),
die die Identität des ausländischen Gottes Herakles
mit dem einheimischen Heros einsahen , billigten diesen
doppelten Dienst. Im gemeinen Glauben aber hatte die
aul diesem Sohne des Zeus ruhende Gotteskraft es ihm
möglich gemacht ,-die Wohnung im Olympus zu verdie-
nen. Helena, des Juppiter Tochter, wird aus einer
Halbgóttin in der Folge auch zur Göttin. Den Diome-
des, hörten wir, versetzte ein berühmtes Volkslied un-
ter die übrigen Heroen in die Inseln der Seeligen. Allein
eine schr alte Sage, der Ibycus und Pindarus folgten,
kannte ihn als Gott (Pindari Nem. X. 12. ibiq. Scho-
liast.). Athene hatte ibm die Unsterblichkeit verliehen,
deren sein Vater Tydeus durch eigene Schuld verlustig
geworden war. Im Thebanischen Hriege hatte ihn Me-
lanippus verwundet. Darüber ergrimnte er sosehr, dafs,
als Ainphiaraus ihm den Kopf des erschlagenen Melanip-
pus brachte, er dessen Hirn oder, nach Euripides (im
Meleager; s. Schol. laud. ver;l. Valchenaer Diatrib. ad
Euripid. Reliqq. pag 142.), gar von dem Fleische afs.
Diese Fioheit ward mit dem Verlust der Götterwürde
bestraft, die nun der größere Sohn erhielt. Nachdem
dieser unter den Ersten vor Troja mitgekämpft hatte,
kehrt er nach Argos zurück. Weil ihm aber dort von
den Seinigen neue Gefahren drohen , so vertraut er sein
Glück noch einmal der See, und kommt nach langen Irr-
fahrten endlich nach Apulien, wo er, mit des Königs
Paunus T'ochier vermählt, ein neues Argos (Argyrippa,
Arpi) gründet, Dort in seiner Wohnstadt, aber auch
zu Tlhurium, Metapont und an vielen andern Orten 1ta-
hens, ward er als Gott verehrt (Polemo apudScholiast.
Pindar.a. a. O.). Er ist den Dioscuren zugesellt, und
theilt mit ihnen gleiche Ehre (Ibyeus ebendas.). Kein
/
Geschichtschreiber thut seines Todes Erwähnung (eben-
das.). Nach Andern hatte man zuerst auf die von ihm
benannte Insel Diomedea (jezt Isola di Tremiti, von den
Evdbeben) den Platanus verpflanzt, um des gestorbenen
Heros Grab damit zu schmücken. Seine Gefährten , mel-
dete eine andere Sage, waren in Vögel verwandelt, und
erfüllten mit kläglichen Lauten die ganze Gegend. Aehn-
liche Mythen erzählte sich das Griechische Volk von
den Vögeln, die um das Grab des Achilles herumflogen,
von denen, die man in Aetolien um den Hügel des Me-
leager erblichte, und von denen, die aus des Heros
Memnon Asche aufgeflogen waren (s. I. Th. p. 457 ff.).
Wer, den Geist des Griechischen Volksglaubens kennt,
und mithin weils, wie er allenthalben, so zu sagen, aus
dem vaterländischen Boden aufkeimte, wird nicht in
Abrede stellen, dafs hierbei zuweilen physische Ursachen
mitwirkten: d. h. dafs neue Vägelarten, die man nach
dem Tude des Stammfürsten in dessen Vaterlande hie
und da erblickte, Veranlassung wurden , sie mit dem
Andenken des Heros in Verbindung zu setzen; und es
zeigen sich davon manche Spuren (s. Heyne Excursus I.
ad Virgil. Aeneid. XI. pag. 636 sq.). Allein gerade die
Diomedeische Sage, so wie das öftere Wiederkehren des-
selben Zugs in andere, hann uns einen Wink geben,
dabei nicht stehen zu bleiben. Vögel waren im höheren
Alterthume schon natürliche Bilder der Mittelwesen, der
Dämonen und Heroen, die man sich , jenen ähnlich, als
Bewohner des Lufikreises dachte. Jene wachsamen und
scharfsehenden Geister, die als göttliche Hüter und Bo-
ten über Ländern und Menschen schweben, dachte sich
der alte Perser unter dem Bilde von Vögeln 20). Mer-
ken wir nun auf die Vorstellungen der Perser von ihren
20) S. I. Th. p. 723 ff. vergl. II. p. 936.
y
10
41
Feruers, als den göttlichen Theilen der Menschenseele,
als unsterblichen Wesen und Wächtern über die Guten
(s. I. Th. p. 704.) , und erinnern uns des Mythus von den
aus der Asche des Heros aufsteigenden Memnonischen
Vögeln, so werden wir es wohl nicht so ganz unwahr-
scheinlich finden, dafs das Alterthum unter dem Bilde
jenes heroischen Geflügels die Immaterialitát und Rein-
heit, so wie die Vachsamkeit jener verkhlárten. Seelen
hoher Stammhelden verstanden wissen wollte. Im Mythus
vom Diomedes ist zugleich der Gegensatz nicht undeutlich
angedeutet. Jene materielle Gesinnung des Tydeus,
jene Wuth , die ihn sogar bis zum Menschenfleischessen
treibt, solche Gráuelthat macht diesen rohen, thierischen
Aetolier zu der Gótterwürde unfáhig. Dagegen der edlere
Sohn lebt als Gott, und ist vom Tribut aller Sterblichen
befreit; oder, ist auch sein Leib gestorben, so erheben
sich über dem Grabe, neben dem Platanus, die gleichsam
mehr ätherischen Vögel. Wersich erinnert, was wir oben
(I. Th. p. 107.) von der bildlichen Bedeutung des Schmet-
terlings in Dezug auf die Seele bemerlten, wird diesen
Ideengang nicht unwahrscheinlich finden.
Der erste unter den Lichtgeistern , Ormuzd, hatte
unter den Vógeln den Habicht uad Adler zum eigenthüm-
lichen Bilde (s. I. Th. p. 723.). Die Griechen und Ró-
mer kannten den letzteren als Vogel des Juppiter; und
auch dem Römischen Imperator, als dem irdischen Jup-
piter, war der Adler geheiligt. Hiermit hing auch die
Sitte zusammen, dafs man bei der Apotheose eines Rü-
mischen Haisers von dem angeziindeten Hatafalk auf dem
Ma sfelde einen Adler emporsteigen liefs, der die Seele
des Kaisers gleichsam sichtbarlich zum Olympus hinauf-
trug *'). Dafs die Griechen schon die Idee von dem die
21) Dio Cassius lib. LVL. 42. LXXIV. 5. Herodian. IV, 2,
22. vergl. oben I. Th. p. 443.
Seele emportragenden Adler hatten, dafs daher auch
auf der Pyramide, die Alexander dem Hephästion an-
zünden liefs ?), über den Fackeln Adler angebracht wa-
ren, und dafs das Ganze sich in orientalische Ideen und
symbolische Gebrüuche im. Dienste der grofsen Sonnen-
gótter, wie z. B. des Phónistrügers Heralles, verliert,
leidet keinen Zweifel, und bedarf, nach dem Obisen,
keiner weiteren Ausführung. Ueber die Ausbildung der
Vorstellungen vom Vergôtterungsadler bis zu dem Mit-
telalter herab hat Bôttiger ( Vorles. über Kunstmythol..
p. 68.) die Belege beigebracht.
| Dieser Gebrauch der Apotheose, wie sie in Rom
eingeführt war, geht zwar zunüchst von dem Etrnvischen
Genienwesen aus , dessen ich im Vorhergehenden schon
gedacht habe; dieses selbst aber beruht am Ende auf
Vorstellungen , welche in der ganzen Vorwelt verbreitet
waren, und durch ältere Thracische und Samothracische
Institate zu den Griechen wie zu den Etrusherna lamen.
Der Sinn, in welchem ein Mensch handeit, die Gewohn-
heit seines Lebens, die Kraft, womit er, wenn es gilt,
thitig ist, das Alles hiefs, nach altem Glauben, sein
Genius. Er heifst der Begleiter des Lebens (ö7zadis
oder ovroxadoc ; Jamblich. vit. Pythag. cap. 2, 6. pag. 5
Hust.), und in wie fern er die Seele zum Hóheren lei-
tet, des Lebens Mystagog (uvovayoyós; vov Diov; Me-
nander beim Ammianus Marcellinus XXI. 14.) Er wird
auch wohl der Gott der menschlichen Natur (naturae
Deus humanae ; Horat. Epist. II. a. 188.) genannt; und
das Gestirn, in dem der Mensch geboren worden, und
unter dessen Einflufs er steht, ist doch wieder. unter die
Leitung des Genius gestclit (cbendaselbst). hn also zu
22) Diodor. XVIT. 115. vergl, Saintecroix Examen critique
dcs Hist. d'Alexaudr. p. 465 sq«q.
gewinnen und zum Freunde zu behalten , war eine Haupt-
sorge des Lebens, ihn, wenn er sich verfinsterte, zu
versöhnen und zu erheitern, ein Hauptgeschätt. Nach
der Unbestimmtheit, die diesem Theile des Volksglau-
Lens eigen ist, nehmen Einige Einen Genius als Vor-
stcher jedes Menschen an, der bald hell, bald dunkel,
bald weifs, bald schwarz sey (wie Horatius a. a. O.);
Andere zwei, einen guten und einen büsen. Nach meh.
reren Spuren in alten Schriftstellern und in Etrurischen
Bildwerken zu scbliefsen, war dieser Dualismus in der
Dimonenlehre schr alt 23), Hiernach ward unter beiden
ein Streit gedacht, wer: von ihnen über das Leben eines
Menschen vorwalten sollte. Im Griechischen Volks-
glauben tritt, wie die Dàmonenlehre überhaupt, so auch
diese Zweiheit wenig hervor. Von einem Genius, der
Uber die Perioden und. Momente des Lebens waltet, fin-
den sich Spuren. So spricht Callimachus von einem
Dimon des morgenden Tages (Aaíuova vic ed olde Tov
adpror ; Epigramm. ur. XV. p. 288 ed. Ernest.) und Ho-
ratius. (Epist. IL. 1. 144.) von einem Genius, der des
kurzen Lebens eingedenk ist. Daher die Ideen vom
Genufs des Lebens mit denen vom Genius zusammen-
schmolzen, wie die Rómische Sprache in ihrem «n4ul-
gere genio, defraudare genium» und ähnlichen zu er-
kennen giebt, Je stärker nun dieser Vorsteher des- Le-
bens ist, und je günstiger dem Menschen, über den er
waltet, desto vollkommener und glücklicher ist dieser.
Wo der kriftige Genius mit standhafter, treuer Vor-
liebe. alle Handlungen eines seltneren Menschen zum
Ruhm und Heile lenkte, da verehrte der bewundernde
Mitbürger den göttlichen Geist , und so ward ein solcher
Auserwiklter (daipoviog), wie jener Euthymus von den
23) S. unsere Tafel LIX, nebst der Erklärung p. 61. vergl.
oben IL Th, p. 955, 869.
Locriern , auch wohl als Gott nach seinem Tode ange-
betet. Die Geschichte der Ptolemäer in Aegypten ge-
denkt ühnlicher Vergütterung. Der Sohn beehrte den
Vater, seinen Reichsvorfahr damit. Die Achäer wid-
meten ihrem Aratus nicht blos Heroendienst, sondern
fórmliche Opfer (Casaubonus ad Sueton. Caes. cap. 88.).
Bei jeder ausgezeichneten Natur betrachtete man mit
Verehrung ihren hohen Genius. Das theilte sich ganzen
Menschenclassen und Ständen mit , wie dort den Heroen
in der Homerischen Welt. Im alten Rom standen der
Herr und die Frau eben so hoch im Verhältnifs zu ihren
Sclaven. Es ward daher Sitte, dafs letztere bei den Ge-
nien ibrer Herren, und die Mägde bei den Genien (Juno-
nes) ihrer Frauen schwuren #4). Hiermit hing die Con-
secration verstorbener Aeltern in dev Privatreligion ihrer
Kinder zusammen, und damit die Vergótterung des Julius
Cäsar durch Augustus (Casaubonus a.a.O.). Nunschwur
auch das ganze Römische Reich beim Genius des Angu-
stus und seiner Nachfolger. Aus diesen unter Griechen
und Römern verbreiteten Vorstellungen ist die Sitte der
Apotheose Römischer Kaiser erwachsen. In früheren
Zeiten war das Beispiel des Romulus das-einzige. Die
Griechen. gaben nachher das erste Exempel dadurch,
dafs sie Römischen Feldherren und Proconsuln Altäre,
ja zuweilen Tempel widmeten , und auch der personificir-
ten Roma göttliche Ehre erwiesen. Nun ward der Ge-
nius des Augustus mit der Fortuna von Rom gemein-
schaftlicher Bewohner von Tempeln, bis man endlich
zur vóliigen Apotheose der Kaiser überging; wobei die
Vorstellung vo: Vater des Vaterlandes und die in man-
chen Hümischen Privatreligionen schon übliche Conse-
cration der verstorbenen Aelterp mitwirhte, Diesen
24) S. oben II. Th. p. 546. 592,
45
Ursprung der Vergötterungen Römischer Kaiser hat,
nächst Casaubonus, Wieland zu den Briefen des Ho-
ratius (II. p. 78 ff. verglichen mit p. 178.) sehr befrie«
digend erwiesen 25).
So hatte die Genienwelt ‘auf das tägliche Denken
und Heden des Etruskers und Hàmers den wichtigsten
Einflufs. Nach dem geheimnifsvolleren Geiste ihrer Re-
ligion wufsten beide Vólher sich viel damit. In allen
Lebensaltern, man móchte sagen, auf jedem Schritt und
Tritt waren sie jener Mittelwesen gewärtig, die in gei-
sterhafter Unbestimmtheit, wie in Wolken, um sie
schwebten. Der Grieche überliefs den Unterricht über
diese Geisterwelt der systematischen Geheimlehre und
dem Mysteriendienste der ihn an gewissen Festperioden
aus dem Kreise des gewohnten Denkens entrückte. Ge.
meinhin , im Laufe des gewöhnlichen Lebens und ôffent-
lichen Tempeldienstes, blieb er auch in diesem Artikel
seinem Grundtriebe getren, die gesamte Gütterwelt
recht menschlich zu nehmen. Daher sagten ihm jene
Dämonen weniger zu, weil sie keine Geschichte hatten,
Mithin begnügte sich der Volksglaube mehrentheils, sie
ein. für allemal an den Anfang der Zeiten zu verlegen,
und sich desto mehr an die Heroen zu halten. Diese
hatten ihren Mythus und Geschlechtsregister. Von einem
jeden wufste man, was er gethan und gelitten, wo er
gelebt und welche Linder er zum Schauplatz seiner
Thaten gemacht habe. Da hatte doch Alles seine Gestalt
und Haltung, und wenn auch in den Kräften und Wir.
kungen , die das Voll! den Héroen zuschrieb, zumal bei
nächtlicher Weile, das Dämonische , Schauerliche mit
hindurchspielte, so waren doch auch die Geister dieser
hohen Stammherren in eine mehr menschliche Nähe ge-
25) Vergl. auch Mitscherlich Commentt, de Apotheos.
46
rückt, und der Hellene konnte hoffen, sie durch gehó-
rigen Dienst in menschenfreundlicher Stimmung zu er-
halten. Wie dieser Heroendienst beschaffen war,
wollen wir nun mit VYenigem bemerken.
$. 6.
Es ist oben schon ein Gesetz des Draco (beim Por-
phyr. de Abstin. IV. p. 380 ed. Hhoer.) angeführt wor-
den, das die Athenienser anwies, den Géttern und ein-
heimischen Heroen jihrliche Opfer von Erstlingsiriichten
und Huchen zu bringen. Hier werden die Heroen gleich
nach‘ den Göttern genannt, ohne Erwähnung von Dä-
monen. Das geschieht auch in andern Stellen der Alten,
z. D. im Fragment des Heraclitus 4°) , wo auf’die Se0t gleich
die 4poec folgen. Vielleicht möchte man die Dämonen in
den 9eoí inbegriffen denken. Wahrscheinlicher und mehr
im Geiste Griechischer Religion sind vielmehr in solchen
Erwähnungen des öffentlichen Dienstes die jpoec mit den
dœiuoves Ziemlich verschmolzen. Auch diese bohen Lan-
desheroen sind Schutzgeister, Aufseher und Wächter,
die über den Ländern schweben , und folglich ein dämo-
nisches Mittleramt verrichten. Der Glaube, defs ein
solcher. Seeliger erschienen sey und seinen Landsleuten
Vorzeichen wegen der Zukunft gegeben babe, und son-
stige Winke, so wie die Hoffnung‘, dafs er auch nach
dem Tode noch für ihr Wohl bemiibt sey, mochten
wohl den ersten Anlafs zu diesem Heroendienste gegeben
haben (Salmasius ad Spartian. p. 39 sq.). Der gewöhn-
liche Heroendienst war im Wesentlichen Todiendienst,
und von der Verehrung der Götter bestimmt uuterschie-
den. Wir wollen einige Fingerzeige in Betreff dieser
26) Beim Origenes gegen Celsus VIF. 65. p. 740 E. dela Rue.
Derselbe Heraclitus nennt ebendascelbst Vf. 12. p. 659. den
Genius (ózsov) ausdrücklich.
47
Classification im Allgemeinen geben, und sodann das NS-
thige vom Heroeneultus beifügen. Porphyrius in der
Hauptstelle (de antr. Nypmh. cap. 6. pag. 7 ed. Goens.)
bemerkt, den O] ympischenGottern weihe man vaovg,
£05 und fopodc; den chthonischenund den Heroen
éoydonc; den hypochthonischen Gruben (852p0v¢)
und unterirdische Capellen (péyapa); der Welt (und
den Nymphen, wie er sich vorher und nachher erklirt)
Grotten (dptpa), Der Begriff der Seol ySôvror ent-
springt aus den verschiedenen Bedentungen des Wortes
x*6v'selbst, welches zwar mit y5 häufig sinnverwandt
ist; doch bekanntlich auch von diesem Worte so unter-
schieden wird, dafs /% die bewohnte und hebaute Erde,
x90» hingegen die ganze Masse des Erdballs, theils den
Erdboden mit den unterirdischen Theilen bezeichnet;
daher es auch häufig die Unterwelt selbst bedeutet (Her-
mann ad Euripid. Hecub. 70.). Eben so sind Seoi 4 9ó-
vio oft ganz synonym mit 9eol émiyógior, iveónior, d. h.
mit órtlichen Wesen, die einer besonderen Verehrung
gewürdigt wurden, hurz mit Landesheroem, wofür
auch die Lateinische Sprache die Wörter Dii locales
und, wie es scheint, terrestres gebraucht 27), Der
Begriff ist also der von irdischen Göttern, die um
Erde und Erdbewohner sich näher bekürmmern und ihnen
näher sind. Daher heifsen sie auch manchmal bestimm-
ter é31 y Sóvvoc (Salmasii Plin. Exercitt. p. 59.). Háu-
figer jedoch bezeichnet 2eoi.y9 óviot unterirdische
Gütter, wie denn in ;2ó»ioc auch sachlich der Begriff
von Tod, Grab und Unterwelt liegt; welches, wenn es
nöthig wäre, durch unzählige Beispiele (wie 7;9óru
Aoûtea Hesych., das Waschen der Leichname u. s. Ww.)
bewiesen werden hónnte. Es ist auch bereits von An-
27) Scholiast. Euripid. Hecub. 79. vergl. Caperi Observv. I.
12. p. 94. und Jac. Gronov ad Herodot. VI. 134.
49
dern bemerkt, wie oft das Prádicat y8drvoc bei einzel-
nen Götternamen die unterirdische Natur des Gottes
bezeichnet, wie z, B. Zeds y9óriog den Pluto, Epuñs
xSörıoc den Todtenbegieiter Hermes u. s. w. Man ver-
gleiche darüber, aufser dem Angeführten, die inbaits-
reichen Bemerkungen von Grüvius (ad Hesiod. “Epr.
465. und L. Bos. Observv. critt. cap. 11). Genauer wer-
den zuweilen die unterirdischen Gottheiten xaraxSórior
und ?$xoySórv«ov genannt, wie auch Porphyrius in der an-
geführten Hauptstelle that. Diese drei Classen der olym-
pischen , chthonischen und hypochthonischen Gottbeiten
bezeichnete der Römer durch Diti superi, terrestres
und infernales (Festus in altaria p. 20 Dacer.). Ob
auch die Schatten der Verstorbenen, die Manes, vn 0-
X9óviov heifsen. kann gefragt werden. Bei späteren
Schriftstellern heifsen sie häufig xavaySóviow Juipoves
und Oeipovec Bpotoi, seltener, wie es scheint, jenes
(Dorville ad Chariton. p. 265 ed. Lips.).
In der obigen Classification des Dienstes bei Porphy-
rius werden, wie bemerkt, die Heroen und irdischen
Gütter nicht getrennt. Die Olympier, sagt er, haben
yaoi zal Edn (templa et delubra) und fuot (altaria);
die irdischen Götter aber o x&go:..— Dieses Letztere
bezeichnete eigentlich Gruben mit darüber ge-
legtem Flechtwerk, um darauf die T'odtenopfer zu
bringen, sodann aber auch niedrige Altüre, die
nicht von Stein waren. Die Altüre der Olympier waren
steinern und hoch ; in Betreff des Letztern machte man
nur bei den Altáren dev Vesta, des Meeres und der Erde
einen Unterschied. Jene hohen Altüre hiefsen eben da-
her Altaria, die der Heroen und irdischen Gótter nur
ioyápav, Heerde, wie man denn mit demselben Worte
jeden Feuerheerd bezeichnete 8). Meyapor und paya-
28) Ammonius in fwpds und dazu Valckenaer pag. 47. vergl.
19
gov 2%) endlich heifst zunächst jede Wohnung. Beson-
ders bezeichnete man jene Souterrains oder unterirdi-
schen Capellen damit, die am Feste der T hesmophorien
eingerichtet wurden, um der tellurischen Ceres (Ange
vip xSovia) die herkömmlichen mystischen Schweinopfer
zu bringen :0. Man weihete den Heroen einen beson-
deren, abgestechten Ort, innerhalb welchem die Ge-
bräuche ihres Dienstes verrichtet wurden. Nach dem
Grundbegriff eines Todtendienstes enthielt jener gewei-
hete Raum oft blos ein Cenotaph oder den wirklichen
Grabhügel und daneben jene niedrige Ara (doyapo ).
Zuweilen widmete man einem Heros auch einen Hain
(GXcoc; Servius ad Virgil. Aeneid. 1. 445.), seltener
einen Tempel. Jener geweihete Raum, mit oder ohne
Hain oder Tempel, hiefs nun véuevog, und nach Pollux
Anmerkung (Onomasticon I. sect. 6. P- 5 ed. Hemsterh,)
bei den Heroen ozxóg 3!) Häufig wurde ein solcher
heiliger Ort, wo man den Heroendienst verrichtete,
Hgósvov, Hpdiov (wie der Jonische Hippocrates
schreibt; s. Foésii Oeconom. Hippocr. in v.) oder Hocor,
dessen Anmerk. zum Schol. von Euripid. Phoeniss. 281,
Not. 75. vergl. Not. 77. pag. 634 sq. wobei zugleich-bes
merkt wird , dafs der Sprachgebrauch der Tragiker nicht
so genau unterschied,
29) Aelius Dionysius bei Eustathius zur Odyss. I. 27. pag. 14
ed. Basil.) behauptet, dafs man den Ort, wo die mysti4
schen Opfer geschahen, Máyagev , nicht préyaçes , schreis”
ben müsse. Ueber die MHöyaca der Dämonen , ingleichen
Über die éoxdeæ 8, noch Eustathius zur Odyss. Vl. fin.
p. 265 ed. Basil.
30) S. Herodot, VI. 134. und dazu die Anmerkungen und
Nachweisungen von Valckenaer; Ammonius a. a. O. und
Photius Lex. gr. in voc.
31) Ueber dieses Wort ist aufserdem Eustathius nachzusehen
zur Odyss. IX. 219. p. 349 ed. Basil.
ll
auch 'Hodo» oder jede» urÿuæ genannt 52), Freilich
Lonnte ein solcher Ort auch icpdvy heifsen 3%); im be-
stimmteren Sprachgebrauch unterschied man jedoch , was
besonders zu bemerken war , genau zwischen beiden Wór-
tern. Das letztere bezog sich auf Gütterdienst (Pollux 1.1.) ;
das zeigt die Erzählung des Conon beim Photius (Narrat. 45.
p- 47 Kann.) sehr deutlich. Die Thracier, heifst es dort,
bestatteten des Orpheus Haupt unter einem opa, uud
steckten ihm einen geweiheten Baum (véusvog) ab, der
eine Zeit lang ein $pdov blieb, nachgehends aber ein
iepóy ward, denn man verehrt ihn mit Opfern (Svoiais)
und mit allem dem ; was sonst den Gôttern vorbehalten
ist. Ein solches Heroum bekam natürlich in der Sprache
noch besondere Bestimmungen, wodurch man an das
verehrte Individuum erinnerte. So lesen wir z. B. im
Hesychius (in voc.) von einem Hippothoonteum (Tzno-
Soórctiov) oder jenem Heroenmale, das dem Sohne des
Poseidon, Hippothoon, gewidmet war. Zuweilen, und
vielleicht nur spüterhin, scheint %2@0y für jedes Grab-
mal gesetzt zu werden, Dafs Hesychius und Suidas , die
dieses Wort durch urnuesiop allgemein erklären, so zu
verstehen sind, müchte ich nicht behaupten. Die In-
schriften geben aber Beweise, dafs Manche ihre verstor-
benen Angehörigen, sogar Väter ihre Sóhne, Heroes
auf Grabsteinen nannten (Heinesius ad Inscriptt. Class.
VIL. pag. 201.). Die beilige Scheu , womit die Griechen
die Heroendenkmale betrachteten, drückt sich in meh-
reren Gesetzen aus. Áls man der T'ochter des Temeuus,
Hyrnetho, ein Heroum weihete, wurde durch ein Gesetz
selbst das Wegtragen von Aesten, die der VVind von
——
82) S. die Abhandlung von Sallier über dieses Wort, in
den Memoir. de l'Acad, d, Inscr. 'T. VII. p. 18) sq.
33) S. ebendaselbst p. 140 der Hifsmannischen Uebersetzung.
AO
21d
den Báumen ihres Haines abgerissen , für eine straPwtüra
dige Handlung erklärt (Pausan. Corinth. cap. 28. Ç. 3.),
und in Athen stand gar der Tod darauf, wenn jemand
aus einem Heroenhaine ein Kichenstämmehen aushäuete
(Aelian. V.H. V. 17.). Darum war denn auch Verzweif-
lung und ein gewaltsamer Tod durch eigene Hand, die
den Spartanischen Hànig Cleomenes traf, eine gerechte
Rache, die der Heros Argos nahm, weil dieser König
einst ein aus der Schlacht geflüchtetes Argivisches Corps
mit dem heiligen Haine habe verbrennen lassen 54) So
deutete wenigstens das Volk von Argos.
Die Art die Heroen zu verehren war wesentlich ver«
schieden vom Gütterdienst. Bei letzterem schlachtete
man das Opferthier neben oder auf dem Altare (&ouóc),
so dafs dessen Kopf rückwärts nach dem Himmel zu ge-
bogen wurde. Solche Opfer hiefsen 9veíai Den He
roen wurden die Opferthiere auf jener niedrigen Ara
dargebracht, oft so, dafs das Blut in eine darunter be-
findliche Grube lief. Jederzeit wurde hierbei auch der
Hopf der Opferthiere zur Erde niedergebeugt, und sie
hiefsen deswegen £vvouo 3. Die Handlung selbst, wie
bemerkt ein Todtenopfer , hatte auch mit diesem densel-
ben Namen évaytopds. Es gab eigene Ritualbücher. So
handelte z. B. ein Capitel von dem Exegeticus des Cli-
demus von diesen Gebriuchen (Athenians 1X. pag. 5:8
Schweigh). Wenn die Schriftsteller beide Arten des
Dienstes genauer unterscheiden wollen, brauchen sie je-
desmal das Svaiar vom Gôttercultus und Értoua und
Evaylopata vom Heroendienst (z. B. Herodot. Il. 44.
Pausan, Il. 11, ÿ. 7. und die angeführte Stelle des Conon).
31) Pausan. Lacon. cap. 4, $. x. Vergl. Herodot, V. 42. Vf,
78 seq.
35) Schol. minor. ad Iliad. I, 459. Scholiast. Apollon. I. 597,
-
Häufig wird jedoch auch Svoía auf die Heroenverehrung
übergetragen 39. Von den Phocensern lesen wir, dafs,
sie éinen Stammfürsten (&oyzyéruc) in einem Heroum
jeden Tag mit einem Opfer verehrten. Das Blut gossen
sie durch ein Loch in das Grab hinab, und das Fleisch
genossen sie (Pausan. X, 4. $. 7.)- Sonst hören, wir von
folgendem Unterschiede: den Góttern opferte man am
Tage des Neumondes, den Dämonen und Heroen am
Tage nachher. Auch ward letzteren zu Ehren der zweite
Becher gemischt (Plutarch. Quaest. Rom. XXV. p. 270 A.
p. 105 Wyitenb.). Auch opferte man den Göttern gegen
Morgen (wie denn alle Altäre der Götter gegen Osien
standén; Vitruvius de -Architect. IV. 8.); den Heroen
aber gegen Abend (Pindari Isthm. IV. 110. und daselbst
der Seholiast). Es wurde daher jenem Enkel des Ascle-
pius," Alexanor, schon als Heros nach Sonnenunter-
gang geopfert, vielleicht ohne jene:oben (1. pag. 403.)
vermuthete nühere Beziehung auf heilsamen Schlaf 7).
‘Auch auf andere Weise verehrten die Griechen das
Angedenken, ihrer Heroen, Sie benannten zuweilen
ihre Volkhsabtheilungen nach ihnen. Deispiele finden
sich bin und wieder, auch bei andern Nationen des Al.
terihums.: Athen stellt ein recht charakteristisches Éxem-
pel auf: Bei dem Kampfe der Factionen des Clisthenes
36) Z. B. im Orakel bei Pausanias vom Heros Cleomedes
VI. 9. §. 3.; bei Diodorus 1V. 1. vergl. 39. wo der rich-
tige Ausdiuck steht, und an beiden Stellen Wesselings
Anmerkungen , und andere Beispiele , die Cuper in Ob-
servv. J. 12. und H!. 16. nachgewiesen, hät,
87) Auch, hekränzte man die Pforten oder Thüren zu den
Caypellen der Heroen , gerade so, wie wir oben be: der
Verebrung der Laren unter den Rônern gesehen haben;
s. Hl. 'Th. p. 599. und die dort angeführten Commentait,
Herodott. P. 1. p. 255. Not,
39
+3
und Isagoras ergriff der ersfère, um sich das Volk desto
geneigter zu machen, das Müttel, die Anbänglichkeit
desselben an seine Heroen Æu'benutzen. Er schaffte
mithin die vier alten Namen. 35) der Stürime (d$vAai) ab,
— ——À
88) Nach Herodotus und Euripides von den Namen derSóhne
des ion benannt; nach Plutarchus und Strabo aher wahir-
scheinlicher von ilirem Stand und Gewerbe: Erst. die
Adelichen , wôrilich die Glänzenden (Illustres), dann
die Ziegenhirten, idrittens die Landbauern und
endlich die Krieger (Herodot. V. 66, und daselbst
Wesseling). Diese Namen waren auch in: die Colonial«
stidte Milet und von da nach Cyzicus übergegangen. Die
Glünzenden (P'sA£ovrsg) erinnern an die Parsi (dieStrah-
lenden) und an die goldene Horde bei den Mogolen; und
so ist der alte Kónig Gelon von Syracus der Glàün-
zende, wie der Parse Koresch, Cyrus, derSonnen-
glanz. Die auch durch. die Cyzicenische Inschrift bes
stätigte Lesart findet sich aüch in der Schellersheimischen.
Handschrift des Herodotus , welche in der dritten. Stelle
"A¢rddsw hat, aber in der ersten yzA£oyvog.. Bei der
sonstigen Uebereinsümmung dieses Codex init dem Mes
diceischen vermuthe ich daher gegen Wesselings An«-
nahme, dafs auch dieser richtiger so gehabt hat. Es ist.
dieser Gegenstand. schon von mehreren Gelehrten behan-
delt worden , besonders von Bückh , der in denHopleten.
oder Kriegern ('Ozurs) den herrschenden Adel er-
kennt; ihnen daun unterworfen die Landbauer (Ts
Aéovres ), die Hirten ( Afymôges ) und Handwerker
(’Agyædes). Er verwirft gänzlich die von mir und Andern
nach Hemsterhuis angenommene Erklärung der Teisovres,
(statt Teléovres) , als der Vornehmen, Glänzenden.
(s. dessen Index ,Lectionum in Univers. Berolin. insti-
tuend. 1812. m. Apr. p. 3 und 8. und Staatshaushalt. der
Athener IT. pag. 28.). Für die Lesart L’ehsovres hat sich
dagegen mit Recht aus. gewichtigen Gründen Schómann
erklárt de Comit. Athen, p.356 sqq. Er sieht in diesen
Geleonten die Priester, als den i jenen alten Ziciten
vorzugsweise herrschenden Stand; ihnen zur Seite ein
57
54
ging nach Delpbi und schlyg dem Orakel hundert Namen
von Heróen vor. . Áus diesen wurden zehn erlesen , wo-
nach fortan die von ihm eingeführten zehn Stämme be-
nannt wurden, Alle diese Hepoen waren, den einen Ajax
ausgenommen, einheimische, Sie hiefsen von nun an
die Namengebenden (ixôvvuo:), und der bereits
oben angeführte Hippothoon wird in dem Verzeichnifs
bei Pausanias zuerst genannt 9), Die Zahl von hun-
dert Heroen, die uns der angeführte gelehrte Scholiast
nennt, und die vermuthlich fast simmtlich Attische wa-
ren, kann uns einen Begriff von der Ausdehnung auch
kriegerischer ( Hellenischer) Stamm , die Hopleten; der
dritte Stand der Adymiger; befafste dann theils freie Be-
sitzer von Grund und Boden, theils Hirten, die sich von
Viehzucht náhrten;. der vierte, 'AcwaZósc , die Clienten
und Colonisten der Hopleten und Geleonten. Mit der von
mir gegebenen Ansicht stimmt auch Platner überein, de
gentibus Atticis p. 11, womit man jezt die genaueren Er-
ürterungen desselben Gelehrten verbinden mu(s in den
Beiträgen zur Kenntnifs des Attischen Rechts (Marburg
1820.) Cap. 2. pag. 43 ff. Obgleich zwar Platner es noch
immer für zweifelhaft hält , welcher Stand unter den T:
Agovres zu verstehen, und ob so oder PeAére, zu lesen
sey, so kónne man doch, meint er, nach mehreren
Zeugnissen der Alten dieselben mit eben so viel Wahr«
scheinlichkeit für Priester halten. Unter Tsdéovres ohne
weiteren Zusutz eine Bezeichnung der ackerbauen-
den Classe zu verstehen, scheint ihm gar nicht wahr-
scheinlich. Dagegen leide es keinen Zweifel, dafs die
Evrarçièm , die Adelichen, unter den érAirar oder omes
begriffen seyen, welche nicht blos einen besonderen An-
theil an der Leitung der óffentlichen Angelegenheiten, sons
dern auch als Landeigenthümer die Elemente des Natio-
malwohistandes an sich gebracht hatten , und deren Land
die 'ysveyo( bebaueten.
99) Herodot. V. 66. Pausanias I. 5. Scholiast. mscr. Ari-
stid. Panath. I. p. 336 Jebb,
55
dieses Theils der Griechischen Religionen geben. Doch
mochten die Athener, deren derord@cuoriæ gerade in Be-
zug auf Heroendienst Aelianus (V. H. V. 175.). nennt,
auch hierin wohl vor anderen eifrig seyn..
Auch auf- den Münzen. Griechischer Städte wurden
die Heroen verewigt, besonders wenn sie. zugleich. Er-
bauer derselben waren. So ward der Clazomenier Tisa-
menes von den Bewohnern von Abdera, zu deren Stadt
er den ersten Grand gelegt hatte, als. Heros. verehrt,
und auf den Münzen dieser Jonischen Colonialstadt kommt
eine Heroine Abdera und vermuthlich auch ein’ Heros
Abderus vor. Dieser war, wie Hylas, ein Liebling des
Herakles. 40). Auf &hnliche Weise. verewigten die Be-
wohner .der Stadt Temessus. ihren. alten Heros. Solymus,
als Erbauer der Stadt, auf ihrem Gelde.. In demselben
Sinne. verehrten andere. Städte ihre Erbauer als Heroen,
ja zuweilen selbst als Gütter, wie z. B. die Bewohner
von Alabandos und Tenedos ihren Tenes und, Alabandos
(Cicero. de N. D. III. 15." mit meiner Anmerk. p. 547.).
Auch die Erhaltung einer Stadt war für den Wohlthäter
der Ursprung von Heroenehren. So widmeten, die. Be-
wohner von Amphipolis. in Thracien dem, Spartanischen
Feldherrn Brasidas , weil er ihre Stadt gerettet. hatte,
Todtenopfer, ein jährliches Festopfer und. eine Colonie
(Thucydid. Lib. V. 11.). Beispiele aus den Griechischen,
Stüdtemünzen giebt Spanheim (de Us. et Praest. Numism.
Tom. I. p. 563 sqq.) mit reicher Hand. Ausgezeichnete
VVesen stiegen, wie wir sahen, selbst zu. den. Göttern
auf. Die Herakleen und Dionysiaden (und von
der letzteren Inhalt mufs ja im Verfolg vorzüglich die
Rede seyn) hatten diese Ansicht in höherer und niederer
40) Apollodor. II. 58. und daselbst Heyne. Hygini fab. 30.
p. 96. und daselbst Staver.
5t
Stufe ergriffen. Die Herakliden, nachdem ihr Stamm-
herr aus den Sterblichen geschieden war, flüchten sich,
von Euvystheus vertrieben, nach Athen. In dem darüber
entstandenen Kriege verliert Eurystheus sein Leben.
Nun bewohnen Hyllus und andere Herakliden die Stadt
Theben. Jezt stirbt. Alemene in hohem Alter. Nach
Juppiters Rathschlufs soll sie in der Seeligen Inseln dem
Hhadamanthus vermáhlt werden. Hermes stichlt daher
ihren Leib den Heralliden, die am Grabe statt dev Frau
einen Stein finden. Diesen setzen sie bei in cinem Haine,
und seitdem sieht man das Heroum der Alcmene zu
Thebe -5. So war also des Heralles Mutter Heroinc.
Dem Sohne erwies zuerst Athen, das die Herahliden
aufgenommen und mit den Waffen vertheidigt hatte,
göttliche Ehre, da ihm in andern Städten bisher nur
Heroendienst zu Theil geworden war ( Diodor. Sic.
IV. 39.). Athen gerade, man übersehe diese Angabe
nicht, das ágyptisirende Athen erkennt Herakles zuerst
als Gott, d. h. den Sem - Herakles aus Aegypten selber
her. Diesem Sonnenkinde Herakles und Sonnengotte
selbst feierte man auch fortan Mysterien (Joh. Lydus
de menss. p. 93.). Was muchte der Inhalt dieser Myste-
rien seyn? Hauptsächlich ohne Zweifel jene Verklärung
durch Feuer und Licht, jene Läuterung des materiellen
Menschen vom Heros zum Dämon und Gott hinauf, wo-
von ja auch der Volksmythus in der Verbrennungsscene
auf dem Oeta die Spuren aufbewahrte. Das war Aegyp-
tisch- Athenische Priesterlehre und fortdauernd ( wie
Lydus a. a. O. vermuthen láfsi) allgemeine Herakleische
Mysterienlehre. In der Bacchischen Religion, wie
wir unten sehen werden, trat diese Läuterungstheorie
viel deutlicher hervor. llicr mufs nur an eine He--
41) Pherecydes apud Antonin, Liber, cap. 23. vergl. Phere-
cydca p. 50 Sturz.
&F
27
roine dieses Kreises erinnert werden.‘ Es war des
grofsen Bacchus Mutter Semele selbst. Am alten Son-
nenorte, zu Delphi, feierte man ihr alle neun Jahre
einen heiligen Tag. Er hiefs Heroïs (Hooic), Eswar
ein Geheimdienst, den ein icoóc Aoyoc erklürte. Gelehrte
Griechen forschten nach. des Festes Bedeutung. Diese
sey den ''byaden belannt, antwortet der Referent. Aus
dem Hergang dabei zu schliefsen, werde die Aufer-
wechung der Semele vorgestellt (Plutarch. Quaest.
Graec. XII. p. 293. B. C. p. 202 Wytt).
So Knüpft sich also die Heroenlehre mit den
Bacchischen und andern Mysterien zusammen, die uns
in diesem Buche beschäftigen werden. Im Capitel von
der mysteriösen Heilsordnung werden wir das Amt der
Dämonen and Heroen näher bemerken. Vorerst werfen
wir nun noch einen Blick auf die Dämonologie und
lierologie nach der Lehre der Schulen, sowohl im
Morgenlande, als unter den Griechen.
§ 7
Es kaon hierbei natürlich unsere Absicht nicht seyn,
die philosophische Dámonenlehre in alle Wendungen zu
verfolgen, die'sie in den Systemen der Griechen nahm.
Wir haben nur ihren Ursprung aus den Religionen des
Orients zu bemerken, den Gang, den sie im Grofsen
genommen, und ihren Zusammenhang mit der Lehré
von den Mysterien. Den Ursprung der Dümonenlehre
aus fremden Religionen bemerkt Plutarchus (de Oracul.
defect. p. 415. A. p. 699 Wyttenb.), ohne jedoch über
das eigentliche Vaterland. etwas entscheiden zu wollen.
Er redet dort von den Dimonen als Mittelwesen, die
uns mit den Göttern vereinigen , und bemerkt dabei% es
möge dies nun Lehre der Magier und des Zoroaster,
oder Thracisches Dogma von Orpheus her, oder Lehre
der Aegyptier oder Phrygier sevn, wie denn[in den Re-
-
ligionsgebráuchen dieser beiden Volker Manches vor-
komme. was darauf führe, ' Verbindet man eine andere
Stelle (delsid, p. 360. D. p. 477sqq. Wytt.) damit, so sieht
man, dafs Plotarchus hierbei an die Osirisfeier und an
die Feste des Attis und die damit zusammenhängenden
Mythen dachte, denn diese ins Fleisch gekommenen Gót-
ter erklärt er dort für Dämonen, Allerdings hat der
gelehrte Forscher die Hauptpunkte in jener Stelle be-
zeichnet, wovon alle Dámonenlehre zu den Griechen
ausgegangen ist. Die Phrygischen und Samothracischen
Lehren von Mittelwesen und planetarischen Potenzen
haben wir im Vorhergehenden nachgewiesen. Hier, wo
wir auf dem Scheidepunkte des Griechischen Volksglau-
bens von der Mysterienlehre und Orphischer Doctrin
stehen, wollen wir unsern Lesern das ins Gedichtnifs
zurückrufen, was wir oben ausführlicher über die Dä-
monologie der alten Perser und Aegyptier bemerkt ha-
ben 4), bevor wir die philesophischen Ansichten
der Griechen andeuten. Der alte Magismus ist ganz
gewifs eine Hauptquelle dieser so äufserst wichtigen Lehre.
In welchem Zweige desselben und an welchem Orte die-
ser fruchtbare Satz zuerst gekeimt sey , ob in Bactriana,
Medien oder Babylon, móchte wohl jezt noch schwer zu
beantworten seyn. Genug Zoroaster und scine Nachfol-
ger hatten eine systematische Classification von Mittel-
wesen , die mit ihrem ganzen Lehrgebäude aufs innigste
verflochten war, Darin stimmen Griechische Schrift-
steller und Parsische Urkunden zusammen. Beweise
liegen in Menge vor, die ich oben a. a. O. zum Theil an-
gegeben habo.
In Betreff der Acgyptier müssen wir hier noch die
Frige berühren: Hatten die Aegyptier denn auch He-
42) S. L, "Eh. Buch II. Cap. I. $. 13. p. 389 ff. und Cap. HT.
$. 6. p. 702 &.
38
59
roen 4)? Das soll ja Herodotus (IT. 50. 143.) bestimmt
verneint, und nachher doch wieder, falls die erste Stelle
nicht verdorben sey, in schneidendem Widerspruche
mit sich selbst, durch erzählte Thatsachen bejahet haben,
So lautet der Vorwurf, den Meiners in seiner kritischen
Geschichte der Religionen (I. p. 326.) dem Altvater der
Historie macht. Es kommt hierbei Alles auf dic richtige
Erhiárung der Worte (IL. 5o.) an: vouidovo, Y dv Ai-
yéntioL oùàd’ apoot oùdév. Die Stelle ist nicht verdorben.
Wenn man weifs, wie die Griechen, und namentlich
Herodotus, rouícew und và votidóucvo gebrauchen (man
vergleiche nur IL. cap. 51 und 64.) , so sieht man ohne
Weiteres, dafs hier der Geschichtschreiber wieder eine
Verschiedenheit des Aegyptischen und Griechischen
Cultus bemerklich machen wollte, wie er in diesen Ca-
piteln so oft thut. Er wollte also sagen: die Aegyptier
verrichten den Heroen keinen der hergebrachten Ge-
brüuche, d. h. nach dem ganzen Sinn und Zusammen-
bang, der unter uns Hellenen Lergebrachten, also
keine Feier von Todestagen , keine Todtenmahle, keine
Todtenopfer (évayiopods). Dals Aegypten Wesen hatte,
die man nach Griechischem Begriff Heroen nennen
konnte, wufste der Geschichtschreiber wohl. Wir has
ben oben aus Plutarchus eine exoterische Ansicht be-
merht, wonach Osiris und Typbon selbst einst Menschen
gewesen waren. Eine ühnliche Sage in Betreff des The-
baischen Hermes und des Memphiters Asklepios, die aus
Menschen Gótter geworden wáren, berührt Clemens
von Alexandria (Strom. L. p.331.). Wenn dieser letz-
43) Ich habe diese Frage zum Theil hereits im ersten Theile
der neuen Ausgabe p. 295 ff. p. 301. und zwar verneinend
beantwortet, besonders mit Rücksicht auf die Annahme
des Zoéga, welche mit Herodotus so ganz im Wider-
spruch steht,
60
tere Begriff bei den Aegyptiern vorwaltete, so konnte
ganz natürlich von jenem Todtendienst unter ihnen hierbei
nicht die Bede seyn. Gerade in demselben Falle befand
sich der Grieche in Betreff des Olympischen Herakles.
Wollte er hier consequent seyn (und die ägyptisirenden
Athener wie die ihnen nachahmenden andern Stádte wa-
ren es ja); so mufste ein Gottesdienst an die Stelle
des Todtenopfers treten.
$. 8.
Diese systematische Dümonen- uud Heroenlehre
fand nun unter den Griechischen Philosophen
Eingang. Dafs sie auf mehreren Wegen, so wohl über
Vorderasien als unmittelbar aus Aegypten, zu ihnen
gelangen konnte, haben wir, nach Plutarchus (de Orac,
defect. p. 415. p. 699 Wyttenb.) oben bemerkt. Dafs
Aegypten jedoch die Hauptquelle für die geordnete,
hóhere Dámonologie der Griechen war, wird sich im
Verfolg aus dem ergeben, was über die Orphischen
Schulen gesagt werden mufs. — Auf die Orphiher deutet
auch Plutarchus theils in der angeführten Stelle, theils
in der andern (de Isid. p. 360. D. p. 478 VVytt.) sicht-
barlich bin. lier sagt'er, Pythagoras, Plato, Xeno-
erates und Chrysippus seyen im Begriff von den Dümonen
als Mittelwesen den altén Theologen gefolgt; womit
so háufig die Orphiker bezeichnet werden, Mit jenen
vier Namen sind so ziemlich die Hauptschulen genannt,
die in Griechenland die Dámonologie ausgebildet haben:
Pythagoras nümlich, Plato und alle, die sich früher und
spáter, bis nach Christi Geburt herab, Pythagoreer und
Platoniker nannten, und die Stoiker, die in dieser Lehre
so Vieles mit den Platonischen Schulen gemein hatten.
Wir deuten kürzlich einige Hauptpunkte an, mit näch-
ster. Beziehung auf die Mysterieu. Thales soll zuerst
den Unterschied der Götter , Dämonen und Heroen vor-
T
getragen haben (Athenagoras Legat. pro Cltrist. p. 28.).
Nach dem, was wir aus Hesiodus wissen, mufs in dieser
fragmentarischen Nachricht wohl von einem. Versuch sy-
stematischer.oder doch geordneter Begründung die Bede
sevn, den dieser Vater Jonischer Philosophie gemacht
haben möchte. Dafür spricht auch der Zusatz, wo wir
hôren , er habe die daiuorus als psychische Wesen , die
Heroen aber als die vom Leibe getrennten Menschensee-
len genannt. So nimmt letzteren Satz der sogenannte
Piutarchus (de placit. philos. I. 8.), der diese Lehre dem
Thales, Pythagoras, Plato und den Stoikern beilegt. Da
die, Erörterung einzelner Schuldogmen aufser meinem
Plane liegt, so begnüge ich mich zu bemerken, dafs bei
Athenagoras blos von abgeschiedenen Seelen der Men-
schen (à»Spáxov statt ooudcov) die Rede ist. .Gele-
gentlich bemerhe ich nur noch, dafs die auch von Beck
aufgenommene Lesart Vvxw&s gegen die Galenische ($v-
otx&<) durch die Stelle des Athenagoras Bestätigung er-
hält. Der Unterschied zwischen guten und bósen Heroen
wird in der angeblich Plutarcheischen Schrift (a. a; O.)
gleichfalls jenen Philosophen beigelegt. Im Pythagorei-
schen System tritt schon. eine bestimmtere Oeconomie
des Geisterreichs hervor. Da hôren wir von einem Ab-
fall der Seelen und von ihrer Rückkehr, von einem
Seelengebieter Hermes, der die reineren in die oberen
Sphären zurüchführt, die unreinen aber den Erinnyen
zur Fesselung iibergiebt; auch dafs die Luft mit Scelen
erfüllt sey, die Dámonen und Heroen heifsen, die den
Menschen Trüume senden, und Menschen und Thieren
Heilmittel in Hvankheiten angeben (Diogen, Laert. VIII.
32. und daselbst die Ausleger). Die Classen der Wesen
bestimmten die Pythagoreer so: Es gäbe drei Ordnungen
vernün(tiger Naturen (AoyuixGy ), die erste bestehe aus
den Güttern (Seoi;), die zweite, mittlere ( «5 uécov ai-
Ségror) seyen die Dämonen und Heroen , und die dritte,
C:
die irdische € 49óvio») die Menschen. Oder sie redeten
auch von dreierlei daipoves: Die ersten sind unsterb-
liche, am nächsten verwandt dem höchsten Gott und
keiner Sündhaftigkeit fähig; die zweiten sind Heroen,
mitten inne zwischen diesen und der folgenden Classe;
die dritten sterbliche, d. h. Menschenseelen , welche
durch ihre Tugenden hinaufgestiegen sind in den reinen
Aether. Dort können sie 1mmer bei den Góttern blei-
ben, wenn sie nicht durch neue Verschuldung die Strafe
verdienen, in sterbliche Leiber zurückkehren zu müssen
(Hierocles ad Pythagorae aur. carm. p. 226. vergl. Schier
zu dieser St. p. 36). Nach andern Angaben (s. d. a. St.)
statuirten die Pythagoreer nur zwei Dämonenordnungen,
wie denn die Berichte über diese Schule aus begreiflichen
Ursachen in jeder Lehre abweichen. Sd vielist gewifs, dafs
der Grundfaden dieser und anderer Pythagoreischer Dog-
men schon von sehr alten Schriftstellern als eine Fortset-
zung Aegyptischer, Orphischer oder Bacchischer Lehren
angeschen ward. Man vergleiche nur die Hauptstelle des
Herodotus (1I. 81. nach der ächten, unverstümmelten
Lesart — wir kommen unten darauf zurück). Hiermit
hing denn auch der Folgesatz zusammen, der unmittel-
bar an jene Pytliagoreische Dämonologie und Herologie
angeknüpft wird (Diogen. Laert. VIII. 32.), dafs die
Reinigungen und die ganze Mantik sich auf diese Geister
beziehen: An diese Pneumatologie schlofs auch Empe-
docles sich an. Er hatte ganz ähnliche Vorstellungen
von der Seele und von ihrer Verbindung mit dem Leibe
in der Zeugnng. Auch nach ihm waren die Seelen gott-
lichen Ursprungs; sie hiefsen ihm Dämonen, und ihr
Herabkommen in den Körper verglich er mit einer Ver-
bannung, die sie so lange Zeit von den Góttern entfernt
halte, deren Theil sie doch seyen 44). Auch er weifs
44) Plutarch. de exilio p. 607. C. Stobaei Sermon. 38, p. 230
ed. Gesneri tert.
97
US
von jenen Reinigungen und Quaalen der Seelen (Dämo-
nen) durch die verschiedenen Elemente, welches wir
unten im Allgemeinen deutlicher machen müssen (Plu.
tarch. de Isid. p. 361. C. p. 480 Wyttenb.). Die Erde
nennt er in diesen Beziehungen den freudelosen Ort
(&vtpn£o xGpov) und die Wiese der Ate (" Avag Aeiu Ova ;
Hierocles in aur. carm. Pyth. p. 186 ed. Needh.). Mithin
braucht Empedocles schon den Ausdruck daiuoves auch
von den schuldigen Seelen der Bösen , die erst in Körper
zurückgebannt und endlich durch alle Elemente hindurch
getrieben werden' (vergl. Sturz. Empedocl. p. 448 sqq).
So schwer es seyn möchte, über die Dämonologie des
Heraclitus etwas ganz ins Einzelne gehendes zu sa
gen, worauf ich bei einer andern Gelegenheit zurück-
kommen werde, so möchte ich darum doch nicht an der
Aechtheit einiger Sátze zweifeln, die,uns die Alten von
ihm aufbchalten haben, wie Schleiermacher (in Wolfs
und Buttmanns Mus. der Alterthumswiss. I. 3. p. 495 ff.)
geneigt ist. Heraclitus konnte dennoch ein Gegner der
Volksreligion seyn, ohne sich von einer Dámonenlehre
loszusagen , die aus den Theorien des Orients sich zu den
Griechen fortgepflanzt hatte, und wovon das áltestePoem
des Hesiodus so deutliche Spuren zeigt , jener Anführun-
gen aus den Pythagoreischen Dogmen nicht zu gedenken.
Nach Diogenes Laertius (1X. 7.) hatte Heraclitus gelehrt:
Alles sey mit Seelen und Dámonen angefülit. Hiermit
setzt man die Erzühlung bei Aristoteles (de partib. anim.
I. 5.) in Verbindung, wonach er behauptete, auch am
geringsten Orte seyen die Gótter, so wie jene mifsbil-
ligende Aeufserung übér den Bilderdienst (bei Celsus in
Origen. c. Cels. VII. pag. 738.) : «und zu diesen Bildern
beten sie, als wenn jemand mit den Häusern (oder Dal-
ken) redete, nicht einmal wissend, wer Gótter und Hc-
roen sind ». Ueber den Sinn und die Stelle, die diese
Dämonenlehre im Heracliteischen System haben mochte,
5"
D
worüber Schleiermacher einige gute Bemerkungen macht,
will ich hier nicht ausführlich reden; hier lege ich nur
die Vermuthung nieder, dafs, wie überhaupt, so auch
in diesem Capitel die Philosopheme des Heraclitus als
eine Hauptwurzel der Stoischen Dämonologie zu be-
trachten sind.
Ehe ich von dieser rede, mufs ich des Plato und
der Akademiker gedenken. Es ist nicht zu läugnen,
dafs dieser Philosoph in seinen verschiedenen Schriften
für die Dämonologie: verschiedene Standpunkte nimmt ;
gleichwohl läfst sich nicht verkennen , dafs er die Lehre
in dem ganzen Umfange, den sie im Orient und durch
frühere Griechische Beligionsinstitute und Schulen er.
halten hatte, kannte, und zum Theil auf eine sehr be-
merlenswerthe Weise gebrauchte. Im Timàáus (p. 4o. d.
T. 1X. p 324 Bip.) spricht er zurückhaltend davon, und er-
wähnt die Schwierigkeit , die Geburt der Dämonen zu er.
Kennen. Im Cratylus (p. 51 Heind.) wird, nach der dort
gewöhnlichen Art, ihr Name erklärt: sie seyen Einsichts-
volle (danunovec); die Heroen aber werden dort, in der-
selben etymologischen Manier, als Söhne von Göttern
oder Güttinnen in Bezug auf das Wort Liebe (fpoc) er-
llárt. In der Apologie hingegen werden die Sóhne, die
die Gótter mit Nymphen oder andern Frauen erzeugt
haben, Dämonen genannt. In der bekannten Stelle des
Phädrus, wo Hestia in der Gótter Hause allein bleibt,
wird Zeus, der Führer (77enor), der anderwärts auch
péyas Seds oder uéyiovoc, der grofse und grüfseste Gott,
heifst, von den übrigen Güttern (SeoL) und von den
Dämonen (dacporec) unterschieden. Unter den Letzten
sind dort alle Seelen (die góttlichen ausgenommen) ,
auch die menschlichen gemeint, ehe sie in sterbliche
Leiber hominen (Phaedr. p. 251. und daselbst Heiadort.).
Gott bildete námlich die Menschenseelen selbst, hicls
9
sie, ehe sie sich mit dem sterblichen Kôrper verbänden,
auf den Sternen wohnen zu gléicher Zahl, und belehrte
sie dort vor dem Hinabgang über ihr gôttliches Wesen
und ihre Bestimmung (Timäus a. a. O.). Im Politicus
(p- 271 Steph. p. 277 sq. Bekker.) wird von den Dämonen
geredet, die als güttliche Hirten (Hüter, voueis Seiou)
die lebendigen Wesen nach ihren verschiedenen Gattun-
gen hüteten , und (p. 539. C.) von der Sorgfalt des uns
beherrschenden und hütenden Dämons. In den Ge
setzen (IV. cap. 6. p. 7:3 sq. p. 141 sq. Ast. p. 349 sq.
Bekker.) werden, nach den verschiedenen Gótterclassen,
die Dümonen und darauf die Heroen der öffentlichen
Verehrung empfohlen, In der Hauptstelle ( Epinomis
cap. 8. pag. 984 seq. pag. 510 seqq. Ast.) erklärt sich
Plato über dieheiligen Thiere (46a), wie er sie
nennt, womit in einer zusammenhángenden Stufenfolze
der Himmel erfüllt ist, redet sodann von den sichtbaren
Göttern in den Sternen, von den Thieren im Aether
und von den Dämonen in der Luft. Beide letztere
Arten hónnen nicht ganz gesehen werden. So nahe auch
die Dámonen um uns sind, sie erscheinen uns doch nie
offenbar. Aber mit beWundernswérther Einsicht. und
mit hellem, scharfem Geiste begabt durchschauen sie
alle unsere Gedanken. Den trefflichen, edlen Menschen
lieben sie aufserordentlich, den bósen hassen sie; denn
diese Wesen (die Dämonen) sind nun schon durch
Schmerz und Freude rührbar — Empfindungen , die
der vollendete Gott nicht kennt. Zwischen den höheren
Göttern, den Dämonen und der Erde herrscht ein be-
ständiger Verkehr. Diese mittleren Wesen, die Dämo-
nen, können sich mit leichtem Flug herablassen, so wie
sie sich zum Himmel erheben. Eine fünfte Art von VVe-
sen stellt man sich am richtigsten als Halbgótter vor.
Sie gehören dem Wasser an, und, nur zuweilen sicht-
bar, erregen sie auch bei dunkler Erscheinung Bewun-
111
Öl
; 5
-
derung. Alle diese Wesen (26a) offenbaren sich viel
fültig, in Träumen und in der Divination, durch das Ohr
von Kranken und Gesunden und beim Abschied aus die-
sem Leben; sie wirken vielfach auf das Gemüih des Men-
schen. Daher viele óffentliche und Privat- Religions-
anstalten ibretwegen geordnet sind und ferner angeordnet
werden. Der Gesetzgeber soll in allen diesen Dingen
keine Neuerungen machen. Hieran schliefst sich die an-
dere Hauptstelle unmittelbar an, die noch deutlicher als
jene die Beziehung dieser ganzen Lehre auf die Myste-
rien zeigt. Ich theile sie daher ganz mit. « Was wäre
also, fragt Socrates (im Platonischen Gastmahl cap. 28.
pag. 202. nach Schleiermacher) die weise Diotima, was
würe Eros»? Worauf sie erwiedert: « Ein grofser Dà-
mon, O0 Socrates. Denn alles Dümonische ist zwischen
Gott und dem Sterblichen. — Und was fiir eine Ver-
richtung, sprach ich, hates? Zu verdollmetschen und
zu überbringen den Göttern, was von den Menschen
und den Meuschen, was von den Góttern kommt, der
Einen Gebete und Opfer und der Andern Befehle uud
Vergeltung der "Opfer. In der Mitte zwischen Beiden
ist es also die Ergänzung, dafs nun das Ganze in sich
sclbst verbunden ist. Und durch dieses Dámonische geht
auch alle VVeissagung und die Kunst der Priester in Be-
zug auf Opfer, Weihungen und Besprechungen und
allerlei Wahrsagung und Bezauberung. Denn Gott ve:-
kehrt nicht mit Menschen; sondern aller Umgang und
alles Gesprüch der Gótter mit den Menschen geschieht
durch dieses sowohl im Wachen als im Schlafe. Wer
sich nun hierauf versteht, der ist ein dämonischer oder
geistlicher Mann; wer aber nur auf andere Dinge oder
irgend auf Künste und Handarbeiten, der ist ein gemei-
ner. Solcher Dämonen oder Geister nun giebt es viele
und vielerlei, und einer von ihnen ist auch Eros». —
Welche Aufmerksamkeit diese Stelle schon im Alter-
36
37
thume gefunden hat, Zeigen die vielen Anführungen und
Anspielungen 45). Wir finden dieselben Ideen in dem
Bruchstüch éines Orphischeu Gedichts bei Clemens von
Alexandria (Strom. V. p. 724.) wieder, und namentlich
versichert man von dieser Platonischen Stelle, dafs sie
ganz in der Orphischen Weise sey 4), Wir haben
nicht den geringsten Grund, in die volle, buchstübliche
Wahrheit dieser Aussage einen Zweifel zu setzen, da
nach allen Zeugnissen die fortlaufende Tradition von
Asien und Aegypten her immer dasselbe grofse System
von Geistern zeigt, die vom Scheitelpunkte des Him-
mels bis in die Eingeweide der Erde die Sterne, die
Elemente, die Metalle und Pflanzen und den thierischen
Leib regieren, und auch die Seelen hüten, freundlich
bald und hold dem Guten, bald strafend und furchtbar
dem Büsen, und denen jede Seele, je, besser sie ist,
desto grôfsere Aufmerksamkeit und Verehrung widmet,
Dafs von dieser Pneumatologie Manches selbst im Volks-
glauben lag, ist oben bemerht worden, und s6.konnte
Menander eine Sentenz wie die: « Es sey jedem Menschen
von der Geburt an sein Genius beigegeben als Mystagog
des Lebens» (Ammian. Marcellin. XXI, 14.), selbst
auf die Bühne bringen.
Diese Veredlung des Menschen durch Mittelwesen
wird im Verfolg deutlicher werden, wo wir die Heils-
45) Plutarch, de Isid. p. 361. B. C. p. 480 Wyttenb. Aristidis
Oratt. 1I. p. 106 ed. Jebb. Appulejus de dogm. Platon,
und de genio Socratis'p. 101. Porphyr. de Abstin. p. 173
ed. Rhoer. Hermias ad Platonis Phaedr. p. 93 ed. Ast.
Maximus 'T'yr. Dissert. XIV. 5. p. 266. und andere Stel-
len, deren ich zum Theil unten gedenken mufs. Vergl.
meine Anmerkung zum Proclus in Platonis Alcibiad. I.
cap. 11. nach meiner Ausgabe.
46) S. Procius in Plat. Parmen. bei Bentley Epist. ad Millium
p. 455 Lips. vergl. Eschenbachii Epigenes p. 120 sqq.
68
ordnung nach der Lehre der Mysterien zeigen. Hier
wollen wir nur noch einige Hauptideen der nachfolgen-
den Philosophen andeuten, die guten Theils nun den
Plato als ihren Lehrer auch hierin erkennen. | Dafs auch
die Akademiker hierüber ihre Theorien hatten, zei-
gen mehrere Berichte. Dahin gehórt z. B. der Satz des
Xenocrates, den uns Plutarchus (de Isid. pag. 361. E.
p- 479 sqq. Wytt.) aufbehalten hat: Weder den Göttern
noch den guten Dämonen kämen jene unglücklichen Tage
(die der Griechische Calender aufführte) noch jene Feste
zu, wobei Trauer, Wehklagen, Fasten, Unglücksworte
und dergleichen Dinge gebräuchlich seyen. Es gäbe in
dem Luftraume gewisse grofse und starke Naturen, dü-
ster und menschenfeindlich von Charakter. Diese hátten
an solchen Aeufserungen der Andacht einen Gefallen und
betrachteten sie als einen Tribut, wodurch sie bewogen
würden von gröfseren Heimsuchungen abzustehen. —
Hierbei können wir uns des furchtbar züchtigenden Dä-
mon (daipov dhdgrop) erinnern, der im zwei und sieb-
zigsten [LXXIIL] Orphischen Hymnus vorkommt. Auch
gehören die durch Blut und Tod rächenden Genien
(Jaiporsc zooctoónat:, noXauroior) und ähnliche Kunst-
wörter ‚der Dämonologie hierher, in gutem und bösem
Sinne, die uns der gelehrte Grammatiker Pollux bekannt
macht. Zu der Zahl der guten gehören die lösenden
(Adoror), die abwehrenden (xovgónoio:), die Uebel
abwendenden (&Ac&íxoxo:) und ähnliche Namen, die wir
dort (Pollux Onomast. V. 26. 131.) lesen, worunter uns
der letzte an den Heiland Herakles, der ihn auch führte,
aufs neue erinnert. Auch die Stoiker kannten gute und
bóse Dámonen, gute und bóse Heroen (Plutarch. de Pla-
cit. L. 8.[) Sie schlossen sich, wie bemerkt, in Vielem
an Heraclitus und in dieser Lehre besonders an Plato an,
Mithin waren auch sie gute Orphiher, nur dafs sie alte
Dogmen, nach ihrem System, dialehtisch zu erweisen
69
suchten. Je mehr sie auf das Capitel von der Divination
und Geisterlehre hielten, desto ausgebildeter mufs ihre
Dämonologie gewesen seyn. Oben wurde uns der be-
rühmte Chrysippus als einer von denen genannt, die
hierin den alten Theologen gefolgtseyen. So hatte auch
der berühmte Posidonius ein eigenes Buch über die He-
roen und Dàümonen geschrieben, woraus Macrobius (Sa-
turn. I. 12.) wine Stelle über die ätherische Substanz der
Dämonen anführt 47). Aus Aétius (lib. VI. cap. 12.) er-
fahren wir, dafs Posidonius behauptet hatte, der Alp
(Incubus) sey nicht der bse Dimon, der die von ihm
Besessenen zu plagen pflege. Die Stoiker nahmen neben
jenen Dämonen, denen auch sie Leidenschaften beileg-
ten und die Obhut über des Menschen Thun und Lassen,
und die sie, wie bemerkt, in gute und böse eintheilten,
auch Heroen an, und bezeichneten mit diesem letztern
Namen die Seelen der abgeschiedenen Tugendhaften 4%),
Aus der allgemeinen Quelle systematischer Dämono«
logie, aus den Theorien des Orients, hatten nun ihrer
seits auch die Ebräer geschópft, besonders seit dem Ba-
bylonischen Exil. Unter den Seleuciden-und Ptolemäern
war bekeuntlich dieser Verkehr der Juden mit dem Orient
einerseits und andrerseits mit den Griechen, besonders
in Alexandria , noch lebhafier und dauernder. Hier trat
nun der Ausdruck daiuoy, und Qavuóviov vorzüglich,
im Sinne eines bósen, plagenden Geistes 4),
47) Vergl. Posidonii Rhodii Doctr. coH. J. Bake p. 45.
18) Diogen. Laert. VII. 151. und daselbst Menage; vergl.
Lipsii Physiologia Stoicor. I. 18. p. 48 sq.
49) Ich fige hier noch die bemerkenswerthe Stelle aus 'T'heo-
doretus bei, die ich in den Commentt. Herodott. I. pag.
268 sq. genauer behandelt habe: dowmærog jêv cùv 9 Samovay
QJeiG , SZamaTGu 88 rous AvSçaToug elwduiu, @aAAenozd Teva TOU TOL,
weichen freilich auch schon die älteren Griechen kanna
ten, noch bestimmter hervor, und ward in einer eige-
nen Pmeumatologie ausgebildet. Hieraus entsprangen
jene Begriffe von Dämonen (daqıövıa) als Geister büser
Menschen, welche in den Leib Anderer fahren und
sie plagen, so wie. von den Mitteln dagegen, z. B. von
Wunderlráutern, wodurch man diese Dämonen austrei-
ben könne 50. Es ist bekannt, wie viele, Wendungen
dieser neue Ideenkreis unter den Juden genommen , und
wie herrschend er nach dem N. T. unter den Zeitgenos-
sen von Christus gewesen, worüber die Erklärer dieser
Urkunden 5!) und die historia diaboli des belesenen
Mayer (Tübingen 1780.) befragt werden können. Be-
kanntlich wurde jene bóse Bedeutung von 9aisóvio nun
auch unter christlichen Schriftstellern die herrschende
(vergl. Origenes c. Cels, V.°p. 254.). Andererseits ward
der Ausspruch Christi (Matth. XVIIL 10.) Veranlassung,
dafs die grofsen Kirchenlehrer den Satz von einem Engel
adoptirten, der jedem Menschen als Schutzzeist beige-
ÉTIDEINVUQUE: oosj4a72. Y. S. w..— Als ein Gespenst — Odopa —
erschien ja auch Astrabacus der Gattin des Aristo, wie
wir oben sahen.
50) Josephus de bell Judaic. VII. $. 3. Eustathius zur
Odyss. X. 294. pag.398 Basil. führt da, wo er von des
Ulysses Bezwingung der Circe spricht , Folgendes an:
£í(Qos Sé Qaci» $xQofsi vx» Kigwov, 9 ex Daaduioy oùsas pranço-
Xoovioy judy, Suyréy 88 Opes wai cwjarosibis wal má9st Onus
dÀci4ov, 9? xard riv& Quoivxv lÓiórura rdy viva
vag datpoviwy, dg Adyog, UAag rivde mvrooDvrat:
4 yoü» laci, «avrà roy TéQiuy»TWv Auovucioy
$4994 &jorovcatg wai dAÀo(is slódAotg. Also ge-
wisse Holzarten und der Edelstein Jaspis gewähren Schntz,
51) S. z. B. zu Ephes. II. 2, in welcher Stelle grofse Aus«
leger die bestimmte alte Lehre von dem Wohnsitz der
Démonen in der Luft nachgewiesen haben , die auch Plato
ennt,
*O
‘1
geben sey. Die Ausdrücke, die sie davon hrauchen,
nihern sich zuweilen der, Griechischen Mysterieasprache
und den Ausdrücken der Philosophen, So werden z. B.
in einer Stelle bei Dionysius Areopag. (de coelesti hie-
rarch. T. L. cap. 4. B. C.) die Engel gerade so beschrie-
ben, wie Plato im Gestmahl von den Dümonen redet,
und eine Stelle des Basilius (c. Eunomium HI. p. 272.),
wo von dem Engel gehandelt wird, der jedem Glaubi-
gen als Pidagog (mouduyeyds) und als Hirte (vous?)
zur Regierung des Lebens beigegeben sey, erinnert
theils an das, was wir oben von den Mystagogen des
Lebens in Menanders Fragmenten lasen, theils und noch
bestimmter an jene Platonischen Stellen von den Hirten
unter den Dämonen, und an die Bezeichnungsart des
Stoikers Seneca, der (Epist. 101.) ven dem Gotte (deus)
spricht, welcher einem Jeden als Pädagogus beigesellt
werde.
Alle diese Umstände befeuerten den ungemeinen
Eifer noch mehr, womit die Philosophen in der Ró-
mischen Haiserperiode die Dämonologie bearbei-
teten ; besonders die Platoniker. Es war zwar, wie
schon zum ôfteren von uns bemerkt wurde, im Allge-
meinen Geist dieser Schule, sich recht eng wieder an
die Vorzeit anzuschliefsen, und wieder hervorzusuchen,
was im alten Volksglauben, was in der Geheimlehre nur
irgend von tieferem Gehalte lag, und den religiösen,
naturdurchschauenden Sinn der ältesten Griechischen
Denker unter sich neu zu erwecken. Orphische, Py-
thagoreische und Platonische Sätze wurden also bei jeder
Lehre von ihnen zum Grunde gelegt. Aber ohne jene
neue Berührungen mit den Ideen des Morgenlandes und
namentlich mit Jüdischen, ohne die siegreichen Fort-
schritte des Christenthums würde ihre Geisterlehre doch
nicht diese Richtung und diese Ausbildung bis ins Ein-
zelnste erbalten haben. Eben dieses Umfangs wegen,
Ii
4
den die Dámonologie jezt gewann, müssen wir, unserm
Zweck zufolge, uns auf einige Hauptpunkte beschrän-
ken, die unter den bedeutendsten Philosophen 57) dieser
Periode in Anregung gebracht wurden , und grofsentheils
streitig waren,
So hat schon Plotinus in der Hauptstelle (Ennead.
IIL. 5. 6. p. 296.) offenbar entgegengesetzte Behauptun-
gen mehrerer Philosophen vor Augen. Er dringt aber,
nach seiner Weise, gleich in den Mittelpunkt der ganzen
Untersuchung ein, und trägt einen bestimmten Satz vom
Wesen der Dämonen dogmatisch vor. Giebt es Dämonen
in der intelligiblen Welt? Von dieser Frage geht er aus,
Nein, ist die Antwort. Im Intelligiblen giebt es nur
Götter, und auch nach ihnen , im Sinnlichen (mxioSnTt6),
giebt es noch Götter , zweiter Ordnung. Sie reichen bis
zur Sphäre des Mondes, und hängen von jenen intelli-
giblen Göttern ab, wie die Strahlen von den Sternen
abhängig sind, aus denen sie ausfliefsen. Nun folgen
die Dämonen. Sie sind die Spur (iyvoc) , die Fufsstapfen
der Weltseele. Die Seele, rein und an und für sich,
zeugte Götter , die Seele, strebend nach dem Guten und
Schónen, zeuget Eroten. Das ist die eine Classe der
Dämonen. Die übrigen Dämonen werden auch von der
Weltseele gezeugt, aber durch andere Hráfte, zum
Dienste der Welt, um Alles zu erfüllen und mit dem
Ganzen harmonisch zu verwalten. Denn die Weltseele
mufste auch in die Welt sich erstrecken , darum zeugte
sie die Kräfte der Dämonen , die mit dem Ganzen Yon
ihr selbst zusammenstimmen. Wie können sie das, und
welcher Materie sind sie theilhaftig? Heiner kôrper-
lichen, denn sonst wären sie sinnliche Wesen (ó$9«
52) Der Philosoph Origenes, Zeitzenosse des Longinus,
hatte ein eigenes Buch von den Dämonen geschrieben;
$. Longini Epist. in Porphyrii Vit. Plot, cap. 20. p.128 Fabr.
75
alodmva).. Denn wenn gleich Viele annehmen , die Dà-
monen, als solche, haben luftartige oder feuyige Lei-
ber, so entsteht ja noch zuvor die Frage, wie können
sie überhaupt zu einem Leibe kommen, da ja das Absolut-
Reine sich nicht sofort mit.dem Körper verbindet? Es
mufs zuvor ein Gegensatz in ihnen gesetzt werden, der
als der Grund der Verbindung mit einem Leibe gedacht
werde; denn warum verbindet sich die eine.Natur damit,
die andere nicht? Der Grund dieser Vermischung ist
eine intelligible Materie. Was dieser letzteren theilhaf-
tig ist, das gelangt durch sie auch zur Verbindung mit
dem Leibe. — Hierauf wird sodann der Platonische My-
thus von der Geburt des Eros bezogen.
Man sieht, wie sehr Plotinus hier bemüht ist, die
Cardinalfrage bei dieser ganzen Lehre von den Mittel-
wesen zu beantworten: Wie es doch komme, dafs das
Bessere zum Schlechteren übergegangen, d. h. warüm
die Dämonen , die als den Leidenschaften unterworfene
Wesen so nahe an die Menschen grünzen (s. p. 295 sq.),
nicht lieber haben frei.davon in jener reinen Hóhe ver-
bleiben wollen. Was also Plato in der Hauptstelle (Epi-
nomis a. a, O.) unerklürt gelassen, wenn er die Dámo-
nen in die Classe der Luftwesen setzte, und sie durch
Leid und Freude rührbar dachte, darüber findet Ploti-
nus im Gastmahl im Mythus von des Eros Geburt Auf-
schlufs. Diese mythische Antwort des Meisters ge-
nügt ihm aber nicht. Er geht einen Schritt weiter, er
führt das Problem aus dem Bilderhreise in die Welt
der Begriffe, und beantwortet die Frage philosophisch
aus Principien. Hiermit hángen die Ideen des Jambli-
chus (de myster. Aegypt. I. 17.) zusammen, wodurch
dieser die vom Porphyrius erhobene Schwierigkeit zu
heben suchte. Dieser fragte in seinem Briefe an den
Aegypiischen Priester Anebo: Die Gétter haben keinen
Leib, und doch sollen die leiblichen , sichtbaren Gestirne
sammt Sonne und Mond Gótter seyn? 53) Hier stellt
num Jamblichus den Begriff von einem himmlischen Leibe
(otgavicy odua) auf, der dem unkórperlichen Wesen
der Götter sehr verwandt sey. Mithin könnten auch
jene sichtbaren Götter — zwar nicht absolut, jedoch
auf gewisse Weise — unlórperlich genanut werden.
Welchen Gebrauch die grófsesten Kirchenlehrer von
diesem Satz in der Lehre von den ‚Engeln gemacht ha-
ben, ist bekannt. Derseibe Philosoph erklärt sich an
einem andern Orte (de myster. Aegypt. If. x. p.39 Gal.)
über den Unterschied der Dämonen, der Heroen und
der Seelen: die Dämonen entstehen vermöge der zeu-
genden und demiurgischen Kräfte der Götter , in so weiß
jene in ihren iufsersten Zertheilungen hervortreten; die
Heroen vermüge der Ideen des Lebens, in den Góttern ;
an sie schliefsen sich die Seelen in ihren höchsten Punk-
ten an. Daher ist auch ihr Wesen verschieden. Das
Wesen der Dämonen ist wirkend, es führt die Naturen
innerhalb der Welt zur Vollendung (TeXeoroveyér), es
erfüllt die Verwaltung der einzelnen Naturen. Das We-
sen der Heroen ist lebendig und vernünftig, und zur
Leitung der Seelen gemacht. Die Dämonen haben die
53) Ueber den Satz von der góttlichen Natur der Sterne er-
klärt sich ausführlich Chalcidius cap. VII. $. 129 sq.
pag.327 sq. Von dem Einflufs der Planeten auf gewisse
Gótterbilder, und von der Meinung, dafs gewisse Idole
vorzugsweise von Göttern influirt wären, habe ich, in
Betreff der Philosopheme , oben (I. Th. p. 178.) das Nó-
thige angeführt. Hiermit hing die andere Meinung zusam-
men, daís Güótterbilder von Dämonen bewohnt seyen,
wie der menschliche und thierische Leib von einer Seele
— Ideen, die besouders unter den Christen, nach den
herrschenden bösen Vorstellungen von den Dämonen,
zu vielen Bilderstürmen Anlafs gaben (vergl. Casp. Bar-
thii Adversaria LV. 5. p. 2591 sq.).
25
zeugenden Kräfte , sie stehen der Geburt vor, und bin.
den die Seelen an Leiber; die Heroen besitzen die Leben
gebenden Kräfte, die Kräfte den Menschen zu leiten und
aus der Geburt wieder zu erlösen. Die Wirkungssphäre
der Dämonen ist gröfser, sie erstreckt sich innerhalb
der ganzen Welt; die der Heroen beschränkt sich auf
die Aufsicht über die Seelen (ebendas. p. 40.) 55). —
Also auch hier sehen wir von der Dämonologie auf die
mysteriôse Heilsordnung eine Anwendung gemacht, von
der wir in den Platonischen Schriften und vor Plato
deutliche Anzeigen fanden. In Betreff der demiurgischen
Götterkräfte , woraus hier die Entstehung der Dämonen
abgeleitet wird, erinnere ich hierbei gelegentlich an die
verschiedenen Prádicate und Wirhungen, die die Philo-
sophen dieser Zeit, ingleichen die Gnostiher, Valenti-
nianer und andere Secten, dem Demiurgen und seinem
Verháltnifs zu den Aeonen gaben, welche, mit manchen
54) Auch hierüber giebt Proclus in dem Commentar zu Pla-
to’s Cratylus fol. 131. weitére Aufschlüsse. Unter den
Wesen, sagter, welche eine Erkenntnifs Gottes und der In-
telligenz erwecken (rd di rÿ, yıwoews T&v 9sdiv wai vj, voagág
sicius TçoxÂurend ) , nennen die Theologen die Einen En»
gel, eben wegen ihres göttlichen Wesens und weil sie
die Einheit der Natur gleichmifsig machen den secundi-
ren Wesen (xa7 avt) mjy Umagkw Tdv Jeïv lorajaeva, wal
rà Évosidès rw, Quoews oUpmsrgoy wowlvra rois Sevrépors); es
ist aber dieses Geschlecht der Engel wohlthuend, und
giebt zu erkennen die verborgene Güte Gottes. Dämo-
nische Wesen nennen dieselben die, so die Mitte des
Ganzen mit einander verbinden, so die göttliche Macht
theilen und bis in die äufsersten Theile führen. Dieses
Geschlecht ist an Kraft wie an Theilen zahlreich; die
aber, welche die Seele hernieder in die Materie führen,
sind die letzten. Unter heroischen Wesen begreifen
sie die, welche die menschlichen Seelen empor in die
himmlischen Sphären zurückführen, und ihnen zu dem
intellectuellen Leben verhelfen u. s. w.-
7?
späteren‘ Ideen der Mithrasdiener verschmolzen und
mannigfaltig verändert, nach Heyne’s Vermuthung (Opus-
cull. academm. IIL p. 309 sqq.), zu der Fiction von dem
Dämon) Demogorgon , einer hohen magischen Potenz,
Veranlassung gegeben haben; welches um so mehr zu
merken wäre, weil man sonst in den Schriften der alten
Griechen Eigennamen der Dämonen selten findet, wenn
man dahin nicht jene einzelnen Angaben, wie die von
der Lamia und von den Dämonen im Gefolge einiger
Gottheiten, rechnen will. Porphyrius (de Abstin. II.
37. p. 171 Rhoer.) gedenkt auch der verschiedenen Clas-
sen der Dämonen, und unterscheidet die, welche ganz
allgemein eigene Namen von den Menschen erhalten ha-
ben, und göttergleicher Ehre ‚heilhaftig geworden sind,
sodann die, die nur von einzelnen Orten und Gemeinden
unter Eigennamen angerufen worden, endlich den gros-
sen Haufen der Dámonen, die man nur so ohne Weiteres
mit diesem Gesammtnamen bezeichnet. Von allen Clas-
een hátten die Menschen den Glauben, sie wären gnädig
und wohlwollend, wenn man sie verehre, schádlich und
übelwollend , wenn man sie vernachlàssige.
Auch über die Ordnungen der Dämonen, und ob
einige davon sterblich seyen, oder nicht, herrschte
unter den Platonischen Schulen dieser Periode viel Fra-
gens und Streitens. Während einige Philosophen, wie
Porphyrius, sich etwas mehr an den alten Nationalsänger
Hesiodus anschlossen, in so weit nämlich, dafs sie ge-
wisse Dämonen für sterblich erklärten, behaupteten an-
dere, wie Ammonius und Jamblichus (de Myst. Aegypt.
Ill. 22.) , geradezu das Gegentheil. Eine dritte Parthei
wühlte das Mittel, wie Proclus, und liefs einem Jeden
darüber seine eigene Meinung (Mosheim zu Cudworth
Syst. intellect. pag. 1154 sq.). Proclus üufsert sich über
die Ordnungen der Dämonen den Platonischen Schriften
gemäfs: Das Ali, sagt er, werde von Göttern und Dä-
77
wonen bewacht; von jenen im Ganzen und nach der Ein-
heit, von diesen theilweise und den Raum erfiillend, und
in näherem Zusammenhang mit den bewachten Naturen.
Um einen jeden. Gott sey eine Schaar von Dämonen ver-
sammelt, die seine Eine und ganze Vorsicht zertheilet.
Sie sind die Erhalter der göttlichen Gesetze und der Bande
der Adrastea (ad Platon. Tim. p. 130.) 5°).
$5) Mit mehr Arsführlichkeit geht derselbe Proclus in diese
Bestimmungen ein, In seinem Commentar zu dem Cra-
tylus des Plato (fol. 128. vers. des Cod. August.) geht er
von dem Satz dieses Philosophen aus (zu p. 48. p. 50. 52
Heind.), dafs der ganze mittlere Raum (rà j«era£y. xAdros)
zwischen den Góttern und MenscLen von Dámonen
besetzt sey ; diese seyen ihrer Natur nach Dämonen,
während die, welche jezt aus dem goldenen Geschlechte
als Dümonen genannt werden, so wie die Halbgótter, die
Heroen, nicht Dámonen und Heroen ihrer Natur nach
sind — denn sie folgen nicht immer den Góttern — son-
dern sie sind es durch ihr Verhalten , indem sie ihrer
Natur nach Seelen sind, die sich dem Loose der Sterb-
lichkeit hingegeben haben, wie der grofse Herakles und
Andere der Art. Solchen héroischen Seelen ist eigen der
Sinn fiir grofse Thaten , fiir das Erhabene und Edle; und
solche Heroen mufs man ehren und ihnen Todtenopfer
bringen. — Dieses heroische Geschlecht der Seelen folgt
zwar nicht immer den Góttern , es ist aber rein und intels
lectueller (vosewrsçov) als die übrigen Seelen, es steigt her«
nieder, um den Menschen wohlzuthun, weil es selber
Theil genommen an dem Verhüángnifs, das mit Schwer-
kraft sich abwärts neigt. Sie haben viel Kraft, sich leicht
von der Materie loszumachen und zu dem Hóheren zu er-
heben (roh) vó dvayaryów wol sUamdALamro) TfS ws Éyovci),
eben darum auch leicht in das Intelligible sich zurück zu
versetzen (sj ró voyróv dronuSioravras),
Bald darauf bemerkt er unter Anderm , wie ôfters aus
der Verbindung von Güttern mit Menschen Heroen
entstánden , welchen dann etwas Vorzügliches, das sie
vor der menschlichen Natur auszeichne, eigen sey. Es
} 7
78
Wie jene Philosophen das Wesen und die Ordnun-
gen und Wirkungen der Dämonen sehr speciell unter-
suchten, so widmeten sie auch der Lehre vom Genius,
als Schutzgeist des einzelnen Menschen, eine
grofse Aufmerksamheit, - Davon liegt eine eigene Ab-
handlung in den Werken des "Plotinus, als ein merk-
würdiges Actenstück, vor uns, auf das wir unsere Leser
verweisen müssen. Es ist das vierte Buch in der dritten
Enneade, und führet den Titel « Von dem uns zu-
geordneten Dämon» (xepl 0 clAqyóvoc aus dai-
povos). Hier ist Satz und Ausdruck schon als Platonisch
bemerkenswerth. Wenn Plato, wie wir sahen, zuwei-
len von einem Hirten sprach, der uns besitzt und hiitet,
sey aber nicht allein ein solches dämonisches Geschlecht
denselben Zuständen und Affecten, wie die Menschen,
seiner Natur nach unterworfen (eumaSei Quot Tote dy-
Spe) , sondern auch andere Wesenarien nähmen auf
gleiche Weise am Schicksal anderer Dinge Theil, wie
einige Nymphen an dem der Bäume, andere an dem der
Quellen, wieder andere an dem der Hirsche oder der
Schlangen. Zuweilen, sagt man, vermischen sich auch
Götter mit sterblichen Frauen, oder diese mit Göttern,
Vielleicht bringt die Verbindung der Götter mit Göttinnen
Góiter zum Daseyn , oder Dámonen auf eine ewige (nicht
zeitliche) Weise (eg UQíorQe: 9 Saijzovas dioe), Die
heroischen Seelen hingegen haben zweierlei Formen des
Lebens. Es wird darauf der Unterschied unter den He-
roen ausführlich erórtert. Heroen, die von Góttinnen
abstammen, sind dem wechselnden Schauspiel des Lebens
zugethan und voll von Tbatenlust, wie Achilles, der noch
im Hades das kórperliche Leben zurückwünsehte , «im sei-
nem Vater beizustehen, Hingegen solche Heroen , deren
Vater ein Gott ist, wie Minos und Rhadamanthus, die
Sóhne Juppiters , suchensich vom Zeitlichen loszumachen
und sich zurückzuflüchten in das Eine und wahrhafte Seyn.
Ich habe einen Theil dieser Stelle in den Meletemm. I.
p. 88. not. 64, mitgetheilt und verbessert.
79
so redet er anderwärts von dem Dämon, der uns durchs
Loos erlangt hat, dem wir zugefallen sind. Dies bezieht
sich auf jene Anthropologie, die wir in der Mysterien-
lehre wieder finden, auf jene Naturordnung, nach der
beim Herabsteigen der Seelen einer jeden ihr Dämon
zugeordnet wird. Das ist der ELÄNXOG Huds dat
"9v, den auch schon Lysias (p. 198. p. 13o Beish.) kennt;
und gerade dieser Ausdruck kommt als recht eigenthüm-
liche Bezeichnung in diesem Sinne oft wieder vor. Plato
brauchte ihn auch, wie wir weiter unten sehen werden,
sehr bestimmt (de Republ. X. 14. pag. 620. pag. 310 8q.
Ast. pag. 514 Bekker.), auf welche Stelle Plotinus
'a. angef. O. pag. 284.) anspielt, so wie auch Hermias
Commentar. in Platon. Phaedr. p. 93 sqq.), der dieses
YVort dreimal gebraucht und einmal auch absolut: ó ei-
mx ole Jaiuov; so werden auch in der mehreren Zahl
lie Dámonen genannt oi eiAgyoóveg ?udc (z. B. bei Sallu-
‘tius de Diis et mundo cap. 20. pag. 278 Gale) 56). Zu
vielen Theorien über den Schutzgeist (Genius) eines
eden Menschen gab diesen Philosophen auch die Sage
7:on dem Dümonium des Socrates Stoff und Anlafs. Her-
nias (a.a. O. pag. 93 sq.) nimmt daher und aus der be-
iannten Stelle des Platonischen Gastmahls Gelegenheit,
len Satz ins Licht zu setzen, dafs wir Menschen unter
"nem Dimon stehen. Dies erhelle, meint er, nichtnur
aus den Schicksalen des Lebens, indem viele Dinge aus-
ser unserer Macht liegen, z. B. die VVahl eines Standes
1. $. W., sondern auch daraus, dafs unser Geist nicht
;los unter der Leitung unserer Vernunft stehe , Sondern
46) So sagt Proclus in Platonis Alcib, I. (fol. 40. rect. Cod.
August. nr. 435.) : Diese Gótter nun, die Dämonen , sind
es, welchen nach ihrem Wesen die Seelen zugeordnet
sind (ouror 8 oly of soi Oaj^cvés alzty ol war! cucíay NOTE
Tag Ude).
auch unter fremdem Einflafs, wie unter andern die Träume
bewiesen. Es komme mithin Alles darauf an, ob wir den
Dimon , welcher über unser Leben waltet, wahrnehmen
oder nicht. Jenes ist Zeichen einer edleren Seele , dies
ciner niederen, unedleren. Dies führt ihn zu der Frage,
wie die Dämonen sich verständlich machen , ob sie z. B.
mit Sinnen begabt sind, ob und in welcher Bedeutung sie
eine Stimme haben. Plotinus lege ihnen Laut und Stimme
bei, Nach deu Berichten bei Porphyrius (de vit. Pythag.
pag. 42.) müfste diese Meinung schon alt gewesen seyn,
denn dort wird sie dem Pythagoras beigelegt. NachHer-
mias unterschieden die Platoniker freilich die dámonische
Stimme von der durch die kärperlichen Organe hervor-
gebrachten Menschenstimme. | Der Dämon, sagten sie,
braucht keine Zunge, um zu uns zu reden. Uebrigens
aber ist das Vehikel, dessen er sich bedient, den un.
srigen verwandt 5), Zuletzt bemerkt Hermias, wie zwar
jeder Mensch gleich bei der Geburt einen bleibenden
Gefährten, einen Hauptgenius erhalte, jedoch während
seines Lebenslaufs, welcher eine Vielheit von Leben
bilde , mehreren Genien unterworfen werde, die ihn pe-
riodenweise beherrschen. Die sündhafte Seele. werde
einem leidenschaftlichen Dämon untergeben, die reinere
und nüchterne einem gutartigen und edlen. Mithin bleibe
es wahr, was Plato sage (s. de Republ. X. cap. 14.), dafs
der Dámon uns nicht durchs Loos ergreife, sondern dafs
wir ihn wühlen.
Die sittliche Wendung, die hier dieser sonst so ge-
führlichen Lehre gegeben ist, wird wohl Niemand unbe-
merkt lassen. Auch in diesem Sinne waren die ersten
Minner in diesen Schulen ächte Platoniker ; vorzüglich
$7) Bekanntlich hat Psellus in einer eigenen Schrift ,, Von
den Wirkungen der Dämonen““ sich über diese Fragen
weiter verbreitet,
^o
31
Plotinus, der allenthalben darauf ausgeht, neben der
Dàmonenlehre den ethischen Satz von der Freiheit zu
retten. Dahin gelórt auch dessen ideenreiche Abhand-
lung gegen die Astrologen (die dritte in der zweiten En-
neade), mit der'Ueberschrift: « Von dem, was die Sterne
wirken». Esistbelannt, welchen verderblichen Einflufs
die Grundsátze der sogenannten Chaldàer auf die Moralität
der damaligen Generationen áufserten , welche Gewalt sie
über die Gemiither in hohen und niedern Ständen übten,
und wie sehr. daher ‚ernste Philosophen, wie Panätius,
Cicero, Sextus , Favorinus (s. Gell. N. A. XIV. 1.) , allen
ihren Scharísinn aufboten, um dieses Uebel in der Wur-
zel auszurotten. Plotinus leistete dasselbe von seinem
Standpunkte, wie das angeführte Buch beweist, worin
er z. B. zu erweisen sucht, wie die eineSeele in.uns, die
Náturseele, freilich an den Sternen hänge , und unter das
Fatum gebunden sey; unsere andere Seele aber, die aus
Gott ist, freisey, frei vom Fatum und von den Gestir-
nen, und wie sie uns selbst frei zu machen vermóge.
In dieser Lehre von der Befreiung und Hinauf-
läuterung der Seele theilten sich die Meinungen die-
ser Philosophen. Da machte man zuvörderst chen sowohl
eine Classification der Menschen, wie man die Dämonen
unter Classen gebracht hatte, Wer dietheurgische Kraft
hat, sagt Psellus (de omnivariá doctriná cap. 55. p. 110
Fabric.), beifst Seondvop, góttlichev Vater (viel-
leicht liefen hier Vorstellungen aus der Mithraslehre mit-
unter); wer die Kraft der Contemplation (die Betrachtung,
Sempie) hat, heifst ein 9diog, ein Góttlicher. (Hier-
mit stimmt Porphyrius Sent. nr. 34. überein, wenn man
nämlich dort Seivs, statt Sedg, lieset.) Ver die reini-
gende Kraft besitzt, heifst ein Geistlicher (Joiuórioc);
wer die politische Tugend hat, heifst ein Edler, Treff-
licher (czovóoiog). Man sieht, dafs bei dieser hier mit-
getheilten Terminologie der Satz von der Möglichkeit
lil. (c
f
ä
Ga
einer Läuterung der Seele bis zur Gottheit zum Grunde
liegt. Eben darüber aber waren die Meinungen streitig.
Olympiodorus (zu Plato’s Phädo) klagte diejenigen einer
Unireue gegen die Platonischen Lehren an, die den Men-
schen in einen Dimon, Engel oder Gott verwandelten.
Psellus seinerseits selbst wollte auch von einem wirklichen
Gottwerden nichts wissen, und lehrte blos ein Aehnlich-
werden der Seele, eine Verwandtschaft mit hóheren Gei-
stern. ' Jamblichus hingegen (de myster. Aegypt. 1I. 2.)
redete wenigstens bestimmt von Fällen, in denen die
Menschenseele durch den Strahl des höheren Lichtes
ganz zum Engel verklirt werde. Noch weiter ging Da-
mascius, der ebenfalls von dieser Wirkung des göttlichen
Lichtstrahls redete, und von der Seele sagte, sie werde
endlich auch wohl Gott (Szovtaı; vergl. Gale ad Jambl.
a. a. O.). So knüpften sich also von dieser Seite auch die
Resultate des philosophischen Denkens an jene Reini-
gungen und Läuterungen an, die in den Gebräuchen und
Lehren der Mysterien unter bildlicher Hülle veranstaltet
waren. Ueberhaupt aber kann diese Uebersicht der He-
roen- und Dämonenlehre einen Jeden überzeugen , dafs,
bei allen Veründerungen in Form und Ausdruck , die sie
im Verlauf der Zeit unter Griechen und Rómern, zumal
seit Entstehung des Christenthums , erhalten hatte, doch
durch alle diese Theorien derselbeGrundgedanke hindurch
zieht, der im Volhsglauben nur durch einzelne Aeufse-
rungen und Merkmale kennbar wird, in der Geheimlehre
aber und in den Philosophemen mehr nach seinem Zu-
sammenhang erscheint.
83
ZWEITES CAPITEL
Von der Bacchischen Religion 1).
§. i
Einleituün g-
A uch Dionysus war dem Griechen der Heroen oder
der Dämonen einer. Jenes glaubte das Volk, und er-
1) Da ich jezt bereits zuni drittenmal dieses Gebiet berühre,
so möchte eine kurze Erklärung über meine dainalige
und jetzige Absicht nicht unnótbig seyn. In der Abhand-
lung über den Silenus im zweiten Bande der Studien
(1306) unternahm ich die specielle Untersuchung eines
Zweiges, dergleichen mehrere voráusgehéti müssen;
wenn wir hoffen solien, die ausgebreiteiste ünd inhalt-
reichste Form Griechischer Religionen in ihrem Zusam-
menhang zu erkennen. Daher setzte ich auch im ersten
Bande des Dionysus (1809) diese vorbereitenden For«
Schungen fort, und glaubte damals diese Bestiinmuhg des
Buchs sowoh! auf dem Titel als auch durch die hinzuge-
fügte Erklärung deütlich bezeichnet zu haben, ‚; dafs ich
Dionysische Memoiren schreibe‘ (Heidelbb:
Jabrbb der Lit. 1509. nr. 3. pag. 56.). In vorliegender
Schrift wird man keine kritischen Erórterunget über alle
Mythenformen dieses Kreises erwarten. Hier ist es uns
um eine Uebersicht über dieses ganze Religionsgebiet
zu thun. Wir werfen daher einen Blick auf einige Local-
institute und auf den Ursprung des Bacchischen Dienstes,
überschauen darauf die Orphischen Schulen und Kosmos
gonien ; betrachten 'sodann die Lehren dieser Mysterien
in ihrem Zusammenhang, und beschliefsen mit dem Bil-
derkreise derselben, besonders nach den Malereien auf
04
zählten die Dichter; dieses war die Ucberzeugung syste-
matischer Theoretiker, die den alten vaterlündischen
Glauben mit der höheren Würde in Einklang bringen
wollten , worin nach den morgenländischen Religionen
jenes Wunderwesen erschien. Darum sagt Plutarchus
(de Isid. p. 360. D seqq. p. 477 seqq. Wyttenb.) : Osiris,
Isis und Dionysus waren Dämonen , bei denen das Gött-
liche vermischt ist mit menschlichen Regungen und
Trieben; weil sie aber gute Genien gewesen, darum
sind sie unter die Götter aufgenommen worden. Daher
sey es sehr wohl gethan, dem Dionysus wie dem Herakles
eine aus göttlichem und heroischem Dienste gemischte
Ehre zu erweisen 2),
alt - Griechischen Vasen, Je mehr der Umfang dieser
Aufgabe Beschränkung gebietet , desto weniger werde ich
in das Besondere der Dichterfabel eingehen. Hierbei,
so wie bei der Literatur der Quellen, mufs ich auf den
Dionysus verweisen, und noch mehr auf das, was seit»
dem mein gelehrter Freund Moser zu den von ihm her-
ausgegebeneu sechs Büchern der Dionysiaca des Nonnus
(Heidelb. 1809) noch vollstándiger darüber angemerkt hat.
Hiermit verbinde«man noch die Augaben bei C. G.
Schwarz Miscell. polit. humanitat. pag. 63. 64. —
Die Bacchischen Feste und Weihen aber , welche Meur-
sius in einem eigenen Werke — Dionysia — erläutern
wollte , das leider nie erschienen ist, und worüber Ca-
stellanus , Paulmier und selbst der verstündige Saintecroix
so dufserst kurz und unbefriedigend sind, erforderten eine
etwas genauere Erörterung.
2) Zoëga (Abhandil. herausgeg. von Welcker pag. 21. Not.)
erinnert, dafs in dem Namen Dionysus, der vielleicht
nichts anderes sey als eine uralte Ausartung von Ad;
vids, in der Griechischen Mythologie zwei Wesen von
sehr verschiedener Natur vermischt werden: 1) der Cre ~
tische Zagreus, des Zeus und der Persephone Sohn,
in den Orphischen Mysterien nach einem Aegyptischen
Namen Mises genannt, in den Eleusinien, Jacchos,
-5
Also auch hier dasselbe Urtheil, das wir oben den
Herodotus über Hercules aussprechen hörten, — Hera-
kles und Dionysus: beide Heroen; beide Söhne des
Zeus, beide von der Here gehafst und verfolgt. So
erschienen sie in der Volhspoesie. Diese war ja aus dem
Sinne des Volkes ursprünglich hervorgegangen, sie war
wild gewachsen in Griechischem Grund und Boden, sie
schlofs sich fortdauernd der Art und Weise seiner Be-
wohner an. Was hatten diese in der Periode ihrer Ent-
wickelung Höheres gekannt, als ihre Könige und Helden ?
Was Herrlicheres , als deren Thun und Wesen? Was
Erfreulicheres, als ihre frische volle Lebenslust? —
Darum zeigte auch diese heroische oder adeliche Poesie
dem Volle seine seeligen Gótter nur in dem etwas
verhlürten Lichte, in welchem es seine Herren (Heroen)
zu sehen gewohnt war. So war denn auch der weiche
und blühende, der zaghafte, der verwirrte und verwir-
rende, aber auch der starke, siegreiche und triumphi-
rende Dionysus der Abhümmling eines alten Königs-
Hieroglyphe der hervorbfingenden Kraft der Natur;
2) der Thebische Dionysus, Abkómmling von
Cadmus - Hermes, dessen Fabel von der Civilisirung der
Vólker und dem eingeführten milderen und üppigeren
Leben verstanden werden misse. Jener Zagreus » der
von den 'l'itanen zerrissen, dessen Herz oder Lebenskeim
aber Pallas 2ronóa gerettet, wurde zum Sinnbilde der
schópferischen Nacherzeugnifs det schon geschaffenen
Formen und Ursprung der Phallophorien. Dem Thebi-
schen Dionvsus setzten sich die Lycurge, Deriade, Mur-
rane, die Perseus, Pentheus, uralte Gottheiten der rohen
Völker und in der Bacchischen Fabel Stellvertreter dieser
von ihm überwundenen oder besünfügten Vólker, ent-
gegen. — Die alsbald folgende Entwickelung des Bacchi-
schen Religionszweiges wird am besten den Leser über-
zeugen, in wie fern diese Ansicht. des gelehrten Zoëga
richtig und dem Wesen dieser Religion angemessen ist.
Qi
86
hausesund Sohn einer Griechischen Jungfrau aus Juppitera
Kraft geboren, gleich dem Herakles 9).
Und dennoch welch ein Unterschied des einen von
dem andern! Der Mythus von Hercules verleugnet sa
sehr seinen ausländischen Ursprung aus Göttersystemen
der Vorwelt; das Bedeutsame, was daran erinnern könnte,
ist in ihm so untergeordnet, und von dem menschlichen
Element Griechischen Heldenlebens so verdämpft und
niedergehalten, dafs es grofser Aufmerksamkeit bedarf,
um den Lichtstrahl und, so zu sagen, den Faden alter
Sonunenreligion, der durch das Ganze hindurchzieht, zu
entdecken und nachzuweisen. Hingegen der Bacchi-
sche Mythus, auch in seiner menschlichsten Natur, ent-
ziehet sich seinem morgenléndischen Vaterlande nicht.
Allenthalben strahlt er die Gluth einer anderen Sonne
zurück, und duftet nach der Würze ferner, fremder
Zonen. Selbst jene leichtfertigsten Aöden, die um der
Herren Tisch hernmtretend durch immer neue Lieder
gefallen , müssen von der Wiege des Dionysus au selt-
samer, wunderbarer ‘Ereignisse gedenken. Homerus,
sonst so unbekümmert um den Vollgehalt des alten reli-
giösen Glaubens fremder Völker, weifs gleichwohl von
einem rasenden Dionysus, der sich wunderbar im Ab-
grunde des Meeres reitet, und von einem schweren Ge-
richt, das über den Verüchter des orgiastischen Gottes
bereinbricht. Das Alles macht den Glauben des Volkes
nicht irre. Dieses folgt dem unwillkührlichen Zuge der
Phantasie, deren Gebilde um so mehr Reiz behalten , je
weniger sie durch Raisonnement gestört werden. Je
3) Vergl. Eustathius zur Odyss. E. p. 7 Basil. ,, Hoax); oj»
nai Auóvucoc ward TH) loropiÔR jranças domoOwMas mé IASVCL,
peydhor EdoEav.‘* — Sonst besiegt Bacchus den Her-
cules; wenigstens sehen wir ibu so auf einer goldenen Pa«
tera bei Millin Monumens inedits nr. XXI.
37
seltsamer, geheimnifsvoller. und menschlicher zugleich,
desto willkommener dem inconsequenten Glauben der
Menschen. Auch darum schon mufste jener seltsame
Enkel des Cadmus ein Liebling des Griechischen Volkes
werden; auch darum hingen ihm die Frauen an, und
erschöpften sich in Gebräuchen des neuen Dienstes. In
diesem. helldunkelen Glauben sangen die Weiber von
Elis das alte Festlied: «Komm. Heros Dionysus in den
heiligen Tempel am Meere; mit den guten Gaben komm
in den Tempel eilig mit demStierfufs», und darauf den
doppelten Anruf: «hehrer Stier, hehrer Stier» ^). —
Dieselben Eleer verehrten den Dionysus als Sonne
(Etymol. m. in Ató»vcoc) 5). Mithin hatten sie, keinen
Anstoís dabei, ein und dasselbe Wesen als Heros (als
Halbgott) und als Sonnenstier zu verehren. mes
4) Plutarch. Quaest. Graec. XXXVI. p. 299. B. p. 225 Wyt-
tenb. und de Isid. p. 361. F. p. 495 Wyttenb. Statt ZAuoy
is vaóvy schlügt der gelehrte Visconti (Mus. Pio - Clement.
T. V. p. 18. not. a.) vor 'AAXsímy é v. Also statt Meer
tempel: Eleertempel. Scharfsinnig. Aber da die Leute
zu Argos den Stiergott Dionysus (Govysv#) aus dem
Wasser heraufrufen (Plutarch. de Isid. a. a. Q.), sa
bleibe ich beim hergebrachten Texte,
5) Es verehren die Eleer, berichtet Pausanias (VI. 26. 1.),
den Bacchus am meisten unter allen Góttern , und sie ge-
ben vor, er komme alljihrig zu ihnen auf das Fest Thyia,
welches acht Stadien weit von Elis gefeiert wird , wobei
die Priester drei leere Kessel versiegelt in den Tempel
bringen, welche dann den Tag darauf mit Wein angefulit
sind. Pausanias schliefst seine Erzáhluug davon mit dem
Urtheil, man müsse dergleichen Dinge den Griechen
glauben, allein aus demselben Grunde kónnte man auch
das für wahr halten, was die Aethiopier Jenseits der Stadt
Syene von dem Sonnentische sagten, — Die drei Kessel
waren Symbole der drei Jahreszeiten áltesten Calenders;
und so versteht sich die Füllung mit Wein von selber.
38
Gr = |
$ 2.
Dionysus von Theben.
So wenig konnte dieser Religionssprofs von der Art
lessen und seine fremde Wurzel verleugnen, selbst im
unschuldigsten und beschrünhtesten V olksdienst nicht,
Auf diesen letzteren werfen wir zuvórderst einen Blick,
und sehen nach, was Thebe von ihm zu melden hatte,
wo dieses VVunderwesen ja von einem menschlichen Màd-
chen geboren seyn sollte. Dort reihet ihn die Genealogie
von der mütterlichen Seite durch Cadmus an die alten
Inachiden von Argos und an Poseidon an; andrerseits
durch Harmonia an die alten Gottheiten von Samothrace,
wie folgende Stammtafel zeigt , die wir der Deutlichkeit
wegen voranstellen :
Agenor, der Inachide, zz lClephassa
Sohn des Neptunus und
der Libya, in Phónicien
(Apollod. II. 1.4. IT. 1. 1.)
foem tar m EC den ma —À
Cadmus in Theben Phónix Cilix Europa
(Apollod. IiI. 4. 1.)
erzeugt mit ——— lla rmonia
7" "'l'ochter des Mars und der Venus nach den
meisten und ältesten Quellen; nur nach
Einer Sage Tochter des Zeus und der
Electra
(Hygin. fab. 6. und daselbst Muncker
und Staveren p. 20.)
A —-— — - el 3. E enden!
Polydorus Semele Auton'3 Arave Ino
Sie erzeugt
mit
Juppiter
|
FNAL
Dionysus
(Bacchus)
(Apollodor. 1IL 4. 4.).
Aus diesem Geschlecht ward im Jahr 3170 der Juliani-
39
schen Periode, das ist im Jahr 1544 vor Christi. Ge-
burt 9), der neue Halbgott Dionysus in der Bóotischen
Thebe geboren. Auch diese Hellenische Geschlechts-
tafel, so sehr sie dem Griechischen Vaterlánde die Gót-
tersühne zueignet, weiset doch durch den Morgen-
lànder Cadmus bedeutend genug nach dem Orient und
namentlich nach Phünicien und Aegypten, durch Agenor
aber nach Lybien, dem alten Heiligthum des Ammon,
hin. Darüber geben bestimmte Sagen Kunde, die wir
unten berühren werden. Vorerst dürfen wir nur auf
die Art achten‘, wie der Güttersohn geboren wird, um
schon in jedem Zuge beinahe des Auslündischen genug
zu finden. Sonderbare Umstánde bezeichnen seine An-
kunft in die Welt auch nach der poetischen Sage 7).
Neben der Arglist der eifersüchtigen Here und dem
Flammentode der bethôrten Semele hôren wir von der
Feuergeburt und der seltsamen Rettung ‘des Gôtterkin-
des, und von der wuchernden Fülle des rànkenden Epheu,
der den weichen Gott, damit er sich nicht verletze, in
sein weiches Lager aufnimmt. Die Erziehungsgeschichte
spielt in diesem symbolischen Sinne. fort. Merken wir
zuvor auf die Geburt selber.
$ 3.
Fortsetzung.
Er ist der Feuergeborne (avowerÿs) 9). Er
sollte nach einer Sage mit dem Blitze selber vom Himmel
6) Herodot. If. 145. und daselbst die Ausleger; vergl. Larcher
Chronolog. p. 327.
7) Hauptstellen; Homeri Hymn. XXVI. 1 — 10. — Euripidis
Phoeniss. 651 sqq. Bacchae 89 sqq. 275 sqq. 519. Apol-
lodor. III. 4. 3. Nonni Diónys. VIII. 1 sqq.
8) S. Moser zum Nonnus p. 216.
zr
c-
herabgekommen seyn, oder Semele hatte ihn doch unter
dem leuchtenden Wetterstrahle zur Welt gebracht (Eu-
ripid. Bacch. 3.). Sein ältestes Bild war aus einem Pfahl
oder, nach einer andern Sage, mit dem Blitz auf Cad-
mus Haus herabgefallen. Daraus schnitzte der Oheim
Polydorus das erste Bild des Cadmeers Dionysus
(Kadugiovs Pausan. Boeot. v2. 3.). Ein bedeutender
Zug von ältester roher Vorstellung dieses neuen Halb-
gottes durch eine blofse Herme, dergleichen die Sicili-
schen Landleute in ihren Weingárten lange Zeit beibe-
hielten. Seines Ursprungs wegen heifst er dann auch
der Strahlgott (A«unvíg), und bei Dichtern wie auf
Denlmalen erscheint er mit dem Blitz in der Hand (Dio-
nysus p. 201 — 253.) 9). Dem Schoofse der durch die
Herrlichkeit des Donnergottes Zeus entseelten Semele 10)
entsinht der herrliche Sohn. Damit er nicht sterbe, ent-
spriefst im Moment den Säulen des königlichen Saales
der schnell wachsende Epheu, und verbirgt den blü-
henden Knaben in seinem hühlenden Schatten 17). Da-
ber heifst Dionysus der von der Sáule Beschat-
tete (xepuxióyi0g). Auch über diesen Namen ist des
9) Mit Bezug auf seine wunderbare Geburt hiefs er auch B;-.
pros ; 8$. Moser zum Nonnus pag. 204. und dort besonders
Eudocia ia Violar. p. $7. und meine Meletemm. I. p. 20.
Not. 15.
10) Wie Vieles wufsten nicht schon die Griechen über ihren
Namen Zzsj4£5 zu rathen. und zu deuteln (s. Moser zum
Nonnus p. 188 f.). Hiermit verbinde man noch die Deu-
tung dieses Namens , welche Sickler ans dem Ebráischen
versucht hat , im Cadmus p. C und CL. Thm ist Semele:
noNQS (Schemelah) d.i. die Hochverehrende
oder die des Herrn Namen Anbetende,
11) Mnaseas von Patara in den Europiischen Geschichten
beim Scholiasten des Euripid. Phoeniss. 651.
30
ot
Rathens Viel gewesen 12), Wir können uns aber um so
mehr auf das Zeugnifs des Mnaseas verlassen, je bedeut-
samer dieser selbige Zug schon in des Osiris Geschichte
hervorgehoben wird: Der Sarg, der dessen Leichnam
verschlofs , blieb am Seegestade in einer Ericastaude
(Erica cinerea , scoporia Linn.) hängen , die ihn schnell
ganz umwuchs; und als der Byblische Hónig Malcander
ans der Staude wegen ihrer wunderbaren Grófse eine
Siule in seinem Pallaste verfertigen láfst, kann die trau-
ernde Isis diese Säule nicht verlassen (s. I. Th. p. 261.).
Das war ein bedeutender Zug eines alten isgóg Aóyoc.
Daher auch die Orphiker gerade den Süáulengott Bac-
chus besangen 19),
Aber auch der Epheu, dieses bestündigste Attribut
des Dionysus, ist des Osiris Pflanze. So nannten
sie die Aegyptier (Plutarch. de Isid. p. 365. E. p. 498 Wytt.)
und die Hoptische Sprache bestátigt dieses Zeugnifs 14).
12) S. C. G. Schwarz Miscellan. politior. humanit. pag. 67.
und Valckenaer zu Eurip. Phoeniss. 654.
13 Zu dem, was ich schon oben (I. Th. pag. 261. pag. 782.)
über diesen Bacchus 7sgouóviog bemerkt , füge ichjeztnoch
Folgendes hinzu: Clemens Alexandr. Stromat. i. p. 418.
Harpocrat. s. v. 'Ayusjs, Pausan. Boeot. 12. $. 3. p. 38
Fac. Euripp. Fragmm. p.426 ed. Beck. Spencer de Legg.
Hebr. ritual. p. 664 — 667. Jablonski de Rempha (Opus-
cull TL. pag. 71 sqq.). Schleusneri Lex. N. F. in PexÇdy
T. HI. p. $16. Endlich ist anch die Stelle vom Ehebette des
Ulysses in der Odyssee XXII. 188 sqq. zu beachten.
14) S. Salmasii Epist. ad Golium pag. 167. Auch Silvestre de
Sacy in den Noten zu Saintecroix Recherches sur les my-
stéres du Pagan. IL. Th. pag. 51. bemerkt, dafs dieses
Wort in der Koptischen Sprache sich finde , und es sey
ohne Zweifel, dafs das Aegyptische Chenosiris, wie
Plutarchus angiebt , die Bedeutung habe: Pflanze des
Osiris. Er verweist dabei auf Jablonski Opuscc. I.
p. 400. und Ignat. Rossi Etymol. Aegypt. p. 244.
$32
Es ist bereits oben (II. Th. p. 359 ff.) bemerkt worden,
wie sehr sich der Mythus in der reichsten Fülle von
Pflanzen gefállt, um seinen Cad milus oder Cadmei-
schen Dionysus damit auszuschmiicken. Manche Ziige
dieser Art geben wieder zu neuen Mythen Anlafs, wie
z. B. der von der Nymphe Psalacantha ist. Sie hatte dem
Bacchus zur Erwerbung der Ariadne hülfreich beige-
standen, und ward von ihm in die Pflanze des Namens
verwandelt, die mit wundersamen Králten ausgestattet
ist 15). Man würde nicht fertig werden, wenn man Alles
berühren wollte, was die reiche Griechenphantasie in
diesem Kreise erschaffen hatte 16), Der Epheu, wie
bemerkt, war und blieb des Pflanzengottes, so wie sei-
ner Begleiter, kenntlichstes und stündiges Abzeichen.
Wo Epheu und ähnliche Pflanzen, wie die Windenart
ouikaëË (Schweighäus. ad Athen. V. P- 101.),_in beson-
derer Fülle wucherten, da war der Fufstritt des Gottes
gewesen, bis nach Indien hin, wo der Scheitel des hei-
——M
15) Hephaestion p. 322sq. Gal. vgl. Hesych. s. v. ibiq. Albert.
So hiefs, wie Plutarchus (Symposiacc. LII. 1. p. 647. A.
p. 691 Wytieub.) bemerkt, Dionysus der Arzt (aros) ,
nichtblos weil er den Wein , das kräftigste und angenehm-
ste Heilmittel, erfunden, sondern auch weil er den Epheu
gelehret in Ehren zu halten, und damit die Bacchanten
bekränzt; denn dann schadet ihnen der Wein weniger,
weill der Epheu durch seine Kühle das Feuer der Trun-
kenheit auslóscht.
16) Ueber die ‚verschiedenen aus dem Pflanzenreiche dem
Bacchus (der daher auch den Namen dsväpirys und andere
ähnliche hatte) geweiheten Gegenstände hat C. G. Schwarz
a. a. O. p. 69 ff. gehandelt.. Aufser der Weinrebe und
dem Epheu rechnet er auch die Fichte (rw) hierher
(s. oben 1I. 'T'h. p. 360.). Hierher gehórt auch der Name
des Bacchus: Euav9z; d.i. floridus, bei Athenäus XI.
p. 465. A , wenn anders die Lesart richtig ist; s. Moser
zum Nonnus p, 207.
TL
95
ligen Berges Meros mit den Ranken des Epheu umkränzt
seyn solite (Arriani Indic. hist, cap. 5.).
Der Epheu war der wesentlichste Schmuck des
Thyrsus (ó 969005) 17). Letzterer heifst selbst der
Bacchische Zweig ( Eurip. Bacch. 308.). | Ursprünglich
war es ein Rebschofs mit Epheuzweigen umwunden. Es
ist aber bekannt, wie es oft auch in der Bedeutung von
Waffe gebraucht wird, dessen sich die Bacchanten be-
dienten, indem die Spitze des Spiefses im Epheu ver-
borgen war. Auch wird der Thyrsus unter den Bacchi-
schen Attributen mit dem sonst davon zu unterscheiden-
den Stabe Narthex (vae®nE) synonym gebraucht, und
es ist wohl auch von Fackeln 15) die Rede, die damit
verbunden waren (s. Schneiders Gr. Wörterb. I. Th. p.649
dritt. Ausg.). Wie wesentlich der Thyrsus war, beweiset
unter Anderm der ins Sprichwort übergegangene Orphi-
sche Vers: «der Thyrsusträger sind wohl Vicle, der
Bacchanten aber Wenige » , womit man die geringe Zahl
der Auserwählten und Geweiheten zu bezeichnen pflegte
( Wyttenbach zu Plato’s Phádo p. 173.).
Mit dem Epheu war auch die Trompete umwunden,
durch deren Schall die alten Argiver den Stiergebornen
Dionysus feierlich aus dem Wasser heraufriefen ( Plu-
tarch. de Isid. p. 364. F. p. 495 Wyttenb.). Das waren
ja die Leute, die in ihrem alten Hónigshause das Stier-
symbol so zu sagen als erblich kannten; und der Theba-
ner Dionysus war ja von der Mutter her selbst aus diesem
17) 8. C. G. Schwarz a.a. O. pag. 99. 100. und über die zwei
Arten des Bacchischen Thyrsus Barkeri Epist. ad Schae-
ferum, in the classical Journal Vol. XII. p. 406 sqq. und
daselbst die Stellen der Alten nebst den Erläuterungen
des Salmasius, Vergl. Moser zum Nonnus IX. 122. pag.
227 sqq.
18) S. Suidas s, v. O7t0»;.
94
Inachidengeschlechte. — Aus dér Tiefe der Gewässer,
woraus alle Dinge geboren sind, stieg auch jährlich der
Aequinoctialstier heranf, und mit ihm das neue Sonnen-
jahr und der neue Jahressegen. Darum wandelt auch Io
als die Inachische Kuh an den sieben Mündungen des
Nilus (Moschi Idyll. II. 51.) , dort wo die sieben Jahres.
kithe im Traume des Pharao so glücklich vom Ebrier
Joseph errathen werden. Auch die ältesten Könige , die
érsten Stifter der Jahresfeste und der Jahresordnung,
müssen nun den Stier in ihrem Hause haben, und àm
hohen Jahre:sfeste zu Argos darf die Priesterin nicht an-
ders als mit Kilhen zum Tempel der alten Himmelskóni-
gin binauffahren 1%), Die Hirten der Völker hatten das
heilige Hornvieh unter ihren Abzeichen, und führten
auch in jener Eigenschaft das Jahreshorn als ein Horn
des Heils 20). Hörner waren die ältesten Becher; und
in Bechern trank man sich die guten Wünsche zum
neuen Jahre zu 2%. Gleichwie nun der Argiver den
Stiergott Dionysus durch die mit Epheu bekränzten
Trompeten aus der Tiefe herauf rief, so war in der
Thebanischen Cadmeerburg mit dem strahlenden Feuer-
—
19) S. oben IT. Th. p. 576,
£0) Vergl. Nonnus Dionys. XIV. 240. wo das «seas BeBuc-
I^£70ov vorkommt, das Beger ('Uhes. Brandenb. I. p. 14.)
cornutemperatum übersetzt? Spanheim (de Us. ac
Praest, etc. I. p. 394.) hat dafür BeBpiopevoy, das er
durch venustum übersetzt, — An die verschiedenen
Beinamen des Gottes indieser Beziehung , als: vegaoipcoos,
TAUÇONÉSOS, TAUÇOMETWTOS, KOUTOKEGOSs, hat schon C. G. Schwarz
Misceilan. polit. human. p. 72. erinnert, vergl. mit ick
ler im Kadmus p. CVI sq. Ueber ravgopsrwmos insbeson=
dere vergl. meinen Dionysus I. p. 283.
21) S. oben I. p. 378. 671. M. p. 974. vergl. Homer. Briefe
p. 135. 137. und Dionysus p. 279.
95
golt Dacchus ein neues Horn des Heils, ein nener Jah-
resordner und ein neues hallendes Freudenjahr glücklich
geboren. Mit dem Frühlingsstier, mit dem Frühlings-
regen und im befruchtenden und ziindenden Blitze war
die Jungfrau Semela, Thyone (Ovóvz), die Erde 3,
entbunden, und das herrliche Hind strahlte seinen Segen
über Stadt und Land umber. Es war dies das Stier-
land, wo dem Orakel zufolge der ermiidete Stier durch
sein Niederfallen (óxAao:c;) dem irrenden Cadmus den
Ort bezeichnet hatte, der seine neue Heimath werden
sollte 2). Nun, im warmen Hauche des neuen Früh-
jahrs und im Vorgefühle des hommenden Jahressegens,
überliefs sich das Cadmeervolk dem festlichen Jubel.
Nun schallten die Waldungen des Citháron von den Lie-
dern der Bacchanten, worin. man den Befreier besang,
der die Fesseln der Erde gelóset und Alles neu hatte auf-
gethan. Das war der Lysius (Aéctoc), wie Dionysus na-
mentlich zu Thehe hiefs (Pausan. Corinth. 7. $. 6.) ?5).
Nun war der Stier erschienen, wie man im Festliede um
Dionysus Erscheinung flehete ($ávz9« «aispoc, Euripid.
Bacch. 1015.) , und nun konnte der Thebanische Priester
Phanes (&vzc, Pausan. a. a. O.) den andern Stämmen
den neugebornen Gott verhündigen. Nun war das Jahr
22) So deuteten Einige; s. Diodor. Sic. III. 61. vergl. Moser
zum Nonnus VIII. 355 und 409. p. 186 sqq.
23) Euripid. Phoeniss. 641. Pausan. Boeot. XII. $. 1. nebst
Nonnus IV. 293 seqq. uud Schol. ad Aristophan. Ran.
1225.
34) Aehnliche Beziehungen mógen bei dem Bacchus Xaucwe,
d.i. der Gesund machende, statt gefunden haben.
Unter diesem Namen nämlich, den der Gott zufolge eines
Orakelspruchs erbalten haben sollte, hatte er bei deu
Trózeniern einen Tempel; s. Pausan. Corinth. cap. 31.
S. 8.
095
geordnet, und im Stierzeichen des Frühlings beging
man den neuen Jahreslauf. Aber auch lüngere Perioden
wurden bestimmt. Wir erinnern uns der zweimal sieben
Kühe als Zeichen der sieben mageren und fetten Jahre,
So hatte auch der alte Thebaner einen dreijáhrigen Jah-
reskreis und mithin drei Horner als bedentendes Zeichen
des gröfseren Festes, vermuthlich mit Beziehung auf
den Weinbau, vielleicht auch auf siderische Verhilt-
nisse. Genug, das dortige Volk béging seine Triete-
rica 25) besonders feierlich. Davon sind die alten
Dichter voll, und auch in alten Bildwerken haben sich
vielleicht bestimmte Anspielungen darauf erhalten. We-
nigstens verdient die scharfsinnige Erklärung des ge-
lehrten Zodga Auszeichnung, der in einem alten Relief
( Bassiril. nr. 82.) neben einer orgiastischen Mänade auf
die seltsame Erscheinung von drei llórnern auf dem
Kopfe eines tanzenden Satyrs aufmerksam macbte, und
darin, so wie auch woh! in den drei Hreisen des Sta-
bes, welchen er führet, ein Sinnbild der Trieterica er-
kannte.
Wir blicken auf die poetische Geburtsgeschichte des
Halbgottes zurück. Zeus der Vater nimmt das unreife
sechsmonatliche Hind. von der entseelten Mutter, und
nähet es, um die zarte Frucht zu zeitigen, in seine Hiifte
ein , woraus er es zu gehôriger Zeit zurügkholt und dem
Hermes übergiebt 2), der es zur Muhme Ino und ihrem
25) Die Stiftung der T'rieteriden schreibt Cicero de N. D.
HI. 23. dem fünften Bacchus, dem Sohne des Nysus und
der Thyone, zu. Davies zu der angef. Stelle p. 621 uns.
Ausg. giebt die Hauptstellen über dieses Bacchische Fest.
26) Mehrere Bildwerke, die sich auf die Geburtsscene des
Bacchus aus Zeus beziehen, hat Welcker in der Zeit-
schrift für alte Kunst I. 3, p. 519. bemerkt , so z. B. eines,
wo Zeus in einer Weiberhaube unter den Háünden der
+
27
Gemahl Athamas trägt, um seine Erziehung zu besor-
gen 77. Auch hier wieder verschiedene Sagen , sowohl
in Betreff der Monate des Embryo, als auch in der Art
seiner Rettung. Nach Meleager (Carm. CXL) wurde
Bacchus gar nicht in Juppiters Hüfte verborgen, sonu-
dern aus der glühenden Asche sofort vom Hermes zu
den Nymphen hingetragen. Der herrschende Mythus
erzeugte viele poetische Epitheta, die dem Wunderkinde
beigelegt worden, wie unpoppfapis, sipaqiuo vag 38) , die
(top 2?) und mehrere andere. Den Schlüssel der Dich-
W ehemütter schrie , und ein anderes noch jezt erhaiteries;
wo er auf einem Kindbetthügel liegt und das feuergeborne
Kindlein dabei.
27) Apollodor. III. 4. 3. und daselbst Heyne. Wenn Ino,
die Amme des Bacchuskindes, das Wasser bedeutet;
worauf doch etymologische Spuren hinweisen, so hat
dies den natürlichen Sinn, dafs aus dem feuchten Boden
der Weinstock seine Nahrung zieht; s. meine Homer.Briefe
p. 213. Not. und p. 214. Ueberhaupt alle Nymphen,
bemerkt Zoega (s. dessen Abhandll. herausgeg. von Wel«
cker pag. 5. Not. 11.), nicht blos Nysa und Leucothea,
werden als Vorsteherinnen des feuchten Elements,
des Pflanzenlebens und der Thiérerzeugung , als Ammen
und Erzieherinnen des Bacchus betrachtet, und heifsefr
bei den Orphikern Bdwyow rçoGoi u. s. w. S. Hymn. Orph:
L. 3. 15. Porphyr. de antr. Nymph. p. CXVI. CXVII.
£8) S. Etymol. magn. s. v. Orphic. Hymn. XLVIII. (47.) 2,
welcher , tiebst XXX, (29.) und XLIV. (43.) LIL (51.) ,
überhaupt für diese Beiwórter zu vergleichen ist, Vergl.
auch Moser zum Nonnus IX. 3. p. 190 sq.
29) Die verschiedenen Erklärungen des Namens óqoyrwo giebt
Moser zum Nonnus IX. 10. pag. 105. hauptsächlich nach
Diodorus Sic. IV. 4. und Ill. 61. Er heifst so, weil er
von Einem Vater und zwei Miittern, der Semele und
Proserpina , geboren ist, oder weil das Setzen der Pflanze
in die Erde und ihr Wachsen als die erste Geburt, das
IL,
ya
P
9-
tung hat man bald in der Anspielung auf den Indischen
Berg Meros (Mnoos), bald in der orientalischen Bilder-
sprache und namentlich in dem auch biblischen Ausdruck
gesucht, wonach der Sohn «aus des Vaters Lenden»
entsprungen ist *0. Auch die Kunst hat diesen bedeut-
samen Mythus nicht verschmiht, doch nur in so weit
als sie sich an die mysteriósen Vorstellungen etwas en-
ger anschlofs. Hierher gehórt die Opferschaale (patera)
im Cabinet des Cardinal Borgia mit der Vorstellung von
Bacchus Geburt 31) Hermes aber, als Ueberbringer
des Bacchuskindes, war schon im Alterthum ein belieb-
tes Sujet gewesen 3%), Wir lesen von einem Werke des
Fruchttragen und Reifen abef als die zweite angesehen
wird , so dafs die eine Geburt des Gottes die aus der Erde,
die andere die aus der Rebe ist.
80) S, J. Clericus zu Lucian. Deorr. Diall. IX. 1. T. I. p. 228
' ed. Hemsterb. 'T. 11. p. 276 ed. Bip.
31) Lanzi Saggio della L. Etr. 'T. II. p. 195. vergl. Zoëga zu
den Bassiril. I. p. 20.
32) Pausanias (Lacon. 18. $. 7.) erwühnt eines Bildwerkes,
das den Hermes vorstellte , wie er den Dionysus und He-
rakles, und zwar jenen noch als ein Kind (vaió« ovra £r),
in den Himmel brachte. Einen Hermes , der das Bacchus-
kindlein überbringt , hat Welcker in der Zeitschrift u.s. w.
I. 3. auf der Tafel VI. 25. (dazu p. 515 f£.) nach Zoëga’s
Bassiril. di Roma 'l'av. 3. gegeben, obwohl er der An-
nahme des Zoéga , dafs Hermes hier den Knaben Bacchus
in den Himmel trage, nicht beizupflichten scheint. Auch
erscheine Hermes oft nicht als Ueberbringer, sondern
vielmehr als Wärter des Knaben (pag. 517. 518.). So
z. B. auf einem Vasengemilde (bei Welcker a. a. O.
Taf. VI. 26.) , wo die Nymphe das Kind auf dem Schoofse
hilt, und Hermes, der vor ihr steht , nicht gerade noth-
wendig als Ueberbringer des Kindes erscheint. Auf der
Tafel VI. 27. ebendaselbst, nach einem geschnittenen
A
99
Cephisodotus dieser Art und von mehreren andern, Da-
von mügen einige auf uns gehommene Bildwerke zum
"heil Nachahmungen seyn. Ein Relief mit dieser Vor-
stellung in der Villa Albani hat Zoéga ( Bassiril. I 3.)
erläutert. Hierher gehört auch das schöne Relief auf
einem Krater, als Taufgefäfs von Gaeta bekannt, jezt
im Museum zu Neapel befindlich, welches VVelcher in
der Zeitschrift für Geschichte und Auslegung der alten
Kunst 1. 3. p. 500 ff. ausführlich erliutert hat. In der
Mitte desselben (s. dort die Tafel V. nr. 23. VI. nr. 24.)
sieht man den Hermes, wie er das in Windeln gehüllte,
aber mit Epheu schon bekränzte und mit dem Bacchi-
schen Diadem um die Schläfe versehene Kindlein , dessen
Sitz und Haltung etwas Hohes und Gebieterisches an-
zudeuten scheinen, der auf einem Felsen sitzenden Amme
übergiebt. "Ueber beide Arme hat sie ein Rehfell aus-
gebreitet, um darauf das Bacchushind aufzunehmen.
Welcher erkennt in ihr nicht sowohl die Ino, als die
Nymphe Nysa. Hinter dieser Nymphe steht der alte
Silenus, bereit den Zógling aus den Händen der Amme
zu empfangen. Auf ihn folgt eine wirkliche Nymphe
oder Bacchantin, aber von gesetztem VVesen, Mystis,
die Erzieherin des Bacchus, welche ihn in der mystischen
Kunst, in den nächtlichen Orgien und in der Weihe
unterweiset. Die dritte weibliche Person , deren rechte
Hand an einen kahlen Stamm gelehnt ist, erklärt Wels
cker aus verschiedenen Umständen für die Nymphe des
Steine des Hrn. Horn , hält Hermes sitzend das Kind dem
Zeus vor, als ob einer Mutter das Neugeborne zuerst
gezeigt würde; wenn es nicht vielmehr ist, wie Hermes
das halb gezeitigte Kind ihm bringt, um es zu sich zu
nehmen (s. Welcker p. 518.). Aufeiner Münze von Lao-
dicea tràgt Zeus das Kind , das er geboren , selber auf dem
Arme (s. ebendas.), '
100
Herbstes, Opora. Diesen drei Personen auf der einen
Seite, Silen, Mystis und Opora, welche den geistigen
und leiblichen Segen des Neugebornen bedeuten, ist
gegenüber auf der andern Seite in drei andern Personen
die Bacchische Schwärmerei und Ausgelassenheit ange-
deutet. Hinter Hermes nämlich erblicken wir zwei Sa-
tyrn in festlichem Taumel, und in deren Mitte eine Mä-
nade mit dem Tambourin. Vorstellungen, die sich , wie
Welcker a. a. O. pag. 513. nachweist, auch auf andern
Bildwerken finden.
Die Erziehung (education) des Bacchus ist bekannt-
lich Gegenstand vieler alten Kunstwerke und auf sehr
verschiedene Weise behandelt, worüber wir uns hier
nicht verbreiten können. Unter den Reliefs gehört hier-
her das in der Villa Albani (bei Zoéga nr. 73.); auch
zieht man hierher das in jedem Betracht merkwürdige
Bildwerh in derselben Sammlung, das Winckelrann in
den Monumenti (nr. 56.) gab, und seitdem von Zodga
( Bassir. nr. 41.) und ganz neucrlich von den Heraus-
gebern der Winckelmannischen Schriften (B. III. Tab. 3.
B.) genauer mitgetheilt worden ist. Zoéga stimmt Win-
ckelmanns Urtheil darin bei, dafs dieses Werk alle an-
dere Basreliefs in Bom an Alter übertreffe, will aber
nur eine háuslicheScene darin sehen: eine sitzende Frau
mit ihrem Kinde und mit ihren Miigden; dahingegen
Winckelmann bestimmt die Ino mit dem jungen Bacchus
und mit den Nymphen sieht 33). Im letzteren Falle müfste
33) Der Winckelmannschen Erklärung pflichtet auch Welcker
bei (Zeitschrift u. s. w. I. 3. p. 507.), obgleich mit Vers
werfung seines Grundes, und ohne zu bestimmen, ob
hier Leucothea oder eigentlich Ino ausgedrückt sey. Das
Kind, bemerkt er, sehe eher wie ein Mädchen aus,
was sich daraus erklären liefse, dafs Ino uen Dionysus
wie ein Mädehen erziehen sollte (Apollodor. I1I. 4. 3.),
101
man eine Abweichung des Künstlers von der gewühn-
lichen Sage annehmen, nach der die Nymphen den Bac-
chus erst erhielten, nachdem Ino und Athamas rasend
geworden, und jene als Leucothea mit ihrem Sohne Me-
likertes, als Palimon, vergittert worden war. Jezt erst
entzog Zeus seinen Sohn der drohenden Gefahr, ver-
wandelte ihn in einen Ziegenbock, und Hermes mufste
ihn nach Nysa zu den Nymphen tragen (Apollodor. III.
4. 3.) 3). Allein bel der bemerkten grofsen Abweichung
der Mythen, auch in diesem Stück, künnte dieser Um-
stand, wenn nichtandere Gründe eintreten, keine Schwie-
righeit machen. Welchen reichen Stoff lieferte nicht
auch die Geschichte dieser Ino - Leucothea den zahlrei-
chen Dichtern, von der ersten Erwähnung bei Homerus
an (Odyss. V. 333.) bis zum Nonnus herab (1X. 54.)!
Nach Nysa in Asien lifst der obige Mythus bei Apollodo-
rus (a. a. O.) den Dionysus hintragen. Wo suchte und
fand der Grieche nicht seine heilige Nysa? in Thracien,
in Carien 55), in Aegypten, in Arabien, in Aethiopien
wenn man diesen Zug (zur Andeutung des Mannweib-
lichen) für so alt zu halten wage.
34) So findet sich in England in dem Hause Townley eine Sta-
tue des Bacchusknaben, welcher mit einem Ziegen-
felle bekleidet ist, und in der Rechten eine Traube, in
der Linken eine Patera hilt; s. Goede England, Wates,
Irland und Schottland IV. Th. p. 49. 50. Derselbe ere
wihnt im V. Th. pag. 149. noch einer anderen trefflichen
Statue eines Bacchusknaben, der in der rechten Hand einen
Becher hält. Sie befindet sich gleichfalls in England , auf
dem Landsitz der Familie Pembrock , Wiltonhouse ge
nannt.
35) Eine schöne Münze der Stadt Nysa in Carien zeigt auf
der einen Seite das mit einem Lorbeerkranz umwundene
Haupt des Kaiser Maximinus, auf der andern das Bac-
chuskind, sitzend auf einem Füllhorn, das mit Weins
102
und in Indien. Auch Lydien hatte vermuthlich seine
Nysa, woher Kuripides in den Bacchantinnen den Dio-
nysus nach Thebe kommen lifst ( Heyne zum Apollodor.
a. a. 0.). Darauf werden wir unten zurückkommen müs-
sen. Hier erinnern wir nur an den bedeutenden Zug
des Volksmythus, dafs Bacchus als Ziegenbock 36)
dorthin getragen war, worin wohl Niemand einen áhn-
lichen Sinn verkennen wird, wie der im Vorhergehen-
den bei dem Stier nachgewiesene , nämlich einen agrari-
schen sowohl als einen astronomischen.
Zu den Nymphen wurde er hingetragen , die nach-
gehends, fáhrt Apollodorus fort, als Hyaden von Zeus
unter die Sterne versetzt wurden. Schon der sechs und
zwanzigste Homerische Hymnus kennt (Vers 3 f) die
Nymphen als Erzieherinnen des Dionysus , und so singen
trauben angefüllt ist, nnd ihm zur Wiege zu dienen scheint ;
s. Millingen Recueil d. medaill. Grecq. inedit. p. 66. nebst
tab. II. nr. 24.
86) Vergl. Nonnus XIV. 154 sqq. und Moser zu demselben
IX. 28. p. 222. Bekannt ist, dafs der Bock , als Feind der
Reben, dem Bacchus geopfert wurde (C. G. Scliwarz
Miscellan. polit, human. p. 75.). So war in Bôotien bei
TThebe ein Tempel des Dionysus Aegobolus (A/yofóAcu
d. i. des die Ziegen werfenden). Die, welche
dem Gotte opferten, erzáhlt Pausanias IX. 8. $. 1, wur-
den einst durch den Trunk so wild und toll , dafs sie sogar
den Priester des Gottes umbrachten. Alsbald aber wur-
den sie dafür mit einer ansteckenden Seuche heimgesucht.
Da hefahl ihnen das Delphische Orakel, dem Bacchus
einen schönen Knaben zu opfern. Wenige Jahre darauf
aber sollte der Gott für den Knaben eine Ziege zum
Opfer angenommen haben. — Daher will auch Kuhn in
der angef. Stelle des Pausanias statt A/yoBóéov lesen: A-
y*8ógov, d. i. des Ziegenfressers, zumal da auch
ebendas. II. 15. $. 7. eine" Hi4 a'yc(páryos, eine Zie-
gen fressende Here, vorkomine.
105
grofsentheils die Dichter fort, bis auf Nonnus, der be-
stimmt Flufsunymphen nennt 37), Die Hyaden waren von
sehr alten Schriftstellern und Dichtern schon in gleicher
Eigenschaft gekannt. Auch den Plejaden legte man im
Alterthume dasselbe Erziehungsgescháft bei. Der älte
Logograph Pherecydes nannte. die Hyaden Dodoniische
Nymphen, und verhnüpfte also ihren Mythus mit der
Religion des Pelasgischen Zeus zu Dodona, und mithin
mit einem der ersten Sitze der Griechischen Menschheit,
mit dem fabelhaften Flufs Achelous, der als ein Urbild
der nährenden Feuchtigkeit bekanntlich so oft. vorkommt.
Aber auch ohne diesen Nebenzug ist in dem Mythus von
den Hyaden und Plejaden der Satz nicht zu verkennen,
dafs Dionysus der Herr der feuchten Natur sey, d. h.
der Geber befruchtender Regengüsse und Flüsse. Hatte
doch sogar daher eine der unzähligen Etymologien des
Namens Dionysus ihren Ursprung: Er babe, sagte Ari-
stodemus (beim Etymolog. magn. in Acdvvoos), von Zeus
(Aub) und von den Wassergüssen (éevoig) seinen Na-
men. Auch hier bewährt sich wieder der so oft bemerkte
Satz, dafs eine an sich falsche Etymologie einen Theil,
der Wahrheit, nur von einer andern Seite, zeigt. Die
Hyaden sind bekanntlich jene Sterne, welche durch ihre
Gruppirung die Stirne des Stieres bilden , so wie die Ple-
jaden an der Schulter desselben Sternbildes stehen. Den
Alten war der Frühlings - Auf- und Untergang dieser
Sterne, so wie der des Herbstes, ein Hauptaugenmerk
bei Beobachtung der Witterung. Die Hyaden, sagte
der Landmann und Schiffer, bringen durch ihren Auf-
und Untergang Sturm und Regen (Tiro beim Gellius
N. A-XIIL 9.).
37) IX. 28, und dort Moser p. 221 — 223, vergl. Burmana zu
Ovids Metamorph. £1I. 314.
AU
106;
Also auch hier wieder der Aequinoctialstier als der
Vermittler der nassen und trochenen Jahreszeit und als
der Geber der befruchtenden Feuchtigkeit und Wärme
(s. Dionysus pag, 251. 292 sqq.). Wie er zu Argos aus
dem Wasser heraufgerufen ward, hörten wir oben. La-
conien hatte einen andern sinnvollen Mythus aufbehalten.
Dort zeigten die Bewohner von Brasiä eine Hôhle , und
nannten das umliegende Feld den Garten des Dio-
nysus. Es hatte nàmlich Cadmus seine Tochter Semele,
so wie sie den Sohn zur Welt gebracht, in einen Kasten
gesteckt, welchen die Wellen des Meeres sofort nach
Brasiä in Laconien hinübertrugen, und von dem Antrei-
ben des Hastens hatte diese Stadt ihren Namen, Dort-
hin war auch Ino gekommen, und dort hatte sie in jener
Hóhle den Dionysus erzogen 35). Eine charakteristische
Sage. Den allgemeinen Zug, dafs im Vaterlande ihres
Ursprungs auch Dionysus heimisch sey, hat sie mit vielen
38) Pausan. Lacon. 24. $. 3. Was den Cultus dieses Lace-
dámonischen Bacchus betrifft, so meldet Pausanias HL
20. 6. 4. von einem Tempel desselben und einer Bildsáule
unter freiem Himmel zu Bryseá , in der Nähe des Tayge-
tus ; die Bildsiule im Tempel selber aber bekámen nur-
Weiber zu sehen, welche auch allein die Opfer insgeheim
brüchteu (74 i; rdg 90cíag 6c&ci) dv d wod(Xy Tw). Dem-
selben Gotte war ein Berg Namens Lasyrium, über Mi-
genium, geheiligt, wo man]beim Anfange des Frühlings
ein Fest feierte. Aufser Anderm, was sie von den Cári-
monien sagten, gaben sie auch vor, dafs sie eine reife
Traube hier finden; s. Pausan. llf. 22. 2 Zu Amycld
waren an dem Altar, aufser andern Gottheiten , abgebil-
det Juppiter und Mercurius , in Unterredung mit einander
begriffen; in ihrer Nähe aber stand Bacchus mit der
Semele, und neben dieser die Ino; s. Pausan. IIf. 49.
4. In Laconien war es auch , wo man den Bacchus C o -
lonatas (von KoAcv,, einem Hügel) verehrte, An den
Tempel desselben stiefs ein heiliger Platz des Heroen,
+ T
105
andern gemein, die die Geburtsstätte oder doch die Er-
ziehungshóhle dieses Gottes immer jn die Heimath ver
legen. Daher die vielen Geburtsórter des Dionysus,
wovon schon der Homeride zu sagen weifs (Hymnus V.
bei Hermann), und die mit jedem neuen Nationalliede
immer mehr vervielfältigt wurden (Nonnus IX. 11. und
daselbst Moser). Bemerkenswerther ist der aus dem
Meere gekommene Gott, und der im Kasten ver-
schlossene Gott. Es ist nicht meine Absicht, über die
hieraus -hergeleiteten Parallelen, die ihn bald mit dem
Erzvater Noah bald mit Moses identificiren 3%) , fiir oder
wider zu sprechen. Ich weise nur auf die Aehnlichkeit
mit dem im Kasten; verschlossenen Osiris vorläufig des-
wegen hin, weil im Verfolg der Einflufs Aegyptischer
Sage auf den Dionysusmythus doch bemerkt werden
mufls.
Auch die Horen waren Pflegerinnen des jungen
Bacchus 49). Beim Nonnus (IX. 11 sq.) hrünzen sie ihn
mit Epheu, und schon Dinarchus und Callimachus kann-
ten die Horen in dieser Eigenschaft. Daher sie auch
Dionysiaden heifsen, und daher des Bacchus Altar in
einer Capelle der Horen, welchen, nach Philochorus,
schon Amphictyon gegründet haben sollte (s. Dionysus
p.279). Der Sinn auch dieser Dichtung liegt ziemlich
welcher dem Bacchus den Weg nach Sparta gezeigt hatte.
Die Dionysiaden und die Leucippiden opferten diesem He«
ros eher , als dem Gotte selbst. So erzählt derselbe Pau-
sanias III. 13. 5.
$9) S. die Nachweisungen hierüber bei C. G. Schwarz a. a.
O. pag. 64.
40) Vergl. Visconti zum Museo Pio Clement. IV. p. 100 sq.
Sogar die Parzen bekrinzen den eben gebornen Bacchus
mit Schlangen; s, Muret. in Catull. p. 106.
