Gmnfljrincij der negotiomm gestio
und das
Eeclit der positiven Institute.
Eine Abwehr gegen E. Ruhstrat
und ein
Reformvorschlag für Lehrbücher und Gesetzbücher
Dr. jnr. August Sturm,
Fürstlich Rudolstädtischem Regierungs - Assessor und beurlaubtem Königlich
IlEISTA1, 1882.
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6696 Buchhandlung für Staats- und Rechtswissenschaft.
Das
Mprincij 4er negotiem gestio
und das
Recht der positiven Institute.
Eine Abwehr gegen E. Ruhstrat
und ein
Reformvorschlag für Lehrbücher und Gesetzbücher
von
Dr. jur. August Sturm,
Fürstlich Rudolstädtisehem Regierungs-Assessor und beurlaubtem Königlich
Preussischem Gerichts-Assessor.
PUTTKAMMER & MÜHLBRECHT
Buchhandlung für Staats- und Rechtswissenschaft.
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Meinem lieben Onkel
Professor Dr. ßeinhold Schottin
gewidmet.
Motto: Auge um Auge, Zahn um Zahnt
I.
Meine im Jahre 1878 erschienene Schrift: „Bas negotium
utiliter gestum“ hat durch einen auf diesem Gebiete vorzüglich
heimischen Kritiker, E. Ruhstrat, eine Verurtheilung erfahren,
über deren Schärfe ich mich nicht beschweren kann, da ich selbst
bei meiner Untersuchung zu einem gänzlichen Bruche mit den
gegnerischen Ansichten gelangt bin. Es sei mir in Folgendem
gestattet, den Angriff nicht nur abzuwehren, sondern meinerseits
anzugreifen!
Es handelt sich um einen Prinzipienstreit über die Frage
nach der Grundlage der negotiorum gestio, (cf. Windscheid,
Pandekten II. Bd. 5. Aufl. p. 626, Anm. 17.) Windscheid be
merkt hierüber: „Es herrscht über den Begriff des utiliter gestum
keine Uebereinstimmung der Meinungen. Zwar hat es nie ganz
verkannt werden können, dass bei der actio negotiorum gestorum
contrario, Rücksicht auf den präsumtiven Willen des Geschäfts
herrn genommen werden müsse; aber während eine Reihe von
Schriftstellern dieses subjective Moment (mehr oder minder) auch
zum entscheidenden Prinzip erhebt (Kritz, Chambon, Ruhstrat,
Dankwardt, Brinkmann, Köllner, Witte, Jacoby, von Monroy,
Ogonowsky, Sturm), betonen andere mehr das objective (Wächter,
Leist, Vangerow, Holzschuher), wobei sich dann freilich die
Nothwendigkeit herausstellt, die blosse Nützlichkeit als Grund der
negotiorum gestorum contrario nicht zuzulassen.
Diejenigen Schriftsteller, welche die Rücksicht auf den
präsumtiven Willen des Geschäftsherrn in den Vordergrund
stellen, streiten ferner darüber, in welcher Weise dieser Wille
zur Construction des Rechtsverhältnisses zu verwerthen sei.
Kritz fasst denselben als fingirtes Mandat auf, ebenso Dank
wardt; Chambon als fingirte Genehmigung; Witte als fingirtes
Mandat „oder vielmehr Ratihabition.“ Ruhstrats Auffassung ist
folgende: in der Uebereinstimmung des Willens des Geschäfts
herrn und des Geschäftsführers sei das materielle Substrat eines
i
2Vertrags gegeben; das Band, welches diesen beiden Willen zur
wirklichen vertragsmässigen Vereinigung fehle, supplire das
Recht durch eine Fiction. Ebenso Brinkmann. Einen wirk
lichen Vertrag nimmt an Ogonowsky. Bei der Uebereinstimmung
des Willens des Geschäftsherrn und Geschäftsführers (Willens
gemeinschaft) bleiben stehen Leist und von Monroy.1) Meiner
Ansicht nach sind alle diese Constructionen verfehlt, aber auch
unnöthig. Die actio negotiorum gestorum contraria repräsentirt
einen selbstständigen Rechtssatz, wie die actio negotiorum gesto
rum directa, und bedarf ebensowenig, wie diese, der Zurück
führung auf ein höheres Prinzip. So gut wie das Recht von der
einen Seite sagt: wer im Interesse eines Andern in dessen Ange
legenheiten glaubt eingreifen zu müssen, soll das ordentlich
thun — sagt es andererseits: wenn er eine Aufopferung mit dem
Willen macht, dass ihm das Aufgeopferte von dem Geschäfts
herrn solle ersetzt werden, so wird diesem Willen, obgleich der
selbe nur ein einseitiger ist, dann Statt gegeben, wenn diese
Aufopferung wirklich im Interesse des Geschäftsherrn lag. —
Gegen die erwähnten Constructionsversuche jetzt auch Sturm
unter Betonung, „dass der eigentliche Grund der actio negotiorum
gestorum contraria die Betrachtung sei, dass ohne dieselbe sich
Niemand unbesorgter fremder Angelegenheiten annehmen würde.“
Ich bin auch jetzt noch der Ansicht, dass alle diejenigen
Constructionen, welche eine Willensgemeinschaft oder Willens-
vereinigung zur Erklärung der Eigenthümlichkeiten des
Instituts der „Freiwilligen Besorgung fremder Angelegenheiten“
benutzen, principiell verfehlt sind. Dieselben müssen sämmt-
lich eine Fiction, ja eine doppelte Fiction zur Hilfe nehmen, sie
müssen den fehlenden — wenigstens sicher nicht ausgesprochenen,
daher für die Rechtswelt fehlenden — Willen des Geschäftsherrn
fmgiren und müssen dann das Band, welches dem Willen des
gestors und jenem fraglichen Willen des dominus zur vertrags
mässigen Vereinigung fehlt, durch eine weitere Fiction suppliren
Nun ist aber eine jede Fiction unfruchtbar, es lässt sich
aus ihr nichts construiren! Das Recht kann nie sagen, der
dominus haftet für das und das, weil ein Vertrag zwischen den
Parteien fingirt ist, die Wahrheit kann nicht aus einer Schein-
*) cf. Meine Zusammenstellung und Kritik der Ansichten p. 104—138,
V. Abschnitt §. 1—14.
3Wahrheit gefolgert werden. Nur aus einem wirklichen Ver
trage können Vertragsfolgen sich ergeben. Wohl hätte das
Gesetz yorschreiben können, die negotiorum gestio soll dieselben
Folgen haben wie das mcmdat, dann hätten jene Regeln auf
Grund dieser Vorschrift gegolten. Wohlweislich ist eine
solche Regel aber nicht erlassen. Die Theorie kann jene
Regeln nie aus einer Fiction ableiten, sie operirt sonst mit einem
falschen Obersatz.
Es ist für die gesammte Rechtswissenschaft hohe Zeit, dieses
Construiren aus Fictionen aufzugeben. Die positiven Institute,
die nicht auf dem Vertrags willen ruhen, erleiden durch dasselbe
eine ganz irrige und schiefe Auffassung.1)
Um dieselben richtig zu würdigen, kann man einen doppelten
Weg beschreiten. Entweder beruhigt man sich einfach dabei,
dass sie gegebene positive Institute sind; man sagt dann, der
gestor hat eine Klage ex lege, wie sie der tutor hat. Diesen Weg
hat Windscheid betreten.
Der zweite Weg führt zu dem hinter dem positiven Institut
stehenden höheren Princip. Während in ein Lehrbuch des
Pandektenrechts dasselbe übergehen kann, ist es für den Gesetz
geber des deutschen Reiches von der grössten Wichtigkeit. Die
Bedeutung des höheren Princips allein sagt ihm, ob und in wie
weit er das positive Institut beibehalten soll. Dazu kommt V
folgender Unterschied von den Verträgen. Ob ich in einen Ver
trag und seine Folgen mich einlassen will, hängt von meinem
freien Willen ab, die Folgen der positiven Institute (z. B.
ungerechtfertigte Bereicherung, Vormundschaft, Güterpflege, Ge
meinschaft, Beschädigung, Alimentationsverbindlichkeit, Testa-
mentsexecution etc. etc.) treten ohne oder wider den
Willen beider oder einer Partei ein, sie erfordern daher eine
sorgfältigere gesetzgeberische Durchführung, wenn sie nicht mit
störenden Härten den Verkehr hemmen sollen, denn während es
die Partei in ihrer Hand hat, das Vertragsrecbt zu modificiren,
J) So hat auch das „positive Institut“ der Testamentsexecutoren
eine durchaus falsche Auffassung durch das Construiren aus Fictionen erfahren.
Keine Theorie hat demselben so viel geschadet, wie die fictionenreiche Man
datstheorie. Meine Abhandlung „über die Testamentsexecutoren“ ruht eben
falls auf meiner neuen Theorie der „positiven Institute“. Sie ist früher ver
fasst als diese Abwehr, (cf. v. Iherings Jahrbücher, Decemberheft 1881.)
1*
4steht ihr das positive Institut als ein festes Bollwerk entgegen,
an dem ihr Einzelwille nicht zu rütteln vermag. Gesetzgeberische
Unklarheiten auf diesem Gebiete sind die Geburtsstätten zahl
loser vergeblicher Klagen und Appellationen, wie sich aus der
Preussischen Praxis leicht erweisen lässt.
Das Grundprincip der negotiorum gestio ist und bleibt nun
die „Utilitas absentium‘•, das Interesse sämmtlicher Geschäftsherrn
daran, dass ihre Angelegenheiten bei einer etwaigen Geschäfts
verhinderung nicht unerledigt bleiben: §. 1 J. III, 27 Idque
utilitatis causa receptum est, ne absentium, qui subita festinatione
coacti, nulli demandata negotiorum suorum administratione, peregre
profecti essent, desererentur negotia, quae sane nemo curaturus esset,
si de eo, quod quis impendisset, nullam habiturus esset actionem;
cf. ferner: 1. 1 D. h. t. III, 5. Hoc edictum necessarium est, quoniam
magna „utilitas absentium“ versatur, ne indefensi rerum
possessionem, aut venditionem patiantur, vel pignoris distractionem,
vel poenae committendae actionem, vel injuria rem suam amittant.
Dieses Interesse galt und gilt für jedes Culturleben, wenn
wir auch heutzutage, Dank dem Christenthum, den egoistischen,
heidnischen Satz streichen dürfen „quae sane nemo curaturus
esset“. Zum Theil sorgt für dieses Interesse die Vormundschaft
über Verschollene, mehr noch die Preussische wahre Vormund
schaft über Abwesende1), welche nicht warm genug zur
Aufnahme in das Reichscivilgesetzbuch empfohlen werden kann,
Daneben bliebe aber ohne die negotiorum gestio im Verkehrsleben
eine gewaltige Lücke.
Wenn nun die Gesetzgebung im Interesse aller verhinderten
Geschäftsherren es für nöthig hält, eine Klage demjenigen zu
geben, der sich ihrer Geschäfte annimmt, so darf sie im Interesse
der einzelnen Individualität die Utilitas absentis, das im In
teresse jedes einzelnen verhinderten Geschäftsherrn eingeführte
Schutzmittel der Freiheit des Individuums, nicht vergessen. Ich
will nicht mehr, wie früher, behaupten, dass sich die Ausdrücke
utilitas absentium und utilitas absentis ohne weiteres aus den
Römischen Stellen als die Grundsäulen des negotium utiliter gestum
nachweisen Hessen, ich behalte aber diese technischen Ausdrücke
neben dem Römischen rein technischen Ausdruck „sufficit
*) cf. Mein negotium ut, g. p. 53 f.
5utiliter negotium gestum“ (1. 2 D. h. t. 1. 12 D. §. 2 h. t.) als die
passendsten bei.
Unter der utilitas absentium verstehe ich nun die Forderung
des Rechts, dass der gestor unter Berücksichtigung aller äusseren
erkennbaren Umstände so handle, wie diesen Umständen nach
vermuthlich der Herr gehandelt haben würde (1. 4 D. 15, 3),
„nec debere ex eo onerari dominum, quod ipse facturus non esset“,
1. 43 D. h. t. „nisi si quid debitoris interfuit, eam pecuniam non
solvi“ und die Kardinalstelle der ganzen Lehre 1. 10 §. 1 D. 3, 5
„quid enim, si eam insulam fulsit, quam dominus quasi impar
sumtui, dereliquerit, vel quam sibi necessariam nonputavit? Oneravit-
dominum. — Non autem utiliter negotia gerit, qui rem non
necessariam, vel quae oneratura est patrem familias adgreditur“
Der Gestor soll die Individualität des Herrn erforschen und
schliessen, wie derselbe gehandelt haben würde.
Ich formulire daher die JNorm des negotium utiliter gestum
vom Standpunkte des Gesetzgebers aus dahin:
a) Wer freiwillig fremde Angelegenheiten in der Weise be
sorgt, wie er aus den äussern im Geschäftskreise des
Herrn vorliegenden erkennbaren Umständen billiger-
weise schliessen musste, dass sie der Herr besorgt
haben würde, wenn er nicht verhindert gewesen wäre,
hat Anspruch auf vollen Ersatz, sobald er das Geschäft
unternommen hat, selbst wenn er deren Besor
gung nicht zu Stande brachte. —
b) Andernfalls steht ihm ein Anspruch nur zu, wenn der
Herr seine Besorgung genehmigt, oder soweit der
Herr gegenwärtig durch dieselbe bereichert
worden ist.
Diese Sätze enthalten drei Klagen auf drei sehr verschie
denen Grundprincipien ruhend.
Die Klage im ersten Absatz stützt sich auf das „positive
Institut“ des „negotium utiliter coeptum“, die Klagen im zweiten
Absatz stützen sich auf den „Vertragswillen“ — denn auch
der Wille, der sich beiderseitig in der Genehmigung kreuzt, ist
ein solcher, — und auf das „positive Institut“ des Bereiche
rungsanspruchs.
