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ANTHROPOLOGIE ALS KRITIK
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INA-MARIA GREVERUS
NEUES ZEITALTER ODER VERKEHRTE WELT
INA-MARIA GREVERUS
NEUES ZEITALTER
ODER VERKEHRTE WELT
Anthropologie als Kritik
WISSENSCHAFTLICHE BUCHGESELLSCHAFT
DARMSTADT
Einbandgestaltung: Neil McBeath, Stuttgart.
Einbandbild: Silvan Greverus, Computer-Collage.
Schott Systeme, München.
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Tweioilsiile Coshichte
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adenstrale 3, Berlin, 1017
Po 1)
Bestellnummer 10987-2
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und Verarbeitung durch elektronische Systeme.
€ 1990 by Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt
Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Werkdruckpapier
Gesamtherstellung: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt
Printed in Germany
Schrift: Times, 9.5/11
INHALT
Vorwort: Anthropologie als Kritik VII
I. Anthropologische Wege . . . D.
1.1 Grenzüberschreitungen .
1.2. Auf den Spuren des New Age-Mythos e.
1.3 Umwege . . e. 2. I
1.4 Worte, Wórterund das Wort . . |. 39
2. Impressionen und Notizen zu einer verkehrten Welt 5]
2.] Wie Naturkatastrophen . . 51
2.2 ErkenneDeine Kräfte . . . 54
2.3 »Geist des Friedens« Ein Kongref spiritueller Frie-
denssucher . . . . . 57
2. Sinn und der Haushalt des Lebens . man 62
3.1 Über den Sinn der Produktion von Sinn. 62
3.2 Moloch Moderne und die Unterproduktion von Sinn 69
33 Gegenbilder . . . . 79
4. Wegbereiter des Neuen Zeitalters . . 90
4.] Die Sehnsucht nach dem ewigen Augenblick. Ro-
mantik und die amerikanischen Transzendentalisten 90
4.2 Amerikas spirituelles SendungsbewuDBtsein . . . 98
4.3 Spiritualität. Träume von Philobaten? . . . . 104
5. Unreife Gesellschaft und primáre Liebe . . 112
5.1 Die Suche nach der harmonischen Verschmelzung . 112
5.2 Gesellschaftliche Grundstôrung und der Bürger als
Kind. s. . d$
5.3 Zwischen Heimweltund Protest . „x . . 120
6. Spirituelle Ökologie .. . 125
6.1 Repolitisierung der Spiritualität? . . , 125
6.2 Persönliches Maß oder neue Kommunität? 132
6.3 Aber braucht der Mensch dafür Engel? . 136
: Spirituelle Sublimation der priméren Liebe 150
/.. Vom prápersonalen Schlummerzustand zum Ende
der Welt . 150
7.^ Kryptoerotische Variationen . 155
7. Das ozeanische Gefühl 160
: Imitatio der absoluten Wirklichkeit 166
&.1 Zwischen Wissenschaft und Offenbarung . 125
£.2 Allesistin Ordnung . 179
5 Die Hausgebundenen und die transpersonalen
Landstreicher . 173
t Charisma und Verwandlung 179
?.1 Charismatisches Klima und charismatischer ProzeB. — !79
7.2 Messianische Wehen und Erlôsung . . 127
! Cie ‘Helden’ des Neuen Zeitalters „a. «. 195
¢ Die radikale Verwandlung und die neuen signifikan-
ten Anderen . . . . 0. 202
«”. . Zwischen okkultem Jargon und gekonnter Collage . 210
I*1 Derokkulte Jargon 210
IC. Prinzip Collage . . 2.0
10.3 Gelebte Collage des Môglichen. Erfahrung und
Interpretation . . . . 234
ll. Offene Gedanken: Hoffnung oder Verkehrte Welt 264
Anmerkungen . 281
Bibliographie 307
Namenregister 327
VI
VORWORT: ANTHROPOLOGIE ALS KRITIK
Der aufklärerische Anspruch einer empirischen Kulturanthro-
pologie galt und gilt der Erfahrung und Interpretation der Ein-
heit der Menschheit in der Vielfalt ihrer kulturellen Gestaltungs-
formen. Trotz dieses umfassenden Erkenntniszieles verharrte sie
als westliche Wissenschaft vor allem in einer Hermeneutik der
kulturellen Fremde: Die eigene Gesellschaft wurde ebenso aus-
geklammert wie die Subjektivität des Forschers. Der Blick aus der
Ferne (Levi-Strauss) war ein distanzierter und distanzierender
Blick - oder schien es zu sein.
Die Interpretation der eigenen Wissenschaft allerdings zeigte,
wie eng Eigenes und Fremdes schon immer ineinander verwoben
waren. Das reichte von der versteckten Kritik an der eigenen Ge-
sellschaft als einer verkehrten Welt bis zu den Entwürfen über
fremde Kulturen als Verkehrte Welten in einer imaginären Ethno-
graphie “Fritz Kramer), in der sich darstellte, was in der bürgerli-
chen Kultur tabuisierte Wahrheit war; das beinhaltete die kriti-
sche Nostalgie im Aufweis von ‘heileren’ Gegenwelten in geogra-
phischer und historischer Ferne; das wurde zur offenen kriti-
schen Gegenüberstellung von eigenen und fremden gesellschaft-
lichen Lebensformen und führte schließlich zur Suche nach dem
Eigenen im Fremden und dem Fremden im Eigenen.
Die Erkenntnis allerdings, daß Fremderfahrung nur über
Selbstrelativierung im eigenen kulturellen Kontext und Eigen-
erfahrung nur über die Reflexion des Fremden möglich ist, be-
deutet für den Verstehensprozeß des Anthropologen, den herme-
neutischen Zirkel als Bewegung zwischen der fremden Kultur
und dem verstehenden Subjekt Forscher in Richtung auf eine Be-
wegung zwischen den Kulturen, den fremden und der eigenen, zu
erweitern. Die Relativierung der eigenen Kultur wird über den
Aufweis anderer kultureller Erfahrungen und Gestaltungen mög-
lich. Und damit eine Kritik, die das Prinzip Hoffnung einer ge-
dachten Neu-Ordnung auch als Orientierung an gelebten frem-
den Ordnungen nicht aus dem Auge verliert. Der neue Relativis-
VIT
mus, als ein kritischer, beinhaltet kein liberalistisches Laissez-
faire, sondern zunächst die De-Collage alter und neuer Selbstver-
ständlichkeiten, alter und neuer Ideologien, alter und neuer Ab-
solutheitsansprüche in fremden und eigenen Gesellschaften —
und für uns als westliche Anthropologen insbesondere in der ei-
genen Gesellschaft. Aber dieser Relativismus bedeutet auch den
Aufweis anderer Möglichkeiten, die wir als Anthropologen in
dem Arsenal der menschlichen Kulturen finden können. Und
schließlich beinhaltet dieser anthropologische Relativismus auch
eine Zuversicht, daß Menschen über die zu vermittelnde Erfah-
rung der Relativität ihres Handelns hinsichtlich verfestigter, er-
starrter Kulturmuster den Mut zu neuen Entwürfen gewinnen
und in sozialer Phantasie aus den Fragmenten kultureller Alter-
nativen etwas Neues entstehen lassen. -
Das ist das Collage-Prinzip des kreativen Widerspruchs, wie
ihn die Surrealisten in Kunst, Literatur und Ethnographie ver-
wandt haben. Es ist ein revolutionierendes Prinzip, das in stándi-
ger Decollage und Collage gesellschaftliche Widersprüche auf-
deckt und sie in die relative Identität der Gegensätze überführt.
Diese Identität wird im dialektischen Denken als eine relative ge-
sehen, während der Prozeß der Verwandlung unendlich und ab-
solut ist. Mao Tse-tung hatte aus dieser Erkenntnis die Praxis der
permanenten Revolution gegen die Erstarrung abgeleitet, wobei
er von der zyklischen Form der Wahrheitsgewinnung über die
sinnliche Erfahrung zur rationalen Erkenntnis, zur Praxis und
wieder zur Erkenntnis ausgeht: Praxis, Erkenntnis, wieder Praxis
und wi.."7r Erkenntnis — diese zyklische Form wiederholt sich end-
los, und der Inhalt von Praxis und Erkenntnis wird bei Jedem einzel-
nen Z;4ius auf eine höhere Stufe gehoben. Henri Lefébvre, der
französische Kritiker des Alltags/c*zns in der modernen Welt, for-
derte in den 60er Jahren unsere Kulturrevolution. Ausgehend von
einer radikalen Kritik der Kultur, des Prestiges und der mit diesen
Worten verbundenen Illusionen, ihrer Institutionalisierung, galt die
Forderung der Schópfung einer Kultur als Lebensstil, als einer
auf Praxis hin orientierten Kultur, galt einer transformierten Al'-
táglichkeit, als Werk, als Ausdruck einer Gruppe, die ihr gesell-
schaftliches Schicksal in die Hand und in P/lege nimmt. Eine kriti-
sche Anthropologie kann nicht mehr leisten als den Versuch, die
sinnliche Erfahrung menschlicher Praxis und ihrer Widersprüche
QI
aktiv zur rationalen Erkenntnis fortzuentwickeln und über die
Kritik des Bestehenden, Erstarrten, andere Praxis aufscheinen zu
lassen. Wenn aber Praxis und Erkenntnis in einem unendlichen
Prozeß stehen, ist jede gefundene Wahrheit nur eine vorläufige —
und es ist schon viel, wenn der Inhalt der Erkenntnis auf eine hö-
here Stufe gehoben wird.
Der ethnologischen Anthropologie könnte aufgrund ihrer ver-
gleichenden und verstehenden Perspektive, ihres Reflexionspro-
zesses zwischen Eigenem und Fremdem und aufgrund der empi-
rischen, von sinnlicher Erfahrung ausgehenden Suche nach der
Erkenntnis menschlicher Praxis ein wichtiger Platz in einer per-
manenten Revolutionierung alltäglicher Praxis zukommen. In
einem die Enge der Fachgrenzen überschreitenden Verbund mit
anderen Humanwissenschaften könnte sie über die De-Collage
des Geltenden, den Aufweis des anders Möglichen und die Anre-
gung zu einer neuen Praxis, einer gekonnten Collage als Werk-
schaffen aus Altem und Neuem, aus Fremdem und Eigenem,
Wege aus der gesellschaftlichen Erstarrung weisen.
Michel Foucault bezieht dieses bewegende Prinzip vor allem
auf Fsychoanalyse und Ethnologie, die im Verlauf unserer Wis-
senschalisgeschichte sich immer wieder angeregt und ergänzt
haben: Die Psychoanalyse und die Ethnologie haben in unserem
Wissen einen privilegierten Platz inne; zweifellos nicht, weil sie bes-
ser a.5 jede andere Humanwissenschaft ihre Positivität gesichert
und se‘. lich das alte Vorhaben vollendet hätten, wirklich wissen-
schafti.ch z.. sein; sondern eher, weil sie an den Grenzen aller Er-
kennti..:e über dea Menschen mit Sicherheit einen unerschópfli-
chen Schatz von Lrfahrungen und Begriffen, aber vor allem ein
stándiges Prinzip dcr Unruhe, des Infragestellens, der Kritik, des
Bestreitens dessen bilden, was sonst hat als erworben gelten kónnen.
Daraus leitet James Clifford das ‘Recht’ zur Provokation ab: Dem
Ethnographen ist wie dem Surrealisten erlaubt zu schockieren. Al-
lerdings setzt dieses Recht auch die Bereitschaft voraus, jenes
kulturelle Wagnis einzugehen, iiberrascht zu sein, deutende Hypo-
thesen unfertig zu lassen und das noch uneingeordnete Fremde
zuzulassen. Der wissenschaftliche Text, als Ausdruck der Erfah-
rungssuche, bleibt ein Experiment, ein vorläufig Festgehaltenes
in einem weitergehenden Diskurs. Nach dem Modell der Collage
sollen die Schnitte und Náhte des Forschungsprozesses - und ich
[X
würde hinzufügen: die Wege und Umwege dieses reflexiven Pro-
zesses zwischen Eigenem und der Vielfalt des verschiedenen
Fremden - sichtbar bleiben. Die rohen Daten als die Konkretheit
der fremden Stimmen und die Konkretheit der subjektiven Er-
fahrungsebenen des Forschers - vom ersten Blick über die Noti-
zen in einem Feldtagebuch, die Schreibtisch-Reflexion dieser
Notizen, die Einordnung in ein wissenschaftliches Begriffssy-
stem bis zur interpretativen Darstellung - sollen nicht zugunsten
der Abstraktheit eines homogenen Textes eingekocht werden.
Der wissenschaftliche Text zeigt seinen Collage-Charakter, der
jeder Hermeneutik zugrunde liegt!
Das gilt als erstes für die Beweisführung' des schreibenden
Anthropologen. Sie ist der Ausdruck seiner Erfahrungen, aber
diese Erfahrungen werden auf den verschiedensten Ebenen ge-
wonnen und reflektiert. Manchmal steht so etwas wie ein objek-
tiver Zufall, wie es die Surrealisten nannten, in einem privilegierten
Augerblick als Erste-Blick-Erfahrung am Anfang eines Feldauf-
enthalts, bei dem in einer seltsamen Klarheit die an sich dunkle
Bedeutung des Ganzen über die Reflexion und Abrufung gespei-
cherter Erfahrungen aufscheint. Manchmal wird dieser privile-
gierte Augenblick am Schreibtisch erfahren, ist der objektive Z.;-
fall lesender Suche. Und das Auge des Ethnographen (Leiris)
schaut dabei nicht nur in die fachspezifische Literatur! Immer
aber steht dieser objektive Zufall eben im Kontext einer Erfah-
rungssuche und ihrer Wege und Umwege, ihrer Schnitte und
Nähte, der aufscheinenden Bilder früherer Erfahrungen, des Ver-
gleichs, des Hin und Her zwischen der sinnlichen Erfahrung von
Praxis, ihrer kritischen Hinterfragung und ihrer fortlaufenden
Interpretation im Zusammenhang jener auf den Begriff gebrach-
ten Erfahrungen, die wir wissenschaftliche nennen.
"Der essayistische Charakter dieses Buches ist bedingt durch
meine Erfahrungssuche, diejenige einer Anthropologin, die nicht
gewillt ist, eine Wissenschaft vom Menschen von der alltäglichen
vor- und außerwissenschaftlichen Erfahrung fremden und eige-
nen Menschseins zu trennen: die nicht gewillt ist, wissenschaftli-
ches Verstehen als einen neutralen ErkenntnisprozeB von eige-
nem, subjektivem Betroffensein und kritischer Stellungsnahme
zu gedachten und gelebten Ordnungen abzugrenzen; die nicht
gewillt ist, fachbornierte Grenzüberschreitungsverbote einzuhal-
ten. Wenn wir als Menschen einen kleinen Ausschnitt von Welt als
eine Alltagswelt in Raum und Zeit betrachten, dann ist diese Be-
trachtung mitgeprägt von gespeicherten Erfahrungen, die wir im
Verlauf unseres Lebens gewonnen haben. Das Privileg des An-
thropologen, viele Weltausschnitte im Verlauf seines Lebens er-
fahren und speichern zu dürfen, geht sicher in jede neue Betrach-
tung ein. Die Vielfalt solcher Erfahrungen, die zum interpretati-
ven Text gehören, ist nicht einzugrenzen auf den je gezielten
Feldaufenthalt, die je gezielte Literaturrecherche, sondern um-
schließt auch scheinbar Fernliegendes, auch Spontanes und Pri-
vates des in der Begegnung mit den Menschen und Dingen eigener
und anderer Kulturen Gesehenen und Gehörten, des in der Begeg-
nung mit Wissenschaft und Literatur Gelesenen und Erfahrenen.
Die scheinbare analytische Schärfe und Stringenz des autoritä-
ren wissenschaftlichen Textes, der seine gesetzte Hypothese ein-
dimensional verifiziert, ohne die methodischen Umwege zu arti-
kulieren, wird damit allerdings aufgehoben. Der Text gewinnt
diskursiven Charakter, entwickelt vor dem Leser - und in der
Hoffnung auf den mitdenkenden Leser - sein schrittweises Hin
und Her des Erfahrungs- und Erkenntnisprozesses und der Inter-
pretationen. Der Leser soll die gedanklichen Schritte mitvollziehen. -
Sind die Leser die einen Anderen, Fremden, die in die Textua-
lisierung einbezogen werden, so sind es auf der anderen Seite vor
allem die vielen Stimmen jener Anderen, Fremden, denen die
Untersuchung gilt. Sie werden von Untersuchungsobjekten zu
Gesprüchspartnern, manchmal auch zu unwilligen, ablehnenden,
kritisierenden und kritisierten. Ihre Stimmen gewinnen als Zitate
Gewicht im Text, werden nicht nur in Fußnoten verbannt, stehen
damit auch direkt dem Leser gegenüber - vielleicht für Gesprä-
che jenseits der Interpretationen des Autors.
Mein Buch ist ein Versuch anthropologischer Kritik der eige-
nen gesellschaftlichen Entwicklungen über das spezifische Phá-
nomen Ger westlichen spirituellen Bewegungen; gleichzeitig ein
Versuch, diese Entwicklungen mit anderen Móglichkeiten aus ge-
dachten und gelebten Ordnungen zu konfrontieren; und schlieB-
lich der Versuch, die Widersprüche des gelebten und gedachten
Lebens, seine Brüche und Umwege, sein Nebeneinander der Er-
fahrungen in den Text eingehen zu lassen. Und das gilt nicht nur
für diejenigen der Anderen, sondern auch für die der Anthropo-
X.
logen selbst. Auch diese sind als Menschen und Wissenschaftler
der Widersprüchlichkeit ausgesetzt und beziehen Stellung im
Blick auf ein Prinzip Hoffnung.
Meine Textualisierung der verschiedenen Ebenen der Erfah-
rung und Interpretation zeigt keine lineare Entwicklung, sondern
ist eher eine wiedergebende, beschreibende, reflektierende und
interpretierende Bewegung zwischen Texten und Darstellungen,
zwischen den Reflexionen und Interpretationen der Darsteller
der spirituellen Ókologie und anderer Darsteller kultureller Ant-
Worten auf die gesellschaftliche Situation, die vom Moloch Mo-
derne bis zur Hoffnung Moderne interpretiert wird. Diese Ant-
worten sollten in ihrer Multivokalitàt deutlich werden, wenn
auch mein zentrales Anliegen die kritische Analyse einer die hi-
storische Situation überspringenden spirituellen Neues-Zeitalter-
Hoffnung ist, die wiederum mit den verschiedensten Stimmen ar-
gumentiert. Meine *Gegenstimme', vermischt mit und unterstützt
von den Gegenstimmen anderer Interpreten, will provozieren
und ist gebrochen, wenn eigener Widerspruch über die Kritik des
verschleierten Widerspruchs deutlich wird. NarziB — und das ist
nur eine Deutung - hat den Widerspruch zwischen sich und dem
spiegelnden Wasser zwar nicht bemerkt und ist deshalb darin er-
trunken; aber ist dieser Tod nicht ein Urbild für den in der spiri-
tuellen Ókologie gesuchten Tod im Leben, der die kosmische Ver-
schmelzung, das ozeanische Gefühl ermóglicht und die Person
von den eigenen und den gesellschaftlichen Widersprüchen be-
freit, Glückseligkeit im Hier und Heute verheifit?
Ich sehe die spirituelle Bewegung nicht als eine Revolution des
Bewufitseins (wie ihre Vertreter sich selbst sehen) im Sinne eines
dialektischen Umschlags vom Materialismus in die Spiritualität.
Vielmehr sehe ich sie als Sonderfall eines westlichen narzißti-
schen Gesellschaftstypus. Sie löst nicht den gesellschaftlichen
Widerspruch, sondern vertieft ihn. Dieser Widerspruch ergibt
sich aus der Allmacht der bürokratischen Wohlfahrtsstaaten
gegenüber der scheinbaren Selbstbestimmung und Freiheit des
entmündigten Bürgers, dem Nischen der Selbstverwirklichung
zwischen Heimwelt und Kosmos zur Verfügung gestellt werden.
Diese Nischen sind keine ökologische Nischen im Sinne einer
Vielzahl sich selbst regulierender Systeme in einem dafür günsti-
gen Lebensraum. Trotz hochentwickelter ókologischer Kennt-
XII
nisse und weitverbreiteter ökologischer Ideologien in den mo-
dernen Gesellschaften fehlt uns die ökologische Vernunft, die die
Interdependenz aller Elemente in der Entwicklung eines dynami-
schen Gleichgewichts berücksichtigt. Die der ökologischen Ver-
nunft gegenläufige ökonomische Rationalität kann: allerdings
nicht durch den Sprung aus der materiell-gesellschaftlichen Be-
dingtheit und Verantwortung in eine spirituelle Ökologie über-
wunden werden. Die lebenden Systeme sind zunächst einmal hier
auf der Erde, und wir brauchen sie nicht in das Tao einzuordnen,
um ihr zerstörtes Leben zu erkennen. Im Gegenteil verschleiert
diese metaphysische Einordnung in kosmische Gesetzmäßigkei-
ten den Blick auf die von Menschen gedachten und gemachten
Destruktionen ihrer ökologischen Systeme. Mao Tse-tung hatte
mit dem Zitat Der Himmel ist unveränderlich, und unveränderlich
ist auch Tao eine metaphysische Weltanschauung gegeißelt, die
von den verfaulten herrschenden Feudalklassen unterstützt wurde.
Unterstützt heute das Unternehmertum die Metaphysik einer
spirituellen Ökologie — vom spirituellen Großunternehmen eines
Bhagwan Shree Rajneesh über die eine Vielzahl von ‘spirituellen
Techniken’ vermittelnden Anbieter von Seminaren und Work-
shops, die spirituellen Verlage und die grenzwissenschaftlichen
Interpreten bis zu jenen Managern, die sich ihre Selbstverwirkli-
chung, ihre ‘Veredelung der Seele’, ihre 'Selbststeuerung' auf
dem teuren spirituellen Markt kaufen können?
Der Kosmos, den sich eine Gesellschaft schafft, ist ein Spiegel-
bild dieser Gesellschaft. Wenn das ‘neue BewuBtsein’ an die ‘All-
Liebe’ angeschlossen wird, im kosmischen Ozean versinkt, ohne
diese All-Liebe in die soziale und materielle Praxis einer Kom-
munität umzusetzen, dann bleibt die spirituelle Ökologie narziß-
tische Flucht aus der Mitverantwortung für die Zerstörung der
Haushalte des Lebens, ist eine Verkehrte Welt in einer verkehrten
Welt.
Auf den Spuren des New Age habe ich nur selten jene Energien
gespürt, die — auf welches Bewußtsein sie auch immer zurückge-
führt werden - erstarrten Alltag in neue tragfihige und ókolo-
Bisch vernünftige Kommunitáten transformieren wollen und
transformieren kónnen. Es gibt zwar Beispiele, die sowohl von
einer materiellen als auch einer spirituellen Ebene ausgehen,
aber ihre Communitas-Modelle von Selbstbescheidung, Gemein-
VIH
AU.
schaft und Weltzuwendung werden weder auf dem technokrati-
schen noch auf dem psychokratischen Markt der Evolution der
westlichen Menschheit gehört oder gesehen oder gar reflektiert.
Die Vielzahl der auf dem Markt für neue Spiritualität angebote-
nen Wege zum persönlichen Heil führen nicht zu einer mitbestim-
menden und mitgestaltenden Verantwortlichkeit im Diesseits
kommunitárer Alltagswelten.
Es kommt nicht alles in Ordnung über das spirituelle Puzzle aus
fremden Religionen und Philosophien und Psychotechniken. In
der Collage dieses Neuen Zeitalters fehlt eben jener auf gesell-
schaftlich verändernde Praxis bezogene Funke Poesie, der für
Max Ernst das Wesen einer gekonnten Collage ausmachte. Er-
dichtetes für die kosmische Glückseligkeit des Einzelnen, für das
Manifest der Person (Roszak), ist kein Erdachtes und Verdichtetes
für eine neue moralische Kommunität, die als soziales Bezie-
hungsgefüge die humanitäre Basis einer Wiedergewinnung öko-
logischer Vernunft darstellen könnte.
Die kritisierende, in Frage stellende Provokation des Gelten-
den durch den Anthropologen meint gleichzeitig — und iiber den
Aufweis anderer Wege, gegangener und zu gehender — Evokation
eines Móglichen: für einen weiterführenden Diskurs, aber auch
für eine weiterführende Praxis. So móchte dieses Buch verstan-
den werden!
71V
.. ANTHROPOLOGISCHE WEC..
1.1 Grenzüberschreitungen
Der übers Meer ... fährt verändert nur den Himmelsstrich, nicht
sich se!5s:. Aber er verändert wenigstens den Himmelsstrich: im ein-
fachen Fall ist das eine Umstellung der Kulissen, im bedeutenderen
erwächst aus dem veränderten Bewußtseinsinhalt eine veränderte
Bewufitseinslage, die dem Inhalt angemessen werden will. So sieht
Ernst Bloch, Horaz paraphrasierend, die Móglichkeiten des bür-
gerlichen Enthusiasten, der sich auf die Reise begibt. Diese Móg-
lichkeit als Potential wird dem heutigen Reisenden, dem Massen-
touristen vom Pauschalreisenden bis zum Freaktouristen, von der
Tourismuskritik abgesprochen. Er kommt mit jenem Klischee
von der Fremde in der Vorstellung zurück, mit dem er ausgefah-
ren war, er brauchte die Kulissen noch nicht einmal umzustellen,
und was er aus der Fremde berichtet, ist nur das, was alle lángst
wissen (Enzensberger). Die Trostlosigkeit der Reise, die Monoto-
nie und das Nicht-Verstehen-Kónnen des Fremden wird ihm von
allen Seiten bescheinigt: von den Wissenschaften bis zu den
Liedermachern. Und wenn André Heller sang, Die wahren Aben-
teuer sind im Kopf, und sind sie nicht im Kopf, dann sind sie nir-
gendwo, dann nimmt er aus dieser scheinbaren Erkenntnis eine
Intellektuellen-Attitüde vorweg, die nicht nur eine touristische
Erfahrungs-Verneinung beinhaltet, sondern auch die einer wis-
senschaftlichen Erfahrung der Fremde über den direkten Kon-
takt mit dieser Fremde.
Was Ernst Bloch von Geschichte und Geographie sagte, näm-
lich daß sie Enthusiasmus erregten, der sich zur desto intensiveren
Einsicht in die — zum gewohnten nicht nur kontrastierenden —
Gegenstände an ihrem Ort und ihrer Stelle zusammenfindet und
aufmacht, das galt stärker vielleicht noch für die Ethnoanthropo-
logie, die Wissenschaft von den (fremden) Menschen und Vól-
kern. Diese doppelte Zuschreibung und Verinnerlichung von En-
thusiasmus zur Fahrt in die Fremde haben und geben, von Ein-
sicht in die Fremde gewinnen und vermitteln, wird dem Ethnolo-
gen heute aus der eigenen Zunft abgesprochen. Ist er für den
einen nur noch fouristischer Eroberer, der in seiner MuBezeit die
Erfahrung anderer Kulturen in eine Art sportliche Betátigung ver-
wandelt und zu einem profitablen Job macht (Diamond), so ist er
für die anderen eben jenem Touristen gleich, der auf der Flucht
vor sich selbst in die Fremde führt und immer Wieder von sich
selbst gegenillusionär eingeholt wird. Tagebücher, Protokolle
und Berichte von Ethnologen werden für die Demaskierung des
heimgekehrten Wissenschaftlers, der diese Selbstdarstellung in
seiner Analyse der fremden Kulturen ‘unterschlägt’, herangezo-
gen.
Doch da ist noch jene andere Gruppe von Ethnologen, die,
als Ethnopoeten bezeichnet, die Demaskierung umkehren, sich
selbst entblôBen, stigmatisieren, soziales Grenzverhalten signali-
sieren und damit gleichzeitig charismatische Gnadengaben, die
ihnen aus der anderen Welt zugeflossen sind, einer Welt, die jen-
seits liegt, aber nicht mehr unbedingt jenseits des Meeres. Denn
auch für sie sind die wahren Abenteuer zwar nicht mehr im Kopf,
sofern er Produzent des rationalen westlichen Denkens ist, son-
dern im Geist, der ins Transzendentale und damit auf das Eigene
im Fremden vorstößt:
Der surrealistische Schriftsteller Michel Leiris, dessen erste
Motivationen, Ethnologe zu werden, der Wunsch, „das Joch unse-
rer Kultur abzuschütteln“ und die Irritation der eigenen Identität
(Heinrichs) waren, gehört seit seiner Wiederentdeckung als Eth-
nologe in den 70er Jahren zu den Kronzeugen dieser Ethnologie
auf der Suche nach dem Fremden als zutiefst Eigenem. Imaginär
dem Fluß der Zeit zu entgehen, beschreibt Leiris 1930 die Hoff-
nung für seine Afrikareise; neun Jahre spáter in »Mannesalter«
sagt er nicht nur, und hatte wenigstens eine Legende zerstórt: jene
vom Reisen als Möglichkeit, sich selbst zu entfliehen, sondern de-
maskiert, stigmatisiert sich selbst: dem Fluß der Zeit zu entgehen
war der Rat des Arztes, Ursache: regelmäßig fehlgeschlagene Lie-
besversuche, skandalöse Räusche; beinahe blutige Bisse, … eine
nächtliche Sauferei, … vorgetäuschte Absicht, mich zu kastrieren, ...
das Cefünl sowohl geschlechtlicher als auch geistiger Impotenz.
Und in Afrika verliebte er sich in eine Athiopierin, die Physisch
und moralisch [seinem] doppelten Ideal der Lucretia und der Judith
entsprach: ein schönes Gesicht, ein verfallener syphilitischer
Körper, eine von Geistern Besessene ... sah ich sie in der Trance
keuchen, und — im Zustand vólliger Besessenheit — das Blut des
Opfers, das ganz heifl aus der durchschnittenen Kekle strómte, aus
einer Porzellantasse trinken. Niemals habe ich mit ihr geschlafen,
aber als dieses Opfer stattfand, schien es mir als knüpfte sich zwi-
schen ihr und mir eine Beziehung inniger als jede Art von fleischli-
chem Verháltnis.
Besessenheit, Voudou, Okkultismus, Magie und Maske, reli-
gióser und erotischer Fetischismus, die ineinander übergehen,
sind für Leiris der Umweg, in unbewufiter List die Bedingungsge-
füge umzuwälzen, um das Wunderbare als das Absolute freizule-
gen: Das Wunderbare existiert aber weder in der Natur noch jenseits
der Natur, sondern im Innern des Menschen, in der anscheinend
entlegensten, ihm selbst aber in Wirklichkeit sicher am nächsten ste-
hencz2 Pgien, deren Bezirke nicht jener gräflichen Feudalherr-
scha/* unterstenen, aie ihre menschlichen Lehen mit grofiem Auf-
wand an rationalen Edikten und pragmatischen Galgen dezimiert.
Denn das Wunderbare ist nichts anderes als das im Herzen des Men-
schen brennende Feuer, das imagináre Leuchten eines Absoluten,
das er seinem eigenen Wesen entnimmt und auf die glanzlosen
Ereignisse projiziert, deren Dünste durch seine Poren hindurch noch
bis zu ¢ 1 vordringen, was man gemeinhin seinen Ceist nennt. Es
ist zugleich d:e starke Anziehung, die das Unerklärliche ausübt, der
gewal: >: Zchub, der die Grundlosigkeit oft jeder Art von Erklárung
vorziehen läßt, die ursprüngliche Kraft des Geistes schließlich, die
sich lange vor der Ausbildung des kritischen Verstandes bekundet
und die iLvcz Ursprung nur in den Tiefen des Unbewußten oder in
der Nacht cer zen finden kann ... In seinem Aufsatz »Das ,,ca-
put mortuum" oder die Frau des Alchemisten« wird die (Leder-)
Maske auf dem Gesicht der dadurch entindividualisierten Frau
zu einem der unerhórten Werkzeuge, die dem wunderbar entspre-
chen, was die Erotik in Wahrheit ist: ein Mittel, aus sich herauszuge-
hen, die Bande zu zerreiflen, die die Moral, der Verstand und die Sit-
ten einem aufcrlegen, eine Weise zugleich, die bösen Kräfte zu ban-
nen, Gott una den ihn vertretenden Hóllenhunden der Welt die Stirn
zu bieten, indem man ihr Eigentum, das gesamte Universum, in
einem seiner besonders bedeutsamen, aber hier nicht mehr unter-
schiedenen Teilen in Besitz nimmt und seinem Zwang unterwirft.
Und in einer Aneignung der Erzählung von dem jungen Der-
wisch, der, als er das Antlitz Gottes sehen will, sich selbst sieht,
wird für Leiris das Gesicht des männlichen Partners - dieser mas-
kierten, in eine Art von abstraktem Ding an sich verwandelten
Frau - zum Antlitz eines Gottes. Und die Frau wird im Antlitz
dieses Gottes die große, universelle L'atrix, der der alte Hegel, als
er sie sich verstellte als , das Produkt des Gedankens, und zwar des-
jenigen Gedankens, der vom leeren Ich, das sich als Cbjekt diese
leere Identität seiner selbst setzt, bis zur reinen Abstraktion zurück-
geht“, den Beinamen Caput mortuum verlieh, einen Begriff, den er
von den alten Alchemisten entlehnt hatte, die ihn auf jene Phase des
Werkes anwandten, wo alles verdorben scheint und sich doch alles
neu gebildet hat.
Während Leiris seine Gedanken aus der ethnographischen Da-
tenschwere befreien kann, sie für seine poetische surreale Col-
lage des Wunderbaren nur nutzt, versucht der spátere Hans Peter
Duerr sein caput mortuum mit einer Datenfülle aus Archivmate-
rialien wissenschaftlich zu belegen, die in ihrer Heterogenität
jenem Frankensteinischen Monstrum gleichen, das Ruth Bene-
dict der kontextlosen kulturvergleichenden Einzelphänomenfor-
schung vorwirft.
Auch Duerr tendiert zur Selbststigmatisierung, aber er wendet
die Schuldzuschreibung gleich selbst auf die anderen, verbindet
sie mit charismatischer Verachtung (und weiß sich damit der cha-
rismatischen Gemeinde sicher). Sein Feindbild ist insbesondere
die ‘etablierte’ Wissenschaft — Migräne-Denker, … ob sie die Ma-
sche nun rechts oder links stricken; Universititsspiefier; Deamte mit
einer dicken Pension; linksintellektuelle Deutsche Scháferhunde;
linksliberale Klugscheifler; fade Langweiler. Duerr sparte in sei-
nem 1979er Interview »Kónnen Ethnologen fliegen« nicht mit
kräftigen Tönen, die diesseits des Zauns, das heißt in dem von
ihm postulierten Universitätsghetto bei den gequälten Studentin-
nen und Studenten ankommen sollten, nicht ohne gleichzeitig auf
seine Solidarität mit anderen Stigmatisierten unserer Gesell-
schaft hinzuweisen: Nutten mit ihren Lebenserfahrungen, von
denen unsere Marx-Adepten und Professoren viel lernen kónnten;
Penner — und Sie dürfen sicher sein, daß ich die Penner nicht nur
aus der Literatur kenne; Wahnerkrankte, bei denen für ihn wie
unter dem Einfluß halluzinogener Drogen - der Initiation und
der Visionssuche bei Naturvôlkern gleich - archaische Wahrneh-
mung freigesetzt wird. Duerr spricht nicht wie Leiris von skanda-
lôsen Räuschen, sondern wendet psychologisch eingeordnete Be-
wuDtseinsverengung in Bewufitseinserweiterung, setzt sie dem
mystischen Erleben gleich. Der Mechanismus der auf Charisma
zielenden Selbststigmatisierung wird gezielt eingesetzt. Duerr po-
stuliert die Einsamkeit, das Zwischen den Welten für die Zaunrei-
ter der Wissenschaft: Wissenschaftler, die den 'Bationalitütsnor-
men' ihrc» Disziplin untreu werden, ... unterschreiben meist ... ihr
wissenschaftliches Todesurteil, was indessen Menschen, die nur zu
einem geringen Teil ihr Selbstwertgefühl aus der ‘scientific com-
muni*v' Fezichen, nicht allzu sehr verdrieflen wird, selbst nicht die
zweifache Einsamkeit, für immer ausgeschlossen zu bleiben aus der
Welt der redenden Tiere und aus der Welt der redenden Ethnologen.
Diesen redenden Ethnologen setzt Duerr das Flüstern des na-
gual entgegen, das nicht von dieser Welt und dennoch dieser Welt
nicht äußerlich ist und — hier wird Castaneda zitiert — das jener
Teil von uns ist, für den es keine Beschreibung gibt — keine Worte,
keine Namen, keine Gefühle, kein Wissen, zu dem man im Tod,
wenn die einzelnen Zellen des Bewufitseins sich auflósen, zurück-
kehrt, und in das man in seltenen Augenblicken des Lebens, in der
Grenzüberschreitung des kleinen Todes der Initiation, wenn man
leer ist, das heit seine kulturelle Natur preisgegeben hat, Zugang
findet. Pie Sehnsucht nach dem Tode hat Duerr diese kulturelle
[ch-Auflósung genannt - für die er seine Daten von Odin bis zur
Iraumzeit der australischen Aborigenes, von europáischen He-
xen bis zu den Eskimos, von den Indianern bis zu westlichen Pa-
ranoikern der Gegenwart zusammentrigt.
Er spricht von einer Grenziiberschreitung zur Wildnis, in der
man aus der Zeit heraustritt, sich seines Ursprungs bewußt wird,
sich selbst ais Schiwa erkennt, der Geist selber ist.
Fuhr Leiris über das Meer, um imaginàr dem Flufi der Zeit zu
entgehen, überschritt für Duerr der Zaunreiter auferhalb von
Zeit und Raum mit seinem inneren Auge die Begrenzung des kul-
turellen Ich-BewuBtseins, so begibt sich der Anthropologe Casta-
neda, der mit seinem Don-Juan-Zyklus nicht nur Millionàr ge-
worden ist, sondern eine bisher noch nicht dagewesene wissen-
schaftliche und populäre Pro-und-Gegenschriften-Auseinander-
setzung heraufbeschworen hat, auf eine sowohl innere als auch
N
äußere Reise mit seinem ursprünglichen Gewährsmann, dem
Schamanen Don Juan, der zu seinem Lehrmeister, seinem Guru
wird, Diese lange Reise, und sie ist wohl mit sieben Bänden noch
nicht zu Ende erzählt, ist Initiationsreise in die Urgründe des
« nagual ». Der Streit, ob es Don Juan je gab, oder ob die Bücher,
wie es der Indianer Vine Deloria ausdrückt, but a drug freak's fan-
fasies sind, ist wohl weniger wichtig in diesem Zusammenhang
als vielmehr, daß der Initiand durch verwestlichte Yoga-Pfade,
vermischt mit Indianischem, geführt wird, die von dem anthropo-
logischen Kritiker Richard de Mille mit den historischen Stufen
der spirituellen Bewegung kongruent gesetzt werden: von den
Drogentrips der psychodelen Ara in den ersten Bänden über
Geist-Techniken des New Age, Okkultismus und Feminismus bis
zum kosmischen Staub (Horx) im Feuer von Innen.
Diese spirituellen Collage-Pfade gehen nicht nur die Weißen,
sondern mit ihnen, und oft als ihre spirituellen Führer, Inder und
Indianer. Don Juan könnte gelebt haben und Castaneda als sei-
nen Schüler gehabt haben. So wie Wallace Black Elk — der Enkel
jenes Black Elk, der am Wounded Knee kámpfte und sagte, Eines
Volkes Traum ist dort gestorben — heute auch in Europa als Scha-
mane seine Readings gibt, begleitet von einem Anthropologen,
der vor dem Gebet im Frankfurter Hórsaal die Trommel schlug.
Du mußt deine persönliche Geschichte löschen, das ist eine der
Anleitungen des Don Juan. Und das ist die Anleitung aller cha-
rismatischen Führer, die Verwandlung predigen. Der erste Schritt
ist die Lösung von den signifikanten Anderen der Primärsoziali-
sation; der zweite ist die Resozialisation über den charismati-
schen Führer zum neuen Selbst. Doch hier argumentiert Castane-
das Don Juan mit dem großen Nebel, in dem alles ausgelöscht ist.
Deutlicher — und sicher gerade hier einen faszinierenden Reiz vor
allem auf die Jugend ausübend (Klappentext zu »Die Kunst des
Pirschens«) — wird die Lôsung von den signifikanten Anderen der
Primärsozialisation intoniert: … du mußt deine persönliche Ge-
schichte bestätigen; indem du deinen Eltern, deinen Verwandten und
deinen Freunden alles, was du tust, erzühlst, sagt Don Juan im
Hinblick auf Belastungen der personalen Identität durch die
soziale; und er fährt fort: Wenn du dagegen keine persönliche Ge-
schichte hast, sind keine Erklárungen notwendig; niemand ist über
deine Handlungen böse oder enttäuscht. Und vor allem kann dich
A
‘niemand mit seinen Gedanken festlegen ... Es ist das beste, die
ganze persönliche Geschichte auszulöschen . .., weiluns das von den be-
lastenden Gedanken der anderen befreit. Daß dieser, von seinen in-
dianischen Meistern über immer neue, oft angsterregende und
qualvoli? Aufgaben initiierte Weiße im sechsten Band des Zyklus
schließlich das Erbe des Lehrmeisters antreten soll, ist nur der kon-
sequente Höhepunkt des Schemas charismatischer Lebenslauf. Je-
der von ihnen verlangte zuversichtlich meine Führung und meinen
Rat. Aber kommt hier nicht mehr zum Ausdruck? Westliche, weiße
Überlagerermentalität, die nicht mehr nur die ökonomischen Res-
sourcen der Indianer sich aneignet, sondern nun auch ihre Welt-
sicht, wie dievieleranderer Vólker, umsichzu - nunmehrspirituellen
- Führern zu erheben. Charisma als Herrschaft!
Nicht bei allen Anthropologen, die die ‘Grenze’ zu überschrei-
ten behaupten, vollzieht sich jene große Verwandlung bis zu
diesem Ich bin Gott, Ich bin Nagual, nicht bei allen geht dieser
Verwandlung Selbststigmatisierung voraus, immer aber ist sie
verbunden mit dem Motiv der Gnadengaben und der charismati-
schen Verachtung der anderen, der Invaliden und Schmutzflecken
(Koepping).
Und immer auch wird trotz des nicht zu übersehenden Viel-
schreibens das Nicht-Mitteilbare des diesen — und nur diesen —
Ethnoanthropologen in der Initiation widerfahrenen Geheimnis-
ses betont: Was ich beschreibe, mag für manchen geheimnisvoll und
mystisch klingen; vielleicht ist es das auch ... Ich beschreibe ein
Zeugnis, das ich von innen kenne (Schlesier).
Wenn 1;ans-Jürgen Heinrichs von einem wachsenden Interesse
an der Ethnologie spricht, dann ist es vor allem diese Richtung,
die ich als spirituelle Ethnologie oder Mythoethnologie bezeich-
nen móchte. Und nur dieser Ethnologie móchte ich den Mytho-
Touristen zuordnen, der wie der Ethnologe die ,chronische Ent-
wurzelunz" und ein ,gelicimes Wissen“ will: Der Mytho-Tourist
ist der F--isende, der die Defizite der katastrophalen Moderne, der
historischen und individuellen Endzeit am weitestgehenden personi-
fiziert; er läuft einer imaginären Geschichte auf den Spuren einer
mythischen Ceschichte, einer Traumzeit hinterher. Und die Anzahl
dieser Mytho-Touristen, sei es mit oder ohne Fahrt übers Meer,
aber immer mit der utopischen Hoffnung, aus der Endzeit in ein
Neues Zeitalter (New Age) zu entsteigen, wächst.
Gilt ihre, der Mytho-Touristen, Erfahrungssuche den Weishei-
ten fremder Kulturen oder nur noch der selektiven Aneignung
des Fremden zur Selbsterfahrung? Der Religions- und Altertums-
forscher Karl Kerényi hatte die Ausgrabung fremder Kulturen als
Gleichnis benutzt und ihrer ungemeinen Anziehungskraft Geduld,
Verstándnis und Sichbegnügen entgegengehalten: Oft ist die Aus-
grabung ein Einbruch ... Man betritt aber keine systematische Aus-
stellung. Die Welt, die den Eindringenden aufnimmt, gibt. sich ihm
nursowc:tpreisalsdas Eindringen selbstein Sich-Óffnen ist. .
Ich selbst habe in meinen Reflexionen über die nahe Fremde
und die fremde Náhe — ausgehend von meinem Traum einer sich
nur im Spiegelbild zeigenden fremden Kultur — auf das Fragmen-
tarische verwiesen, das in jeder verstehenden Interpretation der
fremden Bedeutungen verbleibt. Verstehen dagegen heifit, zwi-
schen den Text-Fragmenten der verschiedenen Klturen und den ei-
genen hin und her sich bewegend, diese zu reflektieren, um ihre Be-
deutung zu entschlüsseln, Fragmente zu einem Bild zu fügen, das
über den anderen und über mich — dann auch als den anderen — et-
was aussagt. Daf) dieses Bild nie die Totalitüt der Erfahrungen einer
Kulturgruppe, eines Menschen erfafit, sondern aus den fragmenta-
risch verkandenen Darstellungen, den Texten, herausgelesen und
interprctiert werden muf, ist für den Psychoanalytiker nicht neu.
P — msscn uns auch als Anthropclogen damit abfinden, daß das
Authentische nur ein Teilauthentisches ist, sich als Ganzes, als eine
einmalig? Identität verbirgt. Ist das nicht ein Recht, das wir als Per-
sonen für uns in Anspruch nehme? Serum dann nicht auch für
Kulturen? Und so kann ich mich schlieflich auc’ mit dem Traum der
nur gcopiegelten Welt verséhnen. Sie ist nicht Schein, sondern Teil
der Authentizität, den andere Menschen, andere Kulturen uns zu ge-
ben bereit sind und geben kónnen.