1€
nahe 4). Was kann dem Frühlingsgotte Bacchus und
dem Jahresordner verwandter seyn , als-die Beschliefse-
rinnen des Olympus? | Und wie man sich auch mit sehr
verschiedenen Nebenbestimmungen die Horen denken
mochte — Bestimmungen, welche freilich Nonnus und
seine späten Zeitgenossen etwas anders nahmen, als die
älteren Poeten — immer bleibt die Grundidee; Diony-
sus ist zwar zunüchst Aequinoctialstier, aber bei der
grofsen calendarischen Wichtigkeit der Nachtgleichen
ist er auch der Gott in allen Himmelszeichen des Kreises.
Er ist Anfänger des Jahres, aber auch Jahresstifter
überhaupt, und darum sind die Göttinnen der Zeiten,
die Horen, seine natürlichen Ammen. — Der göttliche
Zögling theilt aber beider, seiner Muhme Ino und des
Oheims Athamas » Schicksal.
$. 4.
Fortsetzung.
Dionysus, fährt die Vollissage von Thebe fort, hatte
nicht sobald den Weinstock gefunden, ‘als ihn Here 4-)
rasend 4?) machte. In dieser Raserei durchirret er Ae-
gypten, wo ihn der König Proteus aufnimmt , dann Syrien
41) Auch die Grazien werden mit Bacchus in Verbindung
gebracht; vergl. z, B. Pausan. Boeot. 38. §.1. "Ogyomsvios;
0s mwewoiqrar wai ArovV sou, Tà Of deyasrarey X agitwy
doriy (eçév. Darauf führt er fort: ràs pêv dy vérqag ciBovcí
Ts pdMiora, wal 76 "ErsowAei Qaciw aütás weosiv dn Tol odpavel,
Vergl. ebendas. cap. 35.
42) Welcker (Zeitschrift u. s. w. I. 3. p. 518.) bemerkt, dafs
in den Antiqu. of Wiltonhouse the third edit. pag. 33, ein
erhobenes Werk genaunt werde , wo Zeus den Dionysus
an die Brust der Juno halte, mifstrauisch auf sie.
43) Daher ia:vó A9 genannt ; s. meine Meletemm, I. p. 22.
Not. 19.
19
7
und Phrygien. Hier weihet ihn Rhea ein, und unter-
wiesen in den Geheimlehren gehet er nun nach Thracien,
wo er den feindseligen Kónig der Edoner Lycurgus hart
bestraft, Nachdem er Thracien durchzogen, unternimmt
er den Indischen Zug, und nachdem er auch Indien ganz
durchwandert, kehrt er nach Theben zurück, Als er
dort auf dem Cithäron die Orgien einrichtet, widersetzt
sich Pentheus, des Cadmus Nachfolger im Thebanischen
Hónigreiche. Als er auch diesen bestraft, darauf auch
die widerspenstigen VVeiber von Argos rasend gemacht,
und das Abentheuer mit den Tyrrhenischen Schiffern
bei der Ueberfahrt von Icaria nach Naxos bestanden hat-
te 44), steigt er endlich zur Unterwelt hinab 45), und
44) S. oben IT. Th. p. 600 f. Ich habe dort schon bemerkt,
wie der Delphin gleichfalls zu dem Bacchischen T hier-
kreise gehórt; jezt bitte ich! hierüber noch nachzulesen:
J. Pierii Valeriani Hieroglyphica Lib. XXVII. cap. III.
p.m. 327. In Naxos sollte auch nach einer Sage, die
wir bei Eastathius zur Odyssee III. 91. p. 114 ed. Basil.
lesen, Poseidon die Amphitrite beim 'l'anz (egssovcay )
geraubt haben.
45) Durch den Alcyonischen See sollte Bacchus in die Unter-
welt hinabgestiegen seyn. Es war derselbe See, wie ibn
Pausanias Corinth. cap. 37. beschreibt, zwar von geringem
Umfang, jedoch unergründlich , und hatte die Eigenschaft,
dafs er jeden, der es wagte hindurch zu schwimmen, in
die Tiefe hinabzog. Hier wurden mysteriöse Gebräuche
alle Jahre in einer Nacht dem Bacchus zu Ehren ge-
feiert. Auf dem Markte von 'Trózene , da, wo der 'l'em-
pel der Artemis, der Erretterin ( XZwre as) stand , sollte
er die Semele dann aus der Unterwelt zurückgebracht ha-
ben, wie ebenfalls Pausanias a. a. O. cap. 31. $. 2. er-
zühlt; eine auch in anderer Hinsicht bemerkenswerthe
Stelle. — Ueber die Thyone baben schon Moser und
Davies zu Cicero de N. D. [II. 23. p. 619 uns. Ausg. die
nóthigenStellen der Alten bemerkt, bei denen sie nun öfters
107
holt seine Mutter Semele herauf, die sodann unter dem
Namen Thyone (®z6ry7) 46) mit ihm in den Himmel hin-
aufstieg (Apollodor. IIl. 5. 1 sqq. ibiq. Heyne).
Hier ist also das Bóotische Thebe der Mittelpunkt,
wovon Alles ausgeht, und wohin Alles zurückkehrt.
Diese Mythenform hat unter allen die meiste Ausbreitung
und Popularität erhalten. Der Halbgott von Theben ist
der Dionysus der Dichter und Künstler geworden. Ge-
wifs war Thebe auch einer der ältesten Hauptsitze dieser
neuen Religion, und die Sage läfst sie von hier in andere
Griechische Städte verpflanzen. Hiernach brachte Pe-
gasus aus Eleutherä in Böotien den Dionysus zu den
Athenern (Pausan. Attic. cap. 2. $. 4.) ^). Woher,
wird zwar hier nicht gesagt, aber der Geburtsort des
Mannes läfst nicht zweifeln, dafs es von Thebe und aus
dessen Umhreise her geschehen war. Dafür spricht auch
die sehr bemerhenswerthe Nachricht von dem Bacchus-
dienste zu Sicyon. Dort kam man obnweit des Theaters
identisch mit Semele genommen wird (z. B. Hesychius:
Quuv4 4 Xsa444), die auch, wie Nonnus Dionys. I. 26,
Dionysus einen Sohn der 'Thyone nennen. Bei Cicero
ist dieser Dionysus, der Sohn des Nysus und der Thyone,
der fünfte , der Stifter der Trieteriden.
46) Sickler im Kadmus pag. CI f. erklärt Thyone aus dem
Ebräischen durch 73m, (Thyonah) .,d. i. die Stau-
nende oder die Erstaunte, die vom Schrecken der
Ueberraschung nach ihrer Auferweckung von den Todten
und bei ihrer Aufnahme in den Olympos Bewegte. Sie
war die Personification der grofsen und schénen Lehre
der Unsterblichkeit, die durch die An- und Aufnahme
der Religion des mächtigen Herrschers und Ordners der
Welt allen Sterblichen werden soll. **
47) Zu Athen sollte der Ceramicus von dem Heros Ceramus,
einem Sohne des Bacchus und der Ariadne, scinen
Namen haben; s. Pausan, Attic. 3, zu Anfang,
108
pie
zum Tempel des Dionysus, worin er eine Bildsdule aus
Gold und Elfenbein hatte, umgeben von Marmorstatuen
der Bacchantinnen. In diesen Tempel trug man jährlich
einmal bei Nacht in feierlicher Procession, bei Fackel-
schein und unter Absingung von Liedern, noch andere
Bildsáulen des Gottes, die in einer Sacristei verwahrt
wurden. Voran ging die Bildsáule des Baccheus
(Baxxyseioc). Diese hatte, sagte man, Androdamas, Sohn
des Phlias (Bacchus leiblichen Sohnes von der Arathy-
ria und Gemahl der Tochter des Sicyon , Chthonophyle )
gestiftet. Es folgte die andere, die den Namen Lysius
führte, welche der Thebaner Phanes auf Befehl der Py-
thia aus Thebe gebracbt hatte (Pausan. Corinth. cap. 7.
§. 6. vergl. cap. 6 und 12.). Eine recht inhaltsreiche Er-
zählung: Zuvörderst ein Priester, der des Gottes Enkel
genannt wird, und mit dem Geschlecht des alten Landes
hónigs durch Heirath verbunden ist; sodann ein anderer
Priester, der denselben Namen führt, womit der Gott
selbst in einem System der Mysterienlehre bezeichnet
war: POarrs. Davon unten. Weiter der bedeutende
Name Chthonophyle, der an die Erde erinnert, und damn
der Gott Baccheus, welcher Name gleichfalls sehr
bedeutsam, wie der Verfolg zeigen wird, orgiastischen
Dienst anlündigt; daneben das andere Güótterbild mit
Lysius Namen, welches der Thebaner gebracht hatte,
und diese Bilder an geheimer Státte bewahrt, um Ein-
mal jährlich in nächtlicher Feier zu der grofsen, reich
geschmückten Statue des Gottes gebracht zu werden,
die der Gegenstand der täglichen öffentlichen Andacht
war. Also ohne Zweifel alte Idole in der Art jener frü-
heren, roheren, aber vielsagenden Symbolil neben dem
verkorperten Huustideal eines menschlichen Dionysus,
und so auch die Volkslehre von diesem Halbgotte neben
verschiedenen Priestersystemen und einer Geheimlehre
von Theben her,
10°
110
Denn auch dort hatte jener Lysius (A$ot0c) seine
verschiedenen Bedeutungen. Wie man ihn physisch
nebmen konnte, deuteten wir oben an. Diesen Sinn
scheint die Geheimlehre weiter ausgebildet zu haben;
wenigstens kommt das Prüdicat Aéosiog und ähnliche in
den Orphischen Gedichten (z. B. Hymn. L. [49.]) ófter
vor. Wir kommen im Verfolg darauf zurüch. — Po-
litisch und im Geiste der Thebanischen Bürgerschaft
ward er zum Befreier, der sie einst bei Haliartus aus
den Händen der Thracier errettet hatte, in deren Ge-
fangenschaft Mehrere der Ihrigen gerathen waren, wie
er beim Euripides (Bacch. 443. 497.) die vom Pentheus
gefesselten Bacchanten befreiete. Unter dem Titel des
Befreiers hatte er zu Thebe einen Tempel neben dem
Tbeater (Pausan. Boeot. cap. 16. §. 4.); worin wir die
schon oft berührte Idee wieder finden, dafs im Glauben
der Völker der Nationalheros und Gott die Nation be-
schützt und rettet 45), In dieser Würde des National-
48) Auch Artemidorus im Traumbuch II. 37. p. 134. p. 216
Reiff. sagt: ,,Reigen auffihren, den Thyrsus oder einen
Baum zu Ehren des Bacchus tragen , ist für Sclaven we-
gen der Nichtbeachtung des Begegnenden und wegen
der Benennung dieses Gottes (Lyaeus — Befreier)
und wegen seiner Wohlihátigkeit ein Vorzeichen
der Freiheit“ (s. weiter unten). Dahin gehört auch
die Erzählung des Plutarchus, dafs Nicias einen schönen
Sclaven , der als ein Dionysus gekleidet auftrat, und des-
halb den Athenern sehr gefiel, frei gegeben habe, mit
der Erklärung, er halte es für eine Sünde, denselben
linger als Sclaven zu behalten (ws oU» ocu» wyciro OoUAsJ-
sy nATATEMN IT HÉvOY 95d cwpa); s. Plut. Nic. pag. 524. F.
cap. 3. med. — Ueber den Beinamen Aves mufs man
noch die Stellen desselben Plutarch vergleichen: Sympos.
III. 6. p. 651. F. p. 666 Wyttenb. und VIf. 10. p. 716. B.
p.949 Wytt. Anletzterm Orte bemerkt er, dafs den Bac-
chus die Alten Eleutherios und Lysios genannt,
1
gottes erscheint er daher auch bei den feierlichsten Hand-
lungen des Thebanischen Staates. ^ Epaminondas will
nach seinen Siegen über Sparta den Messeniern ihre
Stadt wieder aufbauen. Da Alles bereitet ist, so schrei-
ten die Bundesgenossen zum Opfer. Die Messenier opfern
dem Zeus Ithomatas, den grofsen Güttinnen und dem
Caucon , die Argiver der Argivischen Here und dem Ne-
meischen Zeus, also jedes Volk seinen grofsen Gott-
heiten , und so auch Epaminondas mit den Thebanern
dem Dionysus und dem lIsmenischen Apollo (Pausan.
Messen. cap. 27. $. 4.). Das war der uralte Künigsenkel
von Theben Dionysus, und der starke und freundliche
liónig selber. - So ward er nun im allgemeinen Volks-
glauben der Griechen genommen. Keine Gottheit wurde
so häufig gewählt, wenn es darauf ankam, Fürsten zu
ehren und zu vergöttern, als eben Dionysus. Diesen
Namen hörten sie am liebsten, weil man in dem Gotte,
welcher ihn führte, das hóchste Ziel der Regenten, die
Furchtbarkeit im Kriege und die Milde im Frieden aufs
liebenswürdigste vereinigt fand. Daher der auf Münzen
und andern Denkmalen des Alterthums so oft vorkom-
mende Ehrenname von Fürsten und Kôänigen : Arérvaoç
und ihm einen grofsen Theil der Mantik beigelegt, nicht
sowohl, wie Euripides sage, wegen der Bacchischen Be-
geisterung (oJ àià ró Bawysdeusov wai paviiides ), sondern
weil er die Seele von allem sclavischen Wesen , von aller
Furcht befreie (70 Sovlorgerts nai repiDsée nai &rioroy SÉaícuy
xai dvoÀUwv Tí Vvxÿs), nd die Menschen lehre wahr-
hafüg und freimüthig gegen einander zu seyn. Manche
leiteten auch den Namen Eleutherius von der Bóo«
tischen Stadt Eleutherá her, wo Bacchus besonders ver-
ehrt wurde; s. Plutarch. Quaest. Romm. CIV. p. 286. A.
p. 181 Wyttenb. — anderer Erklärungen zu geschweigen.
Uebrigens ward er in vielen Griechischen Städten unter
diesem Namen verehrt; s, Pausan. Corinth. cap. 2, 23.
BE
112
yéos, der neue Dionysus. Wie das Dionysusideal
in gewissem Betracht Alexander dem Grofsen vorschwebte,
ist bekannt; noch mehr aber wollte Demetrius Poliorcetes
ein Dionysischer Held und König seyn. Ich übergehe
andere Exempel, und bemerke nur noch, wie Mithridates
selbst mit dem Namen Evius 4%) und Bacchus ver-
herrlicht ward , und wie der muthige und schwelgerische
Triumvir Antonius noch die Huldigung annahm, dafs
er ein zweiter Dionysus sey, so wie Cleopatra eine neue
Deo 59),
Wie der Halbgott Dionysus selbst in der Geburts-
stadt Theben verherrlicht ward, sehen wir noch aus meh-
reren Griechischen Poemen , besonders aus den Tragó-
dien, woraus wir oben einige Züge entlehnten. Wir
würden viel Mehreres wissen, wenn wir alle die Thebaiden
noch hätten und jene andern Nationalgedichte, die in
epischer Folge die alten Stammsagen erzählt hatten,
jene Europia, die Alemáonis, die Oedipodea u. s. w. 57).
49) Ueber den Namen E 7e; , den Dionysus führte , s. Plu-
tarch. de Ei Delphico p. 389. B. p. 593 Wyttenb. nebst
Moser zum Nonnus p. 207. und dort besonders die Scho-
lien zu Aristoph. TThesmophor. p. 841. c. Derselbe Bac-
chische Ausruf Evoe (Evo?) sollte auch dem Berge Evas
(Ed'as) in Messenien , bei Ithome , den Namen gegeben
haben, weil dort Dionysus und die ihm folgenden Weiber
diesen Ausruf zum erstenmale gebraucht haben ; s. Pau-
san. IV. 31. $. 4.
50) Axw; s. Cicero pro Flacco cap. 25, und daselbst Manu-
tius; Vellejus Paterculus 1I. 82 fin. und daselbst Ruhn-
kenius ; Plutarch. V. Anton. p. 927. C. 941. A. ed. Francof.
cap. 26. 54.
51) Hierher gehóren auch die Xantriae ( Zavrei ) des Ae-
schylus; s. die Erklärer zum Pollux X. 117; Photius
Lex. in Téu vai und évrutouv, und Bóckh de Graec. tra-
goed. princip. p. 28sqq. Vergl. auch die Studien 11, Bd.
pag. 292.
113
Aber in der gesammten Poesie der Griechen bildet die
Bacchische Fabel einen Haupttheil; denn wenn gleich
in den grófseren Homerischen Werhen deren wenig ge-
dacht ist, so liegen doch einige eigene Homerische Hym-
nen dieses Inhalts vor, und so fehlte es fortdauernd
nicht an eigenen, Ausführungen dieses Kreises in Poesie
und Prosa, wie wir noch aus den acht und vierzig Bü-
chern des Nonnus sehen, welche grofsentheils aus älte-
ren Poemen entlehnt sind, Auch fiir die Bildnerei war
hein Fabelkreis so ergiebig als der Bacchische. Wir be-
gnügen uns mit einigen Hinweisungen auf diesem unab-
sehbaren Felde. Der mysteriösen Symbolik dieses Zwei-
ges wird unten besonders gedacht werden. « Viele Hels
lenen bilden den Dionysus stierartig», sagt Plutarchus
(de Isid. p.364. E. p. 494 Wyttenb.). Dieser ältesten
Weise bedeutsamer Bildnereiblieben, nachihrer Art und
Bestimmung, die Münzen am lángsten getreu, wie unzüh-
lige Stádtemünzen , besonders von Grofsgriechenland und
Sicilien, beweisen, worauf der Stier mit dem Menschen-
gesicht (der sogenannte Hebon 5’) so häufig ist. Wir
haben anderwärts (im Dionysus p. 278 sq.) Belege der
Art beigebracht , womit wir jezt die Hinweisung auf die
gehaltreichen Bemerkungen des gelehrten Visconti (Mu-
seo Pio - Clement. Tom. V. pag. 17 seq.) verbinden 53),
52) Nach Sickler im Kadmus p. CVI. jiN2N (Ebon), von 2N
Vater und von ji schaffende Kraft, also: die schaf-
fende Vaterkraft. UeberHebonunten ein Mehreres,
53) Dahin rechnet Raspe einen geschnittenen Stein ( Chal-
cedon oder weifser Carneol) mit der Figur eines Stieres,
worauf die beiden Buchstaben E P stehen. Der Stein
ist abgebildet in Lessings antiquar. Briefen (simmtliche
Werke Th. XI. p. 304.). Vergleiche die Nachricht von
Eschenburg in den Zusützen zu den antiquar. Briefen
Th. XII. p. 305. wo auch das Urtheil eines Gótting. Re-
censenten in den Gelehrt. Anz. 1791. nr. 74. angeführt
wird, nach welchem die Buchstaben Rémisch sind,
IIT.
=
114
Namentlich auf den Münzen des diesem Gotte vorzüglich
ergebenen Bóotiens findet sich, neben andern Bacchi-
schen Attributen (neben der Diota mit Epbeu und dgl.),
der mit Epheu bekrinzte Kopf des Bacchus mit zwei vor-
würts stehenden Stierhórnern, und auf der Rückseite
der charakteristische auf beiden Seiten ausgeschnittene
Bóotische Schild (s. Pellerin Recueil T. I. pl. XXIV.
nr. 8. und dazu pag. 150.). Und so begleitet diese alt -
symbolische Bildnerei den Dionysus mit Thierattribu-
ten, von Löwe, Widder 9^, Schlange und dergleichen
durch den Thier- und Jahreskreis hindurch, der andern
Abzeichen nicht zu gedenken, wie wir in der angeführ-
ten Schrift im Einzelnen erwiesen haben.
Aber die hóhere Kunst, die im Dienste der Volks-
religion und nach den Kdealen der Dichter arbeitete,
verliefs bald diese ältesten Andeutungen, und suchte
den Gott leibhaftig sichtbar zu machen in seiner ganzen
Schönheit. Und es gelang ihr, die Grundidee dieses
Wesens in ihrer Ganzheit aufzufassen und in göttlicher
Verklärung jugendlicher Menschengestalt dem Sinne der
Nation zu nähern, und zu öffentlicher Verehrung hin-
zustellen. "Wie fafste sie dieses VVesen auf? Als den
vollen, blühenden, ewigen Sieg des Lebens. Das war
der weiche und jugendliche, der immer frohe, der schó-
ne und seelige Dionysus. Auf dieser Linie hielt sich sein
Hünstlerideal. Jenseits jener Fülle und Weichheit liegt
die verschwimmende, aufschwellende Unform, jenseits
der seeligen Trunkenheit und Ruhe: die drángende, un-
seelige Zerrüttung. Diese Contraste wurden bald leiser,
und der Stein nach einer Münze von Epirus geschnit-
ten worden.
54) Ueber andere dem Bacchus geheiligte Thiere, als Hund,
Tiger, Leopard, Panther, vergl. C. G. Schwarz
Miscellan, polit. human. p.108 sqq. ; über die Schlange
ebendas. p. 77 sqq. 81 sq.
115
bald stürker in die Begleitung des Gottes gelegt. Die
geschwollene Mifsform nahm der alte Silenus auf, der
als Acratus das Uebermaafs versinnlicht, und die fessel-
lose und an Irrwahn grünzende Festraserei ward im Satyr
oder in der orgiastischen Baccha verkürpert; wobei die
Kunst. Gelegenheit hatte, in den gewaltsamsten Bewe-
gungen die höchsten Reize zu entfalten, und ihre ganze
Macht in gewagten Aufgaben zu offenbaren. Es verdient
bemerkt zu werden, dafs schon aus der Periode des ho-
hen Styls ein Künstler in grofsen Werken dem Dionysus
seine Kräfte widmete. Calamis, ein berühmter Zeit-
genosse des Phidias oder noch etwas früher, und, wie
er, in Marmorarbeiten nicht weniger als in Gold und
Silber berühmt, hatte für den Bacchustempel zu Tana-
gra die Dildsáule des Gottes aus Parischem Marmor ge-
maeht — ein sehenswiirdiges Werk; noch mehr aber
ward der daneben stehende Triton bewundert, den dort
nach einer Vollhssage Dionysus überwunden líatte. ( Pau-
san. Boeotic. cap. 20. 6. 4.). Wie weit er das Ideal des
Dionysus gebracht, wissen wir damit freilich noch nicht.
Eine gewisse Hürte, die man an seinen Werken tadelte 55),
würe freilich gerade diesem Gotte am ungünstigsten ge-
wesen. Im Uebrigen aber war Calamis ein grofser und
durch mehrere Arbeiten berühmter Künstler, der, sei-
nem Zeitgenossen Phidias gleich, nach dem Idealen
strebte 5°. Um so mehr hàátte Dóttiger (Andeutt. p. 165.)
55) Quintil. Instit. Orat. XII. 10. p. 1087 Burm. p.609 Spalding.
wo doch die Bezeichnung: jam minus rigida (fecit) schon
selbst den Uebergang zum Zarteren angiebt, Ueber
Calamis vergl. man Levezow de juvenis adorantis signo,
Berol. 1808. Welcker in den Heidelbb. Jahrbb. 1810. nr. 8.
SchornStudien der Griech. Künsuer p. 263 ff. und Thiersch
Epochen der bildenden Kunst II. p. 54.
$6) Auch sein Schüler Praxias verfertigte zum Theil einen
Bacchus nebst den Thyaden; Pausan. Phocic. 19. $. 3.
116
des Calamis gedenken sollen‘, wo er der Vollendung des
Bacchusideals durch Praxiteles erwähnt, oder vorher
(p. 111.) , wo von dem ersteren. die Rede ist. Also hatte
man schon zu Phidias Zeit eine idealische Bacchusstatue.
Das Ideal zu vollenden, war dem schönen und reizenden
Styl und dem grofsen Meister darin, dem Praxiteles,
vorbehalten 57). Wie belehrend wáren bestimmte Nach-
richten, wie Calamis, wie Praxiteles in den einzelnen
Werken ihren Bacchus gedacht hatten. Vielleicht haben
wir in einigen auf uns gekommenen Werken noch Copien
jener Musterbilder von Praxiteles Hand. Für die beste
Bacchusstatue galt ehemals die in der Villa Medici zu
Rom, dann zu Florenz. Winckelmann hielt den Kopf
derselben für den schönsten unter allen. Bewundert
wird auch die Figur des mit dem Satyr spielenden Bac-
chus im Museo Pio-Clementino (T. L tav. 42.) ; so, wie
die Statue der Ariadne in der Sammlung von Townley 55)
für eines der bewundernswürd:gsten Werke gilt. Wie
57) S. Bóttiger a. a. O.. Auch von Myron hatte man eine
Statue des Bacchus; s. Bóttiger im Freimüthigen 1806.
nr. 98. und daselbst Analect. Tom. IE. p. 206. CCLXX.
Sie war nach dem Erechtheus zu Athen die sehenswüre
digste Bildsäule, und von Sylla, der sie den Orchomeni-
schen Myniern weggenommen, aufgestellt worden. So
erzáhlt Pausanias. ( Boeot. cap. 30. $. 1.) , und gedenkt
dabei noch einer andern Bildsáule des Bacehus von L y -
simachus.
58) Vergl. Goede England Wales u. &. w. IV. pag. 50, 51. —
Ein herrliches Fragment von einer Statue des Bacchus
von gebranntem 1 hon findet sich auf der füntien
Platte in Recueil de Fragmens de Sculpture antique en
terre cuite (Paris 1844. 4.) , vergl. den Text dazu p. 17 fF.
wo bemerkt wird, dafs sich ähnliche in andern Sammluns
gen, z. B. in der ebeu erwáhbnton Townlevschen, finden,
Der Statue fehlt der Kopf; der Kórper des Bacchus ist
aber sehr zart und schön. Ein Satyr dient dem Gotte zur
Stütze.
117
der Mythus dieses Gottes und wie die ihn verherrlichende
Poesie an Dichtungen unerschópflich war, so war auch
der Hunstkreis dieses Wesens, nachdem er einmal auf-
gethan, unübersehbar. Davon kann sich ein Jeder aus
den Beschreibungen von Museen und anderen Kunst-
büchern selbst überzeugen 5?).
$. 5.
Der Indische Dionysus.
Die fast in allen Mythenformen immer wiederkeh-
rende Sage, daís Dionysus auch nach Indien gezogen,
zusammengenommen mit so manchen Bacchischen Attri-
buten (an denke nur an den Panther und an das lange
fliefsende Gewand), müssen Aufmerksamkeit erregen,
Jenen Indischen Siegeszug bildeten die Dionysiaden mit
besonderer Liebe aus. Da hiefs es bald, er sey der erste
gewesen, der diese Unternehmung gewagt, bald hatte er
zuerst eine Brücke über den Euphrat geschlagen, und
noch späterhin zeigte man bei der Stadt Zeugma ( der
Erückenstadt) das aus Weinreben und Epheuranken ge-
flochtene Seil, womit sie befestigt worden (s. Pausan,
Phocic. cap. 29. §. 2.). Eben so unerschôpflich war die
Einbildungshraft, um seine Thaten an Ort und Stelle
selbst recht nach Hellenischen Begriffen auszuschmüchen.
Die unwiderstehliche Macht und volle Glorie des Tri-
umphs, gepaart mit der hóchsten Milde, waren die Ele-
mente, woraus dieser Mythus seine Farben entlehate.
Diesen Dichterbildern arbeitete die Kunst nach, und wie
z. B. nach der Niederlage des Deriades (Nonni Dionys.
59) Man vergleiche nur zur Uebersicht die Abhandlung von
Heyne: Priscae artis opera ex epigramm. graecis , in den
Commentatt. Soc. Gotting. Tom. X. pag. 87 sqq. , ferner
Beck Grundrifs der Archäologie pag. 158 ff. und über die
Büsten des Bacchus insbesondere Gurlitt Einleitung 2ur
Büstenkunde , unter dem Worte Bacchus.
it
XL. 60 sqq.) Dionysus im Volksgesange den Unterwor-
fenen Gnade giebt, so stellt ihn ein Relief im Museo
Chiaramonti dar. Ebenso erscheint er auf einem andern
erhobenen Bildwerke der Villa Albani, das VVinckelmann
(Monumentt: nr. 57.) zuerst gelehrt erläuterte, und das
auch Zo&ga neuerlich verbessert gegeben hat (Bassiril.
nr. 75.), als Ueberwinder des Orients und als freund-
licher Gnadengeber in der vollen Blüthe jugendlicher
Schönheit. Davon ist auch die Copie entlehnt, welche
unsere Tafel LII. nr. ». liefert.
Es kann wohl kaum einen entschiedenern und mehr
charakteristischen Beweis geben, wie sehr die Mytho-
logen neuester Zeit bemiiht waren, ihre Systeme von
dem Morgenlande loszutrennen, und so zu sagen die
Wurzeln abzugraben, die von dort herüberziehen , als
dafs man auch diese Sage sogar in Anspruch zu' nehmen
suchte. Erst allmáblig, wollten Einige, habe sich der
Gesichtskreis der Griechen so weit ausgedehnt, dafs
auch Indien in die mythischen Hreise des Dionysus her-
eingezogen worden. — Die Griechen können sehr lange
in der Kindheit geographischer Kunde verblieben seyn,
und doch konnte ihren Vorfahren schon sehr früh ein
Laut aus dem ferneren Orient zugekommen, und mit
der Lehre, die ihn begleitete , auf Kinder und Enkel
fortgepflanzt seyn. — Andere leiteten jene Sage gar von
einer Schmeichelei gegen den Ueberwinder des Orients,
Alexander den Grofsen, her. — Euripides in den Bac-
chantinnen (14 — 18), also fast hundert Jahre vor Ale-
xanders Zuge, làfst den Dionysus schon nachIndien wan-
dern. — Freilich mag Alexander und sein Gefolge den
Mythus vom Bacchischen Kriegszuge benutzt haben,
um den Muth der Macedonischen Krieger durch religiö-
sen Enthusiasmus zu beleben, als diese nicht weiter vor-
wärts wollten (Arrian.exped. Alexandr. V. 2. 1.). Auch
haben manche spätere Dichter die Bacchische Fabel
8
119
und besonders diese mit Umstánden ausgestattet, die aus
der Kriegsgeschichte Alexanders entlehnt sind. Nonnus
aber, derausülteren Quellen schüpfte, weifs von diesem
Schmucke der Späteren nichts 9). Es wäre überflüssig,
jezt noch über jene Streitfragen viele Worte zu machen.
Wie der Griechische Arzt Philonides beim Athenüus (XV.
B. p. 675. A. p 458 Schwgh.) die Weinstöcke vom rothen
Meere her durch Dionysus den Griechen bringen läfst,
so, künnen wir sagen, ist auch diese üppige Ranke
neuer Religion aus dem Orient nach Hellas gekommen.
Alles Bisherige hat uns von der tief gewurzelten Ge-
wohnheit der Griechen überzeugt, jedes Beste, dessen
sie sich als einer Gabe von Fremden zu erfreuen hatten,
als einheimische Erfindung sich selber zuzueignen. Die-
ser Satz gilt, wenn irgendwo , auch hier. Es hann diese
Religion, in letzter Quelle , ihren Ursprung aus Ober-
asien nicht verleugnen, wenn wir gleich für die Fort-
pflanzung nach Griechenland gewisse vermittelnde
Punkte annehmen müssen, namentlich Vorderasien
und Aegypten. Für das erstere sprechen unter An-
derm mehrere Spuren, die in alten Dichtern vorkommen,
So läfst z. B. Euripides (Bacch. 460 — 490.) die Myste-
rien des Bacchus aus Lydien zu den Griechen herüber
kommen. Von dem Aegyptischen Zweige mufs im Ver-
folg genauer gehandelt werden. Wir erörtern nämlich
zuvörderst kürzlich den Indischen Ursprung der
Dionysischen Religion, und untersuchen dann,
wie ihre Lehren und Gebräuche durch Aegyptische
und Vorderasiatische Ideen und Institute vermittelt
worden sind.
Man hatte schon seit lange her den orientalischen
Attributen des Dionysus, so wie dén Griechischen Nach-
60) Vergl. Schow Commentat. de Nonni Dionys. und Moser
zum Nonnus p. 191 — 195. vergl. p. 263 — 268.
120
richten von einem Indischen Bacchusdienste grofse Auf-
merksamkeit geschenkt, aber nicht mit dem besten Er-
folg. ^ Erst jezt, da durch die Bemühungen gelehrter
Ausländer , besonders der Akademie von Calcutta, meh-
rere Indische Urkunden vor uns liegen, sind wir im
Stande; jene Nachrichten in ihrem wahren Lichte zu
sehen. Jezt ist es uns sehr bedeutend, wenn wir die
Begleiter Alexanders des Grofsen sagen héren: die In-
dier auf den Bergen verehren den Dionysus und die in
den Ebenen den Heralles; und die Zusátze aus der The-
banischen Fabel, die sie so geschäftig hinzuthun, stüren
uns dabei wenig ( Arrian. Histor. Indic. cap. 7 sqq. und
daselbst die Ausleger). Ohne die Rechte der Nationali-
tit zu verletzen, die sich in solcher Entfernung, als
Hellas und Indien von einander abliegen , doppelt geltend
machen müssen, und ohne also in den Eichenwäldern
des Hämus ganz dasselbe zu suchen, was nur unter den
Palmen des Emodus gedeihen kann, verkennen wir doch
die gleichen physiologischen Gesetze nicht, nach denen
sich einer der denkwürdigsten Religionszweige dort ent-
wickelt und in Hellas fortgebildet hat. Haben wir dann
die Epocben der Indischen Religionen im Ganzen über-
blickt (s. oben im I, Th. pag. 568 ff), und uns durch
recht genaues Studium in den Geist ihrer Urkunden ver-
setzt, dann verstehen wir jene Evolutionen des ewigen
VVesens der Gottheit nach diesen Systemen; wie Para-
brahma sich in der Dreiheit von hohen Góttern, Brah-
ma, Schiwa und Wischnu, offenbaret; wie diese sich
unter einander und zu ihrer Quelle verhalten, die sie
ale wieder in sich zurücknimmt; wie ein jedes dieser
VVesen in der Folge der Zeiten in neuen Emanationen
sich auf Erden offenbaret; wie die Behenner dieser ver-
schiedenen Götter sich zu einander verhalten, und wie
eine grofse Geschichte von wechselnden Religionssyste-
men durch das Indische Alterthum hindurchgeht. Jezt
121
erscheinen in dem grofsen Epos Ramayan Heroen, die
als Bekämpfer der Finsternifs und des Unrechts uns die
Nachricht, der Griechen verständlich machen, wie sie
unter den Indiern einen Herakles gefunden hätten. In
diesem Geiste ist auch Krischna gedacht, die zehnte un-
ter den ein und zwanzig Incarnationen des Wischnu,
der, von einer Jungfrau geboren , das göttliche Wesen
reiner als irgend ein Gottmensch vor ihm in diese leib-
liche Hülle herunterbrachte 61). Nun merken wir auf
den Charakter des Cultus , und finden in den Griechischen
Nachrichten jene Herculesdiener Indiens einem reineren
Dienst ergeben, als die Verehrer des Dionysus.
Werfen wir nun einen Blick auf die Indischen
Sagen vom Dionysus, besonders wie sie jezt durch
die Excerpte aus den Purana’s in der inhaltsreichen
Schrift von Polier vorliegen. Hier finden wir die
Grundzüge der ganzen Dionysusfabel, nur, wie bemerkt,
im morgenlündischen Fon und Farbe. Diese Urkunde
weifs nun Vieles zu berichten vom Schiwa-Dewain-
cha mit dem Phallus, von dem grefsen Freuden - und
Thränenbringer, von seinen Züger bis nach Europa
hin, und von der siegreich fortschreitenden Feier seiner
Orgien bis in die Westwelt. Hier ist also dem Bacchi-
schen Mythus seine wahre Richtung gegeben, von Osten
nach Westen, jene Richtung mit dem Sonnenlaufe, die
von jeher die Hauptzüge aller Religionen genommen.
Nun lernen wir den Ursitz der Bacchischen Religion,
jenes vielbesungene Nysa, kennen, das im Alterthume
schon Viele nach Indien verlegten $7). Die Indische
Sage weiset uns an die südwestliche Vende des Emodi-
schen Gebirges, das die beiden Flufsgebiete des Indus
61) Sonnerat. IT. p. 39. vergl. oben I. Th. p. 618 ff.
62) Plin. H. N. VI. 21 ed. Dalechamp. VI. 23. p. 381 ed. Bip
122
und des Oxus trennt. Dort lag die Stadt Siva - nahischa-
nagari, in deren Nihe Alexander die Oxydraker schlug,
noch jezt ein berühmter Wallfahrtsort. Sie war vom
Himmelsbaumeister Wiswas- Karma gegründet, demsel-
ben, der Ellora erbaut hat. Sie war erbaut auf Befehl
des Dewanahuscha, jenes grofsen Eroberers, der
siegreich bis nach Vaharadwpa vordrang ( Asiatick Re-
searches T. VI. p. 525.). Hier finden wir in der Stadt
des Siva Nahischa die alte Nysa wieder, wie in De-
vanahuscha den Dionysus, und in dem Ziele seiner
Siege, Vaharadwpa, Europa. Nun erhennen wir im
Dionysus der Griechen den Schi wa der Indier oder
die zweite Person der offenbarten Gottheit nach die-
sem Systeme. Und so gewinnen viele Züge der Grie-
chischen Bacchusfabel ihr natürliches Licht, wenn wir
nach diesen Urkunden das Einzelne verfolgen, und da-
mit die besonderen Züge der Dionysiaden vergleichen,
besonders im Betreff des Indischen Bacchus. Wir ent-
decken in Indien ein Siammland jener Religionsform,
worin Pbhallica und Orgiasmus mitunter so bedeutend
hervortreten 63),
Hier ist auch der Ort, vom Ursprunge des Namens
Dionysus (Atórvcoc) zu reden. Vie viel die Griechen
darüber ausgeklügelt hatten , ist bekannt, und Moser
(zu Nonni Dionys. pag. 201 sq.) hat in der Hiirze Vieles
zusammengestellt. Obwohl, wie bemerkt, keine dieser
Etymologien für die wahre gelten kann, so verdienen
die meisten doch in so weit Aufmerksamkeit, als sie von
63) Die Griechischen Nachrichten vom Indischen Dionysus
sind in. der Kürze zusammengestell! von Moser zu
Nonni Dionysiaca p.190 sqq. und 262 sqq. In Betreff der
Indischen verdienen die geistreichen Excerpte aus dem
Buch Upnekhata und andern Quellen Auszeichnung , die
Górres in der Mythengesch. der Asiat. Welt gegeben
123
ivgend einer nrkundlichen Ansicht dieses Wesens ausge-
gangen sind. Ich trage daher zu dem, was im Dionysus
(I. pag. 244.) und oben L Th. pag. 155. 170 ff. bemerkt
wurde, hierbei noch eine aus einem unedirten Fragment
des Pherecydes nach. Ich finde es wenigstens nicht in
der Sturzischen Sammlung. Nach Pherecydes und An-
tiochus ( vermuthlich ist hier der Stoiker aus Ascalon
gemeint ) heifst dieser Gott Aióvveoc, weil er auf Zeus
(Arès) Báume (v$cac oder vócaoc) herabstrómte, denn
vóégcac oder vóccag, wird binzugefügt, nenne man die
Bäume 94. Im Verfolg wird weiter bemerht, Isis sey
seine Schwester, und Osiris sey der Griechische Diony-
sus 65), Eine physische Erklirung, die, wie man sieht,
in den Ideenkreis gehört, worin Dionysus als Princip
der Feuchtigkeit gedacht ist, und mit dem Mythus zu-
(s. z. B. p. 45. 129. 191. 542 f. 618.). Ich habe selber bei
der Betrachtung der Índischen Religionen im [. Th. pag.
áb4 f7. Einiges bemerkt, auch dort die Indischen Mythen
über den Bacchus nachgewiesen , jedoch die weitere Aus-
führung dieser Stelle vorbehalten. — Ueber den Phallus-
dienst von Oberasien vergleiche man noch Stollbergs
Religionsgesch. I. p. 341.
64) Scholiast. mscr. ad Aristid. Panath. p. 185 Jebb, in meinen
Meletemm. I. p. 20. Not. 15.
65) Sickler im Kadmus pag. CII seq. erklárt den Namen
Dionysus aus dem Ebräischen m2»17 (Dajanaesus)
und mit einiger Abänderung nach Hellenischer Mundart
W327 (Dionysus) „d.i. die Recht verschaf-
fende, helfende, richtende, beherrschen-
de,strafende und vergeltende Macht‘. Denn
der Inbegriff der von Zeus durch Hermeias geoffenbarten
und von der anbetenden Menschheit empfangenen Reli-
gion der Kadmeischen Urwelt sey gewesen: ,,sie ver-
schaffte das Recht, sie half, sie richtete, beherrsch-
te und strafte, und sie gewührte die Ver-
geltung.**
hb +
124
sammenhängt; den Pherecydes ebenfalls erzählt hatte,
wonach Semele Hye ("Ty) hiefs, Dionysus Hyes ("Tzc);
womit die Erzühlung von den Hyaden als Dionysus Am-
inen verbunden ward. Auch sollte nach Hellanicus Osi-
ris von den Aegyptischen Priestern Hysiris genannt wor-
den seyn 69),
Doch war der wahre Indische Ursprung des Namens
Dionysus unter den Griechen nicht ganz erloschen.
Folgende Angabe verdient.vor allen andern den Vor-
zug $7), und erhilt ihn im Urtheil der gelehrtesten und
besonnensten Sprachforscher : Dionysus, sagt der unten
angeführte Grammatiker, hiefs, nach Finigen, auch
Asó»vcoc, entweder Jonisch, statt Aeóvvooc, oder, nach
Anderer Meinung , vom Indischen devvoc, der Kö-
nig, und Noa, also der Künig von Nysa. Im Betreff
des Indischen deëvog bemerkt nun Chezy: der Lexico-
graph habe das Indische d éva im Sinne gehäbt, welches
G ott bedeute, und zugleich Titel der Indischen Könige
sey. Langlés belehrt uns (in den Recherches Asia-
tiques T. I. pag. 278 sq.), dafs die Indier ihrem Schiwa
oder Bacchus das Epitheton Devanichi oder Dio-
nichi gaben, womit sie ihn als Gott und König von
Nicha oder Nichadabara (Stadt der Nacht) bezeichnen,
welches nichts anders als das Nysa und der Dionysus der
Griechen sey 65).
66) Clidemus im Exegeticus beim Etymolog. magn. in "Ts.
Suidas unter demselben Worte. Scholiast. ad lliad. X VILI.
486. Scholiast. Germanici p. 46. 65 ed. Buhle. Plutarch.
de Isid. p. 364. D. p. 493 sq. Wytt, Vergl, Valckenaer ad
Euripid. Phoeniss. 654 sqq. und Dionysus I. p. 269.
67) Etymolog. magn. pag. 251. 28 seq. mit der Verbesserung
und Erliaterung von Bast zum Gregorius Corinth. p.882.
S.oben I. Th. p. 155. und die Homer. Briefe p. 206, Not.
68) Zu Megara war ein Tempel des Dionysus Nyctea
125
Wir fügen zugleich die nöthigen Bemerkungen über
den andern Hauptnamen des Gottes, Bacchus — Báx.
x96 9), in der Kürze bei. Man hat auch hier das In-
dische zu Hülfe gerufen, und an einen andern Namen
des Schiwa in dieser Sprache erinnert, wonach er Bagis
(Vagis) heifse (Jones Asiat. Abhandll. L p. 207.). An-
dere weisen auf das nàüher liegende Phüónicische hin.
Denn in dieser Sprache hiefs Baxyos das Wehklagen
(Hesych. 1. pag. 682 Albert.), wie das Ebräische 122
lius (Nurr£dees) d.i. des Nächtlichen, dann aufser
dem Tempel der Venus Epistrophia auch ein Orakel
der Nacht; Pausan. Attic. 40. §. 5. Man vergleiche
damit was Kosegarten zum Nala p. 204 ff. über die Land-
Schaft Nischada bemerkt. — Auch Plutarchus Symposs,
VII. 9. p. 714. C. p. 941 Wyttenb. erzihlt, es hitten die
allerültesten Griechen den Dionysus, welcher des Her-
mes gar nicht bedürftig sey, Eubules (EuUBovAws d. i.
der gute Rathgeber) und deswegen auch die Nacht
sU Qoóvxy (d.i. diekluge) genannt. Vergl. oben II. Th.
Cap. VI. $. 4. p. 333 ff.
69) Auch Baxyros und Béwysos oder Bawysios, welches dann
oft auch adjectivisch stehi; 8Z»rros Dsóc , Bdwysion Bsmmórws
(vergl. Küster zu Aristoph, ''hesmophor. 997. Wesseling
zu Diodor. Sic. 1. 18. pag. 21. vergl. IV. 5. pag. 250. und
oben II. Th, p. 42. Note 59. p. 45. nebst der Note 62.).
Ja es kommt sogar ein Aióvucos Bán sioc vor, wo«
von weiter unten die Rede seyn wird. — Bduyos heifst
aüch der Bacchusdiener, Bacchant, wie gewöhnlich Gott
und Diener des Gottes Einen Namen führen. Diese
letzte Bedeutung Bacchant giebt ein Etymolog. mscr. an,
woraus das Etymolog. magn. zu verbessern ist (s. Bast
ad Gregor. Corinth. p. 914.), — Sickler im Kadmus pag.
CIII. nimmt Bacchus für 19 — npp (Bakchos) ,,die
óffnende, auflósende, sehen machende
Kraft‘, mit der Lehre: ,,die Religion óffnet und lóset
des Menschen Geist und Herz , und löset von dem Bösen
wie von dem Uebel der Erde. **
125
(bachah) flevit. Freilich müfste dabei an eine Bacchische
'Todtenfeier gedacht werden, oder an eine Verschmelzung
der Adonien mit den Dionysien. Ich lasse diese und
ähnliche Herleitungen auf ihrem VWerthe beruhen, und
bemerke nür; dafs alle die Begriffe von einem Lärm-
gotte und lärmenden Gottesdienste; mit den Neben-
ideen des lauten Spruchsprechens und Weis-
sagens, schon in dem Griechischen VVurzelworte Baço
und in dessen Grundsylbe 84 liegen (Lennep. Etymolog.
P: 140.). Und gerade dieses orgiastische Ve rkün-
digen ist nach genauerem Sprachgebrauch im Worte
Baxxos vorherrschend, wie im Verfolg bemerkt werden
wird. Dieser Hauptbegriff scheint auch in den Namen
mehrerer weissagender VVesen vorzuwalten. Dabin ge-
hórt jener Weissager Bacis (Dax), so wie die weis-
sagenden Frauen Bacides (Baxtdes) 70), und des Etru-
rischen Erdgottes Tages Schüler, der Prophet Bac-
ches; und Bacchas als Name von einem orgiastischen
Bacchusdiener im Senatusconsultum Marcianum 7?!) In
allen diesen Namen flossen die Ideen von fesilicher Ha-
serei und Prophezeiung zusammen ,. und hierin scheinen
sich die Sprachen der Griechen und die orientalischen
begegnet zu seyn. Der Dionysuspriester ist Weissager
und Báxyog, wie der Gott. Die Verwandtschaft dieser
70) S. Herodot. VIIT. 20. Aelian. V. H. XII. 35.
71) S. Bynkershoek de relig. peregrina. pag. 265. vergl. oben
Il. Th. pag. 931 ff. — Ueber den Bacchetides oder
Bacches, d.i. Schüler des Tages, führen Passeri im
Lex. Vocc. Etruscc. (Pictur. Etrusc. T. IiI. p. CXVIII),
Dempster Eirur. regal. IIl. 2 und Gori Mus. Etrusc.
T. I. tab. 15. Mehreres an. Derselbe Name kehrt auch
in dem Lacedimonischen Landesheros Astrabacus ('Acz;z-
Bavog) wieder, dessen nahe Beziehung mit Bacchus ich
iv den Commentatt, Herodott, P.I. pag. 26t sqg. gezeigt
habe.
=
AY
-27
Begriffe deutet schon Euripides in den Bacchantinnen
(298 sqq.) an.
In der Kunst ist jezt die Benennung Indischer
Bacchus allgemein eingeführt 77) Jene männlich
schöne härtige Figur mit dem grofsartigen Gewande und
mit dem Regentenstabe in der aufgehobenen Hand, die
bisher für einen Sardanapalus galt, auch noch bei Win-
chelmann (Monum. 163.), ist jezt, nach den Erläute-
rungen von Visconti (zum Museo Pio- Clement. T. II.
tav. 41.) , als ein Indischer Bacchus aufser Zweifel ge-
setzt. Dasselbe gilt von einigen Figuren, die bisher
andere Namen führten. Manchmal hat er ein Gefäfs in
der Hand, wie z. B. der Bacchus mit der muschelfërmi-
gen Schaale unter den Bildsáulen von Herculanum
(Winekelmanns Sendschreiben pag. 143 neueste Ausg.).
Diese Art den Bacchus vorzustellen, ist sehr alt. Schon
auf dem Kasten des Cypselus sah man einen birtigen
Bacchus liegend in einer Grotte, mit einem auf die Füfse
berabfallenden Mantel bekleidet und einem goldenen Be-
cher in seiner Hand; um ihn Weinstóche , Aepfel- und
Granatbüume (Pausan. V. 19. 1.).
$. 6.
Der Aegyptische Dionysus.
Auch hier wieder dieselbe Erscheinung, wie bei
dem Indischen Bacchus ; d. h. auch hier fabelte das Volk
und die im Vollisgeiste schreibenden Mythographen: der
Aegyptier habe dem Griechen seinen Dionysus zu ver-
danken — gerade wie wir oben (IL Th. p. 286.) hürten,
dafs die Saiterstadt mit ihrer Neith von Athen aus ge-
stiftet worden. Freilich weisen uns dagegen hier wie
dort einsichtsvollere Geschichtschreiber gerade den um-
72) S. auch Welcker zu Zoéga’s Abhandll, p. 378 f.
Wc
M
gehehrten Gang. Doch wollen wir auch hier zuerst jene
Fabler hóren, zumal da ihr Bericht nicht ohne bemer-
kenswerthe Züge ist.
Die Attischen Autechthonen Ogyges und seine Frau.
Thebe, erzählen diese, begeben sich nach Aegypten,
bauen die Stadt Thebe daselbst, stiften die Mysterien
der Isis und erklären sie und Dionysus für Götter (Schol.
mscr, ad Aristid. Panath. p. 185.). Also das Aegyptische
'TTheben, das man bald die Stadt der Zehntausend, bald
die Wohnung, bald die Thalstadt, auch das Haupt
aus dem Koptischen erklirt 73) — dieses Theben hitte viel-
mehr von einer Griechischen Frau den Namen, und einer
der grofsen Götter daselbst wäre von ihr und ihrem Manne
gebracht. Sonst lesen wir, Osiris habe die hundert-
thorige Thebä gebaut ( Diodor. 1. 15.).- Lasse man aber
doch den Zug nicht fallen , dafs Osiris gerade die grolse
Stadt Thebä, die Stadt des Juppiter-Ammon (No-
Ammon, Diospolis magna), bauen, und der hereinge-
brachte Dionysus darin wohnen muís, und dafs gerade
das Griechische T heben wieder der Geburtsort des Dio-
nysuskindes ist.
Doch wir wenden uns gleich zu einem Forscher,
der diese und andere Sagen schon sehr frühe mit kriti-
schem Auge betrachtet. Herodotus (1I. 145 sq.) bemerkt
die Verschiedenheit unter den Angaben der Aegyptier
und der Griechen in Betreff des Hercules, Dionysus und
Pan. Jene nennen sie uralte Gótter, diese die aller-
jüngsten. Er entscheidet sich darauf für die erste Mei-
nung, und erklärt sich die Verschiedenheit durch die
Annahme, dafs die Griechen diese Götter so spät bei
sich geboren werden lassen, weil sie nicht eher von ihnen
etwas gewufst. Die Hellenischen Geburtsjahre von Pan,
13) Jablonski Voce. p. $6 sq. und daselbst Te Water, Vergl,
oben 1I. 'lh. p. 817.
38
129
Hercules und Dionysus seyen mithin für die Jahre der
Einführung dieser Religionen nach Griechenland zu
halten. In Betreff des Verhältnisses dieser drei Götter
zu einander hóren wir ebendaselbst, dafs Pan zu den
acht Góttern erster Ordnung gehórt, Herakles zu den
zwölf der zweiten, und Dionysus zu der dritten Ord-
nung, die ans der zweiten hervorgegangen (vergl. oben
I. Th. p. 292 ff). Also im Aegyptischen System
ist Dionysus Gott aus Gott geboren. Aber er
ist die letzte Güttergeburt und die áufserste Ausstrah-
lung des göttlichen Wesens. Darum mufs er auch im
Fleische das Aeufserste erleiden, selbst den blutigen,
grausamsten Tod. Mit Einem Worte, er ist eben kein
anderer als der durch Typhons Mörderhand gefallene
Osiris 7%. So wie aber in Aegypten der Gott Osiris
im Verlauf der Zeiten von Vielen für einen alten König
gehalten werden mochte (wie ich im I. Th. p- 307. ge-
zeigt habe), eben so Lonnte auch der Gott Dionysus
zum Menschen gemacht worden seyn, er konnte Mensch-
liches erlitten haben, und als Mensch gestorben seyn;
sein Leiden auf Erden, seine Verfolgungen, seine man-
nigfachen Schicksale konnten eben so in Schauspielen,
scenischen Aufzügen und dergl. dem ungebildeten Volke
gezeigt werden, wie die Leiden des Osiris’ am See zu
Sais. So war es auch wirklich in Griechenland. Und in
diesen festlichen Aufzügen und Scenerien, welche an-
fänglich blos die Leiden und Schicksale des Bacchus dar-
stellten, an dessen Stelle jedoch nachher andere Landes-
heroen traten, ist der Ursprung aller Griechischen
Tragódie zu suchen, nach der Hauptstelle des Herodotus
V. 67, die ich schon oben I. Th. p. 306. Not. mitgetheilt
74) Herodot. II. 42. Diodor. I. 23. Plutarch. de Isid. pag.
362 sqq. pag. 483 sq. Wytt. Euseb. Praep, Ev. III. 11.
Vergl. auch oben I, Th. P. 306. Not.
111.
or
a
1.
und in den Commenptatt. Herodott. P.I. p. 215 — 224.
behandelt habe, Auch der Ursprung des Dithyram-
bus gehört hierher 75). Die verschiedenen Angaben
über seine Erfindung giebt Larcher zum Herodotus
Tom. !. p. 209 sqq. und daselbst die bemerkenswerthen
Stellen des Scholiasten des Pindarus und des Archilochus,
so wie die Angabe, dafs die Sieger einen Ochsen zum
Preis erhielten (vergl. auch Plutarch. de Ei Delph. pag.
30g. A. peg. 53 Wyttenb.). In jedem Betracht stimmt
jene Theorie vom Dionysus mit dem, was wir zunächst
aus den Indischen Systemen beigebracht haben , aufs ge-
naueste zusammen, Auch dort ist jener Schiwa-Dionichi
die sinnlichste Offenbarung der Gottheit. Sein Dienst
erófinet einen Garten der blühendsten Freuden, wie
einen immer neuen Quell der Thrünen. Bei der alten
75) Von dieser Dichtart bat gehandelt , und die verschiedenen
Perioden derselben zu sondern gesucht: Timkowsky
De Dithyrambis eorumque usu apud Graecos et Roma-
nos Commnientatio ( Mosquae 1808.); s. Acta Seminarii
regii Lipsiensis Vol. Il. pag. 20$ sqq. Aus der dort gelie-
ferten Uebersicht. des Inhalts ersehe ich, dafs der Verf.
gelegentlich von der Etymologie des Wortes 8.5V ça Bos
handelt (wo er das ài yo 9voas I&vaı wegen Eurip. Bacch.
515. vorzieht) , so wie von der Entstehung des Bacchus-
dienstes im Orient, von der Verbindung des Cyclendien-
stes mit dem Bacchischen , von der Verbindung der Ceres
mit Bacchus u. s. w. Das Beste davon mag wohl die pe-
riodische Scheidung der Dichtart ( Dithyrambus) seyn.
So behanptet er auch, dafs der Chor in Euripid. Bacch.
64 — 165. ein wahrer alter Dithyrambus sey, und dafs
durch die Dithyrambendichter die Mythen von Dionysus
hàáufig verándert worden seyen. — Uebrigens hatten nur
an den Bacchusfesten in Griechenland dramatische Spiele
statt; 8. Bouiger Andeutungen p. 66. IIspi Kopmwöixg hatte
auch Theophrastus geschrieben ; s, Meursius de Theophr.
p. m. 62, und daselbst Athenáus.
; 30
151
Verbindung, die zwischen Indien und Aegypten bestan-
den (s. oben I. Th. p. 616 £), ist es schr wahrscheinlich,
dafs auch die Religion von diesem leidenden Gottmen-
schen von dorther sich. nach Aethiopien und sofort in
die Oberägyptische Thebe verbreitet hat 7°) mag es
nun mit der Namensähnlichkeit von Eswara- Isuren und
Osiris eine Bewandnifs haben, welche es wolle. Wie
sehr ferner Vorderasien, zumal Phönicien 77), jenen
Todtendienst von einem Naturgoite ausgebildet hatte,
haben wir oben gesehen. Auch in der alten Pelasger-
religion auf Samothrace fanden wiv jenen Osiris Diony-
sus, und zwar in den verschiedenen Combinationen,
besonders aber in jener Dreizabl, wonach die zwei àlte-
ren Cabirenbrüder den dritten oder j ingsten erschla-
gen. Sein Männliches wird nach Tyrrhenien hinüber-
xetragen, und er ist in dieser Ansicht Dionysus (s.
oben 11. Th. p. 333.). Aber auch in der andern Combi-
nation von der Vierzahl ist dieser jüngste, dieser
Casmilus, wie er beidemal heifst, immer der Phallus-
gott, cinmal der Bacchische, das anderemal Hermes
ithyphallicus. Nach dieser zweiten Lehre war er des
Hephástos Sohn (s. oben Il. pag. 326.). Nach einer
76) Nach einer Sage, die uns Plutarchus aufbehalten hat (de
Isid. et Osirid. p. 362. B, p. 484 Wyttenb.), sollte Dio
nysus zuerst aus Indien zwei Ochsen nach Ae-
gypten gebracht haben, wovon der eine A pis, der
andere Osiris hiefs.
77) Wenn Pausanias ( Phocic. cap. 18.) von den eisernen
Köpfen eines Löwen und eines wilden Schwei-
nes zu Pergamus, Kunstwerken des Tisazoras, welche
man dem Bacchus gewidmet , spricht , so erkennen wir in
diesem Bacchus sowohl den Aegyptischen Osiris,
dem der Lówe heilig ist — die Sonne im Zeichen des
Lówen, als auch den Phónicischen Adonis, auf
den der Eber sich bezieht.
l.
andern Darstellung war Zeus der erste Cabire, und der
zweite war Dionysus (s. oben 1I. pag. 334.). Dies führt
uns wieder nach Aegypten zurück, und wir fragen nach
der dortigen Genealogie des Osiris- Dionysus 75).
Dort heifst Osiris zuvórderst Sohn des Kronos, der
ihn und seine Schwester 1sis mit der Rhea erzeugt hat
(Divdor. Sicul. I 15 sqq.). Nach Jablonski’s Erklärung
(Panth. L 141.) ist dieser Kronos nur ein hellenisirter
Phthas. Mithin hätten wir hier dieselbe Genealogie, wie
kurz zuvor nach Samothracischem Systeme. Ohne dar-
über weiter für und gegen zu sprechen, mache ich so-
fort auf ein Aegyptisches Lehrsystem aufmerlsam,
welches den Osiris- Dionysus, gerade so wie das Grie-
chisch - Thebanische, zu einem Sohne des Zeus- Ammon
macht; so dafs wir also in der Aegyptischen Religion
selbst den Grund erblicken, warum der Griechische
Dionysus als Juppiters Sohn erscheint. Bekanntlich wird
diese Genealogie bei Diodorus (1. 23.) eine Erfindung
————— s
78) Unter den zahlreichen Vorstellungen , welche auf den
Mumien sich finden, die neulich Herr Sieber aus Aegyp-
ten nach Deutschland gebracht, und die von dem Kö-
nige von Baiern für die Akademie zu München an-
gekauft sind, findet sich, wie inir mein Freund, Herr
Dr.Waagen , meldet , ein thronender Osiris,
den Thyrsus haltend, von welchem das Fel eines
wilden 'Thieres, woran Hals und Kopf, herabhüngt. Es
sey gelb mit schwarzen Flecken, und stelle wohl einen
Panther vor. Vor dem Osiris steht eine Mumiengestalt
opfernd. Spüter erscheint, wie er glaubt, Semele, mit
demselben Eclle bekleidet, vor dem Osiris mit Krumin-
stab und Geifsel. Letztere Vorstellung, welche Bóttiger
und Denon ( bei dem sie auch vorkommt ) , weil sie das
Fell am Thyrsus des Osiris nicht kannten , für die Andeu-
tung des Kriegerstandes nahmen, sieht er richiiger für
ein Zeichen der Einweihung in die Mystcrien des Osi-
XI» an,
HT
155
des Cadmus genannt. Dieser habe absichtlich den Osiris
einen Sohn des Zeus genannt, und Orpheus habe später-
hin aus Freundschaft zu den Cadmeern diese Genealogie
bestätigt. Die eine Sage habe ich schon im Vorhergehen-
den berührt, wonach Osiris vom Ammon im Aegypti-
schen Theben an Sohnes Statt angenommen wird. Nun
berichtet uns Aristo in der Schrift von der Athener-
colonie eine andere, der zufolge Dionysus, des Zeus
und der Isis Sohn, bei den Aegyptiern nicht Osiris
biefs, sondern Arsaphes 7’). Nach der Erklärung,
die man aus der Koptischen Sprache dazu aufgestellt,
bedeutete dieser Arsaphes eben das Organ männlicher
Zeugung (Jablonski Vocc. pag. 39.). Ist das vielleicht
jener vierte Dionysus des Cicero (de N. D. MI. 23, 80).
jener Sohn. des Juppiter und der Luna, dem man
die Orphischen Weihen feiert? Wie es aber auch mit
jener Deutung und mit dieser Vermuthung stehe, so viel
ist gewifs: dem Aegyptier war sein Osiris. Dionysus eben
so ein Phallusgott, wie dem Indier sein Schiwa.Dionicbi;
und so wie Indien ein ordentliches System in dieser Art
des Gottesdienstes hatte, welches unter andern die Ex-
cerpte aus der Hasi Khanda beweisen ( worin wir von
einem Phallus Saïles, vom Phallus Ratnes - Dijycstes«
79) Plutarch. de Isid. p.365. E, p.498 Wyttenb, nach Va!cke«
naers Verbesserung zu Eurip. Phoeniss. 654.
80) S. meine Anmerkung zu dieser Stelle p. 621. rnd den dort
angeführten J. Laur. Lydus de menss. pag. 82: A:róg «ai
XepréAns, dv (man lese à) 72 'OpHéws pustyeix ÉrsdeTro,
nat VG' 03 olvos &wspéc9w. Auch ward Semele von den Ore
phikern angerufen, z. B. Hymn. XLIV. (43.) 2. Moser
vermuthet aber, es sey in der Stelle des Cicero Selene
und Semele verwechselt, und dann für ersteres Luna
gesetzt worden. In anderen Stellen wird Dionysus bald
Sohn, bald Bruder der Luna genannt; s. C, G. Schwarz
Miscell. polit. human. p. 72.
&
i
154
Kritibasa lesen) 5^), so ging nach der Versicherung des
Herodotus (IL 49.) von Acgypten eine Lehre zu den
Griechen über, worin der Phallusdienst seine Deutung
erhielt. Jene Processionen mit Priapischen Götterbildern
galten niemanden anders als eben dem Osiris - Dionysus
(ebendas. 48.). Er war ja der Gott, nach dessen Tode
man jenes heilige Symbol gefunden, und dessen Leich-
nam die erste Mumie darstelite. Er war der gestorbene,
der beweinte Naturgott, der, da er eben den hirtesten
Zoll der Sterblichen bezahlt, als Wohithäter und Leh-
rer herrlicher wieder aufsteht. So zeigte die Aegyptische
Religion ihren Osiris von einer Seite im tiefsten Zu-
stande der Erniedrigung. Ja, nach einer Notiz beim
Plutarchus (de Isid. p. 359. E. p. 474 Wyttenb.) hatte
man unter den Aegyptiern sogar eine Ansicht, nach der
Hermes, Osiris, Horus und Typhon natürliche Menschen
waren. Ebendaselbst wird bemerkt, Osiris sey schwar-
zer Farbe gewesen (vergl. I. Th. p. 521.). Hier haben
wir also ganz die menschlich-historische Seite
dieses Religionszweigs. Von Indien her in die Felsen-
höhlen Aethiopiens ist Schiwa -Dionichi gebracht. Dort
wird er also cingeweihet in das Geschlecht der Hünige
des Mohrenlardes, und selbst ein. Mohrenhünig verdient
er sich die Unsterblichkeit durch Leiden und Thun un-
gewöhnlicher Art. Er ist der Pílanzer von Süden her-
auf, der an der Spitze der Schiwadiener nach Ober-
ügypten vordringt, und dort die grofse Ammonsstadt
Theben besetzt *). Er ist selber des Ammon Sohn durch
Adoption geworden.
81) S. Catalogue de Manuscrits Sanscrits de la Biblioth. Im-
per. par Hamilton et Lauglés, im Magazin encycloped.
1507. Juill. p. 33 sqq.
*) Oder von der Thebais aus nach Aethiopien wandert, S.
meine Commentatt, Herodott, I. p. 175 sqq. und über die
135
Cicero (de N. D. ITI. 23. pag. 618. 620.) führt einen
Bacchus auf, den zweiten, des Nysus Sohn, welcher die
Nysa getödtet habe (secundum Nilo [sc. natum], qui Ny-
sam dicitar interemisse). Achten wir hier zuerst auf
die Ableitung des Wortes Nysa von véocew, pungere 97),
und bemerken wir ferner die Angabe des Johannes Lydus
(de menss. pag. 81.), dafs Dionysus auch die Sonne,
7v00& aber der Kreis der Zeit sey, so werden wir
in dem Dionysus, der die Nysa tódtet, die Sonne
erkennen, welche den Kreis der Zeiten in
sich verschlingt oder aufnimmt .— abthut
(conficit), tódtet; gerade wie Saturnus seine eige-
nen Kinder verzehrt. Derselbe Job. Lydus (pag. 82.)
lehrt uns diesen Dionysus, den zweiten, den Sohn des
Nilus, als einen Kénig von Libyen, Aethiopien und Ara-
bien kennen. Dies ist kein anderer, als der Libysche
Dionysus, der von Nysa mit einem Heere gegen den Sa-
turnus auszieht, dann mitten in Libyen die Campe, ein
Ungeheuer yon funfzig Köpfen, tüdtet, und ibr einen
Grabeshiigel aufrichtet 8%). Auch hierin liegt, meines
Bedünkens, ein tieferer allegorischer Sinn. Man denke
nar an Hercules und an den Phanes der Orphiker (s,
Fragmm. p.503.), der gleichfalls den Kreis der Zeiten
und Dinge bezeichnet, und mit so vielen Thierkipfen
versehen war. Ueberdies sagt Joh. Lydus von demselben
Dionysus, den er vorher als Sonne bezeichnet: du ov
4 vocc (o xaumvi) xoi à msovibxAnaig voO yoürov.
Aehnlichkeit der Aegyptischen und Aethiopischen Reli
gionen p. 181.
82) S. Cornutus de N. D. éap. 39. Eudocia p. 118.
83) Diodor. Sic. 1IT. 71. und dort Wesseling. Nonni Dio-
nys. XVIII. 232. Vergl. meine Anmerkung zu Cicero
a. a. OL
12
Wir hätten demnach in diesem Aegyptisch- Libys chen
Dionvsus einen Osiris-Sol, welcher den jihrlichen
Hireislauf oder den Jahreslauf als ein vielküpfises Thier
(mit Bezug auf die Zeichen des Thierkreises) erzeugt
und verzehrt, Wenn wir also annehmen wollten, dafs
der Dionysus, der bei Diodorus die Campe ( vi» Kdp-
nv oder — Kauxkr, mit fortgerücktem Accent, so vicl
als tov xouatipæ nach der angegebenen Bedeutung)
todtet, von einem Andern, dem Cicero gefolgt, als der
Lezeichnet warden sey, welcher dieNyssa (viv Néocar)
getüdtet, so wäre der Sinn der Stelle des Cicero klar.
Jene alten Sagen der Thebaiter haben die Griechen
fortgepflanzt. Da hatte Ammon den Dionysus mit der
Nymphe Amalthea erzeugt, welche er aus Furcht vor
seiner eifersüchtigen Frau Rhea mit dem Blitze er-
schlägt. Das Dionysuskind wird auf eine Insel des Flus-
ses Triton geflüchtet, und dort von des Aristüus Toch-
ter, der Nymphe Nysa, erzogen, oder vielmehr von
Vater und Tochter zugleich, denen in ihrem Bildungs-
werke noch die Athene beisteht (Diodor. l!L 68 sqq.).
So trüágt auch Juppiter beim Herodotus (II. 146.) den
in seine Hüfte eingenáheten Dionysus über Aegypten
hinaus nach Nysa in Aethiopien. Darauf bezoger
Einige auch die Notiz, dafs Anacreon den Dionysus
sollte Aethiopiens Sohn genannt haben. Andere wollten
lieber an die dunkele VVeinfarbe denken. Endlich er-
schien auf alten Griechischen Münzen, z. B. auf denen
von Mytilene, der Insel Lesbos, der Kopf des Juppiter
Ammon neben Bacchischen Symbolen 5. Lauter Erin-
81) S. Dionysus I. p. 248. 251. Sonst kommen auf Münzen
Griechischer Inseln und Städte häufiz der Kopf des
Bacchus und Bacchische Symbole vor, z. B.
auf denen der Insel Andros, bei Pellerin Recueil etc.
III. pl. LXXXIX. nr. 3. 4, ferner von Thasos, ebena
i
137
»erungen an den Acgyptisch - Aethiopischen Ursprang
cines Hauptzweigs der Bacchischen Religionen.
Jene menschliche Seite, die wir oben (I. Th.
pag. 295 f.) im Vollisglauben der Aegyptier nachwiesen,
ward nun auch in Hellas die herrschende. Das war der
Thebaner Dionysus, der, nachdem er die ganze Welt
beseeligt hatte , nun auch selbst zur Seeligkeit der Gót-
ter aufsteigt. Jedoch in der Geheimlehre der Griechen,
in den Orphischen Systemen, stand Dionysus hóher. Da
war er ja, wie im Verfolg sich ergeben wird, nach Ei-
ner Ansicht, der Gott der Götter. Dafs dieses System
nun hauptsächlich auf Aegyptischer Priesterlehre ruhet,
wollen wir hier vorerst mit VYenigem andeuten.
das. pl. XCIII, der Stadt Cartha auf der Insel Ceos,
ebendas. pl. XCV , von Corcyra, ebendas. pl. XCVI,
von Lesbos, pl. CIIL, ganz besonders auf denen von
Naxos (s. oben p. 107.), worauf Bacchus , Silenus und
andere Gegenstánde und Attribute aus dem Bacchischen
Fabelkreise erscheinen, ebendas. pl. CV. nr. 1— 5. Die
Erklirang des guten Pellerin davon (p. 88.) mag man lie-
ber bei ihm selbst nachlesen , wir übergehen sie hier
billig mit Sullschweigen. Münzen derselben Insel zeigen
eine Diota mit einem Bacchus, s. Eckhel. D. N. V.
ll. p. 333, einen Bacchus nebst Cantharus und "Thyrsus,
s. Wesseling zum Diodor. Sicul. V. 52. Tom. I. p. 373,
der dort auf Beger Thesaur. Brandenb. T. I. pag. 432.
verweist. Ueber eine noch nicht bekannte Münze von
der Stadt Julis auf der Insel Cea mit dem bärtigen und
bekränzten Kopfe des Bacchus s. Sestini Lettere e dis-
sertazioni numismatiche, ossia descrizione etc. Tom. VI.
Berlin 1804. — Endlich- auf den Münzen der Carischen
Stadt Orthosia kommt ein Bacchuskopf mit einer
Epheukrone , Thyrsus und Panther vor; s. Pellerin If.
pl. LXVII. nr. 47. 48. Sogar das Phónizische Sidon hat
auf seinen Münzen den Kopfdes Bacchus mit einem Epheu-
kranz, Thyrsus und andern Bacchischen Symbolen; s.
€bendas. II. pl. LXXXIL, nr. 22. 25.
138
Nicht des Phthas Sohn ist Dionysus, sondern er
ist Phthas selber. Daslesen wir mit deutlichen Wor-
ten beim Suidas (in'A$Sác); Aphthas oder Phthas
( vergl. Jablonski Voce. pag. 381.) ist Dionysus. Er ist
der grofse, ewige Entscheider und Bestimmer aller Din-
ge, und somit auch, als Herr der Schicksale, Schick-
salsdeuter, erster Prophet. In der hóheren Ansicht ver-
schwinden alle jene. Ánthropomorphismen , jene Gótter-
zeugungen, wornach Osiris- Dionysus bald Sohn des
Phthas, bald Hind des Ammon ist. Das ewige Wesen
ist sich selber bald Vater, Gatte, bald Bruder und Sohn;
und was Julius Firmicus (de error. profan. relig. V.
pag. 115.) von dem höchsten Gotte sagt: «du bist Aller
Vater urd Mutter, du bist dir selber Vater und Sohn»,
das gilt in dieser esoterischen Lehre als herrschender
Grundsatz. Ich mufs hier, der Kürze wegen, meine
Leser auf das verweisen, was ich hierüber im I. Th. be-
sonders p. 290 ff. bemerkt habe.
Also auch hier dasselbe System verschiedener Com-
binationen, dieselbe Vielheit der Betrachtungsart, die
wir oben in den Nachrichten von den ültesten Pelasgi-
schen lustitutionen Griechischer Religion wahrgenommen
haben, in so weit wir darin priesterliche
Lehre des Auslands erkennen mufsten. Und
so wird es uns dann nicht Wunder nehmen, wenn der-
selbe Osiris- Dionysus, den man gemeinhin als Bruder
und Gatte der Isis- Luna kannte, von den Orphilkern
hinwieder als Sohn der Luna gekannt war (s. vorher
Note 8o. p. 133) ; auch nicht Wunder nehmen, wenn
wir in diesen Orphischen Systemen denselben Diony-
sus sich selber Vater uud Sohn werden sehen;
wenn wir. ihn unter verschiedenen Namen und Eigen-
schaften an den Anfang einiger VVeltalter gestellt, und
in dem grofsen Schüpfungswerke auf verschiedene VY eise
beschäftigt finden werden:
159
Es sind aber die Orphischen Lehren im We-
sentlichen Aegyptische Lehren. Dies versichert
der Vater der Geschichte ausdrücklich. Er sagt nämlich
in der bemerkenswerthen Stelle, wo er von dev Lebens-
art der Aegyptischen Priester spricht: die Orphischen
Lehren würden auch Bacchische genannt, und seyen
einerlei mit den Aegyptischen und Pythago-
reischen 85. Dies führt uns unmittelbar zu einer Er-
ürterung der OrphischenSysteme; wobei wir zugleich
die Thracische oder Nordgriechische Form der
Bacchischen Religion betrachten. — Zuvor aber
müssen wir fragen, welche Beglaubigung die Orphi-
schen Dogmen für uns haben.
———
E 4
Ex.
§ 7
Yon der Fortpflanzung Orphischer Lehre.
Einzig mit der Lehre haben wir es hier zunächst
zu thun, damit man mich nicht mifsverstehe, Die Frage
nach dem Alter der noch vorhandenen sogenannten Or-
85) Herodot, II, 81, nach der richtigen und von Valckenaer
ad Euripid. Hipployt. 952. und de Aristobulo 83. verthei-
digten Lesart, die auch meuerlich durch eine Pariser
Handschrift bestätigt ist, Vergl. I. The der Symb. p. 254.
JI. p. 284.
140
phischen Gedichte gehört mithin nicht in das Gebiet
dieser kurzen Vorbemerkungen, obwohl wir sie einige
mal in etwas berühren werden. Ueber diese letztere
liegen bekanntlich die Auszüge aus den Acten bei Fa.
bricius ( Bibl. Gr. I. p- 140 sq. ed. Harles.) vor. Diese
vermehren sich aber beim Fortgange der Untersuchung
noch täglich.
Der von mir oft angeführte gelehrte Scholiast mscr.
des Aristides nennt (zum Miltiades p. 165 Jebb.) neben
Androtion und Aeschines den Herodotus als solche,
die keinen älteren Dichter als den Homerus statuirten.
Wir nehmen uns also gewifs nicht zu viel heraus, wenn
wir gerade von den Zeugnissen dieses letzteren
ausgehen. Ja wir wollen ein Uebriges thun , und sogar
noch den Aristoteles hinzuziehen, der, wie ohne
gewaltsame Auslegung die Stelle des Cicero (de N. D. I.
38. mit unserer Anmerk. pag. 175 ff.) sich nicht anders
verstehen läfst, sogar die persönliche Existenz eines
Orpheus geleugnet hatte.
Herodotus also sagt in der berühmten Stelle (11. 53.),
nach dem strengsten Sinne, worin sie genommen werden
hann, erstens: Hesiodus und Homerus sind die Erfinder
der Hellenischen Theogonie 55); er verwirft mithin zwei-
tens alle die Gedichte, die man zu seiner Zeit für vor-
Homerisch ausgab, folglich auch die Orphischen. Sind
damit, fragen wir unserm Zwecke gemäfs, nun auch alle
Lehren aus vor- Homerischer Zeit, namentlich die
Geheimlehren verworfen? Wir wollen sehen. Kurz
zuvor (cap. 51.) gedenkt er eines mystischen My-
thus, eines íeoóc Aóyoc, d. h. einer mythischen Aus.
deutung (Erklärung) vom Hermesphallus, die die Pe-
86) Ueber diese Stelle, so wie über den eigentlichen Sinn der-
selben , vergl. oben LIL. Th. p.297. und p. 451.
n
141
lasger den Athenern mitgetheilt haben, und die man
noch in den Mysterien von Samothrace lerne. Diese
Mittheilung kann nicht später geschehen seyn als im Jahr
1162. vor Christi Geburt; denn in diesem Jahre besetzten
jene Pelasger, nach ihrer Vertreibung aus Attica. die
Insel Lemnos 87). Hesiodus und Homerus sind nach He-
rodots Angabe (cap. 53.) nur vierhundert Jahre vor ihm,
d. h. in das Jahr 884 vor Chr. Geb. zu setzen, Weiter
zuvor gedenkt derselbe (I1. 49.) einer Lehre (i55yzci),
betreffend Bacchische Processionen, einer Lehre. die
Melampus entweder in Aegypten oder vom T'yrier
Cadmus und dessen Phüónicischen Colonisten empfan-
gen, und die die nachherigen Weisen weiter ausgebil-
det haben. — Also Herodotus weifs von einer Lehre des
Cadmus 88), und zwar von einer Bacchiscben Lehre,
deren Alter 1549 vor unsere Zeitrechnung zurückgeht,
Doch bleiben wir beim Empfänger Melampus stehen , und
nehmen selbst an, dafs er seine Lehre nicht vom Cadmus
(d. h. von der alten Phöniciercolonie selbst)
erhalten, sondern von. deren Nachkommen , so geht sie
gleichwohl 1350 Jahre vor Chr. Geburt, also wieder in
die vor- Homerische Periode zurück. In demselben Sinne
spricht nun auch Herodotus in der Stelle (IL. 01.), wo
er die Identitát der Aegyptischen , Orphischen , Bacchi-
schen und Pythagoreischen Gebráuche nachweist , gleich-
falls von einer geheimen Erhlárung (egg Aóyoc), war-
um man nach diesen Ordensregeln in wollenen Hleidern
87) S. Raoul Rochette Histoire de l’ établiss. d. Colon. Grecq.
I. p. 426 sqq.
88) Taçd Kdôjov haben alle Handschriften , auch die Schel-
lersheimische. Larcher will rag dreydvwy Kdduov indern
(s. Chronolog. p. 201 sq.) , aus biofser Conjectur — was
hier am wenigsten zu billigen ist und Schweighäuser nicht
gebilligt hatı
142
weder in Tempel ging, noch sich darin begraben liefs
(vergl. I. Th. p. 255. 254). Doch ohne von dieser und
vielen andern Stellen des Geschichtschreibers Gebrauch
zn machen, kann man schon aus Obigem mit Gewifsheit
behaupten: Herodotus kannte theologische
Dogmen, und zwar Bacchische aus der vor.
Homerischen Periode. Weit entfernt also, die
Orphischen Lehren zu verwerfen, weil er die zu
seiner Zeit für Orphisch ausgegebenen Gedichte ver-
warf, konnte er sogar in diesen Gedichten alte
Orphische Dogmen anerkennen. Und das hat er
ohne allen Zweifel.. Jener zuerst angeführte icpóc Aóyoc,
den er den Pelasgern beilegt (IL 5:.), war ja ein Or-
phischer, wie sich aus den Stellen des Cicero ( de N D.
III. 22 und 23. vergl. oben II. Th. p. 326.) ergiebt. Je-
doch lassen wir selbst Orpheus Existenz und den
Namen Orphisch ganz fallen, darauf kommt ja hier
gar nichts an; immer bleibt der unumstöfsliche Satz ste-
hen: der älteste Geschichtschreiber Herodotus, ein For-
scher, der seinen geraden, heller Blick, wie seine grofse
Einsicht allenthalben beurkundet, der in der Streitfrage
über das Alter der Orphischen Gedichte selbst als Zweif-
ler erscheint, dieser selbige Geschichtschrei-
ber weifs sehr Vieles von Lehren, von Ge-
heimlehren, von Bacchischen Lehren zu sa-
gen,die weit in die Griechische Vorzeit zu-
rückgehen.
Dasselbe gilt von Aristoteles. Auch er nennt
Sätze der Bacchischen Mysterienlehre uraltf. Man lese
z. B. die charakteristische Stelle desselben beim Plutar-
chus (Consolat. sd Apollun. p. 115. C. p. 453 Wyttenb.)
und verbinde damit die Anspielungen früherer Dichter,
des Pindarus (Fragmm. p. 148 ed. Heyn.), des Simonides
(beim Stobáus CXI. pag. 530.) , um sich zu überzeugen,
145
dafs jene Sätze schon in früherer Tradition gegründet
waren (Diodorus nennt sie bestimmt Aegyptisch).
Auch die Bruchstücke philosophischer Werke
vor Plato sprechen für das Daseyn einer alten theolo-
rischen Dogmatik in Griechenland , oder, welches einer-
lei ist, Orphischer Lehren. Denn Orphische Lehre
war theologische Lehre, und der in der Sage so berühmte
Orpheus hiefs in der Sprache nachheriger Philosophen
eben so wohl der Theologe, wie Johannes bei den
Hirchenlehrern (vergl. Grotius ad Apocalyps. L 1.). Es
ist hier nicht von philosophischen Fragmenten die Rede,
die selbst entweder zweifelhaft oder entschieden unächt
sind, wie die meisten Pythagoreischen, sondern von
unbestrittenen, worauf scharfe Forscher, wie Valcke-
naer (de Aristobul. pag. 05.), selbst viel halten. Gehe
man doch z. PB. nur die Lehrsätze des Pherecydes von
Syros durch , der in der neun und funfzigsten Olympiade
blühete, ingleichen die des Heraclitus, aus der neun und
sechszigsten, und es wird sich die bündigste Ueberzeu-
gung begründen, dafs die Hauptideen, die sie vortragen,
im Wesentlichen mit jenen Lehrsátzen zusammenstimmen,
die ganz allgemein als Orphisch angegeben werden. Diese
und andere Philosophen lebten vor Herodotus, Er
und ültere Geschichtschreiber, deren Fragmente wir be-
sitzen, verlegen eine Zahl vou Dogmen in die vor: Ho-
merische Periode, oder nennen sie ausdrücklich Orphisch,
Bacchisch, und dergleichen Lehrsätze, die in den Bruch-
stücken der älteren Jonischen Philosophen , des Hera-
clitus , der Eleaten u. s. w., im Wesentlichen immer
wiederkommen, und in dieser Harmonie eine gemein-
schaftliche Quelle verrathen. Im Verfolg werden wir
einige dieser Dogmen bestimmt nachweisen. Will man
also die Glaubwürdigkeit des Herodotus, die sich in geo-
graphischen und andern Dingen alle Tage mehr und mehr
rechtfertigt, nicht geradezu bezweifeln, und alle Zeugen
144
vor ihm Lügen sirafen; will man die Aechtheit jener
Fragmente der ülteren Philosophen nicht schlechthin in
Anspruch nebmen, was doch noch Niemand eingefallen
ist — so hann man auch das Daseyn vor-Homeri.
scher theologischer Dogmen, besonders aus
dem Kreise der Baccbischen Mysterien, nicht in
Zweifel ziehen (s. II. Th. p. 447.).
Ein Jeder sieht, dafs hierbei auf jene Summe von
Traditionen, die durch das ganze Griechische Alterthum
bindurchziehen, gar nicht gerechnet ist, obschon sie
für jeden denkenden Menschen einen gewissen Grad von
Beweiskraft haben. "Was in der Allgemeinheit ge-
glaubt wird, hann selten ganz trügen. — Nein. Wir
wollen blos die Ueberzeugung begründen, wie man ohne
sle weitere Hülfsmittel, einzig aus den Nachrichten des
Herodotus und álterer Geschichtschreiber
einerseits, und aus denLehrsützen der ältesten Grie-
chischen Philosophen andrerseits, eine Art von
Dogmatik Griechischer Religion aufstellen kann, wo-
durch das hohe Alterthum der sogenannten Orphi-
schen Lehre aufs vollkommenste gerechtfertigt ist.
Viele Stellen der ältesten Dichter, besonders des Pin-
darus, des Aeschylus, Sophocles und Euripidés, vor-
züglich auch in den Fragmenten verlorener Stücke,
können denn, wenn man will, dazu dienen, sie theils zu
ergänzen, theils zu bestätigen.
Man kann folglich das strengste Urtheil unterschrei-
ben, das über die unter Orpheus Namen noch vorhan-
denen Gedichte gefällt werden mag; man kann jene Be-
hauptung in ihrer ganzen Ausdehnung adoptiren, dafs
die noch vorhandenen Poeme dieses Namens, die Argo-
nautica, die Hymnen, die Fragmente ( wenn gleich in
Betreff der beiden letzteren Mehreres für relativ àlter
genoramen wird) u.s. w., nicht nur nicht vor-Homerisch,
145
sondern nicht einmal vor-Platonisch sind, d. h. dafs sie
nicht von dem Zeitgenossen der Pisistratiden Onomacri<
tus (Herodot. VII. 6.) herrühren, sondern Verfasser
haben aus der Alexandrinischen Literaturperiode, ja
zum Theil selbst aus der Römischen ; nach Verbreitung
des Christentbums; und dennoch mufs man das vor-
Homerische Alter einer GriechischenGeheimlehre,
die nun einmal, gleichviel warum , Orphisch heifst; zu-
geben. Wir sind also; um ganz deutlich zu seyn, gar
nicht gemeint, uns auch nur eines einzigen Orphischen
Gedichts, es habe Namen wie es wolle, als solchen;
d. h;”als eines Ganzen in Metrum, Wort und Aus«
druck, annehmen zu wollen 8%);
Hinwieder ist ès in Betreff der sogenannten Or:
phischen Werke zuvórderst bemerkenswerth, dafs
es schon zu Herodotus Zeit , also verhältnifsmäfsig fr üh,
Gedichte gab, die für vor-Homerisch ausgegeben
wurden, ohne dafs der Geschichtschreiber sie dafür an-
erkannte (IL. 53.); sodann, dafs derselbe von Orakeld
des Musäus spricht (VII. 6.), die bereits der Zeitgenosse
der Pisistratiden Onomacritus interpolirte; dafs schon
der Musiker Terpander, lange vor Plato, den Orphi-
schen Numerus nachgeahmt haben soll (Plutarch. de Mu-
sic. p. 1132. F. p. 63» Wyttenb.); dafs man also schon
lange vor der Platonischen Zeit , ehe jene Orpheotele-
$9) Aucli Sickler in einer Note zum Kadmus pag. CIX. ist in
diesem Punkte vóllig mit mir einverstanden, Er era
kennt die Orphischen Hymnen als dert Sprache nach un-
gleich jünger, wie Homerus und Hesiodus, dein Inhalte
nach jedoch für sehr alt. Denn sie seyen nichts anderes;
als von Zeit zu Zeit sprachlich modernisitte oder umi=
gearbeitete Uebersetzungen der alten Tempelhieroglyphen
oder der uralten heiligen Bilderschrift in Buchstabers
schrift;
1H,
16
146
sten auftraten ?9), sich mit priesterlichen Poemen trug.
Jener Onomacritus und andere Verfasser von Werken
unter Orpheus Namen müfsten weit unkundiger gewesen
seyn , als sie waren , wenn sie ihren Productionen nicht
alle die Lehrsätze einverleibt hátten, die in Wahrheit
alt, vor-Homerisch, und in den Mysterien von Alters
her geheiligt waren. Alsdann hätte sie ja sofort jeder
Athener, der eingeweiht war (und bekanntlich waren
das ja fast alle) , Lügen strafen kónnen, und es hitte
dazu keines Poeten Lasus bedurft, der den Onomacritus
auf der That ertappen mufste. Mithin enthielten jene
Orphisch genannten. Werke der Pisistratidischen Zeit ge-
wifs das Wesentlichste von den Lehrsätzen der Bacchi.
schen und Cerealisehen Mysterien ?!),
90) "Theophrasti Charact. cap. 17. Platon. Rep. II. p. 364. E.
P. HI. Vol. I. p. 74 Bekker. Plutarch. Apophthegmm.
Laconn. p. 224. E. p. 895 Wytt. Diogen. Laert. Vl. 4.
Athen. V. p. 198. E.
91) Es ist mir wohl bekannt, daís Silvestre de Sacy (in den
Noten zu Saintecroix Recherches etc. II. p. 62 sq.) diese
Ansicht heftig bestreitet, und die Meinung zu vertheidigen
sucht, dafs vielmehr alle die, welche seit Einführung des
Christenthums oder seit der Stiftung der hauptsüchlichsten
philosophischen Schulen über philosopbische und reli-
giôse Gegenstünde , unter dem Namen berühmter Mánner
der Vorzeit, Werke geschrieben, eben dies gethan, um
das sinkende Heidenthum zu unterstützen , und durch den
tiefen erhabenen Sinn, der in allen seinen Mythen und
Symbolen versteckt sey , dasselbe zu empfehlen. Die
weiteren Angaben mag man bei ihm selber nachlesen.
Man verbinde damit noch die Note desselben Gelehrten
p. 70. 71. a. a. O. — Zoëga in den Abhandil. pag. 212 ff.
behauptet gleichfalls, dafs das Meiste von dem, was den
Namen des Orpheus trägt, im zweiten bis vierten Jahr-
hundert der gemeinen Zeitrechnung von Heiden, Helles
nistischen Juden und von Christen erdichtet wurde, und
147
Nach Plato aber und in allen folgenden Zeitaltern
bis nach Christi Geburt herab mufste ein Jeder, der
Orphische Gedichte verfafste, dieselbe Vorsicht gebrau-
chen, allgemein sanctionirte alté Lehren zu geben.
Es dauerten ja die Mysterien fort, und mithin bestand
auch jene Controle tiber die bekannten Grundlehten noch
immer. Schon dies mufs beachtet werden, wenn man
nun weiter fragt: wie verhalten sich unsere jetzigen
Orphica (Gedichte und Fragmente) zu jenen relativ -
alten, welche Herodotus, Plato, Demosthenes u. s. w.
kannten? — Möge aber auch diese letztere Betrachtung
immerhin von den Bewegungsgründen, die das End:
urtheil bestimmen müssen, ausgeschlossen bleiben, so
wird man doch der nachweifslichen Uebereinstimmung
ihre Beweiskraft lassen, die sich zwischen vielen Haupt-
ideen der noch vorhandenen Orplischen Gedichte und
Demjenigen findet, was uns die glaubwürdigsten Ge-
schichtschreiberals Orphisch oder Bacchisch
nennen, und was wir als unbezweifelte Lehrsätze der
alt-Jonischen und Italischen Philosophie er-
kennen. Aber selbst jene Werke sind zum Theil
nicht ganz neu. Wenigstens erkennt selbst der scharfe
Forscher Valchenaer, derdoch so Vieles ausmusterte,
was Ruhnkenius noch als relativ - alt gelten liefs, in sei-
ner letzten Schrift (de Aristobulo p. 85.) die Orphischen
Hymnen für viel besser und für viel älter als die übri«
gen noch vorhandenen Orphischen Gedichte, und ges
steht (p. 84.) in Betreff der Fragmente, dafs Einiges,
wenn gleich nur Weniges , einen alterthümlicheren Ton
habe (z. B.-das bei Stob. Florileg. pag: 339 ed. Grot.),
dafs nur einige wenige vorhandene Bruchstücke und viel«
leicht einige Hymnen vérdienen mógen, für früher als die
gegenwürtige Zeitrechnung gehalten zu werden; das Ue«
brige zeige augenscheinliche Spuren spáter Erfindung.
149
und von Pythagoreern aus verhältnifsmälsig früher Zeit
herrühren möge,
$. 8.
Yon den Orphischen Schulen.
Dals verschiedene Orphische Systeme angenommen
werden müssen, gehet aus Allem hervor. Man erwäge
nur Folgendes: Aeschylus hatte in den Bassariden einen
Orpheus, der Calliope Sohn, auf die Bühne gebracht,
dem Apollo die Lyra gegeben, der den Helius, den er
Apollo nannte, für den gröfsesten Gott hielt, und den
Dionysus nicht verehrte; weswegen er äuf dessen Ver-
anstaltung von den Bassariden zerrissen ward (Eratosth,
Cataster. cap. 24. pag. 19 Schaub.). Das ist also ein von
Bacchantinnen getódteter Orpheus. Bekanntlich legte
man dieser blutigen Handlung auch ganz andere Motive
unter, So lesen wir gleich in der Erzählung desselben
Inhalts beim’ Hyginus (Poet. Astronom. II. 4. p. 439 Sta-
ver.) : Orpheus sey deswegen von den Mänaden umge-
bracht worden, weil er des Dionysus Mysterien ausge-
kundschaftet habe. In der Sage der Delphier (bei Pau-
sanias X, 4. $. 2.) ist aber von einem Orpheus die Rede,
der auf seine geheime Wissenschaft zu stolz war, um
sich in einen Pythischen Wettstreit im Gesang zu Ehren
Apollo’s einzulassen, wie doch der Creter Chrysosthe-
mis, ingleichen Philammon und Thamyris gethan; in
welcher Weigerung ibm auch sein Schüler Musáus getreu
blieb. — Also ein Orpheus, der am heiligen Orte des
Apollo nicht auftreten will; — so wie der obige sich
weigerte dem Dionysus zu huldigen. Und nun lesen
wir ja auch bestimmt, dafs Orpheus des Dionysus
Mysterien erfand (Apollodor. Í. 3. 2). Wir sehen das
Bild des Orpheus neben dem Dionysus in Tempeln des
alten Griechenlands aufgestellt (Pausan, V. cap. 26. §.3.),
Y
149
und werden also ganz wieder auf den Punkt zurückge-
führt, auf den uns oben Herodotus gestellt hatte, wenn
er (II. 81.) Orphisch und Bacchisch für einerlei
erklärt.
Ganz bestimmt redet eine andere Sage von drei
Orpheus in Thracien, oder von einem dreimaligen
Erscheinen von Orpheus in diesem Lande ??) Diese
und ühnliche Beobachtungen veranlafsten im Alterthum
schon Manche , z. B. den gelehrten Herodorus (beim
Scholiasten des Apollonius L 23), mehrere Orpheus
anzunehmen; wofür wir lieher von einer Folge Or-
phischer Schulen sprechen.
Jezt entsteht die Frage, welche die àlteste sey , und
durch welche Kennzeichen die Perioden der Orphisch-
Tbracischen Priesterlehre sich von einander unterschei-
den. Auch hier bleibe ich absichtlich auf Griechischem
Grund und Boden stehen , und lasse Griechische Schrift-
steller über den periodischen Gang ihrer eigenen Reli-
gionen sprechen. Es mögen also die etymologischen Ver-
suche auf ihrem Werthe beruhen, wonach Orpheus bald
der Liebliche heifsen soll, bald der Weise, Kun-
dige, bald bestimmter des Orus (Apollo) Sohn ?;),
Mit der letzten hat man die Sage bei Pausanias (VE. 20.
$. 8.) in Verbindung gesetzt, wonach Orpheus ein ge-
92) Hermias Comment. in Platon, Phaedr. pag. 109 ed. Ast.
vergl. Orphei Fragmm. p. 505 ed. Herm.
93) Von O r Horus und Phe Sohn; s. de Schmidt Opuscull.
p. 108. vergl. Fabricii Bibl, Gr. I, p. 143. sq. Nach Sick-
ler ( Homer's Hymnus an Demeter p. 63.) ist Orpheus
Semitisch 79 — NEN, der Heilende, oder die hei-
lende, wieder herstellende, versühnende
Kraft.
150
borener Áegyptier war %). Allerdings müssen wir immer
die Identität des Aegyptischen und Orphischen
im Auge behalten, und allerdings werden auf die Bac-
chische Religion, da sie ja ihrer Wurzel nach Indisch
ist, auch die Perioden der Indischen Religion, der
Brahma-, der Schiwa- und Wischnudienst, oder viel-
mehr das gegenseitige Verhiltnifs dieser beiden letzteren
ihren Einflufs gedufsert haben. Wir gehen jedoch, wie
bemerht, zunáchst den Spuren nach, die in Griechischen
Sagen und Nachrichten vorliegen. Hier darf vorerst
jene Aussage der Dodoniüer nicht übersehen werden,
dafs die Pelasger gerade den Namen Dionysus weit
später als die übrigen Götternamen erfuhren (Herodot,
IL 52.); womit man die andere Nachricht von der spiten
Einführung des Pan, Herakles und Dionysus unter die
Hellenen verbinden muís (ebendas. 146.). Jung war
also auch der Dionysusdienstin Griechenland im Vergleich
mit der Religion des Apollo. Hierbei erinnere man sich
der Stelle des Pausanias (X. 27. §.2.) wieder, wo Olen,
jener erste Prophet des Phd bus, der die in Delos gesun-
genen Hymnen gedichtet hatte, älter als Orpheus
genannt wird, Nach einer andern Sage war Olen aus dem
Hyperboreerlande gekommen , und wenn er auch viel-
mehr für einen Colonisten aus Lycien galt, so wies doch
94) ,,uEíou dE oùrog A yum ríous sivar ply "Apoya, etyat 88 nal
Tév Oq&xa "OgQsa parysioar deivov.** Wenn wir auch diese
Angabe aufsich beruhen lassen miissen, indem die neue-
ren Herausgeber des Pausanias statt Afyurriovs die ohne
Zweifel richtigere Lesart A/yuxrioc in den Text aufgenom-
men haben, so vereinigen sich doch die meisten andern
Nachrichten dahin, dafs Orpheus (wenn er auch kein
geborner Aegyptier war) doch nach Aegypten gegangen
sey , und dort seine Weisheit geholt habe; s. Harlefs zu
Fabricii Bibl. Gr. 'Tom. I. p. 142. Not, vergl. Schol. Pa-
ris. Apollonii Rhod. I. 23. p. 9.
„1
die Religion, deren Verkiindiger er war, in vielen Spu-
ren nach Nordosten und den Caucasischen Lündern hin
(vergl. oben II Th. p. 116 ff).
Auch in einem Orpheus haben wir oben zunächst
einen Apollo'spropheten kennen gelernt, und einen Vers
üchter der Dionysischen Feier. Darum zerreissen iha
die Thracischen Weiber. Eine symbolische Sitte sollte
diese blutige That im Gedáchtnifs erhalten. Die Männer
in Thracien stachen zum ewigen Gedichtnifs ihre Frauen
mit Nadeln (Plutarch. de S. N. V. pag. 52. mit Wytten-
bachs Note), und es war diese Gewohnheit das Zeichen
einer edlen Geburt (Herodot. V. cap. 6.). Man leitete
diese Sitte von den Scythen ab (Clearchus beim Athe-
nüus XII. p. 524. D. p. 448 Schweigh.), also von jenen
Nordländern her , die die verschiedenen Apollo'sprophe-
ten den ‘Griechen zugeschickt hatten. Bestimmt werden
wir im Verfolg in den Scythen eifrige"VVidersacher des
Bacchischen Orgiasmus erkennen, wie nur immer der
von den Mànaden erschlagene Orpheus gewesen war.
Es sind also hinlánglich Gründe gegeben, diejenige
Orphische Schule als die ältere zu setzen, die
man, wenn auf jene Sagen gesehen wird und auf den
Gebrauch des Saitenspiels, in gewissem Betracht
eine Apollinische heifsen hann. Sie kann als eine
Fortsetzung der Schule des Apollopropheten Olen gel-
ten. In Betracht des Weges, den sie zu den Griechen
genommen, nennen wir sie Caucasisch, ohne da-
durch etwas mehr sagen zu wollen, als daís sie den
Griechen aus Nordosten kam und aus den Gegenden,
die sie unter dem weitschichtigen Namen des Hyperbo-
reer- und des Scythenlandes zusammenfafsten, Thre
Wurzel reicht weit in den alten Lichtdienst des hóheren
Asiens und Indiens hinauf. Man kann sie, wie Alles
Orphische, zu der dritten Periode der Indischen Reli-
gionen rechnen, zum reinen Wischnudienst und zu
15
152
den mit ihm vorgenommenen BReformationen; nur ver,
gesse man alsdann nicht, dafs in Griechenland die
dritte Form vor der zweiten, vor dem Schiwadienste,
beryortritt. Hinwieder ist auch der Nordosten nicht für
den einzigen Veg zu halten, auf dem diese Schule von
Apollo'spropheten nach Griechenland ham. Mag Or-
pheus ein gehborner Aegyptier genannt worden seyn oder
nicht, mag er für einen Horus-Sohn genommen wer-
den oder nicht — so viel bleibt gewifs, und der Verfolg
wird es deutlich zeigen, dafs auch von Aegypten her ein
solcher Apollocultus nach Griechenland verpflanzt wor-
den war, der sich anfangs mit dem Bacchischen Orgias-
mus in den entschiedensten Widerspruch setzte, und ihn
auf Blut und Tod bekämpfte.
Diese alt- Orphische Schule mag schon alle die
Eigenschaften gehabt haben, die man unter dem Worte
Orphisches Leben (fioc ópQuxóc) zusammenfafst :
jene priesterliche Würde, jene Enthaltung von thieri-
scher Host ?5) und Hleidung, oder doch deren seltnereu
und máfsigeren Gebrauch (wie z. D. keine wollenen Klei-
der in den Tempel oder ins Grab zu bringen Aegyptisch -
Orphisch war; vergl. I. Th. p.252.). Einreinerer Opfer-
dienst war es, gleich dem, den der Saitische Cecrops
nach Athen brachte, wo er Kuchen auf den Altären des
Zeus darbot (s. oben I. Th. p. 172.) ; eine feste Haltung
95) Bei jener Enthaltung vom Fleischessen, die wir bei meh-
reren alten Priesterschaften, besonders Asiens, finden,
haben vielleicht Betrachtungen mitgewirkt, wie sie Theo=
pompus beim Eustathius zur Odyssee XIL 330. pag. 492.
185 sqq. mittheilt. Dieser Geschichtschreiber bemerkt
nämlich, mit einem Tadel gegen Homerus , der seine
Helden so viel Fleisch geniefsen lasse, dafs das viele
Fleischessen das Denken store, den Geist tráge , das Ge-
müth zum Zorn und zur Härte geneigt mache, und über-
haupt ein verkehrtes Wesen hervorbringe.
RO
des Lebens im stetigen Gleichgewicht (6 gio; ini ováS-
En 6), und :die tägliche Begleiterin des Lebens, die
Lyra, die jener inneren Harmonie eben sowohl den Aus-
druck leiht, als sie rückwirkend hinwieder, jeden Mifs-
ton auflósend, die Ordnung aller Regungen der Seele
befördert. Die Lyra ist es auch, die der Sage nach in
Orpheus Hand VVunderdinge vérrichtete, und wie sie
die wilden Gemüther der Thracier sánftigt, auch das
Thier und die leblose Natur sogar in Bewegung setzte;
in welcher mythischen Beschreibung die Zaubergewalt
hinlánglich bezeichnet ist, die die Musik auf wilde Vól-
ker zu äufsern pflegt. Da(ís auch in dieser Schule schon
der Lyra und ihren Saiten und Tönen, nach höherer
Ansicht und für die Empfánglichen, die Beziehung auf
siderische und kosmische Verhältnisse gegeben
war, hann wohl nach dem, was oben über die Asiatisch-
Delische Apollo'slehre , ingleichen über das Acgyptische
Priestersystem (I. Th. p. 446 ff. und II. p. 197 ff.) : be-
merht worden ist, haum im Zweifel bleiben. Der Ge-
sang lag jezt noch ganz in dem Munde der Priester und
war das Organ ihrer Lehren. Es war eine ernste und
sanfte, eine strenge und milde Obhut, unter die, diese
Orphiker die wilden oder halbwilden Völker‘ genommen
hatten. Die Kórfige jener "'hracischen Stimme standen,
scheint es, in näherer Beziehung mit ihnen. Nach der
Sage wurden einigen von ihnen die höheren Weihen er-
theilt; also ein Verhältnifs dem Aegyptischen ganz ana-
log. Auch Königsnamen erinnern an diesen alten
Orphischen Apollodienst, wie andere nachher an den
Bacchischen. Von dem ersteren werden wir sogleich im
Lycurgaüs ein Beispiel finden, und von dem letzteren
96) Plato de Legg. VI. 785. Epinom. 974. vergl. Euripid.
Hippolyt. 948.
QNS
154
im Verfolg. Das war also die erste Orphische Schule
oder das alte Gesetz und der ungestürte frühere Dienst
des reinen Feuers,
yo ux s
(C PN. 9.
o Jy
4 7
Mittlerweile bereitet sich in Kleinasien eine grofse
Revolution, die bald ganz, Griechenland erschüttert.
Auf den Cybelischen Gebirgen in Phrygien erscheint das
Bild der Góttermutter, Hyagnis erfindet in Celüná die
Flöte, und stimmt in Phrygischer VVeise der Mutter der
Gótter, des Dionysus und des Pan neue Lieder an 97).
97) Marmor. Parium Epoch. X. 8. auch die Nachweisungen
im [. Bande der Erläuterungsschriften und Zusätze zur
allgem. Welthistorie Il. Abth. p. 290. In der classischen
Stelle des Plutarchus de Musica "Tom. Il. pag. 1132. F.
Vol. V. p. 632 Wyttenb. wird nach Alexander (&» v Xv.
aywyj av wept Pguyiag) Olympus als der genannt, wel-
cher zuerst das Saitenspiel, so wie die Idäischèn Dactylen,
zu deu Hellenen gebracht; Hyagnis aber als der erste
Flótenspieler, welchem dann sein Sohn Marsyas und dann
Olympus folgte. Hiermit verbinde man noch den Appu-
lejus Florid. lib. I. p. 341 Elmenh.: ,,Primus Hyagnis
in canendo manus dissapedinavit: primus duas tibias uno
spiritu animavit: primus laevis et dextris foraminibus,
acuto tinnitu, gravi bombo concentum musicum miscuit.
Eo genitus Marsyas, cum in artificio patrissaret tibi-
cinii, Phryx cetera et barbatus, vultu ferino trux , hispi-
dus illutibarbus, spinis et pilis obsitus fertur proh nefas,
cum Apolline certavisse. * — Wir erkennen hierin zwei
Perioden von Priestermusik , aus Kleinasien zu den Grie-
chen gebracht; die erste und älteste, durch das Organ
der Saiten, Saitenspiel, wohin der erste Oly m-
155
Das geschah gegen das Jahr vor Chr. Geb. 506. Etwas
früher (1549) hatte Cadmus, ein Phónicier oder Thebai-
ter, über Thasos den Osiris- Phallus nach Bóotien ge-
bracht, und ihm wird in seinem Hause der Enkel Dio-
nysus geboren. Allenthalben, wohin der neue Gottes-
dienst verbreitet wird, bricht Hader und Krieg aus.
Selbst der nahe Blutsverwandte, der Sohn der Muhme
Agave, Pentheus mufs als Verüchter der neuen Reli-
gion (éBprovig xoi &osfíc) einen grausamen Tod erlei-
den. War er etwa auch ein Apollodiener? In Thra-
cien wenigstens erleidet der Freund , und nach der gang-
barsten Sage: gar Sohn des Apollo, Orpheus, einen
gleichen Tod, und das Gebirge Pangáum wie der Büo-
pus zu gehóren scheint, in welchem gewifs auch astró-
nomische Verhiltnisse mit musicalischen in Verbindung
gebracht sind, wie die Spuren in dem Namen Olympus
(Himmel) zeigen, so wie in der Anführung der Idäi-
schen Dactylen, die uns an die Planeten erinnern; dann
die zweite, durch das Organ der Flóte, Flótenspiel,
mit Hyaguis, Marsyas und dem zweiten Olympus. In
diesen zwei Instrumenten aber lag nun auch ein Gegen-
satz ‚der religiösen Zwecke und der Priesterschaften,
Wenn nimlich in der Cithar oder Lyra das Beruhi-
gungs ~ und Besänftigungsmittel gegeben ist, dessen sich
die älteste Priestererziehung, welche die rohen Triebe
der Menschen bindigen wollte , bedienen mufste; so ist
in der Flöte die Erweckung der Gefühle gegeben, und
sie ist mithin das erregende und bewegende Instrument,
das daher auch den Mysterien, dem Phrygischen Dienste
der Corybanten, den Sabazien und der Bacchusfeier an-
gehörte, Hierhin gehört Marsyas , als Wettstreiter mit
Apollo. Die weiteren Schlüsse, welche, sich hieraus für
den Ursprung der Elegie und ihre, älteste Beschaffenheit
folgern lassen, will ich hier nicht weiter berühren. —
Vergl. noch Böttiger über die Erfindung der Flöte
im Attischen Museum I. p. 290. 332 f.
Or
155
tische Cithäron wird mit Blut bespritzt ( Apollodor. IIF.
5. 1.). Dort in Thracien tritt dann auch der Edonier
Kónig Lycurgus der neuen Taumelschaar der Bacchanten
kräftig entgegen. Welche Namensform auch die ur-
kundlich Homerische seyn mag : Avxóopyoc ?5) oder Av-
x0depyos (Heyne ad Iliad. VI. 130.), immer haben wir
einen rüstigen, einen abwehrenden Wolf; und
der Náme erinnert, wenn man ihn nicht selbst auch durch
Lichtschaffer erkliren will, wieEinige gethan, den-
noch an das heilige Thier des Apollo. Für diese An-
sicht spricht auch das, was wir im Verfolg über einen
ähnlichen Kampf in Argos bemerken müssen. Aber auch
hier war die Gewalt des neuen Glaubens siegend, und
Lycurgus verliert, wo nicht das Leben, wie Viele er-
zühlten , so doch das Augenlicht, wie Homerus singt ??),
In den Mythen der neuen Secte steht er als der wilde
Hônig Thraciens da, zum ewigen Exempel, weil ihn des
müchtigen Gottes Dionysus Fluch getroffen. Jezt ward
das reine Licht des alten Opferdienstes von dem neuen
wilden Feuer ergriffen und gerieth in Gefahr günzlich
zu verlóschen. Jezt übertünten die Phrysisch- Lydi-
schen Cymbeln und Flóten die sanfte Melodie des Sai-
tenspiels, und die stillere Andacht mufste dem neuen
98) Diese Form haben Heyne und Wolf im Texte des Home-
rug beibehalten. Zur Bestätigung kann das Orakel im
Herodotus I. 65, dienen, wo Jacob Gronovius in der
Mediceischen Handschrift zuerst Avadogye und „Auxiogyos
fand und vertheidigte, Ihm sind Wesseliog und die übri«
gen Herausgeber seitdem gefolgt, und der Schellershei-
mische Codex bestätigt diese letztere Schreibung an beiden
Stellen. Auf die Fabel des Lycurgus kommen wir im Ver«
folg zurück. — Vergl. auch oben II. 'Th. p. 469.
99) Oder nach Andern, Bacchus lifst ihn ans Kreuz schlas
gen; s. Larcher zum Herodot. Tom. II. p. 343.
T
154
Getdse Platz machen 19). Dafs diese Religion vorzüg-
lich durch das Rauschende des Orgiasmus charakterisirt
100) Das, was ich in einer der nächst vorhergehenden Noten
über den verschiedenen Charakter und die verschiedene
Anwendung der Cithar und Flóte bemerkt habe, hat
Proclus zu Plato’s Alcibiades I. weiter ausgeführt. Man
vergleiche mit seinen Ausführungen die Platonischen Stel-
len de Republ. HI. p.285 — 290. IV. p. 336. de Legg.
II. 91 — 47. VII. 841 — 343. nebst Cicero de Legg. II.
15. 38. p. 160 sqq. ed. Górenz. (vergl. oben I. Th. pag,
448 f.). Von den musicalischen Instrumenten nämlich,
sagt er, sind einige beruhigend (zum Befestigen und
Besinftigen gemacht), andere erregend. Einige ge-
hóren der Ruhe am, andere der Bewegung. Die
beruhigenden nun sind für die Erziehung die geeignetsten,
weil sie unser Gemüth zur Ordnung führen, weil sie das
Brausende der Jugend beschwichtigen, auch das Aufges
regte zur Sinnigkeit und Selbstbeherrschung . umwenden,
Die erregenden sind am meisten geeignet, um Begei«
sterung zu erwecken. Daher ist auch in den Mysterien
und Weihungen die Flöte von Nutzen; denn sie bedie-
nen sich des bewegenden Elements derselben, um. die
Gedanken an das Göttliche zu wecken. Denn das Un-
vernünftige mufs man einschläfern (beschwichtigen) ;
die Vernunft aber erwecken. Daher bedienen sich die
Erzieher der besänftigenden Instrumente ; die Weihenden
aber der erregenden; denn was erzogen, was gebildet
werden soll , ist das Unvernünftige, was aber gewei«
het wird und in Begeisterung ist, ist die Vernunft, —
Nimmt man diese Sätze mit mehrerer Rücksicht auf die
Geschichte, so ergiebt sich , wie ich bereits oben anges
deutet habe: 1) dafs die Cithar ein Product und Werk-
zeug der Einfalt des ülteren einfacheren und sanfs
teren Gottesdienstes war; 2) dafs in der ferneren Ent-
wickelung der Religionsgefühle die Ahnung des Unend-
lichen in der Natur und das überwältigende Gefühl ihrer
tausend und tausend Wunder hervortrat, und damit En-
thusiasmus und Orgiasmus; 3) dafs zum Ausdruck dieser
Gefühle die Flöte das am meisten geeignete Instrument
158
wird, zeigt schon die älteste Erzählung des Homerui
(ä: a. O.), wo der Ammen des rasenden Dionysus ge.
dacht wird. Auch liam dieser Otgiasmus nicht von Nord.
osten her. Dafür spricht ein merhwürdiger Zug aus den
fortdauernden Religionskämpfen jener Gegend, den uns
Herodotus (1V. 79.) aufbehalten hat. Ein Honig der
Scythen Scyles findet sich sehr angezogen durch die Sit-
ten der Griechen. "Um seinem Hellenismus recht nach.
zuhüngen, verfügt er sich von Zeit zu Zeit in die von
Griechen bewohnte Stadt Borysthenes am Flusse glei-
ches Namens ( am Dniepr), wo er sich an das Gefolge
der Dionysusdiener anschliefst, in dessen Mysterien er
sich hatte einweihen lassen. Hier wird nun der neue
Dienst recht bestimmt durch den Namen Atorvoog B & x-
x evoc bezeichnet; wie es dann im Verfolg von diesem
Hünige weiter heifst: Baxyever xœi dad Jeod paivet ay,
«er raset und wird vom Bacchus getrieben». Man
erinnere sich der Nebenbegriffe, die wir oben bei dem
Namen Báxyog nachgewiesen haben. Aber von einem
rasend machenden Gotte und Gottesdienste wollten
jene Scythen nichts wissen, und der Honig mufls die
Bacchische Lust mit dem Verluste seines Thrones er-
kaufen. Des Reiches entsetzt flüchtet er nach Thracien,
in das Land, wo jezt nun schon lange das neue Gesetz
des Dionysus - Bacchus regierte. Dals aber in diesen
Thracischen Bacchusmysterien Aegyptisches mit dem
Asiatischen gemischt war, dafür sprechen vielleicht ei-
nige Symbole, von denen wir aus Gelegenheit jener Ge-
schichte Nachricht erhalten. Es hatte nämlich jener
Scythische Bacchusjünger um seinen Pallast zu Bory-
war, und dafs sie, da der Bacchische Naturdienst ein
Hauptelement der Griechischen Religion blieb, auch be-
sonders in. den Weihen dieses Herrn der bunten Natur
beibehalten ward.
159
sthenes einen geräumigen‘ Hof, "welcher mit Grei-
fen 19) und Sphinxen !9) von weifsem Steine ver-
ziert war.
© PA 1:
101) So sehen wir einen Greifen auf der Vorderseite einer ur
alten Silbermünze von Abdera in T'hracien, bei Pellerin
Recueil T.I. pl. XXXIII. nr.3. Die Kehrseite hat nach
der ganz alten Art Vertiefungen. Pellerin I. p. 191, be-
merkt dabei, dafs der Greif Symbol von Abdera und von
Teos , der Mutterstadt von Abdera , war. Dafs die Greife
dem Bacchus heilig sind, hat auch Zoéga aus mehreren
Bildwerken bewiesen; s. dessen Abhandll. herausgeg.
von Welcker p. 30.
102) Merkwürdig ist, dafs die Sphinx (wovon bereits oben
I. Th. pag. 495 ff. die Rede war) der gewöhnliche Typus
auf den Münzen der Insel Chios ist, wo sie auf dem Re-
vers derselben steht (auf dem Avers hüufig Homerus);
und zwar die Sphinx bald mit der Ley er (s. z. B. Beger
"Thes. Brandenb. I. pag. 419.) , bald mit der Amphora
(s. z. B. Eckhel Sylloge numor. rarior. 'T'ab. IV. nr. 7.),
bald mit kreuzweis gelegten Fackeln (so in der
Suite der Sphinxmünzen von Chios bei Pellerin Recueil
T. IIT. pl. CXIV. nr.9. 10.). Ueber die Bedeutung
haben die Antiquarier verschiedene Meinungen. Tristan
dachte dabei an Aegypten, und bemerkt, die Chier
hätten die Aegvptüschen, besonders Mareotischen
Weinkrüge damit bezeichnet. Dieser Meinung wider-
spricht Spanheim (de Usu et Praest. Num. 'T. I. p. 247.).
Er bringt den Sphinxtypus in Zusammenheng mit Ho -
merus (der ja mehrentheils auf der andern Seite vor-
komme ), . mit Andeutung desselben als des Vaters der
Mythen und Allegorien, und weil er einst ( Hero«
16^
Ganz ühnliche Kümpfe zwischen dem alten und neuen
Dienste fielen weiter unten in Südgriechenland vor: Die
Mythen von Árgolis sind besonders redende Zeugen.
Und auch hier derselbe Gegensatz der Apollo- und Bac-
chusreligion. Nach Argos war gegen das Jahr 1572 vor
Chr. Geb.'Danaus aus Chemmis in Oberägypten gekom-
men, Dort kannte man den Wolf als das Thier des
rettenden und siegenden Horus, als das Lichtthier, das
die Aethiopier bekämpft und dem versengenden Glut-
winde, dem bósen Typhon, ein bóses Zeichen ist; und
Danaus hatte in Argos, nach empfangenem Wolfszeichen,
dem Apollo Lycius den ersten Tempel gebaut (vergl.
oben II. Th. p. 132f.). In dieser Religion waren nun seit
Danaus die nachfolgenden Beliden erzogen, und sie
blieben ihr getreu. Aber etwa hundert Jahre später
müssen auch sie den Glauben ihrer Viter verfechten.
Da hören wir dann ohngefähr zu gleicher Zeit von einer
doppelten Feindschaft der Beliden gegen die Bacthanten.
Einmal werden die Töchter des Prötus mit andern Argi-
vischen Weibern rasend. Eine berühmte Sage, welcher
auch Hesiodus gefolgt war, gab als die Ursache an, dafs
sie den Bacchischen Dienst verachtet hatten ; und nun
werden sie auch von einem Bacchuspropheten, von des
doti Vit. Homeri) ein von Fischern aufgegebenes R ät h -
selaufgelóset habe. Bóttiger ( Erklárung der Vasenge-
miülde Heft III. p. 98.) bemerkt vorerst, der Sphinx sey
nach orientalischer und Aegy ptischer Vorstellung éin
Tempelhiiter, ein Wichter des Heiligthums
(Herodot. IF. 175.); sodann auch inden Bacchischen
Orgien seyen sie wahrscheinlich in gleicher Eigenschaft
gebraucht worden; dies kónne man aus Herodotus IV.
79. schliefsen. Nun sey aber die Insel Chios frühzeitig
dem Bacchus geweiht gewesen, folglich deutete die
Sphinx auf den Münzen von Chios die Bacchischen Or-
gien an,
MJ
„1
Amythaon Sohn Melampus , durch Weihungen und durch
die schwarze Nieswurz (Melampodium) geheilt 10). In
diesem Schwarzfüfsler und Priester des schwar-
zen Gottes (von Aethiopien her, des Osiris. Bacchus)
sehen wir das Bacchantische recht als das Weissageri-
sche und ärztlich- Wunderthätige hervortreten. In der
andern Belidenlinie von Argolis unternimmt Perseus
gar den Kampf gegen den neuen Gott und seine Schaa-
ren, einen Kampf auf Blut und 'Tod ( Pausan. Corinth.
cap. 20. $. 3.) , in welchem sogar Dionysus umgekommen
seyn sollte, wie der Poet Dinarchus gesungen hatte, und
wie Andere nachher berichteten (s. Dionysus p. 236. 194),
So erscheinen also diese Beliden von Danaus her
als Feinde des Bacchischen Dienstes, und Apollo's Re-
ligion steht in schroffem Gegensatz demselben gegenüber.
103) Apollodor. I. 9. 11. II. 2. 1 sq. Plin. H. N. XXV. 5
p. 1136 Dalech. XXV. 21, 14 Bip.
104) Man zeigte noch zu Pausanias Zeit das Grab der Wei-
ber, welche mit Bacchus aus den Inseln des Aegäischen
Meeres wider Argos 7u Felde gezogen, und daher die See-
rduber "Alias; genannt wurden, Sie hatten ihr Leben
im 'l'reffen gegen die Argiver und gegen den Perseus ein-
gebüfst ( Pausan. Corinth. cap. 22. $. 1.). Ueber diese
und ähnliche Nachrichten ist jezt Raoul - Rochette Hist,
de l'etabiiss. d. colon. Grecq. 'T. 1. p. 68. nachzusehen,
Auch er erkennt in dem Kampfe des Perseus, eines [na-
chiden, mit Bacchus, wovon die Mythologen so viel re-
den , die blutigen Kriege, womit die Einführung des neuen
Bacchischen Culrus in Argos verbunden war. Eben aus
der Widersetzlichkeit, welche die Bewohner des alten
Argos gegen die Verehrung des Bacchus, eines doch nach
Herodot. 1l 7. Aegyptischen Gottes, bewiesen, sucht er
daun zufolgern , dafs dieselben in ihrem Ursprunge Nichts
fnit Aegypten gemein hatten ;. welches ich daraus nicht
folgern móchte schon deswegen, weil dieorientalische Sage
in einem und demselben Lande von Retigionskriegen aller-
würts redet Wie Perseus - Bersin als Priester des reinen
Feuerdienstes vorgestellt wird , hat v. Hammersehr gelehrt
gezeigt in den Wiener Jahrbb. 1820. IX. B. p. 18 ff,
111.
16
1]
162
Aber nun lesen wir auch von Versöhnung und. von
einer Aufnahme des neuen Gesetzes, Dàhin gehórt die
Nächricht vom Cretischen Bacchus bei Pausanias (Co.
rinth. cap. 23. §. 8): Als die Feindschaft mit Perseus
beigelegt war, erwiesen die Argiver dem Bácchus grofse
Ehre, und man nannte ihn nachher den Cretischen, weil
er die Ariodne aus Creta in einem thónernen Sarge be.
graben hatte, den man nachher bei Wiederaufbauung
des Tempels unter der Evde fand. Eine Stelle, die auch
wegen der Fictilien bemerkenswerth ist, welche hier
bei Beerdigung Bacchischer Personen in einer alten Sage
erwähnt werden, Eine genauere Aufmerksamkeit auf
diese und ähnliche Angaben wird uns von selbst auf die
anderen Orphischen Schulen leiten, in denen
Apollo mit Bacchus versóhnt und die Lyra mit
der Flóte verbunden erscheint.
Amythaons Sohn Melampus, hürten wir oben, ent.
sühnte und heilte die Prótiden. Dieser Melampus
ist so ziemlich Zeitgenosse des Perseus. Eben des.
wegen kann er aber nicht anch Zeitgenosse des Tyrier
Cadmus seyn, wofür ihn doch der bisherige Text des
Herodotus giebt (IL 49.). Wir haben diesen Punkt
schen oben berührt; Ja aus andern Gründen setzt man
ihn gar gegen zweihundert Jahre unter Cadmus herun-
ter, und läfst ıhn 1367 vor Chr. Geb. geboren werden,
Ehe ich mich entschliefse den Text der Schriftsteller zu
ändern (s. die Note 89. p. 144. in diesem Capitel), will ich
lieber eine Mehrheit von Bacchuspropheten statuiren,
die den charakteristischen Namen Melampus, Schwarz.
fufs, mit einander gemein hatten. Der. berühmteste
unter ihnen mochte freilich Amythaons Sohn seyn.
Weisheit war ja nach dem Sprichwort das Erbtheil der
Ámythaoniden (Hesiod. Fragm. ap. Suid. in àAx£), und
da ruft der Mythus, wenig bekhümmert um Chronologie,
immer denselben Sohn des Amyihaon wieder hervor,
163
wo irgend ein Bacchusprophet etwas recht Denkwürdiges
verrichtet. Von ihm hatte ja auch eia eigenes Poem,
die Melampodia, gehandelt, das man dem berühmten
Hesiodus zuschrieb (s. Heyne Obss. adÀpollod: p.64). -
Jene ältesten Bacchuspriester nun, Cadmus und der
Melampus, von dem Herodotus (a. a. O.) sagt, dafs er
Cadmus Schüler sey und dafs er zuerst den Namen Dio-
nysus nach Hellas gebracht habe, mochten sich mit den
ülteren Apollo'spropheten wenig vertragen. Bricht doch
gleich in Cadmus Hause über den Dionysusdieust Krieg
und Todschlag aus, und mufs doch oben im Norden des
Apollo Sohn Orpheus unter den Hinden der Minaden
sein Leben lassen. Aber jener Melampus und mithin
auch Cadmus, sein Lehrer, «hatten auch den Dionysus
und seine Gebräuche nicht aus dem Grunde erklärt}
erst die nachfolgenden Weisen haben Alles gröfser
ausgedeutet» (Herodot. a, a. O.). Auf diese bessere
Auslegung gründete sich wohl die Aussóhnung des Per-
seus mit dem Dionysus, d.h. die Versóhnung der Apollo-
diener mit denen des Bacchus. In Argolis selbst moch-
ten jezt die Lernien, die man bei Lérna um den Al-
cyonischen See beging, die höheren Beziehungen der
Dionysischen Gebräuche enthalten. Hier sollte Dionysus
in die Unterwelt hinabgegangen seyn, um seine Mutter
Semele zum Himmel herauf zu führen (Pausan. Corinth,
cap. 37.). Auf ähnliche Weise feierte man in Aegypten
zu Sais am Tempel der Neith an einem zirkelrunden See
den Tod des Osiris (Herodot. II. 170. vergl. Athenagor.
Legat. pro Christ. §. 25.); wobei man ohne Zweifel die
ganze Tragödie von Typhons Mordthat, von der Trauer
der Isis, vom verlorenen und wieder gefundenen Männ-
lichen, so wie sie uns Plutarchus (de Isid. p. 472 Wytt.)
erzählt, in einer Reihe dramatischer Handlungen dar-
stellte (s. oben I. Th. pag. 306.), Hier in Argolis und
durch diese Lernáen ward nun, wie in Aegypten; der
164
Phallus des Dionysus ein Symbol auf Gräbern, und man
batte daran, nach alter Weise physischer Bildnerei, die
Lehre von der nie verlöschenden Lebenskraft der Natur
und das Dogma von der Unsterblichleit und Seelenwan-
derung angekniipft (vergl. Dionysus p. 236 sqq.). Diese
Lernàen waren mithin von Aegyptischen Osirismysterien
copirt. Man schrieb ihre Siiftung dem Philammon
zu. Dieser heifst Sohn des Apollo, und soll zu Delphi
den Jungfrauenchor angeordnet haben (Plutarch. de mu-
sic, pag. 1:32. A. pag. 629 Wyttenb.) 105), Auch war er,
wie sein Sohn Thamyris, einer der ersten Sieger in
Preisgesingen, welche man zur Lyra dem Apollo sang.
Eine andere Sage láfst ihn, statt des Orpheus, die Ar-
gonauten begleiten. (Scholiast. Apollon. I. 24.) Jene
Stiftung der Lernáen durch Philammon ward durch die
DorischeSprache der Urkunde zweifelhaft , denn Dorisch
sprach man erst nach der Heralhlidenwanderung (Pausan.
Corinth. 37. $. 3.).
Es bleibe also dahin gestelit, ob Philammon die
Lernäen gestiftet habe. Aber diese Sage zeigt doch
schon , dafs man nunmehr die Stiftung Bacchischer
Mysterien mit dem Amte eines Apollo-Sohnes ver-
trüglich fand. — Dafür sprechen nun auch schon deut-
lichere Züge aus den Schulen neuer Orphiker. Hier-
her ziehe ieh jezt den Orpheus, der nach Apollodorus
(I. 3. ».) des Dionysus Mysterien erfand ; es war der-
selbe, der wie Bacchus in die Unterwelt hinabstieg ; und
späterhin wufste man von einem Orphischen Gedicht,
das von diesem Hinabgang in den Hades seinen Namen
105) Ich habe nach einer Griechischen Vase einen Kreis von
Scenen aus diesen Argolischen Mysterien copiren lassen
auf unsern Tafeln XLII — XLV incl. und dieselben genau
erórtert in der Erklárung der Bilder p. 36 f. Wegen Phil-
ammon s. insbesondere dort p. 43,
165
hatte. Jezt hôrt man von Thracien her Lehren von der
Nichtigheit des irdischen Daseyns, von der Spanne Zeit,
die dem Menschen in diesem Leibe zugemessen, und
ähnliche Ansichten des Lebens, wie sie sich in Aegypten
ausgebildet hatten; Lehren, die einem Thracisch- Bac-
chischen Wunderwesen oder Dämon in den Mund gelegt
werden, zum deutlichen Beweis, dafs mit.der Bacchischen
Religion eine Unsterblichkeits - oder Seelenwanderungs-
jehre verbunden war, wie Aegyptens Priester sie anfge-
stellt hatten; Ein Thracischer König, Midas , hatte die
hohen Lehren des Silenus vernommen,, und Orpheus,
heifst es, weihet einen Midas in. Pieria in die Mysterien
ein (vergl.Studien IL p.234 f. 303 £). Wenn man
vergleichen will, was wir oben (I. Th. p. 417 £) über
die Namen Charon, Charops und dhnliche, in Be-
zug auf die Aegyptische Freudigkheit im Tode, ge-
sagt haben, so wird man hier auch die Frinnerung nicht
überflüssig finden, dafs der Aeltervater eines Orpheus
gerade Charops 105 heifst ( Diodor. IIL. 64. pag. 234
Wessel.).
Die Orphiker und jeder áchte Apolloprophet konn-
ten, wie gesagt, sich mit jenem Orgiasmus nicht ver-
tragen, der nur so blind wie ein verzehrendes Feuer
vm sich griff und das sinnliche Volk in wilden Taumel-
Zügen umbertrieb. Das Bacchische Feuerrohr (ferula)
mufste durch die Apollinische Fackel von Patara und
vom Cancasus her geläutert werden. Das war ohne Zwei-
fel nach und nach geschehen,
Es kamen von Zeit zu Zeit bessere Bacchuspriester,
die nicht blos Irrwahn und Zügeliosigkeit predigten. Es
kamen neue Melampoden, die von Thebe und Sais her
106) So haben mehrere Handschriften. Wenn gleich Wes-
seling statt X&çcy hat Ozco drucken lassen, so gesteht er
doch, dafs Xagey gebrauchlicher sey,
1€
eine hóhere Ahnung an die Dionysischen Bilder und Ge-
bräuche knüpften. Mit diesen konnten dann die Orphi-
her, diese Apollophropheten, besser überein hommen.
Es kamen wobl auch nach der Zeit neue Orphiker,
die neben der Horuslehre schon in Aegypten die bessere
Deutung des Osirisphallus gehórt batten, nach Griechen-
land herüber. So kennt ja Diodorus (I. 23.) bestimmt
einen Orpheus, der lange nach der Zeit des Cadmus
mit dessen Nachkommen in freundschaftlicher Ver-
bindnug steht, und aus Aegyten Osirismysterien mit.
bringt. Bei ihnen traf man nun das alte und das neue
Gesetz in harmonischer Verbindung an. Nun nimmt
selbst der alte Sonnenort des Apollo, Delphi, auch
den Bacchus auf, wovon der Mythus bedeutende Spu-
ren au&behalten hat. Am Parnassus hat Apollo des
erschlagenen Zagrens Glieder beerdigt. Der heilige
Dreifufs gehôrt dem Dionysus wie dem Apollo an, und
auf dem Parnafs begehen die Bacchantinnen die Feier
ihres Gottes 107). Die Bacchische Secte erzählte nach-
her sogar, ihr Gott habe vor dem Apollo zu Delphi
geweissagt.
Nun weifs man von einem Dionysischen Apol-
lo; wenigstens in den Attischen Cantons, z. B. im
107) Aristoph. Nub. 599. Plutarch. de Ei Delph. p. 388. F.
p. $91.5q. Wyttenb. Nonnus Dionys. 1X. 261. und a. St.
Auch Pausanias Phocic. 32. §. 5. erzählt , dafs auf dem
Gipfel des Parnafs die ''byaden schwàrmen , dem Apollo
ind dem Dionysus zu Fhren (=D ArcyJow nai r@ ’Axc)wve
paivosrary. Diese Vereinigung von Bacchischem und Apole
linischem Cultus ist auch ju dem Bacchus angedeutet , der
die Ly ra hált /s. oben). Mehreres hierüber finde ich bei
C. G Schwarz Miscell. polit. human, p. 89. und besonders
p. 101 f£. bemerkt , wo er gleichfalls von dem gemeinschaft
lichen Cultus spricht, welchen Bacchus uud Apollo auf dem
Parnafs hatten,
356
167
Phlyischen, wird eines von Dionysus gegebenen
Apollo gedacht 109.
Jezt war also zwischen den zwei Religionen Friede
geschlossen , ein Friede, der die Vermáhlung beidersei-
tiger Dogmen zur Folge batte. In den Schocfs jener
alten Priesterlehre vom reinen Lichtdienste ward nun
das Bedeutsamste der Dionysusmysterien niedergelegt
und in diesem Elemente gereinigt und verkidret. Die
Bacchischen Jahresfeste und Jrieteriden, erhielten nun
für den Empfünglichen einen hüheren Sinn; und ohne
dafs das Volk den gewohnten Feiertänzen um den Früh-
lingsstier entsagen mufste, ward ihm doch auch durch
neue Offenbarung der Blick eröffnet über die sinnlichen
Schranken der Jahreswohlthaten hinaus in das andere
Gehiet, was nicht vor Augen liegt, sondern jenseits des
Grabes. Aber auch in Gebräuchen und im Opferdienste
ward gewifs hie und da Manches gemildert. Wir wer-
den unten unter den Artikeln der Mysterienlehre den
Zug finden, dafs den Bacchischen Fleischopfern eine
warnende und ethische Bedeutung untergelegt ward,
wonach sie als Vorweihen dargestellt wurden, wodurch
man zu der hôheren Läuterung der Curetischen Mysterien
des Idäischen Zeus überging. Der dazu Berufene war
der üchte Orphiker (man sehe nur vorláufig Eurip. Hip-
polyt. 952. mit den von Valckenaer nachgewiesenen
Stellen). Dieser gereinigte Bacchusdienst war an
die Verehrung des Cretischen Zagreus oder des älte-
ren Dionysus angeknüpft, der in den Orphischen Syste-
men so bedeutend hervortritt 10). Hierbei erinnere ich
108) Pausan. Attic. cap. 31. $. 2. Vergl. auch was ich in den
Heidelbb. Jahrbb. 1817. nr. 49. pag. /80 ff. hierüber be-
merkt habe.
109) Vergl. die Erklärung der Abbildungen p. 45. und die vor-
hergehende Note.
165
an die Notiz bei Pausanias (Corinth. 393.) , wo gerade
der Cretische Dionysus von den Argivern verehrt
wird , nachdem Perseus seinen Krieg gegen die Baechan-
ten eingestellt hat. Einige Generationen nachher handelt
der Perseide Herakles in demselben Geiste. Auch er
schafft blutigen Dienst der Menschenopfer ab, und der
ethische Sian- der Feuerläuterung ist im Mythus noch
der Charakter seines ganzen Lebens. Er war auch in
Mysterien geweihet, und geseilte sich als Waffengefihrte
den von Orpheus priesterlich geleiteten Argoranten bei.
In allen diesen Spuren mag das historische Datum liegen,
dafs um diese Zeit (gegen 1360 vor Chr. Geb.) diejenige
Orphische Schule blühete 1!%, in weicher mit den alten
110) Man sieht, dafs ich 1) die Apollinische Religion unter
den Griechen für alter anuehme, wegen der Z«ugnisse
über Olen u.s. w. und wegen der Hauptstelle Herodot.
Il. 52. — 2) dafs ich sodann einen ersten rohen Bacchus-
dienst statuire, der hin und wieder in Griechenlaud an
Lycurgus, Pentheus und an der alt- Orphischen Senule
Widerstand findet. Das ist die alte unvollkommene Leh-
re, die Herodotus If. 49. dem Cadinus und Melampus
beilegt. 3) Nun folgen nach und nach andere Weisen
(coQwrai), die die Mysterien des Dionysus urmfassender
ausdeuten (Herodot. a. a. O.). Das sind mir dieneuen
Bacchiker, mögen sie nun wieder Melampoden oder
anders heifsen. Bestimmt wird aber in dieser Beziehung
der Name Orpheus wieder genannt, und gewifs batte ihn
Herodotus unter den ecQi77aig im Sinne. Das ist der Or-
pheus auch, der erst mit Cadmus Nachkommen
Freundschaft macht ( Diodor. LI. 22. Hierher ziehe
ich nun, wegen der im Text angegebenen Ursachen, die
Aegyptisch Bacchische Lehre von der Seelenwan-
derung und die Verbindung des Apollodienstes mit dem
des Dionysus. Aus diesen Gründen spreche ich von
neu.Orphischen Schulen. Dafs mit dem Namen
Charops schon eine Spur früherer Seelenwande-
rungslehre angedeutet scheint, macht mich eben so
*
169
Lichttheorien Oberasiens die reformirte
Dionysuslehre in Ein grofses System von
Theologie verbunden war — einSystem, welches
wohl alies priesterliche VVissen in sich vereinigte, das
damals unter die Griechen gekommen war.
Dafs man nun von mehreren Orphischen Schulen
als von zweien Spuren finde, wird sich unten von selbst
ergeben, wenn wir die Orphischen Hosmogonien und
VYeltalter berühren werden. Hier galt es nur darum,
den anscheinenden Widerspruch auszugleichen, dafs
Orpheus einmal als Feind der Bacchischen Religion er-
scheint und als Opfer ihres blutigen Eifers fällt, und
andrerseits doch wieder als Lehrer der Dionysischen
Mysterien. Die wilde sinnliche Gluth des Bacchantischen
Feuerorgiasmus widerstrebte jedem Orphiker, und blieb
allen ihren Schulen rechter Art ewig fremd; aber die
tiefe Bedeutung und die ideenreichen Beziehungen der
Dionysischen Gebräuche ward von ihm in ein geistiges
Denken aufgenommen und weiter ausgebildet und verklärt
nach der alten stillen Lichtlehre 11%).
In diesem Geiste der neuen Schulen waren nun
auch die Pythagoreer Orphiker. Auch Pythagoras
heifst zwar nur mythisch Apollo's Sohn; eine solche
wenig irre, als die mythische Wildheit des Thracischen
Kónigs Lycurgus. Nachdem einmal der Dionysusdienst
gesiegt hatte, verlegte er seine Ansichten in die fernste
Vorzeit zurück. Das ist meine Meinung. Doch werde
ich unten Zoéga’s Lycurgus auch auftreten lassen, der
anders erscheint.
£11) Indiesem Sinne heifst es anch von Socrates, den das Orakel
zu Delphi fiir den Weisesten unter seinen Zeitgenossen
erklärte , er sey 4bnlich dem Dionysus, dem Lehrer und
Unterweiser in der Philosophie (s. Julian, Caesar. p. 314.
D.. ed, Spanh.).
1^.
Genealogie hat aber gewühnlich etwas von bistorischer
Bedeutung. Und diese liegt in andern Spuren am Tage,
Er hing ja dem Lichtdienste des Apollo an, war Schü-
ler des Priesters Oenuphis in der Sonnenstadt Ae.
gyptens Heliopolis (Plutarch de Isid. p.354. E. p. 454
Wyttenb.), und opferte ja zu Delos einzig und allein
unblutige Opfer auf dem ältesten aller dortigen Altäre,
auf dem Altar der Frommen (s. oben IL. 'Th. p. 172. und
Il. p. 137 f£). Derselben Pythagoreerschule ward nun
die Apollo'sleier ein Symbol astronomischer und hosmi-
scher Lehren, und von dem Meister wufste ein Lepds
Aôyoc der Pythagoreer in Dorischer Sprache Folgendes
£u berichten : Es sey Pythagoras, des Mnesarchus Sohn,
zu Libethra in Thracien von Aglaophemus eingeweiht
worden, und habe aus den Orphischen Mysterien
dort die Lehre empfangen, dafs das Wesen der Zahl
ewig und das Princip des Universums und die Wurzel
vom Leben der Gütter sey (Jamblich. vit. Pythag. §. 146.
pag. 123 Hust). Und nun bemerkt Proclus ( in Platon,
Theulsg. I cap. 5.), die Orphische Geheimlehre sey die
Mutter dér ganzen Griechischen Theologie, weil Pytha-
goras in jene sey eingeweiht worden, und auch Plato
Vieles aus beiden Lehren aufgenommen habe. Man sicht,
wie die Pythagoreer, da sie in ihrer praktischen Lehre
und im Leben jener alten strengen Priesterregel der
Vorzeit folgten, oder, was einerlei ist, der Orphischen
Weise, nun auch Alles, was die durch sie erweiterten
Wissenschaften in Mathematik, Astronomie und Kosmo-
logie Bestes euthielten, als ein geistiges Erbgut aus alter
Orphischer Vorzeit darzustellen suchten. Dieses Be-
streben war sehr natürlich, da die Endabsicht alles ihres
Forschens, jener religiöse und ethische Sinn, uralter
Geist der Griechischen Priesterschaft war, die wir als
Pflanzschule einer morgenläudischen betrachten müssen,
und weil auch alte theologische Symbole den Keim zu
70
171
mancher wissenschaftlichen Wahrheit enthalten hatten,
die sie nun völlig entdeckten.
In welchem Geiste werden diese Pythagorischen
Orphiker den Bacchusdienst behandelt haben ? Ge-
wifs nicht im Geiste des ersten rohen Orgiasmus. Dafür
sprechen einige redende Beweise. . Pythagoreerinnen
hatten über diesen Dienst geschrieben. Wenigstens
werden der berühmten Arignote ausdrüchlich Boxyixd
beigelegt 1!2). Nun aber kennt man die Würde der Py-
thagoreischen Gesellschaft, deren schönste Zierde gerade
jener durch strenge Sitte, hohen Anstand und ächte
Mütterlichkeit ausgezeichnete Chor, von Frauen war,
Ein solcher Bund duldete eben so wenig als jener alte
strenge Orpheus "ein orgiastisches Umherschweifen der
Weiber. In dem Fragment einer Schrift der Pythago-
reerin Phintys (beim Stobäus Serm. LXXIT. p.443 — 45
Basil.) lesen wir auch ein Verbot, wonach die báuslichen
Orgien des Dionysus und der Góttermutter den Frauen
untersagt werden. In demselben Geiste strafte der Jo-
nier Heraclitus, der ja ebenfalls ein Orphiker hiefs 113),
die Rasereien und Phallusprocessionen der Dienerinnen
des Bacchus 11%, — Durch diese Betrachtungen wird
das Verhältnifs Orphischer Schulen einleuchtender, und
wir verstehen nun den Sinn der gehaltreichen Stelle des
Herodotus (Tl. 81.), der gerade da, wo er einen Zug
strenger Priesterregel bemerken mufs, Gelegenheit
nimmt zu sagen: Die Aegyptische Regel stimmt mit der
Orphischen und Bacchischen überein, und diese sey
112) S. Eudoeiae Violar. pag. 71. vergl. Fabricii Bibl. Gr. I.
p. 881 ed. Harles. und Wolf Catalog. Mulier. p. 288.
113) Clemens Alexandr. Strom. VI. p. 752 Potter.
114) Clemens Protrept. p. 29 sqq. Plutarch. de Isid. p. 362,
A, p. 483 Wyttenb.
372
Aegyptisch und Pythagoreisch. Also eine Identität von
vier auf den ersten Blick sehr verschiedenen Lebens.
weisen. Will man hierbei, neben dem Aegyptischen,
noch an das Indische erinnern, worauf Dionysus von
selber führt, so könnte man etwa sagen: In dem neuen
vollendeten System der Orphiker war einerseits die Lehre
vom Phthas, Eneph und Juppiter - Ammon mit. der
menschlichen Osirisfeier durch ein hóheves Dionysisches
Dogma vermittelt, uud andrerseits hatte sich das reinere
Gesetz des VWischnu und das reinere Apollinische Licht
vom Caucasus her neben dem wilden Feuer und bintizen
Dienste des Schiwa zu behaupten gewufst. Diese Ver.
bindung war dem Griechischen Charakter gemäfs; sie
gewährte blühendes frohes Lehen und jene schöne Hei.
terkeit, welche nun herrschende Züge der Hellenischen
Religionen blieben,
$. 9.
Bildliche Darstellungen aus diesem Hreise.
Wir haben nun einiger Bildwerke zu erwühnen, die
in den bisher abgehandelten Ideenlieis gehören. O r-
pheus war, wie bemerkt, ein beliebter Gegenstand
von Kuns?darstellungen. Nach Philostratus { Iconn. VI.
11.) bildete man ihn mit einer Binde um den Kopf, nach
Art der Thracier. Doch hatte ihn Polygnotus in der
Lesche zu Delphi in ganz Griechischer Tracht gemalt
(Pausan, X, 30. §. 2.). So sieht man ihn auch auf einem
Relief der Villa Pamfili, neben zwei Danaiden , wie Win-
ckelmann deutet, auf einem Felsen sitzend , die Lyra in
der Hand und daneben ein Thier ( Winckelm. Monum.
ined. nr. 50.). Einige haben die ganze Vorstellung, dafs
Orpheus die Thiere um sich versammelt, von Aegypti-
scher Symbolik hergeleitet , und dabei erinnert, dafs
Horus oder Harpocrates mit mehreren Thieren
175
umgeben dargestellt werde 1%). Uebrigens kommt Or-
pheus selbst mit der Lyra, von Thieren umgeben, auf
Aegyptischen Haisermünzen vor , z. B. auf einer von An-
toninus Pius bei Zoëga (Numi Aegypt. Imperat. p. 181.).