Die im ersteren Absatz charakterisirte, von vorn herein
und trotz allem, das Menschenwerk zerstörenden Zufällen gültige,
daher vom Bereicherungsanspruch vollständig losgelöste Klage
6verlangt Verhinderung, oder Abwesenheit des Geschäfts
herrn. Dies folgt aus ihrem Grundprincip: 1. 1 D. h. t. hoc
edictum necessarium est, quoniam magna utilitas absentium versatur
(cf. auch 1. 11 D. h. t. 1. 19 D. h. t. §. 3 und §. 5). Die Ab
wesenheit ist hier in dem Sinne zu fassen, dass der dominus ver
hindert ist, auf seinen Geschäftskreis einwirken zu können.
Zur Begründung der Klage aus dem „positiven Institut“
muss ferner der gestor den Willen haben, von diesem Institut
Gebrauch machen zu wollen, dieser Wille muss dahin gehen:
Ich will als gestor für den Herrn handeln, d. h, ich will für
den Abwesenden eintreten, will mir aber dabei die Ersatzan
sprüche sichern, die das „positive Institut“ der negotium gestio
mir gewährt. Dies ist das Erforderniss des animus aliena negotia
gerendi. Daraus folgt: der gestor darf nicht die Absicht zu
schenken haben, er darf aber auch nicht in Folge einer
juristischen oder natürlichen Verbindlichkeit handeln.
Aus Vorstehendem erhellt, dass die beiden Erfordernisse
der absentia und des animus aliena negotia gerendi sich einfach
aus dem Grundprincipe herleiten; im Interesse aller Ab
wesenden ist das Institut gegeben, das unter Umständen dem
einzelnen Geschäftsherrn absolut nichts nützt, wenn der
Erfolg wieder verloren geht, daher muss der Herr verhindert
sein, es verlangt aber andererseits das „positive Institut“ auch,
dass der gestor mit vollem Bewusstsein, es gebrauchen zu wollen,
in dasselbe eintritt, wie ja auch der Vormund, der Concursver-
walter, der Testamentsvollstrecker mit den besonderen Intentionen
handeln, müssen.
Das sind die Hauptsätze meiner Construction, die näheren
Ausführungen sowie die Quellenbelege will ich an dieser Stelle
nicht wiederholen, sondern auf meine Abhandlung verweisen
(p. 1—66).
Indem ich mich nun zur Defensive wende, betone ich noch
mals, dass gerade der Umstand, dass Ruhstrat meinen Vorschlag
de lege ferenda für das Rcichsgesetzbuch angreift und die
praktische Durchführung desselben bestreitet, mich zu einer Ent
gegnung veranlassen musste, weil ich bei meiner Abhandlung
vorzüglich den Standpunkt des Gesetzgebers eingenommen habe,
und der Ansicht bin, dass nur bei der von mir vorgeschlagenen
Normirung gefährliche Eingriffe in die Willensfreiheit des Indi
viduums, von welcher das „positive Institut“ ein Stück im In-
7teresse Aller expropriirt, vermieden werden können. Ich ver
folge dabei den von Ruhstrat mit Recht eingeschlagenen Weg;
praktische Beispiele allein können zeigen, in wie weit der Buch
stabe des Gesetzes den Erfordernissen des alltäglichen Lehens
entspricht. Ich will daher die von meinem Gegner gewählten
praktischen Beispiele im Wesentlichen beibehalten.
II.
Ich will nun zur eigentlichen Abwehr übergehen, und die
Bedenken Ruhstrats zu widerlegen suchen, welche derselbe in
seiner Kritik in ,,der kritischen Vierteljahrsschrift für Gesetz
gebung und Rechtswissenschaft (Neue Folge, Band 2, der ganzen
Folge 21. Band p. 365 ff.)“ ausgesprochen hat. Ruhstrat setzt
folgenden Fall: Ein Landwirth ist auf längere Zeit verhindert,
seine Geschäfte zu besorgen. Eine Scheune desselben brennt ab,
und, da Niemand sich der Sache annimmt, beschliessst ein Nachbar,
dies zu thun, weil die Scheune nicht auf längere Zeit
ohne Schaden entbehrt werden kann. Er kann dies
Geschäft nicht besorgen, ohne eine Anleihe zu machen. Nun
weiss er zwar, dass der Geschäftsherr nur Geld leiht, wenn das
unvermeidlich ist, und dass derselbe bei dem Checkbureau
einer nahen Bank eine erhebliche Summe stehen hat, auf die er
jedem, der etwas von ihm zu fordern hat, schriftliche Anweisung
ertheilt, aber da der Gestor in Ermangelung einer Vollmacht
Anweisungen nicht ertheilen kann, so leiht er das nöthige Geld.
Das Geld geht durch Zufall verloren und der Herr weigert sich,
es zu erstatten.
Ruhstrat meint nun, nach der von mir vorgeschlagenen Norm
müsse der Herr Recht behalten, denn der Gestor hat seine ihm
bekannte Handlungsweise nicht befolgt. Das ist unrichtig; der
Gestor musste aus den äussern und erkennbaren Umständen im
Geschäftskreis des Herrn schliessen, dass jener die Scheune als
tüchtiger Oekonom bauen würde, er wusste ferner, dass der Herr
nur Geld leiht, wenn das unvermeidlich ist; dieser Umstand
musste ihn veranlassen, die Nothwendigkeit des Baues recht
streng zu prüfen, und anderntheils zu erwägen, ob nicht
etwa aus dem im Geschäftskreise vorhandenen, etwa von den
Angehörigen verwalteten Vermögen die Baukosten bestritten
werden könnten. Erweist sich aber der Bau als nothwendig und
8das Geldleihen als unvermeidlich, so liegt ein negotium utiliter
coeptum vor.
Ebensowenig vermag hieran die Modification des Falles zu
ändern, dass der Herr Credit hat und ein Baumeister ist, der
seine Bauten selbst zu leiten pflegt; sie muss den Gestor eben
falls nur anspornen zu erwägen, ob nicht die Reparatur so viel
Zeit hat, dass der Herr sie nach seiner Rückkehr selbst leiten
kann; wenn aber der Herr ein ebenso guter Oeconom als Bau
meister ist, wird diese Erwägung leicht dahin ausfallen, dass der
Gestor den wirthschaftlieh notliwendigen Bau von einem An
dern ausführen lässt.
Ich habe nirgend gesagt, dass der gestor in der Weise han
deln müsse, wie der Herr handeln würde, wenn er da wäre, oder
wenn er nicht verhindert wäre! Das lässt sich schon an und für
sich nicht constatiren, wäre aber auch, wie Ruhstrat bemerkt,
aus dem Grunde unpraktisch, weil der Gestor in vielen Ange
legenheiten deshalb nicht so handeln kann, wie der Herr han
deln würde, weil er genöthigt ist, in seinem Namen zu handeln.
Bei einer Kritik meiner Ansicht durfte nicht übersehen werden,
dass ich nur verlange, dass der Gestor aus äusseren im Ge
schäftskreise des Herrn vorliegenden Umständen
einen zu billigenden (also nicht gar zu streng zu kritisirenden)
Schluss auf die Handlungsweise des Herrn zieht und sich nach
diesem dann richtet. Jedes Haus, jeder Geschäftskreis hat seinen
eigenen Geist! Der menschliche Wille geht an den Dingen nicht
spurlos vorüber, er lässt Spuren zurück, aus denen man auf die
Eigenthümlichkeiten, auf den Charakter, auf die Liebhabereien,
„auf die Handlungsweise“, des Herrn schliessen kann.
So weit diese Spuren äusserlich und erkennbar sind, müssen
sie von Anderen, die ungerufen in unsern Geschäftskreis treten,
beachtet werden. Das fremde Individuum, welches sich meiner
Geschäfte annehmen will, soll meine Individualität nach Möglich
keit erforschen, und dann überlegen, wie ich wohl „bei den
obwaltenden Umständen“ handeln würde.
Zu den „obwaltenden Umständen“ gehört aber, wie ja doch
klar auf der Hand liegt, auch der Umstand, dass die Anweisung
auf das Checkbureau der Bank oder der Credit fehlt und dass
der Baumeister, der seine Bauten selbst leitet, der Herr, ab
wesend ist.
9Wollte aber ein Gestor die Erforschung der Individualität
gänzlich bei Seite lassen, etwa zu einer kleinen Reparatur, die
der Herr, weil er nicht gern Geld leiht und dergleichen Bauten
selbst leitet, obwohl er dies leicht erfahren kann, Geld leihen,
ohne durch eine grosse Nothlage der ökonomischen Verhältnisse
hierzu gedrängt zu werden, so wird sich der Herr mit Recht
weigern, das durch Zufall verlorene Geld zu erstatten!
Ich vermag deshalb nicht einzusehen, in wiefern es ein ver
fehlter Gesichtspunkt sein soll, die Verwaltung des im eignen
hi amen handelnden Gestors in Parallele des im eignen Namen
handelnden Herrn zu stellen.
Nimmermehr aber kann sie einer Verwaltung an die Seite
gestellt werden, die mit dem Willen des Herrn, aber im eignen
Namen des Verwalters erfolgt, mit der Verwaltung eines Man
datars. Es liegt durchaus kein Wille des Herrn, kein Vertrag
vor! — Das ist ja gewiss unbestreitbar, dass jeder gute Haus
vater, der weiss, dass er bald auf längere Zeit verhindert sein
wird, seine Geschäfte zu besorgen, einen Verwalter bestellt, dem
er gestattet, überall, wo er die Handlungsweise des Herrn nicht
mehr zu erforschen vermag, „wie ein guter Hausvater“ zu han
deln. Es ist auch richtig, dass es nicht anders steht, wenn dieser
Verwalter während der Verhinderung des Herrn stirbt und nun
Jemand freiwillig ganz so handelt, wie jener Verwalter handeln
müsste. Allein, eben deshalb, weil hier der Herr einen Ver
walter bestellt, liegt dieser Fall ganz anders, als wenn sein
Wille nicht ausgesprochen wäre! In der Auswahl der Person,
deren Kenntniss und Treue er vertraut, spricht er aus, in
welchem Geiste er nach den Vertragsgrundsätzen seinen
Kreis vertreten wissen will. Dieser „äussere und erkennbare
Umstand“ muss einen Gestor, der für den verhinderten Verwalter
eintritt, leiten.1)
urundlos ist die Befürchtung, dass der Gestor ein Geschäft
nicht angemessen besorgen könne, wenn er bei jedem Schritte
besorgt sein müsse, dass ihm die Ausgabe nicht ersetzt werde,
wenn ein Zufall sie erfolglos mache. Er soll ja nur bei jedem
*) Der Angriff auf Windscheid ist verfehlt, weil bei dem gewählten Bei
spiel ein Verwalter bestellt ist, der Herr also Handlungen gebilligt haben
würde, die er bei seinem Verwalter laut Vertragsrecht billigen musste.
10
Schritt die äussern Umstände prüfen und sich fragen, wie würde
der Herr handeln?
Ist diese Aufgabe etwa unlösbar?
Hierzu kommt, und das halte ich auch jetzt fest, dass
der Gestor, wenn er vermuthen darf, dass der Herr das Geschäft
im Allgemeinen übernommen haben würde, wenn ihm aber
bei ins Einzelne gehenden Geschäften dieses Hauptgeschäftes
die äusseren Umstände fehlen, welche ihn zu einem Schlüsse
führen könnten, die Sorgfalt eines guten Hausvaters anwenden
darf (1. 24, c. 4, 32; 1. 23. D. 50, 17).
Ich verstehe unter Hauptgeschäft nicht den technischen
Begriff, wie ihn Ruhstrat construirt (p. 368 loc. cit.), ich hätte
ebensogut einfach „Geschäft“ sagen können. Für jedes Ge
schäft und für jedes ins einzelne gehende Geschäft fordere ich die
von mir aufgestellte Norm. Es genügt für mich nicht, dass der
Herr den Bau eines Hauses gebilligt haben würde, ich verlange
auch bei der Ausführung des Baues eine genaue Erforschung der
im Geschäftskreis vorliegenden äusseren, erkennbaren Umstände.
Ist ein Haus niedergebrannt, während ein Gestor die Ver
waltung eines Landgutes übernahm, so darf er es nicht als „guter
Hausvater“ aufbauen, er muss fragen, ob es der Herr wol auf
bauen würde (Berücksichtigung der Geldlage des Herrn, der etwa
erkennbaren, besonderen Gewohnheiten, wie Abneigung gegen
Darlehn, eigne Leitung des Baues, überwiegendes Bedürfniss nach
den Wirthschaftsgrundsätzen des Herrn), er muss dann aber auch
fragen, wie es der Herr anfbauen würde (Stil des alten nieder
gebrannten Hauses, Berücksichtigung etwa ernst geäusserter Ab
sichten auf Aenderung), dann erst kann er bei der Ausführung
der einzelnen an sich im technischen Sinne nützlichen Geschäfte
die Sorgfalt eines guten Hausvaters befolgen, wenn ihn bei den
Einzelheiten keine Grundsätze des Herrn zu leiten vermögen.
Ich will z. B. den Fall setzen, dass das alte Haus abgebrannt
ist, und sich dabei herausgestellt hat, dass die Nebengebäude
gefährdet waren, weil keine massive Brandmauer vorhanden war.
Beim Neubau1) trifft der Gestor als guter Hausvater die Aenderung,
x) Hierbei will ich erwähnen, dass der Fall denn doch ganz anders liegen
würde, wenn der gestor eine neue Scheune bauen wollte. Hier bedarf es einer
engen Beziehung zum ganzen Geschäftskreis, in diesem Falle also
einer strengen Anforderung der ökonomischen Verhältnisse und des Systems
11
dass er eine massive Brandmauer baut. Dazu kann er ja gewiss
nicht speciell durch erkennbare äussere Umstände veranlasst
werden, die ihn auf eine vermuthliche Handlungsweise des Herrn
leiten könnten, er kann höchstens erkennen, dass der Herr ein
vorsichtiger und kluger Mann, „ein guter Hausvater“ ist. Dennoch
wird ihm der Richter auch den Ersatz der Auslagen für jene
Mauer zuerkennen.1)
Die von Ruhstrat verlangte Definition für „Hauptgeschäft“
kann hier nichts nützen, wenn sie überhaupt zu geben wäre.