Das Sich-Offnen gegenüber der fremden Kultur und die Be-
scheidung mit den Fragmenten, die man zu einem verstehenden
Bild zu fügen versucht, ist etwas anderes als die postmoderne
Textualisierung von Fragmenten, die für Schreiber und Leser
einen therapeutischen Effekt des transformierenden temporären
Bruchs mit der Alltagswelt hervorrufen soil. Das wäre die auf
Selbsterfahrung reduzierte Antwort der New Age-Bewegung, die
als Postmoderne, wie sie Hans-Jürgen Heinrichs kritisiert, be-
wufit Verwischungen von Realem und Fiktivem produziert und
|
sich selbstgefällig in der fragmentarischen Oberfläche des selbstin-
szenierten Ereignis-Werkes einrichtet: okkultes Dokument (Stephen
Tyler) wird.
1.2 Auf den Spuren des New Age-Mythos
Karl Kerényi hatte seine Reisenotizen »Auf Spuren Ces My-
thos« genannt. Diese Reisen waren das Nach-Erleben einer ver-
gangenen Epoche, Versuch ihrer Rekonstruktion über das sinnli-
che Wahrnehmen, gleichzeitig aber Vergegenwirtigung der sinnli-
chen Tradition als des fiir ihn aus der Antike heriiberwirkenden
Mythos, des wahren und giiltigen Wortes. Er hatte fiir eine Uber-
führung der klassischen Philologie in eine mehrdimensionale Kul-
turforschung plädiert, die die „sinnliche Tradition“ samt der Natur
als Umwelt der Kultur grundsätzlich berücksichtigte.
Die Forderungen nach einer ganzheitlichen und sinnlichen
Wahrnehmung kultureller Welten ist kulturanthropologischer
Forschung inhärent. Sie führt, unterstützt durch die Vergegenwär-
tigung des Wifbaren (Kerényi) - die lesend, aus Distanz anschau-
end und cenkend erworbenen Kenntnisse -, in das sogenannte
Feld, das heißt in die Umwelt der Kultur und ihrer Träger. Die
Sehnsucht des Ethnologen nach dem Feld (Greverus) ist ein Erwar-
tungshorizont, der den immer bereits vergangenen Erfahrungs-
raum in die Zukunft erweitern will: Der Horizont meint jene Linie,
hinter der sich künftig ein neuer Erfahrungsraum eröffnet, der aber
noch nic}t eingesehen werden kann (Koselleck). Die von Kosel-
leck als dialektisch bezeichnete Spannung zwischen Erfahrungs-
raum und Erwartungshorizont ist das Wesen der Geschichtlich-
keit des je gegenwärtigen Menschen, sein dynamischer Seinsvoll-
zug. Wenn nun Menschen aus einer Kultur lebende Menschen
aus einer anderen Kultur über die sinnliche Wahrnehmung erfah-
ren und erkennen wollen, wie in unserem Fach, dann muß die
verdoppelte dialektische Spannung ertragen und verstehend
durchdrungen werden. Der Angst des Forschers vor oder im Feld
(Lindner) liegt zutiefst diese oft durch zahlreiche Oberflàá-
chenphánomene umschriebene doppelte asymmetrische Span-
nung zugrunde. Der Forscher im Feld muf seine eigene Ge-
schichtlichkeit als von der fremden Geschichtlichkeit verschie-
3
den erkennen, gleichzeitig aber den eigenen Erfahrungsraum ver-
lassen, um den gemeinten Sinn des anderen zu verstehen.
Utopie und Mythos, beide im Sinne Eliades exemplarische
Modelle (... wird der Mythos, ... der die siegreiche Manifestation
einer Seinsfülle erzählt, zum exemplarischen Modell für alle
menschlichen Tätigkeiten), haben das Gemeinsame, daß sie die
asymmetrische Spannung zwischen Erfahrungsraum und Erwar-
tungshorizont im Menschen selbst und zwischen den Menschen
aufheben wollen. Doch während der Mythos seine Seinsfülle aus
der Vergangenheit in die Gegenwart weisen läßt, ist die Utopie
Gegenzug gegen das schlecht Vorhandene (Bloch). Und doch spielt
auch für den Erwartungshorizont der Utopie die sinnliche Tradi-
tion jener verlorenen Erfahrungsräume der Vergangenheit eine
Rolle: die gedachte Seinsfülle fremder Kulturen.
Meine dritte ‘amerikanische Reise’ durch die USA, eine drei-
monatige Felderfahrungsreise 1982 (der 1987 eine weitere drei-
monatige Forschungsreise folgte), war auf die Erweiterung mei-
nes Utopie-Erfahrungsraumes mit utopischen Handlungsentwür-
fen und Modellrealisationen gerichtet, den ich über Lektüre und
teilnehmende Beobachtung in verschiedenen konkreten Versu-
chen, der Zivilisation zu entkommen, in Europa gewonnen hatte.
Die Erwartung zielte insbesondere auf Modellrealisationen in
größeren (Land-)Kommunen jener Bewegung seit den 50er Jah-
ren, die Kanter in ihrem Buch über Kommunen und Utopien als
psychosoziale oder Selbstverwirklichungskommunen (mit der
Unterteilung in Rückzugs- und Missionskommunen) von den äl-
teren religiôsen und sozialistischen Kommunen abgrenzt. Die
gegenwärtige europäische Kommunebewegung ist direkt und in-
direkt von den amerikanischen Initiativen und Ideologien abhän-
gig, wenn auch, insbesondere was die großen Gemeinschaftssied-
lungen anbetrifft, nie die Dimensionen Amerikas erreicht werden
konnten, eines Landes, für das die Siedlungsbewegungen als ge-
sellschaftliche Gegenmodelle zur historisch investierten Erfah-
rung, zur überall wahrnehmbaren sinnlichen Tradition gehóren.
Allerdings, und das hat sowohl an dem durch andere Aufgaben
bedingten zu geringen Vergegenwärtigen des WiBbaren im Vor-
feld der Feldphase gelegen als auch an dem wissenschaftlich-
persönlich durchmischten Erwartungshorizont (also meiner C.z-
schichtlichkeit) hinsichtlich der neuen Wertorientierung, war die
10
Asymmetrie des Spannungszustandes besonders stark. Die neuen
Erfahrungen einer Spiritualisierung - von Selbstversorgungsfar-
men auf einer synkretistisch-religiósen Grundlage bis zu den
‘Mythotouristen’ aus aller Welt auf der Rajneeshpuram-Ranch in
Oregon oder den Inner Light Consciousness-Suchern — entspra-
chen nicht den Erwartungen neuer erdzugewandter Gemein-
schaftsmodelle, was den VerstehensprozeB erschwerte. Dazu
kam, daß die gewohnte rationale Argumentation des Forschers,
die in anderen Feldsituationen durchaus in die Gespräche einge-
bracht werden kann, hier im VerständigungsprozeB zusammen-
brach.
Wenn man Kultur als Zeichen des Geheiligten, das dem Geist
durch visionäre Wahrnehmung vermittelt wird (Roszak), interpre-
tiert — und das ist die Interpretation der spirituellen New Age-Be-
wegung -, dann gewinnt Wissen die Dimension des nicht durch
Lernen, sondern nur durch Eingebung Erfahrbaren. Das stellt
unsere anthropologische Enkulturationsthese auf den Kopf. Und
Roszak spricht auch von Kultur verkehrt — nur daB das Verkehrte
{ir ihn in dem profanen Dreieck Vernunft, Technologie, Ge-
schichte liegt, dem das geheiligte und ursprüngliche Dreieck der
Kultur mit der Basis Mysterium, Magie und der Spitze Mythos
entgegensteht.
Der amerikanische Historiker Theodore Roszak, ein scharfsin-
niger Analytiker und gleichzeitig Sympathisant der New Age-Be-
wegung, verdeutlicht am Beispiel der entstandenen Antinomie
*^rthos - Geschichte die intentionale Utopie einer Bewegung, die
trotz aller Verschiedenheit das eine gemeinsame Ziel hat, nicht in
der Geschichte verloren zu sein: Der eigentliche Zweck des Mythos
liegt darin, die Willkür der Ercignisse in eine instruktive Ordnung
umzuwc-:Zcin, so daf der Intellekt nicht dem Chaos der Zeit über-
lassen bleibt. Der Mythos macht also Geschichte erträglich, indem er
die Zeit von jener brutalen Unordnung befreit, die Vergänglichkeit
und Tod bedcutc: ... Mythen sind uns gegeben worden, damit wir
unsere persónliche und unsere kollektive Erfahrung verstehen. Sie
liefern c.» Paradigmen, die wir brauchen, um den Sinn menschli-
chen Verhaltens zu verstehez:.
Die Czschichte (und der Geschichtsbetrieb), gegen die Roszak
sich wendet (reicher an Tatsachen und ármer an Bedeutung, form-
loser Fluß von Ereignissen), ist die Ereignisgeschichte oder die
Geschichte der kurzen Zeitabläufe. Roszaks Historikerkritik trifft
sich mit derjenigen der Vertreter der ‘neuen Geschichte’, die ins-
besondere auf die Beachtung der «longue durée», der langen
Zeitabläufe, insistieren.
Nur: für die spirituelle New Age-Bewegung bedeutet der lange
Zeitablauf eben das Aufgehobensein in der kosmischen Zeitlo-
sigkeit nicht nur als Erwartungshorizont, sondern als über
Transformation des Selbst erreichbarer Erfahrungsraum. Für die
Gestaltung dieses Erfahrungsraums gilt das Collageprinzip: Ver-
gangenheitskulturen, fremde Kulturen, spekulative und esoteri-
sche Grenzwissenschaften werden ebenso auf ihre Angebote hin
abgesucht, wie die Chancen kontrollierter und unkontrollierter
Bewuftseinserweiterung erprobt werden. Wichtig und zentral ist
die Grenzüberschreitung aus dem Verlorensein in der Geschichte.
Wáihrend des Amerikaaufenthalts haben wir zahlreiche Grup-
pen bzw. Institutionen dieser New Age-Bewegung besucht, mit
einem Aufenthalt zwischen einigen Stunden und einer Woche.
Die Datensammlung reichte von Gesprächen, die nur teilweise
auf Band aufgenommen wurden, über die Sammlung von Doku-
menten bis zur teilnehmenden Beobachtung, die auch die Beteili-
gung am Arbeitsalltag und spirituellen Sitzungen bedeutete.
Hier kann man sicher die Frage nach der Berechtigung der Re-
levanz einer solchen Vorgehensweise erheben. Der langzeitliche
Feldaufenthalt im Mikrokosmos eines Stammes oder einer Ge-
meinde, der von Ethnologen als der Kónigsweg der Erkenntnis-
findung bezeichnet wird, trifft hier ebensowenig zu wie der
soziologische Kônigsweg der repräsentativen Erhebung, die den
Feldaufenthalt des Forschers selbst überflüssig macht. Diese
Reise galt allerdings auch nicht der abschließenden Datensamm-
lung, sondern dem direkten Kontakt mit Menschen, die die New
Age-Philosophie zu leben versuchen. Die eigentliche Erkenntnis
aus diesen Begegnungen war die Vielfalt und gleichzeitige Ähn-
lichkeit der Patterns alltagsweltlicher Lebensgestaltung in ihrer
Abhängigkeit von der tragenden Idee einer Selbstverwirklichung
über die spirituelle oder psychosoziale Gemeinde. Die Suche
nach einer menschlichem Leben sinngebenden, transkulturellen
Wahrheit, nach dem Mythos, dem wahren Wort und dem Ent-
kommen aus geschichtlicher Determiniertheit führt zu einer my-
stischen Erlösungssuche, in der der Tod im Leben (Darshan Singh)
i2
oder das Sterben der alten Identität (Paul Solomon) jenen Prozeß
der Transformation oder der radikalen Verwandlung notwendig
macht, der uns im charismatischen Milieu dieser Kommunen und
Workshops immer wieder begegnet. Fremdheit gegenüber dem
average human (Solomon), dem Durchschnittsmenschen, wozu
der teilnehmend beobachtende Forscher ebenso gehórt wie die
übrige ehemalige Mitwelt der *Ausgestiegenen', ist Teil der Legi-
timationsarbeit. Das kann von der desinteressierten Tolerierung
oder der MiBachtung über Bekehrungsversuche bis zu offener
Feindschaft führen. Das kann aber auch Mitteilung, Wissensaus-
tausch oder den Versuch, ein klienteláres Netz auszubauen, be-
deuten. Und das kann manchmal auch zur verstehenden Begeg-
nung zwischen zwei Welten führen.
Die Erfahrungen aus der sinnlichen Wahrnehmung einer sol-
chen Reise sind nun sicher nur ein Teil kulturanthropologischer
Forschung. Ein gerade bei diesem Thema wesentlicher Schritt
zum Verstándnis des gemeinten Sinns ist die Dokumentenanalyse
der Selbstzeugnisse der einzelnen Gemeinden und ihrer Führer
und der Versuch einer Rekonstruktion ihrer angeeigneten Tradi-
tionen. Diese Rekonstruktion bedeutet aber zunächst die Aufló-
sung einer Lebenscollage in ihre disparaten gesellschaftlichen
Wirklichkeiten (fremder Kulturen und deren Geschichtlichkeit),
was ein intensives Literaturstudium auf oft sehr fachfremden Ge-
bieten beinhaltet. Dann erst kann die Frage kommen, ob die Col-
lage aus den disparaten Realitäten im Hier und Jetzt der Gruppe
die intendierte sinnstiftende Seinsfülle erreicht hat, wie sie sich
im Handlungsvollzug manifestieren kann, und welche Bedeu-
tung diese neue gesellschaftliche Konstruktion von Wirklichkeit
in den Schalt- und Aufenstationen dieser sozialen Bewegung für
die gesamtgesellschaftliche Entwicklung hat.
Bedeutet diese Bewegung nur Ereignisgeschichte? Ist sie nur in
das Rezitativ der Konjunktur, des Zyklus wirtschaftlicher und
sozialer Phánomene (Braudel) einzuordnen? Ist sie das Auftau-
chen aus dem Strom der historischen «longue durée»? Oder ist
sie, wie ihre Vertreter es wollen, der evolutionàre Bewuftseins-
sprung, der die Geschichtlichkeit in der kosmischen « longue du-
rée» überwindet?
Was mir in Amerika begegnete, die Transformation der gesuch-
ten sozialen Kommunebewegung in eine spirituelle Bewegung,
13
das fand ich nun allenthalben auch in Europa, oder besser in Mit-
teleuropa, oder auf den von Amerikanern und Mitteleuropäern
‘besetzten’ Inseln des Südens. Paul Solomon, der neue schlafende
Prophet aus Virginia Beach — der jetzt auch ein Zentrum in Bel-
gien hat —, ládt inzwischen seine Jüngerinnen und Jünger zu mit
Inselfahrten im Mittelmeer oder “Cross Country Skiing’ in den
Ardennen verbundenen Workshops ein und zu ‘Familientreffen’,
bei denen es heißt: Breakfast will include dream interpretation.
Auf Lanzarote ist das in Freiburg i. Br. erdachte spirituelle Fe-
rienzentrum Etora entstanden, in dem gegen hohe Kurs- und Auf-
enthaltsgebühren Urlaub und Erleuchtung eine Kombination
eingehen. Lóuterung, Metamorphose und Wiedergeburt sollen in
einer Ganzheitslehre vermittelt werden. Für deutsche Städte
kann man schon eine ganze Topographie spiritueller und okkulter
Orte erstellen, in denen = stationär und temporär - die rituellen
Abgrenzungen von Zeit und Raum und je eigener Kultur prakti-
ziert werden.
Die personale Selbstfindung (das Manifest der Person, Roszak)
gehórt zu den Schlüsselworten der sanften V-rschwórer, wie sie
Marilyn Ferguson, eine Leitfigur und journalistische Netzwerk-
Managerin dieser Aquarian Conspiracy, bezeichnet. Der Rück-
gang der Kommunen, in denen der Gedanke sich eben an der
sozialen Realität stößt, gegenüber den Workshops, die das Wo-
chenend-Individuum in der Freisetzung seines Gedankens be-
treuen und bewirten, gehórt zu dieser Entwicklung. Und hier
wird deutlich, daß der spirituelle Grenzgänger zur Erfahrung des
Fremden auch zu Hause bleiben kann. Die Fremden kommen
selbst aus der Fremde, oder die in der Fremde initiierten Einhei-
mischen werden zu Mittlern für eine Gemeinde der Workshop-
Grenzgänger.
Die Verschwórer sehen sich als planetarische Familie auf dem
Weg zu einer spirituellen Weltkultur, c;e alle nationalen Grenzen
überwindet; dabei ist die Technologie das machtvolle Mittel, um
Verbundenheit unter den Menschen zu schaffen (Ferguson). Mit
Hilfe dieser Technologie kann man (aber wer?) natürlich indiani-
sche Schamanen, australische Aborigines, indische Gurus zu
einem Workshop einfliegen, sich auf einem FriedenskongreB ir-
gendwo in der Welt treffen, sich daheim über Video die Prophe-
ten des Neuen Zeitalters anhôren und ansehen, Tausende von
i 4
spirituellen Büchern und Kassetten kaufen. Ferguson würde das
die rechte Nutzung unseres kollektiven Nervensystems nennen,
und sie verlagert den Traumort der Transformation nach Amerika
(und dort nach Kalifornien): Wenn wir einen erweiterten amerika-
nischen T-aum tráumen sollen, so müssen wir über unsere eigene Er-
fahrung hinaus gehen, genauso wie sich die Autoren der Verfassung
der Vereinigten Staaten in das politische und philosophische Gedan-
kengut zahlreicher Kulturen versenken mußten, und auf dieselbe
Weise, wie die Transzendentalisten Erkenntnisse aus der Weltlitera-
tur unc aus verschiedenen Philosophien miteinander verbanden, um
ihrer Sicht der inneren Freiheit Ausdruck zu verleihen.
" Versenkung' in andere Kulturen über die Mittel der Technolo-
gie - ohne die Gegenwürtigkeit dieser fremden Kulturen in ihrer
Gebrochenheit wahrzunehmen, ohne sich mit der eigenen Gebro-
chenheit auf sie einlassen zu müssen - in einem Feld von spiritu-
ellem Jet-set? Cpirituelle Weltkultur der sanften Verschwórer, die
- und eben nicht jeder Bürger — die Móglichkeit von Konferenzge-
sprächen via T.lephon und zu kostengünstigen Einrichtungen für
den elektronischen Schriftsatz haben (Ferguson).
Es sind die Wenigen, die Roszak als Kulturschópfer propagiert,
in dem gleichen Buch, das eine kalifornische Wandinschrift aus
Berkeley zum Motto hat: Die Bombe ist schon gefallen, und wir
sind dic Mutanten. Und an anderer Stelle sagt er: Wir, die wir so
lange auf die Bombe gewartet haben, gibt es für uns eine andere
Möglichkeit, als unser Augenmerk auf eine Erlósung zu richten, die
so apokalyptisch ist wie das Jüngste Gericht, von dem wir — seien wir
ehrlich = gnadenlos gehetzt werden?
Ich gebe zu, diese Sätze haben mich verwirrt und mir in ihrem
Zynismus Angst gemacht. Die — wissenschaftliche — Verwirrung
konnte ich über die Analyse ihres subjektiv gemeinten Sinns ab-
bauen, die Angst, das Erschrecken - die nicht über verstehende
Analyse auszuräumen sind - sind geblieben.
Die Erlôsten, die Mutanten, die Wenigen sind diejenigen, die
das neue EewuBtsein haben; die in Workshops, Sekten und Kom-
munen auf das Uberleben und das Dasein als neue Menschheit
trainiert werden, wenn die Bombe gefallen ist, wenn die Erdbe-
ben die Welt zerstórt haben: ... seid nicht besorgt wegen der Zer-
stórung dieses Tonklumpens, der die Erde ist. Und wenn alle Körper
mit ihm zerstört werden, es ist ohne Bedeutung. Ihr seid nicht Kör-
[5
per, sondern das höhere Bewußtsein, das diese Körper als ein Werk-
zeug benutzt, um sich auf dieser Erde auszudrücken. Lernt, daß ihr
seid ... Überwindet die Erde und erhebt euch über sie, denn wie es
jene Sintfluten, jene Wandlungen dieser Erde gibt, so gibt es jenes Be-
wufitsein, daf) ihr hinaufgetragen werdet... und wenn die Erneuerung
aus den uranfünglicken Teilen der Natur kommt, das Werden jener
neuen Wesen, die die Erde bewohnen, so werdet ihr unter denen sein,
die hierher kommen, werdet unter diesen neuen Wesen weilen, ihre
Form annehmen und sie lehren, daß auch sie Gott werden.
So predigt Paul Solomon in seinen Readings. Bei Goodman,
dem Autoren des Buches »We are the Earthquake Generations,
heißt die Uberlebensstrategie einfach Consult Your Local Gold-
fish, womit allerdings auch hier die Nutzung von BewuBtseins-
energien gemeint ist. Bei Jochmans ^Rolling Thunder. The Co-
ming Earth Changes« werden Prophezeiungen aus allen Kulturen
und Zeiten herangezogen, besonders aber Nostradamus, um die
Zeichen des Weltuntergangs für dieses Jahrtausend zu belegen.
Bomben stehen neben Erdbeben, Kriege neben Vulkanausbrü-
chen, Hungersnóte neben Flutkatastrophen, nukleare Unfille ne-
ben dem Erscheinen des Antichrist.
Die Lehren jener Propheten, Gurus und Teacher, die sich der
spirituellen Erlôsung über und durch die Weltkatastrophen zuge-
wandt haben, sind nicht nur verschieden hinsichtlich ihrer
Inhalte, sondern auch hinsichtlich ihres intellektuellen Levels.
Das reicht von der naiven Klitterung gängiger neuer Popularlite-
ratur bis zur sophistischen Collage aus Philosophien und Physik.
Gemeinsam aber ist ihnen allen die spirituelle Hoffnungspredigt
des Überkommens der Katastrophen, wobei Naturkatastrophen
und gesellschaftlich bedingte Katastrophen zusammenfließen.
Ich habe sie deshalb — wie Goodman, wenn auch in Absetzung
von seiner Interpretation und Intention — die Erdbeben-Genera-
tion genannt. Eine Generation, die dazu tendiert, Erdbeben und
andere Naturkatastrophen als Strafgericht zu interpretieren, und
wissenschaftliche und politische Katastrophen als ebenso
zwangsläufig und schicksalhaft zu betrachten (und dadurch hin-
zunehmen). Eine Generation, die gleichzeitig an eine ‘wissen-
schaftliche' Belegbarkeit der Katastrophentheorien glaubt, an die
Gabe von ‘Sehern’ dieser Entwicklung und an die Chance des
Überlebens durch Spiritualität.
16
Diese Generation ist nicht Generation im genealogischen
Sinne, sondern in einem epochalen. Sie ist aber trotz aller Beteue-
rung der weltweiten Verschwórung keine weltweite Erscheinung.
Sie ist trotz aller Gegenargumente keine Jugendkrise, sondern
altersunspezifisch.
Sie ist schichtenspezifisch und charakteristisch für die spátka-
pitalistische Klassengesellschaft. Sie hat ihre direkten Vorläufer
allerdings in einer Jugendkultur der Nachkriegszeit, für die die
Bombe bereits gefallen war, und ihre Bezüge zu einer heutigen
Jugendkultur, die noch immer auf den großen Knall wartet, wartet,
bis die Bombe fällt, No Future, den Untergang, für eine Gesell-
schaft sieht, aus der sie sich selbst entfernt hat. Letztere aber
nicht in spiritueller Überlebenshoffnung, sondern im provokati-
ven Augenblick der Gegenwart. Auch hier Rückzug aus der Ge-
sellschaft: Naja, ich mein’, es ist ja halt offensichtlich, daß ich mit
Gesellschaft nicht viel zu tun hab’, weil ich nichts damit zu tun haben
Will ... Wir haben es doch schon lángst aufgegeben, das ist ja Puni..
So Äußerungen von StraBenpunks 1982.
1.3 Umwege
Die Erdbeben-Generation ist nur eine Seite der von Menschen
auf unserer Erde versuchten Weltbewiltigung in die Jahrtausend-
wende. Um zu erkennen, da sie letztendlich keine weltweite Be-
wegung ist, keine internationale neue Volkskultur (Roszak), ge-
nügt es nicht, sie im Sinne einer traditionellen Ethnologie wie
einen Stamm oder ein Dorf in langfristiger teilnehmender Beob-
achtung zu untersuchen, es genügt auch nicht, sie als planetari-
sche Familie isoliert zu sehen, auch nicht, nur die Schriften zu le-
sen, auf die sie sich bezieht. Wir müssen immer, auch wenn dies
dann in einem Buch, das einen Ausschnitt von gesellschaftlicher
Wirklichkeit darstellt, nicht mehr analysiert wird, das breite
Spektrum gesellschaftlicher Wirklichkeiten und ihre je kulturelle
Konstruktion und Rezeption sehen. Und ich meine damit nicht
nur die anderen Bewiltigungen des Jahres 2000 im Westen.
Daf ich lange gezógert habe, dieses Buch zu schreiben, hängt
nicht nur mit der Überwältigung durch die Fülle des zunächst
konturlosen Materials zusammen, sondern auch mit Aufgaben
M
und Interessen, die mich andere Wege geführt haben, mir im di-
rekten Kontakt mit Kulturen, auf die sich jene sanften Verschwó-
rer immer wieder beziehen, andere Perspektiven auf die Jahrtau-
sendwende zeigten. Die folgenden Ausführungen über die V.
China, südpazifische Staaten, ein Indianerreservat in Kanada
und über Sizilien sind Perspektiven, die ich durch Reisen und
Forschungsaufenthalte erfahren habe. Die Darstellungen sind
keine Monographien über fremde Kulturen, sondern erlebte Aus-
schnitte aus der sinnlichen Wahrnehmung fremdkultureller Ge-
genwartswirklichkeiten. Sie dienen sowohl der Reflexion über
die Anderen als auch derjenigen über das Selbst, den in seine ei-
gene Kultur eingebundenen Forscher. Sie sollen als ein Exkurs
verstanden werden, der Nachdenken bewirkt: Nachdenken auch
über das Fremde als Befremdendes in der eigenen Gesellschaft
und die oftmals sehr viel größere emotionale Nähe des Forschers
zu den Hoffnungen und Ängsten in den gedachten und gelebten,
den gewünschten und unterdrückten Ordnungen in den Gesell-
schaften der Anderen. Die Ebenen von Erfahrung und Interpre-
tation sind vielschichtig; scheinbare Umwege können uns Ein-
sichten vermitteln, die uns eine eigensinnige Beschränkung
auf unseren gesellschaftlichen Erfahrungsraum nicht erlaubt
hätte. Der Blick in die Ferne hebt die anderen Konturen des Ei-
genen schärfer hervor.
Da war die Volksrepublik China:
Am 15. September 1985, am Anfang der Reise, schrieb ich in
Peking in mein Tagebuch: Bisher ist China für mich die Katastro-
phe eir.:s ezneuten Verfalls — der Weg zu Pasolinis anthrepologischer
Mutation in die konsumkonformistische Czsellschaft, obgleich jeder
ein Indiv:Zuum sein will: das Gegenteil von Maos permanenter Kul-
furrevc/ution. Vielleicht ist es ungerecht, die Freude über die neue
FarbigXeit' zu verurtcilen, aber sie ist so trostlos: ein paar Windjak-
ken, hohe Hacken, bunte Pullover gegen die (trotzdem noch überwie-
genden) blauen und grünen, immerhin formschónen Einheitsan-
züge. Eesonderer Staat wird mit den Kindern gemacht: farbenfreu-
dig, z. T. kitschig, auffallend dann wieder der Uniformlook für kleine
Jungen ... Heute im Sommc:palast waren die Ausflügler, mit Bus-
sen angekarrt, sie wálzten sich zur Pagode, auf den Wegen, in die
Boote ... Eine grofle Attraktion war das Fotografiertwerden als
| 8
Kaiser/ Kaiserin. Sichverkleiden? Einmal Kaiser sein? Bewältigung
der Vergangenheit oder „Aneignung“ oder die Rache des kleinen
Mannes? Insere Denkmalpfleger würden wahnsinnig über die Art,
wie aus jedem Kulturdenkmal ein Volkspark gemacht wird. Und die
Busse stehen überall. Besonders auffällig und erschreckend auf dem
von überdimensionalen Steinfiguren geschmückten Totenweg zu den
Minggräbern: der zusammengesunkene Elefant vor einem Bus.
Und Wochen später reflektierte ich noch einmal in meinem Ta-
gebuch die großen Städte Chinas, die für mich am deutlichsten
den schweren Weg in eine eigenständige Zukunft widerspiegel-
ten. War mein Eindruck 1985 von einer privat-festlich konsumi-
stischen Aneignung des Platzes des Himmlischen Friedens ein fal-
scher oder war es eben diese Aneignung, die zu der tödlichen Tra-
gik von 1989 führte? Zu den Toten auf dem Platz des Himmli-
schen Friedens, in den großen Städten?
Die Städte: In Wuhan. Nächtliche Lichterstadt, ein Spaziergang
auf die Yangtze-Brücke, die unter der Last der großen Transporter
zitterte; Angst vor der Tiefe, der Bewegung und der Fußgängerein-
samkeit. Auf der anderen Seite auf dem Bürgersteig eine Herde von
25 Wasserbüffeln, dunkel trottende Masse ver den Lichtern der
Stadt. Celassen zogen sie an den Lastern vorbei. Zwei Welten: bäu-
erlich fremdes China, erdnah und oft primitiv in seiner Arbeitsweise,
gegenüber dem vertrauten, wenn auch überdimensionierten städti-
schen Gigantismus des Verkehrs, der Bauten, der Hektik. Und doch
waren die Städte immer auch durchsetzt von diesem Kontrast zwi-
schen einst und jetzt. Auf dem nächtlichen Heimweg von der
Yangtze-Drücxe begegneten uns neben den vielen Lastern ebenso die
Fahrräder und die Eselskarren, mit denen die Bauern vom Markt
heimfuhren.
Der Verkehr war wohl das Eindrucksvollste und Aufreibendste
dieser grofien Stüdte: ungeregelt, gefahrbringend (nicht umsonst ist
die Verkehrserziehung neben der Familienplanung das grofle Plakat-
thema dc: C:aates, wührend die alte politische Propaganda fehlt) er-
giefit er sich über die Strafen.
Zu den Sehenswürdigkeiten schoben sich Hunderte von Touri-
stenbussen im 10-km-Tempo, entgegen kamen ihnen die Laster und
die kleinen Traktoren, die ihre Waren zu den Stadtmárkten fuhren:
Gänse saßen angebunden für ihre „erste und letzte“ Busfahrt auf
dem Dach. Dazwischen Tausende von Fahrrädern, z.T. überladen
19
mit Obst und Tieren (nur in der Bergstadt Chongking gab es keine
Fahrräder), in Kanton dazu der neue Boom des Motorrades; Esels-
karren und in Peking die Mulitroikas, Kulis, die schwere Zement-
Wagen an einem Schulterriemen zogen, die Stadtbusse mit vergitter-
ten Fenstern, an denen sich die kleinen Plattnasen noch platter
drückten — und Fufigánger, eilig irgendwohin strebend, oder trip-
pelnd unter Tragelasten oder geruhsam mit dem kleinen Bambus-
kinderwagen.
Dieses Bild war in allen Stádten; auf den Márkten verdichtet zu
unendlichem Geschiebe zwischen Waren, Menschen, Lastwagen,
Fahrrädern und Lastenträgern. Ruhiger wenn auch immer noch
übervoll, ein Feiertag auf dem , Platz des Himmlischen Friedens“
(Tiananmen-Platz): wieder die langnasigen und die chinesischen
Touristen (dr wesentliche Unterschied war, daß die Chinesen fast
ausschließlich sich selbst vor den Denkmälern knipsen ließen),
Paare, Gruppen von Jugendlichen, manchmal eine alte Chinesin,
trippelnd auf ehemals zusammengebundenen Füflen, gestützt von
ihren erwcchsenen Kindern. Ermüdet oder für eine Lesepause kau-
erte sich alt und jung in die unnachahmliche chinesische Hocke (auf
flachen Füf'en'). Intim-private Aneignung eines öffentlichen Platzes,
der Chinas Cfnung zur Welt, die Macht des neuen China symboli-
sieren will, der früher an allen Ecken mit überdimensionalen Mao-
Plakaten ausgestattet war, wo Paraden vor der 20000- Menschen-
Tribüne und Volksreden stattfinden sollen? Der Unterschied dieser
neuen Aneignung zum Roten Platz in Moskazı fállt auf: dort die an-
gekarrten Volksschlangen vor dem Lenin-Mausoleum; Wachabló-
sung; Mdnner mit den Verdienstorden der vorbildlichen Personen;
uniformierte Kinder mit Blumen im Marsch auf das Mausoleum;
Hochzeitspaare zum Foto vor dem Mausoleum; Polizei und Militär;
Ordnungspfiffe, wenn man aus den abgesperrten Wegen auf die
Strafie ausbrach. Hier: flanierende Besucher, die knipsend besichti-
gen; Versuche der Farbigkeit gegen die blau-grüne Einheit;
spielende Kinder; Hochzeitsfeiern mit viel Feuerwerk in den großen
Hotels; regelloses Gewoge über den Platz, gefahrvolles Springen
über die Straßen. Schaut Mao vom einzig ihm verbleibenden Ge-
mälde am „Tor des Himmlischen Friedens“ diesem neuen Treiben
gelassen zu?
Mao ist aus dem Gedächtnis gestrichen, seine Bilder sind ent-
fernt; vor der alten Universität steht er zwar noch auf dem Sockel,
?0
aber „er hat zu viele Fehler gemacht“ = und die Kulturrevolution ist
das Schreckgespenst des neuen China. Ist nur „Laßt hundert Blu-
men miteinander blühen“ als wörtliche umgesetztes Konsumschau-
spiel einer Metapher, die sich in „Laßt hundert Denkrichtungen mit-
einander streiten" fortsetzte, von ihm geblieben? Der 1. Oktober:
überall neue Blumenrabatten, bunte Fühnchen, freier Tag, Tanz in
den Discos.
Auf Plakaten und Briefmarken blühen Blumen. Aber es sind junge
Chinesinnen in alter Tracht, die, sanftáugig und mit langen Haaren,
die Blumen begieflen; nicht mehr die kurzhaarigen Mädchen in
Blauanzügen, nicht die friseurgelockten Mädchen in westlicher Klei-
dung. Und im Revolutionsmusical tanzten exotische Zierlinge in
durchsichtigen Schleiergewändern den Tanz der Reisernte. Vor mei-
nen Augen aber standen andere gesehene Bilder der Erntenden in
den kleinen Dôrfern jenseits der Städte.
Für die armen Städter in ihren beengten Wohnverhältnissen ge-
hörten jene allerdings zu den ‘reichen Bauern’. Der reiche Bauer’:
dieser Ausdruck begegnete uns immer wieder — von den Ökonomen
an der Universität Hefei bis zu den Gesprächen mit dem Mann auf
der Straße. Der reiche Bauer, das war derjenige, der am ehesten von
der Liberalisierung der Wirtschaft, dem freien Marktverkauf und
der Privciisierung profitieren konnte, der sich mehr leisten konnte
als der Stádter.
China 2000, das bedeutete in den Gesprächen Anschluß an die
euro-amerikanische Wirtschaftsentwicklung über die vier Moder-
nisierungen: Landwirtschaft — Industrie — Wissenschaft /
Technologie - Verteidigung. So die offizielle Version, die in der
Interpretation der Kriterien der Wandlung für die neue Ära der
Liberalisierung bei einer jungen Chinesin sich wandelte in:
l. Leistung und Schnelligkeit, 2. Farbigkeit und Individualität,
3. Auflósung der Traditionen, 4. neuer Konsum (mehr arbeiten
und gut leben: Reisen, Mode, Essen), 5. größerer Stellenwert der
Freizeit, 6. Talententfaltung für Frauen (weniger Hausarbeit,
Eintreten in männliche Berufspositionen).
Diese sechs Kriterien der Wandlung waren durchzogen von
dem ersten und obersten Prinzip der Leistung als Grundlage für
die Wandlung zu einem neuen, als farbig und individuell bezeich-
neten Konsumverhalten. Dieses Prinzip Leistung begegnete uns
überall, vor allem aber in der Hoffnung und Erziehung für die
Heranwachsenden. Das bevölkerungspolitisch motivierte Ein-
Kind-System argumentierte propagandistisch — und diese Argu-
mente wiederholten sich in den Antworten der Chinesen auf un-
sere Fragen — mit der Freisetzung von Leistungspotential für El-
tern und Kind und dem daraus erwachsenden individuellen Frei-
raum: die Eltern, insbesondere die Mutter, gewónnen mehr Frei-
heit für ihre eigene Talententfaltung, ihre Freizeitgestaltung und
die Befriedigung ihrer neuen Konsumbedürfnisse; das Kind —
das in seiner Kleidung die neue Konsum-Prestige-Zuwendung
am deutlichsten widerspiegelte — kónne besser ausgebildet
werden. Kindergärten, Schulen und Universitäten, die wir be-
suchten, vermittelten allenthalben diese Leistungsorientierung.
Konzentrationsübungen bereits in den Kindergárten dienten
nicht meditativer Ich-Entleerung, sondern der konzentrierten
Leistungssteigerung, ein Schulplakat über das ‘gute Kind’ be-
tonte Disziplin, Fleiß, Körperertüchtigung, Achtung vor Lehrern
und Eltern, Mithilfe im Haushalt und Sauberkeit. In einem
Schulhof war der Inhalt des englischen Sprachunterrichts anläß-
lich der Celebration of the Foundation cf the People's Republic auf
einer großen Tafel ausgestellt. Dort hieß es unter anderem: Can
you teil the Proverbs — No pains, no games; No sweet, without sweat;
No will, no meal; Knowledge is power; Facts speak louder than
words.
China hat sich einem Fortschritt in eine materielle und kon-
sumorientierte Zukunft verschrieben; das wurde in Erziéhungs-
programmen ebenso vermittelt wie in den neuen Bauerndôrfern,
den Fabriken, den Arbeitersiedlungen und den Frauenverbän-
den.
Was Wolfgang Bauer in seinem faszinierenden Buch über
»China und die Hoffnung auf Glück« für viele Epochen Chinas
bereits in Frage stellt — Mit rückwürts gewandtem Kopf — so lautet
eines der fast nirgends bestrittenen ... Urteile über das große Reich
im Fernen Osten — ist China, ein Land ohne Kindheit, bis in unsere
lage hinein durch die Jahrtausende geschritten, alle Ideale in der
Vergangenheit, kaum irgendeines in der Zukunft suchend -, das
stellt sich fiir die Gegenwart am entschiedensten in Frage.
^! Ching: das Buch der Wandlungen, auf das sich auch unsere
studentische Ortsbegleiterin in Chongking mit ihren Kriterien der
Wandlung bezog, hat nicht nur als solches eine Fülle von sich
u
a£,
wandelnden Kommentaren bekommen, sondern ist im übertrage-
nen Sinne immer wieder neu geschrieben worden. Doch wohl
erstmals heute mit jenem starrenden Blick in das Paradies des We-
stens — das nicht jenem berühmtesten buddhistischen Paradies
des Westens, dem Land Sukhävati, dem Buddha-Land, das von
dieser Welt 100000 niyutas von koti von Buddha-Lündern entfernt
ist, entspricht, das seit dem 3. Jahrhundert n. Chr. auch eine chi-
nesische Hoffnung war, sondern dem linearen Fortschrittsden-
ken der Industriegesellschaften.
Der Ostwind übertrifft den Westwind, Maos These von 1957, ist
anscheinend aufgehoben. Oder ist es jener Umschlag in das
Gegenteil, der in der dialektischen Bewegung aller in sich wider-
sprüchlichen Erscheinungen aus dem Gegensatz hervorgeht, als
eine Phase der unendlichen, permanenten Wandlungen, die sich
aus dem kreativen Widerspruch in den Dingen, aus Identität und
Kampf der gegensätzlichen Seiten des Widerspruchs (Mao Tse-
tung) ergeben? Die Polarität der Dinge, die immerwährenden
kreativen Widersprüche und die Absolutheit des unendlichen
Kampfes als bewegendes Moment der Wandlungen sieht Wolf-
gang Zauer als den nur chinesischen Anteil des maoistischen
Marxismus, den er auf die von Mao Tse-tung angeeignete Onto-
logie des Yin-Yang-Prinzips als des Urprinzips der sich bekämp-
fenden und ergánzenden Widersprüche im »Buch der Wandlun-
gen« zurückführt, die aber nunmehr von einer numerischen End-
lichkeit in die unendliche Bewegung transportiert seien. Begriff
ist "1. 21, Endliches Unendliches ... Ich bin das All, Leben ist Tod,
Tod i:: Leben, Gegenwart ist Vergangenheit und Zukunft, Vergan-
genhe:t und Zukunft sind die Gegenwart ... Yin ist Yang ... das sich
Wandelnc2 ist ewig, sagte Mao.
Hier kónnte man Parallelen zu den Aussagen der neuen spiri-
tuellen Gurus im Westen — Ich bin Gott, Der Tod im Leben - kon-
struieren, aber es bliebe eine Konstruktion, die den Kern der
Aussage nicht trifft. Fr die maoistische Philosophie liegt die Er-
kenntnis in der unendlichen Bewegung zwischen Praxis und Er-
kenntnis: diese zyklische Form wiederholt sich endlos, und der
Inhalt von Praxis und Erkenntnis wird bei jedem einzelnen Zyklus
auf eine hóhere Stufe gehoben (» Über die Praxis«). In der cerma-
nenten materiellen Revolution der Gemeinschaft, in der Bewe-
gung, dem Prozeß an sich wird die ideale Gesellschaft greifbar:
23
An die Stelle der glückseligen Ewigkeit des Himmels und des Para-
dieses, die aus einer unendlich großen, ruhenden Zeit entspringt,
tritt so die rauschhafte Ewigkeit der Erde, die sich aus einer unendli-
chen Kette unendlich kleiner ekstatischer Augenblicke zusammen-
setzt, in denen das Umschlagen der Gegensätze wieder und wieder als
erregende Neugeburt pulsierenden Lebens empfunden wird (Bauer).
Dieser bewegende, unendliche, kreative Widerspruch der ma-
teriellen Welt führt hier nicht zum spirituellen Manifest der Per-
son und deren Tod im Leben als ekstatischem Augenblick der kos-
mischen Allverbundenheit, nicht zum kosmischen Bewußtseins-
sprung, sondern zur gesellschaftlichen Nutzung der Polaritäten
und ihres Kampfes gegen den Dämon der Erstarrung.
Yin ist Yang bedeutet nicht die harmonische Verschmelzung
des Widerspruchs, sondern den Umschlag, der in der Bewegung
notwendig zu immer neuem Umschlagen führen muß. Die Kul-
turrevolution war die forcierte menschliche Vorwegnahme dieses
ontologischen Weltprinzips. Sie beschleunigte gleichzeitig die Be-
wegung, die zu dem Westwind der neuen chinesischen Ära führte.
Inzwischen weht im Westen der Ostwind aus den verschiedensten
Richtungen. Er hat auch die Idee des Yin und Yang in die spirituell-
ökologische Bewegung gebracht, wobei hier - eher mit rückwärts ge-
wandtem Kopf als in China - eine Harmonisierung des Wider-
spruchs erstrebt wird. Für Ivan Illich heit diese Harmonisierung
Dualitàt, die Mánner und Frauen in einer Kultur voneinander absetzt
und sie daran hindert, das gleiche zu sagen, zu tun, zu begehren oder
wakrzunehmen. Sein Blick ist dabei auf traditionelle Gesellschaften
gerichtet, die für ihn Genusgesellschaften sind. Die Kriterien der
Wandlung unserer Chinesin würde er als Wandlungen zur ókonomi-
schen Sexus-Gesellschaft bezeichnen, in der die Dualität der Er-
gänzung zum antagonistischen Kampf wird.
Charakteristisch für die Übernahme der Yin / Yang-Idee im We-
sten ist wohl, daß das Urprinzip der Gegensätze vorrangig auf die
Frau / Mann-Antagonismen eingeschrumpft wird, wobei Yin als
vernachlássigte weibliche Seite mit intuitiver Weisheit, Synthese und
ökologischem Bewußtsein gleichgesetzt wird und Yang mit der mas-
kulinen Seite - rationales Wissen, Analyse, Expansion (Capra). Die
Betonung der Yang-Komponente in unserer Gesellschaft, so Ca-
pra, habe zu einem Disequilibrium geführt, das nunmehr in der
Wendezeit zu einer unerhórt evolutionáren Bewegung umschligt:
... eine Umkehr in der Fluktuation zwischen Yin und Yang. Wie der chi-
nesische Text sagt: ,, Hat das Yang seinen Gipfel erreicht, zieht es sic
zugunsten des Yin zurück." Aber das, was aus dem absoluten Kampf
der Gegensätze im chinesischen Denken zu einer Wandlung führt,
wird hier zu harmonischen gesellschaftlichen und ökologischen Be-
ziehungen, wobei Capra insbesondere noch betont, daß die Ver-
bindung von moderner Physik und Mystik auf sehr schöne Weise
die Einheit und komplementäre Natur der rationalen und der intuiti-
ven Bewufitseinsarten des Yang und Yin zeige.
Daß diese Yin / Yang-Thematisierung schließlich im privatisti-
schen inneren Raum endet, daß im Westen >I Ching« zur thera-
peutischen Sclbstanalyse und zur privaten Schicksalsbefragung
wird, ist ein konsequenter Schritt des Manifests der Person. In der
„Goldmann Ratgeber“-Reihe erscheint es somit auch als Schlüs-
selbuch zur Lebenshilfe: Eventuell ist man in einem Dilemma, das
Ehe, Liebe, Gemeinschaft betrifft — oder Laufbahn, Beruf und
Arbeit — Zusammenarbeit — oder auch weltanschauliche Thematik
… In solchen und áhnlichen Angelegenheiten móchte I Ging einen
Rat geben.