Bemerkenswerth sind auch drei Heliefs, die einen und
denselben Gegenstand darstellen, aber noch neuerlich
sehr verschieden erklärt worden sind: das eine in der
Villa Albani, das andere in der Borghesischen und das
dritte in der Sammlung des Herzogs Caraffa Noja zu Nea-
pel. Nach der Lateinischen Inschrift auf dem Borghe-
sischen ist es Zethus, Antiope und Amphion, und in
diesem Sinne hat es Winckelmann - (Monum. ined. zu
nr. 85.) genommen, Nach der alt- Griechischen Auf-
schrift auf dem letzten ist es vielmehr Hermes, Eu-
rydice, und Orpheus. Für diese Deutung hat auch
Zoéga sich erklärt, der das Albanische Relief, welches
ohne Aufschriftist, neuerlich mitgetheilt (Bassir. tab.42.)
und wohl erläutert hat. Nicht blos jener Griechischen
Aufschrift wegen, sondern ans andern Gründen erklärt
er es für Orpheus, der seine Gattin Euridice, die ihm
Hermes Psychopompus zuführt, wiederfindet; bei wel-
cher Gelegenheit der gelehrte Mann über verschiedene
Hunstdarstellungen dieser Art Nachricht und Belehrung
giebt (p.195 sqq). Denselben Orpheus am Eingang in
die Unterwelt, aus welcher er seine Gattin Eurydice zu-
rüchholen will, mit der Lyra in der Hand, zeizt unsere
Tafel LVL nr. 1. nach einer Gemme bei Leonardo 'Au-
gustini (vergl. die Erklärung dazu p. S1.). Bekanntlich
ward auch den Christen. Orpheus, dieser ehrwürdige
Theolog, wie man ihn vorzugsweise nannte, mitunter
Gegenstand der Bildnerei. Dazu gaben die Allegorien
der christlichen Väter Anlafs, die ihm, mit Bezug auf
115) S. Recueil d’Antiquites Egypt, Etrusq. T.III, planch. 10,
nr. 2,
174
manche Orphisch genannten Verse; womit man sich da.
mals trug. eine Art von Christenthum beilegten, und
seine Wunderlyra nicht selten als ein Bild von der anm.
giehenden Macht des Evangeliums gebrauchten 1:6),
Ich mufs mich bei der Fülle des Bacchischen Bilder-
lreises mehr als irgendwo beschränken , und gebe daher
auch im Betreff des Uebrigen , was oben berührt wurde,
nur einzelne Hinweisungen. Es wurde der Vermahlung
Apoliinischer und Bacchischer Religion gedacht. Auch
davon finden sich bildliche Zeichen auf mehreren Denk-
malen, besonders auf Reliefs und Vasen. In gewissem
Betracht kann man den berübmten Dresdner Candelaber-
fufs (Beckers Augusteum I. nr. 5 — 7.) hierher ziehen,
wegen der Nebenfiguren und Arabesken, die sich dem
Bacchischen Kreise zu nähern scheinen; wäre nur das
ganze Bild erst, seinem Sinne nach , im Klaren 1!7), Viel
deutlicher sind hierin die Malereien auf den ait- Grie-
chischen Vasen. Sie zeigen uns nicht selten Bacchische
Personen, selbst Satyrn mit Saiteninstrumenten , Leiern
und dergl. in den Hinden, wie man z. B. auf der Ha-
miitonschen Vase sieht, wovon wir auf der Tafel V. nr. 5.
eine Abbildung gegeben haben. Die Scene selbst wird
im Verfolg noch einmal berührt werden. Dahiu gehó-
ren auch die Vasengemälde bei Passeri ( T. 1I. nr. 162.)
und die bei Millin (Peintur. d. Vas. antiq. [. nr. 3o.).
Philostratus sah in einem Gemälde den bedeutsamen Zug,
dafs Dionysus die Lyra, die er in den Hánden hatte, mit
dem Thyrsus unterstützte (lconn. pag. 876 ed. Paris.).
Auch andere Apollinische Attribute, z B. der Lorbeer,
116) Man vergleiche die von Arringhi in der Roma sub-
terranea "l'om. If. pag. 296 seqq. angeführten Stellen und
Nacbweisungen christlicher Denkmale.
117) Man vergleiche damit unsere 'l'atel XLI. nebst der Er.
klàárung p. £9. und oben 11. Th. p. 200,
155
finden sich in Darstellungen Bacchischer Scenen auf Vas
sen. So schreitet auf einer Vase der Gräflich Erbachi-
schen Sammlung, wovon wir unten ein Mehreres zu be.
merken finden wérden, der Bacchische Genius, mit
dem Weinbeerblatt in der einen Hand und dem Mystea
rienkästchen in der andern, über einen Lorbeerzweig
hinweg.
Diese und andere Bildwerke sind als Denkmale von
iener Vermischung der Religion des Bacchus und des
Apollo zu betrachten. Von der vorausgegangenen
Zwietracht liegen auch noch Monumente vor an Re-
liefs und Vasen. Dahin gehört die Vorstellung, wo der
bärtige Dionysus mit dem Thyrsus einem sich. noch
schwach vertheidigenden, niedergeworfenen Krieger den
letzten Streich versetzt :18). Es ist dabei an Pentheus,
Lycurgus oder einen andern gegen Dionysus feindseligen
König zu denken.
Durch eine freundliche Mittheilung des Herrn Pro-
fessors F. G. Welcker in Bonn warich früher in den Stand
gesetzt, auf der Tafel VI. nr. ı, die Abbildung eines
Reliefs zu geben, das die Hauptscene aus dem uralten
Mythus vom Thracischen Kónig Lycurgus darstellt, und
zugleich ein Excerpt aus den Eriduterungen von ZoËëga,
der dieses bis dahin unedirte Blatt zuerst hatte in Kupfer
stechen lassen (vergl. die Erklärung der Abbildungen
p.34). Das Relief befindet sich an einem Sarkophag,
118) Auf Vasen verschiedener Sammlungen und danach bei
Hirt im mytholog. Bilderb. p. 83. Je weniger überhaupt
bei den Nachweisungen auf Bildwerke Vollstándigkeit
meine Absicht seyn kann, desto angelegentlicher ver-
weise ich den Leser auf dieses nützliche Buch, welches
in zweckmüfsiger Kürze so Vieles giebt, was ich über-
gehen mufs , sowohl in den übrigen Mythen , als in den so
überaus reichen Bacchischen. '
176
der mit einer grofsen Menge anderer Antiken in den
Kellern des Borghesischen Pallastes in der Stadt verbor-
gen gelegen, und nachher in dem kleinen Garten des.
selben aufgestellt wurde, wo es auch Hirt gesehen, der
Seite 80 des angeführten Buchs mit einigen Worten dar-
auf aufmerksam macht. Zoéga nennt es in seinem
Werk über die Obelisken (pag. 206. not. 18) selbst ein
elegans anaglyphum. Zugleich bemerht er, dafs dieser
Mythus noch von Niemanden nach Kunstwerken erläutert
sey. Um so mehr fühle ich mich verbunden, die Be-
merkungen des gelehrten Mannes, so wie sie im Excerpt
meines Freundes, dem sie Zoéga mit jenem Kupferstich
mittheilte, vorliegen, getreu und unverkürzt hier nie-
derzulegen, mit dem Wunsche, dafs sie mit der Fort-
setzung der Bassirilievi bald vollsiändiger aus den Pa-
pieren Zoéga's dem Publicum gegeben werden mögen 119),
Einigen wenigen Bemerkungen, die ich dabei zu ma.
chen habe, werde ich unter dem Text ihre Stelle an-
weisen.
«Lycurgus von den Miánaden bezwungen.
Die Fabel ist eine der ältesten aus dem Bacchischen Cy-
clus, behandelt von Dichtern von Homer bis Nonnus,
von Geschichtschreibern und Scholiasten» 120),
119) Dieser Wunsch ist seitdem erfüllt worden. | Denn nicht
blos in den Abhandlungen der Kónigl. Dünischen Ge-
sellschaft der Wissenschaften Bd. III. für 1863 und 1804.
pag. 41 — 72. findet sich in Dànischer Sprache der voll.
ständige Aufsatz Zcéza's; sondern Welcker hat ihn auch
neuerlich, unmittelhar aus dem ltalianischen übersetzt
und mit einer Abbildung begleitet, in den von ihm heraus-
gegebenen Abhandll. Zoéga's (Góttingen 1817.) pag. 1 —
32. vollstindig mitgetheilt , nebst einigen Zusátzen p. 353 ff.
Vergl. die Érklárung unserer Abbildungen p 34.
120) Die Literatur dieser Fabel weisen Muncker und Staveren
zum Hyginus Fabul. 132. pag. 236 Staver., Burmann zum
177
& Aeschylus. brachte sie auf die Bühne (Scholiast.
Oedip. Colon; 706. Scholiast. Aristophan. Equit. 1147
sqq.) 125). Von Künstlern z. B. s. Pausan. I. 20. 12%.
Dieses ist die einzige übrige Vorstellung mit solcher
Klarheit und Ausfübrlichkeit, Sonst hommt Lycurgus
vor, iit drei Figuren auf einer Borgianischen Münze
(einer. Aegyptischen Haisermünze von Antoninus Pius
Propertius III. 15. 23. ünd Heyne zum Apollodorus pag.
232 ed. alt. und zum Homerus Tom. V. p. 206 sq. nach.
Die Hauptstellen des Homerüs und Nonnus führt Zo&ga
sogleich selbst an, Unter den älteron Dichtern hatte Eu-
melus in der Europia dea Mythus besungen. Zu den
Stellen der Prosaiker bemerke man die des Cvrillus gegen
den Julianus p. 341. c. éd. Spanh. wonach Dionysus den
Lycurgus tódtete ; vergl. Cedrenus Comp. Hist, Tom. I.
p. 24. aus Eusebius Chron. can. p. 122 ed. Scalig. — .
121) Vergl. Fabricii Bibl. Gr. Tom. IL p. 180. Das dort uns
bestimmt angeführte Citat dés Scholiasten des Aristophan.
Thesmophor. steht vers. 147. Wir werden von dieser
Btelle des Aristophanes im Verfolg Gebrauch machen
müssen. Welcker (Zusätze zu Zo&ga’s Abhandll. p. 361.)
bemerkt nachtrüglich aus Bótüger, dafs die Edonen und
der Lycurgus von Aeschylus dasselbe Stück gewesen,
welchem Euripides den Gang in den Bacchantinnen ab-
geborgt, so wie die dem Pentheus gemachten Vorwürfe
der weibischen Weichlichkeit.
122) Man wünschte wohl etwas Genaueres von Pausanias a.
a. O. zu erfahren àls Folgendes: ,, Ferner ist abgemal£
(nämlich jm Tempel des Bacchus in der Dreifufsstra(se
zu Athen) wie Penthéus uüd Lycurgüs wegen der Be-
schimpfuàg des Dionysus Strafe leiden. ** Um so will
kommener sind Nachrichten wie folgende des Eustathius
ad Hiad. VF. 130: dafs die Griechen wegen der Furcht-
samkeit, die Dionysus anfangs gegen Lycingas zeigte,
auf die Gewohnheit gekommen seyen, ihm ein Frauen
kleid beizulegen, und auch deswegen ein Frauenkleid
$iv»Js genannt bátten. Vielleicht war Dionvsus in jenem
und andern Gemälden mit diesem Frauengewande bekleidet;
HE
Yo
170
«vom Jahr 8.), mit Einer s. Gori Museum Florentinum I,
tab. 92. nr. 9. 123), und, nach einem Reisenden , noch
in einem alten Mosaik » 124),
123) Eine Gemme aus der Mediceischen Sammlung. Es ist
die Vorstellung nach Apollodorus (p. 264 ed. Heyn.), wo
der rasende Lycurgus die Weinstócke mit der Hacke aus«
rottet. "Die Wuth, womit er ausholt , erinnert recht sinn-
lich an den ,,vesanum nova nequidquam in vite Lycur-
gum ** des Propertius (III. 15. 23.). — Als Axt erklürten
schon im Homerus Apollonius und Andere die 8cvx25z,
die sonst den Treibstachel der Ochsenhirten bezeichnete.
S. Zioéga a. a. O. p. 4 und 5.
124) Vergl. jezt die Abhandll. Zoéga's p.2. Welcker bemerkt
in den Zusätzen pag. 353 ff. , dafs diese Seltenheit der auf
€ben diese Fabel bezüglichen Kunstdenkmale seitdem ge-
mindert worden sey. Er beschreibt dann mehrere sol-
cher hóchst schátzbaren Denkmale. Das eine auf einem
Gefäfs im Kônigl. Museum zu Neapel (s. Tafel I. nr. 3.
bei Welcker) zeigt den Lycurgus in vólliger Wildheit und
Rohheit ; zu den Füísen sinkt seine Gattin nieder, die er
mit einem Schwert in die Brust verwundet; links sind zwei
Bacchantinnen , rechts auf der andern Seite des Lycurgus
eine géflügelte Erinnys, mit Schlangen auf dem Kopfe,
während sie eine andere Schlange nach dem Lycurgus
hült, und ihn mit einer kurzen Lanze schlágt. Der Pan-
ther kommt auf ihn zugelaufen. Hermes sitzt ruhig, auf
seinen Heroldstab gestützt, am Ende der Scene. Zwei
andere merkwürdige Bildwerke finden sich ebendas. 'T'afel
IL nr. 4. 5. 6. Das erste (nr. 4 und 5. nach Millingen
Peintures de Vases Tab. 1 und 2.) zeigt den Lycurgus in
gleicher Wildheit, mit der Bipennis einen Streich nach
seinem zur Erde niedergeworfenen Weibe führend. Sein
Sohn , bereits getódtet , ist in die Arme einer Bacchantin
gesunken. Zu der Linken stürzt sich auf Lycurgus von
oben herab Iris, mit Wurfspiefs und Fackel bewaffnet,
die Strafe der Furien ausübend. Unter ihr kniet ein Satyr,
auf Steinen , mit Aufmerksamkeit zusehend, Auf der an-
dern Seite des Gefifses sitzt der siegende Dionysus ruhig,
mit dem Panther auf dem Schoofse, daneben eine Prie-
179
. « Der Nebenbuhler. des Dionysus steht in der Mitte;
&tolz und wild wie der Räuber Persephonés (vergl. lliad.
VI. 130 éqq. Nonni Dionysiae. XX. 149 sqq.). | Mit bei-
den Händen schwingt er die BovmAn5 ( vergl. Ovid. Me-
tam. IV. 22.), zweischneidig, wie die Thracier sie zu
führen gewohnt waren. Zu seinen Füfsen liegt Ambro-
sia, eine der pflegenden Nymphen des Bacchus 125)
(denn die Orphiker betrachten alle, nicht blos Nysa,
Hippa und Leucothea, .als solche; Hymn. Orph. 5o. 3.
15. Porphyr. de Antro Nymph. p. TM den Kopf mit
Reblaub und Trauben geschmückt. Der Künstler folgte
der Tradition im Nonnus (XXL 7 sqq.), worauf Sopho-
cles nach den Scholien dunkel hindeutet (Antigon. 967
— 7575); und wie Statius erwühnt ( Thebaid. IV. 386.),
gefangen von ihm, und mit der Axt bedroht, hat sie die
Mutter Tellus gefleht, und wird von ihr in ihren Schoofs
aufgenommen. Beine und Aerme sind ausgespannt; sie
sollen Wurzeln und Aéste der Bacchiséhen Pflanze wer-
den. Die Rechte erhebt sie gegen den Heros, hinter
dem schon eine Rebe rankt, ihn zu umschlingen. Die
Linke stützt sie auf die Erde, wieSolche, die die Kache-
göttinnen anfléhen (Miad. IX. 568 sqq.), und sieht ihn
vérüchtlich an. So wird Lyéurgus von Eumeniden oder
den in Eumenidén vérwandeltém Bacchantinnén ánge-
sterin , welche wie der Gott eine ferula in der einen Hand
hilt. Das dritte Bildwerk hat Welcker ( Tafel II. nr. 6.)
àus Gori Mus. Etrusc. I. 15. entnommen, wo es für eis
nen Pentheus ausgegeben wird, der den jungen Dionysus
umbringe. Allein andere Umstände sprechen, nach
Welckers Vermuthung, für die Erklärung , welche auch
hier einen Lycurgus erkennt, Ich bemerke noch, dafs Mile
lin in der Descr. de tombeaux de Canosa p. 46. nach dem
Bilde in unserer Symbolik das hier von Zoéga erläuterte Re-
lief, Lycurgus Raserei d'arstellend , auch mitgetheilt hat.
125) S. oben Note 27. p. 97.
180
« griffen. Die beiden Weiber zu den Seiten haben auf.
gesträubtes Haar, und Flügel über den Schläfen wie Fu-
rien (Euripid. Orest. 317.) , ein Zeichen der Schnelligkeit
(Orph. hymn LXIX. [68.] 8. 9.). Beide mit Werkzeugen
der Quaal, mit dem kurzen Schleier , wie eine Binde mit
fliegenden Schleifen um den Leib gehnüpft, wie nur
Hecate und ihre Begleiterinnen haben. Zugleich hat
die eine die tunica talaris, die andere den Panther als
Gesellen des Bacchus. Die eine schlágt dem Heros mit
einer Ruthe auf den Kopf (Nonnus XXL 56.); die an-
dere , in Anzug und Geberde Dianen gleich, scheint nicht
gerade auf ihn zu, sondern wie eine nächtliche Schreck-
erscheinung (Orph. h, LXXL [70.]6.7.) anihm vorüberzu
gehen, und der Panther ist bereit seinem Herrn zu dienen
(Hygin. fab. 132.) Rechts sieht man noch die drei Mu-
sen, nach der ältesten Tradition 129). Freilich erhielten
diese drei von den Alten andere Namen, aber nach den
ihnen hier beigelegten Attributen müssen ihnen folgende
gegeben werden: Urania, in den Chor der Parzen auf-
En t—
126) S. jezt Zoëga’s Abhandll. p. 9 — 14. Welcker dagegen
(in den Zusützen p. 359 ff.) móchte eher diese drei Mu-
sen für die Móren halten, die z. B. bei Millin Voyage
au midi de la France pl. 65. nr. 1. gleichfalls mit den Zei-
chen der Musen vorkommen. Auch sie baben Federn
auf dem Kopfe, wie die Musen auf unserm Bildwerke (s.
ZLoéga p. 14.); denn in ihnen sollte gleichfalls das Pro-
phetische und Musenhafte dargestellt werden. Es seyen
gewissermafsen musenartige Móren, welche auf
Tod und Verwandlung offenbar eine mehr unmittelbare
Beziehung hätten, als die Musen, die zwar sonst dem
Bacchischen Kreise nicht fremd seyen, aber doch náüher
den Aufsenlinien als dem Mittelpunkte desselben stünden.
Endlich sey die Nachbarschaft der Furien geeigneter für
die Môren als für die Musen. — S. auch Welcker in der
Abbandlung über die Móren oder Parzen in der Zeitschr,
für alte Kunst I. Hft, 1I. p. 209 f.
181
sgenommen (Pausan. L 19. Platon. Sympos. pag. 187.
Tom. 111, vergl. die verschiedenen Basreliefs, die die
Geburt des Menschen darstellen ; Mus. Capitol. Tom.IV.
t. 25. Pio- Clement. 4. IV. t. 34. t. 13. nr. 1. Villa Bor-
ghese, Pamfili, Patera Borgiana della nascita di Bacco),
steht zuletzt, und legt die Hand auf einen mit dem Zo-
diacus umwundenen Globus. Clio, die Muse der mensch-
lichen Begebenheiten , scheint der Schwester das Schick-
sal der Sterblichen zu empfehlen, und hilt die Rolle der
Geschichte in der Hand. Die dritte ist Calliope, die
Muse der Helden, die am meisten Antheil nimmt, auch
weil durch die Vertreibung dieses Herrschers ihr Ge-
schlecht auf den Thron kam, ihres Gemahls Oeagrus Va-
ter Charops. Ueberhaupt sind die Musen unzertrennliche
Gefährten des Bacchus (Diodor. 1. 18. IV. 4. Eustath,
ad Odyss. P. p. 1816.) 127); Melpomene, Thalia, auch
Calliope, kommen bei Ovidius (Fast. V. 79.) mit Bac-
chischen Attributen vor. Hier haben die Musen Fedérn
zum Kopfschmuch 1275), als Bild der Schnelligkeit des
Sinnes. Links ist Dionysus mit seinem Gefolge. Er
war vor Lycurgus in den Schoofs der Thetis geflohen,
bei welcher Gelegenheit er den Nereiden eine Amphora
schenhte (Odyss. XXIV. 73 sqq. lliad. XXIII. 254.) 129),
127). Vergi. Pausan. Attica cap, 2, 3. und C. G. Schwarz Mis»
cell, polit. human. p. 90 sq. Daher Bacchus und die Mu-
sen ovyxoçevrai heifsen bei Julian. Orat. IV. pag. 152 ed.
Spanh. und Bacchus selber Moveayéryns; s. Moser zum
Nonnus 1X. 18 sqq. p. 212.
128) Vergl. darüber Winckelmanns Monumenti ined. zu nr. 40,
p. 39 f. der deutschen Uebers,
129) Vergl. Scholiast. Lycophron. Cassandr. 273. In dieser
Amphora wurden nachher die Reste des Achilles beige-
setzt. Von dieser Flucht hafte Dionysus den Beinamen
QUZ4A:5 bekommen, ein Wort, das die Grammatiker
182
«Er kam aber zurück, siegte und theilte unter seine
Freunde die Reiche aus. Verschieden sind die Schrift-
steller nur in der Art der Bestrafung des Lycurgus 139),
Von dem Wenigen, was Homerus sagt, wie auch Eu-
melus, weicht Apollodorus ab (IIL 5. 1.). Anders Tri.
clinius zu der angeführten Stelle , Hyginus fab. 132. 242,
Andere anders. Der Künstler habe den triumphirenden
Gott nun aus einem uns unbekannten Schriftsteller ge-
nommen, oder selbst erfunden, die Composition hat ge-
wonnen. Der Gott ist jugendlich und niühert sich dem
Weiblichen in etwas. Das Gesicht ist schön für den
mittelmäfsigen Künstler, wofür er den Gewändern nach
gehalten werden mufs, Vielleicht copirte er ein besseres
Original. Die Ruhe des Siegers contrastirt mit der Wuth
des Anderen, Ihn schmückt das ihm und den Seinen ge-
wöhnliche breite Diadem ( gegen den Kopfschmerz , den
der Wein: verursacht, Diodor. IV. 4. p. 250 Wessel.),
Weinlaub und Epheu. Dankend seinem Vater erhebt
er den Blick, und rühmt seinen Freunden, wie viel er
ihm danke, er, der noch nicht unter die Himmlischen
aufgenommen war (Hesiod. Theog. 942. Nonni Dionys.
in fin.) » 131,
zum Theil durch SsA6s „ Andere aber anders erklären; s.
meine Meletemm, I. pag. 22. Not. 19. und die dort ange-
führten Erklárer zur llias XVII. 143.
130) S. Zoëga a. a. O, p. 15 — 26.
131) In der Homerischen Stelle Iliad. *VI. 130 sqq. fanden es
die Alten sehr bemerkenswerth, daís von Dionysus als
einem Gotte die Rede sey. Vergl. die Scholiasten zu
Vers 130 und 132. Freilich stimmt so diese Stelle mit dem
übrigen Göttersystem des Homerns nicht überein. Eben
darin finde jch den Beweis, dafs sich hie und da leise
Spuren älterer Priesterlchre im Homerischen Epos er-
halten haben , die aber dieser Sänger, der sich durchaus
183
«Unter seinem Arme steht Silen, der ihn ansieht
und ihn zu erinnern scheint, die gewonnenen, Reiche
in Besitz zu nehmen. Links Pan, mit knotigem Pedum
und mit einer Amphora, muthwillig. Statt dee mysti-
im herrschenden Volksglauben hält, absichtlich nur ganz
im Vorbeigehen mit leiser Hand berührt (s. oben Il. Th.
p. 447.). — Uebrigens sehen wir aus dem Scholiasten zur
angeführten Homerischen Stelle, dafs man dem Kampfe
des Lycurgus mit Bacchus schon im Alterthum eine ganz
physisch - allegorische Auslegung gab. Hiernach war Lys
curgus Kónig von Thracien und Zeitgenosse des Osiris.
Er widersetzt sich anfangs dem Weinbau wegen der Sicht-
baren Folgen vom Gebrauch des ungemischten Weins.
Nun fängt man an den Wein zu mischen , und der König
làfst sich dessen Gebrauch gefallen; d.i. Dionysus flieht
zu den Nymphen, kehrt aber von ihnen zurück und be-
siegt den Lycurgus , nach mythischer Sprache. Von die-
sen und andern Allegorien hatte Zoéga in der Erklärung
dieses Reliefs auch Notiz genommen, Die Ansicht des-
selben von dem ganzen Mythus geht aber aus einer An-
merkung in dem Buch de obeliscis hervor (p. 206. not. 18.
vergl. ebendesselben Abhandll. p. 21f.). Es ist dort vom
Arabischen Bacchus Dusares (s. oben II. Th. p. 260.)
Jie Rede, und es wird zugleich bemerkt, dafs dieser Du-
sares beim Nonnus als Feind des Bacchus erscheine.
Auf áhnliche- Weise sey nach Strabo ( X. pag. 722.) der
Thracische Lycurgus mit dem Dionysus verwechselt wor-
den. Darauf erklärt sich Zoéga niher dabin: Lycurgus
sey vermuthlich ein Thracischer Hirtengott. Der Name
seines Vaters Dryas erinnere an das Leben in Wäldern,
Dionysus hingegen sey Gott und Symbol des Acker - und
Gartenbaues. Die wilden Hirtenvólker der Vorzeit hátten
sich der Einführung desselben widersetzt. Das sey der
Sinn des Sireits zwischen Dionysus und Lycurgus. lm
älteren Bacchischen Mythus, der von Phrygien nach
Hellas herüberziehe, seyen die 'Thracier die Reprüsentan-
ten jener Wildheit des alten Hirtenlebens ; im späteren
Mythus, der den Dionysus von Indien herkommen lasse,
154
«schen Kistchens ist Pomona zu seinen Füfsen, den
Busen voll Granatüpfel und Früchte. Eine Schlange,
wie aus dem Busen lommend , bildet sich ihr zum Hals.
band, statt dafs sie sonst, die immer junge, im Kästchen
ist. Das Gewand unter dem Schleier hebt auf unge-
seyen es die Araber, weil Thracien und Arabien noch in
jener Periode einen grausamen Opferdienst beibehalten
habe , als in Griechenland die gemáfsigtere Religion längst
schon Platz gewonnen. — $o weit Zoéga. Es mag viel
Scharfsinniges in dieser Combination seyn; wahr kón-
nen wir sie deswegen nicht finden, weil sie von unhisto-
rischen Voraussetzungen ausgeht. Es ist dabei auf die
Spuren eines früheren Thracischen Wohlstandes und ei-
ner früheren religiósen Cultur vom Caucasus her, woher
ja auch die Deucalioniden kommen , keine Rücksicht ge-
nommen. Auch ist der Bacchische Mord des sanften
Singers Orpheus nicht in Anschlag gebracht. Die Thra«
cische Rohheit ist aus späterer Zeit als der alte Mythus
vom Lycurgus, und zum Theil eine Folge vom unmäfsi-
gen Genufs des Weins , weswegen die Attischen Sagen
freilich nachher die T'hracier für roh von Anbeginn aus
schrieen (vergl. oben If. Th. pag. 235 f.). Lycurgus als
Sohn des Dryas, des Eichenmanns, kann auch an
Juppiters Orakeleiche erinnern , wovon Juppiters
Sohn und Prophet — ein Apollo oder Apollodiener, ein
Woifsmann ausgehen konnte; urd der mit Dionysus
selbst verwechselte Lycurgus erklärt sich auch, wenn
man bedenkt, dafs gerade im Wolfszeichen O siris
( Dionysus ) sich mit Horus (Apollo) verbindet, nach
einem (cds Aéyos der Aegyptier. Auch Welcker (in den
Zusitzen zu Zoëga’s Abhandll. p. 359.) hált meine Ein-
wendungen gegen die Ansicht Zoéga's im Wesentlichen für
gegründet, obwohl er diesen auf gewisse Weise, wie billig,
zu entschuldigen sucht. Die Erklárung des Namens Lycur-
gus , so wie die vom Dionysus, sey verfehlt, und hierin
liege vielleicht ein Grund, warum Zoëga in den Zusam-
menhang dieser sehr bedeutenden Fabel mehr einzugehen
unterlassen habe, ©
J
« wohnte Weise erst unter dem Busen an, um die Früchte
aufzunehmen. Zuletzt ein Faun oder Paniscus der
Alten, mit dem krummen Pedum und Hehfell, unter
einer knotigen Fiche, dem Gotte applaudirend. Auch
die Verzierungen scheinen in Verbindung mit dem Stoffe
zu stehen.» -—
Diese Erklärung jenes Reliefs leitet mich von selbst
zu einer Uebersicht des Bacchischen Gefolges,
die ich sofort in möglichster Kiirze geben will; denn
bei der nachherigen Darstellung der Bacchischen Myste-
rien und Lehren wird die Bekanntschaft mit den gewöhn-
lichen, Begleitern des Dionysus vorausgesetzt, wenn
gleich dort noch von einigen mystischen Personen die
Rede seyn muls.
$. 10.
V on dem Bacchischen Gefolge.
Schon yom Griechischen Gesammtnamen des Gefol-
ges (Thiasus, 9íaooc) gab man verschiedene Herleitun-
gen an !3). Viel grüfser sind die Abweichungen im
Einzelnen. Uns genügt es im Allgemeinen vorerst an
den Begriff zu erinnern, dafs man sich darunter die le-
bendige Umgebung, das dienende Personale von Gott-
heiten überhaupt und dann besonders vom Dionysus
dachte. In Betreff der Mitglieder dieser Dienerschaft
ist vorzüglich auf. die Beschreibung zu achten, die uns
Callixenus beim Athenäus (Lib, V. cap. 7. pag. 261 sqq.
Schweighäus.) von der grofsen Bacchischen Procession
giebt, welche im Jahre 284 vor unserer Zeitrechnung
unter Ptolemäus Philadelphus zu Alexandrien mit kônig-
132) S. Moser zum Nonnus p. 248. vergl. Lennep. Etymol.
p. 256. Palmer. ad Hesych. I. p. 1086. Alberti ad Hesych.
I. p. 1717. nnd Zonar. Lex. in v.
185
16.
licher Pracht gehalten werden war. Hiermit mufs man
einige Hauptstellen der Alten verbinden,. wie die .des
Strabo ( X. p. 468. p. 169 ed. Tzschucke), des Artemi.
dorus ( Oneirocrit. Il. 37. p. 216 Beiff.), des Cornutus
(cap. 50.). Besonders verdient die Angabe des Strabo
Aufmerksamkeit, weil er dabei recht eigentlich die Ab.
sicht hatte, eine. ganz bestimmte Vorstellung vom Bac-
chischen Gefolge zu geben. Er nennt folgende Mitglie-
der desselben (9596x030): Silene, Satyrn, Bacchen,
Lenae, Thyaden, Mimallonen, Najaden, Nymphen und
die sogenannten Tityren. Schon die Alten fanden in
diesen aus beiden Geschlechtern gemischten Haufen et-
was Charakteristisches, und wollten wissen, dafs der
Gott auch deswegen der weiblich gestaltete ($zA$pop$o:)
heifse 133).
Was nun zuvórderst die Bacchantinnen (Báx-
X91) betrifit, so erinnere man sich, was wir oben über
den Grundhegriff dieses Wortes im Allgemeinen gesagt
haben; sodann stellt die Euripideische Tragödie dieses
Namens eine Reihe charakteristischer Züge auf, woraus
man sich ein bestimmtes Bild von dem zusammensetzen
kann, was die Alten sich unter einer Baccha gedacht ha-
ben, zumal wenn man auch die ältesten Kunstdenkmale
zu Hülfe nimmt. Wir können sie in jedem Betracht zur
Mänade (Maıydc) stellen. Als Grundzug ihres Wesens
und als bleibenden Charakter dachte man sich jene stille
133) Philochorus beim Euseb. Chron. pag. 422. vergl. Philo«
chori Fragmm. pag. 21 ed. Lenz et Siebelis. Andere Er-
klirungen dieses Beinamens werde ich unten berühren,
Einiges hat auch C. G. Schwarz Miscell. polit. human.
p.98. bemerkt. So giebt Cornutus de Nat. Deor. cap. 30.
als Grund dieses Namens J4ópejpos an: ut declaretur,
quam effenznata et mollis sit compotantium et ebrietati
operam dantium sapientia.
"T
187
Melancholie, die dann entsteht, wenn der unbewachte
Geist sich im Abgrunde religiöser Gedanken, Ahnungen
und Gefühle verliert. Jene finstere Verschlossenheit
verkündigt äufserlich, was in den verborgenen Tiefen
der Seele vorgeht. Diesen Zustand bezeichnete ein Grie-
chisches Sprichwort durch den Ausdruck, den man von
einer Melancholischen brauchte: «sie steht da wie eine
Bacchantin » (Bdxxns Tpôxor Suidas); so wie die Redens-
art ddov Bdxyoc, ddov Bdrya und ähnliche jenes Unmaafs
von Gefühlen und Leidenschaften bedeuteten, die zum
Aeufsersten und selbst zum Tode führen. Denn wird
jene Fülle verschlossener Regungen und Gefühle frei
gegeben und entfesselt, so tritt der Zustand festlicher
Raserei ein, in der die Baccha oder Minas die ausschwei-
fendsten Dinge thut. Daher werden sie in Dichtern und
Kunstwerken kenntlich gemacht durch das bindenlose
und im Winde flatternde Haar (Eurip. Bacch. 494 sq.),
um welches wohl auch zahm gemachte Schlangen ge-
wunden sind, durch den zurüch gebogenen Kopf (156.),
durch die unstüt umherfahrenden Blicke, durch die
Schlangen, den Dolch in der Hand (Eudoc. Violar. 87.
118.), durch die Instrumente einer rauschenden Musik
(davon im Verfolg), durch die gewaltsamsten Bewegun-
gen und Stellungen des ganzen Körpers 134), durch das
laute Rufen Evohe , Jo Bacche und anderer Bacchischer
Formeln, so wie endlich durch das WVürgen von jungen
Hirschkälbern 135), Rehen und andern Thieren, ja selbst
434) Ueber das "Tanzen der Bacchantinnen, ihr fliegendes
Haar, ihr Beugen des Hauptes, über die Kleidung, so
wie über die Instrumente, welche sie in ihrem festlichen
'l'aumel tragen, s. C. G. Schwarz a. a. O. p. 84 sqq.
135) Daher denn mit dem Hirschkalbfelle (veBpis) die
Bacchantinnen gewöhnlich bedeckt sind ; s. C. G. Schwarz
a. a. O. p. 104 sqq.
auch durch das Hosten rohen Fleisches (Euripid. Baech,
139.) — wiewohl diese letzte Sitte in den Mysterien ein
Act der vielen religiós bedeutenden Handlungen ward
und einen andern Sinn erhielt. VVeissagekraft und Las.
civitit wird den Bacchantinnen ebenfalls beigelegt (eben.
das. 225. Scholiast. ad Eurip. Hecub. 193.).
Dieser Charakter der Bacchantinnen gab den Kiinst.
lern des Alterthums Gelegenheit, die ganze Virtuositit
ihrer Kunst in deren Darstellung zu offenbaren. Neben
der berühmten Baccha des Scopas (Plin. H. N. XXXVI.
4. 7.) , die im höchsten Taumel festlicher Manie ein Reh.
bicklein zerrifs, waren die Bacchantinnen des Praxiteles,
mit idealischen Küpfen und in ruhigem Zustande , hóchst
bewundert. Auch giebt uns die Bacchantin des Solon
auf einer alten Paste, nach Lessings Urtheil ( Antiquar,
Briefe XI. Theil der sámmtl. Werke p. 145.) einen vor-
züglicheren Begriff von der Kunst dieses Dactylioglyphen
als alle andere Werke 136). Nachbildungen jener und
136) Auf der zehnten Platte im Recueil de Fragmeus de Sculps
ture antique en terre cuite finden sich mehrere Bacchan«
tische Figuren und Gruppen , so wie auch Venus; vergl,
den Text pag. 81 seqq. Eine ganze Gruppe von Wesen
aus dem Bacchischen Fabelkreise, als Mänaden , Satyrn
u. S. Ww. , in treffenden Stellungen und gut gearbeitet, findet
sich auf einer Sarkophagseite abgebildet im Musec Pio -
Clement. 1V. Bd. tab. 20., womit die Bemerkungen Zoé«
ga's in Welckers Zeitschrift für alte Kunst I. Bd. Hft. 3.
p. 379 ff. nebst Welckers Zusätzen pag. 383. Note, wo
noch mehrere solcher Rundwerke nachgewiesen sind,
verbunden werden müssen. Aeufserst schóne Arbeit in
der gemáfsigten hieratischen Manier, bemerkt Zoéga a,
a. O. p. 383, sey der auf der folgenden Tafel 21. darge-
stelite Dionysus mit Satyrn, Centaurinnen und Knaben,
die das Pyreon tragen. Andere Bacchische Züge und
Gruppen s. ebendaselbst auf der Tafel 22 und 24. nebst
den Bemerkungen p. 384 sqq. a. a. O. ferner auf Tafel 7.
1 88
189
anderer Originale finden sich auf Reliefs und Gemmen,
Dahin gehórt z. B. die laufende Bacchantin mit dem Dolch
in der Townley'schen Sammlung (s. Góde's England IV.
pag. 54.) urid der schüne geschnittene Stein im Wiener
Cabinet (s. Eckhel Choix de pierr. grav. nr. $5.) Für
die ältesten Vorstellungen von diesen Wesen sind die
alt- Griechischen Vasen die getreuesten Urkunden. If
Bezug auf die Bacchantinnen sehe man die gehaltreichen
Abhandlungen von;Luigi Lanzi (Dissertazione tre de' Vasi
antichi dipinti Dissert. II. p. 128.).
Die Lenae (Añvœr) haben von dem Orte den Na-
men, wo der Wein gekeltert wird (65 Ayvoc). Heracli-
tus in einer Stelle beim Clemens nennt sie unmittelbar
nach den faxyoi und neben den uvevat. Ohne Zweifel
wurden sie oft ziemlich gleichbedeutend mit den Bac-
chantinnen genommen. Das zeigt auch die Ueberschrift
der sechs und zwanzigsten Idylle des Theocritus, wo wit
Ave 3; Báxyos lesen; wie denn alle diese VVesen in der
allgemeinen Eigenschaft der Bacchusdienerinnen und in
den gemeinsamen Aeufserungen orgiastischer Lust ganz
nahe mit einander verwandt waren. Indessen, wo es
auf genaue Unterscheidung bestimmter Eigenschaften an-
kam , wie in Festprocessionen, scenischen Darstellungen
Bd. V. mit Zo&ga p. 409. Ueber die 'T'afel 29. im IV. Bd.
ebendaselbst, welche einen elliptischen Sarkophag ent-
halt, auf dem mittelst zweier Lówenmasken die Figuren
in drei Felder getheilt sind, die einen Bacchischen Tanz
vorstellen, aus fünf Paaren von Satyrn und Bacs
chantinnen bestehend, wo der Satyr immer rechts
der Tänzerin gegenüber ist oder zur Linken des Beschaus
ers, macht Zoega genaue Bemerkungen p. 391 sqq. a. a.
O. Die Absicht des Künstlers scheine dabei gewesen zu
seyn, in einem jeden Paare die Liebe in einer verschie-
denen Gestalt zu zeigen,
107
ünd in der Kunst, da hatten sie gewifs auch ihre eigenen
Aemter und Attribute; was nachher gelehrte Schriftstel.
ler, wie den Strabo, veranlafste , sie als eine besondere
Classe Bacchischer Wesen aufzuführen. Daher haben
wir uns unterihnen eigens weibliche Personen zu denken,
die um das Keltern und Bereiten des VVéins beschäftigt
sind, gleichsam Nymphen des siifsen, lockenden, oft
auch des aufbrausenden Mostes, und zugleich seiner
Wirkungen, des trunkenen Muthes jener Ausgelassen.
heit, die man an Weinfesten sah, und ähnlicher Aeufse-
rungen und Eigenschaften , die den Lenen selbst beige-
legt werden. Wo also auf Bildwerken, namentlich auf
Vasen , weibliche Wesen Wein einschenken und darrei-
chen, darf man mit grofser Wahrscheinlichkeit Lenae
vermuthen. Sie sind in diesem Betracht zugleich Diene-
rinnen der Najaden, weil diese, dem Bacchischen My-
thus zufolge, die heileame Kunst erfanden, den Wein
mit Wasser zu mischen.
. Allein die Najaden und Nymphen (Naides xal
Néuqa:), die vom Strabo a. a. O. auch im Bacchischen
Gefolge genannt werden, sind noch in éiner viel hühe-
ren Bedeutung.dem Dionysus zugesellt. Man erinnere
sich, was oben bei der Geburt und Erzichung des Bag-
chus bemerkt wurde. Ihnen war ja die Erhaltung und
Pflege dieses Gottes anvertraut. Darum heifst auch Si-
lenus, wie wir weiterhin sehen werden, der Nym-
phenführer. Sie wurden nachher die ersten Anbete-
rinnen des Gottes, die Stifterinnen. seiner Feier und
mithin die Vorbilder aller andern weiblichen Wesen sei-
nes Gefolges, jenér Bacchentinnen, Lenen u. s. w. Thre
Zahl. und. Nàmen werden sehr verscbieden angegeben :
zu funfzig bis auf hundert; und bald ist Bacchus bei
den Nereiden, bald umgebén ihn Nymphen und Najaden.
Bald lesen wir bestimmt von Nyseischen Nymphen , be-
sonders bei der Erziehungsgeschichte dés Gottes, und
a
191
gs treten die Namen Nysa 157), Hippa und Baccha (Ser-
vius ad Virgil. Eclog. V. 16.) als die von ihm besonders
ausgezeichneten Individuen hervor, Pherecydes, hor-
ten wir oben, nannte als Erzieherin des Dionysus Dodo-
häische Nymphen ; in der herrschenden Fabel aber glán-
zen jene Pflegerinnen als Hyaden und Plejaden unter
den Sternen; wie denn dieser ganze Nymphenchor sicbt-
bar unter den Begleiterinnen des Gottes einen höheren
Rang einnimmt. Daher ist nichts wahrscheinlicher, als
dafs sie auch von den Künstlern werden ausgezeichnet
seyn, und unter dem übrigen Frauenvolke um den Bac-
chus hervorgezogen und ihm näher gerückt. Um sie
aber nicht etwa mit einer Ariadne und Libera ( wovou
im Verfolg) zu verwechselu, müssen béstimmte Attri-
bute nachgewiesen werden, die durch jene mythischen
Züge beurkundet sind. Hier ist es nun eine feine Be-
merkung von Lanzi (Vasi antich, p.131. 133.) , dafs, wie
die Lenaáe einerseits den Najaden dienen, so hinwieder
die Nymphen am Sternengéwand auf Vasen erkennbar
sind (man denke an die Hyaden und Plejaden); zuweilen
auch an dem Feuerrohr (ferula) als Symbol der Vor-
steherinnen der Orgien, wegen ihres hohen Ranges,
theils án der Taube, die sie bei sich haben als Dodonäi-
sche Nymphen , theils auch an der grófséren Vertrau-
lichkeit, mit der sie sich dem Gotte nahen. Er erinnert
dabei an eine Bacchische Patera in der Sammlung des
Schotten Byres in Rom, ingleichen an eine Vase bei
Tischbein (1L. pl. 33.). Ich mache! von diesen Bemer-
kungen sofort auf ein Vasengemilde Anwendung, das
Millin (Peintur; d. Vas. antiq. Il. nr. 49.) neuerlich her-
ausgegeben hat; welches die wesentlichen Eigenschaften
437) Ueber die Nysa als Amme des Dionysus s. Wesseling
zu Diodor. Sic. ILI. 69. und Schweighäuser zum Athé-
nius V. 28. Animadverss. p. 238.
102
Bacchischer Nymphen in einer schönen Vereinigung
zeigt. Es ist überhaupt ein eben so merkwiirdiges als
liebliches Bild, und wir werden im Verfolg desselben
nochmals gedenken miissen. Dionysus (sein Name steht
in alt - Griechischer Schrift beigeschrieben) als Ephebus
liegt auf dem Schoofse einer ihn liebkosenden Nymphe,
Er hat das Sternenkleid an, zum Zeichen dafs er unter
den Hyaden ist. Eine andere, mit einem blumigten Ge.
wande bekleidet, hält ihm. einen Kranz vor, und eine
dritte, gleichfalls im Sternenkleide, spielt in einiger
Entfernung mit einer Taube. Hier erkennen wir also
die Hyaden und Dodonäerinnen als Erzieherinnen des
Bacchus , wie Hyginus und Pherecydes dieselben be-
schreiben.
Die Thyaden (Ovddes, bei Strabo Oviot) werden
häufig auch ‚schlechthin als Bacchantinnen gedacht, mit
dem Nebenbegriff des Orgiasmus. So erscheinen sie
bei Virgilius und Statius ganz als Mánaden ; und Tzetzes
zum Lycophron (vs. 143:) erklürt 9vác, im Begriff einer
manntollen Frau, durch 8áxyo. Hierbei mag man denn
wohl an das VVort 96o in dér Bedeutung des Ungestüms
und des Herumlaufens denken. Aber andere Angaben
leiten auf eine andere Spur. Nach Bochart (€an. 1. 18.
p. 440.), der den ganzen Bacchusdienst aus Assyrien zu
den Phôniciern und von da zu den Griechen kommen
läfst, müfsten wir an Priesterinnen denken, weil Sym-
machus in der Stelle des Propheten Daniel (IL. 27.) die
Babylonischen Priester durch Svot übersetzte. An so
dünne Füden brauchen wir den Begriff der 'lhyaden
nicht. anzulinüpfen. Pausanias kennt sie schon selbst als
Priesterinnen. Nach ihm sind es Attische Frauen, die
jährlich auf den Parnafs gehen, und mit Delphischen
Frauen die Orgia des Bacchus feiern (X. 4.). Das war
also doch eine feierliche, eine erwählte Opferdeputation.
Daran läfst uns Hesychius nicht zweifeln. Er sagt uns
1
195
(in Béop:), dafs die Bacchantinnen auch Seaptdes hiefsen:
Auch Nonnus (Dionys. 1X. 261.) gedenkt der saàpSevixab
Sewpidec, Das sind Bacchantinnen ; die zu einem feier-
lichen Opferfeste öffentlich än einen Wallfahrtsort.ab=
gesendet worden, wie z. B. hiet nach Delphi. Also aus-
erwühlte Frauen. 1m Verfolg führt Pausanias noch
nüher auf den Begriff einer höheren Weihe.‘ Er erzählt
(X. 6. $. 2.), die Thyaden sollen von einer Delphierin
Thyia den Namen haben, weil diese zuerst als Baccbus-
priesterin dem Gotte die Orgien gehalten habe. Der
Zusatz, sie habe mit Apollo deu Delplius erzeugt, ist
wieder eine myihische Spur von der Verbindung des
Apollo- und Bacchusdienstes in jeneu Gegenden. Auf
jene T'hyaden- Orgien am Parnassus spielt auch Catullus
(63. 390.) an. Ist jene Bestimmung der Thyaden wirks
lich so alt, wie es nach Pausanias scheint; so hat man
ihren Namen von einem andern Zeitworte Ste berzulei-
ten , welches ursprünglich ráuchern, dann aber auch
op fern überhaupt bezeichnet (vergl. oben I. p. 172).
Demnach schlossen sie sich im Range, als Priesterinnen,
zunächst an die Nymphen, als Untergättinnen, an. Mit-
hin hätten wir auf Bacchischen Bildwerken. jene'-weib-
lichen Wesen für Thyadeñ zu erklären, die bei einer
Opferhandlung priesterlich ausgezeichnet und geschäftig
erscheinen, und als Mittelspersonen zwischen dem Gott
und den das Opfer darbringenden Laien.: Lanzi ( Vasi
antich. p. 129.) móchte auf Bacchischen Vasen.bestimmt
diejenigen Frauenspersonen für Thyaden erkfáren, die
um die mystische Kiste gescháftig sind, und um die darin
verschlossenen Symbole, die den Augen der Profanen
entzogen wurden; eine Erklärung , die jenen oben bei:
gebrachten Hauptstellen der Alten ganz gemäls ist.
Die Mimallonen (Mıyaliövsc).ıy Für: diese
Schreibart sprechen die meisten Stellen: ¢s. Tzschucke
zum Strabo a. a. O.). Die Herleitung dieses Namens
lll. £3
194
vom Ebräischen Mamal , die Kelter, würde diese Wesen
init den Lenen identificiren , wovon sie doch Strabo be.
stimmt:usterscheidet, Achten wir dafür auf den Cha.
rakter, den sie in den Bionysiaden behauptet haben
mógen: Hier leistet Nonnus gute Dienste. Beiihm kommt
verschiedentlich eine Mimallon vor und zwar als Urhe-
berin von Schrecken und Getóse. . Das. einemal heifst
sieauch faryeks; und bindelos mit flatterndem Haar er-
scheint sie unter dem Heere des Bacchus beim zweiten
Indischen Feldzuge (Dionysiac. XVII. 29. p. 464. vergl.
XXI. 184. p. 566.). Pausanias (Il. 20. 3.) nennt zwar
die Frauen, die mit Dionysus gegen den Perseus zu Ar-
gos ins Feld zogen, Mänaden, vermuthlich in Betracht
des kriegerischen Ungestüms .und Lärmens, weswegen
sie auch Bacchiaden heifsen konnten ; allein den bestimm-
ten Namen und Charakter giebt uns ein alter Mriegs-
mythus bei Polyánus (Strateg. IV. 1.): Der Macedoni-
sche König Argäus rettet sein Land bei einem kriegeri-
schen Einfall der T'aulantier durch Bewaffnung der Ma.
cedonischen Jungfrauen. Sie waren mit 'Thyrsen statt
der Spiefse versehen, und der Anblick ihrer grofsen
Schaar.aus der Ferne bestimmte den Feind zum fried-
lichen Abzug. ‘Da haucte der Hünig dem Bacchus
Pseudanor (dem erlogenen Manne) einen Tempel,
und die Jungfrauen, die die Münner so gut nachgeahmt
hatten ," hicf*en fortan Mimallonen, da sie vorher Clo-
donen -geheifsen hatten. Mag es mit dieser Namenser-
klärung, der nun auch die Grammatiker folgen, seyn;
wie es will; die Begriffe, die man mit dem Namen ver-
bunden hat, bleiben nicht zweifelhaft, Die Mimallonen
sind die Bacchischen Amazonen, die durch ihr
minnliches Thun, durch Kampflust und Kriegsgetise
sich im Heerég des Dionysus auszeichnen. Es liegen also
hier ohne Zweifel einige‘ ähnliche Züge alter Religion
zum Grunde, wie wir sie oben (ll. Th, p. 174 ff.) nach-
195
gewiesen haben. Der kriegerische Geist dieser Weser
liegt auch in ihrem andern Namen. Sie hiefsen Kigdw-
ves; so schreibt Suidas (in MipuaAA. I1. pág. 562 Kust.).
Alsddnn haben sie vom Schaft des Spiefses, oder voui
Thyrsus, Ast (xAá0ov), Worunter eine Lanzenspitzé
verstecht war, ihren Namen. Sie hiefsen KAbderes
(Plutarch. V. Alexandr. cap. 2. fin). Das erinnert au
Hriegsgeschrei, ah jene Tóne, dem Gekrüchze der Krä-
hen ühnlich (xAódee 1:5), womit sie in die Schlacht ge-
hen. Wenn nun Dionysus beim Euripides ( Bacch: 55.)
eine helfende und begleitende Frauenschaar sich vom
Lydischen Tmolus holt, wenn sie sonst auch Lydierinnen
(Avdai 13%) heifsen (Eudoc. Violar. 8. 118.) und wenn
wir an die Vorderasiatischen Amazonen denken, so wird
es wahrscheinlich, dafs auch der Name Miuo2Xóveg Asia-
tischen Ursprungs ist, und Bochart's Bemerkung (Can;
I. 18. p. 445.) verdient Aufmerksamkeit ; wenn er in dem
138) Eiymiolog. magn. s. v. p. 521 Sylb. Dieselbe Erklárung;
die das Etymol. m. hat , steht als Scholion auf dem Rande
des Codex Palatinus nr, 169. zu der angef. Stelle des Piu~
tarchus , ausgenommen, dafs vor w.ddsv hinzngesetzt wird
diovef und statt SopuBeiv, SéçuBoy sieht. Zu [risa AAD ves giebt
dieselbe Handschrift folgende Erliuterung: pupjaAAdy 588
ai Banque vai Boydçéjaor Hroi ai perd Boÿs nai nararhiEeux, Dui
73 wdroyor slvr wgoleboar Sgopwe ds nai yeyovonuipaas xaAoUguv
fuor rd "ysyovíowsr» (leg. "yeyuvizusv )* elt" ovv PopuBeïy ras
XUL,
139) In der Beschréibung der Bacchischen Procession von
Callixenus beim Athenäus (V. p. 266.) werden sie jedoch
von den Lydierinnen unterschieden. , Dagegen wer-
den sie dort auch Maxérai genannt, d.h. Macedonie-
rinnen. Allein der'Text ist bóchst wabrscheinlich ver-
dorben, und man mufs «si oi aA. Max. lesen; wodurch
auch diese Macedonierinuen zu einer eigenen Classe vou
Bacchischen Begleiterinnen werden. Vergl. Schweighiy~
&er zu dieser Stelle p. 161.
196
Chaldsischen Memallelin (o5). dieselbe Bedeutung
nachweiset. (garralae, loquaces), die wir so eben in dem
Griechischen: xAó0vvsg gefunden haben. Doch wir wol.
len nicht streiten, wenn man bei diesem Namen lieber
an das Jonische Vorgebirge Mimas denken will. So viel
bleibt gewifs, dafs Strabo Bacchische Kriegerinnen da.
mit gemeint hat. In diesem Charakter werden auch die
Künstler sie genommen haben. Sicher gaben: sie ihneu
eine leichte kriegerische Tracht. Ich möchte daher in
der Dianen Ahnlich aufgeschürzten Bacchantin, die auf
unserer Tafel VI. nr. 1. furchtbar am Lycurgus vorüber-
geht, eine Mimallone mit den Attributen der Furie sehen.
Auch auf Vasen léámnen dergleichen Bacchische Frauen
mit dem Dianencostum zuweilen vor, und auch dort er-
innerte schon Lanzi (Vasi ant. p. 130.) an Mimallonen.
Die T'ityri (Tivvoor) werden sonst mit den Satyrn
glichbedeutend genommen (sieh. z. B. Aelian. IlL jo.
Hesych. s. v.). Da aber Strabo a. a. O. sie gleichfalls
bestimmt von einander unterscheidet, so müssen wir
den Spuren nachgehen, die uns den Charakter der Tityre
im Bacchischen Gefolge näher nachweisen. Dafs man in
Lacedämonischer Sprache den Widder vívvgog nannte,
sagt uns Servius zur fünften Ecloge des Virgilius; auch
biefs der Ziegenboch so (Scholiast, Theocrit. id. 3. init.),
nicht minder eine Affenart. Auch eine einröhrige Pfeife
hatte diesen Namen ( ebendas. vergl. Eustath. zur Iliad.
Z. p. 1214.). Sie wird eine Erfindung des Osiris genannt
(vergl. oben I. Th. p. 448.) , eine Notiz, die uns schon
wieder in den Bacchischen Kreis zurückführt. Auch
nannte man diese Pfeife Tıttpıros 14%), Achten wir nun
darauf, daís l'ityrus beim Theocritus und Virgilius ein
Hrrtenname ist, und dafs uns der Scholiast des ersten
140) Hesych. s. v. und daselbst die Ausleger p. 1395 Albert.
197
bestimmt sagt: Tívvpornenne man auch die Gütterdiener;
so ist nicbts wahrscheialicher, als dafs man Landleute,
die dem Bacchusdienste huldigten und in ländlichen Pro-
cessionen mit Mashen und Ziegenfellen ihrem VVeingotte
Feste feierten, Tityren nannte. Darauf führt auch die
wahrscheinlichste Etymologie des Wortes. Es kommt
von ototpa oder vielmehr von ciovpos, welches letz-
tere Hesychius (IL. p. 1195.) anführt, hev. Damit be-
zeichnete man ein Ziegenfell, die gewöhnliche Tracht
der Griechischen Bauern, besonders in Attica und an-
dern gebirgigen Gegenden 1^). In der Dorischen Mund-
art ging das c in das © über; und so konnten die Lace-
dimonier und die Dorischen Colonien in Unteritalien und
Sicilien ihre Bauern wohl, bezüglich auf jene Tracht,
überhaupt Tityre nennen. Nun hóren wir aber von den
Grammatikern (Eustath. a. a. O. Schol. Theocr. a. a. O.),
dafs gerade bei den Dorern die Satyrn Tityre hies-
sen, und namentlich auch in Italien. Wirklich nennt
auch Dionysius von Halicarnafs jene komischen Tánzer
und Spielleute bei den Römischen Triumphaufzügen,
die bei Appianus Tityristen heilsen, Satyristen (Perizo-
nius zum Aelian. a. a. O.), so dafs wir immer noch eine
Identität von Begriffen baben, statt jener Verschieden-
heit, die wir dem Strabo zufolge suchen sollen. . Auch
dafür zeigt sich eine Aussicht, "Tityre sind müfsige
Leute, sagt uns der genannte Scholiast des Theocritus,
Also an Mufse, an festliche Mufse werden wir er-
innert. Nun hennen wir ja die Tityre schon als Land.
leute in Ziegenfelle gehüllt, als Gótterdiener, als Fló-
tenspieler und Tünzer bei festlichen Aufzügen; und zwar
bei den Dorischen Vólkerschaften, namentlich in Italien,
wo der Bacchische Dienst so sehr verbreitet war. Ihre
141) Timaei Lex. Platon. p. 231, und dort Ruhnkenius.
198
Pfeife erkennen wir auch als eine Bacchische Pfeife, Es
ist mithin nichts wahrscheinlicher , als dafs wir uns unter
den Tityren menschliche Bacchusdiener zu den.
ken haben, die sich, dem Mythus nach, dem Diony.
sischen Zuge von Untergóttern angeschlossen haben
sollen, um das Heer des wohithitigen Weingottes zu
vermehren, besonders Landleute aus Gebirgsgegenden,
wie Lydien (und die Tityre werden bestimmt auch Lj.
dier gengnnt; Perizon. a. a. O.), wie Attica und Sic
lien u. s. w. Nacbher wurde das Angedenken an diese
Gebirgszüge des Bacchus bei den Weinfesten in Grie,
chenland und Italien durch scenische Darstellungen ge.
feiert, wobei die Landleute mit ihren Schaaf- und Ziegen.
fellen, mit Satyrmasken und Bacchuspfeifen in lustigen
Tänzen auftraten. Es waren also die Tityre die Bac.
chusdiener vom untersten Range. Darum wei.
set ihnen auch der gelehrte Strabo in beiden Stellen, wo
er ihrer gedenkt (p. 468 und p. 470.) jedesmal den letzten
Platz im Dionysischen Chore an.
Es hat also eine gewisse Wahrheit, wenn man neuer
lich im Satyresken einen Zug des Land volkes hat
finden- wollen. Wenn aber dieser Satz so ausgedrückt
wird, dafs das Bacchische Gefolge von Pan , Silen, den
Satyrn, Phrygiern, Lydiern nur in Carricaturen von
Landvolk bestehe, welche man dem Dionysus beigege-
ben hat, ‘so mag wohl ein und die andere Aeufserung
eines späteren Autors eine solche Vorstellung zu begün-
stigen scheinen, und man hat sich dabei auf Lucianus
(Deor.-coneil. $. 4. 1X. pag. 18: ed. Bip.) und Nonnus
XIL fin. berufen. Inder Allgemeinheit gefafst, könn-
ten solche Sitze jedoch leicht Mifsverständnifs veranlas-
sen und zu dem Irrthum führen, als’ hätten alle diese
Bacchischen Wesen keinen anderen Sinn und Ursprung.
Vou der menschlichen Seite, die der Grieche auch
dem Bacchusdienst abgewonnen hatte, ist allerdings etwas
199
VVahres an dieser Ansicht. Diese Griechische Religion
des blofsen Sinnes (ich séhe hier von den Mysterien
ganz ab) urtheilte auch. nach. Sinn und Augenschein,
Alles, was nach dem klaren, scharfen Blicke der Nation
im Menschlichen aufserordentlich erschien, ward sofort
ins Göttliche hereingerückt. Ein schôner, heldenmüthi-
ger und liebenswürdiger Fürst, empfänglich für VVeich-
lichkeit und Sinnenreiz, aber auch rüstig und aufgelegt
zu Thaten , wie jener Demetrius Poliorcetes, war in den
Augen des Volkes sofort ein neuer Dionysus. So auch
abwärts. Jene Hirten in Laconiens und Siciliens Gebir-
gen, mit ihrer derben plumpen Gestalt, mit ihren Lim-
mer - und Ziegenfellen, mit ihrer rauhen und breiten
Dorischen Bauernsprache und in ihren Manieren und
Sitten der Stufe von Thierheit um so näher, diese wa-
ren ihnen ein natürliches Bild jener Satyrn und Pàne
und ühnlicher Bacchischer Begleiter. Volksdichter und
Künstler hielten sich natürlich in ihren Werken im Kreise
dieses Urtheils, weil sie durch diese Art der Popularität
ihrer Wirkung sicher waren. us demselben Grunae
nahm man nun gewifs bei Bacchischen Processionen und
Dramen (wie dort etwa zu Alexandria) in Darstellung
der Pane, Satyrn und ähnlicher untergeordneten Wesen
manchen Zug aus dem wirklichen Leben, und jene Hlei-
dung und Sprechart des büuerischen Gebirgsvolks wurde
vom Dichter wie vom Theaterkünstler ohne Zweifel be-
nutzt, um einen Satyr oder Paniscus recht natürlich zu
geben. Davon mögen sich nun auf noch vorhandenen
Bildwerken manche Spuren zeigen. Dies Alles geben
wir zu. Wenn aber damit die ganze symbolische Idee,
welche diesen Wesen zum Grunde lag, erklärt, und so-
mit die Deutung dieses Theils des Bacchischen Gefolges
erschöpft seyn soll, so können wir nicht beistimmen.
Der Ursprung dieser sonderbaren Wesen und ihrer selt-
samen Gestaltung geht in ein anderes Gebiet zurück , in
200
das Gebiet der symbolisch - religiös bildenden Vorwelt,
und ganz bestimmt nach Aegypten. Um nur beim Vor.
liegenden gleich ein Hennzeichen nachzuweisen, so wa.
ren es ja die Alexandriner, die jene einröhrige Pfeife
als eine Erfindung des Osiris kannten, und erst die Ita.
lischen Dorier gaben ihr den Namen t:TVervos (Eustath,
a.a. O.) —. also ein Instrument Aegyptischer Tempel.
musih bekommt in Italien seinen localen Namen. Sa
warcn auch die Satyrn und Pane allgemeine symbolische
Gestalten morgenlündischer Religion; ihre Benennungen
wechselten hie und da, bis. die ersteren von ihren Re.
präsentanten bei ländlicher Feier gar. zuweilen den
Bauernnamen Tityre bekamen.
g. 21.
Fortsetzung. Silene, Satyrn und Faune.
Von den Silenen und Satyrn (Zelhnvoi, Edtv-
por) wire nun noch weit mehr zu sagen. Weil ich je-
doch über diese VWesenart mich anderwirts (Studien
H. Bd. pag. 23ı ff.) ausführlich verbreitet habe, so
beschränke ich mich hier darauf, einige wenige Haupt-
sätze niederzulegen ; zugleich aber will ich auch einen
kleinen Beitrag von Bemerkungen geben , die dort nicht
zu finden sind. Silene und Satyrn nennt Strabo in
der mehreren Zahl neben einander, ohne Zweifel auch
hier wieder mit Bezug auf scenische Darstellungen , Pros
cessionen und Bildwerke. Davon wollen wir also aus.
gehen. Obgleich der Scholiast des Nicander (Alexiph.
3o.) ausdrücklich sagt, man habe vor Alters dieselben
Wesen, die man zu seiner Zeit Satyrn nenne, Silene
genannt, so machte man doch nachher den Unterschied,
dafs man alte Satyrn Silene nannte !4), Nach Non-
142) Etymolog. magn. in Xsxve. Servius in Virgil. Eclog.
201
nus zu schliefsen , erschienen diese auch in allen Diony-
siaden als bejahrte und verstündige VVesen. Er führt
sie in lleiner Anzahl suf. und neunt sie Váter der Satyrn
(Dionysiae. XIV. 101 sqq. XXXIV. 140 sqq.). Erstere
sind Erzieher und Träger des Dionysus, letztere dessen
Gespielen 14). In der dufseren Gestalt sind beide Ar-
ten sich übrigens ganz gleich. Beide spitzröhrig und ge-
schwänzt 144, So kommen sie bei alten Schriftstellern
schon vor Pindarus vor (Dionysius von Milet bei Dio-
dor. Sic. III. 71. vergl. Studien IL pag.3:0.) Freilich
giebt es auch Stellen der Alten, wobei von den Silenen
oder wenigstens von Finem alle thiérischen Zuthaten
weggenommen sind, und er blos als ein kleiner, unter-
setzter Greis mit einer gedrüchten stumpfen Nase und
mit der Glatze erscheint (ebendas. p. 311.). Auch haben
die Künstler häufig diese rein menschliche Gestaltung iu
ihren Werken befolgt. Jedoch anf den: ältesten Hunst-
denkmalen , namentlich in alten Vasenbildern , sehen wir
bürtige Silene mit jenen thierischen Theilen und selbst
mit einem ganz langen Schweife (s. bei Lanzi Vasi tab. L).
VI. 14. Oefters werden bei den A'ten diese beiden Na-
men Xsüuoí und Xárvjor mit einander verwechselt; s. Pe-
rizon. zu Aelian. V. H. I1I. uud Davies zu Maimus Tyr.
Dissert. Xl. 1. So nennt Xenophon den Silen , welchen
Midas fing, einen Satyr; s. Anabas, [. 2. 13. und dort
Hutchinson.
143) Casaubon. de Satyr. poes. pag. 40. vergl. pag. 25 und 31.
Als Erzieher und Pádagoge des jungen , schónen Diony-
sus sitzt Silenus neben demselben, gegen den er von Liebe
entbrannt ist , den er fróhlich und heiter zu machen sucht
und mit dem er scherzt, bei Julian. Caes. p. 308. C.
144) Auch mit Ziegenfüfsen und mit Hórnern begabt
erscheinen zuweilen die Satyrn; daher ihre Beinamen a£
yixodss und xeçaoraf; s. C. G. Schwarz Miscell. polit. hu-
man. p. 73 $q.
202
Auch wird dort der charakteristische Unterschied des
Alters zwischen Silenen und Satyrn immer beobachtet,
und erstere kommen daselbst, wie sonst nicht leicht, in
mehrerer Zahl vor. Die Silene erschienen auf den Thea.
tern als Aufseher über die Satyrn. In der Pompa des
Ptolemáus hatten sie theils, rothe Gewünder an, theils
waren sie mit Mennig und andern Farben roth angemalt,
Dabei hatten sie Enheukránze auf dem Hopfe. Die Si-
lene hatten feine, wollige, purpurne Oberkleider und
weifse Schuhe au. (Athenáus V. p. 262 sqq. Schweigh.).
Auch im alten Hom sah man sie in Procession mit' wol.
ligen Gewándern. DieSatyrn hatten oft Ziegenfelle oder
Felle von Hirschkälbern oder Gewänder an, die dem
Pantherfell ähnlich getüpfelt waren 1%). Beide Classen
waren also, aufser jenen Zusätzen von Schweif und
spitzen Ohren, menschlich gebildet, und daher auch in
scenischen Darstellungen oft beschuhet, und oft wurden
sie reitend dargestellt. Die Pane dagegen, um hier
gleieh diesen Unterschied in-der dufserlichen Gestalt an-
zumerken, waren aufserdem gchórnt und ziegenfüfsig,
und bei Bacchischen Processionen und auf dem Theater
bedurfte es also besonderer Veranstaltungen, um die
dünnen Ziegenschenkel und die Geifsfüfse nachzuah-
men 146),
145) Pollux Onom. IV. 18. 118. pag. 419 seq. Hemsterh. So
sehen wir auf einer schóugeformten marmornen Vase ein
Relief, darstellend ein Bacchanal von tanzenden Nymphen
und einem Satyr mit Ochsenbeinen und. der Ne-
bris; s. Antiquités de la Grande Gréce, gravées par
Er. Piranesi Vol. I. pl. XV. XVI. Ebendaselbst pl. XI
uud Xil. findet sich ein Dreifufs mit drei Satyrn,
zu Pompeji gefunden.
146) Festus in grallatores p. 165 Dacer. wo auch das heut zu
Tage noch übliche Stelzengehen beschrieben wird;
Nonius l1. 101. vergl. Lanzi Vasi pag. 99. — Uebrigens
205
Hierbei müssen wir zugleich auch der Faune mit
Finem Worte gedenken. Wie verwirrt und vieldeutig
dieser Name dureh die Lateinischen Dichter und noch mehr
durch die spätere Kunstsprache geworden , ist hehannt.
Neuere Gelehrte , besonders Heyne in den aritiquarischen
Aufsätzen (IL. p. 53 ff) und Vofs in den niythologischen
Briefen (If. 3o. p. 244.) , haben sich bemüht‘, durch ge-
nauere Aufmerksamkeit auf den Sprachgebrauch der
Griechen und Römer nach den verschiedenen Zeiten
diesen Gegenstand zu entwirren. Faunus war ein alter
Landesgott von Latium, mit weissagerischen Kräften be-
gaht (s. oben IL. Th. p. 921,968. 976. vergl; I. p.51. Not).
Nach Verbreitung Arcadischer Colonien in Italien ward
zwischen ihm und Pan häufig kein Unterschied gemacht.
In Betreff der Gestalt. nahm Vofs an , die Römischen Faune
kämen den Panen näher, die Silvane den Satyrn. Auch
haben ausländische Gelehrte diese Wesen neuerlich nä-
her betrachtet, besanders im Kreise der Kunstwerke.
Da es hierbei nicht meine Absicht ist, ins Einzelne ein-
zugeben und selbst eine eigene Meinung abzugeben, so
verweise ich den Leser auf die Bemerkungen des be-
rühmten Visconti zum Museo Pio-Clementino (T. IIl.
p. 94 sq.) und auf das, was Lanzi (Vasi p. 98 sqq.) in
dem Chaos dieser Namen und Gestaltungen auszumitteln
versuchte , der dort mit liebenswürdiger Bescheidenheit
geradezu gesteht (p. 104.), er wisse nicht was ein Faun
sey; aber zugleich mit geübtem Blick in Betreff der Va-
sen treffliche VVinke giebt. In der HKunstsymbolik soll,
haben über den Unterschied, der zwischen diesen ver-
schiedenen Wesen des Bacchischen Gefolges »tatt findet,
zwischen Silenen , Satyrn, Faunen und Panen , bereits Sal-
masius, Scaliger, Casaubonus und Andere Untersuchungen
angestellt, wovon C. G. Schwarz a. a. O. p. 103 sq. ge-
naue Nachweisung giebt.
204
nach ihm, -Faun und Satyr.in der menschlichen Form
gleich seyn. Dagegen soll der ers:ere mehr von einem
Bock, der zweite mehr von einem Pferde haben (p. 106,
a. a. O.). Die Miene des Satyrs soll mannigfaltiger und
unbestimmter seyn; die des Faun einfürmiger mit jener
heiteren Einfalt, wie man sie an jungen Bauern sieht,
Dazu kommen oft noch bestimmte Charakterzeichen:
jene zwei knotigen Auswiichse, wie man sie im Ziegen.
geschlecht findet , und jene Symbole der Landleute, das
Ziegenfell, das Pedum (der Hirtenstab), die Schalmey,
und dazu der Fichtenlranz, oft auch noch eine Anzahl
von Früchten im Ziegenfell zusammengefafst; dahin.
gegen der Satyr gewóhlnlich den Thyrsus, die Flëte und
den Epheukranz hat. In Bezug auf dieses Faunideal
verweiset jener Gelehrte auf die Statue aus der Villa des
Hadrianus im Museo Pio- Clementino (L1. tav. 47.), und
in Betreff des Satyrs auf die schóneStatue ebendaselbst
(Il. tav. 3o.). In der That finden sich die angegebenen
Unterscheidungsmerkmale in diesen Bildsäulen aufs spre-
chendste, und die Gegeneinanderstellung derselben ist
schr belehrend.
Jenen Satyr hält man für eine Copie von dem be-
rühmten (Periboëtus) des Praxiteles, worüber Pausanias
(Attica cap. 20. $. 1.) nachgelesen werden mufs. In der
Malerei war der ruhende Satyr. (évaxaváucvoc) des Pro-
togenes bekanntlich eben so berühmt 147), — Von Si.
147) Plin. H. N. XXXV. cap. 36. §. 20. Tom. IT. p. 699 ed.
Hard. Bei Philostratus in den Imagg. I. 20. p. 791 Clear.
werden Satyrn auf eivem Bildwerke unter andern als roth
— £&vS$(eí — geschildert, welches Olearius auf die Róthe
bezieht, die der Wein bewirke, so wie auch die Worte:
— did T6 ünoaros roŸ aiuaros. Vielleicht aber ist es auch
anders zu erklàren aus den Wolken des Aristophanes vs.
539. von dem sgv9ióv (aic) — dem Zeugungsorgan;
vergl. Vofs Mytholog. Briefe Jf, p. 252.
205
lenenbildern habe ich anderwärts Einiges bemerkt, und
aus der Grundidee dieser Wunderwesen wird es sich
sofort ergeben, wie mannigfaltig und sinnvoll die Án-
wendung war, die die Kunst in Bildwerken der verschie-
densten Art und Bestihfmuhg von ihnen. machen konnte
und machte. - Unter' den 'Silenusstatüen, um bier aus
Vielem'etwas nachzutragen, wird die im Townley'schen
Cabinet in England bewundert 148). Ueber die Bild-
werke in der Dresdner Sammlung vergleiche man Beckers
Augusteum (Tab. 71 und 84.). Wie oft Silenenkôpfe 14%)
zu Begrübnifslampen und auch zu Trinlgefáfsen Ferar-
beitet worden , ist bekannt; und es hat sich davon eine
ziemliche Anzahl erhalten. Auf Reliefs haben wir oben
den Silenus schon in nächster Umgebung des Bacchus
bemerkt, und das einzige Werk von Zoéga enthält meh-
rere mit Silenusfiguren. Sehr sinnvoll ist ein Relief
des Grafen von Pembroke in Wiltonlouse. | Es zeigt
einen trunkenen Silenus, der auf einem Esel reitet 159).
148) Góde England ÍV. p. 42. vergl. Visconti zum Mus. Pio-
Clement, 'I. I. p. 13. So hóren wir auch beim Plutarchus
Vitae dec. Oratorr.2 p.351 Wyit. von einer Statue desSilen
aus Tufstcin oder Marmor (Ilegivou Xosvov 5 s. Wyttenb.
und dort Taylor Lectt, Lyss. cap. 5. p. 691. p. 254 Lips. und
Martini Excurs. IV. zu Ernesti Archaeolog. liter. p. 138.
Gelobt wird der Silenus mit menschlichen Ohren , einem
Gesichte, das Adel vereint mit Trunkenheit ausdrücke,
kahlkópfig , epheubekránzt u. s. w. im Museo Pio Clem,
T. 1V. tab. 28. und sonst, mit den Bemerkk. Zoëga’s in
Welckers Zeitschrift für a. K. I. Hft. 3. p. 391. Junge
Satvrn finden sich auf der Tafel 8. nr; 2. Bd. V, ebend.
ncbst Zioéga p. 416 sqq.
149) Ueber die Silennskópfe, die wir als Socrates - Büsten
kennen, von Lysippus, s. Bóttigers Andeutungen p. 188.
und das dort angeführte Mus. Pio- Clement. Tom. VI:
tab. 28. nr. 2. Vergl. die vorhergehende Note.
150) Auf einer Münze der Stadt Nacona in Sicilien, welche
206
Ein Knabe wird von dem Thiere &ezogen. . Psyche setzt
dem Silenus einen Hranz auf. Zur Linken liegt. Venus
schlafend, und ein verschämter Amor sucht sie mit einem
Gewande zu bedecken (Göde England V. pag. 140.). —
Auf dem Fragment von einer Axa zu Chiusi im Besitz
von Sign. Paolozzi erscheint Silen bärtig und mit einem
Pferdeschweife (s. Micali l' Italia avanti il dom. d. Rom.
Tav. XVI) !5!). Micali hat dort dieses Relief mitgetheilt,
das ups den Silenus ganz in demselben Charakter zeigt,
wie die uralten: Vasen, Nur hätte er ihn nicht Faun
nennen sollen. Es ist ein Silenus 152),
Stadt von keinem neueren Schriftsteller über die alte Geo-
graphie , wohl aber von Stephanus von Byzanz (p. 579 sq.
Berk. ibiq. Philistus ) genannt wird, findet sich auf der
einen Seite ein weiblicher Kopf mit einer Binde, auf der
audern ein Silenus, auf einem Esel nach der Linken zu
reitend , dann.rechts ein Káfer , links ein'Thyrsus, so wie
drei kleine Kugeln auf der Fläche ; s. Sestini Lettre e Dis-
sertazioni numism. T. VII.
151) Auf den Münzen von Macedonien, auf welchen über-
haupt viele Bacchische Attribute vorkommen , die die
ausgcbreitete Verehrung des Bacchus in diesem Lande
beweisen , sehen wir auch das Haupt eines Silenus mit dem
Epheukranze; s. Pellerin Recueil T. I. tab. XXIX.
152, Welcker hat in der Zeitschrift für alte Kunst LI. 3. tab. V.
nr. 25. (pag. 523 fF.) die Copie eines Bildwerkes geliefert,
das aii einem runden Altar im Garten des Pallastes Fran-
cavilla in. Neapel angebracht ist, aus parischem oder pen-
telischem Marmor, von unbezweifelt Griechischer Ar-
beit; Hs stellt kelternde Satyrn vor. Zwei Satyra
tragen Schläuche voll Trauben, unter deren Last sie sich
beugen , zu einer Kelter , an welcher alle andern beschäf-
tigt sind. Sie selber besteht aus einem. Korbe, der auf
einen Felsen gesetzt ist, und wohl aus den Zwischenrüu-
men des Dodens den Saft ausstiómen läfst, ein Felsen-
Stück , welches durch einen Hebebaum auf- und abgeho-
Diese zum Theil eben $o alten als sinnvollen Sile-
nusbilder mügen uns zu einer hurzen Erörterung der
Frage leiten, was denn eigentlich dor Grundbegriff
dieses vorzugsweise sogenannten Silenus war. Denn
dafs ein Silen, der Silen (0 ZiAgvog oder ZeXxvoc)
bei den alten Schriftstellern, wie in der Kunst ausge-
zeichnet werde, ergiebt sich schon aus dem Bisherigen.
Wenn so von ibm geredet wird, ist er immer als ein
Wesen von vorzüglichem Range, als Pflegevater des
Bacchus , als Rathgeber und Lehrer hoher Weisheit, und
andrerseits doch immer mit Beimischung von etwas Ho-
mischem, in Leibesgestalt und Handlungsweise genommen,
so dafs sich in ihm der Gegensatz von Scherz und Ernst,
von Hoheit und Niedrigkeit, und somit der Contrast
selbst personificirt darstellt, und die Ironie als sein
natürlicher Ausdruch. Von der mythischen Geschichte
dieses VVesens geben schon die àlteren Griechischen
Dichter und Logographen Hunde 155. Gleichwohl sind
ben wird. Zwei zunächst stehende, Satyri nehmen den,
Stein in die Hóhe , wahrend die andern den Baum, der
durch einen Einschnitt des Korbes durchgeht, in diesen
niederlassen und durch die Trauben zurückdrücken, da-
init er der Presse des Steins nicht im Wege sey. Ueber
den Korb und durch denselben hängen ‘Traubenblitter
herunter , und ein g. rer Ast liegt oben anf, zum Zeichen
wie grofs der Segen sey. Die Satyrn sind hier in ihrem
rechten Wesen aufgefafst, derb , bäuerlich, doch nicht
ungeschlacht, kräftig, gewandt in ihren Bewegungen;
aber doch frei von allem Gesuchten und Zierlichen. —
Welcker hat ehendas. pag. 528. noch mehrere Bildwerke
der Art beschrieben.
153) S. über die Quellen dieses Mythus: Studien IT. p.292ff.
und daselbst die Hauptstellen Athenáus II. 6. Herodot.
V. 26. Aclian. V. H. 1If. 18. Conon, narrat. 1. Pindari
Fragmm. p. 73 ed. Heyn. u; s. w.
207
alle diese Angaben nur für einzelne Laute aus der Vor.
zeit zu achten ; für skizzirte Gestalten, móchte ich sa.
gen, in flüchtigen, verfliefsendeu Umrissen , wie die ver-
schwimmende Unform des Silenus selber, oder wie jene
:Mashen, womit man in alten Tempeln dieses wunderbare
Wesen mehr andeutete als. darstellte, Schon sein Name
war urkundlich: den Griechen nicht mehr bekannt, Das
zeigen die unzähligen und unertráglichen Etymologien
(vergl. Moser zum Nonnus p. 23¢.). Bei der ungezwei-
felten Gewifsheit, dafs dieser ganze Religionszweig aus
den ‚oberen Morgenlindern hérstammt, verdient eine
Nachricht des Pausanias (VI. 24. $. 6.) Aufmerksamkeit,
wonach man bei den Pergamenern und Ehräern Sile.
nengrüber zeigte; zumal, wenn man damit, andere Spu-
ren in Zusammenhang bringt. Dahin gehören zuvör-
derst die sehr verschiedenen Angaben von der Herkunft
des Silenas. Da heifst er bald Sohn einer Nymphe, bald
der Erde Sohn und ohne Zuthun eines Mannes erzeugt,
bald gebar die Erde ihn aus des entmannten Uranus
Blute, bald heifst er Pans Sohn. Bald ist er Damon,
ja endlich gar Bacchus selber (vergl. Studien 11. pag.
234. 308.). Alle diese Angaben eróffnen ein Feld von
Vermuthungen, die wir bei den vorgesteckten Gränzen
nicht alle verfolgen können. Nur den Grundfaden, der
durch dieses mythische Gewebe zieht, müssen wir fort-
leiten. Dieser verlinüpft sich v ieder mit alter religió-
ser Bildersprache des Orients. Dals man schon in jenen
Hausgötzen der Patriarchen, in jenen Teraphim, Si-
lenenbilder gefundea , habe ich oben (1L. 'Th. p. 340 f.)
dugemerht, und dieser Meinung des gelehrten Michaelis,
wenn sie richtig gefafst wird, Beifall gegeben. Bochart
(Can. I. 18), welcher sich nicht einmal jener Nachricht
von den Silenengräbern bei den Ebräern erinnerte,
weiset noch bestimmter in dem Segen Jacobs (Genesis
XLIX. ı0 ff.) in jenem (1970 (Siloh) den Griechischen
208
aug
Silenus nach !54), und erinnert an die Uebereinstimmung
der mythischen Vorstellung dieses auf dem Esel reiten-
den Begleiters des Weingottes mit jenen Worten des
Erzvaters: «Er wird sein Füllen an den Weinstoch bin-
den, und seiner Eselin Sohn an den edlen Heben. Er
wird sein Kleid in Wein waschen ,. und seinen Mantel in
Vy einbeerblut»; wobei jener Gelehrte zugleich auf die
Weissagung des Jesaias (LXIIL 2.) hinweiset, Er er-
kennt darin, nach jenem System, dem auch Vossius zu-
gethan war, eine Entstellung biblischer Offenbarungen
dureh die überhandgenommene [dololatrie, und führt
dabei die Aeufserungen des Justinus Myrtyr an, der den
bósen Dámonen die Verkehrung der heiligen VVeissagung
auf Christus in einen frivolen Mythus beilegte. Ich habe
anderwärts (Studien IL. p.319.) bemerkt, dafs man sich
viele Mühe gegeben , jenen Silenen bei den Ebräern auf
die Spur zu kommen, zum Theil ganz vergeblich, z. B.
in Betreff der Münzen aus Römischer Kaiserzeit. Dafs
man indessen noch späterhin dem Esel eine mystische
Bedeutung in Bezug auf alte Traditionen gegeben, bes
weiset unter andern das apokryphische Evangelium von
der Geburt Mariens beim Epiphanius advers. Haeres.
XXVl. ap. Fabric, in Codic, Apogryph. N. T. ed. alter;
154) Bei J. Hoffmann Deorum Gentilium práecipuorum ori-
gines ex sacra scriptura (Jenae 1674. 4.) ist von $. 12 bis
18, eine Vergleichung des Siloh mit dem Silenus durch-
geführt; s. auch: De Schilo in Silenum atque Mose in
Bacchum a profanis converso a J. J. Müller (Ulm. et
Jenae 1667.). — Ueber die Teraphim odet OsgeaQsép,
wie die LXX schreiben, vgl. aufser dem im Il.'T'h. p. 340.
Bemerkten: Selden de Diis Syris Il; p. 143. 150 sq. 197
— 208. und Bibliotheca Hagana Histor. philolog. Class. f.
fasc. 3. p. 421. Ueber die angebliche Verehrung des Esels
bei den alten Ebriern habe ich jezt in den Commentt, He
rodott. I. p. 273 sqq. Mehreres zusammengestells.
Ill.
mom =
EVE
8
210
pag. 3 sq. — Der redende Esel des Bileam ist bei jenen
Ausdeutungen mit Récht nicht vergessen worden, Auch
in dem Bacchischen Mythus kommt ein redender Esel
vor. Er hatte einst den Dionysus trocken durch einen
Flufs zu ‚dem Jappitersorakel nach Dodona getragen,
und ward dafür unter die Sterne versetzt 155). Nach
EEE
155) Hygin. poet. Astronom. IT. 23. p. 473 sq. Staver.. ,, Als
namlich Dionysus , von der Juno rasend gemacht, durch
Thesprotia zu dem Orakel des Juppiter nach Dodona
eilte, um zu fragen , wie er wieder seinen vorigen gesun-
den Zustand erlangen könne, so stiefs er auf einen gros-
sen Sumpf. Allein durch die Hülfe zweier Esel, die ihm
begegneten , setzte er über, ohne das Wasser zu berüh-
ren. Als er so zu dem Tempel des Dodonäischen Zeus
gelangt, ward er sogleich von seiner Raserei befreit , und
versetzte dann aus Dankbarkeit die Esel unter die Sterne,
Nach Einigen soll er dem Esel, auf dem er geritten,
menschliche Stimme verliehen haben; dieser aber nach-
her im Streite mit Priapus von letzterem getódtet worden
seyn. Dafür habe ihn Liber aus Mitleiden in die Sterne
versetzt.‘“ — Ich habe in den Commentatt. Herodott. I.
pag. 258 sqq. zu zeigen gesucht, wie man eben in diesem
unter die Sterne versetzten redenden Bacchus - Esel kei-
nen andern als den Lacedámonischen Landesheros A strá-
bacus oder Astrobacus erkennen kann, wovon wir
bereits oben (111. p. £1. Not. 12.) geredet , jenen rasen«
den Dianenpriester , der das alte Schnitzbild der Mond-
gottin (der Diana Orthia) auffindet, und ihren Dienst zu
Lacedämon einführt;, wie Bacchus zu Athen den Dienst
des Apolio (Pausan. I. 31.). Dies mag auch der Name
andeuten von d'orçà, die Gestirne, und B&vos, ein Se-
her, Prophet, Sänger (s. oben Ill. p. 21. 1%6.); so dafs
Suidas ( Vol. l. p. 300.) und Zonaras ( Lex. Gr. p. 313.)
ganz richtig "Acrzgódawos durch da rçovo;xos erklären. In
denselben Mythenkreis gehört auch die andere Sage von
dem redenden Bacchus Esel, der sich mit Priapus in
einen Streit über das Zieugungsórgan einláfst, aber getódtet
und unter die Sterne versetzt wird (Hygin.). Denken wir hier
- 1
andern waren es die Esel vielmehr, auf denen einst
Bacchus, Hephästus (unten werden wir diesen auf dem
Esel zum Olympus reiten sehen) und dié Satyrn in die
Gigantenschlacht geritten waren 156), wo die Eselsstimme
eine Rettung der bedrángten Gótter ward ( Eratosthenes
Cataster. c.à1. p. gSchaub.). Seitdem, heifstes, hamen
sie’ unter die Sterne auf die Schaale des Hrebses ( Aratus
drounu. 160. vs. 842 Buhl. Schol. Pindar. OL XIIL vs. 1¢8.).
Ein andermal rettete der Silenusesel durch sein Geschrei
die Kenschheit der schlafenden Vesta, die beim Gütter-
mahle so eben vom Priapus überfallen werden sollte;
Seitdem haben die Lampen, jene Tráger der stillen Haus-
flamme, deren Beschützerin Vesta ist, Eselshópfe, wie
noch vorhandene Antiken zeigen; und zu Hom führte
nut an jene Priester und Besessene der Vorzeit, die bald
im T'aumel und festlicher Lust sich jeder Ausschweifung hin -
geben, bald im Ueberinaafs ihrer Andacht sich verstümmeln
— beide Seher , beide Begeisterte, beide Bacchen; bis
nachher auf die ersteren vorzugsweise dieser Name thera
tragen, die andern aber mit dem Namen Galli bezeich-
net wurden (s. oben II. Th. pag. 42 f.). Beide leben in
Hader und Streit mit einänder, beide hassen und verfols
gen einander, alles zu Ehren der Sonnen- der Mond -
und der andern Sternengôtier. Zu den ersteren gehört
&uch jener Astrabacus, der die Gattin des Laconiers Ari-
sto besehlafen und mit ihe den Demaratus erzeugt hàben
soll, statt dessen oben die Feinde des Königs von einem
Eselbirten sprachen; wobei wir freilich auch an die
Lascivitàt und Geilheit des Esels , welche schon die Alten
kannten ( s. Bochart Hierozoic. L. p. 9. und Plutarch. dé
Isid. p. 363. p. 489 Wyttenb.) denken müssen,
156) Nuch Indischer Sage erscheint Ravan (Silen) nicht als
Begleiter, sondern als Feind des Rama ( Bacchus), und
wird auf einem Wagen von vier Eseln gezogen ; s. Stoll-
berg Rel. Gesch. 1. p. 422. und daselbst Maurice Ancient
History of Hindostan 11:
Hy.
der bekränzte Esel die Procession der Vesta bei dem
Jahresfeste im Junius an (s. oben II. Th. p. 634.). Esels.
hópfe an Triclinien bezieht man mit Wahrscbeinlichkeit
auf den Silenus 157. Der Esel war ja des Silenus Thier,
Zu Aristoteles Zeit und später verband man mit dem
Esel freilich die Begriffe der Langsamkeit und Trägheit
(s. Studien IL p. 274.), welche spätere Fabulisten dann
auch in die alte mythische Vorzeit zurück verlegten,
und dem Midas, des Orpheus Schüler, zum Zeichen sei-
nes langsamen Verstandes Eselsohren gaben. Da war
Midas, von undèr idóv genannt, der Unwissende. Or-
pheus aber war égoía $oví d.i. die beste Stimme
(Fulgentius lI. 9. 10. p. 730 sqq. Staver.). Dergleichen
kindische Etymologien verdienen wenig Aufmerksamkeit,
Desto mehr jene, welche neuerlich der geistvolle Hanne
auf eine andere Weise versucht hat, sowohl in seinen
Urkunden, als im Pantheon, und wodurch er die Be-
griffe dieses Bacchisch Silenischen Kreises: Gold, Wein,
Esel und Goldberg ( Meros) Bacchus, Silen, Midas und
dergl. aus Einer Wurzel abzuleiten bemüht gewesen ist.
Da ich mir bei dieser Schrift meinen eigenen Weg streng
vorgezeichnet habe, so hann es meine Absicht nicht
seyn, diese und andere Combinationen des scharfsinni-
gen und hühnen Mannes zu verfolgen, und z. B. der
Frage nachzugehen, ob denn Orpheus wirklich gänzlich
Ebräische Tradition und seinem Namen nach der Esels-
mund, der Weissageesel der Vorzeit sey. Es ge-
nügt mir auch hier, wie bei der obigen Bochartischen
Meinung vom Schilo - Silen und áhnlichen andern, meine
Leser auch nach jenen andern Seiten hinzuweisen, von
denen sich das dunkele Gebiet der alten Mythologie
Licht versprechen darf. Je mehrere Wege eingeschlagen
157) Hygin. fab. 274. p. 384, vergl. Meyer zu Winckelmanns
'" Allegorie. p. 733.
212
2.3
werden, desto besser. Nur Eigendiinkel und Beschrinkt-
heit kann den Wahn erzeugen, als habe man allein den
Richtweg gefunden. Wo Geist mit Wahrheitssinn und
Gelehrsamkeit sich verbindet, da wird kein Unbefange-
ner, wenn er auch nicht auf derselben Strafse wandelt
oder wandeln mag , sich feindselig oder vornehm abwen-
den. — Redende Esel sind also, wie wir sahen, dem
Bacchischen Mythus eigen, wie dem Bacchus in
Wort und Begriff die Wahrsagung. Silenus der Weis-
sager , wie wir ihn kennen lernen; wird in Kunstwerken
und im Mythus sehr bedeutsam vom Esel getragen, und
auch Apollo der Weissagegott hatte bei den Hyperbo-
reern seine heiligen dvoopayiar, seine Eselsopfer 15).
Aber auch unmittelbar und genealogisch hángt der Be-
griff des Silenus mit Apollo zusammen. In einer freilich
sehr rüthselhaften Nachricht bei Porphyrius (Vit. Py-
thag. p. 18 sqq. Hust.) ist dieser gar. des Silenus Sohn,
Pythagoras, heifstes, habe elegische Verse auf das Grab
von Silenus Sohn Apollo gesetzt, der vom Python sey
getódtet worden. Hier wechseln die Rollen der mythi-
schen Personen wunderbar: der hohe Gott Apollo wird.
zum sterblichen Dämon, und der unscheinbare Genius
Silenus zu! dessen Vater 15°),
158) Spanheim zu Callimach. Dian. 280. 283. vergl. oben.I.'Th.
p. 319.
159) Dieser Apollo, der hier des Silenus Sohn heifst, war
der Arcadische, der Gesetzgeber der Atcadier, wel-
cher eben daher den Beinamen N 47:05 haben sollte. Er
wurde vom Python getddtet und an dem sogenannten
Dreifufs (y 75 uahoyuéve rofroë:) begraben; s. Cicero de
N. D. III. 23. nebst meiner Anmerk. p. 6:6. Vielleicht
hängt es hiermit. auch zusammen, wenn Silenus bei Pin-
darus und Virgilius als Süánger erscheint; ein Umstand,
worüber Heyne seine Verwunderung ausdrückt, Silenus
aber als Singer und Prophet kann sehr gut Vater
21%
214
Doch wir haben ja zuvor schon den Silenus auch
Bacchus nennen hóren. Das allein hann uas schon
erinnern, dafs wir uns im Gebiet orientalischer Beli.
gionsideen befinden, worin die emanirte Potenz mit ihrer
Quelle in den verschiedensten Verhültnissen gedscht
wird. Zuvürderst halten wir in Bezug auf das Bisherige
den unbestreitbaren Satz fest, dafs in demjenigen Bae-
chischen Religionszweige, der von P hönicien und ans
dem hinteren Asien herüberzieht, das Symbol des
Esels mit dem Begriff der Begeisterung und Weissa-
gung von Naturgottheiten und Gebern des Weines eben
so sehr hervortritt, als das Stierhild. Sodann mer-
ken wir uns, dafs auch unter dem Bilde des Esels und
des Eselsgottes Silenus die Apollinische und die Bacchi-
sche Religion mit einander befreundet, und dafs unter.
diesem Bilde das ‚Weissagerische beider Religionen
vermittelt ist. Das Zeigt unter andern das väterliche
Verhültifs des Silenus zum Apollo und der Tribut,
welchen der Apollosohn Pythagoras diesem letztern ge-
rade zu Delphi bringt, d. h. an dem Weissageorte, wo
sich die Apollopriester und die Bacchanten, wie wir
des Apollo vos seyn, wenn man nur bedenkt, was die
Alten unter vj4ot verstanden — Gesänge, Gesetze;
womit übrigens die Beziehung dieses Apollo Nominus auf
Hirtenreligion, so wie auf den Dienst eines Landvolkes,
den wir bei diesem ganzen Myihenkreise nie aus den Aus
geu lassen dürfen, gar nicht geléugnet werden soll (s.
meine Commentt. Herodott. I. p. 202.3). Wenn übrigens
Porphyriusa a. O. weiter sagt, Apollo sey & vd xaAoupfvm
TQéíT0Ó:iin Tripode bei Küster |. | : begraben, und die
drei Töchter des Trio pus (Terirov) hätten. ihn dort
beklagt, sosehen wirden natürlichen Grund des Myihus in
dem Sonnengott, der jezt den Drachen, der Fäuhifs Bild,
erlegt, jezt von ihm getódtet wird im Laufe der drei
Jahreszeiten. Eingellüzelter 5ilen erscheint auf dem
Apollinischen Relief im Augusteum B.I. tab. 5.
215
oben sahen, so freundlich die Hände reichten; und so
konnte denn auch noch auf den Denaren der Marcier
zu Bom, deren Stammvater einst den Propheten Picus
und dessen Sohn Faunus zum Weissagen gezwungen
hatte, wie dort Midas den Silenus, Apollo mit Silenus
vereinigt erscheinen (Studien II. p. 275 ff.). Als Seher
und Propheten kennt aber der älteste Mythus den Sile-
nus. Schon Herodotus und die Logographen vor ihm
wissen von dem Rosengarten des Königs Midas zu er-
zählen und von der mit Wein gemischten, Quelle Inna,
wo der gefangene Silenus dem Könige hatte weissagen
müssen 160), Dort erzählt er bald von einer andern,
von der zweiten Welt, von dem Wunderlande Meropis
und von ihren seltsamen Menschen, Thieren und Pflan-
zen; bald singt er aller Dinge Anfang und die Götter-
geburt nebst der Urgeschichte der Vorwelt; bald zeigt
er dem stolzen Frager das elende Loos der Menschen,
und wie der Tod besser sey als das beschränkte, enge,
mühselige Leben. Da ist er der trunkene Dämon, der
gemüthliche, der harmlose, der freie, der gern in der
Nähe der Fluren und in stillen Wäldern lebt, der sich
160) Als Sylla von Griechenland nach Italien, mit seinem
Heere übersetzen wollte, soll in der Nàhe von Dyrrha-
chium bei Apollonia , an.einem wegen seiner merkwiirdi-
gen Naturerscheinungen heiligen Orte, INUpQ2o» genannt,
ein schlafender Satyr (xoqa«ijssvov Edrvgov, clov af whdora
wel youQetg elndlovorv) gefangen worden seyn. Man habe
ibn zum Sylla gebracht und durch viele Dollmetscher ge-
fragt, wer er denn sey. Allein seine Stimme, die theils
mit dem Wiehern eines Rosses, theils mit dem Blócken
eines Bockes viele Verwandtschaft gehabt, sey unver=
stàndlich gewesen , und so habe sich Sylla in Angst und
Besorgnifs von ibm gewendet (fxrAayevra viv Evlkay aTo-
SworopmjoasSar), Plutarch. V. Syll. cap. 27. p. 468. D. E.
p. 159 Coray.
21.
und Andere gehen läfst, der frei ist und Andere frei
macht, ein glücklicher Gefährte für Jedermann, vor
Allem aber ein liebender Gespiele der Kinder, und un.
ter ihnen der Scherze Vater, wie das Ziel des unschul.
dig neckenden Frohmuths. Darum trägt er auch den
zarten, heiteren Bacchus sorgsam in seinen Arwen,
Aber auch die Sprachlosigheit zieht ihn zu den zarten
Findern hin, und jene stille, sich selbst genügende Hei-
terkeit ist die ihm eigene liebste Stimmung; aher auch
jenes bedeutsame, vielsagende Schweigen gehört zu sei-
nem Charakter, jenes Schweigen, das sich im symboli.
schen Tanze nur mimisch äufsert, in den sprechendsten
Bewegungen — ja in ihm ist selbst der Ernst und die
Stille des Tod es versinnlicht 161),
§ 12.
Fortsetzung. Silenus. Acratus oder Chalis.
Das sind ohngefähr die Züge, welche der poetische
Anthropomorphismus der Griechen aus dieser uralten
Idee herausgebildet hat. Dals sie ihren symbolischen
Ursprung doch nicht ganz verlengnen können, ergiebt
sich bei einiger Aufmerksamkeit sogleich. Die religiöse
Sprache und Bildnerei der Athener läfst uns etwas heller
in diesem Dunkel sehen. Wir wollen auf sie achten.
Zu Athen sah man in der Capelle des Bacchus Melpome
nus, des Singenden (d. h. des Museníührers ; s. vor-
her p. 18:.). die Bildsáulen der Püonischen Minerva, des
Juppiter, der Mnemosyne, der Musen und des Apollo,
und daneben in der Wand eingemauert den Hopf des
Dimon Acratus ("Axpazog), des Begleiters von
Bacchus (Pausan, I. 2. §. 4.). Dieselben Athener ver.
ehrten im Canton Munychia einen Heros Acratopotes
161) Vergl. Studien II. p. 234 — 260.
3
217
(den Trinker des ungemischten Weines) nach dem Be-
richt des Polemo beim Athenäus (IL. 2. p. 49 Schweigh.).
Was das für ein Heros oder Dämon ist, werden wir so-
gleich gewahr, wenn wir beim Pausanias in der Beschrei-
bung von Árcadien ( Vlll. 39. fin.) weiter lesen, dafs
man zu Phigalia dem Dionysus selbst den Beinamen
Acratophorus (Geber des reinen Weines) gab.
So fallen also, bemerken wir vorläufig, jene Genien
des Gottes unter einem wenig veränderten Namen in das
Grundwesen selber zurück. Freilich müssen wir jener
ersten Stelle zufolge, wo ja Aeratus im Tempel des Bac-
chus seinen Platz hat, einen eigenen Genius Acratus an-
nehmen; und so haben denn auch die Neueren bei Er-
klirung alter Kunstwerke viel vom Acratus geredet,
freilich sehr oft mit sehr unbestimmten Begriffen, die
wir nicht weiter verfolgen wollen. Am besten hat der
gründliche Zo&ga das Wort gebraucht der es für den
Attischen Namen des Silenus nimmt 152).
Es kann nicht bezweifelt werden, daís Silenus und
Acratus Ein und derselbe Dámon sind. Nur hat uns
Pausanias nicht den ursprünglich Attischen Namen jenes
VVesens aufbehalten. Darauf mufs ich um so mehr éuf-
merksam machen, weil uns diese kurze grammatische
Erürterung dem Grundbegriff des Silenus - Acratus und
seinem "Verhültnifs zum Bacchus náüher bringen wird.
Chalis (yd) heifst der ungemischte Wein (dxgazoc)
bei den Atheniensern. So sagt uns der Scholiast des
Apollonius (L 473.). Da nun jener Genius offenbar da-
von den Namen hatte, so haben sie ohne Zweifel auch
ihn so genannt; und wollte man noch zweifeln, so
hören wir ja gleich vom Eustathius (zur Odyssee HI.
462) S. Bassiril. I. pag. 32 sq. vergl. de Obeliscc. IV. 2. 3.
p. 487. 495. Not. 81 — 83, und Abhandll. herausgeg. von
Welcker p. 26 sq. Not.
21.
p. 132. 14), dafs Dionysus selber Chalis hiefs.
Gott und Gottesgabe hat auch hier wieder Einen Namen,
Aber nicht in alle Wege hiefs Bacchus so, sondern als
Geber des reinen Weines, als Geber des Wundertranks,
der die Besinnung raubt denen, die ihn trinken, wie
Hipponax gesungen hatte. Es war der Bacchus , dem
man im reinen Weine das Trankopfer brachte; denn
den gemischten Kelch spendete man dem Juppiter dem
Better (Zedès cœtñp) ; den reinen Becher weihete man
dem Dionysus , eingedenk der guten Gabe, und bei die-
sem Trankopfer hiefs er der gute Geist 6%). Dicse
Opfer hatte schon Aeschylus omordal xoAixpnros ge-
nannt (Eustath. a. a. O.). Sie galten dem Chalis. ' Der
Name wollte in allen Beziehungen nichts anders sagen
als Lyüus (Avaiox) , der Lóser, der Freigeber 164,
163) 'Avya3ó; 9aiuuv ; Athenüus XV. 5. p. 459 Schweigh. Dio-
dor. Sic. IV. 3. und dort Wesseling.
164) Casaubonus zum Athenäus I. pag. 85. vergl, das bereits
vorher(p. 110.) Bemerkie, Es gaben aber die Alten noch
andere Erklärungen dieses Namens an, worunter beson-
ders die zu bemerken sind, welche Eustathius angiebt
zur Odyssee XXI. 293 sqq. p. 760 fin. und p. 761 supr. ed.
Basil. Der Wein, sagt er, im Uebermaafs getrunken,
entfesselt die Leidenschaften , unter andern den Zorn, und
giebt zu Krieg und Streit Veranlassung. Daher ist
Dionysus (ó «av cive» Aévorog) recht passend als A va?og
bezeichnet worden, eben weil er Streit erregt — 2 ét
CTACLAT TYG, Wack Tyr AU yy You cráGiv, X &avrios 9
alu asTy piv Yay mad to slay aly, E yEyovey, Snsivy 88 wu.
e£ rà Avaw u. s. w. Daher vergleiche man auch den Bac
chus ganz richtig bald mit einem stiere, bald mit einem
Panther, weil die von Wein Berauschien sich gewaltthä-
tigen Handlungen Gberlicfsen. Denn wegen des Zornes
kónne man Trunkene mit Stieren, wegen der Wildheit
und wegen des kriegerischen Wesens, welches viele in
diesem Zusiande befalle, mit Panthern vergleichen --
A^
219
Er 18sete und befreiete in jedem Sinne: Geist und Leib
und der Zunge Fesseln. Alle diese und jede hóhere Be-
deutung lag in dem vielsagenden Worte y aA gv, womit
ja X4 Aug zusammenhängt. Jenes Zeitwort brauchen
die Philosophen namentlich da, wo sie von der Freiwer-
dung der Seele aus den Banden des Leibes und von ih-
rem Anfsteigen zu den hóheven Sphàáren reden 165),
Aber es hezeichnete auch Fessellosigheit und Ausgelas-
senheit, welche eine Folge des Rausches ist. Daher
hiefs eine Frau, die sich im Orgiasmus allen Ausschwei-
fungen überläfst, und auch jede orgiastisch rasende Bac-
09d 03 «al ra go ragd re dow wal AvndDpove, Frı 88
rayddher 6 Aidvuoos evdierar, did và moós Bíav TçêTE-
c9aí uot rots fonwlévras. Kard yag mv TAAwnaiov pou-
cay, Ghiors wy (rshiudys 5 cluog 8 8 px va "Opygos, dren
re 8 CiVreço, TerBékev. maSore près ody Supawóv Ó ralges dg
Edyemidyy Duioi &v vd, radgor & vBpioral sip wfpag SuuoJjsvor
vGdpotg e«acTEoy TOUS EXoívoUs. wa9d Óé pdopiuot wal Dupuis, d
pus ior yfvovrat, majüd)sg áJÀws olov oi rotoUTor, Oud Td dv
aivds Quote magdalddss. of cUj.BoÀóv T1 wal * mag0diw, Mv 9
abvınymarında coQpía. Qoguisa to Awwow Oi9ociy. "Opa 38 xai và,
GEUrsgos TpiBdAwv , 8 of Omhoïrar ds 6 Asrydjaevos womáis £5;
olvos TB mehmdel dvriaorédderar you, Ó8 Toro Off, wg
Qyow ’A9yvaros wagd 'HoawAsdvt & Tj, To oUdviov
dy w» ES nai vov4oív. — Mit dieser ganzen Stelle vera
gleiche man Athenaei Epitom. libri II. p. 38. E. Tom. I.
p. 147 Schweigh.
165) Wyttenbach zu Plutarchus de S. N. V. p. 119. — So war
Bacchus auch der Urheber von Freundschaft und gegen-
seitigem Wohlwollen , das durch den Genufs seiner Gabe,
des Weines , entsteht: 540033 vo) Aucvucou (sc. Épyov) £94
xai olivos , GAN Hv umordlow Sia ros Twv (uAoQgocUyw) nai xoSoy
wal Suihiay wa cusysiay weds dÀÀwAovg *; Plutarch. Sept. Sa-
pient. Conviv. p. 156. C. p. 6:6 Wyttenb. Einige mach-
ten auch den Bacchus zum Sohne der Lethe, der V er-
gessenheit; s, Plutarch. Symposs. VII. 5. p. 705. B.
p: 903 Wyttenb.
chantin yalıpds und yakıpla 166), Daraus ergiebt sich,
dafs in der Benennung Chalis Bacchus, Silenus, die
Baccha und die personificirte Trunkenheit Methe (wos
von nachher) sich vereinigen, oder vielmehr, dafs der
Gott mit diesen seinen Dienern und Dienerinnen, wie
die Gottesgabe des reinen Weines selbst, eines wie das
andere Chalis ist 167),
M ip ten tti
166) Letzteres beim Aeschylus, wo jedoch die Handschriften
X22, haben. Daher auch yaAudéev oder vielleicht auch
X245 bacchari, scortati, ingleichen xag» amens,
vecors und axçoydliE oder duçoydis ebrius und éyxadé,
merum ( Étymolog. magn. und Hesych. I. p. 207. 11. p.
587 ed, Albert. mit den Auslegern). Ueber gadiqees , Ya
At; u. 8. w. vergleiche man auch Apollonii Lex. Homeric.
pag. 705 ed. Tollii, wo Villoison eine lehrreiche Aumer-
kung aus dem Grammaiiker Philemon beibringt. S. jezt
Philemon. Lex. p. 116 ed. Burney. — [n der Stelle des
Eustathius mufs dreimal statt Arovlovos verbessert werden
Auivucos , was weiter keiner Rechtfertigung bedarf.
167) Eustathius zur Odyss. XVII. 210. p. 625. 1. 3 sqq. "Ieréoy
8: Sri avec vv xai rd pes "Opeyçoy, fupaoës Bose Tal
vars: wai jadAiora og Ende rai; vylow Aéyerar oly "A ix.
Qinriwy Basel ' A9qvaioy Bwpoy dvacrthons Arovsaw, nai
Eregov Bupëy Defaar Sac Tale vdppau, éyyds auroù. Urénvyud Que
e: Séjasvos rois gewpévors n,drews olvou xçès Vôwp. wv nurd Tr
vas, MslduTous T(Ÿres éjeûve u.s. w. Nach Andern solle
dies Amphictyon zuerst gethan haben. Es folgen noch
weitere Notizen über die Nyniphen als Ammen des Bac-
chus, über den Genufs des gemischten und des unges
mischten Weins, über den Becher des Acratus , des Zeus,
des Dionysus u.s. w. beiden Mahlzeiten , über den run-
den Hain der Nymphen auf Iihaca, über die Heiligkeit
und Bedeutsamkeit der runden Form bei den Alten, über
die Altáre (Buuoí), über die Form der Becher (vom Ne-
storbecher?, über die symbulische Bedeutung der runden
Gestalt bei Tischen, Tischgerithen, in Beziehung auf
das Weltrund (Alles aus dem Athenäus lib. IF. p.38c.
P- 145 Schweigh. vergl. XI. p. 464. und Philochori Fragg.
226
221
Treten wir aber doch dem Genius Acratus - Chalis
etwas näher. In jener Bacchuscapelle zu Athen sah man
blos ein Gesicht (xeösorxov) von ihm in die Wand ein-
gesetzt. Wir lesen an einem anderen Orte desselben
Schriftstellers (Pausan. Phocic. 19. $. 2.) auch von einem
Gesicht (xpoçomor) des Dionysus (Acôvvaos Kepahkÿr},
das die Methymnäer auf Lesbos anbeteten. Es war von
Oelbaumholz, und hatte zwar etwas Gôttliches, aber
etwas sehr Fremdes und gar nichts von Griechischen
Gütterbildern, wie dort ausdrüchlich bemerkt wird,
Auch die Nympheen zu Athen waren ausgeziert mit Mas-
hen vom Juppiter- Silenus, dem Vorsteher des feuchten
Elements, und des Pan, des Befruchters der Wilder.
Das sieht man noch auf drei Reliefs aus Athen, zwei im
Museo Nani zu Venedig , und eines dem Engländer Wors-
ley gehórig. Auch sieht man die Silenusmaske mit einem
Adler hinten auf einer Münze von Tuder, und so kommt
die Maske des Silenus auf mehreren Bacchischen Bild-
werken vor. Sie hat auf Dionysus Tragódus und
auf scenische Vorstellungen Beziehung, woran wir
auch zugleich bei dem obigen singenden Bacchus den-
ken müssen, welchem Apollo und die Musen beigesellt
sind. Das ist die eine Seite der Sache, die Griechische.
Aber nun denke man an des Fremdartige, was jener
Dionysuskopf der Methymnier hatte. Zugleich er-
innere man sich an die obigen Nachweisungen (I. p.502.)
pag. 22 sq. ed. Siebelis), — Hierher gebórt die Ausdeu-
tung , die Manche der dem Bacchus beigesellten Nym-
phenmenge gaben, beim Plutarchus Sympos. Il. 9.
p 657. p. 681 Wyttenb. ,, Dem. Dionysos gesellten sie
deswegen mehrere Ammen zu, weil es néthig sey, diea
sen Gott durch mehrere Maafse der Nymphen (£y mAsíoet
pézQois vujQQv d. h. durch reichlicher beigemisehtes Was-
ser) gezähmt und gezogen, sanfier und vernünfuger zu
machen. ¢¢
ny
von dem Gebrauche, den die Aegyptier von den Maskei
gemacht haben, und bemerke den bestimmten Satz , dáfy
dieses Volk den Vater der Gütter oft blos als Maske
vorstellte 15%). In allen diesen Spuren wird man wohl
wieder das dgyptisirende Athen erkennen, und «
nicht in Abrede stellen, daís wir hier wieder an des
Dionysus vom Nil her zu denken haben, Denn ob wir
nun Dionysus oder Silenus sagen, ist, wo von Ut.
sprung und Grundidee die Rede ist, ganz einerlei. Ha.
ben wir doch Zug vor Zug sus Griechischen Quellen
bewiesen, dafs, was an einem Orte von Silenus gesagt
wird, an andern dem Dionysus beigelegt ist. Dort in
Aegypten aber lehrte man ja von einem Gotte, der als
Lichtschatfer und Schópfer Amun, als bildender l(ünst.
ler Phthas, als Wohltháter Osiris sey, und dés Osiris
Name bezeichnete auch die wirkende und wohlthätige
Kraft (ZyuSoxotor) 16%), Also in der Aegyptischen ''hebe
ein Amun- Osiris, wie zu Athen ein Juppiter-Silenus,
und ein guter Gott, ein «4yoaSozoióc, wie in Hellas
ein guter Geist, áyoSoóciuor, ein guter Dio.
nysus 179),
168) Zcëga de Obelisce. p. 457. 459. vergl. Bassiril. I. p. 32,
169) Plutarch. de Isid. p. 368. B. p. 501 Wyttenb. vergl. Jam-
blich. Myst, Aegypt. VIII, 3.
170) Zoëga (Abhandil. p. 26. Not.) bemerkt, dafs die Silea
.nen, die man als Genossen und Gatten der Najaden (Ho-
mer. Hymn. in Vener. 263.) betrachte, in Hinsicht der
über die Oberfläche der Erde ansgestreueten Wassers
adern und Quellen dasselbe seyen, was in Bezug auf das
ursprüngliche Meer Oceanus und Tethys. Wie den sal-
zigen Wassern die Kraft des Hervorbringens beigelegt
werde, so den süfsen die des Ernährens ; und wie Ocea-
nus nnd Tethys die Erzeuger aller Gó!ter seyen, so die
Silene und Najaden die Ernührer oder Erzieher der Land-
gottheiten,
az)
Aus dem Wasser gehen alle irdischen Dinge hervor.
Die wallende Feuchtigkeit und die treibende Erdkraft
ist in der unteren Sphäre zusammengebunden, wovon
der Krug, der die gute Gabe des Gewässers fafst, das
natürliche Bild ist. Darum wird der ‘gute Gott, der
Vater der irdischen Dinge, in der Eigenschaft der Erd-
und Wasserpotenz zum Kruggott. Das ist Canobus oder
der alte Serapis. Das ist auch Dionysus der Erdgott
(ySévios). In der Tiefe der Gewässer hausen die Weis-
sagekräfte und die Prophetengeister Proteus, Glaucus
u.s. Ww. Aus den wallenden Diinsten der Erde steiget
durch die heiligen Schliinde Sehergabe und Begeisterung
auf. Daher weissagt Serapis zu Canobus, wie Bacchus
in Thracien und am Schlunde zu Delphi Orakel giebt.
Auch zu Dodona, bei Juppiters Orakelkesseln, holt sich
der rasende Dionysus die Besinnung wieder. Da trägt
ihn der redende Esel trocken durch den See. Also tel-
lurische Seherkraft, VVasserorakel (Hydromantie), Erd-
gottheiten, Schôpferkraft aus der Tiefe wirkend, Krug-
gottheiten und Orakelkessel sind die Begriffe, die hier
nahe an einander grünzen. Alles dieses trifft im Silenus
zusammen. Er heifst bald der Nympbhe Schn , bald Ge-
mahl der Najade, bald Sohn der Erde, bald aus des Ura-
nus Blut entsprossen, bald wird er Vater des Apollo ge-
nannt. Er ist der Weissager , er weifs von der Dinge
Ursprung zu erzühlen; er weissagt am See als begei-
sterter Eselsgott, und der redende Esel trügt den Dio-
nysus über den See zum Juppitersorakel hinüber. Also
wieder: Dionysus-Silenus-Juppiter; und Juppiter der
Hesselprophet zu Dodona, wie Silenus der weissa-
gende Nymphensohn an der Quelle Inna, und
wie Juppiter-Silenus der feuchte Gott in den Nym-
pheen zu Athen. Dafs auch das ältere Griechenland
seine Kruggütter gehabt habe, ist oben wahrscheinlich
gemacht worden. Als Silenus war er’mebr der dick-
224
báuchige Zwerggott. Und auch als solcher kam er ay
Aegypten her. Das hatte ja den Zwergdämon Gigon
geschickt, der unter andern auch ausdrücklich Dionysus
heifst. Wir hörten ihn oben bald Tischgott nennen,
bald Tänzer. Welche Erklärung gelten mag, wir ken.
nen ja den Weindámon, den guten Geist Chalis schon,
dem die Tischgesellschaft das reine Tranhopfer brachte;
wir kennen auch den mimischen Tünzer und Choragen
Silenus (Studien ll. pag. 255.). "Oben haben wir diesen
Gigon in seinem Ursprung erkannt. Dort sahen wir ihn
auch als Ministranten bei der Zeugung der Harmonia ge.
schäftig, als das personificirte Frohlocken
über dem Schópfungs werk (oben II. Th. p. 310,
324). Aber auch den Phallusgott erkannten wir in ihm;
und wie Silen des Hermes Sohn hei(íst, so ist ihm auch
der Hermes ithyphallicus nicht fremd. Auch in der Ei.
genschaft des Esels nicht. Als redender Dionysus- Esel
streitet er mit Priapus über das Zeugungsorgan, und
wird von ihm im Streit erschlagen. Dafür leuchtet er
aber wieder durch Bacchus Veranstaltung unter den Ster-
nen 171), Durch das Geschrei des Silenusesels waren
auch die Giganten verscheucht, und das Erdfeuer Vesta
gegen Priapus gerettet.
Es möchte wohl jezt vergeblich seyn, den bestimm.
ten Sinn. jeder dieser Mythen anzugeben, Dafs sie kos-
mogonischer Art sind, leidet keinen Zweifel. Por-
phyrius 172) hatte den ganzen Silenus in diesem Geiste
aufgefafst. Er warihm das Symbol der Bewegung, die
vom Welthauch ausgeht und zur Weltentsteliung noth-
wendig mitwirkt. Dies führt der Philosoph im Einzelnen
durch : des Silenus Liebe zu den Blumen und sein Rahler,
171) Hygin. Poet. Astronom. 23, p. 474 Staver.
172) beim Eusebius Pr. Ev. Ilf. vergl. Studien II. p.257 ff,
225
schimmernder Scheitel bezeichnet die himmlische Sters
nensphire; das vom Hinn herabwallende Barthaear. ist
der schwere, zur Erde herabhángende Dunstkreis. Hier
ist der alte Naturgott im Geiste der Orphischen Ueber:
bleibsel gedeutet, worin auch die Natur als ein hór-
perliches Ganze erscheint. Mag Porphyrius im
Einzelnen gefehlt haben; die Summe der mythischen
Charakterzüge dieses Wesens , die ganze, noch im Denk-
malen sichtbare, seltsame Gestaltung desselben bürgt
uns dafür, dafs er es im Ganzen richtig aufgefalst hatte;
Man künnte daher den Silenus vielleicht die halbverhór-
perte Weltseele nennen, die Formlosigkeit im Streben
nach der Form; oderim physischen Sinne: den feuch-
ten Odem, der nach Aegyptischer und alt - Jonischer
Lehre die Sterne nähret, wie denn Silenus auch im My-
thus das Erdfeuer rettet; Er kônnte also die Präfors-
mation des Bacchus heifsen,: oder der Stoff und
das Streben, woraus die bunte Welt des Dionysus wird 179;
Darum ist auch oft die blofse Maske seiu Bild, und die
Silenusmashe ward ohne Zweifel in alten Tempeln auch
473) Nach Sickler im Cadinus p. CVIIE. ist Silenus t5 — 156
die vollendende, Lob und Dankopfer brin-
gendeund preisende Kraft, hierin ganz überein-
stimmend mit seiner Bezeicbnuug im drei und faufrigsten
Orphischen Hymnus vs. 4. als Si476v vouíso TéAerd ys,
Opferanführer des Bacchisch - Dionysischen
Chores. Der Satyrus hingegen (p. CVI.) sey zu einer
Bezeichnung der Art und Weise geworden, unter welcher
die Dionysuslehre unter den Menschen erschienen. ‚Sein
Name selber drücke den feds Ayes oder das Mysterium,
worin diese Lehre vorgetragen worden, aus, und so
hiefsen Edrugos "PO (Sathyrei) die Symbole der Ver-
bergung oder Verhüllung. — Im xoi; 2óyo; bin»
gegen möchten dieselben wohl nur als ein Zeichen des
durch den Wein befórderten Geschlechtstriebes und der
Fruchtbarkeit gegolten haben.
lll.
1^
22
bei scenischen Darstellungen der Hosmogonie ge.
braucht. Darum heifst er bald sein Pflegevater, bald,
wie wir sahen, Bacchus selber. Es dürfte nicht leicht
einen mythischen Charakterzug des Silenus- Acratus ge.
ben ; der sich von dicsem Standpunkte nicht ungezwan-
gen erklären liefse, von der hohen Wirde des sinnvollen
Sehers an bis zum burlesken und bchaglich trägen Schlem-
mer. Den gebundenen Propheten Silenus glaubt Lanzi
(Vasi pag. 144-) auf einem Vasengemälde zu sehen; den
liebenden , gemüthlichen Bacchusgefährten zeigen uns
die Kunstwerke häufiger, und in den mancizfaltigsten
Lagen: bald den Bacchus, seinen Zügling. streichelnd,
bald fahrend auf einem Wagen, ófter in alier Bequem-
lichkeit auf einem Esel reitend, oder auch auf einem Lid.
wen oder Panther; bald schlafend und gestützt auf einen
Satyriscus. Zuweilen schen wir ihn mit dem Schilde be-
waffnet (wie bei Zoëga Bassiril. I. nr. 7.), oder auf dem
Relief in der Villa Borghese, wo er mit seinem Schilde
von einem Elepbanten herabfállt (Winckelmann Monumm,
p. 01.) Was man überhaupt gleichsam sprichwörtlich
sagte, was dem Ares der Schild. sey, das sey die I'rink-
schaale (Gid\n) dem Dionysus 179), das galt eigentlich
von einem Theile des Bacchischen Gefolges ; von Nie-
mand aber mehr als vom Silenus... Auf ihn hann man
anwenden, was Aristides sagt. (Avovvo. pag. 29 Jebb.) :
statt des Schildes führet er den hohleu Becher. Er ist
der burleske Soldat des Dionysus, wie ibn jene schlechte
174) Aristotel. Poetic, cap. XXI. §. 12. p. 55 ed. ITerm. coll,
166. Aéyu 8% oley Spows yer Quidn mos Ave wil 4778
Ti66 " Agup. Sl coivov wai Tw» dccióz Quia. "Agsws wid vus
Qualyy acxida Aecysaeu ; wo Hermann in der Note auf Athe-
nàus p. 435. D. und auf Aristoteles Rhetor. IIl. 4 und 11,
verweist. Damit verbinde man noch Wyttenbach ad 5e-
lect. Histor. Graeco p. 375. und Nonnus 1X, 125.
10
227
Haltung ‘zeigt, die er als Reiter bewies, Gleichwohl
will er als ein rechter Hriéger angesehen seyn. So làfst
ihn wenigstens Euripides im Cyclopen (vs. 6.) sprechen.
Dort rühmt er im Prolog die Dienste, die er dem Bac-
chus in der Gigantemechie geleistet; und wie er mit ei-
gener Hand den Enceladus durch und durch gebohrt
habe. Als iiles gloriosus batte ibn Euripides anfgetafst:
Es hónnte ihn also auch der Künstler der Dresdner
Minerva auf dem Peplus so gebildet haben. . Ob die Fi-
gur nun wirklich ein Silenus sey ; mufs nähere Unter-
suchung des Kunstwerks selber zeigen.
Das war also der Silenus, in der gewöhnlichen Fä-
bel des Dionysus Vater, ursprünglich aber mit ihm Ein
Wesen. Als Chalis- Acratus hat er und Bacchus die
Methe ( MéSn ) zur Génossin, d. h. die personificirte
Trunkenheit; Sie ist als Folge von ihrer Ursache, dem
reinen W eme, nicht trennbar. Sié nennt daher auch
beim Nonnus (XIX, 27.) den Dionysus ihren Vater, Gat-
ten und Sohn zugleich; und in einem Tempel zu Elis war
sie abgebildet, wie sie dem Silenus cinen nit Wein ge-
fiillten Becher reichte (Pausan. VL 94. 6.6.) Auch
hatte sie der grofse Praxiteles in einer Cruppe mit Bae-
chus und mit dem berühmten Satyr vereinigt ( Plinius
XXXIV. 19; 10). Pausias, der Maler, batte sie trin-
hend gebildet; so dafs man durch die gläserne Schaale
das Gesicht hindurclischiminernsah (Pausan. II. 27. 6.8.)
Noch ist sie auf verschiedenen Bildwerken zu sehen,
z. B. auf einer grofsen Marmorvase aus guter Zeit mit
vielen andern Bacchischen Begleitern; Dort macht sie
die charakteristische Binde kenntlich (Zu&ga Dessiril:
nr. 7i. 72.) Anch über ihren Namen hat man viele Etyz
mologien ersonnen ; aber da der Begriff, nach dem, was
wir eben! tiber Acratus- Chalis und Lyáus bemerkten; 80
nahe liegt, so enthalten wir uns aller weiteren Erörtes
rung: Jene Binde sollt gegen den Kopfschmerz vom
225
NXVein schützen. Ein anderes Schutzmittel war, nach dem
Glauben der Alten, dem noch Albertus Magnus anhing,
der Amethyst, oder ágé9vooc, wie man diesen Edelstein
von seiner wunderbaren Wirkung genannt glaubte 175),
Aueh Maron (Mdpwy) wird unter Bacchus Ge.
fáhrten ausgezeichnet. Er weicht eigentlich nie von sei-
ner Seite. Bald lenkt er dessen Wagen, bald finden
wir ibn tanzend oder trunken. Schon Homerus kennt
ihn als des Euantheus Sohn (Odyss. 1X. 197.). Hiernach
wire er des Dionysus Enkel von der Ariadne. Hesiodus
nennt ihn Oenopion's Sohn, Nonnus aber Sohn des Si-
lenus. Jener Oenopion, des Dionysus Sohn, hatte
die Bewohner der Insel Chios 17%) zuerst die Anpflanzung
175) Heliodori Aethiop. V. 13. und daselbst Coray. Plinii H.
N. XXXVII. 40. uud daselbst Harduin. vergl. Moser zum
Nonnus Xil. 381. p. 262. Uebet den fabelhaften A me-
thyst finden sich auch in der Anthologie zwei Epigram-
me, s. Martini Excurs. V. ad Ernesti Arcbaeolog. liter.
p. 158. Man legte auch gewissen Pflanzen jene Kraft
bei (Athen. I. p. 34. p. 129 sqq. Schwgh. und über den Edel-
stein wie über das Kraut Amethyst Plutarch. Sympos. Qu.
HI 4. p. 647. p. 632 Wytt.).
176) Wie Naxos, so erscheint diese an trefflichem Wein so
ergiebige Insel Chios als ein Hauptsitz Bacchischer Re-
ligion. Die Münzen und andere Nachrichten, die ich
weiter unten gelegentlich beifügen werde, liefern davon
hinlánglich den Beweis, Eine dagegen in der Nähe von
Chios liegende kleine, an Wein unfruchtbare Insel,
Psyra genannt (Yıpa — bei Homerus heifst sie Yuciy
Odyss.111. 171.), scheint eben daher Veranlassung gege-
ben zu haben zu einem Sprichworte, dessen Alcman, so
wie Cratinus (beim Photius Lex. p. 477 Herm.) noch er-
wähnen. Man sagte nämlich, wenn Niemand von ‚dem
auf der 'l'afel aufgestellten Weine kostete, so wie über-
haupt von schlechter Bedienung , Anstalten u. s. w. , oder
von gemeinen, geringen. Dingen (&ri T&y evré)eras oypau-
vovrwyr: Viça Tôv Arcvucoys s. Alcman. Fragm. XL.
p. 54 Welck, nebst Suidas LII. p. 709 Kust, Erasmi Adag.
e
220
und Wartung des Weinstocks gelebrt, welche Kunst
dann die Chier den übrigen Sterblichen mitgetheilt ha-
ben 177). In Aegypten sollte der Name Maron durch
den Mareotischen Wein verewigt seyn. So fabelten die
Griechen. Auch Maronea in Thracien hatte von ihm
den Namen 178), Diodorus kennt ibn unter den Beglei-
tern des Osiris (I. 58 sqq. und daselbst Wessel. vergl.
Moser zum Nonnus p. 247 sq.).
Auch der blühende Weinstock war in diesem Alles
belebenden Mythus zur Pérson geworden. Es war Am-
pelus CApmeXoc), einer der jüngsten Begleiter des
Dionysus Ob er schon in alten Dionysiaden vorham;
wissen wir nicht. Jezt finden wir seinen Namen nur bei
Nonnus 17%). Dort erscheint er als Sotyriscus mit dem
kleinen Sehweife. In anderer Beziehung nennt Ovidius
und sonst ein und dcr andere Schriftsteller einen. Àm-
p. 85. und über die Lage der Insel: Strabo XIV. p. 645
Cas. pag. 559 Tzsch. Chandler's Reise in Griechenland
p.3 der Leipz. Ausg. und über die Münzen vom Sicilischen
Naxos s. P. Knight symbol. Lang. §. 112.
177) S. Eustathius zur Odyss. 11.340. p. 101 Basil. aus Athe-
näus ; vergl. Chandler's Reise in Kleinasien p. 75. Auch
das Schol. cod. Harlej. zu Odyss. 1 X. 197 sqq. sagt, nach
der Verbesserung von Porson: rèv Mdçuva sivas Olverieves
7oô Acvuoov. Man vergl. auch Eckhel D. N. V. Il. p. 34.
178) Mehreres über Oenqpion , Maron , Dionysus, dessen
Begleiter Maron ist, so wie über die Thracische Stadt
Maronea, deren Bewohner sich durch ihre Liebe zum
Wein, welcher wegen seiner Stárke berühmt war, aus-
zeichneten , giebt Eustathius zur angef. St, der Odyssee 1X.
197. p. 347. lin. 24 sqq. Dasil.
179) X. 178. 198. 208. 807. XI. 186 sq. Stellen, welche die
Satyrnatur des Ampelus treffend bezeichnen, Sonst
kommt sehr häufig im X. und XI. Buch des Nonnus der
Name des Ampelus vor, z. B. X. 239. 263. 286. 317, 353.
413. 416. 424. XI. 10. 25. 39. 84. 116. 190. UT
x
pelus (Moser zum Nonnus pag. 243). Auf Bildwerken
machte Winckelmann zuerst wieder auf ihn aufmerksam,
Auch Zo&ga (Bassiril, LI. pag. 32 sqq.) hat auf ihn hinge.
wiesen, der uns auch meldet, dafs man den Namen des
Ampelus auf einem Sarkophag gefunden 180),
150) D rjenigen Etymologie der Alten, welche &umedes fir
ideuiisch mit «reos ciklárte, d.i. das Gewüchs,wel-
ches Lehm (75236;) entháült, babe ich in den Ho-
mer. Briefen p. 215, Not. gedacht, Sonst unterschieden
die Alten. verschiedene Arten von Weinstócken, 5;4cç6,
avadedyds , EusTds , crorgds (Eustathius zur Odyssee V. 69.
p. 20. lin. 30 sqq. Basil.). An ersteren Namen xuspís ist
auch wohl bei dem Bacchus z 456/056 zu denken, wel-
cher bei Plutarchus de esu carn. p. 13l. (p. 991. A. p.39
W vttenb ). mit dem Bacchus ueéyrog in Verbindung ge-
nannt wird. Deun die Hebe soll zzs;/& genannt worden
Seyn, weil sie das Zeichen der menschenbegliickenden
Erscheinung des Bacchus auf Erden ist, wodurch unier
den Menschen mildere Sitte end Lebensart verbreitet wor-
den (ZZwmsqw2 évrwy ajos riy Tsçi TôV Bicy) 3 8, Julian.
Oratt, Vid. p.221 B. Eustathius (zur Odyss. 1X. 110 sq.
p.240 lin. 32 sq. Basil.) verbreitet sich dann weiter über
den wild wachsenden Wein, so wie über den von
Menschen gebauten, über die verschiedenen Farben
des W eins, als Aev4c,, wcQós (gelber, d ij. unser weif:erWein)
und eras (zu vs. 156. p. 317. a. a. O. mit Verweisung auf
Athenàáus S. lib. I. p. 97 — 128 Scbwgh.), über die Mittel
gegen die "l'runkenheit und über die wahren Tugenden
des Weins. Als Weine, die durch ihre Stärke sich aus-
zeichneten, nennt Eustathius (p. 318. lin. d$ sqq. a. a. O.)
den von Maronca, den im Inneren Asiens, den von Mes
litene in Armenien, lobt auch Griechische Weine, wie
den von Thasos ‘ pag. 360 und 361. a. a. O.). An einem
andern Orte (zu KOdyss. XUV, 463. p. 538 Basil.) gedenkt
er anch des Weins von der Insel Sciathns (Zus),
und fü'nt eive Stelle an, wo dieser Sciathische , Wein
schwarz £25) heif-t; wobei er denn auch eines Bac-
chisehen Sprichwort:s gedenkt: cds Advuooy 76 pmsdioar pd.
vou, ef OF vioy 9 vaÀau» ed we lvTyne.
A0
$651
$. 13.
Pan,die Pane und Panisken.
Sie sind die eigentlichen Krieger; des Bacchus. Da-
her sehen wir auch Pan und Pane da bedeutend hervor-
treten, wo es Ernst gilt, wie auf obigem Relief mit dem
HKampfe des Lycurgus. So steht auch Pan sehr bedeut-
sain neben dem Gnadeverleiher Dionysus nach dem Siege
über seine Feinde (bei Zoüga Bassir. nr. 75. *). Hin.
gegen bei festlichen Processionen und religiösen Darstel-
lungen des Bacchus wurden die Pane gewóbnlich weg-
gelassen, wie in jener Pompa des Ptolemäus zu Alexan-
drien, wie in der Procession zu Rom hei Dionysius von
Halicarnafs (am Ende des sicbenten Buchs). l'an selbst
aber, der Vater Pan, war und bicls Baxyevric 181),
d. h. ‘er war im Bacchischen Religionssystem eine stän-
dige Person, und wesentliches Mitglied der religiósen
Orgien und Feierlichkeiten jeder Art. Auch stand in
den Nympheen zu Athen und steht noch auf vielen Bild-
werken seine Maske der Silenenmaske in einem allgemei-
nen Sinne gegenüber, wie er auch dem Dionysus selbst
in vielfältigen Lagen zugesellt erscheint,
Die VVaffenbrüderschaft heider Wesen mag uns zur
allgemeinen Erkenntnifs des Pan und seiner Sóhne über-
haupt führen. Der Name Soldat des Bacchus wird dem
Pan ausdrücklich beigelegt, so wie man auch dem Dio-
nysus selbst einen Beinamen gab, der sonst dem Ares
zukam. Auch er heifst 'E»vcá3iog ( Macrobius Saturn. I.
19.), über welches Mazochi (ad tabb, Heracl. I. p. 138.)
Mehreres beigebracht und unter andern aus dem Scho-
liasten zy des Sophocles Ajax vs.179. (vergl. oben 11. Th.
p. 610.) u. s. w. gezeigt hat, dafs dieser Beiname meh-
*) Vergl. unsere 'T'afel LIT. nr. 1.
181) Orphei hymn. XI. (10.) 5? Aristid. Oret. in Neptun;
p. 58. vergl. Lanzi Vasi p. 86.
252
reren Wésen zukam. Doch ist er geneigt, das ‘Evevd.
Àvoc auf der bekannten Mastrillischen Vase nicht auf Bac.
chus. sondern auf Hercules zu beziehen. ‚Als Mitstreiter
war Pan schon dem Osiris zugesellt. -In dieser Eigen»
schaft erscheint er wenigstens bei Diodorus (I. 18.). Dem
Dionysus war er aber, nach seiner Aeufserung (bei Lu.
cionus Dialog. Deor. XXII. $. 3. Tom. H. p. 77 ed. Bip.),
vollends ganz unentbehrlich, Daher sehen wir ihn unter
andern in Bacchus Heere auf dem Indischen Zuge (bei
Nonnus XXXIL 2727.) , ohngeachtet dieser Panopolitani-
sche Dichter übrigens den Pan ziemlich selten in seiner
Dionysiade anführt. In der mythischen Hriegsgeschichte
bei Polyänus hat er dafür sein eigenes Capitel (I. 2.).
Da heifst er des Bacchus Feldhauptmann, und unter
andern tactischen Erfindungen spüterer Hriegswissenschaft
wird ihm dort die Rettung des Bacchischen Heeres aus
einer grofsen Gefahr nachgerühmt. Das Rettungsmittel
war jenes wilde und vom Wiederhall der Wälder und
Felsen tausendfältig verdoppelte Geschrei gewesen , wo-
von seitdem die nächtlichen Schrecknisse, welche ohne
Grund Kriegsheere verwirren, Panische heifsen 182),
Von, diesem Mythus hat Bochart (Can. I. 18. pag. 444.)
den Namen des Gottes selbst hergeleitet ; weil im Ebräi-
schen dasselbe Wort 12 Pan einen durch Schreck
Betäubten’ hezeichnet. Noch heifst Pan im Arabi-
schen Bana 15). Dafs die Grundlage jenes Mythus alt
182) ravi Qó3e:; Polyünus a. a. O. Auctor. de incredib. XI.
p. 89 ed. Gal. und die Nachweisungen der Ausleger zum
Hygin. p. 480 ed. Staver.
183) S. J. M. Hartmann zu Edrisii Africa p. 515. Sickler
(im Kadmus p. CLX.) leitet Pan von r33 (banah) bauen
ab, so dafs TIdy (j3 oder 133) bedeute: der Erbaucr,
Bildner, Zeuger. Zoega (Abhandll. p. 259.) leitet
den Namen aus dem Aegypischen her, wo An und mit
235
ist, ergiebt sich schon aus dem Homeridischen Hymnus
auf Pan (Hymn. XIX.), wo er der Viellirmende und der
Gerüuschliebende heifst. Dafs der Ursprung auch dieser
Sage orientalisch ist, geht aus den astronomischen
Mythen hervor; worauf wir nun sofort achten müssen.
Gleichwie der Silensesel die Giganten verscheuchte,
so schrechte und zerstreuete die Panmuschel die Titanen.,
Pan war auf dem Cretischen Ida mit Zeus erzogen, und
als dort der Titanenlrieg ausbrach, verliefs er seinen
Milehbrudernicht, Evstandihm in diesem harten Kampfe
bei durch Erfindung der Maschel, womit er die Waffen-
genossen ausrüstete, und durch den Panischen Schreck,
der die Titanen in die Flucht jagte (Epimenides beim
Eratosthenes Cataster. cap. 27... Darum hat ihn Zeus
nebst der Ziege, seiner Mutter, unter die Sterne ver-
setzt, wo er als Steinbock glänzt. Weil er aber die
Muschel im Meere gefunden, darum hat er zum Zeichen
des Funds den Fischschwanz (ebendas.). So befinden
wir uns also schon mitten auf dem astronomischen
Gebiete. In die Aegyptische Sphäre weisen uns
nun bestimmter Apollodorus (I. 6.) und Hyginus (Poet.
Astron. IL 98. pag. 480 Staver.) hin, Nach ersterem
stand Aegipan dem Zeus gegen den Typhon bei. Letz-
terer berichtet: Pan habe in der Titanenschlacht die
Feinde mit Seemuscheln geworfen ; und als darauf meh-
rere der Griechischen Götter nach Aegypten gekommen
seyen, und Typhon sie durch seinen schrecklichen Anfall
in die Flucht geschlagen, da habe sich Pan in den Nil
dem Artikel: Pan den Affen bedeute, Das Nähere wei-
ter unten. P. Knight symb, Lang. p. 150. stellt den Pan mit
Juppiter Ammon zusammen, Eine Pansmaske bei Inghi-
rami Monumm. Etrusch. V. 1.6. hat wirklich Ammons-
hôrner; aber Plutarch, de Isid. p.354. p. 453 Wytt. worauf
sich P. Knight beruft, sagt etwas ganz Anderes.
254
gestürzt, und halb Ziegenbock, halb Fisch, sey er dem
Typhon entrenner, Das sey, wird hinzugesetzt , "Tradi-
tion der Aegyptischen Priester, Auch hier wird der Ver.
setzung unter die Sterne gedacht. Dafs also die Aegyp-
tier schon das Sternbild des Steinbocks mit dem Fisch-
schwanz gehabt häben, ist höchst wahrscheinlich (vergl.
Schaubach zum Eratosth. a. a. O.). An die Thiergestal-
len und "'hiermasken Aegvptischer Gottheiten sind wir
im Griechischen Mythus schon einigemal erinnert wor-
den. Mit Hürnern, mit Widdermashen wehren sich die
Pygmäen gegen die Kraniche, In der Chaldáischen Hos-
mologie halten die sieben Planeten bei ihrem Laufe durch
den Zodiacus die Larven der Decane, die Phanim, vor
(Górres Mythengesch. p. 205.), und so haben wir auch
im dgyptisirenden Athen die Pansmáske neben der Silenus-
larve gefunden.
| Wie der Áegyptier den Pan genommen, wie er ihn
iu die erste Ordnung der gvofsen Acht VVesen versetzt,
ihm drei Städte gebeilizt hat, und was der Huldigungen
mehr sind, haben wir oben im Capite! von den Aegyp-
tischen Religionen gesehen (I Th. p. 292. 476 f. vergl.
518.). Esscheint sieh der zu 'l'hmuis dort nacbgewiesene
gróbsinnliche Dienst in die Nachbarlánder verbreitet zu
haben. Wenigstens zeigen sich Spuren bei den Sama-
ritanern, und einige Ausleger haben das Verbot (Levit.
XVIE 7.) daravf beziehen wollen (Selden de D. Syr.
Prolegg. p. 54). Ja bis nach Indien hin mufste dieser
Religionszweig gewurzelt haben. Auf den Monumenten
von Ellora sogar hat man den Boclisgott und zwar, was
besonders merkwürdig wäre, mit seinem Namen Men-
des nachgewiesen (Anquetil. Zendavesta I. pag. 249).
Auch sieht man in einem Manuseript der Häniglichen
Bibliothek zu Paris (nr. 11.) die diitte Person der offen-
barten Indischen Gottheit, Wischnu, mit einer hlei-
nen Ziege auf der Hand. Dem zufolge wäre wenigstens
255
im alten Indien an lheinen so groben Bocksdienst zu den-
hen, wie ihn die Mendesier trieben. Unter diesem ward,
wie schon erwáhut, die vis prolifica — und dies ist ja
muthmafslich die Bedeutung des Namens Mendes —
recht sinnlich dargestellt. Der Dienst war dort uralt,
Nach Manetho (beim Syncellus pag. 54.) hatte derselbe
König, der den Apisdienst zu Memphis und Heliopolis
gestiftet hatte, auch die Verehrung des Mendes in der
Stadt dieses Namens angeo dnet. Er erhielt sich bis in
Cie: Römische Haiserperiode herab. Auf einer Münze
des Mareus Antoninus sehea wir noch den heiligen Bock
und daneben einen Mann, vermuthlich Juppiter, der
den Bock hält. Ohne den Führer sehen wir dasselbe
Thier anf einer Miinze des Hadrianus. — Jedesmal dabei
die Aufschrift Meydaoiov. 154). In Mittelägypten war
dem Bocksgott die Stadt Hermopolis, die Hermes-
stadt, eigen, welches, wie der Verfolg zeigen wird,
nicht ohne Bedeutung ist. In Itinerarien wird sie unter
dem Namen Schmun secunda, die zweite Stadt des Schmun
(Esmun), aufgeführt, und jezt heilst sie gewöhnlich
Achemounain.
Aber die recht eizentliche Pansstadt war Chem-
mis in Oberigypten. Dieser Name war schon in etwas
gräcisirt. Chemmo hiefs sie auf Aegyptisch. Das war
die grofse Panopolis der Landschaft Thebais, seit
der Periode der Griechen so genannt (Diodor. I. 18.).
Jezt heifst sie Achmin, Auch dort Stadt und Gott Eines
Namens: C hemmo, Cbhemmis. Das war kein andes
rer, als jener grofse achte Cabire, als jener Esmun
der Phönicischen T'heogonie (s. oben Il. Th. pag. 39«.).
Die Avaber nennen ihn Schmin , Suhn des Mizraim, und
Leo Africanus (p.724. p. 549 nach der Uebersetzung von
Lorsbach) erzáhlt uns, dafs die grofse Stadt Ich min
184) Zoéga Numi Acgypt. Imperat. p. 117. 215.
xz
256
(so nennt er Chemmis) von Ichmin gebaut sey, dem
Sohne des Mizraim, der vom Chus, des Ham Sohn, sei.
nen Ursprung herleite, |So ist also auch er naeh der
alen Weise in die menschliche Geschichte eingeführt,
In Chemmis füllt nun Pan ganz und gar mit dem Hermes
ithyphallicus zusammen. Ganz so wie dieser alte
Pelasgische Gott war er dort abgebildet. Das berichtet
ans Stephanus von Byzanz, vermuthlich aus älterer
Quelle (in Ilavóg sóAic). In der rechten Hand führte
dieser Pan- Hermes eine Peitsche , die er gegen die Luna
(gegen den Moudstempel oder gegen das Bild der Selene.
Isis) ausstrechte. Es war ein Bild der Sonn». So muß
die vielleicht verdorbene Stelle des Stephanus gofafst
werden (Jablonski Panth. p. 291: sq.). Die Peitsche ist
in der Hand mehrever Aegyptischer Gótter, auch des
Osiris, Bild der Herrschaft. Auch hier müssen wir uns
jener astronomischen Verhältnisse erinnern, die ich
oben (1I. Th. p. 326 ff.) beim Hermes- Camillus nachge-
wiesen habe. Dafs auch Panopolis seinen Pan. Esmun
grofsartig verherrlicht habe, zeigt noch ein Triumph-
bogen mit der Aufschrift IIavi Ged «dem Gott Pan»,
den Bruce (Travels E. p. 101.) dort gesehen hat. Dafs
auch hier der Gott eine Bochsgestalt hatte, wie zu Men.
des, beweiset eine Münze dieser Stadt, worauf er ganz
die von Herodotus angegebene Bildung hat; welches um
so mehr zu merken ist, weil man sonst davon keine
Spuren mehr auf Aegyptischen Münzen sicht 185). Dafs
in. derselben Stadt Chemmis auch Perseus vorzüglich
vevehrt ward, ist oben (II. Th. pag. 204 f) angemerkt
worden. Dieser Dienst in der Panstadt hing mit der
Religion des Pan selbst zusammen. Dort in der Gegend
erscheinen auch die Pane, die den Einwohnern zu aller-
185) Vaillant Aegyptus numismatica pag. 212. vergl. Zoéga
Numi Aegypt. p. 215.
vY
254
erst des Osiris Tod verkiindigen 186), Erinnern wir uns
an das eben bemerkte Verhältnifs des Pan -Hermes zur
Isis- Luna, so haben wir in dieser Stadt Chemmis die
Verbindung von drei bis vier merkwürdigen Gottheiten,
von Pan, Hermes, Osiris und Isis. Gedenken
wir nun des astronomischen Charakters, den der Pan
der Griechen in den älteren Nachrichten hatte (s. oben),
so hónnen wir versichert seyn, daís in folgender astro-
nomischer Erhlárung wenigstens ein Theil der Wahrheit
ergriffen ist: Pan ist zu Chemmis mit Perseus local ver-
einigt, weil beide Wesen auch am Himmel verbunden
sind. Beide gehören dem Frühlingsáquinoctium an, und
bewachen in der Sphäre die Grünzen von dessen Gebiet.
Isis ferner ist zu Chemmis dem Pan und den Panen zu-
gesellt, weil sie (d.i. die Isis- Luna, der Mond) in
gewissen Perioden den Constellationeu. des Perseus
und des Ziegentrügers (des Fuhrmanns) entspricht.