Hier muss das Ermessen des Richters die Grenze ziehen.
Interessant ist es für mich gewesen, dass Ruhstrat hier eben
falls auf das Bedenken stösst, welches mir aufgestossen ist (p. 58 ff.
meiner Abhandlung) dass „Sorgfalt“ ebenfalls nur in einzelnen
kleinen Geschäften besteht. Ich will hierüber auf meine früheren
Bemerkungen und insbesondere auf lic. 3, 27 Inst. §. 1 i. f.
verweisen (p. 65 meiner Abhandlung).
Windscheid (p. 623 2. Band 5. Aufl. Anm. 5) hält meine
Behauptung, dass der Gestor diejenige Sorgfalt aufzuwenden habe,
welche der Herr vermuthlich angewendet haben würde, nicht für
richtig und glaubt nicht, dass dies durch die von mir dafür an
geführten Stellen 1. 13 §. 1 D. 22 1; 1. 11 D. h. t. bewiesen
werde. Er gesteht jedoch zu, dass der Gestor, obwohl er gegen
die Pflicht zur Sorgfalt auch dadurch verfehlen kann, dass ei
serne Thätigkeit nicht weit genug ausdehnt, namentlich Geld nicht
auf Zinsen ausleiht, doch hierbei entschuldigt sei, wenn er die
Art und Weise befolgt hat, in welcher der Herr selbst mit
seinem Vermögen umzugehen pflegt.
Hiermit ist meines Erachtens zugestanden, dass auch bei der
ins Einzelne gehenden Sorgfalt zunächst die Art und Weise, also
die Sorgfalt des Herrn, anzuwenden ist. Die Stellen 1. 13
§. 1, D. 22, 1 und 1. 11 D. h. t. will ich dabei weniger betonen,
als lib. 3, 27 Inst. §. 1 i. f. Zugestehen will ich auch, dass den
des Herrn, denn hier liegt keine erkennbare Willensäusserung yor, wie sie
die Existenz der alten abgebrannten Scheune ergab. Kuhstrat (p. 369 1. c.)
hat das Erforderniss falsch als einen „technischen Begriff“ aufgefasst.
5) Wäre die Errichtung jener Brandmauer ein Polizeigebot, so würde
nach dem Principe der erweiterten actio funeraria die Klage zu
gehen sein; cf. hierüber p. 151 meiner Abhandlung- und die Schlussbemerkung
dieses Aufsatzes.
12
Römern, welche die Geschäftsführungsklage im Allgemeinen
noch unter die Verträge zu stellen suchten, die Collision der
Durchschnittsregeln eines guten Hausvaters und der individuellen
Wirthschaftsgrundsätze des Herrn, welche eintreten muss, weil
jede Diligentia nur aus einzelnen Geschäften besteht, weniger
klar geworden sein mag; daran ist die Nichttrennung der posi
tiven Institute von den Verträgen schuld: „dolum tantum: depo-
situm et precarium, dolum et culpam mandatum, commodatum,
venditum,pignori acceptum, locatum, item dotis datio, tutelae>
negotia gesta: in Jiis quidam et diligentiam. (1. 23 D. 50, 17).
Mit Unrecht getadelt ist von meinem Gegner meine Auf
fassung des Verhältnisses der necessitas zum negotium utiliter
gestum. (p. 33 ff. meiner Abhandlung und Ruhstrat p. 369 1. c.).
Er meint, nach meiner Auffassung genüge es, dass das Geschäft
nützlich sei, wenn der Gestor zu der Schlussfolgerung gezwungen
werden musste, dass der Herr das nützliche Geschäft selbst vor
genommen haben würde; da ich andrerseits behauptet hätte, dass
der Gestor, wenn er über die Handlungsweise des Herrn nichts
erfahren habe, als dass er ein guter Hausvater sei, bei nützlichen
Geschäften die Hand aus dem Spiele lassen solle, so müsse man
annehmen, dass der Gestor sich zu jener Schlussfolgerung nie
allein durch solche Gründe bestimmen lassen dürfe, die jeden
guten Hausvater bestimmen würden, das Geschäft vorzunehmen.
Letzteres nehme ich an und meines Erachtens mit Recht!
Ich behaupte, dass mit objectiven allgemeinen Durch
schnittsregeln, welche die Handlungsweise und den im Ge
schäftskreise waltenden und erkennbaren Geist des Geschäftsherrn
ausser Auge lassen, nichts anzufangen ist (die Vertreter des ob
jectiven Moments sind übrigens jetzt bedeutend in der Minder
heit), es hilft hierbei auch nichts, wenn man die objective Nütz
lichkeit zur objectiven Nothwendigheit steigert (cf. Windscheid
p. 627 Anm. loc. cit.), denn auch darüber, ob eine Sache noth-
wendig ist, entscheidet bei unserm Institut die Intention
des Herrn (quid enim, si eam insulam fulsit, quem dominus
quasi impar sumtui dereliquerit, vel quam sibi ne-
cessariam non put avit?). Die Necessitas ergibt sich hier
nicht aus der Betrachtung der Dinge an sich und aus der
Erwägung, ob dieselben nach den Durchschnittsregeln eines
guten Hausvaters für den Geschäftskreis nothwendig er
scheinen, sie ist nichts anders als die Macht, welche die äusseren
13
im Geschäftskreise vorliegenden und erkennbaren Umstände auf
das Schlussvermögen des gestors in Bezug auf die vermutliche
Handlungsweise des Herrn ausüben. Die neg. gest. ist eine un-
gerufene Besorgung fremder Geschäfte, aber äussere Umstände
rufen den Gestor!
Ich verweise hier auf das Schema in meiner Abhandlung
p. 38 f. Man verlange vom Gestor nicht das Unmögliche, dass
er nur eintrete, wo der Herr gehandelt haben würde (subj. nec.),
man gestatte ihm aber auch nicht nach allgemeinen Massregeln
einzutreten (obj. nec.), man fordere einfach, dass seine Schluss
folgerung aus den Dritten, also auch dem Richter erkennbaren
Umständen auf die Handlungsweise des Herrn nach billigem Er
messen nothwendig war. Wenn ein Haus zerfällt, dessen Aufbau
nach dem Ermessen eines guten Hausvaters nothwendig erscheinen
muss, der Gestor aber erfahren kann, dass es der Herr zerfallen
lassen will (quasi impar sumtui dereliquerit), so hat er keine von
vornherein gültige Klage, wenn er diesen leicht zu er
forschenden individuellen Umstand aus dem Auge lässt und i
das Haus neu aufbaut. Wäre der Herr in dem Hause wohnen *
geblieben, und hätte nie seinen Willen an den Tag gelegt, es
zerfallen zu lassen, in seinem Innern aber diese verborgene (
Absicht gehegt, so würde dennoch die Schlussfolgerung des J
Gestors, zu der ihn die Nothwendigkeit drängte, zu billigen sein, *1
der das Wohnhaus reparirt. ^
Betrachten wir nun das Beispiel des Gegners. J
„In ungewöhnlich ungünstigen Jahren pflegen gute Land-
wirthe den Yiehstand, den sie seit langer Zeit zu halten gewohnt
waren, zu vermindern, während sie ihn in ungewöhnlich günstigen
Jahren vermehren.“ Diese allgemeine Durchschnittsregel für
einen guten Landwirth stellt Ruhstrat auf, und er muss sie auf
stellen, weil ihm sonst der Massstab für einen guten Oeconomen
fehlt. Er fährt fort: „Wenn nun ein so ungewöhnliches Jahr
eintritt, während der Herr im Innern von Afrika umherreist, so
handelt der Gestor nach unserer Auffassung im Sinne des Herrn,
wenn er dessen Handlungsweise aufgibt und wie jeder andere
gute Landwirth handelt, obgleich die Vermehrung des Viehbe
standes nur ein nützliches Geschäft ist.“ —
Es erhellt sofort, dass bei einem derartigen Verfahren
zweierlei sehr zweifelhaft bleiben muss; einmal die objective
_:
<2
s
14
Durchschnittsregel für gute Landwirthe. Man frage doch einmal
einen guten Landwirth, wie viele Wirthschaftsregeln seines be
nachbarten Grossgrundbesitzers, der vielleicht mit einem anderen
System ebensoviel erreicht, er als allgemein gültige gelten lässt!
Das mag der Nationalöconom entscheiden, ich erkläre mich für
incompetent. Ferner bleibt sehr zweifelhaft, ob denn das Ge
schäft ein nothwendiges, ein nützliches oder ein überflüssiges ist.
Ich gehe davon aus, dass ein Landwirth, der verreist, ohne einen
Verwalter zu bestellen, keinen Ersatz zu zahlen braucht, wenn
ein gefälliger Nachbar nur aus dem Grunde, weil ein
günstiges Jahr vorliegt, den Viehbestand vermehrt und Kühe etc.
kauft, die nun durch die Rinderpest verloren gehen, ehe der
Herr zurückkehrt. Er wurde aus den im Geschäftskreis des
Herrn vorliegenden Umständen nicht zu dem. Schlüsse gedrängt,
dass der Herr seinen Viehstand vermehren wollte; der Herr
wollte vielleicht das Futter verkaufen.1) Ein grosser Viehständ
ist nicht Jedermanns Liebhaberei! —
Ich bestreite ferner, dass im Römischen Rechte deutlich
genug ausgesprochen sei, dass nur der Gestor Aussicht auf volle
Entschädigung habe, welcher in einem Falle die fremde Ver
waltung übernimmt, wo es für den Herrn von Interesse ist, dass
Jemand für ihn verwaltet.
Es heisst im Römischen Rechte nur „sufficit, si utiliter gessit“,
das utiliter gerere aber ist ein rein technischer Begriff, den wir
nur aus der Gesammtheit der Stellen herauslesen und umschreiben
können, wie ich es mit vielen Andern versucht habe. Wie anders
wäre sonst eine fast erdrückende Literatur seit der Glossatoren-
zeit bis auf die jüngste Gegenwart über unser posisives Institut
möglich gewesen!
Ruhstrat benutzt nun dieses Interesse, abweichend von seiner
früheren Ansicht, in folgender Weise zur Construction: „Das
Interesse des Herrn tritt an die Stelle der Willenserklärung des
Herrn. Was beim Mandat die Willenserklärung leistet, das
leistet' bei der neg. gest. das Interesse. Die Obligation beruht
auf dem Willen des Geschäftsführers, sofern das Interesse des
b Ruhstrat meint, man könne aus der Handlungsweise des Herrn nicht
sicher auf das schliessen, was der Herr thun würde. Gewiss nicht! Aber
man kann aus äusseren, im Geschäftskreise des Hernn vorliegenden Umständen
billiger weise zu einem Schluss auf die vermuthliche Handlungsweise des
Herrn veranlasst werden. Letzteres allein fordert das Gesetz, (p. 369 loc. cit.)
15
Geschäftsherrn vorliegt, denn dieses ist der Grund, aus welchem
das Gesetz dem Gestor eine ähnliche rechtliche Stellung ein
räumt, wie dem Mandatar.“
Ich kann dieser Ansicht nur entgegensetzen, dass ich noch
immer nicht verstehe, wrie ein Interesse an Stelle der Willens
erklärung des Herrn treten kann. Zwei Gebiete sind im Civil-
recht streng zu trennen, und das werden die am meisten em
pfinden, die die grosse Aufgabe haben, unser Deutsches National
recht endlich zu codificiren, wie es schon längst hätte ge
schehen müssen, das Gebiet der Verträge und das Gebiet
der „positivenInstitute“, welche unabhängig von dem Vertrags
willen, welcher in seinem Kreise Recht schafft, in das Rechts
gebiet eingreifen. Es ist schon für den Pandektenlehrer mit
Fictionen nicht viel auszurichten; die Römer allerdings er
kannten die positiven Institute (Vormundschaft, Bereicherungs
klage, Schadensanspruch, neg. gestio etc.) theoretisch noch nicht
in ihrem eigensten Wesen, sie nahmen den Vertragswillen und
die leidige Quasi-Theorie zu Hilfe; dass die Institute von
diesen Irrthümern unabhängig den hoch über dem Vertrags
willen stehenden allgemeinen Wohle dienten, verdankt die
Römische Nation ihrem starken, wenn auch in der Theorie sich
nicht bewussten Rechtsgefühle. Die Deutsche Nation aber
wird mit der Fiction, mit der Unwahrheit völlig zu brechen
haben und ihre positiven Institute von dem Gesichtspunkte aus
construiren müssen, der der leitende ist, von dem Gesichtspunkte
der Fürsorge für das über dem individuellen Willen stehende
allgemeine Wohl, in unserem Falle von dem Gesichtspunkte der
ütilitas absentium aus, welcher in anderer Weise auch für
die Abwesenheitsvormundschaft massgebend ist. Ob
dieser Gesichtspunkt der falsche ist (cf. Ruhstrat loc. cit. 312),
mag die Praxis entscheiden.
Ich will hier noch ein Beispiel meines Gegners anführen, das
ebenfalls nicht gegen mich spricht! Der Herr ist auf einige
Monate abwesend, der Gestor weiss genau, wo er sich befindet,
und kann ihn jeden Augenblick fragen, unterlässt dies
aber, weil er es für eine unnöthige Weitläufigkeit hält,
da die Gebäude-Reparatur nothwenclig bald vorgenommen werden
muss und die Einwilligung als sicher angenommen werden kann.
Die Reparatur ist untadelhaft ausgeführt. Aber ein Orkan
macht Alles unbrauchbar, was der Gestor ausgeführt hat. Der
16
Herr will nicht bezahlen, weil er nicht gefragt worden ist.