Auch das »Buch der Wandlungen« kann sich im Westen nicht
dem Zugriff auf die personale Gesundheit des Glücks entziehen,
in deren Clückszentrum die zwei L — Laufbahn und Liebe — als
gesellschaftlich produzierter (Rest-)Sinn individuellen Lebens
stehen. Marilyn Ferguson hat sowohl Der Transformation der Ge-
Scháftswelt und Dem neuen Unternehmer im Zeitalter des Wasser-
manns ein Kapitel gewidmet als auch den Transformativen Bezie-
hungen. Ein Mann, der ihren Fragebogen zur Verschwórung im
Zeichen des Wassermanns ausfüllte: Ein grofer Teil der Transfor-
mation ist durch Beziehungen in Gang gebracht worden. Daf ich
Frauen hatte, die mich wirklich liebten, half mir, meine sexistischen
Haltungen abzulegen. Dies trug sehr zu der anwachsenden Natur
des „Yin“ bei, die ich in mir selbst anerkannte; es hat mein Leben
und meinz Arbeit vereinheitlicht. Wir 3nnten auch interpretieren
L = Laufbahn (Yang) und L = Liebe (Yin) harmonisch vereint,
das »* Ching« braucht nun nicht mehr um Rat gefragt zu werden,
und der gesellschaftliche Sinn ist überflüssig.
No sweet, without sweat — ein Gedanke, den der Westwind nach
China getragen hat und der, abgesehen von den ‘Wenigen’, auch
im Westen noch seine materielle Bedeutung hat, wobei für viele
25
bereits der unfreiwillige Ausschluß aus dem Schweiß der An-
strengung (und damit auch dem Preis) gilt — ist für die Unterneh-
mer ein bißchen mehr Yin, für dessen Gewinnung 'Chefsemi-
nare' angeboten werden (3 Tage für 950SF !).
Da war die Südsee: Fiji, Tonga und W-Samoa.
Eine dreimonatige Forschungsreise, die — spontan geplant =
gleichzeitig einen Kindheitstraum erfüllen sollte: die Suche nach
den verwehten Spuren eines abenteuernden Großonkels, der
nach der Familiensaga irgendwann einmal eine Farm in Fiji hatte.
Ich habe lebensgeschichtliche Erinnerungen an ihn gefunden =
Briefe im Archiv von Suva, die vom Urwald eingeholte Farm in
Korolevu / Kadavu, die man nur auf einem UrwaldfluB mit dem
Einbaumboot erreichen konnte, erinnerte Familiengeschichte
während der Kava-Zeremonie bei den jetzt dort lebenden Keans,
einer fijianisch-europäischen Mischfamilie, die traditionell fijia-
nisch arbeitet und lebt. War diese Erfahrung für mich Wirklich-
keit oder Illusion Südsee in jenem gegenwärtigen Augenblick er-
zählender Gemeinschaft in einer kleinen Hütte, in der sich das
Rauschen des Meeres mit dem Rauschen der Palmen vermischte,
in der die vergangene Zeit der Vorfahren, ihrer und meiner, die
aus Irland, England und Deutschland zu den Inseln der Illusion
gekommen waren, in die Gegenwart hineinreichte?
Wenn ich in meinem Feldtagebuch lese, fällt mir mein Aufmer-
ken auf den Umgang mit den Toten, ihren Grübern auf. Da gab es
in Fiji und in Samoa keine ráumliche Trennung zwischen den
Lebenden und den Toten der Familie. Sie blieben auf dem ge-
meinsamen Grund und Boden, dem unverduBerbaren Land, zu-
sammen. Anders in Tonga, wo Friedhófe an der Peripherie lagen.
Zeichen der Zivilisation, wie Georg Forster es im 18. Jahrhundert
für die Zäune in Tonga, als Trennendes zwischen dem Eigenen
und dem Fremden, hervorhob? Ich habe Zäune als Grenzen re-
flektiert. Es gilt keine Zàune auf Samoa, schrieb ich fragend und
von der sinnlichen Erfahrung zaun- und mauerlosen Wohnens
ausgehend in mein Tagebuch. Es blieben Fragen, die zunächst
trotz aller Deskription des Fremden auf das Eigene bezogen wa-
ren. Und in dieses Fragen floß wieder die Reflexion ihrer Verbin-
dung zu den Verstorbenen ein: Besonderes Zeichen für das Pre-
stige einer gebauten Umwelt scheinen auch die Gräber zu sein.
26
Es gibt hier keine Friedhöfe (offensichtlich nur den europäischen
in Apia) sondern die Toten werden beim Haus begraben ...
Häuptlingsgräber sind von gewaltigem Ausmaß, oft mitten im
‘Dorf’, terrassenformig aus schwarzem, weif3 bemaltem Stein, mit
schwarzer N'armertafel und Namen und Titel. Aber da sind auch die
Gräber vor den Häusern — und sie stehen oft direkt, wie angebaut,
neben / vor dem Haus. Sie sind groß. Ich habe daran gedacht, daß
hier die Grabstätte im Erscheinungsbild eine Parallele zu den ameri-
kanischea Autogaragen vorm Haus bilden — aber welcher Unter-
schied >s Weltbildes und des sozialen Denkens ... Es gibt keine
Zäure keißt also auch, dafl es keine sozialen Schranken zu den To-
ten gibt, daß sie ... beim Haus, unter den Lebenden bleiben: daß
Kinder auf den Grabplatten spielen, Erwachsene dort ihren Mittags-
schlaf halten. Ist es ein Zeichen für die Integration der Toten oder
Blasphemie? Man muß hier viel kulturelles Umdenken lernen. Und
dann schreibe ich zu dem Friedhof der Weißen: Hinter hohem
Drahtzaun, den wir überklettern mußten, verfallendes Vergessen,
Gräber ohne Grabstein, zerbrochene Putten, Unkraut und selten ver-
welkte Blumen. Das letzte Grab von 1981, ein Deutscher und seine
Frau, er zwei Monate am gleichen Tag nach ihr gestorben. Zwei
Gräber von Samoanerinnen. Wer hat sie hier begraben? Eine
samoanische Frau bringt einen Nachruf auf ihren europáischen
Mann; unter den Namen und Sterbedaten von Weifien samoanische
Grabsprüche! A \kulturation ? Aber erschreckend das Vzrgessen. Gibt
es keine europäische Cemeinde, die für ihren Friedhof sorgt?
Inseln der Illusion? Irgendwann durch verfallende einsame
Gräber spätestens den Wahn eines Ausstiegs aus der eigenen Kul-
tur bestätigt bekommen!
>Inseln der Illusion«, unter diesem Titel erschienen die Briefe
aus der Südsee, die der Schotte Robert James Fletscher zwischen
1912 und 1220 geschrieben hatte. Illusion oder die exotische Sehn-
sucht als Hoffnung und als Wahn ist wohl immer mit diesen Fahr-
ten in die Südsee verbunden. Seit dem 18. Jahrhundert bis heute
Wührte cer Traum von den glücklichen, den freundlichen Inseln
der Südsee. Warum kónnen wir ihn trotz aller wissenschaftlichen
Entzauberung nicht abwehren? Oder ist an eben der Illusion aus
der Ferne doch etwas Wahres, das sich bei der Näherung in der
sinnlichen Erfahrung als Wirkliches und Wirkendes zeigt? Für
mich war es die Erfahrung dessen, was ich die relational voice ge-
27
nannt habe, die Erfahrung einer Beziehungssprache, die den All-
tag der Anderen durchzog und mir, der Fragenden, der Fremden,
doch auch entgegengebracht wurde. Ihr Wissen gefror nicht zu
einer knowing voice der autoritären Information, sondern verblieb
in jenem narrativen Gewebe, das soziale Bezüge herstellt. Das war
selbst noch bei den Behörden der Fall. Ich glaube, daß gerade
dieser interkommunikative Prozeß Teil einer anthropologischen
Sehnsucht nach dem Feld, der teilnehmenden Begegnung mit den
Fremden ist. Die Inseln der Illusion liegen nicht nur in der Südsee,
sondern dort, wo man aus der Kritik an der eigenen Gesellschaft
andere menschlichere Möglichkeiten vermutet — und manchmal
auch findet. Und wenn ich in diesem Buch das ozeanische Gefühl
einer westlichen kosmischen Verschmelzung, einer die sozialen
Bezüge auflösenden Selbstfindung kritisiere, dann denke ich auch
an die Menschen auf den Inseln des Pazifischen Ozeans, die sich
mit und gegen diesen realen Ozean, in dem die westlichen Bomben
tatsächlich schon gefallen sind, ihre soziale Welt und Identitát auf-
bauen und verteidigen müssen.
In der polynesischen Mythologie kam der Stranger-King als
Heros über den Ozean und seine Kraft wurde über die Heirat mit
einer Einheimischen dem Land und dem sozialen Netz einver-
leibt, in der Geschichte kamen die Eroberer über den Ozean und
zerstórten die sozialen Bezüge. Die Moderne mit ihren Wider-
sprüchen hat auch vor den Inseln der Illusion nicht Halt ge-
macht. Aber sie hat auch soziale Widerstandspotentiale gegen die
Erstarrung in eigenen und vergessen-fremden hierarchischen Le-
gitimationszusammenhängen geschaffen. Von westlicher Mis-
sionsreligion und eigener verwestlichter Politik, auch wenn sie
sich ursprungsmythologisch und traditionell legitimierte, wurden
neue eigenständige Wege erwartet.
Bei einer der allabendlichen Kava-Zeremonien der Männer
mit gemeinsamem Gesang, zu denen auch Fremde zugelassen
werden, auf Utangake / Tonga ging es im Gespräch um die Hoch-
zeit eines Sohnes des dortigen feudalen Landbesitzers mit der
Kônigstochter und den traditionellen Gaben der Dôrfer (Matten,
Tapas, Schweine, Früchte), von denen mir schon viel und in
widersprüchlichsten Fassungen erzählt worden war. Hier aber
sagte mein Gesprächspartner auf die Frage nach der Gegenseitig-
keit, daB es mit den Feudalen keine Gegenseitigkeit gebe wie bei
28
dem gewöhnlichen Volk: Das Volk ist dazu da, den König und die
Feudalen immer höher zu heben. Vielleicht, meinte er dann, könne
es jetzt, wo die jungen Menschen immer mehr Bildung bekämen,
bald zu einer Revolution kommen - einer Revolution, die sicher
nicht als spirituelle Revolution über die Heimkehr in die alten
Mythen gemeint war.
Religion: Das waren die christlichen Kirchen für die Natives,
von denen jedes Dorf zahlreiche der verschiedenen Missionsbe-
wegungen hatte: Kirchen in schónem altem Kolonialstil bis zu
den immer gleichen neuen mormonischen Zweckbauten mit dem
überall hoch umzàunten Sportplatz; das waren die Tempel für die
51% Inder in Fiji; das war der Sonntag in festlicher Kleidung auf
mehreren Gottesdiensten; das war in Tonga die totale Sonntags-
ruhe, bei der selbst Busse und Taxis nicht fahren durften; das war
aber auch lebenspraktische Weiterbildung in Schulen und Er-
wachsenenseminaren; das war auch kollektive Arbeit der Dorf-
bewohner fiir einen neuen Kirchenbau.
Religion ist christlich geprägt, ist Missionsreligion, von der
heute wieder gefordert wird, daß sie die kommunale Lebens-
weise, die politische Struktur in ihre Überlegungen einbeziehen
soll. Der einheimische Theologe Caucau beendet seinen Artikel
über die Einsetzung eines fijianischen Chiefs in dem Buch »Paci-
fic Rituals. Living or Dying« mit einem Plädoyer für die Integra-
tion in traditionelle weltliche Strukturen: Die traditionelle Struk-
tur in einer Gemeinde ist für mich mehr oder weniger die gleiche wie
die der Kirche selbst. Und diese traditionelle Struktur wurde lange
vor der ^nkunft des Christentums begründet ... In der traditionellen
Einri.'.tuzg haben wir die Familie, die kleine Gemeinschaft inner-
halb c:s Clans, den Clan, den Stamm und die Konfóderation oder
den Staat. Und in dieser Struktur gibt es die traditionelle Art der
Kommunikation von der Familie oder jedem Individuum über jede
Eber.’ 5 zum Staat. Mit anderen Worten von der Grassroot-Ebene
zur S, ize und von der Spitze zum Loden. Das ist exakt wie die
Struktur c. 7 methodistischen Kirche, &zr Hauptkirche in Fiji. Zum
Beispici: 1 Fuinile, das Treffen der Vorstánde, das vierteljáhrliche
Treffen, c. s jährliche Treffen und die Konferenz. Tatsächlich gibt es
den kirchlichen Weg der Kommunikation durch diese Kategorien
vom Boden Lis zur Spitze. Deshalb: alles, was wir hier brauchen, ist
den Weg zu finden, in dem diese beiden Kórper zusammenarbeiten
29
können. Ich glaube, daß es von äußerster Wichtigkeit ist, daß die
Kirche in dieser Sache die Führung übernimmt. Sie muß fortfahrend
zu sehen versuchen, wie sie sich gut in die Struktur der Gemeinschaft
einfügt und gute Beziehungen schafft.
Wie stark sich die Kirche in die Struktur der Gemeinschaft ein-
zufügen vermag, hat mir die Totenfeier für einen hohen weibli-
chen Chief 1986 in Fiji gezeigt. Die hohen Háuptlinge wurden
traditionell über den Tod informiert und geladen, wobei Wal-
záhne und Kava überreicht wurden, mehr als hundert Krieger
hielten eine Totenwache bei der mit einem Tapa bedeckten Lei-
che, und die Trauerfeier wurde vom Prásidenten der Methodi-
stenkirche in Fiji auf dem Dorfplatz gehalten, unter Anwesenheit
zahlreicher Minister, Senatoren, Häuptlinge und der Trauerge-
meinde.
Eine christliche Kirche, die sich regionalisiert und lokalisiert,
weltlichen Fortschritt durch Bildungshilfen vermittelt, aber auch
sich kommunalem und politischem Handeln anpaßt oder es legi-
timiert? Neben und abseits der indischen Tempel und der indi-
schen Gemeindemitglieder in Fiji?
Die mystischen Hoffnungen auf den neuen Menschen im
Neuen Zeitalter einer menschheitsumfassenden Spiritualität, die
Heilserwartungen des New Age, habe ich in der Südsee nicht ge-
funden.
Der 1984 in Apia errichtete Bahá'i-Tempel, in angepafter
samoanischer Bauweise, neunseitig das Bahá'i-Konzept der Ein-
heit aller Religionen und die Einheit der Menschheit reflektie-
rend, stand an jener Luxusstrafe ins Gebirge, in deren frischer
Hóhenluft sich die weiBen Bankiers und Gescháftsleute, die
Konsulate niedergelassen hatten; einer Straße, die für den ge-
wöhnlichen Bustransport gesperrt war. Es waren Weiße, die sich
im inneren Raum auskannten, für die Einheimischen war es ein
bauliches Wunderwerk, zu dem man die Touristen wie zu den
Wasserfällen oder dem Return-to-Paradise-Strand führte. Die
Erde ist nur ein Land und die Menschheit ihr? Bewohner (Bahä’i-
Programm) ist weder religiöse noch weltliche Identitätssuche der
Einheimischen. Die pazifische Perspektive kreist mehr um eine
Identität, die sich ethnisch, regional und national artikulieren
kann, in der einheimische Traditionen gegen Überlagerung ge-
setzt werden: das reicht vom politókonomischen über den SOZÍO-
10
kulturellen bis zum religiösen Bereich. So beschreibt ein samoa-
nischer Autor, Aiavao, in dem Sammelband »Pacific Identity« die
Ordination von Priestern auf samoanische Art — die tanzenden
Tóchter des Chiefs in der Kirche, die feine Matte vor dem Altar,
auf der ein gekochtes Schwein präsentiert wurde - oder, daf sich
ein Priester bei der Annáherung an den Altar mit einer samoa-
nischen Matte bedeckt habe, statt wie sonst hingestreckt Verge-
bung für die Versammlung zu erflehen, als Rückkehr zu heimi-
schen Traditionen: Ich war berührt und in Tránen. Endlich wird das
Wertvollste der samoanischen Kultur für die Verehrung Gottes be-
nutzt, statt irgendetwas von einer anderen Kultur weit, weit entfernt
über die Meere. Ich sagte zu mir: Das ist sehr gut. Meine Kultur
wird leben! Sie wird nicht sterben!
Im gleichen Band wird, aus einer fijianischen Perspektive, al-
lerdings auch auf die *wachsenden Kosten' des traditionellen We-
ges hingewiesen. Die in der sozialen Identitát begründete Rezi-
prozitát des Gabentauschs in der Verwandtschaft und im Kom-
munalismus gewinnt durch den Einbezug nichteinheimischer
Güter eine monetáre Dimension, die zu psychischen Strefsitua-
tionen und ókonomischer Ungleichheit führe. Und hier wird be-
sonders auf die 'anderen Rassen' verwiesen: Wenn die Fijianer
Kommunalismus intensiver praktizieren als andere Rassen, entsteht
die Gefahr, dafj die wachsenden Kosten des Kommunalismus zu
einer sich vergróflernden ókonomischen Kluft zwischen eingebore-
nen Fijianern und anderen ethnischen Gruppen beitragen ... Die
wirklichen ókonomischen Nutzniefler des fijianischen Kommunalis-
mus sind Gescháftsleute, die hauptsáchlich anderen Rassen angehó-
ren ... So ... wird, wáhrend wir über unsere Tradition durch unsere
gegenseitige Hilfe psychologisch reicher werden, der Geschäftssek-
tor anderer Rassen reicher durch die Kaufkraft unseres Kommuna-
lismus.
Der hier Anfang der 80er Jahre als Gefahr erwáhnte inter-
racial ill-well, auf den auch der Vertreter einer pan-pazifischen
Identitát, Ron Crocombe, insbesondere gegenüber der asiati-
schen Bevólkerung verweist, hat 1987 seine politischen Konse-
quenzen in der konstitutionellen Krise und dem Militárputsch in
Fiji gefunden, der als eine Antwort auf das indian-dominated
government gesehen wurde: Die Krise, schreibt dazu >The Guar-
dian« (22. 5. 87), ist seit einem Jahrhundert geschaffen worden, seit-
31
dem Inder unter britischer Herrschaft zur Arbeit auf den Zucker-
plantagen geho!t wurden. Die historische Schuld ist deshalb klar,
aber sie hilft nicht bei den gegen wärtigen Umständen. Inder, die nun
seit vier Generationen Fijianer sind, mögen zwar ihre separate Iden-
titàt festgehalten haben, aber sie können nicht mehr als Fremde be-
zeichnet werden.
Das pan-pazifische Identitátsmanagement argumentiert mit
einem Pacific Way, den der samoanische Schriftsteller Albert
Wendt als Faá Pasifika in einer einheimischen Sprache benannt
haben wollte, der von der Kultur (und den Rechten) der ‘Einge-
borenen', und das heift hier der Polynesier, Melanesier und Mi-
kronesier - und dem Mythos ihrer Einheit -, ausgeht. Ziel ist, ein
südpazifisches Widerstandspotential gegen eine mentale Überla-
gerung zu schaffen, aber auch gegen die neuen Formen wirt-
schaftlicher und politischer Ausbeutung. Der Pacific Way aller-
dings ist Sache einer neuen, mobilen Elite — The more elite and the
more mobile, the more useful the term, sagt Crocombe.
Auf den Dórfern dagegen lebt man einen lokal begrenzten Pa-
cific Way im Hier und Heute. Pazifische Tradition ist lokales All-
tagshandeln oder soll der lokalen Entwicklung dienen. So wurde
es auch in der Planung angesprochen.
In Apia/ W-Samoa wurde vom Ministry of Sports, Youth and
Cultural Affairs ein neues Museum geplant; der Entwurf zielte
auf wirtschaftliche Entwicklung: Belebung des Kunsthandwerks
als Nebenverdienst insbesondere für Frauen, Verkaufsausstellun-
gen. Das historische Erbe zu sichern, macht mehr Arbeit, es kann
spáter /. "^en, wurde argumentiert. Das Gedächtnis der Menschen
reicht nick: weiter zurück als fünfzig Jahre, meinte eine Frau. Und
Joe, cer Chief mit irischem Einschlag und einem kleinen touristi-
schen Eetrieb auf Kadavu/ Fiji, sprach augenzwinkernd vom
Hier und Jetzt des Daseins: Alles was ist, bin ich als ein Ganzes, mit
meinem Oberhaus (C^ren, Nase, Augen und Mund), meinem Unter-
haus (/rmz, Z eine, Schwanz und Hintern) und einem Chief, wobei
er sich cen Magen klopfte.
Das Glück der Gegenwart, des kleinen materiellen Fort-
schritts, betreut von den christlichen Kirchen, eingebettet in den
Alltag des hierarchischen Clans mit kommunitärem Landbesitz,
konfrontiert auch mit den Problemen von zunehmenden politi-
schen und wirtschaftlichen Disparitäten, Verarmung, Migration
37
und Landflucht, aber fern von Fergusons kollektivem Nervensy-
stem der Medien, gedanklich fern auch von Pan-Pazifik oder gar
einer spirituellen Weltfamilie.
Das war der Alltag auf den Dörfern. Workshops gab es auch:
die Besuche der provinziellen Multiplikatoren, die in Lehrgän-
gen an dem — der elf Länder betreuenden University of the South
Pacific angegliederten - Institute of Rural Development ausge-
bildet werden. Themen: Wirtschaftsmanagement, angewandte
Technologie (know-how), veterinärmedizinische Laienausbildung
und Weiterbildung für Frauen; dazu, getragen von einer anderen
Institution, die Vermittlung neuer landwirtschaftlicher Techni-
ken. Und die Zusammenkünfte begannen mit der traditionellen
Kava-Zeremonie, deren religiós-rituelle Zentralitát nicht mehr
im Vordergrund stand. Workshops auch von Frauen mit Frauen:
Wiederaneignung traditioneller handwerklicher Techniken als
Nebenverdienstchance zur ökonomischen Unabhängigkeit der
Frau, Probleme der Familienplanung, der Hygiene - die gleichen
Probleme, die ein pazifischer Frauenkongref in Suva themati-
sierte, in Praxis umgesetzt.
Da war das Cree-Indianer-Reservat Moose Factory
auf einer Insel an der Mündung des Moose River in die James
Bay in Kanadas Norden:
Zusammen mit dem gegenüberliegenden Moosonee von ca.
3000 Menschen bewohnt, WeiBe und vor allem Indianer, die in
der Dienstleistung arbeiteten. Die große 1950 erbaute Klinik, ur-
sprünglich für Tbc-Kranke, heute für den gesamten ärztlichen
Dienst für die 14000 Indianer und Inuit der westlichen und östli-
chen James-Bay-Küste, stellte die meisten Arbeitsplätze. Trotz-
dem eine hohe Arbeitslosenrate, eine Häufung depressiver Stö-
rungen, Alkoholmißbrauch. In dem schlecht besuchten Ostergot-
tesdienst der Native New Life Church stand das Ei als Zeichen
des neuen Lebens, der Wiederauferstehung im Zentrum. Christus
schob den Stein beiseite, so auch unsere Steine, das heißt die
schweren Sünden. Und diese waren Selbstsucht, Indifferenz und
Alkoholismus. Der Priester war ein Weißer, die Bibelgeschichte
wurde von einem Schwarzen verlesen.
Moose Factory, das liegt für die Kanadier jenseits der bewohn-
baren Welt — obgleich hier 1673 das erste Fort als Zentrum des
33
Pelzhandels errichtet wurde - keine Straße führt dorthin, nur die
1932. erbaute‘ Eisenbahnstrecke bis Moosonee, ein Klima
zwischen +31° und — 42°, Eisbruch im Mai, ein gitterfôrmig an-
gelegter Ort mit Holzbaracken, überfüllt mit Autos, die nirgend-
wohin, außer über das Eis des Flusses zwischen Moose Factory
und Moosonee fahren können. Der alte und der neue Chief
setzten auf touristische Entwicklung. Ein von Weißen ausgear-
beiteter Consulting Plan existierte schon. Ein Modell zeigte
eine Landepiste für Flugzeuge und ein Tourismuszentrum an
der Küste, wo jetzt bereits das Fort Museum von der Ontario
Heritage Foundation ausgebaut wird. Auch die Cree Cultural
Organization mit einem Crafts Shop war auf Touristenwünsche
eingestellt.
Indianische Tradition? Vielleicht wurde sie als geistige Rück-
besinnung in den Themen einer Gruppe moderner indianischer
Maler deutlicher: Einheit mit der Natur, auch als Survival, als
Kampf ums Überleben zwischen Mensch und Tier, Tier und Tier,
Kreislauf des Lebens bei Tier und Mensch, die schützende Hülle
um das Ei, das Embryo, behütetes Nest, bis zum Thema Rebirth-
ing. Wie in der Kunst der Inuit wurde die räumliche Wahrneh-
mung und Darstellung des dem Auge so nicht Sichtbaren aufge-
griffen. Nur in dem Bild Mental Sickness lôsten sich die runden,
umschlieBenden, schutzweisenden Formen auf: das Gesicht im
Gesicht trat nach außen in eine kalte Welt.
Auch der neue Chief begann seine Ausführungen zur touristi-
schen Entwicklungsplanung und über die auf der letzten Ver-
sammlung des Muskego-Cree Tribal Council behandelten Auto-
nomiethemen, die sich insbesondere um die indianische Kon-
trolle über das Krankenhaus und mehr Unabhängigkeit vom De-
partment of Indian Affairs drehten, mit einem indianischen
Statement zur Frühgeschichte der ersten Nation: älter als die Ge-
schichte der Weißen, vor Tausenden von Jahren begonnen, Groß-
wildjagd und ein Leben in Übereinstimmung mit der Natur.
Dann kam der Gedankensprung in die Moderne. Landepiste und
Hotels, der Frage nach der Zerstórung von Natur, nach einer tou-
ristischen Überlagerung wurde der wirtschaftliche Gewinn entge-
gengehalten. Die vielen Autos? Vielleicht sind die Leute müde zu
laufen, sagte der Altchief, der ein Taxiunternehmen hatte, und:
außerdem bedeutet ein Auto Prestige.
Es war keine geheimnisvolle und mystische Welt, in die ich hier
Einblick gewann, der Chief war ein Bürgermeister, der wie ein
deutscher Bürgermeister aus seinem kleinen Büro moderne, wirt-
schaftlich profitable Gemeindesanierung wollte, der seine Ge-
meinde, sein Reservat, aus der weißen wirtschaftlichen Überlage-
rung, aus dem Zustand einer nur legitimatorischen Selbständig-
keit befreien wollte. Und der Altchief fragte mich zum Schluß, ob
es wahr sei, daß so viele Indianer nach Deutschland kämen und
was sie dort machten. Sollte ich ihm von Workshops erzählen?
Und da war, wieder in Europa, Sizilien:
Eine Gemeinschaftsuntersuchung, die vor allem die Antworten
der sizilianischen Gesellschaft auf die von den Industrienationen
ausgehenden Modernisierungsimpulse unter dem Aspekt des
Wandels von Wertorientierungen erforschen wollte. Die Frage
der Reaktion auf eine feindliche Umwelt wurde zentral, auf hi-
storische Überlagerung, auf zentralstaatliche Dominanz, auf re-
gionale Korruption, auf fehlgeschlagene Entwicklungshilfe und
auf eine feindliche Natur: Die Heftigkeit der Landschaft, diese
Grausamkeit des Klimas, diese stándige Gespanntheit, wohin man
auch blickt (Lampedusa). Die gesellschaftlichen und die Natur-
Katastrophen nicht nur der Gegenwart, sondern als permanente
Begleiter des sizilianischen Volkes!
Erdbeben und andere Naturkatastrophen, das ist eine reale Er-
fahrung für die Sizilianer: Heute kommt man durch, morgen nicht,
denn Erjbeben, Katastrophen und Überschwemmungen, Lawinen,
Meerbzb- und Erdrutsche máhen die Leute zu Millionen, so sang
der Bánkelsánger Turi di Prina 1966.
1983 stand ich auf einer Anhóhe oberhalb des verlassenen,
1968 erdbebenzerstórten Poggioreale, und mein Blick umfafte
gleichzeitig ein Viereck, an dessen Ecken sich vierfach Poggio-
reale — erbebenzerstórt, liegengelassen, halb aufgebaut und vieles
schon wieder zerschlagen und liegengelassen — widerspiegelte:
Es waren wenige Kilometer vom neuen Ort zu der Trümmerstätte
des einstigen, zu dem alten Friedhof mit seinen nicht mehr ge-
pflegten Grabhäusern und zu der Barackensiedlung, in der zwi-
schen abgerissenen und verfallenen Baracken, zwischen zersplitter-
tem Fensterglas und Abfall noch immer Menschen lebten — 15
Jahre danach!
35
Ein Dorfpoet aus Roccamena las uns sein Erdbebengedicht
von damals vor: über Poggioreale, Salaparuta, Montevago,
S. Margherita, Gibellina, Camporeale und Roccamena. Für ihn
haben die Heiligen ihre Kinder verlassen:
Die ganze Familie hat die Straße verloren:
sie knien alle und weinen,
denn sie haben ihre Straße und ihren Besitz verloren:
die Tränen fließen gleich Flüssen.
Warum Madonna, liebst du die Deinen nicht mehr?
(La Monica)
Das Erdbeben ist für ihn cani e tradituri (Hund und Verräter). Der
Verräter Erdbeben allerdings wird in der Sicht des Volkes von vie-
len Verrätern gefolgt.
Der Sozialreformer Lorenzo Barbera hat 1980 ein Buch her-
ausgegeben, in dem er die Bewohner des erdbebengeschädigten
Belice-Tals berichten läßt. Und die Anklage richtet sich immer
wieder gegen den Staat, die Regierung und ihre Vollstrecker, die
versprechen, aber ihre Versprechen nicht einhalten. Barbera
nennt drei Kategorien von Menschen, die im Sommer 1968 das
Wiederaufbauprogramm diskutierten: die Bevölkerung, die ihre
Wurzeln in der Vergangenheit behalten und Garantien für die Zu-
kunft haben wollte; die Spekulanten, die die Goldgelegenheiten
des Erdbebens ernten wollten: die Experten, die ihre architekto-
nischen und urbanen Träume verwirklichen wollten.
Die Experten planten in eine vom Norden inspirierte Moderne,
die Spekulanten wollten die Moderne: vom modernen Mehrfami-
lienhaus zum Vermieten bis zur Schnellstraße und Industrieanla-
gen. Und die Bewohner? In Gibellina veranstaltete das Centro
Studi Valle Belice eine Umfrage Stadt der Zukunft oder die alten
Dörfer? Es waren vor allem die Älteren, die ihr « paese » rekonstru-
iert haben wollten: Ein Ct formt sich Stein um Stein, jeder Mensch
seinen Stein, in hundert Jahren oder in tausend Jahren. Wer geboren
wir. beginnt an den Brüsten seiner Mutter z: saugen und saugt
Mitch und das Wissen um seinen Ort ein .. Und du saugst auf in dich,
du eriernst mit den ersten Worten den Namen des Quartiers, der
Straße, und diese L-Zeuten Dinge, die du mit dcinen Augen siehst,
Personen und Geschichten. Deshalb kennt jeder, der in einem gewach-
senen Ort geboren wurde, die angelegten Spuren seiner Heimat.
36
Die Jüngeren wünschten die Stadt der Zukunft, eine große
Stadt, die die Bewohner der erdbebengeschädigten Dörfer verei-
nigen sollte, eine Stadt, in der die Jugend Schulen und Arbeit fin-
det, Kino, Tanz und Unterhaltung und mehr Freiheit im Zu-
sammensein der Geschlechter.
Und 1983 wurde bei Gesprächen in Partanna und Roccamena
das Erdbeben bereits als kulturelle Revolution bezeichnet und mit
der 68er-Bewegung verglichen. Es ist wie die 68 er-Bewegung ge-
wesen ... — Es hat dazu gedient, eine bestimmte Mentalität aufzu-
brechen! Jetzt sieht man die jungen Leute auch am Abend zu-
sammen spazieren.
Die Katastrophe als Katharsis für eine neue Zeit? Das erinnert
an die Argumente subkultureller Bewegungen, insbesondere hier
allerdings der spirituellen, der Nachkriegszeit: Die Bombe ist
schon gefallen, und wir sind die Mutanten. Die Welt-Erdbeben als
Zeichen des Untergangs der alten Welt und des Beginns eines
neuen Zeitalters sind der Inhalt neuer Weissagungen.
Allerdings, das Erdbebensyndrom im industrialisierten Westen
(in Amerika und Mitteleuropa) läßt die Dinge des Fortschritt lie-
gen (auch hier unter dem Signum der kulturellen Revolution),
das Erdbebensyndrom im unterentwickelten Süden die der Tradi-
tion. Doch das ist nur die eine Seite dieses Syndroms im Süden.
Die andere ist Resignation und Trauer:
- heute kommt man durch, morgen nicht
- die Heiligen haben ihre Sóhne verlassen
Erdbeben immer und nur gegen das Volk
- der Staat bringt keine Hilfe
- die Erdbebengewinnler und die Zerstórung der Tradit.
die Erdbebengewinnler als Verstárker des sozialen Ungleichge-
wichts
die Erdbebengewinnler als verlángerter Arm der kultur- und
naturzerstórenden Naturkatastrophen.
Das Erdbeben schlieGBlich als Metapher für alle Leiden des Volkes:
Geographisches Erdbeben, Erdbeben des Arbeitslosen und des
Emigranten; Erdbeben des Jugendlichen, der nicht weiß, ob morgen
die Sonne aufgehen wird. Erdbeben des einfachen Volkes. Stürzt ein
Palast ein? ... Und dann haben die Reichen alle ein Schloß, das
nickt unter Erdbeben, Erdrutschen und Überschwemmungen leidet:
das Schloß in der Bank, die niemals einstürzt.
37
Der Sizilianer spricht von sich als uomo solo, als einsamem
Menschen gegenüber Katastrophen von Geschichte, Gesellschaft
und Natur, einer Natur, mit der er sich kein ‘Einssein’ vorstellen
kann. Seine ‘neue Zeit’ liegt nicht jenseits der materiellen Welt. Er
sucht nicht die einsame Meditation in der Wildnis, sondern deren
Bándigung; er sucht nicht die spirituelle Erlósung, sondern die
soziale; er sucht nicht die Kommune, sondern die Familie; er
kann zu keinem Workshop anreisen, sondern muf in die Arbeits-
migration gehen; seine aus der Hilflosigkeit erwachsende Magie-
Zuwendung, gehäuft in psychiatrischen Kliniken des Einwande-
rungslandes, hat wenig mit Roszaks geheiligtem Dreieck zu tun, in
dem die authentische Magie auf der Suche ist nach der Gewißheit,
eins zu sein mit der Natur, im Einklang mit ihr zu leben und ihre
Zwecke zu billigen, und wo der Magier wünscht zu wissen, damit er
dienen kann (Roszak).
Und da war und ist immer wieder Hessen in Deutschland, das
Pendeln zwischen Dorf und Großstadt, zwischen Privatleben und
Lehre und Verwaltung an der Universität, zwischen Schreibtisch
und Feldforschung in der eigenen Region. Dorferneuerung in
Hessen, Raumorientierungen in einem Stadtteil Frankfurts: das
ist nicht nur weit entfernt von erfahrbaren Alltagswelten in der
Fremde, sondern auch von den Perspektiven einer spirituellen
Weltkultur, die sich auch in Frankfurt trifft. Aber alle diese kultu-
rellen Handlungsmuster sind Antworten, sehr verschiedene, auf
die Herausforderungen der Moderne.
Forschung kann den Kulturanthropologen sehr weite Wege
und Umwege führen. Da ich meinen Lesern einen kleinen Ex-
kurs in diese Umwege zugemutet habe, geschah nicht, um Reisen
als anthropologischen Job wie Diamond zu thematisieren, son-
dern um die Dialektik von Nàhe und Distanz als ein methodi-
sches Prinzip anthropologischen Verstehens hervorzuheben. Das
gilt für das Verstehen der fremden als auch der eigenen Kultur,
wie es auch für das Verstehen der fremden als auch der eigenen
Person gelten sollte.
Das geheime Manifest der Person mit ihrem souveränen Recht
auf Selbstentdeckung (Roszak) in den spirituellen Therapien des
Westens aber tendiert dazu, in einem schrankenlos selektiven
ProzeB der Aneignung des Fremden nur eigene Nàhe zu themati-
35
sieren - sowohl die Distanz zu sich selbst als auch die Náhe des
eigenstándigen. Fremden zu verlieren.
Als Gesundheit des Glücks beschrieb Roszak jene neuen Metho-
den einer Therapie zu schrankenlos hedonistischer und schranken-
los egozentrischer Selbstfindung. Vielleicht liegt der Anthropologe
dieser Gesundheit quer, sicher dann auch seiner eigenen. Als Rela-
tivist -und die Erkenntnis der Relativitüt kultureller Handlungsent-
würfe macht sicher nicht vor der Erkenntnis personaler, und das
heit auch eigener, halt — muf er sich immer wieder distanzieren,
von der eigenen Kultur, von den fremden; muf er teilnehmen an
allen Kulturen, an der eigenen, an den fremden. Sicherlich, die un-
hinterfragte Selbstverstándlichkeit des eigenen Horizonts als des
richtigen' wird durch diese kulturelle Selbstdistanzierung ebenso
in Frage gestellt wie das unhinterfragte going native (die intendierte
Transformation in eine fremde Kultur) durch die Dialektik von
Nähe und Ferne. Verstehen heiDt nicht kritiklose Sympathie, son-
dern Empathie, die Kritik zulàBt. Die kritische Distanz trotz Teil-
habe kann vor jener *Verschmelzungssehnsucht" (und Verschmel-
zungsforderung) bewahren, von der auch die Konversion oder die
größe Verwandlung geprägt ist.
1.4 Worte, Wörter und das Wort
In einer Sant-Darshan-Singh-Biographie heißt es: Um unseren
verlorenen Zustand der Seligkeit wiederzuerlangen, lehrt uns der
Cottmensch, wie wir es lernen können, zu sterben, während wir
leben. Er zeiz: uns &.2 Methoc-, mit deren Hilfe wir uns während
unserer tEg.....c: 7" Aitationen über das Körperbewußtsein erheben
kónnen und curch den inneren Kontakt mit dem Licht und Ton Got-
tes die strahlende Cestalt des Misters innen sehen künnen. Auf
diese V.;se sind wir dann durch die Gnade des Meisters fähig, uns
selbst mit dcr Uberseele zu verschmelzen — mit der Zelle der Allbe-
wuficieit, &r Allglückseligkeit, des immerwährenden Friedens.
Wir sind in Sindelfingen, einer Stadt, die ihre GrôBe und ihre
Bekanntheit hauptsächlich den hier angesiedelten Mercedes-
Werzen zu verdanken hat. Für uns als Kulturanthropologen ist
die Stadt durch eine Folgeerscheinung der Industrieansiedlung
bekannt geworden: das Hereinstrómen auslándischer Arbeits-
39
kräfte und die Versuche, Konflikte bei dem Aufeinanderprall ein-
ander fremder Daseinsweisen oder Kulturen zu bewältigen.
Diesmal aber sind wir nicht in Sindelfingen, um dieses Phäno-
men zu untersuchen, sondern um an einem Workshop des von
seinem Ashram in Indien eingeflogenen Masters Darshan Singh
teilzunehmen. Es soll hier nicht um die sicher auch interessante
Frage gehen, wie Provinz es sich etwas kosten läßt, ihre Stadt:
halle - urbanen Gepflogenheiten folgend - mit aktueller Promi-
nenz zu füllen, sondern um das Problem geplanter west-óstlicher
Kulturverflechtung in dem spezifischen Milieu der neuen Spiri-
tualitát. Die Fremdheitsphánomene sind hier sehr viel einschnei-
dender als in unserem ersten Fall, bei dem die wechselseitig frem-
den Daseinsweisen die je verschiedenen Alltagskulturen von eth-
nischen Gruppen oder Nationalitäten sind.
Darshan Singh, nicht zu verwechseln mit Thakar Singh, der
kurz danach seine Europareise durchführte, vertritt die Wissen-
schaft der Spiritualität (Ruhani Satsang), wie sie von Kirpal Singh
ausgebaut wurde. Es handelt sich um eine spezifische Yoga-
Lehre, den Surat Shabd Yoga, einen der vielen göttlichen Pfade,
die westlichen Seinssuchern vermittelt werden. Wir hatten Dar-
shan Sing indirekt über Video schon in den Andachtsstunden
amerikanischer Anhänger in der Ruhani Mission in Bowling
Green, Virginia/ USA kennengelernt, wo die groBe neugebaute
Meditationshalle der Stiftung auf den Besuch des Meisters war-
tete. Die Fremdheit des Feldes war für uns als interessierte Laien
ohne Initiation (und im Gespräch auch als Kulturanthropologen,
die sich für Spiritualitát interessieren) im Zusammensein mit den
in der Mission wohnenden und arbeitenden Anhängern weniger
befremdlich als in der scheinbar vertrauteren Hotel- und Stadt-
hallenatmospháre von Sindelfingen / Stuttgart.
Hier zunächst nur einige Anhaltspunkte für die größere Nähe
des ferneren Feldes: Als Kulturanthropologe ist man gewohnt,
bei Feldforschungen mit fremden Kulturen konfrontiert zu
werden. Das Erkenntnisziel Verstehen der fremden Kultur ist in
der Vorstellung deutlich ausformuliert und kann im allgemeinen
auch dem Gegenüber, also den Untersuchten, vermittelt werden.
Der KommunikationsprozeB läuft - im geglückten Fall - zwi-
schen sich wechselseitig anerkennenden Fremden, wobei der eine
(der Anthropologe) der Fragende und Lernende ist und der an-
40
dere (der Träger der zu untersuchenden Kultur) der Informant
und Lehrende. Dieses Kommunikationsmuster zwischen Frem-
den verändert sich, wenn über wechselseitige Vertrautheit und
das Interesse des anderen an der Kultur des Fragenden beide
wechselseitig zu Informanten werden. Neben dem Gespräch als
wichtigstem Instrument der Erkenntnisfindung spielt die Beob-
achtung eine entscheidende Rolle, die bis zur teilnehmenden Be-
obachtung, der Übernahme der Verhaltensformen der anderen,
führen kann. Bis auf die Situation des sogenannten "going na-
tive", also die totale Identifikation mit der fremden Kultur, han-
delt es sich dabei immer um den temporáren Versuch im Rahmen
einer Suche nach dem gemeinten Sinn. Und die Partner der Inter-
aktion wissen um die nach wie vor existente Fremdheit, die als
solche anerkannt wird und sogar vertraut werden kann.
Diese Interaktionsmuster im Feld verändern sich allerdings
entscheidend, wenn Bekehrungsversuche das Ziel der Interaktion
sind. Auf der kulturanthropologischen Seite angewandter Wis-
senschaft spricht man dabei im allgemeinen von geplantem kul-
turellen Wandel; bei den selteneren Bekehrungsversuchen durch
die Untersuchten, die sich allerdings im Kontext der hier zur
Diskussion stehenden spirituellen Bewegung häufen, könnte
man von intendierter Konversion für den Untersuchenden spre-
chen, wobei zumeist dessen aus kultur- und zivilisationskritischer
Haltung gegenüber der eigenen Gesellschaft entstandene Kon-
versionsbereitschaft wesentlich ist, d.h. die “going native”-Per-
spektive eingeschlossen werden muß.
Weitere Tendenzen, wie die Versuche der untersuchten Kultur-
träger, die Untersucher in ihr klientäres Netzwerk einzubauen,
die Versuche der Untersuchenden, über die Erkenntnisse der
fremden Kultur die eigene Gesellschaft zu verändern oder zu re-
flektierender Selbsterkenntnis zu gelangen, verändern die Kom-
munika:ionsstrukturen ebenso wie die obigen Muster.
Was ihnen allerdings gemeinsam ist: es wird im Rahmen der
vorhandenen Fremdheiten kommuniziert, die Fremdheit wird als
zu einer jeweiligen Lebenswelt gehórend betrachtet, deren Ele-
mente aufeinander bezogen sind, und: es wird überhaupt sprach-
lich kommuniziert, indem man Sprache als ein Mittel der Ver-
stándigung betrachtet.
Wenn diese drei letztgenannten Punkte fortfallen, setzt für den
A
Kulturanthropologen, dessen Selbstverständnis: gewissermaßen
auf dem Vermögen, fremde Kulturen über einen kognitiven Vor-
gang zu verstehen, aufbaut, ein tiefer Bruch ein, der nach neuen
Verständigungsmöglichkeiten suchen läßt. Um die Schwierigkei-
ten zu verdeutlichen, mit den Trägern der neuen westlichen Seins-
verwirklichung zu kommunizieren; möchte ich Sprechen unter
dem Aspekt der Fremdheit betrachten.
Die Bedeutung, die Anthropologen der Sprache für das Ver-
stehen fremder Kulturen beimessen, reicht von der Mißachtung
der Sprache und der Sprechinhalte bei den extremen Behaviori-
sten, die Forper verallgemeinernd für den angeblichen natur-
wissenschaftlichen Pyrrhussieg der Anthropologie verantwortlich
machte, ^is zur Neuen Ethnographie oder Ethnoscience, für die
das Sprachsystem den ausschließlichen Schlüssel zum kognitiven
System, das mit Kultur gleichgesetzt wird, einer Gesellschaft dar-
stellt. Ausgehend von den Wörtern und ihrer taxonomischen
Ordnung soll deren Position im Wissenssystem ermittelt und dar-
über das Weltbild der Kultur erschlossen werden. Zwischen
diesen beiden Extrempositionen, die allerdings das gemeinsame
Kennzeichen des ‘exakten’ Wissenschaftsanspruchs haben, liegt
das breite Spektrum jener Anthropologen, die sich für die ver-
stehende Analyse der kulturellen Fremde der verschiedensten
methodischen Ansátze bedienen und die fremde Sprache als ein
notwendiges - und deshalb zu erlernendes - Kommunikations-
medium betrachten. Anthropologen lernen die Wórter, um sie als
Worte zu verstehen und das Wort aus seinem kulturellen Kontext
erkláren zu kónnen.