Das geschieht alsdann, wenn der Mond voll ist im Stier
und die Sonne im Scorpion steht, d. i. in demjenigen
Stand, den nach Plutarchus Sonne und Mond im Augen-
blick haben, wo Osiris stirbt. (Dupuis Origin. IT.
p- 440.). Man sieht, wie natürlich hierdurch die Verbin-
dung des Pan und Osiris. Dionysus erscheint, und warum
die Pane gerade zu Chemmis des Osiris Tod verkiindigen
müssen. — Ich füge hierbei gleich hinzu , dafs hieraus
vielleicht auch die sonderbare Sage der Patrenser in
Achaja (bei Pausanias VIL. 18. 3.) zu erklären ist. Diese
wufsten námlich zu erzáblen, dafs die Pane dem Bac-
chus einst nachgestellt bátten , und dafs er in grofse Noth
gerathen sey. — Die Pane dem Bacchus? den sie
sonst vertheidigen und aus der Noth erlósen? Höchst
186) Plutarch. de Isid. p. 356. D. p. 461 Wyttenb. vergl. oben
I. Th, pag. 260. vergl, jezt noch Payne Knight symbol.
Lang. $. 186. p. 150 sq.
2:
anffallend. Dieses Auffallende verschwindet, wenn vir
den astronomischen Satz hóren , dafs Osiris, wo er in
Todesnóthen ist, sich von der mit dem Fubrmann (dem
Ziegentrüger) vereinigten Isis entfernt hat. Auch noch
auf andere Combinätionen möchte dieser Chemmiter.
dienst des Pan und Perseus führen: Pan - Esmun , bür.
ten wir zuvor, ist Mizraims Sohn. Oben (1. Th. p. 743.)
lernten wir letzteren als Mestrain und Mestres und Mi.
tres kennen. Nun heifst aber Mithras ( Mitres) auch
Perses (ebendas.). Wollte man noch weiter gehen ; so
könnte man an den Bacchus Masaris (Máoagw) in Ca.
rien erinnern, der dort die Stadt Mastaura gebaut hatte
(Stephan. de urbib. in Maocovp.). Doch wir wollen
diese Fäden lieber anknüpfen; als fortführen. Vielleicht,
dafs dies Andern Gelegenheit giebt, sie mit Glück zu
verfolgen, und uns somit zu einer etwas kläreren Ein-
sicht der Verbindung zu führen , in welcher die Religion
Persiens und Aegyptens und namentlich der Mithrasdienst
mit der Verehrung des Esmun-,Pan und des Osiris- Dio-
nysus gestanden zu haben scheinen.
“ Bei der näheren Frage, welche Stelle Pan im Aegyp-
Uschen Góttersyetem hatte, kommt die Vorfi age über
sein Verhältnifs zum Aegipan (Aiyime ) in A nregung,
Darüber hat es schon im Alterthum verschiedene Mei-
nungen gegeben, wie man unter andern aus Plutarchus
sieht. Salmasius (Exercitt. Phn. 1. pag. 413.) sah sich
nach Abhörnng vieler Zeugnisse zu dem Besultate ver-
anlafst: Es sey hein Unterschied zwischen Pan und
Aegipan anzunehmen, | Nach dem jetzigen 'l'ext des Era.
tosthenes (cap. 27.) wäre Pan des Aegipan Sohn, und beide
in ihrer Gestalt einander gleich Beide haben Hörner auf
dem Ropte und unten Thier- d.i Fischtheile (Heyne zum
Eratosihenes a. a. O.) Ailein sichtbariich ist jene Stelle
verdorbeu und so zu verbessern, dafs der Sinn ist: der
Steinbock (oijóxego,) und Aegipau («iyizav) siud ein-
ZR
259
ander gleich, und jener ist diesem nachgehildet (s. a: a.
O. pag. XXXI). Der ganze Mythus des Pan dreht sich
um zwei Sternbilder, um den Steinbochkh in der
südlichen Sphüre, und um den Fuhrmann in der nórd-
lichen. Der Aegyptische Pan Mendes. Esmun steht in
ciner Aegyptischen Planisphäre bei Hircher in dem Seg-
ment des Stiers, und gehört also hiernach den Früh-
lingszeichen an. Jener Fuhrmann ist dieser Zic-
gentráger und Bocksgott Pan. Daraus erklären
sich die Verbindungen, in denen er mit Zeus- Ammon
und mit Osiris- Bacchus erscheint, am allernatüriichsten.
Eratosthenes nannte uns ja den Pan als Milchbruder des
Juppiter. Mag also die Ziege, die ersterer trägt, selbst
Amalthea seyn, die manchmal wieder Pans Frau heifst,
oder nicht, genug beide Götter sind mit einander erzo-
gen, d. h. der Ziegentrüger ist in den Frühlingszeichen,
wo Amun das Aegyptische Jahr eróffnet (s. oben IL. Th.
p.204.), verbunden, wie Jedem ein Blick auf die Aegyp-
tischen Thierkreise zeigt. Die Verbindung mit Osiris -
D'onysus geschieht durch den Stier. Das ist ja der
Stiergoit. Dahin gehôren auch andere Spuren: Bei
Diodorus (1. 61.) heifst ein Aegyptischer König vor dem
Proteus Mendes oder Maron oder Marron. Letzteres
ist aber der Name von Bacchus Fuhrmann. Vielleicht
auch dieses: dafs nach einér Genealogie Pan die Oeneis
(Oivnis), die V einnymphe, zur Mutter hat (Scho-
liast. Theocrit. L 123). Wie dem aber auch sey, Pan
ist nicht nur Bacchus Begleiter, sondern er wird auch
zuweilen, so gut wie Silenus, mit ihm für Ein Wesen
gehalten 157, Das Verbindungsglied ist hier immer die
Sonne, und auch Pan ist ja die Sonne (nach Macrobius
Saturn, I. 21.), und die drei Sonnengütter Amun, Osiris,
157) Diodorus beim Euseb, Pr. Ev. If. 1.
240
Pan vereinigen sich in den Frühlingszeichen des Wid.
ders, Stiers und Fuhrmanns ; oder mit andern Worten;
vom rein astronomischen Standpunkie haben wir am
Juppiter - Ammon die Sonne im Frühlingswidder, am
Osiris- Bacchus dieselbe im Frühlingsstier und am Pan
die Sonne im Fuhrmann (vergl Dupuis Orig. lil.
pP. 422 sqq.).
Es war mithin dem Aegyptier sein Mendes- Esmun
oder Pan das thitige, befruchtende Naturprincip, das
in:der Früblingsgleiche sich offenbaret, d.i. in dem
Zeitpunkte, wo die Soune, dieser grofse Demiurg , die-
ser ewig thátige Welthauch , sich im Zeichen des Stiers
mit dem Sternbilde der Ziege und der Ziecklein, welche
unmittelbar auf dem Stiere stehen , vereinigt fand. Da
wird der belebende Feuerhimmel neu aufgethan, da
verbindet er sich mit der Erde; da ergiefst sich das
Horn der Amalthea mit neuen guten Gaben, Darum ist
auch Pan der gute Gott, und heifst ausdrücklich so,
wie Silenus - Dionysus.
§. 14.
Fortsetzung:
Hieraus ist sofort das doppelte Amt des Pan er-
kennbar : seine Wirkungshraft auf Erden und sein Wal-
ten oben im Himmel. Ueber der Sphire des Mondes
ist er Princip aller Bewegung. Von ihm gebet aller Pia-
neten Lauf aus, in ibm findet die Harmonie der sieben
Hreise ihren Mittelpunkt (Cornutus de N. D. cap. 27.).
Unter dem Monde ist er der Besaamer, der die VVal-
der befeuchtet von oben herab, und Nahrung giebt für
alle Thiere. Darum heifst er auch der Vielzengende
(xoAóosopoc) 185 , und darum gehörte er auch in die
188) Antholog gr. II. p. 515. p. 215 ed. Jacobs.
241
Nympheen neben deni belebenden Erdhauch Silénus. In
jeder dieser beiden Beziehungen. hann er nun Sohn des
Hermes heifsen 18%). Er gehört ja als Befruchter jenem
Hermes ithyphallicus an, und als hohe himmlische In-
telligenz jenem Thoth-Hermes, dem Vater aller Ideen;
wie er denn als ewige Lebensquelle sowohl die irdischen
Leiber giebt und beseelt, als die hóchsten Gedanken,
die allgemeinen kosmischen Gesetze erzeugt und die Hini-
melsschrift der Planetenbahnen vorzeichnet.
Nun höre ich aber fragen: sind denn das wirklich
alte, nationalägyptische Vorstellungen vom Pan? oder
sind sie nicht vielmehr aus späteren Pythagoreischen,
Platonischen Philosophemen in jenes mythische Wesen
aus Vorliebe zu gewissen Schuldogmen zurückverlegt
worden? In diesem letzteren Sinne haben in neuerer
Zeit unter andern Tiedemann und Vofs den Hirtengott
Pan betrachtet. Ersterer in einer eigenen Abhandlung
(Sur le dieu Pan, in den Memoires de la Societé des
Antiquités de Cassel Tom. I. p. 165 sqq.) , Letzterer ge:
legentlich in den mythologischen Briefen (1. p. 78 ff.)
189) S. vorläufig Cicero de N. D. III. 22. ,, Tertius ( Mer-
curius) Jove tertio natus et Maja, ex guo et Penelopa
Pana natum ferunt.‘“ Zi den Stellen, die hier schon
Davisius (p. 609.) gesammelt, und zu der Hauptstelle des
Lucianus ç wo Hemsterhuis Einiges über die Mehrheit
von Panen, die im Alterthum vorkommen, bemerkt
hat, habe ich (p. 610.) noch den Nonnus Dionys. XIV.
87. und den Joh. Laur. Lydus de menss. p. 118. hinzuge-
fügt. Der zweifache Pan aber gab den Philosophen zu
mancherlei Betrachtungen Anlafs. | Man lese nur des
Aristides Oratt, Platt. pag. 173. mit den Scholien, ferner
den Porphyrius in des Eusebius Praep. Ev. VI. pág. 114.
und Andere, die ich a. a. O. nachgewiesen. — Ueber
den Hermes ithyphallicus, der sich mit der Proserpina
gattet , habe ich oben 11. ''h. p. 327 ff. ausführlicher ge-
sprochen,
111,
16
242
und zu Virgilips (Eclogen II. 31.), Eine Ansicht, die
bisher vielen Eingang gefunden. Um so mehr erfordert
es die Sache, den Weg zu verfolgen, wenigstens im
Ueberblick, den dieser Mythus zu den Griechen und
unter ihnen genommen.
Auch hier leistet uns Herodotus, auf dem hohen
Standpunkte, von dem er alles Göttliche und Mensch.
liche überblickt, treffliche Dienste. Zweimal gedenkt er
des Pan in der Aegyptischen Geschichte ausführlich. Da
lernen wir dann von dem unterrichteten Forscher, dafs
Pan, den die Griechen zum jüngsten Gott machen ( d. h.
den sie am allerspátesten überhommén haben), zu einem
Sohne des Hermes und der Penelope, gerade in die
erste Ordnung der acht grófsesten Aegyptischen Gót-
ter gehört. Nach den Hellenen ist er also jünger als der
Trojanische Krieg, ja er ist bestimmt nur achthundert
Jahre vor dem Geschichtschreiber geboren; d i. der
Griechische Pan, des Hermes und der Penelope Sohn,
kam im Jahre der Julianischen Periode 3454 oder 1260
vor Chr. Geb. zur Welt 190), Ein junger Gott mithin,
oder vielmehr ein junger Halbgott, und der jüngste un-
ter den Göttern; aber doch nicht so jung, wie ihn die
Vertheidiger des eben bemerkten Systems machen, die
ihn urspriinglich als einen Arcadischen Feldgott betrach-
ten, und erst nach Hesiodus den übrigen Griechen
behanot werden lassen. Auch geht weder aus Erato-
sthenes ( Cataster. 25.), noch auch aus dem Scholiasten
des Theocritus (1. 3.) hervor, dafs der Creter Epime-
nides diesen Gott aufser Arcadien den Griechen zuerst
genannt habe. Epimenides kam in der sechs und vier-
zigsten Olympiade nach Athen, 596 Jahre vor Chr. Geb.,
2wei Jahre vor Solons Gesetzgebung ( Diogen. Laert. I.
190) Herodot. II. 46. 145 sq. vergl. Larcher Chronol. p. 359.
243
110.) ,, mithin zu einer Zeit, da eben in Jonien Thales
systematische Lehren der Philosophie vortrug ; folglich
konnte damals in Athen von eigentlichen Philosophen,
die einem Schulsatze zu Liebe einenjArcadischen Hirten-
gott umgedeutet hitten, noch nicht die Rede seyn. Dals
Epimenides aber auch seine Pansgenealogie von Creta
nach Athen gebracht haben werde, ist doch sehr wahr-
scheinlich. Eben deswegen hätte Clemens von Alexan-
drien (Cohort. p. 38.) die Stelle des Herodotas, wo Pan
sich beschwert, dafs ihm die Athener keine Ehre erwie-
sen (VI. 105.), nicht so verstehen sollen, als hütten sie
ihn vor der Mqrathonischen Schlacht gar nicht gekannt,
welches auch (wie Larcher zu dieser Stelle wohl be-
merkt) in den Worten selbst gar nicht liegt. Auch
Thespis in der sechszigsten Olympiade hatte des zwei-
hörnigen Pan gedacht (Clement. Strom. V. p.37o). Da
aber die Fragmente des Thespis von Bentley und Andern
in Zweifel gezogen werden !?!), so will ich darauf gar kei-
nen Schlufs bauen. Ueberhaupt kann der ganze üufsere
Beweis, vom Alter der Zeugen hergenommen, aufgegeben
werden; die innere Betrachtung jener aus Einer Idee
durch alle, Mythen fortlaufenden Fäden wird für jeden
Nächdenkenden desto mehr Gewicht behalten, und den
ruhig Prüfenden überzeugen,
Herodotus nennt den Pan der Hellenen einen Sohn
des Hermes und der Penelope , und scheint damit die
herrschendste Genealogie angeben zn wollen, da ihm
die Zum Theil älteren übrigen gewifs nicht unbekännt
waren. Aus Lucianus:!92) erfahren wir; dafs Hermes
191) Hemsterhuis zu Lucian. Deor. Dialogg. XXII; Tom. If.
pag. 320 Bip. Tom. Î. pag. 270 Hemsterh. vergl. Bentley
Opuscc. philoll. p. 3800 $qq. ünd Mobnike Geschichte der
Griechen und Rómer I. p. 354 f.
192) ‘Dialogg. Deor. XXII. Tom. II. p. 76 Bip. und daselbst
Heinsterhuis p. 319.
244
durch Zauberkünste die Penelope 1?) gewonnen und,
in Bocksgestalt verwandelt, sie beschlafen hatte. Es ge-
schah dieses, fáhrt dieser Mythus fort, noch in Arca.
dien vor ihrer Verheirathung mit Odysseus. Auch der
Homeride (Hymn. in Pan. 34.) kennt Hermes als Vater,
und nennt als Mutter eine Nymphe, die Tochter des
Dryops. Die andere Genealogie, wornach Pan Sohn des
Zeus ist, hat ebenfalls viele und alte Auctoritäten für
sich. Epimenides nannte ihn schon des Zeus und der
Nymphe Callisto Sohn (Schol. T'heocrit. I. 3.). Hiernach
waren er und Arcas Zwillingsbrüder. Nacb Apollodorus
(Ll. 4. 1.) war Zeus Vater, aber Hybris oder, wie ver-
muthlich zu lesen ist, Thymbris (Heyne Observ. p. 20.),
eine Nymphe, die Mutter. — Aristippus im Arcadicus
kennt auch Zeus als Vater, nennt aber die Mutter die
Nympbhe Oeneis (Schol. Theocrit. I. 3.). Dafür stehet
sehr beinerkenswerth (ebendas. 123.) , Oeneis oder Ne-
reis sey die Mutter, und der Aether (AiS4p) der Va-
ter; womit wir gleich die andere Angabe verbinden,
wonach Uranus (der Himmel) und die Erde Pans Ael.
tern waren,
Achten wir nun auf diese genealogischen Züge, so
kann selbst die naive alterthiimliche Erzühlung des Ho-
meriden, der doch übrigens den Pan ganz als Hirtengott
nimmt, cine Anspielung auf höhere Vorstellungsarten
nicht unterdrücken: Als der ziegenfüfsige, doppel-
193) Eustathius zur Odyss. IT. vs. 91 und 92. p. 82 ed. Basil,
nachdem er aus Lycophron die Sage angeführt, dafs Pe-
nelope mit allen Freiern zu thun gehabi, gedenkt auch
einer andern würdigeren Sage, wonach Penelope vom
Hermes beschlafen und aus dieser Verbindung Pan ge-
boren worden sey , der auch nach Einigen die Webe-
rei (vermuthlich als Lehrer der Penelope in dieser Kunst)
angefaugen habe (6v xai nard;Za: 45 vipayrinÿs Qaci vives),
245
gehürnte Sohn geboren ist, fliehet die Amme erschrocken
über die Mifsgestalt. Aber Hermes wickelt ihn in ein
Fell, und trägt ihn froh zu den Olympiern hinauf, wo
sich dann alle seiner freuten, zumal Bacchus. Weil er
nun Allen das Herz erfreute (ndoı) , deswegen nannten
sie ihn Pan (xára vs. 47.). Ich weifs wohl, dafs des-
wegen dieser Hymnus für späteren Ursprungs erklärt
wird. Treten aber nicht andere Gründe ein,. so móchte
dies eine geringe Beweiskraft haben. Nichst dem Ho-
meriden hat Pindarus von Pan sehr bedeutsam gesungen.
Er kannte ihn als x&pédpos ( Beisitzer) der Rhea, und
hatte ihm und der Góttermutter eine Capelle gewidmet
(Scholiast, Pindar. Pyth. III. 139). Auch hatte er ihn
in seinen Gesángen besonders verherrlicht. In der drii-
ten Pythischen Ode (vs. 137 ff.) liegt uns noch eine cha-
rahteristische Stelle vor. ‘In den verlornen Gedichten
war er durch noch sprechendere Züge bezeichnet, die
an des Gottes höhere Natur erinnerten. Ich will mich
nicht dabei aufhalten, dafs Einige das berühmte Skolion :
'Io Ilà» 'Agradiag u. s. w. dem Pindarus beilegen, und
auf die Hilfe des Pan in der Marathonisehen Schlacht
beziehen. Ich will nur den Zug herausheben, dafs Pan
in diesem Liede als Tánzer gepriesen wird. 1n welchem
Sinne hierbei nun das Tanzen zu nehmen, zeigt gleich
folgende Stelle bei Aristides (Orat. T. I. p. 29 Jebb.) :
« Pindarus nennt Pan den Tánzer und den Vollkommen-
sten der Götter, wie auch die Aegyptischen Priester wis-
sen». Hier wird also in einem und demselben Context
von Pans Orchestik und von seinem hohen Range unter
den Cöttern gesprochen, welchen letzteren wir bereits
aus dem Aegyptischen Göttersystem bei Herodotus ken-
nen. Beim Aristoteles (Rhetor. HL. 24.) singt derselbe
Dichter von ihm: Die Olympier nennen, den Pan den
gestaltenwechselnden Hund der grofsen Göttin.- Absicht-
lich habe ich das xévœ xartoëdandr hier so übersetzt;
246
denn wo dies Wort in solchem Zusammenhang vorkommt
(z. B. bei Plato, bei Aristoteles , ja selbst bei Pindarus
und sonst), heifst es mannigfaltig, und bezeichnet oft
wunderbare Verwandlungen. Man sehe nur Steph. The-
saurus unter diesem VVorte und Damm Lexic. Homeric,
et Pindar. p. 1905. Für diese besonderen Huldigungen
des Dichters war der Gott dankbar. Nach Einigen soll
er ihm einst beim Meditiren ein Lied vorgesungen haben,
das Pindarus nachsang: nach Andern tanzte Pan eine
Ode des Pindarus nach (vergl. Pindari Fragmm. pag. 5o
ed. Heyn.) Gelegentlich bemerke ich hierbei aus dem
ungedruckten Scholiasten des Aristides (znm Miltiad. II.
pag. 172 Jebb.), dafs nach gelehrter Erklirer Meinung
Pan zur Zerstückelung des Pelops (êv =i xpeovpyio vo?
lléAomoc), also zu einer Hauptparthie im ersten Olym-
pischen Gesang, getanzt haben soll. Das wäre allerdings
des hohen Gottes sehr würdig gewesen; denn in der
VVendung, die Pindarus diesem Mytbus giebt, unter-
scheidet er sich sehr zu seinem Vortheil von den Sängern
der ürgerlichen Güttergeschichten. Oder hatte die Vor-
liebe des Pan zu diesem Gesang andere Gründe?
Dieselbe Verbindung, die sich hier zwischen dem
Tanz und dem Wort des Dichters zeigt, verbindet
auch im alten Góttersystem das Urwort Hermes und
den i'ànzer Pan. Sehr bedeutend spielt Plato im-Cra-
tylus (p. 85 Heind.) darauf an, wo er von dem dop-
pelten Wesen der Rede spricht, und den Pan des
Hermes doppelgestalteten Sohn nennt. Auch
im Phádrus (p. 3o7 Heind.) redet er von Pan , des Her-
mes Sohn, und nennt ibn «den Kunstreichen im
Reden». Diese Doppelgestalt von Hermes Sohn Pan
crinnert uns wieder an den gestaltenwechselnden Hund
der grofsen Göttin. Wir haben oben zwar auf die all-
gemeine Bedeutung des Prádicats Hund in dieser Bezie-
hung aufmerksam gemacht, wonach es einen Diener
247
bezeichnet. Hier aber beim Hermes- Sohn von Aegyp-
ten her vergesse man nicht, dafs der Vater der hunds-
köpfige Anubis-Hermes ist, d.i, der/Genius des Hunds-
sterns, der Führer und Vorlüufer der Segen bringen-
den Gütter. In derselben Eigenschaft nennt hier Pinda-
rus den Pan. Was des Vaters ist, das übt der Sohn,
wie unzühligemal. Hierdurch rückt also Pan in den Fix-
sternbimmel hinauf, und zeichnet als Sirius die Balinen
den übrigen Sphüren vor, beschreibt mit Sternenschrift
die Charaktere des Himmels , ordnet das grofse Jahr und
die kleinen Jahresliufe, oder, welehes einerlei ist, er
übt und weiset als hoher Tänzer die Chöre der Planeten,
Als solcher begleitet er Rhea, die grofse Góttin, die
Güttermnutter. Von den Tänzen des Pan im Vater-
lande der Rhea und Jnppiters in Creta spricht auch So-
phocles im Ajax sehr bedeutsam. Dort (702 ff.) ruft der
Chor den Pan unter andern so an :
,;Érschein , Auführer der Gótterreihn,
Auch uns heut nysischen , knossischen
Selbstersonnenen Freudentanz
Zu schlingen! **
wo die Scholiasten an die Tänze der Corybanten erin-
nern, deren höhere Beziehung wir im Verfolg aus dem
Euripides ersehen werden. Nun verstehen wir die an-
dere Genealogie des Pan, wo er Sohn des Himmels
und der Erde heifst, oder wo sein Vater der Aether
genannt wird, oder wo er Milchbruder und beständiger
Gefährte des Juppiter heifst. Nun merken wir auf ähn-
liche mythische Charakterzüge. Hiernach erhált zuvór-
derst das erotische Márchen von der Liebe zur Nymphe
Syriux, welche, in Schilfrohr verwandelt, von dem
Künstler Pan zur Hirtenflôte mit sieben ungleichen Rôh-
ren gebildet wird 1%), einen ernsten kosmologischen
194) Moser zum Nonnus p. 246. Ueber die Erfindung vergl.
die Ausleger zum Hygin. p. 339 sq. Staver.
248
Sinn. Pan ist die Sonne im Fuhrmann, die den Jahres.
kreis neu eróffnende, belebende Sonne, aber er ist auch
gleichsam die Sonne der Sonne und der hohe Feuer.
üther selber. Die Pansflüte ist nun das natürliche Bild
der allgemeinen Harmonie, wovon die Sonne die Seele
ist. Die sieben Pfeifen entsprechen den sieben Planeten,
die kürzeste dem Monde , die längste dem Saturnus, Der
Eine Hauch des Feueräthers und der Sonne geht durch
alle sieben Planeteu hindurch , und bewirkt jenen Ac-
cord der sieben concentrischen Spháren. Darum ist auch
die siebenróhrige Panspfeife das Vorbild der Lyra des
Apollo, der daher auch der siebenmonatliche ( ixtaun-
viaiog) heifst 195), so wie wir unten den mystischen
Apollo égUonayéroac werden kennen lernen. Darum lehrt
auch schon im Homeridischen Hymnus Hermes den Apollo
das Spiel der Lyra.
Das ist nun der Siebenlaut, den das Aegyptische
Priestersystem als eine Zahl von Urmüchten personi-
ficirte (s. oben T. Th. p. 447 ff.), und das Ganze ist die
hohe Acht (Octonarius), die aus der Verbindung der
sieben Spháüren mit dem Fixsternhimmel hervorgeht. Pan
ist dieser Achte. Daher heifst er auch Eschmun,
Schmun, d. i. der Achte. Das ist der grofse Gott
von Chemmis, den das Priestersystem als den Künst-
ler des redenden Tanzes kannte, während das
Volk natürlich bei dem Frühlingsgotte im Zeichen der
Ziege, heim Bocksgotte stehen blieb, wenn gleich auch
in der Volksreligion, wie sich weiter zeigen wird, der
Strahl höherer Lehre nirgends ganz ausging. In jenem
kosmologischen Sinne hat die eilfte (zehnte) Orphische
Hymne den Pan genommen. Da heifst er Himmel und
Erde, da heifst er das unauslóschliche Feuer, Kreis-
195) Scholiast. Pindar. Pyth. K p. 483 Heyn.
249
tänzer , Beisitzer der Horen, Befruchter , Lichtbringer *),
ja Zeus selber; da wird von ihm gesagt, dafs er die
VWeltharmonie in seinem lieblichen Liede vorspielt. Er
heifst auch dort der Echo Liebling. Bekanntlich heifst
er bestimmt der Echo Gemahl (Anthol. gr. Ill. pag. 215
ed. Jacobs.) , welches wieder mit der Personification des
Tons und Wiederhalls zusammenhängt. Als Hirtengott,
auf der Rohrpfeife spielend, war er durch den Wieder-
ball der Echo entzücht; als furchtbarer Hrieger er-
schreckte er durch den Wiederhall seine Feinde; als
kosmische Macht, wie ihn der Orphiker nimmt, war er
Grund und Wesen des hohen Siebenlauts der Harmonie
der Sphiren. Aber auch der Pitho (Ileid6) Gemahl
wird Pan genannt. Sie war auch im Gefolge der grofsen
Göttin, deren wechselnden Hund Pindarus ihn selbst
nannte. Sie, die durch tausend Schmeichelworte über-
redende Dienerin, umschwebte die ewige Gôttermattér,
wie der Sternenhimmel Pan, der immer wechselnde, um
dieselbe Góttin herumwandelt. Auch hier fallen dieIdeen
von dem wechselnden Lichte der Planeten und von des
Himmels Sternenschrift mit dem Gedankenreichthum und
dem Ideenspiel inhaltsvoller Rede zusammen. Darum
zeugt auch Pan mit der Eupheme einen Sohn Hroton
oder Rrotos, der als Schütze unter den Sternen glänzt,
und ein Milchbruder des Musen heifst 176). Aehnlichen
Sinn hat auch Folgendes: Pitho ist eine von den Grazien,
und Pan selbst heifst beim Pindarus der Chariten süfse
Pflege (uéAnuo ; Scholiast. Pindar. Pyth. III. 139). Mit
der Pitho oder mit der Echo hatte auch Pan die Jynx
*) Pan (TIdv) ward selbst von Qafuv, zum Vorschein brin-
gen, hergeleitet, wie man dann Tavés für Qavos , Fackel,
sagte; Pollux X. 117. ibiq. Hemsterh. p. 1295. Hesych. II.
p.483. Phot. L. Gr. p. 275. Schleusn. Cur. nov. in Phot. p. 307.
196) Hygin. fab. 224. p. 345 Staver.
2! .
(Tvy&), den Liebeszauber, selber erzeugt 19). Se
konnte also der Sohn des Tausendkünstlers Hermes
nicht von Art lassen. Er ist Proteus vor Proteus » Wie
wir nachher andeuten werden; er ist Vorläufer des ge-
staltenwechselnden Wahrsagérs unten im Meeresgrunde,
der bald Thier, bald Baum, bald loderndes Feuer ward,
So heifst auch beim Orphiker Pan Meer und nimmer
sterbendes Feuer. So heifst er auch selbst der
auf dem Meere Umhergetriebene, oder vom
Meere Umrauschte (Sophocl. Ajax 704. und dort
der Scholiast). In diesem Sinne fabelten nun die Alten
sehr bedeutsam fort. Helena, die Künstlerin der Liebes.
tránhe, eben jene Helena, die schon Homerus !?5) bei
der Polydamna in die Schule gehen lifst, und die nach
Herodotus (IJ. 113 sqq.) mit ihrem Liebhaber Paris vom
Aegyptischen Könige Proteus, dem Wahrsager und
Zauberer, aufgenommen ward, jene Helena, die den
Paris berückte, und die in Aegypten von der Schlange
Hümorrbois das Gift nahm, womit sie Wunder verrich-
téte — diese seltsame Frau der fabelnden Vorwelt hiefs
auch Echo, weil sie die Stimme Anderer aufs táuschend-
ste nachahmen konnte. Diese selbige Helena hatte auch
im Pansfisch den Basiliskenstein gefunden, und
damit ein wunderbares Philtrum. Es giebt einen See-
fisch, so wufste man zu berichten, ungemein grofs, dem
Pan in Gestalt ähnlich. In diesem Fische findet sich ein
Stein mit Strahlen funkelnd, der sich an der Sonne eat-
zündet. Diesen Stein brauchte Helena als Liebeszauber.
Sie trug ihn im Siegelringe, und Pans Bild war darauf
197) Scholiast. Lycophr. 309. vergl. Hemsterhuis zu Lucian.
Deor. Dialogg. XXII, T. I. p. 272 Hemsterh. Tom. II.
p. 322 ed. Bip.
198) Odyss. IV. 228. und daselbst Clarke und Ernesti, so wie
zu vs. 221 und 220,
^0
251
eingegraben 19). "Was Helena unter den Frauen des
Trojanischen Fabelkreises war, das war Ulysses unter
den Männern, Er war der menschliche Hermes in jedem:
Sinne, der vielgewandte , dertäuschende, der klug über-
redende Wortkiinstler. Dürfen wir uns nun wundern,
wenn es auch eine Genealogie giebt, die den Schiffer,
den vielumgetriebenen und vielversuchten (moAé-
Toonot, moAóvÀac) Odysseus zum Vater des Pan macht,
den wir als den Meerdurchstrómer und tausendgestalte-
ten Gott kennen? Es ist also nicht ohne Bedeutung,
wenn Ulysses selbst den Pan mit der Penelope erzeugt
haben soll (Schol. Theocrit. 1. 123.); eben so wenig, als
wenn Duris von Samos (beim Tzetzes zum Lycophr. 772.)
berichtete, Penelope habe den Pan mit allen ihren Frei-
ern erzeugt. Es ist hier so wenig wie im Homeridischen
Hymnus ein blofses VWortspiel mit dem Namen dr, wd,
sondern es liegt dabei auch die mythisché, dunkele Er-
innerung an den AegyptischenHim melsgottzu Grunde,
der aller Planeten Licht und aller Spháren Tóne in sich
aufnimmt und zusammenfafst.
$. 15.
Fortsetzung.
Er ist selbst in hóhere Einheit aufgenommen und
geht von ihr aus. Hier könnte man an seine Mutter
Oeneis erinnern, mit welcher Zeus oder der Aether ihn
zeugte, wenn dabei námlich an Oivi oder Oivn gedacht
werden darf. So nannten die alten Jonier die Eins,
und oivilew oder oiváGtw war ihnen Eins zählen 20%),
199) Ptolem. Hephaest. ap. Phot. Cod. 190, vergl. pag. 318.
339 ed. Gale.
200) Photius Lex. in eve. Hesych. in o/» und daselbst die
Ausleger p. 730 Alberti.
2l.
Davon hommt das Rô&mische oenus, unus (wie poena,
punire, Poenus, Punus u. dgl.) ; und das wäre also jener
und jene Unio, jene Einheit, die bei den Pythagoreern
als Monas personificirt, und wie ein Gott vx EpLovidng
hiefs, so wie man in dieser Schule von einer intelligi.
blen Sonne (vonrès os) redete , die, weil sie ihr Seyn
über dem Seyenden hat, gleichfalls éxeproriêns genannt
wurde (Joh. Lydus de menss. p. 15 sq.). Ebendaselbst
wird auch ein Satz als Orphisch angeführt, wonach die
Eins gliederlos und ungetheilt hiefs. Von diesem
Sohne der Oeneis (Oivz;), der Einheit, von dem hohen
Sonnenkônig , an dem bis in den Meeresgrund hinab alle
Körper hängen , konnte nun unio, die Einperle und
Perlenkönigin im Abgrunde, eben so gut ein Bild seyn,
als ihm der schillernde Zauberstein im Wallfischbauche
ähnlich war. Dafs in der symbolischen Bilduerei des
Hercules, womit sich Pan im Widderzeichen als Zeus
Sohn so innig berührt, eine Perlenkönigin vorkam , ha.
ben wir oben (IL Th. pag. 237 £ vergl. 204 f.) gesehen,
Auch eine Zwiebelart, diejenige, die keine Nebenzwie-
beln hat, sondern aus Einer Bolle Alle Schófslinge her-
vortreibt, nannten die Römischen Bauern die Ein-
zwiebel (unio; Colemella XIL 10. init.). Die Arca.
dischen Landleute pflegten an einem Pansfeste diesen
Gott mit Meerzwiebeln zu bewerfen (Scholiast. Theocrit.
VIL 106.). In der naiven Art, mit welcher die Vorwelt
auch die Religion betrachtete, war unter den Mitteln
der Versinnlichung nichts grofs und nichts klein. Da
berührten sich oft Priesterdogmen und Fhilosopheme im
Sinnbilde mit den gemeinsten Dingen des tüglichen Be-
darfs. Da war die Zwiebel, die Alles aus Einer Knolle
treibt und Häute in Häute verschliefst, so gut und so
würdig wie die Perlenhónigin, die nach gemeinem Glau-
ben allein in der Schaale einer Muschel lag, ja eben so
gut wie die Kuppel an der Rotonde zu Mendes, wo man
52
255
den Gott, an dem die Körper hängen, der Spháren in
Spháren verschlossen hált, unter háfslicher Bocksgestalt
verehrte. — Wer diese Sitte des alten Denkens und Bil-
dens blos lächerlich findet , sollte sich mit der Mythologie
überhaupt nicht befassen,
Ich bestehe aber auf der Oeneis als unio und Ein-
heit gar nicht. Die Einheit ist schon im Vater Zeus und
im Aether gegeben. Die Oeneis mag, weun man will,
immer die Weinnymphe bleiben. Dann kinnen wir etwa
auch des Weinhunds gedenken, der dem Deucalioni-
den Orestheus in Aetolien die Weinwurzel ais Junges
wirft, die in die Erde vergraben den ersten Weinstock
(olyn in der alten Sprache genannt) hervortreibt. Da-
her nun des Kónigs Sohn Phytius (der Pilanzer) heifst,
und der Enkel Oeneus, der VW einmann, des Aetolus
Vater ( Hecataei Miles. Fragmm. Historr. p. 64.). Hier
bringt der Hund die Weinjahre, wie der Hundsgott Anu-
bis in Aegypten mit des Sirius Aufgang die Hornjahre
bestimmt. Denn mit dem Hundsstern kommt der Wein,
und in den Hundstagen, sagten die alten Aerzte, soll
man Wein vorziiglich trinken 20), Also Pan der Hund,
den wir kennen, oder Hermopan ( dieser Name ist ur-
kundlich ; s. Dionysus p. 34.), konnte dem Wein günstig
seyn, wie denn Pan des Dionysus Gehülfe war.
Der Ziegengott dagegen konnte ihm auch widerstreben.
So sahen die Phliasier im Peloponnes die Ziege an. Sie
verehrten auf ihrem Marktplatz eine eberne und vergol-
dete Ziege sehr eifrig, weil das Sternbild der Ziege bei
seinem Aufgang- den Weinstôcken schade (Pausan. Co-
rinth. 13. 4.). Daher opferte man bekanntlich dem Bac-
chus anderwárts die Bócke, womit von Einigen der Name
Dionysus tramoedus und dió Tragüdie hergeleitet ward.
201) S, meine Homerischen Briefe p. 218.
25.
Die Mendesier in Aegypten hüteten sich dagegen‘ wohl,
Ziegen zu schlachten, diese leibhaftigen Bilder ihre;
Sonnengottes im Zeichen der Ziege und des Gebers aller
guten Jahresgaben (Herodot. II. 42.). | So sehen wir in
Aegypten wie im alten Griechenland den Hirten und
Ackermann seinem Sonnen- und Sterndienste nach Zeit
und Ort bald diese bald jene Wendung geben. Die hs.
here Astrotheologie der Priester umfafste alle diese An.
sichten in einer höheren Erkenntnifs,
Entweder mit der Oeneis oder mit der Nereis soll
der Aether den Pan gezeugt haben (Schol. Theocrit. I.
123.). Auch dies weiset wieder nach Aegypten hin, und
ist nicht ohne Bedeutung. Dort soll ja Pan den feind.
seligen Meeresgott Typhon mit Fischernetzen gefesselt
baben (Scholiast. Sophocl. Ajac. 707.). Auch beteten
die Schiffer zum Pan als ibrem Gotte (ebendas.). Dort
tragen die Könige die Namen der Gitter, und auch dort
ist das Reich auf Erden ein Abbild der himmlischen
Sphiren. Unter dem König Cäachus beginnt in Aegyp.
ten die góttliche Verehrung des Mendesischen Bockes
zugleich mit dem Apis- und Mnevisdienst in Memphis
und Heliopolis (Manetho ap. Syncell. p.54.). Obngefihr
achthundert Jahre hernach kommt der Kinig Proteus,
urd nun fabeln die Griechen von Dionysus Reise nach
Aegypten. Bei Diodorus (I. 61.) geht ein Mendes un-
mittelbar vor Proteus her, welcher letztere den Diony-
sus gastfreundlich aufnimmt (Apollodor. IIL. 5. 1.). Die-
ser Proteus, der Besitzer der Schlüssel des Wasser:
reichs, wie er beim Orphiker heifst, der Hüter der
Meerheerden des Nereus, der Wéeissager aus der Tiefe,
der in tausend und tausend Gestalten sich verwandelnde
Dämon ist dem Dionysus befreundet, Dafs im Proteus
ein kosmologischer Satz von dem Entstehen aller Dinge
aus dem Wasser gegeben sey, liegt für jeden Nachden-
kenden am Tage. Nur freilich im Mythus lieh er von
1
255
örtlichen Dingen seinen Ausdruck, und so war dann die
Schifferkunde, die Kenntnifs des wechselnden Windes
und des wogenden Meeres, so wie die Sitte der Aegyp-
tier, ihren Güttern und denjenigen, die sie festlich dar-
stellten, Masken und einen Hauptschmuch mit Thierge-
stalten und dergl. zu geben, eine Hauvptquelle, woraus
der physische Mythus seine Farben schüpfte.
Es ist uns mithin in dieser Hünigsreihe eine Reihe
kosmischer Begriffe zugleich gegeben. Pan ist, wie oft
bemerkt, des Aethers Sohn. Er ist der Himmel in Ver-
mühlung mit der himmlischen feuchten Erde. Ueber
ihm sind im Aegyptischen System das Urnafs und der er-
ste Odem Phthas, die Urfinsternifs Athyr und Hneph
das Urlicht (Górres Mythengesch. pag. 369.). Er ist in
dieser Beziehung der dritte Erzeuger, der dritte Phal-
Jusgott , und unter ibm, in dieser Reihe gedacht, sind
Sonne und Mond als die vierte Potenz, die die grofse
Achtzahl baschliefsen ; wie wir ihn denn schon oben die
Sonne der Sonne nennen mufsten. Nun heifst Pan nicht
ohne Bedeutung auch des Silenus Vater (Servius ad Vir-
gil. Eclog. 6). Im Silenus haben wir die Weltseele 1m
Uebergang zur Verkärperung erkannt, die Erdseele na-
mentlich und die Vorbildung des Bacchus. Dieser letz-
tere ist nun dem Proteus befreundet, ja er ist selbst der
Proteus, der VVechselnde, der Beherrscher des bunten
Reiches der Sinne und der Blumengeber auf Erden, —
Aber Pan ist auch selbst Proteus. Er geht durch alle
Sphären bis unter den Mond herab, und hauset auch im
Abgrunde des Meeres. Aus dem Meere strahlt sein Bild,
der Sternenstein Asterites, dem Sternenhimmel da
oben entgegen, so wie die Schildkröte das heilige Thier
des Pan ist (Pausan. Arcad. cap. 54.6. 5.) , und die Pans-
muschel tönt aus der Tiefe dem Eselsgeschrei des Silenus
entgegen. Wir haben also auch hier wieder Pan-Sile-
nus - Dionysus ; d.h. diese drei Wesen des Góttersystems
c
al
durchdringen einander und lösen sich in gewissem Sinne
in einander auf, Pan hängt im Frühlingssegment der
Himmelssphäre mit dem Stiergotte Bacchus zusammen,
und unten im Meere befreundet sich der fischgeschwänzte
Steinbock wieder jenem Dionysus, den man zu Argos
aus dem Wasser heraufruft, und der sich in das Meer
flüchtet, so gut wie Pan, Auch dem Nymphensohne
Silenus ist Pan verwandt, so wie dem Weissager Silen
am Gewässer. Nach metaphysischer Scheidung kann man
kunstmäfsig sagen, was das eine dieser drei Wesen po-
tentiá ist, das ist das andere actu. Der Mythus hat
nun, je menschlicher er wird , schon einem jeden dieser
Götter einen gewissen gehaltenen Charakter gegeben. So
schreiet zum Beispiel noch in der alten Kosmogonie der
Esel des Silenus nicht minder, als Pans Muschel tönet.
Im Chore des menschlichen Dionysus ist Silenus nun
schon der stille‘ Dämon, der im schweigenden Tanze
sich von dem lauten Gefährten unterscheidet. Er ist
auch der gütige und freundliche gegen Jedermann. Pan
heifst auch ein Dämon 202), Er ist auch Weissager und
Philosoph, wie denn beiden Dümonen der Philosophen-
mantel beigelegt wird 203). = Allein er ist nicht immer
freundlich, nicht immer guter Begegner. Er ist oft der
schreckhafte Pan, und wird oft ein wahrer Feldteufel,
der die Landleute und die Holzhauev im Walde durch
Schrecken tödtet 3%). Darum wagten auch die Hirten
nicht, in der Mittagsstunde, in der heiligen Stunde des
Pansschlafes, auf ihrer Flóte zu blasen (Theocr. I. 15sqq.).
202) Euseb. Praep. Ev. I1I. 14. p. m. 24.
203) Winckelmann Description des pierres grav. de Stosch.
p. 237.
204) Oraculum apud Porphyr. in Eusebii Praep. Ev. 11. 6.
p. 190.
56
257
Nächtliches-Getöse in Wäldern, Meteore und dergl. mit
dem schreckhaft wiederhallenden Echo in Feld und Wald
waren ‚natürliche Anlässe mancher Sagen. Im Allge-
meinen aber war ja Pan der Sphären Herrscher; die
Planeten standen unter ihm mit ihrem ‚oft schädlichen;
schnell tödtlichen Einilufs, und jener ganze Sternen-
zauber, an dem die alte Welt so glaubig hing. Pan also
war der plötzliche Wechsel, könnte man auf diesem
Standpunkte sagen; Silenus der ruhige Wandel und je-
nes wallende Ineinanderfliefsen der verschiedenen Lebens:
elemente,
Kein Wunder, dafs nun Mythus und Theorie meh-
rere Pane unterschied. Den einen, den edelen, den
göttlichen; den Wahrsager Pan hatte Hermes mit der
Orecade Sosa erzeugt, den andern, den Feldgott und Jä-
ger, mit der Penelope 29», Auch ist dort von einem
Stammvater Pan die Rede, der zwülf Pane ‘als seine
Söhne kennt. Auch Cicero 2%) nennt neben den Satyrn
Panisci, junge, kleine Pane, wie man sie auch auf
Kunstdenkmalen sieht. Der Pan von der Penelope ge-
boren ist ebendaselbst (cap. 22.) der Sohn des dritten
Hermes, desSohnes vom dritten Juppiter: — theo-
retische-Erkhlárungen über die Stufe, die Pan in der Ae-
gyptisehen Theologie einnahm, und über die höheren
und niederen Aemter und Eigenschaften, die ihm der
Mythus aus alter Erinnerung lieh. Darum erklärten auch
die Gelehrten den Pan, dessen Tod dem, Schiffer Tha-
mus zur Zeit des Kaisers Tiberius von dér Insel Paxae
herüber so wunderbar verhündigt worden seyn sollte,
205) Vergl. oben Note 189. p. 24i.
206) de N. D. III. 17.' wo ich in der Note p. 558. besonders
auf die gelehrten Untersuchungen von Lanzi de’ Vasi di~
pinti antichi p. 110 sqq. verwiesen habe.
III.
258
für den Sohn der Penelope 207, Im höheren Sinne fafst
folgendes Theorem unsern Pan: «Er ist des Kronos und
der Rhea Sohn, d.i. aus dem Nus (»0?6) und aus der
unendlichen, fliefsenden Materie wird dieses Weltall,
nav» -08), Dieses Pans- All wurde nun auch als hór.
perliches Ganzes ausgedeutet : Seine Hórner sind die
Sonnenstrahlen und Mendshórner; sein Gesicht ist roth,
wie der Feuerhimmel; die Nebris auf seinen Schultern ist
der bunte Sternenhimmel ; seine rauhen Thierteile unten
bezeichnen Bäume, Sträucher und das Gewild in den
Wäldern u.-s. w. 709,
Wer wird es nach dem Bisherigen bezweifeln wol.
len, dafs hierbei viel wirklich uralt Symboli.
sches gegeben ist, wenn gleich die Wahl und Zusam-
menordnung der Bilder im Einzelnen hie und da etwas
willkührlich seyn kann? In desselben Geiste sind jene
Philosopheme über Pan zu lesen, die wir theils bisher
angegeben haben, theils hier kürzlich nachweisen wollen:
Porphyrius ap. Euseb. Pr. Ev. VE. p. 114... Albricus Phi-
los. cap. 9. p. 914 Stav. (Mythogr. Lat.). Cornutus cap. 27:
Isidori Origg. VIII. cap. 20.
Auch im Volksglauben der Griechen und im Volks-
dienste, bemerkten wir oben, ist die Bedeutung alter
Priesterlehre nicht ganz untergegangen. VVerfen wir
daher noch einen Biich auf den Griechischen Pan, be.
sonders in Arcadien. Dort war er ja der einheimische
Gott (£xzıyopr0oc), wie er auch hiefs 719), Dort hatte er
207) Plutarch. de Oracul. defect. p. 419. B sq. p. 715sq. Wytt.
208) Joh. Lydus de menss. p. 118. Vergl. dagegen Zoéga’s
Abhandll. p. 25».
209) Scholiast. Theocrit. I. 3. Servius ad Virgil. Eclog. II.
31. X.27. Silius ltal. XII1. 332. Macrob. Saturn. 1. 22.
210) Daher verlegt auch Zoëga (Abhandil. p.28. Note 75.)
259
ja auf den Lycäischen, Minalischen, Parrhasischen und
Parthenischen Bergen eben so viele Wohnsitze, von
denen er häufig Beinamen‘, neben dem allgemeinen des
Arcadiers, erhielt. Daher ward auch das Andenken
des herrschsüchtigen, aber unglücklichen Arcadischen
Jünglings Antinous dadurch verewigt, dafs man ihn als Pan
bılden und auf Münzen prägen liefs (Spanheim za Calli-
mach. Dian. 88. vergl. Odyssee A. 384. und daselbst
Eustathius), — Sehr menschlich erscheint Pan selbst
auf Arcadischen Münzen. Sie zeigen uns den Köpf des
Juppiter und auf der Kehrseite den des Pan mit zwei
Hörnchen auf der Stirne, ohne Ziegenfüfse und
ohne Bart, daneben das pedum oder auch die sieben-
róhrige Pfeife (Pellerin Recueil T. L. pl. 21), statt dafs
gewöhnlich auf Gemmen und Münzen der ziegenköpfige
Bochsfüfsler, wie ihn Herodotus schon in Griechenland
kannte, sichtbar ward (s. z. B. Museum Florentin. T. I,
tab. 86.).
den Ursprung desselben nach Arcadien, weil der von
vielen Griechischen Schrifistellern erwähnte geisbeinige
Pan, der sich nirgends auf Denkmalen dieses Volkes
finde , wohl aus einem Mifsverstündni(s entstanden sey (?).
In Arcadien sey Pan blos Beschützer und Befruchter der
Heerden und Felder; als er aber nach Attica übergegan-
gen, habe seine Verehrung eine mystischere Miene an-
genommen , indem er bald als Unheil abwehrender Gott,
bald als Sinnbild der Sonue und des warmen , befruchtens
den Princips, bald als Emblem der gesammten kórper-
lichen Natur betrachtet worden. Die Attischen Denk-
miler pflegten- ihn dann mit der Maske des Acratus zu
vereinigen, und ahmten darin die Aegyptischen Basreliefs
nach , welche mit der Hieroglyphe der vollkommenen und
gebildeten Materie zugleich die Maske des Chaos oder
des feuchten und erzeugenden Princips darbóten, — Ue-
brigens leitet derselbe Gelehrte (ebendas. pag. 259.) den
Namen und die Fabel des Pan aus Aegypten her, wo
In jener ganz menschlichen Gestalt, das Hörnchen
auf der Stirne ausgenommen , zeigt ihn auch eine Sici.
lische Münze von Messana, die wir der selteneren Vor.
stellung wegen auf unserer Tafel 1V. nr. 4. nach Eckhel
mitgetheilt haben (vergl. die Erklärung der Abbildungen
P o/9) Die Hirtenvólker Griechenlands hatten ihn zu.
nächst als nàov, d. i. als patriarchalischen Vorsteher des
Hauses und der Heerden, welche Begriffe in dem Worte
xáv zusammerníliefsen (Lennep. Etymolog. p.544. vergl,
p. 552.) , aufgefafst. Auch haben manche Oertlichkeiten
Arcadrens und die dortige Landesart die Grundlage zu
seinem óffentlichen Dienste gegeben. Arcadien war das
Land -der Berge, es war jener Gebirgshessel, in den
sich mehrere Flüsse ohne Abzug ins Meer ergossen. Es
war daher auch das Land der Schlünde, der Grotten und
Erdfále, und sein Clima war im Ganzen mehr feucht,
Pan einen Affen bedeute. Denn es sey gewifs, dafs
Herodotus in den Aegyptischen Bildhauereien das Bild des
Affen Kebos für einen Pan genommen, eben weil der
aiyorgöswros und Tçaycoxs?ns, den er doch dort gesehen zu
haben versichert , auf keinem Aegyptischen Denkmale zu
sehen sey. Endlich sey es aus Philostorgius gewifs, dafs
unter den Affen Aethiopiens eine Art gewesen, die auf
gewisse Weise dem Gotte der Arcadier glich. — ,, Nichts
,,Scheint mir alsó leichter, schliefst Zoéga , als dafs , da
,, die ersten Aegyptischen Anpflanzer im Peloponnes das
, heilige Bild des Kebos, Gefährten und. Dieners der
,lsis Luna, mitgebracht hatten, die rohen Pelasger,
, den fremden Gottesdienst nachahmend, in der Folge dem
, mifsgestalteten Gott eine den Gegenständen , die sie be-
,,Stündig vor Augen hatten, verwandte Gestalt gaben, und
,, nachdem sie itn in eine Bocksgottheit umgewandelt hat-
,»ten , ihn als einen Hirtengott verehrten , so dafs er end-
,, lich Schutzgott der Arcadischen Hirten ward. ** S.auch
noch Zoéza's Bassiril. di Roma LXXVII. not. 4. und
über die Aegypüschen Tempelaffen upsern I. Th. p. 374.
Anmerk,
260
261
und nicht só rauh, als man den hohen Bergen nach hitte
denken sollen :( Aristoteles Problemat. sect. 55.). Dort
hatte Pan neben Juppiter Lycáus seinen Sitz (vergl. oben
IL. Th. pag. 470.). Dort ist er denn auch der Berggott,
der Heerdengott. Dórt im Lande der Seen und Quellen
ist anch die Nymphe Sinoe seine Amme, die ihn allein
und mit andern Nympben erzogen hatte (Pausan. VIII.
3o. $. 2. p. 445 Fac). Dort ehret oder mifshandelt ihn
das Volk, je nachdem eine Jagd ergiebig gewesen oder
das Gegentheil (Schol. Theocr. VIL 106.). Dort heifst
er der nomische (vóuioc), der Gott der Viehweiden , der
auf den Bergen dieses Namens die flirtenlieder auf der
Rohrpfeife erfunden hat, wovon der Ort Melpea der Sing-
ort hiefs (Pausan. VIII. 38. $. 8). Auch wollten ihn
die Leute dort um den Berg Minalus Lieder auf der
Pfeife haben blasen hören (ebendas. 36. 6.5. fin.). Eben
so zeigte das Volk in Attica auf dem Pansberg eine Pans-
hóhle; worin man einige Steine sah, die einem Haufen
Ziegen ühnlich waren (Pausan. L3». fin.). Bei solchen
Volksmärchen scheint freilich der grofse Führer der
Himmelsheere ganz vergessen, der dort nach Aegypti-
scher Idee mit Einem Hauche alle sieben Spháren beseelt
und bewegt, und als der Achte der Chorführer genannt
ist, der, unverwandt nach dem Vater Sirius oder Herm-
Anubis hinauf blickend, den Jahresreigen der Planeten
lenkt und ordnet. Jener grofse Chemmo oder Esmun
scheint vergessen, der dort als Centralfeuer aus der T'isfe
des Himmels und der Erde dem Aegyptier wie dem Phó-
nicier aufging. -
Er ist dennoch nicht vergessen. Auch der Arcadier
kennt im Pan nach seiner Art den ewigen Feuerüther
noch. Hören wir folgenden Bericht des Pausanias
(VIIL cap. 37. $. 8.): «Von hier geht man eine Treppe
binauf, in den l'empel des Pan; man geht auch durch
eine Halle in den Tempel. Die Bildsüule ist nicht grofs.
Von diesem Gotte wird eben so wie vom mächtigsten‘ un.
ter den Góttern gesagt, dafs er die Gelübde der Men.
schen erfülle, und die Bósen nach Verdienst bestrafe,
Bei seiner Bildsiule brennt ein ewiges Feuer. Man
erzählt auch, dafs er in den älteren Zeiten geweissagt
habe, und dafs die Nymphe Erato seine Prophetin war,
welche init dem Arcas, der Callisto Sohn, verehelicht
gewesen». Álso ein Gott des ewigen Feuers, dessen
Prophetin den Sohn jener Callisto zum Manne hat, die
als Bárin mitihren strahlenden Sternen am Nordpol nim-
mer dem Blick entschwindet (Hiad. XVIIL 487 f£). Hier
erinnern wir uns wieder der Genealogie des Cretensischen
Priesters Epimerides, der den Pan als Sohn des Juppiter
und der Callisto kannte. Das war eine Lehre vom Auslande
mit Arcadischer Sage verknüpft. Dafs sie aus der Fremde
gekommen, daran lassen uns andere Nachrichten nicht
zweifeln. Zu Olympia, am Panhellenischen Tempelorte
des ewigen Vaters Zeus, stand vor dem Prytaneum
(worin die Vesta ihren Sitz zu haben pflegte; s. oben
II. Th. p. 627.) rechts am Eingang der Altar des Pan,
worauf Tag und Nacht das Feuer brannte.
Das war zu Elis, wo man auch dem grofsen Sem - He-
rakhles gleiche Ehre erwiefs, wo man vor Alters am Va.
terlande der Hellenischen Religionen hing. «Denn die
Eleer, heifst es in derselben Stelle, bringen nicht allein
den Griechischen Góttern , sondern auch dem Libyschen
Gotte, ingleichen der Ammonischen Here und dem Her-
mes, der Parammon heifst, Trankopfer» (Pausan. V.
cap. 15.). Dort batte also Pan als Parammons Sohn,
d. h. als Sohn des Thebaisch. Libyschen Hermes, sein
ewiges Feuer, und sein Feucraltar stand neben dem Pry-
taneum. Er war also dort Beisitzer der Vesta, der Gót-
tin des ewigen Feuers , und selbst der erste écaion&uov,
der erste Hausvater und Patriarch, wie die alten Dorer
sagten (vergl. oben II. Th. p. 625.). Pan also wie Vesta
362
263
bleibt, um Platonisch zu reden, in der Götter Hause,
im Scheitelpunkte des Himmels, im Feueräther und im
Nabelpunkte der Erde. Darum ist er auch das weissa-
gende Opferfeuer, wie die weissagende VVasserquelle
für seine Arcadier. Er gehürt unten und oben in die
Mitte. Darum sieht man auch den Panshopf mit Epheu
umwunden, dabei das Fruchthorn (der Amalthea) und
die beiden: Dioscurenhüte auf einigen Münzen Grie-
chischer Städte. Man hat dabei an Panticapáum in Tau-
rieu gedacht (Pellerin Recueil T. I. pl. 37.). Das sind
die beiden Hemisphàüren, das ist die Fülle oben und un-
ten — Vorstellungen, die wir nun weiter nicht zu ent.
wickeln nöthig haben.
Auch.die Athener kannten ihn als den Feuergott,
und als eine Heilflamme, die ihnen zur rechten Zeit anf-
gegangen, war. Vor der Schlacht bei Marathon schick-
ter. sie den Läufer Phidippides als Herold nach Sparta,
Hilfe zu suchen in der dringenden Noth. Diesem rief
am Berge Parthenius über Tegea in Arcadien Pan zu,
warum ihm doch die Athener keinen Dienst erwiesen,
da er ilhen doch so oft nützlich gewesen, und es auch
künftig seyn werde? Als die gemeine Noth abgewendet
und der Wohlstand wieder hergestellt war, ordneten die
Athener dem Pan cin Heiligthum, und versöhnten ihn
durch jährliche Opfer und durch die Fackel (Xoapnddız
Herodot. Vl. 105.). Das war ein Fackellauf, wobei
Einer eine Fackel, auf dem Altar angezündet, nach
einem gewissen Ziele trug, und wenn sie erlosch , sie
dem Folgenden übergeben mufste, und so immer in der
Beibe. Dabei erinnerte man an die Lebensfachel. So
redeten wenigstens die Dichter (Lucretius TI: 78. und
dort Creach). Dafs hierbei an Leben und Tod, an den
im Menschen glühenden höheren Funken gedacht wurde,
zeigt die Verbindung des Pan mit Prometheus, dem
Feuergeber, dem Menschenbildner. Die Fackel, sagt
264
Photius (Lexic. in Aaumó) , ist eine Feier zu Athen dem
Pan und Prometheus geweiht. Also dem Pan und
Prometbeus , den Federbringern vom Himmel her. Das
ist der Lucidus Pan, wie er auf Inschriften heifst
(Heinesii Syntagm. p. 173.) , und auf Münzen sieht man
die Fackel neben seinem Bilde ( Larcher zum Herodot.
a. a. 0.). Dafs wir hierbei an den Sternenhimmel zu
denken haben und an den Sonnengott Pah, ist keinem
Zweifel unterworfen. Dafür spricht auch eine alte
Bronze im Stoschischen Cabinet. Sie zeigt uns Pan vor
einem Áltar, woraufein Feuerbrennt, auf seiner Hirten.
flóte blasend. Ueber dem Altare sieht man einen Stern.
Fin Ziegenbock lehfit seine Vorderfüfse auf den Altar.
Das Ganze umgeben die zwölf Zeichen des Thier-
kreises 211).
: Pan hatte den Athenern zu Lande bei Marathon ge-
bolfen. Auch in der Seeschlacht sollte er ihnen be:ge-
standen haben (Scholiast. Sophocl. Ajace. 707.). Vielleicht
bezog man darauf den gehürnten, mondfórmigen Kome-
ten, den man vor Xerxes Einfall in Attica sah. Er ge-
hôrte durch seine mondsartigen Härner zu der Gattung,
welche die Alten die Hörnerkometen nannten 212... Bei
Joh. Lydus, der sich auf Aristoteles beruft, heifst er
ausdrücklich xepdorns, der gehôärnte (de menss. pag.
118.). Gerade so heifst Pan im Orphischen Hymnus (X.
nach der neuen Abtheiluug XI. vs. 13.). Man weifs; dafs
man mit dem gehórnten Zeus auch die Idee des Demiur-
gen verband (Gesner ad Fragmm. Orph. 280. 13). Wie
es mit jenem Hometen nun seyn mag; auf jeden Fall war
und hiefs Pan ausdrücklich Zeus der gehörnte und
211) Winckelmann Description des pierres grav. de Stosch
p. 204. nr. 1232.
212) Ueber die Kometenaxten vergl. Aristotel, Meteorolog.
I. 6 sqq.
265
der Mischkiinstler (xepdorns), d. i. der Demiurg.
Es ist wohl nicht zu zweifeln, dafs auch in dieser Be-
deutung die ursprüngliche Idee des Pan dem Griechi-
schen Volke nicht ganz entschwunden war, Auch sieht
man auf Münzen neben dem gehürnten Panskopfe 215)
das Mysterienkästchen (Pellerin Recueil Tom. I.
p. :34.). Auch die Dioscurenhüte, die wir oben neben
dem Panskopf auf Münzen nachgewiesen haben‘, bewei-
sen eben so>wohl, wie die Griechischen Vasen, dafs
man auch in Hellas niemals ganz aufgehört hat, den
hohen Naturgott von Aegypten her als Herrn der obe-
ren und unteren Sphäre, des Lebens und des Todes zu
erkennen.
In die menschliche Geschichte trat Pan noch später-
hin ein. Wie er Griechenlands Feinde bei Marathon
bekämpft hatte, so half er sie auch noch in Macedonien
bekämpfen. Das war ja auch ein altes Ziegenland, und
die Ziegen hatten in der Vorzeit schon dem Herakliden
Caranus den Weg in die Ziegenstadt Aegi oder Edessa
gezeigt (s. oben I. Th. p. 116.). Als jezt die wilden Gal-
lier hereinkamen, versagte der Ziegengott dem König
Antigonus I. Gonatas auch seine Hülfe nicht. Auch jezt
noch wurden durch Pans Sehrecken die Feinde ge-
worfen und zerstreut (Pausan. X. 23. $. 5.). Aus jener
alten Verehrung des Boclsgottes stammen die Bocks-
213) Die Verbindung des Pan mit den Mysterien zeigt beson-
ders deutlich ein Relief von Pentelischem Marmor im
Musée Napoléon Tom. II. nr. 20.30. Auf der einen
Seite sehen wir die grofse Pansmaske der Ammonsmaske
gegenüber. Beide mit der mystischen Binde. Daneben
einen Hermes ithyphallicus oder Priapus und einen gefes-
s*lten Paniscus; unten Juppiter an der Ziege Amalthea
saugend, und dáneben der mystische Korb mit der Schlan-
ge. Auf der Kehrseite tanzende Satyrn und eine Bac-
chantin,
26
hórner her, die.die Macedonischen Kónige (aufser den
Ammonshürnern am Hopfe, wie man auf vielen Münzen
sieht) auf ihren Helmen, zuweilen auch im Bilde auf
der-Siivne trugen (Echhel D. N. V. IL p. 123 sqq.). —
So war also Pan im Himmelsheere ‘wie in den Armeen
auf Erden hülfreich und mächtig.
$. 16.
Von den Musen *)
Pan hatte mit der -Musen- Amme Eupheme den
Crotus erzeugt. "Schon deswegen kónnte der Musen hier
gedacht werden. Doch gehören sie überhaupt in den
Hreis der Orpbisch-Bacchischen Religionen.
Nicht etwa deswegen, weil Diodorus (I. 18.) diese We-
sen zu Begleiterinnen des Osiris macht, sondera weil
ihr ältester Dienst, wie es scheint, aus Thracien, Ma-
cedonien und aus dem Schoofse der dortigen Apollinisch-
Bacchischen Priesterschulen ausgegangen ist. Auch ha
ben wir oben einen singenden Dionysus kennen ge-
lernt, und zwar in demselben Sinne so genannt, in
welchem Apollo der Musaget heifst; und dieses Apollo
Bild nebst den Dildern der Musen und ihrer Mutter haben
wir ebendaselbst verbunden gesehen mit dem Idol jenes
Singers Dionysus (Pausan. Attic. cap.2 und 32.). Pan
erzeugte den Crotus mit der Amme der Musen. Dieser
letztere hielt sich deswegen nicht im Lande des Vaters,
sondern vielmehr auf dem Helicon auf. Dort zeichnete
er sich als Jäger aus, und unters:ützte den Gesang der
Musen durch die nützliche Erfindung des lauten Tact-
schlagens. Daher ward er auf ihr Bitten von Zeus als
Schütze unter die Sterne versetzt, und ein kleiner Kranz
*) Ueber Amor und die Musen ein Mehreres im Verfolg bei
den Religionen von T'hespiá und Orchomenos.
36
267
ward vor seine Füfse gelegt 214. Das war die eine Er-
klärung dieses alten Sternbildes ; nach einer andern war
der Schütze vielmehr ein Centaur. Nach jener sehen
wir den Sohn des Lärmgottes Pan als einen Laut per-
sonificirt, der in regelmäfsigen Intervallen wiederkehrt,
als das Tactschlagen (xpétos). Diese Erklärung des
Schützen mag allerdings etwas späteren Ursprungs seyn,
wie denn der Zeuge dafür, Sositheus, erst zum tragi-
schen Siebengestirn gezählt wird. Sie gehört jedoch,
ihrem Geiste nach, jener alterthümlichen Ansicht an,
nach welcher astronomische Verhältnisse nach mu-
sicalischen betrachtet, und die grofsen Sternengötter
wie Pan, Juppiter u. s. w mit den Erfindungen in
Gesang und Musik in Verbindung gesetzt wurden.
Bemerkenswerth ist auch der gemeinschaftliche Got-
tesdienst, den Hermes mit Apollo und mit den Mu-
sen hatte, und zwar gerade in Arcadien. Zu Megalo-
polis nümlich sah Pausanias noch die Trümmer eines
diesen Gottheiten zusammen gewidmeten Tempels (Ar-
cad. cap. 32. §. 1.). Von dieser Verbindung des Hermes
und der Musen will man noch auf Denkhmalen Spuren
finden. So hat er z. B. auf Gemmen die Federn über
der Stirne, wie sie, und den Globus zu seinen Füfsen,
wie die Muse Urania ( vergl. Museum Florentin. Tom. I.
p- 143.). Der Musenfreund Hermes kann uns noch auf
einem anderen Wege der Grundidee der Musen näher
führen. Seine Mutter ist Maja (Meia 215); sie ist Tochter
214) Sositheus beim Eratosthen. Cataster. 28. vergl. Hygin,
Poet. Astronom. 1I. 27. p. 479 Staver.
215) Auch Maé; genannt; Odyss. XIV. 435. wo Eustathius
p. 552. infr. Basil. bemerkt: ovx Umonopioriniy 08 5 aig
dAÀd TQÓg Ürac TO? TA dms Maius, yx pp Swwvoiro wal a0-
ry war £xsívw» — so dafs also diese Form Mads Homerus
dort blos der Deutlichkeit wegen gebraucht hätte,
21
des Atlas (Hesiod. Theogon. 938 ff.), jenes Trägers der
Himmelssäulen, jenes weisen Mannes; der des Himmel;
Siützen. kennt und des Meeres Tiefen (ebendas. 5:7.
vergi. Odyss. L 52 sq). Ihre Mutter ist Plejone, des
Oceanus Tochter ( Apollodor. HI. 10. 1.), und Maja
selbst ist die älteste der sieben Plejáden 2!%), neben
denen Atlas mit der Aethra (er selbst aber wird zu.
weilen des Aethers Sohn genannt; Servius ad Virgil,
Aeneid. 1V. 247.) auch die Hyaden (also zwei Töchter.
chöre von Sternen im Bilde des Stieres) erzeugt hatte.
Lauter Stammtafeln, in denen wir den Sternenhim.
mel mit dem Gewässer des Oceanus und mit der
Weisheit aus der Tiefe verbunden sehen. In ei.
ner Grotte hatte auch Zeus den Sohn Hermes mit des
Oceanus Enhelin Maja erzeugt; und ohne Zweifel ist
Hermes als, Musengenosse den Tiefen der Erde so ver.
traut, als den Hóhen des Himmels ; welche beide Eigen-
schaften ausdrücklich von ihm gerühmt werden.
Gehen wir nun der Sprache nach, so leitet uns diese
auf denselben Ideenlreis. Maja-(Maia) heils: die Mut-
ter, die Hebamme und die Sucherin. Alle diese
Begriffe fliefsen aus Einer Stammwurzel paw, ichsuche,
forsche. Daraus leitet sich die Form paio ab, welche
der Maia noch näher liegt. Alle diese Formen udo,
paio, poo kommen in dem gemeinsamen Begriffe des
Sinnens und des Suchens in der Stille und Tiefe
überein, aber such in der andern Ideenreihe des stilien
216) Von ihnen, als Vorzeichen (Verkiindigerinnen) der
Ja..reszeiten, als Dienerinnen des Zeus, verstanden auch
Einige die Stelle des Homerus Odyss. XII. 61. von den
Tauben, die dem Zeus Ambrosia bringen; s. Eustathius
zu der angef. St. p. 475 Bas. grofsentheils aus Athenäus
XI. 79. 80. Tom. V. p. 316 sqq. Schweigl. (vergl. oben
IL. Th. p. 992.).
; EC
259
Wirkens und Bildens, sowohl im mütterlichen
Schoofse als in Gedanken, Daher Mutter, Hebamme,
Bildnerin und Sucherin, Finderin. Daber ward die
Mutter Maja auch als Erfinderin gedeutet, und Hermes
ist ihr Sohn und ihr geistiger Fund ^7). Keinen andern
Ursprung hat aber Wort und Begriff der Muse. Moix
und Méc« (Motco) fallen in der gemeinsamen Stamm-
wurzel des Suchens, des Dildens und Findens (u6o9a:)
zusammen, und so werden beide Wörter auch von den
Alten zusammengestellt 2:5. Zwar gaben Andere an-
217) S. Eustathius zu Odyss. XIV. 435 und 482, (wo den Nym-
phen und dem Hermes, der Maja Sohn, gemeinschaft=
lich geopfert wird) p. 552. lin. 45 sqq. Maia 38 vids ¢ ‘Ege
ps Sid To Ev {wots DgsmTindy nai émysshdy, Swoiz Tig wal êv
dvSçairois païa. nai dA\yyopmdis 3è, db ré Tob ‘Egpoë Aó^ou
Qyratinév nai égeuvyrinoy (vergl. II. 'T'h. p. 903.).
218) Etymol. m. p. 534 ed. Lips. — 92ev xai pañu vai not ca.
Eben daher leiteten auch die Alten das Wort Myr —
Mutter, Tory yip — sagt Eustathius zur Odyss. XIX.
482. p. 708. supr. Basil. — »j wvgies jaa ward jayréça rçé-
Qovca* 3i wai épolws UpQw mapdyovrar dnd Tol MS 'yáo và
(700 0) Ógr nai À xia xal 9 M»v4p. — Sickler im Kadmus
pag. LXXXVIII. leitet Moïoa, Moüra, Mwca vom Ebräi«
schen NUN Mosah her, der Ausspruch, Spruch,
und dann der Gesang, so dafs es bedeute einen Aus-
Spruch, das Resultat einer intellectvellen
Kraft, das die flüchtigen Erscheinungen in der Zeit,
d.i. die Gedanken , zurückzuhalten und dann zur Kunde
zu geben bestimmt ist. Dies sey in der dreimal drei hei-
ligen Zahl vorgestellt, obgleich ursprünglich es nur in
der einfacheren heiligen Dreizahl gedaclit worden seyn
müge: zuerst als Mwjo, (von 3307 als ein Festhalten;
zweitens als” Aoıdy (97N von 77) als ein Wissen; drit«
tens als Msdéry ( nn» von nym ); Wort, Spruch,
Rede. Der Name Maia wird ebendaselbst (pag. XCV.)
von mw'a(Maaiah, contr. Maiah), der Wille,
hergeleitet, Das Griechische Stammwort (ae scheine
uum
rt
279
dere Herleitungen, zum Theil licherliche, an, die wir
übergehen. Diodorus wollte wissen, die Musen seyen
von (DEV genannt, ‚weil sie die Menschen in verbor-
gene Erkenntnisse einweihen (1V. 7.). Aber es kann kei.
nem Zweifel ‚unterliegen‘, dafs die schon von Plato (im
Cratylus p. 406. p. 77 ed. Heindorf.) angegebene Ety.
mologie: uóoSa:, Suchen, die wahre ist, wofür sie
auch von den Sprachgelehrten fast einstimmig erhannt
worden 21%). Die Dorer und Aeolier, die statt T
———
dem Wortlaute wie der Bedeutung zufolge vom Semitischen
MR (wollen, begehren) zu stammen.
219) S. Hemsterhuis und Lennep in dessen Etymolog. L. gr.
p. 421. 434. Gale zum Cornutus de N. D. cap. 14. Die
Ausleger zu der Stelle des Epicharmus bei Xenophon
Memorabil. II. 1. 20. Wesseling zum Diodorus IV. 7.
p.252. und Toup Emendatt. in Suidam [I. p: 303 ed, Lips.
Avch Proclus zu der Platonischen Stelle im Cratylus sagt:
rds rofvuy Moïou, & M Tals Yuyais vr9v QUoT«4ciy 7465
dÀ«Daíag- dv 8 rolg cw juam: rÓ TÀÉS$06 Tv Üuvdj4svy.
wayrayel OF Tay momehiay Thy demovdiy évdidcÏoas iouev; vergl.
Eustathius in den beiden zunächst anzegebenen Stellen
der Odyssee, — Gelegentlich bemerkt, befremdet es auf
denersten Blick, wenn Scaliger zum Festus Not. p LI.
in der Stelle des Hy ginus (p. 13 ed. Staver.) statt: Ex
Jove et Moneta Musae — Ex Jove et Moneta Maja
setzte. Auch ist Verhevk (ad Antonin' Liberal. fab. 9.
pag. 60.) dabei angestofsen, Aber ganz gewifs hatte der
grofse Mann hierbei aus urkundlichen Quellen corrigirt,
wie uns die oben angeführte Stelle des Etymolog. magn.
nicht zweifeln läfst. Der Sinn ist; Juppiter zeügte mit der
Moneta (d.i. mit der Mneme oder Muemosyne, die auch
Moneta hiefs ) die Muse d. i. die Maja. ‘so dürfen
Wir auch eine ältere Quelle vermuthen, aus der Nonnus
(Dionys. lib. V. 104. pag. 146 Hanov.; schópfte , wenn er
die Muse Polyhymnia 4% «7a yopsivg, Mutter des [ane
zes, nennt. Hermann (de Musis fluvialibus peg- 7.) be-
hauptet dagegen , dafs aus der V erbesserung Scaligers sich
-
271
péoa sagten (Gregorius de Dialect. p. 246. 584.), erhiel-
ten also die Erinnerung an den wahren Ursprung dieses
Namens in getreuerem Gedáchtnifs.
Also jene Maja, die vom Vater her aus dem Aether,
von der Mutter aus dem Ocean abstammte , und die nun
als die Führerin des Plejadenchors den Regen aus dem
Schoofse der Wolken vorbedeutete, und mit iiv ean
Schwestern den Schiffern ein bedeutendes Sternbild
war, Maja die Nymphe, die mit ihren. Schwestern
gleichfalls den Sonnenstier und den Stiergott aus
der feuchten Tiefe, Dionysus, mütterlich genáhrt
und auferzogen hatte — diese Maja konnte auch Muse
heifsen. Sie war die Mutter, die Bildnerin im Stillen
und die Pflegerin; sie war die VWahrsagerin aus des
Himmels Tiefe und die Geberin der Feuchtigkeit 229),
kein Reweis ziehen lasse , weil Scaliger aus blofsem Irr-
thum, dergleichen man zum ôftern bei ihm finde, blos
an die Moneta denkend , die Maja gesetzt habe, da er die
Musen , die Hyginus nennt, habe setzen wollen. —. Wie
dem auch sey: Moneta bleibt doch als Juno Fluonia
der Musen Mutter,
220) Ich habe zu der, wie es scheint, verdorbenen Stelle des
Cicero de N. D. II. 21. pag. 592. nach handschriftlichen
Spuren die Vermuthung geáufsert, dafs dort, wo von den
vier ältesten Musen, Töchtern des zweiten Zeus, die
Rede ist — ,,jam Musae primae quatuor, natae Jove al-
tero, 'Thelxiope, Aoede, Arche, Melete ** — zu lesen
sey: — natae Jove altero et IVeda, Thelxiope u.s. w.;
so dafs demnach diese Musen zu 'l'óchtern des Juppiter
und der Neda würden. Diese Neda aber, die wir schon
oben (1I. 'Th. p. 470 f. 474.) als Amme des Zeus kennen
gelernt, ist gleichfalls, wie die andern ältesten Musen,
Flufsnymphe, die dem Arcadischen und Messenischen
Flusse Neda den Namen gegeben ( Pausan. Messen. 33.
2. und Berkel. zu Stepb. Bvz. s. v. ). Und weil sie die
vornehmste vnd ehrwürdigste unter allen Nymphen ist
272
Nicht blos sie honnte so heifsen, sondern alle ihre sechs
Schwestern, ja alle Nymphen iusgesammt, uud sie
hiefsen so. Carius (berichtet uns Nicolaus aus alten
Quellen beim Stephanus von Byzanz in Togpnfloc), des
Zeus und der Torrhebia Sohn, hórte, da er um einen
See herumging, der Nymphen Stimme, lernte dadurch
Gesang und Musik, und ward Lehrmeister der Lydier in
diesen Kiinsten. Die Nymp hen heifsen bei den Lydiera
auch Musen (vergl. Fragmm. Historr. Graece. antiqq.
pag. 156.). Aus andern Nachrichten erfahren wir, dafs
diese Namensgemeinschaft der Musen mit den Nym-
phen im alten Griechenland ziemlich allgemein war 74!)
(eso Puram vopéwy sagt Callimach. Hymn. in Jov. 38. und
dort Ernesti) , so erzeugt der göttliche Zögling dann mit
ihr selber die Musen — sie wird so die Mutter der
Musen. Wenn aber Tzetzes (Exeges. in Iliad. pag. 50.
70. 133.) und mit ihm Eudocia (Violet. pag. 293 sqq.) die
Plusia als die Mutter der ersten Musen nennen , so darf
uns dies um so weniger befremden, wenn wir nur den
Satz festhalten, dafs die Musen auch Nymphen
sind. Und so konnte auch jene Wassernymphe
Neda, die Nührerin des Zeus wie des von ibr benann-
ten Flusses, von Andern ganz passend Plusia genannt
werden. Endlich dürfen wir nicht übersehen, dafs Pau-
sanias ( Arcad. 47. $. 2.) unmittelbar von der Neda und
den andern Nymphen, den Ammen des Zeus, zu den
Musen und zu der Mnemosyne übergeht, von welcher
Cicero das zweite Geschlecht der Musen in der Neunzahl
ableitet. — Man vergleiche hiermit die Einwürfe Hermanns
de Musis fluvialibus p. 8 und 9.
221) Scholiast. 'Theocrit. V. 149. VII. 92. Hesych. und Sui-
dasin vvj4Qa..— Vergl. oben I. 'Th. p. 473. TF. p. 433. 436,
und Petersen de Musarum origin. in Müuteri Miscell,
Hafnienss. I. 1. p. 95. — Nach Hermann (de Musis flu-
viall. pag. 7 seq.) würe dieser Satz vielmehr so zu fassen,
dafs Nymphen der allgemeine Name sey, der also auch
den besonderen der Musen in sich fasse, dafs aber nicht
275
Also äus des Wassers Tiefen, wie aus der Höhe des
Himmels kommt jener Hauch höherer Kunde, die den
Erregten zum Weissagen und zum Singen treibt. Auch
hier wieder jenes Ahnen von einer Einheit des Menschen®
geistés mit dem Geiste der Naturelemente. Nymphen
aber heifsen besonders M *sen, in so fern sie die Ins
haberinnen der begeisternden Quellen sind —
Vorstellungen, die sich im Griechischen Volksglanben
verbreitet finden, &nd wovon Vofs (zu Virgils Eclogen
VIL. pag. 21 ff.) mehrere Belege aus den Alten gegeben,
und einige Dichterstellen übersetzt hat; z. B. aus einem
Gesang an Apollo (s.Porphyrius de Antro Nymph. cap. 8
ed. Gäns.), wo es von den Nymphen heifst :
,Dir baben sie Quellen sinniger Gewisser
Gehóhlt; in Grotten weilend,
Mit Hauchen der Erde genährt
Zur heiligen Stimme des Gesangs. '*
Daher denn jene Vorstellungen von den begeisternden
Muserquellen Hippocrenc , -Aganippe und dergl. 72) —
Ideen, welche ganz mit dem Italischen Volksmythus von
der im Flusse Numicius wohnenden Anna Perenna zu-
sammenhängen, die dem Römischen Volke Rath und
Hülfe giebt (s. oben Il. Tl. p. 974.), und mit der Sage
vom Hünige Numa, der sich bei der Nymphe Egeria
Baths erholt 223), Und auch der Römer hatte ja seine
umgekehrt alle Nymphen deswegeii áuch Musen seyen; —
Ich dächte, die Hauptsache wäre der hier zu Grunde
liegende Satz, dafs die ganze Vorwelt aus dem
Wasseralle reellenund intellectuellen Po-
tenzen ableitete.
222) Mehreres hierüber s. oben I. Th. pag. 473. und beson-
ders II. p. 902.
223) Derselbe Numa hatte auch mit den Musen Unigang,
und legte ihnen alle seine Weissagungen bei. Vor allen
III,
18
274
Maja (Maia). Freilich war sic ihm die Mutter Erde.
Als solcher feierte er ihr am ersten Mai das Jahresfest
(Frontejus beim Joh. Lydus de menss. p. 104.). — Aber
auch diesem VVesen, wenn man e$ genauer betrachtet,
liegen dieselben Begriffe zum Grunde. Denn auch in
des Rümers Ansicht hatte dia Erde geistige und eingei-
stigende Kräfte. Hermes (sagt Mummias ebendas.) ist
der sich áufsernde Verstand (wobei die Idee der
Rede als des sich äufsernden Verstandes vorwaltet), —
nun reden aber die Kinder nicht eher, als sie die Erde
(Maia) berühren, und auf den Boden treten. Insolchen
allenthalben verbreiteten Volhsbegritfen erkennen wir
auch den Grundbegriff der Mnsen. Sie waren diesem-
nach ganz allgemeine VyVesen der alten Naturreligion.
Sie gehörten dem Himmel und der Erde an; und mithin
mufste jedes L'and der Hellenen, das seine Astro-
logen und Scher batte und seine Wassergrotten und
Erdschlünde und dergl., auch eine Muse oder Weis-
sage- und Gesangnymphe aus der Tiefe haben, Oft
hatte ‚es ein ganzes Geschlecht solcher Wesen. Arca-
dien also, dieser Gebirgs - und Wasserkessel, voll von
den, merkwürdigsten Grotten, wo der Grottenfreund (av-
cpogapÿs ; Orph. Hymn. XI. [10.] +2. und X XXII. [31,]
3.) und Wahrsager Pan, und der Erd’hermes (xSövıo0c)
einheimisch waren, dieses so merkwürdige Land hatte
von der Natur vorzügliche Ansprüche erhalten, Musen
und der Musen Amme zu besitzen.
Diese Arcadischen Götter treten durch die Lyra
mit den Musen in eine neue Verbindung. Wie Pans
siebenróhrige Hirtenpfeiíe das Vorbild der Apollo'sleyer
aber verehrte er eine: 'l'acita, die Stille. — Also
wieder dieselben Volksideen , wie bei den Griechen. Ue-
ber diese Musen ( Camenae ) des Numa vergl. Plutarch.
in Numa p. 165, A, DB. uad oben Il.'l'h. p. 895 ff.
255
war , so erfand Hermes die siebensaitige Lyra. Da.
von singt schon der Homeride im schönen Hymnus auf
diesen Gott (vs. 51.). Sie ward aus der Schildkröte ge-
macht, worüber der kunstreiche Erfinder die Sehnen
der gestohlenen Apollo'srinder spannte (Eratosth. Ca-
taster. cap. 24.). Arcadien war das Laud dev Sehildlró-
ten. In seinen Wäldern sah man dergleichen von beson-
derer Grófse, namentlich am Parthenion und an einem
andern Berge, der mit dem Cyllene zusammenhing und
deswegen auch Chelydorea (der Schildkritenberg) hiefs
(s. Pausan. Arcad. cap.17. §.4. cap.23. $. 6. und cap. 54.
§.5.). Aber auch Aegypten kannte in seinem Hermes
einen Erfinder der Lyra, und zwar auch aus Veranlas-
sung des Fundes einer Schildhrótenschaale, auf die der
Gott zufällig am Nilufer stiefs 224), Wirklich will Po-
coche Spuren davon in einem Wandgemilde an einem
Tempel zu Thebe in Aegypten gefunden haben: zwei
Figuren, die eine mit zwei Flügeln am Kopfe , die andere
mit der Schaale einer Schildkröte statt des Hutes. Win-
chelmann (Monumenti I. p. 31. zu nr. 39.) hält dies für
sehr wahrscheinlich , und weiset einen Stoschischen Sca-
rabäus nach, der den Hermes mit der Schildkröte auf
der Schulter darstellt.
Hermes gab seiner Schildkrötenleyer sieben Saiten
nach der Zahl der Planeten 225), Also die Mercurs-
leyer ist ein planetarisches Symbol, wie die Pfeife seines
Sohnes, des Pan; und die sieben Sphüren sind in beiden
Instrumenten versinnlicht (s. oben 1. Th. P.474.) Era-
tosthenes dagegen (cap. 24.) und aus ibm Hyginus (Poet.
224) Euseb. Pr. Ev. If. pag. 29. Hiermit verhinde man die
Bemerkungen im I. 'Th. p. A474 f. über die alte Siebenzahl
der Musen.
225) Scholiast, Arati Phaenom. 296. p. 70/ed. Buhle;
276
Astronom. Il. 5. pag. 430.) erzählen uns, dafs der Gott
bei seinen sieben Saiten auf die. sieben Plejaden sah,
deren älteste seine Mutter Maja war. Diese Leyer em-
pfing nun Apollo und schenkte sie dem Orpheus , einem
Sohne der Mase Calliope. Dieser gab ihr nach der
Musenzahl neun Saiten. Darauf folgt die Geschichte
von dem blutigen Tode dieses allzueifrigen Apollodieners
(aus den Bassariden des Aeschylus). Die Musen. fahrt
darauf die Erzühlung fort, begruben die Glieder des
zerstüekelten Sängers zu Libethra, die Lyra aber ward
auf ihre Bitte von Zeus zu ihrem und Orpheus ewigem
Gedächtnifs unter die Sterne versetzt (Eratosth. und Hy-
gin. ]l. 11). Ich will mich hier bei den verschiedenen
Sagen von der Orpbhischen Leyer und von ihrer Beschaf-
fénheit nicht aufhalten. Bekanntlich werden ihr in be-
deutenden Stellen der Alten vier Saiten beigelegt; und
so finden sich dergleichen Verschiedenheiten mehr, wor-
über man Spanheim (Remarques sur les Cesars de Julien
pP. 117.) , Hemsterhuis (zum Lucianus ll. p. 271 Dip.)
und die Nachweisungen der Ausleger zum Hyginus (a.
a. O.) nachlesen mag. Dafs die Hermesleyer sieben
Saiten hatte, war eine berühmte Tradition, worauf auch
Euripides in der Alcestis (vs. 446.) und Mehrere anspie-
jen. Es war ein Arcadischer Mythus und griff in die
Symbolik der dortigen grofsen Gottheiten ein. Was wir
also über den ausländischen Ursprung derselben beim Pan
bemerkt haben, gilt auch hier.
Aber mit den neun Saiten zieht dieser Mythus in
die Orphischen Schulen hinüber und nach Thracien
hin. Von dorther kommen, wie wir gleich hören wer-
den, die neun Musen. Vorerst bleiben wir bei der
Lyra stehen. Zu Libethra war Orpheus von den Musen
beerdigt. Das ist das Thracische, nachher zu Mace-
donien gehörige Libethra ( Schaubach zum Exratosth: nes
a. a. O.. Zu Libethra sollte auch Pythagoras in die Or-
377
phischen Mysterien eingeweiht seyn (s. vorher pag. 170.).
Derselbe Pythagoras pflegte in seiner mysteriósen Sprache
die Pleias (die Plejaden) die Leyer der Musen zu
nennen (Porphyr. Vit. Pythag. pag. 42 ed. Kust.). Das
war'die Hermeslyra, die der erfinderische Gott nach den
Arcadischen Musen, d. h. nach den Plejaden, ge-
nannt hatte. Derselbe Philosoph nannte auch die zwei
Polarbiren der Rhea Hinde (ebendas.). Dieses erin.
nert uns wieder an der Rhea Hund; Pan, den ja Epi-
menides den Sohn der Callisto (der grofsen Bárin) ge-
nannt hatte. Also auch diese Combination der Sieben-
Zahl von Musen war in Orpbische Schulen übergegan-
gen. Das waren wieder Verschmelzungen der Apoliini-
schen und Bacchischeu Lehren. Pan hat die sieben-
róhrige Pfeife, und Pans Heerführer Dionysus ist anch
der Plejaden Zógling, nicht blos der Hyaden 226); urd
Bacchus, der die Plejaden anführt, wie auf der d'Or-
say'schen Vase (s. Dionysus p.275.), wo er mit dem Stier-
hopfe vor ihnen hergeht, ist Chorag einer Siebenzahl
von Nymphen oder Musen. Gerade in der Siebenzahl
werden wir im Verfolg den. Apollo und Dionysus be-
freundet sehen, wenn der in sieben Stücke zerrissene
Dionysus von dem Apollo am Parnafs beerdigt wird. —
Aber diese Sagen greifen in die Corybantischen Myste-
rien von Creta hinüber, wo an ähnliche siderische Ver-
hältnisse gewisse Lehren geknüpft waren, die wir wei-
terhin berühren werden 227),
226) Pherecydes ap. Scholiast. Germanici p. 65 ed. Buhle.
227) Petersen (de Musarum Origg. pag. 86 seq.) zwei-
felt, ob diese Verbindung der von Mercurius erfun-
denen siebensaitigen Lyra, des Symbols der Planeten
oder Plejaden, mit den ältesten Musen wirklich. jenen
áltesten Zeiten angehóre , so dafs diese Beimisebung astro-
nomischer Ideen und Verhältnisse eher in spátere Zeiten
2".
Jedoch die Neunzahl der Musen siete im hern.
schenden Religionssystem, wie in Thracien, so auch in
dem eigentlichen Musenlande, in Bóotien. Nach dieser
Lehre war Apollo der eigentliche Musaget (qovog-
yétns), wie er in unzähligen Stellen der Alten hiefs
(Wesseling zum Diodor. I. 18.), und als solcher, bei den
nachherigen Volksdichtern, Anführer eines Chors von
neun weiblichen Wesen. Nach Plutarchus (Synipos.
IX. 14. $. 8. p. 744. D. p. 1077 Wyttenb.) ward erst spàá-
ter zur Zeit des Hesiodus diese Zahl herrschend. Pau-
sanias in der Hauptstelle (Boeot. cap. 29 sq.) läfst
sie durch Pierus aus Macedonien nach Thespiä in Bóo-
tien bringen.
Nach diesen Vorbemerkungen können wir was übri-
gens von den Musen im Wesentlichen zu bemerken ist,
ganz kurz in wenigen Umrissen andeuten. Durch die
bisherigen Erürterungen glaube ich die natürlichen.
Anlásse und, so zu sagen, die Wurzeln dieses Mythus
nachgewiesen zu haben. Es ergiebt sich hieraus zur
Genüge, dafs seine Quelle jene Naturreligion war, nach
zu verlegen , oder doch wenigstens gewissen bestimmten
Orten beizulezen. sey , zumal da jede Provinz in Griechen-
land ihren einheimischen, von den andern verschiedenen (?)
Musendienst haben mochte, | Aufserdem müsse man als-
dann annehmen, dafs der älteste Dienst der Musen von
Arcadien nach Thracien verpflanzt, und von hier wieder
nach Süden zu, nach Bóotien und den andern Griechischen
Ländern, weiter gebracht worden sey; eine Annahme,
von deren Richtigkeit er sich nicht überzeugen kann, —
Tolken zur deutschen Uebersetzung von Millin's Galerie
mytholog. p. 48. will auf der d'Orsay'schen Vase vielmehr
den Minotaur mit den sieben geopferten Athenerinnen er-
kennen. — Ein anderes Denkmal bei Piranesi Monumm.
de la gr. Gréce, wo der Chorag keinen Stierkopf hat, be-
stimmt mich, aufser andern Gründen, für die Beibehal-
tung jener ersten Erklärung,
279
welcher die lebendige Finhildung der Griechen dem Ge-
vüsser und den mit Erddünsten geschwüngerten Quellen
begeisternde Krifte beilegte; womit sich dann frühzeitig
gewisse astronomische Kenntnisse von den Planeten , von
den Plejaden und von einigen Sternen erster Größe,
wie die Lyra ist, verbunden hatten ; Erkenntnisse, wel-
che die symbolische Priesterlehre des Auslands sehr früh
unter musicalischen Bildern vorgetragen hatte. So sehen
wir, wie einerseits jede Provinz von Griechenland ihre
einheimischen Musen hatte, nach verschiedener Zahl
und Abstammung; wie insbesondere aber Thracien
mit seinen alten Astrologen und Priestern, sodann Delphi
mnit scinen Erddämpfen und Apollinischen Orakeln und
der Helicon mit den Wäldern, Grotten und Quellen um
ihn her als Hauptsitze dieses Musendienstes-hervortreten
konnten; zumal das letztere Local, wo sich frühzeilig
eine Pflanzschule Thracisch - Orphischer Sänger nieder-
gelassen zu haben scheint. —.
In jener Hauptstelle des Pausanias (IX. 29.) wird
der Musendienst in Büotien als sehr alt angegeben. Die
Aloiden, Otus und Ephialtes, aus der uralten Stadt Or-
chomenos hatten die Stadt Ascra gebaut, und zuerst auf
dem Helicon den Musen geopfert. Also Riesen aus der
grauen Vorzeit (s. oben IL. 'Th. pag. 385 ff). Die drei
ältesten Musen dieser Aloiden sind: Melete, Mneme
und Aóde (Mekétn, Mvipn, ‘Acid ) 228. Andere
298) Arch Petersen (pag. 88 seqq. a. a. O.) geht von, einer
Minderzahl von Musen aus; die Neunzabl sey wohl erst
um die Zeiten des Hesiodus allgemein herrschend gewor-
den; und wenn auch spätere Dichter, besonders Lyri-
ker, eine geringere Zahl vou Musen nennen, so ha-
ben sie hier nur das Alterthümliche hervorgesucht , und
alte Ideen von neuem hervorgerufen, Die ursprüng-
liche Musenzahl, glaubt er, sey die Dreizahl gewe-
sen; denn was Cornutus (de N. D. XIV. pag. 121.) von
Nachrichten von der Zahl der Musen geben zwei, vier,
einer Zweiheit sage , sey vermuthlich eine Allegorie, die
sich eher auf irgend ein Philosophem beziehe , als auf die
älteste Poesie, Dies seyen die drei ältesten Musen auf
dem Helicon, die Aloiden, bei Pausanias 1X. 29., die
Töchter des Uranus und der Gàa, wie Aloman gesungen
(s. jezt desseu Fragmente vou Welcker pag. 24.5; jedoch
wohl zu unterscheiden von den drei Musen des Coriathers
Eumeius, den Töchtern des Apallo: Cephisus, Apol.
lonis und Borysthenis, die späteren Ursprungs
eben wegen dieser Genealogie seyn möchten (s. Tzetz.
zu Hesiod. 'T'heogon. I. p. 6.). Auch die uralten Bilder
der Musen auf dem Helicon, die Cephissodotus verfer-
tigte (Pausan. 1X. 30.7, möchten wohl eben darum drei
an der Zahl gewesen seyn. Dafs dann die Philosophen
natürlich die Dreizahl zu ihren allegorischen Deutungen
benutzt, sey nicht zu verwundern. Diese Zahl sey
aber in der Folge vermehrt, und auf mannigfache
Weise ausgebildet worden. Dahin gehóren die vier Mu-
sen, wclche Aratus,, Mnaseas und Cornutus , so wie Ci-
cero angeben. Wenn auch letzterer diese vier Musen,
dieältesten, die Töchter des zweiten Juppiter nenne,
so werde gleichwohl seine Meinung von der Dreizaht,
als der ältesten Zahl der Musen, nicht umgestofsen , da
die Gôtter , die von Juppiter abstammten , insgesammt der
neueren Götterordnung angehörten , und Cicero überdies
nur die Verschiedenheiten der Griechischen Theologen
aufzeigen, nicht aber in die genane Geschichte dieses My-
thus eingehen wolle (non data opera in historiam hujus
mythi inquirere). Er habe sich daher begnügt, nur die
beiden Genealogien zu erwáhnen , besonders da seit der
Einführung der Neunzahl man selten jener älteren ge-
dachte. Die Fünfzahl, in der sie nach Tzetzes auch vor-
kommen, sey cine blofse Vermischung und Erdichtung (?)
(pag. 97.3. Die sieben Musen, welche Epicharmus als
Séhne des Pierus und der Nymphe Pimpleis neunt, zeigen
schon durch ihre Genealogie ihren Ursprung aus den
Nordgriechischen Lündern, aus Thracien und Macedo
nien, an, wohin Einige bestimmt die Verehrung der Mus
180
“31
sieben und acht an 22%), Eine Vierzahl kennt Cicera
sen, die Pierus stiftete, beziehen, so wie auch aufser
Anderm durch die Angabe des Festus, dafs die Pimplei-
schen Musen von einer Quelle in Macedonien benannt
worden seyen. $0 sind sie also wieder Nymphen. Mit
dieser Siebenzahl sey freilich die Gelegenheit gegeben
worden zu einer Verbindung mit der siebensaitigen Leyer,
den sieben Planeten und andern astronomischen Verhälts
nissen; aber davon den ältesten Cultus der Griechen ab«
leiten zu wollen, bezweifle er sehr (p. 99.). — Ueber die
Achtzahl der Maseu fehlen nühere Angaben. Was
die sieben Musen des Epicharmus betrifft, so wiederhole
ich nicht, was ich oben im I.'Th. pag. 412. ausführlicher
darüber bemerkthabe. Eineandere Meinung, welcherich
nicht beipflichten kann, hat neulich Hermann (de Musis
fluvialibus Epicharmi et Eumeli, Lipsiae 1819. p. 10 sqq.)
versucht. Er glaubt, jene Stelle des Epicharmus sey aus
einem verlorenen Stücke dea Komikers Épicharmus, die
M usen betitelt (s. Athenáus III. pag. 110. B. uad VIL
pag. 282. D.), entnommen , wo dieser Komiker die bei
der Hochzeit der Hebe schmausenden Gótter , so wie ins-
besondere die Musen , làcherlich zu machen gesucht habe.
Die weitere Entwickelung mnfs man bei ibm selbst nach-
lesen. — Was die Ansicht Peterseu's betrifft, so zeigt
dieser junge Gelehrte so viel Sinn und Talent für antiquas
rische Forschungen, dafsich nicht zweifle, er werde durch
ein genaueres Studium der ältesten Denkmale des Orients
von jener atomistischen und Begriffe spaltenden, d. h. uns
mythologischen , Methode abgelenkt, und zu der Ueber-
zengung geführt werden, dafs alle Zahlverhiltnisse im
System von den Musen ursprünglich schon in den Prie-
sterlehren der Vorwelt erschópft waren , ehe sie nach und
nach zu den Griechen kamen.
229) S. die weitläuftigen Ausführungen des 'Tzetzes zu Hesiodi
'Epy. p. 6 ed. Heinsii, wo unter vieler Spreu noch manches
Brauchbare liegt, und vergl. damit Cicero de N. D. III.
21. mit den Auslegern pag. 59i sqq.; die Ausleger zum
Hygiuus p. 13 Staver. und Hermann de Musis fluvialibus
Epicharmi et Eumeli p. 1. 2.
3f
(am angef. O.): Thelxinoe, AGde, Arche, Melete.. Dies
sind die vier ersten Musen, Töchter des zweiten Juppi.
ter. Darauf folgen die zweiten, Töchter des dritten
Juppiter und der Mnemosyne, neun an der Zahl, und
darauf die dritten, gleichfalls neun, Töchter des Pierus
und der Antiopa 23%), Unter den abweichenden Genea.
logien der Musen ist die bemerkenswertheste die des
Aleman und Mimnermus. Jener nannte sie Töchter des
Uranus und der Gàáa (Diodor. IV. 7.); dieser liefs die
älteren Musen. vom Himmel und von der Erde erzeugt
werden, die jüngeren aber vom Zeus (Pausan. IX. 29.
vergl. Scholiast. Apollon. HI. 3.). Die neun Musen des
herrschenden Systems waren Töchter des Zeus und der
Mnemosyne (Hesiod. Theogon. 53 sqq.). Mnemosyne
(Myrgootyn) heifst auch Mneme , daber die Musen Mne-
monides 2°"); auch heifst sie Moneta (s. oben). Die
Amme Eupheme (Eèpjun). Weitere Bemerkungen üher
die Neunzahl, über das Homerische und Hesiodeische
Musensystem giebt Heyne Opusce. acadd. H. p. 310. 222),
230) Ich bin in dieser Stelle den Berichtigungen von Davies
gefolgt, da sie durch mehrere meiner Handschriften und
andere Spuren bestätigt sind. Ueber den Namen Pierin-
nen von Pieria (ILegi@) und von Pieros (Tliscos auch ILmo,
aber nicht Pierius, wie die Abschreiber hie und da ver-
dorben haben) vergl. den dort angeführten Verheyk zum
Antonin. Libcral. p. 62.
231) S. die Stellen der Alten hierüber bei Petersen a. a. O.
‘p. 106. Not. 1.
232) Was die Neunzahl der Musen betrifft, so giebt schon
Cicero von ihnen eine verschiedene Genealogie an. Er
sagt nàmlich a. a. O.: ,, secundae (sc. Musae) Jove fer-
tio et I VInemosyne procreatae novem: tertiae, Piero nas
tae et Antiopa, quas Pieridas et Pierias solent poetae
appellare, iisdem nominibus , eodem numero, quo pro-
Xime superiores.‘* Petersen (p. 101 ff.) sucht die Frage,
385
283
Die Namen der neun Musen des Vollsglaubens
aber sind: KAzio, Eóvépng, Catia, MeXnzouéívg, Tso-
U1760%, Epato, llolóuria, Oùdparia, Kakktoxn. Ueber
den Sinn und die Bedeutung dieser Namen verg'eiche
man die Nachweisungen von Muncker und Staveren zum
Fulgentius cap. 14. p- 641 sqq.
Wohnsitze. Gebirge: der Olympus 23%), der
Berg Pimpla in Macedonien, der Pindus in Macedonien,
Thessalien, Epirus; der Parnassus in Phocis, wo die
Kaotokia xoûvn und das Kopéxior dyrpor. Der Helicon
(Edo) in Büotien, wo die begeisternden Quellen
Hippocrene und Aganippe (‘Immorzoÿrn, "Ayayimmn ).
Auch Bóotien hatte jest seinen begeisternden Brunnen
Actif zSpor (Libethron oder Libethra , auch Libethros)
und Libethrische Nymphen-Musen. Ueberhaupt ist Bóo-
tien der eigentliche Wohnsitz dieser Neunzahl der all-
welche von beiden die dltere sey, dahin zu entscheiden,
dafs die zweitere Sage , welche die Musen zu Töchtern
des Pierus macht, oder doch demselben ihre Einführung
zu T'hespià zuschreibt, wohl als die altere zu betrachten
sey. Wenn auch gemeinhin dem Hesiodus die Einführung
der neun Musen nebst ihren Namen beigelegt werde, so
lasse sich dies wohl in so weit damit vereinigen , dafs zur
Zeit des Hesiodus der áltere Mythus erweitert, ausge-
schmückt und so durch die Hesiodeischen Gedichte ver-
breitet worden sey. . Auch andere Spuren führt er an,
welche die Einführung der neun Musen durch Hesiodus
bezweifeln lassen (p. 103.). Bei Homer werde ófters der
Musen, an einer Stelle aber nur der neun Musen
gedacht (Odyss. XXIV. 60.); ein Umstand , der bei dem
Zweifel an der Aechtheit der letzten Gesánge der Odyssee
gewifs nicht zu übersehen sey (p. 101.).
233) Nach Homerischer Vorstellung wohnen die Musen auf
dem Olympus neben den Grazien und dem Himeros , und
erheitern beim Mahle die Gótter durch ihren Gesang;
vergl. lliad. I. 603, Hesiod, Theogon. 64.
EA
284
gemein verehrten Musen 234), ‚Ein Blick auf die Be.
schreibung des Pausanias (IX. 29 sqq.) von den Merk.
würdigkeiten des Helicon und des Musenhains: die Bilder
der Fupheme, des Linus, die Bildsäulen der Musen von
den Künstlern Cephissodotus , Strongylion und Olympio.
sthenes (vergl. Petersen p. 93.). Die Bilder des Apollo
und Hermes; der Bacchus von Lysippus; die Statuen
des 'hamyris, Arion, Hesiodus, des Orpheus endlich
und neben ihm die Telete und andere. Der Bôotische
Mythus, den schon Pherecydes kannte (ap. Scholiast.
Apollon. I. 736 sqq.), liefs die Apollo'sleyer, die nach
obiger Erzáhlung beim Eratosthenes (cap. 24.) die Mu-
sen nach Orpheus Tode Niemand zu geben wufsten,
dem Amphion schenken, in dessen Hand sie wieder an-
dere Wunderdinge that; welches der Gegenstand von
berühmten Gemiüiden ward (s. Philostrati lconn. I. 10.
und daselbst Olearius). — Jungfrauenschaft der Musen
(deuxapSéroi) 225), Sinn und Bedeutung dieses mythi-
schen Zugs, und Erinnerung an die xap9évog Athene,
Hinwieder Mutterschaft der meisten unter ihnen 255),
Verschiedene Versuche diesen anscheinenden Wider-
spruch auszugleichen. Berühmte Söhne: Orpheus von
der Calliope; Linus von derselben oder von der Urania
(Hesiodi Fragmm, ap. Eustath. ad lliad, XVIII. p.163);
Hiacynthus von der Clio; Rhesus von der Terpsichore,
und daneben die Geburt der Sirenen von Erato (Apol-
lodor. I. 3. 2.).
Aemter der Musen. Unterscheidung der alten Ho-
231) S.'Petersen a. a. O. p? 100. 405.
235) S. Petersen a. a. O. p. 109 sq.
236) Vergl. Hemsterhuis zum Lucianus 1. p.300 Bip. Heyne
zum Apollodorus p. 13. Valckenaer zu Callimachi Ele-
giar. Fraguum. p. 183.
=.)
merischen und ähnlicher Vorstellungen von den späteren.
Sängerinnen um die Gôttertafel unter Apollo's Leitung
(Iliad. L. 603. vergl. die Vorstellung auf dem Hasten des
Cypselus bei Pausanias V. 10.). Ihr Hlagegesang auf
den Tod des Achilles (Odyss. XXIV. 65.). Bestimm-
tere Austheilung einzelner Geschátte nach den verschie-
denen Zweigen der Wissenschaft und Kunst. Haupt-
stellen : Anthol. gr. Tom. Ilf. p. 214. 220 sq ed. Jacobs.
Auson.IdyH. XX. Einige Hauptzüge ihrer nythischen
Geschichte, aufser den obigen : das Blenden des Sán-
gers Thamyris (Apollodor. II. 3. 3. Pausan. IV. 33. 4.).
Der Wettstreit mit den Sirenen und der Sieg über
diese. Eerpñv. Bedeutung des Namens. Verschiedene
Angaben ihrer Abkanft. Tóchter des Phorcus nach So-
phocles bei Plutarch (Sympos. IX. 14. 6. p. 245. F. p. 1082
VY yut.). Töchter der Erde (Eurip. Helena 167.) u. s. w.
Homerische Vorstellungen von ihnen (Odyss. Xil. 35 ff.
und daselbst Eustathius und Scholl. vergl. oben II. Th.
p. 900.). Orientalische , Orpbische und Platonische Ideen
von.den Sirenen, s. m. Commentt. Herodott. I. p. 347 sqq.
Weitere Ausbildung derselben bei Apollonius (IV. 891.)
u.s. w. bis zu den späteren Lateinischen Dichtern (Heyne
zum Apollodor. p. 15. 47. 85.). Ihre Geburt (vergl.
Winckelmann Monumenti inedit. zu nr. 46. pag. 41. und
Spanheim de usu et pr num. V. 3) Ihre Zabl und Na-
men und die.Geschichte des Wettstreites selbst (s. Pau-
sanias IX. 34. §. 2. Hygin. fab. pag. 13. und daselbst die
Ausleger, besonders Antoninus Liberal. fab. 9. und da-
selbst Verheyk). Die symbolische Bedeutung der Sirenen
auf Grabmälern , z. B. auf der Trauerpyramide des He-
phästion (Diodor. Sic. XVIL cap. 115. mit den Erláute-
rungen von Seintecroix Examen crit. des Hist. d'Alexan-
dre p. 468 — 4^72.).
Vorstellungen der Orphiker von den Musen nach
dem Hymnus (LXXVI. [75.]). Andere Theorien über
38F
2€
diesen Mythus, besonders in Betreff der Neunzahl 237).
wobei zum "Theil die Begriffe von der Neunzahl als der
vollkommensten und als des Products der Trias zum
Grunde liegen. Physiologische Ansicht der Zehnzahl
der Musen mit Apollo nach den zehn zur Menschenstim.
me mitwirkenden Organen (Anaximander, Xenophanes
und Andere bei Fulgentius Mytholog. cap. 14. pag. 640
Staver.). Spiitere Betrachtungsart nach dem Kreise der
Wissenschaften (Fulgentius ebendas. vergl. Tzetzes
zum Hesiodus p. 6 sqq. Hicrmit verbinde man nun den
neulich edirten Hermias zu Plato’s Phädrus p- 201 ed.
Ast. über die Musen und über die Schreibekunsrt.
mit Beziehung auf die bekannten Aeufserungen des Plato
daselbst).
Hunstvorstellungen der Musen. Ihre Attri-
bute: beflügelt, aber nicht beständig ( Winckelm. Mo.
numm. I. 2 sq. 1. Vofs Mytholog. Bziefe II. p. 38.). Fe.
dern auf dem Kopfe ( Winchelmann a. a. O. vergl. Mu.
seum Florentin. Tom. L. p. 143.). Mythische Erklärung :
als Zeichen des Sieges , den sie über die Sirenen davon
237) S. Plutarch. Sympos. IX. 14. p. 744. D. p. 1077 Wytt.
p. 746. A. p. 1082 Wytt. Varro ap. Augustin. de Civ. D.
11. 17. Cornutus de Nat. Deor. cap. 14. vergl. Petersen
p. 106 sqq. Andere alte Theologen, wie doit aus Ma-
crobius angeführt wird, hatten als Grund angegeben , weil
der himmlischen Sphären acht seyen und Eine , die gröfste,
welche aus diesen allen bestehe. — Aehnliche Fhiloso-
pheme über die Dreizahl weist Petersen p. 93. nach. Da
war es Bald die vollkommene Zahl, bald die dreifache
Art der Speculation, welche bei der Dreizahl der Musen
zum Grunde lag u. s. w. Bald auch bezog man sie auf
die drei Wissenschaften , Philosophie, Beredsamkeit und
Mathematik. Aehnliche Vorstellungen üher die Vierzahl
führt Petersen p. 96. an, Von der Siebenzahl haben wir
oben gesprochen,
To
287
getragen. Der Ort in Creta, wo diese ihrer Federn be-
raubt wurden , hiefs "Avtvepu (Stephan. Byz. in voe. und
Eustathius ad Iliad. I. 201.). Die andere Deutung bezieht
dieses Attribut auf die hobe Richtung ihrer Gedanken,
Hierbei Erinnerung an andere bildliche Vorstellungen
der Dichter und Künstler vom Pegasus 75, von dem
—_—
238) Hesiod. 'Theogon. 231. Apollodor. TT. 3. 2. vergl. Thor-
lacii Dissert. de Pegasi, equi coelesüs mytho Graeco etc.
Havniae 1819. (als Programm bei einer academischen
Feierlichkeit). Es ist diese Abhandlung mit einer Tafel
begleitet, auf welcher aufser andern in diesen M ythus
fallenden^und auderwürts her bekannten Gemmen auch
eine unedirte aus dem Cabinet des Herrn Manrad
abgebildet ist. Dieser Carieol zeigt den gezügelten Pe-
gasus vor dem Helicon stehend , um aus der Quelle
Hippocrene , die durch seinen Hufschlag eben entstanden
ist, Wasser zu trinken, Auf dem Berge steht ein Baum,
der sich über den Pegasus hin verbreitet, und ein Haus
— Tempel, Der Verfasser, nachdem er den Mvyvthus
nach den verschiedenen Angaben der Alten dargestellt
und die Belege dazu aus bildlichen Denkmalen gegehen,
geht darauf (S. [V. p. 10.) an die Erklirung des Mythus
selber, Er verwirft die abgeschmackte Meinung, welche
bicr im Bellerophon einen Phrygier und im Pegasus sein
Schiff, mit dem er weit und breit umhergesegclt, er-
kennt, ‚Eher könne man den ganzen Mythus auf die Er-
findung und Einführung der Kunst zu reiten unier den
Griechen aus Libyen her, so wie auf die Vortheile
und Vorzüge, welche sie herbeigeführt, beziehen (?).
Aber auch frühe schon habe man in dem Pegasus den
hóherea Schwung des Geistes (altiores animi volatus) zu
bezeichnen gesucht. Daher auch Pallas, die das Haupt
seiner Mutter , das Gorgonenhaupt, ihrem Schilde ein-
fügt, ihm den Zügel anlegt und seines Umgangs sich er
freut, Es kehrt aber das himmlische Flügelro(s in die
himmlischen Sphären wieder zurück, und lifst den Bel-
lerophon , der sich vergeblicli abmühet es zu halten , auf
5t
Musenwagen (Hemsterhuis zum Lucianus I. p. 198 Bip),
Der Kranz der Musen von Palmbláttern, Sonstiges Co.
stume; sie wurden niemals mit entblófster Brust vorge.
stellt ( VYinckelmann a. à. C. L 15. 41.). Die drei be.
rühmten Musen von drei der älteren Griechischen Künst-
ler, Canachus, Aristocles und Ageladas (ebendas, Vor-
bereitung p. 40 f.) 239).
Unter den noch vorhandenen Kunstwerken zeich.
nen sich besonders aus die Musen in der Pio- Clc-
mentinischen Sammlung; worüber, so wie über den
Kunstcharakter der Musen überhaupt, die inhaltsreichen
Bemerkungen von Ennio Quir. Visconti zum Mus«o
Pio-Clementino Tom. I. tav. 17 — 238. 230) uud dann
Erden zurück; wie tan solches auf einer dort abge-
bildeten Gemume ersieht. Denn Niemand soil die göttliche
Gabe des Geistes mif;brauchen, um das zu erringen,
was über seine Krüfte geht, oder um an der Gottheit
selber sich zu versündigen. Diese höhere Deutung und
diesen tieferen geistigeren Sinn zeigen denn auch offenbar
die vielen Münzen von Corinth selber, wie von seinen
Colonialstádten , wo wir auf der einen Seite die Pallas, auf
der andern den Pegasus erblicken. Ja sogar die Apo-
theose des. Augustus wird auf einer alten Camee in der
Kónigl. Franzósischen Sammlung zu Paris dargestellt,
indem Augustus auf dem Pegasus sitzend ih den Himmel
hinschwebt, und ein geflügelter Genius den Pegasus am
Zügel führt.
239) Auch mit Bacchischen Attributen — denn sie sind ja des
Gottes unzertrennliche Begleiterinnen — erscheinen die
Musen öfters ; s. Zoéga's Abhandll. p. 14. Not. 36.
240) S. jezt dazu die Bemerkungen Zoéga's in Welckers Zeit~
schrift für aite Kunst I. 2. p. 315 ff. und p. 339. üher die
M«lpomene auf der Tafe] 26. Tom. II. im Museo Pio-
Clementino , welche nach'seinem Urtheil alle bis jezt bes
kannten weiblichen Statuen von colossalischer Grôfse
38
289
zu Tom. IV. tav. 14. 15. nachgelesen werden müssen,
Die Abbildungen sind im genannten Werke Tom. l. a.a,
O. und neuerlich im Musée Napoléon Tom. I. pl. 25 sqq.
gegeben. Daneben verdient das Herculanische Gemiülde
mit den neun Muscn, denen die Namen beigeschricben
sind, Aufmerksamkeit (s. Pitture d’Ercolano Tom. II
tav.2 — ¢.). In diesem Bilde sind die Attribute und
Charakterzüge so vertheilt: Clio hat eine halb eröffnete
Bücherrolle; Melpomene verschleiert hält die tragische
Maske, und stützt sich mit der Rechten auf eine Heules
Thalia führt das Pedum und die homische Maske; Cal-
hope fafst in beiden Hàánden ein zusammengerolltes Per-
gament; Futerpe Lilt sonst eine, auch zwei Fióten, aber
auf dem Herculanischen Bilde ist die Figar dieser Muse
dergestalt erloschen, dafs nichts‘ mehr erkennbar ist;
Terpsichore rührt eine siebensaitige Lyra; Urania hat
in der Linken eine Kugel, in der Rechten einen Stab,
womit sie die Kugel bezeichnet; Erato schlágt eine neun«
saitige T.eyer mit einem Plectrum; Polymnia legt in sin-
nender Stellung den Zeigefinger der rechten Hand auf
den Mund 241). Andere Kunstdenlimale mit den Bildern
der Musen : die Münzen der Gens Pomponia; das Capi-
tolinische Basrelief, jezt im Musée Napoléon , und andere
Reliefs ; der Sarcophag in der Villa Mattei, in der Town-
leyschen Sammlung; das Mosaik von ltalica; die Musen
übertrifft, Vongeringerem Werthe wie von nachlüssigerer
Zeichnung hält er dagegen die Figuren auf der Tafel 14,
im IV. Bande (p. 369.). Von schlechter Arbeit sey auch
der elliptische Sarkophag für einen Knaben ( auf der T'a-
fel 15.), enthaltend die Musen durch Kinder vorgestellt
(s. Welckers Zeitschr. I. 3. p. 373.).
241) Man vergleiche hiermit die Vorstellungen der Musen auf
dem Basrelief , das die Apotheose des Homerus vorstellt;
s. unsere Tafel XLVI. nebst der Erklàrung p. 53.
III.
10
auf dem Agath des Pyrrhus von Epirus; die Genien
der Musen im Museo Pio- Clementino 242), Nach dem
Herculanischen Gemiélde haben wir auf unserer Tafel VI,
nr. 2. die Polyhymnia mitgetheilt; worüber zum
Schlufs noch einige Worte folgen mögen. Ein Mythus
legt ihr die Erfiudung der Lyra bei (Scholiast. Apollon,
Argon. lI. 1.) Darauf bezicht man die Schildkröte,
die man auf Münzen neben ihr sieht. Auch ward sie zur
Erfinderin der Harmonie gemacht, daher die Stellung
ihres Fufses zum Tactschlagen auf Münzen (Havercamp
Thesaur. Morell. I. pag. 348.). Eine Genealogie (Schol.
Apollon. Argonaut. I. 3.) nennt sie auch Mutter des Or-
pheus und Gattin des Oeagrus. Sie ist zuweilen mit
Rosen bekränzt, zuweilen trägt sie ein Diadem. Sie
kommt vor in Statuen, die man oft mit der Flora ver-
wechselte, auf Basreliefs, auf einem Mosaik, auf einer
Vase und anf einer Münze des Antonius Musa. Sehr
sprechend ist ihr Bild in der Statue zu Paris 243). Einen
Hranz.auf dem Hopfe, sonst ohne alle Attribute, steht
sie da, in nachdenkender Stellung. Ihre Hände hat sie
in den Peplus gewichelt. Mit Einem Worte: wir sehen
in ihr ein tief sinnendes Wesen aufs bedeutendste vor-
gestellt. Man kann sie mit. dem gelehrten Visconti (am
a. O. pag. 46.) als Muse des Gedüchtnisses nehmen,
die sich in sich selbst zu-üchzieht und in sich. sammelt.
Sie hat ja Vieles zu singen, und viele Mythen zu
erzählen 24), wie die Unterschrift des Herculanischen
242) Vergl. Millin im Magazin encyclopédique 1808. Novem-
bre p. 38 sqq..
243) S. Museum Pio- Clement. T. I. tav. 24. vergl. Musée
Napoléon 'T. If. pl. 35.
244) Daher wir ihr auch in dieser Schrift , wo wir nicht alle
Musen ausführlich und auch in der Abbildung darstellen
konnten , vorzugsweise einen Platz gegeben haben.
100
208
Gemäldes von ihr sagt. Auf diesem letzteren Bilde er-
scheint sie auch ohne alle Attribute; nur dafs sie, statt
ihre beiden Hände in den Peplus zu wickeln, den Zeige-
finger der Rechten auf die Lippen legt. Das ist die Poly-
bymnia, von der Ausonius (a. a. O.) singt:
»Signat cuncta manu , loquitur Polyhymnia gestu.'*
Das ist das redende Stillschweigen, welches ihr ein Epi-
gramm der Griechischen Anthologie (Ili. 21; und da-
selbst Jacobs) beilegt, oder das sinnvolle Sch wei-
gen, das Nonnus (Dionys. V. 106. pag. 146.) von ihr
rühmt; dàs sind die sehr beredten Hände und die
zungenbegabten Finger, mit denen Cassiodo-
rus (Var. L ep. 2o.) solche mimische Darstellungen
bezeichnet,
202
DrirrEs CAPITEL:
Orphische Kosmogonien und Weltalter.
6 1.
W ane man alle einzelnen Angaben verfolgen, so
würde eine lange Reihe von Hosmogonien aufzuführen
seyn, die sämmtlich als Orphisch angegeben werden.
Unter den etwas ausführlicher mitgetheilten tritt eine
und die andere hervor, die theils wegen der Zeugen,
die für sie sprechen, theils wegen des Zusammenhangs
mit dem was allgemein als Aegyptische und alt- Asiati-
sche Vorstellungsart erkannt werden mufs, vorzügliche
Aufmerksamkeit verdienen. Wir verweilen bei diesen
daher etwas lánger. Zuvürderst geben wir von der so-
genannten gemeinen (cv»x9 c) Kosmogonie der Or-
phiker Bechenschaft, nach Damascius epi àpyo» (in
J. Chr. Wolfii Anecdot. gr. Ill. p. 252 sqq.).
Im Wesentlichen enthält sie folgende Sätze (vergl.
Kanne Analecta philol. pag. 48.) : Im Anfang war die
niemals alternde Zeit (Chronos) in Drachengestalt.
Dieser Chronos zeugte das unbegrünzte Chaos nebst
dem feuchten Aether und dem finstern Erebus, und
darin erzeugte er ein Ey, das in eine Wolke oder in ein
Gewand !) gehüllt war, welches nachher zerrifs. Aus
4) Dafs anstatt apyjra qerdva, weifses Gewand, gelesen wer-
den müsse : garyevra yırdva, hat Bentley (Epist. ad Millin,
p- 454. Opuscc. Lips.) aus einer andern Stelle sehr wahr-
scheinlich gemacht. Diese Verbesserung scheint Kanne
203
dem Ey ging Phanes d.i Ericapüus hervor, mit
goldenen Flügeln, auf den Schultern mit Stierkópfen
und auf dem Kopfe mit einer Schlange. Er war Mann-
weib, und heilst auch Protogonos, Zeus und
Pan. -
Phanes ist hier der Orphische Eros, der nach
Hymn. VI. i. im Aether herumschwimmt, zuerst Licht
schafft, und dadurch den Anblick des Himmels und der
Erde óffnet ?). In der Ornhischen Argonautik wird der
Name passiv erklärt und aus dem Griechischen (vergl.
Gesner ad Fragmm. Orphei p. 465 Herm). Einen Bac-
chuspriester Phanes, der von Theben her einen Zweig
dieser Religion nach Sicyon verbreitet hatte, haben wir
oben (IIL 'T'h. p. 109.) hennen gelernt. Aus dem Grie-
chischen wird der Name Pays auch anderwirts er-
klärt ). Gleichwohl wart er wahrscheinlich nicht Grie-
chisch. So urtheilte Bentley schon (a. a. O.) Auch
kommt in der Aegyptischen Theologie der Name Pha-
naces (®avdxnc) als Attribut des Osiris vor (Auson.
Epigr. 28 sq.). Dies hat mehrere Alterthumsforscher 4)
entgangen zu seyn. [ch folge ihr, obschon der von mir
in der Leydner Bibliothek excerpirte Codex Vossianus
die alte Lesart giebt. Dafs übrigens auch Pherecydes
von Syrus seinen Zeus ein Gewand (v£zes, Qdoos) we-
benláfst, gehtaus mehreren Zeugnissen der Alten hervor;
$. die Hauptstellen : Maximus Tyr. Dissertat. X, 4. und
Clement. Alex. Strom. VI. p. 741.
2) Hermias in Platon. Phaedr. vergl. auch Sickler, die Hiero=
glyphen im Mythus des Aesculap p. 84. Not.
3) S. z. B. den Grammatiker Orus beim Etymolog. magn. in
voc. ı Ueber die gewöhnliche Griechische Ableitung von
Qaívsv (mod voo yàp £Qaéáv295) s. auch Zoéga in deu
Abhandll. p. 257 ff.
4) S. Jablonski Vocc. Aegyptt. p. 372. Muünter über die Sa-
mothr. Inschr. p. 35. und Ignaz Rossi Etymologiae Ae-
204
auf die Idee gebracht, das ‘Wort aus dem Koptischen
Pheneh, der Ewige, abzuleiten, Dafür spricht Vie-
les; denn dieser Ewige, der: Aeon (aior), kommt
vorerst in allen Kosmogonien des Alterthums vor. Auch
in der Phônicischen geht aus Colpia und Baau der Aeon
hervor (s. oben IL Th. p. 18. 19.). Bedeutender ist es
aber, dafs auch Hermes im Asclepius (pag. 82 Patric.)
gyptiae ( Romae 1808. 4.) p. 230. vergl. Appendix p. 6.
Dieses Zusammentreffen ist bemerkenswerth , da die Her-
leitungen unabhängig eine von der andern vorgeschlagen
werden. Auch Silvestre de Sacy (in den Noten zu Sainte=
croix Recherches II. p. 59.) billigt diese Ableitung, init
der Bemerkung , dafs man jezt ganz wohl begreife , warum
in der Orphischen Theologie die Folge der sechs Kónige
der Gótter, wie sich Proclus ausdrücke, mit Phanes be-
ginne und mit Bacchus schliefse; denn beide, derselbe,
beide die Ewigkeit, mufsten nothwendig den Kreis alles
dessen , was existirt, beginnen und schliefsen (nach Pro-
clus Commerit. in Plat. Tim. pag. 291.). Phanes oder
die Ewigkeit entspreche auch der unbegrinzten Zeit
in der Persischen Religionslehre (s. oben I. Th. p. 697 ff),
Zoéga (Abhandll. pag. 150. 257 f. 259.) leitet den Namen
ebenfalls aus dem Aegyptischen ab, wo Eneh, Aneh
und mit dem Artikel Phaneh ( Q-sve2 ) das sey , was im
Griechischen av. Die von Accursius , Saintecroix , Ja-
blonski und Andern vorgeschlagene Aenderung Phana-
tes oder Phanetes statt Phanaces ist nach Rossi
unnóthig, da aus'Pheneb ganz analogisch Qavyy und
Phanaces gebildet werde. ' Denn das Wort Payduse
weise eben so gut wie Qv, ja noch besser, auf das Ae-
gyptische Ur- und Stanimwort, welches sich in eine harte
Aspiration endige, hin. Dieser Meinung giebt denn auch
Silvestre de Sacy a. a. O. p. 66. 67, seinen vollkommenen
Beifall, da gerade die Verschiedenheit in der Schreibart
zwischen ®dvyg und Pavanys dieser Etymologie mehr Wahr-
scheinlichkeit gebe , als sie schwache. Ueber den Plianes
hatte sich Jablonski in einer eigenen Abhandlung erklärt,
die aber noch nicht herausgegeben ist.
295
die Aeternitas unter den kosmogonischen Potenzen Ae-
gyptischer Lehre nennt, und dafs Damascius (in vita Isi-
dori vergl. Photii pag. 558 ed. Höschel.) bestimmt den
Osiris aióv nennt 5). Endlich kennt auch der Áegyp-
tier Nonnus (Dionysiae, XIL init.) den Phanes in dieser
Eigenschaft des Ewigen; ja er nennt ihn ganz bestimmt
auch Protogonos (ebendas. vs. 34.) 9; welches buch-
4) Zoéga in den Abband!l. pag. 187. führt eine Stelle aus den
Fragmenten des Pindarus an, wo er den X;óve; als. den
höchsten König preist — &va r&v vávrov jvsgBdAAovra Xgó-
vey pavdgewy (Plutarch. Quaestt. Platt, pag. 1067. B. pag. 99
W yttenb.).
€) Die gewóhnlichsten Beiwórter dieses Phanes, den, wie
Zoéga (Abhandll. p. 223 f.) behauptet, beiderlei Arten
von Schriftstellern ;, sowohl die Verfechter.der neuen Re-
ligion, die den Orpheus zum Schüler Moses und Abra-
hams und zum Verbreiter der Kenntnifs von dem Gotte
der Ebräer machen , als auch die Alexandriner und Neu-
platoniker und mit ihnen die noch übrigen dem Orpheus
zugeschriebenen Gedichte , als die Hauptgottheit der Or»
phischen Theologie , als den vornehmsten und den vor-
gezogenen Gott darstellen, sind; vqwroyovos, aJTóvyovos,
muro TOQOS , mU TOS "yevézeo (p. 22.) , auf welche Erstge-
burt man den Namen Phanes selber bezieht. Zioéga,
der a. a. O. die Stellen der Alten darüber anführt, sucht
nun insbesondere zu beweisen, dafs *cwreyovos nicht für
einen Eigennamen genommen, und über ihn als eine von
den Orphikern so benannte Gottheit gesprochen werden
könne; es sey- ein blofses Beiwort, und werde nur als
solches adjectivisch bei den Alten gebraucht. Wenn nun
diesem Phanes, vor welchem doch verschiedene Zeu-
gungen zugelassen werden, das(Merkmal der Erstgeburt
besonders und eigenthümlich ertheilt werde, so lasse sich
diese Schwierigkeit heben , wenn man ihn als die Mit-
telgottheit oder den Uebergang zwischen
dem absoluten. und blos an sich denkbaren
Allund dem auf uns bezogenen All, das als
daseyend gedacht wird, betrachte. Jenem gehó-
296
stäblich mit unserer Kosmogonie tibereinstimmt, und ihr
nicht wenig zur Bestätigung dient, da in solchen Zügen
vorausgesetzt werden kann, dafs dieser Panopolit älte-
ren Quellen folgte 7).
Dafs neben dem Namen Phanes auch noch ein an-
dever dem Orphischen Dionysus cigenthümlich- war,
sagt uns Proclus (in Plat. Tim. TL. p. 102.). Es ist der-
selbe, den wir in obiger Genealogie lesen: Ericapäus
(Hoixazaiog, auch Hperewaïo:). Er hat den Erklärern
viele Mühe gemacht, und bisher, wall es scheinen, ohne
sonderlichen Erfolg. Bentley (Epist. ad Millin. p. 454.
528.) wagte darüber nichts weiter zu sagen, als dafs er
nicht Griechisch sey; ein Urtheil, das sich gewifs als
gründlich bewahrt, beides durch die Ansicht der Wort-
form und durch die Betrachtung, wie ja diese ganze
Ideenreihe auslündischen Ursprungs ist. Dennoch ver-
suchte Gesner (ad Orph. Hymn. VI. [5:] 4.) die Ausdeu-
tung aus dem Griechischen, Er giebt uns in dem ’Hoı-
«nxaios (so lieset er) einen Frühlingsgarten gott,
ren Chronos und sein Stamm an , woraus Phanes hervor-
geht, der uranfingliche Gott der daseyenden Welt, der
so, obwohl keineswegs unter die Sinne fallend,
in gewisser Hinsicht erscheinend genannt werden
kónne. Eben er ist auch Eros, nnter dessen Namen er
mehrmals vorkommt (p. 229.). So sprofst bei Aristopha-
nes in den Vógeln vs, 694 ff. auch aus dem Weltey der
liebliche Eros (s. jedoch Zoéga a. a. O» p. 232 ff.).
7) S. Zoéga a. a. O. p.260, Es wurde, heifst es dort, die-
ser Phanes, der für die Aegypiier nichts anders war, als
eine Art sich die auf einander folgenden erscheinenden
Veränderungen in der unveränderlichen Umfassung des
Alis vorzustellen, von den Orphikern mit dem eygebor-
nen Gott in Eins gebildet, der alle Dinge hervorgebracht,
in dem zugleich alle Dinge begriflen und eingeschlossen
sind u. S. w,
207
was gewifs Niemand an der Stelle, wo hier der Name
genannt ist, befriedigen wird 5). Mehr Aufmerksamkeit
verdient ein neuer Versuch , den Münter (a.a. O.) , wie-
wohl zweifelnd, macht. Er denkt an Er-keb, der
Vermehrer, oder an Er-hep, der Geheimni(s-
volle. Folgende Vermuthung von Bossi ( Etymol, Ae-
gypt. p.53.) scheint noch mehr für sich zu haben. Hier-
nach ist épixexat oder Hoptisch Erkepaï das Wort,
d.h. der Lebengeber, der Lebendigmacher, mit
dem Begriff: der Urheber des neuen, zweiten Lebens.
Wenigstens wird bei Malelas (Chron, 52.) derselbe Erike-
päus Ewodorko, der Geber des Lebens, genannt,
8) Auch Zoöga (Abhandll. p. 261 ff.) glaubt, dafs diese Er-
klärung keine grofse Aufmerksamkeit verdiene ; der Name
‘HemsTaios sey wohl Aegyptischen Ursprungs und bedeute,
von den Wurzeln sg und #48 abgeleitet, buchstäblich :
Vervielfältiger; er sey daher geneigt zu glauben,
dafs bei den Aegyptiern der Eigenname des unter ihren
Góttern, den die Griechen Priapos nannten, und der,
obgleich von Phaneh wesentlich verschieden , doch von
den Aegyptiern zuweilen in einem einzigen Bilde mit ihm
zugleich dargestelit worden , EgwwB oder Egg gewesen
(vergl. oben Ii. Th. p. 112. und die dort in der Note mit-
getheilte Erklärung Sicklers aus dem Semitischen). Die
Vermuthung Viscontis, der die Wurzel von-Ericapäus
in xZv-7siv, auffressen, findet, suclit Zoëga a.a.O:
zu widerlegen, indem er sich nicht überzeugen könne,
dafs der Gott, von dem die Rede ist, jemals als auf-
fressend betrachtet worden sey. — Nach Schelling
(über die Gotth. von Samothrace pag. 89.) heifst er der
langmüthige, weichherzige, mitleidige Gott, DENT
(Erec- Apaim). Auch Sickler (die Hieroglyphen im My-
(hus des Aesculap p.83.) leitet denselben Namen aus dem
Semitischen ab , als 2N72"78 (Aerich ab, Aerik-ap) , d. i.
der Zeitvater, Zeitvaterkraft. Erverwirft da-
bei gánzlich die von Zioéga versuchte Erklärung, indem
sie gesucht, unbestimmt und zu allgemein sey.
2e
9. ».
Die verschiedenen Orphischen Kosmo-
gonien.
Nach dem oben angenommenen Grundsatz, Lehren
der ültesten Philosophen als Prüfstein für das zu brau-
chen, was als Orphisch gegeben wird, kännen wir man.
che Uebereinstimmung der Hauptsätée des Pherecydes
von Syrus mit obiger gewóhnlichen Hosmogonie der
Orphiker nicht unbemerkt lassen, Er hatte drei Prin-
cipien an die Spitze seiner Philosophie gestellt: Zeus
(Zäv, Zäv), Chthonia (XSovia) und Xpdvos, die
Zeit ?), also Aether, Chaos und Zeit. Zeus der Aether
ward als der erste Beweger und Beleber der noch tri
gen und ungeschiedenen Chthonia (des Chaos) gedacht.
Also dieselbigen Principien wie in jener Orphischen
Weltansicht, nur mit dem Unterschiede, dafs Chronos
(die unendliche Zeit), wie es scheint, den beiden andern
Potenzen von Pherecydes nicht übergeordnet ward. An
jene Principien schlofs er zunáchst die Elemente, VVas-
ser, Feuer, Erde und Luft, an. Istes wahr , was meh-
rere Zeugen 19) ausdrücklich sagen, dafs das Wasser
in diesem System das Urelement sey, welcher Satz sich
auch durch den ganzen Zusammenhang desselben bewährt
(Sturzii Pherecydea p. 43. 575 sq.), so ergäbe sich daraus
eine noch grüfsere Uebereinstimmung mit einer andern
Orphischen Kosmogonie, wovon sofort die Rede seyn
wird. Aus diesen Uebereinstimmungen leuchtet der Ae-
gyptische Ursprung Pherecydeischer Lehren von selbst
9) Diogen. Laert. I. 119. Cicero de N. D. I. 14. II. 45.
10) Achill. 'Tat. in Arat. Phaenom. cap. 3. p. 123 ed. Petav.
T7zetz. in Lycophr. 145. Scholiast. Hesiod. 'Theogon. 116.
und vielleicht selbst Aristoteles Metaphys. pag. 246 ed.
Svib.
«JO
299
ein, den aufserdem Josephus (contra Apion. I. p. 1034.)
bestimmt bemerkt. Doch mocbhten auch von andern Sei-
ten manche Ingredienzien in dieses System .geflossen
seyn. So erscheint z. B. der Pherecydeische Schlan-
gengott O$voveóc weder als eine Aegyptische Idee,
noch auch in dem Sinne, wie'er, einigen Spuren zu-
folge 11), in der Phünicischen Genesis erschienen war.
Beim Pherecydes behriegt er den Koóroc und hindert die
VVeltordnung. Das lautet vielmehr ganz Persisch,
und Ophioneus ist hier völlig der feindselige , bóseSchlan-
gengott Ahriman 1%). Die Harmonie des Pherecydes mit
jenen Orphikern im Uebrigen, z. B. in Betreff des Ge-
wands, worin, nach jenem Philosophem , Zeus die Erde
und den Ogenos (yivog — Ocean 13) bildet, habe ich
bereits nachgewiesen.
Eine zweite Orphische Kosmogonie findet sich
bei Clemens Romanus 14). Hierüber, so wie über einige
andere Angaben, werde ich kürzer seyn , um die andere,
41) Z. B. bei Nonnus XII. 45. wo er 'OQuw/» heifst; man ver-
gleiche Moser zu dieser Stelle pag. 250. wo aber Nonuus
XLI. 352. zu lesen ist.
12) S. oben I. Th. p. 746, vergl. p. 722. Nach Zoéga (Ab-
handll. p. 244.) scheint der Bimmel Ophion, Ophio-
neus oder schlangenartig genannt worden zu seyn
wegen einer gewissen Aehnlichkeit, welche die Metapho-
risten zwischen der Bewegung des Himmels und der Him-
melskôrper und den Windungen einer Schlange fanden,
und auch zwischen den Sternen selbst und den leuchten-
den und wechselnden Schuppen gewisser Schlangen, wie
Horapollo andeute.
13) S. was ich über dieses Wort in den Homerischen Briefen
p. 160 f. bemerkt habe.
44) Recognit. ad gentil. X. 17. 27. p.145 Colon, Homil. VI.
8 sq. vergl. Zoéga a. a. O. p. 241 ff.
die den alten Geschichtschreiber Hellanicus zum Zeugen
hat, etwas näher zu beleuchten. Nach jener zuerst ge.
nannten, beim Clemens, ist ein ewiges, ungebornes und
unendliches Chaos (Chaos aeternum, ingenitum atque
infinitum) das Princip aller Dinge. Dieses Chaos nenne
Orpheus weder hell, noch feucht, noch dunkel, noch
warm , noch kalt, sondern es habe Alles als eine gestalt.
lose Masse in sich verschlossen; bis es sich nach der
Zeiten Verlauf in die E y for m zusammengebildet. Aus
diesem Ey ging ein Mannweib /5) hervor, als der
Grund aller Dinge, und selbst zuerst aus feinerem Stoffe
zusammengesetzt.‘ Es bewirkte auch erst die Scheidung
der Elemente, und setzte aus zweien den Himmel und
aus andern zweien die Erde zusammen. So weit Cle.
mens. In dieser Kosmogonie ist das Chaos das unge-
schiedene, formlose Seyn, die Materie. . Auch Apollo.
nius làfst in den Argonauten (I. 495 ff.) von einem Chaos
singen, wie vou dem noch ganz unentfalteten Wesen
der Dinge 16). . Jener Begriff vom Chaos als Materie
liegt auch im System des Pherecydes und anderer Joni-
schen Philosophen älterer Schule. Nach dem Scholiasten
des Apollonius (a. a. O.) batte Zeno dem Hesicdeischen
Chaos den Begriff des Wassers untergelegt. Als
15) àdíQevó9xAvc, mannweiblich, und :Quys, von
"doppelter Natur, heifst der urantángliche Gott der
Orphiker, weil er, alle denkbaren Eigenschaften und
Kräfte in sich vereimigend, noch insbesondere die Eigen-
thümlichkeiten beider Geschlechter in sich begreifen mufs,
um aus sich, ohne Ehe mit einem andern Wesen, her-
vorbringen zu kónnen ( Zioéga a.a. O. p. 249 f£). Er ent-
hält in seinem Wesen die Keime aller künftigen Wesen
(p. 252.) , er erzeugt zuerst die Nacht u. s. w.
16) Man vergleiche hiermit Zoéga's Bemerkungen in den Ab-
handll. p. 216. 228 f,
200
301
Luft nahmen Anaximenes, Archelaus und Euripides
xaos i7. Der Grundbegriff von beiden war der des
allumfassenden Elements, welcher aus dem Worte
ye , xy9ivo ganz natürlich herfiefst (vergl. oben II[.Th.
p. 4:9). An demselben Worte steigerte sich der Begriff
eben so natürlich nachher fort zur Bedeutung des All
als der äufsersten Gränze der Dinge (Aristotel. de Coel.
I. 9.) und dann zur Idee des Universums, als Allheit
gedacht, geistig gedacht.. Weiter hie[s z&os die Nega-
tion des kórperlichen Seyns, das Leere, besonders im
System der Atomisten !5). ‚Wie der Begriff des immer
Offenstehens und Aufnehmens von yam auf die
Unterwelt des Aegyptischen Amenthes bezogen ward, ist
oben (L Th. p. 416.) berührt worden.
Eine dritte Orphische Kosmogonie !?) setzt wieder
den Aether als Princip, und stimmt in so weit gut mit
der Pherecydeischen zusammen. Zu beiden Seiten des
Aethers bedeckte die Nacht Alles, was unter dem Ae-
ther war, bis das Licht den Aether durchbrach und
Alles erleuchtete. Dieses Licht ist das höchste, und
zertheilt sich in drei Strahlen, Mirtıc, oc und Zoi,
und diese drei sind Eins, sie sind der ungesehene, un-
bekannte Gott, der Alles, was da ist, gemacht hat, áuch
das Menschengeschlecht. Man hat in dieser Kosmogonie
sichtbare Spuren eines christlichen Verfassers finden
wollen. Dieser Meinung ist auch Kanne (Analect. philol.
17) S. Huschke Analecta critica p. 107 sq.
18) Lucretius V. 417. vergl Ast Grundrifs der Philologie
pag. 217.
19) Bei Cedrenus Hist. comp. p. 46 ed. Basil. und bei Malalas
Chronograph. IV. pag. 29 Venet. die sich beide auf den
Timotheus berufen, Man vergleiche auch Suidas in
OcQeus.
pag. 58.) ; was man wohl zugeben kann. Damit verträgt
sich aber das hohe Alter einiger Hauptideen doch 20),
Eine vierte Orphische Kosmogonie hatte der Peri.
patetiker Eudemus, vermuthlich in seinen Astrologu.
menen, vorgetragen 2). Es wundert mich, dafs Kanne
(a. a. O.) sie ganz übergangen hat. Ich theile daher
das Wesentliche der Stelle des Damascius nach der nó.
thigen Verbesserung (s. Biblioth. crit. Amstelod. II. 2.
p. 99.) mit: «Die vom Peripatetiker Eudemus als Or-
phisch vorgetragene Theologie übergeht alles Intelli-
gible mit Stillschweigen, als eine dunkele und unerklär-
bare Lehre, beides in Behandlung und im Ausdruck,
Vielmehr geht er von der Nacht als erstem Princip
aus». Darauf sucht Damascius zu zeigen, dafs auch
Homerus die Nacht zum Urgrunde aller Dinge gemacht
habe, und nicht den Ocean und die Tethys, wie Eudemus
bebaupte (vergl. Il. Th. p. 421 £.).
Man sieht hieraus, dafs uns Damascius diese Kos-
mogonie nicht vollständig giebt. Uebrigens ist von der
Nacht als einem Orphischen Princip bei den Alten öfter
die Rede. Darauf spielt Aristophanes in den Vügeln
(vs. 692 ff.) an. Bemerkenswerth ist die Stelle des Pro-
clus (in Platon. Tim. pag. 63 und 96.)). Dort wird der
Orphische Demiurg redend eingeführt mit der Nacht
(Nv£, die dort anch Maia heifst), wie er mit ibr über
die Weltschipfung zu Rathe geht; eine der Indischen
Lehre von der Maja, als Grund der Weltschépfung, sehr
ühnliche Vorstellung. Auch Joh. Lydus (de menss. p.19.)
20) Vergl. auch Zoéga Abbandll. pag. 227 ff. Er nennt dies
en Gemisch von Mosaischerund Griechischer
Kosmogonie , die unter dem Namen Orpheus vorge-
tragen werde. **
21) S. Damascius egi ag. p. 256 ed. J. Chr. Wolf.
202
305
nennt, ohne Zweifel aus älteren Quellen, die Nacht,
die Erde und den Himmel die drei Principien, die
die Orphiker annehmen. Hieraus können wir den lücken-
haften Bericht des Damascius aus den Astrologumenen
des Eudemus einigermafsen ergünzen.
Besonders bemerkenswerth ist die fünfte Hosro-
gonie der Orphiker, die wir bei Athenagoras (Legat.
pro Christ. pag. 18 sq. ed. Colon. 1686.) und bei Damas-
cius (in J. Chr. Wolfii Anecdott. gr. p. 253.) lesen. Ich
gebe sie, ihrer Wichtigkeit wegen , nach beiden Zeugen
abgesondert. Nach dem ersten setzte Orpheus Wasser
als den Anfang aller Dinge. Ia dem Wasser setzte sich
Schlamm zu Boden, und aus beiden ward eiae Schlange
mit einem Lówenhopfe. In der Mitte hatte sie das Ge-
sicht eines Gottes, Thr Name war Herakles oder Chro-
nos. Sie gebar ein ungeheuer grofses Ey, erfüllt von
der Kraft seines Erzeugers. Durch einen Stofs zerbrach
es in zwei Theile, wovon' der obere der Himmel, der
untere die Erde ward. So ging die Erde als Göttin her-
vor; mit ihr begattete sich der Himmel und erzeugte die
Clotho, Lachesis, Atropos, auch die Hecatonchiren
Cottus, Gyges, Briareus und die Cyclopen Brontes, Ste-
ropes, Argos. Da der Himmel diese im T'artarus fes-
selt, so gebiert die Erde die Titanen als Richer. Es
folgt darauf die Geschichte von der Entmannung des
Uranus, von dem Verschlingen der Kinder, von der
Fesselung des Hronos, vom Hampfe des Zeus gegen die
übrigen Titanen ??. Darauf verfolgt Zeus, so fährt die
Erzühlung (p. 19 sq.) fort, seine Mutter Rhea oder De-
meter (denn das sey Eine Gottheit; so mufs der Text ohne
Zweifel geändert werden, wie auch der Herausgeber
bemerkt hat), die sich. seinen Umarmungen entzieht.
22) Vergl. oben II. Th. p. 428 — 431.
304
Sie verwandelt sich deswegen in eine Schlange: Er aber
nimmt gleiche Gestalt an, umstrickt sie mit dem soge.
nannten Herculischen Knoten, wovon der Hermesstáb
noch das sichtbare Bild ist, und erzeugt mit ihr ‘die Per.
sephone. Diese hatte aufser den zwei natiirlichen Augen
noch zwei andere auf der Stirne, dabei hinten am Nacken
ein Thiergesicht, und Hürner auf dem Hopfe. Rhea,
erschrochen über diese Mifsgestalt, entfloh und reichte
ihr die Brust nicht, daher sie auch in.der wystischen
Sprache 'A9z24, die nicht gesáugte, heifst, ge.
wübnlich aber Kore und Persephone. Auch mit ihr be.
gattete sich ihr Vater Zeus in Schlangengestalt, und er-
zeugte den Dionysus.