Ruhstrat behauptet kühn, der Richter dürfe dem „Eigensinn“ des
Herrn nicht zu Hilfe kommen ! —
Ich nenne es nicht „Eigensinn“, wenn ich verlange, dass
mich Jemand, der mich fragen kann, erst fragt, ehe er sich
in meine Geschäfte mischt. Erscheint ihm das zu „weitläufig“,
so mag er die Folgen tragen. Der Fremde kann doch sicher
nicht wissen, was ich mit dem Gebäude vor habe, und so
lange er meinen Willen, der vielleicht dahin geht, nicht mehr
zu repariren, erfragen kann, hat er ihn eben zu erfragen. Zu
solchen absurden Resultaten führt die verderbliche Fictionstheorie,
mit der zu brechen es Zeit ist, wenn das codificirte Recht nicht
auf unwahrer Basis beruhen soll.
„Durch das Römische Recht hindurch über das Römische
Recht hinaus.“ x)
III.
Ich wende mich nun von der Defensive zur Offensive, gegen
die im Archiv für die Civilistische Praxis (64. Band 1. Heft) und
in den Jahrbüchern für Dogmatik (XIX. Band, 3. und 4. Heft),
jüngst erschienenen Abhandlungen meines Gegners über die
negotiorum gestio. Da in denselben zahlreiche und heftige An
griffe sich befinden, so ergibt sich für mich auch hier die Noth-
wendigkeit einer Vertheidigung, denn ich bin mir der Gewichtig
keit meines Gegners auf diesem Gebiete voll bewusst.
Die zuerst geschriebene Abhandlung ist der Beitrag im C. A.
„Ueber die Klagen auf Erstattung von Impensen und über generelle
Neg. gestio.u
Hier ist zunächst die Definition der nothwendigen Geschäfte
zu bekämpfen (f. 110 1. c.). „Nothwendige Geschäfte sind solche,
die der Gescbäftsherr wegen der Nothwendigkeit auch selber aus
geführt haben würde oder hätte ausführen müssen, um Schaden
von sich abzuwenden oder eine Pflicht zu erfüllen.“ Bei der Er
füllung derartiger Geschäfte soll im Augenblick ihrer Vollendung
ein utiliter gestum vorliegen.
0 Die kleineren Ausstellungen f. 373 loc. cit. werde ich seiner Zeit be
achten. Uebrigens ist es aber einem Kritiker nicht gestattet, zu behaupten,
dass sich noch andere „Versehen“ anführen Hessen, sie aber nicht hervorzu
heben, weil „es für den Leser von zu geringem Interesse“ sei. Das ist keine
Kampfweise mit offenem Visir!
17
Es erhellt sofort, dass diese objective Bestimmung der Noth-
Wendigkeit daran scheitert, dass sich die menschlichen Ansichten
über Nothwendigkeit und über Schaden, ja selbst über Pflichter
füllung nach subjectiven Ansichten des Einzelnen bestimmen, die
in den äussern erkennbaren Umständen im Geschäftskreise ihren
Wiederschein finden, dass aber objective Durchschnittsregeln un
möglich sind. Ich habe, gegen Ruhstrat, früher nachgewiesen,
dass die Römer allerdings bestimmt haben, dass der Gestor in
den Fällen, wo er ohne Noth eingegriffen, den nachträglich ein
getroffenen Zufall zu tragen habe. Die gesetzgeberischen Er
wägungen Ruhstrats aber sind vom modernen Standpunkt aus
eben so unhaltbar wie vom antiquen. Ruhstrat meint: ,,Die
Fälle; in denen Jemand fremde Geschäfte auf seine Kosten aus
führt, während der Eigner seine Angelegenheiten selbst verwaltet,
sind verhältnissmässig selten, denn jeder weiss recht gut, dass es
immer gewagt ist, sich, ohne dringende Veranlassung und ohne
Zustimmung des Eigners fremder Geschäfte anzunehmen. Auch
ist es in derartigen Fällen dem Eigner in der Regel nicht schwer,
dem unbefugten Eingreifen durch ein Verbot entgegen zu treten.“
Dem vermag ich durchaus nicht zuzustimmen. Den einen Ge
danken habe ich früher ebenso ausgesprochen, „die Welt hat
keinen Ueberfluss an gefälligen Nachbarn, wohl aber an unge
fälligen“ (cf. meine Abhandlung Seite 48, Anm. 1). Allein der
selbe ändert nichts an dem Bedürfniss, fremden Eindringlingen
das Betreten meines Geschäftskreises, in dem ich selbst schalte
und walte, zu wehren, zumal noch die Gefahr droht, eine Aus
gabe zu ersetzen, um die ich nicht einmal bereichert bin.
Es gibt ja auch Leute, die sich gern in andere Angelegenheiten
mischen, und gegen dergleichen „Hänse in allen Gassen“ muss
sich der Geschäftsherr rechtlich wahren können.
Die Schlusserwägung Ruhstrats aber sagt gar nichts, denn
verbietet der Herr nicht, weiss aber, dass ein Gestor eingetreten,
so liegt eventuell eine stillschweigende Genehmigung vor, und die
Grundlage des Anspruchs ist sofort das Vertragsrecht, nicht aber
das positive Institut. Der Fall aber, in welchem Jemand
auf Grund eines Vertragsverhältnisses in die Detention fremder
Vermögensgegenstände gelangt ist und nun nothwendige Im
pensen aufwendet, gehört in die Impensenlehre und nicht speciell
zu dem von mir behandelten Thema. Dass die Römer in solchen
I allen eine A usdehnung der ursprünglichen Contraktsklage zuliessen,
2
18
gebe ich zu. Allein die Stelle 1. 10 §. 1 D. 3, 5, welche ich mit Fug
und Recht die Cardinalstelle der ganzen Lehre genannt habe und
welche dies bleiben wird, bis wir endlich ein Deutsches Rechts
buch besitzen, setzt, wie ich ausführlich nachgewiesen habe, die
Verhinderung des Geschäftsherrn voraus. Ich meine denn
doch §. 1 J. 3, 27 und 1. 1 D. h. t. 3, 5 sprechen klar genug
aus, dass die n. g. wegen der utilitas absentium eingeführt
ist, und aus diesem Grunde ist eben in allen Stellen eine Ab
wesenheit oder mindestens eine Verhinderung anzunehmen!
Inwiefern diese Beweisführung „ungenügend“ sein soll (cf. Ruh
strat S. 113, loc. eit. und sein eignes Zugeständniss in Anm. 3 a
S. 113) vermag ich nicht einzusehen.
Ich hätte mit Interesse einer Anführung weiterer Stellen
entgegengesehen, wovon Ruhstrat leider Abstand genommen hat.
Vollständig einverstanden bin ich hingegen mit der treff
lichen Ausführung f. 124, dass die neg. gestio nicht auf die Be
reicherung, sondern nur auf das utüiter gestum gestützt werden
könne. Ich selbst habe mich früher wesentlich gerade gegen
diesen Irrthum gewandt.
Dagegen möchte ich den Satz, dass der Gestor immer nur
die Erstattung seiner Auslagen fordern könne und dass dazu nur
gerechnet werden könne quocl ei abest, nicht in der schroffen
Fassung Ruhstrats (f. 125), unterschreiben. Ein Arzt wird auf
dem Wege ins Theater, zu dem er ein Billet zu 5 Mk. gekauft
hat, Zeuge eines Unglücksfalles; er nimmt sich des Verunglückten
mit grosser Sorgfalt an, muss in Folge dessen aber das Theater
aufgeben. Er kann nach Ruhstrats Ansicht nur die für das
Theater verausgabten 5 Mk. in Anspruch nehmen. Denn im
Theater hätte er schwerlich etwas verdient und für den frei
willigen Verzicht auf den Theatergenuss kann er ausser den
5 Mk. nichts verlangen. Ich stimme Windscheid bei, dass der
Gestor einen Anspruch auf Ersatz desjenigen hat, was er aus
seinem Vermögen aufgeopfert hat.
Diese Aufopferung ist entschieden nicht so streng zu inter-
pretiren. Der Arzt wird meines Erachtens von dem Vater des
verunglückten Kindes das übliche Honorar in Anspruch
nehmen können, denn bei ihm ist die Zeit Geld, und er konnte
sehr wohl aus dem Theater gerufen werden und durch Kranken
besuche weit mehr verdienen.
19
Bei der Lehre vom generellen und speciellen gestor (S. 127)
verfällt Kuhstrat wieder in die Fictionentheorie. Er glaubt
irrig, die Gesetze gäben keine völlig unzweideutigen Regeln an
die Hand, und man müsse sieb zunächst nach den Grundsätzen
umseben, welche für das der freiwilligen Geschäftsführung sehr
ähnliche Institut der auf Grund eines Mandats erfolgenden
Geschäftsführung gelten. Ich habe schon früher gegen Ogonowski
ausführlich und energisch hervorgehoben, dass zwischen beiden
der sehr grosse Unterschied herrscht, dass die eine eine Geschäfts
führung mit Auftrag und die andere eine solche ohne Auf
trag ist. Es ist äusserst gefährlich, Sätze aus dem Vertrags
recht auf die davon grundverschiedenen und auf der ausgleichen
den, hoch über dem Einzelwillen stehenden Billigkeit beruhenden
positiven Institute anzuwenden.
Dieser alteingerostete Irrthum, an dem die schlecht theore-
tisirenden Römer, so praktisch sie waren, mit Schuld tragen, will
noch immer nicht aus der Deutschen Rechtslehre weichen.
Desswegen muss ich mich dagegen verwahren, dass Ruhstrat,
in dem Dunkel der Fictionen befangen, behauptet, es handle sich
bei meiner Ansicht nur um einen „Streit um Worte“. (S. 127,
Anm. 25 a dt. loc.). Es handelt sich um einen Streit um das
für die Reichsgesetzgebung wie für jede andere entscheidende
Grundprincip!
Ruhstrat denkt sich die neg. gest. irrig als zusammen
hängendes Geschäft, bei dem es nur darauf ankommt, ob der
Eintritt im Interesse des Herrn geschah. Sonst gelten die freien
Grundsätze des Mandats.
Ich will meine früheren Gründe hiergegen nicht wiederholen.
Wenn der beauftragte Verwalter stirbt (S. 129), so kann ein
eventueller Gestor eintreten und als Verwalter handeln, denn der
Wille ist erklärt, dass die freien Grundsätze der Verwaltung
gelten sollen, durch die Ernennung des ersten Verwalters. Wenn
aber der Herr rasch abreist, ohne einen Verwalter zu ernennen,
so fragt es sich denn doch sehr, ob eine freie Verwaltung im
Interesse des Herrn liegt, oder ob hier meine Grundzüge der
neg. gestio dem Herrn nicht mehr Zusagen. Dem Interesse der
Gesammtheit dienen sie allein. Nun und nimmer ist der Gestor,
welcher eine fremde Landwirthschaft verwaltet, befugt, b 1 o s
dem Grunde eine Handlung vorzunehmen, weil jeder gute
2*
aus
20
Hausvater sie vornehmen würde. Es bedarf hierzu der von mir
früher definirten Utilität (S. 130).
Mein Gegner macht mir den Vorwurf, ich hätte den Cardinal
punkt seiner Lehre übersehen, oder wenigstens ignorirt, — eines
wäre so schlimm wie das andere — dass es sich bei der negotiorum
gestio, der generellen wie der speciellen, immer nur um ein Ge
schäft, um das negotium rei administrandae handle, welches immer
nur ein Rechtsgeschäft, eine obligatio begründe (130). Ich habe
meines Erachtens diesen Vorwurf nicht verdient, will aber diesen
Punkt nochmals berühren. Vorher aber will ich auf Windscheid
§. 430, Anm. 21 und das dort angeführte Citat meiner Schrift S. 21
Note 1 verweisen. Ist letztere Note von Ruhstrat übersehen
worden? Anders könnte ich mir seinen Vorwurf nicht erklären.
Ruhstrat stützt sich darauf, dass gleich mit dem Beginn der
Verwaltung ein Obligationsverhältniss ins Leben getreten
sei, um sich bis zu deren Ende zu erstrecken, und aus diesem
fingirten Grunde folgert er (S. 131), dass der Gestor bei den ein
zelnen Handlungen nur als „guter Hausvater“ zu handeln brauche.
Wer, wie ich, die Fiction bekämpft, bekämpft auch jene nur aus
ihr allein gezogene Folgerung.
Das „positive Institut“ verlangt auch bei den einzelnen
Handlungen die Utilität, sowohl de lege lata als de lege ferenda!
Die Legitimation (S. 133) welche das Mandat ersetzen soll,
d. h. die Feststellung, dass der Herr die Uebernahme der Ver
waltung gebilligt haben würde, ist keine, denn sie ist unwahr, sie
ist fingirt! Es gibt keinen Quasimandatar! In dem
„quasi“ liegt nur das Zugeständniss, dass man in Römischer Zeit
die Natur des „positiven Institutes“ nicht erkannte.
Der Unterschied zwischen generellem und speciellem Gestor
ist unhaltbar! Ruhstrat meint, wenn ein Gestor in der Weise
alimentirt, dass er nur dann und wann Aufwendungen macht, so
müsse jedes einzelne Geschäft utiliter gestum sein. Wenn er aber
die ganze Alimentation besorge, so würde die Feststellung ge
nügen, dass der Herr die Uebernahme dieses einen Geschäftes
gebilligt haben würde (S. 134). Ich will jetzt zugeben, dass
diese Unterscheidung durch Vorlegung der Rechnung er
kennbar werden kann, subtil ist sie aber im höchsten Grade!
Die Praxis mag entscheiden, ob diese Theorie in der That prak
tisch ist. Und was ist ihr Resultat? Nach jener geforderten
Feststellung muss der Richter alle Ausgaben, die der bonus
21
pater fam., das ,,Mädchen für Alles“, macht, dem gestor zusprechen,
auch wenn ihr Nutzen nicht mehr vorhanden ist oder überhaupt
nie vorhanden war, von den im Geschäftskreise vorliegenden
äusseren Umständen, welche auf das subjective Belieben des
Herrn, das denn doch auch sein gutes Recht hat, schliessen
lassen, darf der gestor ruhig absehen. (Ruhstrat greift an dieser
Stelle auch die zubilligende Kritik von Wendt an, S. 135,)
Damit ist dem abwesenden Geschäftsherrn ein sehr schlechter
Dienst erwiesen! Gänzlich verkannt ist meine Anforderung, dass
objective Nothwendigkeit den gestor zum Schlüsse drängen müsse,
dass der Herr so und so handeln würde (S. 135). Ich verweise
hier auf die ausführliche Erörterung meiner Schrift S. 33 ff. und
besonders auf das Schema Seite 39.