‘Das Wort’, wie ich es hier meine, können wir mit dem domi-
nanten Thema, dem Kulturziel oder auch dem gemeinten Sinn einer
Kultur gleichsetzen. Damit ist jene bewirkte und wirkende Kraft ge-
meint, die das enkulturierte Kulturmitglied zum oft ‘fraglosen’
Handeln innerhalb seiner kulturellen Ordnung treibt. Dieser Stand-
punkt ist insofern kulturpluralistisch und kulturrelativistisch, als
wir davon ausgehen, daß die Dialektik zwischen materiellen Bedin-
gungen und ideationalen Orientierungen, Interpretationen und Ge-
staltungen nicht nach einem einheitlichen Schema verläuft, son-
dern aufgrund der Symbolfáhigkeit - und damit auch Selektionsfà-
higkeit - des Menschen einer Verschiedenes gestaltenden Kraft
unterliegt. Das Erkenntnisziel des Anthropologen bleibt immer das
Á
Verschiedene (Gestaltungs- und Verhaltensformen) im Gemeinsa-
men (Sinnorientierung an sich oder die Kraft von Kulturen). Diese
Kraft sehen wir als. gestaltende Potenz kultureller Ordnungen, in
deren raum-zeitlichen Mikrokosmos auch der Makrokosmos kul-
turspezifisch eingebaut wird.
Am Anfang war das Wort bedeutet fir den Kulturanthropolo-
gen die Suche nach der menschlichen Kraft, die Kulturen hervor-
treibt und trägt und immer neue Anfänge als Wandlungen in der
Geschichte setzt. Für dieses Wort gibt es in der griechischen Spra-
che und damit im griechischen Denksystem zwei Wörter, die für
unsere westliche Interpretation menschlicher Kraftentfaltung
von eminenter Bedeutung wurden: Logos und Mythos.
Das Spannungsverhältnis und die Gegensetzung dieser beiden
Begriffe gehören seit ihrer Entwicklung in der antiken griechi-
schen Philosophie zu den Dualitäten der abendländischen Inter-
pretation schöpferischer Potenz. Mit Logos als Wort und Aus-
druck ist rationales Denken, Beweisführung, Vernunft und Wahr-
heit verbunden; mit Mythos als Wort und Ausdruck Erfindung,
das Unwahre, Irrationale.
Während Mythos menschliches Schaffen als Erfindungen der
Früheren für die griechische Philosophie darstellt, ist Logos nicht
nur die menschliche Vernunft, sondern jenes kosmische Prinzip,
durch das die Welt kein Chaos, sondern ein geordnetes, von Ver-
nunft durchdrungenes Ganzes ist, das durch den beherrschenden
Geist hervorgebracht wurde und wirkt.
Logos und Mythos als das entscheidende Gegensatzpaar des
abendländischen Welt- und Menschenbildes haben in der Gleich-
setzung mit rational und irrational auch das Welt- und Men-
schenbild des säkularisierten westlichen Anthropologen geprägt,
wobei Logos zur entwicklungsgeschichtlich erklärbaren mensch-
lichen Ratio und der göttliche Logos, das Ur-Wort, Mythos
wurde. Die anthropologische Reduktion allerdings verharrte
im Dualen von logisch/prälogisch — rational/irrational — Ver-
nunf*/ Unvernunft, wobei der Anthropologe selbst sich aufgeru-
fen ^:Llte, die Unvernunft zu erklären und die Unvernünftigen
aufzuklären. Die evolutionistische Interpretation hatte das Stufen-
schema vom Kindheitszustand der Menschheit in einem mythi-
schen Zcitalter über die monotheistische Stufe bis zu jener Herr-
schaft des Vernunftswesen Mensch über die Naturkráfte zur Ver-
44
fügung, die nach Marx alle Mythologie als Ideologie verschwin-
den läßt: Alle Mythologie überwindet und beherrscht und gestaltet
die Naturkráfte in der Einbildung und durch die Einbildung: ver-
schwindet also mit der wirklichen Herrschaft über dieselben.
Die Unaufhebbarkeit der Mythenbildung, ihr Übergang in sá-
kularisierten Mythos, der sogenannte neue Irrationalismus und
die gegenwártige Suche nach dem Mythos als kosmischem Lo-
gos ist allerdings ein Phänomen, das diese evolutionistische
Theorie auf den Kopf stellt und kaum mit einem Rückfall in die
Barbarei und sicher auch nicht nur über die kapitalistische Kolo-
nisierung der Subjektivitát im Sinne einer historisch-materialisti-
schen Theorie des Subjekts (Schülein u.a.) zu erkláren ist.
Am Anfang war das Wort versichert der indische *Godman"
Darshan Singh seinen deutschen Zuhórern mit Johannes, um ih-
nen gleich darauf die Vielfalt der Bezeichungen von Logos bis
Tao für das in allen Religionen gleiche Phänomen zu vermitteln:
die góttliche Kraft (hier als Licht- und Klangstrom), die das Uni-
versum schuf und dem getrennten Menschen über die Initiation
und mit Hilfe des lebenden Meisters zuflieBt und ihn mit dem
Absoluten vereinigt.
Diese Kunst des Sterbens im Leben erfáhrt man im Sat Sang, in
der Gemeinschaft mit einem lebenden Heiligen. Sat Sang, so der
Meister, ist die Klinik, in der man die Schónheitsoperation vollzie-
hen kann. Darshan Singh hatte für sein westliches Publikum, vor-
rangig Frauen mittleren Alters, eine durchaus verwestlichte All-
tagssprache bereit: Wórter, die sich zu Alltagsworten fügten, um
sein (góttliches) Wort als lebender Godman zu verkünden. Neben
dieser Sprache, in der die Wórter zur semantischen Verdeutli-
chung des von Darshan Singh gemeinten Sinns von Logos in die
alltagsweltliche Logik seiner Hórer transformiert wurden, ent-
schieden andere Wórter, Schlüsselworte oder die fünf heiligen
amen, die der Meister seinen Initianden schenkte, über die
^i0glichkeit, mit seiner Hilfe den Yoga-Pfad zu beschreiten.
Ciese Echlüsselworte mußten von den Initianden in dauernder
Wiederholung mit der Assistentin laut gelernt werden. Es blieben
fremde Laute, nach deren Bedeutung ein Initiand vergeblich
fragte. Aber auch der Meister verwies darauf, daß nur das men-
tale Aussprechen der heiligen Namen im Nicht-Denken das Erle-
ben der Licht- und Klangerscheinungen ermögliche. Und hier
wird eine weitere Dimension des Wortes deutlich: die magisch-
mystische.
In der sowohl von Darshan als auch von Thakar Singh heraus-
gegebenen Ansprache Kirpal Singhs, »Mensch, erkenne dich
selbst«, wird Simran (Wiederholung) als ein kraftdurchstrómtes
Bünd-! V/órter erklárt: Bei der Einweihung werden dem Schüler —
zum € ^utz gegen alle Gefahren — fünf heilige Namen zur ständigen
Wiederholung anvertraut. Sie dienen als Pafiworte für alle inneren
Ebenen und verleihen Kórper und Gemüt Kraft und Halt in Kum-
mer und Not. Sie bringen die Seelen hóher zum Meister, dienen
dazu, innere Cammlung zu erlangen und verleihen viele andere
Kráfte verschiedener Art. Ein Simran, den ein sogenannter Meister
vermittel*, ist nur ein Bündel Wörter. Aber diese wenigen Wörter
werden kraftdurchströmt, wenn sie mit der Aufmerksamkeit und
Gnade eines wahren Meisters versehen sind.
Auch Paul Solomon, der amerikanische Prophet in Santa Bar-
bara/ Virginia, der sich als Nachfolger Cayes versteht und aus
dem ebenso in einem Waking Sleep die Source spricht, vermittelt
sein Inner Light Consciousness über den Logos-Begriff bei Johan-
nes mit einer verblüffenden Alltagslogik: seine meta human er-
kennen selbst, daß Logos als der unpersönliche Gott (als Leben
und Licht) in ihnen selbst lebt und sie damit selbst Gott sind, sich
ihren Körper geschaffen haben. So werden sie vom victum zum
Cause, unabhängig von den Normen und Bewertungen der Mit-
welt in ihrem Alltag.
Wortmagie wird hier zum abschließenden sozialen Ritual des
gegenseitigen Sich-Versicherns der Transformation über den neuen
signifikanten Anderen, die neue urvertrauensgeladene Sozialisa-
tionsinstanz, durch preisende Wiederholung seines - Paul Solo-
mons - Namens, des Dankes und der Freude. Zu dieser gemein-
schaftsbestátigenden magischen Formel gerinnt auch das aus dem
hinduistischen Ritual übernommene "Om" in westlichen spirituel-
len Gruppen. Die fremden Wörter sind nicht die Wörter einer
Fremdsprache oder einer fremden Sprache, sondern sie werden
wie Ur Worte gehandelt, deren Dccodierung nur im Einssein mit
dem Alleinen - dem Wort - möglich ist. Die charismatischen Füh-
rer, die vom Godman bis zum blof fortgeschritteneren “meta hu-
man” als Vermittler reichen, sehen sich immer als Gefäß der
Source, aus der die Kraft strömt und oft mit fremden Zungen, wie
45
Paulus die mystische Gnadengabe genannt hat, spricht. Der india-
nische Schamane und Abendlandbekehrer Wallace Black Elk
füllte den Hörsaal unserer Universität nicht nur mit der Wiederho-
lung des zunächst englisch gesprochenen Gebets in seiner Stam-
messprache, sondern auch in der Geistersprache.
Der Guru der Old Builders, Norm Paulsen, sprach schon als
Kind in der Sprache seines früheren Lebens, demjenigen der nor-
dischen Bliitezivilisation von Lemuria, mit deren baldiger Rück-
kehr das New Age beginnt.
Und Hans Peter Duerr zitiert auf seiner Suche nach dem Ur-
sprung, nach der Grenzüberschreitung zur Tiernatur: Teilhaftig zu
werden des manitu aller Dinge heißt, die gemeinsame Sprache aller
Dinge sprechen. Es spielt keine Rolle, was man zu der Pflanze sagt.
Man kann genausogut Worte erfinden. Oder, Castanedas Frage
aufgreifend und kritisierend: Schneeulen sprechen nicht ... eng-
lisch oder deutsch. Aber wir kónnen mit Schneeulen kommunizieren,
wenn wir — und dabei kónnen uns bewufitseinserweiternde Drogen
behilflich sein — die Grenze za unserer eigenen 'Tiernatur' und damit
die Grenzen, die uns von der Schneeule trennen, auflösen.
Am Anfang dieser westlichen Suche der Nachkriegszeit nach
der Wiedergewinnung des einen kosmischen Wortes und der Be-
rührung mit ihm über die rätselhaften, gefühlten, kraftgebenden
Wörter steht die von Amerika ausgehende Jugendrevolte. Die
Beatniks verachteten ihre erlernte Sprache wie die Gesellschaft
dieser Sprache; aus dem Zen-Buddhismus hatten sie die Neben-
sáchlichkeit der Worte der erklárenden Vernunft abgeleitet: So
gibt Kerouac in einem seiner Leitbücher der Beat-Generation
"The Dharma Bums« ein Gesprich wieder: , Es ist gemein ... wie
alle diese Zen-Meister ihre jungen Schüler in den Dreck werfen, weil
sie ihre albernen Wortfragen nicht beantwcrten künnen." ,Das
machen sie nur, damit die Knaben merken, daß Dreck besser ist als
Werte, mein Junge.“ In dieser Erklärung drückt sich aber gleich-
zeitig die neue Dimension der Wörter aus: der Glanz des Gewöhn-
lichen (Roszak) oder Alles ist Dharma (Achaan Chaa), das heißt,
die Wórter dienen nicht als Worte über ihre logische Verknüpfung
und ihre Semantik zur Interpretation der Welt, sondern sie sind
wie alle Erscheinungen kooperierende Daseinsfaktoren einer
sich unaufhórlich wandelnden Welt, die ihre Grundlage im undif-
ferenziert Geistigen hat. Die Rátselfragen sagen letztendlich aus,
46
daß man mit Wörtern nicht ein anderes bezeichnen kann. Alle
Wórter sind Tráger ihrer eigenen Eigenschaften wie alle anderen
Erscheinungen.
Neben der aus dem Zen-Buddhismus übernommenen Bedeu-
tungslosigkeit der verbalen Mitteilung steht allerdings das ma-
gisch-mystische Wortprinzip, nach dem das Wort als Vision und
Emanation des Geistes wirkt.
Die Lyrik der anderen groBen Leitfigur der Beat-Bewegung,
Allan Ginsbe:gs, ist davon geprägt: So wie Amos und Jesaja strebt
Ginsberg die Rolle des nabi, des beschwórend Murmelnden, an: Er
móchte jemand sein, der mit fremden Zungen redet, jemand, dessen
Stimme als Instrument Müchten jenseits des bewufiten Willens
dient, sagt Roszak.
Wenn vom .Paradigmatischen dieser Bewegung die Rede war,
dann läuft die Selbstinterpretation auf den Kuhnschen Paradig-
menbegriff hinaus, wonach ein Paradigmenwechsel aus einer
Krise entsteht und in einem revolutionáren Akt eine neue Sicht-
weise des bisherigen Erklàárungsrahmens für Aspekte der Wirk-
lichkeit darstellt. Diesen Paradigmenwechsel als eine revo-
lutionäre Evolution, als einen evolutionüren Sprung nehmen
die Theoretiker der spirituellen Bewegung für sich in Anspruch:
Wir sind die Revolution übernimmt Ferguson in »The Aquarian
Conspiracy« die Worte der Philosophin Beatrice Bruteau. Und
Roszak vermittelt in seinem Buch »Das unvollendete Tier« die
Erlósung der Welt durch eine psychische Mutation, die er Kul-
tur verkehrt nennt. Seine Umkehrung des kulturellen Dreiecks —
Vernunft, Geschichte, Technologie - richtet sich sowohl gegen
einen materialistischen als auch gegen einen humanistischen,
das Vernunftwesen Mensch zentralisierenden Kulturbegriff. Er
will die drei heiligen Positionen, die der tragende Grund von
Kultur und zu drei profanen Positionen degeneriert seien, zu-
rückgewinnen: Mythos, der zu Geschichte degenerierte; Myste-
rium, das zu Vernunft degenerierte; und Magie, die zu Techno-
logie degenerierte.
Mythos ist für Roszak nicht nur Antithese der Geschichte (als
zerstórte CewiDheit in Lebensgeschichte und als Fachborniert-
heit), sondern eben auch ihr Archetyp der zeitlosen Erzáhlung
von Wahrheit. Damit befreie der Mythos aus Unordnung und
Chaos und bette das Einzelgeschick in einen Weltsinn, jenes ge-
d
ordnete kosmische Prinzip, das die Griechen allerdings Logos ge-
nannt hatten.
Magie interpretiert Roszak ganz in diesem Sinn als magische
Sensibilität, in der der Geist das Universum durchdringt und jeden
natürlichen Gegenstand mit einer lebendigen, einigermaßen zielsi-
cheren Existenz ausstattet, die durch Gebet, Ritus oder rhapsodische
Festlichkeit herausgestellt wird. Das Ich-Du-Verhältnis beruht,
wie er sagt, nicht nur auf der heutigen (technologisch degenerier-
ten) Gewalt der Tat, sondern auf der Gewalt des Seins.
Mvsterien sind für Roszak Durchgangsriten auf dem Weg zur
Transformation, zu jener neuen Identitàt, die uns das Selbst inner-
halb unseres Selbst vermittelt: den visionáren Durchblick zum
Ursprung gibt. Diese Mysterien sind nun nach Roszak einer mili-
tanten Rationalität untergeordnet worden, der als Vernunft die
Funktion der Gnosis aufgebürdet wurde.
Mythos, Mysterium und Magie sind für Roszak der Weg, auf
dem wir uns jenem visionáren Feuer náhern kónnen, aus dem in
einem gezielten Zeugungsakt als Einheit in der Entwicklung Kul-
tur entstand. Und er fährt fort: Denn nur so können wir verhindern,
daß Geschichte (unsere kollektive menschliche Biographie auf der
Erde) das antagonistische Cegenstück von Ewigkeit wird und wir
uns mit einer weiteren qualvollen Dichotomie belasten. Dieses vi-
sionäre Feuer ist der vergessene abendländische Logos, das
innere, schöpferische Feuer der Griechen als immanentes kosmi-
sches Prinzip.
Während der Historiker Roszak, der sicher ein Abtrünniger
aus der Historiker-Zunft ist, die gestaltende Kraft von Kultur in
einem visionären Feuer sucht, sind Kulturanthropologen, die
sich als Phänomenologen verstehen, bescheidener. Sie fragen im
Sinne einer verstehenden Wissenschaft nach der Kraft oder
Macht, die als gemeinter Sinn intentional hinter den Phänome-
nen steht. Mühlmann spricht von dem intentionalen Charakter
des Logos und sieht mit van der Leeuw Religion als gesteigerte
Form der intentionalen Suche nach Macht, die hier im Sinne von
Lebenssteigerung steht: Der religióse Sinn ist derjenige, dem kein
weiterer und tieferer folgen kann. Er ist der Sinn des Ganzen. Er ist
das letzte Wort.
Für Mühlmann hat der Anthropologe überall ,unbeirrt" nach
diesem letzten Wort zu suchen, nicht nur innerhalb des Bereichs
48
dessen, was wir Religion nennen, sondern im Bereich der Be-
gründung dessen, was je als schlechthin wahr und gültig einer
Kultur Sinn und Ordnung gibt und damit als erstes (bewirktes)
und letztes (wirkendes) Wort steht. Dabei bezieht auch Mühl-
mann sich auf den Logos im Johannes-Evangelium und stellt ihm
die heiligen Worte der Uitoto gegenüber: Im Anfang gab das Wort
dem Vater den Ursprung. Jedoch, fáhrt Mühlmann fort, ist der
ganze Mythos als Logos aufzufassen, auch wenn nicht ausdrücklich
vom „Worte“ die Rede ist: dieses redet sich ja selbst. Und wie beim
Schópfungsmythos der Uitoto flieBen auch bei der New Age-Be-
wegung Logos und Mythos als intendiertes wahres Wort zu-
sammen.
Wenn der Religionshistoriker und Phänomenologe Mircea
Eliade die Aufgabe seiner Wissenschaft darin sieht, über den Ver-
gleich konkreter historischer Phánomene deren überzeitlichen re-
ligiósen Sinn zu suchen, dann entspricht dies der Suche des Kul-
turanthropologen nach dem überzeitlichen Sinn von Kulturen
überhaupt. Und wenn der Mythologe nach dem gemeinten Sinn
des Mythos, Chaos in Kosmos zu verwandeln, fragt, dann fragen
wir nach dem gemeinten Sinn aller Ideen, Handlungsentwürfe
und Handlungsvollzüge, um Chaos in Kultur zu verwandeln.
Für diesen ihren gemeinten Sinn geben uns die Verschwórer des
neuen z:talters selbst ihre Interpretation der überzeitlichen Im-
manenz des spirituell Seienden, an der allerdings nur die Weni-
gen, die Transformierten, die evolutionáren Mutanten teilhaben.
Sie sind die Initiierten, die nun gleichzeitig als ehemalige Intel-
lektuelle dem verstehenden Intellekt der Fremden, d.h. der
Nicht-Initiierten, die Fáhigkeit zur phánomenologischen Reduk-
tion absprechen. Im Sinne ihrer neuen Identitát haben sie eine
Verwandlung erfahren, die nur über die radikale Beseitigung der
früheren Identität möglich war. Und zu dieser früheren Identität
gehörte der kognitive Prozeß der Weltinterpretation, der von je-
nem abgelöst wurde, der dem Geist durch visionäre Wahrnehmung
vermittelt wird (Roszak).
Eine Verständigung, eine gemeinsame Sprache mit den ande-
ren, den nicht Verwandelten, wird abgelehnt: Ich kann jetzt mit
euch oder anderen Menschen über Dinge reden, über die ich vor Jah-
ren nicht reden konnte, weil es einfach etwas heifit, Perlen vor die
Sáue werfen. Das heifit nicht, dafi derjenige, der das sagt, fürchter-
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lich arrogant ist, sondern daß er weiß, daß er eine andere Sprache
spricht als der, mit dem er gerade zu tun hat. Und wenn man dem
bestimmte Dinge sagt, der sie nicht versteht, da er sie nur mit dem
Verstand versteht und nicht mit dem Herzen und dann umdreht ...,
erklárte der Leiter einer Praxis für kórperstrukturelle Tiefenmas-
sage und Energetik.
Diese Seinssucher als Anthropologe zu verstehen, zumal sie
darüber hinaus nicht verstanden werden wollen - Es gibt nur
einen Zugang zu ihnen (den Mysterien), und das ist die Initiation.
So gesehen kann man sie nicht der Allgemeinheit vor die Füfle wer-
fen (Roszak) —, fállt schwer. Als Kulturanthropologe frage ich zu-
erst nicht nach der individuellen Gesundheit des Glücks der Weni-
gen, sondern nach der Stimmigkeit einer alltagsweltlichen kultu-
rellen Ordnung, die den Individuen Vertrauen gibt und ihnen ihre
Welt verstándlich macht. Die alten Mythen haben diese Ordnung
vielleicht geleistet. Deshalb greift man auf sie zurück und baut sie
in den neuen westlichen Mythos des kosmischen Seins ein. Und
weil man die historisch investierten Erfahrungen der fremden
Kulturen nicht versteht, lehnt man das Verstehen über die phäno-
menologische Interpretation überhaupt ab und wartet auf die vi-
sionáre Eingebung zwischen den Alltagsgescháften. Die sanften
Verschwórer sehen sich als planetarische Familie auf dem Weg zu
einer spirituellen Weltkultur, die über die nationalen Grenzen se-
kundáre Kommunikation betreibt — die Transformation kennt kein
Heimatland (Ferguson).
Die spiritualistische Weltkulturlehre ist evolutionistisch konzi-
plert wie ihre Todfeindin, die materialistische Weltkulturlehre.
Beide sehen über die Entwicklung der Technologien den Weg
zum befreiten Subjekt; und beide versuchen, die kulturellen
Grenzziehungen als Übergangsstadien zu deklarieren. In diesen
Weltkulturen gibt es nur noch einen gemeinten Sinn, was den
Anthropologen und seine Versuche des Fremdverstehens über-
flüssig machte. Und so wird er auch jetzt schon dem Ideologie-
verdacht ausgesetzt, wenn er mit einem kulturrelativistischen An-
satz den je gemeinten Sinn zu verstehen versucht, und dem Ver-
dacht des Konservatismus, wenn er für plurale Alltagswelten plà-
diert, in denen jede Kultur ihr eigenes Wort als gestaltende Kraft
entwickeln kann.
50
2. IMPRESSIONEN UND NOTIZEN
ZU EINER VERKEHRTEN WELT
2.1 Wie Naturkatastrophen
Dort brennt es Tag und Nacht. Das wird einem überall von der
Bronx erzählt, einem Stadtteil New Yorks, der erst nach dem
Krieg einem wachsenden Verslumungsprozeß ausgesetzt wurde,
am stärksten in der South Bronx: mehr als 50% Arbeitslose, Kri-
minalität, Menschen, die in Häusern wohnen, die nicht mehr be-
wohnbar sind - und ganze Viertel mit ausgebrannten Ruinen,
leere oder vernagelte Fensterhóhlen, finstere Eingánge. Überall
auf den Strafen die vandalized cars. Das sind meist gestohlene,
abgestellte Autos, die irgendeine Panne hatten und bis zum letz-
ten Schaltknopf ausgeschlachtet und anschließend angezündet
wurden.
Dangerous wird einem immer wieder gesagt, und die Brandstif-
tung (aus Versicherungsbetrug, Bauspekulation, Trunkenheit,
durch Kinder, die keine anderen Spielplätze als die leeren Rui-
nen haben, und Zerstórungswut) ist nur ein Merkmal jenes urba-
nen Verelendungsprozesses, dessen man nicht Herr wird und ihn
deshalb quasi wie eine Naturkatastrophe aus der präventiven
Sozialpolitik ausklammert, oder anders ausgedrückt: man läßt
dem sozialen Erdbeben hier seinen Lauf, um, vielleicht später,
eine Totalsanierung durchführen zu können.
Als weißer Bürger meidet man das 'Gefahrengebiet', fáhrt
hóchstens mit dem Auto durch und macht Station erst im Italie-
nerviertel der Bronx, in dem man ungefáhrdet ist, weil die grofie
Kriminalität, d. h. die mafiose Organisation, die kleine Kriminalität
kontrolliert, wie mir ein Kollege sagte.
Ich fuhr mit der Subway in die Bronx, auch davor hatte man
mich gewarnt, mich verunsichert. Der Zug war einer der von der
Ghetto-Jugend bemalten Graffiti-Züge, Graffiti als Symbol dafür,
daß wir die Kontrolle verloren haben, wie es der Chef der New
Yorker Verkehrsbetriebe in seiner seit 1981 laufenden Kampagne
51
gegen die Graffiti-Täter ausdrückte. Es waren wilde Bilder, wild
nicht nur, weil sie als kriminelle Handlungen gelten, sondern
wild auch in ihrem Über- und Durcheinander von Bildmotiven
und sogenannten Tags, den kalligraphisch elaborierten Namens-
kürzeln, über die eine Slumjugend aus ihrem Ghetto gewisserma-
ßen in das ganze Stadtterritorium einbricht.
Dort in der Bronx auch eine andere Wandmalerei. Der lange
sterile Gang der psychiatrischen Klinik, ausgemalt mit einem Pe-
genbogen über bunten Blumen und Bäumen. Ein sanftes Bild.
Aber ist hier der weltweit in den Mythologien als Symbol für gött-
liche Gegenwart, für Hoffnung, Frieden und Erneuerung, für die
Brücke zwischen Himmel und Erde dargestellte Regenbogen
noch Hoffnungsbild, wenn ihn die Insassen dieser totalen Insti-
tution Psychiatrie als Therapie malen müssen? Der abgeschlos-
sene Komplex dieser Anlage hinter Zäunen verstärkte nur das
Bild der Hoffnungslosigkeit, erschien nicht als Grenze zum
Draußen der wilden territorialen Aneignung, sondern als Endsta-
tion.
Soziales Erdbeben, das im Wahnsinn zur Ruhe kommt? Wer
der Katastrophe dieses Viertels entkommen kann, zieht weg. Die
amerikanische Großstadt schließlich als
Dschungel
Fabrikschlote, die schier bis in den Himmel ragten und aus denen
ebenso viele Rauchsäulen aufstiegen. Dicht, schmierig und schwarz
wie die Nacht hátte dieser Rauch direkt aus dem Kern der Erde
kommen kónnen, wo noch das Urfeuer schwelt. Er brach wie aus ei-
gener Kraft hervor, alles vor sich hertreibend, eine fortwährende
Eruption. (Upton Sinclair / The Jungle)
Schlachthaus
-.. die Züge, die nicht enden, voller Blut ..
Die Enten und die Tauben
und die ! :hweine und die Lämmer
verträufeln ihres Blutes Tropfen
zuunterst aller Multiplikationen,
und das entsetzlich ausgeheulte Wehgeschrei der fast
zerquetschten Kühe
32
erfüllt mit Schmerz das Tal,
darin dc» Hudson sich mit Ól besáuft
Rost, Gárung, Erde, die erbebt.
(Federico Garcia Lorca / New York
Moloch
Welche Sphinx aus Zement und Aluminium zerschlug ihre
Schácel
und fraf3 ihre Hirne und ihre Imagination?
Moloch! Einsamkeit! Schmutz! Háflichkeit! Müllschlucker
und unerschwingliche Dollars! ... Moloch ohne Liebe! Geistes-
moloch!
Moloch, der harte Richter der Menschen!
(Allen Ginsberg / Howl)
Endstation Fortschritt
Hier halten keine Züge mehr
und der alte Bahnhof sieht aus,
als wàrc er ein nctürlicher
Teil cc» Landschaft geworden.
Die Bahnsteigzperren sehen aus wie
Zellentüren, hinter denen unser Gefangener sitzt.
die Vc-gangenheit.
Die Bahnsteigmauern sehen erschópft aus
von de: langen Jahren, in denen sie
ein C-- Sude trugen, das wir einmal
Fortschritt nannten.
Aber wie der Wind aufhórt zu wehen,
so hóren wir auf zu leben,
und am Ende werden wir ein natürlicher
Teil der Landschaft.
(J.M., 16 Jahre, aus: In den Elendsvierteln von New York)
Wie Naturkatastrophen: Die Endstation Fortschritt wird ein
natürlicher Teil der Landschaft; die Stadt ist ein Dschungel; die
Giftwolken der Fabriken sind sich selbst antreibende Urfeuer;
die Stact wird zu mythischen Ungeheuern, Urmächten, denen
kein Einhalt geboten werden kann; der Fluß, der sich mit Öl
53
besäuft, Erde, die erbebt. Legitimieren Kinder und Dichter eine
Politik der Nicht-Verantwortlichkeit und der Fluchtbewegungen?
Nicht jeder aber kann, will diesem Moloch Stadt entfliehen.
Jeffrey Goodman, der Autor des Buches »We are the Earthquake
Generation, sal bei seinem Friseur in New York, der trotz ver-
lockender Angebote seiner Kunden aus der Filmbranche nicht
nach dem aus seiner Erfahrung von Erdbeben sehr real erdbe-
bengefáhrdeten Kalifornien ziehen wollte. Ich hatte nicht das
Herz, sagt der Autor, Antonio von den Defekten zu erzáhlen, die
unter New York liegen.
Aber dieser Autor gibt Chancen für das Leben nach dem Erdbe-
ben, das hier ganz irrational in seiner Realitát einer Naturkata-
strophe auf eine Zeitenwende übertragen wird, sofern man auf
die Stimmen hórt: nicht nur die der (Grenz-)Wissenschaftler,
sondern vor allem die der Propheten. Cayce, der ‘schlafende Pro-
phet', spielt bei ihm eine große Rolle. Und es wird ein Satz aus
dem »1 Ching: zitiert: Derjenige, der sich der Gefahr bewufit ist,
schafft Frieden für sich selbst; derjenige, der die Dinge leicht nimmt,
schafft seinen eigenen Untergang.
2.2 Erkenne Deine Kräfte
Virginia Beach: Gepflegte Strandpromenaden, breite Avenues,
Restaurants, teure Láden und Villenviertel. Dort das A. R. E., As-
sociation for Research and Enlightenment, mit der Bibliothek der
14000 Lesungen des 'schlafenden Propheten' Edgar Cayce. Eine
imponierende Anlage, der große Parkplatz voller Autos.
Man kann im Meditationsgarten oder im Meditationsraum
verweilen, in der Bibliothek sitzen oder im Buchladen, der Bü-
cher, Berichte und Tonbänder zu persönlicher Freude, Wachstum
und spirituellem Verstehen anbietet, man kann einen Farbfilm
über das Leben Cayces ansehen - alles kostenlos — und vor allem
sein E. S. P. (Extra Sensory Perception) testen lassen.
Sind Cie ein Schaf? Oder ein Bock? Nun, wenn Sie ein Schaf sind,
dann sind Sie eher bereit Ihre PSI-Fühigkeiten anzunehmen und
haben bessere Ergebnisse als die Bócke.
Der Teacher sprach sehr schnell zu dem Publikum von 30 Leu-
ten - je mehr Durchgánge wir machten, desto besser könnten wir
unsere hellseherischen Kráfte ermessen. Die Zettel mit den 25
Leerstellen für unsere Eintragungen und die Bleistifte wurden
verteilt, ein Freiwilliger drehte auf dem Podium alle 30 Sekunden
eine der 25 Zener-Karten (mit fünf verschiedenen Zeichen) für
uns unsichtbar um, wir malten die Leerstellen aus. Sender/ Emp-
fáànger - Konzentration! Nach den Durchgángen: Frage nach den
‘Richtigen’, freudige Mitteilung vor allem von jenen mit hoher
Trefferquote über dem statistischen Zufall. Denn hier ist etwas
anderes am Werk: eben paranormale Kräfte.
Unser Spiel war sicher nicht so aufregend wie die card parties,
die in den 30er Jahren an der Duke University von dem jungen
Psychologie-Professor J.B. Rhine mit Kollegen und Studenten
veranstaltet wurden, um die Extra Sensory Perception in den Phä-
nomenen Telepathie, Hellsehen und Zukunftsschau einer exak-
ten wissenschaftlichen Prüfung zu unterziehen.
Aber es war viel Gláubigkeit da und der uns immer wieder im
spirituellen Amerika begegnende Versuch, das - eigene - 'tiefe
Selbst' bestátigt zu bekommen.
Da war eine Frau, Witwe, um die 60, für einen Workshop von
Südafrika zu dem living Propheten Solomon, gleich um die Ecke
vom A.R.E.-Center in Virginia Beach, gekommen. Sie hatte
schon immer etwas von ihren inneren Kräften gefühlt, ihren telepa-
thischen, heilenden Fähigkeiten. Hier aber endlich würden sie er-
kannt, bestätigt. Ob sie hier lernen wolle, anderen Menschen da-
mit zu helfen? Nein, sich selbst erfahren!
Marilyn Fergusons befragte Verschwörer im Zeichen des Wasser-
manns glaubten in hohem Maße an PSI-Phänomene. Im großen
und ganzen fsigte ihr Interesse einem gewissen chronologischen Ab-
lauf: Zuerst Faszination, Furcht oder beides zusammen, dann Mei-
den der Phänomene als Ablenkung vom transformativen Prozeß an
sich; und schließlich naturgegebenes, plausibles Akzeptieren dersel-
ben a!s eine Erweiterung der kreativen Fähigkeiten des Menschen
und als Beweis für die grundlegende Einheit allen Lebens.
Umstritten wie die paranormalen Phänomene Telepathie, Hell-
sehen, Zukunftsschau und Psychokinese, die als PSI bezeichnet
werden, ist auch die Parapsychologie, die diese Phänomene wis-
senschaftlich zu erforschen und zu beweisen versucht. Was
J. B. Rhine in den 30er Jahren an der Duke University begonnen
hatte, nämlich eine exakte statistische Überprüfung der Phino-
S5
mene, hat zu einer wahren Flut von mit den Methoden der natur-
wissenschaftlich orientierten Psychologie arbeitenden Tests ge-
führt, für die vor allem Studenten — als die am leichtesten zugäng-
liche Gruppe für universitäre Laborexperimente — herhalten
mußten. Dabei erfreute sich der sogenannte Sheep / Goat Effect
besonderer Beliebtheit, bei dem es darum geht, die Korrelation
zwischen Persönlichkeitstypen und ESP zu testen. Schafe wer-
den definiert als Subjekte, die die Möglichkeit paranormalen Er-
folgs unter den Bedingungen des Experiments akzeptieren, wäh-
rend Eócke Subjekte, die diese Môglichkeit zurückweisen, sind
(Schmeidler/ McConnell). Als Schafe oder Bócke werden die
Probanden aufgrund vorausgehender Interviews und Tests einge-
teilt.
Gerade diese Versuche, mit Hilfe wissenschaftlicher Methoden
das ‘Unerklärbare’ zu erklären, finden nun aber nicht nur im
normalen' wissenschaftlichen Lager Ablehnung, sondern auch
bei Verteidigern der übersinnlichen Erfahrung. So kritisiert Ros-
zak, anknüpfend an Rhines Institut für statistische Parapsycholo-
gie, die Entwicklung der statistischen Bewuftseinsforschung als
eine kümmerliche Wilde Wissenschaft, die durch ihre Fixierung auf
mefibare, empirische Werte ... letztlich den Blick auf wichtige
Aspekte religióser Erfahrung versperre, die zu nichts anderem als
einer Verschleierung der Zusammenhünge, die auf verschiedenen,
geistig relevanten Ebenen angesiedelt sind, führe. Für Roszak gilt
es, in das ursprüngliche Wissen, in das Überbewufite (Geistig-Reli-
gióse) umzukehren und das Unterbewufte (Psychologische, Pa-
ranormale) wie die tibetanischen Meisterschüler mit aristokrati-
scher Lew::zligkeit zu behandeln: Spricht da nicht einiges dafür,
daf3 der Lebensbereich, wo Yogis ihre Geddrmwindungen reinigen
und ihren Stoffwechsel drosseln (wenn nicht gar einstellen), konkret
unterhalb der Erleuchtungsebene liegt?
Wie wichtig allerdings gerade für die - im Sinne Roszaks sicher
leicht geistesgetrübten — Mitglieder in den Randzonen der okkulten
Gegenkultur ihre personalen psychischen und psychosomati-
schen (Gedárm-)Windungen sind, zeigt die Lebenshilfe-Suche,
die sich vom Psychotherapeuten auf die spirituellen Workshops
ausdehnt, vom Lesen des Zeitungshoroskops auf die intensive
Befragung von »I Ching« Tarot und ESP-Karten, wobei eben
gerade hier nach der wissenschaftlichen Bestütigung der persona-
56
len Probleme und Fähigkeiten gesucht wird. Man will an sich
glauben und dafür braucht man nicht den Glauben, sondern die
Wissenschaft als Instanz. Das macht Veröffentlichungen, die das
außergewöhnliche Selbst wissenschaftlich bestätigen, so kom-
merziell zugkräftig. Der Boom esoterischer Buchläden zeigt es
ebenso wie die Auflagenhöhen von Castanedas Buchzyklus. Die
Foundation for Research on the Nature of Man in Durham, North
Carolina, vertreibt - unter dem Signum der Erforschung des ‘We-
sens des Menschen' - nur parapsychologische Schriften und
gleichzeitig das ESP-Testmaterial (Test Your ESP), die Buchliste
ist mit den Symbolen der Zener-Karten geschmückt. Und wer es
sich leisten kann und sich selbst auch ästhetisch außergewöhn-
lich analysieren will, greift zu den von Dalí entworfenen Tarot-
Karten.
2.3 »Geist des Friedens«.
Ein Kongref spiritueller Friedenssucher
Amsterdam im Márz 1985. In den nüchtern-technischen Mes-
sehallen tummelte sich ein wohl selten dort zu sehendes Publi-
kum: elegant-lässige Garderobe oberer Mittelschicht, wei wal-
lende Gewänder, sanfter Buntdruck, seltener das Sannyasin-Rot
der Anhänger des Bhagwan Shree Rajneesh, noch seltener der für
die Messehallen ebenso exotische Anblick von Indianerschmuck
an einer ‘echten’ Indianerin oder das rote Stirnband bei einem
der australischen Aborigines. Überall hörte man Amerikanisch,
und eine Vorstellung der Teilnehmer nach Nationen ergab
schließlich auch, daß neben den deutschen Besuchern die US-
Amerikaner überwogen, aus dem gastgebenden Land dagegen
nur wenige Teilnehmer da waren. Die Tische der Halle bogen
sich unter der Last von Werbeprospekten, die Reden der New
Age-Elite konnte man auf Kassetten kaufen, den Dalai Lama
über eine Videokassette hören und sehen.
Es war das Treffen Spirit of Peace. Culture, Religion and Science
at a Turning Point. Organisationsgesellschaft war die inzwischen
in Konkurs gegangene Agape e. X. mit Sitz in Freiburg i. Br., die
sich c:3 einer der Nervenpunkte jenes internationalen Netzwerkes
versteht, das auf eine geistige und soziale Transformation hinarbei-
> /
tet. Die normale Teilnehmergebühr, ohne Unterkunft und Ver-
pflegung, betrug 650,- DM, eine Tageskarte kostete 180,- DM.
Dafür wurden täglich von 8.15 bis 18 Uhr Meditationen, Vorträge,
Plenumsdiskussionen und Workshops angeboten. Geworben
worden war mit großen Namen, aber weder die Ehrengäste Mut-
ter Theresa, der Dalai Lama und Prinz Bernhard erschienen;
noch als Vortragende der inzwischen im Westen berühmte india-
nische Medizinmann Phillip Deere oder der Hopi Thomas Ba-
nyacya und auch nicht die Mitbegründerin der Findhorn-Kom-
mune Eileen Caddy.
Die Vorträge und Diskussionen wurden vor allem von jenen
‘Grenzbereichs’- Wissenschaftlern bestritten, die sich inzwischen
durch zahlreiche New Age-Publikationen bekannt gemacht
haben, in denen auch der je eigene Weg zur Transformation eine
gewichtige Rolle spielt; sie kamen alle aus den oder über die Ver-
einigten Staaten: Robert Muller, der Philosph der United Nations
(Most of All, They Taught Me Happiness«; »New Genesis.
Shaping a Global Spirituality«) - der Physiker Fritjof Capra 6 Das
Tao der Physik«; »Wendezeit. Bausteine für ein neues Weltbild: ;
»Das neue Denken:) - die Journalistin Marilyn Ferguson 6 Die
sanfte Verschwórung. Persónliche und gesellschaftliche Transfor-
mation im Zeitalter des Wassermann: ; ein neues Buch »The Vi-
sionary Factor« war in Vorbereitung) - Joan Halifax 6 Die andere
Wirklichkeit der Schamanen«), Gründerin der Ojai-Foundation
und 'ausgestiegene' Anthropologin, deren Herz wahrhaft brach,
als ihr Lehrer Lomax bei ihrem vergleichenden Studium von
Volksliedern in der Bibliothek ihr erzählte, daß es diese Musik
auf der Erde nicht mehr gebe. Gegenüber diesen westlichen
Spiritualitäts-Lehrenden und -Schreibenden wirkten die Worte
spiritueller Natives menschenzugewandter, der Vortrag des Reli-
gionswissenschaftlers Huston Smith (>Religions of Man«, >Be-
yond the Post-Modern Mind«) nüchterner, die Rede des früheren
Präsidenten der “University for Peace” in Costa Rica, Rodrigo
Carazo, konkret fordernder. Die politisch und ökologisch argu-
mentierenden Green-Peace-Forderungen prallten gegen die spi-
rituellen Grenzen, und die 23jährige Indianerin Binah McCloud
fand mit ihrer harten Kritik an der ökonomischen Ausbeutung
zwar emotionale Publikumszuwendung, blieb aber ein Fremd-
kórper im Kreis der very important persons des Agape-Forums.
3.
Das Thema Frieden bewegte sich von der Forderung Fergu-
sons nimm dich selbst ernst genug über den inneren Frieden der
Transformation bei der Sufistin Irina Tweedie und Joan Halifax’
Heimkehren zum Geist zu Capras viertem Level von Frieden,
nämlich Nichtgewalt als ein innerer (spiritueller) Zustand in der
Menschheits-Familie, woraus sich die Unmôglichkeit von Krieg
ergebe. Jenseits von Wissenschaft siedelt Capra dieses neue Para-
digma der spirituellen Bewußtheit an. Es ist seine tiefe Ókologie,
die der spirituellen Tradition verwandt ist. Und Glück findet sich
dicht neben diesem Friedensparadigma. Robert Muller schloß
seinen Vortrag mit dem Satz: Ich bin ein außerordentlich glückli-
cher Mensch. Diesen Glauben an das Glück, das Finden des
Glücks beschreibt er in seinem eigenen Weg zur Spiritualität.
Und in der New Genesis gibt es ein Kapitel “My Creed in Human
Happiness”. Dort heißt es unter anderem: Ich glaube, daß Glück
die Liebe zum Himmel ist, Liebe zu unserem schönen Planeten,
Liebe zur gesamten Menschheit, Liebe zu meiner Familie, Liebe zu
meiner Arbeit, Liebe zu meinem wunderbaren Leben. Und weiter:
Ich glaube, daß Glück durch Konzentration auf einen selbst erreicht
werden kann, sich den anderen óffnend, sich selbst zu Gott erhe-
bend. Und: Ich glaube, daß Glück heißt, immer auf die gute Seite
des Lc. cis schauen, in ständigem Staunen und ständiger Ehrfurcht
für das Leben sein, leidenschaftlich dem Leben zugewandt sein, en-
thusiastisch für das Leben sein.
Auch die von Robert Muller mitgetragene University for Peace,
Costa Rica, hat Happiness im Paragraphen 1 ihrer theoretischen
Begründun^ verankert: Jeder Mensch wünscht von seinem Wesen
her, glücklich zu sein. Das heifit, er sehnt sich nach der Befriedigung
seiner notwendigen und legitimen Strebungen und der Erfüllung sei-
ner physischen, intellektuellen und affektiven Fähigkeiten. Frieden
ist die Bedingung für dieses persönliche Glück. Und auch hier
heißt es: Persönlicher Frieden ist die Basis sozialen Friedens, und
dieser ist weiterhin wesentlich für die Gewinnung internationalen
Friedens. Allerdings wird hier die Dialektik des Prozesses betont,
dessen Produkt der integrale Frieden sei.
Auffällig blieb in allen Vorträgen und Diskussionen der spiri-
tuellen Friedensbewegung der Vorrang der personalen Glücks-
verwirklichung, für die im Foyer als Angebote die einladenden
Werbeprospekte zahlreicher spiritueller Vereinigungen und
So
Einzelpersonen zu Workshops auslagen, durch abgedruckte
>Berichte von Teilnehmern« Glück versprechend. Die Berichte
aus einem Transformationsseminar vermitteln erlebte Glücksge-
fühle; einer davon: Ich habe, ohne ein Thema zu setzen, wieder das
Bild des ersten Tages gesehen, wie ich auf einer Bank im Wald sitze;
glücklich mit einem Partner und Geistheiler bin. Dann wieder nur
Augen. Dann kam eine Tafel, auf der stand: , mehr brauchst Du
nicht zu wissen. Du hast alles durchlebt. Du bist freiwillig auf Erden,
weil D: Gutes tun willst und helfen willst." Die ganze Zcit log ich im
hellen Licht, hatte ein sehr glückliches Gefühl, so glücklich, daß mir
die Tránen kamen. Dann kamen keine Bilder mehr, ich lag nur noch
im hellen, warmen Licht und war sehr glücklich ...