Damascius (a. a. O.) láfst sich über diese Genesis so
vernehmen : «Die Hosmogonie, die man nach Hiero-
nymus und Hellanicus erzáhlt, wenn beide nicht
etwa Eine Person sind, lautet so: Wasser, sagt er, war
zu Anfang, und Schlamm, welcher sich zur Erde ver.
dichte ?5). Diese beiden Principien setzt er als die er-
sten, Wasser und Erde, letztere als zerstreubar von
Natur; jenes als das, was diese zusammenleimt und zu-
sammenbilt. Den Einen Weligrund vor diesen beiden
(Principien) übergeht er als unaussprechlich mit Still-
schweigen. Denn eben dafs er gar nichts davon sagt,
23) Es mufs corrigirt werden: wai Ads € 75 STAY % VF
Darnach habe ich übersetzt. Ersteres ergiebt sich aus
der Vergleichung mit Athenagoras, und letzteres ist die
Lesart des von mir verglichenen Leydner Codex. Ueber
die Enistehung aller Dinge aus Wasser werden beim
Plato im Cratylus ( p. 402. b. p. 66 Heindorf.) Orphische
Verse angeführt, Die Orphiker drückten diesen Satz
wohl auch mythisch durch die Ehe des Oceanus und der
Tethys aus. Man vergleiche Plato 'Theaetet. p. 152. e.
p. 317 Heindorf. und Sextus Empiric. advers, Math. X.
p. 3214.
505
«beweiset 24) sein unaussprechliches Wesen, Ein drit-
tes Princip aber, sagt er 3), sey mach den zweien ge-
boren worden und aus ihnen, aus Wasser und Erde: es
sey dies eine Schlange, woran die Kópfe éines Stieres
und eines Löwen ^) hervorgewacbsen, in der Mitte das
Gesicht eines Gottes, Auch hatte sie Flügel auf den
Schultern. Ihr Name war die nimmer alternde
Zeit (xpóvoc áyápovoc) und zugleich Herakles, Mit
ihm begattet sich die Ananke oder die Natur. Sie ist
auch die kirperlose Adrastea, ausgespannt 7%) durch die
ganze Welt und ihre äufsersten Gränzen berührend».
Bei dieser letzteren Kosmogonie verweilen wir billig
etwas länger. Es ergiebt sich auf den ersten Blick, dafs
die Darstellung bei Damascius unvermischter ist, als die
bei Athenagoras. Letztere hat offenbar schon mehr H e-
21) 'Evdeimvurar Cod. Voss. — und das fordert der Sinn. Bei
Wolf steht & damn.
25) ®yci vermuthete mit Recht ein Gelehrter in der Biblioth,
crit. Amstel. [I. 2, p. 88.
26) Beim Proclus hat der Orphische Phanes aufserdem noch
W idder- und Schlangenkópfe ; s. Fragmm. Orph. p. 503
ed. Herm,
27) Ich folge auch hier dem Cod. Voss. der Srwpyviwyévyy
hat. Diese Wortform fehlt in allen Griechischen Würter-
büchern. Sie ist aber nicht zu bezweifeln. Das einfache
Verbum steht im Lycophron 1077. (vergl. Steph. Thes,
II. p. 430 und 1436.) und die Analogie vertheidigt sie. So
kommt z. B. bei Ctesias Indic. VI. die Form FEGLWEN/LLWILES
vo: vOr , welches Perizonius zum Aelianus V. H. XII. 22,
gut erklärt. Der Sinn ist: der Leib der Ananke ist durch
das ganze Weltall ausgereckt, und sie umfafst mit ihren
Riesengliedern dessen Gránzen. Der Zusammenhang ers
innert aber zugleich an. das Hesiodeische érasÿé94 ('Theos
gon. 177.) in dem Gesang von der Begattung des Uranus
und der Gia.
HL
20
206
siodeische Zusitze ?5). Das sieht man auch aus Cle-
mens Romanus (Recognit. p. 145.), wo, nach dem Vor.
trag der Orphischen Weltentstehung, ausdrüchlich be.
merkt wird, dafs Hesiodus nun noch von den Titanen
und dergleichen singe; was wir bei Athenagoras unter
den Sátzen Orphischer Kosmogonie finden. Andrer-
seits hennt Hellanicus in der Orphischen Genesis eine
28) Nach Zoéga ( Abhandll. p. 243 f£) waren die alten Or-
phiscli- Pythagorischen 'Theogonien, die Kerkops und
Oromakritus erfunden , zwar gänzlich fremd den Anga-
ben. späterer Schriftsteller über den eygebornen Gott,
aber nicht sehr verschieden von denen desHesiodus (vergl.
oben IL, Th, p. 419 f£.). Was z. B. hier Uranos und Gta
heifse, sey dort Ophion und Eurynome u.s. w. Der
Haup:unterschied sey nur der, dafs-die Orphischen Poe-
sien sich vorzugsweise mit Dionysus beschäftigten, von
dem sich in den Hesiodeischen nur kurze Andeutungen
finden (Theogon. 940. 946.). Später als Aegyptisches und
Griechisches verbunden, habe man eine neue Art Or-
phischer Fabeln erfunden , indem man anter Anderm den
Griechischen Mythus vom Chaos und Eros mit der Ae-
gyptischen Allegorie, welche aus dem durch den Mund
des ersten Bewegers hervorgegangenen Ey den góttlichen
W eltordner entstehen liefs, verknüpfte u. s. w. So sey
insbesondere die Aegyptische Idee des Phthah , des Werk-
meisters , auf die Orphische Theogonie übertragen worden
(p. 246 ff.) (2). Indem die Aegyptische Symbolik die ver-
schiedenen Principien der Griechischen Kosmogonie auf
ein einziges und ursprüngliches zurückführe , das Chaos,
Stoff und Seele zugleich , sey , worin kraft der ibm eigenen
Bewegung das Weltey sich bilde, in welchem, gleich einem
belebenden Keime , der austheilende Gott, der Orphische
Eros, wohne, so nühere sich diese Symbolik der Theo-
gonie des Clemens am meisten , obwohl letztere verschó-
nert und mit gnostischen Ausdrücken geschmückt zu seyn
scheine. Die Sage, welche Damascius die gemeine nennt,
falle in die Widersprüche der ersten Griechischen Theo-
gonien zurück u. s. w. (p. 248 ff.)
307
Ananke. ^ Auch im Pythagoreischen System wofste man
von einer die Welt umlagernden Anauke; und der Or-
phiker singt in der Argonautih (vs. 12.) von einer àgé-
199106 váy:
, Wie der Urzeit Chaos in schrecklichem Zwange
das All hielt. **
Auch von Proclus (Theolog. Platon. IV. 16:) wird der
Adrastea neben dem Demiurg gedacht. Derselbe (in
Tim. pag. 323.) führt folgende Sátze als Orphisch an:
der Demiurg werde von der Adrasiea erzogen, beschlafe
die Ananhe (Nothwendigleit) und evzeuge die Heimar-
mene (das Schicksal). Hieraus können wir. die obige
Hosmogonie bei Uellanicus ergänzen , und, gelegentlich
bemerkt, hier haben wir einen der Fälle, dafs ein bei
einem späteren Platoniker als Orphisch aufgeführter
Satz durch die Auctorität eines älteren Zeugen Bestäti-
gung gewinnt (vergl. auch L. Th. p. 420.).
Von dieser âlteren Auctoritätmufs aber um so mehr
Notiz genommen werden , weil neuerlich noch jene ganze
Kosmogonie bei Athenagoras von einem. geistvollen
Manne ??) für neu ausgegeben und aus dem Mithras-
dienste ist hergeleitet worden. Ich gehe von dem
durch Herodotus und viele andere Zeugen bestätigten
Satz aus, dafs Aegypten hauptsächlich das Vater-
Jand der Orphischen Lehren ist. Die Spuren eines ver-
muthlich alten Zusammenhangs Persischer Mithras-
religion habe ich im Vorhergebenden verschiedentlich
nachgewiesen. Wenn also, wie man denn nicht láugnen
hann, in dieser Orphischen Bildersprache sich einige
Aehnlichkeit mit den Symbolen des Mithras zeigt; so
29) Kanne in den Analect. philolog. p. 39. und in der My-
thologie der Griechen p. 43 f.
308
möchte ich diese Uebereinstimmung mehr aus jenem frü.
hen Zusammenhange Aegyptischer und Persischer Reli.
gion ableiten, oder daraus, dafs die Orphiker und Mi-
thrasverehrer ihre Bilder guten Theils aus einer gemein-
schaftlichen Quelle geschôpft haben, als aus jenem Zu.
sammentreffen allein auf ihre Neuheit schliefsen. Dafs
sie aber alt ist, dafür bürgt das Alterthum des Zeugen;
denn zuvärderst will obige Aeufserung des Damascius
keineswegs sagen , jener Hieronymus habe vielleicht un-
ter der Maske des älteren Hellanicus eine Orphische
Kosmogonie in die Welt befôrdert, wie Kanne muthmafst;
sondern, was schon ein gelehrter Mann in der Bibliotheca
critica (IT. 2. pag. 88.) gesehen , der Sinn der Stelle ist
dieser: Da Hieronymus aus dem Hellanicus geschópft
habe, so müfsten beide als Ein Gewühbrsmann betrachtet
werden. Wer also der Hieronymus sey. ob z. B. etwa
der Peripatetiker unter Ptolemáus Philadelphus 30), ist
uns ziemlich gleichgüitig; wir haben für diese Orphi-
sche Kosmogonie unmittelbar eine sehr alte Auctorität
an dem Geschichtschreiber Hellanicus aus Lesbos, une
mittelbar vor Herodotus und noch dessen Zeitge-
nosse, Er hatte über Aegypten geschrieben (Gellius. N.
A. L 2), und vielleicht stand" gerade in diesem Werke
jene Orphische Kosmogonie. Wenigstens hatte Nico-
machus in einem Buche von den Aegyptischen Festen
den Heralles als xpóvoc, als Zeit gekannt (Joh. Lydus
de menss. IV. 92.). Doch vielleicht hatte Hellanicus in
einer andern Schrift, Nouol BapBagixoi betitelt, worin
vom Zamolxis die Rede war (Etymolog. magn. in Za-
wolE.), jenes andern Gesetzgebers Orpheus und seiner
Lehre gedacht.
80) Jonsius de Scriptor. hist. philos, II. p. 154 Dorn.
"9
"6. 8.
Bildliche Vorstellung dieses Orphischen
Urwesens.
Was nun die bildliche Vorstellung jenes Orphi-
&chen Urwesens Herakles-Chronos betrifft, so ha-
ben wir vor Allem in Aegyptischer Bildnerei zu suchen,
wo von Orphischen Dingen die Rede ist, und nicht in
den Mithrasbildern. Auch lassen sich alle einzelnen
Theile -durch jene ersteren aufs befriedigendste erklären,
Darüber hann ich , nach dem Bisherigen , kürzer seyn 3').
Fassen wir vorerst jenen Orphischen Herahles- Chronos
als Aegyptischen Sem d. h. alsSonnengott ins Auge,
so wird der Lówenkopf des Orphischen dadurch voll-
kommen deutlich. Den Löwen setzte der Aegyptier mit
der Sonne in die genaueste Verbindung; sein Zeichen
im Thierkreise hiefs der Sonne Haus 3^. Die Löwen
waren in Aegypten der Sonne heilig 5?) ; wenn die Sonne
im Lówen stand, hatten die T'empelschlüssel Ló wen-
kópfe (Scholiast. Arati pag. 22 ed. Oxon.) — um nicht
noch Mehreres anzuführen , was Cuper im Harpocrates
(pag. 48 sq.) gesammelt hat 34), Der Stierkopf aber
31) S. oben I. Th. p. 506 und 527. Not. 320. nebst der Tafel
XVIII. nr. 2.
32) Aelian. H. A. XII. 7. Macrob. Saturn. I. 21,
33) Aelian. H. A. V. 39. Horapollo I. 17.
34) Ich habe bereits im ersten 'T'h. an mehreren Stellen über
das Symbol des Lówen mich erklürt, s. p. 325. Not. (vgl.
p. 273.) und besonders p. 502 f. Not. 284. vergl. p. 527.
und endlich p. 784 f. Hierher gehört auch noch, was
Jomard in der Descript. del'Egypte I. Antiqq. Cap. VIII.
8. 3. p. 7. über die Betten mit Lówenkópfen und Lówen-
füfsen bemerkt, da wo er eine solche Sculptur im Tempel
au Hermonthis beschreibt, uud zuerst die Meinung be-
Joc
310
ist, wie schon oft von uns hemerkt wurde, das ganz na-
türliche , und namentlich auch Aegyptische Attribut der
Sonne in der Friihlingsgleiche 3%), Der Schlangen-
leib jenes Herakles erklärt sich gleichfalls durch die
Aegyptische Idec, nach welcher die allwirkende Natur-
und auch die Sonnenkraft durch gewisse Schlangenarten
versinnlicht ward (s. oben I. Th. p. 504.). Gerade aber
ist ja bei Athenagoras (p. m. 18.) in der angeführten Ge-
nesis von der das Weltey erfüllenden Kraft des
Erzeugers Herakles die Rede. Das göttliche Ge-
sicht, das jene Orphische Schlange neben den Thier-
köpfen hat, láfst sich vielleicht auch am ersten aus Ae-
gypüschen Bildwerken und Münzen erläutern, worauf
ja jene Schlangen, die man Agathodámonen nannte,
nicht selten vorkommen, z. B. auf der Münze des Anto-
rührt, dafs die Griechen Erfinder dieser Lówen-
attribute an Lagerstellen und dergl. seyn sollten, wonach
man diese Sitté aus dem heroischen Zeitalter von den
Exuvien, worauf die Helden safsen, herleitet. Jomard
bemerkt. aber sehr wohl, dafs, was auch Tischbeins
Sammlung der Vasen HT. pl. 30. und andere Griechische
Kunstwerke für diese Meinung zu beweisen schienen,
gleichwohl die Lówenbetten zu Hermonthis und an andern
Aegyptischen Orten alter als jene Griechischen
Sculpturen, und dafs diese Lówenattribute bei den
Aegyptiern symbolisch gewesen seyen. Auch die Isis ist
in einem Relief za Hermonthis mit einem Lówenkopfe
abgebildet (s. Jomard a. a. O. p. 8... Ebendaselbst findet
Sich auch eine Figur mit einem Lówenleibe, Sperber^
( Falken - ) kopfe und Crocodilsschweife. :
35) Auf das von Damascius aufgestellte Bild des Phanes mit
in den Seiten angewachsenen Stierkópfen, als Sinn-
bild von Kraft und Fruchtbarkeit, bezieht Zoëga
(Abhandll. pag. 252.) das Beiwort ravgoB dag im finften
Orphischen Hymnus, und nicht, wie Gesner, auf das
verliebte Gebrüll der Stiere.
311
ninus Pius 36). Doch daráuf will ich, wegen des móg-
lichen Einwurfs, daís diese Bilder aus Orphischen
Vorstellungen geflossen seyn hónnen, nicht so viel Ge-
wicht legen, als darauf, dafs diese Verbindung eines
Schlangenleibes mit einem Menschenkopfe ganz in der
Analogie anderer sehr alten Bildwerke gchalten ist.
Aus den Mithrasbildern kann man auch nur einen mit
einer Schlange umwundenen Jüngling nachweisen, nicht
jene Darstellungsart 37).
Jener Sem- Herakles ist, wie wir oben sahen, nicht
blos Sonne, Sonnenjahr#Bonnenzeit, sondern
auch eben deswegen Zeit überhaupt, und auch in die-
sem Sinne auf der Isischen Tafel dem Phönix, dem
Wundervogel, als dem Bilde grofser Zeitperioden
verbunden 35) Mithin liegt es ganz nahe, warum ihn
jene Osphische Genesis als xyoóvog genommen hat 39.
Kanne, der von dem Satz ausgeht , jene Hosmogonie bei
Athenagoras sey theils aus Persischen, theils aus ladi-
schen Quellen zusammengeborgt, nimmt nun, um sie
mit einer Indischen Kosmogonie in der Upnekhata har-
monisch zu machen, an: die Aussage des Athenagoras
und Damascius: Chronos sey Herakles, beruhe
auf einem Mifsverstand, und von einem Aegyptischen
Wesen Herakles könne hier nicht die Bede seyn; viel-
mehr sey der Satz : Chronos. zeugte das Ey, so zu fassen:
«Im Anfang war die Welt in Gestalt eines Eyes»
(Mythologie der Griechen p.49.). Dieser Annahme mufs
ich, widersprechen. Denn erstens nennt ja auch ein an-
36) Bei Zoéga Numi Aegypt. Imper. tab. XIT. S. obenI. Th.
p. 505, Not. 287.
37) S. auch Zoéga Abhandll. p. 195.
38) S. oben I. Th. p. 440. und II. p. 205.
39) Ueber den Chronos im System der Orphiker vergl. auch
Zoéga in den Abhandll. p. 235 ff.
212
derer Zeuge in einem ganz andern Zusammenhange 40)
den Herakles ausdrücklich xpóroc, die Zeit; zwei.
iens ist es vorzüglich zu beachten, daís dieser Chronos
bei Damascius ein erhóhendes Prädicat bekommt: &yí-
patos, der nie alternde. Dies hängt ganz genau
mit Aegyptischen Vorstellungen vom Sem- Herakles zu.
saniwen, die selber im Griechischen Mythus noch nicht
ganz erloschen waren. Er ist ja der Phônixträger
der Isistafel , er ist jener oft ermattete und wieder ge-
stirkte und endlich der ewigen Jugend (Hebe) zuge-
sellte Herakles (vergl. .ohen II. Th. p. 255.). Wie wird
aber, kann. man fragen, Herakles Demiurg, Weltbau-
meister? Auch das ist wieder durch die Aegyptische
ldee des Sonnengottes vermittelt. Nach Chüremo
und andern Schriftstellern (bei Eusebius Pr. Ev. III. 4.
p. m. 32.) dachten sich die Aegyptier die Sonne ganz be-
stimmt als Onprove7ds, als VVeltbaumeister. Es kann
also nicht auffallen, dafs Hercules dieselbe Würde und
Eigenschaft auch in jener Orphischen Hosmogonie hat.
Selbst die höchste Steigerung der Idee des Herakles
kann in einem System nicht befremden, dessen Aegyp-
tischer Ursprung durch unverdáchtige Zeugen behauptet
wird, da wir ja von einem anfangslosen Sem-He-
ralhles bei den Aegyptiern hóren: «Sacratissima religione
(sagt Macrobius in den Saturnalien.l. 20.) Herculem Ae-
£yptii venerantur — ut carentem initio colunt».
Da also die Aegyptische Mythologie so viele Erliu-
terungen Orphischer Genesis an die Hand giebt, so halte
ich es für. gerathen, zunüchst bei ihr stehen zu bleiben,
und nicht zuerst aus entfernteren Quellen jene Dogmen
sbzuleiten. Die Uehereinstimmung mit diesen hernach
40) Nicomachus von den Aegyptischen Festen, bei Joh. Ly-
dus de menss. p. 92.
515
auch nachzuweisen, ist oft interessant und belehrend.
Davon können wir gleich mit dem Bilde vom Weltey
ein Beispiel geben, worauf uns die Erklärung jener Kos-
mogonien doch von selbst leitet.
Diese Dichtung findet sich aber in allen, wenn
gleich, wie es scheint, mit verschiedenen Nebenbestim-
mungen. So gingen z. B. nach Olympiodorus (in Plato-
nis Philebum, vergl. Fragmm. Orphic. p.510) die drei
Monaden aus dem Ey hervor. Nach Aegyptiscber Vor-
stellung haucht jener erste Bildner Kneph (Kví$) ein
Ey , die Welt, aus, woraus Phthah, der zweite Bildner,
der Ordner, der Kunstreiche, hervorgeht (Euseb. Pr.
Ev. Hl, 31. p. m. 115). Es ist mithin consequent auch
das Orphische Weltey als zunáchst Aegyptiseh zu neh-
men. In den Hosmogonien der Indier finden wir die-
selbe Dichtung wieder, und es mag immer seyn, dafs
sie von dorther zu den Aegyptiern ham. Die Orphiker
erhielten sie aber vermuthlich von diesen letzteren. Im
Gesetzbuch des Menu scheint das Wasser das zuerst
Hervorgebrachte zu seyn; in ibm erzeugte sich der
Lichtsaame, regte sich und gestaltete sich zu einem glän-
zenden, vetmuthlich im Wasser schwimmenden Ey 41),
Gerade wie in der Orphischen Genesis bei Athenagoras
spricht die Indisehe Urhunde von jenem kosmogoni-
schen Ey:
Selber dann durch des Geistes Sinnen hat er (derEwige)
|. das Ey entzwei getheilt,
Aus den getheilten Stücken dann bildet Erd' und Him-
mel er.
Auf dieses halbirte Weltey der Orphiker spielten nach-
her die berühmtesten Dichter der Griechischen Komödie
an, z. B. Alexis bei Athenáus (1I. p. 23o0Schweigh.) , Ari-
41) S. oben I. Th. p. 595. und daselbst Fr. Schlegel, vergli-
chen mit der Upnekhata von Anquetil T. I. p. 27.
314
stophanes: in Plato's Gastmahl (cap. 17 Ast. p.190 Steph,
P-404 Beller.) und in seinen Végeln (vs. 694.) 42),
. Uebrigens gab dieses Dogma den strengeren Orphi.
kern und Pythagoreern, wie es scheint, Anlafs, sich der
Eyer zu enthalten 4), wührend die Cyniker, wie wir
42) Wegen der Geburt aus dem Ey (obwohl man auch andere
Sagen hatte, die jedoch weniger angemessen und nicht so
gewóhnlich dem von den Neuplatonikern angenommenen
theologischen System:seyen) heifst der uranfángliche Gott
der OrphikerWoysv5s, der Eygeborne; Unter den
verschiedenen Erklärungen, welche schon die Alten dar-
über enthalten , billigt Zioéga in den Abhandll. p. 226. 230ff.
die des Macrobius (Saturn. VII. 16.), dafs nämlich das
Ey darum in den Mysterien des Liber verehrt werde , weil
€s in einem unbelebten Runde einen Lebensmittelpunkt
einschliefse , wie der Stoff die Seele der Welt in sich ein~
schliefse. Diese Idee von dem Ey als Sinnbild der Er
zeugung und Belebung scheine in der That die ursprüng«
liche, sie sey auch vielen Vólkern gemein gewesen, wie
Aegyptiern , Chaldäern und Persern, der Griechen nicht
zu gedenken. Unter den Griechischen vorhandenen Schrift-
stellern sey Aristophanes der erste, welcher in den Vó-
gelu (vs. 691 f£), wo er ein Stück alter Theologie tra-
vestirt, den Eros (d. i. Phanes; s. oben) aus dem Ey
erzeugt werden láfst, wiewohl man dieses Ganze auch als
einen blofsen Einfall des Komikers ansehen kónne . ohne
einen éernstbafteren Gebrauch von der Stelle zu machen
(s. p. 233.). | Weit spüter seyen die Schriftsteller, welche
mit ausdrücklicher Angabe des Orpheus von dem eyge-
bornen Gotte redeten, wie im fünften Orphischen Hym-
nus , ferner bei Damascius, Athenagoras u.s. w. — Ue-
ber das Ey , als Hieroglyphe des Lichts und Lebe ns,
S. Sickler a. a. O. p. $2. £5., der dies auch in dem Worte
selbst durch etyinologische Forschung nachzuweisen sucht,
— Meine Gedanken über diese und ähnliche Sätze werden
die Leser aus dem Text dieses Capitels und dieses ganzen
Buchs von selbst errathen.
. 43) Plutarch. Sympos. LI. 3. 1. p. 635. E. p. 577 Wytt.
315
oben gesehen (M. Th. p. 123), die Eyer sogar von den
Opfern desto begieriger verschluckten. In jener Stelle
des Plutarchus wird zugleich auf den iepdg Aóyog der
Orphischen Schule hingewiesen, wornach das Ey das àl-
teste unter allem Erzeugten sey. Deswegen sey auch das
Ey in den Bacchischen Mysterien, als ein Bild des das
Ganze Umfassenden und das Ganze in sich Enthaltenden,
geheiligt. In ähnlicher Beziehung legt Heraclides von
Tarent beim Athenáüus (1L. 65. pag. 246 Schweigh.) dem
Ey einen grofsen Vorzug bei. Es érzeuge Saamen und
sey bôchst nahrhaft, weil es die meiste Gleichartigkeit
mit den Urstoffen habe. Hieraus lassen. sich, zugleich
die Gründe vermuthen, warum gerade das Ey in der
mysteriósen Bildnerei und Genesis einen so vorzüglichen
Rang erhielt.
9. 4
Die Orphischen Weltalter.
An die Orphischen Kosmogonien schliefst sich die
Lehre von den Weltaltern an, wobei wir kürzer
scyn kënnen. Auch bier. lassen sich verschiedene Be-
richte vernehmen. Folgende ward von gelehrten Philo-
sophen noch späterhin für die urkundlichste erklärt :
Es giebt sechs VWeltalter und eben so viele Welt-
regenten : Phanes, die Nacht, Uranus, Kronos,
Zeus und Dionysus. Zuerst verfertigt Phanes das
Scepter' des Universums. Von ihm empfängt es die
Nacht, seine Tochter. Von dieser Uranus. Ihn stürzt
Kronos vom Throne. Diesen hinwieder überwältigt sein
Sohn Zens. Nach ihm ist Dionysus der sechste und
letzte Regent. Diese Künigsreihe fángt oben an mit
den intelligiblen und intellectuellen Güttern, geht durch
die mittlere Ordnung hindurch und in die sichtbare Welt
selbst herab, um auch die einzelnen Dinge in ihr zu
316
regieren. Phanes gehôrt zu den intelligiblen und in.
tellectuellen und üherweltlichen (txepxoopiorç)
Göttern; so auch die Nacht und Uranus. Mit Kro-
nos beginnt die weltliche Reihe, indem er mit den
übrigen Titanen sich in die Dionysische Schüpfung
theilet 44),
Andere nahmen nur vier Orphische Weltreiche
(Bacireiar) an: das des Uranus, des Kronos, des Zeus
und des Dionysus 45); wogegen sich aber Proclus (am
a. 0.) erklärt. Nigidius (beim Servius zu Virgils Eclo-
gen IV. 10. pag. 45.) fiihrt fiir folgende Weltperioden
unter andern auch die Auctoritát des Orpheus an: erst
regiere Saturnus, dann Juppiter, darauf Neptunus und
zuletzt wérde Pluto, oder, wie die Magier lehrten,
Apollo herrschen (vergl Fragmm. Orph. nr. XLVII.).
Auch construirte man die ZwólfzahlderPythagorisch-
Orphischen Principien so : die Zwülfe entsteht durch
Combination der vollkommenen Trias (Dreizahl) mit
der die Zeugung bewirkenden Tetras (Vierzahl). Die
Principien der 'I'rias und der Tetras sind die Dyas und
die Monas. Die Monas ist der Aether, die Dyas das
Chaos, die Trias das Ey und die Tetras endlich ist Pla-
nes. Dionysus hat die dreizehnte Stelle erhalten, weil
er nach den Göttern (nach jenen Zwölfen) ist 46),
Unwillkührlich wird man bei diesen Orphischen
Weltaltern an die Yugs der Indischen Religionssysteme
erinnert (s. oben I. Th. p. 601 f). Das Reich des Dio-
nysus , d. i. des Schiwa, fállt sodann ins Kaliyuga. Es ist
44) Proclus in Platon. Tim. p. 291.
45) Olympiodorus zu Plato's Phádo; s. die Stelle bei Wyt-
tenbach zum Phädo pag. 134. vergl. Fragmm. Orphic.
p. 509 Herm.
46) Hermias zu Plato's Phüdrus p. 135 ed. Ast.
317
Dionysus- Pluto in dieser Eigenschaft, d.i. der Zerstórer;
aber auch der Wiedergebärer.
Die Zerstörung und Wiederherstellung geschieht
nach Indischer Lehre durch den Weltbrand. Die
Saamen aller Dinge werden in der Bärmutter der Bha-
vani gerettet, wovon der Lotus das Bild ist, und so kann
wieder eine neue Welt werden (s. oben a.a.0.).
Dieses Dogma vom Weltbrande (éxntpociu) wird
von mehreren Zeugen bestimmt ein Orphisches ge-
nannt. Man vergleiche nur Plutarchus (de orac. defect.
p. 415. F. p. 702 Wyttenb.), Proclus (in Plat. Tim. lI.
p. 99), Clemens Alexandrin, (Strom. V. p. 549.). Ge-
wühnlich heifst die Lehre auch Heraclitisch, und es
läfst sich nicht zweifeln , dafs sie im System des Heracli-
tus sehr ausgebildet war; welches, gelegentlich bemerkt,
auch. für die relativ frühe Bekanntschaft der Griechen
mit ihr spricht. In den Heraclitischen Fragmenten zeigt
sich sogar in dem Nebenzuge vom Feuerwinde (79707üp)y
der die Welt in Flammen setzt , eine Uebereinstimmung
mit. der Indischen Vorstellungsart 47. Auch im Stoi-
schen System war der Weltbrand ein Hauptsatz. Hier-
nach bleibt bei dem allgemeinen Untergange Zeus allein
welcher Alles in sich aufnimmt und bewahrt 45) Folg-
ten die Orphischen Schulen, wie nicbt zu bezweifeln ist,
orientalischen Quellen, so lehrten sie vermuthlich , die-
sen Quellen gemäfs, gleichfalls die Fortdauer der W elt-
substanz bei Verbrennung der einzelnen Dinge. Da-
für spricht auch das, was Proclus (in Tim. a. a. O.) von
der Wiederaufnahme der Dinge in Gott als
einen Orphischen Satz vorträgt.
47) Vergl. Paullinus Syst. Brahmart. p. 80. und oben I. Th.
pag. 603.
48) S. Marcus Antoninus III. 3. und daselbst Gatacker.
318
' Wenn ich bei diesem und den vorhergehenden Sátzen
an die Indischen Systeme erinnerte, so will ich dies
so wie oben verstanden wissen: Indisch mochten sie
alle in letzter Wurzel seyn ; aber zu den Orphi.
hern waren sie wohl aus Aegypten zunächst gekommen,
Denn dafs auch diese Lehre den Aegyptiern nicht fremd
gewesen, davon zeigen sich mehrere Spuren.
Jenem létzten W eltregenten Dionysus war
nun vorzüglich Griechenland zugethan. Seine Religion
hatte allenthalben siegreich Platz genommen , und Myste-
rien waren ihm gewidmet in Athen und in À rgolis,
auf Creta, in Vorderasien und in den Griechischen
Colonien in Italien und Sicilien. Von diesen
müssen wir also zunächst handeln, um uns dadurch zu
der allgemeinen Uebersicht der Bacchischen Geheimlehre
und Bildnerei den Weg zu bahnen. Von den Thebaui-
schen Trieteriden und von den Argolischen Lernáen habe
ich oben geredet. Hier ist also von den übrigen [nsti-
tuten zu handeln, wobei auch auf jene gelegentliche Rück-
bliche geworfen werden müssen. Athen mag in dieser
Uebersicht den Anfang machen.
319
ViErTES CAPITEI.
Bacchische Mysterien.
$. .
Die. Athenischen Bacchusmysterion.
Athen hatte dreierlei Dionysien (Atovéoræ), welche
sorgfältig zu unterscheiden sind. Dies ist erst in neue-
rer Zeit durch Ruhnkenius geschehen (im Auctuarium
ad Hesych. T. II. unter Avovvo.) , womit man Wyttenbachs
Bemerkungen (Biblioth. crit. P. VIL p. 5: sqq. und XII.
p 59.) verbinden mufs. Ruhnken unterscheidet nämlich
1) die ländlichen Dionysien, im Monat Posideon;
2) die städtischen oder die grofsen, im Monat
Elaphebolion ; 3) die, welche man auch die Antheste-
rien oder Lenüen nennt, im Monet Anthesterion und
Lenüon. Es hat diese Ansicht, obwohl sie von einigen
Gelehrten gebilligt worden, dennoch vielen Widerspruch
erfahren müssen, zumal da schon vorher manche Ge-
lehrte entgegengesetzte Meinungen aufgestellt und durch-
zuführen gesucht hatten, wie z. B. Meursius, welcher
die Lenáen von den Anthesterien unterschieden wissen
wollte 1). Ich begnüge mich, darauf verwiesen zu haben,
1) Es ist dieser Gegenstand in neueren Zeiten wieder mehr-
fach behandelt ünd bestritten worden. Die vollständigen
Angaben hierüber giebt Bóckh, in einer Abhandlung der
Kénigl. Preufsischen Academie der Wissenschaften zu
Berlin: ,,Vom Unterschiede der Attischen
Lenäen, Anthesterien und ländlichen Dio-
529
und! eile'’zu meinem Zwecke, welcher zunächst auf
eine Uebersicht der Mysterien des Dionysus zu Athen
—
nysien** (s. Jahrg. 1316 — 1817. pag. 47 f£.) , wo er
jedoch, mit Verwerfung der seit Selden und Ruhnken an.
genommenen Meinung , dafs die Lenáen mit den Anthe.
sterien zusammenfielen , die eigene Meinung aufstellt (s,
p. 53.), dafs die Lenäen als ein besonderes Fest an-
gesehen werden müfsten, welche im Attischen Monat
Gamelion oder, was dasselbe ist, im Jonischen Nlouat
Lenáon zefeiert worden, vóllig verschieden von den ge-
nannten Aníhesterien. Die Meinung, welche Scaliger
und Andere aufgestellt, dafs die Lenáen einerlei
seyen mit den ländlichen Dionysien, kann
nach Bóckh p. 65 f£, ebenso wenig fürstatthaft gelten. Denu
aufser dem, dafs die Stellen der Altén, die man zu diesem
Zweck anführt,theils keine Aufmerksamkeit verdienen,theils
eine andere Erklärung zulassen , war ja das Lenäon nicht
auf dem Lande , obwohl dies sehr leicht aus dem Namen,
der von der Kelter kommt, konnte geschlossen werden;
nur so viel kónne man zugeben , daís die Lenden als Kel-
terfest ursprünglich ein lándliches Fest waren, nachher
aber ein stüdüsches wurden. Auch bezeugen andere
Schriftsteller ganz bestimmt die Verschiedenheit der Lex
näen und der lindlichen Dionysien. — Rücksichtlich dec
Anthesterien kann man die Choen und Chytren als aus-
drückliche Unterscheidungen anführen , so wie iusbeson-
dere die Stelle des Hippotochus beim Athenäus IV. p. 130.
E. — Diese Bebauptungen sucht nun Bóckh 2u erweisen
durch eigene Untersuchungen über den Ort, wo die Le-
näen gefeiert wurden ( pag. 69 — 83.) , über die Zeit der
Feier (pag. 83 f£) , welche entschiedener Weise mit dem
Aufführen von neuen Tragödien und Komödien (wahr-
scheinlich auch von alten) verbunden war ( p. 104. 105.) ,
wihrend man bei den Anthesterien blos Proben anneh-
men kónne, oder Aufführung von Komódien, obwohl
keines von beiden mit Sicherheit. — Aucti-biér mufs ich
mich auf die blofse Mittheilung dieser Sätze beschränken,
da eine Erörterung mich von meinem Ziele entfernen
würde.
bu
+!
321
gerichtet ist. Diese gehôrten zu den Lenäen, und
wurden vor dem Frühling im Monat Anthesterion, der
so ziemlich mit unserm Februar zusammenfällt, in dem
uralten Dionysustempel zu Limnä (êv Aluvacs) gefeiert,
der nur Einmal jährlich, am zwölften des genannten Mo-
nats und blos zum Zwecke jener Feier , geöffnet werden
durfte 2). So weit sich aus Aristophanes Fröschen
2) Saintecroix (Recherches sur les mystéres du Paganisme
JT. pag. 75.) unterscheidet ein doppeltes Dionysus- oder
Bacchusfest der Athener: 1) die kleinen Dionysien,
entsprechend dep kleinen Mysterien von Agra, 2) die
grofsen dreijährigen Trieteriden.: Sie scheinen die ältesten
und deswegen auch in ihrem Ursprunge die einfachsten
gewesen zu seyn, obwohl sie inder Folge mit vielem Pomp
und Aufwand gefeiert wurden. Silvestre de Sacy bemerkt
aber hierbei mit Recht, dafs Saintecroix , indem er nur
zwei Dionysien, die des Monats Anthesterion, die gros-
sen und ältesten, und die Stadtdiónysien im Monat Posi-
deon annehme, offenbar Mehreres verwirrt habe, was
doch unterschieden werden müsse. Er führt dann zu-
nüchst Frérets Meinung (im XXIIi.: Bande der Lettres
de I’ Academie des Inscriptions) an, dafs man vier Feste
des Bacchus zu Athen unterscheiden müsse: 1) das
grofse Dionysusfestim Monat Anthesterion, das=
selbe, wovon Demosthenes in der Rede advers. Neaer.
spreche; 2) die kleinen oder lándlichen Dionysien
im Monat Posideon; 3) die kleinen stüdtischen
Dionysien im Monat Elaphebolion;: 4) die dreijähri-
gen, welche nach der Weinlese zu Athen an einem
Orte, genannt die Keltern — dv rois Àxvoig — gefeiert
wurden, wo man tragische, komische und satyrische
Stücke aufführte. Nachdem er auch noch des Ruhnkenius
Meinung angeführt, wirft er zuletzt die Frage auf, auf
deren Beantwortung derselbe Gelehrte sich gar nicht ein-
gelassen , ob nämlich eins dieser drei Feste nicht jährlich,
sondern nur alle drei Jahre gefeiert. Von den Anthesterien
sey es wohl aufser Zweifel, dafs sie jührlich gefeiert wor-
den, da Demosthenes versichere , dafs der 'T'empel des
HI.
VE
322
(vs. 209 ff.) schliefsen láfst, wurden auch zu Athen diese
Bacchusweihen an einem See gefeiert. Man wird sich
des zirkelrunden Sees noch erinnern, um welchen man
zu Sais den Tod des Osiris beging, so wie der Lerniüen
am Alcyonischen See (oben III. Th. p.163.). Ein solches
Local scheint also bei dieser Feier hergebracht gewesen
zu seyn. Der Ort dieses álteren Bacchusdienstes,
wie ihn Thucydides (a. a. O.) nennt, war ein Platz in
der Stadt Athen, und dessen Name Limná 5), 60 wie des
Bacchus , wo dies Fest gefeiert werde, nur einmalinjedem
Jahre bei Gelegenheit eben dieses Festes geöffnet werde,
Dasselbe wird auch von den lündlichen Dionysien ver-
sichert. Es wären also blos noch die grofsen städtischen
Dionysien übrig , denen man eine dreijánrige Feier zu-
Schreiben kónne; aber ein áhnlicher Umstand würde ge-
wifs, durch irgend einen der alten Schrifisteller, welche
von den Festen des Bacchus geredet haben, auf uns ge-
kommen seyn, und Theophrastus (Eth. 3. ,, vai rÿy 9d.
Àavra) 8 Ascvucimv- mÀwiuoy elvai**) spricht ohne Zweifel
hier von einem Feste , das alle Jahre wiederkehrt. Wenn
demnach auch wo eine Angabe einer dreijihrigen Feier
sich findet , so ist diese unsicher, und bezieht sich wohl
auf die 'Trieteriden, die man dem Bacchus in seinem Ge-
burtsorte heben feierte (vergl. oben III. Th. p. 96.).
3) Aus Hesychius, Photius und -Andern, bemerkt Bóckh a.
a. O. p. 69 ff., erhellt, dafs der Ort, wo die Lenien ge-
feiert wurden , das Lenüum war, ein grofser, ummau-
erter Raum, worin sich die Heiligthümer befanden; dafs
dasselbe ferner in der Stadt war, und dafs ehemals hier,
ehe ein Theater da war (das natürlich spáter, weil der
Ort durch den heiligen Gebrauch geweihet war, an dem-
selben Orte oder nahe dabei gebaut wurde), die Schau-
spiele gegeben wurden. Dort war nach Pausanias (T. 20.)
der Tempel des Dionysus, des Gottes der "mystischen
Anthesterien, dessen Tempel zu Limni (s. Thucydides
a. a. O.) der älteste und heiligste unter den Dionysischen
war. Dort also beim Theater , südlich von der Burg,
. 4
325
Gottes Name A:ipvoiog, kam wahrscheinlich von einem
See oder Sumpfe her. Gleichwohl suchte man andere
Herleitungen, z. B. von'der Mischung des Weines 4),
Auch die Jonier feierten dieses Fest, nach ihres Vater-
lands Sitte, im Frühjahre (Thucyd. a. a. O.).
Die Aufsicht über diese Mysterien hatte der Archon
Künig (8ao1As$6) nebst den ihm beigegebenen Epimele-
ten. Er ernannte die Priesterinnen dieses Geheimdien-
stes, deren vierzehn waren, nach der Zahl der Altäre
in jenem Tempel. Sie hiefsen l'epaïoor oder l'epapai,
die Ehrwürdigen, und verrichteten mit Zuziehung
wäre das Lenäum zu suchen. Wenn es also offenbar ist,
dafs der Lenäische Dionysus derselbe ist mit dem der
Authesterien, und dies ein Hauptbeweis der Ansicht des
Ruhnkenius für die Einerleiheit der Lenáen und Antheste-
rien ist, so sucht dagegen Bóckh (pag. 71.) die Schwache
dieses Beweises darzuthun, Denn aufser Anderm kónne
weder die Einerleiheit des Ortes für beide Feste, noch
die Einerleiheit des Gottes, dem sie geweihet, beweisen,
da Einem oder zwei zu Einem umgeformten Gotte zwei
Fesie gefeiert werden konnten. Die Schwierigkeiten, die sich
dagegen hier ergáben , wenn man die lündlichen Dionysien
und die Lenáen für eins nehme , liefsen sich viel schwe-
rer beseitigen , und die Stellen, die dafür sprüchen , lies-
sen sich erklären durch die Annabme , dafs das Lenüon
anfinglich aufser der Stadt war, dafs es der erste Ort war,
wo eine Kelter sich befand (?) , und dafs das Lenüenfest die
Feier der ersten Keltereinrichtung war, eben darum aber
keine ländlichen Dionysien in ihrer bestimmten Form.
Auch habe es weiter keine Lenáen auf dem Lande gege-
ben (?) ; woraus sich eben erweisenlasse, dafs das Fest eine
ganz einzelne, auf einen bestimmten Ort und bestimmten
Anlafs beschránkte Bedeutung müsse gehabt haben (sieh.
pag. 73.).
4) S. Phanodemus beim Athenüus XI. 13. pag. 204 Schweigh.
und daselbst Casaubonus.
52/
einer andern Priesterin die geheimen Gebräuche 5). Die
Gemahlin des Archon König brachte insbesondere ein
mysteriôses Opfer für die Stadt; auch nahm sie den Ge-
rären, die ihr wohl untergeben seyn mochten, den Ámts-
eidab, denuns Demosthenes (contr. Neaer. p.591. p. 1971
Reisk.) aufbehalten hat: lch bin lauter und rein und un-
beflecht, beides, von allem Andern, was verunreinigt,
und auch von der Gemeinschaft mit einem Manne; und
die Theënia (Seoiriæ) und Jobacchien (Toßaxyeia) will
ich feiern (yepaigo) dem Dionysus nach der Väter Ge-
brauch und zu den gebührenden Zeiten 5). ' Die Ober-
aufsicht über sie führte jedoch der Oberpriester des
Dionysus, der auch den Vorsitz bei den Spielen hatte
(Scholiast. Aristoph. Ran. 297.). Ueberhaupt waren die
Dionysien im alten Athen sehr hohe Feste, und nach
Suidas zühlte man dort ehemals sogar die Jahre danach.
Bei dem Priesterpersonale dieser VVeihen kommen noch
mehrere Namen vor, die wir zum Theil in den Eleusi-
nien wiederfinden, wie der Hierokeryx und der Daduch
(ebend. zu vs. 479.), ohne da(s es sich ausmachen läfst,
ob es dieselben Individuen waren.
Die Aufnahme geschah hier, wie bei jedem Myste-
rium, mitbesonderen Vorbereitungen. Nach einer Stelle
des Servius (zu Virgils Aeneis VI. 740.) sollte man mit
Saintecroix vermuthen, es sey blos die Reinigung durch
die Luft in diesen Lenüen gebráuchlich gewesen. Doch
eine genaue Vergleichung mit einem andern Zeugnifs
desselben Grammatikers (zu Virgils Georg. iI. 383.),
wobei er sich auf Orphische Ordensregelu beruft, führt
5) Pollux VIII. 9. p. 929. und dasclbst Hemsterhuis.
6) Vergl. Pollux a. a. O. mit den Auslegern, Hesych. in ys
eg. Etymolog. magn. unter demselben Worte und da-
selbst Dionysius von Halicarnafs.
325
auch mich auf die Vermuthung , dafs mehrere Arten von
Reinigungen dabei üblich waren 7). Auch andere Gründe
sprechen dafür, Dafs die Wasserreinigung in Bac-
7) Es gab in alten Mysterien drei Arten von Reinigung:
durch Wasser, Feuner und Luft; s. Servius ad Vir-
gil. Aeneid. VI. vs. 740. wo es unter andern beifst: Unde
etin sacris omnibus tres sunt istae purgationes. Nam aut
taeda purgantar et sulphure , aut aqua ablüuntur , autaére
ventilantur: guod erat in sacris Liberi. Nach diesen
letzten Worten sollte man vermuthen , iu den Bacchischen
Mysterien sey blos die Reinigung durch die Luft gebräuch-
lich gewesen, Allein in der andern Stelle (ad Georg. IH.
vers. 388 seqq.) : drückt ‘er sich schon etwas anders aus.
Nachdem er eine Erklirung von den oscilla gegeben,.
fahrt er fort: Et hoc in Orpheo lectum est: prudentiori-
bus tamen aliud placet, qui dicunt sacra Liberi patris ad
purgationem animae perünere. Omnis autem purgatio
aut per aquas aut per iguem fit, aut per aérem , Sicut im
Sexto Aeneidos ( VI. 740 seqq.) ait: Aliae panduntar in-
anes ete. Uebrigens wissen wir, dafsin Athenisch en
Mysterien die Schicksale der Seelen nach dem Tode dar-
gestellt wurden (Platon. Phaedon. p. 60 Heindorf.). Dafs
dies auth in den Bacchusweihen dort der Fall war,
Jáfst sich aus Aristophanes Fróschen, (vs. 154.' 321. 390.)
vermuthen. Ein günstiges Loos bereiten der Secle, so
lehrte man, vor Allem die Mysterien; durch ihre Reini-
gungen waschen sie die Makel ab, die diese während ihres
Aufenthaltes im Leibe angenommen (Platon. Phiaed. p.61
Heind.). Dies vorläufig in Betreff der Attischen Bacchus-
weihen, — Uebrigens wird das oscillum (awe) auch noch
durch einen eigenen Mythus den Attischen Bacchusfesten
zugeeignet. Essollte, fabelte man, eine Erinnerung seyn
an den traurigen Tod der Weingeberin Erigone und an
das Schicksal der Attischen Jungfrauen, die sich erhüngt
hàátten (Hygin. fab. 430.). Es ist bekannt, dafs man unter
den Oscillen bald Stricke verstand, an denen sich Men-
schen hin und her schaukelten (oscillatio) , bald aufge-
hàngte Phallen, bald Masken oder Larven, die man in
der Luft schweben liefs.
326
chischen Weihen eingeführt war, davon haben wir oben
ein Beispiel aus Pausanias (Boeot. cap. 20. $. 4.) gege-
ben. Dort sahen wir die Frauen von Tanagra, die zuerst
in die Bacchusorgien eingeweiht wurden , sich im Meere
baden 5). Beispiele der Wasserreinigung überhaupt
kommen schon im Homerus vor (liad. I. 314.), so wie
in andern alten Dichtern ( vergl. Euripid. Iphigen. Taur.
1193.). Man legte dem Meere die Hraft bei, der Men-
schen Uebel hinweg zu nehmen. Passeri (Picturae in
vascul. Etruse. T. I. p. 5o.) will in dem Delphin auf vie-
len Vasen eine Anspielung auf diese Wasserreinigung
finden. Gori (Mus. Etrusc. Class. V. pag. 128 deutsche
Ausg.) macht dieses Thier zu einem Etruscischen Sym-
bol des Todes, mit Berufung auf Athenáus XIIL 8. (s.
p.195 ed. Schweigh.), in welcher Stelle aber Niemand.
einen Beweis für diesen Satz finden wird.
Dafs auch die Reinigung durch Feuer in den Atti-
schen Bacchusmysterien gebräuchlich war, läfst sich
theils aus einigen allgemeinen Anzeigen wahrscheinlich
machen , theils aus bestimmteren Spuren von Athen selbst
her. Die Fackel war dabei wesentlich, wie es scheint,
Von den Fackeln hiefsen die nächtlichen Dionysusweihen
$avoai Baxytov oder Mvovzoíov (Eurip. Jon. 55o. Rhe-
sus 943.). lu der letzteren Stelle wird die Einführung
derselben dem Orpheus beigelegt. Der Gebrauch, durch
Fackeln und Schwefel zu reinigen ?), scheint sich bis zu
jenen Rómischen Bacchanalien erhalten zu haben, die
durch das bekaunte Senatusconsultum de Bacchanalibus
einen so empfindlichen Stofs erlitten. Livius (XXXIX.
13.) erzählt uns aus den Acten: bei jenen nächtlichen
8) Vergl. auch die Erklárung der Abbildungen p. 35. 38.
9) Vergl. auch J. Lomeier de veterum gentilium lustrationi-
bus cap. XIX. p. 249 ff. (Zutphaniae 1700.)
327
Festen seyen Frauen von Stande, als Bacchantinnen ge-
kleidet , mit brennenden Facheln zur Tiber hingelaufen,
hitten sie in den Flufs getaucht, und weil sie mit Schwe-
fel und Kalk bestrichen waren, auch brennend wieder
herausgezogen. An der Tiber geschah vielleicht zu-
gleich die Reinigung durch Wasser. So vermuthet der
sogenannte Mattháus Aegyptius (Egizio) in seinem Com-
mentar zu jener Erzühlung (in Poleni Supplement. ad
Thesaur. Antiqq. Tom. L p. 777.) Auf die Feuerreini-
gung spielt Jamblichus an (de Myster. Aegypt. V. 12.
p. 392 Gal), wo vom Feuer gesagt wird, es brenne die
Schlacken der Materie aus, und führe zur Gemeinschaft
mit Gott. Hierauf bezog man auch die Verbrennung des
Herakles auf dem Oeta. Dieser Heros sollte ja auch ein
Eingeweiheter seyn (Proclus in Platon. Polit. pag. 382.).
Es ist bereits von Winckelmann in der Allegorie (p.557
neueste Ausg.) bemerkt worden, dafs die Feuerreinigung
der Seele durch den Amor vorgestellt ward, der einen
Schmetterling über eine brennende Fackel hält 1%. Ein
Bild, das aus der ganzen ldeenreibe der alten Mysterien-
lehre von Amor und Psyche entlehnt war, und auf Grü-
bern, wie z. B. auf der Todtenurne in der Villa Mattei,
die eben angegebene Bedeutung ganz ungezweifelt hat;
hernach aber eben so natürlich und wohlgefillig £u einem
blofsen Dichterbilde von den Qualen der Liebe ausgeprägt
ward, wie es unter andern in dem lieblichen Epigramm
des Meleager in der Griechischen Anthologie (Tom. I.
pag. 19. nr. 50.) genommen worden. Gelegentlich be-
merht, ist dies einer der vielen Beweise von dem dop-
pelten Sinne mancher alten Symbole in verschiedenen
Ideenhreisen. In Betreff der Feuerreinigung in den At-
tischen Lenäen könnte man den Daduch als Beweis an-
10) Vergl. die Erklärung der Abbildungen p. 25.
328
führen. Denn vielleicht war er zu diesem Geschäfte be.
stimmt, da, wie bemerkt, eine Fackel dazu erforderlich
war. Doch konnte er auch schon der nächtlichen Feier
dieses Festes wegen nöthig seyn. Vielleicht weiset jener
andere Zug noch näher auf Fackelreinigung hin, weil
gerade jener Attische Jacchus mit einer, Fackel in der
Hand abgebildet war, und zwar im Tempel der myste.
riösen Göttin Demeter, neben dieser Göttin und ihrer
Tochter (Pausan. Attic. cap. 2. $. 4.). Doch auch dieses
konnte blos auf die heilige Nacht gchen, wovon im
Verfolg bei den Eleusinien hürzlich geredet werden wird,
Der sogenannten mystischen VVanne des Jacchus
(Virgil. Georg. 1. 166.) gab man bestimmt die Bedeutung
der Seelenreinigung, wie wir unter andern aus Servius
zu dieser Stelle sehen, der uns dabei sagt: der Mensch
solle in den Mysterien gereinigt werden, wie dcs Ge-
treide durch die Wanne. Sie hatte zugleich in der Ge-
burtsgeschichte des Dionysus ihre Bestimmung. Man
trug den neugebornen Halbgott darin, denn sie war
linglich, und mufs von dem andern mystischen Horbe,
cista, einem runden Gerithe, unterschieden werden.
Jener lingliche "Traghorb hiefs Aixrov, und von ihm
hatte eine Priesterin , die ihn bei den Processionen trug,
den Namen Awxvopopog 11). Diesen Unterschied hat zu-
erst Winchelmann nach Bildwerken deutlich gezeigt (s.
Monumenti I. p. 46.) und neuerlich Zoéga (Bassiril. 111.
49. IV. not. 126.) bestätigt. Ein Bild jener Reinigung
durch Luft waren auch die Oscilla. Was das Volk dar-
unter verstand, sehen wir aus Virgilius (Georg. II. 388.)
und seinem Erhlárer Servius. ^ Zuweilen dachte man
11) Proclus in Platon. Tim. p. 124. vergl. auch Demosthen.
pro Coron. p.313 unt. Reisk. cap. 29. Eben daher führte
auch Bacchus selber den Namen Licnites (Awvitys); wos
von weiter unten,
329
sich, wie bemerkt, auch Masken darunter. Eine solche
Maske trügt Bacchus (Liber) auf einem Vasengemälde
bei Millin (Peintur. de Vas. antiq. T. HI. pl i7). Sie
ist oben.an seinem Thyrsus befestigt.
Dafs dieses Bacchusfest bei Nacht war, läfst sich
theils aus der allgemeinen Stelle des Euripides ( Bacch.
485 ff.) muthmafslich annehmen, theils aus dem, was
oben bemerkt ward. Es war überhaupt ein liohes Fest,
und aus jenem Tempel zu Limnà war jeder Fremde auf
immer ausgeschlossen (Scholiast. Aristoph. Acharn. 503.).
Der Daduch, mit der Fackel in der Hand, forderte die
Gemeinde zur Anstimmung des Hymnus auf, wovon wir
noch den Anfang übrig haben: «Sohn der Semele,
Jacchus , Reichthumgeber » (Scholiast. Aristophan. Ran.
479.). Casaubonus (Exercitt, in Baron. Annal. XVI. p.
484.) leitet von dieser Aufforderung des Daduchen und
von dem antwortenden Gesang der Gemeinde die Sitte
der sogenannten Ántiphonen (ávciQorvo) in den ilteren
christlichen Kirchen her. Auch in diesen Mysterien wa-
ren Hirschkalbfelle die festliche Tracht (Dionysius de
situ orbis 702.). Sie heifsen daher ausdrücklich das
heilige Kleid 12). Zuweilen zog man statt ihrer Par-
delfelle (waodalides) an. An die Stelle des Epheu, die-
ser Hauptpílanze in den exoterischen Dionysien, trat
12) S. Saintecroix Recherches TT. lI. p. 82. wo mehrere Stellen
aus Aristophanes und Euripides angeführt sind , aus denen
jedoch , nach der Bemerkung von Silvestre de Sacy , kei-
neswegs hervorgeht, dafs die in die Mysterien des Bac-
chus Eingeweiheten dieses Kleid in den mystischen Festen
dieser Gottheit hätten tragen müssen. Derselbe
bemerkt überhaupt bei dieser Gelegenheit, wie willkühr-
lich Saintecroix ófters die Stellen der Alten anwende, eben
weil er nicht genau die verschiedenen Dionysischen Feste
unterschieden, so wie was einem jeden derselben ange-
hóre und zukomme.
250
hier die Myrte ( Aristoph. Ran. 329 sq. ibiq. Scholiast,),
Man mufs dabei an die Verbindung denken, in der die
Attischen Bacchusweihen mit den Cerealien standen,
Ceres aber und ihr Heros Triptolemus hatten die Myrte
als eigenthümlichen Schmuck 13). Dafs man dem Bac.
chus an den Dionysien Zweige von Wintergriin, ‚Wein
und einen Bock darbrachte, bemerkt Plutarchus in einer
Hauptstelle, wo er von den älteren einfachen Festge.
bräuchen redet, als etwas ganz Allgemeines 14) Dabei
wird besonders auch der Feigen gedacht, die in Hór.
ben dargebracht wurden. Bei dén älteren Athenern
waren diese Körbe golden, und wurden von Mädchen
getragen , die so eben in das Alter der Mannbarkeit ein.
traten 15), Auf der Vase nr. 213. bei Passeri glaubt
Ianzi (Vasi pag. 137.) in dem halb knieenden schón ge-
kleideten Mädchen , dem ein Satyr einen Korb mit Früch-
ten auf den Kopf legt, um so mehr eine solche-Bacchi-
sche Korbtrügerin zu sehen, weil sie den Thyrsus in der
Hand hat. Diese Canephoren hatten selbst Schnüre mit
trockenen Feigen, um den Hals 19. Auch der dabei in
der Kiste befindliche Phallus war von Feigenholz 17);
13) Meursii Eleusinia cap. 7. womit man die Beweise ver-
gleichen kann, die E..Q. Visconti zum Vaso di Ponia-
towski p. 10. aus Kunstwerken gegeben hat.
14) De cupid. divit. p. 527. D. p. 12d Wytt. vergl. mit Sil-
vestre de Sacy zu Saintecroix Recherches etc. Tom. II.
pag. 83»
15) Demaratus in certam, Dionys. angeführt von Natalis Com.
mythol. lib. V. 13. p. 491. vergl. unsere Tafel XXXVIII.
nr. 3. 4. 5.
16) Aristoph. Lysistr. 647. vergl. Winckelmann Monumm. I.
pag. 23.
17) Theodoret. Serm. VII. pag. 383. vergl. Silverstre de Sacy
a. a. O. 'T'om. II. p. 89.
331
wobei die Argiver einen isgóg Aóyo; von Dionysus er-
zihlten und von der Hiilfe, die ihm Polypnus (der Ge-
nius des Schlafes) bei seinem Hinabgang in die Unter-
welt geleistet hatte; jenes Phalluszeichen erhielt in den
Lernüen seine Deutung (s. oben III. Th. p. 163 f£). Die
Wahl des Feigenholzes und die Feige selbst in den Hór-
ben und in den Schnüren am Halse der Korbträgerinnen
hatte ihre Beziehung auf Fruchtbarkeit und Fortpflan-
zung, wie eine Stelle des Plutarchus (de Isid. p. 365. B.
p. 496 Wyttenb.) ganz bestimmt zu erkennen giebt 18),
Hier werden wir an eine sonderbare Uebereinstimmung
mit alten- Persischen Gebräuchen erinnert. In jenen
VVeihen der Mitra, die Artaxerxes Mnemon bei seiner
Thronbesteigung zu Pasargadà empfing (s. oben I. Th.
p. 732. und II. p. 914 £), waren auch gerade die getrock-
neten und länglich geformten Feigen als ein religiöses
Bild gewöhnlich. Liefse sich der wirkliche Zusammen-
hang dieser Gebräuche eben so leicht nachweisen als
vermuthen, so würden wir darin einen Beweis »mehr für
18) Vergl. Silvestre de Sacy a. a. O. Tom. IT. pag. 87. Aus
der Stelle in der Chrestomathie des Helladius (in Gro-
nov. Thes. Graec. Antiq. Tom. X. p. 977. sieh. Meursii
Lectt. Atticc. IV. 22.) , wo das eine der beiden Sühnungs-
opfer für die Männer zu Athen schwarze getrocknete Fei-
gen, das andere für die Weiber weifse Feigen um den
Hals hatte , bemerkt er, könne man nicht schliefsen , dafs
getrocknete: Feigen als eine. Art von Amulet gegen die
Pest getragen worden seyen; nur so viel gehe daraus
hervor, dafs die Feigen den unteren Mächten ge-
heiligt gewesen. -Winckelmann vermuthete, dafs die Fei-
genschnüre um den Hals, welche sich auf gewissen Etru-
rischen Monumenten finden , und die an der Hand gehal-
ten werden, am häufigsten von weiblichen Personen , an-
zeigen, dafs letztere in die Mysterien des Bacchus eins
geweihet waren.
552
den von vielen Seiten einieuchtenden Satz schen: defs
der Grieche, mochte er auch sonst noch so neuerungi.
süchtig seyn, doch in diesem Kreise des Denkens und
Bildens bei dem Alterthümlichen stehen blieb , und mochte
es auch auslündischen, d. h. nach seiner Ansicht barba.
rischen, Ursprungs seyn. Auch in anderer Hinsicht ist
diese Uebereinstimmung einer Persischen und Grie.
chischen Cárimonie bemerkenswerth. Gerade im Mitra.
tempel wird die Feige genannt; sie wird auch genannt
in den nachweislich ganz Aegyptischen Lernäen 19),
Also wieder ein Faden , der aus alter Persischer Mithra.
religion in die Aegyptische hinüberzieht.
Opferte man, wie es scheint, in den Griechischen
Bacchusmysterien ein Schwein statt des Bockes,
der bei den gewóhnlichen Dionysien -das Opferthier
war, so war diese Sitte ebenfalls ganz Aegyptisch 29),
19) Ich erinnere hier nur zugleich an den Zeus curdortos,
wovon oben II. Th. p. 522. und an dieJuno Capro-
tina, ebendas. p. 561. Vergl. auch Welcker Zeitschrift
für alte Kunst I. 1. p. 12.
20) Herodotus ( II. A7. 48.) bemerkt, dafs die Schweinopfer
sonst in Aegypten nicht gebräuchlich waren, aber der Se-
lene (Isis) und dem Dionysus ( Osiris) brachte man sie
an einem gewissen Tage, woriiber man eine heilige Sage
wufste. Hierauf bezieht sich vermuthlich das Bild des
Mannes mit dem Schweine , welches man auf dem Thiers
kreise von Dendera sieht. Wie übrigens auch über die
kritisch zweifelhafte Stelle des Herodotus (II. 48.) ent~
schieden werden mag (die Schellersheimische Handschrift
hat wie die Mediceische 725» xoj9» , und spricht also für
unsern Satz); so bestimmt mich zur obigen Annahme
nicht nur der Aegyptische Ursprung der meisten Bacchi.
Schen Mysterien unter den Griechen, sondern auch die
nicht seltene Erscheinung des Sch wein s auf den Grofs-
griechischen Vasengemülden des Bacchischen Kreises, —
(4 5
555
Sonst war auch die Sitte zu. Tenedos, wo man dem Dio-
nysus eine trächtige Kuh weihete ( Aelian. Hist. Anim,
XII. 34.), gut Aegyptisch; nicht minder die Gewohn-
heit zu Chios, wo die Sphinx seine Tempelwüchterin
war. An beiden Orten hatte man in ältester Zeit dem-
selben Gotte zu Ehren einen Menschen geopfert. und
in Stücke zerschnitten, wovon Dionysus 6uddıos ge-
nannt ward ?!) Erst die mildere Sitte setzte das Thier-
opfer an die Stelle. Es hiefs das Hohessen (ógoga-
yix), weil die Bacchae die dabei unter sie vertheilten
Stücke des Opferfleisches roh essen mufsten 22). Man
spielte damit auf die Zerstückelung des Dionysus durch
die Titanen an (Epiphan. advers. haeres. IIT. pag. 1092.),
worauf wir im Verfolg zurückkommen. Ob nun jenes
Schweinopfer in Athe n bei den Dionysusmysterien
gebrüuchlich war, wissen wir nicht bestimmt. . Hóchst
wahrscheinlich ist es aber, schon wegen der sonstigen
Silvestre de Sacy, der in den Noten zu Saintecroix Re-
cherches etc. Tom. II. p. 85. der Larcherschen Ueber~
setzung (,,excepté le sacrifice des pores‘ — «Av dv
yoíwv) gefolgtist, bemerkt, dafs man dieselbe Folgerung
machen könne, selbst wenn nian der andern Lesart cz»
xo;U» folge, weil nämlich Herodotus, nachdem er von
dem Schweinopfer gesprochen, alsbald hinzufüge : z7» 93
@Ayy dvaryouot oT vÀ Awwow oi AlyuxTiot, Thy OLD,
ward rasta oysddy wdvra "Eber .,, Ils différoient, setzt er
hinzu , donc des Grecs, quant au rite précédemment dé-
crit. ^ Auf Ithaca opferte man dem Neumonde drei
Schweine ( Odyss. XX. 158 sqq. ibiq. Eustath. p. 727
Basil). Also Griechische Schweinopfer an Mondsfesten.
21) Porphyr. de Abstin. II. 55. vergl. Juliani Opera p. 128
ed. Spanheim.
22) Euripid. Bacch. 139. Clem. Protrept. p. 9. vergl. C. G.
Schwarz Miscell. polit. human. p. 79. und Orelli Append.
ad Arnob. p. 57.
334
Uebereinstimmung Attischer und Aegyptischer Gebräuche,
Bacchische Menschenopfer kannten die Athener. Selhst
Themistocles hatte einst, auf eines Sehers Geheils, den
rohen Dienste gehuldigt, und dem Rohesser 25) Dio.
nysus (ouqovü Awv$oo) drei Jünglinge geopfert 24),
In der Regel waren aber die Athener ganz gewifs der
milderen Sitte zugethan, so wie ihre Lehrer, die Ae.
gyptier, seit der Regierung des Amasis. Vorher hatten
auch sie Menschenopfer gebracht 25)
23) Da hier Dionysus offenbar in Beziehung auf Opfer up.
e*x; , Rohesser, heifst, so glaube ich auch, dafs der
Beiname ces (s. vorher), der ja ganz in derselben
Beziehung angeführt wird , so gefafst werden mufs. Da.
her kann ich Scaligern, Gesnern und Hermann nicht bei-
stimmen , dieim Orph. Hymn. XXX (29) 5. und LII (51) 7,
dieses Prädicat erklären: der auf den Schultern trägt,
oder getragen wird. Viel weniger ist der Lesart Sguddi
der Vorzug zu geben. Auf jene Weise hatte ich schon
im Dionysus pag. 268. dieses Beiwort genommen. Jezt
sehe ich, dafs ich mit Rhoer (ad Porphyr. de Abstin,
pag. 200.) auf demselben Wege zusammen getroffen bin,
Man lese dessen gelehrte Anmerkung daselbst.
24) S. Plutarch. Vit. 'hemist. p. 119. cap. 13. Pelopid. p.289,
cap. 21. Aristid. p. 324. cap. 8. vergl. Vit. Anton. p. 926,
A. cap. 24. wo mit wxezzs noch dygiwvios verbunden
ist, wofür Reiske dygeXAios (von 9AÀw4t): setzen wollte; s.
Henr. Steph. 'Thes. L. Gr. V. pag. 707 ed. Valpy. Ihnen
stehen gegenüber in der zuletzt angef. St. des Plutarchus die
Namen des Bacchus: 94 49:907*6 und psi tog , wie
die schmeichlerischen Ephesier den Bacchusjünger An-
tonius bei seinem festlichen Einzuge in ihre Stadt nannten.
Ueber das Beiwort peiléyios, das auch mit einem andern
ÿpeçiôns verbunden vorkommt , habe ich in den Meletemm.
I. pag. 20. Not. 15. Einiges bemerkt. Auch die Naxier
verehrten einen Dionysus prerkégios; sieh, Athenáus 11.
pag. 78. c.
25) S. oben [. Th. pag. 246. Not. 5.
335
$. 2.
Vom Jacchus, Zagrevus und von dem Tode
des Gottes, besonders nach Cretischem
Mythus.
Dafs der Dionysus der Attischen Mysterien und
namentlich der Lenäen Jacchus hiefs, geht schon aus
dem angeführten Anfang des alten Liedes (beim Scho-
liasten des Aristoph. Ran. 479.) ganz unbezweifelt her-
vor. Dieser Name war den Attischen VWeihen besonders
eigenthümlich, mag er nun seinen Ursprung aus dem
Syrischen haben, von Jacco, wonach "Io *ZX06 einen
sáugenden Knaben bezeichnen würde (wie Bochart will ;
Can. p.442.) ?9) , oder von dem mystischen Festgesange
der Athener iazx0s (Arrian. expedit. Alexandr. II. 16.),
welcher Name dann von dem wiederholten Zuruf 7a her-
geleitet wire. Dafls Gott und Festlied häufig Einen Na-
men führen, wurde schon oben von uns bemerkt. Das
selbe gilt auch gleich von dem andern Namen, den Dio-
nysus ebenfalls in den Lenäen gehabt zu haben scheint :
26) Diese Etymologie ist, nach dem Urtheil von Silvestre de
Sacy , obwohl scharfsinnig , doch etwas kühn (s. dessen
Noten zu Saintecroix Recherches etc. Tom. I. pag. 198.).
Sickler (Kadmus p. CIII.) leitet "Ia«yos her von n2, er«
hellen, licht machen, im physischen wie im moralischen
Sinne, also TI (Jakchos) die erhellende, er-
klärende, erweisende Kraft, Denn die Religion
erhellt, belehrt, erklárt und erweiset, was dem Mens
schen zum Glauben nóthig ist. Wenn dies der Sinn der
Geheimlehre war, so mochte im gemeinen Sinne Jak-
chos entweder als llogeysvi; oder Ilvgíemogog , theils als
Sonnenkraft » theils als die Feuerkraft des Weines gegol-
ten haben. Seine Hieroglyphe sey die Fackel gewesen,
er also ein Lichtbringer, ein Lichtgenius. —
Vergl. Heidelbb. Jahrbb. 1817. nr. 49. p. 777.
556
'lófaxyoc. Hesychius unter diesem Worte führt ihn be.
stimmt an, und àus dem oben angeführten Eide der Bac.
chuspriesterinnen läfst sich auch vermuthen , dafs ér in
Athen gebräuchlich war. Er bezeichnete gleichfalls
eine Hymne auf den Dionysus (Spanheim ad Callimach,
Jov. init). Gewifs hatte jeder von diesen beiden Namen
seine besonderen Beziehungen. Jacchus war aufser
den Lenäen auch in den Eleusinien die festliche Benen.
nung des Bacchus, wie auch dort wieder der festliche
Hymnus Jacchus biefs; eine Bemerkung, woraus sich
sofort das Unnéthige einer im Herodotus (VIIL 65.) vor.
geschlagenen Aenderung ergiebt. Nach einer andern
Conjectur in Betreff einer Stelle des Hesychius sollte
ein dritter Name dem mythischen Dionysus der Athener
zugeeignet werden : Kvauirns, der Bohnengott, wobei
ein izpóg Aóyog zu Hülfe gerufen ward. So wollten Sal.
masius und Gronovius (s. Hesych. T. II. p. 362 Albert.).
Allein dagegen spricht die Stelle des Pausanias (Attic.
cap. 37. §. 3.), ingleichen Photius (Lexic. gr. in voc.);
und Toup in der Epistola critica (pag. 45 ed. Lips.) hat
sehr wohl gezeigt, dafs alle diese Stellen den Bacchus
nichts angehen, sondern von einem Attischen Heros zu
verstehen sind, dem man die Wahl der Obrigkeiten durch
Bohnen beilegte. Die Jonier freilich so wie die Megarer
kannten in ihrem Bacchus Aesymnetes eimen Wahl.
herrn 27).
27) S. oben li. Th. p. 260. — Die Patrenser , erzählt Pausa-
nias ( Achaic. 21. $. 2), haben nahe bei dem Theater
einer im Lande geborenen Frau einen Platz geheiligt; da-
selbst stehen so viele Bildsüulen des Bacchus, als
Achaische Stádte sind, von denen sie auch ihre Benen-
nungen führen. Sie heifsen náàmlich Mesatheus, An-
theus und Areus. Diese Bildsàulen bringen sie
am Feste des Bacchus in den Tempel des
Aesymnetes,
537
Jener Jatchus der Attischèn Mysterien heifst beim
Suidas (in voc.) ausdrücklich: der an der Mutterbrust
liegende Dionysus. Dals Bochart diese Stelle fiir seine
Herleitung des, Wortes geltend gemacht habe, wird man,
ohne weitere Erinnerung, vermuthen. Ich sehe von
diesen Etymologien ab, und frage, wer war die Mutter,
an deren Brust er lag? Nach dem Anfange des Fest-
hymnus in den Lenüen: «Jacchus, Sohn der Semele»,
sollte man an die Semele denhen. Auch wissen.wir aus
dem Scholiasten zum Pindarus (Isthm. VII. 3.) bestimmt,
dafs Dionysus auch in der Vaterstadt der Semele, zu
Theben, Jacchus hiefs. Aber eben diese Stelle des Pin-
darus führt uns in eine ganz andere Genealogie dieses
Bacchus. Er heifst dort Beisitzer der Demeter, Auch
geht es aus den Fróschen des Aristophanes (z. B. vs. 326.
40 ff. und deren Scholiasten) viel zu deutlich hervor,
wie sehr man den mystischen Gott von dem Sohne der
Semele in der Hegel unterschied , als dafs ich linger
dabei zu verweilen brauchte. Dieser Athenische
Dionysus, dieser Säugling, ist der Sohn der De-
meter, die ihn beimSophoclesin der Antigone (1108sqq.)
mütterlich an ihre Brust legt 25). Vielleicht spielt dar-
auf ein Orphisches Fragment (bei Clemens Protrept. 17.
s. Fragm. XVI. p. 475 Herm.) an, welcbes der ihre Tochter
suchenden Ceres, neben der Baubo, den Knaben Jac-
chus beigesellt. Diodorus aber (IT. 62.) nennt bestimmt
einen Dionysus Sohn des Zeus und der Demeter. Da-
her erklärte man auch den Beinamen des Jacchus Azu£-
Tpi0c, wiewohl sich dieser Name auch schon aus der ge-
nauen Verbindung erhlüren honnte, worin Dionysus in
den Eleusinien zur Ceres stand. Gerade wie zu Theben
war er auch hier Beisitzer derselben, Darüber dufsert
28) S. Silvestre de Sacy zu Saintecroix Recherches etc. T. I,
pag. 200,
II,
22
323
sich Strabo auf eine sehr bemerhenswerthe Weise : Sie
nennen, sagt er, den Dionysus Jacchus und Vorsteher
der Mysterien und Genius der Demeter (t25 Anpntpoos
Jaiuovo) 2?). Doch es ist wohl nicht zu zweifeln , dafs
gerade in den Eleysinieq Dionysus als der Ceres Kind
vorkam. VWVard er doch am sechsten Tage dieses Festes
wirklich als Knabe (xotpos), mit dem Myrtenkranze auf
dem Kopfe, in den Cerestempel zu Eleusis gebracht und
in der folgenden Nacht dort verherrlicht. Auch Nonnus
(XLVIIL 959. 3°) kennt diesen Eleusinischen Jacchus.
hnaben (xo$9oc "loxyoc), und umgiebt ihn mit Chôren
Marathonischer Nymphen. Dieser Dichter und vermuth.
lich seine älteren Vorgänger unterscheiden diesen Jac-
chus nicht nur vom Dionysus des óffentlichen Dienstes,
sondern auch von einem andern mystisch en Dionysus,
Zagreus (Zaypeës) genannt. Ehe ich von diesem wei.
ter spreche, bemerke ich sofort , dafs Arrianus (de ex.
ped. Alexandr, II. 16.) diesen Zagreus jenen Jacchus-
hymnus singen lifst; dafs Diodorus (IL 62.) dasselbe
vom Sobne der Ceres erzühlt, was sonst nur von die-
sem Sohne der Proserpina 3 Zagreus erzählt
29) Ich folge hierbei der Interpunction von Tzschucke, der
vor 7%; ein Comma setzt. Zoëga (Bassiril. XIV. p. 172.)
will lieber so verbinden: den Genius , den Vorsteher der
Mysterien der Ceres.
30) Vergl. dazu Ouwaroff sur les Mystéres d' Eleusis pag. 97
ed. sec. und Silvestre de Sacy a. a. O. I. p. 149.
31) Bei Cicero de N. D. III. 23. heifst der erste Dionysus
ein Sohn des Zeus und der Proserpina; zu wel-
cher Stelle dann Davisius viele andere Anführungen giebt
(pag. 617 uns. Ausg.). Man kann den seitdem heransge-
kommenen Joh. Laur. Lydus de menss. noch beifügen,
der pag. 82. den ersten Dionysus als Sohn des Zeus und
derLysithea aufführt, was sich vielleicht auf die Pros
45
339
wird; und dafs der Scholiast des Pindarus (Tsthm. VII,
3.) ganz bestimmt sagt: Zagreus sey zu Theben Bei-
sitzer der Ceres, und werde von Einigcen auch
Jacchus genannt; woraus unwidersprechlich hervor-
geht, dafs in dieser Mutterschaft, wie in so Vie-
lem, Mütter und Tochter ihre Rollen mit einander ver-
tauschten. Es ist nicht zu bezweifeln, dafs auch Athen
diesen Sohn .der Proserpina verehrte, Waren doch in
diese Stadt so viele Bacchuspropheten von so verschie-
denen Orten her gekommen. Man erinnere sich nur des
dlteren Dionysus, der unter Icarius nach Attica ge-
bracht worden war (Pausan. I. 2.) ?7), und dafs man
einem Eumolpus, also einem Priester aus Thracisch-
Orphischer Schule, Baxyix& beilegte. Endlich sagt ja
Arrianus (a. a. O.), nicht dem Thebanischen Dionysus,
sondern dem Sohne der Proserpina und des Zeus babe
man den Jacchus gesungen; welches gerade zu der Ver-
muthung führen hann, dafs dieses auch zu Athen ge-
schah.
serpina als Libera bezieht, wenn man nicht annehmen
will, dafs Lydus hier andern Quellen gefolgt sey. Auch
spricht er vorher nach Terpauder von einem Dionysus;
dem Sohne des Zeus und der Proserpina,
32) Icarius kam mit seiner Tochter Erigone und mit dem
Hunde Mir a nach Attica. Das war wieder cin W ein-
hund, wie wir oben in Aetolien den Hund als Bringer
des Weines kennen gelernt haben. Es war der Glänzende
(Maia s, Hesych. in voc, und daselbst die Ausleger)3 und
wie Icarius als Bootes, Erigoue als Jungfrau, so glànzt
er als Sirius, als hitzigee funkelnder Handsstern am Hims
mel — astronomische Beobachtungen mit der Erfindung
des Weinbaues in Verbindung gebracht. Ueber die Fabel
s. Hygin. fab. 130, und Poet. astronom. IL. 4. p. 425 sqq.
Staver. — Unsere "Tafel LIlI. nr. 1. stellt die Aufnahme
des Bacchus vom Icarus dar. Man übersehe nicht die
auf dem Tische liegende Traube, Vergl. Erklärung p. 34:
340
Dieser Sohn der Persephone ist nun Zoyotéc. Man
hat diesen Namen durch starken Jäger erklärt, wel.
ches gelten kann, wenn nur nicht gerade der bestimmte
Sinn untergeschoben wird, den Bocchart (Can. p. 11)
suchte. Dieser wollte durchaus den Nimrod darin fin.
den 3). Es ist vielmehr der allem Lebendigen immer
und immer nachstellende und Alles erhaschende, hab.
süchtige Dis, d. h. der reiche, Alles verschlingende
Amenthes. Es ist der unterirdische Dionysus (Aw.
»voog xX9óyvoc) , wie Hesychius (Tom. I p. 1573.) diesen
Sohn der Proserpina ganz bestimmt nennt. Seine Mut.
ter selbst ist nach einer Genealogie vom Zeus erzeugt
und von der Styx geboren (Apollodor. L5. 3.), oder,
wie Herodotus sich ausdrückt, Dionysus beherrschte
gemeinschaftlich mit der Demeter das Todtenreich, Also
wieder der unterirdische Osiris, der Mumienosiris mit
der Peitsche in der Hand, womit er als unterirdischer
Jäger die Schaaren der Todten zusammentreibt. Eine
neue Rückweisung nach Aegypten hin. Jedoch zunächst
nach Creta. Dafs dorthin die Geheimsage von des
Zagreus Geburt und Tode gehört, zeigt Alles; unter
andern die Erwähnung der Rhea und der Cureten, mit
Einem Worte der ganze Inhalt dieses Mythus; ein be-
rühmter Mythus, auf welchem ein Haupttheil der Bacchi-
schen Mysterienlehre beruht, wie wir im Verfolg zeigen
werden. Jezt wollen wir ihn selbst vorerst kennen ler.
33) Nach Sickler (Kadmus p. CV.) kommt Zagreus von 9
senden, werfen , folglich 73-11 (Ssagreos , contr. Ssagreus
statt Zagreus) die werfende, sendende,schleu-
dernde Kraft; denn die Religion, dies war der
tiefere Sinn, ist eine Sendung oder gesendet. Im
nowos Ales hingegen sey er der Schleuderer oder Sender
des Blitzes gewesen, daher er auch als Hieroglyphe mit
dem Blitze oder mit Pfeilen in der Hand vorgestellt wird,
341
nen, seinen Ursprung und seinen Zusammenhang mit
verschiedenen Bacchischen Instituten kürzlich nachwei-
sen. Wir kennen ihn freilich nur fragmentarisch, weil
die ülteren Quellen für uns nicht mehr iliefsen; je-
doch wird dafür eine fortlaufende Heihe von Zeugen
aufgeführt, aus der älteren, mittleren und spátesten
Griechenliteratur, von Terpander an bis auf Nonnus
und den späteren Chronographen Malelas herab 3^);
womit nun noch des Olympiodorus Commentarius mscr,
in Platonis Phaedon. (p. 184 Wyttenb.) verbunden wer-
den hann. -
Die Erzählung ist im Wesentlichen folgende: Kaum
war Persephone herangewachsen, als alle Götter um sie
warben. Demeter fürchtete einen blutigen Streit unter
den Bewerbern, und verbarg daher die Tochter in einer
Höhle, die sie von den Schlangen bewachen liefs, die
ihren Wagen ziehen, Jedoch Zeus selbst verwandelt
sich in eine Schlange, und beschläft die Persephone.
Aus dieser Umarmung ward Zagreus geboren mit dem
Stierhaupte. Er ward Liebling des Vaters, der ihm
neben seinem Throne den Sitz anwies, und selbst die
Macht verlieb , den Blitz zu schleudern. Dies erregte
den Neid der Götter. Allein die Cureten umgaben den
wunderbaren Knaben, und führten ihre Waffentänze
um ihn auf. Doch der eifersüchtigen Here gelang es
endlich, ihn zu verderben. Sie reizte die Titanen gegen
ihn auf. Als daher einst die Cureten mit ihren Waffen-
34) Mit grofsem Fleifse, wenn nicht ganz vollständig, hat
der gelehrte Zoëga ( Bassiril. Distr. XIV. p. 170 sq.) die
Quellen dieses Mythus nachgewiesen. Nachher hat Chr.
A. Lobeck eine Abhandlang : de Morte Bacchi ( Viteber-
gae 1510. 4.) herausgegeben, und darin gleichfalls von
den Quellen dieses Mythus gehandelt, Vergl. auch hierzu
PhHlochori Fragmm. p. 120.— 122. ibiq. laudd.
342
tänzen beschäftigt waren, erscheinen jene in veränderter
Gestalt, schleichen sich unter schmeichelnden Worten
ins Gemach des Zagreus ein, zerstreuen den HKnaben
durch Spielzeug, fallen über ihn her, und zerstücheln
ihn. Während die Titanen die Fleischesstiicke in einen
Kessel werfen, und darauf am Spiefse rösten, entreifst
ihnen Pallas sein noch schlagendes Herz, und bringt es
dem Vater Zeus. . Dieser erscheint nun als Rächer. mit
dem Blitze, erschlägt die Titanen, und Apollo mufs die
gesammelten Reste von Zagreus Körper auf dem Par-
nassus begraben. So lautet der Mythus nach den etwas
ausführlicheren Berichten bei Clemens (Protrept. p. 15
Potter.) und hei Nonnus (Dionys. VI. 174 ff. und an an-
dern. Steilen).
In emem Mythus, der, wie bemerkt, von so vielen
Dichtern behandelt worden, wie von Terpander, von
Callimachus (Epigr. p. 506 ed. Ernesti) , von Euphorion
(Tzetz. ad Lycophron. pag. 43.) und Andern, konnte es
natürlich an grofsen Verschiedenheiten nicht fehlen.
Nonnus, der hier, wie fast immer, aus alten Quellen,
aus Euphorion und Andern, schópfte, liefert hie und
da sehr bemerkhenswerthe Züge , die uns an die Orphi-
schen. Weltaltér und Hosmogonien erinnern,
Er nennt ihn den ersten Dionysus (V. 564. X. 294.),
nach dessen Bilde der spitere Dionysus gebildet war.
Er ist der Urvater Zagreus, und wie die Prädicate alle
heifsen mögen (vergl. Moser zum Nonnus pag. 207 sq.).
Er erleidet seinen Tod, nachdem er zuvor durch die
wunderbarsten Verwandlungen in alle Elemente und Na-
turen seine Mörder fast ermüdet hat; er vertheidigt sich
mit seinen Stierhörnern, bis endlich die Schreckensstim-
me der Here ihn niederwirft ( Nonnus VI. besonders vs.
200 sqq.) Also hier wieder ein kosmogonischer Stier-
gott, durch Charakterzüge ausgezeichnet, wie wir oben
von Pan und Proteus einige bemerkt haben. Mancher
545
Zug ward nun auch, wie man denken hann, vom Urbilde
auf das Abbild übergetragen, vom Zagreus auf den The-
banischen Dionysus. Nach der Cretischen Fabel hatte
die Pallas des Zagreus noch schlagendes Herz (79AXo-
pévw» xapdiar) dem Zeus gebracht, woraus der neue
Dionysus ward. Daraufspielen Nonnus (XXIV. 48.) und
Proclus an im neu entdechten Hymnus auf die Athene
(Biblioth. der alten Líter. und Kunst I. pag. 48. ined.).
Denn nun sollte die Góttin auch vom schlagenden Herzen
Pallas heifsen (s. oben IL Th. pag. 665. 607. 668.). An-
dere aber wufsten, daís sie bei Semele's Verbrennung
des Dionysus Herz dem Juppiter gebracht hatte 55).
Noch sonderbarer verbindet ein anderer Mythus die Cre-
tische und T'hebanische Genealogie. Zeus, erzählt uns
Hyginus (fab. 167. p. 282 Staver.), gab das zerstampfte
Herz des Zagreus der Semele als ein Philtrum ein, und
sie ward nun die Mutter des Dionysus. ‘Auch Athen
kennt den Zagreus. Dort spielt Icarius, den wir als einen
alten Bacchuspropheten oben kennen gelernt haben, den
Hymnus des Zagreus vor 3°). Dafs aber das System der
Cretisch - Orphischen Dionysuslehre in Athen aufgenom-
men war, beweiset vor Allem die Religion der drei
Väter dort. Denn jene Tritopatoren des älteren Athen
hiefsen ja Zagreus, Eubuleus, Dionysus (s. oben
IL Th. pag. 336 ff.). Das waren die drei Vorsteher und
Regenten (Anaces) aus der Cretisch - Orphischen
Folge der gütilichen Weltdynastien. Andererseits
erzählte man gerade vom Jacchus, der Ceres Sohn, dase
selbe, was eigentlich vom Cretischen Zagreus galt ( Dio-
35) S. die oben angef. St. vergl. Interprr. graece. ad Iliad. I.
200. und Etymol. m. in II232«.
36) Nonnus Dionys. XLVII. 65. in^welcher Stelle mehreres.
Bemerkenswerthe über die Athenischen Dionysien vor-
kommt.
544
dor. IIL. 62.). Nach Joh. Lydus (de menss. p. 81.) hiefs
der Sohn des Zeus und der Persephone Sabazius ( Za-
Bagıos). Dieser gehört eigentlich nach Phrygien und in
die Nachbarländer, wo die Corybantischen Mysterien
einheimisch waren. Auchin Árgolis, wo man von einem
erschlagenen Bacchus fabelte , und den Todtengott Dio.
nysus festlich verherriichte, wurde ja gerade ein Cre.
tiseber Dionysus verehrt 5^, Ganz besonders hängt
aber der Delphische Bacchusdienst mit den Grund.
begriffen des Cretischen Zagrens aufs genaueste zusam-
men. In dem Cretischen Mythus kommt selbst die Nach-
richt vor, dafs die Glieder des Zagreus vom Apollo am
Parnafs begraben wurden. Man hat die Entstehung die-
ser Sage blos aus dem gemeinschaftlichen Dienste erklä-
ren wollen, den Apollo und Bacchus zu Delphi hatten,
so nämlich, dafs man späterbin sich durch diesen Mythus
über jene Gemeinschaft eine Art von Erklärung erson-
nen habe, Allein Zoéga (p. 172.) hat aus dem Homeri-
schen Hymnus auf Apollo (388.), aus Aristoteles (bei
Plutarch. Thes. cap. 16. pag. 6.) und aus Pausanias ( X.
cap. 7.) sehr gut gezeigt, dafs man einen Healzusam-
mieuhang zwischen der Cretischen Religion und der Del-
phischen annehmen mufs. Es gab zu Delphi geheime
Opfer und Gebräuche , welche die fünf Priester verrich-
teten, die man Hosii nannte, und wobei auch die Thya-
den thätig waren. Sie bezogen sich eben auf den Tod
des Zagreus (Plutarch. de Isid. p. 365. A. p. 495 Wytt.),
und waren ungezweifelt von Creta herüber verpflanzt
worden. Auch war der Begriff des Cretischen und
dieses Delphischen Bacchus ganz derselbe. Zagreus war
dev Persephone Sohn und Enkel der Styx; er war der
tellurische Gott. Er war der in tausend Gestalten sich
37) S. oben III. Th. p. 163. vergl. Pausan, Corinth, cap.23.
345
verwandelnde Zaubergott, wie jene Weissager, Proteus
und der Orakel gebende Pan. Er war in so weit Dio-
nysus Silenus. Zu Delphi war er ja gerade auch die tel-
lurische Potenz, und der durch die aus dem Schlunde
heraufsteigenden Erdkräfte begeisterte Orakelgeber ne-
ben Apollo (s. Dionysus p. 304 sq.).
$. 3.
Fortsetzung.
Wir sehen aus dem Allem, dafs die Cretische Reli-
gion des Zagreus eine der ältesten Formen des
Bacchischen Dienstes unter den Hellenen über.
haupt war, woraus viele andere órtliche Institute in vev-
schiedenen Theilen Griechenlands ihren Dionysischen
Cultus entlelint haben, oder wenigstens einen Haupttheil
ihrer Geheimlehre.
Woraus die Cretensischen Priesterschaften ihren
Mythus nebst dem daran gelnüpften Dogma geschüpft
hatten, kann nach dem Bisherigen wohl nicht zweifel-
haft bleiben. Den genauen und frühen Verkehr zwischen:
Creta und Aegypten haben wir im Vorhergehenden schon
zu bemerken Gelegenheit gehabt, und dafs die Zerstüche-
lung des Zagreus Zug vor Zug der zerstückelte Osiris
sey, war bereits im Alterthum unter den einsichtsvoll-
sten. Forschern anerkannt. Nur in der neuesten Zeit
hat man auf folgende Nachricht des Pausanias (VHI. 37.
$. 3.) viel Gewicht gelegt, so dafs es fast das Ansehen:
gewinnen möchte (wenigstens hátte man dieser Nach-
richt, wo nur irgend möglich , gern diese Wendung ge-
geben), als ob die ganze Todesgeschichte des Zagreus
aus dem Zeitalter der Pisistratiden herrühre. Homerus,
wird dort erzählt , habe die Titanen zuerst in die Poesie
eingeführt, von ihm habe Onomacritus den Namen der
Titanen entlehnt; dieser habe Orgia des Dionysus gedich-
346
tet, und darin gesungen, dafs die Titanen die Urheber
seines Todes seyen. Es hatte aber bereits Terpander,
ein Dichter über hundert Jahre vor Onomacritus, jenen
Sohn der Proserpina Dionysus ( Zagreus oder Sabazius)
gekannt, und wenn wir dem Joh. Lydus glauben dürfen
(p. 82.), auch von dessen Tode gewufst. ^ ]ch will aber
gern zugeben, dafs dieses letztere eine Bemerkung des
Lydus selbst sey. Jedoch so viel bleibt gewifs, dafs l'er-
pander jene Cretische Fabel kannte, Und dieser Ter-
pander heifst ja sehr bedeutsam der Erbe der Orpbeus-
lyra 35). Er batte ja die Orphischen Rhythmen nachge-
bildet (Plutarch. de musica p.1132. F. p. 632 Wyttenb.),
und nach Einigen gar Orpheus Leyer fiir die seinige aus-
gegeben (Nicomachus de mus. IL pag. 129 ed. Mejbom.).
Das war also ein Orphischer Mann; der wird doch
wohl auch ein sehr Orphisches Dogma gekannt haben.
Doch er habe es auch nicht gekannt; so hatte doch
schon Aeschylus Schwert und Spiegel in der Bac-
chischen Tragódie Lycurgus dem Bacchus beigelegt (Ari-
stoph. Thesmoph. 140): also gerade die hier vorkom-
menden Symbole, wie sich im Verfolg ergeben wird; so
hatte auch Euripides in den Cretensern (bei Porphyr.
de Abstin. IV. pag. 366 Rhoer.) den Zagreus schon ganz
genau cbarakterisirt. Hätten diese Tragiker eine so neue
Fabel und so zu sagen von heut und gestern her wohl
auf die Bühne gebracht oder bringen dürfen? Obige
Nachricht von den Titanen des Onomactitus hat also
lange das Gewicht nicht, das man ihr geben will. Ono-
macritus war ein neuer Orphiker, der seiner Schule
Lehren gerne allgemeineren Eingang verschaffen wollte.
Dazu gehürte denn auch, dafs er mystischen Mythen, wie
38) Philostrati Heroica p. 154 ed. Boisson. mit dessen Note,
vergl. mit Phanocles bei Ruhnkenius Epist, crit. If. p. 390
— 394 der neuen Ausg.
547
jenen von Zagreus Tode, durch Einführung Homerischer
Titanen mehr Popularität und somit allgemeineren Ein,
gang verschaffte. Auch war dadurch am Dogma im We-
sentlichen nichts geändert. Davon ‚wird uns ein Blick
auf die Aegyptische Sage von Osiris Tode überzeugen,
wie wir sie im I. Th. p. 259 f£. gegeben.
Dort vertreten die zwei und siebenzig Verschwornen
die Stelle der Titanen , und statt der bósen Here ist hier
eine Aethiupische Känigin die Verfolgerin. Auch alles
Uebrige ist ganz national, z. B. der Mumienkasten bei
der Mahlzeit, welches eine bekannte Aegyptische Sitte
war (s. I. Th. pag. 415.) und dergl. mehr; welches ich
nicht weiter zu verfolgen brauche. Ein anderer Mythus
kannte die Telchinen, jene Zauberkünstler auf Rho-
dus und auf den benachbarten Inseln, als des Apis
Mörder 3%. Das ist ein Todschlag des Osirisstiers, wie
jenes ein Mord des Stiergottes war. Auch ist die-
ser Fabel bei Himerius (Orat. IX. pag. 560 ed. Werns-
dorf.) schon diese letztere Wendung gegeben; denn dort
werden die Telchinen neben den Titanen als Za-
greus Mórder genannt, wo wir nicht geneigt sind durch
cine allgemeine Auslegung diesen Zug zu verwischen.
Wernsdorf war auf dem rechten Wege. Zu Paträ in
Achaja kannte man sogar die Pane als Verfolger des
Dionysus (Pausan. VII. 18. $. 3.). In Aegypten kannte
man sie als die ersten Todesboten in Osiris Leidensge-
schichte 49). Die damit verbundene Nachricht, dafs dies
Alles geschehen sey, als die Sonne im Scorpion stand,
führt auf eine wahrscheinliche Erklärung, die ich im
39) Apollodor, I. 7. 6. II. 1. 6. vergl. Heyne daselbst und
unsern I{. Th. p. 309,
40) Plutarch. de Isid. p. 356. D. p. 462 Wyttenb. vergl. oben
HI. Th. p. 236 f.
348
Abschnitte vom Pan nachgewiesen habe. ' In der Gegend
von Chemmis ward von den Panen Osiris Tod zuerst
verhündigt. Aus derselben Stadt kam ein anderer Mór.-
der des Osiris- Dionysus. Dort verehrte man ja den
Perseus, der zu Argos mit seiner Schaar das Heer
des Bacchus bekriegt und nach Einer Tradition ihn selbst
erschlagen haben sollte (s. oben HI. Th. p. 161.). Wer
sieht in dem Allem nicht órtliche und nationale Verschie-
denheiten eines und desselben Grundmythus ; Verschie-
denheiten, die, diesen Spuren zufolge, schon in Aegyp-
ten statt finden mochten, wenn gleich dort von keinen
Titanen die Rede ist. So hatte man, um nur an Eins
zu erinnern, schon in Aegypten eine Sage, dafs Horus,
der lsis Sohn, zerstückelt worden sey; so hatte man
dort eine andere, wonach Isis Mutter des Osiris hiefs
(Plutarch. de Isid. p. 365. E. p. 498 sq. Wyttenb.) und
dergl. mehr, Immer bleibt es derselbe Naturgott und
Naturmythus : der Gott des Frühlingsstiers, der im VVas-
ser untergeht, der aus dem Meere heraufgerufen wird,
der Sonnenstier, der Regen und Fülle bringt, der Feuer-
gott, der neben der Feuerspháre hauset, und selber die
Blitze schleudert (wie vom Dionysus in vielen Stellen der
Alten gerühmt wird ; s. Cuperi Harpocrates p. 92 sq.);
aber auch der Herr der Erde und des Himmels , des Le-
bens und des Todes, und das Principium dieser Sinnen-
welt.
Welche specielle Lehren das mysterióse Dogma aus
dieser Todesgeschichte des Zagreus herausgebildet hatte,
wird der Verfolg in môglichster Kürze zeigen. Jezt ge-
denken wir zum Schlusse dieses Paragraphen nur noch
des merkwürdigen Bildwerks , das jenen Todschlag deut-
lich darstellt. Es ist das Fragment eines Reliefs in der
Villa Albani, von Zoéga in den Bassirilievi (nr. 81.) zu-
erst edirt, und in seiner Art einzig, weil es den mysti-
schen Gegenstand, den, wie es scheint, die V olks-
349
poesie selten berührte , sogar bildlich vor Augen stellt.
YVir sehen da das Dionysushind (Zagreus) von zwei Ti-
tanen bei den Beinen gefafst, welche im Begriff sind es
zu zerstücheln. Daneben erbiicht man einen Cureten
mit Schild und Helm 4%),
9. 4.
Der Bacchusdienst der Phrygier und ihrer
Nachbarn, Sabos und die Sabazien, Bas-
sareus, Briseus und ihre Feste.
Den Dionysus unter den Samothracischen Cabiren
haben wir oben nachgewiesen (II. Th. p. 333 ff.). Dafs
auch diese Lehre mit dem Cretensischen Dogma vom Za-
greus zusammenhing, leidet keinen Zweifel. Darum las-
sen auch die Theoretiker nach dem ersten Dionysus,
dem Sohne des Zeus und der Proserpina (also nach dem
Zagreus), denSohn des Nilus, also einen Aegyptischen
Dionysus, als den zweiten und sodann den dritten
folgen, den sie Konig von Asien rennen und Sohn des
Cabirus, welchem zu Ebren auch die Cabirische Feier
begangen werde 42). Mit diesem Dienste stand nun wie-
der der Phrygische Cultus des Sabazius und der Ly-
disch-Thracische des Bassareus in Verbindung.
Sabos (Edfos) und Sabazius (Zaßadıos) hiefs
der Phrygische und vielleicht auch der Thracische Bac-
chus, und Saboi (Zéfo) hiefsen auch seine Priester
41) Unsere Tafel LVII. nr. 1. liefert eine Copie davon.
42) Cicero de N. D. II. 23. p. 618. 620. Man mufs nämlich
dort nach den Handschriften und nach Joh. Lydus corri-
giren: tertium Dionysum Cabiro patre — cui Cabi-
ria sunt instituta; s. Dionysus pag. 151. Ich habe dort
schon bemerkt, dafs man auch im Ampelius cap. 9. Ca~
biro verbessern mufs.
(Mnaseas beim Suidas s. v.). Auch diesen Namen leiteten
die Griechen von den festlichen Jubelliedern, von co.
Bäsewr, d. h. frohlocken und dem Sabos- Bacchus singen,
her 4°), Der orientalische. Ursprung ist nicht zu be.
zweifeln, wenn man es auch unentschieden läfst, ob
Bochart (Can. p. 441.) in dem Worte N3D Saba, ine.
briari, die wahre VVurzel dieses Gottes- und Priester-
namens angegeben habe. .Nicht nur das Festlied hiefs
so, sondern auch ein Monat ward mit diesem Namen be-
zeichnet (Proclus in Platon. Tim. pag. 251.). Der Gott
ward in diesen Religionen zum Theil als Mond und Monds-
cyclus, als Lunus und Mv betrachtet, und daher Be-
herrscher des Mondes, Menotyrannus, genannt, ein
Name, womit auch die Sonne bezeichnet ward (Heinesii
Inscriptt. pag. 64.). Hier treten also zunächst die alten
Persischen Vorstellungen von der Sonne als dem
Herrn und Befruchter und von den Monden als dem Die-
ner und Empfänger wieder hervor, und wir befinden
uns auf demselben Punkte, auf welchem wir oben (LT'h.
pag. 767.) die genaue Verbindung des Mithrasdienstes
mit den Phrygischen Sabazien nachzuweisen veranlafst
waren. :
Ich nenne diese letzteren Phrygisch. Sie mógen
so heifsen, weil von dorther wohl nach den Hüstenlán-
dern von Thracien und da herum diese Heligionsideen
zuerst verpflanzt wurden; wobei jedoch die Rückwirkung
nicht aus der Ácht zu lassen, die bei dem Uebergange
der Brigier aus Thracien nach Phrygien (s. Historicorr.
graecc. antiqq. Fragmm. pag. 170) nothwendig erfolgen
mulste. Von dieser Wechselwirkung finden sich noch
manche Spuren. So heifst z. B. bei Cicero (a. a. O.)
43) S. die Stellen des Etymolog. m. in voc. und der Scholia-
sten beim Davies zu Cicero de N. D. ILI. 23. p. 618.
350
351
der Cabirische Dionysus König von Asien, und
hinwieder giebt der Scholiast zu Aristopbanes ( Vesp,
YS. 9.) den Namen ZafBadiog fiir Thracisch aus.
. Dies führt urs sofort zum Bassareus. ‘So wie
nämlich Phrygien mit Thracien sich in den Sabazius thei-
let; so hängen in einem andern Namen des Dionysus, im
Namen Baooapedc, Thracien und Lydien zusammen.
Auch diese beiden Linder waren in Sprache und Cultus
verwandt, wovon Jablonski in der schónen Abhandlung
über die Lycaonische Sprache recht überzeugende Be-
weise aus den beiden Sprachen selbst gegeben hat (Opuscc.
T. 11. p. 63 ed. Te Water). Bochart (Can. pag. 441.)
leitet das Wort von 1YX3 Bassar her, wonach es den
Vorlüufer der Weinlese bezeichnen , und mit dem Grie-
chischen Beinamen des Dionysus xporotyns ( Aelian. V.
H. Til. 41.) zusammenfallen würde. Die Griechen kann-
ten ein Fest xporpé7eta , das dem Poseidon mit dem Dio-
nysus gemeinschaftlich war. Auch glünzte ein alter Wein-
erfinder (zpovovyzvís oder rpotpvynthy ^^) als Stern im
Thierhreise neben der Jungfrau, und die Italischen
Landleute wiesen mehrere ztoovovyzcviosc als Weinpflan-
zer nach, die unter die Sterne versetzt waren (Perizo-
nius zum Aelianus a. a. O.). Also auch hier berühren
sich wieder die elementarischen Erkenntnisse in der
Sternkunde mit Erntefesten und mit der Verehrung der
grofsen Jahresgötter, dergleichen Bacchus vorzüglich
war. Die Griechischen Grammatiker erinnern bei dem
Namen Bassareus ‘an das lange und bunte Gewand,
das die Asiatischen Bacchuspriester und der Gott selber
trugen. — Es hiefs Baco&pæ oder Baocapis, und hatte
von den Füchsen (f«ocopoi) seinen Namen, denn es
44) S. Philippi Caesii Coelum astronomico - poeticum p. 74 sq.
Amstelod, 1662.
5.
war an die Stelle der Fuchsfelle getreten, die man in
jenen Gebirgslándern ursprünglich getragen hatte 4),
Andere wollten den Gott und sein Gewand lieber von
den Bessi (Bzocoo:), jenen Bacchuspropheten in Thra.
cien (Herodot. VIL 111.), hergeleitet wissen 45). Ich
bemerke dies nur, um zu zeigen , wie hier in Sache und
WortKieinasiatischer Dienst mit Europäisch- Thracischer
45) Hesychius mit den Auslegern, und Lexic. Rhetor. mscr,
pag. 702. vergl. C. G. Schwarz Miscellan. polit. human,
pag. 87. 98.
46) Diese letztere Erklärung , die auch Saintecroix (Recher-
ches etc. II. p. 94.) angenommen, findet Silvestrede Sacy
so wenig natürlich, wie die, den Namen Bassareus
von Baccdga oder 8accagí; (woher selbst die Dienerinnen
des Bacchus Bassarides hiefsen) abzuleiten. Man
könnte noch eher annehmen, dafs diese Art von Klei-
dung, welche bei dem Cultus des Bacchus üblich gewe-
sen, von.dem Namen des Gottes ihre Benennung erhal-
ten. Allein sowohl diese Erklirungen, als die, welche
den Grund aller dieser Benennungen in dem Worte £az-
cagor, Füchse, sucht, einem Worte, das sich in der
Koptischen Sprache wieder finde: (Ignat. Rossi Etymolog.
Aeg. p. 35.) , seyen unstatthaft. Die von Bochart ver-
suchte Ableitung würde allen den andern vorzuziehen seyn,
wenn man beweisen kónnte, dafs Bacchus als der Gott dcs
W eins und der Weinleze bei den Vólkern betrachtet worden
sey, welche zuerstihm diesen Namen gegeben. Auch ent
spreche diese Ableitung der des Wortes Xafaóoy (s. Bo-
chart Chanaan I. cap. 18.) vom Ebräischen sa ba, truna
ken seyn, sich berauschen. Auffallend sey es übrigens,
dafs Niemand den Ursprung dieser beiden Namen des
Bacchus in Arabien gesucht hátte, in den Städten Bo -
strain Idumea und Saba, Name eines Stammes und
ciner Gegend Arabiens, so wie ja Manche auch von der
Arabischen Stadt Nysa, wobin Bacchus getragen worden
(vergl. oben ILE. Th. p. 101.), den Namen Aucyoceg und
ZsJ& herleiteten,
£s
555
Religion zusammenhängt, ferner dafs wir bei jeglicher
von diesen Etymologien den Thebanischen schénen Heros
Dionysus vergessen, und vielmehr an einen Kleinasiati-
schen älteren Bacchus gedenken müssen, der bald durch
sein buntes Pardelfell, bald durch sein langfliefsendes
Gewand, als bártiger, bejahrter Gott seinen orientali-
schen Ursprung verrüth, der aus Vorderasien herüber-
gebracht in den Thracischen Mysterien Platz nahm, und
noch auf Grofsgriechischen Vasenbildern (man sehe z. B.
bei Passeri Tom. M. nr. 123.) durch seine Bassaris
sehr ausgezeichnet ist.
Wie ausgebreitet der Bacchusdienst auf. den Inseln
lings Kleinasiens Hüste, auf Lesbos, Naxos, Chios und
andern war, ist allgemein bekannt (vgl.oben Hl. p. 136.
Not. 84.). Eines charakteristischen Namens, den Diony-
sus auf Lesbos führte, müssen wir gedenken. Dort hatte
er auf dem Vorgebirge Brisa einen Tempel, und hiefs
Briseus oder Brisidus (Bpioaios). So lesen wir beim
Stephanus von Byzanz (in Épioæ), und man sollte hier-
nach nur an einen Localnamen denken. Allein Andere
suchten die VVurzel dieses Namens in dem Worte fAíz-
Tew , den Honig schneiden, zeideln 47), und der Erklä-
rer des Persius, Cornutus (ad Sat. I. 76.) redet von einer
Nymphe Brisa, die den Bacchus erzogen , und den Ho-
nig aus den Honigscheiben auspressen gelehrt habe.
Nymphen dieses Namens in der mehreren Zahl. kennt
auch Heraclides Ponticus in. der Republik von Ceos
(cap. 9.). Es sind wieder Melissen, und sie haben den
Wüundermann Aristäus im Honigbau unterrichtet 48),
47) Ruhnken. ad Tim. Lex. Platon. p. 63 sq. vergl. Etymol.
m. und Hesychius in voc.
48) Ueber die Etymologie des Namens 'Ageraios s. den Scho-
liasten zu Hesiods Theogonie pag.305 ed. Heinsii; dann
Ml.
45
354
Das war ja der Bienen - Juppiter von Ceos, wie er nach
einer Sage hiefs, der die Cycladen einst von der grofsen
Dürre befreit hatte, als er zu Ceos den Sirius (den
Hundsstern) zu versóhnen Anleitung gegeben 4? Er
war bei den Brisäischen Nymphen auf Ceos in die Schule
gegangen, und hiefs ihr Schüler, wie Dionysus ihr Züg.
ling hiefs, und Zeus selber ward Pflegesobn der Nymphe
Melissa genannt ( Antonin. Liberal. p. 122. und daselbst
Verheyk). Diese Melissen waren ja auch Priesterinnen
der Demeter, und ihre Tochter Persephone nannten die
Alten MeAwóO84g6, wobei man eben so wohl an den
M on d als an die Vorsteherin der Geburt dachte (Por-
phyr. deantr. N. p. 312 Basil. Schol. Pind. Pyth. IV. 106.).
Wir befinden uns also hier wieder in demsellien Ideen-
kreise , den wir oben (I. p. 492 ff. und IL p. 183 ff.) von
einem and-rn Standpunkte schon zu erörtern Gelegenheit
hatten. Auch hier wieder die Vorstellungen von erster
Nahrung, von reiner patriarchalischer Sitte der Vorzeit,
von dem Stiergotte, der den Mond befruchtet, von der
aus dem Stierleibe (wie man wáhnte) entstandenen Biene,
vom Monde als der Vorsteherin der Geburt, von der
Seelenwanderung, Reinigung und Rückkehr. Diese Ideen
hingen local mit den Nachbarhüsten von Hleinasien und
mit Ephésus zusammen, und die Bewohner der Insel Cea
waren darin real verbunden mit den Sabos- und Mithras-
dienern von Phrygien und mit den Hierodulen der gros-
sen Diana zu Ephesus, die ja auch die Vorsteherin der
Mondssphäre , die erste Náhrmutter, die Gebieterin über
über den Aristius noch Scaliger ad Manilii sphaer. bar-
bar. p. 366. Auch giebt es über diesen Gegenstand eine
eigene Abhandlung von J. G. P. Thiele , welche zu Gót-
tingen 1774. 4, erschien. Sie führt den Titel: Dissertatio
de Aristaeo mellificii aliarumque rerum inventore.
49) Virgil. Georg. I. 14. IV. 282. mit den Auslegern.
355
Leben und Tod war. In demselben Sinne tritt dann
auch die Biene wieder so bedeutend in den Cerealien
und in den Mysterien der Proserpina hervor, Hier er-
kennen wir auch im Dionysus einen Bienenvater und
einen Zósling der Bienennymphen, gleich dem Bienen-
mann Áristáus und in denselben Beziehungen, d. h. in
der Bedeutung eines allgemeinen Naturwesens und Nah-
rungsgebers, eines Weissagers und Lehrers. Daher
nimmt auch Aristius in den Dionysiaden mit Recht eine
so hohe Stelle ein, wie wir noch aus der Nachbildung
des Nonnus sehen (s. Dionysiaca lib. V. p. 152. 156 sqq.).
Da ist er nicht blos Bienenpílleger, sondern Herr über
die vier Winde, da besánftigt er die VVuth des Sirius,
da erfindet er das milde Oel und viele andere gute Ga-
ben. Seine nahe Verwandtschaft mit dem grofsen Dio-
nysus ist auch dort durch seine Ehe mit dessen Muhme
ÁAutonoé dargestellt. | Man hat auch etymologisch den
Bacchus Brisáus als den Bienen- und Honiggott
zu erhliren gesucht. Bris heifst süfs, sagt Cornutus
zum Persius (Sat. I. 76.). Dabei bleiben wir einen Au-
genblick stehen. Das ist also jene süfse Jungfrau,
jene Bacchusnymphe Brisa, gerade so wie jene Artemis-
nymphe, ja die Artemis selber auf Creta, Brito (Bpvcó)
die süfse und Britomartis hiefs, die süfse Jungfrau.
Ja Bacchus selbst ist unter diesem Namen Briseus in ge-
wissem Sinne Jungírau. Das sagt Aristides (Orat. in
Bacch. T. I. p. 29 ed. Jebb.) ausdrüchlich. Es ist dort
von seinem zweideutigen Geschlecht die Rede. «Unter
den Jünglingen» heifst es (nach der richtigen Verbesse-
rung dieser Stelle) «ist er Mädchen; unter den Mädchen
Jüngling, und hinwieder unter den Männern verglei-
chungsweise unbärtig und Briseus». — Andere
verstehen unter dem Worte Briz bestimmter den Honig,
und Driz dubba, setzt Bochart aus orientalischer
Sprachforschung hinzu, heifst der Honig-See (Can.
356
pag. 442.), und erinnert zugleich an' das Italienische
bresca, die Honigscheibe. Da hätten wir älso einen
Dionysus am Honigsee, wie wir in Thracien einen alten
Bacchus-Silenus an der Weinquelle Inna liegen sahen,
Andere wollen auch in Briseus lieber einen W ein gott
haben und in den Brisäischen Nymphen Weinnymphen,
weil nach alter Italischer Sprache die ausgeprefste Beere,
die Trester, Brisa hiefs 5%.
Noch eine neue Ideenreihe eröffnet sich mit dem
Namen jener Nymphen Brisae (Botoat), wie Hera.
clides (a. a. O.), Etymolog. m. und Hesychius (1. p. 768
ed. Albert.) sie nennen 5!). Bpiso, BpiDe und fpéa sind
verschiedene Formen eines Stammwortes , und bezeich-
nen die Fülle der physischen und moralischen Natur in
ihren verschiedenen Aeufserungen : jene Ueppigkeit der
Vegetation, jenes Wuchern der Pflanzen, dea Trieb zur
Zeugung , Blüthe und Fruchtbarkeit; andererseits jene
Ergiefsungen der festlichen ungemessenen Freude über
den Vollgenufs der natürlichen Güter. Dafür spricht auch
wieder eine recht eigenthümliche Nachricht des Athenäus.
Dort (1. VHL p. 335. A. p. 235 Schweigh.) erzählt Semus
der Delier, dafs die Frauen auf der Insel Delos eine
Traumwahrsagerin Brizo (Bo:é©) verehrten. In kleinen
Hähnchen setzten sie ihr allerlei E(swaaren vor , nur keine
Fische, und beteten dabei um allerlei Gutes, besonders
aber für die Erhaltung ihrer Schiffe. Dabei hören wir
zugleich, dafs die Alten schlafen Belew nannten ; ei-
gentlich nannten sie so den Mittagsschlaf und besonders
den Schlaf des gesáttigten Sáuglings an der Mutter Brust
50) Columella XII. 39. vgl. Kóler ad Heraclid. Pontic. p. 51.
51) Wir erinnern hier auch an die Lacedámonische Stadt Bry-
sed und den dortigen Cultus des Bacchus ; s. oben III. Th.
p. 104. Not. 35.
357
( vergl. Spanheim ad Callim. Del. 316.). Also. wieder
eine Nührmutter aus derselben Gegend, eine Geberin
aller guten Gaben, eine Gebieterin über Wind nnd Wet-
ter, eine VVahrsagerin ( wie sie-denn auch Borgoudrtig
hiefs, Hesych. T. I. p. 766 Albert.), kurz in allen Be-
ziehungen ähnlich ihren Zôglingen Aristäus und Diony-
sus. Die Anspielungen auf üppige Lust, auf Jubelge-
schrei und festlichen Tanz liegen in den Worten Bpiax-
xo6, BovdxTenG, Bovalkiya, Bovakkixns und Bpvahkeyis.
Das erste Wort erklärt Hesychius (in voc. p. 766. vergl.
die Ausleger) durch eine laut jauchzende Baccbantin.
Das zweite bezeichnet den Gesellen des Bacchus, den
Pan, als Tánzer (Orpheus ap. Stob. Eclog. phys. p. 68 );
das dritte die Tänze selbst, so wie die beiden letzten
wieder die Tänzer und Tänzerin. Aufserdem führt He-
sychius (s. T. I. p. 771 — 775 ed. Albert. vergl. Schnei-
der Handwürterb.) unter dem Worte BgvAloyvovat noch
die Bedeutung an, wonach es Personen mit büfslichen
weiblichen Larven bezeichnete, und bemerkt (unter
Boodakiya) zugleich, dafs die Lacedämoner mit diesem
Worte ausschweifende, orgiastische Fraven bezeichne-
ten. Diese Vorstellung erweckt auch lie sonderbare
Geschichte von dem alten Cephallenisches oder Phalle-
nischen Bacchusbilde aus Olivenhelz, welches die Fischer
von Methymna auf der Insel Lesbos (man bemerke
gerade hier, wo wir auch den Briseus finden) aus
dem Meere auffingen, und welches, einem Orakel zu-
folge, sehr heilig gehalten ward. Wie auch die Gestalt
des Bildes war 57), so hat man wol Ursache, dabei an
einen eben so rohen Dienst zu denbn, wie das Bild des
Gottes selber war. Hiernach leiten ns alle Spuren und
52) Es war hólzern, und nicht wie andei Griechische Idole
geformt; Pausanias Phocic. 19. 2. Otomaus ap. Euseb.
P. E. V. 36, p. 233 Basil.
358
Namen dieser Classe wieder auf die Vorstellung von ei.
nem orgiastischen, ausschweifenden Dienste hin, der.
gleichen in diesem Religionszweige fast allenthalben vor.
kommen, Diesen Begriff werden wir nur allzusehr durch
alles das bestätigt finden, was uns die Alten von der
Sabazischen Feier und von dem Verhalten der Bas-
sariden übereinstimmend melden.
$ 5
Fortsetzung.
Also Bris hatte den Bienenvater und Weingeber
nach der Genealogie von Ceos erzogen. Dem Saba-
zius sollte dcch diescdlbe Nysa die Brust gereicht ha-
ben, die wir schon hnge als Bacchus Amme kennen
(Terpander beim Joh.Lydus p. 81 sq.). Sehrbedeutend
tritt noch eine drite Amme dieses Gottes, Hippa
(Immo) hervor. Scheifst sie ausdrücklich im neun und
vierzigsten [48.] Orhischen Hymnus. Am Tmolus, wo-
her auch Euripids in den Bacchantinnen das Gefolge
des Dionysus komen léfst, hatte sie den Gott ernährt.
Es gehört also Jeses VVesen in den Phrygisch- Lydi-
schen Religions'eig. Dafür haben wir auch das Zeug-
nifs des gelehen Strabo in der eigenen Untersuchung
359
(X. p. 188 Tzsch.). Nachdem er unmittelbar zuvor der
Corybanten und der Rhea-Cybele und Dindy-
mene gedacht hat, führt er fort: « Auch Sabazius ge-
hórt den Phrygischen (Heligionen) an, und auf ge-
wisse Weise der Mutter (+75 Mravoóc) Hind, ist
auch er den Personen des Dionysus beigesellt». Schon
der Ausdruck dieses gelehrten Forschers läfst uns hier
in das Verhältnifs dieses Sabazius zum Cretischen Za-
greus und zu den übrigen Dionysen blicken. Wir haben
nämlich hier an die Verzweigung der Curetischen Myste-
rien mit den Corybantischen zu denken und an jene Ver-
schmelzung der Cretischen Rhea mit der Phrygisch - Ly-
dischen Cybele (s. oben I. Th, pag. 55f. vergl. pag. 45.).
War in der Geschichte ‘es Cretensischen Zagreus
Rhea eine Hauptperson 5°), so hier in Kleinasien Cy-
bele in den Begebenheiten des Sabazius. Nun sollte
auch Sabazius von den Titanen zerrissen worden seyn,
was eigentlich von Zagreus galt (s. Joh. Lydus a. a. O.);
oder der Sohn des (Cretischen) Zeus und der Perse-
phone heifst Sabazius ( Diodor. IV. 4-), so wie hinwie-
der (der Phrygische) Sabazius des Kronos Sohn
(Orph. hymn. XLVIIL) genannt wird, also Sohn des al-
ten Cretischen Gottes. Natürlich ward nun auch diese
Phrygische Góttermutter Cybele in gewissem Sinne
des Sabazius Mutter; und wie Rhea und Zagreus zu
Creta in einer dualistischen Combination als zwei grofse
Naturwesen erschienen, so auch Sabazius und Cybele in
Phrygien und Lydien. Darum mufs auch Cybele mit
Marsyas nach Nysa zum Dionysus wandern (sieh. oben
I. Th. pag. 47 £). Also Sabazius und Cybele und
Sabos und Hippa, wie Demeter und Jacchus, wie
Persephone und Zagreus, wie Semele und Dionysus.
53) Man sehe z. B. nur Cornutus de NN. D. cap. 30.
260
Zwar heifst Hippa nur die Amme des Sabazius, aber
die Art, wie der acht und vierzigste Hymnus der Or.
phiker von ihr redet, wo sie unter andern telluri.
sche Mutter und Königin heifst, läfst nicht zweifeln,
dafs auch Hippa in die Stelle der Persephone neben Sabos
eintrat, und also mit der Cybele identificirt ward.
Als orgiastisch kündigten sich die Sabazien schon
oben durch die Namen des Gottes und seiner Pflegemut.
ter an. Auch fanden wir ja dort den lärmenden Tänzer
Pan unter einem charakteristischen Beinamen Bryactes
wieder neben ihm. Hierher gehören auch die Hand.
pauken, die Cymbeln jenes Flötenspielers Marsyas und
die ganze rauschende Musik der Cybele. In diesen Phry-
gisch - Thracischen Sabosdienst gehören ferner die Bas-
sarae (Baoodpaı). Ein eigenes Drama des Aeschylus
hatte von ihnen seinen Namen. Sie waren die Vorder-
asiatischen Bacchae. In Fuchs- oder Pardelfelle oder
in bunte Gewänder gehüllt, überlassen sie sich der
hóchsten Festraserei, so wie ihr góttlicher Anführer in
dem vier und vierzigsten Orphischen Hymnus gerade
als Bassareus der Hasende und Baccheus genannt| wird,
Daraus bildete sich der allgemeine Begriff, wonach man
eine Frau, die alle Desonnenheit verloren und unbándiger
Geschlechtslust hingegeben war, eine Bassara nannte 34).
Unter Begleitung rauschender Musik ward in diesem
Dienst ein eigenthiimlicher Phrygischer Tanz, Sikinnis 55),
aufgeführt. Daran schlossen sich nächtliche Mysterien
mit verschiedenen Symbolen und Lehren. Nach der aus-
führlichsten Nachricht des Clemens von Alexandrien in
der Hauptstelle (Protrept. pag. 14 Potter.) wurden den
Novizen Schlangen durch den Busen gezogen, und in
54) Lycophron. Cassandra 781. und daselbst Tzetzes.
55) Xóuvus; Casaubonus de satyr, poes. p. 110 ed. Rambach.
361
den dramatischen Darstellungen der mythischen Götter-
geschichten sah man den Zeus, wie er als Schlange die
Persephone beschlief, worauf sich die Formel bezog :
«der Stier des Drachen Vater ünd der Drache Vater
des Stieres» (Julius Firmicus cap. 28.) und «derStachel
des Rinderhirten ist im Berge verborgen », welches letz-
tere Clemens auf das Bacchische Feuerrohr bezieht 55).
Dies scheint gut zu der Erklürung zu stimmen, die man
von einer andern Formel der Sabosdiener aus dem Ebräi-
schen gegeben hat. Es wurde nämlich die Einweihung
in diese Mysterien mit den Worten Evoi Saboi Hyes
Attes beschlossen 57. In den beiden letzten Worten
56) Nach der Lesart bei Clemens, der auch Saintecroix a. a.
O. IL p. 96. gefolgt ist: BouWoluxby vÀ wÉvrQov, T» vág9wwa
irtkaÀd v.
57) S. Demosthenes pro Coron. cap. 79. p. 313 Reisk. Suidas
in “Ty; und “Arri. Vergl. auch die Twaywy. As£. bei Bek-
ker Anecdott. Graecc. p. 461. Auch Nicetas führt unter
den Beinamen des Bacchus 27; nnd @rTes auf. vis hat
auch Suidas, obwohl Us gewöhnlicher ist. Jenes Uys er-
klirt Hesychius als den Zeus operc (oder Vérios) oder
den Regenzeus. Aufser dem, was schon von Taylor zu
der Stelle des Demosthenes pro Coron. cap. 79. pag. 439
der Harles. Ausg. beigebracht ist, habe ich noch zu der
Stelle des Nicetas (Meletemm. I. pag. 22.) verwiesen auf
Plutarchus de [sid. et Osirid. p. 364. D. p. 493 Wyttenb.
wo. er sagt, die Griechen nenneten den Bacchus auch
“Ty als den Herrn der feuchten Natur, der kein anderer
sey, als Osiris. — Aufserdem sehe man Valckenaer zu
des Euripides Phoeniss. 654. und über die Schreibung des
Namens "Arr; die Note von Hemsterhuis zum Lucianus
1I. p. 283 ed. Bip. vergl. Lanzi Saggio di Ling. Etrusc. II.
pag. 229. In den Scholien zu den Phaenom. des Aratus
vs. 173. wird eine Stelle des Euphorion angeführt, wo
Dionysus, der Stiergehórnte , "Tw; genannt wird. — "T3
ravponéquT: Arovvaow worécaca. Die Scholien bemerken,
$62
findet nämlich Bochart (Can. I. cap. 18. p. 441.) die Be.
deutung: «Er ist Feuer, du bist Feuer» 5%). Will man
"Tw sey Dionysus, und der Beiname komme daher, weil
die Hyaden den Dionysus auferzogen.
58) Freret in den Lettres de l' Acad. des inscript. T. XXIII.
Hist. p. 46. hat diese Worte , als der Griechischen Sprache
angehórig, übersetzt: ,,quod faustum sit mystis , Sabazie
pater, pater Sabazie‘‘; eine Erklärung, welche auch
Saintecroix (Recherches etc. II. pag. 97.) angenommen,
Doch man vergleiche dort die Note von Silvestre de Sacy.
Die von Bochart aus dem Ebräischen oder Phônicischen
versuchte Etymologie hält Letzterer allerdings für sehr
glücklich, doch sey das Alles mehr ein Spiel des Witzes,
ohne irgend etwas Sicheres und Festes. Alle diese in den
Griechischen Mysterien eingeführten barbarischen For-
meln zeigten wohl ihren fremden Ursprung an, allein dies
sey wohl Alles, was man heutiges 'l'ages darüber wissen
kónne. — Eine neue Deutung hat seitdem Sickler im
Kadmus p. CIIL f. vergl. p. CXXVII. versucht. Er era
klárt'EéBo;, von yaU süttigen im physischen und mo-
ralischen Sinne, für die sáttigende, erfüllende
Kraft — 75-520 (Sabos), indem die Religion alle ihre
Verehrer sittige und erfülle. Im nods Adyes sey Sabos
Gaben - und Freudenspender gewesen, seine Hieroglyphe
der Gott mit des Ueberflusses goldenem Horne. Die
oben erwáhnte Mysterienformel ward, so vermuthet er
weiter, in der Mysterienhalle vielleicht zu Anfang oder
zum Schlusse von zwei Chóren entweder gesungen oder
gesprochen, von einem Chore der Mysten und von einem
Chore der Priester oder dem Koi, dem Seher, allein,
etwa in folgender Ordnung abwechselnd , mit mancherlei
Wiederholungen:
Chor der Mysten:
Edo! Xafoi| WIN! WIT! Mein Vater! Mein Era
: ° .nihrer!
Chor der Priester, oder des Cohes:
“Tus ! NN! Eristdas Feuer (Licht)!
363
aber lieber bei jenem Dionysus-Hyes und bei jenem
Hysiris- Dionysus der älteren Griechischen Schrift-
steller stehen bleiben, das heifst bei jenem Regenbrin-
ger 5%), so haben wir doch auch hier wieder den Stier-
gott, wie in der obigen Sabazischen Formel; wir haben
wieder den Osiris-Zagreus, d. h. die Sonne im Früh-
lingsstier und den Feuergott, der die Hyaden, das Ge-
stirn der Aequinoctialregen, in seinem Gefolge hat. .
Damit stimmt auch eine andere Formel jener Saba-
zien überein : « Ich habe den Kernos getragen » (éxegvo-
@ognoa; s. Clemens a. a. O.). Es war dieser (Képvog)
ein im Rhea - und Cybelendienste gebrüuchliches Gefáfs,
ein Mischgefils (Krater) , mit einer Lampe verbunden,
wodurch man, nach der einfiltigen Weise des Alter.
thums, die beiden Elemente Feuer und Wasser :versinn-
lichte, Sonnenwirme und Feuchtigkeit, ohne die keine
Welt und kein physisches Leben gedenkbar ist (vergl.
Dionysus p. 223.). Bei dem Vortragen dieses Gefifses,
das also ein naives Bild des VVeltganzen war, tanzte
man einen eigenthiimlichen Reigen, der davon den Na-
men hatte (xspvoQógov boxnua). Nach Allem, was wir
oben in den Abschnitten von der Cybele, von den Cabi-
ren und von Pan aus den Alten beigebracht haben, dür-
fen wir nicht zweifeln, dafs auch dieser Tanz eine mi-
mische Darstellung der Bewegung von Sonne, Mond
Chorder Mysten:
"Avrgc! UNTEN! Du bist das Feuer (Licht)!
Chor der Priester u. s. w.
“Tyed UNNT! Er ist das Feuer (Licht)!
Chor der Mysten:
"Arryg) UNTTPN! Du bist das Feuer (Licht)!
59) S. oben III. Th. p. 173. und besonders p. 124.
364
und von den Planeten war. Noch eine Formel dieser
Feier führt Clemens an: «Ich habe von der Trommel
(*vuz&vov) Speise genommen und von dem Becken
(*vuBéAov) Trank »; ohne dafs wir von ihr, wie von
manchen andern, den bestimmten Sinn anzuführen im
Stande würen $9),
An diese Gebräuche, Bilder und Formeln hnÁpften
die Orphischen Priesterschaften kosmogonische und
ähnliche Sätze. In dem acht und vierzigsten Or-
phischen Hymnus heifst Sabazius des Kronos Sohn, der
den Dionysus - Bacchus in seiner Hüfte gezeitigt hat, da.
mit er vollendet sich zur Hippa auf dem Tmolus geselle.
Hier ist also Sabazius der Zeus der Profanfabel ; Hippa
übernahm nicht allein die Ammensorge, sondern sie war
euch bei der wunderbaren Hüftgeburt des Zeus hülf.
reich. Diesen Mythus deutete man auf die W eltseele
in ihrem Verhiltnifs zum Aether und zum Noég. Jene
Hebamme Hippa war eben die Weltseele selber, wüáh-
rend in anderer Beziehung zuweilen Dionysus für die
Weltseele galt 61). Aus wie früher Vorzeit man die
60) Ob der Apostel Paulus in den Worten (I. Corinth. X.
20.) : ,, Ihr kónnet nicht zugleich trinken des Herrn Kelch
und der Teufel Kelch. fÍhr kónnet nicht zugleich theilhaftig
seyn des Herrn Tiisches und der Teufel T'isches ** auf jenes
Nachtmahl in den Sabazien und diese dabei übliche Formel
anspielt, wie der gelehrte C. G. Schwarz (Miscell. polit,
humanit. p. 117.) vermuthet, will ich Andern zu unter-
suchen überlassen.. Gewifs verdienen aber die mysterió-
sen Gebrüuche des Heidenthums bei Erklürung des N.T.
und der älteren Väter gró(sere Aufmerksamkeit. J. A.
Stark hat in seinen: Tralatitia ex gentilismo in religio-
nem christianam , Regiomonti 1774. wichtige Beitráge dazu
gegeben.
61) S. Proclus in Plat. Tim. II. p. 124 sq. vergl. Joh. Lydus
de menss. p. 83, —
555
mystischen Lehren der Phrygisch - Thracischen Religion
her datirte, haben wir oben bereits aus der Sage von
Midas und Silenus gesehen; für deren hohes Alter schon
die Zeugen sprechen, welche wir daselbst angeführt
haben.
Dafs andererseits eine Feier , wie diese nächtlichen
Sabazien, unter den sinnlichen Völkern eines südlichen
Himmelsstrichs zu grofsen Unordnungen Anlafs geben
mufste, ergiebt sich aus dem Obigen wohl von: selbst.
Dér grofse Haufe gelangte wohl nicht zu den hóheren
Graden, worin man theologische Lehren empfing, wie
die bemerkten zum Theil sind. - Ich vermuthe, dafs
diese höhere Stufe sich auf die Rhea bezog und auf ihr
Verhältnifs zum Sabos, beide als kosmogonische Po-
tenzen gedacht. Die Vorstufe war wohl blos wilder or-
giastischer Naturdienst, und der Volkstanz -Sicinnis
mochte sich wohl zum höheren kernophorischen Reigen
in gleicher Abstufung verhalten. Von einer solchen Schei-
dung des Niederen und Höheren werden sich weiterhin
einige Spuren in Cretensischer Geheimlehre zeigen. Die
Verachtung, in welche die Sabazien herabgesunken wa-
ren, äufsert sich schon früh. Schon im Demosthenes
gereicht die Theilnahme daran zu einem ehrenrührigen
Vorwurf (Demosthen. pro Coron. a. a. 0.). Späterhin
mag das Uebel noch weit mehr überhand genommen ha-
ben, wie der Erfolg beweiset, womit der Praetor pere-
grinus C. Cornelius Hispalis sich im Jahre Roms 514 der
Einführung jener Gebräuche widersetzte (Valer. Maxim.
[. 3. nr. 2.) ; noch mehr aber beweisen es die Klagen der
christlichen Väter, des Clemens und Anderer. Gleich-
wohl fand dieser Dienst in Griechenland wohl hie und da
Eingang. Von der Vermischung der Griechisch - Bae-
chischen Mythen mit der Geschichte‘ der Phrygischen
Götter finden sich ‘wenigstens auf Kunstdenkmalen An-
zeigen. So sehen wir z. B. auf einem Borghesischen
Em
566
Relief (bei Winckelmann Monumenti nr. 42.) neben den
bestraften Marsyas den Dionysus und die Cybele,
und auf einer Campanisch - Griechischen Vase sehen, wir
Cybele, Bacchus und Proserpina vereinigt 5).
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$. 6.
Horos und Kora, Liber und Libera in Italien
und der Grofsgriechische Dionysus.
Wie die KHleinasiatischen Bacchusfeste sich mit den
Italischen berührten, sahen wir so eben. Die Haupt-
wurzel dieser letzteren zieht jedoch in alt- Griechische
Religionen hinüber, nach Samoihrace besonders, so-
dann nach Athen. Aus jener Insel hatten ja die zwei
Cabiren das Männliche. ihres erschlagenen Bruders nach
Tyrrhenien hinübergetragen (s. oben If. Th. p. 333. und
HT. p. 131.). Das war der Dionysus- Camillus von Etru-
rien, bald aber von ganz Italien, Nicht blos der alte
Tuscier huldigte ihm, sondern auch der Umbrer und an-
62) Bei Millin Peint. de Vases antiq. 'T. I. pl. 0. — Ueber
diese Verbindung der Religion des Bacchus und der Cys
bele in Lydien und Phrygien s. Beger Tbes. Brandenb.
I. pag. 501 sqq. und dort Euripid. Bacch. 73. und Strabo
X. p. 469; so wie das Epigramm der Anthologie, das mit
dem Worte Twv beginnt.
Y
564
dere Stimme dieser Linder. Liberalien und Phallus-
dienst waren überall gepaart, und der wilde Sabiner
wufste, seinem Bacchus Löbesius auf keine andere Weise
zu dienen (Clemens in Protrept. pag. 33.). Nicht blos
diese allgemeineren Gebräuche, sondern ganz bestimmte
weisen uns wieder nach Athen, nach Argolis und selbst
nach Aegypten hinüber. So war z. B. der Phallus bei
der grofsen Procession zu Lavinium auch von Feigen-
holz 65), worüber oben bei den Attischen Lenäen das
Nóthige bemerkt worden ist. So kommen auch die Hirsch-
kalbfelle in den Chóren der Etrusker wieder vor 64),
Ueber die Bildungsstufe dieser Liberalien haben wir keine
bestimmten Nachrichten. Das berühmte Römische Sena-
tusconsult de Bacchanalibus ward im Jahre Roms 568,
vor Chr. Geb, 186, also hundert Jahre nach Etruriens
Unterjochung durch die Rômer, gegeben 65) Früher
also môgen die Etrusker bessere Liberalien gehabt ha-
ben, als diese waren, die der Senat verbieten mufste :
d. h. sie mögen für die Gebildeteren einen besseren Sinn
in die Gebräuche zu legen gewufst haben. Dies mufs
man, nach der Culturstufe , die sie im Allgemeinen er-
reicht hatten, wohl vermuthen. Aber sicher gewann
auch bei ihnen, gesehweige bei den übrigen Italischen
Vólkern, dieser Gottesdienst den Grad von Ausbildung
nicht, den.er in Grofsgriechenland gewonnen batte;
wie die bilderreiche, sinnvolle Welt der Campanisch -
Griechischen Vasenmalereien einen Jeden. durch den
Augenschein überzeugen kann.
63) Dionys. Halic. T. 40. Macrobius Saturn. III. 6. Festus
sub v. Lucem facere.
64) Appianus p. 58 ed. Steph." Dionys. Hal. VII. 72.
65) Vergl. Heyne Monumm. Etrusc. art. in den Nov. Comm.
: Societ, Gotting. 'T. V. p. 49.
3e:
Wie war nun jener Liber der Italischen Bacchana.
lien gedacht, und wer war jene Libera, die hier so
bedeutend hervortritt? Um diese Frage zu beantworten,
müssen wir auf die Athenischen Lenäen und Eleusinien
binüberblicken. Dort hatten wir die Demeter oder Deo
(An) als die Mutter, und Jacchus nebst Persephone
als ihre beiden Kinder. Dieser Jacchus war der Kópo,
oder Kotgocg, wie er zuweilen, wiewohl seltener,
heifst 65, Weit bekannter ist Persephone als Kopn oder
Koen; welches eigentlich der allgemeinste Name war,
unter dem man diese Tochter der Demeter verehrte;
das Mädchen, so wie Jacchus der Knabe. In diesem
Verhältnifs hiefs Persephone (über welchen Namen im
Verfolg kürzlich das Nöthige bemerkt werden soll) auch
das Mädchen der Deo (Anoës Kopn) oder Anwiyvn 67),
Diese Deo - Ceres war die Mutter, die Mutter Erde (pd
qd), wie sie Aeschylus (Supplic. 897.) nennt, die Mutter
schöner Kinder (Kalligeneia). Ob nun Mutter und Toch.
ter, Ceree und Proserpina, zusammen genannt, be.
stimmt durch die Namen M «4 Mutter und Kó enr Mäd-
chen bezeichnet wurden, mag so lange dahin gestellt
bleiben, als die Hauptstelle des Herodotus VIII. 65, wo
diese Namensverbindung bei den Eleusinien vorkommt,
bezweifelt wird $5).
Wie stehet nun dieser Jacchos -Koros der Perse,
phone gegenüber? Natürlich zunächst als Bruder. Aber
66) Casaubonus zum Athenäus V. pag. 213. D. vergl. oben
IH. 'Th. p. 338.
67) Callimachi Fragmm. nr. 48. nach Valckenaers Verbesse-
rung.
68) S. Valckenaer zu dieser Stelle. — Die Schellersheimische
Handschrift hat, wie die Mediceische, 77 jr wai «fj
Hovey.
48
369
auch als Gemahl. Wir dürfen nicht zweifeln. In sol-
chen Götterfamilien herrscht immer die uralte Sitte der
Geschwisterehe. Ein Exempel, das ganz nahe liegt, aus
der Italischen Religion, habe ich oben (11. Th. p. 896 ff.)
bemerkt. Nirgends tritt aber diese Geschwisterehe mar-
kirter hervor, als in jenem Aegyptischen Mythus, wo-
nach Osiris und Isis schon in der Finsternifs des mütter-
lichen Leibes sich begatteten 6%). Dafs nun auch Jacchus
mit seiner Schwester Persephone vermihlt war, wufsten
die Eingeweiheten wohl. Jenes Brautbette am dritten
Tage der Eleusinien bezog sich auf die Vermählung der
Proserpina mit dem Ades 70). Dieser Ades oder Plato
der Profanfabel war aber den Initiirten als Dionysus
xSovıos, der unterirdische, bekannt. So kenntihnschon
der Philosoph Heraclitus 7!). Auch auf dem berühmten
Braunschweigischen Gefáfs, gewóhnlich Onyx genannt,
sieht man den Jaechushnaben neben der kleinen Proser-
pina vor einer Grotte stehen 72). Auch der Orphiker
spielt im drei und funfzigsten Hymnus auf die mystische
Verbindung des chthonischen Dionysus mit der Per-
sephone an.
Fragt man nun nach dem Realgrunde dieser
Wechselverhältnisse, so liegt er in den allgemeinen
Grundbegriffen dieser Naturculte. Dionysus ist bald
Sohn, bald Gatte, bald Bruder der Proserpina, bald
69) Plutarch. de Isid. p. 356. A. p. 459 Wyttenb. vergl. oben
I. Th. p. 282.
7/0) Clemens Protrept. p. 18. und dort die Ausleger.
71) Beim Clemens a. a. O. vergl. Plutarch. de Isid. p. 362. A.
p. 483 Wyttenb.
72) S. Bóttigers Archáolog. Museum [. pag. 21. und vergl.
. Welcker in der Zeitschrift fiir alte Kunst [. 1. p. 103 ff.
III.
24
370
liegt ’er an der Ceres mütterlichen Brust, bald richtet
er mit dieser die Todten. Der Schlüssel zu dem Allem
liegt in dem einfachen , schon von Herodotus aufgestell-
ten und vou Plutarchus (de Isid. p. 364.. E. p. 494 Wyt-
tenb.) aufgenommenen Satze, dafs Dionysus Osiris ist
und Demeter Isis. Aber auch in allen Vorderasia-
tischen Culten haben wir ja die Hauptbeziehungen
nachgewiesen. : Allenthalben haben wir dort an Isis,
Astarte, Astronoé, Cybele, und wie die weiblichen We.
sen alle heifsen mögen, bald eine Erdmutter (jezt als
Obererde und Nährerin , jezt als Untererde und Empfän-
gerin und Beschliefserin gedacht), bald als Mond und
wie diese Beziehungen alle heifsen mochten. Das Ae-
gyptische MotS und das Griechische Anutno scheint
diesem Begriffe der Erdmutter völlig entsprochen zu
haben. Hierzu tritt nun hier ein Osiris, jezt als be-
fruchtende Sonnenkraft zum Monde, jezt als ein vom
Himmel strómender Phruron. Nilus, als Princip der
Feuchtigkeit, jezt als Erdhraft und tellurische Potenz
und Todtenkónig zu der Untererde; dort ein Adon als
Besaamer zur Astarte als der empfangenden Erde, oder
als Sonne zur unteren Erdhemisphüre. Mit diesen und
andern Beziehungen ist die Eh e gegeben, und die Pe-
riode des scheinbaren Sonnenlaufs , wie die periodische
Regenzeit, und die Entwiclelungsstufen des Pflanzen-
lebens bilden die Leiden und Freuden dieser Ehe. Da
haben wir eine klagende und suchende Gattin und einen
leidenden und sterbenden Gemahl. Diese wechselnden
Zustände der einen Potenz, z. B. die jezt in die Erde
gelegten, jezt wieder hervorkeimenden Saamenkôrnrer,
gaben dann den Ideen vom Androgynischen und von
der Beraubung der Mannheit das Daseyn. So geht das
Männliche ‚des Osiris verloren und wird wieder gefun-
den; so ist Adonis Knabe und Mädchen zugleich (Koë-
eog und Ko?oz). In der Kore-Persephone ist das W ei b-
371
Jiche ergriffen, Auch sie ist das Saamenkorn , wie Ado-
nis. Jenerist die Getreidesaat (s. oben IT. Th. p. 106f.).
Diese ist und heifst ausdrücklich der in die Erde ver-
borgene Keim 73) Isis sucht einen Mann, Astarte
sucht ein Mannweib, und Ceres sucht eine verlorene
Tochter. Das waren die Irrsale der Demeter und das
von Ades geraubte Madchen, wie sie der alte Pamphos
besungen hatte (Pausan. IX. 13.), und wie sie der Ho-
meride im schünen l1jmnus auf Ceres besingt. — Ward
dieser Keim männlich gedacht, als Pflanzenkraft (qv-
tevtixüy Obvouts, wie Dionysus ausdrücklich hiefs),
und dazu die Erde als des Heimes , des Saamens, Bewah-
rerin und Pflegerin und Gebärerin , so war ein Verhält-
nifs des Sohnes zur Mutter gegeben. Auch Aegyp-
ten kannte, wie wir oben aus Plutarchus (de Isid. p.365.
p. 498 Wyttenb.) lernten, diese Combination, wonach
Osiris der Sohn der Isis war. Hier baben wir also den
Attischen Knaben Jacchus an der Ceres mütterlichen
Brust, und das Mädchen Persephone wird ganz natür-
lich seine Schwester, er Kösoc, sie Köpr. - Auch sie
vermählen sich, bald als vegetabilische Kraft
und Saat (in der Erde verborgen wirken sie auf einan-
der; sie walten aber auch in andern Bedeutungen in der
Unterwelt) ; bald als Sonnenstier und Mond (denn auch
Persephone ist der Mond; Euseb. P. E. III. pag. 115),
und so in andern Combinationen. Tritt nun aber die
weibliche Potenz wieder hervor, es sey tellurisch
oder siderisch, so kann aus dem Gemabl ein Sohn wer-
den. Der Mond ist ja, nach alter mehr bemerkter Lehre,
Nährer der Pflanzenkraft; auchwirketdieinnere
Erde aus ihrem Schoolse thitig den Heim hervor und
73) Cicero de N. D. II. 26. p. 311 uns. Ausg. Porphyr. ap:
Euseb. P. E. Ili. p. 109. Fulgentius X. p. 636. mit den
Nachweisungen von Muncker und Staveren.
372
gebiert ihn neu wieder, den sie empfangen hatte; sie
wirket aus der Tiefe in jedem Sinne; sie giebt Quellen,
Metalle u. s. w. Sie ist Ja der Sty x Tochter, diese Per.
sephone ( Apollodor. 1. 5. 3.)), und die Schlange Zeus,
die immer neu werdende, die in die Erde schlüpfende,
hat mit ihr den Stiersohn erzeugt. So ist im physischen
und im hóheren kosmogonischen Sinne Zagreus.Dionysus
wieder der Persephone Sohn. Mithin beruhet ein Jedes
dieser genealogischen Verhältnisse auf dem Realgrunde
einer Naturansicht, die schon in den Religionen Aegyp-
tens und Vorderasiens tief gewurzelt hatte.
Nun können wir fragen, welche Begriffe mit dem
Namen Liber verbunden waren, und wer jene so sehr
gefeierte Libera war? Wenn Cicero (de N. D. IT.
24. p. 300. nebst den Noten) sagt: man habe der Ceres
Hinder Liber und Libera genannt, wie man eben alle
Hinder Liberi nenne, so ist diese Erklärung zunächst
ganz richtig 74). Es ist die Anpññtno mit ihrem Kopos
und mit der Kópz. Zuweilen behielten die Römer sogar
den Namen Cora bei, wie eine Inschrift zu Benevent
beweiset 75) ,^ worin wir unter Ánderm lesen: — Sacra.
tae apud Eleusinam Deo Baccho , Cereri et Corae. Sa-
cratae apud Laernam Deo Libero et Cereri et Corae,
Jedoch vom Namen Liber haben die Alten und Neueren
noch einen besonderen Grund gesucht. Wer Lust hat
die vielen Etymologien durchzumustern, vergleiche das
Etymologicum Ling. Lat. von Gerhard Vossius (p. 287.).
Bochart fand den Begriff des Kóniglichen und des Heroi-
schen in diesem Gótternamen (Can. p. 443.). Es wun.
74) Vergl. auch Saintecroix a. a. O. II. p. 208 ed. sec.
75) Bei Gruterus I. p. 309. nr. 3. und bei Meursius in Gro-
nov. 'Thes. Antiq. Graec. T. VII. p. 818.