Hier habe ich gesagt: Die objective Necessitas im engeren
Sinne, die Macht der äusseren im Geschäftskreis des dominus
erkennbaren Umstände, welche den gestor billigerweise zu einem
Schluss auf die vermuthliche • Handlungsweise des Herrn zu
zwingen vermag, umfasst die subjective necessitas, utilitas und
voluptas auf Seiten des Herrn, soweit dieselben aus den äusseren
Umständen erkennbar sind, und gibt von vornherein die Klage.
Damit kann die objective necessitas im weiteren Sinne, d. h. die
zwingende Macht der äusseren Umstände auf das menschliche
Schlussvermögen nach allgemeinen Durchschnitts
regeln übereinstimmen, sie braucht es aber nicht!
Daraus macht Ruhstrat den Vorwurf, dass ich auf die gerade
von mir bekämpfte Lehre von der objectiven Nothwendig
keit zurückkäme, die nur in die Impensenlehre gehört. Bei einer
Beachtung der obigen Definition muss er vielleicht zugeben, dass
auch nach meiner Definition aus nützlichen und überflüssigen
Geschäften nothwendige werden können (S. 135). Ich wiederhole,
wo diese objective Nothwendigkeit fehlt, mag der Gestor bei
nur nützlichen Geschäften und Vergnügungsausgäben die Hand
aus dem Spiele lassen!
Ich gehe nun zu den weiteren Beispielen über, mit denen
mich Ruhstrat mit einer gewissen Siegesgewissheit (ich citire nur
die etwas erregte Stelle S. 136) zu widerlegen glaubt.
1) Der Gestor findet, dass der Abwesende ein Thierarzt ist,
dessen Handlungsweise dahin geht, dass er seine Thiere selbst
curirt, wenn sie krank werden; Ruhstrat meint, nach meiner
Theorie dürfe er keinen andern Thierarzt zuziehen, weil das der
22
Handlungsweise des Herrn nicht entsprechen würde. Das
ist irrig!
Die Macht der äusseren erkennbaren Umstände besteht hier
in der Erkenntniss, dass die kranken Thiere geheilt werden
müssen. Der Herr würde sie selbst heilen. Tst er aber wie
hier verhindert, weil er nicht zu Haus ist (warum nimmt
Ruhstrat diesen Fall?) oder, was ganz dasselbe sein würde, weil
er krank zu Hause liegt, so würde er eben einen andern
Thierarzt zuziehen. Hier darf der Gestor nun aber nicht ohne
weiteres als „guter Hausvater“ handeln. Er hat sich umzuthun,
ob Zeit und Gelegenheit sich findet, zu erfragen, welchen
Thierarzt der Herr in solchen Fällen annimmt. Der beste Thier
arzt ist vielleicht für ihn der schlechteste College! Ist das nicht
erkundbar, so mag er den besten holen, denn die Noth der
Thiere drängt mit objectiver Nothwendigkeit zum Schluss! —
Wie aber, wenn ein Geschäftsfreund die Pferde eines nach
Italien verreisten Commerzienrath.es ausreitet, weil das den
Pferden nützlich ist, und der Diener das unterlässt? Wenn
der gute Freund aber Unglück hat und das Pferd stürzt und
stirbt? Soll ihm der Herr nun auch noch seine Auslagen für
Futter auf den Touren etc. etc. ersetzen, weil ein „guter Haus
vater“ seine Pferde ausreiten würde? Ruhstrat müsste das be
jahen, ich verneine es nach wie vor (cf. Seite 38 meiner Ab
handlung).
2) Ich komme zu dem zweiten mich niederschlagen sollenden
Beispiel. Der abwesende Dominus bezieht seine Waaren von ge
wissen Geschäftsfreunden. Da der Vorrath zu Ende geht, so
versucht der Gestor auf dieselbe Weise Waaren zu beziehen.
Allein die Geschäftsfreunde wollen nichts mit ihm zu thun haben.
Soll er andere Geschäftsverbindungen anknüpfen ? —
Ich möchte hierüber wohl das Urtheil eines praktischen
Kaufmanns hören. Heue Geschäftsverbindungen mit Fremden,
vielleicht gar mit Concurrenten, unter beleidigender oder minde
stens kränkender Aufgabe der alten Geschäftsbeziehungen —
überwiegt deren Vortheil den Vortheil des flotten Weiterbetriebs
mit einer gewissen Waare, deren Vorrath zu Ende geht? — Hier
drängen nach meiner Theorie die äusseren Umstände nur dann
zu einem Schlüsse, wenn der Herr länger verreist ist, so dass
eine Geschäftsstockung eintritt, wenn die fragliche Waare für
den Geschäftsbetrieb so nothwendig ist, dass die einstweilige
23
Aussetzung ihres Verkaufs dem Geschäft wesentlich schaden
würde, wenn endlich der Gestor ein befreundeter und ge
nügend kundiger Kaufmann ist, der die Intentionen des
Herrn versteht, sonst bleibt nur ein nützliches Geschäft übrig,
bei dem er die Hand aus dem Spiele lassen mag, wenn er das
Risiko nicht tragen will. Es wird sich wohl jeder Kaufmann
dafür bedanken, dass ein Fremder bei seiner Verhinderung ohne
weiteres nach den Anschauungen eines „guten Hausvaters“ seine
Geschäftsintentionen Umstürzen dürfte.
3) Der Gestor unternimmt es, an einem Gebäude des Ab
wesenden eine nothwendige Reparatur vorzunehmen, und leiht
zu dem Ende Geld, welches zufällig untergeht. Ruhstrat meint,
nach Windscheids Auffassung müsse festgestellt werden, dass
auch die Anleihe vom Dominus gebilligt sein würde. Nach
meiner Meinung sei das Geschäft utiliter coeptum, sobald das
Geld geliehen sei (S. 137). Hieraus ergebe sich, dass ich die
Anleihe als einen integrirenden Bestandtheil des Geschäfts der
Reparatur ansähe.
Ich habe das nirgends gesagt und bin hier ganz Windscheids
Meinung! Mein Beispiel im §. 1 meiner Abhandlung (lex. 10,
D. 3, 5), setzt ja voraus, dass das Geld im Hause des familien
losen Herrn, sowie dem Gestor selbst fehlt, dass der Riss
dem Hause den Einsturz droht etc., enthält also Gründe genug,
welche zu dem Schlüsse zwingen, dass der Herr in gleicher
Lage ebenso handeln würde, wie der Gestor. Auch der Angriff
S. 138 ist verfehlt. Ich habe nirgends einen technischen
Unterschied zwischen „Hauptgeschäften“ und „in Einzelne gehen
den“ Geschäften nach Ruhstrats Vorgänge gemacht, und werde
niemals die „gesammte Verwaltung“ als das „Hauptgeschäft“
ansehen (S. 138, Anm. 31 a), weil mich hierzu keine fingirte
Obligation nöthigt, wie es bei Ruhstrat der Fall ist.
In einem Punkte aber will ich jetzt meine Theorie modifi-
ziren, um ferneren Irrthümern entgegen zu treten. Ich habe in
allzu scrupulöser Consequenz behauptet, dass im Grunde der
Gestor die Sorgfalt aufwenden müsse, welche der Herr vermuthlich
angewendet haben würde. Das ergab sich aus meiner Erwägung,
dass eigentlich die diligentia in nichts anderem bestehe, als in
einzelnen kleinen Geschäften (S. 58 ff. meiner Abhandlung).
Diese Geschäfte der „diligentiadie bisher Niemand von
diesem „technischen Begriffe“ losgelöst hat, nenne ich „ins ein-
24
zelne gehende“ Geschäfte. Windscheid bezweifelt, dass obiger
Satz durch 1. 13, §. 1 D. de usur. 22, 1 und 1. 11 D. h. t.
bewiesen werde. Ich will das jetzt nicht mehr behaupten, und
schliesse mich der allgemeinen Ansicht an, dass der gestor die
Sorgfalt eines guten Hausvaters aufzuwenden habe (cf.
Windscheid B. 2, S. 623, Anm. 5). Uebrigens ist es Windscheid
ähnlich wie mir ergangen, denn auch er vermag die Geschäfte
der neg. gestio von den Geschäften der diligentia nicht streng zu
trennen und sagt (S. 624 loc. cit., Anm. 8 a), der gestor sei ent
schuldigt, wenn er die Art und Weise befolgt habe, in welcher
der Herr mit seinem Vermögen umzugehen pflege.
Eine weitergehende Behauptung habe auch ich nicht auf
stellen wollen, und finde mich daher im Grunde genommen mit
ihm in ziemlicher Uebereinstimmung.
4) Es sind lästige Schulden des Abwesenden zu bezahlen.
Der gestor ermittelt, dass der Herr sehr viel Geld in der Tasche
hat und dass seine Handlungsweise dahin geht, kein Geld zu
leihen, wenn er Geld genug hat. Ruhstrat meint, der gestor
könne ruhig das Geld leihen wie ein Mandatar, wenn sein Vor
rath nicht reiche, nach meiner Ansicht müsse er die Geschäfts
führung unterlassen.
Ich verstehe nicht, wie sich Ruhstrat den Fall denkt.
Wenn der Gestor weiss, dass der reisende Herr sehr viel Geld
in der Tasche hat, so kann und muss er meines Erachtens
auch an ihn schreiben, dass Schulden drängen. Ist er aber
nicht zu erreichen und die Zahlung ist in meinem Sinne objektiv
nothwendig, so kommt es nicht darauf an, ob der Herr Geld
hat, sondern ob in dem offen stehenden Geschäftskreise,
(Familie, Bureau, Unterbeamte etc.), Geld vorhanden ist und ob
der Gestor welches hat; ist dies nicht der Fall und drängt die
Nothwendigkeit, dann darf er sicher leihen.
Der Gestor ist in der Lage des Herrn und muss prüfen, was
der Herr in dieser Lage thun würde. Desshalb kann man
mich nicht damit widerlegen, dass man dem abwesenden
Herrn Verhältnisse zulegt, die der anwesende gestor nicht theilt.
Auf die Verhälsnisse im Geschäfts kreis kommt es an. Ich
replicire Ruhstrats Aeusserung (S. 139): Hiermit wird die Halt
losigkeit der fraglichen Ansicht genügend nachgewiesen sein.
Diese Replik gilt zugleich gegen die absprechende,
aber leider sehr wenig eingehende Kritik Krügers im
25
c. Archiv, B. 62, S. 206 ff., deren wohlgemeinten Schlusssatz ich
indessen gern acceptire.
Die weiteren Ausführungen S. 139 wiederholen nur Ruh-
strats frühere, und wie ich nachgewiesen habe, auf dem irrigen
Standpunkt der Fiction beruhende Theorie von der ,,einen
Obligation.“ Von meiner Seite bedürfen sie jetzt kaum einer
Widerlegung mehr. Die beiden Stellen 1. 15 und 16 D. 3, 5 be
weisen übrigens nichts. In der zweiten Stelle wird nach der
Römischen, falsch theoretisirenden Anschauung gleichsam
bildlich von „ums contractus“ gesprochen.
Dieses Bild ist aber für die Construction natürlich un
fruchtbar! Namen und Worte thun hier nichts zur Sache, son
dern allein Grundprincipe!
Ruhstrat sagt: wenn jede generelle neg. gestio eine Reihe
zusammenhangsloser Geschäfte ist, warum soll dann der Pupill
wegen der nach Eintritt der Mündigkeit vorgenommenen Ge
schäfte nur auf die Bereicherung in Anspruch genommen werden?
(S. 142.) Die 1. 15 cit. ist eine seiner Hauptstützen. Auch sie
beruht auf Römischer aber theoretisch falscher An
schauung der quasiobligatio. Ich meinestheils sehe allerdings
nicht ein, weshalb Jemand, dessen Geschäfte begonnen wurden
als er Pupill war, aber bis ins späte Alter fortgeführt worden
sind, weil er so lange in der Provinz Afrika lebte, für die
späteren Geschäfte nur auf die Bereicherung in Anspruch ge
nommen werden soll, und mag die Ansicht der Stelle de lege
ferenda nicht billigen!
Ohne Bedeutung ist der Angriff, dass in Ansehung der nach
einem etwaigen Eintritt einer Geisteskrankheit vorgenommenen
Aufopferungen man nicht von einer Befolgung der Handlungs
weise des Herrn sprechen könne. Aber in diesem Falle ist über
haupt die freie Verwaltung eines Vormundes am Platze!
Dieser kann dann als „guter Hausvater“ verwalten, denn das
subjective geistige Interesse des Herrn ist erloschen.
Demnach trete ich nach wie vor der wieder auftauchenden
Ansicht (S. 145), dass der Gestor, welcher nothwendige Verwen
dungen als „guter Hausvater“ macht, Ersatz beanspruchen
könne, ohne dass auf die Verhinderung des Herrn etwas
ankomme (S. 145), auf das entschiedenste entgegen. Den
quasicontraktliche Pflicht (S. 146) gibt es nicht und wird
geben!
26
IV.
In der zuletzt geschriebenen Abhandlung: „Ueber die actio
negotiorum gestorum directa“, in den Jahrbüchern für Dogmatik,
XIX. Band, 3. und 4. Heft, Seite 254 ff., vertritt Ruhstrat seinen
von dem meinigen total verschiedenen Standpunkt noch ener
gischer. Er spricht es offen aus, dass die dem Interesse des
Herrn entsprechende Uebernahme der Geschäftsführung die
Grundlage sei, dass die Uebernahme gleichsam der Contract
sei, durch den der Gestor sich freiwillig verpflichtet, die
Verwaltung zu führen. „Was er von nun an thut, ist Contracts-
erftillung.“ (S. 303.)