Glück, Frieden, Spirit und Togetherness waren die groBen
Themen und die großen Gesten des Gathering. Charismatisches
Milieu wurde selbst in den nüchternen Messegebäuden zu schaf-
fen versucht: elektronische Musik als Einstimmung, verlöschen-
des Licht am Ende des Vortrags des gemanagten und sich selbst
managenden Capra, ausgebreitete Arme und getragenes Peace,
als er vom Podium stieg, ebenso getragenes Thank you, Fritjof
vom Sprecher des Agape-Vereins. Die Eröffnungsveranstaltung
inszenierte Wallfahrtsaura: überfüllte Westerkerk; unter der Kan-
zel ein Arrangement von weißen Tulpen, die die Friedens- und
Glücksprediger einzeln an die Masse verteilten; ihr Einzug in die
Kirche, jeder mit einer weißen Kerze, unter dem Schweigen der
stehenden Menge; Robert Muller sprach von der Kanzel, nach
ihm stellte Joan Halifax, in weiß-hehrenem Gewand mit geöffne-
tem, langwallendem Haar, die Ehrengäste und Vortragenden vor,
die je nach Alter und Würde als grandma, brother oder little sister
bezeichnet wurden. Sie entzündeten ihre Kerze und brachten sie
dar; Friedensmusik, Gesang der sich an den Händen haltenden
Menge; Auszug der very important persons und magischer Akt
des Berührens.
Die junge Indianerin Binah McCloud und der 75jährige au-
stralische Aboriginal Elder Guboo Ted Thomas schlossen sich in
dieser ihnen fremden Umwelt zusammen. Nur wir wollen das glei-
che, meinte Binah, und ... er ist für mich hier wie ein Stück Heimat.
Deide sind Aktivisten in der Identitátsarbeit für ihre je eigene
Kultur. Aber Guboo Ted Thomas, der 1984 mit indianischen
Stammesältesten zusammentreffen und -arbeiten wollte (Er fühlt,
60
dafi die Kraft des Geistes erscheinen wird, wenn die Áltesten sich zu-
sammenschliefen), will mehr. Er will mit nichteingeborenen
Menschen Workshops veranstalten, um sie wieder für die Verbin-
dung mit Mutter Erde zu sensibilisieren. Die Traumzeit aber
konnte er in der Messehalle in Amsterdam nicht vermitteln, und
sein Versuch, mit Hilfe einiger Requisiten unsere singende und
lautmalende Beteiligung in einem - so unverstehbaren - Ritual
der Wechselbeziehungen zwischen Elementen der Natur zu ge-
winnen, wurde zu einem gutwilligen Kinderspiel von erwachse-
nen weifen Mittelstandsbürgern, die sich nach anderen Traum-
zeiten sehnen und die neuen 'edlen Wilden' bewundern. Und
wieder nur - wie in der gesellschaftlichen Realitát und Literatur
des 18. und 19. Jahrhunderts - als eine Projektion ihrer eigenen
Sehnsüchte aus dem Unbehagen in ihrer eigenen Kultur. Aber
kann eine verkehrte Welt über eine Verkehrte Welt zurückgekehrt
werden? So wie es über Guboo Ted Thomas' Anliegen heißt: Nun
jedoch, mehr denn in jeder anderen Zeit unserer Geschichte, ist es
wichtig, daf wir uns alle zusammenschliefien und für die Erneue-
rung des Traumes arbeiten? Und kann es über solche Workshops
und Tagungen geschehen?
61
3. SINN UND DER HAUSHALT DES LEBENS
3.1 Über den Sinn der Produktion von Sinn
Den gemeinten Sinn (Max Weber) menschlicher Kulturen, und
das heißt den ihrer Werte und Normen, ihres Wissens, ihrer Ver-
haltensweisen, ihrer materiellen und immateriellen Schöpfungen,
zu erforschen gilt als die eigentliche Aufgabe einer verstehenden
Humanwissenschaft. Der gemeinte Sinn ist eine Kategorie des
gesellschaftlichen Geltens von Sinn, den das Individuum mit sei-
ner Kulturgruppe teilt. Dieser gemeinte Sinn; der auch als letzter
Sinn immer nur als gesellschaftliches Konstrukt erfaßt werden
kann, ermöglicht es dem Menschen, sich.in einem gemeinsamen
Handeln in Welt zu erfahren und zu verstehen. Alfred Schütz ver-
tiefte in den Verstehenswissenschaften die Unterscheidung zwi-
schen objektivem und subjektivem Sinn. Dieser objektive Sinn
meint nicht ein schlechthin Gültiges, sondern das intersubjektiv
Geltende in einer gemeinsam gelebten Welt, einer Lebenswelt ge-
teilter Erfahrungen, geteilten Wissens und geteilten Lebensvoll-
zugs. Keine menschliche Gemeinschaft kann ohne Sinngebung
ihr gesellschaftliches Leben aufbauen. Verschieden ist nicht die
Sinngebung an sich, sondern verschieden sind die je geltenden
Inhalte des objektiven Sinns. Verstehen heifit, diesen intersubjek-
tiv gültigen Sinn der Anderen zu erkennen.
Wenn dieses Verstehen des objektiven Sinns der Anderen aus
dem Gehaltensein in einer eigenen sinnvollen Lebenswelt ge-
schieht, mufi der objektive Sinn der Anderen keine praktische
Relevanz für das verstehende Subjekt haben. Ich kann ein frem-
des Ritual in seiner Sinnhaftigkeit verstehen, ohne es zu teilen.
Aber als Subjekt in meiner je gelebten intersubjektiven Welt ge-
winnt unser objektiver Sinn eben als relevanter eine andere Di-
mension des Verstehens. Das Verstehen meiner eigenen Welt hat
für mich die Bedeutung meiner sozialen und kulturellen Identi-
tát, des Dazugehórens, der subjektiven Relevanz eines gesell-
schaftlich geteilten Sinns. Das ist der subjektive Sinn im lebens-
7
weltlichen Prozeß des Individuums. Der: Mensch erwirbt im
Laufe seiner Enkulturation als soziales Wesen den gemeinten
Sinn seiner Mitwelt als Wissen und als Gewißheit für sein prakti-
sches Handeln in dieser Welt. Es ist eine Erfahrung des Vertrau-
ens als Verstehen und Verstandenwerden in geteilter Erfahrung
und Interpretation von Welt. Subjektiver Sinn ist die Relevanz
des objektiven Sinns einer Kommunität für den Einzelnen.
Peter L. Berger und Thomas Luckmann heben in ihrer Arbeit
Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit« die Dialek-
tik der gesellschaftlichen Konstruktion als objektive und subjek-
tive Wirklichkeit über den Prozeß von Externalisierung, Objek-
tivierung und Internalisierung hervor. Insbesondere arbeiten sie
die Relevanz der gesellschaftlichen Sinnwelten nicht nur für das
zweckrationale, praktische Alltagshandeln der Individuen her-
aus, sondern für ihre Identitätsbildung und ihre Identitätsstabili-
tát. Institutionalisierung und Legitimierung - als sekundáre Ob-
jektivation von Sinn mit dem Ziel von Integration und Einsichtig-
keit — sind die beiden wesentlichen Phánomene der gesellschaftli-
chen Konstruktion einer objektiv sinnhaften Welt, die für den
subjektiven Sinnbezug des Individuums das Chaos ordnet, ihm
sinnhaftes Handeln in Übereinstimmung mit den erkennenden
Anderen gewährt und damit Identität als Sich-Erkennen, Er-
kannt- und Anerkanntwerden (Greverus). Als obersten Integra-
tionslevel der Legitimation können wir mit Berger und Luck-
mann die Konstituierung der symbolischen Sinnwelt betrachten,
die alle Ausschnitte der institutionalisierten Ordnung in ein allum-
fassendes Bezugssystem integriert, das eine Welt im eigentlichen
Sinn begründet, in der auch die Grenzerfahrungen, die Nachtsei-
ten, neben der alltáglichen Routine ihren rechten Platz finden
und den Menschen entlasten.
Entlastung sehe ich zunáchst nicht als passive Unterordnung
oder, wie es Arnold Gehlen als Weg zur Würde deklariert, als sich
in Z:enst und Pflicht von den Institutionen konsumieren zu lassen.
Ich see Entlastung auch nicht - zunächst — als Vergewisserung
der Identität durch oberste Legitimationsinstanzen: Die Götter
wissen für ihn — oder die Psychiatrie — oder die Partei (Berger / Luck-
mann), sondern als das subjektiv sinnvolle Handelnkónnen in
einem gemeinsamen Lebensplan intersubjektiver Übereinstim-
mung. Entlastung ist nicht Entmündigung und Entlassung aus
63
der gemeinsamen Erarbeitung von Sinn auf einen Sinnmarkt,
dessen Produktion jenseits von Freiheit und Würde (Skinner) des
Sozialwesens Mensch durch ferne wissende Institutionen, durch
Kulturplaner und Sozialmanager, geschieht. Das war die Anti-Uto-
pie des Behavioristen B. F Skinner. Walden Two - dem Gegenent-
wurf zu Thoreaus Walden - liegt ein Menschenbild zugrunde, in
dem der Mensch keine Mitbestimmung und Mitverantwortung
wünscht, sondern nur die Verantwortung der Kulturplaner für
sein persönliches Glück: Was einzig zählt, ist das Wohl von einem
lag zum andern und die gesicherte zZ':kunft. Lebensgenufi und
Versorgungsdenken wird als *natürlich' für die Masse postuliert.
Der Schópfer und Tráger des Kulturplans, Skinners stellvertre-
tender Romanheld, sieht sich selbst als Schópfer, als Gott, als
wohlwollender Diktator über seine Kinder.
Das weltliche oder religióse Modell der von Sozialverantwor-
tung 'entlasteten' Person, der im Kindzustand von den Wissen-
den mit Sinn Versorgten, als Phänomen der Moderne wird uns
noch weiter bescháftigen. Hier nur ein Beispiel für viele andere
aus einer für den Westen aufbereiteten Spiritualitit. Kirpal
Singh, der Godman, schreibt in seiner Anleitung zu Finding a
Spiritual Master«: Wenn ein Schüler sich ganz dem Meister anver-
traut, wird er frei von Sorge, und der Meister muß notwendig die
ganze Verentwe-tung übernehmen; so wie es eine Mutter für ihr
Kind tut, das nicht weiß, was gut für es ist ... Sich zu Füflen des Mei-
sters anheimzugeben, heißt den eigenen Willen in seinem Willen auf-
gehen zu lassen ... Dieser Typus des sich selbst Anheimgebenden ist
wie der eines vollstándig hilflosen Patienten, der, vertrauend auf die
Fähigkeit eines kompetenten Chirurgen, sein Leben in dessen
Hánde legt und sich ruhig seinem Messer und seiner Lanzette unter-
wirft. Die enge Verknüpfung von Spiritualität und Heilung, die in
einer neuen spirituellen Psychiatrie kulminiert, wird hier verdeut-
licht. Der Arzt, der Psychiater, wird zum Gott, der weiß. Daß
dieser Entlastung Belastung als Sinnverlust vorausgeht, wird in
der spirituellen Psychokratie nicht kritisch intoniert. Im Gegen-
teil wird die belastende Grenzerfahrung sozialen und kulturellen
Sinnverlusts geradezu als Schlüssel zur Selbstfindung gedeutet.
Grenzerfahrung par excellence ist für Berger und Luckmann
der Tod, und demzufolge ist die Legitimation des Todes eine der
wichtigsten Funktionen symbolischer Sinnwelten: In der Legiti-
je
mation ces Todes manifestiert sich die Kraft symbolischer Sinnwel-
ten im Fnblick auf Transzendenz am klarsten, und die Fähigkeit
der absoluten Legitimation der obersten Wirklichkeit des Alltagsle-
bens, c:2 menschliche Urangst zu mildern, enthiillt sich in ihr. Der
Primat c:* gesellschaftlichen Objektivation des Alltagslebens kann
seine st «tive Plausibilitát nur behalten, wenn er unablássig vor
Ar^*t und Graue2 geschützt wird. Auf der Ebene der Sinnhaftigkeit
ist instit tionale Ordnung ein Schutz gegen das Grauen. Solchen
Schutzes beraubt zu sein, allein gelassen, dem Griff des Nachtmahrs
ausgesetzt, heifit zu Recht — anomal sein. Zwar ist die Furcht vor der
Einsamkeit wahrscheinlich schon in der konstitutionellen , Gesellig-
keit" des Menschen angelegt. Aber auf der Sinnebene manifestiert
sie sich in der menschlichen Unfähigkeit, ein sinnhaftes Dasein iso-
liert von nomischen Konstruktionen der Gesellschaft zu führen. Die
symbolische Sinnwelt schützt den Menschen vor dem absoluten
Grauen, indem sie den schützenden Strukturen der institutionalen
Ordnung die absolute Legitimation verleiht.
Die Urangst der isolierenden Einsamkeit stellt nun mit dem
biologischen Tod, der in keiner umfassenden Sinnwelt aufgeho-
ben wird, nur die 'Endstation' jenes Identitátsverlustes dar, der
mit Begriffen wie Entfremdung, Einsamkeit, Anonymität und
Angst umschrieben wird. Ich habe in meiner Diskussion der
[dentität Todesrituale als Spiegelung gesellschaftlicher Identitäts-
konzepte herauszustellen versucht: Die über den biologischen Tod
hinausreichende soziale Rolle des Toten und die Anerkenntnis seiner
wirkenden IJentifikation wird ihm im Ritual als Identitütsbeweis
zuteil. Entscheidend ist dabei, daß die Gruppe durch die Vorerfah-
rung auch jedem ihrer Lebenden dieses Existentbleiben des Ich in
einer Gruppcnidentitát garantiert.
Dieses Existentbleiben wird am sinnfálligsten im Gedanken
des Sippenkosmos, wie ihn als ein Beispiel Adolf Friedrich von
den Evenken an der Steinigen Tunguska beschrieb. Das Leben
der Sippe spielt sich entlang des Sippenflusses ab: am Mittellauf
wohnen die lebenden Sippengenossen in ihren Jagdterritorien,
am Unterlauf die Verstorbenen und am Oberlauf die Seelen der
künftigen Sippengenossen: Dieses Bild vom Sippenflufl ist ein
Gleichnis auf den eigentlichen Inbegriff einer Sippe, der sich ja nicht
in der Bestandsaufnahme von Zahl und Lebensdauer der gerade
existierenden Individuen erschópfen kann, sondern die gewesenen
65
Vorfahren und die folgenden Nachkommen mit umfaßt. Das Bild
bringt sozusagen die drei konstituierenden Aggregatzustände des
Sippendaseins gleichwertig zum Ausdruck: Ahnenzustand, Lebens-
zustand, Seelen-Präexistenz der Zukünftigen. Das Individuum hat
drei Seelen: die Schattenseele oder die Spiegelbildseele, die auch
zu Lebzeiten den Körper in Traum und Trance verlassen kann
und sich nach dem biologischen Tod in eine Werde-Seele verwan-
delt und nach einer Zeit im Zelt der präexistenten Sippenseelen
in der Sippe wiedergeboren wird; die Körperseele dagegen ist an
den Körper gebunden, sie ist die empirische Individualität und
geht nach dem biologischen Tod in das Reich der Vergangenheit,
das Reich der Verstorbenen ein; die Schicksalsseele schließlich
befindet sich außerhalb des menschlichen Körpers, sie bestimmt
von einem spirituellen Zentrum, auch als Verbindung zu einer
oberen Schicksalsgottheit gedacht, das irdische Schicksal des
Menschen.
Friedrich hatte seinen Aufsatz >»Das Bewußtsein eines Natur-
volkes vom Haushalt und Ursprung des Lebens« genannt, und er
betont, daß Ursprung hier nicht identisch mit Anfang ist, sondern
raum- und zeitungebunden, seinem Wesen nach immer gegen-
wärtig. Leben und Tod des Individuums sind in diesem sinnhaf-
ten Aufbau des Sippenkosmos nicht von Anfang und Ende be-
stimmt, sondern von sich wiederholenden Ursprüngen, die jene
drei Zeitaspekte geben, die, wie es Cassirer ausdrückt, alle in der
Einen Gegenwart befaßt seien ... Gegenwart vom Vergangenen,
Gegenwart vom Gegenwärtigen und Gegenwart vom Zukünfti-
gen.
Ursprung und Haushalt des Lebens! Wie der Ursprung des
Lebens die drei Zeitaspekte umfaßt, so umfaßt der Haushalt, als
oikos, in seinem dynamischen Fließgleichgewicht die drei
Aspekte der menschlichen Auseinandersetzung mit ihrer Um-
welt, dem Raum, mit dem sie sich wechselseitig durchdringen: in
ihrer materialen, ihrer sozialen und ihrer ideationalen Kultur.
Dem Sippenkosmos entspricht ein Sippenterritorium, in dem
Nahrungsgewinn, Wohnen, soziale Organisation, Geburt und
Sterben und die Rituale der Sicherung des Sippenkosmos wie in
einem günstigen Ökotop Selbstregulation ermöglichen. Dieses
Sippenterritorium wird in einem spirituellen Analogon zu den
praktischen Grenzen des Lebensraumes vom geistigen Führer,
66
dem Schamanen, mit einem Schutzzaun von Geistern umzogen.
Jenseits des Sippenzauns liegen andere Sippenterritorien.
Diese ‘geschlossene’ Welt als objektive Sinnwelt kehrt die Bin-
dung des modernen Menschen an Zeit und Raum geradezu um:
während wir als Einzelwesen und als Gruppe unseren Raum er-
weitern kónnen und erweitern, war der Evenke an sein Ókotop
materiell, sozial und symbolisch gebunden; wáhrend wir dagegen
in unserem Bewußtsein an eine fortschreitende, messende und
trennende Zeit gebunden sind, die biographische und die epo-
chale Geschichte, lebte der Evenke in sich wiederholenden Ur-
sprüngen einer im Raum angehaltenen Zeit, in der er nicht verlo-
ren ist.
Dieses ‘primitive’ Weltbild spiegelt eine Konstruktion der
Wirklichkeit wider, die alle Daseinsformen menschlichen Lebens
einem gemeinten Sinn zuführt: der Erhaltung des Sippenkosmos,
in dem der Einzelne seinen sowohl kollektiven als auch - über die
Körperseele - individuellen Anteil hat. Er trágt dazu bei, den Ur-
sprung und den Haushalt zu erhalten.
Wir kónnten auch sagen: das Individuum ist in ein Haus (einen
Haushalt, einen oikos) gestellt, das ihm nicht als individuelles Fi-
gentum gehört, aber dem er in Rechten und Pflichten verbunden
ist, das ihn schützt und von ihm miterhalten wird. In diesem
Sinne kann er sich über eine kollektive Identität als definiertes
Ich erkennen in Übereinstimmung mit der Raum-Zeit und dem
Lebensplan seiner Gruppe, wie Erik H. Erikson Identität versteht.
Weder die Suche nach Ich-Auflösung als Leidensauflösung
und Hauslosigkeit, der Buddha-Weg, noch die Suche nach der
einmaligen balancierenden Identität (Krappmann), der Glücks-
Selbstfindung des modernen westlichen Individuums, die in der
New Ars-Bewegung zu einer Synthese kommen wollen, gilt für
die subjektive Wirklichkeit und Wirksamkeit dieser objektiven,
und das heißt intersubjektiv wahren Wirklichkeit des das gesamte
Dasein durchdringenden Sippenkosmos.
Institutionalisierung und Legitimation dieses sinnhaften Auf-
baus der Welt ist hier allerdings noch entfernt von immer erneu-
ten Legitimationen als Prozessen der Rechtfertigung, wie sie in
einer komplexen Welt notwendig werden, in der gleichzeitig die
ungleiche Zuteilung des Wissens aus dem allgemein geteilten Sinn
Expertenwissen macht, das zu einem Machtfaktor außerhalb der
67
Alltagswelt und des Alltagswissens des Einzelnen wird. Dann
erst - und hier zeigt sich, daß Berger und Luckmann in ihrer Ar-
gumentation zu stark von unserer eigenen Gesellschaft ausgehen
- wissen die Gótter für ihn — oder die Psychiatrie — oder die Partei.
M::t diesem Argument für die definitive Legitimation der Identi-
tát durch ihr Hineingestelltwerden in eine symbolische Sinnwelt
als Expertenkonstrukt wird nur noch die passive Seite der Sym-
bolempfánglichkeit des Menschen angesprochen, nämlich die
angstbesessene Rezeption des subjektiv entlastenden (und nicht
mehr verpflichtenden) symbolschaffenden und symbolinterpre-
tierenden Expertenwissens: weif? der Psychiater für ihn.
Wir haben uns daran gewôhnt, in einem sehr engen Symbolbe-
griff zu denken, nur noch die rezeptive Wahrnehmungsseite zu er-
kennen, aber nicht die produktive: Per Mensch verleiht den wahr-
genommenen Wirklichkeiten da draußen etwas aus sich selbst, et-
was was die Dinge an sich nicht besitzen (Mühlmann). Der Mensch
transformiert die Dinge da draußen. Und noch einen Schritt wei-
ter gedacht, ist es nicht nur die Transformation der Bedeutung. In
ihrem weitesten Sinne beinhaltet die Symbolfähigkeit des Men-
schen den kognitiven Prozeß, Substanzen seiner Umwelt in na-
türliche Ressourcen für die Gewinnung neuer, zukünftiger Ener-
gien zu verwandeln, das heißt aber: Symbolfähigkeit ist die
Grundlage der Kultur. Nicht nur die sogenannten geistigen Pro-
dukte, sondern auch die Gestaltung des sozialen Daseins, auch
Technologie und wirtschaftliche Organisation beruhen auf der
Symbolfähigkeit des Menschen. Wenn die Symbolfähigkeit sich
auf den selbstischen Konsum von Symbolangeboten konzentriert
und nicht auf die Transformation von Umwelt, ist der kreative
Anteil der Symbolfähigkeit verloren. Hängt dies damit zu-
sammen, daß der ‘normale’ Mensch unserer teiligen Gesellschaft
die symbolische Dimension überhaupt verloren hat, daß er, wie
Lefébvre es ausdrückt, die Symbole zugunsten der Zeichen und
dann der Signale beiseite geschoben hat?
Weiterreichend noch als die Unfähigkeit unserer Gesellschaft,
den biologischen Tod in einen sinnhaften Aufbau der Welt zu in-
tegrieren, weiterreichend auch als das Stigma des sozialen Todes,
dem nicht nur die Alten, sondern auch andere ‘Außenseiter’ un-
serer Leistungsgesellschaft überantwortet werden, reicht diese
Entfremdung von kreativer Symbolfáhigkeit (Das Wort „Symbol“
^N
bezeichnet vor allem „seinen Beitrag leisten“, interpretiert Lefebvre
aus etymologischer Ableitung), die ich, wenn Symbolfähigkeit
die Grundlage der Kultur bildet, als kulturellen Tod bezeichnen
möchte.
Kultur ist die Fähigkeit der Menschen, ihr gesellschaftliches
Dasein in materialer, sozialer und ideationaler Hinsicht sinnvoll,
und das heißt lebenserhaltend, zu gestalten. Diese Fähigkeit aber
muß entfaltet werden, bedarf der Gegenseitigkeit und der Verant-
wortung in einem Haushalt des Lebens, bedarf jener ókologi-
schen Vernunft, die auf das Ganze zielt und den Einzelnen betei-
ligt. Kultur ist die Teilhabe an der Gestaltung von sozialem Leben
in Pedeutungsfülle. Menschliche Natur, menschliches Wesen
trágt kulturelle Kompetenz in sich. Die Expertenversorgung mit
‘Kulturplanung’, den Zwang zum Konsum von ‘Kultur’, die Ent-
eignung von Mitgestaltung sehe ich als einen Kulturverlust, der
in kulturellem Tod mündet.
Gegen diesen kulturellen Tod des Menschen im Leben wendet
sich gegenwärtige Kulturkritik aus den verschiedensten Richtun-
gen. Gehört auch die spirituelle Bewegung dazu, gehören die
Mythoethnologen dazu? Wie sagte Hans Peter Duerr: In jenen
seltenen Augenblicken [des «nagual» im Leben] müssen wir ,leer"
sein, wir müssen unsere ,kulturelle Natur" preisgeben oder zu
hang -e-lah werden ... zu ,,Verlorenen". Oder: ... zeigt sich die
Wahrheit im Grunde, in der Tiefe, nachdem die Zwiebelringe des Be-
wufitseins, der Kultur abgelöst worden sind. Hier — und das wird
uns bei der spirituellen Bewegung immer wieder begegnen - ist
der kulturelle Tod nicht die Entfremdung, die Enteignung von
menschlichem Leben, sondern der gnostische Weg zu seiner Er-
füllung.
Nicht eine neue Gegen-Kultur diesseitiger sozialer Gegensei-
tigkeit und Verantwortung wird gefordert, sondern das selbsterló-
sende Aussteigen aus Kultur als sozialem Handeln in Überein-
kunft.
3.2 Moloch Moderne und die Unterproduktion von Sinn
Gemeinsam ist den Mythoethnologen mit anderen Kritikern
unserer gegenwürtigen westlichen Gesellschaft eine Kritik an der
69
Moderne, die ich in Anlehnung an Allen Ginsbergs Gedicht
'Howk als Moloch Moderne bezeichnen móchte. In diesem Ge-
dicht wird unter dem Begriff Moloch jener einseitige Riesen-
wuchs der technologischen Entwicklung, der Überproduktion
von Technik und Konsumangeboten ausgeführt, dem eine Unter-
produktion von symbolischem Sinn, kulturelle Enteignung und
Isolation gegenüberstehen: ... frafj ihre Hirne und ihre Imagina-
lion ... Einsamkeit! ... Moloch ohne Liebe! Geistesmoloch! Der
Begriff Moloch drückt gleichzeitig die emotionale Angst und
Hilflosigkeit vor diesem Moloch, die Katastrophenstimmung
aus. Und wenn uns auch in unserer komplexen Welt die sinnstif-
tenden Symbole eines allumfassenden Bezugssystems, das dem
Einzelnen Vertrauen gibt und eine Welt im eigentlichen Sinn be-
gründet, fehlen, so kónnen wir doch den Moloch Moderne als ein
allumfassendes, aber Anti-Sinn stiftendes Symbol der für unsere
alltágliche Lebenswelt relevanten Entwicklung erfahren. Dieses
Symbol hat keine das Chaos ordnende Kraft, ist nicht schópferi-
sches Wort. Die Legitimationen jener gesellschaftlichen Kon-
struktion von Wirklichkeit, die Moderne meint, sind nicht mehr
einsichtig, weder vom ProzeB des Verstehens über Experten-Infor-
mationen noch hinsichtlich der Einsicht in ihre Notwendigkeit.
Das Bild des schädelzertrümmernden Molochs hatte auch Karl
Marx für die Kritik des einseitigen (kapitalistischen) menschlichen
Fortschritts benutzt, der bis zu seiner Gegenwart jenem scheußli-
chen heidnischen Gótzen ..., der den Nektar nur aus den Schádeln Er-
schlagener trinken wollte, gliche. Für Marx war der Fortschritt als
solcher nicht in Frage gestellt, sondern sollte über die Anstrengung
der menschlichen Vernunft, die Entwicklung der Produktivkráfte,
die Herrschaft über die Natur und die rationale Organisation der
menschlichen Lebensverháltnisse zu jenem gesellschaftlichen
Reichtum führen, über den die Versóhnung der Menschheit mit der
Natur und sich selbst statthat, Entfremdung aufgehoben ist, wenn
die bornierte bürgerliche Form abgestreift wird. Borniert, das ist
nicht nur der falsche Fortschritt, sondern auch der bürgerliche
Rückschritt in die Begrenzung: ... erscheint einerseits die kindische
alte Welt als das Hóhere. Andererseits ist sie es in alledem, wo ge-
schlofine Gestalt, Form, gegebne Begrenzung gesucht wird. Sie ist Be-
friedigung auf einem bornierten Standpunkt; wáhrend das Moderne
unbefriedigt làfit, oder wo es in sich befriedigt erscheint, gemein ist.
70
Heutige Zivilisationskritik teilt diese Fortschrittshoffn
weitgehend nicht mehr, tendiert zur Konstatierung von Entropie,
entwickelt Begrenzungskonzepte oder sucht die Aufhebung der
Entfremdung in einer spirituellen Evolution.
Ausgehend vom Begriff Haushalt des Lebens, wie er sich in
dem die materiale, soziale und ideationale Kulturseite umfassen-
den sinnhaften Aufbau der Welt der Evenken zeigte, móchte ich
wesentliche Merkmale der Kritik an dem Moloch Moderne zu-
sammenfassen.
Haushalt des Lebens setze ich mit oikos gleich und definiere
ihn - unter Einbezug des Menschen und seiner Bedeutung für
alle Ökosysteme - als ein offenes System des. lebenerhaltenden
wechselseitigen Austauschs aller Lebewesen untereinander und
mit ihrer Umwelt in einem für die Lebenserhaltung notwendigen
Raum, dem Ókotop. Die Tendenz der Ókosysteme zu einem dy-
namischen Gleichgewicht beinhaltet eine permanente Bewegung,
Stórungen durch (Neu-)Ordnung zu überwinden. Wenn wir aller-
dings von einem gestörten Gleichgewicht sprechen, so meinen wir
damit nicht diese permanente Dynamik des stabilisierenden Pro-
zesses, sondern eigentlich dessen Unterbrechung durch eine ein-
seitige Dynamik, so daB der fruchtbare dynamische Prozeß des
offenen Systems Oikos (und es geht mir hier um den mit-mensch-
lichen Haushalt des Lebens) - von bewegendem Input und be-
wegter, das heißt aber auch innovativer, Verarbeitung (Output
des Systems und Feedback) - keine Offenheit mehr für die inter-
dependenten Teile bedeutet und keine Selbstregulation auf
kognitiver Basis ermóglicht, sondern eher dem geschlossenen
System mit einem berechneten gesteuerten Input, voraussagba-
rem Output und einer quasi mechanistischen Selbstregulation
entspricht. Die einseitige Dynamik der gesellschaftlichen Ent-
wicklung - als Moloch Moderne - und das gestórte Gleichge-
wicht im Haushalt des Lebens hat nun jene Kritik an der Mo-
derne heraufbeschworen, die wir — ob sie unter diesem Namen
läuft oder nicht — als einen ókologischen Protest bezeichnen kón-
nen. In diesem Protest zeichnen sich vorrangig drei Richtungen
ab, der Protest gegen
- die materielle Zerstôrung der Mensch-Welt-Beziehung
_ die soziokulturelle Zerstorung der Mensch-Welt-Beziehung
- die spirituelle Zerstörung der Mensch-Welt-Beziehung.
71
Die Übergänge zwischen diesen Richtungen sind fließend, die
dargestellten Phänomene entsprechen sich häufig, insbesondere
was die materielle Umweltbelastung betrifft, auch das Verursa-
cher-Prinzip ist oft deckungsgleich. Abweichend wird vor allem
die menschliche Belastung dargestellt und - falls in die Kritik
eingebunden - die ‘ökologische Therapie’.
Innerhalb der ersten Argumentationsreihe stehen die Grenzen
des ökonomischen und technologischen Wachstums, die Vergeu-
dung der natürlichen Ressourcen der Umwelt und die Schad-
stoffbelastungen im Zentrum. Seit den 70er Jahren schweigen
die Stimmen nicht mehr, die auf diese Entwicklung aufmerk-
sam machen. Schon 1970 fragte der Generalsekretär der UNO
U Thantim UNESCO Kurier:»Man the Killer of Nature?« Das 1973
erschienene Buch »Small is Beautiful. A Study of Economics as
if People Mattered« von E. E Schumacher wurde zu einem Welt-
Bestseller wie das 1980 herausgegebene Weltmodell »Global
2000«. Die Forderungen nach Begrenzung des Wachstums, Frie-
denspolitik und sanften Technologien kennzeichnen Friedens-
mársche, Grüne Proteste und die regionalen Proteste direkt be-
drohter Gemeinden und Regionen. Allerdings hat die Reaktorka-
tastrophe von Tschernobyl 1986 als das als bedrohlichst erfah-
rene Ereignis eher Endzeitstimmung oder Verdrángung als Pro-
test hervorgerufen. Und zur Jahreswende überschütteten die Me-
dien ihre Zuschauer und Hórer nicht nur mit einem Rückblick
auf die Katastrophen des Jahres 1986, sondern auch auf die ver-
stárkte Wende zum Ausstieg in die Bereiche der spirituellen und
magischen Selbsterlósung.
Endzeitstimmung und Alltagsmagie sieht Hans-Jürgen Hein-
richs in seinem »Die katastrophale Moderne« genannten Buch als
sich überschneidende Reaktionen auf das Bedrohliche einer Mo-
derne, die die Hinfülligkeit des eigenen Lebens, die Bedeutungslosig-
keit des eigenen Todes... durch die modernen multiplen Tótungsmóg-
lichkeiten und Tótungsmaschinerien in einer Weise überhóht, wie es
zuvor nur Religion und Mythologie vermochten. Für Heinrichs ist die
apokalyptische Gefahr unvergleichlich und definitiv: Wenn diese
Welt zugrundegeht, hat sie ihren ideellen Tod — das Scheitern der Ver-
nunft und den sozialen Tod — schon hinter sich ; sie stirbt nachträglich.
Der überdimensionale Tod im Leben ist für Heinrichs nicht abzu-
wehren, der Haushalt des Lebens ist zerstört.
[2
Für die Moderne hatten wir bereits die einem biologischen Tod
vorausgehende Produktion von sozialem und kulturellem Tod im
Leben hervorgehoben. Was Heinrichs als ideellen Tod bezeich-
net, nämlich das Scheitern der Vernunft, entspricht durchaus dem
kulturellen Tod, insbesondere wenn wir diesen im Zusammen-
hang des Haushalts des Lebens sehen: Kultur als kreative — ver-
nünftige - Fühigkeit des Menschen, seine Umwelt für seine Be-
dürfnisse zu gestalten, hat die Einsicht in das Prinzip der Gegen-
seitigkeit verloren, wird zum Moloch, der die Imagination frifit,
oder — anthropologisch ausgedrückt — die kognitive Fáhigkeit des
Menschen, die Substanzen seiner Umwelt in natürliche Ressour-
cen für die Gewinnung neuer, zukünftiger — und fiir das Ganze
zukunftstragender — Energien zu verwandeln. Der kulturelle Tod
geht dem biologischen Tod voraus, und Heinrichs spricht
schlieBlich von einem Streben zum Tod in der Katastrophenpro-
duktion der Moderne, wobei dieses Streben zum Tod allerdings
nicht mit einem Todessinn symbolisch überhóht wird, sondern in
Politik, Wirtschaft und Medien pseudomagisch über Siegerstrate-
gien und bannende Berichterstattung auf ein ebenso pseudoma-
gisch aufgeladenes Konsumleben abgelenkt wird.
Diese Ablenkung geschieht mit Hilfe von Zeichen und vor al-
lem Signalen. Henri Lefébvre hatte in seiner Kritik des Alltagsle-
bens auch das Beiseiteschieben der Symbole zugunsten der Zei-
chen und dann der Signale als eine von der Bourgeoisie als
Klasse vorangetriebene Entwicklung bezeichnet, die in die büro-
kratische Gesellschaft des gelenkten Konsums einmündet. Signale,
das sind Wórter und Zeichen als Auslósereize für konditioniertes,
programmierbares Verhalten, sie müssen nicht verstanden, son-
dern befolgt werden: Die Verschiebung des Feldes zum Signal im-
pliziert die Vorherrschaft der Zwänge über die Sinne, die Verallge-
meinerung dcr Konditionierung im täglichen Leben ... Das Signal
und das Signalsystem liefern ein bequemes Modell der Manipula-
tion von Menschen und Gewissen. Und Lefébvre provoziert weiter
einen nezen Menschen, der durch dieses Gedáchtnis funktioniert
- dieses oder jenes Wort ein für allemal registriert und speichert wie
ein Signal. Stellen Sie ihn sich vor, sagt Lefébvre voller Erschrek-
ken. Und erinnern wir uns dabei an Simran, die Wiederholung
des Bündels Worter im Nicht-Denken der Initianden im Surat
Shabd Yoga: Signale aus dem Mund des kompetenten Meisters
73
zur Konditionierung des Todes im Leben, des geforderten kultu-
rellen Todes.
Henri Lefébvres Kritik der modernen Welt kónnen wir dem
ökologischen Protest zuordnen, der insbesondere von der sozio-
kulturellen Zerstórung der Mensch-Umwelt-Beziehung ausgeht.
Seine zentrale These kreist um das Auseinanderfallen der Sinn-
welten, um den tiefen Bruch zwischen dem Alltäglichen und dem
Nichtalltäglichen (Religion, Kunst, Philosophie), ein Bruch, der mit
anderen Brüchen in Wechselbeziehung steht (zwischen dem Okono-
mischen und den unmittelbaren und direkten Beziehungen, zwischen
dem Werk und dem Produkt, zwischen dem Privaten und dem Öf-
fentlichen). Das tägliche Leben ist im kulturökologischen Sinne
der Ort des menschlich direkt erfahrbaren dynamischen Gleich-
gewichts, und eben deshalb auch der Ort, wo sich die drohenden
Gleichgewichtsstórungen am ehesten zu erkennen geben.
Anthropologen und Soziologen haben sich in ihrer Kritik der
Moderne deshalb auch besonders diesem Feld der Alltagswelt
zugewandt. Über den Vergleich mit historischen Formen der eige-
nen und fremder Gesellschaften gelingt es ihnen, den fortschrei-
tenden Prozef des Auseinanderbrechens von Sinnwelten aufzu-
zeigen, die Segmentierung der Alltagswelt und die Trennung von
Alltag und dem, was jenseits des Alltags liegt, seien es nun Frei-
zeit / Ferien, Öffentlichkeit, Religion, Natur oder ‘Kultur’.
Zu Recht kritisiert Norbert Elias eine spezifische Entwicklung
in der Alltagsforschung mit der Tendenz zur Abtrennung einer
Sonderspháre Alltag oder Alltagskultur von anderen ‘nicht all-
täglichen’ Sphären des gesellschaftlichen Daseins. Hierin zeigt
sich allerdings, daß auch Wissenschaft eingebunden ist in die
Epoche fortschreitender Trennungen, fortschreitender Speziali-
sierungen, teilhat an der vorwissenschaftlich artikulierten Krise
einer Lebenswelt, die in alltäglich Erfahrbares und Erkennbares
und eine diesem Alltäglichen nicht sinngebende, als Moloch ge-
fürchtete oder als Wunder erwartete fremde Macht außerhalb
zerfällt. Die gesellschaftliche (und wissenschaftliche) Artikula-
tion von Alltag ist also eine Krisenartikulation. Wenn allerdings
das eigentliche Problem (oder der Krisenherd) - nämlich die
Trennungen - nicht im Zentrum der Erforschung steht, sondern
die Sondersphären als autonome Gebilde (von einer sogenannten
Alltagsästhetik bis zum Arbeitsplatzverhalten), besteht die Ge-
14
fahr, daß Wissenschaft zur Verfestigung und damit sich perpetu-
ierenden alltagsweltlichen Internalisierung historisch bedingter
Trennungen in Alltágliches und Nicht-Alltágliches als 'fraglos
gegeben’ beiträgt. Wenn gerade in der Kulturanthropologie -
trotz der Erkenntnis, da alle Lebensvollzüge des Menschen kul-
turell geprägt sind - die Trennung in ‘Kultur’ und Alltag analy-
siert wird, dann meint das nicht fraglos gegeben, sondern hat
einen kulturkritischen Aspekt. Dieser geht von einer historischen
Erfahrung aus und betont gleichzeitig den kreativen und innova-
tiven Charakter von Kultur, der als verloren betrachtet wird. Die
Trennungen durchziehen in der realen Kultur sowohl das Subjekt
als auch Kulturgruppen.
In Auseinandersetzung mit Lévi-Strauss und dessen Distanz-
haltung gegenüber den Móglichkeiten einer Wissenschaft, an ge-
sellschaftlicher Veránderung mitzuwirken, fordert Urs Jaeggi
eine über die Analyse der archaischen Gesellschaften hinausge-
hende Anwendung auf unsere Zeit: Die Distanz des Subjekts, die
Lévi-Strauss durchhált, wáre dann wieder aufzuheben, d. h. in dis-
ponierendes Denken und damit Handeln umzusetzen. Oder anders
gesagt, die 'Reife' jener Gesellschaft, die im schónen Bild der geord-
neten archaischen Gesellschaft beschrieben wird, wáre zu verglei-
chen mit der Unreife der gegenwärtigen Gesellschaften, wobei
gleichzeitig nach den Transformationsmóglichkeiten gefragt werden
müßte: nicht eine Theorie, die in reine Beobachtung und Meditation
mündet, wáre gefragt, sondern ein theoretisches Konzept, das die
Widersprüche der aktuellen Gesellschaften erhellt und zu überwin-
den trachtet.
Diese Widersprüche werden nun immer wieder — über den Ver-
gleich mit *weniger teiligen' Gesellschaften - auf die Trennungen
in der lebensweltlichen Ganzheitserfahrung, auf den Zerfall des
kulturókologischen Gleichgewichts zurückgeführt. Norbert Elias
machte den Wandel von der Vielfalt gesellschaftlicher Machtaus-
übung zur Zentralisierung und den Wandel zu stárkerer Funk-
tionsteilung und der dadurch bedingten größeren sozialen Diffe-
renzierung dafür verantwortlich. Robert Redfield, der die Folk-
Gesellschaften als den modernen Gesellschaften kontrár heraus-
arbeitet, bezeichnet jenes Leben als eine umfassende Handlung,
wührend für uns das Leben geteilt wird in eine bestimmte Hand-
lung und danach eine andere andersartige. Stanley Diamond kriti-
75
siert den Prozeß der Zivilisation als Zunahme eines Systems des
inneren Ungleichgewichts, in dem Technik, Ideologie und Ge-
sellschaftsordnung immer ungleichzeitig zueinander stehen, und
sieht das entscheidende Problem in der sozioökonomischen Aus-
beutung und dem damit zusammenhängenden Verlust der kulturel-
len Schôpferkraft und Selbständigkeit für die grofe Mehrheit der
Menschen. Pier Paolo Pasolini nannte diesen Vorgang die Zerstö-
rung der Kultur des Einzelnen durch die Konsumgesellschaft. Er
sprach von einer Revolution von rechts, von kultureller Gleich-
Schaltung und Vélkermord, von einer anthropologischen Mutation
zur nivellierten Konsumgesellschaft, in der die oppositionelle Sub-
kultur immer wieder von einer herrschenden Subkultur geschluckt
wird, die ihre Väter rückwärts überholt.
Auch Anton C. Zijderveld, der sich mit den Ursachen und Cha-
rakteristika des Protests in der Moderne auseinandersetzt, geht
von einem NivellierungsprozeB zu einer eingeebneten Kultur in
einer Konsumgesellschaft aus, deren Grundmerkmal die Büro-
kratisierung darstellt. Er nennt diese Gesellschaft eine abstrakte
Gesellschaft, in der die zunehmende Autonomie abstrakter So-
zialstrukturen — aufgrund der chaotisch pluralistischen Segmen-
tierung ihrer institutionellen Ordnung - den als ,Doppelwesen"
(homo duplex) angelegten Menschen einer Sinnkrise überant-
wortet: Der Mensch ist konstitutionell darauf angewiesen, sich im
Gleichgewicht zwischen zwei Pclen zu erhalten, zwischen dem priva-
ten Bereich seiner individuellen Leiblichkeit und seines persónlichen
Bewufitseins und den traditionellen Strukturen sowie dem Kollektiv-
bewufitsein seiner soziokulturellen Umwc!t. Wenn der Mensch auf-
hórt, ein homo duplex zu sein, und sich der Manipulation durch die
entfremdenden Kontrollapparaturen der abstrakten Gesellschaft
überläßt oder aber sich auf eine antisoziale, von romantischem Ab-
solutheitsstreden erfüllte Individualität reduziert, ist seine Mensch-
lichkeit aufs äußerste gefährdet.
Auch für Zijdervelds Kulturanalyse ist die Kategorie des Sinns
fundamental, wobei mit Berger und Luckmann von einem objek-
tiven und einem subjektiven Aspekt ausgegangen wird: Subjektiv
sinnerfüllt ist eine Handlung insofern, als das handelnde Indivi-
duum eine bestimmte Intention durchhält und sich an bestimmten
Zwecken orientiert. Objektiv sinnerfüllt dagzgen ist sie in dem
Maße, in dem sie das rein individuelle Handeln durch einen inter-
76
subjektiv akzeptierten und tradierten (in sinnerfüllten Konfiguratio-
nen bzw. Institutionen verkörperten) Sinngehalt transzendiert.
In seiner kritischen Analyse der Jugendsekten geht auch Jo-
hann A.Schülein vom Sinnproblem in Industriegesellschaften
aus, wobei er wiederum das Schwergewicht auf die Bedeutung
des Sinns, seinen psychosozialen Gebrauchswert, für die mensch-
liche Identitátskonstituierung legt. Seine These ist die Entste-
hung struktureller Ambivalenz in komplexen Gesellschaften mit
hoher technischer Produktivitát auf der einen und einer Unter-
produktion von Sinn auf der anderen Seite. Die Verlagerung der
Sinnproduktion auf den Einzelnen, das hiefe also die individu-
elle Erarbeitung des gemeinten Sinns ohne die Resonanz aus ob-
jektiver Sinnerfülltheit, macht für Schülein die Jugendlichen in
unserer Gesellschaft besonders anfállig für Probeidentifikatio-
nen mit dem ganz Anderen. Die verlángerte Adoleszenzphase,
das Fehlen ritueller Absicherungen in narziBtischen Krisen und
die Unfähigkeit der Gesellschaft aufgrund der strukturellen
Orientierungsprobleme, psychosoziale Orientierungsprobleme in
einem allgemein geteilten Sinn aufzufangen, führt zur Regression
in als total sinnerfüllt gedachte Institutionen wie Sekten.