375
dert mich, dafs er nicht an die Potenz in der Phönici-
schen Kosmogonie erinnert hat , die beim Eusebius nach
Sanchuniathon At genannt wird, zumal da von Phóni-
cien ber hauptsáchlich das Bacchushind gebracht worden
ist. Man sieht, wie viele VVege hier den Etymologien
offen stehen. Vergessen wir bei jener Frage nicht die
nächste Quelle, aus der dieser Italische Bacchusdienst
gellossen ist. Es waren die alt-Griechischen Reli-
gionen von Samothracien. Verbinden wir damit den ur-
alten Begriff vom Frühlingsstier aus dem Was-
ser und vom Zöglıng der Hyaden, vom Regen-
bringer; gedenken wir ferner des alten Bacchus Ló-
besius der Sabiner, so verdient gewifs diejenige Her-
leitung grofse Aufmerksamkeit , welche wir von Plutar-
chus (Quaest. Rom. CIV. p. 289. A. p. 18: Wyttenb.)
lernen, und die uns eben in die alt- GriechischeSprache
zurückführt. Er heifst Liber und Lóbesius, óvi viv
MovBiv mapéoyev.- Also Aeifo ist die VWurzel und Lotfi
und libo, und dieser Bacchus ist der Ergielser.
Also wieder derselbe Meerstier und Begenstier, derselbe
Phruron-Nilus, d.h. der vom Himmel gefallene Osiris,
derselbe Sohn des Juppiter Pluvius, unter Blitz und
Donner und im Platzregen herabgesandt. Es hat also
diese Herleitung mit Recht denjenigen Beifall gefunden,
den sie , durch das Zusammentreffen aller philologischen
und mythischen Momente, verdient. Daher auch Neuere
(wie Lennep Etymolog. p. 922.) ihr den Vorzug geben.
Vofs (zu Virgils Eclog. VII. p. 872.) erinnert zugleich
sehr gut an das Zusammentreffen der Wurzeln Aeifo,
libo u. s. w. mit dem Deutschen lieben, loben, le-
ben. — Aber gesetzt auch, alle diese Herleitungen
seyen triiglich, so lifst uns der Stier mit dem Menschen-
gesicht, jener Hebon der Italischen Völker, der kein
anderer als Bacchus ist, und welchen uns die ältesten
Münzen Italiens und Siciliens leibhafüg vor Augen
574
stellen 75) , nieht einen Augenblick zweifelhaft , dafs die
alt-Italische Vorstellung des Liber ganz und gar
die alt- Griechische, oder vielmehr die ganz all-
gemeine war.
Auch wer Libera war, kann nach dem Bisherigen
keinem Zweifel unterliegen. Es sind: jedoch neuerlich
erst wechselnde Meinungen darüber im Umlauf gewesen,
Auch ist es nicht uninteressant , einen Augenblick auf die
Combinationen zurück zu blichen , in denen eine Libera
gedacht werden könnte. Zuvörderst könnte es Ceres
seyn. Und wirklich hat ein gelehrter Archäolog neuer-
lich diese Meinung eine Zeit lang gehegt. Diese Vor-
stellung wäre sehr urkundlich. Vorerst sehr Aegyp-
tisch. Beim Altvater der Historie lassen ja die Aegyp-
tier den Dionysus mit der Demeter das Todtenreich be-
herrschen (Herodot. IL. 123.), und noch beim Virgilius
führt ja die Ceres mit dem Liber das Jahr am Himmel
einher (Georg. I. 7.). Also vorerst als tellurische Po-
tenz kann sie dem Liber ehelich beigesellt seyn, als ySo-
via dem xSórvoc (das würe ja auch der Kleinasiatischen
Vorstellung gemáüfs, wo die nihrende Dionysusamme
wieder zur xSovi@ und zur Königin der Schatten wird,
die als solche neben ihrem Sabos thronet), als Tpooturæ
(Pausan. Corinth. 37. § 2.) dem mpdovpvos, dem Schlaf-
und Todesgott, als whovrodoTeipo (Spanheim ad Callim.
Cer. 71.) dem xAovrodorns, dem Reichthumgeber, wie
man ihn in den Attischen Lenäen anrief; und so fast in
allen Beziehungen konnte Ceres die Libera seyn.
Aber dieser Attische Reichthumgeber heifst ja in
demselben Liede der Semeleische. Auch diese Se-
mele, seine Mutter, konnte wieder zuseiner Gattin
76) S. unsere Tafel III. mit den Beispielen aus Münzen von
Selinus und Gela zum Dionysus; vergl. daselbst p. 278 ff.
375
werden. Frühzeitig ward ja auch jenes Todtenregiment,
das Dionysus als xSortos, als tellurisches Wesen führte,
mit seinem Hinabgang in den Hades in eine gewisse Ver-
bindung gebracht. 1n Argolis aber wufste man, dafs er
niemand als seine Mutter Sem ele heraufgeholt hatte 77),
Ja, wir haben ausdrüclliche Zeugnisse, dafs auch Semele
Libera hiefs 75). Auch dieses hatte wieder, nach Einer
Ansicht, seine physische Beziehung. Semele war die
Erde, wofür man sogar durch Deutung des Namens
ZeuéAm (Joh. Lydus de menss. p. 82.) Hath zu schaffen
suchte.
Auch Venus konnte Libera seyn. Wollten doch
vorerst Einige wissen, dafs Dionysus, oder vielmehr
Bacchus, Sohn der Aphrodite sey 7?. Auch haben wir
oben den Dionysus mit der Aphrodite ehelich verbunden
gesehen (II. Th. p. 111.). Endlich kennt Varro (beim
Augustinus de Civit. Dei VI. cap. 9.) die Venus neben
dem Liber bestimmt als Libera, beide in der Eigen-
schaft von Vorstehern der.Ehe ; und in den Samothraci-
schen Religionen war ja die Aphrodite als Fruchtbringe-
rin dem grofsen Fruchtbringer (Ares) beigegeben (s.
oben 1I. Th. p. 320).
Dafls endlich auch Ariadne den Namen Libera ha-
ben honnte, werden wir schon ohnehin glauben, wenn
wir bedenken, dafs diese Cretische Künigstochter, als
Gemahlin des Dionysus, Theilnehmerin seiner Ehren
ward. Auch ward sie eben so wohl, wie Semele, in et-
was mit in jene Glorie hinaufgerückt, worin die Myste-
rien den góttlichen Dionysus erscheinen liefsen. Das
71) Hygin. Poet. astron. II. 5. p. 433 Staver. Pausan. Co-
rinth. 37. $. 5.
78) S. Muncker zum Hyginus p. 344, und daselbst Cyrillus.
79) Valckenaer Diatrib. Euripid. cap. 15.£p. 154 sqq.
376
heweiset schon die Sage, welche wissen wollte, nicht
blos der Kranz der Ariadne, sondern sie selber leib.
haftig sey unter die Sterne versetzt worden ( Hygin. fab,
224. und daselbst Muncher). Aber auch hier dürfen wir
uns nicht mit Wahrscheinlichkeiten behelfen. Ovidius
làfst den Dionysus zur verherrlichten Ariadne sagen;
sie solle seine Libera seyn, und somit seinen Namen
theilen (Fastor. III. 519.), welches Hyginus (a. a. O)
mit klaren Worten versichert.
Fragen wir nun: wer war jene Libera der
Italischen Mysterien? so wird nicht weiter gefragt,
wie viele weibliche VVesen zum Bacchus im Verhàltnifs
als Libera gedacht werden konnten, sondern: was
der Bewohner des alten Italiens sich bestimmt unter
seiner mystischen Libera dachte, und welche Gót.
tin dem mystischen Dionysus dort als Ehegenossin zu-
gesellt ward , namentlich auch auf Grofsgriechischen Va.
sen? Hier halte ich nun die veránderte Meinung Dótti.
gers, der früherhin ( Vasengemilde I. p. 154.) in jener
Libera die Ceres ssh, nachher aber ( Archáolog. Mus,
L p. 21.) die Proserpina als Braut des Jacchus und
beide als Iünder der Ceres Halligeneia an die Stelle
setzte, und an den tepóc yopog erinnerte, fiir eine wirk-
liche Verbesserung und für die wahre Erklärung,
Seitdem hat Millin (Peintures de Vases antiques Tom. I.
pag. 74 sq.) gerade aus Gelegenheit der Vasenmalereien
eine andere Idee aufgestellt. Nach ihm soll man immer,
wo eine Libera als Gattin des Liber vorgestellt sey,
z. B. wo beide auf demselben Lager erscheinen, an die
Ariadne denken, die ja, nach der Vermählung mit
Bacchus , Libera genannt worden sey; in andern Bezie-
hungen könne man unter der Liberasich die Schwester
des Dionysus, die Proserpina, vorstellen; von der
Proserpina als Gattin des Bacchus wisse kein Mythus
eiwas; auch seyen die Bacchischen Attribute gegen jene
377
Erklärung , diese würden der Proserpina niemals beige-
legt. Hingegen nach dem alten Mythus von Naxos sey
Ariadne Gattin des Dionysus. Dieser Sage würden auch
die Italischen Vólker, die ja Ariadne als Libera kannten,
nachgefolgt seyn.
Gerade dieses Zwiespalts wegen habe ich oben die
Vorstellungen alter Naturreligionen von der Gesch wi-
sterehe ausführlich dargelegt. —Hiernach würde es
zuvürderst eine Inconsequenz des religiósen Denkens
verrathen, wenn nicht auch die Schwester Persephone
zugleich Gattin des Dionysus würe, Eines solchen Wi-
derspruchs macht sich die unreflectirte Denkart der Na-
turmenschen nicht leicht schuldig. Dafs sie aber wirk-
lich in diesem Falle folgerichtig verfahren sind, haben
wir aus bestimmten Anspielungen gezeigt, worin vom
Jacchus und von der Persephone als einem kleinen Braut-
paar oder vom Pluto- Bacchus und von der Proserpina
als Eheleuten die Rede ist. Ich will hierbei gar nicht
auf die Realbeziehungen hinweisen, die die Theoretiker
des Alterthums, besonders die Stoiker, in diese Ver-
bindung hineinlegten, wenn sie z. B. den Pluto die Sonne
der unteren Hemispháüre deuteten, die die Proserpina,
d. h. das Saamenkorn, raubet (Joh. Lydus de menss.
p. 124.) , oder wenn sie den Dionysus als Geist der Zeu-
gung. und Nährgeist erklärten, die Ceres als Erdgeist
und die Proserpina als den Geist, der in den Früchten
lebt ( Plutarch. de Isid. pag. 367. C. pag. 505 Wyttenb.);
wiewohl in allen diesen Auslegungen eine Seite der Wahr-
heit ganz ungez weifelt ergriffen ist, — Nein, absehend
von allgemeinen Theoremen, wollen wir hier das Zeug-
nifs eines Historihers hüren. Es ist das des gelehr-
ten Theopompus (beim Plutarchus de Isid. p. 378. E.
pag. 549 Wyttenb.). Dieser sagt uns bestimmt, dafs
die Bewohner der Westländer ‘(also Italiens)
sich unter der Persephone den Frühling gedacht
378
haben 59. Dafs diese Vorstellung wirklich alt war,
würde für mich schon die bedeutsame Anspielung des
Orphikers (Hymn. XXIX. (28.] 13.) beweisen. Ich hann
aber auch eine ähnliche im Homeridischen Hymnus auf
die Ceres (vs. 401 ff.) nachweisen. Das ist also die
Libera, die mit dem grofsen Herrn der Erde, mit dem
Sonnenjahre , auf - und absteigt, die mit ihm, als Mond,
die himmlische Herrlichkeit theilt; die vom Himmel her.
ab als regnende und segenreiche Gôttin gute Gaben sen-
det, und dann wieder im Schoofse der Erde mit ihm ge-
meinsam wirkt und in finsterer Unterwelt endlich sein
Lager theilt. Wer kann nach allem Bisherigen wohl
zweifeln, dafs in jeder Beziehung jener Italische Hebon -
Bacchus mit dem Stierleibe eben so wohl einmal Sohn
der Proserpina seyn mochte, als der Zagreus- Dionysus
Sohn der Cretischen Persephone war, und sodann eben
so wohl Gatte, als der Attische Jacchus Gatte der At-
tischen Persephone- Hore war? Die Profanfabel mufs
in diesem Kreise fast ganz vergessen werden; wiewohl
sie in Nebenzügen wohl manchmal einspielen mag. Auch
der Stoiker beim Cicero (de N. D. IL. 24. p.299 sq. uns.
Ausg.) weist alle Profanfabel weit zurück, wenn er den
Liber, «den die Vorfahren mit der Ceres und Li-
bera hehr und heilig geweiht, wie man in den My-
sterien lerne», von einem andern Liber, dem Sohne
der Semele, unterscheidet. Das ist also der Liber, dem
man in Italien, in Sicilien und in Rom selbst, gemein-
schaftlich mit Ceres und Proserpina, auch wohl ôffent-
liche Tempel widmete 81).
80) Vergl. hiermit die Bemerkungen von Welcker in der Zeit,
schrift für alte Kunst I. 1. p. 20.
81) S. Livius 1II. 55. — Familia ad Aedem Cereris, Liberi
Liberaeque venum iret, vergl. XXXIII. 25. XLI. 28. Ci-
cero in Verr. IV. 48 und 53. Besonders vergleiche man
579
Ob man nun auch die alten Pelasgischen Götternamen
Liber und Libera immer und allenthalben in
Italien beibehielt, làüfst sich fragen. Und diese Frage
ist nicht überflüssig. Schwerlich sind die Griechi+
schen Bewohner Îtaliens auch in den Mysterien bei
diesen alten und ursprünglich wohl Griechen und Italiern
gemeinschaftlichen Namen geblieben. Das zeigen unter
andern auch schon die Aufschriften auf offenbar myste-
riósen Vasenmalereien aus Griechisch-ltalischen Stádten,
worauf z. B. mehrmals der Name Aióvvooc geschrieben
ist; und so mag denn auch unter denselben Völkern die
Libera vielmehr gewöhnlich ILepo e$ óv9 genannt wor«
den seyn, wie Millin, unsers Bedünkens richtig, ver-
muthet. Selbst mit den Italischen Vólkern Lateinischer
Zunge scheint in Betreff der Libera eine Veründerung
vorgegangen zu seyn. Bei Cicero (de N. D. 1I. 24.)
wird dies ausdrücklich bemerkt: Idcirco Cerere nati no-
minati sunt Liber et Libera, quod in Libero servant,
in Libera non item 9). Wenn Millin (a. a. O.) weiter
bemerkt, dafs Ariadne nach ihrer Vermáühlung mit Dio-
nysus Libera genannt wurde, so darf dies nicht zu
die Erzählung des Dionysius Halic. Antiq. lib. VI. p. 1077
ed. Reisk. mit Tacitus Annal. II, 49. Beide Geschicht-
schreiber erzählen dasselbe Factum. Der Dictator Post-
bumius liefs einen Tempel erbauen Aquyror wal Awwod
vai Kégy. So erzühlt Dionysius, welches Tacitus so aus-
drückt: Libero Liberaeque et Cereri.
82) Die von Davies und Andern vorgezogene Lesart, die
Millin (Peintures de Vases antiques pag. 79 sqq.) wieich
selbst früher billigte , hat freilich: guod zn Libero sers
vant, in Libera non item. Jedoch jezt scheint mir
die Meindorfische Lesart: quod in Libero servatur , in
libera non item , Aufmerksamkeit zu verdienen. Joh.
Lydus de menss. p. 81. sagt: Aígsp maga Pwpaiors 6 Avis
cos. S. meine Note zum Cicero p. 301.
t
allgemein genommen werden. Hyginus (fab. 224.) führt
diesen Namen der Ariadne unter den Beispielen von Per.
sonen auf, die unter die Götter versetzt wurden. Dafür
sprechen auch alle Dichterstellen (s. Muncker zum a. 0.).
Die verklärte Ariadne, die Ariadne , die mit dem
Dionysus in den Himmel aufsteigt und, wie Hebe dem
verklärten Herakles, so ihm als Gattin zugesellt wird,
diese heifst Libera. Eben so wurde Semele die A uf.
erweckte, die in Mysterien Gefeierte (s. oben III Th,
p. 57.), Semele im Himmel, eigentlich Thyone 83)
genannt, und in den Trieteriden erhielt sie ihre beson.
dere Geschichte (Cicero de N. D. III. 23. p. 619. 621).
Das waren Anniherungen der Volksmythen an die my-
steriósen Góttergeschichten. Hiernach ward die Würde
der unaussprechlichen Jungfrau ( &ppntos xôpn,
Hesych. in v.), wie die mystische Persephone auch hiefs,
jener Kore, wovon der Name Libera gewissermafsen
eine Uebersetzung war, auf die Naxische Braut des Dio-
nysus übergetragen. Da mufste sie dann auch in den
Himmel steigen, und in einer himmlischen Ehe ihm ver-
bunden seyn. Ich will nun gar nicht in Abrede stellen,
dafs auch diese Vermischung der öffentlichen Fabel
mit der mystischen auf bildliche Monumente Einflufs ge-
habt haben möge, und dafs namentlich die verherr-
lichte Ariadne zuweilen als Libera auch auf Vasenge-
mälden vorkommen könne; ja ich halte auch die Idee
Millin's für beachtenswerth, daís vielleicht gerade die
eigentlich Bacchischen Attribute, wie der Epheu
und dergl., diese Ariadne-Libera kenntlich machen dürf-
ten: ich wünsche, dafs diesem Gedanken weiter nachge-
gangen werde. Allein wenn von der gewöhnlichen
und eigentlichen Ehegattin des mysteriösen Liber
83) Ovév4 Diodor. III. 62. IV. 25. und daselbst Wesseling.
380
531
und Dionysus in Bezug auf jene Vasen die Rede ist, dann
darf, meines Bediinkens, an niemand anders als an die
Proserpina gedacht werden. Auch ist, meines Wissens,
Ariadne, ob zwar auf Sarkophagen ein Bild der Unsterb-
lichkeit, wegen ihres glücklichen Erwachens auf Naxos,
doch niemals eigentlich als Todtenkönigin gedacht
worden, was doch die mysteriöse Libera nothwendig seyn
mufs. Dies anzunehmen, gebietet die urhundliche Ab-
stammung der Grofsgriechischen Fiberalien aus Grie-
chischen, besonders aus Athenischen Mysterien
und die fortdauernde nachweisliche Uebereinstimmung
unter ihnen; sodann auch die häufige Erscheinung der
Myrte, die den tellurischen Gottheiten und besonders
der Ceres heilig war (Spanh. ad Callim. Cer. 45. Dian.
203.), statt des Epheu; eben so die Mohnköpfe und
Granatäpfel, diese mystische Frucht der Proserpina
(s. ebendas.), die man so oft auf diesen Vasen abgebildet
sieht. — So vereinigt sich also Alles zur Bestátigung des
Satzes, den wir unter diesen Umständen etwas weiter
ausführen mufsten, dafs die Libera, als Ehegat-
tin des mystischen Bacchus von Grofsgrie-
chenland, in der Regel niemand anders als
Proserpina ist.
Ze
rt
280
FÜNFHES CaPITEL.
Von der Lehre der Mysterien, beson,
ders der Bacchischen.
$- 1.
Die Lehre von Gott und von der Welt. Dio.
nysus der Schópfer und Herr der Natur.
Dionysus als VWeltscele, wie wir ihn oben nennen hór.
ten, als Schöpfer und Führer aller einzelnen Seelen,
giebt uns ganz natürlichen Anlafs, zuvörderst von seiner
Schópfung oder dem Reiche der Natur, und sodann
von der Anthropologie und Eschatologie, oder
von der Seelen Schichsal und Wanderung nach Bacchi.
scher Geheimlehre das Nóthige abzuhandeln. Zuvör«
derst erscheint Zeus als Demiurg, der den Phanes ver-
schlingt. Letzterer hat die Urbilder aller Dinge in sich;
nachdem ihn aber Zeus verschlungen hat, werden sie
alle in diesem sichtbar. Daher jenes innige Verhàáltnifs
zwischen Zeus und Phanes, das auf den Dionysus der
öffentlichen Relizion übergetragen , zuweilen als völlige
Identität beider Wesen genommen ward. So äufsert sich
unter andern Aristides (Orat. in Bacch. p. 29 ed. Jebb.):
Nach Einigen, sagt er, sey Zeus und Dionysus Eins,
Auch werden beide so zusammengestellt: Zeus der Vater
vollendete Alles und Bacchus beherrschte es darnach *).
1) Proclus in Platon. Tim. pag. 336. in Parmenid. mscr. ap.
Bentley in epist. ad Millin. p. 455 Lips.
385
Bestimmter ‚erklärt sich an einem andern Orte derselbe
Referent (in Tim. p. 102.) so darüber: Phanes sey die
demiurgische Ursache oder der Anlafs zur Weltschó-
pfung. Ein Satz, der weiterhin von einer andern Seite
deutlicher werden wird 2).
Hier greift nun auch besonders der Cretische Dio-
nysus-Zagreus vielseitig und bedeutend in die Geheim-
lehre ein. Zwar auch davon hatte man eine populäre
Ansicht, wonach dieser ganze Mythus nur die natürliche
2) Die getheilte Schäpfung ( peçiory dymovgyia) , sagt
Julianus (Orat. V. p. 179. B. ed. Spanh.), hat D iony-
sus erhalten von dem alleinigen und bleibenden Leben
(en ws Ev0810005 nal povipov Cas) des grofsen Zeus, aus
dem er ja hervorgegangen; er hat dasselbe dann allen den
sichtbaren Dingen zugetheilt, als höchster Verwalter und
Beherrscher der ganzen getheilten .Schópfung. — Der«
selbe Julianus giebt auch weiterhin eine mystische Ausg«
deutung der Geburt des Dionysus aus der Semele ( Orat.
VII. p. 220sq.). Semele nümlich , wohl kundig der Zu-
kunft und daher auch vorhersagend die baldige Erschei~
nung des Gottes, feierte zu frühe die Orgien desselben
(xovijsat vv. rdv veil aUTöv éeywV), ohne die bestimmte
Zeit abzuwarten, Darum wurde sie von dem Feuer, das
sich auf sie ergofs, verzehrt. Weil aber Zeus beschloss
sen hatte, alle Menschen in ein neues Leben und in einen
neuen Zustand zu versetzen ( xemwÿ xäow dvSçairoi évéodvar
dyn naracrdosws) , und ihr wildes nomadisches Leben zu
mildern, so erschien Dionysus sichtbarlich aus Indien
mit einer Schaar von Dämonen, und als Zeichen seiner
Erscheinung liefs er ihnen die Rebe zurück. Semele
gber wurde seine Mutter genannt , eben wegen jener Vor«
hersagung; zumal da der Gott sie ehrte, sie, die seine
erste Priesterin und die erste Verkündigerin seiner An-
kunft gewesen war. In allen diesen Mythen aber erkenne
nian das Wesen des Gottes — mv Te oUcíay voU 9808 wai
THV EV TOIS vourois TACÀ TÜ warel w/oUcay* xGi TV dyévvgToy
UVTOÙ TONOY Ey TB KOT d» Td RAITÉ.
384
Geschichte des , Weinstochs und seiner Frucht enthielt,
Da war Ceres die Mutter Erde, die Titanen helternde
Bauern, die der Traube Saft auspressen , auch wohl aus.
hochen. Rhea war die Sammlerin der Glieder des zer.
stüchelten Gótterhindes, d. h. der Saft der einzelnen
Beeren fliefst in der Fülle des VY eines zusammen. Oder
Ceres war auch wohl die den Weinstock wieder neu be-
lebende Erde, darum heifse sie bei Einigen die Wieder.
beleberin des Zagreus. Dieser Auslegung folgt Diodo-
rus, in mythologischen Deutungen überhaupt nicht glück.
lich, und der ihn häufig excerpirende Cornutus (de N. D.
cap. 10.). Doch bemerkt der erstere, dafs die Mysterien
Aufschlüsse über jenen Mythus gáben , die man im Ein-
zelnen den Ungeweiheten nicht geben dürfe. VVas konnte
nun die Mysterienlehre darüber sagen? Darüber geben
uns Dichter und Philosophen ziemlich befriedigende Er-
klärung. Nach beiden müssen wir die berühmte Zer.
stückelung (uekoxoxia) des Zagreus als einen Haupt.
satz der Kosmogonie und Ethik betrachten. Vor-
erst erschienen hierin wieder Zeus und Dionysus im
demiurgischen Tagwerk begriffen. Bacchus war über-
haupt die Vielheit. Darum herrschte er, nach einem
Orphischen Dogma, durch alle Planetensphären. Dem
Kreise des Mondes stand er vor unter dem Namen Licni-
tes; dem des Mercurius als Silenus, dem der Venus als
Lysius; dem der Sonne als Trietericus ; dem des Mars
als Bassareus; dem des Juppiter als Sabazius; dem des
Saturnus als Amphietes; der achten Sphüre, lehrten sie
weiter , steht Pericionius vor und der neunten Bacchus-
Eribromius 3). Ich habe diese Angaben nur als Beispiel
aufgeführt, wie man die Idee von Bacchus als physische
3) S. die Stelle bei L. Gyraldus de Musis Opp. TT. T. p. 558.
A. B. und Linacer Mythol. Musar, cap. 1. p. 8 des Bo-
gens F. ff.
5
Vielheit auch siderisch und astrologisch durchführte,
ohne gerade das Alter von jedem dieser Sätze verbür-
gen zu wollen. Von folgenden aber können wir es ver-
bürgen: Dionysus, heifst es, ist die Vielheit, d. h. er
ist das in vielen Formen sich darstellende All, in Luft,
Wasser, Erde, Pflanzen und Thieren. Diese Absonde-
rung des Einen in Elemente und Körper wurde durch
das Zerreissen und Zerstückeln des Gottes bezeichnet,
den man Zagreus, Nyctelius und Isodätes ('loo-
daitns) nannte. Auch wollte der Mythus vom Verschwin-
den, vom Wiederfinden und Wiederaufleben eines Got-
tes nichts anders sagen (Plutarch. de Ei ap. Delph. pag.
389. A. p.592 Wyttenb.) Derselbe Autor erinnert an
einem andern Orte (de Isid. p. 364. F. p. 495 Wyttenb.)
an die genaue Uebereinstimmung der Ttanischen und
Nyctelischen Dinge (vvztélia mufs man hier wohl mit
Zoëga Bassiril. XIV. pag. 171. lesen), d. h. des Mythus
von dem zerstiickelten Zagreus mit der Todesgeschichte
des Osiris. Apollo, fáhrt das Dogma fort, der die Glie-
der des Dionysus wieder sammelt , ist die Einheit, die
der Natur in ibrer Entwichelung vorsteht, um sie vor
der günzlichen Zersplitterung zu bewahren , und sie un-
verletzt wieder an das Eine zu befestigen ^). Ehe ich
hier weiter gehe , will ich nur einen Fingerzeig geben,
der dem unbefangenen Forscher genug sagt. Nonnus,
der in solchen Dingen nichts erfindet, làáfst seinen
Zagreus, ehe er unter der morderischen Hand der Tita-
nen füllt, sich in Feuer, Luft, in alle Elemente und
Naturen verwandeln (Dionys. VI. 174 sqq.). Also die
Dichter alter Dionysiaden hatten jenes Dogma schon ge-
4) Plutarchus de Ei ap. Delph. a.a. O. Proclus in Platonis
Alcib. und daselbst das Orphische Fragment, s. Orphic.
Fragrum. p. 580 ed. Herm.
111.
AS.
oh
365
kannt, so gut wie Aeschylus und Euripides , die wir bald
in derselben Reihe aufführen müssen. —
So stehen also Dionysus und Apollo einander ent.
gegen. Gleichwohl berühren sie sich in der Sieben.
zahl. Diese ist beiden Göttern heilig, und nach den Or.
phikern war des Dionysus Leib gerade in sieben Theile
zerstückelt wordem (Proclus in Tim. pag. 200.), womit
dann Pythagoreische Lehren vom Apollo éfdouayétrç
(dem am siebenten Tage Geborenen) verbunden worden
zu seyn scheinen. Auch der Dienst beider Götter, so
wie die Bildnerei, spielte auf diese Verbindung an. Zu
Delphi, sagt uns Plutarchus (de Isid. p. 365. À. p. 495
VVyttenb.) , im Apollotempel neben dem Orakel liegen,
nach der Einwohner Meinung, die Reste des Dionysus
begraben. Dort verrichten die Priester ein geheimes
Opfer zu der Zeit, wenn die Thyaden den Licnites,
Aixvitne 5) (Beinamen des Bacchus) erheben. Auch an
einem Giebelfelde des Delphischen Tempels: sah man
von der Hand des Praxias, eines Schülers des Calamis,
die Artemis, die Leto, den Apollo, die Musen, den
Untergang der Sonne und den Dionysus mit seinen
Thyaden umgeben (Pausan. X. 19. 3.). — Nun deutete
man die Vielheit und Einheit weiter: dem Apollo (der
Einheit) sey eben deswegen der gebaltene, ernste Páan
heilig; dem Bacchus (der Vielheit) der in allen Rhyth-
men wechselnde, unruhige Dithyrambus. Daher auch
jene Unruhe , jenes Hin- und Herlaufen an Bacchischen
Festen. Daher auch Dionysus selber bald als Hind, bald
als Jüngling, als Mana und selbst als bartiger Greis ab.
gebildet wird; Apollo dagegen immer sich selbst gleich,
ein ewiger, góttlicher Jüngling (Plutarchus a. a. O.).
3) Vergl. auch L. Giraldi de diis gentium Syntagm. VIII.
pag. 281.
*.
557
Hierauf beginnt eine neue Ideenreihe so: Aus dem
Schwall oder verdickten Dunst der vom Blitz erschlage-
nen und verwesenden Titanenleiber ist die Materie
geworden, und aus der Materie die Menschen. Da-
her also das Titanische, das Rohe in der Menschennatur.
Hiermit war jener Todesgeschichte des Zagreus eine an-
dere, eine ethische Wendung gegeben: Der Titanen
Frevel an dem Leibe des Zagreus (lehrte man), das
Kochen und Hosten seines Fleisches, so wie ihre Bestra-
fung durch den Blitz , soll uns ein warnendes Bild seyn,
auf dafs das Vernunftlose, das Unordentliche und Un-
geschlachte in uns, das in der Liebe zum thierischen,
materiellen Leibe und zum Fleischessen sich äufsert,
untergehe, und wir neu aufleben. Unser thierischer
Theil soll gebändigt werden, und Strafe leiden. Die
Zerstückelung des Gottes ist ein Myıhus in höherer Be-
ziehung, in Bezug auf Palingenesie 6). Auch diese
Anwendung ward gemacht: Wir sollen uns nicht selbst
aus diesem Leibe herausfültren und befreien, denn unser
Leib ist ein Dionysischer Leib. Denn wir sind ein Theil
von. ihm (von dem Gotte), weil «ir aus dem Schwall der
Titanenleiber geschaffen worden; diese aber hatten vom
Fleische des Dionysus gekostet 7). Diese und ähnliche
Ideen waren es, die man durch Gebrauch und Wort
zu befestigen suchte. An den Gebrauch haben wir oben
(IN. Th. pag. 341.) schon erinnert. Es war jenes Boh-
essen, wobei die Stücke des Opferíleisches von den
Theilnehmern des mysteriósen Festmahles roh genossen
werden mufsten. Darauf spielt Euripides in einem sehr
merkwürdigen Fragment seiner Cretenser an (beim Por-
6) Plutarch. de esu carnium p. 996. C. p. 49 Wyttenb. Olym-
piodorus in Fragmm. Orphic. p. 509.
7) Olympiodorus ad Platon. Phaedon, p. 134 ed. Wyttenb.
388
phyrius de Abstin. lib. IV. p. 366 ed. Rhör.). Der Prie.
ster des Idäischen Juppiter spricht dort aus dem Chore
zum König. Minos: «Ich führe ein reines Leben, seit.
dem ich des Idäischen Zeus Noviz (uéovzc) geworden».
Die folgenden Worte sind etwas dunkel und durch ver.
schiedene Lesarten zweifelhaft geworden. Ganz gewifs
hat aber Hermann Recht, wenn er das Boorrag der Meer.
mannischen und Münchner Handschrift vertheidigt, wo-
für er nur Bporrñç herstellen will. Lobeck (de Morte
Bacchi, Vitebergae 1810.) hátte also nicht nóthig gehabt
o7x0»dógG Zu corrigiren. Ich verstehe diese Worte als
Anspielung auf den den Blitz schleudernden Zagreus.
Auch diesem ist jener Juppiterspriester geweiht. Eben
so, sagter, habe er des rohen Fleisches Mahlzeiten voll-
bracht (zag à’ duopayovs dairac tedéoac), Er war also
die hôheren Stufen der Bacchischen Wrihen durchge-
gangen, und hatte das Opfermahl vollendet, wobei das
Kosten des rohen Fleisches an die Enthaltung von thie.
rischer Speise erinnerte. Der vollkomm ene Bacchi-
ker und Orphiker, so wie der ibn nachahmende Pytha.
goreer enthielt sich, aufser bei feierlichen Opfermah-
len, aller thierischen Nahrung. Hiervon überzeugt uns
eine andere Stelle des Euripides im Hippolytus (952.),
wo uns gerade dieser Begriff von der Orphischen und
Bacchischen Lehre gegeben wird, und wo Valckenaer
unter andern auch jenes Fragment aus den Cretensern
anführt. In dieser Abstinenz war nun auch. jener Prie-
ster des Idüsschen Zeus geübt. Er ist ein vollendeter
Bacchiher, und geniefst daher keine animalische Host
(éuuvyer — nePéhayuor), Er ist vor dem Titani-
schen, d. h. vor dem Unreinen und Unordentlichen ge-
warnt. Eristin den Dienst der Cureten aufgenommen
(xai Kovpñtor Baxyos &xAnSnr), d. h. er ist nun in der
Harmonie und Ordnung eines hóheren, heiligeren Le.
bens, wovon, wie wir sogleich sehen werden, der Cu-
389
retentanz das Bild war. Er trägt nun auch die Fackeln
der Idäischen Mutter (Rhea), oder (nach einer andern
Lesart) er erhebt zu ihr seine Hände; womit eine ähn-
liche Abstufung angedeutet ist, als wir oben in den Sa-
bazien bemerkten, wo der wilde Volksdienst auch von
dem Chore der Rhea unterschieden war, So erkenne
ich auch in diesem ganzen Euripideischen Brüchstücke
die Beschreibung des Aufsteigens von den niederen Bac-
chischen Weihen zu den hóheren Mysterien des Creti-
schen Zagreus und sofort des Idäischen Juppiter und der
Hhea. Darauf führen mich auch die Worte veAécag und
utotnç, die offenbar sich auf einander beziehen. Der
vollendete Bacchikher dient nun in weifsem Gewande
(z&AAevxa O' Éyov siuo vo), abgewendet von der Wiege,
wie vom Sarge und Fleischmahle, seinen hohen Creti-
schen Güttern. — So viel von jenem Fragment des Eu-
ripides, das uns merhwürdig genug schien, um etwas
genauer betrachtet zu werden.
Wir wollten auch eines Wortes gedenken, wo-
durch der Sinn jenes mysteriósen Mahles noch etwas
deutlicher wird. Es ist das bedeutsame Toodairnsç
oder Toodcuitne. Damit ward Dionysus bezeichnet,
einmal als der gerechte Hostvertheiler, mit Bezug auf
die Nahrung überhaupt, weil er als Tischgott, als der
guteGott, wie er auch hiefs, einen Jeden ernährt;
sodann in Beziehung auf die Kosmogonie und die Ein-
richtung des Reiches der Natur; sodann aber auch als
Gott der Unterwelt, der alles Lebendige zwischen Tod
und Leben theilt, den Einen herunterschickend in den
Hades, den Andern wieder daraus entlassend — Vor-
stellungen , die erst im Verfolg deutlich werden hünnen.
Isodites ('looda/vzc; so mufs gelesen werden), sagt
Hesychius (in v. vergl. die Ausleger daselbst), ist Pluto
oder Pluto's Sohn. — Mithin wieder hier jener Dionysus-
390
Hades, der Herr der Natur und der Bewohner des Amen.
thes, der Alles empfängt, aber nach gewissen Perioden
wieder heraufsendet. Also, wie wir oben aus Plutar.
chus lernten, eine Lehre der Palingenesie war mit
diesem Namen gegeben. Damit hing denn auch die Lehre
von den Dämonen (dœipoves) zusammen , die man auch
als Eintheiler und Austheiler, als Zutheiler des Guten
und Bôsen und als Diener des grofsen Bacchus betrach.
tete. In dieser ganzen Ideenreihe war immer der Grund.
begriff von einem mystischen Mahle hergenommen;
Vielleicht mitunter, im öffentlichen Volksglauben, auch
von einem Homerischen Ausdruck 3). — Dafs nun in
diesem ganzen igpdg Aóyoc die Titanen das Bild der Zer.
rüttung, der Unordnung und der thierischen, wilden
Triebe waren, so wie hingegen die Cureten mit ihrem
rhythmischen Walfentanze das Symbol der ordentlichen
Bewegung der himmlischen Körper, wird ausdrücklich
versichert, mit dem Zusatz, dafs auch dieses Dogma
Orphisch sey (Proclus in Theolog. Platon. lib. V. cap.3.
p. 253). Man vergleiche damit die Stelle, worauf sich
jene Erláuterung bezieht, námlich Plato's Euthydemus
(p. 277. D. p. 320 ed. Heindorf). Auch hier kann uns
Alles das, was oben über den Pansreigen, über den Tanz
um das der Rhea geheiligte Gefifs, und was zunächst
aus Euripides über den Sinn der Curetischen Mysterien
gesagt worden, Bürgschaft leisten , dafs wir es nicht mit
unglücklichen Deuteleien späterer Graeculi, sondern mit
uralten, wenn gleich sehr einfachen und, wenn man
will, allzu naiven Vorstellungen Griechischer Priester-
schaften zu thun haben.
8) ard 7%; Darróg diows Iliad. I. 468. ibiq. Scholiast. et Eustath.
vergl. Gesner ad Lucian. Epist. Saturn. 32. pag. 412 ed.
Hemsterh. T. IX. p. 349 ed. Bip., der dort icodiairys
in foodairys zu verändern geneigt ist.
391
Da wird sich denn Niemand wundern, dafs auch die
Spielsachen (4S%ppata) ihre Bedeutung haben,
womit das Dionysuslind sich belustigte , als es unter die
rohen Hinde der Titaner fiel. Auch hier verräth sich
allenthalben alte Tradition. Die ausführlichste Nach-
richt giebt jedoch Clemens von Alexandria (Protrept.
p. 15.) und daraus Arnobius (lib. V. cap. 19. p. 181 ed.
Orell). Beide führen Verse an, die sie Orphisch nen.
nen. Zu jenem Spielwerke und Lustgeräthe des Diony-
sus gehüren zuvürderst: die Würfel und die Kugel
(c$aipa), worüber Lobeck a. a. O. pag. 9. einige gute
Bemerkungen macht ?) Die kosmische Bedeutung der
sphürischen Form habe ich anderwürts durch die
mannigfaltigsten Zeugnisse als sehr alt aufser Zweifel ge-
setzt, so dafs hier die Anführung des Joh. Lydus de
menss. p. 82. kaum nüthig ist, der uns die Kugel, ver-
muthlich aus álteren Quellen, als Sinnbild der runden
Erde kennen lehrt. Sodann werden genannt die Hes-
peridenäpfel 10); das Spielrad (trochus); der
Kreisel (turbo); der Kegel (xóvoc) ; die Wolle und
der Spiegel. An keines dieser Symbole knüpften
sich mehrere Vorstellungen und Lehren als an dieses
letzte. Nonnus 11) lüfst den Zagreus hineinblicken,
als ihn die Titanen zerreissen. Er sah, heifst es dort,
im zurüclhstrahlenden Spiegel sein unächtes Bild. Auch
in einer andern Stelle ( VI. 207. p. 190 ed. Hanov.) ge-
denkt er des Spiegels uumittelbar nach der Zerstücke-
lung des Zagreus. Er nennt ihn den táuschenden
9) S. auch Moser zum Nonnus IX. 107. p. 225 sq.
10) Pomeranzen; s. Vofs zu Virgilius Eclog. VI. 61. Georg.
II. 126.
41) Dionys. VI. 173. p. 188 ed. Hanov. Vergl. dagegen Ou-
waroff im Nonnos von Panopolis p. 21.
392
Spiegel (9óAvov »ávoztoov), und der Vater Zeus er.
kennt darin des Zagreus dunkeles Bild. Ganz gewifs
sind auch hier nicht spite Allegoristen, sondern alig
Dichter die Vorgänger des Nonnus gewesen. Dafür
bürgt uns ein Fragment des Aeschylus, der uns in
seinem Lycurgus (man bemerle wo — in diesem schon
von Homerus berührten und zweifelsohne uralten Thra.
cischen Mythus) unter den Sachen des Dionysus auch
den Spiegel neben dem Schwert angeführt batte (s.
Aristophan. Thesmophor. 140.). Den Sinn 12), der die.
sem Attribut untergelegt war, erfahren wir aus Stellen
der Philosophen. Wenn diese den Dionysusspiegel ein
Kunstwerk des Hephästus nennen, so konnte dieses auf
dieselbe Weise gesagt scheinen, wie man alle aufseror-
dentlichen Hunstarbeiten Werke des Hephästus nannte,
Zugleich aber vergesse man die Bedeutung nicht, die
dieser künstlerische Gott in der Mysterienlehre hatte;
und was auch von diesem Spiegel gesagt wird, gebietet
uns von der Profanfabel abzusehen. Da fand man in
ihm bald ein Sinnbild des klaren, durchsichtigen und
gewülbten Aethers (Joh. Lydus de menss. p. 02.); bald
12) So viel sich aus Aristophanes schliefsen làfst, war Dio-
nysus in jener Aeschyleischen Tragódie ganz als Asiati-
scher W'eichling, als ein weibischer. Gott erschienen,
Daher auch die Anrede: yw, Weibischer, so wie
wir oben ihn mit dem Frauengewande bekleidet sahen,
gerade in dieser Scené mit Lycurgus (s. oben IIT. Th.
pag. 177.). Das physisch - wirkliche Mannweib, wie die
alten Asiatischen Religionen ihren Dionysus vorstellten,
ward von Griechischen Volksdichtern als ein weichlicher
Gótterjüngling genommen ; natürlich nun auch so die At-
tribute, wie der Spiegel und dergl. Aus Aeschylus
wollen wir also nur auf das Daseyn dieses Bacchischen
Attributs schliefsen. Die Bedeutung ergiebt sich aus
Nonnus und aus den Andern.
595
führte ihn Dionysus als Demiurg. Er blickte in diesen
Spiegel, sah darin sein eigenes Bild, und nach diesem
schuf er sofort diese bunte, formenreiche Welt (Pro-
clus in Platon. Tim. pag. 163.). Das war also ein VVelt-
spiegel, in welchem Sinne ihn, obigen Dichterstellen zu-
folge, schon früh die Verfasser der Dionysiaden genom-
men hatten. Von seiner Bedeutung in der mystischen
Seelenlehre werden wir im Verfolg sprechen. Vorerst
bleiben wir bei dem Sehüpfangswerke stehen.
Nicht minder bedeutend war der Naturkelch,
ob wohl er gerade nicht in jener Zerstückelungsgeschichte
genannt wird. Dieser Krater (xpatip) des Dionysus war
einem andern Krater untergeordnet, welchen der höhere
Demiurg führte. Man sprach nämlich sowohl in Absicht
der intellectuellen Schôpfung als der physischen von ei-
ner Mischung (xou), von einem Mischgefäls («poíg)
und vom Misehkünstler (xepæotñs) 15). Mithin gab es
auch einen Krater der Intelligenz , des vo%s 19). Im Ti-
mius des Plato kommt ein erster Becher vor, worin
der Demiurg die Weltseele mischt, Dies gab den
Platonikern Anlafs, von einem doppelten Krater (diurroë
xpotñoos) zu reden. Sie nennen den Becher des hôhe-
ren Demiurgen auch den Leben erzeugenden Becher 15)
(xpatñow Écoyôvoy), und legen ihn der N acht und dem
Phanes bei, weil beide mit einander alles Leben aus
dem Verborgenen hervorbringen. Dies scheint wenig-
13) Fragmm. Orph. XXVIII. 13. und Hymn. XI. (10.) 12.
14) S. Hermet. Trismeg. Sermo Crater p.26. a. b. ed. Patric.
15) Becher mag weary heifsen für deutsche Leser. Es be-
darf wohl der Bemerkung kaum, daís in dieser Ideen-
reihe nicht das «repa gemeint ist oder der eigentliche
Becher, sondern das grófsere Gefáfs ,, worin die Griechen
den Wein mit Wasser mischten (xga79).
594
stens aus einer sehr lückenbaften Stelle des Proclus. (in
Platon. Tim. p. 291.) hervorzugehen. Auf diese Begriffe
von höherer und niederer Schópfung bezogen sich auch
einige dem Orpheus beigelegte Gedichte, die denselben
Titel xpovípsg führten. Sie werden bald unter diesem
allgemeinen Namen angeführt, bald nach einzelnen Thei.
len, z. B. im kleinen HKrater (£r x pixpotépe xoa.
Tj), im zweiten Krater und dergl. 16. Auch
hiefs der demiurgische Becher die Quelle derSeele,
sowohl der VVeltseele, als der einzelnen Seelen, und so
wie der Demiurg der Seelen Vater war, so war der Be.
cher ihre Mutter. Denn in dieser kosmogonischen
Ansicht traten an die Stelle der Zeugungen, Mi.
schungen, so dafs der Mischkünstler zum Mischgefäfs
in das Verhältnifs des Mannes zum Weibe trat 17), Weil
der Becher Quelle des Seelenlebens ist, so redete man
auch von Quellbechern (mnyaïov xpatñoes), als von den
ersten Ursachen aller besonderen Dinge, die in der Welt
ihr Daseyn haben (Proclus in Platon. Theolog. V. c.32.).
Hiermit befinden wir uns wieder im Gebiete des Diony-
sus, der ja der demiurgische Grund aller besonderen
Existenz ist. Er führt mithin selbst diesen Quellbecher,
diese Matrix alles speciellen Existirens.
Der doppelte Becher der Schöpfung ward auch ein
doppelter Becher der Seelen. Der erste heifst
der feuchte Dionysuskelch. Der Trunk aus ihm bringt
jenen Rausch , der das Angedenken an die höhere Natur
der Seele vergessen macht, und die Lüsternheit zum
Leibe erzeugt. Es ist eine Vergessenheit, die zur Ge-
burt hinwirkt (yeveoiovpyds 279%), und somit tritt die
16) Joh. Diaconus ad Hesiod. Theogon. p. 305 ed. Heins.
47) Proclus in Tim. pag. 314 sq. und in Platos. Theolog. V.
cap. 30 — 32.
595
Seele den Weg zu den irdischen Wohnungen an 18).
Aber in der besseren Seele bleibt dennoch ihr Theil vom
Aether zurück, und ein anderer Becher wird ihr mitge-
geben in dieses irdische Haus. Es ist der Becher der
Weisheit (zpotño copiag). Dafls dieser {nun nicht ver-
deckt und verfinstert werde, soll fortan der Seele vor-
nehmste Sorge seyn 19). Der Trunk aus diesem Kelch
heilet die Seele von jener Täuschung, und läfst sie er-
wachen aus der Vergessenheit zur Sehnsucht nach der
Rückkehr; wie wir unten im Abschnitt von der Anthro-
pologie näher sehen werden.
Der Demiurg ist auch Schöpfer der Zeit. Hier
treten nun wieder alle jene Ideen vom Dionysus als
Jahresgott in allen Zeichen des Thierkreises und als
Frühlingsstier besonders hervor; jene alten Jahresbe-
zeichnungen durch Hörner und durch Becher, statt de-
ren man zuerst Hórner hatte , alledie Vorstellungen vom
Jahreshorn, Horn des Ueberflusses, vom Jahresbecher
Dschemschids und Dionysusbecher und ähnliche, die wir
im Eingang zu diesem ganzen Abschnitt. ( oben III. Th.
p. 94 ff.) bereits erörtert haben, Hier miissen wir zu-
gleich daran denken, dafs dem König des Jahres und des
Landes, dem Segen bringenden Nilus, von den Aegyp-
tiern ein wohlthütiger Becher (Hircheri Oedip.
T. 111. pag. 199.) beigelegt ward, und dafs er in diesem
Sinné sowohl, als in der Würde des Todtenkônigs, den
Anubis in seiner Gesellschaft hat, der auch in der Unter-
welt beim Todtengericht ihm, dem Osiris, zur Seite
steht. Hiernach sehen wir in der Hand des Anubis-
18) Macrob. in Somn. Scip. T. cap. 12.
19) Philostrat. Vit. Apollon. VI. cap. 11. vergl. I. cap. 8. und
dazu die Anführungen von Bekker (Specimen in Philo-
strat, Vit. Apollon. lib. f. p. 37.).
396
Hermes sowohl einen demiurgischen Kelch , welcher das
Feuer und Wasser enthält und als Weltspiegel zugleich
die Bilder aller Dinge zeigt 29), als auch einen Seelen.
becher, so wie er vorher beschrieben wurde. Wen
man daher behauptete, Plato habe seinen demiurgischen
Frater im Timéus aus Aegypten entlehnt 21), so werden
wir diesen Satz sehr natürlich finden. Denn einen alten,
orientalischen Ursprung hatte dieses ganze Bild mit
allen seinen wesentlichen Bedeutungen ganz gewifs. Das
geht aus Allem hervor, was wir von dem Becher des
Mithras und Dschemschid, des Hermes und Dionysus aus
orientalischen und Griechischen Schriftstellern wissen.
Von einer Bacchischen Amphora im Abgrunde des Mee-
res wufste wenigstens auch Homerus (s. oben III. Th.
pag. 181.).
^ Unter den Demiurgen wird auch Hephästus ge-
nannt und zwar neben Dionysus. Es wirft Plato im
Philebus (p. 61. €. p. 310 sq. Bip.) den Wink hin, dafs
Hephästus oder Dionysus oder irgend ein anderer Gott
das Geschäft der Mischung erhalten habe. Auch darin
erkannte man Orpbische Vorstellungen, entlehnt aus
dem Güttersysteme Aegyptens. Man unterscheidet ein
Hephásteisches Wirken (moizoig q»QoiccOvtvxroc) und
ein Dionysisches (— dtovvorax#). Letzteres bringt einen
jeden einzelnen. Theil des Universums hervor; Hephä-
stus hingegen ist das Princip des Zusammenhaltens die-
ser Besonderheiten. Er knüpft durch Freundschaft
das Verschiedene im All zusammen. Auch auf fol-
gende Weise werden Hephästus und Dionysus unter
einem obersten Demiurgen gegen einander über
20) Athenäus XT. 55. vergl. Dionysus I. p. 25 sqq. und un-
sern I. Th. p. 378. 671.
21) Augustinus Steuchus de perenni philosophia cap. 25.
597
gestellt : Es hilt der Eine und vollkommene Demiurg so-
wohl die durch Nothwendiskeit (&v&yxy) bewerkstelligte
Schöpfung (die physische Schöpfung im Ganzen), die
den Hephistus zum Urheber hat, zusammen, als die
Dionysische , welche jeden einzelnen Theil des Univer-
sums zu Stande bringt 27). -Jener Zwang, der das All
des Hephistus physisch bindet, wird zugleich durch die
Erinnerung an die Netze und Fesseln (Jeopoi) deutlich
gemacht, welche er kunstreich verfertigt hatte, und wo-
mit er den Ares und die Aphrodite in der Umarmung
fing 23). Von demselben Hephástus wird gesagt: er
hauchet den Körpern ihr Wesen ein (&uxvei) und bildet.
den Göttern alle ihre Sitze, innerhalb der Welt 29). Von
dieser kosmologischen Würde des Hephästus haben auch
die Orphischen Gedichte Erinnerungen aufbehalten. So
heifst er z. B. (im Hymnus LXVI. [65.]) «der Michtig-
ste, der Hóchste», er heifst « Aether, unbezwingliches
Feuer und unbeflecktes Licht ; auch Element und Theil
des Universums». Wir sehen hier schon mehrere An-
sichten verbunden: Zuerst ist er als Mächtigster,
Höchster, ja ganz jener Axiuri (jener Allmäch-
tige) der Samothracischen Mysterien, und jener erste
Odem, wie jener Phthas von Memphis. Sodann tritt
er in die Elemente der VVelt herunter, und wird ein
Theil derselben, gerade wie wir ihn bald in einem alten
22) Daher auch die bunte Schaar der unstiten Bacchantinnen
ein kosmisches Amt bekommt. Sie werden die Aufsehe=
rinnen über die Schöpfung des Einzelnen , über die ge»
theilte Schôpfung (7; penis Ouuovpyíag) genannt;
s. Hermias in Plat. Phaedr. p. 79.
23) Proclus in Plat. Tim. p. 147, vergl. oben II. p. 325. 331.
24) wacag rds éynocpiovs Fögass Derselbe in Platon. Theolog.
' VI. 22,
398
Mythus von Lemnos und im System des Empedocles wer.
den lerscheinen sehen.
. In der Unterordnung des Hephistus und Dionysys
unter den vollendeten Demiurgen erkennen wir
wieder dieselbe Quelle. "Wir haben ja oben schon ein
Aegyptisches Dogma gehórt, worin Amun als der erste
Lichtbringer, Phthas als der kunstreiche V ollen.
der (also der Zusammenordner im Ganzen, wie zy.
nächst) und Osiris als der Gnte und Wohlthätige
vorgestellt ist (also als der, der das Einzelne erfüllet,
der da segnet und geniefsen läfst, d. h. als Herr der
Sinnenwelt; vergl. oben I. Th. p. 290 £.). Hier ha.
ben wir im Dionysus. Osiris wieder den fréhlichen Mini.
stranten von Lemnos, den wohlthätigen Gigon , der eben
so geschäftig ist beim Schôpfungswerke, als bei der Mahl.
zeit, wo er als Tischgott, als guter Gott, die Becher
füllt (s. oben 1I. Th. p. 324 f. 331.). Als Casmilus hat
er den Hephiüstus zum Vater, also den Netzellechter,
den Fesselnschmied, den VWohlordner im Ganzen. Beide
hängen vom höheren Demiurgus ab (nach unserer jetzi
gen Ansicht) ; was Dionysus im Einzelnen, was Hephá.
stus im Ganzen gewirkt, hält jener Höhere unter
sich bewältigt. Zu Samothrace hatte Hephästus selbst
dies letztere, höhere Amt. Hier aber ist er ein zwei-
ter Cabire, wie dort Dionysus hiefs, Da war Zeus
dessen Vater als erster Cabirus (s. oben II. Th. p. 334.)
Hier ist Hephästus auch Zeus Sohn. So fafst der My-
thus den Satz genealogisch. Die Orphiker, div an
die Stelle der Zeugungen Mischangen und gegenseitiges
Durchdringen seizen, machen bald die zweite Potenz,
wie wir an Hephästus gesehen haben, zur ersten, bald
die dritte, den Dionysus. Daraus verstehen wir was
Aristides (in Bacch. pag. 29 Jebb.) hatte sagen hören:
Zeus und Dionysus seyen von einander nicht ver.
schieden. Das ist die Orphische oder, was im Sprach-
599
gebrauch der Griechen einerlei ist, die theologische
Detrachtungsart; jenes die mythische. Die alten
Theologen und Poeten, äufsert Plutarchus in einer be-
merkenswerthen Stelle (de Oraculor. defect. p. 436. D.
p. 781 sq. Wyttenb.), die immer das Hóchste vor Augen
hatten, sagten daher bei Allem: «Zeus der Anfang,
Zeus die Mitte und Alles aus Zeus». Es ist bekannt,
wie häufig dieser Ausspruch der Orphiker von den Kir-
chenlehrern zum Beweise der Kenntnifs Eines
Gottes istangeführt worden, deren sich auch die Hei-
den zu erfreuen gehabt. Schon die Zuversicht, mit der
sie sich auf diesen Spruch berufen, mufste den Verdacht
entfernen, dafs sie sich durch ein spáteres Dogma von
einem Juden hätten täuschen lassen. Noch mehr aber
spricht die Ánführung in der Schrift des sogenannten
Aristoteles (de Mundo sub fim, vergl. Fragmm. Orph.
pag. 460.) für das relative Alter dieses Satzes; denn
jene Schrift, ob zwar nicht von Aristoteles, ist dennoch
alt. — Jenen Sätzen, wonach bald Hephüstus, bald
Dionysus Zeus heifst, so wie dem Dogma, dafs die
Schüpfungen der beiden ersteren unter einem höheren
Demiurgen stehen, und der Lehre von Zeus als An-
fang, Mittel und Ende und wie derselbe Gedanke ver-
schieden gewendet war - diesem Allem liegt nun
unverkennbar ein orientalisches Emanationssystem 25)
25) Wenn also von der EinheitGottes die Rede ist, ob
sie in den Mysterien gelehrt worden sey oder nicht, wor-
über Warburton , Saintecroix , Meiners und Andere ge-
stritten haben, so hätte vor Allem der Geist derjenigen
Religionen beachtet werden sollen, aus denen alle Grie-
chische Mysterienlehre , wie aus Einer Quelle , geflossen
ist. Alle diese gehen aber nicht über das System der Emas
nation. hinaus, Folglich sollte man nur in diesem
Sinne das Dogma von Einem Gotte den Mysterien
beilegen, und nicht den Irrthum der Kirchenväter fort-
400
zum Grunde, welches als der Hauptfaden durch alle Or.
phischen Theorien zieht. Das sind jene Theologumena,
wovon Plutarchus spricht. Er unterscheidet dort die
Theologen von den sogenannten Physikern. Wenn jene
einzig bei der Frage stehen blieben: von wem un
wessentwegen ist das All geworden, das heifst bei
dem letzten Grunde, bei dem Finalgrunde aller Dinge,
so verwickelten sich diese in die Fragen : aus welchen
Elementen Alles geworden, das heifst, sie blieben in
der Untersuchung der secundären, der physischen Ur.
sachen hängen (Pvoixais aitiois oder &vayxaiœis als
Gegensatz von Tj xpeitTOPL AÎTIA), .
Diese physischen Sätze hatte frühzeitig der My.
thus in ein hórperliches Gewand eingehüllt, und selbst
die ültesten Physiologen, wie sie hiefsen, z. B. Empe.
docles, konnten die mythischen Namen und Bezeichnun.
gen noch nicht entbehren. Davon giebt uns die Fort.
setzung dieser Bacchischen Mysterienlehre in dem Ver.
hältnifs der beiden hosmischen Potenzen Hephástus und
Dionysus die sprechendsten Beweise.
Zweimal wird Hephästus aus dem Himmel geworfen,
Einmal vom Vater Zeus (Iliad. I. 590.), ein andermal
von seiner Mutter Here (Hiad. XVIII. 395 ff). Jezt nah.
men ihn Eurynome und Thetis auf —
Jene des kreisenden Stroms Okeanos blühende Tochter,
Dort neun Jahre verweilt ich, und schmiedete man-
cherlei Kunstwerk,
Schlangen und Ring' und Ohrengehenk' , Haarnadeln und
. Kettlein,
In der gewólbeten Grott’; und der Strom des Okeanos
rings her
Scháumte mit brausendem Hall, der unendliche — —
pflanzen, die im Sinne der Bibel ihnen oft diese Er-
kenntnifs zueignen.
21
— Uralte physicalische Ueberlieferungen 26), die Home-
rus nach seiner Weise mit sinnlichen , menschlichen Mo-
tiven unterstützt, als ein zweiter kunstreicher Hephästus
in seine Trojanische Kriegsgeschichte verwebt hat, mit
Weglassung alles dessen, was dem Schônen widerstrebt,
und mehr zu denken giebt, als zu spielen. Zum Glück
wissen wir hier so ziemlich was Homerus weggelassen.
Vorerst die ganze Geschichte der Rückkehr in.den Olym-
pus, mit allen wunderlichen Umständen. Um dieses
Wunderliche ist es uns aber hier gerade zu thun, denn
darunter liegt, das wissen wir schon, der Vollgehalt
alter Lehre. Hephästus — so lautet die sonderbare
Geschichte beim Pausanias (Attica cap. 20. $. 2.) —
Hephästus war nicht sobald geboren, als ihn die Here
aus dem Himmel warf. Das gedachte erihr, und schickte
26) Hierher gehören mehrere andere Mythen , worin Hephä-
stus eine Hauptperson ist, z. B. die Geburt des Attischen
Adam Erechtheus aus dem von der Athene verscharrten
Saamen des Hephästus (s. oben II. Th. p. 652 f.). Auch
der von Homerus (Iliad. XXI. 342 f£) berührte Kampf
des Hephistus mit dem Flusse Xanthus. In dieser Stelle
erkannten einsichtsvolle Schriftsteller der Alten physica>
lische Lehren der Vorwelt (s. die Anführungen von Heyne
zu dieser St. p. 180.). Philostratus ( Heroic. pag. 100 ed.
Boisson.) bemerkt hierbei: ,,Homerus habe hierin auf
Orphische Weise philosophirt. Nicht Homerus
hat philosophirt, wenn man dergleichen tiberhaupt
Philosophiren nennen will, sondern er hat mit dichteri-
scher Freiheit in den Plan seines Heldengesangs spielend
eingewebt , was priesterliche Sánger vor ihm aus orienta«
lischen Quellen geschópft und getreuer dem orientalischen
Geiste vorgetragen hatten. — Man vergleiche hierüber
meine Homerischen Briefe p. 29. nebst den Einwendungen
Hermanns p. 79 ff. , der die angeführte Homerische Stelle
für neuer und aus der Stelle eines älteren Dichters (XX.
56 ff.) weiter ausgeführt hält (2).
III.
AC
26
ihr daher einen güldenen Sessel mit verborgenen Fes.
seln. Haum hatte sie sich hineingesetzt, so ward sie im
Fesselstuhle festgehalten und an kein Wiederaufstehen
war zu denken. Hephästus allein konnte helfen. Allein
so viele der Gótter zu ibm kamen, er wollte keinen hó.
ren. Dionysus aber (denn auf diesen hatte er das meiste
Vertrauen) machte ihn trunken und führte ihn zum Him:
mel zurüch ?7. — Wie er ihn zurückgeführt, werden
wir im Verfolg erfahren. Vorerst ein Wort von dem
vertraulichen Verhältnifs des Dionysus und Hephästus,
Davon finden wir mehrere Anzeigen. Einst hatte ja
Dionysus den Hephästus auf der Insel Naxos gastfreund.
lich aufgenommen , und war von diesem dafür mit einem
Becher beschenkt worden -5. Das war derselbe Becher,
den nachher der vor Lycurgus fliehende Dionysus im
Meeresgrunde der Thetis schenkte. Nachher wurde
ihres Sohnes Achilles Asche darin beigesetzt 29). Das
war also ein Meerbecher von der Hand des Feuer-
gottes gearbeitet. Daís wir in diesem Xenion, so wie
in der gastfreundlichen Aufnahme in dem Bacchushause
zu Naxos, eine Befreundung des Feuergottes mit
dem feuchten und feurigen Dionysus haben , hann nicht
bezweifelt werden. Dafür spricht dort in einem Atheni.
schen Tempel jene Malerei mit derselben Zurückfüh-
rungsscene (Pausan. a. a. O.). Dafür spricht noch mehr
folgender Hergang an einem Athenischen Feste. An den
Apaturien, die dem Bacchus Melararyts nebst dem Zeus
gewidmet waren, trugen die Athener in festlichen Klei-
27) S. unsere Tafel V. nr. 5. nebst der Erklärung p.32. vergl.
oben II. 'T'h. p. 572. Not.
28) Nonnus Dionys. XIX. pag. 516. Scholiast. ad Iliad.
XXILI. 92.
29) Scholiast. ad Iliad. VI. 130. XXIII. 92,
102
403
dern brennende Fackeln und besangen den Hephästus,
zum Andenken des von ihm verliehenen Feuers :0, Man
bemerhe hier die Verherrlichung der drei Gótter, die
wir oben in khosmischer Verbindung sahen, Zeus, He-
phástus und Dionysus, und besonders die Verherrlichung
des Feuergottes. — Dieser lF'euergott ist lahm (also
einer der hinkenden Sonnengütiter, die wir schon lange
kennen). . Von einem lahmen Dionysus wufste man auch,
wenigstens von einem hinhénden Zeus, während er den
Dionysus in seiner Hüfte trug. Ein Feuergott im Mee-
resgrunde ist Bacchus, wie Vulcanus. Dieser arbeitet
mitten in den Fluihen des Ocean, und Dionysus fillt mit
dem Blitz 1m Feuer vom Himmel, und wird aus dem
Meere heraufgeholt. Also lauter physische, reale Ver-
wandtschaften zwischen diesen beiden Göttern. — So
begreifen wir das Vertrauen, das Hephástus vor allen
Andern auf den Dionysus allein setzte. Wozu wurde
dieses Vertrauen benutzt? Um den Nothstand der Here
zu endigen, die im Fesselstuhle safs. Das war ohne
Zweifel einer der Góttersitze innerhalb der Welt,
die Hephástus gebildet hatte. Also wieder erkennen wir
darin den kosmischen Künstler, den verbindenden
und befestigenden Demiurgen. In diesem Sinne mochte
wohl Eine Ansicht auch diese Geschichte nehmen. Wir
wollen aber Lemnos nicht aus den Augen lassen mit
seinen Meergrotten und Vulcanen. Das Hunst-
werh war eine Frucht des Haders zwischen Mutter und
Sohn. Aus Rache hielt Hephistus die Here im Sessel
gefangen. Da that ein .Versühner noth. Der war allein
Dionysus (vi» "Hpa» uóvog 9eóv «à vici QujAXoBe; Arie
stid. in Bacch. pag. 29.). Hein anderer konnte es seyn.
80) Ister beim Harpocration in Aayrds ; s. Istri Fragmm. ed.
' Siebelis p. 60.
404
VVie versóhnte er Sohn und Mutter ? Durch den Bausch,
Im feurigen Nafs des VVcines ist Here (die VVasserluft
der Atmospháre) und Hephistus (der Feuergeist) ver.
bunden und vermittelt. In diesem Sinne hatte sich ge.
wifs der Rhetor Aristides (a. a. O.) das Rithsel aufge.
lóst.. «Ein Ráthsel (atviyua), sagt er, liegt in diesem
Mythus, das ist hlar. Aber es ist auch klar, wo es hin.
aus will. Er zeigt uns die Macht des Gottes; auf einem
Esel führt er den Hephästus wider seinen Willen in den
Himmel Selbst Esel vermag er also zu beflügeln, nicht
Pferde blos». — Man sieht, dafs in dieser Ansicht Dio.
nysus hauptsächlich. als Weingott aufgefafst ist, und
wirklich mochte die Profanfabel, die von Naxos her jene
Gastfreundschaft der beiden Götter kannte, die ganze
Geschichte so nehmen.. Auch hat diese Deutung. ihre
Wahrheit , aber sie fafst nicht den ganzen Sinn dieser
Dichtungen. Wir wollen daher eingedenk bleiben der
Cabirenlehre und des lahmen Hephästus und der neun
Jahre, die er im Meeresgrunde arbeitend zubringt. —
Also Erdperioden, tellurische Begebenheiten und Tra.
ditionen, diese liegen in der mührchenhaften Hülle ver-
borgen.
Diese Hülle hilft uns der Physiolog Empedocles zer.
reissen. Thm ist Zeus der Aether und das Wallen, das
Sieden; Here die Leben bringende Luft; Hephistus
Feuer, Flamme und Sonne; Aidoneus die Erde; und
das Wasser nennt er den Ergufs und Regen 39. In
seinem Systeme, wie im Herakliteischen , hat Hephästus
unter den Elementen das Uebergewicht %), und
noch haben wir Verse von ihm, worin sich die Erde
31) 918g; ; Plutarch. de placit. I. 3. fin. Euseb. Praep. Ev,
XIV. 4. Simplic. ad Aristotel. Phys. I. p. 7. b.
32) Aristoteles de generat. et corrupt. Il. cap. 3. Metaphys,
I. cap. 4. Pseudo- Origenis Philosoph. cap. 3.
405
elementarisch mit dem Hephästus (dem Feuer), mit dem
Wasser (0uBge) und mit dem strahlenden Aether gattet
und mischt, wáührend die Aphrodite, die Cypris (die
Freundschaft), iiber Alles waltet 33). An die Em-
pedocleische Freundschaft und Feindschaft habe
ich schon oben in der Cabirenlehre erinnern müssen (II.
Th. pag. 324.), und auf diesem Gebiete befinden wir uns
hier wieder. Auch hier haben wir einen Hader und,
eine Versöhnung, und Hephästus hat in der Odyssee,
wie wir wissen, die Aphrodite zur Frau. In der Ilias
beifst sie Charis. Alsoimmer eine Einigung, eine Freund-
schaft innerhalb der Welt , und selbst in der Unterwelt,
wohin ja Charis nach dem Obigen so gut gehört, wie
Charon. In die Welt sind auch die Stühle gesetzt,
die Hephástus den Góttern bereitet (oben Proclus in Pla.
tonis Theolog. VI. 22.). Dort war auch Here tüchisch
gefangen. Jezt endlich lôset sie Dionysus. Er ist es al-
lein, der befreien hann. Er ist der freundliche, der
sünftigende Geist, der loslassende Chalis (xó24c), der
als wohlwollender Dümon sonst auf dem Esel reitet:
Bacchus-Silénus. Hier, indieser Fabel, bringt er den
Lósegeist (der gefesselt hatte) auf dem Esel. Also wieder
ein Esel, der Heil und Rettung bringt. So rettet auch
dort der Silenusesel das Centralfener oder die Weltseele
(Vesta), als ihr Gewalt geschehen sollte; so erschien
auch ein andermal in der Gigantenschlacht Hephästus
mit Dionysus auf dém rettenden Esel (s. oben III. Th.
p. 211.). Diesmal wird, Empedocleisch zu reden, die
gebundene Luft gerettet und gelóset. In der Giganto-
machie war der ganze Olympus in Noth; jezt war unter
den Olympiern die Eine Here (die atmosphirische Luft)
gebunden. Dionysus, der himmlische sowohl als der
33) S. Empedoclis Fragmm. p. 522. 598 ed. Sturz.
406
tellurische, brachte den Binder und Lóser, der ebenfalls
Feuergott war in jedem Sinne, als Sonne und als Erd-
feuer. So Empedocles. — Im Gewitterregen, wie im
feurigen Nafs des WVeines, ist Bacchus der Vermittler
und Lóser; auch in dem warm aufwallenden Dampfe der
warmen Quellen. Das sind die Kessel (s. oben II. Th,
p.407.) , und übers W asser war ja Dionysus trocken
auf einem Esel geritten. eben zu dem Hesselorakel des
Zeus nach Dodona hin (s. oben III. Th. p. 210.). Jez
ist nun auch das Gefäfs, der ausgegossene Becher
in der Hand des den Hephästus zurückführenden Dio-
nysus das Zeichen des a'ufwallenden sie denden Erdschwalls,
und des in den Trauben sich ergiefsenden feurigen Nafs,
Den Becher werden wir gerade bei dieser Gele-
genheit unten im Bilde sehen und einmal sogar bestimmt
als den ausgegossenen Becher.
Sonach glaube ich diese mythische Ideenreihe weit
genug verfolgt zu haben , um mit derjenigen Wahrschein-
lichkeit, die in dem Helldunkel der Fabelwelt môglich
ist, folgende Sitze als Resultat hier niederzulegen : dafs
wir erstens in diesen Mythen einige kosmogonische Leh-
ren haben, worin Dionysus als Ausllufs oberer Potenzen
und als letzter in der Reihe nun auch wieder cyclisch
zu den ersten zurückkehrt und das Letzte mit dem
Ersten verbindet; sodann aber besonders, dafs wir
hierin die alte physische Geschichte von Lemnos haben,
Nach der Grundansicht des Alterthums wirht das Him-
melsfeuer, die Sonne, auch als Erdfeuer in der Tiefe,
und die Planeten sind auch in den Metallen und Erdkräf-
ten máchtig. So mufste also auch das tellurische Feuer
der Lemnischen Vulcane aus dem Himmel kommen (He-
phástus füllt aus dem Himmel herab). Als Erdfeuer im
Abgrunde des Meeres und der Gebirge hilt er die atmo-
sphirische Luft (die Here) gefesselt (das ist der Fessel-
stuhl, in welchem Here seufzet). Dieser Hephästus
497
bindet und ist selbst gebunden. Auch darum heifst er
lahm, und darum bedarf es des Hausches und der Ue-
berredung, um ihn frei zu machen. Er gehet wider-
strebend (dxov; Aristides a. a. O.). Endlich wird
Hephästus willfährig, und Here befreit, d.h. in war-
men und fenchten Dämpfen, in heifsen Erdquellen, .im
lodernden Feuer der Vulcane wird die gebundene Luft
entwickelt, und Dionysus der Herr der warmen Feuch-
tigkeit ist der Befreier. Wie sehr dies nun Alles auch
auf den Weingott Anwendung leidet, haben wir zum
öfteren gesehen. Dafs auch die Bildnerei diesen seltsa-
men Mythus aufbewahrt hat, werden wir unten im Ab-
schnitt von dieser mysteriösen Symbolik bemerken.
$. 2.
Pneumatologie und Anthropologie, oder von
den Genien im Geheimdienst, besonders
von den Bacchischen.
Dionysus als Führer des lahmen und aus dem Him-
mel geworfenen Hephästus und als Befreier der Here
aus dem Fesselstuhle hatte, wie bemerkt, das Amt des
vermittelnden Ministranten. Er wird von grofsen Güt-
tern abgesendet und führt den grofsen Axiuri - Hephä-
stus zurück. Er selbst also in der Eigenschaft des Cha-
lis (Silenus) ist hierbei Camillus und Dámon. Er là-
set, mischet und gleichet aus. Ganz bestimmt in Betreff
der begeisternden Erdkräfte bei den Orakeln werden
die Dämonen Vorsteher, Aufseher und Wächter genannt,
um, was die grüfseren Gótter, Sonne und Erde, an Be-
geisterung wirken und hervorbringen, heilsam zu leiten
und zu führen 3^. Wenn wir nun im Bacchus, der die
34) Plutarch. de Oracul. defect, pag. 436. F sq. pag. 783 sq.
W yttenb.
408
Here mit dem Hephiüstus versóhnt, auch so einen Ver.
mittler tellurischer und atmosphürischer Grundkräfte
erkannten, so sehen wir, wie dies mit seiner Eigenschaft
des orakelgebenden Gottes, des eingeistigenden und
begeisternden Genius zusammenhängt; mithin ist
dieser lôsende und die Erdkräfte zum Himmel zurück.
führende Dionysus wieder zugleich der Schutzgott der
Musiker und Poeten. VVie er die Gäütterkräfte entfes.
selt, so entfesselt er die Phantasie der Dichter; die Dra.
matiker besonders sind des Dionysus Hünstler (Aiovv.
otaxol veyvvvo4). Darum werden wir unten auch in der
Uebersicbt hierher gehóriger Bildwerke die K o mó die
mit dem Musiker Marsyas, angeführt von Dionysus,
den Hephästus zurückführen sehen 35).
Aber auch die Seelen insgesammt führet Dionysus
zum Himmel zurück. Diese Leitungen zur Hei.
matb waren der wesentlichste "heil der Mysterien,
Das war jene Vervollkommnungsanstalt, jene Heilsord.
nung («veÀeovwi). Nun heifst aber Dionysus ganz be.
stimmt Aufseher der Telestik, nun wird von ihm beson-
ders gerühmt, dafs er die Seele zur Vollkommenheit
führe 36. So kannte man ihn schon im ülteren Griechen.
land. Unter andern hatte er bei Tegea in Arcadien
35) Dionysus ist daher Schutzgott der Dichter (s. Chr. G,
Schwarz Miscell. polit. human. p. 91.) , und darum wett-
eifern auch nur an seinen Festen die Dichter mit ihren
Schópfungen. Es gab sogar im Alterthum eigene Werke,
geschrieben über die Sieger in den Dionysien, wie z. B,
von Aristoteles unter dem 'Titel Níwa: Awvvciavaí; s. Jens
sius de scriptorr. hist, philos. I. 16. 3. und den dort ans
geführten DiogenesLaertius. Ingleichen Dicáarchus hatte
geschrieben Tsçi rüv Arovuciaudiy d'yaivæy ; s. Jensius a. a. O,
und Scholia Aristophan. Aves 1403. vergl. mit Sturz zum
Hellanicus p. 86.
36) Hermias in Platon. Phaedr. p. 107 sq. p. 165.
409
neben einem Haine der Ceres einen Tempel unter dem
Namen Dionysus der Weihende 3). Den alten Ceres-
dienst der Arcadier kennen wir schon, wie den der Ce-
res. Cabiria. Vielleicht stand hier Dionysus gerade in
demselben Verhàültnifs zar Arcadischen Ceres, wie der
Dionysus- Hermes als Camillus oder Ministrant zu deu
grofsen Cabirischen Mächten , d.h. so dafs er zu ihren
Geheimnisscn einweihete und darin beschüftigt war. Als-
dann war er also wieder ein Wanderer auf und ab , zwi-
schen Himmel und Erde ( wie Hermes hiefs), und ein
Führer des Niederen zum Hóheren, wie wir ihn zu-
nüchst nennen hórten. Gleich im voraus wollen wir
dies bemerken und dadurch eine andere Bemerkung vor-
bereiten, dafs ihm in solcher Verwandtschaft mit
Hermes auch wohl das Flügelattribut nicht ganz
fremd gewesen seyn könne. In dem Eleusinischen Bac-
chus (Jacchus) haben wir ganz unzweideutig und aus
den klaren VVorten:. des Strabo (X. p. 168 Tzsch.) den
Anordner der Mysterien und den Dümon (Genius) der
Demeter gesehen.
In seinen eigenen Mysterien ward aber Diony-
sus selbst als Demiurg, als Herr der Natur, so wie
als Schöpfer der Seelen und Lenker ihres
Schicksals vorgestellt. Dasselbe gilt von der Kore -
Libera, als der Theilnehmerin seiner Würde. Daher
mufsten beide hier ihre Untergeister, ihre Genien
und dienstbaren Ministranten haben. In dieser Umge-
bung werden wir sie auch bald erblicken. Doch ehe wir
fragen, wer diese Bacchischen Genien waren, und
37) Awvw/cco Mdcrou; Pausan. Arcad. cap. 54. 4. Nach Pto-
lemáus Hephüstion bei Photius (Histor. poet.scriptt. p. 311
ed. Gale) soll Dionysus vom Chiron, dessen Liebling er
war, die Weihen (ze)erds), so wie jenen ganzen festlichen
Taume! gelernt haben.
410
was sie zum Dienste der Menschen in den Mysterien wirk.
ten, werfen wir einen. kurzen Blick auf ihre eigene my.
sterióse Geschichte. Diese war vielleicht Inhalt von jenem
Orphischen Gedicht gewesen, welches unter dem Namen
KatdBacrs eis &dov angeführt wird. - Es hatte die Be.
schreibung von der Unterwelt und von den Belohnungen
und Bestrafungen enthalten , die die Seele dort erwarte.
ten (Diodor. L 9». 96.). In den Mysterien aber war das
Wohl und Weh der Dämonen vorgestellt. Diejenigen, die,
wie die Menschen, thierischen Leidenschaften und Trieben
unterworfen gewesen, und dadurch elend geworden —
solche sah man dort in ihren Leiden und Verirrungen, in
ihrem ganzen Mifsgeschick vor Augen gestellt 35), Hin.
wieder sah man auch das Leben derer dargestellt, die,
wenn gleich in sterbliche Leiber herabgekommen, doch
durch edlere Bestrebungen ihre höhere Abkunft beur-
kundet hatten. Diesen Stand der Erhóhung und der Er-
niedrigung guter Genien gaben die Mysterien den Initiirten
sinnlich zu erkennen, zu ihrer eigenen Ermunterung
und Erhebung. Von. diesem Standpunkte betrachteten
Einige die Mythen von dem Leiden und Tode des Osiris
und Dionysus, so wie von der Trauer der Isis und Ce-
res 5^. Diese sahen darin bildliche Einkleidungen der
Geheimlehre, wührend Euhemerus und seine Anhänger
nur eben die frühere Culturgeschichte der Menschheit
und der um sie verdienten Menschen sehen wollten;
eine Ansicht, der, wie schon oben bemerkt, Plutarchus
und alle frómmeren und tieferen Denker sich entgegen-
setzten. 10), Wir lassen bei dieser Gelegenheit nicht
aufser Acht, dafs es im Alterthume Mysterien gab, worin
38) Plutarch. de Oracul. defect. p. 417. B. p. 707 Wyttenb.
39) Plutarch. de Isid. p. 360 sq. p. 475 sqq. Wyttenb.
40) S. oben I. T'h. p. 205. und II. p. 540 ff.
411
Ceres und Dionysus selber im Stande der Erniedrigung
und der Erhöhung‘ vorgestellt waren. Dafs dies nun
auch in der Bacchischen Geheimlehre der Fall war, geht
aus Allem hervor, was wir oben über die Curetischen
und Lernäischen Weihen, wie über die Lenäen zu Athen
gesagt haben. Hier war gewifs das Leben des Dionysus
hauptsächlich ständiges Vorbild der Heilsordnung. Wie
er von Zeus aus dem Himmel ausgegangen, und dahin
zurückkehrte, so sollte nachahmend die Seele jedes Ein-
geweiheten dahin zurückzukehren suchen, woher sie ge-
kommen. In so weit war Bacchus der Führer zur Voll-
endung und der Vorsteher der Mysterien. Dort war er
der Pädagog aller Seelen, wie Seneca (Epist. 110.)
den jedem Menschen beigegebenen Genius dessen Püda-
gogen nennt; und es gilt in gewissem Betracht vom Dio-
nysus, was Plato vom vermittelnden und die Weihungen
leitenden Eros sagt (s. oben III. Th. p. 66 £). In ge-
wissem Betracht, sage ich; denn vergessen wir nicht
was wir ebendaselbst gelernt haben: «Gott verkehret
nicht mit den Menschen». In den Bacchusmysterien ist
aber dieser Zagreus, Jacchus, Sabazius, Liber u. s. w.
mit seiner Persephone, Kiore, Libera selbst ein hoher
Gott, ist neben Zeus und in Zeus, schleudert die Blitze,
wirket die Schöpfung; ja er ist, nach Einer Ansicht,
Zeus selber, und Libera ist Here. Mithin bedarf es,
Platonisch zu reden, in die Mitte und zur Ergän-
zung zwischen ihm und den Menschen anderer Genien
als Mystagogen des Lebens (s. oben a. a. O.) oder, was
einerlei ist, als Pädagogen.
Wer sind diese? Fragen wir lieber: wer kôn-
nen sie seyn? Das beantwortet sich gedoppelt: aus
dem Geiste der ganzen Dämonologie, und aus dem Zwecke
der Mysterien. Diese sind, wie wir hürten, nichts an-
ders als eine Heilsordnung, eine Pädagogik zum hôheren
Leben, oder, waseinerleiist, eine Mystagogie und V er-
412
mittelung. Wer kann vermitteln? Wer in der Mitte
steht, wer zwischen zwei verschiedenen Wesenarten da
bindende Mittelglied oder die E rgänzung bildet, d.h,
wer an den beiderseitigen Naturen einen solchen Antheil
hat, dafs Beides in ihm sich berühret. Mithin werden
jene Dämonen es seyn, die an den Hegungen und Leiden
der Menschen einerseits, andererseits aber an den Eigen.
schaften und an den Hrüften des Gottes ihren Theil haben,
Folglich werden wirdieBacchischenGenieninjenem
Kreise von Begleitern und Begleiterinnen zu suchen ha.
ben, welche die verschiedenen Eigenschaften und Stim.
mungen dieses Gottes gleichsam als divergirende Radien
seines Grundwesens in sich aufgenommen haben, und als
erborgte Strahlen wieder zurüchwerfen. An niemand
anders dürfen wir folglich zunächst denken , als an jene
Bacchischen Begleiter, die dem streitenden und
strebenden Gott im Leben lieb waren. Diese werden
nun auch nach ihrem Tode dem verherrlichten und himm.
lischen Dionysus zur Seite stehen. Also jener Silenus
zuvörderst, welcher ja ausdrücklich des Dionysus Dämen
heifst, der als Chalis- Acratus so recht der werdende
Bacchus ist, der also einen Hauptstrahl seines Wesens
aufgenommen hat, und auch selber Pädagog des Bacchus
heifst; sodann jener Maron, sein Wagenführer auf Er,
den , jener zarte Ampelus, jene Methe, jene Nysa und
andere Nymphen, und so der ganze Kreis des Dionysi-
schen Gefolges. Hier müssen wir auch besonders jener
Telete (Televi) gedenken oder der personificirten
Weihe selber. Wie nahe sie dem Gotte stand , zeigt
ihre Genealogie. Sie ist seine leibliche Tochter von der
Nicüa. Sie ist die Tänzerin in der Nacht, sie freut sich
bestündig des Festes und ergôtzt sich am Tone der Cro-
talen und Handpauken; auch heifst sie des Dionysus
Dienerin (Nonni Dionys. XVI. fin, XLVIII. pag. 13oo.).
Hieraus kónnen wir einigermafsen eine Nachricht des
415
Pausanias vervollständigen. Dieser erzählt uns von einer
Bildsäule des Orpheus auf dem Helicon, neben welcher
die Telete stand (Boeotic. cap. 3o. $. 3), ohne von ihrer
Gestalt etwas Näheres zu sagen. Wie sie aber dort auch
vorgestellt seyn mochte, genug, sie stand neben dem Bac-
chuspropheten und Mysterienlehrer, neben dem T heo-
logen der Griechischen Vorzeit.
Dies führt uns zu der Frage: wie waren die Genien
des Dionysus in mysteriösen Darstellungen gebildet?
Hierbei gehen wir von unserm obigen Resultate aus:
Es waren dieselben, die in ihrem Leben dem Gott auf
Erden lieb gewesen, folglich werden sie auch im Ge-
heimdienst in der Regel ihre gewohnte Gestalt beibehal-
ten. In ihnen mufste sich ja fort und fort das Wesen
ihres Gottes wie in einzelnen Bildern abspiegeln. In
ihnen mufste sich fernerfort der Grundstrahl in den ver-
schiedensten Punkten brechen.
: Aber der Hauptstrahl stellte selbst sich sehr ver-
schieden, dar. Bacchus war ja der aiokopop®og, d.i.
der buntgestaltete 47). ,Er ward ja in jedem Alter,
vom Hinde bis zum reifen bürtigen Manne, ja bis zum
Greise gebildet, Er war, wie wir oben (III. Th. p. 186.)
aus Philochorus gelernt haben, auch weiblich. gebildet,
ja er war Mannweib (&ootvóSqAvc) selber 4?) An das
41) Ein Beiwort, das besonders die Orphiker dem Bacchus
gaben; s. z. B. Orphic. Hymn, L. (49.) vs. . Von dem
verwandten Beiworte a/oAopírgx6 oder alo)opiTprs,
d.i. der mit dem bunten Gurte oder der mit dem
bunten Kopfputze, habe ich die Hauptstellen in
den Meletemm., I. p. 21. Not. 17. gegeben: Iliad. V. 707.
und dort Heyne ; T'heocrit, Idyll. XVII. 19.
42) Dahin gehórt auch der Name yu vig, den Nicetas unter
den Epitheten des Bacchus aufzihlt, in den Meletemm.
I. p. 21. wo ich an den Thomas Mag. pag. 63. und Hesy-
414
Alles müssen wir denken, wenn wir die Bacchischen Ge.
nien im mysteriósen Dienste nicht einseitig auffassen
wollen. Also auch sie, seine Begleiter und Begleiterin.
nen auf Erden, müssen einJedes, wle der Herr, in ver.
schiedenen Gestalten erscheinen. Die Mysterien aber
liebten das Alterthümliche, das Prágnante, d. h. das,
was recht symbolischen Vollgehalt hat, und Vieles zy
denken giebt. Daher wird diese mystische Bildnerei, dies
lifst sich im voraus vermuthen, die àlteren mehr oder
weniger‘ orientalischen Vorstellungen ‚gewählt haben,
Dazu gehörte unter andern die häufige Beflügelung
der Gottheiten. Es ist gar nicht meine Absicht , hierbei
in diese ganze Untersuchung einzugehen. Nach den vie.
len Worten, die hierüber schon gewechselt sind, könnte
jezt auch das Kürzeste den Leser ermüden. Ich habe es
hier mit dem Thiasus des Vater Liber zu thun. Dessen
Anführer, der Dionysus selbst, hatte Flügel. Zu Amy.
clà in Laconien verehrte man ihn als Aiórvoog diAag
Dieses Psilas leitete man aber aus dem Dorischen her,
von ika, die Flügel (Pausan. Lacon, 19. $. 6.). Man
chius I. pag. 867. verwiesen, und aüs dem ungedruckten
Nonnus zu den Reden des Gregorius Nazianz. eine be-
achtungswerthe Stelle angeführt habe. Zeus nämlich,
sagt Nonnus, habe das im Schoofse der Semele verbor-
gene Embryo genommen, und in seine Hüfte eingenáht,
bis die Zeit der neun Mouden erfiillet worden. Dies aber
war Dionysus , setzt er hinzu, — drsAé dv wixua; daher
heifster &väpdyvvos, weil er bald weibisch , bald mánn-
lich ist — s «orb pé) nyovauxaQópssvov , morà 08 dvOgaQpesvoy,
Auch bei der EÉudocia findet sich ein Artikel, nicht blos
über den Dionysus überhaupt (Violar. p. 218.), sondern
auch insbesondere ,,Tsjl 700 cÓv Aióvvcov sivat dv.
9eóyvvov (ebendas. p. 1419.). Ueber beide Stellen aber
mufís. man jezt nachsehen: Meinecke in der Biblioth. der
alten Liter. und Kunst II. ó. p. 40 inedit.
415
übersehe den Ort dieses geflügelten Bacchus nicht. Es
ist Amyclä, wo man auch den uralten Apollo hatte und,
wie in Laconien überhaupt, die ältesten Vorstellungen
religiöser Gegenstände liebte 4%). Ganz gewils hat aber
der Berichterstatter den Begriff des geflügelten Amy-
cláers zu eng genommen, wean er dabei blos von dem
Schwunge redet, den der VVein den Gedanken giebt 4^).
Das Alterthum nahm dergleichen Bilder mehr aus dem
tiefen Grunde des allgemeinen Elementendienstes
auf, worin ja ‚das eigentliche. Wesen der Griechischen
Religionen bestand. Davon wollen wir gleich einige Be-
weise geben. In der obigen Zurückführungsgeschichte
des Vulcanus, die nach Allem doch ganz ungezweifelt in
jenen Elementendienst eingreift, lesen wir, Bacchus
habe den Esel, worauf Hephästus ritt, beflügelt (Te
poo»; Aristid. T. I. p. 29.). Der Redner wendet dies zu
der Vorstellung von der grofsen Macht des Gottes, die
fihig sey , nicht blos Pferde, sondern auch Esel zu be-
beflügeln, ja, wie Aleman singe, sogar Lówen zu mel-
hen. Nach der beschränkten Ansicht, womit der Rhetor
jenen Mythus aufgefafst hat, hónnte es leicht seyn , dafs
er einen Zug dieser Sage, die vielleicht wirklich von
einem geflügelten Esel sprach, nur mifsverstanden
hat. Doch da die Bildwerke, wie wir im Verfolg sehen
werden, keinen geflügelten Esel kennen, so lasse ich
43) Die Gytheaten in Laconien, welche den Hercules und
Apollo als die gemeinschaftlichen Gründer ihrer Stadt
nannten , und zwar nach ihrer Versóhnung 'von dem
Streite wegen des Dreifufses , hatten neben die Bildsáulen
dieser beiden Gótter anf dem Markte die des Diony-
sus aufgestellt ( Pausan. III. 21. $. 7.). Und die Mün-
zen dieser Stadt zeigen diesen Bacchus mit einem Kranze
von Weinlaub ; s. Paciaudi Monumm. Pelopp. II. p. 125.
44) Vergl. Heyne Antiquar. Aufsütze I. p. 81.
416
diese Vermuthung dahin gestellt seyn. Die Flügelrosse
aber erinnern uns an den Pegasus, wobei wir die My.
senquelle Hippocrene nicht vergessen, die aus seinem
Hufschlag entsprungen ist. Also auch hier ist Beflüge.
lung im Begriff verbunden mit den begeisternden Ele.
mentarkräften. Bacchus der:Musengenosse, wie wir ihn
längst kennen, mufs natürlich auch an den eingeistigen.
den Erddámpfen aus den Quellen Antheil haben. Er
gehört zu den Dii praesentes, d. h. zu den Gotthei.
ten, die sich dem wohl vorbereiteten Gemüthe immer
wirksam und hülfreich zeigen. Die Wasser bereiten
aber hauptsächlich vor. st doch die Wasserweihe in
den Bacchisehen Instituten ein Haupttheil der Initiation,
Es ist folglich nichts natürlicher, als dafs Dionysus als
ein hoher Mystagog mit Bezug auf hóhere Initiation selbst,
geflügelt erscheine über Quellen und Wassern. Daher
ist mir die Annahme von Lanzi (Vasi p. 118.) sehr wahr.
scheinlich, wenn er, mit Erinnerung an den Jacchus,
als Ministrant der Ceresmysterien, in dem geflügelten
Jüngling über einem Brunnen, wohin Bacchantinnen
sich zu waschen kommen, den Bacchus selbst zu erken.
nen glaubt. Ein geflügelter Bacchus kommt übrigens
auch sonst, z. B. in den Herculanischen Monumenten
'Tom. V. tab. 7. vor. So erklärt man dort die männliche
Figur mit Flügeln und mit dem Epheukranze. '
Was nun die mysterióse Umgebung des Dionysus
betrifft, so könnte man vielleicht hierzu aucti ein Helief
in der Villa Albani vechnen. Es stellt einen geflügelten
Jüngling dar, mit einem kleinen Schwanz am Rücken,
Unter dem rechten Arme hat er den Thyrsus, und den
rechten Fufs, auf den ein junger Pardel tritt, ‘hat er auf.
gehoben; also ganz die Art und Stellung eines Satyr.
Vor ihm steht ein grofser Krater auf einem Postament,
Dahinter ein Vorhang , worüber Aeste und Zweige sicht.
bar werden. Hinter dem Jünglinge sieht man eine Rauch-
417
pfanne. Die Flügel, das Wasser - und Feuergefils und
der Vorhang bilden hier ein Ganzes, das mit den Bac-
chischen Attributen zusammengehalten, auf die Idee
eines Satyrs führen kann, der als Genius bei der Feuer-
und Wasserreinigung ministriren soll. — VVinckelmann
(zu den Monumenti nr. 7.) fand in dièser, wie in einer
ühnlichen Figur auf einer Stoschischen Gemme (s. De-
scription p. 230.) , den jungen Satyr Ampélus. Zodga
hingegen (s. Bàssiril. zu nr. 88.) bezeichnet ihn als sa-
tyresken Cupido. Dies beruht auf einigen allgemei-
nen Sätzen beider Gelehrten, über die ich ein Wort
sagen mufs. Winckelmann, von der Vorstellung aus~
gehend, dafs jeder Gott, wie jeder Mensch, seinen Ge-
nius habe, dachte sich alle diese. Wesen gellügelt. Na-
türlich suchte er nun auch geflügelte Genien des Bac-
chus, und weiset uns deren einen in jenem von ihm so
genánnten Ampelus nach. Zoëga hingegen (Bassiril. I.
p- 30.) wollte nur die Sileni, die Satyri, Panes, Paniscis
die Nymphen und dergl. für Genien des Bacchus gelten
lassen, und von geflügelten Genien Bacchischer Art
nichts wissen. Diese Flügelwesen seyen Eroten.
Ín diesem Sinne nannte er jenen geflügelten Sàtyr eineh
satyresken Cupido, und erklärte die Gruppe (nr. 79. der
Bassiril.), wo Acratus von einem geflügelten Jüngling
unterstützt wird, während eine weibliche Figur ein Tam-
bourin dazu schligt, für Acratus und Eros. Wir
kennen aus der Hauptstelle des Platonischen Gastmahls
(oben HI, Th. p. 66.) den Eros als einen der dámonischen
Ministranten in den Mysterien ; und gewils hat diese ganze
Ansicht von den Eroten viel VVahres, Das hat sie in
gedoppeltem Sinne: Einmal, wenn man an die alte kos-
mogonische Würde des Eros in den Asiatischen Religio
nen denht, àn jenen Eros, der Nacht Sohn, den Ver-
einiger der streitenden Elemente und dergl. und an den
alten Dienst des Eros zu Partum im Pontus und zu Thes-
JE
2]
418
piä in Böotien (s. oben IT. Th. pag. 119 ff. 421. 616. und
ein Mehreres im Verfolg). Sodann aber auch, wenn die
Vorstellungen in Anschlag gebracht werden, die, den
Platonikern zufolge, fortdauernd in der Geheimlehre
herrschend blieben. Hiernach bilden ja die Eroten
eine ganze, eigene Classe von Dämonen (s. oben 11I. Th,
p. 72). Und auch sie, diese Eroten, blieben ja dem
Wasser befreundet, so wohl kosmogonisch in Bezug
auf Weltursprung und auf die Aphrodite Anadyomene, als
auch im Volksglauben, welcher die Elemente und vor
Allem das Wasser vergütterte 45),
Eros waltet nicht blos über das Urelement als de.
miurgische Kraft, sondern er stehet auch Heilquellen
fortdauernd vor. So benannte das Volk zu Gadara in
Syrien zwei warme Quellen, die eine nach dem Eros,
die andere nach dem Anteros, und dachte sich beide
Dàümonen darin leibhaftig einwohnend (Eunapius in vita
Jamblich. p. 26 ed. Stephan.). In diesem allgemeineren
Sinne kann man also auch dem Elementen- und Wasser.
beherrscher Bacchus einen oder mehrere Eroten zu Be-
gleitern in den Initiationen geben. Andererseits sehe
ich aber nichts VWidersinniges darin, von geflügelten
Genien des Bacchus auch sonst und allgemeiner zu
reden; ob ich gleich Winckelmanns Vorstellung nicht in
so weit zu der meinigen machen will, dafs ich mir alle
Genien als geflügelt dächte.
Abgesehen davon, dafs man in der ältesten Kunst
der Griechen die mit dem Begriff der Gottheiten ver.
bundene Idee von Schnelligkeit durch wirkliche Beflüge-
45) Auf unserer Tafel LII. nr. 4. umarmt der bärtige Bac-
chus einen jungen geflügelten Cupido; zuseiner
Seite tanzt eine Bacchantin , das 'Tambourin über den Kopf
schwingend. Vergl. die Erklàrung der Abbildungen p.32.
419
lung vorstellte (wiewohl auf sehr alten Griechischen
Denkmalen die Gottheiten und selbst Hermes mitunter
schon ohm Flügel erscheinen); so ist doch im Kreise
der Genien und Seelen gewi(s immer mit der Beflü-
gelung ein besonderer Gedanke angedeutet, ein Begriff
der körperlichen Geschwindigkeit, der Leichtigkeit und
dergl. Hinwieder sollte die Abwesenheit der Flügel an
VVesen, deren Begriff das Schwebende und Schnelle mit
sich brachte, ein Bleiben und Huhen bezeichnen, Man
denke nur an den Tempel und das Bild der flügel.
losen Nike (des Sieges) zu Athen (Pausanias I. 22;
II. 15. V. 26.), was auf noch vorhandenen Gemmen
sich erhalten hat. Diese Unterscheidung gilt nun von
der ganzen. mysteriösen Seelen - und Geisterlehre. Die
Seele betreffend, so sehen wir unter andern den Hers
mes Psychopompus bald mit einer geflügelten Seele, bald
stellt er ungeflügelte Wesen, vóllig menschlich gebildet,
dem Hades und der Persephone dar 46), Es hat also die
mit Schmetterlingsflügeln versehene Seele immer die
Bedeutung der befreieten, der aus dem Hause dieses
Leibes wandernden, aufstrebenden, sich erhebenden
Seele. Zu diesem Uebergang und Hinaufsteigen sind
aber, wie der Verfolg zeigen wird, die Mysterien wes
sentlich. In den darin veranstalteten Reinigungen und
Weihungen sind nun die Genien die Diener. Sie geben
die reinigenden Elemente, Wasser und Feuer und
Luft, und helfen der Seele zur Läuterung und Erhe-
bung. Folglich werden die Dämonen in diesem Geschäft
auch selber Flügel haben, und in allen den Aemtern;
welche sich auf die eigentlich hóhere Heilsordnung bez
ziehen.
46) Man sehe z. B. das Capitolinische Relief, und vergleiche
damit das Bild auf dem Sarkophag bei Hirt Bilderb, Taf:
VIII: 8. und IX. 4:
4.
Nicht aber blos die Weihungen gehen durch die Dj.
monen , sondern auch alle VVahrsagung (s. oben III. Th,
pag. 66.). Auch hierbei wirkten sie mit, indem.sie die
begeisternden Erdkräfte zweckmäfsig mischten und lei.
teten 47). Auch das war ein Weg nach oben, ein
Erheben der:Seele und ein Freimachen derselben. von
den engen Schranken der Wirklichkeit. Hier war also
wieder jener Bacchische Dämon , jener Löser und Frei.
macher Chalis-Acratus, an seiner Stelle. In ihm
war ja, so zu sagen, die Grundhraft des chthonischen
Dionysus, des Orakelgebers und des Mitbesitzers vom
Delphischen Dreifufs, niedergelegt. Denken wir an die.
sen Chalis-Silenus, wie schicklich erscheint dann nicht
seine Gestalt geflügelt unten am Dresdner Dreifufs.
gestelle oder Candelaberfufse ( Augusteum I. nr. 5 ff,
da unmittelbar darüber der Streit des Apollo und Her.
cules um den Orakeldreifufs selbst abgebildet ist. Ich
bin nämlich wenig geneigt; bei solchen alten und sicht.
bar bedeutsamen Bildern auch selbst in Beiwerken der
spielenden Künstlerphantasie viel einzuräumen , wie man
jezt so häufig thut. Diese Ansicht mag in andern Wer.
hen aus spáterer Zeit und anderer Art gelten. Da kann
oft der gegebene Raum. oder die Liebe zum Schönen
einen geistvollen Künstler bestimmt haben , auch in die.
sem dàümonischen Gebiete Gestalten zu schaffen, welche
mehr seiner Einbildung als der Religion angehôren. Um
beim Vorliegenden stehen zu bleiben, so sieht man zu-
weilen auf Sarkophagen geflügelte Jünglinge oder ganz
kleine Kinder mit verschiedenen Bacchischen Attributen,
Man sehe z. B. den Begräbnifskasten im Museo Pio-Cle-
ment. Tom. V. ar. fo. Hier stimmen wir gern dem ge-
- »
47) Plutarchus de Oraculor. defect. pag. 436. F. sq. pag. 183
Wyttenb.
120
421
lehrten Erklärer bei (p.23.), der hierin ein liebliches
Gebilde sieht, womit die schône Phantasie des geistrei-
chen Künstlers in dem ihm gegebenen engen Raume
spielte 48), Auch verdienen manche andere Bemerkun-
gen des geübten Visconti (ebendas. T. IV. p. 27. 44 sq.)
gewifs alle Aufmerksamkeit. Aber wo sich alter Natur-
dienst so deutlich anhündigt, wie im obigen Dresdner
Denkmal und wie in den meisten Bacchischen Vasen-
malereien, da mufs man bald den Volhslatechismus jenes
Elementendienstes befragen, dem die Griechen huldig-
ten, bald die Dogmatik der Theologen, welche vorzüg-
lich auf die mysteriösen Lehrsätze zu achten pflegten.
Dort, wie gesagt, erkenne ich hiernach einen Bacchi-
schen Orakelministranten, der die Begeisterung aus dem
Abgrunde der Erde und der Gewisser heraufsendet —
einen wahrsagenden Bacchus. Silenus.
Aber der Kreis der Mysterien ist grofs, er nimmt
einen grofsen Theil des ganzen Fabelgebiets in sich auf.
Da giebt es also viele Aemter und Handlungen, die des
Bacchus Begleiter Silenus, die Satyrn und so weiter
übernehmen müssen, ohne dafs immer an jene Lüute-
rung zum Höheren, an jenes Aufschwingen zu denken
wäre. Es giebt ja, wie wir sehen werden, auch einen
Weg abwärts, Daher mag es kommen, dafs Dionysus
und Acratus sich bald auf geflügelte, bald auf ungeflü-
gelte Diener, Satyrn und dergl. stützen. Also in einer
langen Reihe selbst mysteriüser Begriffe, ja in der grüs-
seren Zahl derselben, sind jene Vorstellungen nicht an-
zutreffen , welche Flügel und Flügelwesen nothwendig
machen. Jaselbstam Wasser, an Brunnen u. dergl.
48) Vergl. damit die Bemérkungen Zoéga's in der Zeitschrift
für alte Kunst von Welcker I. 3. p. 420, der diese Genien
oder Knaben zwar einer genauen Beschreibung gewürdigt,
des Künstlers Arbeit aber für schlecht erklärt hat.
422
kann der unbeflügelte Diener u. s. w. seine Bedeutungen
haben, wie wir weiter sehen werden,
Also auch viele weibliche Wesen werden in den
Mysterien flügellos erschienen seyn, ja die meisten. Aber
auch geflügelt eben so wohl wie die männlichen. Dafür
sprechen gleichfalls die Denkmale, besonders die Vasen,
Da sehen; wir geflügelte Mädchen um deni Bacchus her,
oder seine Áttribute tragend und oft vertraulich mit Sa.
tyrn und Silenen scherzend; sieh. z. B. Passeri Tom. II.
tav. 155. Da werden wir wieder an jene nächtliche
Tänzerin Telete erinnert, jene beständige Gefährtin
des Bacchus, die immer und immer Orgien feiert. Als
personificirte VV eihe hatte sie neben dem Crotalon, das
ihr Nonnus (Dionys. XVI. fin.) beilegt, gewifs das Dia.
dem und vermuthlich auch Flügel. Die Nymphen aber,
die Erzieherinnen des Bacchus und die ersten Dienerin.
nen desselben, erscheinen selbst auf Vasen gewöhnlich
ohne Flügel, wie wir oben in bestimmten Beispielen ge.
sehen haben.
Es wäre sehr befremdlich, wenn nicht auch das
Mannweib. in diesem mysteriósen Bilder.
khreise seine Stelle hátte. Ist doch Dionysus in letzter
Quelle ein Indischer Gott, und dem Indier war ja die
Welt cin Mannweib 4%). Der Weltschôpfer, ja die
personificirte VVelt war ja aber jener mysteriöse Diony.
sus. Darum heiíst er gerade in den Orphischen Schrif-
ten so, und zumal als Phanes und Demiurg in der Kos.
mogonie,- wo diese Potenzen auch mehrentheils geflügelt
sind. Auch verband man mit der mannweiblichen Natur
des Dionysus andere physische Vorstellungen , z. B. von
den Bedingungen aller Zeugung, von der vegetabilischen
49) #capos decevosmAus ; Philostrati Vit. Apollon. HI. 34.
425
Natur 50), worüber wir uns oben näher erklärt haben.
Es ist daher gewifs eine richtige Bemerkung, dafs Dio-
nysus selbst auf bildlichen Denkmalen dieses Kreises,
besonders auf Vasen, als gefliigeltes Mannweib
vorkommt 5), — Wie der Gott, so der Diener.
Diese Grundregel haben wir bisher aus vielfiltiger In-
duction bestätigt gefunden. Wie oft haben wir nicht in
Asiatischen und Aegyptischen Religionen die beiden Ge-
schlechter ihre Kleider und Sitten wechseln sehen: da
hatte man also mannweibliche und weibmännliche Hiero-
dulen. Da ich doch jezt darauf zurüchkomme, so trage
ich noch ein kurzes sprechendes Factum dieser Art nach.
An einem gewissen Feste auf der Insel Cos opferten die
Priester dem Hercules, in Frauenkleidern festlich ver-
hüllt; das wurde dann, wie so oft, durch einen neuen
Mythus erklürt: wie Heralles sich einst zu Cos in Wei-
bertracht aus einer grofsen Gefahr gerettet habe (Plus
tarch. Quaest. Graec. p. 3o4.). — Auf jenen Inseln fan-
den wir ja den mannweiblichen und weibmännlichen Dio-
nysus Briséus 52). Dort herum waren auch die Saba-
zien herrschend oder jene üppige Feier des Sonnenmonds-
gottes Sabos - Bacchus. Dieses Mannweib Dionysus
mufíste auch in seinen Mysterien seinen verwandten Ca-
millus haben, und das um so mehr, da ja diese Doppel-
natur auch den Samothracischen Religionen nicht fremd
war, Dort wufste man von einem weiblichen Dios-
curen 55, Folglich war in gewissen Beziehun-
50) S. z. B. Joh. Lydus de menss. p. 126. Euseb. P. E. :II.
p. 110 ed. Colon. vergl. oben III. Th. p. 186.
$1) S. Millin Peint. de Vases antiques I. p. 77. und daselbst
Guattani und Borioni.
52) Oder Bresäus (Beyralos), wie Andere den Namen sehrie«
ben; Siebelis ad Androtionis Fragmm. p. 22. .
53) Epimenides beim Joh. Lydus de menss. p. 65.
424
gen gewifs der eigentliche Diener (Camillus, Ministrant)
des Liber und der Libera ein mannweiblicher Di.
mon, und so auch der ihn festlich repräsentirende
Mensch. Daher, wie wir unten sehen werden, die so
häufige Erscheinung jenes Wesens auf den Bacchischen
Vasen , das in den ausdruchvollsten Formen, neben den
männlichen Geschlechtszeichen, doch das VW eib dar.
stellt , auch weiblichen Haarschmuck ‚und dergl. trigt,
und mehrentheils um die höheren Personen in Dienst.
yerrichtungen oder sonst auch mit Weihwasserkesseln
und dergl. sehr geschäftig erscheint,
$. 3.
Von der Seelen Schicksal und Wanderung.
Hiermit überblicken wir das Schicksal der
Seelen und ihre Wanderungen nach der Lehre
der Mysterien. Dafs dieses Capitel einen wesentlichen
Theil der Attischen Geheimlehre ausmachte, wissen
wir aus bestimmten Versicherungen der Alten, z.B. des
Plato im Pháüdo (p.231: sqq. Heindorf. p. 85 sqq. Wyt-
tenb.). Das gilt insbesondere auch von den Lenäen zu
Athen, wie wir aus den Fróschen des Aristophanes (vs,
154. 321. 390.) sehen, wo der anspielende Dichter die
Initiirten auf herrlichen Auen ihrem Dionysus ein Fest
feiern läfst. Dieser Gott ist Herr der Sinnenwelt und
somit Führer der Seelen in den Körper und aus demsel-
ben. Er ist das Princip alles Besonderen und Einzelnen
in der Welt und zugleich eben dadurch Schöpfer der
einzelnen Seelen. Als solcher ist er Inhaber des zweiten
Kelchs. Im ersten, den der hóhere Demiurgus führt,
ward die allgemeine Seele der Welt gemischt. Der
zweite Kelch heifst der Theilungsbecher. Die aus die-
sem herausgeflossenen Seelen können nun nicht länger
der Individualität entgehen; sie müssen in die
425
Geburt herab (Plotin. Ennead. IV. 9. 4.). Es giebt
aber verschiedene Gründe der Verbindung der Seelen
mit sterblichen Leibern, verschiedene Motive, die sie
in die niederen Sphüren heruntertreiben. Einige Seelen
kommen herab, weil sie noch nicht hienieden waren,
nach dem Willen der Gótter, zur Erhaltung der Welt-
óhonomie. Das sind die frischen oder die Neulings-
Seelen (veovesig); andere werden aufs neue in Körper
herabgesendet zur Büfsung ihrer Vergehungen; andere
endlich geben sich freiwillig der Neigung zum Leibe und
zur Erde hin 54), Diese Neigung ist die Folge des Blickes
in den Spiegel. Das ist derselbe Spiegel, in welchen
Dionysus gesehen , ehe er sich zum Schaffen der einzel-
nen Dinge gewendet. Er hatte darin sein Bild erblickt.
Auch die Seelen láfst er hineinsehen , und auch sie, so-
bald sie darin ihre eigenen Bilder erblickt, wandelt die
Lust an, herab zu steigen, und im einzelnen Daseyn für
sich zu bestehen 55). Im Aegyptischen Systeme war diese
Lust eine Neugierde zu sehen was aufser dem hóch-
sten Kreise, aufser dem Güttersitze sey. Diese Neu-
gierde treibt die Seelen herunter über die Mondssphäre
hinaus in diese niedere Welt (vgl. oben I. Th. p.399 ff.).
Der Nachdenkende wird ohne mein Erinnern sehen, dafs
in diesen und in den zunächst folgenden Bacchischen
Bildern, so wie in dieser Neugierde nach Aegyptischem
Ausdruck , im Grunde jene Indische Idee von dem Affect
des Schaffens nur etwas anders gewendet ist. Diese Lust
und Neugierde im Schópfer und in den Seelen ist eben
jenes erfreuliche Bild, im blofsen Scheine von der Liebe
gewebt und vor das Wesen hingesetzt, jene Welt- und
54) Celsus beim Origenes VIII. pag. 780. vergl. Wyttenbach
ad Plutarch. de S. N. V. p. 113.
55) Plotin. IV. 3. 12, Proclus iu Platon. Tim. p. 163.
426
Seelenmutter, jene täuschende Maja, wie sie in den
Veda’s der Indier heifst 6), Maja (Maia) hiefs aber in
der Priestersprache auch die Proserpina als die Amme
aller einzelnen VVesen 57). In der Lust zum individuel.
Jen Seyn veriassen die Seelen ihr himmlisches Vaterland,
wovon die Alten auf verschiedene Weise und mit verschie.
denen topographischen Bestimmungen reden 38),
46) Vergl. Górres Mythengesch. der Asiat. Welt p. 389 ff,
634 f. und oben i. Th. p. 593.
57) S. Porphyr. de Abstin. IV. 16. p. 352 sq, Rhoer.
$8) Worüber wir von Bóckh zu Plato's Timáus, nach dem
was er in den Heideibb. Jahrbb. der Philologie 1808. I.
p. 112 ff. uad in verschiedenen Abhandlungen vorbereitet
hat, belehrende Erláuterungen erwarten dürfen. Hier
mógen einstweilen einige Andeutungen folgen. Die Pla-
tonischen Schriften sind für uns die Haupturkunde nebst
einigen Nachrichten bei Aristoteles und Andern. Beidie-
sem (de Coelo II. cap.13.) heifst das Urfeuer die Wache
des Zeus (Arès Qua) nach Pythagoreischem Aus-
druck; wie sich denn das Wesentliche dieser Ideen auf
Pythagoreische Dogmen zurückführen láfst. Dahin ges
hört auch ,, das Haus der Gótter, in welchem Hestia al-
lein bleibt‘ (s. oben II. 'T'h. p. 635.). Von hieraus stre-
ben , nach der (a. a. O.) angeführten Stclle des Platoni-
schen Phüdrus, die Seelen aufwürts, und den besten ge-
lingt es alsdann, im überhimmlischen Orte das
wahrhaft Seyende zu schauen. Zur Erläuterung
dieser Dichtung bringt Bóckh (Heidelbb. Jahrbb. a.a. O.)
aus dem '"Timáus, dem Staat und aus dem Phädo Fol-
gendes bei: Die Erde ist hiernaeh rings von der Him-
melsspháre umschlossen, und innerhalb des Gewólbes
irgendwo bei der Erde ist das Haus der Gótter, ebenfalls
umschlossen. Von hieraus steigen nun die Seelen auf die
angegebene Weise aufwärts. Zur Vorstellung dieses
Weges nach oben denke man sich nuu, den Himmel
als eine. áhnliche hohle Kugel, deren Masse von zwei
concentrischen Kugelflächen eingeschlossen ist, bestehend
427
Bei dieser Lust und Neigung zum irdischen Daseyn
trinken die Seelen aus dem Becher des Liber Pater, wel-
ches Gefils in der Zodiacalbahn zwischen dem Krebs
und Löwen steht. Dadurch werden sie berauscht, die
materielle Liebe wächst in ihnen, und das Angedenken
an die höhere Abkunft erblafst mehr und mehr 5%). Dies
ist jene Vergessenheit, die zur Geburt ins Fleisch
antreibt. Die besten Seelen fliehen die Geburt, und
aus acht über einander liegenden Kreisen , deren kleinster
die Mondsbahn ist; welche also die Gränze gegen den
unterlhimmlischen Ort desPlato macht (man vér-
gleiche damit die obige Vorstellung von der aus Neugierde
über die Mondssphäre heraustretenden Seele); deren
grófster hingegen der Kreis der Fixsterne ist, der
stets sich gleich bleibende Kreis des Einen, unangetastet
von dem Wechsel der sieben andern Kreise des
Verschiedenen. Bei dem Wege aufwürts gehen
nun die Seelen aus vom Gótterhause, steigen die ganze
Tiefe des Himmels durch und gelangen so zu dem letzten
Kreise, der der Kreis des Einen und Gleichen und des
Himmels Rücken heifst. Aufserhalb dieser Kugelfläche
ist der überhimmlische Ort: lauter Pythagoreische
Vorstellungen, so wie auch die Platonische Ideenlehre
damit in Verbindung steht. Jas ist also die Lehre von
dem Aufsteigen der Seelen. Hierauf làfst Plato
im Phädrus (pag. 248 sq. pag. 256 sq. Heindorf.) erst den
Fall derselben und ihr Herabkommen auf die
Erde folgen, wobei er der verschiedenen Zeugungen
gedenkt, die die Seele erleidet; wie sie bei der ersten
Zeugung noch in keine thierische Natur eingepflanzt wer-
de , und wie sie zu dem Orte, woher sie gekommen ist,
erst wieder nach zehntausend Jahren zurlickkehre. —
Wir verfolgen nun die Mysterienlehre über dieses
Herabkommen und Zurückkehren der Seelen
weiter.
59) Macrobius in Somn. Scipion. T. 12. vergl. Dionysus I.
“ p.90 sqq. und Praepar. ad Plotin, de puler. p. XXXIV sqq.
428
hüten sich vor dem Feuchten. Sie bleiben in den hohe.
ren Kreisen, und sorgen, dafs ihre Flügel nicht befeuch-
tet und beschwert werden, als wodurch der Sturz in die
Geburt (in der: Körper) erfolgt. In dieser Classification
der Seelen werden danr auch die gefiederten (besseren)
und unbefiederten (schlechteren) Seelen unterschieden 90,
Auch unter den Seelen, die in Leiber herabkommen , ist
ein Unterschied. Die von der edieren Art trinken aus
jenem Dionysusbecher, aus jenem Helche der Verges.
senheit (AZ35), nur so viel, als sie müssen. Diese be-
halten auch noch etwas mehr von jener höheren Erin-
nerung; auch schliefsen sie sich gleich bei ihrem Herun-
tersteigen recht fest an den Genius (daluor) an 5t),
der ihnen zugeordnet ist, blicken auf ihn, und gewöhnen
sich seine Stimme und Winke zu verstehen. Die un-
edleren Seelen trinken mehr. Diese vergessen auch mehr,
und vernehmen die Stimme und Winke ihres Genius
nicht 602) Jene Unterscheidung wird auch astronomisch
nach Spháren bestimmt. Die Platonischen Philosophen
unterschieden Feuergóütter, Luftgótter und Erdgóter.
Eben so schwebten, nach ihnen, einige Seelen in dem
Sonnenkreise, andere im Kreise des Hermes ( Mercu-
rius), andere in dem des Mondes $5. Seelen, in denen
die Lust zur unteren Welt und zur materiellen Existenz
vorherrscht, werden auch bezeichnet durch die Aus-
drücke von dem Verlust des Gefieders (vepoppénow),
von der Neigung (vevous) und durch das Sinken (poms)
60) Platonis Phaedrus p. 1223 Francof. p. 218. 256 sqq. Hein-
dorf. vergl. Plotinus IV. 8. 1.
61) Die Dämonen leiten den Hinabgang (x42o3ec5) der Seelen;
s. Proclus in Platonis Tim, p. 17.
62) Hermias ad Platonis Phaedr. p. 94 ed. Ast.
63) S. Procli Commentar, in Platon. Alcibiad, I.
429
erdwürts 6%). Seelen , heifst es ferner, die zur Geburt
ins Fleisch sich neigen, lieben das Feuchte, und es dünkt
ihnen eine Lust. Daher heifsen sie auch wohl Najaden $5),
In der Stelle des Clemens werden bei diesem Satze Verse
des Orpheus angeführt. Fin Jeder, der mit der Ge-
schichte der Philosophie bekannt ist, wird sich zugleich
hierbei des Heraclitus erinnern. Ob nun dieser Philo-
soph, den man auch einen Orphiker nannte, die Seele
einen trockenen Strahl genannt, oder von trockenen
Seelen überhaupt geredet, oder das reinste, geistigste
Wesen zum Lichte gemacht habe, darüber werde ich
mich an einem andern Orte erklären.
Solchen feuchten Seelen dünkt diese Welt, obwohl
sie finster ist, dennoch schön. An und für sich ist sie
eine Hóhle (oxáAowv); daher auch die Grotte das
passendste Bild dieser niederen, finsteren, feuchten
Sinnenwelt und der in sie herabgestiegenen Seele ist
(Flotinus und Porphyrius a. a. O.). Ist jede Grotte ein
Bild der Sinnenwelt, so ist die Bacchische Grotte das
Bild der Sinnlichkeit und der Sinnenlust. In einer Grotte,
umblühet von der üppigsten Vegetation, war Dionysus
auf Naxos von den Nymphen erzogen worden. (Scholiast.
Apollon. IV. 1131.). In einer ähnlichen feierte er dort
seine Vermihlung mit Ariadne. Neben der Proserpina
sehen wir ihn auf dem Braunschweigischen Gefäfs aus
einer Grotte hervortreten. In einer Hôhle der lieblich-
sten Art, durch deren Oeffnung Bacchus die Semele aus
dem Hades heraufgeholt haben sollte, sah Thespesius
beim Plutarchus die Seelen Abgeschiedener ein üppiges
64) S. die angeführte Stelle aus Plato's Phádrus, vergl. Pro-
clus in Tim. p. 17.
65) Naíós; via; Porphyrius de antr. Nymph. cap. 10 — 12.
' Clemens Alexandr. Strom, VI. p. 746 Potter.
430
f'reudenmahl feiern, wobei sich alle Sinnenreize verei.
nigten, um diesen unterirdischen Ort zu einem Orte der
Vergessenheit zu machen; woran die Lehre ge.
knüpft ward, dafs durch Ueppigkeit der Geist befeuchtet,
und zum Niedrigen herabgezogon werde 69).
Dionysus ist die Sonne auch nach der Mysterienlehre,
Hiermit ward die Vorstellung von der Sonnenbahn und
von der Seelenbahn durch den Thierhreis verbunden,
Liber Pater wandelt in Jahresfrist die doppelte Bahn,
den Weg des Winters und den des Sommers, nach den
südlichen Zeichen und von da zu den nórdlichen zurück,
so wie die Solstitien Weg und Riickweg bestimmen 67),
Dieselbige Bahn ist auch den Seelen vorgezeichnet
zum Hinabsteigen in die Geburt und zur Riickkehr aus
derselben. Mit dem Krebse beginnt die. Wanderung,
So lange die Seele jedoch in diesem Zeichen noch ist,
so lange ist sie auch noch im Kreise der Götter, Erst
mit dem Löwen verläfst,sie das Göttliche, und fängt an
dem Irdischen zu nahen, bis sie alle Zeichen hindurch
gegangen und zum Steinbock gelangt ist. Im Wasser-
mann , als dem Zeichen, das dem Löwen und dem Erden-
leben entgegen steht, ist sie dann auch der leiblichen
Existenz am meisten entfremdet. Vom Steinbock aus
beginnt sie ihre Rückkehr zu den Göttern. Es sind da-
her den Seelen zwei Thore (7%\oı) aufgethan, durch
welche sie ein- und ausgéhen: das Menschenthor, wel-
ches im Zeichen des Krebses ist, und die Gôtterpforte
oder das südliche Thor (rétiat thai), im Zeichen des
Steinbochs. Das eine berührt die Milchstrafse, die der
Tisch der Gôtter heilfst, von der einen Seite, das andere
Thor von der andern. Mithin berühren auch die Seelen
66) Plutarchus de S. N. V. p. 97 ed. Wyttenb.
67) Macrob. Sat. I. 18. Joh. Lydus de menss. p. 81— 83.
431
bei ihrem Hinabgang und Rückwege jedesmal jene Strafse
oder den Güttertisch 69. Zwei Hunde bewahren auch
die beiden tropischen Kreise, den des Krebses und den
des Steinbocks , und jene beiden Pforten. Sie hüten den
Eingang zu den südlichen und zu den nördlichen Zei-
chen $5?) Angelangt in diesem Leben, sind die Seelen
nun im bunten Reiche des Dionysus. Er lifst es ibnen
an nichts fehlen, er der Herr des Thierreichs und der
Pflanzenwelt. Es ist ja der Odem, der durch die irdi-
sche Natur wehet ; er ist, so lehrten die Orphiher, der
Geist der materiellen Schópfung ( Macrobius a. a. O.).
Daher die feuchten Seelen gerne verweilen in die-
ser sinnlichen, bunten, formenreichen Welt, wie in
einer reich verzierten Grotte, die in tausendfarbigem
Gestein das volle Leben zurückspiegelt. Drunten sitzt
auch die Mutter (uaïa) aller aus Saamen erzeugten Ge-
burt, und webet kunstreich viele Gewänder, womit sie
die Seelen umgiebt. Proserpina ist diese Weberin.
So hatte Orpheus von ihr gesungen, und das Hleid von
ihrer Hand ist dieser materielle Leib 70), Je mehr nun
68) Macrob. Somn. Scip. I. 12. Porphyr. de antro Nymph.
cap. 6. 22 sq. und daselbst die Ausleger.
69) Clemens Alexandr. Strom. V. cap. 7. p. 671 Potter. der
diesen Satz eine Aegyptische Lehre nennt.
70) Plato im Gorgias p. 523. p. 164 Bekker. Plutarchus de
S. N. V. pag. 92 Wyttenb. | Porphyrius de antr. Nymph.
cap. 14. pag. 15 ed. Góns. mit dessen Aumerk. pag. 103.
Proclus in Platon. Alcibiad. I. cap. 48. — Dieselbe Alle-
gorie liegt den ascetischen Vorschriften im ein und sieb-
zigsten Capitel des Pend- Nameh oder des Buchs der
Rathschlüge zum Grunde. Dort heiíst es ( p. 281 sq. ed.
Silvestre de Sacy ) unter Andern: ,, Abandonne les biens
du monde pour ceux de l'éternité; depouille toi de tes
vétemens précieux ; si tu perviens à ce bonheur, tu pos-
séderas le vrai depouillement, — Celui qui marche autour
4
die Seelen an diesem irdischen Daseyn hängen , desto
mehrere Leiber hängen sich ihnen an, als. eben{so viele
Kleider, mit denen sie sich schleppen müssen. Es er.
geht ihnen wie dem Fische Glaucus, dem sich gegen
den Meeresgrund hin allerlei Seegrüser, Muscheln und
Gesteine anhängen, die ihn immer. tiefer herabziehen
und am Boden fest halten. Daher mufs die Seele, die
an den Rückweg denkt, abwerfen diese Kleider über dem
Kleide, diese Leiber über dem Leibe, und abschneiden
diese Fasern und Anhängsel, die sie verwickeln, um.
stricken und nicht auftauchen lassen 7^
9. 4.
Fortsetzung.
Hieran schliefst sich nun die Lehre von dem Rück.
wege. Ehe wir davon handeln, verweilen wir einen
Augenblick bei der Weberin Proserpina und bei dem
eben so bedeutsamen Bilde von dem Fische im Meeres.
grunde. Persephone als Weberin kann uns nicht fremd
seyn nach Allem, was wir oben (Il. Th. p. 118 ff.) von
der guten Spinnerin Ilithyia und von der Spindel in den
Händen der Dianenpriesterinnen gehört haben. Auch
werden wir im Verfolg Persephone und Artemis noch
eiümal ganz bestimmt identificirtjantreffen. Hier wollen
wir nur einige Begriffe unterscheiden. ^ Alle grofsen
Naturgottheiten wurden, scheint es, so gedacht; und
wenn diese Vorstellung auch aus der Fremde zu den
d’un brasier de charbons , à se vétemens noircis et gátes
par la fumée; et celui qui s' approche d'un parfumeur,
contracte une portion de I’ odeur qu'il exhale.'*
71) Proclus de Anima et Daemone pag. 239 ed. Ficin. vergl,
Proclus in Platon. Alcib. I. a. a. O. und Plato de Republ;
X. 11. p. 611 sq. p. 300 sq. Ast. p. 497 sq. Bekker.
42
455
Griechen gekommen war, so fafsten sie sie doch in ihrer
Artauf, und führten sie aus nach dem Bilde, das sie
sich von weiblicher Beschäftigung gemacht hatten. Bei
den Aegyptiern webte Neith das Gewand der Natur, das
sie von Phthas aufgenommen. hatte, fort; ein symboli-
scher Ausdruck des Gedankens von einer intellectuellen
Schöpfung. Daraus entwickelte sich, wie wir sahen, zu
Athen die Vorstellung von der Athene 2oyá»s (textrix ),
mit zum Theil veründerten Nebenbegriffen, nach dem
Sinne des alt- Attischen Frauenlebens (s. oben II. Th.
p. 749 f£). Die Syrische Góttin bat neben dem Gürtel
auch die Spindel 72). Die alte hermenartige Aphrodite
Urania zu Athen (é» «$xow) heifst bei Pausanias (I. 1g.
$. 2.) auch die álteste der Parcen ( Moióv), d. h. sie
ist auf gewisse Vy eise Clotho (K3o696), die Spinne-
rin. Von der guten Spinnerin llithyia haben wir so
eben geredet. Von ihr hatte Olen vor Orpheus schon
gesungen, sie sey die Schichsalsgóttin (Pepromene) und
älter als Kronos 73). Orpheus, hörten wir, sang von
der Weberin des Leibes, Persephone. Irre ich nicht,
so ist in dieser Ideenreihe zuvórderst zu unterscheiden
ein Weben, zunächst mit der Vorstellung des Wir-
kens und Schaffens ganz allgemein und im hôheren
Sinne, wie wir denn auch in obigen Kosmogonien der
Orphiker und des Pherecydes von einem Gewande;
von einem Schleier und Mantel, von einem Mantel
des Zeus reden hörten. Die Maja- Persephone als ma-
terielle Weltmutter webt nun auch materiell; sie webt
lastende, schleppende, zurückzichende Kleider. Hier
tritt also. der Begriff von den Banden des Leibes und
von dem Herker der Seele hervor. An jenes erste
72) Lucianus de Dea Syr. p. 117 Bip.
73) Pausanias VIIL. 21, $. 2. vergl. oben a. a. O.
IT,
38
454
Schaffen und Weben Lniipft sich nun die Idee des
Schicksals. Ilithyia, heifst es, ist Pepromene, d. h,
erst wenn eine Natur da ist, tritt. die Nothwendigkeit
und eine Verkettung der Naturursachen ein. Dieses Zu.
sammenhángen ist nun bald das Schicksalsband von He.
phästus gebildet, bald wird es als ein Gespinnst vor.
gestellt. Das Spinnen ist nun der Ausdruck für das
Zutheilen desSchichsals; ein so reicher und von
Philosophen so verschieden gewendeter Begriff (worüber
Gatacher zum Antoninus IV. 26. viele belehrende Bei.
spiele aus den Alten gegeben hat), und die Spinnerin ist
die Göttin des Schicksals 74).
Mit dem Bilde vom Fische Glaucus eróffnet sich
wieder eine ganze Reihe symbolischer Vorstellungen,
bezüglich auf die Mysterien des Bacchus, der Ceres und
Proserpina. . Wir wollen sie hierbei gleich zusammen.
fassen. Jener. Seefisch gehört in das Geschlecht des
Meerhundes (xéóo» SaA4ociog), wovon es mehrere
Arten gab: Xiphias, Galeus, Glaucus und Centrites,
Von dieser Fischgattung erzählten sich die Alten viel
Besonderes. So sagte man z. B. der Meerhund lasse
seine Jungen gleich nach der Geburt mit sich schwimmen,
und bei einer drohenden Gefahr schlüpften sie durch
das Geschlecbtsglied wieder in Mutterleib, bis sie sich
sicher glaubten, um wieder hervor zu kommen 75). Auch
wollte man weiter wissen, der Glaucus ( axo) und
der Galeus (y«Ac06) bergen ihre Jungen bei drohender
74) Zu dem , was ich bereits oben a. a. O. über das Spins<
nen gesagt, mufs man jezt noch die gehaltreichen Be-
merkungenñn Weickers in der Zeitschrift f. a. L. u. K. I. 2,
pag. 225 ff. hinzufügen , wo dieser Punkt besonders hin«
sichtlich der Mören oder Parcen erläutert wird.‘
75) Oppian. Halieut, I. 734. IV. 126. Aelian. H, A. VII. 17.
455
Gefahr im Maule 7%. Beim Plutarchus (de amore prolis
p. 494. C. p. 1010 Wyttenb.) ist diese Sorgfalt des Ga-
lens ein Beispiel von der Hinderliebe bei den Thieren.
Der Glaucus war ein bei den Griechen sehr beliebter
Fisch, den man nach verschiedenen Gewässern näher
bezeichnete, z. B. den Megarischen und dergl. Besori-
ders ward der Kopf für ein Leckerbissen gehalten, wel-
ches zu fast sprichwörtlichen Redensarten Anlafs gab.
Man lese die Stellen der Komiker beim Athenäus (VII.
45 sq. p. 77 sqq. Schweigh.). Zum Verständnifs der my-
steriësen Allegorie aber mufs man Folgendes wissen:
der Glaucus gehörte zu den Seefischen, die sich beim
Aufgang des Sirius sechzig Tage lang im Meeresgrunde
verbergen.‘ Andere Fische befiel während dieser heifsen
Zeit eine Starrsucht; wie man denn überhaupt glaubte,
dafs der Aufgang des Hundssterns das Meer in seinen
Tiefen bewege, und das Seegras auf die Oberfläche hin-
auftreibe 77). So konnte der Fisch Glaucus ein Bild der
feuchten Seele werden. Er entfloh ja dem Feuerstrahle
des Hundssterns, also dem Fixstern und der Fixstern-
sphäre, und verwickelte sich in der feuchten Tiefe in
das lastende Meergras. Sein Namensverwandter, der
Dämon Glaucus (bemerken wir gelegentlich), war auf
der Insel Dia (Naxos) , als er der Ariadne Gewalt anthun
wollte, vom Dionysus mit VVeinranken gebunden wor-
dea 73). Er war der Weissager im Meere mit den Ne-
reiden 7?) Er hatte aber ein glückliches Geschick. Es
76) Aelian. H. A. I. 16. II. 55. vergl. Schneider p. 575. und
daselbst die Berichtigungen neuerer Naturforscher.
77) S. Plinii H. N. IX. cap. 16. sect. 25. p. 509 ed. Hard.
18) Theolytus in den Bacchicis beim Athenäus VIT: p. 81 ed.
Schweighäus.
79) Aristoteles ebendas. p. 82.
456
gelang ihm von dem Götterkraute zu essen, das Kronos
gesäet hatte, und dadurch unsterblich zu werden 89),
Das war ein gang anderes Hraut als jenes Mceergras , das
ein Bild des fesselnden Leibes geworden, da dieses hin-
gegen zur Unsterblichkeit führte, —
Wir kehren zu den Fischen zurüch. Die andere
Art des Meerhundes, Galeus genannt, beschreibt Ae-
lianus (H. A. L 55. XV, 11.) als sehr grofs und dem
Wiesel an Farbe ähnlich. Daher auch der Name die-
ses Fisches yaleds von yakin (yaki) das Wiesel. Es
war eine geflechte Hayfischart (Squalus Linn.) ;
dieser fleckigen Haut wegen hiels der Fisch auch »efpiug
der Hirschkalbfisch (Aristotel. H. A. VI. 10.), von veBois
dem bunten Hirschkalbfell. Er war den Eingeweiheten
in den Mysterien der Ceres und Proserpina zu essen
verboten (Aelian, H. A. IX. 65.), nicht das Wiesel (ya),
wie Saintecroix 8!) aus Verwechselung desselben mit dem
$0) Aeschrion ebendas. p. 83 sq.
81) Recherches sur les mystéres du Paganisme 1. p. 282 sec.
edit. Ebendaselbst ist der an sich schon unglaubliche
Satz zu berichtigen , als hätten die Initiirten der Eleusi-
nien keine Baumstämme berühren dürfen. Er beruht auf
der offenbar verdorbenen Stelle des Porphyrius (de Ab-
stin. IV. 16.). Dem Zusammenhang nach könnte doch
hôchstens nur von Granatäpfel- und Aepfelbäumen die
Rede seyn. Es ist aber wahrscheinlich daran überhaupt
nicht zu denken , sondern an das Lager der Wöchnerin-
nen, wovon sich die Priester und Initiirten überhaupt
entfernt halten mufsten ( vergl. de Rhoer zu dieser Stelle
p. 353.). Auch Silvestre de Sacy (in den Noten zu Sainte-
croix a. a. O.) bemerkt, wie wenig wahrscheinlich die
Lesart des Porphyrius sey, welcher hier Saintecroix ge-
folgt ist; es sey der Text des Porphyrius gewifs verdor-
ben, und man müsse wohl mit Abresch lesen : TÓ T8 À&-
«995 a ac9a: (statt der Vulgata e7sÀ£xovg) , welche Lesart
497
yaœkeos mifsverstanden hat. Das Wiesel, bemerken wir
gelegentlich, war den Aegyptiern heilig. Dabei erzáhl-
ten sich die Griechen noch zu Plutarchus Zeiten, dieses
Thier empfange durch das Ohr und gebüre durch den
Mund; daher man ein Bild des Verstandes und der Rede
darin finden wollte 32) Aber als Grund jenes Fisch-
verbots gab man eine ähnliche fabelhafte Meinung vom
Hayfisch an. Auch er sollte durchs Maul die Jungen
werfen. Jener Wahn war vermuthlich daher entstanden,
weil man die Jungen aus dem Rachen dieses Fisches
schlüpfen gesehen. Beim Horapollo (1L. 110. pag. 149
ed. Pauw.) ist der Galeus das Sinnbild eines unersitt-
lichen und unflitigen Menschen, der selbst ausgespieene
Speisen wieder verschlingt. . Mit solchen Erklärungen
religiöser Sitten steht es oft mifslich. Letztere dauerten
fort, während der wahre Grund oft längst vergessen
war. Damit öffnete sich den Gelehrten dann ein weites
Feld von Vermuthungen. Freilich zeıgt auch da sich
unter den Erklärern bald ein Unterschied im Verstehen
oder Mifsverstehen des Geistes alterthümlichen Lebens
und Denkens.
Diese Betrachtung dringt sich gleich bei einem an-
dern Fischverbot auf. Zu Aexone, einem Flecken in
Attiea, durfte man die Meerbarbe (wpiyAy, mullus,
auch wenig verschieden sey von der Reiskischen: vi Xéyo;
&vac9a. Der Sinn würe alsdann: ,,man glaubte sich eben
so durch das Berühren einer Wöchnerin, wie durch das
eines Leichnams zu beflecken.** Herr Hase, den Silve-
stre de Sacy deshalb befragie , schlug ibm folgende Les-
art vor: zai én iow pepiavrar t0 T& Afyov6 GvacSui wo Td
Sygcidiwv, d.i. ,,sie glauben sich eben so zu beflecken
durch den Umgang mit Frauen , wie durch die Berünrung
eincs Leichnams. **
$2) Plutarch. de [sid. p. 381, A. p. 558 Wyttenb.
458
trigla mullus Linn.) nicht essen. Sie ward in den My-
sterien der Ceres für heilig gehalten 83), Davon gab
man die verschiedensten Gründe an, wie man denn über-
haupt Vieles von diesem Fische zu erzählen wufste.
Hier nur Einiges: er sey der Hecate heilig wegen der
Namengleichheit, denn diese heifse auch Trigle (die
Dreiäugige), Triodotis (Trivia), oder weil sie auch eine
Seegóttin sey , oder weil dieser Fisch die dem Menschen
nachstellenden Seehaasen verfolge, daher sey er als Jagd-
fisch der Jágerin Artemis heilig, oder weil er dreimal
im Jahre Junge werfe (also vermuthlich wegen der drei
Jahreszeiten, die in der mysteriósen Geschichte der Pro-
serpina, wie sich unten zeigen wird, so bedeutend wa-
ren). — Es ist wohl nicht zu hoffen, dafs wir jezt noch,
bei solchem Widerstreite der Meinungen unter den Al.
ten, jedesmal den individuellen Grund solcher Cárimo-
nien entdechen hünnen. Ganz gewils beruht die Grund-
lage aller dieser mysteriösen Verbote und Fasten auf
den allgemeinen und besonders in dem Syrischen
Götterdienste hervortretenden Ideen von
der Weltentstehung aus Wasser und von den
$3) Aelian. H. A. IX. 51. 65.” Athenáus VII. pag. 194 seq.
Schweigh; Plutarch. de solert. anim. p. 983. F. p. 989
Wyttenb. Artemidor. Oneirocrit. 1f. 14. Silvestre de
Sacy (zu Saintecroix Recherches ete. IT. pag. 260.) fügt
hiuzu, dafs das Fischverbot für die Eingeweiheten sich
überhaupt nur auf die Zeit der Feier der Mysterien er-
streckt habe, sonst wäre es unnütz zu bemerken, dafs
sie die Meerbarbe nicht gegessen, da sie auf gleiche
Weise jeder Art von Fischen sich enthalten haben wür-
den. Man müsse daraus schliefsen, dafs die Meerbarbe
allein ihnen durchaus untersagt, und zu keiner Zeit der
Genufs derselben ihnen erlaubt war. Auch den Priestern
der Juno zu Argos war der Genufs dieses Fisches vers
boten.
499
Fischgottheiten Atergatis u. s. W.j worüber ich mich
oben (II. Th. p. 69 ff.) ausführlicher erklärt habe.
Ehe ich diesen Abschnitt verlasse, mufs ich noch
ein Wort von Bacchischen Fischen sprechen. Auch
dem Dionysus, der seiner Einen Natur nach aus dem
Meeresgrunde herstammte, werden die Griechen ja wohl
Fische zugeeignet haben. Von Delphiuen und Delphin-
menschen um den Bacchus her haben wir oben (IL Th.
p. 6oo ff) kürzlich das Nóthige bemerkt. Auch andere
Fische gehörten dem Gotte an, und sey es auch blos
durch den Namen. Nach Athenáus ( VII. p. 195 Schw.)
widmeten die Griechen dem Dionysus xvrvov. Dafür
hat Casaubonus xiívv«v» geschrieben, weil bei Hesychius
ein gewisser Fisch = {oc oa hiefs, Also ein Epheufisch
und ein Fisch des Epheugottes. Schweighäuser hat xet-
tôv drucken lassen, und denkt, wegen eines Citates bei
Eustathius, an keinen Fisch, sondern an den Epheu sel-
ber, oder, falls man zévva» lesen wolle, an die Elster.
— [ch meine coch Casaubonus sey hier auf dem gerade-
ren Wege. Einmalsteht Dionysus dort mit seinem At-
tribut iu der Mitte zwischen Hermes mit einem Fische,
und Aphrodite mit ibrem Wasserhuhne in einem Fisch-
capitel. Sodann ist dort von 'l'hieren, besonders von
Wasserthieren, die Rede, die der Namenähnlichkeit we-
gen Göttern heilig waren. Hier dächte ich doch, sollte
man dem xtooopopos, dem Epheutriger, seine xLitTTa,
seinen Epheufisch, nach dem Hesychius geben, oder
wollte man, der Handschriften wegen, auf xvvrór» be-
stehen, doch an einen Fisch dabei denken, an den
Epheufisch.
Doch wie man auch entscheide, Bacchuge behilt
dennoch seine gleichnamigen Fische, uud zwar in meh-
rerer Zahl und seinem lauptnamen verwandt. Sie
hiefsen Q&xxo:, und gehürten zu der Gattung der
440
gordo 84), Vielleicht gab es selbst von der Art fox-
xo« mehrere Ünterarten (s. Schneider in Lex. s. v. uvAA.).
Auch hier greift die Namensform wieder in die myste-
rióse Bildnerei ein. Eine Art des Myllus wird durch
qovouxtiov aiJoiov erhlárt (Hesychius IT. p. 975 Albert.).
So viel ist gewifs, dafs unter den Sicilischen Griechen
pvAAóg mit dem Accent auf der letzten Sylbe diese Be-
deutung hatte. Auch wurden an den Thesmophorien zu
Syracus Kuchen von dieser Form zü Ehren der Ceres
und Proserpina (also gerade wie in den Attischen Thes-
mophorien) herumgetragen, die noch heut zu Tage in
der dortigen Gegend den Namen Milo führen 55) Hier.
nach bedarf es keiner weiteren Erklärung, warum in
dieser Reihe von Fischnamen auch der des B&xyoc vor-
kam. Wüfsten wir, dafs Mullus oder die Meerbarbe
derselbe Fisch mit dem Griechischen uóAXog wire, so
sühen wir zugleich den Grund, ‘warum auch sie in den
Mysterien der Ceres und Proserpina heilig war.
84) Athenäus VIT. p.121. VIÍI. p. 313 Schweigh. Hierher
gehórt auch die Glosse im Lexicon Rhetor. mscr. von
St. Germain unter Bdxyo, wo nach den übrigen Bedeu-
tungen dieses Wortes, Zweig, Kranz, Fackel u. s. w.
auch diese folgt xai 2;. — Das gleich folgende djs;
das Ruhnkenius ( Auctar. ad Hesych. zu I. pag. 681.) für
verdorben erklärte , ist vielleicht zu corrigiren: cxéBços
(Scomber thynnus). Der Thunfisch wo; hat von Sis»,
vom Stürmen und Treiben , seinen Namen, wie die stiir-
mende Bacchantin Suds , er ist der treibende Fisch im Ora«
kel bei Herodotus I. 62. und in unzáhligen Dichterstellen.
Folglich konnte der Scomber, als eine Art dieser Gat-
tung, mit dem Sturmgotte Bacchus gleichen Namen
haben.
85) Heraclides Syracusius beim Athenáus XIV. p. 350 Schw.
Münter Nachrichten von Sicilien p. 353.
441
9. 5.
Fortsetzung.
Aber der Seele bleibt die Rückkehr offen. Es
hat nämlich der obere Demiurg, Zeus der Vater, nicht
gewollt, dafs die Seelen immerfort in der Tiefe beharren
sollen. Er hat sich ihrer erbarmt, und die Fesseln, wo-
mit die Dümonen sie an diesen Leib angebunden, zer-
brechlich gemacht (Plotinus IV. 3. 12.). Sie werden zu
ihrer Zeit davon befreiet. VVenn sie zu dem Beherr-
scher des Todtenreichs kommen, sind sie hingegeben
einem freundlichen Gebieter. Hades, der linde, wird
ihr grüfsester Wohltháter 50. Er nimmt von ihnen die
Angst und die Sorgen dieses Lebens und alle Mühen und
alles eitle Bewerben um das Getheilte und Vielé. Hier
wird ihnen der andere Becher gereicht, der Becher der
Weisheit, Der Trunk aus diesem bringt sie wieder zur
Besinnung (&vágrgoic), und macht sie vergessen allen
Trug und alle Täuschung, die sie von dem materiellen
Leben her etwa noch umgauckelt (Plotinus IV. 9. 4.)
und nun fangen sie allmáhlig an, wieder das Wesen der
Dinge zu ahnen und sich zurück zu sehnen. Da ist denn
auch in das Zeichen des VVassermanns die Urne (x&Asrig 87)
86) Platonis Cratylus p. 403. E. sq. p. 70 sq. Heind. Juliani
Opera p. 135 sq. Spanh. vergl. meine Commentt. Hero-
dott. I. p. 310 sq. p. 326 — 328.
87) Ueber dieses Wort und seine verschiedene Schreibung
und Bedeutung unten das Nähere. Hier ist vom Stern-
bilde die Redé. KZAzig oder x4Av4 hiefsen vier Sterne am
Ende der rechten Hand des Wassermanns (Proclus
de Sphaera pag. 19 ed, Antverp.). Bei den Römern hiefs
diese Urne am Himmel Amphora oder Aquarium , auch
Aqualis (Hygin. Poet. astronom. III. 28. pag. 530 Staver.
und daselbst die Ausleger). — In vielen Sphéren wird
statt des Wassermanns blos die Urne gesetzt. Daher
442
gestellt, worein der Todtenrichter das begnadigende
Loos wirft, das ihnen die dereinstige Rückkehr durch
die Götterpforte zu den höheren Sphären gestattet (Ma-
crob. Somn. Scip. I. ı2.). Es ist schon zum Öfteren von
uns bemerkt worden, dafs jener Amenthes, jenes per-
sonificirte Todtenreich, von dem man sagte, es empfange
und gebe wieder 8), den Aegyptiern kein anderer, als
der grofse Naturgott Osiris war; und gerade in diesem
Amte des Todtenrichters nennt ibn Herodotus Diony-
sus. Die Mysterieniehre war darin der ältesten Vor-
stellung getreu geblieben, und so war denn Dionysus
auch hier der personificirte Hreislauf des Lebens und
des Todes, und so heifst er dann beim Hermias (in Pla-
tonis Phaedrum).bestimmt der Aufseher über die
Palingenesie aller in die Sinnenwelt herab-
gekommenen Wesen.