Nach meiner Idee ist es das Interesse sämmtlicher ver
hinderter Geschäftsherren (utilitas absentium), welche den Staat
zur Errichtung des „positiven Instituts“ der neg. gestio führt,
ähnlich wie er hierdurch zur Abwesenheitscuratel geführt wurde.
Die neg. gestio steht nicht neben dem Mandat, sondern neben
der Vormundschaft über Abwesende! Der einzelne Dpminus,
dessen Gestor baut, aber das Unglück hat durch das Spiel des
Zufalls umsonst gebaut zu haben, — Feuersbrunst, Verlust des
Darlehns etc. etc. — hat von der negotiorum gestio eventuell
keinen Vortheil und kein Interesse daran.
Die „Uebernahme“ ist kein Eintreten in einen Contract,
sondern ein Eintritt in das „positive Institut“, sie ent
spricht der Bestallung als Abwesenheitsvormund, wenn einmal
Vergleiche hier unbedingt gezogen werden sollen, welche freilich
alle hinken, Was der Gestor von nun an thut, ist nicht Con-
tractserfüllung, und darum darf er nicht ohne weiteres als
„guter Hausvater“ handeln; sondern es ist Erfüllung einer
allgemeinen aber freiwillig übernommenen Staatsbürgerpflicht,
zu der er sich durch den Eintritt in das „positive Institut“ ver
pflichtete, welches die Gesetzgebung unabhängig vom Vertrags
recht wegen der „utilitas absentium“ geschaffen hat. Er
verpflichtet sich ähnlich wie der bestallte Abwesenheitsvormund.
Deshalb muss er den Anordnungen dieser Gesetzgebung folgen,
und muss bei jedem Schritt die objective Nothwendigkeit
seiner Schlussfolgerung auf „die Handlungsweise des Herrn in
gleicher Lage“ sorgsam erwägen, denn nur diese ist das
Bollwerk der subjectiven Freiheit gegen fremde Eindringlinge!
Es erhellt sofort, dass der wesentliche Unterschied zwischen der
Denkweise Ruhstrats und der meinigen darin liegt, dass Letzterer
im Einzelnen den „guten Hausvater“ erwägen lässt, während ich
den Gestor weit mehr im Interesse des einzelnen Dominus,
der eventuell von dem Institut gar keinen Nutzen hat und
nur Auslagen zahlt, durch die verlangte Schlussfolgerung ein
enge, und zur sorgsamen Erforschung der Individualität des
Herrn aus den „äusseren im Geschäftskreise vorliegenden Um
ständen“ ansporne.
Das ist aber nach dem heutigen Standpunkt der Controverse
wohl die brennendste Frage der ganzen, schwierigen Lehre.
Deshalb habe ich die beiden Ansichten einmal gegenüber gestellt.
Vielleicht entscheidet ein berufener, unparteiischer Dritter, wer
Recht hat?
Ich will nun, der besseren Uebersicht halber, wieder im
engen Anschlüsse an die Ausführungen meines streitbaren Gegners,
noch einige Einzelpunkte, in denen wir divergiren oder trotz
aller Verschiedenheit der Grundlagen übereinstimmen, in Kürze
berühren.
Ruhstrat betont wiederum, dass die ganze Verwaltung von
den Gesetzen als ein Gesammtgeschäft behandelt werde (S. 255).
Daran ist nur so viel wahr, dass die ganze Verwaltung die
Erfüllung der einen Pflicht ist, welche aus dem Eintritt in das
„positive Institut“ entspringt; irrig ist aber, dem Gestor als
Quasimandatar (S. 255) deshalb volle Freiheit der Bewegung
nach allgemeinen Erfahrungsregeln im Geschäftskreise zu ge
statten.
Der Schriftsteller, welcher den Anschluss an das Mandat
am consequentesten verfochten hat, bei dem aber auch die Irr-
thiimer der Lehre deshalb am grellsten hervortreten, Ogo-
nowsky, hat dennoch die volle Billigung Ruhstrats nicht zu
finden vermocht (S. 257 Anm. 1).
Ferner ist der Umstand, ob der Herr die einzelne Handlung
gebilligt haben würde, durchaus nicht „unberechenbar“ (S. 259),
und deshalb wird von dem Gestor durchaus nichts Unmögliches
verlangt. Wie der Herr handeln würde, kann Niemand wissen,
denn der Herr kann als Abwesender oder Verhinderter nicht
befragt werden.
Wohl aber kann jeder Dritte „berechnen“, wie der Gestor
nach den erkennbaren vorliegenden äusseren Umständen auf die
Handlungsweise des Herrn in gleicher Lage billiger weise
28
schliessen musste. Mit diesem Schlüsse ist das Bollwerk der
individuellen Freiheit gewahrt.
Ich will ferner von meinem Standpunkt aus die 1. 17, §. 3,
D. 13, 6 betrachten.
Vt accidit in eo, qui absentis negotia gerere imhoavit;
neque enim impune peritura deseret, succepisset enim for-
tassis alius si is non coepis sei. Voluntatis est enim
suscipere mandatmn, necessitatis consummare.
Die Verquickung mit dem Vertrags recht seitens
der Römischen schlechten Theoretiker und guten Praktiker gebe
ich zu (S. 261 cit. loc.). Aber der Grund ist kein Vertrag, son
dern utilitas absentium („absentis negotia“); necessitatis est — con-
summare“ ist auch für die negotiorum gestio gewiss richtig, aber
die necessitas folgt aus dem „positiven Institut“, d. h. un
mittelbar aus dem positiven, im Interesse der Allgemein
heit aufgestellten Rechtssatz, und nicht aus dem Vertragsrecht.
Die rcitio legis des Paulus, dass sich vielleicht ein anderer
Gestor gefunden, hätte, wenn jener erste nicht eingetreten wäre,
wird von Ruhstrat nicht genügend gewürdigt.
Aus ihr aber gerade erhellt, dass der praktische Paulus doch
als Theoretiker nicht den Muth hatte, die ratio im Quasi
mandat zu suchen, wo sie unsere Neueren finden, sondern
dass ihm die Natur des „positiven Institutes“ vorschwehte;
wie bei der Abwesenheitscuratel, die den Römern fremd war, die
Obrigkeit den besten Vormund wählt, der das Handeln
Anderer ausschliesst, so schliesst hier der eintretende
Gestor den Eintritt Anderer aus, und muss desshalb sich
den strengen Bestimmungen des Instituts fügen, gleich als
wenn er dazu obrigkeitlich, oder nach Römischer Denkweise,
contraktlich verpflichtet wäre. Demnach ist die Bemerkung
des Paulus durchaus nicht ohne tieferen Sinn.
Auch die Stelle 1. 6 §. 12 D. h. t. vermag meine Auffassung
nicht zu erschüttern (S. 265).
Die Worte: alius ad haec non accessit et si vir diligens
(quod ab eo exigimus) etiam ea gesturus fuit“ ergibt nicht, dass
nach den Grundsätzen eines guten Hausvaters zu ermessen sei,
welche Einzelgeschäfte vorzunehmen sind. Sie setzt unter dem
dominus einen fleissigen Mann (vir diligens, quod ab eo
exigimus) voraus im speciellen Falle. Uebrigens ist die Unter
scheidung unhaltbar, nach welcher die Grundsätze des guten
Hausvaters nur innerhalb des wirklich übernommenen
Geschäftskreises walten sollen, nicht aber in Anschauung
des Umfangs der Verwaltung.
Denn wenn der Gestor nach den Grundsätzen des guten
Hausvaters ermessen soll, welche Einzelgeschäfte innerhalb des
Geschäftskreises vorzunehmen sind, so bestimmt sich ja nach
denselben Grundsätzen der Umfang des Kreises. Anders vermag
ich Euhstrats Ansicht nicht zu deuten, die ich nicht nur „eifrig be
stritten habe“ (S. 206), sondern noch eifriger jetzt bestreite.
Es mag möglich sein, dass die Aufgabe des Gestors und des
Richters viel klarer ist, wenn schliesslich alles auf die Grundsätze
eines „guten Hausvaters“ ankommt (S. 271), aber dann fällt das
Bollwerk der individuellen Freiheit des dominus, und jeder „gute
Hausvater“ kann seine Geschäfte nach objectiven Durchschnitts-
massregeln führen, die nach der Complicirtheit des heu
tigen Verkehrs oft weit weniger dem Individuum, und gerade
dem begabten Individuum, Zusagen, als im alten Rom.
Die beiden Beispiele aber, welche Ruhstrat anführt (S. 271),
enthalten Trugschlüsse. Der abwesende dominus bestellt einen
Generalmandatar, spricht also aus, dass nach den Grund
sätzen des Mandats — zu denen die ausgewählte Persönlichkeit
des Mandatars noch weiteren Aufschluss gibt — verwaltet werden
soll. Deshalb, wegen des ausgesprochenen Willens, kann an
Stelle des Mandatars ein Gestor eintreten. Irrig ist ferner, dass
der Gestor durch einen Mandatar verwalten könne. Er kann nur
Jemandem den Auftrag als Mandatar geben, nach den Grund
sätzen der negotiorum gestio für ihn als Gestor zu handeln.
Daher kann man daraus nie den Schluss mit Ruhstrat ziehen,
dass er wie ein Mandatar auch selbst handeln dürfte!
Ich will an dieser Stelle bemerken, dass ich die bestrittene
1. 22 c. h. t. mit Krüger für eine lex fugitiva halte, die sich auf
eine Vertragsobligation bezogen hat, jede andere Erklärung, auch
meine eigene, erscheint mir jetzt zu gekünstelt.
In der Auslegung der 1. 24 §. 2 D. de usuris (22, 1) stimme
ich mit Ruhstrat überein. „Die Römischen Juristen haben es
für gut befunden, eine Reihe von Bestimmungen zu geben, wie
der gestor das Capital des dominus anlegen solle.“ (S. 63 meiner
Abhandlung). Ebenso finden sich Regeln über die Mahnpflicht
(S. 64 m. Abh.) „Klagen kann der Gestor nicht, aber er muss
mahnen.“ Diese Mahnpflicht bezieht sich nicht bloss auf die-
30
jenigen Schuldner, welche durch einen Contract mit dem gestor
Schuldner erst wurden, sie ist allgemein! Sie erklärt sich
daraus, dass die Römer, denen die Abwesenheitscuratel
trotz ihrer vielfachen Abwesenheit im Felde, in der Provinz,
auf dem Landgute, fehlte, es für nöthig hielten, dem gestor
allgemeine Verwaltungsregeln in dieser Hinsicht zu geben.
Be lege ferenda lassen sich die Stellen bekämpfen.
Dagegen bin ich auch de lege ferenda wie de lege lata der
Ansicht Ruhstrats (S. 302), dass die Rechtsordnung kein festes
Genehmigungsrecht des Vertretenen geschaffen hat, und
nicht nöthig hat, eines zu schaffen, und dass sie keinen Grund
hat, den dritten Contrahenten und den Stellvertreter an ihr
Wort zu binden, so lange der Vertreter nicht gebunden ist.
Aus dem Begriff des positiven Instituts der neg. gestio, neben
dem das positive Institut eines „schwebenden Genehmi
gungsrechts“ nicht besteht, und unnöthig ist, ergibt sich
für mich der Satz, dass der Herr da, wo er nicht gezwungen
werden kann, zu genehmigen, auch kein „festes Genehmigungs
recht“ hat.
Der Angriff auf mich wegen meiner Aeusserung in Bezug
auf rein nützliche Geschäfte ist die Wiederholung eines
früheren Angriffs (S. 307), den ich oben abgewehrt habe. Ich
will mich meinerseits daher nicht ebenfalls wiederholen.
Y.
Ich komme nun, nach der Bekämpfung des in das Gebiet
auf das tiefste eindringenden Gegners, zur Aufstellung dessen,
was ich von vorn herein erstrebt habe, zur Aufstellung der gesetz
lichen Regeln für das posisive Institut de lege ferenda, welche ich
auf Römisch - praktis her, wenn auch nicht auf
Römisch - theoretis eher Basis nach meiner Theorie
construire.
„Das positive Institut der Geschäftsführung ohne Auftrag.“
§. 1. Wer freiwillig fremde Angelegenheiten besorgt, wie er aus
den äusseren, im Geschäftskreise des Herrn vorliegenden
und erkennbaren Umständen billigerweise schliessen musste,
dass sie der Herr besorgt haben würde, wTenn er nicht ver
hindert gewesen wäre, hat Anspruch auf vollen Ersatz, so-
bald er die Angelegenheit unternommen hat, selbst wenn
er deren Besorgung nicht zu Stande bringt.
§. 2. Andernfalls steht ihm nur ein Anspruch zu, wenn der Herr
seine Besorgung genehmigt oder soweit der Herr durch
dieselbe bereichert worden ist.
§. 3. Der Geschäftsführer hat die Sorgfalt eines guten Haus
vaters anzuwenden.
§. 3. Hat der Geschäftsführer eine dem Herrn obliegende, auf
öffentlichem Interesse beruhende oder auf Piet.ätsrücksichten
gegründete Verpflichtung in angemessener Weise für den
selben erfüllt, so ist er selbst dann zur Ersatzforderung be
rechtigt, wenn der Geschäftsherr ihm zu handeln verboten
hat (actio funeraria utilis).
§. 5. Ascendenten und Descendenten, Geschwister und Ehegatten,
welche einander alimentiren, haben die Vermuthung gegen
sich, dass sie nicht als Geschäftsführer, sondern in der Ab
sicht zu schenken handeln.
§. 6. Handlungsunfähige Geschäftsherrn sind nur in so weit zum
Ersatz verpflichtet, als sie bereichert sind.
§. 7. Bei längerer Abwesenheit oder Verhinderung des Geschäfts
herrn haben Ascendenten, Descendenten, Geschwister und
Ehegatten, falls kein gestor eintritt und die Geschäfte eine
umsichtige Verwaltung erfordern, die Pflicht, auf Bestallung
eines Abwesenheitsvormundes anzutragen.