Wenn in dem sozialpsychologischen Ansatz von Schülein auch
vorrangig eine Theorie des Subjekts erarbeitet wird, so erlaubt
sein Ausgang von strukturellen Orientierungsproblemen der Ge-
sellschaft doch, ihn unter die kulturókologischen Analysen einer
Zerstórung der soziokulturellen Mensch-Umwelt-Beziehungen
einzuordnen. Die strukturellen Orientierungsprobleme entspre-
chen den Gleichgewichtsstórungen im Haushalt des Lebens, der,
wie wir gesehen haben, auch der die materiellen, sozialen und
ideellen Ziele integrierenden Sinnerfülltheit bedarf, das heit der
Übereinstimmung des subjektiv gemeinten Sinns mit dem sozial
gemeinten oder ‘objektiven’ Sinn. Die Uberproduktion an Tech-
nik, Biirokratie und Konsumzwang des Molochs Moderne hat
den kulturellen Tod der Einzelnen, als Individuen und als Grup-
pen, bewirkt, indem ihnen die innovative Verarbeitungsmöglich-
keit des Inputs in ihren Haushalt des Lebens, ihr Ökosystem, ge-
nommen worden ist und sie einer quasi mechanistischen Regula-
tion ausgeliefert wurden.
Wir hatten gesehen, wie in unserer idealtypischen Darstellung
des Haushalts des Lebens über das Beispiel des Sippenkosmos
77
auch die Zeit als biographische und epochale Geschichte angst-
mindernd durch den Gedanken der sich wiederholenden Ur-
sprünge überwunden wurde. Wir hatten von einer angehaltenen
Zeit gesprochen. Diese angehaltene Zeit als zyklische Wieder-
kehr des Gleichen im Ursprung, als jene sich wiederholende eine
Gegenwart, in der Vergangenheit und Zukunft gegenwärtig sind,
ist das Gegenteil einer linearen Zeit, von der der Moloch Mo-
derne in unaufhaltsamem Fortschritt geprägt ist.
Henri Lefébvre betont in seiner Kritik des Alltagslebens«, daß
die zyklische Zeit von den Techniken der Industrie zerbrochen wor-
den ist. Das Heraustréten aus der zyklischen Zeit erlebt der
Mensch vor allem in Form von Brüchen, von Diskontinuitäten,
dem Zerfall in Zeitstücke, in denen die Handlungen an einem be-
liebigen (dem Einzelnen allerdings zwanghaft auferlegten) Punkt
beginnen und an einem ebenso beliebigen enden. Gleichzeitig ist
diese lineare Zeit kontinuierlich, von einem Nullpunkt oder An-
fang sich ins Unendliche fortsetzend. In dieser linearen Zeit,
kónnten wir ergánzend fortfahren, ist der Mensch mit seinem
biographischen Schicksal ein beliebiges, letztendlich austausch-
bares Zeitstück in dem linearen Programm des Fortschritts. Er ist
unbeteiligt am Ursprung, unbeteiligt an Schópfung, unbeteiligt
auch am natürlichen Rhythmus seiner Umwelt und seinem leib-
eigenen Rhythmus entfremdet. Es gibt keine angehaltene Zeit
mehr, in der Vergangenheit und Zukunft in die Gegenwärtigkeit
der sich wiederholenden einen Gegenwart einfließen, sondern die
Bewegung geht unwiederholbar auf eine offene Zukunft hin.
Diese Zukunft wird als sozial machbar aufgrund von Entschei-
dungen oder Selektionen in der Gegenwart angesehen, so daß,
wie es Otthein Rammstedt ausdriickt, die Gegenwart der Zukunft
bewuBtseinprägend wird. Damit wird Zeit nur noch ‘wertvoll’ im
Produzieren von Veränderungen.
Wenn aber der Mensch nur austauschbares Zeitstück im Pro-
gramm des Fortschritts ist, seine Zukunft limitiert, dann muß die
ständige Orientierung an einer Gegenwart der Zukunft unter Ver-
nachlässigung der Gegenwärtigkeit der Gegenwart eben wiederum
zu jener Sinnkrise führen, bei der der objektive Sinn der gesell-
schaftlichen Konstruktion von Wirklichkeit dem Subjekt keinen
gemeinten Sinn vermitteln kann, ihn zum austauschbaren Objekt
der Geschichte macht, die er als Moloch Moderne verinnerlicht.
78
Das versuchte Heraustreten aus der Geschichte, aus der linea-
ren Zeit oder aus dem Verlorensein in der Geschichte hatte ich
eingangs als ein wesentliches Kriterium der spirituellen Bewe-
gung bezeichnet. Diese Absage an Geschichte trotz des evolutio-
nären Anspruchs, zu einem neuen Zeitalter vorzustoßen, wird
noch für eine Weile im Raum stehen. Und für eine Weile soll auch
ihr ökologischer Protest gegen die spirituelle Zerstörung der
Mensch-Welt-Beziehung noch außer acht gelassen werden, um
die Gegenbilder der Begrenzung zum Moloch Moderne aus dem
‘irdischen’ Lager des kulturdkologischen Protests aufzuzeigen.
3.3 Gegenbilder
Dieser auf die soziokulturelle Umwelt orientierte Protest geht
von der gesellschaftlichen Konstruktion einer sinnhaften Welt
aus, in der Geschichte als Erwerb von Fähigkeiten und Wissen
nicht geleugnet werden kann. Der sinnhafte Aufbau einer gegen-
wärtigen und zukünftigen Welt mit einem allgemein geteilten
Sinn kann den historisch akkumulierten Wissensvorrat nicht
rückwärts überspringen, um in frühere oder primitive Weltbilder
als ‘fraglos gegeben’ einzutauchen. Dann wird aus einem frühe-
ren sinnhaften Aufbau - aufgrund des damals erreichten Wissens-
standes - Un-Sinn. Die Erde wird nicht wieder zu einer Scheibe,
auch wenn ein Indianer dieses Weltbild in seinen mehrstündigen
Vermittlungsversuchen, mit der Natur wieder in Einklang zu leben,
dies einer andáchtig lauschenden mittelstandsbürgerlichen Hó-
rerschaft 1987 in einer hessischen Kleinstadt vortrágt, betonend,
daß er zwar kaum die Schule besucht habe, aber die Weisheit der
lradition mitbringe. Wir, die Hórer, sollten unser westliches
Denken ausschalten und lernen. Allgemein geteilter Sinn sollte
nicht durch Kommunikation, sondern durch Expertenbelehrung
aus seiner spirituellen Kultur entstehen.
Gegenbilder zum Moloch Moderne sind nicht einfach über-
tragbar. Wenn die Workshop-Indianer im Westen — und damit si-
cher ihrer Zuhórerschaft entgegenkommend - die Geschichte
ihrer materiellen und sozialen Kulturation und Dekulturation
verschweigen und den behausten Menschen des Westens spiritu-
ellen Konsum anbieten, wird der Bruch zwischen dem Alltàügli-
79
chen und dem Nicht-Alltäglichen verstärkt, wird das gestörte
Gleichgewicht im Haushalt des Lebens zugedeckt.
Was aber machen Humanwissenschaftler, Anthropologen, Eth-
nologen, Soziologen und Sozialpsychologen, wenn auch sie dem
Moloch Moderne, der abstrakten Gesellschaft, der bürokrati-
schen Gesellschaft des gelenkten Konsums jene archaischen, pri-
mitiven oder Folk-Gesellschaften entgegenhalten?
Das kann, wie bei Levi-Strauss, zu der resignativen Feststel-
lung fortschreitender Entropie führen, untersucht von einer Dis-
ziplin, die sich damit beschäftigt, den Prozeß der Desintegration in
seinen höchsten Erscheinungsformen zu untersuchen. Die histori-
schen Gesellschaften, auch die primitiven, die er als pseudoar-
chaische bezeichnet, sind für ihn nur Zerfallserscheinungen einer
idealtypischen archaischen oder kalten Gesellschaft: Eine wirkli-
che primitive Gesellschaft müßte eine harmonische Gesellschaft sein,
da sie eine in sich selbst ruhende und zufriedene Gesellschaft wäre
… Zahllose Sprünge, die als einzige die Zerstörungen der Zeit über-
leben, werden niemals die Illusion eines ursprünglichen Klanges
aufkommen lassen, dort, wo einst "'armonien ertónten.
Der Melancholie eines Claude Lévi-Strauss stehen nur feststel-
lende Interpretationen früherer und fremder Gesellschaftsmo-
delle ebenso gegenüber wie die Versuche und Forderungen einer
Revitalisierung für die Neugestaltung unserer Gegenwart.
Allen Parstellungen dieser 'sinnhafteren' Konstruktionen der
Wirklichkeit ist allerdings gemeinsam, daf sie die Interdepen-
denz materialer, sozialer und ideationaler Elemente in diesen
kulturellen Systemen beachten, das dynamische Gleichgewicht
und die Übereinstimmung von objektivem (allgemein geteiltem)
Sinn und subjektiver Sinnerfülltheit herausarbeiten.
Henri Lefébvre entwickelt sein Gegenbild am Beispiel der
dórflichen Welt des alten Griechenland, wobei er dessen Fortset-
zung noch in unseren Tagen durchschimmern sieht: ein Leben,
wie er sagt, menschlicher Fülle ... sicher vermischt mit Unsicherheit
und dem Keim aller zukünftigen Qualen in unserer Gesellschaft
realisierter Abstraktion (in Politik, Religion und Wissen). Zentral
für Lefébvres Gegenbild ist der Gedanke des relativ stabilen
Gleichgewichts zwischen Natur und kultureller Aneignung, zwi-
schen tierischer und menschlicher Bevölkerung; zwischen indivi-
duellen Aktivitäten und kollektiv verrichteten Tätigkeiten, in der
R0
Verteilung des Bodens und der Struktur des Besitzes. Die Auf-
rechterhaltung und Absicherung dieser Ordnung, die als Teil des
Kosmos und der zyklischen Naturabläufe gesehen wird, über
Tradition, praktische Disziplin, einen einheitlichen Lebensstil,
über die kollektive Organisation der Arbeit und die rituelle Bestä-
tigung jenes Haushalts des Lebens im Fest durch die Beteiligung
und den Beitrag jedes Mitglieds (Das Wort Symbol bezeichnet vor
allem , seinen Beitrag leisten“!) macht die Sinnerfülltheit des Da-
seins aus. Auch für Lefébvre nehmen die Toten weiter an der Ord-
nur? teil ..., bilden noch einen Teil der Ordnung. Durch die Ehrbe-
zeichnv"gen, die Totenriten — die die Ordnung garantieren und zu
ihr ge*3ren — ... stimmt sich die Gemeinschaft ihre Toten günstig.
F7: Lefébvre knüpft sich an dieses Bild der aus Gemeinschaft
lebenden Sinnerfülltheit die Forderung einer permanenten kultu-
rellen Revolution, die über eine rigorose Kritik der produktivisti-
schen Ideologie, des ókonomischen Rationalismus und des Ókono-
mismus wie auch c-r Mythen und Pseudokonzepte eine kulturelle
Strategie entwickelt, in der Kultur wieder als schópferische Tátig-
keit, als Werk, in das Alltägliche eingeht: Tätigkeit einer Gruppe,
die ihre Rolle und ihr gesellschaftliches Schicksal in die Hand und in
Pflege nimmt, mit anderen Worten Selbstverwaltung.
Weder für Lefébvre noch für Diamond, der sich ebenso für
einen Wandel unserer eigenen Gesellschaft engagiert, bedeuten
die menschlichen Gegenbilder - bei Diamond des Primitiven -,
sich in die Vergangenheit zurückzuziehen, vergangene Lebensfor-
men unserer Zivilisation aufzupfropfen. Vielmehr fordert auch
Diamond, zeitgenóssische Formen entwerfen zu helfen, soziale
D" ——:28ie zu entwickeln, Innovation einzuleiten, die der Genialität
gleichkommt, die man z. B. hinter den Sippenstrukturen primitiver
Völker feststellen kann.
Sowohl Redfield als auch Diamond oder Lévi-Strauss, die uns
die Weltsicht der primitiven, der Folk- oder archaischen Gesell-
schaft als Gegenbilder der zivilisierten Gesellschaft entworfen
haben, entwickeln ihre Modelle auf dem Hintergrund eines brei-
ten, von ihnen selbst und anderen Anthropologen empirisch er-
hobenen Faktenmaterials. Und doch sind ihre Modelle 'Idealge-
sellschaften' im Sinne eines Idealtypus, von dem die untersuch-
ten Realgesellschaften immer mehr oder weniger weit entfernt
sind. Worum es geht, ist den gemeinten Sinn jener konkreten Ge-
21
sellschaften synthetisch zu erfassen, ohne ihn in Details zu erstik-
ken. Und was sie dabei immer wieder herausarbeiten, ist die
Durchdringung von materialer, sozialer und ideationaler Kultur
im Haushalt des Lebens, das Gleichgewicht zwischen Menschen
und Umwelt, die Sinnerfülltheit durch eine Individuation, die
den Einzelnen nicht von dem sozial gemeinten Sinn trennt, son-
dern ihn an seiner Erhaltung beteiligt.
Bei Lévi-Strauss zeichnen sich die archaischen oder kalten Ge-
sellschaften, ähnlich den Folk-Gesellschaften Redfields und den
primitiven Gesellschaften Diamonds, durch folgende Charakte-
ristika aus: eine relative Geschichtslosigkeit, d.h. das Festhalten
an Traditionen und der Versuch, die Wirkungen der Geschichte
zu annullieren; die Einfügung in ein ókologisches Gleichgewicht,
d. h. eine sparsame Nutzung der Ressourcen und eine Anpassung
an die natürlichen landschaftlichen Gegebenheiten; der Aufbau
des soziopolitischen Daseins auf kollektivem Konsensus und die
Vermeidung von Machtkonzentration; eine ausgedehnte Fami-
lienorganisation; die Interpretation des Gefühlslebens in einem
Komplex von Rechten und Pflichten; die direkte Beziehung zu
den Mitmenschen und den Vorfahren; die Integration der Reli-
gion in die soziale Ordnung; die Ordnung der umgebenden Welt,
d. h. die Überwindung des Chaos. Auch hier ist, wie für Redfields
Folk-Gesellschaft, das Leben nicht eine Abfolge verschiedener
Handlungen, sondern eine umfassende Handlung, in der die
Dinge in ihrer Gesamtheit aufeinander bezogen sind.
Zijderveld, der über einen Vergleich die Grundzüge der Mo-
derne als abstrakter Gesellschaft verdeutlichen will, nimmt seine
Gegenbilder sowohl aus der antiken griechischen und der mittel-
alterlichen Gesellschaft als auch aus primitiven Gesellschaften.
Dabei bezieht er sich auf den Entwurf von Jan Romein zu einem
allgemeinen menschlichen Grundmuster als einer typischen kultu-
rellen Konfiguration vorindustrieller bzw. vormoderner Gesell-
schaften. Die Entwicklung der industrialisierten Gesellschaften
ist danach ein Abweichen von diesem menschlichen Grundmu-
ster.
Die Kennzeichen dieses menschlichen Grundmusters entspre-
chen dem Idealtypus, den wir anhand der archaischen, primiti-
ven und Folk-Gesellschaften aufgezeigt haben: Die Lebensauf-
fassung ist von einer kosmischen Weltsicht bestimmt, in der der
vn
à 4.
Mensch sich als einen Teil der Natur empfindet und seine Indivi-
dualität als unlösbaren Teil des Gemeinwesens sowie als einen
sich wiederholenden Übergang. Das Denken ist nicht abstrakt,
sondern pragmatisch, das Zeitbewußtsein ist nicht zukunfts-,
sondern gegenwartsorientiert, und die Vergänglichkeit der Zeit ist
im Mythos der Wiederkehr aufgehoben. Geschichtsneutralisie-
rung und die Autorität der Traditionen und der Traditionsträger
dienen der Stabilisierung der Welt, der Abschirmung gegen das
Chaos und auch gegen gesellschaftlichen Wandel. Dazu trägt
nach Romein auch die negative Einstellung zur Arbeit bei, die
sich erst mit dem Aufkommen der Stadtbürgerschaft und der pro-
testantischen Ethik gewandelt habe.
Zijderveld fügt diesem Bild noch die strukturelle Undifferen-
ziertheit der Gesellschaft und die Bindung des Einzelnen an die
fundamentalen Institutionen der Blutsverwandtschaft und Reli-
gion hinzu, so daß die Stabilität seiner personalen Identitát ... für
ihn ... durch die Stabilität seiner Welt garantiert wird. In Anleh-
nung an William A. Faunces Diskussion der Probleme der Indu-
striegesellschaft und Durkheims Solidaritätstypen spricht Zijder-
veld von einer sozialen Integration, die auf der Gemeinsamkeit der
Kultur bzw. Lebensweise beruht und den Gegensatz von Integra-
tion durch wechselseitige Abhängigkeit im Rahmen eines struk-
turell differenzierten Gemeinwesens darstellt. Anders ausge-
drückt könnten wir sagen, daß auf der einen (Gegenbild-)Seite
die personale Identität sich über kulturelle Identität definiert,
und auf der anderen Seite, im Zusammenhang der strukturell
hochdifferenzierten Gesellschaft, die Stabilisierung der persona-
len Identität über ein gekonntes Rollenverhalten in der Zuteilung
und im Empfang partieller Loyalitäten und Sinnerfülltheiten ent-
steht.
Gegenbilder erwachsen aus dem Unbehagen in der eigenen
Gesellschaft, sie tendieren als eben Gegenbilder zur Selektion
der als positiv betrachteten Elemente einer rekonstruierten Kul-
tur. Sie kónnen die Bausteine für einen auf Wandel der eigenen
Gesellschaft gerichteten Protest darstellen, der sich an einem all-
gemeinen menschlichen Grundmuster orientiert, dem wir uns beim
Stand unseres Wissens und Denkens allerdings meines Erachtens
nur in Blochs Sinn des Aufscheinens von etwas, worin noch nie-
mand war, náhern: Bloch nennt es Heimat.
R13
Solche angenäherten Heimaten als Modelle haben Völker- und
Volkskundler über ihre historische Aufbereitung gewissermaßen
immer wieder zur Verfügung gestellt, allerdings zumeist ohne sie
selbst als ein Potential für Protest zu betrachten oder gar for-
dernd einzubringen oder in der Gegenwärtigkeit der eigenen Ge-
sellschaft als Elemente aufzuspüren. Das Heimweh nach dem ver-
lorenen Paradies, das Richard Weiß als den stärksten Antrieb der
Volkskundler bezeichnete (und dem wir Rosaldos »Imperialist
Nostalgia« für die Vólkerkundler gegenüberstellen kónnen), war
konservativ in einem doppelten Sinn: es konservierte — durchaus
nostalgisch-retrospektiv - eine báuerliche Vergangenheit in
idiographischer Beschreibung 'verlorener' Gegenbilder, die sie
‘Heimat’ nannten, und konservierte bürgerliche Gegenwart, die
ihnen ‘Heimat’ war. Beides verhinderte eine wissenschaftliche
Annáherung an ein zukunftsrelevantes Protestpotential A. M. M.
(Allgemeines Menschliches Muster) über eine vergleichende und
systematisierende Humanwissenschaft.
In Auseinandersetzung mit dem Konservativismus in der
Volkskunde hatte ich 1969 Romeins Definition des Konservati-
vismus als Nostalgie nach dem A. M. M. sowohl aufgegriffen als
auch auf ein zeit- und kulturperspektivisch bedingtes Idealbild
von einem menschlichen Muster (das durchaus nicht immer ein
allgemeines, sondern ein nationales, stándisches usw. sein kann)
relativiert. Zu dieser Relativierung stehe ich auch heute noch, da
sie durch unser Eingebundensein in den je gesellschaftlich kon-
struierten Sinn bedingt ist. Allerdings, wenn ich die Entlassung
aus der bindenden Sinnerfülltheit in der Moderne - als unserem
"menschlichen Muster' - ernst nehme, dann kann ich dieses auch
in eine Chance wenden: die Chance námlich, mich sowohl auf
die Suche nach der Vielfalt gemeinten Sinns zu begeben, als auch
über Vergleiche zu den transkulturellen Merkmalen eines inten-
dierten allgemeinen menschlichen Grundmusters vorzustofen
und weiterhin dann zu fragen, in welcher Kultur es sich diesem
Prinzip Hoffnung am dichtesten náhert. Meine eigenen langjáhri-
gen Untersuchungen zum subjektiv gemeinten Sinn von Heimat
(bzw. áquivalenten Begriffen für diese spezifische Wertorientie-
rung) und ihm gegeniiber- oder entgegenstehenden ‘objektiven’
gesellschaftlichen Konstruktionen von Heimat kamen trotz der
verschiedensten Untersuchungsgruppen und untersuchten Me-
R4
dien immer wieder zu dem Ergebnis, daß als Heimat ein Lebens-
raum verstanden bzw. intendiert wird, in dem die Bedürfnisse
nach Identität (dem Sich-Erkennen, Erkannt- und Anerkannt-
werden), nach materieller und emotionaler Sicherheit, nach Akti-
vität und Stimulation erfüllt werden, ein Territorium, das sich die
Menschen aktiv aneignen und gestalten, das sie zur Heimat
machen und in dem sie sich einrichten können.
Der reflektierenden Bescháftigung mit Heimat scheint nun im-
mer deren Infragestellung durch den Einbruch der Fremde, des
Fremden und durch Entfremdungsphänomene vorauszugehen.
{.eimat wird erst als verlorene zum Problem. Das hat Heimat mit
Identität gemeinsam. Auf der Suche nach Identität und Auf der
Suche nach Heimat sind offensichtlich parallele Suchen nach
einem O:t des Vertrauens, einer gelebten Welt oder einer Lebens-
welt, in der die Identitátsfrage Wer bin ich? Wohin gehóre ich? wie-
der eine Antwort findet. Ich bin als Selbstdefinition der Identität
bedarf der Resonanz aus raumzeitlicher und mitmenschlicher
Lebenswelt, bedarf des Dorthin gehöre ich.
Wenn wir Heimat, und die bisherigen Ausführungen berechti-
gen uns dazu, mit dem Haushalt des Lebens gleichsetzen, dann
können wir stärker noch als das Worin noch niemand war die fort-
schreitende Entfernung der Menschen von Heimat im Prozeß der
. .Vilisation feststellen. Und in diesem ProzeB wurde aus dem
Verlorenen dann eben jenes Wort Heimat für immer neue Legiti-
mationen gesellschaftlichen Sinns verfügbar. Ursprünglich Haus
und I:7f bedeutend, jene kleinste Einheit des auf Interdependenz
aller Elemente und Selbstregulation angelegten Haushalts des
Lebens, wurde Heimat - immer noch in Verbindung mit jenem
Faum, der für den Menschen als Rechte- und Pflichtenraum zu-
stindig war — vor allem auf die Kommune bezogen, in der man
das Heimatbürgerrecht hatte. Aber erst seit dem 19. Jahrhundert,
Hand in Hand mit dem Rückgang der Autonomie jener kleinräu-
migen Haushalte des Lebens, gewann Heimat jene emotionale li-
terarische und pádagogische Aufladung, die einerseits Regres-
sion in eine Kindheitsheimat (Elternhaus und Dorf der Kinder-
spiele) und andererseits die Ausdehnung des Heimatbegriffs auf
das Staatsterritorium bedeutete.
Heimat wurde nach dem Zweiten Weltkrieg zunáchst eine ver-
bannte Vokabel sowohl auf der oberen politischen Ebene als
85
auch hinsichtlich des nicht gemeinten Sinns einer skeptischen Ge-
neration. Mit Heimat bescháftigten sich vor allem diejenigen, die
‘Haus und Hof' verloren hatten. Aber auch ihr Trend ging letzt-
endlich konform mit dem der ‘Einheimischen’ zum staatlich legi-
timierten und unterstützten Rückzug in eine garantierte private
Heimat, eine Heimwelt, in die der Moloch Moderne scheinbar
nicht hineingreifen konnte. Die Trennung zwischen Privatem und
Öffentlichem allerdings wurde und wird erst dann als Tyrannei
der Intimität (Sennett) empfunden, wenn der Schein der Selbstre-
gulation und Sinnerfülltheit dieses Schrumpf-Haushalts des
Lebens durch das Ausbleiben der materiellen Garantien aus dem
Staatshaushalt bewußt wird oder die materiellen und sozialen
‘Schadstoffe’ aus der fehlregulierten größeren Umwelt in die
Heimwelt eindringen.
Wenn wir jetzt wieder einen Protest in Richtung Heimat haben,
dann zielt dieser auf mehr Heimat im Sinne eines mitzuverant-
wortenden und mitzukontrollierenden überschaubaren Haus-
halts des Lebens. Regionale und lokale Proteste stellen Selbstver-
waltung gegen Zentralisierung, eigene Kultur gegen Einheitskul-
tur, sparsame eigene Nutzung der eigenen Ressourcen gegen zen-
tralisierte Ausbeutung und Lieferung, Gegenseitigkeit des Han-
delns gegen Wohlfahrtsabhángigkeit und Bürokratisierung. Ich
habe diese Forderungen als Redefinition einer Lebensform Kom-
munität bezeichnet. Kommunitát umfaßt fünf Aspekte der
Begriffe communitas /commune: den sozialen der interaktiven
menschlichen Gruppierung, den kulturellen des Einstellungs-
und Handlungskonzepts, den lokalen des Handlungsraums, den
ókonomischen im Sinne von commune als Gemeingut und den
5kologischen, der das wechselseitige Verhältnis der vorausgehen-
den vier Aspekte untereinander betont. Idealtypisch ist die Kom-
mune eine interdependente Konfiguration mit einem dyrami-
schen Gleichgewicht und der Fähigkeit zur Selbstregulation
(3kologische Nische) in einem dafür günstigen Lebensraum
(Umwct' Ausgehend vom Menschen als handelndem Wesen,
lege ich das Schwergewicht auf die Handlungsperspektive im
Sinne von Parsons Kollektivitát, die Solidaritàt, Verantwortung
und Verpflichtung des Einzelnen gegenüber dem gemeinsamen
Handlungssystem voraussetzt und das Merkmal bekannt in Ge-
meinsamkeit umfaDt.
86
Als typischste Form der modernen Gesellschaften können wir
die legitimatorische Kommunität betrachten, die jenem Modell
der n^*wendigen Kommunitát, das aus den Realordnungen der ar-
chaischen, primitiven und Folk-Gesellschaften entwickelt wurde,
diametral gegenübersteht. Als legitimatorische Kommunitát wird
die nur formelle Selbstverwaltungsgarantie von lokalen Gruppen
innerhalb der faktischen Subordination unter zentralstaatliche
(wirtschaftliche und politische) Steuerungsintentionen gesehen.
Diese Kommunitát dient als Legitimationspuffer (Offe) im Rah-
men von ideologischen Funktionen und zur Konfliktabsorption.
Von den fünf communitas /commune-Aspekten ist faktisch nur
noch der lokale vorhanden.
Daf wir diese faktische Subordination unter zentrale Steue-
rungsintentionen auch bei den lokalen, temporáren oder statio-
nären Zellen der großen gegenwärtigen Sekten wiederfinden,
ordnet sie dieser Gesellschaft zu. Allerdings wird der lokale Legi-
timationspuffer stärker mit den fünf Aspekten der Kommunität
gespeist, was auf die hier umgesetzte Erkenntnis der Erwartungs-
haltungen aus einer 'Sinnkrise' in den Industriegesellschaften zu-
rückgeführt werden kann. Die Ausklammerung: der Sekten aus
den gesamtgesellschaftlichen Antworten unter dem Stichwort
Verführungstheorie würde nur ein weiteres Legitimationsgefecht
darstellen.
Der vermittelte Sinn allerdings der gesellschaftlichen Kon-
struktion einer Wirklichkeit und Wirksamkeit der neuen Sekten
zielt sowohl gegen die legitimatorische als auch die gelenkte
Kommunität, was die faktische Unterordnung gegenüber einem
Führer (Guru) nicht ausschließt, wobei der Unterschied zwischen
charismatischer (hier: heiliger) und profaner Machtausübung be-
tont wird. Dadurch wird auch die nur legitimatorische Funktion
der lokalen Zellen jener grofPen internationalen Sekten über-
spielt.
Auch hier wird freiwillige Kommunitát suggeriert, das heißt der
soziolokale ZusammenschluB von Menschen aufgrund freier
Entscheidung. Allerdings: wenn für die freiwillige Kommunitz :
die konzipierte Ordnung des Idealtypus communitas, zumeist
einschließlich des Gemeingutgedankens, zentral ist, dann müfte
der behauptete Paradigmenwechsel zu einer neuen Kommunitát
sich über eine neue moralische Kommunitát, die von der jetzt
27
nicht mehr nur lokalen / regionalen, sondern weltweiten Limitie-
rung der Ressourcen ausgeht, kognitiv — und das heißt über die
Erweiterung des Wissensvorrates — der notwendigen Kommunität
als jenem Haushalt des Lebens nähern, in dem die materiale,
soziale und ideationale Existenz des Einzelnen interdependent
zu allen und allem anderen ist, in dem auch der objektive Sinn
(der intersubjektiv wahre) mit dem subjektiv gemeinten überein-
stimmen kann. Bekannt in Gemeinsamkeit als geteilter Sinn wäre
dann nicht die Sache der weltweiten ‘geheimen Verschwörung’
einer privilegierten Schicht, sondern die Voraussetzung für den
alltäglichen | Handlungsvollzug einer freiwillig-notwendigen
Kommunität, deren Solidarität durch eine ökologisch motivierte
(im Sinne des kulturökologisch entwickelten Haushalts des
Lebens) moralische Kommunität bestimmt wird.
Meine Benutzung des Begriffs moralische Kommunität geht
über seine ursprüngliche Bedeutung hinaus. Der Begriff bezog
sich auf die Weltsicht der beschränkten Ressourcen in Bauernge-
sellschaften (Forster, Bailey). Moral ist in diesem Kontext weni-
ger eine ethnische Kategorie als vielmehr ein handlungsleitendes
Wissen, daß die natürlichen und sozialen Ressourcen der Ge-
meinde und ihrer nahen Umwelt beschränkt sind und innerhalb
des relativ geschlossenen Gemeinwesens nicht beliebig erweitert
werden können. Somit destabilisiert jede individuelle Bereiche-
rung das Gleichgewicht dieses gesamten Gemeinwesens und letzt-
endlich auch im Feedback den nur scheinbaren Profitgewinnler.
[n unseren sogenannten offenen, von kurzfristig-zukunftsorien-
tierter ökonomischer Rationalität gelenkten Gesellschaften wird
Denken und Handeln von den Möglichkeiten der Grenzüber-
schreitungen jener Regionen beschränkter Ressourcen bestimmt,
um individuellen und / oder Interessengruppen-Gewinn zu maxi-
mieren. Für die wenigen Máchtigen bedeutet es Zunahme an
ókonomischem Gewinn und an Kontrolle über die Gemeinwe-
sen aller Art. Für die Natur und die machtlose Mehrheit bedeutet
es Verlust an Ressourcen. Und in diese Verlustbilanz schlieBe ich
auch jene machtlos zwischen den Regionen und Nationen Wan-
dernden auf der Suche nach ókonomischen Ressourcen ein.
Soziale, kulturelle und lokale/regionale Enteignung von Verant-
wortung in Gegenseitigkeit sind die Folge.
Um die Begrenztheit der Ressourcen (und eben nicht nur der
< 8
ökonomischen) für eine befriedigende Wechselseitigkeit zwi-
schen den Menschen und den Menschen mit ihrer Umwelt zu er-
kennen, bedarf es der Verantwortlichkeit.
Diese Verantwortlichkeit bedarf der zugelassenen Mitbestim-
mung und Selbstkontrolle in neuen moralischen Kommunitäten,
in denen ökologische Vernunft und soziokulturelle Phantasie die
beschränkten Ressourcen entfalten könnten, in denen dem kultu-
rellen Tod der Gemeinwesen und ihrer Bürger entgangen werden
könnte - und damit vielleicht doch noch dem Moloch Moderne.
Modelle in diese Richtung sind entworfen worden, konkrete
Versuche über regionalistische Bewegungen, über Dorfrevitalisie-
rung und städtische Quartiersarbeit, über städtische und ländli-
che Kommunen gemacht worden. Wir haben Planung von oben
und Planung von unten und Scheitern von oben und von unten,
weil der globale Feind einer neuen Kommunität ebenso wie der
personale die Überhand hat. Der globale Feind beinhaltet die
Verlagerung der Verantwortung und Verpflichtung auf überlokale,
ja übernationale (Fach-)Instanzen. Lokale Kommunität wird nur
noch legitimatorisch erfahren. Desinteresse, Resignation, Wohl-
fahrtshaltung und der Übergang (Rückzug) zum personalen
Feind sind die Folgen. Der personale Feind heißt Heimwelt, Pri-
vatisierung, Familismus, aber auch Personalismus, einschließlich
der global-nersonalen Varianten der spirituellen Selbsterlösung.
Heimat als sinnerfüllte neue Kommunität bedarf heute einer
multikulturellen Gesellschaft, die eben jener günstige Lebens-
raum wäre, der nicht nur materielle Satisfaktion bietet, sondern
in jenea vielen Kulturtopen Selbstregulation ermöglicht und da-
mit cen kulturellen Tod (als Enteignung von Mitgestaltung und
Miterhaltung im Haushalt des Lebens) verhindert.
89
4. WEGBEREITER DES NEUEN ZEITALTE.
4.1 Die Sehnsucht nach dem ewigen Augenblick.
Romantik und die amerikanischen Transzendentalisten
In den Gegenbildern zur Moderne drückt sich zunächst unser
subjektiv gemeinter Sinn aus, der mit dem objektiven Sinn unse-
rer gesellschaftlichen Wirklichkeit nicht mehr korrespondiert.
Unsere Eine Gegenwart (mit der Gegenwart des Gegenwärtigen,
des Vergangenen und des Zukünftigen) ist brüchig geworden, wir
leben in der Gegenwart der Zukunft, also in Sehnsucht, die sich
an Heimweh festmacht. Das klingt zunächst paradox, dürfte aber
für Tendenzen in unserer gegenwürtigen Gesellschaft bezeich-
nend sein.
Heimweh und Sehnsucht haben das Suchen gemeinsam, das
Suchen nach etwas Verlorenem oder noch nicht Gefundenem;
beiden Gefühlslagen ist das Unbehagen an der Gegenwart ge-
meinsam. Doch wáhrend das Heimweh in die Vergangenheit ein-
taucht, kann der Sehnsucht ein Zukünftiges innewohnen.
Wenn Sehnsucht allerdings nur noch Heimweh nach kosmi-
scher Beheimatung meint, sich an Verlorenem festhält, Ge-
schichte auslóschen und eigene Gesellschaft vergessen will —
und das halte ich für eine wesentliche Intention der New Age-
Sucher -, dann werden Mythen zu Pseudomythen, da sie nicht
mehr die Überhóhung und Steigerung ihrer ehemals realen kul-
turellen Ordnung darstellen, sondern unserer Ordnung als ein
Fremdes entgegengesetzt werden, ohne die entfremdete Realord-
nung unseres soziokulturellen Alltags aufzureiBen.
Die Protestbewegungen seit den 60er Jahren werden in Selbst-
bild und Fremdbild immer wieder auf eine romantische Sehn-
sucht oder die Sehnsucht der Romantiker bezogen. In keiner
Epoche haben diese beiden Gefühlslagen - Heimweh und Sehn-
sucht -, ja ihr Ineinander-Verschmelzen, bisher eine solche Be-
deutung gehabt wie in der Romantik. Auch die Romantik, insbe-
sondere die frühe, war eine Protestbewegung gegen eine vorherr-
00
schende Unaufhaltsamkeit der sich beschleunigenden rationalen
Kultur, cie zeitliche und sachliche Erfassung, Planung und Kon-
trolle des Lzbens, wie es Rudolf Wendorff in seinem Buch über
die Geschichte des ZeitbewuBtseins ausdriickt. Es war ein Protest
gegen das, was wir als Gegenwart der Zukunft oder die bewuft-
seinsprägende lineare Zeit im objektiven Sinn der gesellschaftli-
chen Konstruktion von Wirklichkeit bezeichnet hatten, die die
Subjekte zu austauschbaren Zeitstücken im Programm des Fort-
schritts macht, ihnen keinen subjektiv gemeinten Sinn im Ur:
sprung und Haushalt des gesellschaftlichen Lebens 1äßt.
Die romantischen Philosophen und Dichter - und sie machen
die Romantik aus — gelten für ihre Nachfolger als Seher, als Vi-
sionáre, als die wenigen, die wie die Visionäre des Neuen Zeital-
ters im Z7. Jahrhundert den BewuBtseinssprung aus der kulturel-
len Verhaftung getan haben. Die romantische Sehnsucht nach
einer Heimat jenseits der gesellschaftlichen Gegenwart war aller-
dings nicht die Wirklichkeit des Bürgers, sondern Protest des
Antibürgers.
Die Poeten gehen bei der bürgerlichen Natur zugrunde, sagte
Brentano. Und Tieck beschrieb 1804 seine Mitbürger so: Ihre ver-
schimmelte, verrostete, von Mäusen angefressene Vernünftigkeit,
durchlócherte, abgeschmackte Leutseligkeit, kummervolle und eng-
brüstige Fróhlichkeit, ihre spiefibürgerliche geschmacklose Freiden-
kerei.
Der Romantiker sehnte sich aus der für ihn zerrissenen Gegen-
wart, aus seinem zerrissenen Ich — mir selbst ein unerklárlich Rát-
sel, Lin ich entzweit mit meinem Ich (Hoffmann, »Die Elixiere des
Teufels‘) — in eine Einheit, eine Symbiose, die in der erstarrten
“''t (© ‚ovalis) der meßbaren Gegenwart nicht gefunden werden
kann. 7e Cpurensuche führte in die Vergangenheit mystischer
Religiosität des Mittelalters und zu den indischen Philosophien.
in der Mytho!agie Asiens wird die Zeitlosigkeit des gesuchten
ewigen - und damit auch zukünftigen — Seinsgrunds gefunden.
Raum und Zeit werden eins oder mit Schelling: der Raum ist die
angehaltene Zeit und Zeit der flieRende Raum. Und Wendorff sagt
von Novalis, daB er der Zeit die messend-trennende Struktur
nimmt, dafi bei ihm alie Wege in Vergangenheit oder Zukunft immer
wieder *..:2^ l'ause’ als einer räumlich empfundenen Mitte führen
… daf der Augenblick in Ewigkeit übergeht.
91
Heimat als die Gegenwärtigkeit eines ewigen Augenblicks des
Zuhause, gespeist aus Heimweh (dem Weg in die Vergangenheit)
und Sehnsucht (dem Weg in die Zukunft), die sich in angehalte-
ner Zcit und flieBendem Raum vereinen. Das Bild vom Ursprung
und Haushalt des Lebens taucht hier wieder auf. Aber es fehlt
dieser Sinnkonstruktion eben jene Legitimation eines gesell-
schaftlichen Haushalts, in dem der gemeinte Sinn auch die mate-
riale und soziale Ebene menschlichen Daseins umfaft. Das
Heimweh nach dem Verlorenen wendet sich zu Märchen, Mythen
und Mystik, nicht zu Menschen realer früherer Kulturen: und die
Sehnsucht wird aus diesem wiederzufindenden Verlorenen, der
mystischen Verschmelzung im Kosmischen, gespeist.
Zentral ist der geheimnisvolle Weg nach Innen, zentral sind jene
Ichs, die Ferdinand Lion in seiner Analyse der deutschen Ro-
mantik als von einem einzigartigen Hochmut der Absonderung be-
zeichnet: Doch raffen sich die Ichs auf mit dem Wissen, daß sie die
Welt erzeugen und sie dadurch die höchste Stellung einnehmen. Es
wechselt bei ihnen selbstherrlich-willkürliche Kraft mit hindäm-
merndcr Zchwéche ... Bald schwelgten die zur Passivität neigenden
deutschen Ichs überall, an den Hófen, noch mehr in den Bürgerkrei-
sen und am meisten bci jungen Menschen, in Gefühlen, liefen sich
von ihnen ausfüllen, überschwemmen ..., es ergab sich eine endlose
Selbstbeobachtung mit Analysen, Zerfaserung und inneren Bespie-
gelungen und, ça man seinen inneren Überflufi den anderen mit-
teilte, noch mit £:eigerungen durch die Reflexe. Allzu Lereichert zog
sich aus Ich in sein eigenstes Element, in &2 Einsamkeit zurück, mit
der Ahnung einer pc:entiellen Tatkraft, die sich nicht an ádufleren
Werken versuchte, weil eine äußere Welt noch gar nicht bestand, sie
ruhte drinnen gelieimnisvoll, gehort jedem einzelnen an.
Was Lion an der Romantik kritisch verstehend als deutsches
Schicksal, und letztendlich als Bestandteil eines deutschen Cha-
rakters, analysiert - und es werden weitere Elemente einbezogen:
die Nacht als Schof aller Dinge; Gebirge und Wald, die die end-
losen Perspektiven der romantischen Seele spiegeln; Schwermut
und Sehnsucht; mystische Religiositát und die Liebe zu den Gei-
stern der Elemente, zu Feen, Elfen und Berggeistern; UnbewuB-
tes und höchstes Bewuftsein; Wollust der Liebe und Todessehn-
sucht -, sind Elemente, die uns, auch hier kreisend um die Ichs, in
der spirituellen Bewegung der Gegenwart wiederbegegnen.
02
Allerdings ist deren Geist aus Amerika nach Europa gekom-
men, ist Import, zum Teil Reimport, keinesfalls in Europa nur
deutsches Schicksal und weder in einer direkten Verbindung zur
deutschen Romantik zu sehen noch in einem deutschen Charak-
ter, der diese romantischen Elemente verinnerlicht hätte.
Im Gegenteil, man beruft sich in der amerikanischen Bewe-
gung auf den amerikanischen Charakter. Da der Traum von der
Erneuerung im amerikanischen Charakter verankert liegt, bildet
letzterer auch einen fruchtbaren Boden für den Gedanken der Trans-
formation, sagt Marilyn Ferguson. Und mit William McLoughlin
versteht sie die amerikanische Geschichte als eine jahrtausende-
alte, von einer sich verändernden spirituellen Vision geleitete Be-
wegurg, in der sich seit den 60er Jahren die zweite amerikanische
Revolution vorbereitet.
Der amerikanische Traum hat für Ferguson zwei Seiten der
Freiheit, diejenige des materiellen Wohlergehens und der alltägli-
chen Freiheiten und diejenige der seelischen Befreiung, der
Transzendenz. Für die erste amerikanische Revolution verweist sie
auf die mystische Tradition, der die Ur-Revolutionäre entstamm-
ten, und die Fortsetzung des Traumes durch die Transzendentali-
sten als eine logische Erweiterung der Amerikanischen Revolution
..., Spirituelle Befreiung als Ergänzung zu den von der Verfassung
der Vereinigten Staaten garantierten Freiheiten. Die Befreiung der
Menschheit von der Geschichte sieht Ferguson als eines der
wichtigsten Versprechen der Transzendentalisten.
Die amerikanischen Transzendentalisten des frühen und mitt-
leren 1%. Jahrhunderts werden auch als die amerikanische Roman-
tik gesehen. Ihre Verbindungen gehen vor allem zur englischen
Romantik, sie sind vom deutschen Idealismus inspiriert, von
klassischer Mystik und dem Okkultismus Swedenborgs, von
orientalischem Denken und den Traditionen des amerikanischen
Puritanismus und Unitarismus.
Auch die Sehnsucht oder der Traum der Transzendentalisten
stellt eine Cegenwelt gegen die eigene Gesellschaft auf, ist Zivili-
sationskritik. Barbarisch, zivilisiert, christianisiert, reich, wissen-
schaftlich, kritisiert Ralph Waldo Emerson diese sich wandelnde
Gesellschaft ohne Fortschritt. Die Transzendentalisten haben
zwar auch gesellschaftliche Gegenmodelle entworfen und prakti-
ziert wie das Brook-Farm-Experiment oder Thoreaus berühmtes
93
Walden, aus dem die Idee des passiven politischen Widerstands
befruchtet wurde, aber zentral bleibt auch dort die individuelle
Autarkie und die Absetzung von der Gesellschaft. Auch hier ist es
eine Absetzung, die wir als Hochmut der Absonderung bezeichnen
kónnten, so wenn Thoreau auf eine Anfrage der Association for
tie Advancement of Science reflektiert: Tatsache ist, daß ich ein
Mystiker bin, ein Transzendentalist und ein Ncturphilosoph oben-
drein. V?nn ich es mir recht überlege, háütte ich ihnen ohne Um-
schweife sagen sollen, dafi ic; Transzendentalist bin. Das würe der
kiirzeste Veg gewesen, ihnen klar zu machen, daß sie meine Erklä-
rungen nic^'* verstehen würden.
Wissenschaft als Erfahrungswissenschaft, Gesellschaft als Be-
zugs- und Handlungsraum und Geschichte als tradiertes Wissen
werden für das Selbst in seiner direkten Verbindung zum Géttli-
chen irrelevant: Vom Transzendentalismus [heißt es], daß er Gott
und Natur im Menschen aufgehen lasse (Bartol). In den Essays
von ! merson wird die (geforderte) Distanzierung der Person von
Geschichte und Gesellschaft immer wieder deutlich. Selbstver-
frauen (Self Reliance) muß ohne weltliche: Umwege erfaßt
werden: Wann immer ein Geist schlic}t ist und seine góttliche Weis-
heit emr.**"8t, schwinden alte Dinge — Hilfsmittc!, Lehrer, Texte und
Tempe: filen; er lc}? jetzt und faßt Vergangenheit und Zukunft in
der £ :;enwürtigen Stunde zusammen ... Alle Dirse werden durch
ihre Ursache zz ihrzz: Zentrum hin aufgelöst, und in der umfassen-
den Wünder verzzhwinden unbedcutende bezzz22-2 Vom... Wo-
her &i.- *£^zt "s? Anbetung der Vergangenhe::? 7^ - *chrhunderte
sin! V. schwórer gzgen die Unvczsehrtheit und Ezhcit dcr Seele.