Der Trunk aus dem VVeisheitsbecher erzeugte die
Sehnsucht zur Rückkehr. Doch um wirklich zurück zu
kehren, bedarf es mehr als dieses Sehnens. Noch man-
che Wanderung, noch manche Reinigung mufs vorher-
gehen, um die Seele dazu fähig zu machen. Die Aegyp-
auch die Indischen und Persischen Namen dieses Stern-
bildes. In den Athenischen Gerichten wurden die Loose
in eine Urne (xdi\rıs) geworfen; daher die oben angege-
bene Wendang dieses Gedankens.
88) Nach Griechischér Ausdeutung; s. oben I.'T'h. p. 416 f.
:WO ich auch die andern, vielleicht wahreren, Erklärun-
gen dieses Wortes, die man aus dem Aegyptischeu ver-
sucht hat, angeführt habe. Zwar ist die Vorstellung vom
Kreislauf óhne Zweifel ächt und alt, wie die Stelle des
Cicero de N. D. 1I. 26. p. 311. (terrena autem vis omnis,
atque natura Diti patri dedicata est; qui Dives, ut apud
Graecos Tllourwy, quia et recidant omnia in terras et
oriantur e terris) und mehr noch der allgemeine Idcen«
gang des Alterthums béweiset.
445
vier nahmen einen Kreislauf von dreitausend Jahren durch
verschiedene Thierleiber an 89). Ihnen folgten die Py-
thagoreer ; welche den Satz aufstellten ; eine jede Seele
könne in jeden Hürper einwandern; wás von ihnen in
verschiedene Mythen eingelleidet wurde ( Aristotel. de
Anima L cap. 3). Auch lifst Pindarus (Olymp. IL 23.)
erst nach dreimaligem tadellosen Lebenslauf die Seelen
zu der Seeligen Insel gelangen. An diese Lehre schlos-
sen auch Plato, die ülteren Platoniker und selbst Plo-
tinus und, wie es scheint, auch noch Porphyrius in vie-
len seiner Schriften sich im Wesentlichen an. Auch sie
behaupteten die Einwanderung der Seele in Thierkörper.
Jamblichus dagegen trennte sich von dieser Meinung;
Proclus suchte durch einen Mittelweg Ausgleichung.
Hierocles dagegen und Hermes beim Stobäûs nahmen
nur eine VVanderung aus einem Menschenleibe in den
andern an (Wyttenbach zu Plato's Phüdo p. 210.). Plato
beriihrt das Dogma vom Schicksal der Seelen in ver-
schiedenen seiner Schriften. Eine Hauptstelle im Phä-
drus, wo zehutausend Jahre zur völligen Rückkehr in
das Vaterland der Seelen bestimmt wurden, habe ich
vorher (Not.58. p.427.) angeführt, womit man die Aeus-
serungen im Timäus (p. 552.), in der Republik (p. 671.
D. E.), im Phädo (cap. 31. p.81. E. p. 42 Wyttenb.),
im Gorgias (p. 337 Francof. vergl. p. 268 Heind. p. 524.
D. sq.) u. a. vergleichen mufs. Nachgehends hat Ploti-
nus jene Lehrsätze einer grofsen Aufmerksamkeit ge-
würdigt und weiter ausgebildet, wie wir bisher schon
im Einzelnen zu bemerken Gelegenheit hatten. Ueber
den Hinabgang (xd4S000c) haben wir in den Enneaden
dieses Philosophen noch ein gebaltreiches Stück (1V.8.).
Daraus lernen wir unter andern, dals man die Seelen-
89) Herodot. II. 123. vergl. oben I. T'h. p. 423.
444
wanderung (petevooudtœors 70) in die feinere und grö-
bere eintheilte. Erstere bestand in der Verpflanzung
aus feineren, unsichtbaren Kürpern in grôbere, irdische,
sichtbare. Letztere, die eigentliche Metensomatose,
war die Versetzung aus irdischen Leibern in irdische
(Enn. IV: 8. 9). Ueber den Weg aufwärts (dvodos)
hatte Porphyrius eine eigene Schrift geschrieben (Au-
gustinus de Civ. D. X. 29.). Bekanntlich schliefst sich
auch Virgilius in den schünen Versen seiner Aeneide
(VI. 735 s qq.
Quin et, supremo quum lumine vita reliquit —
wozu Heyne's dreizehnter Excursus über dieses Buch ge-
hört) im Wesentlichen jenen Vorstellungen der Pytha-
goreer und der älteren Platoniker an. Nach dem, was
von uns oben über die Aegyptische Vorstellung bemerkt
worden, mufs diese Lehre für ein Dogma früherer Prie-
sterschaften gelten, von denen es die Bildner der Grie-
chischen Menschheit empfingen; und es kann somit, un-
seren obigen Grundsitzen gemiís, ein Orphisches
Dogma heifsen. So alt es war, so lange erhielt es sich,
wie uns die Schriften des Cicero, des Virgilius und noch
weit späterer Römer und Griechen überzeugen,
Im Orphisch-Bacchischen Systeme bereiteten
auch Liber und Libera die Rückkehr. Sie waren
die milden, begnadigenden Todtenherrseher. Hierüber
90) Man sieht, Plotinus braucht hier den einzig adäquaten
Ausdruck: Metensomatose, nicht Metempsychose (per-
ep Vüywor) ; dieses Letztere würde das Einwandern ver-
Schiedener Seelen in Einen Kórper bezeichnen, da nach
dem ganzen Dogma vielmehr dieselbe Seele in verschie-
dene Körper übergeht. Das ist aber Metasomatose ; s.
Olympiodorus ad Platonis Phaedo Cod. IH. p. 27. vergl.
oben I. 'lh. pag. 420. und meine Note zum Plotinus de
Pulcrit. p. 40.
445
erklärt sich Proclus (in Platon. Tim. pag. 33o.) ausführ-
lich. Er redet dort von der Flucht der Seelen aus die-
sem Leben und aus Allem, was ihnen von den Geburt
anhängt und nachhängt, und handelt darauf von den Be-
dingungen, unter denen sie aus den Irrgängen der Sin-
nenwelt zum seeligen Leben zurückgeführt werden.
Das eine grüfseste Mittel dazu, sagt er, sey die Einwei-
hung in dic Mysterien des Dionysus und der Kora. Hier-
bei wird von ihm das Orphische Gebet angeführt: «den
Umkreis zu enden und aufzuathmen vom Drangsal» 91).
Dieser Umkreis oder Umtrieb (z$xAoc) sey nach Orphi-
scher und Pythagoreischer Lehre den Seelen mehrmals
gesetzt, so dafs sie aus dem Leibe in den Leib und so-
mit erst endlich ganz aus dem Körper in die höheren
Spháren zurüchgeführt werden ?^. Weil nun Dionysus
von diesem Umtreiben und Kreislaufe befreiete,
darum nannten sie ihn auch, in dieser neuen Beziehung,
den Befreier (Avoeés). In diesem Begnadigungswerke
stimmte ihm seine Gattin, die linde, mitleidige Perse-
phone, zu. Als Gebieterin iiber der Seelen Schicksal
lernen wir diese Gôttin in. Plato's Menon kennen , wie ich
im I Th. a. a. O. bereits gezeigt habe. Hier sendet also
Proserpina Seelen, die schon einmal auf Erden lebten,
in veredelter Natur wieder dahin zurüch, von wo sie
dann. durch That und Erkenntnifs die Heroenwürde er-
streben. Hier sehen wir den Weg aufwärts unter
die Aufsicht der Todesgöttin Persephone gegeben. Die
Strafen des alten Elends werden von den Seelen
91) Der Halbvers ,, und aufzuathmen vom Drangsal‘“ ist be-
kanntlich Homerisch (lliad. XI. 382. woraus dvarveüaae
verbessert worden).
92) Proclus a. a. O. und Olympiodorus in Platonis Phaedo
in Fragmm, Orph. p. 499. 509 und 510. vergl. oben I. Th.
pag. 420.
446
genommen, Alle Seelen müssen erst durch. Reinigungen
hinaufgeläutert werden, zur Wiederkehr in die seeligen
Wohnungen, aus denen sie gekommen. Je weniger der
Mensch in diesem Leben der Reinigungen theilhaftig ge-
worden ist, desto schwerere erwarten ihn in der Unter-
welt durch Feuer, Wasser und Luft 79). Im Leben
sind der Seele die wirksamsten Läuterungen und Heil-
mittel in den Mysterien angeboten, Reinigungen
durch die drei leichteren Elemente Feuer, VFasser und
Luft; wovon wir oben bei den Attischen Lenäen das
Nöthige kürzlich bemerkt haben.
$. 6.
Die Symbole des Bacchischen Lehrkreises,
besonders auf Italisch- Griechischen
Vasen.
Jener Lehre ging allenthalben die Bildnerei zur
Seite; oder richtiger, diese ganze Dogmatik und Ethik
war in einem grofsen Kreise von Symbolen verkörpert.
In allen Mysterien war es hergebracht, zuvörderst die
Gottheiten, denen sie gewidmet waren, oder die mit
ihnen in näherer Beziehung standen, sodann die dienen-
den Wesen und das ganze Gefolge, an den Festen durch
eingeweihete Personen darstellen zu lassen. Es trat hier
das Wesentliche des Lehrsystems : Gottheit und Schóp.
fung, das Geisterreich mit seinen Ordnungen, und die
Seelen in ihren Schicksalen und Wanderungen, die Un-
terwelt mit ihren Freuden und Leiden, in einer Reihe
bedeutsamer Scenen vor das Auge des Zuschauers. Ge-
sang und Musik verschiedener Art, die mannigfaltigste
Beleuchtung , alle Wirkungen, die der sinnliche Contrast
93) Platonis Gorgias p. 524 sq. p. 268 sq. und Virgilius Ae-
neid. VÍ. 736 sq.
447
hervorzubringen vermag, und andere Anstalten ?%) tru-
gen das Ihre bei, den Inhalt der Lehre eindringlich zu
machen. Daís auch diese Scenerien mit der Lehre im
Wesentlichen aus dem Orient und besonders aus Aegypten
entlehnt waren, ergiebtsichaus dem Obigen. Man erinnere
sich z. B. was wir von Indischen und Aegyptischen Festen
und besonders von der nüchtlichen Feier zu Sais bemerkt
haben. Hier will ich zuerst einige allgemeine Belege
beifügen, woraus es sich ergeben wird, dafs auch unter
den Griechen fast allenthalben jene Mittel der Versinn-
lichung gebraucht worden sind. So ägyptisirten z. B.
die Eleusinien eben so wohl, wie die Samothracische
Feier, in jener Verkleidung der Priester in astronomi-
sche Gottheiten. Zu Eleusis stellte der Hierophant den
Demiurgen, der Daduch die Sonne, der Epibomius den
Mond und der Hieroheryx den Hermes dar (Euseb. Pr.
Ev. lH. pag. 117. A.). Bei einem andern Schriftsteller
lesen wir: der Daduch war das Bild der Sonne , und die
Gemeinde der Initiirten 'stellte die VVelt vor %). Zu
Rom wurde der Raub der Proserpina durcb einen Prie-
ster oder eine Priesterin dargestellt, die man mitten im
Tempel verschwinden liefs ?5).
In Betreff der Bacchanalien fehlte es auch nicht an
bestimmten Zeugnissen. Man denke nur an die schon
oft berührte Beschreibung, die uns Callixenus 77) von
94) Dafs im Bacchischen Geheimdienste auch Glocken ge-
braucht wurden , bemerkt Winckelmann im Sendschrei-
ben über die Herculanischen Entdeckungen p.61 der neue-
sten Ausg.
95) Cleanthes Stoicus ap. Epiphan. adv. haeres. III. 9.
96) "Tertullian. ad Nat. IT. p. 30.
97) Beim Athenäus V. 27 squ. Tom. IT. pag. 261 sqq. Schw.
- nebst Bôättigers Andeutungen p. 207. und den dort ange-
448
jener merkwürdigen Bacchusprocession zu Alexandria,
mit den colossalen Vorstellungen des Bacchus, seiner
Amme Nysa und dergl. mehr, giebt. Dergleichen kannte
auch das frühere Athen, wie wir aus manchen Stellen
der Alten sehen, z. B. aus des Aristides Panathenäischer
Rede (p. 96 Jebb.), wozu der Scholiast mser. ( ver-
bessert von Valckenaer Diatrib. Euripid. p. 155. A.) die
Anmerkung macht, dafs der Eine den Dionysus selbst,
ein Anderer einen Satyr, ein Dritter einen Bacchus-
priester darstellte. So kleidete Hypsipyle beim Valerius
Flaccus (Argonaut. 1I. 264 sqq.) ihren Vater als Diony-
sus ein. Daís aber auch die eigentlich mysteriösen Ge-
schichten scenisch vor Augen gestellt wurden, beweisen
Stellen, wie die des Lucianus (de Saltat. $. 39. Tom. V.
p. 147 Bip.) , wo unter den Sujets von mimischen Tänzen
die Zerfleischung des Jacchus, die Verbrennung der
Semele und die Doppelgeburt des Dionysus genannt wer-
den. Dergleichen Darstellungen benutzten dann ohne
Zweifel Dichter und Bildner, wie z. B. Nonnus in der
oben angeführten lebhaften Schilderung von Zagreus
Tod, und jener Bildhauer , dem ‚wir das gleichartige
führten Schriften. Ueber die Bacchischen Aufzüge ver-
dient besonders C. G. Schwarz Miscell. politior. humanit.
p. 73 sq. und p. 96 sqq. nachgelesen zu werden. Auch
er legt dort die Stelle des Plutarchus de cupidit. divit.
p. 527. D. p. 124 Wyttenb. zu Grunde. Vor Alters, sagt
Plutarchus, feierte man das Fest der Dionysien als ein
Volksfest, heiter und fréhlich (3 warps dv Awyveinwy fop-
vj TÓ wGÀaibv ÉTEUTSTO Oyporims wai ihagds); man trug dabei
einen Weinkrug und den Zweig einer Rebe; ein Anderer
führte einen Bock ; ein Dritter trug einen mit Feigen an-
gefüllten Korb, und zuletzt folgte der Phallus. Dies
Alles aber ist jezt verschwunden , indem man goldene
Becher herumtrügt , kostbare Kleider anlegt, in Wagen
fährt , und in Masken einherschreitet.
449
Römische Relief verdanken, Zu Rom waren bei den
nächtlichen Bacchanalien die Matronen als Bacehantinnen
costumirt (Livius XXXIX. 13.). Die Masken betref-
fend, so kënnte aus der Hauptstelle des Plutarchus (de
cupidit. divit. p. 527. D. p. 124 Wyttenb.) vielleicht der
Schlufs gezogen werden, als sey ihr Gebrauch bei den
Bacchanalien erst spáteren Ursprungs, aus der Macedo-
nischen oder Hómischen Periode. Dort stellt Plutarchus
die alte einfache Dacchusfeier dem nachherigen Aufwand
und Luxus dabei gegenüber, und führt als Beweis des
Letzteren auch die Masken an. Diese Nachricht ist auf-
fallend, wenn man andererseits an das hohe Alter des
Maskirens bei den Aegyptiern denkt, und wenn man
sich der maskirten Personen auf den Italisch- Griechi-
schen Vasen erinnert. Allein vergesse man nicht, wenn
dort Plutarchus von alter vaterlündischer Sitte spricht,
dafs dies nicht auf alle Griechische Bacchanalien aus-
gedehnt werden darf. Ueberhaupt war die Dionysus-
feier bei ihrer aufserordentlichen Verbreitung gewifs
auch unter den verschiedenen Griechischen Stämmen
nicht wenig verschieden; und so mochten dann auch die
reicheren Bewohner von Grofsgriechenland schon frü-
herhin in dem festlichen Aufwande mehr thun, als ihre
Brüder im Mutterlande und anderwürts. Dafs die Grofs-
griechischen Baccehanalien mehr von der alten Freiheit
beibehielten , als anderwirts geschah, wissen wir be-
stimmt. Zu dieser so nothwendigen und immer fest zu
haltenden Unterscheidung hat neuerlich Dóttiger in
den Ideen zur Archáologie der Malerei (LI. Th.
p. 193 ff.) durch die feinsten Bemerkungen eine frucht-
bare Einleitung gemacht, welcher eine recht fleifsige
Nachfolge zu wünschen ist. Hier hann es meine Ab-
sicht nicht seyn, von den Vasenmalereien eigens zu han-
deln. Ich werde nur eine Reihe von symbolischen Dar-
stellungen Bacchischer Lehre anführen, die auf Vasen
111
20
4°
vorkommen. Uebrigens ist, um zu unserer Stelle zu-
rüch zu hehren, jene Aeufserung des Plutarchus sehr
bemerkensverth. "VVir sehen daraus, dafs bei alt- Grie-
chischen Bacchusprocessionen nur drei bis vier Personen
auftraten, und unmaskirt Der Phallus ward aber
auch einhergetragen ?5, Das war ja nebst Stier und
Schlange ??) das älteste Bild dieser ganzen Religion,
urd alle drei Symbole waren in der Hauptbedeutung
nicht verschieden, nur in Nebenbestimmungen. Jener
uralte Phallusträger erinnert uns an eine andere Nach-
richt im Athenäus (XIV. pag. 254 Schweigh.), wo wir
lesen, dafs die Phallophori, eine Art von dramatischen
Improvisatoren, die bei den Italischen Griechen ®Adaxeg
hiefsen, immer ohne Masken auftraten.
Der Lehrer ist auch Bildner. Von diesem Satze,
den alle ältere Religionsgeschichte bestätigt, sind wir
oben ausgegangen (s. T. Th. p. 14 3); und so schen wir
denn auch jezt die ältesten Bacchuspropheten als die
Urheber des ganzen Festapparats genannt. Blieben doch
auch bei Öffentlicher Feier die dramatischen Poeten
selbst in so weit Dionysische Künstler 109, dafs
98) In Betreff des Phallas und Ithyphallus, besonders über
die Herleitung des letzteren Wortes (/$uuAAcs) s. Eusta-
ihius zur Odyss. I. 226. p. 50 Basil. und daselbst die Mei-
nungen der Griechischen Grammaatiker ; vergl. auch oben
II. 'Th. p. 327. 669,
99) Ueber das Symbol der Schlange im Bacchischen Bil-
derkreise sieh. noch Vossius de T'heolog. gentili X. 29.
paz. 808. .
100) Vergl. oben IH. Th. pag. 408. Auch die Schauspieler
oder Acteurs hiefsen Dionysische Künstler (o
Teçi Toy Arovuooy vsyvicu), wie wir aus der Frage ersehen,
welche Plutarchus (Quaestt. Romm. CVII. p. 259. C. D.
p. 153 Wytt.) aufstellt, warum die Diorysischen Künst-
30
451
sie den ganzen söenischen Apparat, bestimmten ; und die
Vorstellung der Stücke leiteten. Zum Behuf der Myste-
rien gab es ein förmliches Cärimonialgesetz, das man
dem alten Orpheus zuschrieb, und das, nach einigen
Bruchstücken zu urtheilen, vielleicht nicht, weniger um-
ständlich war, als nur immer die Mosaischen Vorschrif-
ten für die Leviten seyn konnten. Ein solches Fragment
verdanken wir dem gelehrten Macrobius (Sat. I. cap.18.).
Im Vorhergehenden hatte er bemerkt, wie der Vater
Liber bald als Kind, bald als Jingling, als bärtiger
Mann, und selbst als Greis vorgestellt wurde ; worüber
wir zuvor auch den Piutarchus sprechen hórten. Ma-
cerobius' erinnert dabei nun noch an den Hebon, unter
welchem Beinamen die Neapolitaner in Campanien den
Bacchus als Stier mit einem birtigen Menschengesichté
verehrten (vergl. oben IH. Th. p. 113). Darauf folgt
die Beschreibung des Anzugs und der Attribute, welche
Liber als Sonnengott in den Liberalien hatte, und hier
wird nun eine Orphische Vorschrift (vergl. Fragmm.
Orph. pag. 464.) mitgetheilt, wie Dionysus als De-
miurg dargestellt werden sollte 101). Erst wird der
ler zu Rom Histrionemn genannt würden, Er leitet
diesen Namen von einem gewissen [ster her, dem aiis^
gezeichnetsten und berühmtesten unter den Schauspielern;
die man aus Tyrrhenien nach Rom berufen habe, als dort
unter dem Consulat des Cajus Sulpicius und Licinius Stold
durch eine Pest alle Schauspieler hinweggerafft worden:
So erzühle wenigstens Cluvius Rufus.
101) In den Specimens of ancient Sculpture ete. London 1810;
befindet sich auf der LV. und LVI. Platte eine panthe-
istische Büste des mystischen Bacchus oder
eine Personification desallgemeinen Welt^
geistes. Man fand diese Büste 1775 zu Aquila im Nea-
politanischen, Dieses Kunstwerk aus dem Macedo-
nischen Zeitalter ist sehr interessant. Die Auge
452
purpurne Peplus genannt, dem Feuer ähnlich, ‚sodann
das bunte Fell des Hirschkalbes mit Angabe von dessen
Bedeutung, wonach es den mit Sternen besáeten Himmel
und das heilige Hund bezeichnete;. weiter das goldene
Degengeháng über der Brust, als Symbol der aufgehen-
den Sonne mit der Morgenröthe, und zuletzt der Gürtel
unter der Brust, als Bild des umfliefsenden Oceanus.
Das waren also Vorschriften, den Mosaischen ähnlich,
wie Gesner hierbei wohl erinnert. Es waren Hegeln für
den Bekleider oder Stolisten 10), wie die Aegypti-
schen Griechen in ihrer Sprache eine Priesterclasse der
Aegyptier zu bezeichnen pilegten 103). Dieser Stolist
hatte das Geschäft, den vorschriftmäfsigen Festanzug
zu besorgen, und somit auch die Gütterbilder oder die
Personen, die die Gottheiten darstellten, gehörig zu co-
stumiren. Ein eigenes Gedicht dieses Inhalts , von dem
heiligen Anzug genannt !0, ward dem Orpheus
wieder selbst beigelegt; woraus jenes Bruchsiück von
Macrobius vermuthlich entlehnt ist.
Es ist, wie schon oft von uns bemerkt ward; das
eigenste Wesen des Symbols und der Allegorie nach
Aufsen und nach Innen zu deuten; und desto gröfser
ist der Werth beider, je mehr sie einerseits den áufseren
sind von Silber eingesetzt, dabei hat er Ziegenrammen,
Stierohren, Fische, die aus der Schläfe hervordringen
wollen, und Krebsscheeren statt der Hôrner auf dem
Kopfe. Die Haare sind leicht und flockig, wie Ziegen-
haare , und die Oberfläche des Gesichts und der Brust
ist mit den Blättern einer Wasserpflanze bedeckt.
102) croit, ; Clemens Alexandr. Strom. VI. p. 758.
103) Sturz de Dialecto Macedon. p. 112. vergl. oben I. Th.
pag. 246.
104) fegooroMina oder lsçorroliori»d; Eudociae Violar. p. 318.
455
Sinn befriedigen , und andererseits zugleich dem inneren
zu errathen und zu denken geben. Auch in diesem Be-
tracht strebten die Mysterien der Griechen, symbolisch
zu seyn. Aber inhaltsvoller Glaube war aus der Fremde
zu ihnen gekommen. Sie aber, die ihu empfingen, die
ihn verpílanzten und eindringlich zu machen suchten,
waren Griechen, und auch in diesem geheimen Reli-
gionsdienste liefsen sie nicht von Art. Sie befricdigten
den Sinn und huldigten dem Schünen, so weit es ver-
tráglich war mit dem Zwecke geheimer Lehre. Je Hel-
lenischer also , je gebildeter mysterióse Institute wurden,
desto mehr mufsten sie jenes Doppelwesen des Symbols
zu erschüpfen im Stande seyn. Dafs dies der Fall war,
dafür bürgen uns so viele bisher beigebrachte Beweise.
Man denke nur an die unnachahmliche Mysteriendichtung
von Amor und Psyche. Allenthalben begegnet uns
hier jener zwiefache Geist, der Geist der Form, derdem
Sinne schmeichelt, und der Geist des Inhalts, der uns
zum tiefsten Nachdenken leitet. Eros, der den Schmet-
terling über die Fackel hält 1°), ist, von der poetischen
Seite gesehen, ein treffendes Bild von den Qualen der
Liebe, und die Dichter haben es so ergriffen; von dem
Standpunhte der mystischen Dogmatik betrachtet, ver-
schliefst dasselbe Bild den fruchtbaren und ernsten Satz
von den Schlacken der Materie und von den Leiden der
im Feuer gelüuterten Seele. Beispiele derselben Art
werden sich im Verfolg noch mehrere darbieten. Denn
halten wir doch nur immer den Satz fest, der sich durch
Alles bestätigt, dafs unzählige Mythen des Griechi-
schen Fabelhreises, ja vielleicht die meisten, aufser
dem Sinne, den sie im Munde des Volkes hatten, auf
dem Gebiete der Mysterien noch eine andere Bedeutung
105) Man vergleiche unsere Tafel XXVII. nebst der Er«.
klirung p. 24 f.
454
in sich verschlossen, Hier im heiligeren Dienste ward
jeder Bestandtheil des öffentlichen Cultus von einem an-
deren Elemente durchdrungen, und so zu sagen in ein
anderes Wesen verwandelt. Kein Bild, kein Mythus,
kein Gebrauch behielt seine alto Bedeutung ganz; sobald
ihn die Mystik ergriffen, ward er umgedeutet und in eine
andere Welt versetzt. Ein Gerithe z. D., das etwa im
öffentlichen Dienste blos ein nothwendiges Werkzeug
war, erhielt hier sofort neben seinem áufseren Gebrauch
irgend eine innere Bedeutung. Es ist dies jener Zauber-
geist der ältesten Religion, der Alles, was in seine Kreise
kam, sich zum Eigenthum weihete, und ihm eine neue
Bestimmung gab,
. Auch die Sprache ward dieser Verwandlung un-
terworfen,. wovon viele Beispiele aufgeführt werden
könnten. Wir bleiben beim Vorliegenden stehen, und
gedenken der hie und da angeführten Orphischen
Wörter und Formeln, theils aus der Fremde ent-
lehnt (davon werden auch die Eleusinien ein recht auf-
fallendes Beispiel geben) und aus altem Gebrauch bei-
behalten , theils auch Wörter des gewöhnlichen Lebens,
denen man eine höhere Bedeutung gegeben. Es liefse
sich durch mehreres Suchen eine Art von Orphischem
Wörterbuch zusammenstellen. Man vergleiche nur die
Citate in den Fragmenten dieser Classe (p. 493.) Hier
nur einige Proben von den oben bemerkten Arten. Im
Phrygiscken hiefs Bédv das Wasser. In dieser Bedeu-
tung nahm es die Orphische Tempelsprache. Die alten
Macedonier dagegen, unter denen sich die Bacchischen
Institute doch mit am frühesten gegründet hatten, nah-
men es für Luft, und beteten: « Bedy (die Luft) móge
ihnen und ihren Kindern hold seyn» 10), Der Monat
106) Neanthes von Cyzicus beim Clemens Strom. V. pag. 673.
vergl, oben I. Th. p. 105,
455
hiefs bei den Orphikern Bind 107), Wer sich des Hlein-
asiatischen Bacchus- Sabos, des Mondsherrschers mit dem
Stierattribute, noch erinnert, und an den personificir-
ten Monat gedenkt, dem wird dies leicht verstindlich
seyn. So sprachen sie auch von Thränen der Sonne 108),
Eben so ward das Wort aiokog und z«vaiolog vom ge-
meinen Hedegebrauch hinaufgesteigert. An sich heifst
es bunt; in mystischer Sprache aber formenreich
in Bezug auf die Natur und als Prädicat der kosmischen
Symbole, derSchlange, des Weltbechers und dergl. 109),
Auch in dieser Sprechart folgten die Pythagoreer, wie
wir oben sahen, dem alten priesterlich- Orphischen Ge-
brauche.
So viel von der Sprache. Ueber die Bildnerei ist
noch viel mehr zu sagen. Ich werde mich auf einige der
bedeutendsten Züge beschränken. Die Reliefs und mehr
noch dic Münzen, Gemmen und Vasen liefern für die
mysteriöse Symbolik die meiste Ausbeute, Von Basre-
liefs haben wir oben an dem Hampfe mit Lycurgus, an
dem Zagreus unter den Mórderhünden der Titanen und
107) 8»395; Proclus ad Hesiod, p. 168... Auch nannten die Al-
ten den Neumond (vovunmvi@a, bei den Attikern aber ge-
wöhnlich £v« «ai v£a der alteund neue (Mond]
genannt; s. oben LI. Th. pag. 974. ) ex os , Kalb; s.
Eustathius zur Odyssee XIX. 307. pag. 697. lin. 31 Basil. :
dÀM G«sQ SÀéysro Togo, Tà piv TH; TçIANAOOE y dw slpurat,
Gero, vó 08 vv dryçéaro dv rf Ev, *TiG EO Tl VOUJA€-
Jía- 99sv wai Móc oy y rouuU TX AÉyeTar dou m&-
Qà TOY riVI TAAGID VV.
108) Proclus in Platon. Tim. p. 35.
109) Vergl. Dionysus p. 56sq. Wir erinnern hier an die Prá-
dicate des Baechus ai2AZpogQos , «ixAouíreys , wovon bereits
oben IIL. Th. p. 413, geredet warde.
456
dergl. Beispiele dieser Art geschen. Von Gemmen und
Münzen habe ich im Dionysus besonders Belege dieser
Clesse gegeben. Je kiirzer ich hier seyn mufs, und je
weniger ich mich selbst ausschreiben müchte, desto an-
gelegentlicher mufs ich meine Leser dorthin "verweisen,
und sie bitten, einige dort abgebildete und erlánterte
Münzen zu beachten, unter andern den gehórnten Bac-
chus auf einer Münze von Nicia (tab. 3. nr. 2.) ; noch
mehr aber die Münze von Gela in Sicilien mit dem bir-
tigen Mannstier Hebon, dem, als Zeichen der Fest-
feier, eine Fran auf die Hörner einen Kranz setzt, da.
neben in uralten Zügen die Inschrift EOZITIOAIE
(ebendas. nr. 3.) ; vorzüglich aber die Sicilische Münze
von Selinus, deren eine Seite die sitzende Proserpina
zeigt, die so eben eine Schlange liebkoset, und auf der
andern wieder jenen bärtigen Bacchus-Hebon *), zusam-
men genommen die Geburt des Zagreus aus der
Verbindung des Schlangen - Zeus mit der Persephone
(ebendas. nr. 4.) ; weiter die Griechische Münze von
Aradus in Phünicien, mit der Urne zwischen zwei Palm-
ästen von zwei Sphinxen bewacht — eine Andeutung
Bacchischer Mysterien, wie man ähnliche auf Münzen
von Chios bei Pellerin sicht (tab. 4. nr. 2. vergl. oben
HL Th. p.159.); endlich die Griechisch-Lydische Münze,
worauf der sogenannte Indische Bacchus mit dem Herr-
scherstabe und langem fliefsenden Talar (faocagic) , der
ein Gefáfs ausgiefst (ebendas. nr. 3.) — eine Darstellung,
die denen auf Vasen durchaus ähnlich ist.
——— —
*) Millingen im Recueil de quelq. medailles Grecq. pag. 7 —
13. will in jener Figur, wenn sie auf Italischen und Sici-
lischen Münzen vorkommt, vielmehr einen Flufsgott
erkennen , ohne jedoch den Zeugnissen der Alten wider-
sprechen zu wollen, wonach Bacchus als Stier vorgestellt
und angebetet worden ist.
457
Von den Vasen habe ich sofort zu handeln, d. h.
besonders von Halisch - Griechischen, und, nur in so fern
sie Bacchische Personen und Seenen des mysteriósen
Kreises darstellen. Da dieser Classe aber bei weitem
die meisten sind, so sieht eia Jeder, dafs wir hier keine
Vollständigkeit beabsichtigen können. Zur Einfüh-
rung in dieses Gebiet alter Symbolik wird jedoch das
Folgende hinreichen. Nirgends ist es nun nöthiger, sich
mit dem Inhalt und Geiste Griechischer Mysterien ver-
tract za machen, als hier, wo es die Ausdeutung dieser
Vasengemilde gilt. Es ist wahr, man ist gleich anfangs
so ziemlich mit der Ueberzeugung daran gegangen, dafs
die gewöhnliche Mythologie hier nicht ausreiche. Da
aber die Toscanischen Erklirer in der Meinung und zur
Bekräftigung, dafs diese Vasen Etrurischen Ursprungs
seyen, aus der ganzen Masse der alten, besonders Ró-
mischen Literatur ibre Deutungen entlehnten, so war es
Zeit, dafs Deutsche Alterthumsforscher, besonders
Heyne, diesem unkritischen Verfahren sich widersetz-
ten. Die blofse Negation aber, so verdienstlich sie als
Vorbereitung seyn mag, ist durchaus unzureichend, wo
es auf Beantwortung bestimmter Fragen nach dem Sinne
eines Bildes ankommt. — Auch hierzu ist ein Schritt ge-
schehen , besonders von den neuesten Deutschen Archáo-
logen. Eingedenk des Griechischen Ursprungs der
meisten dieser Vasen haben sie aus Griechischem
Mythus und Leben Licht zu geben gesucht, und unleug-
bar oft mit sehr erfreulichem Erfolg. Nun mufs aber
noch eine grüfsere Aufmerksamkeit auf die unerschópf-
liche Dionysusfabel und auf die Reste alter Dionysiaden
in den Fragmenten der Tragiker bei Nonnus und Andern
hinzukommen , und vorzüglich müssen auch die Bruch-
stücke der Griechischen Historiker mehr als bisher be-
achtet, und die fast ganz vernachlássigten Griechischen
Philosophen, zümal die Platoniker, zu Hülfe genommen
458
werden. Darüber ist man ja einig, dafs diese Vasen-
malereien sich grófstentheils auf Mysterien beziehen.
So sollten denn auch die Schriftsteller befragt werden,
welche den Mysterien vorzüglich Aufmerksamkeit wid-
meten 110,
Es finden sich diese Vasen in solchen Griechischen
Ländern, wo der Geheimdienst des Bacchus , der Ceres
und Proserpina herrschend war, mehrentheils in Italien
und Sicilien , vorzüglich dort um die alten Stüdte Capua
und Nola; aber auch im Griechischen Mutterlande, be-
sonders in der Nihe von Athen 111), Fast alle sind in
Gribern gefunden, wo sie um den Leichnam herumste-
hen, und zum Theil an bronzenen Nägeln an den Wän-
den der Gräber aufgehängt sind. Gegenständ und Aus-
führung dieser Vasenmalereien zeigen noch die meiste
Verwandtschaft mit den Vorstellurgen auf jenen Räst-
chen von Erz, die zum Gcheimdienste von Griechischen
110) Die Verfasser der Description de l'Egypte Antiqq. Vol.
I1. pag.236. bezeugen ihre Verwunderung über die Man-
nigfaltigkéit und Schönheit der‘ Form alt- Aegyptischer
Vasen, wie mah sie z. B. in den Sculpturen der Gemä-
cher der Gebäude von Carnak (Theben) findet. Darauf
fügen sie hinzu: Les vases Etrusques si renommés re-
présentent rien de plus agréable ni de plus gracieux , et
ël pourroit bien se faire, que leurs rapports avec les
productions Egyptiennes de méme genre ne fussént pas
seulement l'effet du hasard. Auch in den Katakomben
von Eleithyas und Theben finden sich auf den Reliefs
und in den Malereien Vasen von den verschiedensten und
angenehmsten Formen, und von solchen, die den Grie-
chischen durchaus gleichen. Auch wird bemerkt, dafs
das Hausgeräthe dem auf den Griechischen Vasen ganz
ühnlich sey (ebendas. p. 335.).
111) S. Hamilton in Bôttigers Erklärung Griechischer Vasen-
gemälde T. pag. 26 ff. und dessen Ideen zur Archäologie
der Malerei I, p. 181.
459
Künstlern in Campanien und Unteritalien verfertigt wor-.
den sind.
In Gräbern wurden sie gefunden. Aber auch auf
die Grüber pílegten die Griechen Gcfifse zu stellen.
Damit hingen einige recht bemerhenswerthe Beligions-
begriffe zusammen ; daher ich einige VVorte darüber
sagen muís. Bei den Hochzeiten der Athener holte ein
Knabe, der dem Bräutigam am nächsten verwandt war,
aus der Quelle Callirrhoë das zur Reinigung bestimmte
Wasser. Er hiefs von diesem Geschäft 6 Xovvpodópoc,
der Badwassertrüger. Einen ühnlichen Knaben,
Camillus genannt, hatten die Römer bei ihren Hochzei-
ten. Man deutete damit auf das erste Element, das
feuchte, und somit'auf Fortpflanzung und Fruchtbar-
keit. Die erste Nahrung des Kindes an der Mutter Brust,
sagten die Alten, ist feucht, und die Flüsse und Flufs-
gottheiten hiefsen Nährer und Knabennährer ( xovpovoó-
ov); Vorstellungen, die selbst unter dem Volke noch
jezt nicht ganz erloschen sind. Darauf bezogen auch
Einige die bekannte Griechische Sitte, die Haare der
Knaben den vaterländischen Flüssen zu weihen. Der
Wasserkrug ward daher auch ein Bild der Vermählung
und des Ehesegens. Daher auch dort (beim Plutar-
chus de exsilio p.606. F. p. 444 Wyttenb.) eine klagende
Mutter die Feier des Hochzeittages durch jenes Wasser-
tragen (Aovvgojópoc x31) eben so wohl wie durch die
Hochzeitflamme bezeichnet. Damit hing nun folgender
schöne Gebrauch zusammen : Die Griechen stellten a uf
den Grabhügel unverheiratheter Personen einen
Wasserkrug, zum Zeichen, dafs sie das Brautbad
nicht empfangen , und‘ kinderlos gestorben seyen 112),
112) Demosthenes p. 1086 ed, Reisk. Eustathius et Scholiast.
ad Iliad. XXIII. 142.
400
Nach Pollux (VIII 7. 66.) stand auf dergleichen Grübern
das Bild einer Jungfrau mit dem Wasserhruge in der
Hand. Eine solche Statue auf Grübern mit und ohne
Wasserlrug nannten die Attiker émiotnua. Dieser Krug
war gewöhnlich schwarz, und hiefs daher AiBoc. Der
gebräuchlichste Name war jedoch % Lovtpo@dpog xdAmug
(s. die angefiihrten Stellen). KdAmic bezeichnete an sich
überhaupt ein Geschirr und Gefäfs sowohl zum Wasser-
holen als zum Trinken. Nachher sagte man dafür x&A-
$a 117. Als Trinhgeschirr giebt es Philemon beim Athe-
náus (XI. 34. p. 234 Schwgh.) für einen auf zwei Seiten
gehenkelten Becher, um die Finger hinein zu stecken,
oder mit fingerartigen Figuren ausgeziert 114, KdAnm
heifst auch eine Todtenurne, worin man die Asche ver-
wahrte (Plutarch. Marcell. cap. 30.) ; sodann wird dieses
Gefifs bestimmt ein Jungfernlrug genannt 115) Dabei
braucht man wohl nicht an jenes Grabzeichen der Jung-
frauen zu denken, sondern vielmehr an die Dichter-
stellen, wo Jungfrauen beim WWasserholen die 2EATTLG
113) S. Coray ad Heliodori Aethiop. p. 84.
114) In dieser Stelle scheinen die älteren Ausgaben und Eine
Handschrift auf die Schreibung xeAvó mit veründertem
Accent zu führen. Sonst kommt auch noch die Form
xd) vor und udiros, welches Hesychius für eine Art
von Becher erklärt. — Ich will bei dieser Gelegenheit
auch an eine andere Art von Trinkgeschirr im Bacchi-
schen Kreise erinnern, an das sogenannte Cissybium
(mocvBrey) oder den Becher mit Epheuranken;
s. Plinius H. N. XVI. 35. Virgil. Eclog. III. 38 sq. und
daselbst Vofs p. 122. nebst Valckenaer zu der ersten Idylle
des Theocritus vs. 27.
11$) vèçeia v209:9; Cyrillus in den Noten zum Hesychius
T'om. II. p. 128 Alberti.
“a
£61
haben, wie im Homeridischen Hymnus auf die Ceres 116)
und beim Theocritus (Idyll. V. 127.). — Also auf Grá-
bern war der Wasserkrug den Griechen, was bei uns
der Brautkranz auf dem Sarge ist, ein Bild der Ehelo-
sigkeit, In Gräbern war den Aegyptiern schon der
Wasserkrug ein Bild der Erquickung im dunkelen Schat-
tenreiche (s. oben I. Th. p. 313. 314 ff. 524.), und in
der mysteriösen Bedeutung des Sternbildes, gewöhnlich
VVassermàann genannt, auch dem Griechen ein hoffnungs-
reiches Zeichen für die nach der Rückkehr sich seh-
nende Seele, wie wir oben gesehen haben. Also wieder
einer der vielen Beweise, wie ein und dasselbe Bild ver-
schiedene Bedeutungen erhielt.
Dies führt uns zu der allgemeineren Frage zurück :
wozu waren die Vasen in den Gräbern bestimmt? Dar-
über kann ich ganz kurz seyn, da diese Antwort neuer-
lich befriedigend gegeben ist. Vorerst dienten sie nicht
als Aschenkrüge, weil jene alten Italischen Griechen
ihre Todten wie wir beerdigten. Sie sind als eine Gabe
zu betrachten, welche der Abgeschiedene mit ins Grab
nahm , als ein Geschenk, das ihm auch im Leben theuer
und lieb gewesen. Da sich nun nicht in allen Italisch-
Grieehischen Grabgewólben dergleichen Vasen finden,
da man ferner mehrere ohne Boden gefunden, und die
meisten endlich, wie bemerkt, Bacchische Scenen dar-
stellen; so liegt der Schlufs sehr nahe, dafs sie als Mit-
gift für die Todten eine Beziehung auf Bacchische My-
sterien hatten, dafs sie als ein Andenken an die Initiation
und gleichsam als Beglaubigung der empfangenen Weihe
gegeben wurden. Diese Einweihung geschah (nach vie-
len Spuren zu schliefsen) zu gleicher Zeit mit der Auf-
116) vs. 107. vergl. Ruhnkenius daselbst und Valckenaer ad
^ . Euripid, Hippolyt. 121.
av
462
nahme der Grofsgriechischen Knaben unter die Epheben
(ins Verzeichnifs der Jünglinge), wobei sie das dort ge-
wüóhnliche Pallium Graecanicum, den Grofsgriechischen
Mantel, erhielten (woraus man auch die vielen Mantel-
figuren auf der Kehrseite dieser Vasen erklirt). Zum
Andenken dieser Weihe und dieses Eintritts unter die
Epheben wurden nun, scheint es, diese Vasen gemalt
und geschenkt; und je gröfser der Segen war , den sich
die Alten von der Initiation auch nach dem Tode noch
versprachen, desto theurer hielt man diese Unterpfán-
der, und gab sie dem T'odten auch in das Grabgewülbe
mit. Es wurden aber in Grofsgriechenland Frauen so-
wohl als Männer in die Bacchischen Mysterien aufgenom-
Émen; vermutblich auch háufig Neuzuvermiüblende, die
zur Segnung ihres Ehebundes dem Libér und der Libera
geweihet worden zu seyn scheinen, so dafs die mystische
Ehe des Liber und' der Libera ein Prototyp ihrer eigenen
Ehe seyn sollte, die dadurch auch eine Weihe und ein
Sacrament (véAoz) ward (vergl. oben II. Th. pag. 515 ff.
559.. Daher auch Bräute bei dieser Gelegenheit ver-
muthlich Vasen geschenkt erhielten, welche sie nachher
mit ins Grab nahmen. Daher endlich die auf Vasen
so häufig vorkommenden Hochzeitsscenen sich erklären
lassen 117), — .
Nun höre ich aber fragen, warum man doch gerade
Vasen zu jenen Confirmations - und Hochzeitsgeschenken
wählte. Es ist wahr, diese Frage läfst sich mit der all-
gemeinen Bemerkung abfertigen, dafs die Griechen hàu-
fig Vasen und Urnen zu Geschenken wählten, und z. B.
in gewissen Spielen die Sieger damit beehrten. Auch
117) S. Bóttigers Aldobrandinische Hochzeit pag. 144 ff. und
dessen Ideen zur Archäologie der Malerei 1. pag. 176 fF.
p. 207 ff.
403
kann man sagen, dafs diese Vasen vielleicht mit zum
Todtendienste bestimmt waren, um etwa die Sühneyer
aufzunehmen, wie man denn in einigen wirklich Eyer
gefunden haben will. Und so Jassen sich mehrere ähn-
liche Bestimmungen, angeben. Allein erinnert man sich
andererseits des Geistes solcher mysteriösen Religionen,
der auch jedem Geräthe des Tempeldienstes seine weitere
Bedeutung giebt, so wird sehon im voraus die Vermu-
thung Eingang finden, dafs diese irdenen Vasen in den
Gräbern von Bacchusjüngern auch noch andere Bezie-
hungen haben mochten. Und hier leiten uns die Vasen-
malereien selbst zu weiterem Nachdenken. Wie oft er-
scheinen hier nicht Gefáfse, Becher und dergl. in den
Händen der Gottheiten, ihrer Priester und derer, die
jene darstellen. Es kommen auch Vasengemälde vor, auf
denen wir gerade wieder solche Vasen sehen, z. B. Sa-
tyrn ,.die dergleichen tragen, und sehr damit beschäftigt
sind. Dazu nun die mannigfaltigen Formen dieser Va-
sen, und die bodenlosen Gefälse dieser Art, die doch
blos der Form wegen da sind und als Träger der Male-
reien. Alles dies zusammengenommen, lifst doch ver-
muthen, dafs damit etwas VVeiteres angedeutet seyn
sollte; und so wird man von selbst auf die Bedeutung
zurückgeführt, die Krug und Gefäfs in allen alten He-
ligionen hatte, worüber im Capitel vom Samothracischen
Cultus ein Mehreres bemerkt wurde (IL. Th. p. 343 ff).
Wie beziehungsreich das Bild des Gefäfses auch in der
Bacchischen Lehre war, wissen wir aus dem Obigen.
Sieht man nun auf diese Vasen in den Gräbern der Bac-
chusdiener, so mag einem wohl der mystische Ausdruck
einfallen, wonach das Gefäfs der Behälter der See-
len heifst, mit dem angefügten Satze, daís bei der Her-
abhunft der Seelen ins Fleisch die Natur, die Bildnerin
(also die Persephone) Gefifse fertigt, und die Seelen in
sie einschliefst, wie in einen Kerker. Dies ist der noch
464
deutlich erkennbare Sinn einer etwas verstümmelten
Stelle des Hermes beim Stobáus (p. 1085 ed. Heeren.).
Also der Leib ist ein Gefäfs als Behülter der Seele, auch
das Grab und der Sarg sind es als Behälter des Leibes,
wie ich anderwürts (Dionysus pag. 158. 198 sqq.) gezeigt
habe, in Begriff und Sprache der Alten. Ein irdener
Sarg der Ariadne in einem alten Bacchustempel zu Ar-
gos wurde schon oben von uns bemerklich gemacht (aus
Pausanias Corinth. 23. fin.). Mit dem irdenen Gefilse
wurden selbst noch unter den luxuriösen Griechen in
Aegypten altreligióse Vorstellungen verbunden (Athe-
nàüus Vl. 15. p. 381 Schweigh.), und auch das alte Italien
hatte in seinen Tempeln irdene Gefifse, als Bilder der
guten und grofsen Gôtter 118), — Die Platonischen
Philosophen waren auf alte religiöse Gebräuche und Bil-
der besonders aufmerksam. Es ist daher nicht zu über-
sehen, was Porphyrius (de antr. Nymph. cap. 13. p. 14
ed. Goens.) darüber bemerkt: « Steinerne Mischgefäfse
(*pœrñpes), sagt er, sind die den Najaden von Natur ei-
genen Symbole, weil die Quellen, denen sie vorstehen,
aus Steinen entspringen. Dionysus hingegen hat die Ge-
füfse aus gebranntem Thon zum Eigenthume, denn sie
sind der Gabe dieses Gottes, der Frucht des Weinstocks,
befreundet, die, wie sie selbst, durch Feuer gereift
wird». — Ich weifs nicht, ob der Erklárer den Sinn des
Bildes genau getroffen 11?) So viel weifsich, dafs er den
118) Timius beim Dionysius Halic. Antiqq. Romm. cap. 67.
fin. vergl: oben II. Th. p. 878.
119) Schon in seiner Muttersprache fand der alte Grieche
die Begriffe Erde und Wein verbunden. ILjó hiefs
Lehm und Wein; s.Schboliast. Aristoph. pag. 426. mit
Hemsterh. Note, Schol. Venet. zu Iliad. A. vs. 596. und
meine Anmerkung zu den Homerischen Briefen an Hera
mann p. 217 — 219.
465
Charakter dieser altreligiösen Bildnerei richtig ergriffen
hat; und ich finde nichts Widersinniges darin , vielmehr
etwas der ganzen Mysterienlehre sehr Gemifses, wenn
wir diesen Spuren zufolge uns bei dem Stoffe der im
Feuer gebrannten Vase einmal den feurigen Wein den-
ken, und den Feuergott, der ihn gab, so wie die Feuer-
läuterung, die er als solcher auch in seinen Weihen an-
geordnet liat; unter der Form aber das umschliefsende
Behültnifs des Leibes, das beengende Gefüís, aus dem
die Seele im Tode entflohen ist. — Man kann alle diese
Beziehungen annehmen, ohne die andern Anlässe, wie
z. B. die Liebe der Griechen zu Vasen wegen ihrer Form,
die Bequemlichheit zu scenischen Abbildungen 120) auf
denselben und dergl. mehr , auch nur im mindesten leug-
nen zu wollen.
So viel im Allgemeinen über die Symbolik der Ita-
lisch- Griechischen Vasen. | Ehe wir nun einen Blick
auf den Bilderhreis derselben werfen, mufís ich' noch
ein VVort von den Bacchischen Vorstellungen auf sol-
chen Vasen sagen, die eigentlich Etruscischen Ur-
sprungs sind. Eine schwierige Materie, wie Jeder weiís,
bei dem Zwiespalt über das VVenige , was in dieser Kunst,
120) Wie z. B. zu Dionysusprocessionen. Eine solche Pro-
cession erkennt Walpole auf einer zu Athen in einem
Grabmale gefundenen Vase. Die Figuren stehen in einer
Reihe; der Thyrsus, fliegendes Haar, so wie bunte Ge-
wänder , charakterisiren die Personen, (s. Memoires ra-
lating to European and Asiatick Turkey by Robert Wal-
pole, London 1818. zweite Ausg.). — Vergl. das bereits
oben III. Th. pag. 116. Not. 53. Pemerkte. Ein anderer
Bacchischer Aufzug befindet sich im Museum von Town-
ley; s. Goede England, Wales etc. Th. IV. p. 54. Ich
habe selber auf der Tafel LX. nr. 2. ein Bacchanal, wor-
auf mehrere Gruppen von schwármenden Bacchen , Mi-
naden , Satyrn und dergl. um den Bacchus sich herum-
bewegen , copiren lassen; vergl. Erklirung p. 33.
111. .
20
466
classe Etrurisch heifsen kann. “ Dafs die Etrusker
frühzeitig den Bacchusdienst überkamen, ist bekannt,
wie nicht minder, dals sie in ihrem Boden trefflichen
"Thon hatten, und in der Bearbeitung desselben sehr ge-
schickt waren. Es hat daher der geübte Archäolog Lanzi
in seinen Abhandlungen über die sogenannten Etruri-
schen Vasen einige derselben als wirklich Etrusci-
sche ausgesondert, woraus ich hier kürzlich wieder
einige wenige mit Bacchischen Vorstellungen ausheben
will. Dahin gehürt die Vase bei Volterra ( bei Passeri
Pictur. in vasc. Etrusc. tab. 139.) von einer sehr seltenen
Art. Sie zeigt zwei Bacchantinnen, ganz nacht aufser
den Schuhen, Halsschmuck und Kreuzbindern über die
Brust, die sich zwei grofse Trinkhörner einander ent-
gegen halten. Sodann eine Vase bei Tischbein (I 29.
und copirt bei Lanzi L 3.). Man sieht darauf eine be-
kleidete Baccha in schreitender Stellung, mit aufgeho-
bener rechter Hand, und überhaupt in sehr lebhafter
Bewegung. Das Gewand ist sehr weit und fliefsend.
Endlich eine Vase von Arezzo (bei Passeri tab. 163.)
mit Bacchanalen, Aufzügen, Trinhgelagen. Das Gefäfs
gehört mit zu den besten aus dieser Gegend. Dabei
wird auch eines Bacchanals gedacht auf einer Etrurischen
Vase von graziüser Arbeit, iii Museo Grimani zu Venedig
(Lanzi p. 23 sqq.).
Ich kehre zu den Italisch-Griechischen Va-
sen zurück. Da die meisten Bacchische Scenen dar-
stellen, so ergiebt sich der weite Umfang des Gebiets,
aus dem. ich nur einige Hauptpunkte erürtern will: Wie
ist hier Dionysus gebildet? Sehen wir auch hier den
Stier, wie er bei den alten Griechen hiefs, oder den
Stiermenschen , wie auf den Münzen von Neapel?
Aeufserst selten, Dárum hat Miliin mit Recht
eine Vase ausgezeichnet, die uns den Dionysischen Stier
Zeigt und darauf eine Initiirte; daneben stehen mehrere
467
andere Eingeweibete, einer als alter Bacchus mit Krone,
Cothurn und Keule , also mit den Sonnenattributen, die
wir schon von Aegypten her kennen, daneben ein An-
derer als Ares oder Axiokersos, und noch Einer als
Hephästus oder Axiuri mit dem Cabirenhute 121, —
Also das Ganze eine recht auffallende Samothracisch -
Bacchische Initiation. Selbst mit Hórnern oder andern
Stierattributen ist Dionysus auf den Grofsgriechischen
Vasen selten. Desto bemerkenswerther ist die soge-
nannte Vase d'Orsay zu Paris, die ich daher auf der
fünften Kupfertafel zum Dionysus habe abbilden
lassen. Hier sehen wir den Gott an der Spitze des Ple-
jadenchors sogar mit einem Stiergesicht und mit Stier-
klauen an den Füísen, daneben wieder die Heule als
Zeichen des michtigen Sonnengottes *). — Das sind
aber, wie gesagt, nur einzelne Beispiele. Es ist wahr,
diese Vasen stellen mystische Scenen dar, aber doch
gröfstentheils wirkliche Festanfzüge und ähnliche reli-
giöse Vorgänge. Wie die Griechen nun hierbei alles
Widerwärtige oder Gräfsliche zu vermeiden suchten,
eben so in jener künstlerischen Reproduction durch Ma-
lerei. Erwarte also Niemand hier jenen schrecklich ge-
stalteten Phanes Orphischer Kosmogonie zu finden, oder
die gräfsliche Kora, wie sie Athenagoras beschreibt.
Eine solche Darstellung verträgt nur das Wort und die
Rede, nicht aber die Bildnerei: ich meine die Grie-
chische. Mochte ein Lehrsatz oder Mythas auch den
Mysterien angehóren ; sobald er versinnlicht werden soll-
te, suchten die Griechen auch den Sinn zu befriedigen,
121) S. Peintures d. Vases antiques Tom. II. pl. 9.
*) Tôlken zu Millins Galerie p. 48. will vielmehr den Mino-
taurus und die geopferten Athenienserinnen hierin sehen,
Ich kann wegen anderer unzweideutiger Bildwerke dieser
Deutung nicht beipflichten.
468
und sie hatten den feinsten Sinn. Daher schlossen sie
sehr auffallende Gótterbilder der ältesten Religion, wie
z. B. den Mannstier Hebon, móglichst vom Gebiete der
Kunst, mithin auch der Vasenmalerei, aus. Die Mün-
zen, welche nie eigentlich in ihren Kunstkreis gehörten,
pflanzten dagegen solche alte rohe Bilder der Stadtgott-
heiten fort, und erhielten sie im Angedenken der Bür-
gerschaft. Die Vasenbilder, zum Theil selbst von grös-
seren Gemälden copirt, hielten sich an den Runstgesetzen
aller Malerei. Daher ergriffen sie aus der Symbolik der
Vorzeit gewifs immer die menschlichste Seite, und wen-
deten sie, so weit möglich, dem Sinne des Griechischen
Lebens gemäfs. So näherten sie z. B. die Darstellung
des Beilagers des Liber mit der Libera, statt, wie die
Münzen, die Proserpina unter den Liebkosungen einer
Schlange mit dem Stiermenschen Hebon zu zeigen, der
mythischen Geschichte von der Verbindung des Dionysus
mit der Ariadne auf Naxos.
Die menschliche Bildung des Bacchus auf Vasen ist
mannigfaltig, dem Grundbegriffe des Gottes gemis.
Lanzi ( Vasi p.82 sq.) macht die Bemerkung, dafs man
den Gott auf Vasen gewöhnlich als unbärtigen Jüng-
ling, und zuweilen als bärtigen Mann gebildet sehe.
Ganz anders Büttiger. Dieser bemerkt, Bacchus werde
auf den Griechisch- Italischen Vasen áufserst selten
jugendlich gebildet, mehrentbheils bártig in ehrwürdiger
Gestalt mit langem 1liefsenden Gewande, nach der äl-
teren Dorischen Vorstellungsart, wie er in den Grofs-
griechischen Stádten bei den Bacchusprocessionen dar-
gestellt worden sey. Diese àltere Bacchusform leitet
derselbe Gelehrte von dem àltesten Fetischdienste Vor-
derasiens und namentlich von den rohen Holzblócken
ab, die allmáhlig zur Phallusherme, bis zum männlich
bürtigen Gottesbilde sich verfeinerten. Dabei wird an
die uralte Lesbische Bacchusherme und an den Pria-
469
pus der Lampsacener erinnert 122). Je fruchtbarer die
dort gegebenen Kriterien der Vasenmalerei sind und je
grüfseren Eingang sie sich verdienen werden, desto nà-
thiger ist es einen Satz, wie der behauptete, näher zu
beleuchten. Zwar kónnte Jemand sagen, wie Bacchus
auf Vasen am báufigsten gebildet sey, bedürfe ja keines
Streitens ; es bedürfe nur offener Augen und einer ein-
fachen arithmetischen Induction. — Darüber ist aber so
oft eben die Frage: welche Figur unter vielen dieser
Gott selbst sey? Lanzi und Bttiger, wie wir sahen,
beantworten sie ganz verschieden,: Die WVahrheit liegt
auch hier in der Mitte.
Ursprünglich und nach der ersten Vorstellung des
Bacchus, wie sie aus der Fremde zu den Griechen kam,
ward er gewifs schon verschieden gebildet, so-
bald man ihn nur menschlich bildete. Eben der Wech-
sel von Gestalt und Alter gehörte zu seinem eigensten
Wesen, Daher Keiner der Griechischen Stämme auch
früherhin àn Einer Vorstellung dieses Gottes hing.
Also auch jene Dorer und Achüer nicht, deren Italische
Colonien uns diese Vasen liefern. Zum Beweis einer
im ersten Begriffe des Dionysus liegenden Vielfach-
heit der Gestaltung könnte ich Stellen anführen, wie
die des Plutarchus (de Ei ap. Delph. p.389. B. p. 593
NVyttenb.), des Macrobius (Saturn. L. 20.) und andere.
Da diese aber für späte Deutungen erklärt werden möch-
ten, obschon ich sie nicht dafür halte , so will ich lieber
122) S. dessen Ideen zur Archäologie der Malerei p. 155 ff.
Zwei Hermenköpfe des Liber und der Libera,
Copie einer Büste im Brittischen Museum , liefert unsere
Tafel XLVIII. nz. 2. vergl. Erklárung pag. 33. und oben
II. Th, p. 221. — In späteren Zeiten stellte man auch
den Antinous ganz ähnlich dem Bacchus dar; s. Pausan.
A1cad. 9. $. 4.
470
lieber auf alte Tempelgebráuche verweisen , wovon Pau-
sanias so viele anführt, z. B. (Corinth. cap. 7.) die Er-
zihlung von den verschiedenen Bacchusbildern zu Sicyon,
die man am Jahresfeste aus der Sacristei zu dem neuen
Tempelidol hintrug (s. oben IIL Th. p. 108 £.). — Aber
auch Lesbos, woher ja, der Annahme nach, nur ein
birtiger Dionysus kommen konnte , Lesbos hatte selbst
neben einer bártigen Bacchusherme von Alters her einen
unbártigen, mádchenhaften, süfísen Driseus, wie ihn
Aristides (p. 29 Jebb.) gerade unter diesem Namen schil-
dert. Dafs endlich ein jugendlicher Bacchus und selbst
ein mannweiblicher früh zu den Dorern und Achäern
und sofort in ihre Italischen Colonien gekommen sey,
davon geben die Grofsgriechischen Vasen selbst unzwei-
deutige Beweise. Vorjezt will ich mich auf den entschei-
dendsten beschränken, wo die Beischrift keinen Zweifel
übrig läfst. Man sehe das schône Vasenbild in der Samm-
lung von.Millin (ll. 49.) , wo Bacchus als Ephebus oder,
wenn man will, im Alter zwischen Krabe und Jüngling
in den Ármen einer Nymphe liegt, mit dem beigefügten
Namen A:óvvcog in alt- Griechischer Schrift. Dieselbe
Vase zeigt uns auch einen Dionysus auf dem Sonnen-
wagen, der ganz wie ein Hermephrodit aussieht, wie
Millin dort richtig bemerkt. Das ganze Bild ist übrigens
durchaus in der älteren Weise, und von späterer Bei-
mischung ist keine Spur. Ich móchte daher überhaupt
nicht sagen, dafs der àltere Bacchus der Dorer, der
Achiier und ihrer Italischen Colonien nur der männlich
birtige war, der in der Kunst als der Indische bekannt
ist, obwohler, wie sich sofort ergeben wird, ungezwei-
felt so auf jenen Vasen vorkommt 1%),
123) Pausanias ( Achuic. 23. $.7.) erwühnt eines Tempels
des Dionysus zu Aegium, wo Dionysus ohne Bart
dargestellt war (ZyzX«x odx Pyov vw evar); darauf spricht
471
Die Kleidung betreffend, so hat dieser männlich -
königliche Bacchus gewöhnlich die weite und lange Bas-
saris an. Uebrigens hat Dionysus- auf Vasen mebren-
theils das Hirsehkalbfell um, oder sonst ein kurzes
Thierfell. Den Kopf umgiebt gewöhnlich ein Epheu-
hranz, seltener ein Lorbeer. Zuweilen hat er die Mitra,
d. h. eine blofsc Kopfbinde mit herabhingenden Bachen-
flügeln. Man sehe z. B. das Bild bei Millin (Peint. de
Vas. I. pl. g.). Daher die Beinamen des Bacchus SqÀv-
uitpns und xevosopitons 124). In der einen Hand bat er
entweder cine breite Schaale, oder ein eigenes hohes
Gefäfs Cantharus (xdvSapoc), worüber ich anderwärts
(Studien Il. p. 223.) das Nöthige bemerkt habe. Dieses
er von einem Tempel des Zeus Soter, d. i. des Er-
retters, auf dem Markte, und von zwei Bildsáulen
von Erz zur Linken beim Eingange; dieaber, wel-
che keinen Bart habe, scheineibm älter zu
seyn (rà 9i cux Esgoy Tu "Véverx Spaívsro doyauóregov elyaí 1408).
Dagegen zu Aegina waren (ebend. Corinth. 30. $.3.)
ganz nahe bei einander die Tempel des Apollo, der Ar-
temis und des Dionysus. Das Schnitzbild des Apollo war
nackend und von einheimischer Arbeit, Diana und Bac-
chus aber bekleidet, letzterer auch mit einem Barte
vorgestellt; Ueber das dunkele Haupthaar ( Z9eigat
wvavéae) , das dem Gotte beigelegt wird, s. Winckelmann
Allegorie p. 595 der neuesten Ausg.
124) Sophocl. Oedip. Rex vs. 209. und dort Musgrave. An-
tholog. Gr. Vol. IH. p. 216 Jacobs. vs. 23. Ueber 9uv-
pérens habe ich in den Meletemm. I. p. 21. dieHauptstelle
angeführt: Lucian. Diall. Deorr. II. pag. 51 Bip. und da-
selbst Hemsterhuis p.297. Interprr. ad Bacch. 4. Von
afodopitgys 8. oben 1l. Th. p. 413. und über diese ganze
Vorstellungsart Heyne 2u Aeneid. IV. 216. und Millin zu
den Vases antiqq. II. 9. pag. £0. — Ueber den unedirten
Baccehuskopf, im Besitz des Herrn. J. David Weber
in Venedig, wovon die Titelvignette dieses dritten Theils
eine Abbildung giebt, ein Mehreres im Verfolg,
472
Gefäfs ist ein Hauptliennzeichen des Dionysus. Nur er,
und etwa sein Begleiter Herakles scheint es zu führen 125),
In der andern hat er háufig den Zweig oder die Ferula.
Die Beschuhung erinnert an des Gottes Festspiel, die
Tragódie, oder auch an sein weibliches VVesen, daher
er eigenthümlich und selbst im Kriege den Cothurn trägt;
über welche Beschuhung neuerlich Welcher in den An-
merkungen zu den Früschen des Aristophanes (vs. 47.
pag. 112.) gute Bemerkungen gemacht hat, — Je öfter
aber der Priester , zumal der Oberpriester , bei Proces-
sionen und dergl. den Gott reprüsentirte, und je leichter
mithin die Verwechselung des Gottes mit dem Priester
ist, desto mehr ist auf. Darstellungen zu achten, wo ge-
wisse Umstände und Handlungen keinen Zweifel übrig
lassen, dafs wir den Gott selber abgebildet sehen , z. D.
wo ihm von dem Priester selbst ein Opfer oder derglei-
chen dargebracht wird; worüber Visconti-(Museo Pio -
Clem. Tom. V. pag. 13. h.) und Bôttiger (Ideen zur Ar-
chäologie der Malerei I. p. 195.) treffende Erinnerungen
gemacht haben, Für die Einsicht in die dargestellten
Göttergeschichten und Lehrsätze ist es indessen gewöhn-
lich ganz gleichgültig, ob wir in einem gegebenen Bilde
den Gott oder den ihn repräsentirenden und also mit des-
sen Attributen und Umgebungen sich darstellenden Prie-
ster sehen,
Einige Beispiele aus der Geschichte des Bac-
chus, wovon sich einige Scenen auf den Vasen
zeigen, mögen uns den Weg zu den Darstellungen der
mysteriösen Geschichte und Lehre bahnen. Auf einer
Vase bei Passeri (I. 13.) , um auchhier von Theben 126)
125) Millin Monum, ined. Tom, L. p. 231.
126) Man hat auch eine Erzählung von dem Teumesi-
schen Fuchse, den Bacchus im Zorne zum Schaden
475
auszugehen , will Lanzi (p. 141.) den Rathgeber Tiresias
sehen. Die Geschichte steht bei Nonnus (Dionys. XLIV.
95. p. 1144.), Bacchus kehrt in die Vaterstadt von dem
Indischen Zuge zurück , und nun ertheilt der Seher Ti-
resias dem Cadmus den Rath, den Halbgott zu verehren,
wozu Agave durch einen schreckhaften Traum, dafs ihr
Sohn. Pentheus von wilden Thieren zerrissen worden,
den Anlafs gegeben hatte. Auf der Vorderseite ist die
Scene dargestellt, wo "Tiresias mit Cadinus redet, und
die Verehrung des Dionysus räth; auf der Kehrseite sieht
man Dionysus mit seinem orgiastischen Gefolge kom-
men. — Also das Ganze eine Scene aus der Gründungs-
geschichte des Bacchusdienstes, dergleichen wohl mehrere
an Dionysischen Festen dargestellt wurden.
Ein anderes Vasenbild 127) bezieht sich vermuthlich
auf einen Aetolischen Mythus. In Aetolien haben
wir oben schon alten Weinbau gefunden, auch einen
Weinhund, einen ersten Pflanzer (Phytius) und einen
Weinmann (Oeneus). Dieser letztere König von Caly-
don 128) hatte die Althia zur Frau, die das Glüch oder
der Thebaner aufgezogen, der aber, als er eben von
dem Hunde , welchen Diana des Erechtheus Tochter Pro-
cris gegeben hatte, gefangen werden sollte, mit dem
Hunde zugleich in einen Stein verwandelt worden; Pausa-
nias Boeot. 19.
127) Passeri II. 123. vergl. Lanzi p. 149.
128) Zu Patri in Achaja hatte Bacchus unter dem Namen
des Calydoniers einen Tempel; denu seine Bildsaule
war aus Calydon hierher gebracht. Als Caiydon noch
bewohnt wurde, wird unter den Priestern des Gottes Co-
resus genannt, der von heftiger Liebe zu einer Jungfrau
Callirrhoë entbrannt war ; diese aber hafzte ihn eben so
sehr, und liefs sich durch nichts zur Gegenliebe bewe-
gen. Da nahm er seine Zuflucht zur Bildsáule des Got-
tes, der sein Flehen alsbald erhôrte. Die Calydonier
474
Unglück hatte von zwei Göttern geliebt zu werden. Vom
Ares hatte sie den Meleager und vom Dionysus eine Toch-
ter Dejanira 17?) Nun weils die Fabel bei Hyginus
(fab. 129. vergl. Apollodor. LI. 8.), ohne Zweifel aus
verlorenen Tragddien, wie denn auch Euripides im Cy-
clopen (vs. 39.) darauf anspielt, dafs Dionysus einst beim
Oeneus einkehrte, die Althäa lieb gewann, und dafs
Oeneus, um der Liebe des Halbgottes Raum zu geben,
sein Haus verliefs, wofür er das Geschenk der Rebe
vom beglückten Dionysus erhielt. Also eine neue Fabel
von der Entstehung des Aetolischen Weinbaues. Auf
jener Vase sehen wir diesen Letzteren, wie er eben mit
der im Fenster stehenden Althiia redet. Daneben einen
Silen mit der Cithar. Auch beim Euripides ist es Sile-
nus, der dieser Geschichte erwähnt. Auf einem andern
Vasenbilde bei Passeri (II. 201.) erkennt nun Lanzi (a.
a. O.) dieselbe Altháa im Fenster, Bacchus sitzt schla-
fend vor der Tküre, aus der so eben der König Oeneus:
heraustritt, im Begriff seine Wohnung zu verlassen.
Daneben ein Satyr, der den Bacchus erinnert, zur Al-
thäa hinein zu gehen. — Das war eine folgenreiche Ver-
wurden plötzlich des Verstandes beraubt, und manche
starben in diesem Zustande, Das Dodonäische Orakel,
an welches sie sich deshalb wandten, erklärte als den
Grund ihres Unglücks den Zorn des Bacchus; auch
werde es nicht eher aufhören , bis Coresus entweder die
Callirrhoé selber oder einen andern, der für sie zu ster-
ben entschlossen wáre , dem Bacchus geopfert. Allein in
dem Augenblicke, wo Callirrhoé vor dem Altar stand,
um den Todesstreich zu empfangen, opferte freiwillig
Coresus sein Leben dem Gotte. Da veránderte sich der
Sinn der Callirrhoé , und von Mitleid, aber auch von
Schaam ergriffen, entleibte sie sich sogleich ; Pausau.
Achaic. 21. init.
129) Nonnus XLVIII. 554.
475
bindung.‘ Nicht blos die Gabe des Weinstocks und der
Dionysische Gottesdienst ward dadurch nach Aetolien ge-
bracht, sondern es ward auch Dejanira geboren, die als
des Herakles Gattin ein nicht weniger merkwürdiges
Schicksal hatte, als ihr heroischer Bruder Meleager.
Man sieht daraus, wie diese berühmte Begebenheit ein
Gegenstand festlicher Dramen und Malereien werden
konnte.
Bedeutsamer noch und schon mit der eigentlichen
Mysterienlehre zusammenhángend ist ein anderes Vasen-
gemälde (bei Passeri nr. 171.) , dessen Gegenstand Lanzi
(pag. 145.) aufs treffendste angegeben hat. Wir wollen
nun auch noch die Beziehungen verfolgen, in denen
das Bild mit den Mysterien steht. Danaus schichte
seine Tóchter zum Wasserholen aus, weil durch Posei-
dons Zorn in Argos alle Quellen vertrocknet waren.
Amymone, eine der Danaiden, wird bei einem dieser
Gänge von einem Satyr überfallen. Sie entflieht glücklich,
und beklagt sich bei Poseidon. Dieser verbindet sich jezt
selbst mit ihr, und zeugt den Nauplius. An dem Orte
hatte er mit seinem Dreizack die Lernüische Quelle 139)
130) Das Lernäische Wasser war berühmt ( Athenäus IV.
p. 110 Schwgh.). Es gab zwei Quellen bei Lerna (Scho-
liast. Euripid. Phoeniss. 195, nach Valckenaers Verbes-
serung). Die berühmtere, die auch zuweilen ein Flufs
genannt wird, und sich in den Lernüischen See ergofs,
hiefs Amymone, wie die Finderin (Spanheim ad Callim.
Pallad. vs. 145. vergl. denselben ad Jov. vs. 19.). Die
Fabel war berühmt. Aeschylus selbst hatte eine Tragd-
die; Amymone, geschrieben (Fabricii Bibl. Gr. IF.
pag. 177 Harles.). Vielleicht ist Hygin's Erzählung daraus
genommen. Auch Euripides in den Phónissen spielt auf
diesen Mythus an, wo der Scholiast bemerkt, dafs der
Ort, wo Neptun die Quelle entstehen liefs , der Dreizack
(reza) hiefs (Schol. ad vs. 195, und daselbst Valckenaer).
470
ihr angezeigt, oder entstehen lassen 13), — Auf jenem
Bilde sehen wir die Amymone im Gespräch mit Posei-
don. Neben ihr steht der Wasserkrug. Die Umgebung
bilden drei Satyrn, wovon einer ganz die Stellung eines
Anklägers hat, und einer sich zu entschuldigen scheint.
Das ist also eine Vorscene, der von Amymone beim
Neptun verklagte Satyr. Bleiben wir einen Augenblick
bei diesem Bilde stehen, wie es sich dem Auge darstellt.
Es ist ein schónes Bild, es ist ein Bild voller Handlung
und Leben. Der ernste ruhige Gott im Contrast mit dem
heftig gesticulirenden Satyr, in der Mitte die schöne
Wasserträgerin in bittender Stellung, und Poseidon in
ein ruhiges Betrachten ihrer Schönheit verloren. So
war das Ganze vielleicht auch dramatisch gruppirt an
Grofsgriechischen Bacchusfesten, und so konnte es je-
dem Zuschauer gefallen. Der Sinn ist vollkommen
durch diesen Anblick befriedigt und belohnt. Aber hier
haben wir wieder ein sprechendes Beispiel von der
Vielseitigkeit der antiken Symbolik, zumal dieser
mysteriösen. Der Eingeweihete sah in dieser Scene noch
ganz andere Beziehungen, Diese Amymone war ja der
Danaiden eine, von denen die Thesmophorien gestiftet
waren (Herodot. II. 171.) , und somit auch. ein Haupt-
zweig der Dionysischen Geheimlehre. Denn dort zu
Lerna, an demselben See, in den sich die Quelle Amy-
mone ergols, hatte ja Ades die Persephone in die Unter-
welt hinabgeführt. In jener Gegend auch hatte Dionysus
seine Mutter Semele wieder heraufgeführt, und in einem
heiligen Haine dort sollten die Danaiden alte Bilder der
Ueber die Wassertriger (ógoQógor, Vögoyior) und Was-
sertrágerinnen der Alten hat Spanheim a. a. O. das Nó-
thige bemerkt.
131) Hygin. fab. 169. mit dem Appendix des Glossators p. 294
^. Staver. und dort die Ausleger.
477
Ceres und des Bacchus gestiftet haben 132). Daher auch
die Danaiden auf mehreren Vasen vorhommen, z. B.
der um sie zu Argos angestellte Wettlauf auf dem be-
rühmten Gefáís in der ersten Hamiltonschen Sammlung
(I. pl. 13o.), die Visconti die schünste unter allen nennt,
und die VVinchelmann in der Geschichte der Kunst (I.
pag. 256 ff. neueste Ausg.) so glücklich erklärt hat 153),
Die Danaiden nun waren in der mythischen Geschichte
als Wassertrügerinnen berühmt in verschiedenem
Sinne. Einmal sollten sie das durstige Argolis gewässert
haben durch glückliche Findung von Quellen. Sie waren
die gesegneten Brunnengeberinnen 15%), Also die Stif-
terinnen von Mysterien sind auch die Geberinnen des
kühlen Wassers, Sie kamen aus Aegypten her. Nun
gedenke man, was das kühle Wasser in der Unter-
welt dem Aegyptier war. Das kühle Wasser, so lautet
ja der Spruch auf der Mumiendecke, soll Osiris geben,
und der VVasserkrug in Hermes Hand und in der Mumien
132) Pausanias Corinth. cap. 36 sq.
133) Dafs diese|Vasen Copien gröfserer Gemälde waren, er=
giebt sich von selbst, und die Stelle des Philostratus
(Iconn. I. 8. pag. 775.) überzeugt uns historisch, Er be-
schreibt ein Gemälde‘, überschrieben Amymone. Auch
dort war diesem bedeutsamen Mythus die schönste Seite
abgewonnen. Es war der Moment gewählt , da Poseidon
sich der Amymone nahet, Sie weifs nichts von der Liebe
des Gottes, der sie mehrmals beim Wasserholen ge-
sehen hat. Jest ist er über das von keinem Lüfichen
bewegte Meer ihr zugeeilt. Er nahet sich ihr mit heiterer
Miene. Dem erschrockenen Miidchen entsinkt der gol-
dene Wasserkrug (nai 3 wdhmig v, «guo OusUNovca cds
xsigas). Das strahlende Licht der Landschaft und das
blaue Meer vollenden das Ganze dieser‘ anziehenden
Scene,
134) S. die Stellen bei Spanheim ad Callim, Pallad. 46 sqq.
479
Ffand ist das trostreichste Zeichen. Hermes mit dem
Trankopferbecher ( ascevdeior) ist auch der Lehrer der
Mysterien. Das sind auch die Danaiden mit dem Was-
serkruge. Sie sind aus dem Hermeslande gekommen,
und haben dem dürren Argos (soAvOtjiov "Apyoc) Was-
ser und Heichthum gebracht, also Nahrung dem Leibe
und der Seele, mit dem Zeichen des kühlen Wassers zu-
gleich den erquickenden Trost der Lehre, der Lehre,
die nur Geweihete empfangen, die ibnen den Zweck des
Lebens zeigt und die Hoffnung der Rückkehr in hó-
here Sphiren; wofiir ja wieder der VY asserkru g (x&A-
zc) als das Zeichen des YWassermanns im Dogma
von der Seelenwanderung das Zeichen ist. Dieser VVas-
sermann konnte Danaus selber seyn, eben so wohl als
Cecrops, der Aegyptische Pflanzer von Attica, welchen
Einige dafür hielten 195), Nonnus hennt wenigstens den
Danaus als Wasserbringer (tàpoF0pos), der das dur-
stige (diiov) Argos durch seine Wasserbäche erquickt
hatte 156), Man weifs ja, was die Alten von diesem Ver-
dienst des Danaus zu rühmen wufsten 137). In der My-
sterienlebre ward also Argos, die Wiege der; ältesten
Griechischen Religionen, doppelt betrachtet. Einmal
war es das Land der Dürre und des Fluches; das andere
mal die Aue des Segens und dor Seeligheit — Begriffe,
die in allen alten Religionen vorkommen, in jener Par-
senlehre von Turan und Iran und in den Aegyptischen
Sagen von der Heimath des Alles versengenden l'yphon
135) Eratosthenes Cataster. cap. 26. und daselbst die Auss
leger.
136) Dionysiaca 1V. 254. pag. 126.
137) S. Strabo VIII. p. 569 seq. und die Griechischen Aus-
leger zu der viel bestrittenen Homerischen Stelle Iliad.
lV. 171.
479
und von dem Segenslande des Osiris. — Diese Doppel-
natur wird auch von dem Wasserbringer und seinen
Tôchtern bemerki. Doch ehe wir die Kehrseite betrach-
ten, mufs der Amymone nochmals gedacht werdon. Das
war die Wasserspenderin vorzugsweise. Das war auch
die Tadellose (duvuarı), die Reine, Sie hatte dem
Satyr widerstanden, sie ward vom Gotte erwühlt, das
reinste Wasser, das Reinigungs- und Heilwasser von
Lerna zu finden, das daher tadellos hiels, wie sie;
sie erzeugte mit ibm den tadellosen, getreuen Nau-
plius, der die Auge getreulich in ein fremdes Land ge-
leitet ( Apollodor. 1IL 9. 1.). Darum ward auch Amy-
mone die Heldin eigener Tragódien, und ausgesondert
von alten Dichtern aus dem blutdürstigen Chore ihrer
Schwesiern. Nur acht und vierzig Danaiden hatten nach
Pindarus (Pyth. IX. 195. ibiq. Scholiast) ihre Münner
gemordet. Hypermnestra und Amymone hatten ihre
Hände rein erhalten. Letztere hatte Poseidon schon zu
der Seinigen gemacht. Wer sieht aus dem Allen nicht,
welch ein passender Gegenstand die Geschichte der Amy-
mone auf einem mysteriösen Vasenbilde war? Es war
ein anmahnendes Symbol an die Mysterien und die VVas-
serreinigung dabei, an die Segnungen, an den Trost,
deren der Eingeweihete theilhaftig ward, und an die
Hoffnungen, die ihm unter dem Bilde der Wasserurne
und des kühlen Wassers verheifsen wurden. Aber auch
ein Symbol der Reinheit und der ehelichen Liebe
war diese Amymone, da sie dem Satyr entflohen war
und, als Gattin des Gottes bewahrt vor der Schuld,
frohe Mutter eines tadellosen Helden ward. Ihre Be-
stimmung war erfüllt, und ihr Wasserkrug blieb ein
Zeichen des Segens. Es war daher eine Vase mit dem
Bilde der Amymone ein schichliches Geschenk für eine
in die Mysterien eingeweihete Braut.
4--
Halten wir nun die mystische Bedeutung der Was-
slerurne als eines Bildes der Reinigung, der Ein-
weihung, des Segens und Trostes, welchen die
Mysterien ihren Theilnehmern verleihen , und besonders
als Bild der seeligen Rückkehr aus dem Schlamme der
Materie: durch die Seelenwanderung fest, wofür in dem
Vorbhergehenden hinlángliche Beweise gegeben sind, so
werden wir nun auch die Kehrseite dieses vielsagenden
Symbols und des daran gelnüpften Mythus sehen.
Der zerbrochene Wasserkrug , oder das lecke F'afs,
oder das Sieb , womit die VVasserträgerin vergebens
Wasser zu holen bemüht ist — Alles dies sind Bilder
des unerquicklichen Lebens, das Ungeweihete führen.
Ihr Daseyn ist trostlos. Sie entbehren des kühlen Was-
sers und der erquickenden Lehre. Ihnen sind verborgen
die Gnadenzeichen des VWVasserkrugs. Ihr Daseyn ist
nichtig, schwankend und zwecklos. Sie verbleiben nach
diesem Leben in der niederen Sphäre der Materie — ein
Satz, den wir im Verfolg als Mysterienlehre nachweisen
werden. Daher sind die leeren Wasserkrüge ein Sinn-
spruch und Sinnbild der Zwecklosigkeit, der Hoffnungs-
losigheit und des Unsegens, dem die Uneingeweiheten
bingegeben gedacht wurden. Diese Idee, an die Grie-
chische Sitte angelhnüpft, erzeugte nun das Bild einer
unglücklichen, und vergeblich arbeitenden Wassetträge-
rin, die mit zerbrochenem Gefäfs sich trostlos abmühet,
und keine Erquickung giebt und findet. Dafs diese Vor.
stellung alter Mysterienglaube war, beweiset Alles, Zu-
vörderst heifsen die Gefifse der Danaiden sehr bedeut
sam ddpiau âtekeis 138); sie bringen nichts zu Stand:
sie geben kein réXoç; keine Vollendung, also auc
keine Weihe, denn dieses Wort bezeichnete ja auch
138) Aeschinis AxiochuszS. 21. p. 166 Fischer.
So
731
die Weihe und das Mysterium. Aucki rarhte man dié
unglücklichen Wasserträgerinnen ’Hxedayai (Proverb.
Graec. Cent. III. 31.) d. i; Schwankende, die keinen
festen Grund haben. Weiter wissen wir ats Pausanias
(Phocic. cap. 31. Ç. 2. p. 876 Hulin.), dafs der berühmte
Polygnotus in der Lesclie zu Delphi in seiner Darstel-
lung der Unterwelt unter den Hóllenstrafen das Schöpfen
in ein Fafs mit zerbrochenen Gefáfsen abgebildet hatte ;
worüber sich der Referent so ausläfst: «die Personen
über der Penthesilea tragen Wasser in zerbrochenen
Schópfhrügen (iv xovsoyóow Óóocpóxoi), die eine hat
das Ansehen einer Frauensperson, die andere ist schon
ältlich. Ihre Namen stehen nicht dabei, Ueber beiden
stéhet, dafs sie nicht zu den Geheimnisset eit-
geweihet gewesen». Im Verfolg fübrt Pausanias
ähnliche Symbole an. Die Stelle ist aber verdorben:
Ueber diese Darstellung des Polygnotus verglèiche mari
die Ideen zur Archäologie der Malerei von Bôttiger (I:
pag. 263.), der daselbst auch ein altes Relief im Museo
Pio - Clementino (Tom. IV. nr. 36.) mit einem ähhlichen
Gegenstande nachgewiesen. Für das Alter dieser Vorz
stellungen spricht alles Bisherige, besonders auch die
frühe Abbildung durch Polygnotus, und dant auch hocli
folgende bemerkenswerthe Stelle des Plato im Gorgias
(p. 493. B. p.159 ed. Heindorf). Dort wird vor der
Ansicht geredet, nach der das Leben mühselig uñd ein
wahrer Tod, der Tod hingegen Leben sey, mithin unsere
Korper nur unsere Griber. Darauf kommt die Rede auf
das Sinnbild des Fasses, mit einigen Wortspielen ; die
man dort selber lesen müfs; und einer versuchten Deu-
tung, wobei folgende Worte für uns zu bemerken sind:
« daher wiren nun in der Schattenwelt (&dov) jene Ausges
schlossenen (die Ungeweiheten; auvnzor) dre unseeligsten;
und triigen Wasser in das lecle Fafs (sic «0» tevonpévod
miSoy) mit einem eben $0 lecken Siebe (3ooxíy) »:
111. ,
.€
qi
3j
." Erwügen wir nun, dafs Argos einer der ültesten
Sitze der Mysterien war, und daís man ihre Stiftung dem
Danaus und dessen Kindern zuschrieb, die sie aus Ae-
gypten herübergebracht haben sollten , so wird man es
sehr begreiflich finden, wie im Guten und im Bósen
die Geschichte dieses alteu Künigshauses mit Symbolen
und Lehrsátzen vermischt wurde, die es den Griechen mit-
getheilt. Danaus hatte agrarische Cultur unter die armen
Pelasger in Argolis gebracht, und zugleich auch Lehre.
Darum war er der Wasserbringer und Segensmann. Ein
Mord, in seinem Hause verübt, zeigte ihn von der an-
dern Seite, und seine 'Tóchter , die Mórderinnen (einige
Sagen setzten auch die Amymone in diese Zahl) waren
nun die Unseeligen, die Bésen, die Trigerinnen der
zerbrochenen Wasserkriige. Als Trägerinnen der gan-
zen Gefäfse sind sie die Segensstifterinnen. Aber wer
weifs, ob auch nur so viel Historisches in dem Ganzen
ist. Funfzig Brunnen, die jezt reichlich flossen,
jezt versiegten, konnten funfzig Tóchter heifsen, und,
denn auch dafiir zeigen sich Spuren 139), jezt ein Bild
des Heils, jezt des Unheils seyn. Wie dem aber auch
sey, das Symbol des VVasserkrugs mit dem daran ge-
knüpften Sinnspruch und der warnenden Mysterienlehre
war früher da, als die mythische Geschichte von den
Strafen der Danaiden'in der Unterwelt 149), Diese war
erst die später ersonnene populäre Deutung. Nach un-
serer Darstellung dieser ganzen Ideenreihe in Verbindung
mit dem so fruchtbaren Symbol des VVasserkrugs und
139) S. die Anführungen bei Spanheim zum Callimachus a. a.
O, und die Ausleger zum Hyginus a. a. O.
140) Die zahlreichen Anspielungen der Alten auf diesen My-
thus s. bei Hemsterhuis zum Lucianus Dialogg. Mar. VI.
1. 'L. II. p. 367 Bip. T. I. p. 748 sq. Hemsterh, und bei
Fischer zum Aeschines a. a. O. p. 166,
(JD
der Argolischen Mysterienstiftung wird es, denke ich,
nicht mehr schwer seyn, zu begreifen, warum gerade
auf die Danaiden jene Strafe der Ungeweiheten überge-
tragen ward.
Bei Nauplia, bei der Stadt, die Amymone's Sohn iri
Argolis gebaut und nach seinem Namen genannt hatte,
zeigten die Eingebornen einen Felsen, worin ein Esel
ausgehauen war. Das war der Weinesel. Er hatte die
VVeinstócke befressen, und die Leute, von dem Nutzen
belehrt, hatten davon das Beschneiden des Weinstocks
gelernt (Pausan. Corinth. cap. 38.). Dies führt uns zu
andern Vasenbildern des mehr mysteriösen Kreises. Ein
Esel mufste es daher auch seyn, der den vom Dionysus
berauschten Hephästus in den Himmel Zurücktrug. Ich
habe es oben (III. Th. p.407 ff.) versucht, die vielfachen
Beziehungen dieses alten hosmologischen Mythus nach-
zuweisen. Hier fragen wir, wie erscheint hier in der
Bildnerei der Weinesel ? Manantwortet, geflügelt; und
wirklich sagt auch Aristides (1. p. 39 Jebb.), des Dionys
sus Macht sey so grofs, dafs er nicht allein Pferde be-
flügeln kónne (sxvepov»), sondern auch Esel selbst. ich
habe nichts dagegen, wenn dies wörtlich genommen wer-
den soll. Der Gott, der auf einem redenden Esel; wie
Bileam , zum Orakel des Juppiter reitet, der kann auch
seinen trunkenen Halbbruder auf einem beflügelten Esel
zur Juno führen. Wir befinden uns hier einmal in einem
Kreise seltsam bedeutender Mythen und Bilder. Doch
hónnten jene Worte des Aristides auch eine blofse rhe-
torische Allegorie von der Leichtigheit und Schnellig-
keit dieses sonst so trügen Thieres seyn, und wirklich
sehen wir den Esel in dieser Scene trottirend vorge-
stellt. Keines der vorhandenen Bilder zeigt aucli mei
nes VVissens den geflügelten Esel. Das Thier ohne
Flügel sehen wir auf drei Vasengemülden bei Hamil
18
434
ton 141), Tischbein und Millin (IL nr. 66.). Vorzügliche
Aufmerksamkeit verdient noch die Sicilische Vase mit
demselben Gegenstande (abgebildet bei Millin IL. nr. 9.).
Hier führt der bürtige Dionysus, unter Vortretung des
Marsyas mit der Doppelflóte und einer Münade, die als
personificirte Komödie bezeichnet wird, den berauschten
Vulcanus zur Juno in den Himmel zurück. Ein in jeder
Hinsicht merkwürdiges Bild, worin wir vielleicht eine
Copie des Gemäldes besitzen, das Pausanias zu Athen
in einem Tempel sah (I. 20. §. 2.). So vermuthet Millin,
der dort zugleich an die Nachricht des Plinius (H. N.
XXXIV. 19. 10. p. 653 Hard.) erinnert, der den Liber
Pater, die Ebrietas (die Trunkenheit) und den berühm-
ten Satyr (Periboétus; er stand in der sogenannten Drei-
fufsstráfse zu Athen, s. Pausan. a. a. O.) als berühmte
bronzene Werke von Praxiteles beschreibt. Merkwür-
dig ist dieses Vasenbild vor den übrigen auch durch die
den vier handelnden Personen beigeschriebenen Namen:
Mapovag, Kouodia, Avovvoocy Hoauvocogs.
Die Verbindung des Dionysusdienstes mit den Religionen
von Lemnos und Samothrace ist hierbei nicht zu ver-
kennen. Auch auf andern Vasen finden sich Spuren da-
von, z. B. auf einer in der Millinschen Sammlung (T. II.
141) Das eine ( bei Hamilton IV. 38.) haben wir nach Hirt
(Bilderb. für Mytholog. pag. 45.) unter den Abbildungen
mitgetheilt; s. Tab. V. nr. 5. Auf zwei der übrigen Ge-
màálde ist Vulcanus unbàürtig und jugendlich schón vorge«
stellt, Bacchus hingegen , wie hier, bärtig. Die allego-
rische Bedeutung des Esels in dem Osirisdienste, so wie
die astronomische, habe ich aus der Sprache des Orients
in den Comm. Herodott. I. p. 271sqq. zu erláutern gesucht.
Ich mufs darauf und auf die Sage , wie der Silensesel die
Feuergóttin Vesta rettet , der Kürze wegen hier verweisen,
Frühlingsfeste, wobei Esel in der Procession geführt wur-
den , haben zu diesen Fabeln Anlafs gegeben; man vergl.
Ovid. Fast. VI. 311 ff. und Joh. Lydus de menss. p. 107.
485
nr. 7.), wo wir Cadmus mit dem Cabirenhute sehen und
auf der andern Seite den Liber und die Libera mit dem
demiurgischen Spiegel.
Häufiger jedoch sind natürlich diejenigen Vasen-
bilder, welche uns den Liber und die Libera als
Hauptpersonen zeigen, ttm die sich die ganze my-
sterióse Handlun&£ herumdreht. Besonders mufste
hier die Vermühlung dieser Gottheiten hervortreten.
Es war ja eine heilige Hochzeit (1:009 yàoc). — Es war
der Prototyp einer jeden Ehe, die ein Paar schlofs, das
in die Bacchischen W eihen sich hatte aufnehmen lassen.
Mit jeder Ehe begann eine neue Welt, ein neues Ge-
schlecht. Diese VVelt überhaupt, diese Welt der gan-
zen leiblichen Generationen war das Werk des Liber
und der Libera. Die Verbindung des Uranus mit der
Gäa, des Himmels mit der Erde, war in der Sprache der
Orphiker die erste Hochzeit, und die Erde hiefs
die erste Braut. Die vierte Hochzeit war die
des Liber mit der Libera (des Dionysus und der Perse-
phone), und Letztere war mithin die vierte Braut (Pro-
clus ad Platon. Tim. p. 293.). Hier seben wir also eine
kosmogoniscbe Folge von Gütterehen aus den Religionen
von Creta und Samothrace her. Dort haben wir auch
Processionen und Aufzüge kennen gelernt, wobei der-
gleichen Theologumene sinnlich vor Áugen gestellt wur-
den. So veranstaltete ja auch noch das alte Rom seine
festlichen Lectisternien, wobei die grofsen Gottheiten
paarweise an der Tafel geordnet wurden, z, B, die zwei
grofsen Demiurgen von Samothrace her, Ares und
Aphrodite als Ehepaar. Unter den Griechen, die dem
Sinn und Auge noch mehr einzuräumen pflegten, wur-
den ohne Zweifel selbst im mysteriösen Dienste die Göt-
ter noch menschlicher aufgefafst, Das einzuweihende
Brautpaar sollte sich in einer solchen Gütterehe gleich-
sam sclbst wie im Spiegel sehen. Da ham nun der Sce-
486
nerei der öffentliche Mythus zu Hülfe von dem Beilager
des Bacchus mit der Ariadne auf Naxos. Ist es doch
wahrscheinlich, dafs auf einigen Vasenbildern die Ariad-
ne selbst dargestellt ist. Diese will Lanzi (p. 125.) z.B.
auf dem Bilde bei Passeri (nr. 220.) erkennen. In die-
sem Geiste sind nun auch die Vasengemälde gehalten,
deren Gegenstand jene Gótterhochzeit ist. Sie wa-
ren ja nur Abbildungen solcher Scenerien und Darstel.
lungen, wie man sie in den Tempeln sah. Aber selbst
alsdann, wenn sie ganz auf die Oberfläche des änfser-
lichen Lebens hervortreten, haben sie doch immer ir-
gend einen Beisatz, der uns an den symbolischen Ge-
halt erinnern soll, welcher unter jener Hülle verborgen
liegt 142).
' Ein solches religiôses Gastmahl ganz im menschlichen
Charakter sehen wir auf einer Vase in der Königlichen
Bibliothek zu Paris (bei Passeri tab. 157. und bei Millin
Tom. I. pl. 38). Unter einer Epheulaube wird hier das
Mahl gehalten. Der bärtige Dionysus hält eine mit einem
Jangen Gewande (Syrma) belleidete Jungfrau in seinen
142) Da ich hier und ófter von den zwei Seiten sprechen
mufs , die diese Bildnerei haben soll, so will ich nur gleich
bemerken, dafs dies in allen Religionen der Fall seyn
mufs , die ihre Lehren auf den Grund von Bildern und
Sagen aufbauen. Das gilt auch. von vielen Lehren der
Bibel, und ich bin ganz der Meinung des Erasmus,
der doch wohl wufste, was Auslegung, historischer Sinn
und dergl. sey. Er trägt kein Bedenken, selbst auf die
heilige Schrift ein Bacchisches Bild anzuwenden. ,,Idem
observandum (sagt er im Enchiridion militis Christiani
Canon V. pag. 127 ed. Hal.) in omnibus literis, quae ex
simplici sensu et mysterio tanquam corpore atque animo
constant, ut contemtà literá ad mysterium potissimum
spectes, — Maxime vero scripturae divinae, setzt er
nachherhinzu , quae fere Silenis illis Alcihiadis similes
Sub tectorio sordido merum numen claudunt, **
457
Armen. Er sitzt auf einem weichlichen Polsterlager;
und zwei Tischgenossen hinter ihm. Ihnen gegenüber
hält ein Vierter eine Handtrommel, auf die er so eben
zu schlagen im Begriff ist. "Zwischen ihm und der Tisch-
gesellschaft schwebt der geflügelte Genius. Ich mag
hier keinen Augenblick darüber streiten, ob die den
Dionysus liebkosende und von ihm geliebhoste Person
eine Ariadne oder eine blofse Flótenspielerin ist. Das
knapp anschliefsende Hleid soll für Letzteres sprechen.
Dann ist die Situation ganz aus dem Griechischen Leben
aufgegriffen, wo Flótenspielerinnen die gewóhnlichste
Erscheinung bei fröhlichen Mahlzeiten sind. Man denke
nur an Plato's Symposium (cap. 5) und an Lucian's Ti-
mon (6. 55. p. 124 Bip. T. L. p. 172 Hemsterh.). Es sey
eine Flötenspielerin 14%), und das Ganze sey ein getreues
Abbild eines Hellenischen Festmahls. Die mysteriöse
Bildnerei verschmähet auch den leichtfertigsten Schein
nicht, und spielt wie in die gewöhnliche Sage so in das
wirkliche Leben hinüber. Es ist dennoch kein gewóhn-
liches Mahl, sondern ein Mahl von typisch -symbolischer
Bedeutung. Das sagt uns die Gegenwart des Genius
der Mysterien, der sich vor dem Brautpaare nieder-
143) So nimmt sie Bôttiger in der archäologischen Aehren-
lese , der von diesem Vasenbilde ‘lab. VITE. eine Copie
gegeben hat. Dort werden gute Bemerkungen gemacht
über das weiche Polsterlager mit Kissen (cervicalia , veos-
xsdAaux ; $. Clearchus beim Athenáus VI, 68.) , über die
Flótenspielerinnen bei Griecbischen Gastmählern und
über die Unschuld der álteren Bacchusweihen. Der Le-
ser mufs aber erinnert werden, wie auch dort geschehen,
dafs unter jener Voraussetzung dem Bacchischen Genius
aus Conjectur ( der ich doch beim Copiren von Bildwer-
ken keinen Eingang gestatten móchte) eine Doppelflóte,
und dem zweiten Tischgenossen ein Trinkhorn in die Hand
gegeben worden ist,
488
lifst, und wie zum Segen seine Hände gegen sie ausbrei-
tet. Nun wird diese weltliche Lustscene ein Bild der
Weltlust überhaupt, ein Bild des Sinnenreizes und des.
Vollgenusses in dieser Sinnenwelt des Dionysus und der
Persephone, Haben wir doch oben im Abschnitt von
der Lehre gehórt, wie Dionysus denen, die in seinem
bunten Reiche angelangt sind, alles Liebliche zur Ge-
nüge giebt, und wie die Bewohner seines üppigen Gebiets
laute Freudenfeste feiern. Nun sollen wir dennoch in
diesem sich liebkosenden Paare und seinen Genossen
einen Liber und eine Libera sehen, d. h. wir sollen die
Urheber dieser Sinnenwelt sehen und der Sinnenlust,
und diejenigen, die sich ihr ergeben, und zugleich die
leibliche Eheverbindung als die Bedingung alles irdischen
Bestehens der Menschengeschlechter. Nun merken wir
auch auf andere Züge: auf die bunten Flügel des Ge-
nius, auf das hlumige Kleid des Liber und auf die eben
so gezierten Polsterdechen. Nun beachten wir, wie der
vierte Tischgenosse mit dem Zeigefinger der rechten
Hand die Trinkschaale gefafst hat und vor die Augen
hält (in der Abbildung bei Passeri sollte man sie für
ginen Spiegel halten) ; nun übersehen wir aach die ge-
füllte Schaale des vorderen Gesellschafters nicht, mag
es nun Ampelus oder ein anderer seyn. Wir gedenken
dort bei Flügel und Kleid an die bunte blumenreiche
Welt des Dionysus , und hierbei an die feuchte und ma-
terielle Schöpfung , deren Urheber Liber ist, und in der
sich diese feuchten Seelen so wohl gefallen. Zu dieser
ganzen Umgebung gehört denn auch das Getöse des von
dem knieenden Diener geschlagenen Tambourins. Dieses
Knieen deutet doch auch wohl auf die Gegenwart hoher
góttlicher Personen.
Hierbei einige VVorte über die musicalischen
Instrumente in diesem lürmenden Dienste. des Dio-
pysus. Das Tambourin war eben so gebräuchlich im
489
Cultus der Cybele als des Bacchus. Es hiels töpravov,
tympanum, und war auf der einen Seite flach, auf der
andern erhaben 144), Es ist zu unterscheiden vom pou-
Bos oder foxtpor. Letzteres war ein aufgeblasener
Schlauch, den die Corybanten und die Bacchischen Be-
gleiter führten. Er hatte einen metallenen Ring und
einen Riemen, an dem man ihn drehete, und zuweilen
in die Höhe warf. Auch das Tympanum ward im Kreise
gedreht, und es wird dabei wie bei der runden Gestalt
wieder einer sinnbildlichen Bedeutung von Weltrund und
Sphärenbewegung gedacht, an die wir in der obigen
Scene wohl auch denken müssen. Häufig werden auch
die Becken (xógfoA«) und die Schellen (xpitaka) ge-
nannt, zuweilen auch die Klappern. Es hommt hierbei
Alles auf die Hauptstellen der Alten an , die ich kürzlich
bemerken will. Man lese das Fragment aus: Pindar's Di-
thyramben beim Strabo (X. pag. 719.), das Bruchstück
des Tragikers Diogenes aus dessen Semele beim Athe-
nàáus (XIV. 38), ferner Euripides Bacchantinnen (vs. 58
und 124) und endlich Nonni Dionysiaca (IX. 116. mit
Mosers Anmerkung), Das Tympanum war mit Ochsen -
oder Eselshaut, seltener mit Erz bespannt, Man schlug
es mit dem Finger, oder mit der flachen Hand , wie z. B.
in dem eben beschriebenen Vasengemálde (vergl. Catull.
Carm. LXIV. 255.) , oder man stiefs es gegen die Stirne.
Zuweilen ward es mit Huthen oder Stüben geschlagen.
Es ist auf Reliefs (Zoëga Bassiril. tab. 5. 6. 14. 15.) häu-
figer als auf Vasen und Gemmen 145), Cymbeln und
Castagnetten sollen auf Vasen nie vorkommen. Häufig
144) S. Varro de re rust. III. 5. 15. und daselbst Schneider ;
vergl. Schweigháuser und Jacobs zum Athenáus XIV.
cap. 38. p. 306 ed. Schweigh.
145) S. die gelehrte Bemerkung darüber von Ch. G. Schwarz
in den Miscell. polit. human. p. 86 sq.
49°
sieht man aber hier Müdchen mit Saiten- oder Blas-
instrumenten, und Tünzerinnen 145, Dafs die Phrygi-
sche Tonart mit dem Cybelen- und Bacchusdienste nach
Griechenland herüber kam, wurde schon im Vorher.
gehenden bemerht. Spuren davon hatten sich noch in
der Christlich - Griechischen Kirche. erhalten , Wovon
sich unter den Armeniern Ueberbleibsel gerettet haben,
und, bei der früher geschehenen Verpflanzung in den
Occident, selbst auch in einigen Kirchenmusiken Italiens
und anderer Länder; worüber die Nachrichten eines
grofsen Meisters, des Abts Vogler 147), nachgelesen
zu werden verdienen, deren weitere Ausführung und
Beurtheilung aufser meiner Sphäre liegt.
Eine andere Verbindung des Liber mit der Libera,
oder der sie beim mysteriösen Festdrama repräsentiren-
den Personen, sehen wir auf einem noch nicht edirten
Vasenbilde der Gräflich Erbachischen Sammlung 148),
146) Vergl. Böttiger Ideen zur Archäologie der Malerei I,
P. 196 ff. , wo auch über die Bacchischen Tänze ein Meh-
reres bemerkt ist,
147) Im Choralsystem, Koppenhagen 1800. und beson-
ders im zweiten Abschnitt: Historische Deduction über
die alte Psalmodie p. 28 f.
148) Es ist dies die Sammlung, die der regierende Herr Graf
Franz zu Erbach auf seinen Reisen nach Italien zu
Stande gebracht hat. Sie ist schätzbar durch Antiken vers
schiedener- Classen, auch durch Büsten, worüber der
grofse Kunstkenner E. G. Visconti verschiedene Ur-
theile abgegeben. hat, auch óffentlich. Man lese z. B.
was er im Museo Pio- Clementino Tom. V. p. 57. not.
über den trefflichen Kopf des Claudius Drusus sagt, der
eine Zierde dieser Sammlung ist. Sie ist ein schóner Be-
sitz des Gráflichen Hauses , und auch die verständige und
sinnvolle Vertheilung und Anordnung in verschiedenen
Zimmern des Schlosses, die jedem Gebildeten offen ste-
€
Agi
Auf zwei Seiten einer Erhóhung, die unten eine Grotte
bildet, sitzen Liber und Libera. Ersterer mit abgeleg-
tem Gewande und den Thyrsus mit der mystischen Binde
im Arme haltend; letztere bunt bekleidet, und das Kleid
über der Schulter anfassend, wie man es mehrmals bei
Frauen auf Bildwerken sieht. Ein Silen von einem ans
gedeuteten Hügel herunterkommend, mit heftiger Ge-
bärde , wie sie dieser Gattung von Bacchischen VVesen
eigen ist, nahet sich ihr, und reicbt ihr ein Ey. Zwi-
schen den beiden Gottheiten am Eingang der Hóhle liegt
ein Hase. Der Sinn dieser ganzen Scene ist bei einem
Blick auf den enthleideten Liber und auf den Silen nicht
zu verkennen. Es ist eine Aphroditisch - Bacchische
Scene, worauf auch der Hase am Eingang der Grotte
führt. Gehen wir von diesem aus. Wir haben gar nicht
nóthig, den Hasen für ein individuelles Bild des Bac-
chus zu erklären, wie Winckelmann in den Monumenti
hen, empfehlungswerth. Ich habe mich noch der be«
sonderen Begünstigung zu erfreuen gehabt, dafs durch
die Verwendung des damaligen Gráflichen Regierungs-
raths, nunmehrigen Oberappellationsraths zu Darmstadt,
des Herrn Knapp, mir die interessante Beschreibung
der sámmtlichen Antiken mit den woilgerathenen Abbil-«
dungen von der Hand des Hofmalers Herrn Kehrer und
Bauiuspectors Herrn Wendtzu meiner Einsicht auf lán-
gere Zeit mitgetheilt wurde. Letzterer hatte noch die
besondere Güte, mir eine Anzahl von Bliitern zu über-
lassen, worauf er von der Flüche der Vasen selbst die
Malereien durchgezeichnet hatte, Hiernach sind die Ab-
bildungen auf unsern Tafeln VIII. IX. und XI. entworfen
worden. Müchten die wenigen Bemerkungen , die ich
hier über diese Vasenbilder machen werde, wenigstens
die Aufmerksamkeit beweisen, mit der ich diese Samm-
Jung gesehen, und die sie so sehr verdient, — Das zu-
nüchst beschriebene Vasenbild ist Tafel VIII. nach un-
seter Anordnung.
à
492
(p. 116 deutsche Ausg.) gethan. Die Stelle des Aeschy-
lus in den Eumeniden (vs. 26.) hann das wenigstens nicht
beweisen. Aber wie berühmt war nicht die aphroditische
Figenschaft des Hasen, theils wegen seiner Superfôta-
tion, wovon schon Herodotus (III. 108.) , Xenophon
(Cyneg. V. 13.), Aristoteles (Hist. Anim. II. 12.) und
die grófsten Naturforscher der Neueren, Linné und Buf-
fon, wissen. Aber die Alten wufsten noch mehr von
ihm zu erzählen. Sie machten ihn zu einem völligen
Androgyn, und waren reich an Fabeln in Bezug auf diese
Figenheiten des Thieres 149). Daher war auch der Ge-
nufs seines Fleisches den Ebrüern verboten (Levitic.
XI. 6.), welches Verbot dem Clemens von Alexandria
(Paedag. 2.) zu mehreren Bemerkungen über die aphro-
ditische und gar mannweibliche Natur dieses Thieres und
seine symbolische Beziehung auf mannweibliches Thun
und Ueppigkeit Anlafs giebt. Dals auch der Hase bei
Philtren oder Liebesmitteln verschiedener Art gebraucht
worden, sagen uns die Alten bestimmt, und dieser
Aberglaube hat sich bis zu den Neueren erhalten 150),
An diese Ideenreihe erinnert uns das Bild des Hasen,
zumal hier, wo er vor der Bacchischen Grotte
liegt, die ja selbst ein Bild dieser Sinnenwelt und
der vollen Sinnenlust ist. Denn dafs wir hier keine
gemeine Liebesscene vor uns haben , daran erinnert uns
die mystische Binde, sowohl an dem Thyrsus des
Gottes, als an der Wand des Hintergrundes, der hier,
wie so oft, durch zwei kleine Oeffnungen in der Mauer
angedeutet ist. Diese Binde versetzt uns in den Kreis
149) Schneider zu Aelian. Hist. Anim. II. 42. XIII. 12. und
zu den Eclogg. physice, $.71. p.30. vergl. Weiske zum
Xenophon a. a. O.
150) S. die Hauptstelle bei Philostratus Iconn. I. 6. pag. 772.
und daselbst Olearius.
495
der Mysterienscenen und Lehren, eben so wie auf andern
Vasengemälden der geflügelte Genius. Von diesen
Binden habe ich oben bereits das Nóthige bemerkt ( If.
pag. 355.) bei Gelegenheit der Samothracischen Religio-
nen, woher sie in die Bacchischen Weihen aufgenommen
sind. Nun merken wir auch auf die unten am Boden
spriefsenden Blumen, und auf das blumige Gewand der
Libera. Wiederum befinden wir uns in der blühenden,
bunten, eitlen Welt des Dionysus. Auch das Ey in der
Hand des lüsternen Silenus hat hier seine Bedeutung.
In Form und Stoff war es ein uraltes kosmisches Symbol.
Daher auch manche Vasen die Eyerform haben 151), und
die Eyer enthielten nach altem Griechenglauben die
Grundkeime aller Wesen. Auch hier wird eine Verbin-
dung gefeiert, die allen Wesen das Daseyn giebt. Es
ist eine mystische Hochzeit. Es ist die Vermählung
des Liber mit seiner Libera. DerOrt der Hand-
lung ist der Eingang zur Bacchischen Grotte 157), dem
Bilde der dámmernden feuchten VVelt des Dionysus.
Mit jener Handlung selber fängt die Welt der Sinne an
und das Reich der Lust und der Liebe. Darum ist auch
ein lüsterner Silenus der geschäftige Ministrant. Er
reicht das Bild der Zeugung und der Materie, das Ey,
der Libera hin, die sich jedoch mit verschimtem Ge-
sicht, welches sie vergebens mit dem Hleide zu bedecken
bemüht ist, von ihm ab und dem Liber zuwendet. Der
Schünere gewinnt der Liebe Preis. Der hifsliche Silen
151) S. Millin Peint. de Vases antiqq. Tom. I. p. 2.
152) Vergl. auch die Bemerkungen von Welcker in der Zeit-
schrift für alte Kunst I. 3..p. 483 f. Man dürfe, sagt er
unter Anderm. unter dieser Grotte die tàgliche Wohnung
des himmlischen Paares denken , weil Häuser diesem Styl
der Darstellung fremd und dafür Grotten eingeführt
waren.
494
aber hat das Weltbild, das Ey. Er ist selbst das W er-
den der sinnlichen Welt, Dionysus aber ist deren
Vollendung. Darum mag sie ohne jenen nicht
werden. Libera aber wendet sich diesem zà.' Und
wie weich ist er bier nicht gehalten, wie weiblich fast,
oder mannweiblich gegen den rauhen, thierischen Si-
lenus! —
Aber das Bild hat noch eine andere Seite. Es ist ja
ein Vasenbild aus Gräbern. Auf die Gräber legte der
Grieche auch Eyer als Sühnopfer für die Todten 153).
Besonders mögen sie auch bei Bacchischen Weihungen
und Begräbnissen gebraucht worden seyn. In einer Vase
zu Nola, sagt Hamilton (Vases grecs, Préface I. p.31.),
hat man Eyer gefunden, und bei dem nichst vorher-
gehenden Bacchischen Beilager bemerkte Millin auch
die Eyer. - In die Gráber führt uns also der innere Sinn
des Bildes durch das üppige Leben hinunter. Auch
Hasen kommen auf aniiken Graburnen ófter vor, z. B.
auf einer dergleichen im Capitolinischen Museum, wo
sie von Früchten aus einem umgestürzten Korbe fressen.
Winckelmann in der Allegorie ( pag. 636 neueste Ausg.)
weiís dieses Thier auf Grabmonumenten nicht zu deuten.
Meyer will darin liebliche Anspielungen auf die Ruhe
und Stille der im Grate Schlafenden sehen (ebendaselbst
p.736). Diese Deutung empfiehlt sich dem Sinne sehr.
Doch liegen folgende Ideen der Alten näher: In einem
Bilde der Eroten, das uns Philostratus (I. 6. p. 772.)
beschreibt, ist ein Aepfelpflüchen dargestellt, womit
Amorn beschiftigt sind. — Es ist ein heiteres Bild voller
Leben. Die hleinen Eroten üben sich in mancherlei
Spielen. Sie werfen sich mit Aepfeln und jagen Hasen
153) Luciani Dialogg. Mort. I. 1. Tom. IT: pag. 129 Bip. und
dazu die Ausleger pag. 400 ebendaselbst. Juvenal. Satyr.
V. 81.
499
auf, die unter den Biumen an Aepfeln nagen, ge.
rade wie auf dem Capitolinischen Sarkophage. Nun
weifs man ja, was der Aepfelwurf (pzXoBoAsi») und das
Aepfelhosten für erotische Bedeutungen hatten. Auch
war ja Bacchus der Aepfelerfinder 15%), der diese seine
Gabe der Venus mitpetheilt hatte 155). Es ist also ein
sehr erotisches Bild, wenn ein so aphroditisches Thier
wie der Hase an der Frucht der Aphrodite und des Bac-
chus nagt. Aphrodite und Bacchus oder, welches in
dieser Ideenreihe einerlei ist, Libera und Liber sind Ehe-
gottheiten und Gottheiten des Todes, d.h. wir befinden
uns hier wie dort wieder in den Grundbegriffen der Bac-
chischen Religionen, wo Zeugung und Auflösung; Le-
ben und Tod wie in der That, so in Bildern yerbunden
werden. Daher auch der Hase auf unserm Bilde, so
wie Grotte und Ey auf diese zwei Seiten hinweisen; und
der Sinn wird nicht im Wesentlichen verändert, wenn
man etwa in der Hand des Silenus lieber einen Apfel er-
kennen wollte. Aber der Hase kann auch schon für
sich auf Grabdenkmalen ein Bild des leichten Erwachens
seyn, da die Alten schon wufsten 5°), dafs er mit offe-
nen Augen schläft. — Immer behält unser Bild die be-
merkte Bedeutung: Das Leben im ‚Wechsel mit
dem Tode.
Eine andere. Vorstellung dieser mystischen Vermäh-
lung. weicht im Wesentlichen ab. Hier sehen wir statt
des Bacchus einen nackten geflügelten Jüngling, oder
vielmehr einen gellügelten Androgyn, welcher die Libera
kiifst. Beispiele sind bei Passeri (tab. 14.) und bei Millin
154) Athenäus III. 23. p. 323 Schweigh.
155) S. Kayser ad Philetae Fragmm. p. 60 sqq.
156) Xenophon Cyneg. V. 11. Aelian. Hist. Anim. II. 12.
Pollux V. 12. 69. Schon die alten Aegyptier kannten
diese Allegorie ; s, meine Comm. Herodott. I. p. 396 sq.
406
(Tom. I. pl. 65.). Hier sah der Erstere die den Amor
küssende Venus. Millin hingegen, der in seinen Vaseri-
erklärungen überhaupt viel Empfänglichkeit für das Be-
deutsame zeigt, und auch den im Dionysus von mir ge-
äufserten Ideen über die älteren Religionen vielen Ein-
gang gestattet hat, erinnert (p. 117 sq.) an die mystische
Bestimmung der Grofsgriechischen Vasen , und will hier
entweder den Àndrogyn Jacchus finden, den Proserpina
umarmt, oder den Genius der Mysterien, gekiilst von
einer Fingeweiheten. Fiir T.etzteres scheint die kleine
jugendliche Gestalt zu sprechen, die dieser Genius meh-
rentheils hat. Allein da wir nach der Geheirhlehre uns
überhaupt gewöhnen müssen, diese Gottheiten unter
verschiedenen Gestalten zu sehen, wofür Proclus
aus derselben Beweise beibringt (ad Platon. Palit. p. 380.
6.), so dürfte schon deswegen ein gefliigelter , knaben-
artiger, androgynischer Bacchus hier nicht befremderi,
wenn wir auch nicht aus dem Obigen wüfsten, dafs
Bacchus bestimmt zuweilen als Ándrogyn und geflügelt
gebildet ward, und wenn auch die Eleusinien, die so sehr
ins Gebiet dieser Vasenbilder hinüberspielen, nicht ganz
eigentlich einen Knaben Jacchus aufstellten, den man
in niichtlicher Procession nach Eleusis trug. Wire dies,
worüber wir nicht streiten wollen, so deutete der Spie-
gel, der neben dem Küssenden liegt, auf den Schöpfer
der Sinnenwelt, deren Mutter Kora der junge Jacchus
so eben umarmt. Also ein kosmischer Spiegel und eine
kosmische Brautwerbung.
Wenn ich obiger Dogmatik zufolge behaupte: der
Spiegel isteindemiurgisches Bild, so schliefse
ich damit seinen náchsten Sinn nicht aus, den er in den
Zimmern der Griechischen Frauen hatte, und mithin
auch im óffentlichen Dienste der nach dem Frauenideal
gedachten Gôttinnen. Auch hier, wie im ganzen Ver-
folg, vergesse man die dem mysteriósen Symbole so
497
eigenthümliche Doppelnatur nicht.ei 4. Augenblick,
Verschmähen wir also die Nachrichtei nicht, die uns
z. B. lehren, da(s der Spiegel im öffentlichen Dienst ein
Ziergeräthe war. So hielten die Dienerinnen der Juno
ihr einen Spiegel dar 157). Dafs dies beim Geschäft des
Anzugs und Schmückens geschah, zeigt die von Lipsius
dabei angeführte Stelle des Augustinus (de Civit. Dei
VI. 10.). — Aber der mystische Demiurg betrachtet seine
Gestalt auch selbstgefállig im Spiegel, ehe ihn die Lust
anwandelt, seines Gleichen zu schaffen, und die Natur-
mutter Kora putzt sich auch, und gefällt sich in der Far-
benpracht ihres Gewandes, womit sie nachher die Sterb-
lichen umgiebt. Darum heifst er auch der eitle, der
bunte (ai0Aog) und sie nicht minder. So zieht die naiv-
ste Lebensansicht in diesen sinnlichen Religionen aus
dem Unbedeutendsten in das Bedeutendste binüber,
Darum merken wir auch auf den Spiegel, der in Vasen-
bildern so häufig ist. Das hat man nicht leugnen können.
Selbst die, welche den doctrinellen Faden, der durch
diese Schildereien zieht, nicht im mindesten ahneten,
und oft für eine Patera hielten, was ein Spiegel war,
mufsten doch oft genug ibn anerkennen. Millin ist schon
aufmerksamer auf ihn gewesen. In der eben bemerkten
Scene verkennt er ihn nicht (I. pag. 118.), macht aber
zugleich die Anmerkung , dafs Manche diese Gerüthe für
Pateren halten, welches er auch für manche Fille zu-
giebt; wo aber Venus vorkomme und in Bacchischen
Scenen sey es oft ein Spiegel. Wir können dies Urtheil
völlig unterschreiben , und wollen nun versuchen, von
jener Bacchischen Schôpfungs - und Seelenlehre auf die-
ses Symbol eine bestimmtere Anwendung zu machen.
Hierzu ist nun zuvürderst die genauere Unterscheidung
157) Speculum tenebant Junoni; Seneca Epist. 95. pag. 604
Lips. pag. 423 Bip.
III.
22
495
der Patera vc — viegel nöthig. Oft hilft dazu schon die
Gestalt des C. hes selbst, z. B. die Knöpfe an den
Beiten, die Vetzierungen oben und unten. So wird auf
einer Vase bei Millin (I. pl. 65.) Niemand den wirklichen
Spiegel verkennen, eben so wenig als in dem eben be-
rührten Bilde. Dazu hommt die Art, wie das Geräthe
gehalten wird, horizontal oder senkrecht, und dafs zu-
weilen der , welcher es hält, seinen Blick darauf richtet.
Alle diese Umstände entscheiden meistentheils für den
Spiegel, uhd wenn ja einmal eine Phiale so gehalten
wird, so denke man nur an Lekanomantie, die den Bac-
chischen Mysterien nicht fremd war, oder an etwas
sonst Bedeutendes. Auf einer Vase in der Gräflich Er-
bachischen Sammlung sehen wir eine Frauensperson,
vermuthlich eine Priesterin, die dem geflügelten Genius
der Mysterien den Spiegel darreicht. Also hier ist das
heilige Gerüthe unter den Hànden von Personen, die
beim Geheimdienste ministriren.
Mehrmals kommt auch die Vorstellung vor, dafs ein
junger Mann oder Jüngling in einen Spiegel sieht. Das
kann bald Dionysus selber seyn im Momente der ihn
anwandelnden Schópfungslust , bald die in den Dionysus-
spiegel bliekende lüsterne Seele. Ersteres móchte der
Fall seyn in einem Vasengemälde bei Millin (Tom. I.
pl. 57.), denn die Frau, die dort dem Dionysus zur Seite
steht, ist durch ein Attribut, wovon im Verfolg gehan-
delt werden soll, ziemlich deutlich als Proserpina be-
zeichnet. Will man aber lieber einen jungen Initiirten
sehen, so hat die Weberin Proserpina neben ihm auch
ihre gute Bedeutung.
A
& 7.
Dildliche Darstellungen aus dem Kreise der
Seelenwanderung.
So viel als Beispiel des auf Vasenbildern versinn-
lichten Schôpfungswerks und der Demiurgen
Hephästus, Dionysus und Proserpina in ver-
schiedenen Charakteren und Scenen. Mit dem Seelen-
spiegel, dessen icheben gedachte , eröffnet sich der
Bilderkreis der Anthropologie, und wir wollen nun
auch noch den Weg der Seele verfolgen, wie er
sich in einigen Vasmmalereien vor Augen stellt. Dafs
die Seelen hüufig, javermuthlich mehrentheils , in reiner
Menschengestalt ohie den Beisatz der F lügel und dergl.
vorgestellt wurden , haben wir oben aus alten Denkma-
len bewiesen. Dies vorausgesetzt, beginnen wir mit der
Seelen Herabkurft in diese Sinnenwelt,
. Auf einer noch unedirten. Grüflich Erbachi-
schen Vase 155) selvn wir auf einem Felsen einen Jüng-
ling in tiefem Nachdrmken sitzen. Ueber ihm hingt der
heilige Opferkuchen, der wegen seiner kugelförmigen
Gestalt mit dem Wolknäuel und mit dem Kürbis Einen
Namen hatte. Er hiefs tolönn, glomus 15?) Unter
158) Nach unsere‘ Ordnung Tab. IX. Durch einen Zufall
ist das Blatt nii der weiblichen Figur vor dem Jüngling
verloren gegaigen, und hat daher nicht mehr auf die
Kupferplatte aifgenommen werden kónnen, welches ich
um so mehr bdaure, je mehr Verdienste dieses Bild in
Absicht der Záchnung hat. Es nimmt den ganzen Raum
der kleinen Vas ein.
159) S. Athenáus II. p. 445. Schweigh. vergl. Biel Thesaur.
V. T. s. v. url Scaliger ad Varron. de L. L. IV. 10. p.45.
Die [heiligen Kuchen sind auf Vasen eine gewöhnliche
Erscheinung. Ich bemerke dabei, dafs ihre Bereitung
zu Athen gewssen sehr geehrten Jungfrauen anvertraut
4)
5
mehreren Arten Bacchischer Mysterienkuchen führt der
strafende Clemens von Alexandria (Protrept. p. 19 Pot-
ter. gerade auch diese Gattung namentlich an. Das
getüpfelte Gewand bedecht nur eben des Jünglins Len-
den. Den Spiegel hilt er vor sich hin, und sieht aus
der Ferne hinein, gleichsam urschlüssig, was er thun
soll. Aber der Fels, worauf er sitzt, deutet auf den
Felsenweg in den Schlund, der zur Bacchischen Lust
führt 199), und zeigt an, wie nahe er schon der Sinn-
lichkeit gekommen. Es ist die Ainäherung zur Sinnen-
welt und zum Orte der Verge:senheit {ASns vo-
mov), und so wird dieser Jiingling auch seiner Ablunft
vergessen. Es ist eine Seele in der so eben
das Angedenken des gôttlizhen Lebens am
höheren Orte zu erlöschenanfängt. Sie nimmt
den Spiegel des Dionysus, ind wenn sie hinein-
blickt, wird sie durch das bunte "arbenspiel der mate-
riellen Schüpfung lüstern werden, in die Lustgrotte der
Sinnenwelt herab zu steigen, Es is eine Seele, die nun-
mehr dem Loose der Sterblichkeit nicht mehr entgehen
wird. — Jenseits der Grotte im binten Reiche des Dio-
nysus steht aber die bunt geklcidde Priesterin. des Bac-
war, die dort das Mehl zu den Ojferkuchen (74 «5 2«-
cíay wérava) mahleten, — Es gab gewisse geweihete
Plátze mit Mühlen (egoí rrv& plAwvss) zu Athen, .—
Und jene Attüschen Jungfrauen hicfen vorzugsweise 4A:-
rçidss, Müllerinnen (Eustathiuszur Odyss. XX. 105,
p. 724. lin. 34 sqq. Basil.). Es gabauch einen Gott EZ -
yocros (von voro, Süfsigkei, Speise), dessen
sehr geringes Bild (dyahııdrıov) inden Mühlen stand,
Man verehrte ihn als den Aufsehr über die Getreide-
maafse (Ssès éxaVdios ; Eustathius ehndas, und zu Odyss,
I. p. 9 Basil. aus Athenáus). Nach linigen war Eunostos
eine Göttin,
160) Plutarchus de S. N. V. p. 96 Wyttub.
400
sat
chus. Sie hilt dem Jiinglinge die heilige Binde vor, und
nimmt ihn so mit auf in die Zahl der Erwühlten. Sie
bietet ihm das Unterpland der Reinigung und der künf-
tigen Rückkehr an den höheren, göttlichen Ort. Jezt
geschieht der. erste Schritt dazu durch den Eintritt in
die kleinen Mysterien; wovon vielleicht die bunte
Binde die Anzeige giebt. Weifse Binden mügen hó-
here Stufen bezeichnen. Das weifse Hleid wurde oben
wenigstens so genannt, — Es ist zugleich die Ein-
weihungsscene eines Neophyten.
Die Seele empfängt in der Geburt diesen Leib als
ein Kleid aus den Hinden der Proserpina, die es berei-
tet. Als Weberin hatte Orpheus, lernten wir zuvor,
diese Göttin besungen. Darauf bezieht sich das Werk-
zeug, das auf Vasengemälden Libera zuweilen in den
Händen hat. Passeri nimmt es immer für eine Leiter,
und glaubt daher in der Göttin, die es trägt, die For-
tuna zu erblicken. Es wundert mich, dafs er nicht an
die Mithrasleiter gedacht hat. — Aber freilich sind der
Sprossen nicht gerade acht, wie bei dieser. Richtig hat
Millin ein Weberschiff darin erkannt. Ich füge hin-
zu, dafs die Vorstellung bei Passeri (tab. 140.) keinen
Zweifel übrig lüfst. Dort sehen wir unter dem Schiff-
chen ganz deutlich den VVebstuhl, wie ihn die älteren.
Griechen hatten, die nicht horizontal, wie wir, sondern.
gerade herunter zu weben pflegten. Diese Weberin
Proserpina mit ibrem Werkzeuge sehen wir unter
andern bei Millin. (1f. pl. 16.) 15!) in einer Umgebung,
die gleichfalls auf die Herabkunft der Seelen
und ihre Einhleidung in das Gewand des
161) Das Bild ist auf unserer Tafel X. mitgetheilt. Damit
vergleiche man pl. 57. im zweiten Bande von Millin , wo
dieselbe Weberin neben einem Jünglinge sitzt, der vos
ihr stehend einen Spiegel ihr vorhak.
F
NES
56 e
Leibes anspielt. Neben ihr hält ihr Gemahl Liber den
Thyreus und den Cantharus in den Händen; Gefäfse
verschiedener Art liegen im Gemach herum. Ein Satyr,
in der Hand die mit der mystischen Binde umwundene
Fachel, reicht der Proserpina als Vorsteherin der Ge-
bart den Wassereimer (situla), als Symbol des feuchten
Elements und der sublunarischen Sphäre, in welche die
Seelen durch die leibliche Geburt herabsinken. Zur
Andeutung des Zusammenhangs, worin das mystische
Gewebe der Persephone mit Feuchtigkeit und Gewässer
gedacht ward, gab man auch folgender Homerischen
Dichtung (Odyss. XIII. 107 ff) von der Nymphengrotte
den Sinn, dafs die zur Geburt herabgestiegenen Seelen,
die feuchten Seelen (Najaden), am Gewebe Lust ha-
ben 162. Die Homerische Stelle lautet nach Vofs also :
Auch Webstühle von Stein sind darinn£n gestreckt, wo
die Nymphen
Schäne Gewand’ aufziehn , meerpurpurne , Wunder dem
Ausblick ;
Auch unversiegende Quellen durchrinnen sie —
Ob das Homerische Bild diesen Grund hatte, lasse ich
hier auf sich beruhen. So viel beweiset diese Auslegung
unstreitig, dafs in den Mysterien diese Ideenverbindung
gewöhnlich seyn mufste. Auch weiß der Nachahmer
alter Dionysiaden , Nonnus, gerade in der mystischen
Geschichte von Zagreus Geburt 155) gar viel. von dem
162) S. Porphyrius de antr. Nymph. cap. 14.
163) Ob es gleich für den nachdenkenden Leser aus meiner
Behandlung alter Mythen hervorgeht, dafs ich in die-
sem , wie in vielen andern, wenn ich sie mystisch nennc,
darum nicht den nächsten physischen Sinn von Weinbau
und dergl. ausschliefse , so ist es doch , damit meine obi-
gen Aeufserungen liber Zagreus und dessen Tod nicht
mifsverstanden werden, vielleicht gut, hier nochmals be-
:05
505
W eben der Persephone zu erzühlen (5. Dionysiac. VI.
150. p. 186.). Ich kehre zu unserm Bilde zurück. Von
der andern Seite nahet sich der geflügelte androgynische
Genius (dessen Formen hier eben so ausdrucksvoll her-
vortieten, wie auf einigen Erbachischen Vasen) dem
göttlichen Paare, um ihm Opfergaben, einen‘ Kranz und
Früchte darzubringen. Mystische Opferkuchen hängen
auch hier an der Wand. Die zu den Fiifsen der Pro-
serpina liegenden drei Aepfel kennen wir schon als ein
altes Bild der drei Jahreszeiten, das auch in den Geheim-
dienst des Hercules übergegangen war (s. oben II. Th.
pag. 220.). Hier hann es wohl auf eine Herbstfeier des
Bacchus gehen. Besonders müssen wir dabei an die
Göttin denken, die nach den Jahreszeiten, deren die
Alten drei zählten, mit ihrer Wohnung wechselt, und
jezt in der Unterwelt, dann wieder im Himmel ist, dem
Saamenkorne gleich, und die zugleich die Bahn der
Seelen durch den Jahreskreis des Zodiacus leitet.
. Mit diesen Ideen stehen auch die Mantelfiguren
in Verbindung, die auf der Kehrseite gewisser Italisch -
Griechischer Vasen so häufig vorkommen , ingleichen die
auch auf der Hauptseite dieser Gefäfse ziemlich häufige
Vorstellung , dafs Epheben Gewänder auf den Armen
tragen , oder darauf sitzen , dafs ihnen ein Gewand über-
reicht wird und dergl. Im Betreff der ersteren , da man
stimmt anzumerken , dafs ich auch hierbei die Beziehung
auf die Frucht der Rebe und deren Behandlung zugebe,
die auch Cornutus (cap. 30.) schon angegeben hat; um
so mehr sagt sie mir zu, wenn ihr eine sinnvolle Wen-
dung gegeben wird , wie sie neuerlich Welcker’n ge«
lungen ist (zu Aristophanes Fróschen p. 229 £). Damit
bleibt es doch bei meinem Hauptsatze: dafs schon das alte
Cretische Priestersystem einen kosmologischen Sinn mit
diesem Mythus verband.
504
Jünglinge in grofse Mäntel eingehüllt sieht, ist die Er-
klärung , dafs diese Mantelfiguren blos als ein Chor von
Zuschauern zu nehmen seyen, mit Recht durch die Be-
merkung niedergeschlagen worden, dafs jene Verhüllung
zu absichtlich ist; sie sey vielmehr das Zeichen eines
Jünglings, der in Griechenland und Rom einige Zeit
lang die Arme in der Toga und im Pallium verbergen
mufste (cohibere brachia toga; Cicero pro Coel. 5.) , und
noch nicht mitstimmen (ycipovorei») durfte (Artemidor.
Y. 54.)). Es war eine Zeit des Schweigens, Mithin seyen
jene Mantelfiguren auf Grofsgriechischen Vasen, unter
welchen wir gewöhnlich eine ältere Person erblicken,
Epheben , die jezt eben das Griechisch - Italische Pallium
bekommen haben , und denen ihr Vater, Lehrer , Füh-
rer (custos) Regeln des Anstands (ctoxnuoctrn) er-
theilet 161),
Ohne Zweifel ist hiermit die eine Seite dieser
Bildergattung in ein erwiinschtes Licht gesetzt. Wir
miissen aber noch einen Schritt weiter gehen, um auch
die andern zu erblicken. Vergessen wir doch keinen
Augenblick, dafs diese Vasen Andenkem an mystische
Weihe sind, und den Geweiheten ins Grab mitgegeben
wurden. Ein Blick auf eine alt- Attische Festfeier, so-
dann die Erinnerung an die Heroen- und Genienlehre
und endlich die Aufmerksamkeit auf einige besondere
Erscheinungen auf jenen Bildern werden hoffentlich dazu
beitragen, dieser Sache etwas nüher zt kommen, wenn
sie sich gleich ihrer Natur nach nicht so mit Händen
greifen läfst, wie Manches, das auf der Oberfläche des
Öffentlichen Lebens liegt.
——————
161) S. Uhdens Brief in Bóttigers Erklärung der Griechischen
Vasengemälde IT. p. 65. und des Letzteren Ideen zur Ar-
cháologie der Malerei I. p. 211 ff.
505
$. 8.
Das Fest der Apaturien.
Ein Athenisches Fest wollte ich vergleichen. Es
war das Fest der Apaturien im October. Ueber das
Detail desselben kann ich mich hier nicht verbreiten,
worunter auch nach dem Sammlérfleifs von Meursius
und nach den Berichtigungen von Corsini (Fasti Attici
Il. pag. 306 sqq.) und Andern noch Manches streitig ist.
Was wir hier brauchen, ist indessen nicht streitig. Es
war eine uralte Bacchusfeier, eingesetzt vor der
Jonischen VYanderung nach Asien, wohin sie die Colo-
nisten mitnahmen; nur die Colophonier und Ephesier
waren aus einem besonderen Anlafs davon ausgeschlos-
sen. Die Einsetzung des Festes fällt 1190 Jahre vor
Christi Geburt 155. Es war ein Bürger- und Kirchen-
fest. Man schrieb die Kinder an diesem Feste in das
Verzeichnifs der Phratrien ein, aber auch die Er wach-
senen in das Verzeichnifs der Bürger; wobeiin Be-
treff der Tage die Angaben von einander abweichen.
Dagegen ist es durch das Zeugnifs des Pollux aufser
Zweifel gesetzt, dafs die Athener am dritten Tage die-
ses Festes, xovpstórig genannt, für die in die Phratrie
(Curie) eingeschriebenen Jünglinge ein Opfer brachten,
xovgio» oder xovpeiov, und fiir die mannbaren Midchen,
die ebenfalls dort eingeschrieben waren, eins dergleichen,
welches das Heirathsopfer (yœunkia ) hiefs 159. Ich
übergehe die Bemerkungen über die Folgen, die dieses
auf die Ausübung der Bürgerrechte auf Ebenbürtigkeit
und dergl, hatte, und bemerke nur, dafs dies Letztere
165) Herodot, I, 147. — Vita Homeri cap. 29. und daselbst
die Ausleger.
166) Pollux VLII. 9. $. 107. und daselbst die Ausleger.
506
zugleich ein religióser Act war. Es war die Auf-
nahme in die angehôrige Phratrie (Foérpia), unter de-
nen man sich, wie unter den Römischen Curien (und
Dionysius von Halicarnafs übersetzt ja die Curiae im-
mer dureh dieses Wort) zugleich eine Kirchenge-
meine zu denken hat. Es war also, wie wir sagen
würden, zugleich ein Fest der Confirmation, Auch
in Bezug auf die kleineren Kinder scheint es die Bedeu-
tung religióser Weihe zugleich gehabt zu haben, wie dié
von Meursius 167) angeführte Stelle des Andocides de
Mysteriis zu erkennen giebt. Einen anderen religió-
sen Zug des Festes hebe ich als besonders bemerhens-
werth aus : Die Athener, mit schönen Kleidern ge-
schmückt, hielten dabei dem Hephästus einen Fackellauf
unter Ahsingung von Hymnen 168), Das war eines der
drei Fachelfeste , die die Athener feierten (Ister a.a. O.),
Auch war zu Samos die Feier der Demeter xov.
poTpogog mit diesen Apaturien verbunden 169), . Sie
Belen überhaupt in denselben Monat mit der so weit ver-
breiteten Feier der Thesmophorien , in den Pyanepsion,
welcher so ziemlich mit unserm October übereinkommt,
Nach der politischen Ansicht, die man von den Apatu-
sien hatte, leitete man auch den Namen ab, und redete
wohl von einem Viterfeste &zavógw und dergl., wor-
über die Grammatiker viel zu sagen wissen. Auch eine
andere Herleitung, die uns aber der religiósen Seite
des Festes nüher führt, hatte zunüchst eine politische
Wendung. Das Fest war ein Siegesfest der Athener
167) Graecia fer. in Gracvii Thesaur. Antiqq. Tom. VII.
pag. 725.
469) Ister im ersten Buche der Atthiden beim Harpocration
in Aauras. Vergl. Istri Fragmm. p. 60 sq. ed. Siebelis.
169) 3. des so genannten Herodotus Vit. Homeri cap. 29.
507
über die Böotier. Der Attische Kônig Thymôtes stritt
mit dem Bôüotischen Künige Xanthus über ein Stück Land.
Der Zweikampf sollte entscheiden; da Thymötes ihn aus-
schlug, so erwühlten die Athener den Messenier Melan-
thus an seinen Platz, der nun im Zweihampfe seinen
Gegner dadurch überlistete und tódtete, dafs er beim
Anfange des Hampfes sagte:. hinter Xanthus stehe ein
Helfer mit einem schwarzen Ziegenfelle behlleidet. Als
Xanthus sich umsah, stiefs ihn Melanthus nieder. So
war der Hampf für Athen entschieden. Man gab fortan
dem Zeus den Beinamen dnatirepe, der Minnerbetrii-
ger, und widmete dem Bacchus unter dem Namen Me-
Axvaryis (denn dieser sollte der Mann im schwarzen
Ziegenfelle gewesen seyn) das Fest unter dem Namen
‘Axatodpia, das Fest des Truges; auch erbauete man
ihm unter diesem Namen einen Tempel 170),
Dafs dieser Mythus mit einem alten lándlichen
Festspiele der Attiker zusammenhängt, und daher
seine Züge und Farben geborgt hat, ist schon von Kaune
170) S. die Stellen der Alten bei Fischer (Index ad Theo-
phrast. Charact. in drarove. vergl. Larcher zum Herodot.
Vit. Homeri cap. 29.), womit nun noch der Scholiastes
Platonis ad Tim. pag. 201 Ruhnken. und der Scholiastes
mscr. Aristid. p. 118 sqq. Jebb. verbunden werden müs-
sen. S.auch Ephori Fragmm. p. 120 ed. Marx. Auch
sehe ich die Stelle des Nonnus ( Dionysiac. XXVII. 302.
p. 716 sq.) vernachlässigt, wo die Kriegsthat des Bacchus
psÀavavy, gepriesen und Loblieder genannt werden , worin
die Attiker ibn den táuschenden (Zxaro/ov) Sohn
der Thyone besingen. Dort ist auch von dem Limnaäi-
schen Bacchus die Rede, wobei, aufser dem Obi-
gen, nachgelesen zu werden verdient, was die Ausle-
ger zu Aristophanes Fróschen, besonders die neueren,
Brunck, Beck und Welcker, zu vs, 216. über je-
nen Namen beigebracht haben.
5c5
(ad Conon. 39. p. 149!sq.) bemerkt worden. Gehen wir
auch den übrigen Spuren nach. Ich will nicht dabei
verweilen, dafs das Haderland bald‘ ganz bestimmt Oivön
heifst, wobei man an das Weinland denken könnte,
bald Meicaıval, das schwarze Land. Aber dafs jener
Sieger gerade Melanthus (MéAavS9oc), also auch der
Schwarze heifst, wie sein Gegner Zá»Soc (Xanthus),
der Helle, der Blonde (£o»9óc) , und dafs der mit
dem schwarzen Ziegenfelle behleidete Bacchus als
Gespenst jenem zum Heil und diesem zum Verderben
erscheint, das ist nicht aufser Acht zu lassen, denn es
spielt wieder an jene älteste Bezeichnung der Völker
hinüber, wie wir sie auf Denkmilern der Vorzeit und
in der religiösen Sage öfter finden. Auch aus Messene
aus dem Peloponnes mufs gerade der hülfreiche Schwarz-
mann kommen, und dort in der Gegend, z. B. zu Her-
mione in Argolis, hatten die Leute auch einen Bacchus
mit dem schwarzen Ziegenfelle (Meiayaıyic), und feier-
ten ihm, wie die Athener an den Apatnrien , ganz ühn-
liche Feste ( Pausan. 1I. 35. $. 1.). T beweiset doch
wohl deutlich genug, dafs wir in jenem Attischen Fest-
mythus eine Tradition haben von einer Bacchischen Re-
ligionscolonie aus dem Peloponnes herauf und von einem
Religionskriege, den sie mit den benachbarten Böotiern
zur Folge hatte. Argolis, diese alte Pflanzung aus
Aegypten her, hatte von dort auch ihren Bacchuspro-
pheten Mclampus, den Schwarzfufs, bekommen ;
und àus Aegypten und Aethiopien herauf kam auch der
Bacchus mit dem schwarzen Ziegenfelle. Das
war ja das Schwarzland, und dort hatte man schwarze
Götter, Ziegengötter besonders auch, und Bocks-
götter. In der Aegyptischen Thebais sah man ja den
mit Ziegenfellen behángten Ammon , und sein Sohn Osi-
ris- Bacchus, warum sollte er nicht des Vaters Abzei-
chen haben? Also dieser Ammon- Juppiter, das war
ET:
599
Zeus À patenor, der Männerbetrüger, der seinen
täuschenden Sohn mit dem Ziegenfelle geschickt hatte.
Es war ein schwarzes Fell aus dem Schwarzlande. Diese
Farbe war dort die Farbe der Götter und des Heiles.
Daher kämpft auch der Schwarze unter dem Schutze
des Gottes, und der Helle mufs unterliegen. Unwill-
Liihrlich fallen einem hierbei die hellen und dunkelen
Figuren auf alt- Acgyptischen Denkmalen ein. — Aus
Aegypten , aus dem schwarzen Lande, wie es hiefs,
hatte Melampus (der Schwarzfüfsige) auch die Lehre
vom Phallus gebracht, und nachherige Propheten hatten
sie weiter ausgeführt (s. oben 1II. Th. pag. 163.); eine
Lehre, die in den Argolischen Lernäen und wo sie hin-
kam, von Tod und Leben handelte, von dieser nie-
deren Spháre der Sinnenwelt und von der. Rückkehr
aus ihr durch die Seelenwanderung. In diese Sinnen-
welt sendet aber nach der Ordnung Zeus die Seelen,
und der Phallusgott Osiris- Bacchus erfüllet sie mit der
Lust und mit dem Truge der Sinne. Dieses leibliche
Seyn, erzühlen ja alte Geschichtschreiber, als Aegypti-
sche Lehre, ist nicht das wahre Daseyn. Die Gütter
also, die die Seelen in diesen Schein herabschicken,
und die Scheinwelt bereiten, sind trügerische Gótter,
Also auch in diesem Sinne hann der Ammon- Zeus der
Männertäuscher heifsen, und sein Sohn, Apaturius ge-
nannt, durch Blendwerle täuschen und trügen ; und das
alte Siegesfest Apaturia kann nun auch in einem an-
dern Sinne das Trugfest heifsen. Jezt erinnert man
sich vielleicht auch wieder des Fackellaufs, dieses
alten Lebensbildes, der an diesem Feste dem Vulcanus
zu Ehren geschah, also wieder einem notorisch- Aegyp-
tischen Gotte, wie auch die andern Gottheiten des Festes
dieses Ursprungs sind: Minerva und Artemis. Letzterer
opferten die Athener dabei auch eine Zieze.
5:
Von dieser Seite zeigen uns früherbin nur diese
wenigen Spuren den Sinn des Festes. Das ist aber auch
hier wie immer sehr begreiflich. Bei dem Bestehen des
alten Glaubens durfte ja der innere Sinn von den mei-
sten Gebráuchen nicht offenbar werden, zumal von sol-
chen, die, wie dieses Fest, mit den Mysterien zusam-
menhingen. Erst mit dem Verfall der Griechischen Re-
ligionen nach Ausbreitung des Christenthums suchten
die Denker in der Nation ihren alten Glauben durch
Hervorziehung der inneren Seite zu retten. So mufs,
glaube ich, im Wesentlichen folgende Ansicht betrach-
tet werden, die der Philosoph Proclus (in Platon. Tim.
p. 27) von dem Feste der Apatarien giebt. Jenen Sieg
der Athener nennt er ein Vorgeben (zoó$aow). Darauf
spricht er von dem Siege der Intelligenz über das Ma-
teriell. Der Betrug (&sx&vx) sey das Loos der Wesen
innerhalb der Welt, die von dem Ungetheilten
und Immateriellen abgewichen sind (éfrernpévoiss so
mufs statt éÉrotæpérns corrigirt werden) und den Schein
haben statt des Wesens. Darauf vergleicht er die Ein-
schreibung der Knaben in das Biirgerregister mit der
Vertheilurg der von Gott herabgekommenen Seelen nach
ihren Ordnungen im Erdenleben, spricht auch von der
Verknüpfung der Seelen mit dem Ganzen, von dem
Streite , den sie im irdischen Zustande führen, von der
nothwendigen Herrschaft des Geistes und von dem he-
roischen Thun, wozu dieses Fest hinleiten solle, und
giebt dabei die Bestimmung desselben so an : es zwecke
ab auf die beständige Wohlordnung in die-
ser Welt (— wo 0à «is éopgvijg vii» éy v «óopo Owaó-
9310» £&b 9p oco vq») 171).
171) So habe ich das fehlerhafte suJuuocUv4» corrigirt. Es ist
zunächst von den Ordnungen (dard£es) die Rede.