§. 8. Der Geschäftsführer hat über die geführte Verwaltung
Rechnung zu legen und muss Alles, was in Folge der Ver
waltung an ihn gekommen ist, dem Herrn überlassen und
für jeden durch Verletzung seiner Pflicht entstandenen
Schaden vollen Ersatz leisten.
§. 9. Der Geschäftsherr muss dem Geschäftsführer alle Auslagen
und Aufopferungen erstatten, und ihn von allen Verbind
lichkeiten befreien.
§. 10. Wenn ohne die Dazwischenkunft des Geschäftsführers für
den Herrn Alles verloren gewesen wäre, so haftet der
Erstere nur wegen grober Nachlässigkeit.
§. 11. Handelt der Geschäftsführer nicht mit dem Willen, den
Herrn zum Ersatz zu verpflichten, sondern in der Absicht
zu schenken oder um eine auch nur natürliche Verbindlich
keit zu erfüllen, so fällt der Anspruch weg.
32
§, 12. Wenn ein Theilhaber in Betreff des gemeinschaftlichen Gegen
standes eine Handlung vornimmt, so gelten die Rechtssätze
von der Gemeinschaft. Handelt er aber zugleich mit für den
Antheil des Genossen, so gelten die obigen Bestimmungen.
Diese zwölf Sätze dürften die Lehre erschöpfen und die*
utilitas absentium wie die individuelle Freiheit des Ein
zelnen genügend würdigen.
Im Einzelnen ist für dieselben meine Abhandlung, insbe
sondere die Schlussbetrachtung derselben de lege ferenda, zu
vergleichen.
VI.
Schlussbemerkung.
Ich habe mich in der obigen Abwehr öfters des neuen Aus
drucks „positives Institut“ bedient. Derselbe bedarf einer Er
klärung, die in ihrer ganzen Vollständigkeit freilich erst eine
später erscheinende Abhandlung geben kann.
Ich schlage für Pandektenlehrbücher wie für Gesetzbücher
die folgende Eintheiluug vor:
I. A11 gemeiner Tliei 1:
Die Lehre vom Recht und von den Rechten.
II. Specieller Th eil:
a) Sachenrecht,
b) Vertragsrecht,
c) Recht der positiven Institute,
d) Familienrecht,
e) Erbrecht.
Hierin ist neu die besondere Klasse der „Rechte aus den
positiven Instituten“. Zu diesen rechne ich alle gesetzlichen
Forderungsrechte, deren Grund nicht unmittelbar eine Beziehung
zu einer Sache oder zu einem Willen ist (Sachenrecht, Ver
tragsrecht), sondern die eine ausgleichende Billigkeit oder Für
sorge für das allgemeine Interesse geschaffen hat. Es sind
Rechtsinstitute, weil sie den Complex der Rechte organisch
ordnen, es sind positive Institute, weil sie unabhängig vom
Vertragswillen eintreten, sobald das Individuum in gewisse Lebens
verhältnisse tritt.
33
Es gehören hierher alle sogenannten Quasi-Contracte. Der
Begriff des „quasi“ und das Hülfsmittel der Fiction ist dabei bei
Seite zu lassen, wenn es auch die Römer brauchten. Denn
diese sahen in ihrem starren Egoismus überall Ausflüsse des
Yertragswillens, wenn auch ihre Casuistik und Praxis un
bewusst positive Institute für das Gemeinwohl schuf, wie
die neg. gestio.
Das Familien- und Erbrecht scheidet seines Gegenstandes
wegen als besonders organisirter Theil aus. Dagegen ist
nicht abzusehen, warum nicht die Vormundschaft hierher
gerechnet werden soll, denn sie ist ein „positives Institut“ für
Handlungsunfähige etc., insbesondere grenzt das Gebiet der
neg. gestio und der Abwesenheitsvormundschaft nahe zusammen.
Ich habe das schon früher betont (Seite 51 ff.), will aber nach
den jüngsten drei heftigen Angriffen nochmals auf die Sache eingehen.
Da die negotiorum gestio Abwesenheit — daneben auch Ver
hinderung — voraussetzt und der utilitas absentium dient, so
ähnelt sie in ihrer ratio der Abwesenheitscuratel. Letztere ist
aber erst deutschrechtlich. Deshalb ist es begreiflich, dass
die vielfach abwesenden Römer sich gerade für die neg. gestio
interessirten, denn „wer sollte sich der Geschäfte an
nehmen, wenn nicht der gestor?u (1. 10 D. §, 1 III. 5).
Sie hätten daher wohl leicht darauf verfallen können, dem gestor
mit dem Eintritt eine freie Verwaltung nach Ruhstrats Ansicht
zu gestatten, sie haben es aber nicht gethan (1. 10 cit.), sondern
nur einzelne Regeln gegeben, wie z. B. die Schuldner zu mahnen,
im Uebrigen blieb die Lehre in der Praxis gewiss ein schwie
riges Gebiet.
Wir dagegen sind jetzt in der Lage eine deutschrechtliche
Abwesenheitsvormundschaft zu haben. Diese dürfte nach dem
Vorgänge Preussens, welches in der Macht und im Recht voran
schreitet, zu regeln sein, insbesondere wäre die Bestimmung zu
empfehlen, dass auch bei kürzerer Abwesenheit Abwesenheitsvor
mundschaft eintreten kann. Ich würde aber auch eine Anzeige -
pflicht vorschlagen.
Dann würde sich die Sache so gestalten: In kürzeren Ab
wesenheitsfällen und in Verhinderungsfällen tritt beliebig der
gestor ein, welcher dann aber nach den Regeln des „positiven
Instituts“ das Belieben des Herrn achten muss, so weit es
erkennbar ist, auch kraft des Instituts nicht beliebig ausscheiden
84
kann. — Bei längerer Abwesenheit und grosser Dringlichkeit,
wo kein geeigneter gestor in der Familie etc. sich findet, ist es
nicht mehr jedem Dritten überlassen, als gestor einzutreten,
sondern es existirt hier eine Anzeigepflicht und es wird ein
Vormund ernannt, der allerdings freie Verwaltung hat, aber
ausgewählt werden kann und der obrigkeitlichen Controle unter
liegt. Hierin liegt ein ganz andrer Schutz, als wenn man jedem
fremden gestor gestatten will, „als guter Hausvater“ zu ver
walten !
Die Fälle der Komischen Stellen, in welchen der gestor
Jahre lang verwaltet, Häuser baut etc. etc., würden de facto
unter das Vormundschaftsrecht fallen.
Mit diesem Vorschläge hoffe ich der Ansicht Ruhstrats etwas
näher gerückt zu sein.
Vorwort.
Die nachfolgende Abhandlung wagt es, die Methode, welche
ich bei der Bearbeitung der Negotiorum gestio und der Testaments-
executoren angewandt habe,1) auf alle positiven Institute
anzuwenden, und in Folge dessen für das gesammte Rechtssystem
eine neue Eintheilung und neue Behandlung vorzu
schlagen.
Ich bin mir des Wagnisses, welches hierin liegt, wohl be
wusst. Es handelt sich hier, wie Professor Windscheid früher
bei meiner Arbeit über das „Gewohnheitsrecht“2) gegen mich
äusserte, „um Begriffe, die einem wie Aale aus der Hand gleiten“,
und die gerade der Anfänger schwer wissenschaftlich fassen kann.
Denn die schwierigen Fragen, welche bei der Behandlung der
artiger Rechtsgebiete an den Juristen herantreten, sind weit mehr
rechtsphilosophische als rechtshistorische! —
Die nahende Codification unseres Deutschen Rechts fordert
aber, dass Jeder nach seinen Kräften daran mitwirke, wenn auch
seine Kraft schwach und noch wenig erprobt ist.------
A. Sturm.
J) Mein,, Negotium utiliter gestum“ und meine in „Iherings Vierteljahrs
schrift“ erschienene „Lehre von den Testamentsexecutoren“.
2) „Kampf des Gesetzes mit der Rechtsgewohnheit“.
Das
Recht der positiven Institute.
Ein Reformvorschlag
für die
Einteilung der Lehrbücher und Gesetzbücher.
§. 1.
Einleitung.
Bei den Vorarbeiten zu meinen beiden civilistischen Ab
handlungen über das negotium utiliter gestum und über die
Testamentsvollzieher, in welchen ich mit den Quasi-Vertrags
theorien und mit dem Construiren aus unwahren Fictionen
gänzlich gebrochen habe, begegnete ich der Frage, an welche
Stelle des Systems dergleichen Rechtsinstitute zu stellen seien,
nachdem ihnen das Vertragsrecht verschlossen worden?
Ich habe diese Frage dahin beantwortet, dass ihnen eine
besondere Stelle in den Lehrbüchern wie in den Gesetzbüchern
einzuräumen sei, und zwar unter der neuen Bezeichnung: ,,Recht
der positiven Institute“.
Dieser Vorschlag soll im Folgenden rechtlich begründet
werden.
§• 2.
Natur der positiven Institute.
Das Recht der positiven Institute gehört zu den For
derungsrechten, denn es hat zum Inhalte die Unterwerfung
fremden Willens, es gebietet, dass eine Person in gewisser Weise
handele. Ferner hat es die Unterwerfung dieses Willens zum
unmittelbaren Inhalt.
Hierdurch unterscheidet es sich von den dinglichen Rechten.
Zugleich folgt hieraus, dass zu seinem Begriffe eine ihm gegen
überstehende Verpflichtung gehört (cf. Windscheid II § 251).
Die Forderungsrechte entstehen nun nach der herrschenden
Theorie theils durch einseitige oder zweiseitige Rechtsgeschäfte,
theils durch Verträge. Ich füge als dritten Enstehungsgrund die
positiven Institute hinzu.
Windscheid (II §. 302) meint, die Obligationen entstünden
entweder durch Rechtsgeschäft oder durch richterliche Willens
erklärung, oder durch irgend eine andere Thatsache, an welche
40
das Recht die Entstehung eines Forderungsrechts anknüpfe.
Unter diesen Thatsachen seien hervorzuheben die Vergehen.
Eine Orientirung unter den Entstehungsgründen von Forderungs
rechten, welche nicht Rechtsgeschäfte und nicht Vergehen seien,
gewähre die Betrachtung, dass diese anderen Entstehungsgründe
entweder mehr nach der Seite der Rechtsgeschäfte oder mehr
nach der Seite der Vergehen lägen.
Diese Betrachtung mag an sich richtig sein, für die Con-
struction ist sie unproductiv, wie sie denn Windscheid auch nicht
weiter dazu benutzt. Ganz irrig aber ist das Verfahren der
Modernen, aus Quasi - Contracten und Quasi - Delicten diese In
stitute zu construiren.
Aus einer Fiction kann man nichts folgern, aus einem selbst
geschaffenen, unwahren Gebilde kann nicht die Wahrheit
erkannt werden!
Man stützt sich bei der Verfechtung dieses alteingerosteten
Irrthums auf Römische Stellen, insbesondere auf die Stellen:
1) 1. 1 pr. D. de 0. et A. 44, 7,
2) §. 2 J. de obl. 3, 13,
3) pr. J. de obl. quae quasi ex del. 4, 5,
4) pr. J. de obl. quae quasi ex contr. 3, 27.
In der That behaupten die Römer:
obligationes aut ex contractu sunt, aut quasi ex contractu,
aut ex maleücio, aut quasi ex maleficio,
in einer andern Stelle erkennen sie aber an, dass der Ausdruck
„quasi“ nichts weiter auf sich habe, als dass er eben ein Bild
sei, und dass diese Obligationen sich erklärten „ex variis cau-
sarum figuris“.
Ich muss indessen zugeben, dass selbst die gewiegten Juristen
der Römer das Bild zur Construction hier und da benutzt haben,
bestreite aber, dass sie die Folgen der Institute daraus zogen.
Diese Folgen zog das praktische Leben, die Theoretiker fanden
dann für dieselben eine falsche Erklärung.
Für die neg. gestio z. B. war die Erwägung Recht schaffend,
dass ,,ohne dieselbe sich gewiss Niemand fremder Geschäfte an
nehmen würde11, und eine Stelle hat offen ausgesprochen, dass
die utilitas absentium der schaffende und leitende Gedanke des
Instituts sei. Die Theorie erklärte aber daneben die Folgen
aus einem fingirten und unwahren Quasi-Mandat.
41
Den Römern schuf ihre Jurisprudenz ihr praktischer Sinn
in der Entscheidung der Fälle des alltäglichen Lebens, dieser
schuf auch die positiven Institute.
Bei der starken Betonung des Einzelwillens übersahen aber
dann die Theoretiker, dass die positiven Institute von der über
dem Willen der Einzelnen stehenden ausgleichenden Billigkeit
geschaffen waren, und sie versuchten es, wieder Alles auf den
Vertragswillen hinzuführen.
Unsere Jurisprudenz folgte den Römern, theils aus Buch
stabengläubigkeit an die Stellen des corpus juris, theils aber auch
aus dem Grunde, weil eine allzu subjective Philosophie Alles auf
den Einzelwillen und das Ich zurückführen wollte.
Der letzte Grund ist irrig, der erstere fällt nicht ins Ge
wicht, weil die theoretischen Erwägungen der praktischen
Römer nicht für uns massgebend sind, wenn wir ihre Rechtssätze
aus anderen wichtigeren Grundprincipien erklären können. x
Die Natur der positiven Institute ist nun im Einzelnen
folgende.
Die positiven Institute beruhen nicht. auf dem Einzelwillen,
auf dem Vertragswillen, sondern unmittelbar auf dem posi
tiven Rechte. Während sich z. B. das Rechtsgeschäft des
Kaufs darauf gründet, dass der Vertragswille vom Recht ge
schützt wird und deshalb seine Bestimmungen gelten, gründet
sich der Anspruch aus der ungerechtfertigten Bereicherung auf
keinen Einzelwillen, sondern unmittelbar auf das positive Gesetz.