£ 1! Leum sind nur physiologische Farben, diz das Auge zeich-
net, ...2 ^ ...'7 über ist Licht; wo sie ist, izt Tag; wo sie war, ist Nackt;
und Geschichte ist eine Unverschümtheit und Beleidigung, wenn sie
mehr sein will als eine fröhlich belehrende Fabel oder Parabel mei-
nes Seins und Werdens.
Die erhabene £zele muf) sich in Einsamkeit von der Gesell-
schaft «bsetzen, ikr Träger muB Nonkonfe mist sein, darf sich
nicht ir Namen des Guten aufhalten lassen, da letztlich nic'ts hei-
lig ist außer er Integrität des eigenen Geistes. Das führt zur Ab-
sage an gesellschaftlich direkte Mitverantwortung: Wenn ein cz-
zürnter re:.gióser Eiferer sich dcr lobli hen ASschaffung dcr Skla-
verei annimmt ..., warum sollte ich nicht zu ihm sagen: ,,Geh und
liebe dein Kind, liebe deinen Holzhacker; sei gutmütig und beschei-
den, b-gnüge dich mit solchem Anstand und beschönige niemals dei-
nen harten und unbarmherzigen Ehrgeiz mit diesem unglaubwürdi-
gen 4" zrt50f"" " für schwarze Menschen, die tausend Meilen entfernt
sind. L'-ine Liebe nach drauflen ist Bosheit zu Hause ... Und erin-
nere mich auch nicht ... an meine Verpflichtung, die Verhdltnisse al-
ler Armen zu verbessern. Sind sie meine Armen?" ... die sauren
Mienen aer Masse haben, wie die süffen, keinen tiefen Grund, son-
dern werden auf- und abgesetzt je nachdem, wie der Wind weht und
eine Zeitung es vorschreibt ..., wenn die Unwissenden und die Ar-
men a:‘fgerüttelt werden, wenn die brutale Gewalt, die auf dem
Grund der Gesellschaft liegt, zum Knurren und Grimassieren ge-
brackt wird, dann bedarf es der Haltung von Großmut und Religion,
um sie wie ein Gott als eine Kleinigkeit ohne jede Bedeutung abzu-
tun. Die erhabene Seele, heißt es weiterhin, findet Ruhe in dem
Wissen, dafl alle Dinge ihre Ordnung haben. Weite Ráume der
Natz7 wie der Atlantik oder die Südsee, lange Zeitspannen, Jahre
und Jahrzehnte sind ohne Bedeutung.
Und Reisen schließlich, als jene Möglichkeit, fremde Kulturen
oder auch das ‘Eigene im Fremden’ kennenzulernen, ist für
Emerson Aberglaube, ein Narrenparadies: Die Seele ist kein Rei-
sender; der Weise bleibt zu Hause, und wenn ihn seine Notwendig-
keite:: c.:7r sein; Pflichten einmal aus dem Haus oder in ein fremdes
Land rufen, so bleibt er letztendlich doch zu Hause und gibt den
Menschen durch seinen Gesichtsausdruck zu verstehen, daf? er als
: "küncer von Weisheit und Tugend kommt und daß er Städte und
Menschen wie ein Herrscher und nicht wie ein Eindringling oder ein
Lakai besucht.
Der Transzendentalist ist unmittelbar nur zum Göttlichen, das
Natur und Bewußtsein immanent ist. Die individuelle Seele ist
letztlich identisch mit der Weltseele (over-soul) oder All-Seele.
Der Mensch, der sich in sein Selbst versenkt, wozu reason (als
transzendentale Vernunft) und Intuition gehören, ist bei Gott als
dem universal-spirituellen Prinzip, ja, er wird selbst Gott. Selbst-
versenkung und die Doktrin vom inner light als puritanische Tra-
dition, Plotins psyche und der hinduistische Begriff des atman
flieBen in Emersons Begriff der over-soul zusammen: Von innen
heraus oder von hinten scheint ein Licht durch uns hindurch auf die
Dinge und macht uns bewußt, daß wir nichts sind, daß aber das
95
Licht alles ist ... Jede Reform zielt in einem bestimmten Menschen
darauf ab, der Seele (dem Licht) ihren Weg durch uns hindurch frei-
zugeocn ... Wir wissen, dafi alles geistig? Cein im Menschen ist ...
So gibt es keinen Riegel oder keine Wand in dcr Seele, wo der
Mensch, die Wirkung, endet und Gott, die Ursackz, beginnt. Die
Seele ist kein Organ, sondern der Mensch ist das Organ der Seele
(die Fassade eines Tempels), im schópferischen Menschen, im Ge-
nie, spricht die Seele aus dem Menschen. Der wahre Dichter wird
zum befreienden Gott, indem seine gesteigerte intuitive Móglich-
keit auch diejenige der anderen freisetzt.
Walt Whitman wurde für Emerson und in seinem Gefolge für
die spirituelle amerikanische 'zweite Revolution' zu diesem be-
freienden Gott.
Und nicht nur die heutigen amerikanischen Spiritualisten, son-
dern auch schon Emerson verankerte diese revolutionäre Potenz
in einem amerikanischen way of E/^, der weltweit wirkte: Wir
haben schon zu lange den hófischen Musen Europas gelausck: ...
Wir werden auf unseren eigenen Füßen gehen ... Zum ersten Mal
wird eine Nation von Menschen existieren, weil jeder einzelne sich
von der góttlichen Seele inspiriert fühlt, die alle Mznszzen inspiriert,
sagte Emerson in seiner Rede »The American Scholar« von 1837
Die Pragmatik der Umsetzung eines heterogenen philosophi-
schen Gedankenguts in amerikanische Lebensgestaltung, die
schon den Gründervätern zugesprochen wird, zeigt sich auch bei
Emerson, wenn er den Künstlern Amerikas empfiehlt, ohne
Nachahmung ein eigenes Haus zu erbauen, und wenn er jedem
einzelnen sagt: Wisse denn, daft die Wet für dich da ist ... Baue
deshalb deine eigene Welt. So schnell wie du dein Leben mit der rei-
nen Idee in deinem Geist in Einklang bringst, wird diese ihre großar-
tigen Properiionen entfalten.
Das unmittelbar zum Göttlichen stehende einzigartige Ich wird
wieder in Gesellschaft zurückgeholt, es muß tun, was ihm zugeteilt
ist, sich passiv dem durchgeistigten Y”.]en überlassen, denn es ist
ganz unmóglich, d..3 sich die rcine x. tausendzüngig beredte Seele
jemals zu einer Wieder! zlung herabläßt. Baue dein Haus: vielleicht
nennst c4 das deine: Schusterhandwerk, hundert Morgen gepflügtes
Land o.':r die Gelehrtenstube. Und auch in dieser Gesellschaft
gibt es die Wenigen — neben den Farmern, Seeleuten und Webern ei-
nige Personen von reinerem Feuer. So beschreibt Emerson die Tran-
06
szendentalisten, deren Gedanken sich nach dem Verfall dieser
Welt, dem Jahrmarkt der Technik, in einem vollendeteren System
reorganisieren: Bald schon werden diese Verbesserungen und tech-
nischen Erfindungen verdrängt, diese Lebensweisen aus der Erinne-
rung verschwunden sein, diese Städte verfallen, vom Krieg, von
neuen l'fircungen, von neuen Handelsstátten oder vom geologi-
schen Wandel zerstórt sein: alles dahin, wie die Muscheln, die heute
den Strand mit einer weißen Kolonie übersäen und sich ständig er-
neuern, um ständig zerstört zu werden. Aber die Gedanken, welche
diese wenigen Eremiten durch Schweigen wie auch durch Reden
auszudrücken bemüht waren — nicht nur durch das, was sie taten,
sondern auch durch das, was sie zu tun unterliefien —, diese Gedan-
ken werden in ihrer Schónheit und Kraft fortdauern, um sich selbst
in der Natur zu reorganisieren, um sich se! 5st erneut in einer ande-
ren, vielleicht höher begabten und glücklicher zusammengesetzten
Mischung als der unseren zu verkörpern, in vollendeterer Einheit mit
dem umgebenden System.
Im Gegensatz zur romantischen Sehnsucht und Schwermut,
der entropischen Grundstimmung, wird dem amerikanischen
Transzendentalismus Optimismus bescheinigt, der Pioniergeist
der amerikanischen Gründerväter.
Amerika als Matrix der Transformation, das Land der unbe-
grenzten } “elichkeiten und des manifesten Schicksals (Manifest
Destiny), das heißt der Bestimmung, sein Weltbild über den Kon-
tinent und darüber hinaus zu verbreiten, galt und gilt für die spiri-
tuelle Transformation wie für die materielle. Walt Whitman ist als
Poet des Manifest Destiny beschrieben worden, als Stimme der
Pioniere einer materiellen und einer spirituellen neuen Zeit. Er
sah sich, wurde und wird gesehen, einsam, als visionärer Künder
dieser von Amerika ausgehenden Erneuerung: Sing ich, einsam,
jetzt im Westen und erhebe meine Stimme für eine neue Welt ... Ich
werde die Gedichte der Materie dichten, denn ich denke, sie sind
dazu angctan, die besten Gedichte der Geistigkeit zu sein. Diese
Materie aber sind die neuen Menschen (eine neue Rasse, die alle
vorigen tiberragt, und weit grofartiger als sie) mit neuen Werken
(mit einer neuen Fulitik, neuen Literaturen und Religionen, neuen
Erfindungen und Kiinsten). Die Technologie ist Voraussetzung
dieses neuen Zeitalters, Pulsschlag Amerikas, der in die Welt
geht: Sieh, wie durch die Tiefen der Atlantis Amerikas Pulsschläge
97
Europa erreichen und Europas Pulsschläge prompte Antwort geben.
Und weiter beschwört er in zahlreichen Gedichten, besonders in
"The Passage to India«, das amerikanische Empire im Pazifik, das
schlieBlich die gesamte Welt zu einem einzigen Netzwerk zu-
sammenschlieft, die Menschen zu Brüdern und Schwestern
macht und ihre verlorene Harmonie mit der Natur wiederher-
stellt:
Alle Zuneigung wird vollkommen erwidert — das Geheimnis
wird vcrkündet werden;
Alle diese Trennungen und Spaltungen werden aufgehoben,
und zusammengespannt und zusammengefügt;
Die ganze Erde — diese kalte, teilnahmslose, sprachlose Erde,
wird vollkommen gerechtfertigt sein; . . .
Natur und Mensch werden nie mehr entzweit und zerstreut
sein;
Der wahre Sohn Gottes wird sie unauflöslich verschmelzen.
Die Schlußbotschaft ist jene transzendentale Einheit von Gott,
menschlichem Bewußtsein und Natur, wobei im Sinne des Tran-
szendentalismus der Natur keine eigenständige Existenz zu-
kommt, sondern sie das Sichtbarwerden Gottes und das Organ,
durch das der universale Geist zum Individuum spricht, ist (Emer-
son).
4.2 Amerikas spirituelles SendungsbewuBtsein
Die Expansion der Informationstechnologie als notwendige
Grundlage des Neuen Zeitalters, Amerika als Motor dieser mate-
riellen und dadurch erst môglichen spirituellen Revolution, der
Gedanke des Netzwerkes, der menschlichen Verbrüderung und
der transformative Bewuftseinssprung in den universalen Geist
sind die Gedanken, die auch die New Age-Bewegung der Gegen-
wart, oft mit den Worten Walt Whitmans, nach Europa trágt.
Aber schon 1930 hatte der Philosoph Hermann Keyserling, der
Begründer der Schule der Weisheit, dem deutschen Leser Amerika
als das Land spirituellen Erwachens vorgestellt: Amerika. Der
Aufgang einer Neuen Welt« ist zunächst eine heftige Kritik der
fortschreitenden Materialisierung Amerikas, seines Verharrens
Ox
im Tierideal, zu dem er auch die höchsten technischen Leistungen
zählt. Allerdings, und Keyserling argumentiert biologisch-evolu-
tionistisch, ist die Technisierung ein Zeichen dessen, daß der
Mensch eine neue biologische Stufe und Stellung erreicht hat, wel-
che neue Stufe ein unbedingt Positives darstellt, denn nur der techni-
sierte Mensch hat jenen Gleichgewichtszustand zwischen sich und
dor Umwelt erreicht, den jedes Tier selbstverständlich verkörpert.
Die neue Evolution im Zeitalter des Heiligen Geistes aber erst
wird den Menschen über inneres Wechstum zur Selbstverwirkli-
chung bringen, in jenem nachchristlichen Zeitalter, da jedermann
zum Sprachrohr Gottes dienen werde, einem reifen Zeitalter, da je-
der Mznsch, der das erforderliche Niveau erreickt hátte, sein Heil
von sich aus würde erarbeiten kónnen. Der Einseitigkeit der mate-
riellen Entwicklung in Amerika stellte Keyserling eine áhnliche
Einseitigkeit der spirituellen Entwicklung gegenüber, die er aus
dem Cesetz der Korrelation, das alles Organische beherrscht
(Wiederherstellung des gestórten Gleichgewichts über Kompen-
sation), herleitet.
Die New Thoughts eines Emerson und die Entwicklung der
Christian Science in Amerika sind ihm Beispiele dieser einseiti-
gen Kompensation. Primitiv und rudimentär war für Keyserling
diese Kompensation, aber in der Bejahung der aktiven Seite des
Geistes, wenn auch gláubig und nicht verstehend, doch Vorbote
des Zeitalters des Heiligen Geistes oder jener vollstándigen Spiri-
tualitát, für die die westliche Welt geschaffen ist. Hier kommt
wieder der Begriff der Korrelation zum Tragen. Der Mensch ist
machtvoll geworden, Herr der Schó»fung, und da der Geist inte-
griercmder Portendteiïl des menschlichen Organismus ist, mufl er
sich als irdische Macht in Korrelation zum Ganzen ausdrücken. Ist
der Mznsch auf allen Linien und Ebenen máchtig geworden, dann
muß sich auch seine Spiritualitàt in der Modalitàt der Macht und
nicht der Unterordnung, des Ethos und nicht des Pathos manifestie-
ren.
Der heutige Materialismus, der Sieg über die Materie — wofür
das eine 7 merika steht — als evolutionárer Schritt, ist Vorausset-
zung für die Evolution in das Zeitalter des Heiligen Geistes — wo-
für das Schicksal dem Korrelat-Amerika die große Verheißung in
die Wiege gelegt hat — zur vollendeten Selbstverwirklichung. Reli-
gion bedeutet nicht mehr Demut und Unterordnung, nicht mehr
99
Religionsgemeinschaft, sondern Ethos der Macht des spirituellen
Menschen: Doch wie und inwiefern würde Spiritualisierung die Welt
verwandeln? Am Auferlichen würde sie nichts ándern. Sie würde
das 7 trier im Menschen verlegen. Wiirde der moderne Mensch
sich <i <rivituellss Wahrheit bewuft, er wiirde erneut erkennen, was
allen g»~"en und ticfen Zeiten bewuft war, dB Tatsachen nur dann
vitale Bedeutung und Wert besitzen, wenn sie unmittelbar als Sym-
bole erlebt werden. D28 wahres Verstehen heifit: durch sie hindurch-
sehen und durch sie hindurchleben. Daft der Glaube an Tatsachen
als letzte Instanzen der gróbste aller Aberglauben ist. Und dann
würde von innen her, auf geheimnisvolle Art, eine Wandlung
erfolgen. Elias erwartete Gott als groflen und starken Sturm; Fr
aber kam als sanftes, stilles Sausen. Genau so würde es auch Jetzt
keinerlei gewaltsame Wandlung geben. Desto radikaler aber würe
sie. Das Tier-Ideal verstürbe eines natürlichen Todes. Umgebung,
Institutionen, Wissen, Erziehung würden automatisch ihre Bedeu-
tung einbüfien. Materieller Fortschritt würde nicht mehr als Ziel an
sich gelten. Und Gas Gesamtergebnis wäre, daß ein innerer spirituel-
ler Kosmos, des Menschen alleini;;? wahre Feimat, das ganze Ge-
bäude der modernen Vt durchdránge, erfüllte und zusammen-
hielte. Dies würde aber keine Restauration der alten Spiritualitët!--
deuten. Es handelte sich um eine neue und tiefere Spiritualität, £ :
wäre Ausdruck tieferen Verstehens. Und dank diesem tieferen und
geistigeren Verstehen allein wird dann der Mensch imstande sein,
sich als spirituelles Wesen in seiner neuen Rolle des Herrn der mate-
riellen Schópfung zu behaupten.
In Paul Solomons »Readings:, die er in einem Schlafzustand
von der Source empfängt, werden die Amerikaner auch in den
70er Jahren auf ihre Bestimmung aufmerksam gemacht, zumal
die alten Atlant-r bereits unter ihnen weilen: Dann, kündet es für
eine Zeitlang, daß diese Nation eine heilige Bestimmung und einen
heiligen Zwez*: Lat ... Und fügt der Botschaft eine Sache hinzu,
setzt jene, die i7 lehrt, davon in Kcantnis, daf dieses Land, mit sei-
nem neuen Schicksal, sehr wohl als das neue Atlantis bezeichnet
werden kann; besonders weil jene, die in jener Zeit lebten und den
Wandel in jenen Tagen sahen, wieder hier sind.
Robz:t Muller, the UN's Prophet of Hope, verdffentlichte 1982
seine »New Genesis« Und am ersten neuen Schópfungstag ver-
sammeln sich die Vereinten Nationen in Manhattan, und es ist
100
der Beginn des New Age: Und Gott sah, daß alle Völker der Erde,
schwarze und weiße, arme und reiche, von Nord und Süd, von Ost
und West, und von allen Religionen ihre Boten zu einem großen
Glashaus an den Ufern des „Rivers ef the Rising Sun“, auf dem Ei-
land von Manhattan, entsandten, damit sie zusammen lernen, zu-
sammen denken und zusammen für die Welt und alle ihre Menschen
sorgen. Und Cott sagte, daf3 es gut sei. Und es war der erste Tag des
Neuen Zeitalters der Erde. Und am siebten Schópfungstag durch
die Menschen verläßt Gott seine spirituell gereiften Kinder und
nennt ihre Erde Planet Gottes.
Marilyn Ferguson schließlich verlegt das Laboratorium des
Neuen Zeitalters nach Kalifornien. Nachdem sie die persönliche
Transformation zu einem Gesetz des ursprünglichen amerikani-
schen Traums erklärt hat, macht sie, unter Berufung auf Walt
Whitman, Kalifornien zu einer sagenhaften Insel, einer Insel der
*"ythen, zum heiligen Zufluchtsort des gefährdeten amerikanischen
rt'aums: V*nn Amerika frei ist, ist Kalifornien freier. Wenn Amerika
offen für Erneuerung ist, ist Erneuerung Kaliforniens Beiname. Ka-
lifornien unterscheidet sich nicht so sehr vom Rest des Landes, es ist
ein gesteigerter Zustand desselben. Kalifornien als Beschleuniger
des nationalen Charakters! Diesen gesteigerten Zustand weist
Ferguson nun mit Hilfe zahlreicher AutorenáuDerungen nach.
Zentral werden die pluralistische Umwelt (als Offenheit und To-
leranz fár Andersdenkende bezeichnet), die Experimentier- und
Innovationsfreude, zunächst im technischen und nun im spiritu-
ellen Fortschreiten, und immer wieder der ‘relative Wohlstand’:
Die Minschen in Kalifornien verfügen über das Geld, die Zeit und
die £ ct zukünftigen Komforts, um keine andere Alternative
zu haben als jene, sich ihren eigenen Angsten zi: stellen ... Der Rest
ist entweder zu sehr mit dem Überleben beschäftigt gewesen oder
war bereit, ein Vii tsystem zu akzeptieren, das von der Elite weiter-
gegeben worden war. In Kalifornien gibt es nicht nur kein allgemei-
nes Wertsystem, sondern Millionen Menschen haben die Gelegenheit
— uz. 1 viele von ihnen auch die Bildung —, um sich über die schreckli-
che Lese Cedanken zu machen.
2s ein Zentrum des spirituellen Experimentierfeldes in Kali-
fornien beschreibt Ferguson ausführlich das Esalen-Institut in
Big Sur und seinen Mitbegründer Michael Murphy, der achtzehn
Monate im Ashram von Sri Aurobindo war. Sie charakterisiert
101
ihn mit George Leonards Worten als einen Suchenden auf dem
amerikanischen Weg des sadhana. Man konnte ihn sich ohne weite-
res in einem Pullover vorstellen, niemals in einem wehenden weißen
Umhang. Das Esalen-Institut, in den 60er Jahren gegründet, war
zunächst wohl vor allem Experimentier- und Diskutierforum, in
dem sich große und sehr unterschiedliche Geister des Human Po-
rential Movement bewegten, wie Alan Watts, Abraham Maslow,
Gregory Bateson, B. E Skinner, J. B. Rhine, Carl Rogers, Paul Til-
lich, Arnold Toynbee - und auch der Student Carlos Castaneda.
Heute scheint es sich mehr und mehr zu einem jener Therapie-
zentren zu entwickeln, in dem die Menschen, die iiber Geld, Zeit
und Komfort verfügen und keine andere Alternative haben als jene,
sich ihren eigenen Angsten zu stellen, sich ihre Gesundheit des
Glücks (Roszak) kaufen können. Michael Murphy spricht von
sanfteren Bemühungen und verinnerlichten meditativen Methoden,
Kórperkultur ... feiner Energie der Kráfte, wàhrend Roszak 1975
im Bezug auch auf das Esalen-Institut von einem bedenkenlos he-
donistischen Verhalten sprach und fortfáhrt: Negativ schlágt bei
der Therapie wer menschlichen Möglichkeiten zu Buche, daß sie ihre
l'atienten zu of: sozial entwurzelt, indem sie ihnen praktisch jede Er-
fahrung ermöglicht ... bis auf die der Ungerechtigkeit der Welt ...,
die der materiellen Sorgen der M:tmzaschen.
Wenn Ferguson erklárt: Was in Kalifornien geschieht, wird letzt-
lich in Europa geschehen, dann gilt das nicht zuletzt für die Aus-
breitung der amerikanischen und amerikanisierten Therapie-
szene auf spiritueller Grundlage. Den pluralistischen Aneig-
nungsmóglichkeiten aus den Philosophien und Religionen der
Welt, ihrer Verklitterung, der Schopfung ständig neuer Methoden
und dem Bedürfniszuschnitt auf das amerikanische und europäi-
sche Publikum scheinen dabei keine Grenzen gesetzt.
Der organisatorische Leiter des von Shunryu Suzuki-roshi ge-
gründeten Zen-Zentrums Green Gulch bei San Francisco, der
Amerikaner Norman Fischer, sagte 1987 zu dieser bereits von Su-
zuki-roshi, der eine Zentralfigur für die Deatnik-Czene war, ein-
geleiteten Amerikanisierung: Nicht, daf wir gedacht hätten, nun
müßten wir einen amerikanischen Zen entwickeln. Es ergab sich
ganz ratürben ... Wir übertragen also nicht nur etwas von Japan
nach Amerika, sondern auch vom 16. ins späte 29. Jahrhundert. Wir
haben sogar versucht, genau den Zen des 16. Jahrhunderts zu über-
02
nehmen, was aber nicht von Dauer war ... Wir kónnen noch so sehr
versuchen, wie Japaner aus dem 16. Jahrhundert zu sein — wir schaf-
fen es nic’. Wir werden immer demckratisch und nicht so formge-
bunden bleiben. Daher sind nach und nach die ziemlich hierarchi-
schen und sehr formalen Ubungen, die wir iibernommen haben, de-
mokratisch und informal geworden. Und das würde ich den ameri-
kanischen Zen nennen. Dieses ‘demokratische und informale’
Sein wird mit der Lockerung des Reglements, mit dem Zu-
sammensein von Männern und Frauen, mit der Möglichkeit vom
strengen mönchischen Leben bis zu ein wenig meditieren, ohne
sich zu sehr zu engagieren, beschrieben. Diese ‘Demokratisie-
rung’, die ich eher als eine Anpassung an die Freizeit- Workshop-
Ansprüche des gewandelten Publikums (von den Bohémiens und
Beatniks der 50er zur bürgerlichen Mittel- und Oberschicht der
80er) bezeichnen würde, scheint, wenn ich an meinen Besuch
1982 in Green Gulch denke, sich bis zu diesen 1987 geduflerten
Einstellungen sehr beschleunigt zu haben.
Der aufgrund interner Spannungen aus Green Gulch ausge-
stiegene Nachfolger Suzukis, der Amerikaner aus der ehemaligen
Beatnik-Szene Richard Baker, erschließt neben seinem neuen
Zentrum in Santa Fe vor allem den europäischen Markt. Der
Begriff des Marktes meint hier ganz eindeutig auch den kommer-
ziellen Teil: Ich meine, daf3 wir wirklich mit Zen-Buddhismus in den
Mar? einsteigen sollten, also nicht nur in die Weit hinausgehen und
am LE" za teilhaben, aus dem Kloster hinausgehen, sondern in den
M 7t vordringen, wo die Mittel des menschlichen Lebens kommu-
niziert u-1 transpertiert werden. Auch Richard Baker betont die
notwendige Verwestlichung des Buddhismus: Ich glaube, daß der
Buddkismus fár westliche Menschen, ihren Identitütsbegriff und ihr
Bewuf.sein weiterentwickelt werden muß. Oder: Ich glaube, daß
ich noch viel besser als früher verstehen lernen muß, wie sehr die kul-
fure-'c^ " measionen des Buddhismus westlich sein müssen, damit
d... :n.z nur in formalen Übungen verharren. Wenn man ein
ni ts. - zur Bol:ême gehôrt, kann man solche Vz dnderun-
E-.. .. ^ vollziehen, weil man sich entschlossen hat, sich von der
Cole. Lou zu loses.
103
4.3 Spiritualität. Träume von Philobaten?
Sich-Lösen haben wir als ein Schlüsselwort des New Age ken-
nengelernt: Lösung von der Gesellschaft, der Familie, der Kultur,
von Geschichte, von Zeit und Raum.
Gert Raeithel hält dieses Sich-Lösen und die ständige Bewe-
gung, das Suchen nach Neuem, das Reisen ohne anzukommen für
einen Grundzug des amerikanischen Charakters. Diesen Grund-
zug weist Raeithel nicht nur über die Einwanderungsgeschichte
und das Go West nach, sondern auch in Dichtung und Politik, in
Erziehung und alltäglichem Umgang und insbesondere auch im
Sprachverhalten. Die Wórter der Mobilität durchdringen den
gesamten Sprachschatz, und das Wort beyond (jenseits) ist ein Wort,
das die Amerikaner über alles fasziniert, wobei es selbst hinter dem
Metarhysischen ... noch etwas Jenseitiges gibt. Dafür werden
Buchtitel wie »Beyond Telepathy«, »Deyond ESF«, »Deyond With-
in« (ein LSD-Report) und schlieBlich »Beyond the Beyond an-
geführt.
Und Raeithel schreibt in seinem psychohistorischen Versuch
über den Amerikaner weiterhin: Die irdische Fortschrittsglüubig-
keit der Amerikaner, der amerikanische Optimismus zeigt hinter
der Fassade einen schrecklichen Fatalismus, eine tief pessimistische
Untergangsstimmung, eine Sehnsucht nach Kóvperlosigkeit und
Selbstauflósung. Mit dieser Aussage bezieht er sich besonders auf
Walt Whitman. Gerade bei Whitman als Transzendentalist er-
weist sich aber, ebenso wie bei seinen New Age-Nachfolgern,
dai die Sehnsucht des Transzendierens, des Hinüberschreitens,
durchaus optimistische Züge trágt, námlich die Hoffnung auf die
unauflósliche Verschmelzung. Ehe wir diesen von Raeithel nicht
aufgestellten Gedanken weiterverfolgen und auf die psychoana-
lytische Kategorie des Philobaten im Sinne Balints befragen,
móchte ich drei literarische Aussagen vorstellen, die jene Sehn-
sucht des Transzendierens und der sich immer wieder von den
Dingen lósenden Bewegung auf das Jenseits hinter den Dingen
darstellen. Es sind eine Passage aus Emersons Essay » Natur, ei-
nige Verse aus Walt Whitmans Gedicht »Gesang von der freien
Strafe« und das Gedicht, mit dem Theodore Roszak sein Buch
»Das unvollendete Tier. Eine neue Stufe in der Entwicklung der
Menschheit« beschlieBt. Zwei Transzendentalisten und ein heuti-
104
ger Interpret und Anhänger des New Age, aber alle drei viel gele-
sene und zitierte Schlüsselfiguren der neuen Sehnsucht. Gehören
sie mit den Worten Emersons zu den Dichtern als befreiender
Gott, deren gesteigerte intuitive Möglichkeit auch diejenige der
anderen freisetzt?
Ralph Waldo Emerson:
Ich stehe auf der nackten Erde, mein Haupt umweht von linden Lüf-
ten und erhoben in die Unendlichkeit des Raums, und alle niedrige
Selbstsucht fállt von mir ab. Ich werde ganz zum durchscheinenden
Auge; ich selbst bin nichts und sehe doch alles; Stróme des allumfas-
senden Seins durchfluten mich; ich bin Teil oder Bestandteil Gottes.
Der Name des engsten Freundes klingt dann fremd und unwichtig:
mit jemandem verwandt oder bekannt zu sein, Herr oder Diener, al-
les wird zur Nebensáchlichkeit, ja zur Last. Ich bin nur noch Anbeter
einer grenzenlosen und unsterblichen Schónheit. In der Wildnis
finde ich etwas, das mir teurer und verwandter ist als die Dinge in
den Straßen und Dörfern. In der stillen Landschaft und besonders
in der fernen Linie des Horizonts erblickt der Mensch etwas, das der
Schönheit seiner eigenen Natur vergleichbar ist.
Walt Whitman:
Allons! Dem entgegen, das ohne Ende wie Anfang!
Um viel zu erdulden, Tagemärsche und Rast zur Nacht;
Um alles in Verbindung zu setzen mit den Reisen, auf die
es zielt; und mit den Tagen und Nächten, auf die es
zielt.
Und auch diese wieder aufgehen zu lassen in dem Aufbruch
zu noch köheren Reisen;
Und nichts irgendwo zu sehen, das du nicht erreichen und
über das du nicht noch hinausgehen könntest;
Um sich keine Zeit zu denken, wie fern sie auch sei, die du
nicht erreichen, und über die du nicht noch hinausgehen
könntest;
Keine Straße hinauf oder hinab zu blicken, die sich nicht für
dich ausdehnte und deiner wartete — so lang sie auch
sein mag, so dehnt sie sich doch für dich aus und wartet
auf dich;
105
Umkein Seinzuerschauen, weder Gottes noch sonst 'jemandes,
zu dem du nicht auch drängest; …
Um das Weltall selbst für eine Straße anzusehen, für viele
Straßen, Straßen für wandernde Seelen.
Alles weicht zurik gegenüber dem Fortschritt der Seelen.
Jede Religion, alle festen Dinge, Künste, Regierungen. —
Alles was auf dieser Erdkugel oder irgend sonst einer
offenbar war oder ist, fállt in Nischen und Ecken zu-
rück vor dem Zuge der Seele auf den großen Straßen
des All.
Aller andre Fortschritt ist das nötige Symbol und die nötige
Stütze für den Fortschritt der Seelen von Männern und
Weibern auf den großen Straßen des All.
Theodore Roszak:
Zwischen dem Dämon und dem Stern
die Z'-:t kennzeichnend
das Schlimmste erwartend
auf ein Wunder harrend
Es ist Ebbe
die Bucht liegt fast reglos unter dem
frühen ^! +:
graues Licht graues Wasser
Ich wandere entlang der morgendlichen erstorbene
Braun.
eingehüllt in Regen
von Wolken umgeben
Die Sirenen unsichtbarer Sch;
dringen von Ceorgia Etrait heriil...
Ab und zu gleiten die Schatten von Seevi
mit ausgebreiteten Schw;
durch den schleierartigen Nebel vorübe-
kommen und gehen
wie plotzliche Prophezeiungen
106
Ich weiß mit
Pestimmtheit
daß westlich dieser
wolkenverhüilten Küste
Inseln existieren, die über die
Inseln hinausreichen
Meine Gedanken sind — wie immer — in Aufruhr
von den Berichten über den täglichen Terror.
Ich schenke den Nachrichten zu viel
Beachtung
und lasse die Gezeiten der Ewigkeit unbemerkt
an mir vorbeihuschen
Ja, ich weiß,
daß die erbitterten Überzeugungen,
die die Erde spalten,
nagendes Unwissen, das Schäumen eines
wütenden Egos sind.
Aber das Leiden der Menschen ist Wirklichkeit.
Die Opfer sind Wirklichkeit, jedes einzelne.
Ich sorge mich um meine Tochter, kleines Mädchen
verirrt
in den dunklen Wäldern des Krieges
ich kann mic von meinen Gedanken
nicht frei machen . .. Aber laßt mich erzählen
was ich über die Inseln
vernommen habe
Ich kann die Schreie der Kinder
nicht hinwegmeditieren
in meinem Kopf kreisen ständig
Gedanken um ... Könnte ich euch
doch nur von den Inseln
erzählen
Ich wünschte, ich kónnte meine Gedanken
diesen tanzenden Mówen zum Frafi vorwerfen,
107
auf daß sie sie über die grauen Wellen hinwegtrügen,
und Licht und Frieden fänden auf dieser in der
Ferne dahinziehenden Wolke O Inseln
ihr Inseln
auf daß meine Aufmerksamkeit langsam zur Ruhe käme,
sich vollendete
in dem ruhigen, vollendeten Licht
zu einem Brennstrahl würde
ein Stern
An diesem Morgen
kann ich von meinem Standort aus
kaum die nächste Küste sehen
Die Schlußzeilen der ersten herausgerückten Insel-Strophe
heißen im Original there are islands beyond the islands, und eine
wörtliche Übersetzung dort sind Inseln jenseits der Inseln vermit-
telt die Sprachverdichtung des Gedanklichen in unserem Zu-
sammenhang wohl deutlicher. Wenn ich hier einige Schlüssel-
worte aus den literarischen Werken zur Interpretation heraus-
greife, dann mógen die ‘befreienden Götter’ mir das verzeihen,
ebenso die Literaturwissenschaftler.
Mir geht es um die anthropologische Frage, inwiefern sich ein
philobatischer oder objektschwacher Charakter des Amerikaners
darin manifestiert, wobei, wie es Raeithel ausdrückt, sich der
Vektor ins Überirdische verlängert, wenn die irdischen Ziele er-
reicht sind. Und mein Problem wird weitergehen und nach einer
Objektschwäche als Grundstörung im Zusammenhang der Sinn-
krise in der Moderne fragen.
Doch zurück zu Emerson, Whitman und Roszak. In Emersons
Zeilen ist der Zustand der grenzenlosen und unsterblichen Schön-
heit gewissermaßen in einem Augenblick der im fließenden
Raum angehaltenen Zeit erreicht. Der unendliche Raum ist das
Strömende, Durchflutende, Allumfassende, Göttliche, dessen Be-
standteil der Mensch jenseits, gelöst von menschlichen (neben-
sächlichen) Bindungen wird. Wildnis, die unberührte Natur und
108
der ferne Horizont sind sowohl die Medien als auch Bestandteile
der Erfahrung jener transzendentalen Einheit von Gott, Natur
und menschlichem Bewußtsein.
In Whitmans >Gesang von der freien Straße«, von dem ich hier
leider nur einige Verse wiedergeben konnte, ist die Bewegung zu
einem immer neuen Jenseits stärker als bei Emerson ausgedrückt.
Whitmans Gang auf der freien Straße scheint zunächst welt- und
menschenzugewandter, er ist voller Begegnungen, aber es heißt
immer wieder: Hier dürfen wir nicht verweilen. Und das Du, der
Kamerado, den er anspricht, ist wie das Zch (Fortan verlang ich
kein Glück; ich selbst bin das Glück; Wohin ich will, geh ich) letzt-
endlich ein menschlich einsamer Wanderer, jeder eine einzelne
Seele auf den großen Straßen des Al, jeder mit dem gleichen Ziel:
die Einheit, die Verbindung mit dem göttlichen Sein, die ohne
Ende wie Anfang ist. Und der Dichter ist auf seinem unaufhaltsa-
men W-3 der Werbende, der ‘befreiende Gott’ für die anderen:
Ich werde für mich und für euch werben, wo immer ich gehe. Ich will
mich ausstreuen unter Männer und Frauen, wo immer ich gehe. Und
auf diesem Weg wird schließlich auch die Welt zurückgelassen.
Aber die Dinge der Welt, der irdische Fortschritt sind das nötige
Symbol und die nötige Stütze für das Überschreiten in eine Stufe
des Seins, wo diese Werke in Nischen und Ecken zurückfallen .
Der Dichter Roszak vermittelt uns die Gespaltenheit zwischen
Lösung und Bindung, die Gespaltenheit zwischen zwei Wirklich-
keiten: der Wirklichkeit der gespaltenen Erde, der Leiden der
Menschen und der Wirklichkeit der Inseln jenseits der Inseln. In
der aus den Raumutopien aufgegriffenen Inselmetapher wird
das ozeanische Gefühl kosmischer Geborgenheit beschworen;
die Insel der Sehnsucht ist der Stern, in dem das vollendete Licht
der Gezeiten der Ewigkeit wie in einem Brennstrahl sich bündelt.
Es ist das Licht, das wir schon als die Immanenz des Göttlichen
im Menschen kennengelernt haben. Aber der Dichter kann die
Schreie d:r Kinder nicht hinwegmeditieren, er erwartet das
Schlimmste, harrt auf ein Wunder. Und auch hier ist die Meer-
landschaft Irraciationsphánomen einer Stimmung wie im roman-
tischen Naturerleben: reglos, grau, erstorbene Brandung, schlei-
erartige Nebel, ohne erkennbare Distanzen, und die Schatten der
Seevógel werden zu plótzlichen Prophezeiungen, zu Prophezei-
ungen dessen, was jenseits liegt.
109
Diese drei Dichtungen von Amerikanern wären ein schöner
weiterer Beweis für Raeithels These des philobatischen amerika-
nischen Charakters gewesen. Raeithel beruft sich für sein histori-
sches Psychogramm des Amerikaners auf den von dem Psycho-
analytiker Michael Balint herausgearbeiteten narzistischen Cha-
rakter eines objektschwachen Typus (“Philobat”), bei dem die
Ich-Funktionen überbesetzt sind und die Objekte als Menschen
und Dinge gemieden oder auch beiseite geráumt werden. Wie bei
dem objektstarken Gegentypus (“Oknophiler”) handelt es sich
nach Balint um eine Grundstórung, die auf das Geburtstrauma
und/oder frühkindliche Lósungstraumata zurückzuführen ist.
Diese Grundstórung ist die nicht überwundene Loslósung aus
der harmonischen Vermengung in der Ursubstanz, der Urform pri-
márer Liebe, wie sie der Fótus in seiner Umwelt ohne begren-
zende Objekte erlebt. Balint spricht von einem unstrukturierten
Ozean. Im Gegensatz zu der oknophilen Anklammerungsbereit-
schaft an Objekte, an Muttersymbole, wiederholt der objektschwa-
che Tvp das ursprüngliche Trauma, das ihn zwingt, die verlorene
Harmonie wiederherstellen zu wollen, indem er die Illusion [der
freundlichen Weiten] hegt und zu verwirklichen sucht. Raeithel
arbeitet die Verhaltensweisen dieses objektschwachen Typus für
den Amerikaner heraus: nämlich Objektumgehung als Lósungs-
bereitschaft und Vernichtung von stórenden Objekten auf der Su-
che nach der verlorenen Harmonie der freundlichen Weiten, die
objektlos und distanzlos sind; die grenzüberschreitende Phanta-
sie, das heiBt die materielle und immaterielle Bewegung auf die
Ziele jenseits; und schlieflich die Angstlust in der gefáhrdenden
Bewegung aus Sicherheitszonen als Regression in die Grundstó-
rung.
Der American Dream, sagt Raeithel, ist der Traum eines Philoba-
ten. Bestandteil des Traumes war seit jeher die self-reliance [>Self-
Reliance, Selbstvertrauen, erinnern wir uns, hieB einer der Es-
says Emersons, die den Weg zur Verschmelzung mit der A! Seele
wiesen]; einerseits die geistige und kulturelle Unabi ns „weit von
Europa ..., andererseits die persänlickz Unabhüngigke:t voa ^ ".
menschen und Gegenstánden ... Der wahre amerikanische 1'..4 ...
vertraut sich dem an, was für ihn freundliche Weiten sind — dem
Czean, dez Great Plains oder dem Weltraum. Die Amerikaner er-
scheinen als ein im wesentlichen transzendental orientiertes Volk.
110
Den vor allem im irdischen Bereich angesiedelten Beispielen
von Lösung und Grenzüberschreitung bei Raeithel konnten wir
die spirituelle Grenzüberschreitung, die Lösung von den Dingen
der Welt, die Ichbesetzung und Omnipotenz und die Suche nach
der verlorenen harmonischen Verschmelzung bei den amerikani-
schen Transzendentalisten und der New Age-Bewegung hinzufü-
gen, auch die Durchdringung von Spirituellem und Materiellem
im Sendungsbewußtsein als Manifest Destiny. Aber ist das ameri-
kanischer Charakter, nur amerikanischer Charakter? Hat der
Amerikaner eine objektschwache und der Deutsche eine objekt-
starke Grundpersönlichkeit, wie es Raeithel tendenziell sieht? Ist
die Romantik als deutsches Schicksal, womit wir dieses Kapitel
begonnen haben, dann die Schöpfung objektstarker Menschen?
Oder ist das nur die bürgerliche Rezeption einer selbst bei dem
Bürgerliebling Eichendorff antibürgerlichen Romantik? Eichen-
dorffs Lieder, sagt Raeithel, waren etwas für die Wunschträume der
sozial Gebundenen', die gar nicht die Absicht hatten, ihre Lebens-
welt aufzvzeben und keinen 'Erfüllungszwang' verspürten, wie die
Auswanderer. Kónnen wir diesen hier aufgeworfenen Wider-
spruch zwischen dem romantischen Dichter und seinen Rezi-
pienten auch zwischen den Schópfern der New Thoughts, des
New Ace und ihren Rezipienten, ihren Klienten und Patienten
festste len? Ist die Verschmelzung von Heimweh und Sehnsucht
nach der verlorenen und gesuchten kosmischen Harmonie die
schópferische Seite, Sublimierung der Objektschwäche, und sind
die spirituellen Adepten dagegen die sozial Gebundenen, die gar
nicht die Absicht haben, ihre Lebenswelt aufzugeben, die aus
dem Workshop in ihre Heimwelt nach Hause gehen, die sich nach
einer therapeutisch begleiteten philobatischen Grenzüberschrei-
tung wieder oknophil einrichten?
5. UNREIFE GESELLSCHAFT UND PRIMARE LIEBz
5.1 Die Suche nach der harmonischen Verschmelzung
Die Übertragung individualpsychologischer und psychoanaly-
tischer Kategorien, die in Raeithels Psychogramm eines amerika-
nischen Charakters noch von einer individualisierenden Argu-
mentationsbasis geführt wurde, auf gesellschaftliche Phánomene
ist trotz aller Umstrittenheit das Feld, auf dem sich die anthropo-
logischen und die psychologischen Wissenschaften in einem
durchaus wechselseitigen AustauschprozeB begegnen. Wenn ich
Gesellschaft als sinnstiftende und sinnvermittelnde Instanz des
objektiven Sinns betrachte, der intersubjektiven Wahrheitscharak-
ter haben und dem Einzelnen subjektiv gemeinten Sinn ermógli-
chen muß, wenn ich weiterhin von dem Bedürfnis nach einem
Identität gewährenden Vertrauen in den Haushalt und Ursprung
des Lebens ausgehe, dann kann ich bei einem Verlust des Vertrau-
ens, bei einem Auseinanderbrechen von objektivem und subjekti-
vem Sinn, von einer Sinnkrise als gesellschaftlicher, das heißt
struktureller, Grundstörung sprechen, die sich dem Einzelnen als
psychosoziale Grundstörung vermittelt. Ich behaupte, daß der
Moloch Moderne eine solche strukturelle Grundstörung darstellt,
und möchte fragen, ob die daraus erwachsenden psychosozialen
Grundstörungen objektschwaches oder objektstarkes narzißti-
sches Handeln bewirken. Wenden wir uns deshalb noch einmal
Balint zu. Balint gcht von einer Grundbeziehung, als Zweierbezie-
hung bezeichnet, des Menschen zu seiner Umwelt aus, die er pri-
märe Liebe nennt. Sie ist in ihrer reinen Form nur in der Beziehung
des Fôtus zu seiner Umwelt gegeben, aber Ziel allen menschlichen
Strebens ist es nach Balint, die allumfassende Harmonie primärer
Liebe zu erneuern. Diese Umwelt beschreibt Balint als undifferen-
ziert, objektlos, als Ursubstanz oder als unstrukturierten Ozean.
Umwelt und Individuum durchdringen sich gegenseitig, sie existieren
in einer ‘harmonischen Verschrünkung' ... Es gibt keine C'yekte in
dieser Welt, nur Substanz und Raum ohne Grenzen. Die Geburt ist
[12
ein Trauma, das dieses Gleichgewicht zerstört: Damit beginnt die
Trennung zwischen Mensch und Umwelt. Objekte einschließlich des
Ichs scheiden sich aus der Verschmelzung der Substanzen aus, die
Harmonie mit dem Grenzenlosen zerbricht. Im Gegensatz zu den
freundlicheren Substanzen besitzen die Objekte feste Umrisse und
scharfe Crenzen, die alsbald wahrgenommen und respektiert werden
müssen. Die L5..0 befindet sich nicht linger in einem Zustand
gleichfórmigen Flieflens vom Es zur Umwelt.