“10
514
Dafs in dieser Erklirung Platonische Terminologien
und Ansichten mituntergelayfen sind, wer wird dieses
leugnen wollen 172)? Auch ist in der Deutung Einzel.
nes ganz mifslungen , wie es geht, wenn Alles gedeutet
werden soll. Aber dafs die Erklärung selbst ihren guten
Grund habe, ist eben so wahr. Zwar sprechen schon
die obigen Spuren dafür, die ich absichtlich von der
Erklürung des Proclus günzlich getrennt habe. Doch
auch andere lassen sich verfolgen, und dies wird mich
meinem Ziele näher führen.
$. 9.
Fortsetzung.
Ein Rückblick auf die Genienlehre der Alten
wird dazu einleiten, nebst einigen neuen Belegen dazu.
Ohne diese Lehre ist das ganze Mysterienwesen der
Griechen nicht zu erkliren, und folglich auch die sce-
nischen Vorstellungen auf den Vasen nicht. Nun wissen
Aber auch ohne das ist nicht zu zweifeln, Vergleiche
man nur die Stelle des Xenophon (Cyropaed. VII. 5.
$.3 und 5.). Es ist ein Hesiodeisehes Wort; s. Hesiodi
‘Epy. vs, 441, (vs. 469.) , wo derselbé Fehler eingeschlichen
war, den Graevius (Lectt. Hesiod. ad h. 1. cap. XII.)
verbessert (vergl. auch Pollux Onomast. IX. 161.) , und
welche Stelle jezt auch viele Codd, bei Lanzi (s. dessen
Esiodo pag.218. 289.) verbessert geben. Die sUSzuoriw
ist die W ohlordnung, die der Geist schafft, und wo-
durch er den Dingen sein Gepräge aufdrückt. Die aV.
oyypocuvy ist der Amstand, als eine Folge des feinen
gebildeten Sinnes. Beides vereinigt sich in der höheren
Erziehung.
172) Man denke nur an den in den Neuplatonischen Schulen
so beliebten Ausdruck veo; Buorkeus , worüber Ruhnkee
nius ( Dissertat. de script. Longini $. 5.) das Nóthige be«
merkt hat.
512
wir, wie die Griechen im óffentlichen Glauben von den
Heroen und Genien dachten; wie Dichter auf der Bühne
von einem Genius als Mystagog des Lebens sprachen.
Wir wissen weiter, welch eine praktische Wendung
der Heroenlehre in Griechenland gegeben war; wie die
Heroen dem Volke vor Augen gestellt wurden, als Ma-
sterbilder zur Nacheiferung ; wie daher Gesetzgeber
Volksabtheilungen nach den Heroen benannten, und
zwar selbst zu Athen (s. oben III. Th. p. 53 ff). Es ist
also sehr im Geiste der alten Athener, wenn auch das
Einschreibungsfest ihrer Sühne und deren Eintritt in die
Welt mit öffentlichen und religiösen Erinnerungen an
die Heroen und deren Tugenden begleitet war. Die
Apaturien waren ein Fest der Hinder, der Jünglinge
und Jungfrauen, sie waren ein Fest des beginnenden Le-
bens im doppelten Sinne. Mithin wird die innere, die
religióse Seite dieser Feier auch ihre Hinweisungen auf
den Führer des Lebens, auf den Genius, gehabt haben.
Vielleicht hing dies Alles auch mit Namengebung zusam-
men. Wenigstens lesen wir bei Plutarchus 175) eine
vielleicht hierher gehörige Stelle, Die Genien, heifst
es dort, liefsen sich gerne nach dem Namen der Gótter
nennen, von denen sie ihre Hráfte haben: Apollonius,
Hermáus, Dionysius und dergl., wie auch wir Menschen
solche Namen lieben. Hier war also wahrscheinlich ein
Schutzpatronat des Genius über den Menschen mit einem
Namen verbunden, wodurch schon sinnlich der Genius
als Vertreter des Menschen bei seinem Gotte erschien,
Wie dem aber auch sey , so viel brachte der Griechische
Glaube mit: Die Heroen sind die Muster der Menschen
im Streben aufwürts; die Genien (Dámonen) leiten sie
aus dem höheren Orte in diese niedere Welt; sie befe-
173) de Oraculor. defect. p. 421. E. p. 724 Wyttenb. vergl.
Proclus ad Platonis Alcibiad. 1.
513
stigen die Seelen an Körper, sie begleiten aber auch die
Seelen durch das Leben und aus dem Leben. Der
Leib ist ein Kleid. Es giebt viele Kleider, feinere
und gróbere, Gewande aus Luft, Wasser und Feuer,
womit die Seelen behangen sind auf ihrer Bahn abwärts
(Proclus in Platon. Tim. pag. 35.). Also die Genien be-
sorgen die Kleider, wie Persephone sie webt, die man
in der Bacchischen Lehre mit dem Webstuhle bildet, wie
die Artemis schon in der alten Religion des Apollo die
Spindel führte. Die Persephone batte am Feste der Apa-
turien mit Ántheil, so wie die Artemis ebenfalls, Es
ist daher wohl nicht zu zweifeln, dafs auch zu Athen au
diesem Feste eine Einkleidung der Jünglinge und
vielleicht auch der Jungfrauen vorging. Moehrere Stellen
der Alten spielen davauf an.
— Doch, hóre ich fragen, was gehen die Jonischs
Attischen Apaturien die Dorischen und Achäischen Cos
lonisten aus Grofsgriechenland und deren Bild werke an?
Ich antworte vorerst im Allgemeinen: es war ein Bac«
chusfest; sodann, es kam aus dem Peloponnes’ herauf
zu den Attikern, aus derselben Provinz also, woher
auch die Colonien kamen, die auf Italiens südlichen His
sten sich ansiedelten. Und nun erinnere man sich, dafs
es auch die Samier hatten. Samier kamen nach. Croton,
Vergesse man nuu nicht, dafs die Italier und namentlich
die Pythagoreer viel auf die Genienlehre hielten , janoch
mehr, dafs die Grofsgriechischen Gesetzgeber Charon-
das und Zaleucus sie sehr berücksichtigt hatten, zum
Beweise, dafs ihre Mitbürger sehr daran bingen (s. oben
1i. Th. pag. 2o ff). Hatten nun diese Griechen auch
keine Apaturien, wie doch wahrsclieinlich ist, so hatten
sie doch auch Jünglingsfeste, die zugleich W eihe-
feste (Confirmationen) waren, Einführungsfeste ins
Leben, Einhleidungsfeste, wie wir fast bestimmt
wissen, In diesen Festen wird doch gewifs auch der
111.
x A
514
Genien gedacht worden seyn, dieser Geber der Klei-
der dieses Leibes, dieser Führer durchs Leben, die-
ser Lehrer der Lebenskunst. Dafs diese Italisch -
Griechischen Einkleidungsfeste Bacchanalien waren,
haben wir oben gesehen. Eine Pythagoreerin Ari-
gnote, also eine Bürgerin dieser Städte, hatte Baxyıxa
geschrieben (Eudociae Violar. p. 7:.). Hätten wir diese
noch, so wüfsten wir ein Mehreres über den ethischen
Sinn der Bacchischen Jugendfeste von Grofsgriechen-
land. Dafs das Einkleiden und Beldeiden in den Myste-
rien einen geheimen Sinn hatte, wissen wir bestimmt
aus einem zufállig erhaltenen Fragment dieser selbigen
Schriftstellerin aus einem Buch über die VVeihen (s.
Harpocration in veBpigerr).
Nach Allem diesem blicke man nun auf jene Vasen-
bilder zurüch; man beachte die so häufigen Jünglings -
und Jungfrauenfiguren mit Kleidern auf den Händen
und dergleichen Situationen mehr. Besonders bemerke
man die grofse Classe der Mantelfiguren auf der liehr-
seite so vieler Vasen. Hier übersehe man drei Umstände
nicht. Erstens, dafs mitunter weibliche Gestalten, Jung-
frauen, in jener absichtlichen Verhüllung erscheinen;
sodann , dafs der Mantel (das Pallium) oft bis über den
Mund herüber gezogen ist *), und endlich, dafs Silenus
zuweilen als Custos zwischen den bemintelten Jünglingen
steht (z. B. auf einer Griflich Erbachischen Vase). —
Der Silenus ist ja und heifst ein Dimon. Er ist der
Führer zum Bacchus , und der Prophet seiner Lehre. Er
heifst aber auch bestimmt der Pädagog, der Führer
des jugendlichen Dionysus. Wie der Vater Liber erzo-
*) So wie an der Figur, die auf einem Seethiere nach den In-
sein der Seeligen reitet, bei Fr. Inghirami in seinen
trefflichen Monumenti Etruschi Fascic. III. tav. VI.
515
gen wird, $6 sollen alle semé Kinder und Jünglinge, Li-
beri, erzogen werden. — Hierdurch werden wir neben
dem üufseren Lehrhreise, den der menschliche Cu-
stos verrichtet, noch in einen andern eingeführt, der
das VVerh der Genien ist. Sie sollen die Seele leiten.
Sie geben das Kleid des Leibes, sie führen in die Welt
ein, sie lehren aber auch in der Welt lehen ; sie lehren
die Erscheinungen verstehen und die Täuschung auf-
lösen; sie helfen den Gott der trügerischen Sintié ver-
sóühnen, um des Lebens Meister zu werden, um sich zu
sammeln aus der Zerstreuung, um durchGeist zu herrschen,
und den Heroen glücklich nachzueifern im Dienste für
Vaterland und seine Götter. Sie sind Führer dem Jüng-
linge bei dem jezt anzutretenden Wege des öffentlichen
Lebens. — Daher auch so häufig der Wanderstab in
den Händen des bemintelten , reisefertigen Ephebus 174);
Das ist also eine Heilsordnung in der Lebensordnung;
174) An einen Wanderstab zu denken; giebt atıch die nicht
seltene Erscheinung einen Grund, dafs dergleichen Fi-
guren oft gehend vorgestellt sind (s. z. B. die tab. 94. bei
Passeri und unsere "Tafel LII. rechts, ganz oben, nebst
der Erklärung p. 38.). Mantelfiguren mit solchen Stüben
ganz in der Stellung eines ernstlich Zuredenden sieht man
ebendaselbst ófter. (z. B. tab. 31.). Besonders bemert-
kenswerth scheint mir eine dergleichen vor einer, wie es
Scheint, weiblichen Gestalt stehend. -Letztere sitzt auf
einem Stuhle, und ist sehr sonderbar bis an den Hals iu
ein dickes Gewand eingehüllt. Dabei hat sie einen Spies
gel in der Hand (bei Passeri tab. 56.) ; der Führer (custos)
redet ihr zu, Also ganz das Bild einer sinnlichen, trigen
Seele, die durch Ermunterung des Custos aufgewecht
wird. — Gelegentlich bemerke ich bier noch, dafs auch
die häufige Inschrift auf Vasen, KaAós, der Schóne;
die, wie schon Lanzi (Vasi pag. 199.) zeigt; nicht immer
einen erotischen Sinn hat, vermuthlicli in dieser Bedeu-
tung der ethischen Trefflichkeit genommen werden müfs;
516
das ist eine Lehre der Geisterherrschaft und Wohl-
stellung im ganzen Leben, es ist eine EVDHLLOOÛPR,
deren Frucht jenes Leben nach der Richtschnur (Bios
ini ovàS p) ist, das die Orphiker und Pythagoreer als
Ideal aufstellten; und so wird das Verschliefsen des
Mundes , welches auch so oft das darüber gezogene Pal.
lium andeutet, nicht nur zu einem Zeicben der bürger-
lichen Unfähigkeit, in der Versammlung der Gemeine
zu stimmen, sondern auch zu einem Pythagorei-
schen Schweigen, das der Meister so wohl als der
Genius dem Jüngling auflegen, damit er ihre Stimme
hóre, und der Geist sich in sich selbst sammle und er-
starke. — Daneben läuft parallel, eine andere Lehre; es
ist die Lehre von dem W ohlgefallen, von dem An-
stand für den Sinn (céoyzuoaóvz), und die Frucht bei-
der ist dann das, was die Socratiher die Halokagathie
nennen. Nach dieser Ansicht jener alt- Griechischen
Ephebie hätten wir also in ihr eine Mystagogie, die
zugleich Pädagogie ist, und die neben der gewöhn-
lichen Erziehung als die höhere Leitung hülfreich her-
lief. Das Ganze ist demnach die Anleitung zu einem
schönen und seeligen Leben.
. Ueber die Gewünder tragenden oder darreichenden
Figuren auf den Hauptseiten so vieler Grofsgriechischen
Vasen bemerhe man nun noch Folgendes. Eine Ab-
sichtlichheit in diesen Darstellungen ist nicht zu
verkennen , wenn man sieht, wie die Gewänder in den
Hinden gehalten oder auf den Armen getragen werden,
Oft sind es auch weibliche Gestalten, die sie so tragen,
wie z. B. bei Passeri (tab. 84. und öfter). Nehmen wir
auch an, was wahrscheinlich ist, dafs in Grofsgriechen-
land wie zu Athen mit jener ehelichen Vorweihe (Game-
lia) eine Einlleidung der Jungfrauen verbunden war, so
weisen uns die andern Symbole zugleich in einen andern
Ideenkreis hin. Tragen sie nicht oft den Spiegel, jenes
517
Bild der sinnlichen Natur, ingleichen das Mysterienkäst-
chen, den Dionysusbecher und dergleichen mysteriüse
Attribute mehr; und ist nicht háufig der mystische Ge-
nius, sind nicht andere Gestalten in der Nähe, die es
wahrscheinlich machen, dafs auch das Gewindertragen
auf die bemerkte Art aus der Lehre von der Seelenwan-
derung erklärt werden müsse?
Dieser Ausdruck von den gröberen und feine-
ren Gewündern und von den grôberen und fei-
neren Seelen führt uns zu einem Blick auf die Rei-
nigungsscenen, die auf Vasenbildern dargestellt
sind. Die Feuerreinigung haben bereits Gori und Pas-
seri auf Italisch- Griechischen Vasen erkannt; nur gingen
sie von der falschen Voraussetzung aus, d.fs hierin
Etrurische Mythen oder Lehren aus dem Mithrasdienste
zu suchen seyen. In den Griechisch- Bacchischen Wei-
hen dienten, wie bemerkt, Fackeln zur Lüuterung durch
Feuer, cud darauf mógen sich mitunter wohl die
Facheln beziehen, die das mystische Gefolge in Vasen-
malereien trägt. An die Masken knüpft sich der Begriff
der Reinigung durch die Luft, und bei einem Vasen-
bilde hat Millin in der Maske, an den Thyrsus des Bac-
chus angebunden, bereits an die Oscilla und die Gebräu-
che der Reinigung durch Luft wohl erinnert. An die
Weihe durch Wasser hat man vermuthlich da zu den-
ken, wo eine Initiirte neben einer Situla (Wassereimer)
erscheint, wie z. B. bei Millin (IL pl. 52.) Dort ist ein
Satyr Ministrant. | Er bringt die Situla herbei, ohngefáhr
wie auf unserer Tafel X, nur dafs dort die übrige Um-
gebung anders ist. Dies lüfst sich vielleicht noch wahr-
scheinlicher bei folgenden Vorstellungen, wie die in der
Millinschen Sammlung (I. pl. 53. 54.) , machen , beson-
ders wegen der letzten Scene (pl. 54.). Dort wird eine
junge Frau von einem Vogel getragen, der mit einem
Schwane Aehnlichheit hat, ohne doch ein eigentlicher
518
Schwan zu seyn. Er schwebt am Ufer des Meeres, in
welchem ein Delphin und ‚einige Fische schwimmen;
Ueber die Reinigungskraft des Meeres’ auch im Bacchi-
schen Ideenkreise, so wie über das Bild des Delphin,
habe ich oben das Näthige bemerkt. Da nun die erste
Seite derselben Vase (pl. 53.) die Situla neben einem
Manne zeigt, und wir auf der andern (pl. 54.) eine junge
Frau in der beschriebenen Umgebung sehen , so möchte
wohl die Aufnahme eines Ehepaars in den zweiten Grad
der Bacchischen VYeihen, wobei Wasser gebraucht ward,
angedeutet seyn.
Neben dem WVassereimer sieht man zuweilen eine
Taube, wie bei Millin (II. pl. 52.) 175). Die Taube in
den Hinden der alten Fischgottheiten Asiens haben wir
oben auf Syrischen Münzen nachgewiesen , und dabei die
Ideenverbindung gezeigt, die zwischen^ dem feuchten
Element und der Bruttaube in jenen alten Religionen
statt fand (IL. Th. p. 70 f.). Es ist dabei an die xepu-
otepd oder Columba zu denken und an die Vorstellun-
gen, die man mit der Bruttaube zu verbinden pflegte.
Zwar in den Bacchischen Mysterien, worin die Proser-
pina verherrlicht ward, konnte noch ein neuer Ideen-
kreis, von der Waldtaube hergenommen , statt finden,
die dieser Letzteren heilig war ; wovon im Verfolg noch
das Nóthige bemerkt werden wird. Aber vergessen wir
andrerseits nicht die nahe Verwandtschaft , ja oft Iden-
titit der Proserpine mit der Venus, zumal in diesem
mysteriösen Dienste, worin alte Grundbegriffe in ihrer
ursprünglichen Verbindung aufgefafst wurden, oft in
schneidendem Contrast mit dem Alles trennenden Volks-
175) Ueber das Symbol der Taube im Bacchischen Bilder-
kreise s. Bóttiger Archáolog. Museum I. p. 96. 97. und
Artemidorus Oneirocrit, II. 20. p. 174, und daselbst Reif,
p. du”.
*u.
519
glauben. Andrerseits gedenke man der nahen Verbin-
dung der Venus mit dem Bacchus. Das bestätigt
auch der fünf und funfzigste Orphische Hymnus , wo sie
(vs. 7.) des Bacchus hehre Beisitzerin heifst. Hiefs sie
doch auch bald dessen Mutter, bald Ehefrau (vergl. oben
II. Th. pag. 375.). Daher so oft ihre alten Tempel zu.
sammen standen 17%), Auch will man auf mehreren Bac-
chischen Vasengemälden die Venus entdeckt haven. Dar-
auf mag es sich auch oft beziehen, wenn Initiirte auf
denselben Tauben tragen. Wenigstens bei folgender
Vorstellung möchten wir allen Grund dazu haben: Auf
einem noch nicht edirten Vasenbilde 177) sehen wir eineri
Knaben in einen mit einem Jonischen Peristyl verzierten
Tempel eilen. In der Linken hálter eine Taube und zugleich
ein Salbenbüchschen mit Bändern zugébunden, die darari
herunter hängen. Auf demselben linken Arme trägt er
ein Gewand, mit der rechten Hand einen Wéeihwasser-
kessel. An den Seitenwánden neben dem Tempelportal
hängen grofse mit Perlen besetzte Binden. Sehr wohl
hat der Besitzer dieser Vase auf das Salbenbüchschen
und auf die Perlen aufmerksam gemacht, in Bezug auf
den Dienst der Venus. Derselbe vermuthet, dafs wir
hier vielleicht eine Sicilische Feier sehen, und erin-
nert an die Heiligkeit der Taube zu Eryx in Sicilien. In
unserer obigen Skizze des Griechischen Mythus von der
Venus habe ich mit einem Worte das dortige Fest Ana-
gogia bezeichnet (s. oben 1L. Th. p. 616). Venn die
Güttin von Eryx nach Libyen ging, erziblte man, sah
man am ersteren Orte keine Taube, Das war das Fest
des Abzugs (Anagogia). Nach neun Tagen kam die Göltin
176) S. z. B. Pausan. Corinth. cap. 23. §. 8.
177) In der Sammlung des Herrn Grafen. Franz zu Erbach.
Ich habe es auf der 'lafel XI. copiren lassen; vergl. die
Erklárung dazu p. 47.
520
zurück , welches daran erkannt ward, wenn eine Taube
über das Meer in ihren Tempel flog, der dann die übrigen
bald nachfolgten. Das war das Fest der Rückkehr 175),
Daher behanntlich auch die Aphrodite auf Münzen die-
ser Stadt mit dem Bilde der Tauben. Dieses würde noch
mehr Wahrscheinlichkeit gewinnen, wenn wir wüfsten,
dafs wir eine Sicilische Vase vor uns hiitten. Aber die
Taubentriigerin Aphrodite ist eine allgemeine Vorstel-
lung der Griechen, wie das uralte Relief mit den grofsen
Gottheiten beweiset (s. unsere Tafel IV.), und eine ganz
ähnliche Figur auf einer andern Vase der Gräflich Er-
bachischen Sammlung ist auch eine Venus alten Styls
mit der Taube auf der Hand. An die iltesten Vorstel-
lungen müssen wir uns auch hier halten, besonders aus
dem Kreise der Bacchischen Religion, der diese Vasen
gröfstentheils angehören. Die alte Bacchusinsel Dia,
später Naxos, heifst aber gerade in dem bemerkenswer-
then Orphischen Hymnus auf die Aphrodite (LV. [54.]
Vs. 22.) einer der Lieblingsplätze dieser Gôttin. Dort
weben die Chariten dem Dionysus einen Peplus 17%), Mit
der Aphrodite zugleich sehen wir dieselben Chariten
heim Nonnus weben. Merken wir doch auch auf diese
Weberei, besonders da wir so auffallend in unserem
Bilde wieder an Gewänder und Binden erinnert wer-
den! In Indien bei dem Festmahle des triumphiren-
den Bacchus singt der Lesbische Singer Leucus ein
wunderbares Lied von der Weberin Aphrodite,
Vorher nennt er den alten Titanenkampf gegen die Olym-
pier und des alten Kronos Sturz, darauf sagt er weiter:
& wie einst Aphrodite zu dem Webstuhle der Athene ge-
178) Katagogia ; s. Athenäus IX. 52, pag. 455 Schweigh. und
daselbst die Ausleger.
179) Apollon. Rhod. Argon. IV. 125,
521
schritten, wie sie begonnen einen Peplus zu weben , und
wie die Cypris Athene werden wollte. Aber es war eine
traurige Arbeit. Während des Webens quollen die Fä-
den ungeheuer (&yxoûro nélop uivoc), und von selbst
rifs der Aufzug an dem verdickten Gewande (xu-
Xvuévovo yiTÉvos). Dennoch liefs die Göttin nicht ab,
Sie hatte Sonne und Mond zu Zeugen ihrer Arbeit.
Die Grazien Pasithea, Pitho und Aglaja spinnen ihr als
hülfreiche Mägde die Fäden in die Hand. Pie Liebe
entweicht aus der Welt. Das Leben der Sterblichen ver-
fliegt alternd. Harmonia seufzet über die unvollzo-
genen Ehen. Athene verklagt die neue Weberin. Die
Götter versammeln sich. Es tritt der spottende
Scherzredner Hermes hinzu, und erinnert sie bitter
an diealten Binden und Fesseln, in denen sie einst
von Hephästus gefangen worden. Alle Götter lachen.
Die Scheu vor der Athene überwältigt Aphrodite's stol-
zen Sinn. Sie kehrt wieder nach Cyprus zurück, sie
die Amme des menschlichen Geschlechts, und
die Liebe knüpft wieder das bunte Leben (B8iov aioXó-
popFor) durch den Gürtel an einander » 190, — Ein
neues Lied von uraltem Inhalt, und entlehnt aus den
frühesten Dionysiaden. Alles erinnert uns hier an des
Demodocus Gesang in der Odyssee. Die Nachahmung
in der Form ist auch nicht zu verkennen, aber der In-
halt ist entlehnt aus alten kosmologischen Mythen. Un-
mittelbar auf des Kronos Sturz folgt diese aphroditische
Weberei. Dabei die Erwähnung der Harmonia, und der
Scherzredner Hermes wieder, kurz Alles, wie wir es
oben bei der Samothracischen Lehre (1I. Th. p. 330 ff.)
zu entwickeln versucht haben. Von dem Alter des In-
halts und dessen kosmischer Bedeutung kann uns
150) Noani Dionys, XXIV. 236 sqq. p. 634 sqq.
222
das Eine schon überzeugen, dafs die ganz hermenartige
Venus in den Gärten zu Athen die Inschrift hatte: die
älteste der Parcen 18), Hier sehen wir diese älte-
ste Parce mit ihren jüngeren Schwestern und Dienerin-
nen, den Grazien, cie ‘hier selbst zu Môren werden.
Das war aber ein vergebliches Weben, ein trügliches
Weben, das diese Amme des Menschengeschlechts ver-
suchte. Halb vollendet verläfst sie es wieder. Das ist
die Betrugflechterin und zugleich die Mutter
der Nothwendigkeit, wie Áphrodite beim Orphilier
heifst (a. a. O. vs. 3). Diese Táuscherin, diese Bei-
sitzerin des táuschenden Dionysus, des &zaxoipoios,
müssen wir etwas näher kennen lernen. Sie heifst ja
selbst auch bestimmt die Täuscherin (Apaturos) und zwar
wieder in einem alten kosmologischen Mythus. Zu Pha-
nagoria in Kleinasien, der Taurischen Chersonesus ge-
genüber, hatte man einen Tempel der trügerischen
Venus (ànzovoípov). Von diesem Namen gaben die
Einwohner folgenden Grund an. Einst stellten. die Gi-
ganten der Gótiin nach. Da rief sie den Herakles zu
Hülfe, verb*rg ihn in einer Hóhle, und überlieferte ihm
einen nach dem andern zum Todschlag. Von dieser
List (&z:617) hatte sie diesen Namen 182), Hier befinden
wir uns wieder in den Pontischen Religionen von Asien
her; aber auch der Aegyptischen Einflüsse müssen wir
-_— ————
451) Pausanias I. 19. §. 2.
182) Strabo p. 495 Almel. p. 383 sq. Tzsch. vergl. Stephan..
Byzant, in ’Ararove. — Dafs Ritter (Vorhalle Europ.
Vólkergeschichte p. 63.) in dem Griechischen 'Ardrouços
noch einen Anklang des Indischen Wortes Awatar oder
Awatur findet (s. oben LI. 'T'h. p. 647 f£.) , wird den nicht
stóren, der da weifs, wie die Griechen die herüber ge-
nommenen orientalischen Begriffe in ihrer Hellenischen
Sprache genialisch fortzubilden wufsten.
TR
523
gedenken, die sich in diesen Küstenländern geäufsert
haben. Da mufs also wieder an den alten Herakles ge-
dacht werden, an jenen Sem und Melkarth und an jenen
Herakles, welcher der Dactylen einer heifst und ist. So
werden wir wohl ein altes Astrologumenon erhennen, etwa
folgenden Inhalts: wie die Sonnenkraft (Hercules)
mit dem Monde (Venus) im Vereine, d.i. nach Monds-
perioden, nach und nach und einzeln den finsteren Kräf-
ten der Erde (den Giganten) und der winterlichen Nacht,
worin sie selbst wie in einer Höhle eingeschlossen war,
den Sieg abgewinnt durch Trug — einenSieg von Tagen,
den der Dactylus (der Finger) zählt (gleich wie dort
in Aegypten Hermes im VVürfelspiele der Isis fünf Tage
abgewonnen). Doch diese Vermuthung bleibe dahin ge-
stellt. Hier gilt es um die Grundidee , und diese ist nun
nicht mehr zweifelhaft. Es ist ein kosmischer Be-
trug, und die Betrügerin ist eine hohe Natur-
gottheit, es ist die täuschende Mutter (die Maja)
der Sinnenwelt. Es ist die Amme des Menschenge-
schlechts, die es in die Geburt bringt, in die Geburt
des Leibes, in diese untere, feuchte Sphäre; Darum
liebt sie auch die befruchtenden Gewisser (yoviuóta
Aovtod) des feuchten Aegyptens (Orph. Hymn. a.a. O.
vs. 19.), wo die Frauen früher gebáren als anderwirts.
Also jene Göttin der fruchtbaren Bruttaube ist auch die
Tochter des Gewässers, die die Taube auf den Händen
trägt; und indem sie in die Geburt einführt, ist sie die
Parce, die den Schicksalsfaden spinnt. Aber als des
Geschicks Mutter ist sie auch die Trügerin. Sie webt
tiuschende Gewänder, täuschend in jedem Sinne. Sie
will der höheren, himmlischen Athene nachweben, aber,
obwohl sie dieses Muster wählt, so ist doch das Gespinnste
nicht fein. Der dicke Faden giebt ein dickes, grobes
Gewand, das vor der Zeit und unter den Händen der
Weberin zerrcifst. Darum heifst es auch der Peplus
524
des Dionysus, dort von Parcen gewebt auf
der Insel Dia, wo die täuschende, feuchte
Grotte des Dionysus ist, in die er, der sinn-
liche Gott, die Menschen einführt, wo auch
sie dann getäuscht werden durch die groben,
zerbrechlichen Gewänder. Er ist ja auch der
Betrüger (dxatotproç).
Es bedarf hiernach wohl kaum noch der Bemerkung,
dafs in diesem Ideengange Aphrodite mit der Persephone
ihre Rolle wechselt. Beide sind Mütter des Menschen-
geschlechts, beide Weberinnen dieses Leibes und Le-
bens. Die Form ist gut, sie ist den hóheren Güttern
abgeborgt; aber der materielle Stoff dieses Erdenleibes
tüuschet die Meisterin, und sie durch ihn. Die dichen
Gewünder dieses Leibes vermögen nicht zu bestehen.
Aber die Beherrscherin der feuchten Sphäre, die Toch-
ter des Meeres, schmückt sie täuschend aus mit Perlen
aus dem tiefen feuchten Grunde.
Wer sieht nun nicht, dafs diese kosmologische Be-
trügerin der ältesten Religionen, wie wir sie so eben
kennen lernten, zugleich von einer andern Seite gese-
hen, zur täuschenden und schmeichelnden Liebesgöttin
wird, und das Gewand ihrer Hände zu einem verschö-
nernden Zaubergürtel, woran sie die Welt gefangen
führt. Dieser Uebergang der Begriffe in einander ist in
jenem Mythus der Dionysiaca des Nonnus schon deutlich
angedeutet. Hierbei will ich nun nicht lange verweilen,
und die antiquarisch bemerkenswerthen Unterscheidun.
gen, z. B. des Gürtels um die Hüften und der Binde um
die Brust, die hierbei zu machen sind, nicht berühren;
worüber Heyne im Excurs zum vierzehnten Buche der
lliade das Nóthige gelehrt abgehandelt hat. An die Be-
griffe will ich erinnern, welche nun mit diesem Gürtel
(xeorés) der Venus verbunden wurden, und an die My-
525
then, die daher ihr Daseyn erhielten. Hauptsächlich
aber gilt es hier darum, dafs im öffentlichen Tempel-
dienste zu Corinth, Cyprus, Eryx und so weiter die
Jungfrauen in einem etwas andern Sinne ihren Gürtel
der Aphrodite weiheten, als wir hier in einer mysteriô.
sen Vasenmalerei neben dem Tempel dieser Gôttin die
beperlten schweren Binden aufgehängt sehen. In Be-
trachtung des ganzen Gebiets, wozu diese Bilder gehó-
ren, und neben dem Weihwasserhessel, auch bei dem
beflügelten Geniuskhopfe auf derselben Vase, müssen wir
wohl an die bedeutsamen schweren Declen und Gewän-
der denken , die dis Venus als Weberin gewebt hat, an
dies materielle, aber geschmückte Hleid dieses Leibes.
Ueber jenen Kopf, neben welchem die Flügel erscheinen,
würe noch mehr zu rathen und zu sagen. Es hünnte,
da er, wie es scheint, weiblich ist, am Ende die Aphro-
dite selbst seyn, der in diesen Religionen die Flügel nicht
fremd sind, wenn man auch nicht in Anschlag bringen
will, was Winckhelmann (Monumenti I. 2.) zur Unter-
stützung dieser Meinung im Allgemeinen beigebracht
hat.. Ueber das Salbenflischchen, das im Dienste der
reizenden Aphrodite so eigentlich an. seinem Orte ist,
und mithin auch zu den Attributen der Verführerin
im mystischemn Sinne sich schickt, habe ich nach
dem, was neurelich Bóttiger in der Aldobrandinischen
Hochzeit (p. 47.) über die manni;fach gestalteten Salben-
gefáfse der Alten bemerkt hat, nichts hinzuzufügen;
sondern kann nun sogleich zu meiner Ansicht des ganzen
Bildes übergehen. Es ist einNeophyt der Bacchischen
Weihen, der in den Tempel der Aphrodite
eilet, um ihr seine Gaben darzubringen —
eine Vorstellung, deren es viele ähnliche auf diesen
Vaseubildern giebt; z. B. bei Millin (1. pl. 64.) sehen
wir einen Neophyt der Libera eine Myrte darbringen.
Der unserige ist ein Knabe, dem wohl so eben das Haar
526
geschoren worden, wie es zu Athen an dem Feste. de?
Apaturien geschah (Hesych. in zovpedtig). Er trigt ein
Kleid, auf‘ seinem Arme; oder ist es ein Tuch zum Abs
trocknen? Auf jeden Fall müssen wir nach dem Sinne
dieser ganzen Lehre in. diesem Knaben eine Seele sehen,
welche in das feuchte Reich der Libera und
Aphrodite herab gekommen ist, die nun zwi-
schen. den grofsen Binden bindurchgeht , und sich selber
schon mit einem Gewebe schleppt.
So weit von dem Seelenwege abwärts in den Leib:
Es bedarf wohl kaum der Bemerkung, dafs auch der
Weg aufwürts in den mystischen Scenerien , und
folglich auch auf deren Abbildungen in Gemälden und
Vasenmalereien dargestellt worden seyn werde. Wie in
dem Lehrsysteme, so werden auch in Bildern Bacchus
und Proserpina. als Todtenrichter, als Begnadiger er-
scheinen, die der Seelen Rückkehr und Abschied aus
dem Leben bestimmen; und wie der berauschende Dio-
nysuskelch und andere Symbole der sinnlichen Existenz
vorkommen, so wird nun auch der Weisheitsbecher zu
sehen seyn, dessen Trunk die Seele zur Besinnung bringt,
und die VVasserurne als das Begnadigungszeichen im
Thierkreise auf der dem Erdenleben entgegengesetzten
Stelle. Dahin hónnte z. B. vielleicht das Vasenbild bei
Millin (Tom. I. pl. 55.) gedeutet werden: Zwei Initiirte,
mit dem Symbole der Weihe, der heiligen Binde, ge-
sehmückt, weisen beide aufwürts. Zwischen ihnen steht
der bärtige Dionysus mit dem Stabe (Richterstab oder,
wenn man lieber will, Wanderstab), gleichfalls mit dem
Blicke nach Oben gewendet. Ueber dieser Scene sieht
man den Wasserkrug an der Wand hängen, hier also
das Zeichen des VVassermanns. Daneben eine Bacchan-
tin mit der Doppelflóte, um den Zug aufwärts zu gelei-
527
ten; wie wir auch oben die Baccha als Komödie den Zug
(xduos) des Dionysus und Hephistus zum Himmel be-
gleiten sahen.
Noch entschiedener möchte die Vorstellung auf der
Kehrseite 183) der berühmten Vase des Prinzen Ponia-
towshi bei Millin (Peint. de Vases antiqq. T'. IL. pl. 32.)
in diesen Ideenkreis gehören. Auf der Vorders.ite sieht
man eine Vorstellung aus den Attischen Thesmophorien:
Ceres giebt dem Triptolemus das Saamenlorn. Oben
sehen wir Zeus, und ihm eilfertig berichtend Hermes,
dann Proserpina, die eben aus der Oberwelt an-
kommt, und neben ihr eine andere weibliche Figur mit
einem Blumenzweige in der Hand, in welcher man die
Hora als dienende Zofe (den Frühling) erkennen
will 134. Es ist der Spruch des Zeus vorgestellt, wo-
nach Proserpina dem unterirdischen Gemahl Pluto zum
183) Ich habe sie auf der Tafel XIV. copiren lassen. Von
der Hauptseite, nach unserer Ordnung ‘Tafel X1II, wird
im Verfolg kiirzlich die Rede seyn.
184) S. Welcker (Zeitschrift fiir alte Kunst I. 1. pag. 165 f.),
der den oberen Plan für ganz Olympisch hilt, wie Vis-
conti, dessen Erklirung er im’ Uebrigen zwar fiir nicht
glücklich hàlt. Auch die Meinung Zoéga's, der in den
vier auf dem oberen und unteren Plane vertheilten weib-
lichen Personen die Metanira mit ihren drei Tóchtern er«
kennt, verwirft er, und erklárt die beiden auf der oberen
Fläche befindlichen weiblichen Figuren ( Metanira und
ihre Tochter) für Persephone und Hora, die bei-
den anderen auf der unteren für zweiKeleiden in die-
nender Verrichtung, statt der Hecate und der aus dem
Homerischen Hymnus unglücklich erborgten Rhea. Ins-
besondere ist Welcker bemüht, gegen die hisher herr-
schende Meinung die Verschiedenheit der Vorstellungen
dieses Vasenbildes von denen im Homerisehen Hymnus
auf die Ceres zu zeigen.
528
Eigenthume bleibt und nur einen Theil des Jahres oben
bei ihrer Mutter Ceres. Also Tod und Leben, das in die
Erde gesenkte und verjiingt wieder hervortreibende
Saamenhorn. Die Vorderseite dieser trefflichen Vase
war demnach leicht zu deuten. Aber zur Erklärung der
Kehrseite bedurfte es eines so geübten Kenners, als
E. Q. Visconti ist, um den Gegenstand derselben mit
einer, wie mich diink:, hohen VVahrscleinlichkeit zu
entdecken. Ein nackter Jiingling mit dem Stabe in der
Hand tritt aus einem mit zwei Jonischen Säulen verzier-
ten Tempel heraus , an dessen Eingang ein Hund zu sei-
nen Füísen sitzt. Neben dem Tempel steht ein anderer
nackter Jüngling mit einem Gewande auf dem Arme.
Auf der andern Seite eine bekleidete weibliche Figur
mit einer Patera (oder ist es ein Spiegel?). Oben ein
dritter Jüngling, nackt, mit Früchten auf einer Schüs-
sel; auf der andern Seite oben eine bekleidete Frau mit
dem Mysterienkästchen und einem hebänderten Kranze.
Den Rand.der Vase umgiebt eine Guirlande von Epheu;
auch sind Masken und Schwanenhälse darauf angebracht,
die man auf Bacchische Vorstellungen bezieht (s. Millin
zu dieser nr. p. 50.).
In der im Tempelvestibul stehenden Hauptperson
erkennt nun Visconti den Liebling der Ceres Jasion.
So haben wir auf der Vorderseite den Triptolemus, den
Saamenaustheiler, und auf der Kehrseite den Vater des
Saatenreichthums (des Plutus), mithin die bei-
den Lieblinge der Ceres. Ein Jeder wird in die-
ser Erklärung die schönste Harmonie von Bild und Idee
auf Haupt- und Rückseite ohne mein Erinnern bemer-
hen. Auch Millin hat sich daher begnügt, diese Viscon-
tische Deutung vorzutragen. Die Gründe der Erklärung
kenne ich nur aus dieser Millinschen Darstellung. Hieraus
sehe ich, dafs der Hund dem Jasion als Jäger zukom-
me, wie ihn Theocritus beschreibt. In der Stelle des
529
'heocritus finde ich keinen Anlafs dazu (s. Idyll. IIL 50.).
Dort ist nur von der heimlichen Liebe der Demeter und
des Jasion die Rede, mit einer Anspielung auf die my-
steriöse Geschichte dieser Liebe, Die Worte sind diese
nach Vofsens Uebersetzung :
— — = Auch neid’ ich Jasion,
Der sd vieles genofs , als kein Ungeweiheter hôret.
wo der gelehrte Scholiast sehr wohl an die Mysterien-
lehre von dieser Liebe erinnert. Nach der ganzen Vor-
stellung ist Jasion ein Ackerbauer, und Nonnus ( Dio-
nys. XLVIIL vs. 677. pag. 1288.) nennt ihn bestimmt so.
Dieses Attribut des Hundes, verbunden mit der my-
steriósen Anspielung, mag uns vielleicht dieser ganzen
Vorstellung etwas näher führen.
Zuvürderst vergesse man die enge Verbindung der
Ceresfeier mit dér Religion des Bacchus nicht, woran
die Verzierungen der Vase, der Epheu und dergl., Jeden
erinnern. Auch war Bacchus der Ceres Beisitzer, so
wie der Orphische Hymnus (XL. [39.] 10.) die Eleusinische
Ceres bestimmt.die Altargenossin des Bacchus nennt. In
demselben Hymnus(vs. 20.) wird die Góttin um beglücken-
den Reichthum und um die Königin des Lebens, die
Gesundheit, gebeten. Beides verlieh a5er Jasion, Er
ist der Heiland 'Ia cto» in diesem doppelten Sinne vor-
erst. Mit ihm hat Ceres auf der Insel Creta, auf dem
dreimal geackerten Saatfelde (iv vQvnóAQ) , den Plutus,
den Heichthum, erzeugt 155); von welchem Saatfelde
auch vielleicht der Siemann Triptolemus den Namen
hat 156. Nun erinnern wir uns ferner , wie schon in jenem
185) Iesiod. Theogon. £69. vergl. Diodor. Sic. V. 77. und
daselbst Wesseling.
156) S. oben II. Th. p. 734. Nach Welcker (Zeitschrift für
alte Kunst I. 1. p. 112.) bezeichnet Triptolómos bestimmt
111,
2b 7!
’lacioy die Begriffe der Saaten treibenden Kraft und der
heilenden Kraft in einander fliefsen (11.Th, p.378 ff, 400.
412 £); wie ferner die Ideen Aesculapius, Acesius, Te-
lesphorus, in den Religionen von Epidaurus, Pergamus
und im alten Arcadischen Mythus 187) durch die Grundbe-
griffe der Einweihung in Mysterien und der Hei-
Jung verbunden waren. Dafs diese Ideen auch in den
Eleusinien Eingang gefunden hatten , beweist nicht nur der
alte Dienst der Cabirischen Ceres an vielen Orten, beson-
ders in Samothrace, sondern auch besonders der Umstand,
dafs Aesculapius zu Eleusis als Vorsteher einer Nachweihe
in der Epopsie, also wieder als wahrer Telesphorus
in That und Namen vorkam 155, Das war der achte
Tag der Eleusinien, ein neuer Heilstag, und Aesculapius
der Achte, oder Esmun, war dieser neue Heiland.
Durch ihn wird auch Ceres nun zur Isis Salutaris oder
den Pflüger. Er erklärt sich dort gegen mich, dafs
ich eben diese Erklärung , die im Triptolemos den Pflü=«
ger erkennt, nur als zweifelhaft hätte gelten lassen, da
sie doch durch so vieles Andere bestätigt werde, Ur-
sprünglich seyen die Namen schwerlich jemals auf mehr-
fache Wortstámme bezogen worden , wenn sie auch s$pá-
ter verscbiedentlich gedeutet worden — ein Satz, dem
wir nach allem Bisherigen keineswegs unsere Zustimmung
geben kónnen.
187) Hiernach ist Jasion auch der Sohn des Juppiter und der
Plejade Electra. S. Apollodor, III. 12. und dort Heyne
p.292. Schol. ad Odyss. V. 125. (vgl. meine Meletemm.
I. p.53.). Sturz ad Hellanici Fragmm. nr. C. p. 127. p.99.
Hygin. fab. 270. und daselbst die Ausleger und der Scho-
liast. Lycophron. Cassandr. 29. p. 320 ed. Müller. Hier-
nach bekommt er auch seine Verwandtschaft mit Stern-
bildern,
188) Pausan. Corinth. cap. 26. $. 7. Philostrati Vita Apol-
lon. IV. 6,
530
231
zur Hygiea; und so sehen wir in dieser Verbindung des
Aesculapius mit der Eleusinischen Ceres wieder das-
selbe, was der Mythus von der Liebe dieser Góttin zum
Reichthum gebenden Heiland Jasion von Creta sagt. Als
Jasion war er dem Triptolemus auf dem Saatfelde (é»
Tptmwor eo) verbunden. Als Acesius oder Asclepius in
den Eleusinien ist er Schlangenmann, und so auch dem
Führer des Schlangenwagens Triptolemus verbrüdert,
Es ist beides die Erdschlange des A ckerbaues und die
Heilschlange Agathodámon (der Isis und des Ascle-
pius) Auch ist es die Schlange am Himmel. Asclepius
ist nimlich der Schlangenhalter Ophiuchus, wie schon
die Alten wufsten ( Eratosthenes Cataster. 6. und dort
Schaub.) Der Ophiuchus ist ein herbstliches Zeichen.
Er steht am Scheidepunkte zwischen der Tag- und Nacht-
seite, Er leitet in die Finsternifs und zu den Todten,
Also auch die Seelen leitet er. Wir haben diesen Satz
oben bestimmt bewiesen (II. Th. p. 411.). Er führt sie
nach dem Zodiacalwege der Mysterienlehre aus der Men-
schenpforte im Zeichen des Hrebses, die in dieses
Leben führt, in die Gótterpforte des Steinboclhs.
Diese beiden Pforten werden jede von einem Hunde
bewacht, wie wir oben aus Clemens von Alexandrien
gezeigt haben. Einen VYeinhund von Attica haben wir
oben aus der alten Bacchusfabel kennen gelernt.' Er be-
gleitete den VVeingeber und die Jungfrau, dessen T och.
ter. DieseErigone, dieJungfrau , tritt manchmal wieder
als Ceres auf mit dem Aehrenbüschel, und der Hund
ist ein heilendes Zeichen. So mufsten einst die Athener,
da eine Krankheit sie heimsuchte, auf des Orakels Ge-
heis den Hund des Icarius verehren und versóhnen
(Aelian. H. A. VII. 28.). Es ist also ein Hund der Er-
lösung im alten Attischen Mythus bekannt. Dieser Erló-
sungshund begleitet den Icarius, er begleitet auch den
Hermes, Hermes den Arzt und Erzieher des Asclepius,
d
Du
den Hermes’, der wie sein Zógling Seelenführer (Psycho-
pompus) ist. Hermes der hundshópfige begleitet nach
uralter Religion die Seelen ins Todtenreich und erlóset
sie aus den Banden dieses Leibes. Er ist auch ein Hei-
land, ein Seelenführer und Seelenarzt, wie jener Hei-
land Jasion, der in Samothrace der Ceres vermählt
ward. Von den Samothracischen Weihen versprachen
sich die Menschen nicht allein Wohlfahrt des Leibes und
Genesung von Krankheit, sondern auch Besserung und
Heilung der Seelé- (s. Diodor. V. 49.). Dort stellte man
in den Mysterien die grofsen Gottheiten in ihrem Schö-
pfungswerke und die Heilsordnung scenisch dar. . Dafs
dies auch in den Eleusinien geschah, daran lifst uns alles
Bisherige nicht zweifeln. Mithin wird dort auch der Hei-
land Jasion als Führer der Seelen, als der Voll-
ender ihres Lebens und als ihr Erretter vorgestellt wor-
den seyn. Da mufste denn auch das Haus der Götter
vorkommen , und die Pforte, die dazu führt, mit dem
Hunde, der als Wächter an diesem Orte zu einem
wahren Hunde des Heils, zu einem trostvollen Hunds-
stern (Taschter) werden mufste (s. I. T'h. p. 424. 752.).
Aber auch Heros war Jasion. So hiefs er ja selbst
zu Samothrace (s. Il. Th. pag. 352.). So kennt ibn auch
Homerus, der ihn wegen der genossenen Gunst der Ce-
res durch Juppiters Blitz erschlagen läfst 19?) , wovon
die nachherigen Dichter einen sehr unreinen Grund an-
gaben. Homerus weifs noch nichts davon 1?)), Er war
189) Odyss. V. 125. Eustathius führt hierzu, wo ef von diesem
Mythus redet (p. 213 Basil. p. 1528 Rom.) , unter andern
den Hellanicus an , ingleichen den Arrianus , nach welchen
Jasion, begeistert von Ceres und Proserpina , in mehrere
Lánder kam , auch nach Sicilien, und die Orgien dieser
Gottheiten lehrte.
190) Vergl. Heraclides Alleg. p. 202 ed. Schow.
an
^5
533
vom Blitz erschlagen , wie Aesculapius, der sogar Todte
erweckt hatte, Von Jasions Leben und Tode wurde in
den Mysterien der Schlüssel gegeben (Diodor. V. 49.).
Ganz gewifs erhielt dort der Feuertod durch Blitz auch
einen andern Sinn, übereinstimmend mit der auch durch
die Herakleen hindurchziehenden ldee der Feuerliute-
rung und Reinigung der Seele. Und wie Herakles
standen Triptolemus (der im Feuer Geláuterte) und J«-
sion den Attischen Jünglingen als Vorbilder 19!) ihres
Lebens und Strebens da. Ein wiirdiges Brüderpaar (sie
galten ja auch für die Zwillinge am Himmel), wür-
dip der Nacheiferung als die ersten Pílanzer, als die
Geber des Saatkorns, als grofse vaterlindische Heroen,
als Heilandein jedem Sinne; und vielleicht war jener Jasion
als Acestor Schutzpatron von dem Attischen Geschlechte
der Acestoriden. Sie waren auch die Lehrer und Pro-
pheten. Von Jasion wufste man zu erzühlen, dafs ihn
Ceres und Proserpina begeistert habe 197). Also ein Be-
geisterter , wie der Weissager und Prophet bei den Tus-
ciern, der Ackhergott Tages. Aus Tuscien sollten nach
ciner Sage auch Jasion und Dardanus , jene aen Saino-
thracischen Propheten , entspruugen seyn 195). — In der
191) Daher nicht nur Triptolemus mit dem. Schlangenwagen
ôfter auf Vasen und andern Denkmalen vorkommt, son-
dern auch derselbe junge Mann mit dem Hunde. So
sehen wir ihn gleich auf dem folgenden Vasengemälde
bei Millin (T. I. pl. 32.) in einem Distyle sitzen, den
Degen vor sich , und den Hund, dem er schmeichelt , zu
seinen Füfsen, und auch hier wieder zur Seite Initiirte.
Hier haben wir wieder einen Jasion, und zwar diesmak
nit heroischen Waffen. Er hat seinen guten Kampf ges
kämpft, und ruht in seinem Tempel aus,
192) S. die vorhergehende Note 189.
193) Virgil. Aen. ILE, 167. und dazu der Excurs von Heyne.
534
höheren Würde des zum Gott gewordenen Heros stand
Jasion nun als góttlicher Heiland und Vollender da; d.h.
als Heiland der Seelen, der sie erlóset aus den Banden
dieses Leibes, der sie gesund macht, und ihnen die
Rückkehr bereitet an den göttlichen Ort durch die Pforte
der Götter. — Nach dieser Entfaltung der ganzen Ideen-
reihe 1%), die mit dem Mythus von Jasion verbunden
war, hat nun der Hund in dem Vestibul des Tempels
seine gute Bedeutung. Es ist der Wächter des
Gätterhauses im Steinbock, und die ganze Vor-
stellung ist jener vergütterte Eleusinische Heros
Jasion, der in der Thüre des Góttertempels
neben dem Hunde mit dem Wanderstabe als
Seelenführer erscheint. Priesterinnen und Hie-
rodulen reichen ihm auf der einen Seite ihre Gaben dar,
worunter das Mysterienhástchen zu bemerken ist, so wie
das Diadem um das Haupt des Verehrten und die mysti-
sche Binde, die an der Wand hängt. Auf der andern
194) Sollten in dieser Ideenreihe zu viele Fäden zugleich an-
geknäpft scheinen , so halte man nur Folgendes fest:
1) Jasion ist in Samothrace und Creta Liebling der
Ceres Cabiria; er ist ihr was Esmun (der Achte) der
Astronoë von Phônicien ist. 2) Jasion ist in Samothrace
Heiland in jedem Sinne. 3) Was Jasion in Samothrace
ist , ist Asclepius zu Epidaurus: H eiland in jedemSinne.
4) Am achten 'Tage der Eleusinien ist er Beisitzer der
Ceres — wie Jasion der Gott im Idäischen Systeme.
4) Der Hund ist Aesculaps altes Attribut (s. Pausan. Il.
27. $. 2.). 6) Folglich hat auch zu Eleusis der Heiland
und Seelenführer Asclepius-Jasion den Hund des
Heils und der Gótterpforte. — Ueber das Symbol des
Hundes, welches Asclepius führt, vergl. auch Sickler:
die Hieroglyphem im Mythus des Aesculapius pag. 234 f.
Nach ihm sind aber die Hunde hier nichts anders, als die
Symbole des unterirdischen, Erdrevolutionen durch Feuer
und Wasser anzeigenden Brüllens (?? ).
535
Seite sehen wir Attische Jünglinge , die sich ihm als dem
vaterlindischen Heiland nahen.. Es sind Neophyten,
die ihm auf der neu betretenen Lebensbahn nachfolgen
wollen. Sie tragen ihre Gewünder, das Zeichen dieses
Leibes. Er, wie sein Zwillingsbruder Triptolemus, soll
ihnen auf ihrer Wallfahrt zu ernsten , edeln Bestrebungen
Muster seyn, so wie im Tode der Führer ihrer Seelen
in das Gôtterhaus.
RP:
SECHSTES CAPITEL.
Amor und Psyche und die Weihen von Thespià.
$ 01.
Einleitung.
Nachdem wir nun den mysteriösen Kreis des Bacchus
durchwandert, wenden wir uns zu der Betrachtung der
Mysterien des Eros zu Thespiä und des Mythus
von Amor und Psyche; eines Mythus, der uns die
angeborne Unersätilichkeit und Sehnsucht der mensch-
lichen Seele nach einem Heile, das über jedes irdische
Heil erhaben ist, auf eine so herrliche Weise darstellt.
Nur mufs ich hier die Bemerkung vorausschicken, dafs
die zunächst folgenden Andeutungen nicht den Anspruch
machen, die Mythologie des Amor und die Allegorie von
Amor und Psyche in allen ihren Wendungen zu erfas-
sen. Es sollen hier nur einige Grundzüge der Eroti-
schen Mysterien von Thespiä entworfen, und zu
zeigen versucht werden, wie der Grundgedanke jener
Allegorie im Orient entstanden, von der Griechischen
Geheimlehre dann aufgenommen und nationell weiter ges
bildet worden ist.
^. Indem wir nun diese Idee von ihrer untersten Stufe
án zu entwickeln suchen, tritt als die erste und niedrig-
ste Stufe, Körperliebe, hervor, wo Eros die blofse
Vergüiterung des Naturtriebes ist, der Körper
mit Körper vereinigt, und dadurch Grund der Fort-
dauer lebendiger Geschöpfe wird. Daher denn unein-
AE
557
geschränkte Verehrung des Geschlechtstriebes und Per-
sonification aller seiner Momente und Zustünde; welche
Form besonders im Vorderasiatischen, Pontisch - Mysi-
schen Dienste des Amor und der Venus hervortritt 1),
und wie in dem Griechischen Eros zu Parium. Hierher
gehört dann jener Priapus, von dem wir bereits oben
(1I. Th. p. 111.) gehandelt, ein Sohn des Dionysus (oder
des Adonis nach Andern) und der Aphrodite, mit seinem
ganzen Gefolge, wie ich es oben a.a. O. bezeichnet, ähn-
lich den Bacchischen 'Thierdámonen, den Satyrn, Sile-
nen, Panen u. s. Ww. — lauter wilde, thierische Re-
gungen und Zustände in ihren blinden Trieben.
Dahin beziehen wir ferner die Artemis Priapina 2),
keineswegs die spróde Jungfrau, die Homerus und die
Dorer kannten, so wie die Venus Epitragia (imrea-
yia; Plutarch. Theseus cap. 17. p. 4o Leopold.); dahin
endlich auch das alte Bild der Superfótation, das Bild
des Hasen, ingleichen das Bild der thierischen Brunst
und Zeugungslust, den Bock, den wir nebst dem Bilde
der Ziege dem Amor auf Gemmen beigesellt finden 3.
Es ist dies die Venus, die aus dem Schaume des Meeres
entstanden, worin des Uranus Zeugungsglied gefallen,
oder, pach einer andern Genealogie, die Tochter des
Zeus und der Dione (s. oben II. Th. p. 613.).
1) Beide Stufen, sowohl die hóhere als die niedere, finden
sich ohne Zweifel allerwárts beisammen, wie wir z. B.
bald in Bóotien sehen werden. Hier scheide ich aber so
geographisch, weil die erste niedrigste Stufe am breitesten
im Vorderasiatischen Dienste sich zeigt, und weil dort
der Priapusdienst sich am lingsten erhalten hat.
2) S. oben II. Th. p. 112.
3) S. Lipperts Dactyliothek. Erstes "Tausend, nr. 779. 807.
792. igi. 818.
538
Diese unbedingte, unbegränzte Verehrung der Ge-
schlechtskraft und Geschlechtslust, die wir als die erste
und niedrigste Stufe bezeichnet haben, und die haupt-
sächlich in Vorderasien sich ausgebreitet, war auch dem
miitleren Griechenland nicht fremd, wo zwar Hoheres
an Niederes , wie wir bald sehen werden, gekniipft ward,
Und somit gehen wir über zu dem Amor von Thes-
piä. Diese Stadt (Ocoxixi), deren Lage Pausanias (IX.
31. p.96sqq. Fac.) und besonders Strabo (1X. 25. p.499.
P- 441 sqq. Tzsch.) schildern, auf der südwestlichen Seite
des Helicon, war der Hauptort einer Landschaft, zu
deren Gebiete auch die Stadt Ascra ("Aoxpn) gehörte,
die Vaterstadt des Hesiodus, an der rechten Seite des
Helicon, auf einer Anhôhe, in einer unbebaueten , stei-
nigten Gegend (rpaxéos tôxow). In der Nähe von Thes-
pid auf dem Helicon war der Hain der Musen mit den
heiligen Quellen der Aganippe und Hippocrene; hier
war auch die Höhle der Libethridischen Nymphen (Aeı-
BnSpidor). Thracier sollten es, so erzihlt Strabo, ge-
wesen seyn, welche den Helicon den Musen gewidmet 4);
—
4) S. Müllers Orchomenos p. 381 ff, Vergl. über die politi-
sche Verfassung und Stimmung der Thespier, die mit den
Chäronäern und Tanagrüern zum Orchomenischen Gau-
bunde gehórten , mehrentheils erbitterte Feinde von The-
ben waren, und mit sieben adelichen Geschlechtern an
der Spitze des Staats, auf gut Lacedämonisch Ackerbau
und Gewerbe für unehrlich hielten » die gehaltreiche Schrift
von Kortüm zur Gesch. der Hellenischen Staatsverfas-
sungen, Heidelberg 1821. p. 84 — 88; wo einige Meinungen
Müllers berichtigt sind, dessen Vorstellungen vom Verhilt-
nifs des Apollo - und Bacchusdienstes (ebendaselbst) ich,
nicht aus Hartnäckigkeit , sondern aus der Ueberzeugung,
dafs historisch wirkliche Religionskriege im priesterlichen
Griechenlande nicht za leugnen sind , zur Seite liegen
liefs.
539
Thracier und Pelasger scllten einst in Böotien sich nie-
dergelassen, und dort die Erziehung der rohen Mensch-
heit übernommen haben 5). — Nördlich von Thespiä
war der Phünicier - oder Sphinxberg, wo Oedipus seine
Weisheit bewährt haben sollte; nordöstlich Theben und
auf dem Wege ‘dahin der Tempel der Cabiren; südwest-
lich der Helicon, Ascra, der Tempel der Musen ; endlich
südlich der Busen von Crissa mit dem zu Thespiá gehó-
rigen Hafenplatze Creusis 6). Im Lande der Thespier flofs
endlich die Quelle , wo Narcissus im Spiegel des VVassers
sich besah 7).
5) Also Bacchisch - Apollinischer Cultus, wie wir ihn oben
im Orpheus und in dem Dienste der Musen betrachtet
haben. Es erhielten sich aber diese Institute nicht blos
in der gebildeten Zeit Griechenlands, sondern bis in die
Römische Kaiserzeit blieb 'T'hespià in Ansehen und Wohl-
stand , trotz der zahlreichen Stürme und. Kriege, die Bóo-
iien verheert hatten. In Thespiä war auch das berühmte
Bild des Amor von des grofsen Praxiteles Hand gefertigt,
welches die Thespierin Glycera in ihre Vaterstadt gestiftet
hatte, und weswegen vormals die Leute nach T'hespiä,
das sonst nichts Sehenswerthes gehabt, zu reisen pflegten
(s. Strabo a. a. O. p. 449.).
6) S. den Atlas zu Barthelemy's Anacharsis , die Charte nr. 25.
und das Chártchen zu Müllers Orchomenos.
7) Nach der verdorbenen Stelle des Pausanias IX. 31. 6:
Oseriéw, 6 vj "y 5 Aovdnwy (‘Hôovduwv nach Andern) deriv
dvopagoyévy (évopagonevos nach dem Cod. Moscov.), évrav-
Sd icv Nagwíecoo my, wi vóv Ndowuccow (d) iz vÓ ÜÓwp
Qaciv u. s. w. Ich habe diese Stelle, fiir die wohl ohne
gute Handschriften kein Heil zu erwarten ist, schon in der
Praeparatio ad Plotin. de Pulcritud. pag. LV. behandelt,
und dort bemerkt, wie hier die Erwähnung von Men-
schen der Lust (7£v 4ö0vx@&v) wohl passender sey als
die des Rohrs, oder was dann nur jenes %öcvanwvy be-
zeichnen solle,
ce
540
Nachdem wir also die Localitäten dieser Gegend kurz
überschaut, wollen wir hören, was Pausanias in der
Hauptstelle IX. 31. von dem dortigen Cultus berichtet :
«An eben dem Orte (auf dem Helicon) steht eine se-
henswürdige Bildsäule des Priapus. Dieser Gott wird
an den Orten verehrt, wo man Ziegen und Schaafe
weidet, oder Bienenstücke hält-; die Lampsacener
aber verehren ihn mehr als andere Gôtter , und halten
ihn fiir einen Sohn des Bacchus und der Venus». —
Vielleicht dafs dev älteste rohe, steinerne Eros der
Thespienser (Pausan. IX. 27. init.) auch noch blofse
Phallusherme war, gleich dem Priapus und gleich
dem alt-Pelasgischen Hermes der Athener (Herodot.
IL 51.). Und so müssen wir wohl hier einen rohen, grob
sinnlichen Cultus annehmen , ähnlich dem ; welchen wir
so eben in Kleinasien nachgewiesen haben. Allein wenn
auch Lampsacener und Parier auf dieser niederen Stufe
stehen geblieben, so bildete ‚sich doch zu Thespiä ein
hóherer, geistigerer Dienst des Amor qus; jener mate-
rielle,. sinnliche Naturdienst ward geliutert, gereinigt
und bis zu den höchsten Ideen gesteigert. Diese Läute-
rung aber geschah, nachdem mit dem Dienste des Eros
der Dienst der Musen und die Erotien (Erotidien) der
Thespier mit den Museen (Musenwettstreite) vereinigt,
als musicalische wie athletische Wettkämpfe damit ver-
bunden worden waren. Es sprechen nämlich die Alten
von der grofsen Ehre, welche Eros bei den Thespiern
genossen, wie sie ihn bei den Vollsopfern (iv vaig ôn=
potekéar omoyduis) hoch gefeiert, wie sie ihm zu Ehren
die Erotidien begangen, gerade so wie die Athener die
Atheneen, die Eleer die Olympischen Spiele und die
Rhodier die Haleen 9. Merhwürdig ist in dieser Hin.
8) Athenáus XIII. p. 561. E, p. 27 ed. Schweigh,
541
sicht die Stelle eines alten Grammatilhers, aus welcher
hervorgeht, dafs man zu Thespid Erotien, zu Le-
badea aber die sogenannten königlichen Erotien
und Trophonien gefeiert ?). Diese Verbindung aber
des Erotischen Dienstes mit dem Dienste der Musen, die
wir als Grund jener Láuterung angesehen, wird in meh-
reren Stellen der Alten bestimmt aüsgesprochen. Man
vergleiche nur den Anfang des Eroticus von Plutarchus,
wo von einem Feste des Eros — «à 'Epovixd — die
Rede ist, einem Feste , welches die Thespier auf dem
Helicon bei den Musen feierten; denn alle fünf Jahre,
wird hinzugefügt, feiern die Thespier wie den Musen so
dem Eros einen Wettkampf gar herrlich und prächtig 10),
9) Philemo Lex. Technolog. p. 42 ed. princ. Londin. in voc.
Avra dra (sive dydives) — & psy © 8071415, 'Epdrsiar
év Ô8 A eBadsin, nuxoëjasva Eoalrsia BasiX)sta, nal Teo-
©wva. Eros nämlich war selbst als K à n i g genommen,
der die Schlüssel des Weltalls, des Himmels, der Erde
und der Gewässer, in seiner Hand hat, dem Alles, was
die Erde, was die Tiefe und was selbst der Tartarus fafst,
unterworfen ist , der Alles allein regieret. Denn so preist
ihn der Orphiker (Hymn. LVIII. [57.]). Er nennt ihn:
eUrdhajaoy , Óipu, rdvv wy wAwibas y ovra,
uiSégos edgavíou, móvrov, y9cvàs , v' oca Syyrois
mvelpare wavToyEvedda Sed Bionet yAolragmoy ,
Hd Oca Tdgragos sUgüs Dyer, wdvrog & dABouroe,
[400 v05 ydg rouTwy wdvray olyma woary: sig.
Zu Lebadea feierte man Zeus dem Könige Feste.
Beim Plutarchus (Amatorr. Narratt. init. p. 771sq. Vol.
IV. p. 95 Wyttenb.) lesen wir von einer Jungfrau zu Lex
badea: ExeMle ydg 75 Ad 7 BaciAsi vavuQogsiv.
10) Plut. Mor. p. 748. F. T. IV. p. 4 Wytt. — Ev ‘Elude
maga rates Movcais cd '"Egorikdá Oscmi£ov dyóy-
TW G'Yyowct yàg d'ymvà meyraeTuQiuxOv dgTsQ nal
rate Mo Voars nai 7d "Egwre Qaoriaws mdyu nai Aaj
TQ ..
542
Noch bestimmter erklärt sich darüber Pausanias: «Es
wohnen auch Männer, sagt er, um den Hain auf dem
Helicon , und es feiern dort die Thespier die Muse en;
aber auch dem Eros halten sie Wettspiele, nicht blos
musicalische , sondern auch athletische 11).
Hier veredelt sich also jener Hermes Ithyphallicus
zum Hermes dyôvids oder évaydrios, und Eros- Priapus
wird zu einem Eros sózdAopuog, zu einem handferti-
gen (ein Künstler kommt unter diesem Collectivnamen
vor), gewandten, sinnreichen, wieihn dersieben
und funfzigste Orphische Hymnus besingt 12), Mit an-
dern Worten: Hermes als Schutzpatron der Gymnasien
und Vorsteher der Leibes- und Geistesübungen 13)
———
11) IX. 31. $.3. epremoïor 38 nai dvôges ví dcos (sc. 76 &v
‘Elndive) xai £opr4v vs £vraü9a oi Osomisig vai dydvazyou
civ Movcsia: Gyovsi 88 wai rS "EQurt 492A oU pou
TINÿG ROYOY, GAAG nai dIAmTats ridévres.
12) S. die vorhergehende Note 9, Nicht minder bedeutsam
lauten die weiteren Verse desselben Hymnus:
dAÀà Mdwap, naSagais "Yvapaug prlorye CUVÉ y 02
QaJAous à' Enroxious § Sgudsy dnd TES driers.
13) S. Zeno Citieus beim Athenäus XIII. 4. p. 561. D. p. 26
Schweigh. und Eustathius ad Odyss, VIII. 266 Sqq. p.309
Basil. Ovx reg 038 mdyrwg rots og ToMayot Quivaras TQu-
QOyrds Pañunag wai dusiopac: Qaiqei Egwrinots , dmsp of mQóg
dgeryy dvrey dmorgomidovra Adyovrsg wai adrol, ort ree@y \u-
X75 Adyor wadoi wal Sti & wavy yaorgl Thy wahdy Egwg cux
fore, ÿryouv Tdy elpdeQuv. mewdor yde 3 Kump mined, wg
Qyow "Ay aidg & mors. dQ’ of AaBdy EJ gumíóns, Queiv-
i, TAyojaoyÿ ror Kump, matwWyTt Ó' ou si 8 cemvoroyst-
rar Tole cools à Fous, Ad Exstvorospvôy dus
vróv Fgura wal vayrOóg alc QoU we mic. é£vov dOa-
cay. 0d wai cá yup vácia Eppñ vai'Hoandeïaudrès
cuvíbópvovs cd ju3y, Adyour TD & dAufs rgosordre,
dy piyévrwy Qedia nai épuévora vevvartatn Also
Hermes, Herakles (vgl. auch oben II. Th. p. 621.)
545
füngt nun an sich in seinen drei hóheren Aeufserungen
zu zeigen, oder seine drei hóüberen Wohlthaten zu er-
theilen, die ein alter Philosoph 14) folgendermafsen
schildert: «Die Hermetische Gabe besteht theils in in-
tellectuellen und ersten Gütern, theils in zwei-
ten, die das Denh vermógen vervollkommnen , theils
in dritten, in solchen, die das Unverniinftige ausfegen,
und vorzüglich die Bewegungen der Einbildung (die
Passionen, deren Quelle die Phantasie ist) ins gehürige
Maafs bringen». Eros ist nun bereits den Musen zu-
gesellt, den Vorsteherinnen aller hóheren Regungen des
Geistes ; er fängt an nach Weisheit zu streben und Phi-
losoph zu werden ("Epos Gıkigopos) 15),
und Eros waren die Vorsteher der Griechischen Gym-
nasien; Hermes als Geber der Sprache und Beredtsam-
keit; Hercules als Vorsteher der Stirke. Sind aber
beide vereinigt, so entsteht Freundschaft und Ein-
tracht, wodurch die edelste Freiheit denen, die jenes
suchen , bereitet und gesichert wird. Die Lacedámonier,
so wie die Cretenser, opferten daher auch dem Eros un-
mittelbar vor der Schlacht. Von den Samiern wird er-
zählt, dafs sie dem Eros ein Gymnasium gewidmet und
ihm ein Fest gefeiert, das sie Eleutheria, das Freiheits-
fest , nannten; s. Athenáus XIII. p. 361. F. p. 28 Schwgh.
— Als geschickter Ringer und Kümpfer zeigt sich auch
Eros in dem Kampfe mit Pan , worüber neulich, beson-
ders hinsichtlich der dahin einschlagenden Bildwerke,
Welcker sich verbreitet in der Zeitschrift für Gesch. der
alten Kunst I. 3. p. 475 ff.
14) S. Proclus in Platonis Cratylum §. 28. p. 11 sqq. ed. princ.
Boissonad. vergl. meine Meletemm. I. p. 34.
15) Platonis Sympos. cap. 29. pag. 64 sq. Ast. Da es meine
Absicht nicht seyn kann , die politischen Erscheinun-
gen und Wirkungen der Erotischen Institutionen in ver-
schiedenen Staaten Griechenlands , namentlich in Creta,
Sparta und T'heben (in welcherStadtdie heiligeSchaar,
544
Das ist nun diejenige Stufe der Erotien, welche wir
in die dritte Periode jener religiösen Entfaltungen des
Griechischen Geistes, von denen wir oben gesprochen,
setzen können, in die Reformirung. des Bacchischen or-
giastischen Naturdienstes durch reine Apollinische Lehre
(vergl. oben III. Th. pag. 168.). Orphisch- Apollinische
und Hermetische Priesterlehre bemüchtigt sich der alt-
Pelasgischen Institute in Büoiien. Um den Helicon ge-
winnt eine Lichtlehre Eingang und ein läuternder Dienst
der Musen, der von Norden über Thracien kommt,
und sich in Thespischen und Ascräischen Priester- und
Sängerschulen ausbildet. Hier werden uns nun als P rie-
stersänger, die von Eros gesungen, aufgeführt:
Olen, Orpheus und Pamphos, Verfasser von
Liedern, welche die Lycomeden bei der Feier der Ge.
heimnisse des Eros singen sollten , von denen Pausanias 16),
welcher sie von einem Daduchen bekommen, absichtlich
nicht sprechen will; ferner andere Sänger, theils hier
theils anderwürts, die den Eros verherrlicht hatten:
Hesiodus, Sappho, der Verfasser des fünften und
Sieben und funfzigsten Orphischen Hymnus und Andere.
Sie waren es, welche die verschiedenen Genealogien
ísgós Xoyes , weltberühmt war; Athenüus XIII. pag. 27
Schweigh. Plutarch. Pelopid. p. 361 sq. p. 289.) zu erôr-
tern, so verweise ich meine Leser , aufser dem , was ich
in einer nächst vorhergehenden Note nachgewiesen, auf
die Ausleger des Platonischen Gastmahls pag. 21 sq. ed.
Wolf. pag. 213 Ast. und auf die Schriftsteller über Creta's
und Sparta's Sitten und Gesetze: ' Meursius, Cragius,
Manso u. A. und namentlich auf Kortüms Bemerkun-
gen über das Kriegswesen der Bóotier in der
Schrift über die Hellenischen Staaten pag. 89 f. und auf
Car. Frid. Neumann Rerum Creticarum Specimen
cap. X. p. 124 sq.
16) S, Pausanias IX. 27. S. 2.
545
des Gottes bildeten, deren Cicero !’) drei anführt: den
?rsten Eros, einen Sohn des Hermes und der ersten Ar-
temis; den zweiten, einen Sohn des Hermes und der
zweiten Aphrodite; den diitten , des Ares und der drit-
ten Aphrodite Sohn. Nach dem alten Olen aber war
Hithyia des Eros Mutter, anders als bei Hesiodus, der
zuerst das Chaos und dann die Gáa, den Tartarus und
den Eros setzte 18).
Aber auch Idäische Mysterienlehre vom Pontus und
vón Phrygien her mag in Böotien und namentlich in
Thespiá aufgenommen worden seyn ; d. h. astronomische
Lehrsütze, verbunden mit Feuerlàuterung und Licht-
weihen. Eine Spur davon findet sich bei Pausanias (1X.
27. 6. 5). «Auch Hercules, erzählt er, hat bei den
Thespiern einen Tempel; eine Jungfrau ist seine Prie-
sterin bis an ihr Ende» ; und dann im Verfolg : « Aufser-
dem scheint mir dieser Tempel älter als der Hercules,
der Sohn des Amphitryon , und vielmehr dem Hercules,
den man unter die Idäischen Dactylen zählt, gewidmet
zu seyn, dessen Verehrung ich auch bei den Erythrüern
in Jonien und bei den Tyriern gefunden habe». Auch
kannten die Leute von Mycalessus in Bóotien den Her-
cules als Hüster der Ceres allda (Pausanias a. a. O. und
Arcad. cap. 31. $. 1.). Das ist also der Thasische Her-
cnles, welchen Cadmus (Herodot. IL. 44.) nach Bóotien
17) de N. D. III. 23. p. 626. ,, Cupido primus, Mercurio, et
Diana prima natus dicitur: secundus Mercurio et Venere
secunda: tertius qui idem est (nach Davies und Heindorf
stett qui quidem est) Anteros, Marte et Venere tertia. **
Ueber diese und andere Genealogien des Eros ein Meh-
res bei Valckenaer Diatrib. Euripid. XV. p. 154 — 161.
18) Pausanias IX, 27. $. 2. vergl. oben II. Th. pag. 120. 418.
420.
Il.
25
546
brachte, wo man auch eíne A; eitng Kaßezıpia
kannte 19).
Hiernach gestaltet sich die Thespische Religion und
Weibe also: Als Grundwesen erkennen wir Demeter,
jene Ceres velata, die man noch auf Miinzen der
Thespier sieht; dann 2) die Musen, mit Hercules,
dem Idäer, dem sternhrüftigen Musenführer, Hercules
Musagetes (s. cben II. Th. p. 247.); 3) Hermes und
die Musen, die auch bei dem Fackellaufe zum Altar des
Prometheus in Athen 2°) hervortreten ; endlich 4) Eros,
Sohn der Urania (’Epos Oùtpavias viôs), der himmli-
sche. Er. ist der Vermitelnde, Verbindende,
wie sein Name ("Epoc, Époc, von ëpo, ich hnüpfe, ver-
knüpfe) andeutet; er ist es, der Leiber und Geister,
Irdisches und Himmlisches vereinet, der Vermittler
zwischen Gôttern und Menschen, der Ueberbringer vom
Opferduft, vom Laut der Gebete und den Liedern der
19) Pausanias IX. 25. $. 5.
20) Pausanias I. cap.30. §. 2. ,, In der Akademie (zu Athen)
selbst ist ein Altar des Prometheus. Von diesem
laufen die Leute mit brennenden Fackeln in die Stadt,
und es kommt bei dem Spiele darauf an, dafs man mit
einer brennenden Fackel bis an den bestimmten Ort ge-
langt. Wem sie vorher auslóscht, der mufs dem folgen-
den, oder dieser dem dritten den Sieg überlassen. Lóscht
sie aber allen zu bald aus, so erlangt keiner den Sieg.
Ferner sieht man die Altire der Musen und des Her -
mes und noch weiter hinein die Altäre der Minerva und
des Hercules. ** Man vergleiche die Homerischen Briefe
pag. 194 ff. pag. 196. über diesen Athenischen Fackellauf,
der uns eben die Kunde giebt von dem edeln, bald lo-
dernden, bald verlóschenden Lebensfunken, und von
Allem , was das wunderliche Menschenleben an Gütern
und Uebeln Unergründliches hat; eine Idee, die in dem
Mythus vom Prometheus rait seinen Brüdern und mit des
Epimetheus Frau sich wieder so bedeutsam ankündigt.
547
Menschen, der Ueberbringer der Befehle, Verordnun-
gen und Verheifsungen der Gótter an die Menschen, wie
wir ihn oben (IIL Th. p. 66.) beim Plato gesehen haben.
Dies ist der Eros, vom Pinsel des Pausias zu Epidaurus
dargestellt, der Pfeile und Bogen weggeworfen,
und dafür die Leyer genommen hat; eine Hiero-
glyphe, über welche die im II. Th. p. 184 — 190. gege-
benen Erórterungen und Zeugnisse nachgelesen werden
müssen.
Diese alte Mysterienlehre, deren Hauptsatz sich
darin nachweisen láfst, dafs der Z-riespalt Grund der ir-
dischen Dinge sey, dafs darauf Versöhnung, Aufhebung
dieser wirklichen Welt und Auflösung in ihren Grund
erfolge, also Abfall und Rückkehr statt finde — diese
Geheimlehre der Thespier giebt demnach folgende na-
türliche Elemente:
Ceres, die Allmutter und Vorsteherin der Wei-
hen 27);
Hercules, ihr Camillus oder Ministrant, der den
Weg nach oben zum Olympus durch Flammen-
tod wandelt.
Es war aber diese Lehre allegorisch niedergelegt in einen
sinnvollen Mythus, in den Mythus von Hylas, dem in
der Quelle versunkenen Jüngling, und besonders in den
Mythus von Narcissuvs, dem erstarrenden und in dem
feuchten Spiegel der Quelle als Todesblume sich ver-
hürpernden Jüngling. Wir betrachten daher jezt diesen
Mythus als ein Warnungsbild in dem Erotischen Musen-
dienste von Thespiä, und diese Legende wird uns die
21) Vermuthlich gehórte in diese Reihe der Thespischen
Gôtterwesen noch Eros und Anteros, nach dem
Idáisch - Cabirischen Systeme, wie es ganz und gar zu
Elis war; s. unten bei Anteros und dort Pausanias VÍ.
23. 2. Vergl, auch oben III. Th. p. 417.
548
zweite Stufe der Liebestheorie zeigen, näm-
lich die, wo die Seele, in Erinnerung ihres ursprüng-
lichen Wesens, ihrer Idee, wie sie in und bei Gott
war, nun sich selber sucht; wo sie aber, weil sie ihr
individuelles Selbst (den Schein ihres Wesens)
noch nicht lassen hann, sondern irrig ibn für das We.
sen selber nimmt, in dieser Selhstsucht (GiAavria)
erst zerfliefst, und dann als Trauerblume, als narcoti-
sehe Grabespflanze wieder gewinnt.
$. a.
Narcissus,
Narcissus, so lautet die einfachste Erzählung ??),
war der Sohn des Phocensischen Flusses Cephissus , der
sich in d«* "gotischen See Copais ergofs, und der
Nymphe Lirioessa; ein Jüngling von unaussprechlicher
Schönheit, edlen Bestrebungen zugethan. Ermiidet
kam er einst an eine klare Quelle, und als er, sich
büchend, im .Wiederscheine des Wassers sein eigenes
Bild erblickte, wurde er wie von einem Zauberschlage
berührt. Erstarrt, trunken von seines eigenen Leibes
Schönheit, sah er beständig in den Wiasserspiegel, ohne
von dem Anblick sich losreissen zu künnen ; bis er so sich
selbst verzehrend, oder (nach Andern) im Wasser un-
tergehend, seinen Tod fand. Bei der Quelle aber, an
des ertrunkenen Jiinglings Stelle, wuchs eine Blume
gleichen Namens aus der Erde hervor. Etwas verschie-
den, obwohl nicht minder bedeutsam, erzählt Conon
22) Ich habe die Quellen dieses Mythus bereits in der Prae-
paratio ad Plotinum de Pulcrit. pag. XLV. angegeben; s.
besonders Eustathius ad Iliad. IT. 498. p. 201 Basil. Eu-
docia in Violar. p. 304. coll..Ovid. Metam. I1I, 342, nebst
den Faiklárern; Pausanias IX. 31.
249
(Narrat. 24. p. 263 Gal. p. 2o Hanne), es sey zu Thespia
ein schüner Jüngling Narcissus gewesen, der seine
zahlreichen Liebhaber verachtet und ihre Liebe ver-
schmäht. Einer jedoch von ihnen, Aminias ('Apeiviac),
bittet den Gott (Eros) um Rache, und Narcissus, ver-
gafft in sein eigenes Bild, das er im Spiegel der Quelle
betrachtet, bereitet sich so selber seinen Tod. — Ich
will hier nicht in die andern mannigfachen 3Vendungen
dieses Mythus eingehen , wo z. B. des Narcissus Mutter
von Einigen Liriope, von Nonnus gar Luna, ver-
mühlt mit Endymion, genannt wird (Dionys. XLVIIT.
582 sqq, p. 198» Hanov.); eben so wenig,. wie ich die
verschiedenen Nachrichten über des Narcissus Tod auf-
zuzühlen für nôthig halte.
Darum achten wir zuvórderst auf die nach dem ge-
storbenen Jüngling benannte Blume. Zwar leugnet sol-
ches und zwar auf des Pamphos Auctoritit Pausanias;
es sey vielmehr die Blume des Truges, durch welche
Proserpina, als sie von Pluto geraubt, berücht worden
(IX. 31. zu Ende). Sophocles 2°) nennt die Narcisse den
Kranz der grofsen Güttinnen ; was Einige unter den Al.
ten schon auf Ceres und Proserpina bezogen, Andere
auf die Erinnyen oder Furien ; denn von der Angst und
dem Schrecken, den sie einflóf(sen, oder davon, dafs
die Todten erstarren , sollte die Blume ihren Namen be-
hommen haben. Auf jeden Fall aber hatte die Blume
auf die Unterwelt Beziehung, wie dies in ihren natür-
lichen Eigenschaften lag. Denn ohne dabei stehen zu
bleiben , dafs sie häufig auf Gräbern wuchs, gleichsam
anzudeuten, dafs der Leib aus einem beweglichen sın
23) Oedip. Colon. 688. und dort die Scholien nebst Natalis
Comes IX. 16. Cornutus de N. D. cap. 35. p. 235. und
Pausan. VIIL. 31. init.
550
erstarrter Todier werde, war durch ihr mehrmaliges
jáhrliches' VVachsen , zumal am Ende des Herbstes, und
durch ihr dreimaliges Wiederaufblühen — ein Bild der
dreifachen jáhrlichen Pflügung ?^) — die Beziehung auf
Ceres und auf den Raub der Proserpina gegeben. Es
war diese Blumenart äufserst lieblich und wohlduftend,
dabei schlafbringend, narcotisch, und eben deshalb
schon als Todesblume betrachtet. Sie hiefs die stark
duftende (Bapéoóuoc; Clemens Alexandr. Paedag. II. 8.),
und sollte ihren Namen haben von der ihr eigenen be-
täubenden Kraft (von vapxäv; Plutarch. Sympos. III.
p.632 Wyttenb.) 25). Sie sollte zum Tode einschläfern,
und wie Heraclitus dem Todtenreiche ein Duften bei-
legte, so war sie als eine stark duftende Pflanze dem
Orcus geeignet. Sie betüubte und zog herab n die feuchte
24) S. Plinius H. N. XVIII. 26. 65. vergl. die Ausleger von
Virgils Georg, IV. 122,
25) N4gwiccosg d. i. die Starrblume. Ihre physische
Geschichte giebt ausführlich "Theophrastus Hist. Plant.
VI. 6. und dort Scaliger und Boden a Stapel pag. 657 sq.
nebst Schneider Index ad Scriptt. R. Rust. s. v. und den
Auslegern des Virgil. Georg. IV. 122. Die Alten nannten
sie auch Lilie (Asq:v), oder verglichen sie mit ihr,
Man vergesse hierbei nicht, dafs die Mutter des Narcis-
sus Lirioessa, Asgiéesoa , hiefs — von den Lilien , Ae-
géors , sonst auch voívors genannt (Phrynich. Igerag. ecQuer.
in Bekkeri Anecdott. gr. I. pag. 50.) , ihren Namen trug,
und als Genus derSpecies der Narcisse das Da-
seyn gab. Die Cretenser nannten sie 'Áxzx2144 ; s. Athe-
nüus XV. p. 450 Schweigh. Hesych. I. p. 181 Albert. —
Nach Sprengel (Gesch. der Botanik I. p. 31.) mufs diese
Blume, worin Narcissus verwandelt wurde, Narcis-
sus Tazetta seyn, weil die innere safrangelbe Blumen-
füle, von weifslichen Bláttern umgeben , ausdrücklich
bezeichnet werde.
51
Tiefe, aus der sie gelilommen 2%), aber sie täuschte zu-
vor. Diese Beziehung des Narcissus auf Tod bezeugt
auch Artemidorus (Oneirocrit. Ll. 77. p. 107.): Hrünze,
aus Narcissus geflochten, wenn sie im Traume erschei-
nen, sagt er, bedeuten Unglück , besonders für solche,
die auf dem Wasser sich befinden , oder hierher ihren
Lebensunterhalt haben. Eben so bedeutet der Blick ins
Wasser, wie in einen Spiegel, den Tod, entweder fiir
den selber, welcher hineinblickt, oder doch fiir einen
seiner nüchsten Anverwandten (ebendas. II. 7. p. 139.).
Gehen wir nun über zu dem Jüngling Narcissus
selber, und verfolgen zuerst seine Abkunft. Er ist ein
Sohn des Flusses Cephissus und der Nymphe Lirioessa
oder Liriope; beides Namen, welche den Begriff des
Süfsen, Sanf'en, der Lust in sich enthalten 27);
und so müssen wir ir. diesem Sohne eines Flusses gewifs
an den Flufs der Lust, an die fliefsenden Ge-
nüsse denken, in denen das menschliche Leben zer-
rinnt und zerfliefst. Jene Quelle der Lust und der Freu-
den wird für den Jüngling todbringend, und die Nym-
phen besingen an der Todesquelle sein hartes Geschick 28),
Wenn wir demnach hier einerseits den Flufs der Lust
und die Unglück bringende Quelle erkennen, so dürfen
26) Sie ist ja eine wasserliebende Blume, wie die Grab-
schrift von Nimes sagt:
— vai vdarivy vdQwiccoy —
S. Jacobs Animadverss. ad Antholog. Gr. [. 1. pag. 105.
und III. 2. p. 279.
27) Aswicscea bezeichnet nach den Angaben der Alten nichts
weiter als »yAuwsia , ivi901/u05, sig; s. Etymolog. m. 8. v.
und Apollonii Lex. Homer. s. v. In diesem Sinne (süfs,
weich) sagte schon Homerus Iliad. ILI. 152, 27a As:-
eg.ésccav, wo Heyne nachzusehen ist.
28) $. Nonni Dionys. XI. 822 sq. XV. 352.
55
t
552
wir doch auch eine andere Ansicht nicht übergehen, wel-
cher bereits unter den Alten Einige ergeben waren, die
einen tieferen Sinn in dieser ganzen Fabel entdeckt ha-
ben wollten. Sie sahen eben in jenem dem Narcissus
so verderblichen Flusse den Flufs desLebens, nám-
lich des getheilten, irdischen, materiellen Lebens. Denn
nach dem allgemeinen allegorischen Sprachgebrauche
der Vorwelt (wovon oben) ist es die Geburt im Feuch-
ten (d. h. in den Wassern des materiellen Mutterleibes),
welche unausweichlich Verwesung, Tod und Untergang
zur Folge hat. Es wird diese Erklärung durch Stellen
der Philosophen bestátigt, wie z. B. durch folgende ??):
«Narcissus ist nicht im VVasser ertrunken, sondern in-
dem er in dem Flusse der Materie (êv tÿ pevor,roë évé-
Aov oduatos Géoe:)-seinen eigenen Schatten betrachtete,
d. i. das körperliche Leben, welches das letzte Bild der
wahren Seele ist (và Eoxyaror eïdokor tñç dvres Yoxñs),
und dieses als das ihm eigene zu umfassen strebte. (xoi
TOAÙTNV OC OixelOV NEpEMTÉÉAODAL GROVÔKU AG) , von Liebe
und Sehnsucht also nach diesem Leben ergriffen, er-
trank er, wie einer, der seine wahre Seele , sein wahres
Leben sich vernichtet» u. s. w.
Hier dürfen wir auch nicht die Wendung übersehen,
welche der Mythus bei Conon (s. oben) hat. Narcissus,
ein leiblich und geistig hoch begabter Jüngling, ver-
schmiiht die Liebe und Lehre des Edleren (des Ami-
nias — 'Auewtag — ápsivov), der im Stande war, seine
(des Narcissus) natürliche Anlagen zu bilden; er sinkt
in kalter Selbstsucht und Selbstbewunderung immer mehr
zurück, so dafs Verzweiflung endlich ihm von eigener
Hand den Tod bereitet 50),
29) Anonymus de Incredibil. cap 9. in Opusce. mythologg.
p. 88 sq. ed. Gale.
30) Ich will hier nur mit einem Worte an die bekannte My-
555
Insbesondere waren es Platonische Philosophen,
welche diese in so viele Mythen und Bilder eingekleidete
Lehre von dem 'lerabsinkeu der menschlichen Seele aus
den hüheren Sphüren in irdische Kórper weiter auszubil-
den sich bemüheten. Man lese nur die Untersuchungen
des Proclus (in Platon. Tim. p. 338 sqq.), wo er, von
der Platonischen Stelle im Timäus p.43. a. p. 329 Bip. 3!)
Veranlassung nehmend , unter Anderm sagt; « Wie wenn
einer seinen eigenen Schatten im Spiegel des Wassers
besieht, und durch diesen Anblick betäubt, verwirrt,
niedergeschlagen wird, so wird auch die Seele, wenn
sie ihr Bild im Körper, beim Flufs der Geburt, in den
verschiedenen Zustüánden und Affecten, wovon sie selber
frei ist, betrachtet , ergriffen; sie nimmt ihr Bild für
sich selber, sie gerüth in Verwirrung, sie wankt, sie
ist unschlüssig; so sinlit sie in den Körper herab und wird
ins materielle, irdische Leben herniedergezogen». —
Hiermit will ich noch einige andere Stellen verbinden,
die diese Beziehnngen noch deutlicher machen, So sagt
Proclus (in Platon. Alcib. I. fol. 5o cod. Monac.): « Zu-
gleich erhellet aus diesen Sátzen, dafs die erste Ursache
des Meinens (Wähnens, rñçs oijoews) und der Hoffarth
und der Täuschung (des Trugs) für die Seelen ist der
Leib und die Materie (1 £25) und die auf sie (die Materie)
beschränkte sinnliche Erscheinung der Gestalten. Denn
wir fufsen auf diesen letztern als auf wahren Gegenständen,
sterienformel erinnern ; &Quyoy waxév* svgov & js sivov ( vgl.
Demosthen, pro Coron. cap. 79. ibiq. Taylor) und an die
Grundsätze der edleren Liebestheorie, wie sie Plato vor~
trágt im Sympos. cap. X. und XI. und besonders in der
Stelle cap. XI. 4. p. 36 Wolf. or: dgerijs Ema nai Tob Sed
Tiwy yevéoSar way av wavri wpoduundsi.
30) ai dt (Vunai) sis Fo. apd éudedeivar wohl olTe Pagdcow , opTs
EADATOUYTO.
554
«und bewundern sie: als seyen sie (66 öyta), und wir thun
grofs auf sie als auf reine vnd zuverlässige Güter , ob-
schon wir von ihnen ganz und gar betrozen werden. Und
die erste Reinigung bezieht sich auf das Losreis-
sen von diesen leiblichen Bildern, an welche
die Seele auch zuerst gefesselt wird, wenn sie in die
Geburt (Wirklichkeit) und in die sterbliche Na-
tur herabsteigt». Ferner (ad Platon. Alcib. I cap. 39.) :
« Die Seele sieht in der Mitte zwischen dem Geiste (vo?)
und der leiblichen Natur. Siehet sie nun auf den Geist
und das dort wohnende Schöne, so ist ihre Liebe blei-
bend, weil sie sich aus Wahlverwandtschaft mit dem Un.
beweglichen und Unwandelbaren verbunden hat; denn
der Geist hat ein in Ewigkeit bestehendes Wesen und
Wirken, Siehet sic aber auf die Leiber und die an ih-
nen erscheinende Schünheit, so wird ihre Liebe ‚durch
ein Anderes in Bewegung gesetzt, und veründert sich
mit dem geliebten Gegenstande zugleich. Denn solcher
Art ist der Leib, nämlich bestimmbar durch ein Ande-
res und leicht wandeibar. Da sie (die Seele) nun mitten
inne stehet, und durch sich selbst bestimmt auf beide
(Geist und Leib) losgehet, so gleichet sie bald dem Un-
verärderlichen und immerfort Dasselbe (absolut) Blei-
benden , bald dem durch ein Anderes Bestimmbaren und
in mancherlei Wechsel hin und her Getriebenen, Dar-
aus folget, dafs der von Gott ergriffene Liebhaber, der
sich zum dauerhaften und bleibenden Schönen aufrichtet,
kaum von der Liebe verlassen wird. Denn es gilt ibm
nicht um die flüchtige Woge des Leiblichen (où
YÜp MPOGMOLEÏTAL TD couovur;» por). Der irdische
und materielle gehet ganz unter in der schwobenden
Wandelbarkeit des Zeitlichen. Daher ist er auch selbst
leicht bestimmbar und leicht wandelbar, da auch die
Schönheit, die seiner Liebe Ursache ist, wandelbarer
Natur erscheint». — Im ücht Platonischen Sinne hat
555
der grofse Marsilius Ficinus diese Allegorie ergriffen
und fortgeführt, wenn er (Commentar. in Platon. Con-
viv. eap. 17. p. 1165. D. E. ed. Francof) sagt: «Unsere
Seele (leider unseres Elends Quell und Ursprung) unsere
Seele wird so günzlich durch die Lockungen der kôrper-
lichen Schöne bezaubert, dafs sie ihre eigene Schönheit
vergifst, und des Leibes Gestalt, die doch nur ein Schat-
ten ihrer eigenen Gestalt ist, sich selber vergessend,
nachgeht. Dieses Elend sehen wir in des Narcissus
Schichsal. — Denn Narcissus der Jüngling (d.h. des un-
bedachtsamen und unerfahrenen Menschen Geist) sie-
het sein eigenes Bild nicht, nimmt mit nichten wahr
die eigenthiimliche Wesenheit und Tüch-
tigkeit seiner selbst, sondern dessen Schatten
im Wasser jagt er nach und »will ihn fahen und um-
armen (d. h. die Schönheit am gebrechlichen und gleich
der Welle unfesten, wugenden Leibe, jene leibliche
Schäënheit, die nur der Se-le Schatten ist, bewundert er
und staunt er an). Seiner eigenen Gestalt wird er un-
treu , den Schatten aber erfafst er nimmermehr : sintemal
die Seele dadurch, dafs sie dem Leibe nach-
strebt, sich selber verwabrloset, und durch
des Körpers sinnlichen Genufs nicht gesät-
tigt (befriedigt) wird. Denn die Seele gelüstet
in der That nicht nach dem Leibe selbst, sondern ge-
Jockt durch die körperliche Gestalt, die ein‘ Bild ihrer
(der Seele) Gestalt ist, fühlet. sie ein Verlangen
nach ihrer eigenen Gestalt (Idee). Da sie die-
sen Irrthum gar nicht gewahret (die Täuschung nämlich,
dafs sie ein Anderes begehret , einem Andern aber nach-
jagt), so kann sie ihr Verlangen (Sehnsucht) auf keine
Weise stillen. Das ist nun des Narcissus Herzeleid.
Darum verzehret er sich, oder vielmehr er zerfliefset
in einem Thrünenstrome ; d. h. des Menschen Seele,
wenn sie auf die zuvor bemerkte Weise so ganz aufser
Ck
556
«sich heraus getreten und ganz und gar in den Leih ver-
sunken ist, wirdalsdann von den verderblichsten Leiden-
schaften gepeinigt; und mit den Flecken des materiellen
Körpers besudelt erlischt und stirbt sie gleichsam, da
sie bereits mehr Leib als Seele zu seyn scheint. Diesem
Seelentode sollte nun Socrates entgehen. Daher fiihret
ihn Diotima vom Körper zur Seele , von dieser zum Ge-
nius (Engel) und durch dessen Hülfe zu Gott zurück».
— So weit Ficinus. Oder man fasse es so : Die Seele
suchet ihr Selbst. Suchet sie es, wie es jezt ist, in
der Wirklichkeit, gefüllt sie sich in diesem bedingten
Seyn, in diesem abgeblafsten » wesenlosen Leben, nun
$e miufs sie über der Tüuschung (da sie dadurch doch
nicht befriedigt werden kann) traurend zerfliefsen, Nur
wenn sie ihr Selbst sucht, wie es war und wie es wie-
der seyn soll, das wesenhafte, das güttliche Selbst —
nur in dem Blicken und Ringen aufwärts , zu ihrer Idee,
kànn sie Heil und Glückseeliskeit finden.
Auch Plotinus (de Anima p. 381.) drückt sich hier-
über auf ähnliche Weise aus: «Die Seelen werden von
einem gewissen Reiz oder Stachel ergriffen, ihre himm-
lischen Sitze mit den irdischen zu vertauschen ; sie nei-
gen sich herab aus der intelligiblen Welt, und sinken,
beschwert mit einem Körper, auf die Erde, die einen
mehr, die andern minder. Oder sie erblicken ihr Bild
im Spiegel des Dionysus, wie dort im Flusse des Wer-
dens und der Geburt»
In denselben Mythenkreis, um dies nur kurz anzu-
deuten, gehört denn auch der Begleiter des Herakles,
Hylas, den die Nymphen bei der Quelle rauben, und
der nun nicht weiter seinem Fihrer Herakles, welcher
unyerwandt in die höheren Sphären emporsteigt, folgen
kann. Dies deutet schon der Name des Jünglings an, in
welchem man die Bedeutung der zerfliefsenden Ma-
terie (Dins pevotüs) finden sollte. Auch in dem Plato-
357
nischen Gyges (de Republ. IT. n. 211.) lassen sich ähn-
liche. Beziehungen entdecken.
Dafs nun alle diese Mythen Gegenstand der Bildne-
rei geworden, wird man natiirlich finden. Ein Gemälde,
das in dieser Hinsicht besonders wichtig ist, habe ich
nach den Pitture d' Ercolano Tom. V. tab. 28. auf der
Tafel XXXIX. nr. 8. copiren lassen. Es zeigt uns den
Narcissus sitzend an einem Wasserquell, in der Betrach-
tung seines eigenen Bildes gänzlich verloren. Hinter
ihm steht Eros, traurig und muthlos, mit umgekehrter
Fackel, die er so eben am Boden auslóscht. Da, müs-
sen wir denken, singen die Nymphen dem Narcissus den
YYarnungsvers :
Viele werden dich hassen, wenn du selber dich liebest.
wie sie denn so, einer Sage nach, ihm zugerufen haben
sollen 3").
Andere hierher gehórige Denkmale finden sich in
dem Museum Florentinum Tom. IIL tab. 71. u9d bei
VVinckelmann Monumm. antiqq. inedd. nr. 24; womit
die Bemerkungen des gelehrten E. Q. Visconti im Mus.
Pio- Clement, Tom. ll. pag. 6o sqq. zu verbinden sind;
welche unter den vielen Darstellungen, die für Narcisse
ausgegeben werden, denn eigentlich dafür gehalten zu
werden verdienen. Dals die Vasen, die uns so Vieles
aus der Griechischen Mysterienlehre liefern, auch in
dieser Geheimlehre nicht zurückgeblieben, läfst sich er-
warten. So glaubt Millin 3), und nicht ohne Grund,
auf der einen Seite der berühmten Poniatowshy'schen
31) IIoXAoí cé vot. pumjmouciy , &Àv cauróv qn^$65 S. Suidas S. V.
T0AÀoí cs etc. 'I'. III. p. 142 Kust.
32) Peint. de Vases antiqq. Tom. II. p. 56.
Ty me
[
5.
Vase eine Narcissusblume, an dem Rande der andern
aber das schöne Haupt des jungen Narcissus, aus Blumen-
knospen hervorragend, zu entdecken.
$. 3.
E r o s.
Mithin ist Narcissus das Bild der im Scheine ab-
würts versunlenen Seele; der himmlische Eros
hingegen der gute Genius und Führer zur Weisheit
und Gliickseeligkeit, der, als Narcissus in den Spiegel
der Wellen versunken, die Fackel traurig auslóscht,
der aus dem körperlich Schönen den VViederschein, den
Reflex der göttlichen Schönheit hervorlockt. Er ist
nach einer' Genealogie , welche uns Plutarchus auf-
behalten hat 35), der Sohn der lris, erzeugt mit Ze.
phyrus; wovon dann eine doppelte Auslegung gegeben
wird. Erstens ist damit gemeint (và soix(Ao» vo? má-
Sovs xai 10 &árS40óv) der Wechsel und das blühen-
de Leben in der Passion (der Liebe). Zweitens:
Amor bewirkt in edlen und das Schöne liebenden Seelen
vermittelst des Anblicks des wirklichen und äufserlichen
Schönen einen Reflex der Erinnerung ( &v&xXaciv Tig
prípxnc) an jenes gütlliche, liebenswürdige, seelige und
wirklich wahrhafte und bewundernswerthe Schüóne. Dar-
auf folgt bei Plutarchus die Bemerkung: «Allein die
Meisten baschen in Jiinglingen und Weibern, wie in
Spiegeln , nach dem schwebenden Bilde jenes (wahrhaft)
Schönen, und suchen es zu ergreifen. . Sie vermögen
nichts Bleibenderes zu fassen, als die mit Schmerz ge-
mischte Lust; und die Mehrzahl scheint diesem Schwin-
del und Irrthum hingegeben , dafs sie in Wolken wie in
Schatten dem eitlen Gegenstande ihrer Sehnsucht nach-
33) in Amatorio cap. 20. p. 765. Vol. IV. p. 69 Wyttenb.
A8
559
«jagen , gleichwie die Knaben den Regenbogen (ir)
zu haschen suchen, gelockt von der blofsen Erschei-
nung. — Auf andere Weise beträgt sich die edle und
sittige (bescheidene) Liebe. Denn dorthin wird sie zu-
rüchgebogen (àvaxAávo:) zu dem göttlichen und intelli-
giblen Schönen; und wenn sie des sichtbaren Körpers
Schönheit begegnet, und sich desselben wie einer Hülfe
(eines Werkzeugs, ópgy&»o) der Erinnerung bedient,
so wird sie in der Freude und im Vergnügen an ihm und
im Beisammenseyn mit ihm nur eigentlich mehr zum gei-
stigen Denken (vi» ài&vovav) entzündet» 34).
Jenes Zerfliefsen und Erstarren des Narcissus ist der
Seelen Tod. Diesem sollte Socrates entgehen. Daher
führet ihn Diotima vom Körper zur Seele, von der
Seele zum Genius (Engel) und durch dessen Hülfe zu
Gott zurück. Zu diesen Genien oder Dämonen gehört
auch Eros, dessen Geburt und Wesen wir am besten
nach Plato bemerken, in der Hauptstelle Sympos. p.203.
P- 429 sq. ed. Bekker. cap. 29 ed. Ast., wo freilich ein
Orphischer Mythus behandelt wird 35). «Dieser Di-
monen nun, heifst es dort, giebt es viele und mancher-
lei, und einer von ihnen ist auch Eros. Als Aphrodite
34) Wenn die Dichter oft zur gewöhnlichen Bezeichnung der
Liebesquaalen vom Amor als vom Feuergebornen
(rugs Eyyovos) redeten, oder die Liebe den Wetzstein
der Seele (Yuyÿs dvév4) nannten (sieh. Alphaei Mityl.
Epigramm. I. und III. in der Antholog. Gr. 'T. IT. p. 12F.
p. 115. Man vergl. Jacobs zu dieser Stelle pag. 344. der
passend an Tasso’s Verse erinnert: Tale ei suoi sdegni
desta, ed alla cote D' amor gli aguzza ed alle fiamme
avviva.) — so dürfen wir nicht zweifeln , dafs diese und
ähnliche Bilder in der mysteriösen Sittenlehre der Grie-
chen ihren geistigen und ethischen Sinn hatten. .
35) Nach Proclus in Platon. Parmenid. ap. Bentl. Epist. ad
Millin. Opuscc. philoll. p. 455 Lips.
È
« geboren war , hielten die Götter einen Schmaus; unter
ihnen befand sich auch Poros, der Sohn der Metis. Nach-
dem sie abgespeist hatten, kam Penia daher, um bei
Gelegenheit der Schmauserei zu betteln , und stellte sich
an die Thüre hin. Poros vom Nektar berauscht — denn
Wein gab es noch nicht — ging in Zeus Garten, und
schlief von Trunkenheit beschwert ein. Da legte sich
Penia, die ihrer Dürftigheit wegen darauf ausging, ein
Kind von Poros zu erzeugen, zu ihm nieder, und em-
pfing den Eros 36, Darum ist Eros der Begleiter und
Diener der Aphrodite, und zwar nicht allein, weil er
an ihrem Geburtsfeste erzeugt worden, sondern auch,
weil er von Natur ein Liebhaber des Schónen, und
Aphrodite selbst schön ist. Als Sohn des Poros und
der Penia hat Eros ein solches Loos empfangen. Erst-
lich ist er immer arm, und weit gefehlt dafs er zart und
schön wäre, wie die Meisten glauben; ist er vielmehr
rauh , schmutzig , unbeschuht und heimathlos, stets auf
der Erde liegend und unbedeckt, an den Thüren und auf
den Strafsen im Freien schlafend, und nach Art seiner
Mutter stets mit Dürftigkeit verschwistert. Nach seinem
Vater hingegen stellt er dem Guten und Schönen nach,
ist tapfer, kühn und heftig, ein gewaltiger Jäger, im-
mer Ränke schmiedend, philosophirend, ein gewaltiger
Zauberer, Giftmischer und Sophist. Seiner Natur nach
ist er weder unsterblich noch sterblich. — Die Weis-
heit ist eines der schönsten Güter. Eros aber ist die
Liebe zum Schönen , also ist Eros nothwendig ein Phi-
losoph, und als Philosoph steht er zwischen den Wei-
sen und den Unverständigen in der Mitte».
36) Man vergleiche Ast zu dieser Stelle seiner Uebersetzung
pag. 335. und daselbst Philo Legis Allegoriarum II. 62.
Plutarch. de Ei Delphico p. 389. B. C. Vol. IV, p.593sq.
W yttenb,
560
561
Hiermit hängt nun die Plotinische Theorie des
himmlischen Eros und über die Liebeskunst
zusammen. «Es giebt drei Wege 9) der Rückkehr zu
Gott und unserm himmlischen Vaterlande: der erste
durch die Musik (uovotx#), der zweite durch die Lie-
beskunde (épmtixn), der dritte durch die Dialektik
(Metaphysik, diadexwixii). Oder mit andern Worten:
wer zum höchsten Gut (àya9óy) zurüchkehren will, mufs
entweder Musiker oder Philosoph oder Lieben-
der seyn, Den ersten betreffend, so wird der Musi-
ker durch die Harmonie der Tóne aufgewecht und an-
geregt. Hier kommt nun Alles darauf an, dafs er sich
vom materiellen Laute (in) der Töne losreisse , und
sich nicht einlullen lasse von diesen Sirenen, sondern
einzig auf den Numerus in den Tünen achtend, nach und
nach dazu gelange, die W eltharmonie zu. verneh-
men. Der Liebende ist zwar eingedenh der wahren
Schönheit, aber getrennt von ihr vermag er sie nicht zu
erfassen, sondern das seine-Sinne bestechende sinnlich
Schöne setzt ihn in mancherlei Bewegungen (Passionen).
Daher mufs er den Stufengang wandeln ı) der Empfindung
und Erkenntnifs des Einen Schónen, was in allen Kör-
pern zusammen ist; 2) des Schónen in Gesetzen, Sitten,
bürgerlicher Ordnung, Tugenden; 3) des intelligiblen
Schónen; 4) endlich des áyaSóv (Wesens der Wesen)
selbst (cf. adv. Gnost. p.215.D.). AuchderPhilosoph
hat seine VVeihestufen: 1) Reinigung, xáSopoic; 2) A$-
ci; oder &zaAAoyf , Lesreissung vom Leiblichen, wozu
die Mathematik dienlich ist; 3) veAsíocuc, Vollendung.
Wer zum Philosophen geboren ist, hat von Natur Flü-
gel, d. b. er hat von selbst den beständigen Trieb, hin-
37) Praeparat. ad Plotin. de Pulcrit. p. CIV sq. und daselbst
Plotin. sci àiaAewr. p. 19 — 21 Basil, vergl. Plato Republ.
Vil. p. 522. p. 142 sqq. Bip. p. 339 sqq. Bekker.
111,
26
Jed
« wegzufliegen von hier nach der gôtilichen Heimath».
Dieses ist nun -der Weg nach oben, den der himm-
lische Amor führt (éväye:), und sein Ziel ist das hich.
ste Gut — «) &áyaSór» , oder Gott der Seelige.
$. 4.
Bildliche Darstellungen aus dem Erotischen
^ reise.
Auch in erotischen Sehöpfungen schritt die bildende
Kunst, wie überhaupt, von dem blos priesterlichen
Zeichen und rohen Fetischbilde allmählig bis zur Dar-
stellung der verschiedenen Zustände fort, die der
Liebe im leiblichen wie im geistigen Verstande eigen
sind, und ging auf diese Weise mit dem verfcinerten
Sprach - und Dichtergebrauch Hand in Hand. Ich be-
schränke mich hier auf einige Andeutungen , voraus-
setzend, dafs meine- Leser den treti lichen Hymnus auf
den Eros in der Antigone des Sophocles (vs. 296 f£.) oh-
nehin kennen. Das älteste Bild des Amor zu Thespii,
berichtet Pausanias (IX. 27.), war ein schlecht bearbei-
teter Stein; an dessen Stelle aber bald der herrliche,
von des berühmten Praxiteles Hand verfertigte Amor
trat ; der zweimal in der Folge, unter Caligula und un-
ter Nero , von Thespiä nach Rom_.wandern mufste. Es
war derjenige, den die bekannte Bublerin Phryne 55
gestiftet, nachdem sie auf lishge Weise (s. Pausan. I,
20.) dein Meister dieses Bild. aus Pentelischem Marmor
abgelockt hatte °%. Andere Bilder des Eros zu Thespiä
38) Strabo UX. p. 449. nennt statt der Phryne die Glycera.
39) Ueber diesen so berühn;iten Amor des Praxiteles zu Thes-
pid, vor welchen selbst der verwóhnteste Siun des Späs
teren Zeitalters nichts Schöneres sehen konnte, ist Ju-
nius in Catalog. Arüfic, p. 179. nachzulesen. Vergl.auch
Aa
565
waren der des Lysippus von Erz und der des Metrodorus
von Athen aus Marmor, eine Nachahmung des Praxite-
lischen. Zu Athen sah man in Einem Tempel der
Aphrodite mehrere Bilder des erotischen. Kreises 49),
Vorerst die ‘A ppodirn Ilp&Eec, die ausiibende , zum
Ziele führende Venus, neben ibr die Pitho (#7 Hea),
die Ueberredung, oder vielmehr der Genius der Ueber-
redung , der mit schmeichelnden Liebesworten alle Gei-
ster beherrscht, und die Paregoros (5$ Hapiyepos),
die Trästung, als ein weibliches Wesen gedacht, das
den Verlust des Geliebten besánftigen soll 4). Beides
waren Werke des Praxiteles. Ihnen fiigte Scopas noch
drei Begleiter oder Genien der Venus bei: Eros, Amor
oder die Liebe 42); Himeros (°luepos), Cupido oder das
Liebesverlangen, und Pothos (IK6Soc), die Sehnsucht;
bei welchem letzteren Pausanias hinzusetzt: eù Où 49)
Lucian. II. p. 409. (Amor. Tom. V. p. 268.), wo es un-
ter Anderm heifst: 75g Kudiag "AQpodity; Tèv &v Oecriais
dyrrmaartahkaëdiasvos “Epusta
40) Pausan. I. 43. $. 6. Auch zu Leuctra in Laconien hatte
Eros einen Tempel und einen heiligen Hain; ibid. I1I.
26. — Die rjáZu betreffend, so nennt Pelops beim Pin-
dar. Olymp. I. 136. das glückliche Bestehen des Wett-
kampfs , dessen Preis die Erwerbung der Hippodamia zur
Frau ist, auch rQGZiv Qay ; vergl..die Scholl. vett. da-
selbst.
41) Die Pitho ward aber auch wohl selbst Ilagyyépe , die Ue
berredung, genannt. — Ueber die dichterische .und
bildnerische Versinnlichung des Liebeszaubers lese
man Bóttiger über das Vasenbild bei Millingen pl. 42. in
der Minerva 1820. p. 489 ff. nach.
42) Eros, das Wesen der Liebe; s. Plutarchi AeApavz 760
cepi Eçwros Vol. X. p. 851 sq. Wyttenb.
43) So mufs nämlich gelesen werden, und so hat auch jezt
Clavier abdrucken lassen,
564
9a qood de -xatà.-raèré roïc Q0vouuoL' xai và Épye
opios, | doh. «wenn anders diese Wesen, so wie sie
durch versthiedene Namen unterschieden werden ; auch
in ibrenn Wirken (VVirkungen) verschieden sinl». Diese
Bemerkung ist richtig, aber nar in so weit, als hier Ein
Grundbegriff: Liebe: in seine verschiedenen Mo-
mente, Abufserungen’und Zustände zerlegt ist. Diese
eindebblen:: Zustandé wurden aber von den Griechen so
nnterschieden: “Epws, Liebe als Substrat, als Gemein:
begriff,Iuepos als: das Liebesverlangen, ‘als das süfse
Sckmächten nach dem gegenwürtigen geliebten Gegen-
stande ; IlóSoc als:das Verlangen, als das sehnsüchtige
Schmachten nach dem :entferäten Gegenstande ^y, — . .
| „4 Und hier. müssen wir noch eines andern Genius dieses
Erotischen Kreises gedenken ‚des Ant erós | CArrégos),
welcher nach Cicero de N. D. III. 23. von Ares und der
dritten Aphrodite erzeugt ward, woraus also auf eine
SiWothrhcische Priesterlehre zu schliéfsen ist, deren
Elemente Streit und: Ei nigung wiren. Nach Pau-
sanias (l. 3o. init.) hatte Eros zu Athen in der Akademie
iden Alt? , und Anterosin der Stadt; wobei erzählt
A s, dafs, dér tragische Tod eines fremden Mannes Ti-
maggras, dem der Athenienser Melas, mit spróder Lie-
besveraghlung geheifsen hatte sich von ‘einem .Felsen
hæerabaustürzen , Zür. Erbauung: dieses! Altars. Veranlas-.
sung gegeben habe. Melas stürzte sich nümlieh nachher
aus Vurzweillung auch: von diesem Felsen, und die, in
Athen'ansissigen Fremden stifteten und verehrten seit-
deth ‘den Altar dés Anteros, als vichenden Ge-
üiws dedi mag oras “(Baiuova ‘Avrightà tèv ’Akd-
STOËR TOD T:uaydpov), "Nach demselben Pausanias (VI.
43). S,-Plato im Cratylus p. 120 Heindorf. und meine Anmér-
kung zum Plotinus de Pulcritad. p. 213 sq.
565
23. §. 4.) sah man zu Elis ein Bild ‘unter andern Bildern
der Palästra, welches den Eros vorstellte, einen Palm-
zweig tragend, und den Ánteros, der ihm denselben
wegzunehmen suchte. Also ein gegen den Eros (die
Liebe) kimp fender Genius. Hiermit ist; durch den
Mittelbegriff: Wettstreit im Lieben, wettei-
fernder Genius der Liebe, die Idee der Gegen-
liebe gegeben 45). So ward nun auch Anteros genom-
men; und es gab dariiber einen von Porphyrius aufbe-
wahrten Mythus. Eros will nicht wachsen. Aphrodite
klagt bei der Themis, die ihr den Rath giebt, sie solle
dem Eros einen Gespielen geben. Anteros wird ihm
beigesellt, und nun gedeihet Eros aufs herrlichste; ein-
zig trauernd, wenn der Gefübrte nicht bei ihm ist, —
Diese Wendung der Idee will man nun für eine spátere
halten. Ich sehe dazu keinen Grund. Oder sollten die:
alten Priester und Dichter so kurzsichtig gewesen seyn,
um nicht gleich den inneren Zusammenhang jener Ideen:
gewahr zu werden, und ihn organisch auszubilden ? —
Aber folgende Stelle des Pausanias ( VI. 23. $. 2.) zeigt
auch unwidersprechlich das hohe Alter jener ldee:
Gegenliebe. Exerzühlt: «In der Kampfschule (zu
Elis) sind dem Idáischen' Hercules, der dén Ndmen
des Beistehers (Parastates) hat, dem Eros und ‘dem
Anteros, wie er von den Atheniensern und Eleern:
genannt wird, ingleichen der Ceres und Proserpina
Altüre aufgerichtet». Man vergleiche damit die Stelle’
IX. 28. wo Pausanias den Hercules Idáus in Buotién,
zu Mycalessus und Thespiä nachweist, und einen sehr
alten Gottesdienst darin findet. Auch ward in Böotien
45) Proclus zu Plato's Alcibiades I. cap. 43. drückt sich über
das Wesen des Anteros folgendermafsen aus:. rà éxeorçé-
Qetv 16 @esgov si, rÓ BéAziow wal'ogEsgSar rijs. Enelvou cuvouTÉES
&QX4 Tis at) Wal ciov Spurogeu4a TOU GV T EQUTOS.
5€;
der Idáische Hercules als Tempeldiener (Camillus) der
Ceres verehrt; und dort scheint dasselbe Idiisch-Sa-
mothracische System herrschend gewesen zu seyn,
wie hier in Elis. Hier gestaltet es sich so :
1) Anuñrne — Demeter Gôttin - Mutter.
2) Ilepoemorn — Pereephone! — Tochter.
3) 'HeaxAMic ’Ldaïoç (Maçaordrns)) Ministranten
4) "Ego jener
5) ‘Artéoos ; Gôttinnen.
Aber noch eine andere Seite des:Samothracischen Sy-
stems zeigt uns Plinius (H. N. XXXVI. 4. 7. pag. 727.)
vom Scopas. Er drückt sich so aus: Scopae laus cum
his certat. Is fecit Venerem et Pothon et Phad-
thontem, qui Samothrace sanctissimis religionibus co-
luntur. Also: Aphrodite, Phaëthon , Pothos. Die Ent-
wickelung dieser Ideen ist bereits oben (IL Th. pag. 332.)
angedeutet.
§. 5.
Amor und Psyche.
Ueberblicken wir nun den Mythus von Amor und
Psyche, in welchem die Liebe von zwei Personen ver-
schiedenen Geschlechts, wenigstens äufserlich, darge-
stellt wird. Die ausführlichere Erzählung beim Appu-
lejus würde uns hier zu weit führen. Ich wähle daher
die summarische Darstellung des Inhalts, wie ihn Ful-
gentius (Mythologicon IIl. 6. pag. 715 Staver.) giebt 45).
46) Die Quellen für die bekannte ausführliche Allegorie von
Amor und Psyche sind , aufser Fulgentius, A ppulejus
(im. zweiten Jahrhundert nach Christo) Metamorphos.
lib. IV. cap. 83. p. 300 Oudendorp. und lib. VI. cap. 125.
P- 429 Qudend. und Aristophontes aus Athen, von
ab
567
«Es lebten in einer gewissen Stadt ein König und'eine
Königin. Diese hatten drei Vöchter , zwei von müfsiger
Schünheit, die jüngste (Psyche) aber so vollendet schün,
dafs sie für die Venus'auf Erden galt (für Venus terre-
stris). Jene zwei sind bald verheirathet ; die dritte wagt
keiner zu lieben , sondern man zollt ihr Ehrfürcht, ja
Opfer. Die darüber erzürnte Venus befiehlt dém Cu-
pido, die Psyche deshalb bart zu züchtigen. ' Allein bei
ihrem Anblick verwandelt sich sein Zorn und Dienst-
eifer in Liebe gegen Psyche. Jezt folgt Apollo's Ora-
hel, Psyche soll wie zum Leichenzuge gerüstet auf einen
Berg geführt, und einer Schlange zur Braut überliefert
werden. Die Eltern vollbringen den harten Befehl des.
Gottes. Kaum haben sie die Tochter verlassen, so trägt
sie Zephyrus mit seinem sanften Hauche in ein goldenes
Haus, wo nur Stimmen ibr antworten, und wo unter
dem ausgesuchtesten Ueberflusse des Lebens ein unge-
sehener Gatte sich ihr in der Finsternifs zugesellt, um
sie vor Tages Anbruch jedesmal wieder zu verlassen.
Mittlerweile beweinen die Schwestern ihren Tod auf
desselben Berges Spitze. Dies rührt Psyche's zürtlichen.
Sinn, und trotz des Verbots ihres Gatten lüfst Psyche
sie dürch den Zephyr zu sich herunter holen. Nun ent-
steht der Neid der Schwestern über Psyche's góttliches
Glück. Sie gebenihr den verderblichen Rath , sie soll den
schlafenden Gatten (den vorgeblichen Drachen) tódten.
Nach dreimaligem Kommen und Gehen der Schwestern
folgt die Katastrophe, Die über die himmlische Schönheit
des schlafenden Amor erschrockene und erstaunte Psyche
erweckt den göttlichen Schläfer. durch. einen / Verschüt-
teten Tropfen des heifsen Oels.der Lampe. Amor flieht,
dem man vermuthet, dafs er spiter als Appulejus sey, in
seinen Büchern, Dysarestia bétitelt; s, Fulgenui Mytho-
log. IIl. p. 718 ed. Staver. in Mythogr. Latin.
5C.
«und unter Vorwürfen über die verderbliche Neu gier
der Psyche verlifst er Pallast und Gattin. Nun bemächtigt
sich Unruhe und Trostlosigkeit der Psyche. Aus Ver-
zweiflung will sie in den Flufs sich stürzen, Endlich giebt
sie sich an’s Wandern, und sucht ihn in allen Tempeln,
So kommt sie endlich in der Venus Pallast. Nun folgen
dreimalige Züchtigungen von der Göttin, drei Prüfungen
auf Erden, drei Versuchungen in der Unterwelt. Alle
besteht Psyche glücklich. Nur in der letzteren wäre sie
beinahe erlegen. Sie mufste zur Proserpina in die Un-
terwelt hinab, um von ihr eine Büchse zu holen, die
die Göttin. mit Schönheitssalbe gefüllt habe. Gegen das
Verbot öffnet Psyche auf dem Riickwege die Biichse.
Ein tödlicher Dampf dringt daraus hervor, und wirft
die Neugierige zu Boden. „Aber Amor erscheint. Mit.
leid und Liebe rühren ihn nochmals, Er berührt sie mit
seinem Pfeile, und bringt sie dadurch ins Leben zurück.
Venus ist nun auch versühnt. Auf Juppiters Geheis
wird Psyche unsterblich, und auf ewig mit Amor ihrem
Gatten verbunden. Eine festliche Hochzeit (i606 y&poc)
ist das Ende ihrer Leiden und der T'odestag ihrer neidi-
schen Schwestern, welche sich von einem Felsen herab-
stürzen ».
Zu einer andern nicht minder sinnigen Allegorie
führte den Griechen eine gewisse Namens- und Wort-
ühnlichheit. Er verband nämlich in einem Bilde Seele
(Jovy) und Schmetterling 47. Es nannten die Rho.
dier das Insect, das im Sommer Abends oder bei der
Nacht um das Licht herum schwürmt, und sich häufig
in der Flamme versengt, die Phaläne (% $àXaa.).
Eben dieses Thier aber hiefs bei den Griechen Psyche
47) S. Hesych. Vol. II. p. 1552 Alb. s. v. Vox» und dort die
Ausleger; Aristotel. H. A, V. 19. (Schneid, 17.) §. 1.
8
569
(Yvx# 48). Hier lag nun der Gedanke ganz nahe: Es
regt sich ein edler Trieb in diesem Vogel der Nacht —
er ist dem Lichte zugewandt; aber eben dieser Trieb
bringt dem Thiere auch den Untergang, indem er es in
den Flammentod stürzt. Die Haupe aber, die sich ver-
puppt, und aus dieser harten Hülle als Schmetterling
hervorgeht, ist ein feuchtes Thier; gerade wie die Seele,
die, einmal herabgesunken in die feuchte materielle Weit
und eingefangen in diesen sterblichen Leib, ihre Frei-
heit verloren hat. Endlich jedoch, weil das Leben nicht
ganz erstarrt ist, zersprengt sie die Schale von selbst,
und geht hervor in herrlicher Gestalt, mit Flügeln be-
kleidet, welche die Farben der Iris enthalten. Derherr-
liche Schmetterling macht sich Luft, und aus dem schwii-
len Körper gewinnt so die Seele freien Himmelsraum;
die Puppe, der träge Leib, bleibt zurück, nnd dieSeele
flüchtet sich in ihre lichterfiillte , herrliche Heimath 4).
48) Scholiast. Nicandri Theriac. vs. 760. pag. 108 Schneid. —
$ QdAaivá dcviv 9j rag HT WU — Qdrawa 88 “Po.
diey Eoriy Ovopma* oÜTw dp avrol Td wegl Tous AUyvoug TETOILEUCG
Syola waAoüct.
49) Ich lege hier die schóne Stelle des Plutarchus Symposs.
lI. 3. p.636. C. p.579 Wyttenb. zu Grunde: ws 8 nd pry
(eruca — zunáchst Spannraupe, derSpannenmesser , der
im Gehen sich krümmt) 'yivsra 7Ó mQürov, sira. éwraysioa,
did Encéryra xai TspigQayeica , Ersgov wrsewidy OC avis TY
xakoupév4y WU yy (so Xylander und Wyttenbach ; Andere
wv») medion, Hierher gehóren noch zwei Stellen des-
selben Plutarchus. Die eine in der Consolat. ad uxor.
p. 611. F. p. 465 Wyttenb. ist sehr verdorben und nach
Wyttenbach so zu lesen: ^ 98 (scil. Vuyey ) AnOSsiou pêv,
pévouca 88 Boayuv 82 TH owpare ygdveyv, érsuSspwSsica mà
wparTovwy Epyerar, vaddmep En wap wi Uypds wai palSanis
dvayarricaca wos 9 TéQurevs allein man mufs mit David
Jacob van Lennep lesen: $x «4p47*6: ,,die Seele ist
>» ZWar gefangen von dem Körper, bleibt aber nur kurze
570
Daher heifst Psyche (Qvyz) der Schmetterling, die fà.
chelnde Luft und die Seele.
Die Griechischen Dichter fafsten nun die sinnliche
Seite dieser Licbestheorie besonders auf, wie unter Án.
derm ein Fragment des Aleman beweiset. «Eros y singt
der Dichter, auf Hypris Geheifs, der siifse, ins Herz
sich senkend , beschwichtigt die Seele» 50), ^ Die Philo-
sophen ihrerseits, insbesondere die Stoiker , steliten den
Grundsatz auf: es sey des Weisen Pflicht, die Liebes-
kunde zu treiben 5). — Auch die Kunstwerke in den
ss Zeit in ihm; denn von den Göttern befreit , kehrt sie,
‚als ob sie sich von der feuchten und weichen R au pe
,, losreisse, zu ihrem Wesen zurück. ** So mufs auch die
Stelle im Fragment von der Secle, das Wyttenbach zu-
erst dem Plutarchus vindicirt hat, gelesen und verstanden
werden; s. pag. 133. ad calc. Plutarch. de S. N.V. und
Tom. V. part. 2. à, 724. Opp. Plur. ed. Wyttenb.: Auc
TOÍvUy TÓ TOÜ Sadie win, oU» Um «zv ouds udrw Horns pet
yvovav ( Wyttenbach vermuthet: Sscnvüvar oder cyus-
vat, Ostendere , significare) và pergilayóg, AN Evo Peçé-
pevoy el; Sedv- 0 85 wad Adyoy Eger xaJaTeçel VAMTYG TiVÈL,
dveions olov écdrrew vai dvassTsar (Wyttenbach verbessert :.
waddrsp &« wapwije Tivos &veions éfaïrrem wai dva9sly — anis
mam veluti e metae flexu remisso tanquam exsilire et
sursum eXcurrere) cv yvy», ATOTVÉOYTOL TOÙ CujzATOE
dyarvéouray airiy nai dyatugourav. (Hierzu vergleiche man
aufser Wyttenbachs Note die Stelle, die Plutarchus vor
Augen gehabt, Platon. Cratyl. p. 399. D. pag. 57 Heind.)
Nach Lennep aber mufs X áp T55 beibehalten, und auch
hier an die Raupe und den Schmetterling gedacht
werden.
50) Alcman beim Athenäus XIII. p. 600. (in Alemanis Fragmm.
nr. XXVI, XXVII. p. 45 sq. ed. Welcker):
"Egws pas &' are, Kuxçidos Enarı
VAVUUS varefBwy wapdias laivet.
51) o cóiQos éçaoSyoeru ; 8, van Linden de Panaelio p. 76 sq.
571
ältesten Tempeln Griechenlands geben uns hinreichende
Kunde dieses ganzen allegorischen Bilderhreises von
Amor und Psyche; und diese Denkmäler beweisen allein
schon, wenn ja darüber Zweifel statt finden könnte, dafs
diese Allegorie viel ilter als Appulejus ist. Um sich da-
von einen Begriff zu machen , darf man nur die Grie-
chische Anthologie lesen, man darf nur die Sammlungea
von Kunstwerken, besonders das Gebiet der so zahlrei-
chen und herrlichen Gemmen , durchgehen. Man ver-
gleiche aufser dem Vielen, was das Museum Florentinum
und Montfaucon in den Antiqq. expliq.. Vol. L. C. 3. 24.
o5. darbieten : Hirt im mythol. Bilderb. 11. 4. tab. XXX.
XXXI. XXXII. Millin Galerie mytholog. nr. 195 — 199.
vergl. nr. 342. 382. 383. Thorlacius in den Proluss. aca-
demm. Tom, I (nr. XX. Fabula de Psyche et Cupidine)
sect. Il. p. 341 — 358. und die hierher gehórigen Numern
in unserm Bilderhefte Tab. XXXVIL unten, Tab. LIIL
Tab. L. nr. 3. XLVIIIL nr. 1. (LI. nr. 5) und LVL nr. 3.
nebst der Erklärung p. 25 f. 27. °°).
$. 6.
Fortsetzung.
Hier würe nun der Ort, der verschiedenen Deutun-
gen zu gedenken , die diese tiefsinnige und unsterbliche
Allegorie bei den Alten und Neueren erfahren. Aber
da ich in diesem Buche nirgends ein Verzeichnifs frem-
der Meinungen beabsichtige , so wàáhle ich beispielsweise
drei Erklirungen aus, womit zugleich die Hauptrichtun-
52) Ich will hier nur mit einem Worte an die Deckengemilde
von Raphael erinnern im kleinen Saale des Pallastes Far-
nese in Rom: zwei viereckigte Hauptgemilde und vier
und zwanzig dreieckigte Nebenbilder, darstellend die Ver-
máhlung von Amor und Psyche.
972
gen bezeichnet sind, welche alte und neuere Mythologen ,
in diesem Gebiete verfolgt haben. Ich lasse darauf zum
Schlufs ineine eigenen Bemerkungen folgen, welghe nicht
den Anspruch machen, jeden Zug dieser unerschópf-
lichen Allegorie ins Licht zu setzen, sondern nur den
Weg zur Quelle der Idee andeuten , und den nr-
sprünglichen Totalsinn derselben in einem leich-
ten Umrifs bezeichnen sollen.
Merken wir zuerst auf die Ausdeutung des Fulgen-
tius a. a. O. «Die Stadt in diesem Mythus, sagt er, ist
die Mitte der Welt. Der König und die Königin: Gott
und die Materie. Die drei Töchter: das Fleisch, der
freie Wille, und der Geist (die Seele). Sie ist die jüngste
Schwester , weil der Geist (die Seele) erst in den fertig
geschaffenen Körper eingesenkt ward. Sie ist schöner,
weil sie hôher als der Eigenwille und edler als das Fleisch
ist. Ibre Neiderin ist Venus, d. h. die sinnliche Lust,
nnd sendet daher zu ihrem (der Seele) Verderben den
Cupido. Aber weil die Liebe (das Verlangen, cupidi:
tas) auf das. Gute und Bóse geht, so liebt die Begier (cu-
piditas) die Seele (animam) und vermischt sich mit ihr in
der Vereinigung. Amor will, sie soll seine Gestalt nicht
sehen, d. h. sie soll der Begierde Reizungen nicht ken-
nen lernen (wie Adam erst da sich nachend fühlte, als
er vom Baume der Begier die Frucht genossen) , sie soll
ihren Schwestern, dem Fleisch und dem Eigen willen,
nicht willfahren in ihrem Triebe der Neugier 53. Aber
sie folgt doch ihrem Rathe; sie zieht die Lampe unter
dem Scheffel hervor, d.h. sie náhrt die Flamme der Sehn-
sueht, die in ihrer Brust verborgen war, und liebt deren
Gegenstand, da sie ihn erblickt, brennt ihn aber durch
53) Aehnlich ist der Gegensatz von Basilius magn, ad Psalm.
44. p. 162. B. ed. Benedict. aufgefafst, wo es auch heifst :
der Prophet cJ 70 tif; 7 apuëg dvvaveïT ndddoc.
555
« die überfliefsende Lampe; d. h. alle Begier entbrennt in
demselben Maa(se , [als sie gehegt und geliebt wird , und
brennt ihrem Fleische die Sündennarbe ein. Folglich
wird die Seele nach Entblüfsung der Begier aus dem über-
schwenglichen Glück herausgestofsen, und in grofse Ge-
fahren verwichelt ».
Unter den Neuern vermuthet Thorlacius 55, das.
Ganze sey ein moralischer Mythus, der den Zweck
habe, die Gefahren der ehelichen Treue (besonders in
den Zeiten des entarteten Griechenlands) , aber zugleich
auch das Bild einer vielfach geprüften und endlich über
alle Gefahren segenden Treue darzustellen. Er gehöre
vermuthlich den Mysterien des Eros oder der Aphrodite
zu Thespiä oder Cnidus an. Im letzteren Falle müsse an
die 'Aggoditn yaposzdros, Teleaiyapos (Venus conju-
galis) gedacht werden. |
"Weit richtiger ist die Ansicht von Hirt (in den
Schriften der Berliner Akademie 1816.) : «Diese Fabel
ist eine Versinnlichung des Schicksals der menschlichen,
Seele. Die Seele, góttlichen Ursprungs, ist dahier im
Kerker (im Leibe) dem Irrthum unterworfen. Daher
stehen ihr Prüfungen und Lüuterungen bevor, um der
hóheren Ansicht der Dinge und der wahren Lust hier
und dort fühig zu werden. Zwei Eroten begegnen,
ihr: der irdische, der Verführer, der sie zum Irdischen
berabzieht; der himmlische, der ihren Blick zum Ur-
schönen und Göttlichen lenkt, der, über seinen Neben-
buhler siegend , die Seele als seine Braut heimführt ».-
| Ich will vorerst nur einige Winke geben, wie nach
meiner Ansicht die Erklärung der Allegorie von Amor
und Psyche zu erreichen wäre. Man denke an die Spuren
54) Prolusiones et Opuscc, Academm. I. p.339. p. 866 sqq.
p. 379 sq.
274
des Samothracischen (Cabirischen) und Orphi-
schen Ursprungs dieser Erotischen Mysterien, worauf
schon die Ceres Cabiria und der Hercules Idius (s:
oben) hinweisen, und besonders die Samothracische
Verbindung von Aphrodite, Phaéthon und Po-
thos (s. oben). Hier mufs nimlich ®aédor im Orphi-
schen Sinne gedacht werden, oder yz, wie er in den
Fragmm. Orphiec. nr. VIL: p. 464 sq. Herm. vorkommt;
ferner an den Orphischen IIpocoyóvog ( Hymn. VI. [5.]
und an den Orphischen Eros (Hymn. LVIII. [57.] vergl.
oben HII. Th. p. 295 und 296. Not. 6.) ; ingleichen an den
vermuthlih Or phischen Mythus bei Plato im Sympos.
(s. oben), von Eros und Venus Geburt, vom Poros
und Penia (vom xopos und xonouoovrr, Fülle und Be-
dürfnifs; s. oben), auch im kosmologischen Sinne.
Sodann neben dem Lichtbringer Phaéthon an den dem
Lichte zufliegenden Schmetterling (an die das Licht
der Erkenntnifs fürwitzig suchende Seele; s. oben)
und an die verbotene Wifsbegierde als Quelle des
Unheils — vermuthlich ein Ueberbleibsel alter Lehre,
wovon die Genesis in der Geschichte des Falls Kunde
giebt.
s Es liegen allerdings wohl der ganzen Allegorie von
Amor und Psyche die Begebenheiten einer mystischen
Ehe zu Grunde; es waren die Mysterien des Amor und
der Musen eheliche Weihen, wie denn überhaupt in
der Mysterienlehre die Ehe in einem sinnigeren und tief
geistigen Sinne aufgefafst war. Es war die Ehe betrachtet
als eine W eihe, unter dem unmittelbaren Schutze des
Zeus téMetoc und der Here tédera, den ersten Ehe-
gatten °5); und alle Ehecárimonien, alle Hochzeits-
$5) S. oben II. 'Th. pag. 515 f. 559 f. 592. Not. 239, und die
ebendascibst p. 516. eingedruckte Münze, die uns Juppi-
ter und Juno als Ehepaar und daneben Amor zeigt.
575
gebrüucbe bei Griechen, wie bei Römern, waren des-
halb mit Weihungen verbunden. So brachten dié
DBrautleute den beiden genannten Gottheiten, als Urhe-
bern aller Dinge, das erste Opfer (Diodor. Sicul, V.
73. p. 389 Wessel.) ; und die Cretenser ahmten die Ver.
mihlung dieses himmlischen Ehepaars mit allen .den Ge-
bräuchen , die man ans Tradition erhalten hatte, als
cine religiüse Festlichkeit scenisch nach (ebend. V, ea,
pag. 388.). So bringt auch zu Haliartus in Bóotien die
schüne Aristocléa vor ihrer Hochzeit an dem Brunnen
Cisscessa nach altväterlichem Brauch den Nymphen das
Opfer der Vorweihe 55)
Aber es hat die Griechische Priesterschaft und der
priesterliche Pythagoreerbund eine m ysterióse Leh-
re mit der Ehe symbolisch verbunden, und zwar die
Lehre von der Monas, der Einheit, als Mann, und von
der Dyas, der Zweiheit, als Weib. Diese Dyas aber
ist, wie Ursache der Zeugung und Entstehung , so auch
Ursache des Zwiespalts, des Mifsgeschicks, Unheils und
Unglüchs, weil sie die Einheit trennt ünd die Einigung
auflüset, und in diesem Zertheilen keine Gränze kennt.
S0 ist die Seele zwar auch eine Dyas, sie nähert sich
aus Antrieb ihres göttlichen Theils aber dem Einen (£y),
und läfst sich von ihm bestimmen ; wodurch sie Form
und. Gestalt (2005) annimmt 57). Ich fasse mich hier
kürzer, da ich diese Pythagoreischen Ideen von der
Monas und Dyas weiter unten 55) nüher zu beleuchten
und auszuführen gedenke.
46) Plutareh, Amator. narrat, p. 772. Vol.IV. p.97 Wyttenb.
— S 4 vôçy Kata Td TdT in di T4) Kwcéscoaay LAÂOUjAËYHY
nathan Tain NV NOUS TA TLOTEAs14 DSdcovsa.
57) S. Lustathius zur Odyss. X111. 53, p. 653. und den dort
augeführten Plutarchus ; vergl. Plotinus p. 456.
58) Vergl. Symbolik 1V, P. 5/9 ff. erst, Ausg.
576
Also eine Lehre von der gefallenen Seele zeigt
sich uns, unter der Form Pythagoreischer Zahlen-
theorie, und mit Nachweisung Persischer Quelle, —
Trennung(Entzweiung) und Vereinigung un-
ter der Allegorie von Verlieren und Wiederfin-
den'des Geliebten, unter den Bildern von myste-
rióser Ehe — ist der Inhalt vieler Poeme des Mor-
genlandes; welches überhaupt von jeher Gedichte my-
stischer Liebe besafs, insbesondere einiger Dichtungen
des lieblichen Hafiz und des erhabenen Mulawi °°),
Und selbst die Osmanen kennen diese Allegorien, und
legen sie in der höheren Auslegung vielen Bildern ihres
Horan unter. Dieselbe mystische Allegorie (Denk- und
Sprechart) ist der Vedantiphilosophie der Indier sehr
eigenthümlich. ^ Hiernach war es von jeher im Orient
hergebracht, das Verhültnifs zwischen Gott und dem
Menschen, die Trennung des letzteren von ersterem
(die Entzweiung) und die Wiedervereinigung mit
ihm unter dem Bilde von Braut und Bräutigam, die
jezt getrennt, jezt wieder vereinigt sind, .vorzustellen,
und diese Allegorie mit der gánzen Gluth der Phaptasie
oft mit den üppigsten Farben auszumalen. Ganz beson-
ders gehürt hierher die von Jones (a. a. O. p. 185 sqq.)
angeführte Dichtung Gitagovinda. Sie gehört in das
zehnte Buch des Bhagavat, welches Gedicht wieder zum,
59) Hafiz - Moulavi ; s. Jones on the mystical poetry of the
Persians and Hindus, Asiatick Researches Vol. 111. p. 165
— 178. Und àhnliche Lehrsáütze haben die Persischen
Sofis (Weise, Lehrer). Auf ganz ähnliche Grundsätze
sind viele ethische Vorschriften des Pend - Nameh ge-
baut, z. B./cap. XVII. pag. 60 ed. Silvestre de Sacy , wo
Gott allein als der Gegenstand würdiger Betrachtung vor-
gestellt, und die Creaturen mit nichtlichen Phantomen
verglichen werden; und besonders das Capitel LIl. p. 165.
von der Erkenntnifs Gottes und der Vereinigung mit ibm.
595
Mahabharata gehürt (Jones ebendas. p. 182. 193.). Der
Verfasser dieses idyllenartigen Poems Gitagovinda ist
Jagadéva, der vor dem Calidas geblühet haben ‘soll,
Die handelnden Hauptpersonen sind: 1) Krischnag
d. h. die Incarnation Gottes in der Eigenschaft der
Fürsorge (Erhaltung — Rettung) und Güte
(preservation and benevolence); 2) Radha, d.h. Aus-
söhnung (Einigung), Friedestiftung, Genug-
thuung (atonement, pacification or satisfaction),
aber allegorisch als Seele vorgestellt (Jones ebendas.
p.172). Jener ist Liebender, Verlobter; diese
ist Liebende, Verlobte (Braut). Der Inhalt des
Drama (der Fabel) ist folgender: Badha ist von
Krischna getrennt. Sie erinnert sich der Seeligkeit,
die sie empfunden hatte, als sie noch mit Krischna ver-
einigt war, Sie vernimmt von ihrer Gefährtin, Hrischna
befinde sich jezt im Umgange mit anderen weiblichen
Wesen. Furcht und Eifersucht bestürmen ihre Phanta-
sie, nicht minder die bestándige Erinnerung an die un-
vergleichliche Schünheit des Krischna. Die Freundin
trüstet sie, macht ihr Hoffnung, er werdeihr (der Radha)
hold und zugethan bleiben, und ermuntert sie, ihn selbst
aufzusuchen. Allein krank an Herz und Körper, wagt
Radha ein solches Unternehmen nicht. Aber eben da
sie im tiefsten Kummer versunken ist, kommt Krischna,
redet sie mit huldvollen Worten an, und das wieder ver-
einigte Paar lebt nun aufs neue im Vollgenufs der. ge-
genseitigen Liebe. Dies ist die Fabel. Das Stück selbst
ist reich an Dialogen, an Schilderungen der Schönheit
des Geliebten, an kühnen Bildern und Vergleichungen.
Am Ende des Stücks steht die Erinnerung: «Was in
àen Betrachtungen über Wischnu's Wesen
göttlich ist, das mögen weise und glücksee-
lige Leser aus diesen Gesängen lernen». —
In Bezug auf den Indischen Begriff vom himmlischen
111. +
^
23^"
578
Amor wird Folgendes von'Maurice (History of Hindostan
Tom. I. pag. 58.) bemerkt: « Es lehret uns das Indische
Buch Sastra, die Neigung (Affection) und Liebe, als
Person Cama genannt (Asiatick Hesearches Tom. I.
pag. 223.) , sey bei Gott von Ewigheit gewesen» ; wobei
denn Maurice ganz richtig an den himmlischen Eros
der Griechen erinnert. Derselbe Maurice (Ind. An-
tiqq. Vol. V. p. 1023 sq.) ist der Meinung, dafs die Al-
legorie der Griechen von Amor und Psyche Indischen
Ursprungs und ganz mysteriös sey.
Gehen wir nun den bemerkten Spuren nach, so will
es uns klärer werden, wie die Allegorie von Amor und
Psyche zu den Griechen gekommen seyn mag; nämlich
als eine Art von Persischer Weihe 60), durch Prie-
stercolonien nach Samothrace, Thracien und Böotien
verpflanzt (Cabirisch. Orphische Lehre); und was ihre
Grundlage seyn mag: Entzweiung und Einigung;
Abfallund Riickkehr. Nimlich Gott dieseelige
Einheit und Einigung in sich selbst; die Seele
(Welt-und Menschenseele) in Entzweiung mit
ihm , dem Quell alles Daseyns und Lebens; die Liebe
ist eine Offenbarung, als Eigenschaft und Per-
sonification Gottes. In dieser Eigenschaft,
als Liebe, zieht Gott die von ihm getrennte
Seele (und Welt und Menschheit) wieder an
sich, und vereinigt sie mit sich. Nun war Ce-
res als 'EXevo vy eben jene entzweite und wieder ver-
einigte Seele selbst ( vergl. unten IV. T'h. p. 585 erster
60) Man erinnere sich an Mitra (Mírgos ; Herodot. I. 131.)
als ‘AProdiry cuçavia (s. oben I. 'Th. pag. 731 f£.). Denn
in den Mithrasweihen wurden die Veründerungen der
menschlichen Seelen (av9gotiwv spvyiv) in vers
schiedenen Kórpern vorgestellt; Pallas ap. Porphyr. de
Abstin. Lib, IV. 8. 16. p. 351 Rhoer.
579
Ausg.) , und darauf mag sich ein Theil der Eleusinischen
Gebräuche bezogen haben. In Thespiá, wo. wir die Ce-
res Cabiria und velata finden , mógen die Mysterien des
Eros jenen Grundgedanken als ein Suchen und Wieder-
finden des himmlischen Amor vorgestellt haben. Die
Pythagoreer stellten dieselbe Idee nach ihrem Zahlen-
systeme dar, und gaben überhaupt, da sie die Würde
der Fräuen sicherten und im bürgerlichen Vereine
wie in religiösen Dingen anerkannten, der Ehe, der
ehelichen Liebe und dem häuslichen Leben einen
edleren Ton und ein seelenvolleres, geistigeres Wesen.
Die Aehnlichkeit jener Indischen Allegorie von Krischna
und Radha mit dem Hohenliede des Salomo hat
schon Jones 5!) angedeutet. Neuerlich aber hat ein
Deutscher Theolog und Sprachforscher diese Winke be-
nutzt und weiter verfolgt °°).
61) Asiat. Res. in der angeführten Abhandlung p. 172.
62) Canticum Canticorum illustratum ex Hierographia Orien-
talium Auctore J. H. Kistemaker Prof. Exeges. Mo-
naster. Monasterii 1818. $. T. p.28 sqq. $.15. p. 70 sq.
§. 16. p. 73 sqq. Es wird den Leser nicht gereuen , damit
zu vergleichen was Umbreit in seiner Einleitung zu
(Salomon's) Lied der Liebe, Góttingen 1820. beson-
fos p. 12 ff. über den Geist solcher Dichtungen bemerkt
at.
RR om -.9. = m ALL Se
Heidelberg, gedruckt bei Joseph Engelmann,
BW Carne AU8, U8í08 0e Os 0 D 0 a 65,8, CS
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