Die Veranlassung zur Schaffung positiver Institute gibt die
Billigkeit. Diese Billigkeit ist kein vager Begriff; hinter ihr
stehen die triftigen Gründe des Gemeinwohls, der ausgleichenden
Gerechtigkeit, der Nächstenliebe, der Humanität. In diesen
Gründen liegt bei jedem einzelnen positiven Institut sein Grund-
princip, und aus diesem Grundprincipe, niemals aber aus einer
Fiction oder aus einem Quasi-Vertrage, leiten sich seine
rechtlichen Folgen ab, weil der ganze positive Aufbau auf diesem
Grundsteine ruht. Diese Grundprincipe sind so verschiedene, als
positive Institute vorhanden sind. Daher trifft der Ausdruck der
Römer: „obligationes ex variis causarum ftguris“ den Kern der
Lehre. Sie aufzufinden ist Sache der Theorie, um so mehr dann,
wenn eine Codification vor der Thür steht. Dann zeigt es sich
so recht, dass mit den Quasi-Theorieen, den Fictionen, der Un-
42
Wahrheit im Recht, für den Gesetzgeber gar nichts anzu
fangen ist, denn er wird stets fragen, warum soll ich einen
Vertrag fingiren und Vertragsfolgen eintreten lassen?
Man könnte mir einwenden, dass die Verträge wie das Recht
überhaupt auf Grundprincipien ruhen. Gewiss, doch ent
weder in erster Linie oder in zweiter Linie! Beim Ver
tragsrecht und beim Sachenrecht erst in zweiter Linie,
hier gilt zunächst der Einzelwille. Von dem Willen des Ein
zelnen hängt es ab, inwiefern er zu einem Contrahenten oder
zu einer Sache in rechtliche Beziehung treten will. Der Einzel
wille regelt im Verkehr die Folgen dieser Rechtsgeschäfte, seinen
Spuren hat der Gesetzgeber nachzugehen und die Lebensver
hältnisse zu Rechtsverhältnissen umzuschaffen.
Bei der Schöpfung positiver Institute verlässt ihn der Einzel
wille, wenn auch die gleichsam unbewussten Willenskundgebungen
der Gesammtheit, das Gewohnheitsrecht, ihm den Punkt zeigen,
an welchem er mit den Principien der Billigkeit einzusetzen und
dem unbewussten Rechtsgefühl mit dem bewussten Rechts-
verstande zu Hilfe zu kommen hat.
Aus Obigem erhellt, dass die positiven Institute den schwie
rigsten Theil der gesammten Rechtslehre für den Theoretiker
wie für den Gesetzgeber bilden müssen. Sie verlangen aber auch
den sorgfältigsten Ausbau durch die Codification.
§• 3.
Codification der positiven Institute.
Der grosse Streit darüber, ob unsere Zeit geeignet sei ein
codificirtes Recht zu schaffen, wird in der nächsten Zeit durch
Schöpfung des deutschen Reichscivilgesetzbuchs entschieden.
Die Aufgabe, welche dabei an die Rechtsgelehrten herantritt,
ist eine weit schwierigere, als die war, welche Justinian zu
überwinden hatte. Justinian herrschte in einem Reiche, in dem
es rechtlich nur Römer gab, er hatte ein Römisches National
recht zu codificiren und fand dieses Recht vorliegend in einer
Menge einzelner Entscheidungen und Rechtssätze, welche die
gelehrten Juristen in der Centralstadt Rom bereits aufgeschrieben
hatten. Das Recht der Hauptstadt war das Recht des Staates.
Unser Deutsches Nationalrecht hat sich in eine Menge
Stammesrechte zerklüftet, wenn auch durch den gemeinsamen
43
Ursprung und die gemeinsame Reception der fremden Rechte ein
grosser einheitlicher Zug durch dasselbe hindurch geht.
Dieser einheitliche Zug ist verstärkt worden durch die gemein
same treue Arbeit der Pandektenlehrer und der Lehrer des
Deutschen Privatrechts. Er hat in der neueren Zeit seinen
praktischen Ausdruck gefunden durch die Codification des
Preussischen Rechts, welche auf gemeinem Rechte ruhend eine
Einigung der Preussischen und der gemeinrechtlichen Praxis zur
Folge hatte, und durch unsere Deutschen Reichscivilgesetze (Han
delsrecht, Wechselrecht, Seerecht, Genossenschaftsrecht, Haft
pflicht etc. etc.).
Immerhin bleibt aber die Thatsache bestehen, dass wir uns
aus Stämmen zusammensetzen, wir sind alle Deutsche, aber
daneben haben wir ein Thüringisches, ein Sächsisches, ein Schwä
bisches, ein Bairisches, ein Preussisches Rechtsgefühl.
Wie wirkt nun diese „Natur der Sache“ auf das Recht ein?
Nicht so hindernd, wie es scheinen könnte!
Durch das ganze Verkehrsrecht der modernen Welt
geht der Zug des Kosmopolitismus. Den Weg, den das
Handelsrecht einschlägt, verfolgt das Mobiliarrecht, das Obliga
tionenrecht und auch das Immobiliarrecht, soweit es in den Ge
schäftsverkehr im Kauf und im Pfand eintritt. Dies zeigte
sich im Preussischen Rechte! Trotz der Verschiedenheit der
Stämme Preussens traten hinter dem Verkehrsrecht des
Landrechts die Provinzialrechte weit zurück. Schwierigkeiten
machte nur das Familien- und Erb-Recht. Die Vorgänge sind
bekannt.
Diese Schwierigkeiten würden entschieden auch im Deutschen
Reiche hervortreten, wenn das Gesetzbuch etwa versuchen sollte,
das Familienrecht und das Erbrecht einheitlich zu regeln.
Diese beiden Gebiete sind das Noli me tangere der Deutschen
Stämme. Wer sie verletzt, verletzt das innerste Rechts
gefühl des Volks und hebt die alte, gute Deutsche Stammes-
heimath auf. Vor allem sind das Eheliche Güterrecht
und die Erbfolgeordnung Rechtsinstitute, welche niemals
einheitlich geordnet werden dürfen, so lange es Stämme und
Nationen auf der Erde giebt. Für diese beiden Institute wird
sich auch der Traum eines Weltrechts nie verwirklichen. Und
meines Erachtens ist dies auch nicht zu beklagen. Dem unauf
haltsamen kosmopolitischen Zuge des mobilen Verkehrs-
44
lebens muss das Heimathsrecht der Familie und des
väterlichen Erbes zur Seite stehen! Fiele dieses, so er
hielten wir statt starker Nationen einen kosmopolitischen Yölker-
brei, und dieser wäre der Anfang vom Ende! Gerade die deutsche
Nation wird sich nie einem kosmopolitischen Schematismus
fügen.
Nach dieser nöthigen Vorerörterung kommen wir zu der
Frage:
Lassen sich die positiven Institute codificiren?
Die Antwort lautet: Gewiss, denn sie gehören zu dem Obli
gationenrecht und verlangen vor andern feste Normen.
Beim Kauf, bei der Miethe etc. kann man dem Vertrags
willen freien Spielraum lassen, ja bei einzelnen Verträgen, z. B.
beim landwirthschaftlichen Pachtverträge, lassen sich kaum ge
setzliche allgemeine Normen geben.
Ganz anders steht es bei den positiven Instituten. Diese
stehen nicht in der Gewalt des Einzelwillens, er kann sie nicht
regeln.1) Und doch greifen sie aufs Tiefste in das souveräne
Reich des Einzelwillens ein. Aus diesem Grunde fordern sie die
genaueste gesetzliche Normirung.
§• 4.
Die positiven Institute und das Gewohnheitsrecht.
Das Gewohnheitsrecht steht neben dem Gesetze als Rechts
quelle, es kann das Gesetz überwinden, wenn dieses schweigt,
denn aus der einen Quelle strömt das Recht so stark wie aus
der anderen.2)
Faktisch kann die Macht des Gewohnheitsrechts durch ein
verbietendes Gesetz zeitweilig eingeschränkt werden, wenn
die Gesetzgebung eine parlamentarische ist, und das Rechtsge
fühl des Volkes, statt in der Rechtsgewohnheit, im Gesetz seinen
Ausdruck findet.
D Die Stelle, wo bei der neg. gestio vom Vertragswillen die Rede ist,
ist eine lex fugitiva, die aus dem Vertragsrecht herübergekommen ist. Andern
falls scheitert jede Erklärung der 1. 22 C. h. t. Meine frühere Ansicht gebe
ich auf. (cf. Mein negotium utiliter gestum p. 63.)
2) Cf. meine Ansicht in der Schrift „der Kampf des Gesetzes mit der
Rechtsgewohnheit. ‘ ‘
45
Immer aber wirkt daneben die Rechtsgewohnheit recht-
schaffend in dem feineren Gewebe der Rechtsinstitute.
Indessen ist diese Schöpferkraft eine unbewusste,1) es fehlt
ihr die Logik und die Reflexion.
Deshalb ist das Gewohnheitsrecht unfruchtbar für die posi
tiven Institute, welche ein bewusstes scharfes Erfassen der An
forderungen der höheren Billigkeit und des allgemeinen Wohls
verlangen, wie es nur dem Gesetze eigen ist.
In Rom freilich war das Rechtsgefühl so stark, dass selbst
positive Institute durch Gewohnheit geschaffen wurden. Der
Entstehungsgeschichte dieser unbewussten Schöpfung nachzugehen,
ist aber sehr schwer, wie denn auch z. B. die Urgeschichte der
negotiorum gestio, die das deutsche Gewohnheitsrecht
gar nicht kannte, noch völlig im Dunkel liegt, und trotz
der geradezu erdrückenden Literatur vielleicht niemals aufge
hellt werden wird.
§. 5.
Der Organismus der positiven Institute.
Die positiven Institute sind organischer Natur, d. h. sie
bestehen nicht aus einer Reihe zusammenhangsloser Zweckbe
stimmungen, sondern enthalten organisch geordnete Regeln, sie
bilden einen lebendigen Rechtskörper, dessen Leben von der
leitenden Idee, die ich das „Grundprincip“ genannt habe,
ausgeht. Nur von dem Centrum ihres organischen Lebens aus
lassen sich ihre Functionen verstehen.
Wie alle Obligationen erzeugen sie sowohl Rechte als
Pflichten, was sie auf der einen Seite nehmen, das geben sie
auf der andern.
Einheitliche Regeln lassen sich nicht für sie aufstellen.
Denn jedes Institut ist nach seinem Grundprincip verschieden
organisirt.
Nur darin stimmen sie überein, dass sie unabhängig sind
von dem Yertragswillen und auf der ausgleichenden, höhern
Billigkeit beruhen.
*) Und deshalb keine „göttliche“ wie Stahl annahm. Die Zeiten der
Vergötterung des Gewohnheitsrechts sind vorüber. Wir leben im Zeitalter der
bewussten Codification jedes Rechts.
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§. 6.
Positive Institute im engeren und im weiteren Sinne.
Zu den positiven Instituten im weiteren .Sinne gehören
alle Rechtsbildungen, welche nicht auf dem Vertragswillen
ruhen, der in seinem Kreise ein besonderes Recht fort und
fort bildet.
Vor Allem gehört dazu das Familienrecht und das Erb
recht. Indessen sind diese beiden Gattungen durch die Eigen
tümlichkeit der Lebensverhältnisse, die sie regeln, so scharf
von andern Rechten abgegrenzt, dass es unbedingt nöthig ist, sie
in Wissenschaft und Gesetzgebung an besonderer Stelle im Zu
sammenhänge zu behandeln.
Dazu kommt, dass die positiven Institute als Verkehrsin-
stitute sich einheitlich für das Reich regeln lassen, während
Ehe und Erbe sich je nach den Stämmen verschieden gestaltet.
Die positiven Institute im engeren Sinne umfassen also das
Familien- und Erb-Recht nicht.
§• 7.
Die Stellung im System.
Die positiven Institute gehören hinter das Vertragsrecht.
Ihre Stellung muss im Lehrbuch wie im Gesetzbuch die
selbe sein.
Das Recht würde sich daher wie folgt eintheilen:
I. Allgemeiner Theil:
Das Recht und die Rechte.
II. Specieller Theil:
1) Sachenrecht,
2) Vertragsrecht,
3) Positive Institute,
4) Familienrecht,
5) Erbrecht.
Die Lehren des allgemeinen Theils gelten natürlich, soweit
sie nicht den Vertragswillen voraussetzen, für sie in gleicher
Weise wie für die andern Rechtsgattungen.
§. 8.
Die einzelnen positiven Institute.
Die positiven Institute umfassen folgende Forderungsrechte
1) Ungerechtfertigte Bereicherung,
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2) Negotiorum gestio,
3) Vormundschaft,
4) Güterpflege,
5) Amt,
6) Gemeinschaft und Grenzverwirrung,
7) Forderungen aus Vergehen (alle Beschädigungen),
8) Widerrechtliche Störung factischer Zustände,
9) Forderungsrecht aus den gesetzlichen Eigenthums
beschränkungen,
10) Pflicht zum Vorweisen,
11) Alimentationspflicht,
12) lex Bhodia de jactu,
13) die Testamentsexecutoren.
Diese Aufzählung ist indessen nicht abschliessend, es
entstehen beständig neue positive Institute. Ich will nur an
das Haftpflichtgesetz, das Wuchergesetz, die Institute des See
rechts, an das Concursrecht, erinnern. So oft ein neues Grund-
princip den Verkehr durchbricht und sich bewährt, schafft die
Gesetzgebung ein neues Institut.
Ich habe bisher die Grundprincipe der Negotiorum gestio und
der Testamentsexecutoren aufgesucht, und dieselben von diesem
Gesichtspunkte aus als organische Institute behandelt.
Schon jetzt ist es für mich klar, dass die Aufgabe der
Fictions- und Quasi-Theorie auch bei den andern positiven In
stituten zu richtigeren und praktischeren Resultaten führen muss.
Für jetzt drängte es mich nur, die Grundidee meiner Auf
fassung einmal offen klar zu legen.
FÜRSTLICH PRIV, HOFBUCHDRUCKEREI (V, MITZLAFF), RUDOLSTADT,
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