Wir kónnten hier im Sinne meiner These von dem Urbild der
strukturellen Grundstórung sprechen, die für das Neugeborene
eine psychosoziale Grundstórung bedeutet. Da Balint von einer
Zweierbeziehung ausgeht, siedelt er die Suche nach der verlore-
nen Harmonie im Neubeginn und in allen Lebensphasen in der
harmonischen Verschránkung der Zweierbeziehung an, wobei
der Partner in dieser 'primitiven Beziehung! die Rolle der Ursub-
stanz übernehmen soll (was Balint übrigens auch in bestimmten
Behandlungsphasen vom Analytiker erwartet).
Das letzte Ziel allen libidinósen Strebens, sagt Balint, besteht
also in der Wahrung oder Wiederherstellung der ursprünglichen
Harmonie. Unter Berufung auf Annie Reich und Freud spricht
Balint von der unio mystica oder dem ozeanischen Gefühl in der
Ekstase beim Orgasmus, bei dem die primáre Liebe für einen Au-
genblick wiederhergestellt ist. Dieser unio mystica, fáhrt Balint
fort, der Erneuerung der harmonischen Verschránkung der Person
mit den für sie wesentlichsten Teilen ihrer Umwelt, ihren Liebesob-
jekten, gilt das Sehnen der ganzen Menschheit ...; nicht jedermann
ist zum regelmäßigen Crgasmus oder einer harmonischen Partner-
schaft fähig. Indessen ist dies der gebräuchlichste Weg zur ursprüng-
lichen, harmonischen, ineinander aufgehenden Verschrinkung. Als
weitere Wege des Erwachsenen, dieses letzte Ziel zu erreichen,
sieht Balint die religiöse Ekstase, die sublimen Augenblicke
künstlerischer Schöpfung und regressive Stadien während der
analytischen Behandlung. Gemeinsam ist diesen Stadien, daß der
Mensch in diesen kurzen Augenblicken erlebt, daß alle Disharmo-
nie in der Welt aufgehört hat, daß er und die ganze Welt miteinander
in einem ungestórten Verstehen vereinigt sind, in einer vóllig harmo-
nischen, sich gegenseitig durchdringenden Verschmelzung. Daß Ba-
lint diese harmonische Verschränkung, in der das Beziehungsob-
jekt bzw. die Umwelt keine eigenen Interessen haben dürfen , einer-
“3
seits als primitive Beziehung bezeichnet, andererseits unter dem
Titel »Reife Liebe der Erwachsenen« abhandelt, erscheint mir nur
aus der Abgrenzung von einem primären Narzißmus verstehbar.
Antworten auf die Störung der ursprünglichen harmonischen
Verschränkung sind die oknophile (objektstarke) und die philo-
batische (objektschwache) Umweltbesetzung, die wir bereits ken-
nengelernt haben. Während der objektstarke Tynus die ursprüng-
liche Umweltbesetzung, die primäre Liebe, auf Objekte überträgt,
an die er sich kiammert, behalten in der objektschwachen Welt-
struktur die objektlosen Ráume - die freundlichen Weiten — ihre
primáre Besetzung, die sich nach Balint vor allem auch in einer
objektlosen Natur - Gebirge, Wüste, See und Luft - erfahren
lassen. In all diesen Beziehungen sind die besetzten Ob-
jekte/ Umwelten als solche interesselos, sie müssen da sein, um
in primäre Liebe regredieren zu kónnen. Obgleich Balint diese
Grundstórungsfolgen vor allem auf das Geburtstrauma zurück-
führt, sieht er durchaus die Móglichkeit, wenn auch im Rahmen
von Zweierbeziehungen bleibend, spáterer Grundstórungen im
Lebenslauf.
Balints Darstellung der primáren Liebe wird dem Leser in der
Zustandsdarstellung und im Vokabular vielleicht schon bekannt
vorgekommen sein. Die Ich-Umwelt-Verschränkung des Fôtus
und das kosmische Selbst! Die spirituelle Ókologie als Protest
gegen die spirituelle Zerstórung der Mensch-Welt-Beziehung
halte ich für den Versuch, eine strukturelle gesellschaftliche
Srundstórung zu überwinden, um in den Urzustand primárer
Liebe einzutauchen. Die Frage, ob es eine ‘primitive Beziehung”,
eine Regression oder die ‘reife Liebe’ von Erwachsenen ist, wird
uns noch beschäftigen.
Der Philosoph Kuenzli hatte bei einer Diskussion über Heimat
diese als Conditio humana im anthropologischen Sinn: als Ort
des Vertrauens, der Geborgenheit, der Sinnhaftigkeit, der Identi-
tät bezeichnet. Die kleinräumige irdische Heimat wird gleichzei-
tig als Erfüllung und Ersatz für den kosmisch heimatlosen Men-
schen gesehen. Und damit auch als ein Mythos, der als verklärte
und in der Erklärung mit Sinn versehene Erinnerunz bezeichnet
wird. In Anlehnung an Balint verlegt Kuenzli diese Erinnerung
in die individuelle Kindheit, den Ort der voremanzipatorischen
Unmündigkeit und der primáren Liebe. Und er verweist auf die
114
regressiven Gefahren einer kompensierten metaphysischen Ein-
samkeit, in der Heimat säkularisierte Mystik wird und schließlich
wie bei Marina Gambaroff der Orgasmus als Tor zur Heimat be-
nannt werden kann. Daf} die Psychoanalytikerin Gambaroff in-
zwischen Balints primäre Liebe in die New Age-Szene hineingetra-
gen hat, dort Vortragsrednerin ist, dürfte nicht mehr verwundern.
Bei diesen Heimatregressionen als Ersatz für die verlorene Ur-
form der primären Liebe handelt es sich immer um einen pas-
siven Anspruch auf Wiederherstellung der Harmonie: das Ob-
jekt/die Umwelt muß die harmonische Verschränkung gewisser-
maßen liefern, das Subjekt kehrt in Unmündigkeit zurück, in Un-
reife oder jene kulturelle Entlastung und Entlassung, die ich als
kulturellen Tod bezeichnet habe.
5.2 Gesellschaftliche Grundstörung und der Bürger als Kind
Erinnern wir uns im Zusammenhang mit den Gegenbildern
zum Moloch Moderne an die ‘harmonischen’ Rekonstruktionen
archaischer, primitiver und Folk-Gesellschaften. Lévi-Strauss
hatte sie als reife Gesellschaften bezeichnet, denen er die Unreife
unserer eigenen Gesellschaft entgegensetzte. Zentral war bei
allen Autoren die Interdependenz der materialen, sozialen und
ideationalen Elemente, einschlieBlich der religiósen Durchdrin-
gung der soziokulturellen irdischen Welt, des Versuchs, das
Gleichgewicht zu erhalten, und der frühzeitigen Integration des
Kindes in die kulturellen Aktivitáten dieser Gesellschaften, das
heift aber auch zur Miterhaltung des Gleichgewichts. Diamond
spricht von einer Individuation, die zu einer für das Ganze mit-
verantwortlichen Persónlichkeit, einer reifen Persónlichkeit wird.
Einer Persönlichkeit, könnten wir auch sagen, die Harmonie — als
Übereinstimmung zwischen dem Einzelnen und seiner Umwelt —
mitschafft, für den Haushalt des Lebens mitverantwortlich ist
und deshalb weder auf kindlich-passive Erwartungshaltung re-
gredieren kann noch muß. Wenn, so Diamond, die Gesellschaft in
der Person und die Person in der Gesellschaft ihren Ausdruck findet,
entsprechen der reifen Gesellschaft reife Menschen.
Die unreife Gesellschaft drückt sich dann ebenso in den unrei-
fen Menschen aus, die sie produziert. Diamond macht den Unter-
18
bL.
schied zwischen der primitiven Individuation und dem ideologi-
schen Individualismus (als Verdinglichung) bis zur pathologi-
schen Einsamkeit in der Moderne am Beispiel der Suche nach
der ‘romantischen Liebe’ fest. Sie ist Folge der Schrumpfung pri-
mitiver organischer Bindungen und ihrer Ersetzung durch staatliche
und kollektive [hier im Sinne des Fehlens gemeinsamer Inhalte]
Bande. Mit dieser Verlagerung sozialer Rechte und Pflichten auf
die Verschránkung abstrakte Gesellschaft und Individuum hatten
wir uns im Moloch Moderne beschiftigt. Der Staat — als Wohl-
fahrtsstaat — übernimmt nicht nur die Rolle von Gesellschaft,
sondern signalisiert gewissermaßen die Funktion von Ursub-
stanz, in die der Bürger als Kind, und das heißt als passiv Emp-
fangender, eingefügt ist und, gleichzeitig total abhängig von
dieser Umwelt, die Ordnung des Chaos (als Beseitigung stören-
der Objekte) und die wechselseitige Durchdringung vermittelt
bekommt.
Alexis de Tocqueville hatte in seinem 1835/40 erschienenen
Werk über die Demokratie in Amerika bereits eine Prognose über
die Entwicklung demokratischer Gesellschaften zum Moloch
Moderne gegeben, die in ihrer Vorausschau auf die Entwicklung
zu einer unreifen Gesellschaft erschreckend wahr ist. Er sagt
dort: Die Unterdrückung, die ein demokratisches Volk bedroht, wird
meines Erachtens in nichts einem früheren V»rgang gleichen ... Ich
sehe eine zahllose Masse Menschen, die einander gleich und
gleichgestellt sind und sich ruhelos mit sich se!bst befassen, um sich
kleine Freuden 6.3 Alltags zu verschcffea, die ihre Ceele erfüllen. Je-
der von ihnen, für sich genommen, stci.t wie ein Fremder dem Ge-
schick der andern gzgenüber; seine Kinder und seine einzelnen
Freunde stellen für ihn das ganze Menschengeschlecht dar; ...
Über diese Masse Menschen erhebt sich eire gigantische Ge-
walt, die diese Menschen bcvormundet und es überzimmt, Zin fiir
die Befriedigur: ihzes Lustgefühls zu sorgen und zer ihr Schicksal
zu wc-hen. Diez? Cewalt ist unbedinz:, G.fsegli-ic-*, regelmáflig,
vorsici.z; und freundlich. Sie gliche wohl der väterlichen Gewalt,
hátte sie, wie diesz, die Vorbereitung der Menschen auf das Mannes-
alter zum Ziel; doch sie sucht ja im Gegenteil nichts anderes, als den
Menschen unwiderruflich in ewiger Kindhe:t festzuhalten ... Sie
sorgt für seine Sicherheit, sieht voraus und stellt sicher, wcssen er be-
darf, erleichtert seine Vergnügen, führt seine Gescháfte, lenkt seine
116
Industrie, ordnet seine Erbfolge, verteilt seinen Nachlaß ... sie
schränkt das Wirkungsfeld des Willens schließlich auf einen ganz
kleinen Raum ein und nimmt so jedem Bürger allmählich alles —
selbst seine Persónlichkeit und das Verfügungsrecht über seine ei-
gene Kraft ... Nachdem der Staat so allmählich jedes Indivi-
duum in seine machtvolle Hand genommen und nach seiner Art ge-
formt hat, beginnt er die Gesellschaft als Ganzes mit seinen
Armen zu umfassen. Er bedeckt ihre C5e*fláche mit einem Netz klei-
ner und verwickelter, kleinlicher und gleichfórmiger Normen ... Un-
sere Zeitgenossen werden unablássig von zwei miteinander unver-
einbaren E*nfindungen hin und her gerissen: sie fühlen das Bedürf-
nis, geführt zu werden, und das Verlangen, frei zu bleiben. Da sie we-
der die eine noch die andere dieser beiden gegensátzlichen Neigun-
gen aushalten kónnen, bemühen sie sich, beiden Genüge zu tun. Sie
schaffe das Bild einer einzigen, schützenden, allmáchtigen Gewalt,
die jezozh von den Bürgern gewählt wird. Sie verbinden Zentralisa-
tion und Volkssouveránitát. Irgendwie beruhigt sie diese Verbin-
dung. In (zm Ccdanken, ihre Vcrmünder selbst gewählt zu haben,
finden sie sich mit der Bevormuncung ab. Jeder einzelne duldet die
Giingelung, wenn c= sieht, daf nicht ein einzelner oder eine Klasse,
sondern das Volk selbst die Kette hält, die ihn bindet. Bei solchem
System verlassen die Bürger nur für einen Augenblick die Abhängig-
keit — um ihre Herren zu wählen; dann fallen sie wieder in sie zu-
rück.
Die harmonische Verschränkung zwischen interesselos lust-
spendender Umwelt und lustempfangendem Abhängigen ist in-
tentional dem Wohlfahrtsstaat ebenso eigen wie das demokrati-
sche Versprechen, daß die Gesellschaft in der Person und die Per-
son in der Gesellschaft ihren Ausdruck findet oder im Sinne von
Rousseaus Gleichheitspostulat eine Identität von Regierenden
und Regierten, Führung und Geführten besteht. Diese letztere
demokratische Ideologie konnte sich in den real existierenden
Demokratien der industrialisierten Staaten nicht verwirklichen,
da der Prozeß Gcr Zivilisation (Elias) zu immer stárkerer Zentrali-
sierung von Macht und Bürokratisierung als Verwaltung von
Menschen und Dingen geführt hat - und damit die Abhängigkeit
und Unmündigkeit des Individuums über die Kindheitsphase
hinaus in alle Lebensphasen verlängerte: den unreifen Menschen
produzierte.
117
Für Levi-Strauss schaffen die unreifen Gesellschaften, die er
auch als heiße Gesellschaften, als Fortschrittsgesellschaften be-
zeichnet, immer mehr Entropie, auch in den sozialen Beziehun-
gen.
Levi-Strauss’ Gedanke nun allerdings, daß die heißen Gesell-
schaften den Prozeß der Entropie auffangen können, indem sie
zur Verwaltung von Dingen — die fiir ihn eben Kultur bedeutet —
und czzurch zur Schaffung einer immer reicheren und komplexe-
ren Czcnung gelangen, kann ich so nicht unterschreiben. Es ist
die Vorstellung, in der Bürokratie sich verwirklicht hat, wobei die
Verwaltung von Dingen sich ebenso auf die Verwaltung von Men-
schen erstreckt.
Diese Ordnung ist eine unauthentische aus zweierlei Gründen:
sie verhindert die ordnende Selbstregulation, die Lévi-Strauss als
Positivfaktor der kalten Cesellschaften hervorgehoben hat, und
sie verhindert gleichzeitig innovatorische Prozesse, die als Um-
und Meuordnung im materialen, sozialen und ideationalen Be-
reich die Dynamik von Kulturen kennzeichnen. Kulturelle Ord-
nung kann eben nicht auf die Verwaltung von Dingen reduziert
werden, sondern umfaßt alle Komplexe eines Haushalts des
Lebens und seiner Gestaltung.
Die Schaffung einer unauthentischen Ordnung, die den gesell-
schaftlichen Prozeß des allseitigen Fortschritts und die sich dar-
aus ergebenden Gefahren sozialer Entropie zu dämmen versucht,
sehe ich als vorläufig letzte, das heißt herrschende, Station der
heißen Cesellschaften, die sie auf scheinbar kalte Gesellschaften
zurücksc.raubt: es ist die Bürokratie, einschlieflich jenes Charis-
mas, Gas Max Weber als Amtscharisma bezeichnet hat. Die Büro-
kratie hat neue P.tuale eingeführt, die durchaus auf eine Verlang-
samung, ja auf einen Stillstand der Ceschichte und das heift
auch innovativer Prozesse zielen, um den sozialen und kulturel-
len Status quo zu erhalten. Was Friedhart Hegner in seiner Arbeit
über »Das bürokratische Dilemma« als bürokratischen Teufels-
kreis t...cichnet hat, ndmlich die wechselseitige Reduktion von
Móglichkeiten, aus denen heraus informell-solidarisches Han-
deln als Leistungs- und Kooperationsbereitschaft stándig erneu-
ter Formalisierung von Problemlósungen ausgesetzt wird, bedeu-
tet nicht nur soziale, sondern auch kulturelle Entropie, sozialen
und kulturellen Tod durch eine eben unauthentische Ordnung,
[18
die zur Erstarrung führt, aber nicht wie in den Ritualen der kalten
Gesellschaft, die Erdheim mit einem Kühlsystem vergleicht, dazu
dienen soll, die Folgen der Machtverteilung in diesen Gesellschaften
zu neutralisieren.
Der *Fachbeamte' als Sprachrohr der unsichtbaren Stimme der
alles lenkenden Zentralmacht bestimmt die Ordnung. Wo aber der
moderne eingeschulte Fachbeamte einmal herrscht, ist seine Gewalt
schlechthin unzerbrechlich, da die ganze Crganisation der elemen-
tarsten Lebensversorgung dann auf seine Leistung zugeschnitten
ist, so schon Max Weber. ... und man glaubt hier wie anderswo mit
der Bes_sscz:}eit ees F-tischisten, dafi sich alle Übel unserer Gesell-
schaft durch strukzurc:le Veránderungen und organisatorische Maß-
nahmen ausschalten liefien, argumentiert Anton Zijderveld gegen
die Bürokratisierung in der abstrakten Gesellschaft.
Die bürokratische Erstarrung hált nicht die Dingproduktion
als technologische Überproduktion auf, denn hier, in die ókono-
misce 2ationalitát, kann und darf sie nicht eingreifen. Was sie
aufhält und unterdrückt, ist das kulturell vernünftige Handeln
reifer Menschen in einer reifen Gesellschaft. Die Bürokratie ist
Ergebnis und Verstärkungsinstanz einer gesellschaftlichen, und
das heißt strukturellen Grundstörung.
Diese strukturelle Grundstörung resultiert aus der Sorge-An-
mafung .zr Staaten in abstrakt gewordenen Gesellschaften über
die Wohlfahrt (total welfare!) ihrer Bürger. Sie ist zunächst das
Gegenteil jener strukturellen Grundstörung, die sich aus der Um-
weltdifferenzierung für das aus der Ursubstanz entlassene Neu-
ceborene ergibt und zu dessen von Balint aufgeführten psychoso-
zialen T:egressionsversuchen führt. Hier handelt es sich um eine
s.rukturelle Grundstórung, bei der die Individuen an einem Rei-
fungsprozeB in die Gesellschaft gehindert werden, in einer se-
kunciren Ursubstanz wiederaufgehoben werden, die scheinbar
auf einer gesellschaftlichen Ebene harmonische Verschránkung
zurüc:gibt. Der Mensch in lebenslanger Kindheit und Unmün-
digkeit gehalten — diesen ‘utopischen’ Zustand haben uns zahlrei-
che Anti- 1. .opien beschrieben, und vor kurzem haben wir das Or-
wellsche Jahr 1984 gehabt und uns fragen kónnen, ob der in be-
sagtem Buch beschriebene Zustand bereits eingetreten is:
119
5.3 Zwischen Heimwelt und Protest
Wenn aber der Mensch auf Reifung, das heißt einen Meubz-
ginn und eine Fortentwicklung nach der Entlassung aus der pas-
siven Abhängigkeit zu aktiver Teilhabe an der Gestaltung und
Verwaltung (im anthropologischen Sinne zu kultureller Kompe-
tenzentfaltung) des Haushalts des Lebens (des oikos!) angelegt
ist - wir könnten auch sagen auf reife, tätige Liebe -, dann müßte
die Fixierung auf passive harmonische Verschränkung zu psycho-
sozialen Crundstörungen als Reaktion auf diese strukturelle ge-
sellschaftliche Grundstörung führen.
In den sogenannten liberalen Demokratien der kapitalistisch
orientierten Industriegesellschaften werden sowohl die struktu-
rellen als auch die psychosozialen Grundstörungen deutlicher,
was wir aus der Unterproduktion von Sinn gegenüber czr techno-
kratischen — und nicht sinnuntermauerten - Uberproduktion er-
klären können. Das Doppelgesicht des Molochs Moderne aller-
dings - das Versprechen von gebender Wohlfahrt und Sicherheit
und die Freigabe von Nischen partieller Aktivitütsentfaltung und
Sinnverwirklichung, insbesondere in der Heimwelt — verschleiert
die strukturelle Grundstörung. Ihre Folge, die psychosoziale
Grundstörung einer Flucht in eine vor- und außergesellschaftli-
che harmonische Verschränkung in einer Minimalumwelt, wird
zum objektiven Sinn in der Gesellschaft stilisiert, dessen 'inter-
subjektiv wahre’ Vermittlung *heiler Heimwelt' durchaus im sub-
jektiv gemeinten Sinn verankert werden kann. Der kulturelle Tod
wird nicht wahrgenommen. Es wird ein oknophiler (objektstar-
ker) *vpus sozialisiert, dessen Objektanklammerung (der Besitz
von 1llaus, Position, Familie, romantischer Liebe usw.) erst bei
Verlust zu wahrgenommenen psychosozialen Störungen führt.
Die Heimwelt — als reduzierter Haushalt des Lebens — kompen-
siert sowohl kosmisch-pránatale als auch gesellschaftliche Hei-
matlosigkeit, indem sie sowohl die mógliche Regression in die
Passivitát des Umsorgt-/ Geliebtwerdens als auch die Entwick-
lung in die Aktivität des Sorgens / Liebens / Gestaltens suggeriert,
die in ihrer Beschränkung im gesellschaftlichen Kontext ebenso
eine Regression bzw. eine Ersatzhandlung darstellt.
Wenn Raeithel auch für den amerikanischen Charakter einen
Übergang von der Objektschwäche zur Objektstärke andeutet,
{
dann bestätigt dies meine These, daß der Moloch Moderne tenden-
ziell oknophile Typen, die sich an Objekte anklammern, als Produkt
der strukturellen gesellschaftlichen Grundstórung sozialisiert. Der
die grenzenlosen und objektlosen Weiten liebende Pionier kehrt in
die Heimwelt ein, die ihm durch Wohlfahrt garantiert wird. Wohl-
fahrt war nicht die Sache der amerikanischen Pioniergesellschaft,
auch nicht die der jungen amerikanischen Demokratie, die den
Neubeginner forderte und die Aktivitát der individuell verantwort-
lichen Umweltaneignung überforderte, indem sie den Menschen
die passive Seite des gesellschaftlichen Geborgenseins verweigerte.
Der objektschwache Typus als Folge einer psychosozialen Grund-
stôrung wäre dann hier ebenso auf eine strukturelle gesellschaftli-
che Grundstórung, die des Nicht-in-Einklang-Bringens von gesell-
schaftlicher Geborgenheit und individueller Selbstverantwortlich-
keit, zurückzuführen. Auch der Philobat ist ein gesellschaftliches
Produkt. Solange seine mobile und objektschwache Grundhaltung
in der Übereinstimmung von objektivem und subjektivem Sinn be-
stätigt wird, muB sie nicht als personale *Krankheit' oder Versagen
empfunden werden.
Am Beispiel eines herausragend mobilen Typus - des Nicht-
seDhaften — kónnen wir uns dies verdeutlichen. Raeithel hatte im
Vergleich der amerikanischen Western-Songs mit deutschen Wan-
derliedern und deren Heimweh-Betonung die positive Besetzung
der mobilen, grenzüberschreitenden, sozial einsamen Rastlosig-
keit der Westerns herausgearbeitet: Der Pionier, der Scout, der
Goldgráber, der Bergarbeiter ist immer bereit, seine Umgebung zu
wechseln, einen neuen Weg einzuschlagen. Das kollektive Gedácht-
nis hat diese Erfahrung bis heute bewahrt, und auch der Tramper,
der Landstreicher, der ohne Jobsuche reist, war nicht nur bei den
Beatniks ein bewunderter Typus, wenn bei ihnen auch die See-
lenverwandtschaft am stárksten betont wurde. In Jack Kerouacs
»On the Road« wird diese Gemeinsamkeit der Tramperfahrung
immer wieder betont. Der deutsche Wandernde, der Mobile, da-
gegen hatte Heimweh zu haben, bis er als "Wanderbursche' wieder
'"heimkehrte aus dem fremden Land’. Stándig wandernde Berufs-
gruppen, das ‘fahrende Volk’ und ethnische Gruppen mit Wan-
derberufen dagegen gehórten, wenn sie nicht zu den »Unehrli-
chen Leuten« (Danckert) gerechnet wurden, doch auf die unterste
Skala der sozialen Wertschätzung. Das betraf insbesondere die
iU
berufslosen Landstreicher, und heute betrifft es die Stadtstrei-
cher oder Obdachlosen, das heit die sozial auffálligen NichtseB-
haften in den modernen Industriestaaten. Diese nun werden in
einer Untersuchung von Ronald Lutz über »Frauenvorstellungen
nichtseBhafter Mànner« als ungewollt mobile NichtseBhafte be-
zeichnet, deren Wanderung als Rückkehr oder als Rückkehrhoff-
nung in ein geregeltes Leben mit dem Stereotyp vom Häuschen
mit Garten, einer liebevollen Ehefrau und einer guten Verdienst-
móglichkeit gesehen wird. Im Gegensatz zu Mertons Einordnung
der Landstreicher in seiner Typologie abweichenden Verhaltens
als Rückzugstyp (Aufgabe der kulturellen Ziele und der institu-
tionalisierten Mittel zur Erreichung derselben) sieht Lutz den
Obdachlosen eher als Anpassungstyp der intentionalen Konfor-
mitát, das heiBt der Übereinstimmung mit den gesellschaftlichen
Zielen und Mitteln des bürgerlichen Konservativismus. Die Nicht-
Angepabtheit ist eine situative, keine intentionale. Gerade aus
der Untersuchung der Frauenbilder dieser NichtseBhaften ergibt
sich die objektstarke Besetzung des situativ Objektschwachen:
Objekt ist die eine Heimwelt (Haus und Garten) und den dazu
gehôrenden Mann umsorgende Frau, die diesem Mann als in-
teresselos Lustspendende seinen bürgerlichen Status zurückgibt.
Lutz nennt es den Mythos der Wiedergefundenen, womit er auf die
positiven idealisierenden Mutterbesetzungen der NichtseBhaften
anspielt. In Balints Interpretation wäre es die Suche nach der pri-
mitiven Beziehung einer harmonischen Verschränkung, bei der
das Objekt/die Umwelt keine eigenen Interessen haben darf.
Die These, daB die kulturelle Grundpersónlichkeit als vorherr-
schender oder Durchschnittstypus einer Gesellschaft an Extrem-
varianten besonders deutlich wird, bestätigt auch Lutz in seinem
EF -nitel >»Zum Ausklang: Männer«.
alten wir hier noch einmal inne, ehe wir uns dem spirituellen
- 7otest zuwenden, und versuchen, den bisherigen Gedankengang
& saimunenzufassen. Ich habe die moderne Gesellschaft als einen
Moloch Moderne dargestellt, in dem eine pervertierte Demokra-
tie Cun C:aat zum Synonym von Gesellschaft macht. Das verein-
zeite I Zividuum wird nicht mehr zu einer reifen, konkrete Ce-
sellschaft gestaltenden und für sie sorgenden Persónlichkeit indi-
viduiert, sondern steht unmittelbar als Kind im Bürger, als Emp-
fangender, zum abstrakten (Wohlfahrts-)Staat. Damit eignet sich
(6d
der Staat die Rolle von ‘Ursubstanz’ an, suggeriert ‘harmonische
Verschránkung'. Wenn der Mensch konstitutionell nur auf pas-
sive GCeborgenheit und Versorgtwerden, und das heiBt Unreife,
angelegt wire, wire dieses das menschheitsbegliickende Modell.
Ich habe dieses Modell aber als eine strukturelle gesellschaftliche
Grundstórung bezeichnet und auf eine Sinnkrise zurückgeführt.
Diese Sinnkrise, die wir zunáchst am Beispiel der gesellschaftli-
chen Trennungen, dem Zerfall des alle Lebensbereiche umfassen-
den Haushalts des Lebens und dem Auseinanderbrechen von ob-
iektivem und subjektivem Sinn dargestellt hatten, kónnen wir
jetzt um das Phánomen der Verhinderung von Reife erweitern.
Reife wird als die Ausbildung kultureller Kompetenz und Verant-
wortung bei der Gestaltung von Gesellschaft gesehen. Unreife ist
die Passivität der vorkulturellen Erwartungshaltung an eine har-
monische Verschränkung oder im Sinne Balints der fôtale Zu-
stand. Für den erwachsenen Menschen bezeichne ich dieses als
kulturellen Tod.
Wenn weiterhin der Mensch ein homo duplex (Zijderveld), ein
Doppelwesen, ist, der einerseits als passiv Empfangender auf
Ich/ Umwelt-Harmonie angewiesen ist und andererseits als aktiv
Gestaltender Ich / Umwelt-Harmonie herstellen muf, dann wird
die strukturelle Grundstórung der Moderne besonders deutlich:
beide Seiten werden nicht befriedigt.
Daß die strukturelle gesellschaftliche Grundstórung nun nicht
von einer umfassenden offenen psychosozialen Grundstórung
begleitet wird, kónnen wir uns aus der gesellschaftlichen Kon-
struktion des Rückzugsraumes Heimwelt erkláren, in dem die
psychosoziale Grundstórung über ein Ersatzobjekt bzw. eine Er-
satzumwelt aufgefangen wird. Damit wird mit dem Begriff Ba-
lints eine oknophile bzw. objektanklammernde Grundpersónlich-
keit sozialisiert. Diesen vorherrschenden Typus nun nur als
Rückzugstypus zu bezeichnen halte ich für zu kurz gegriffen,
denn dieses beinhaltete die bewufte Ablehnung kultureller Mit-
tel und Ziele. Er ist vielmehr der Anpassungstypus oder Konfor-
mist, der sich in seinem subjektiv gemeinten Sinn mit dem objek-
tiven Sinn einig weiß, wobei er nicht realisiert, da dieser von
ihm internalisierte objektive Sinn gewissermaßen ein Ablen-
kungsmanöver aus der gesellschaftlichen Grundstörung darstellt
und somit auch keine psychosoziale Grundstörung verarbeitet.
173
Neben diesen Formen der unreflektierten und damit nicht be-
wußten Einfügung in die Ersatznischen (Ersatznischen, weil eben
im Gegensatz zur echten ökologischen Nische die Selbstregula-
tion nur eine scheinbare ist) eines Haushalts des Lebens haben
wir bereits Protestformen kennengelernt, die als Protest gegen die
Zerstörung der materiellen Mensch-Welt-Beziehung und der
soziokulturellen Mensch-Welt-Beziehung im Moloch Moderne
Modelle und Aktivitäten entwickeln, um das gestörte Gleichge-
wicht im Haushalt des Lebens zu überwinden. Es sind Aktivitä-
ten, die tendenziell auf die Rückgewinnung des reifen Menschen
in einer reifen Gesellschaft zielen, auf die Überwindung des kul-
turellen Todes. Daß auch bei diesen Protestformen, in denen die
strukturelle gesellschaftliche Grundstörung als psychosoziale er-
lebt wird und letztere durch die Beseitigung der strukturellen
Grundstörung aufgehoben werden soll, die sozialisierte objekt-
anklammernde Grundpersönlichkeit durchschlägt, zeigt sich hier
dann insbesondere in einer vielleicht weniger konformistischen
als eher resignativen Anpassung, einem Rückzugsverhalten oder
der Flucht in eine Heimwelt, sei es schließlich die bürgerliche
von Heim und Familie oder die antibürgerliche von isolierter
Kommune, Zweier-Beziehung oder auch singulärer Wanderung
aus allen Bezügen: das Reisen ohne anzukommen oder die ob-
jektschwache Reaktion. Objektstärke und Objektschwäche sind
hier - und werden auch oft so erlebt — individuelle regressive Re-
aktionen auf den gescheiterten Versuch, die strukturelle gesell-
schaftliche Grundstórung zu beseitigen, aber gleichzeitig zeigen
sie die Resistenz des internalisierten Individualismus, den wir
auch als Ego-Trip bezeichnen.
24
6. SPIRITUELLE ÖKOLOGIE
6.1 Repolitisierung der Spiritualität?
Die Überlegungen zum Protestpotential in der Moderne füh-
ren uns wieder auf die ‘spirituelle Ökologie”, die in der Selbstdar-
stellung als Ökologie des Geistes (Roszak nach: Bateson) oder
tiefe Ökologie (Capra nach: Sessions) bezeichnet wird. Ihre geisti-
gen Führer und interpretierenden Sympathisanten sprechen von
einer Evolution des Bewußtseins, einer revolutionären Evolution
oder von einer Revolution, wobei die Wiederherstellung des
Gleichgewichts im irdischen Haushalt des Lebens über den kos-
mischen Bewußtseinssprung der Person, ihre harmonische Ver-
schränkung mit dem Kosmos sich ereignen soll. Der Moloch Mo-
derne soll über das Manifest der transzendierten Person geschla-
gen werden. Sind sich die gegen die spirituelle Mensch-Welt-
Trennung protestierenden Ökologen mit den Natur- und Human-
ökologen hinsichtlich der Kriterien der Gleichgewichtsstörun-
gen auf der Erde und der strukturellen gesellschaftlichen Grund-
störung ziemlich einig, so sind ihre Gegenbilder und ihre Gegen-
strategien doch andere, selbst wenn sie, was im Geflecht der spiri-
tuellen Ökologie eher selten ist, erdzugewandt bleiben und sich
politisch verstehen.
Ein gutes Beispiel dafür ist Theodore Roszak, der sich neuer-
lich allerdings merklich von der spirituellen Orientierung weg
und auf eine Kritik der technisierten Informationsgesellschaft
zubewegt. In dem 1975 veróffentlichten Buch »Das unvollendete
Tier« bezieht er die Ökologie des Geistes noch ausschließlich auf
einen evolutionären Bewußtseinssprung, ohne diesen auf seine
Folgen für einen Wandel der materiellen und sozialen Welt zu
hinterfragen. Wir sind um mehr als nur Brot und Gerechtigkeit be-
trogen we: en ... Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit — alles ganz
gut und schön; nur wie steht es um die geistige Gesundheit? ... Eine
gesunc? Ceistesókologie zu schaffen ist das Ziel im Grenzbereich
der Aquarianer! ... Der menschliche Geist hat nach Ausschópfung
5
seines Spielraums keine andere Möglichkeit, als die „andere Seite
des Lebens“ zu entdecken, indem er im Kampf gegen Resignation
und Destruktion sein visionäres Ziel findet ...; therapeutische Grup-
pen und visionäre Gemeinschaften ... dringen immer tiefer in den
aquarianischen Crenzbereich ein, wo die Technokratie keine Macht
mehr hat, und bilden, die alte vortàuschend, die neue Gesellschaft.
In dem 1978 veróffentlichten »Mensch und Erde auf dem Weg zur
Einheit« wird der Begriff Ökologie zunächst eher in Übereinstim-
mung mit der naturwissenschaftlichen Ökologie benutzt. Er
spricht von einer Ókologie der Natur. Allerdings wird mit ókolo-
gischer Not der Erde und Bedürfnisse des Planeten jene Psycholo-
gisierung der Erde als Mutter Gaia gesetzt, aus der sich seine
These von einem übereinstimmenden Streben der menschlichen
Psyche und der Erde ergeben soll: Der Aufschrei persönlicher Qual
… ist zugleich der Hilferuf der Erde, ihr Protest gegen die maßlose
Größe der Dinge, der sich mit unserem vereinigt. Der Feind ist auch
hier der industrielle Gigantismus, gefordert wird Dezentralisie-
rung. Der Weg dorthin aber führt über das spirituelle Manifest der
Person, dem die meisten Seiten des Buches gewidmet sind: Wir
setzten bei der Einsicht an, daß alle Systeme und Institutionen, die
grof) eenug werden, um unser persónliches Wachstum zu verhindern,
auch cz» F.aneten geführden. Wenn wir also daran arbeiten, das
Gef / der Menschen für den Vert der Person zu vertiefen, ihren na-
türlichen Instinkt für spirituelles Vazhstum zz fórdern ..., dann
werdc» sie in sich selbst das emnfindlichzte Meflinstrument für óko-
logis: intcL ventes Maf finden … Kännte man denn nicht sagen,
die Eansucht der Menschen, ihr persärn!iches Potential vc!l auszu-
schopfer, wirh:e wie eine Art Rückkcrplungsschleife, die das
menschliche Mafi der Dinge wiederherstel!: ? Indem wir unsere P:r-
sonalitát zu retten versuchen, verteidigen wir das menschliche Maß,
indem wir das menschliche Maß verteidigen, stürzen wir das Regime
des Groflen. Indem wir das Grofle stürzen, retten wir den Planeten
... Ein M 242.1, «3s den Bedürfnissen der Ókologie gerecht würde, ist
die persón!: ^» Kor :unikation: Geist, der sich zu Geist hinwendet,
Absic!.*, Cie auf Absicht stößt.
Und im Zusammenhang der Personifizierung der Erde, ihrer
‘Gefühle’, wenden die 'Verschwórer' ihren Blick nicht nur auf die
feministische spirituelle Bewegung, in der die Frauen ‘ihre Weib-
lichkeit leben wollen’, sondern verweisen auf die ‘weiblichen Tu-
26
genden’ oder Eigenschaften: das Intuitive, das Mitfühlende, das
organisch Nährende und Vertrauensvolle (Roszak), empfangend,
kooperativ, intuitiv, umweltbewufit (Capra), weibliche Fürsorge
gegen männliche Unabhängigkeit, weibliche Intuition gegen
männlichen Intellekt (Ferguson). Neben dem spirituellen Femi-
nismus, dessen auf wackligen historischen Spekulationen beru-
hende mythologische Abwandlungen Roszak für einen pedanti-
schen Einwand hält, beruft sich die Mutter Erde-Persónlichkeits-
zuschreibung in einer Paganismus genannten Bewegung, die sich
auch als ökopsychische Mission bezeichnet, auf die Naturreligio-
nen sogenannter primitiver Völker. Auch hier geht man großzü-
gig oder gar nicht mit den Quellen um. Dieser Umgang allerdings
wird von den Workshop-Indianern und eingereisten Aborigines
unterstützt, die das westliche Manifest der Person für ihre Klien-
ten internalisiert haben, ihnen die je persönliche Verbindung zu
Mutter Erde über Freizeit-Rituale verschaffen — ‘persänliche
Kommunikation'!
Zu welcher Hybris diese persónliche Kommunikation führen
kann, hatte F'einrichs im Zusammenhang des Skylab-Absturzes
(1979) angeführt: Ein ,psychoenergetisches Institut" hat die Ameri-
kaner zu einer , Massenmeditation" aufgefordert: 1 M.llion 1^-4itie-
rend? kánnen in wenigen Minuten den künstlichen Himmelskórper
mit «+ Energie des Geistes“ aufladen und ihn wieder in die sichere
Erdur: + “\ahn „heben“ (ein einzelner indischer Yogi soll dies auch
versuck: Ezben). Im Zusammenhang der Chemie-Katastrophe am
Rhein (:2£6) wurde im Anschluß an eine Rheindemonstration
von der E 1-Grupre und der "Fellowship of Isis Worms' eine ,, Hexen-
zeremonie zur Reaktivierung der Selbstreinigungskráfte" des Flusses
durchgeführt. De Teilnehmer errichteten eine Energiespirale. Die
energetisch aufgeladenen Steine wurden anschließend in das Fluß-
bett gegeben. Im gleichen Umkreis der Regenbogenmenschen
wurde 1985 unter der Patenschaft der amerikanischen Bewußt-
seins- und Delphinforscherin (Delphine als androgyne Vorbil-
der!) Diane Battung eine Zeremonie zur Rettung der Báume ver-
anstaltet. Die deutsche fand im Schwarzwald statt: Nachdem im
Win:-- '84 in dez ^ .hweiz diese Idee geboren war, ging es auch recht
einfach ... Viel / {trieb kam von der Schildkróteninsel Amerika,
woher ständig neue Kristalle mit der Post eintrafen ... Es genügte,
daß sie von der Vision hörten, daß die Bäume des Schwarzwaldes
^7]
Hilfe bräuchten, daß es bei uns in der BRD Regenbogenmenschen
gäbe, die mit den Bäumen wieder spielen wollen und die auch die
Kraft haben, um die Kristalle zu pflanzen, die Samen der neuen Zeit
jetzt zu sden ... D:e eigentliche Zeremonie war dann das Pflanzen
einiger Hundert Kristalle aus den USA und Europa, welche mit be-
stimmten Informationen versehen waren. Kraft wurde auch den
Opfern des Erdbcbens in Mexiko-City geschickt ... Eine Botschaft
der Büume des Schwarzwaldes war: Ihr Karma sei es zu sterben,
aber es gäbe d:^ Móglichkeit, negatives Karma auszulóschen. Wir
sollen dazu d:» Karma-Geister anrufen und diese fragen, was zu tun
sei. An Neben-Zeremonien waren da: Reinigungszeremonien mit
Feuer und Wasser, Anrufung der Elemente, ein brennendes Pen-
tagramm, persónliche Baumzeremonien, Kommunikation mit
Báumen, Wissensspeicherung und -abrufung in Kristallen, Mas-
sagen, Kórpergymnastik, Pfeifen-Ritual von Seadancer der Na-
gual-Frau Swift Deers bzw. der erwähnten Dr. Diane Battung im
bürgerlichen Leben, Dank an die Göttin für den Heiligen Traum,
den Karmameistern und schließlich die Bitte um Harmonie zwi-
schen uns Menschen, den Bäumen, den Kristallen und den Delp-
hinen.
Die Zeitschrift »Mescalito. Sprung in die Unmôglichkeit« ist
voll von diesen unmôglichen Sprüngen zwischen den angeeigne-
ten Wissens- und Ritual-Bruchstücken aus den verschiedensten
Kulturen, allerdings mit einem erheblichen Schwergewicht von
Celtsun, der Vereinigung der keltischen Kraft des Südens mit der in-
dianischen Sonnentanz-Kraft des Siidwestens, deren Hochzeit im
November 1984 gefeiert wurde: Schwitzhütten-Zeremonie, Anru-
fung der Kachinas, Beschwórung der Energiekráfte durch kelti-
sche Anrufung der Winde, der Góttin, des Volkes der Sheede,
Trance über Rasseln, Landung mit der ganzen Lodge an einem
Krajtplatz umgeben von allen Tonal-Tieren, welche sich dann in ein
edeles Menschenvolk vcrwandelten. Ein erhabenes Cefühl — waren
es unsere Ur-Ahnen, die ersten Menschen, Auferirdische, Kachinas
oder die Sheec:? Im dritten Durchgang fand eine Begegnung mit
den Karma-M.istern statt und im letzten Durchgang beschworen
wir die Energiebewegung der zwanzig heiligen Kráfte. Resultat war
eine a-'gemeine Ekstase und die meisten erlebten mehrere nicht
endende Orgasmen aus sich selber heraus. Eingangs war - unter
besonders starker Aufheizung der Schwitzhütte — der, móchte ich
28
jetzt mit Balint argumentieren, Zustand primärer Liebe, harmoni-
scher Verschränkung hergestellt worden: die Schwitzhütte diente
dazu, €? Kind-Substanz-Schilde zu reinigen, die geschlossenen
Symbole zu óffnen mit der Ausrichtung auf Unschuld und Ver-
traus. .
Schlüsselfiguren der Zeremonie waren Diane Battung (sprich:
Seadancer, Nagual-Frau des Halbindianers Swift Deer) mit Vi-
sion und ritueller Besiegelung der Hochzeit und Swift Deer, wie
Castaneda Schüler des legendáren Don Genaro - womit auch die
Parallelen zu Castanedas Lehren verstándlich werden. Swift
Deer, dessen Aktivitáten in dem American Indian Movement
(AIM) mit Skepsis und Gegenstrategien begegnet wird (so gegen
die angekündigte Veróffentlichung indianischer Weissagungen
für die 'Suchenden des Wassermannzeitalters"), ist Halbire und
behauptete, mit seiner irischen Tante aus einem Wicca Coven (ge-
heimer Hexenzirkel) in Verbindung zu stehen.
Eine weitere Verbindung führt zu Arnold Keyserling, der die
spirituell-biologische Evolutionslehre seines Vaters Hermann
L-yserling auf astralmythologischer Grundlage fortführt und
Swift Deer für den Träger der Offenbarung der Wassermannzeit
LE. Er und Diane Battung vermitteln den Regenbogenmen-
scizen, 63 à: ‘Tchirne’ der Evolution noch in ihnen vorhanden
sin’: Tr Loto lel des Menschen leben ein Mensch, ein Wolf und ein
L^. heiüt es dann schlicht in der Regenbogen-Sprache.
au für &ie Zukunft: Die Vorderlappen unseres Gehirns werden zur
-— ; c urmalig aktiviert. Sie sind das sogenannte 'Engelsgehirn'.
Und: A. :ter Erde macht eine áhnliche Gehirnentwicklung durch,
brirgt ihre Czhirnzeilen, die Kristalle, vermehrt an die Erdober-
fliche, was uiizcre Kommunikation erweitert. Das planetare Re-
genbogenspiel als ‘unendliche Geschichte’ kann unter Einbezug
der zwanzig kosmischen Gesetze, keltischer und Sonnentanztra-
ditionen, Druiden, Nemeton, Nagual, höfischer Poesie, Sterne,
Wassergeister, Delphine, Hirsche, Gralssuche, Tanz von Camelot,
Lancelot, Merlin usw. beginnen: Es ist ein schönes Spiel der Ar-
chetypen in unserer Zeit: Jeder sucht sich aus, wen er spielt. So ein-
fach ist das!
Wenige Seiten weiter wird man in der gleichen Zeitschrift von
Arnold und Wilhelmine Keyserling aufgefordert, sich an der
Hochschule für Angewandte Kunst in Wien, Europáischer Ver-
y
12%
band für Humanistische Psychologie, zum Gesellen der Maieu-
tik (Sokrates’ ‘Hebammenkunst’) ausbilden zu lassen (zwei Se-
mester à 1000,- DM; in Deutschland auf drei Jahre konzipiert".
Themen: Ur-Riten von Raum und Zeit, Philosophische Astrolo-
gie, Holistische Geschichte, Primärerfahrung und Transzendenz,
Gruppendynamik, Individuation, Motivation und Intention,
Werdegang und Kreativität, Körpererfahrung und Yoga, Inbild-
findung und Imagination. Die Anamnese, heißt es weiterhin, ver-
steht d:e Wissenschaft als Gnosis, als Erkenntnis des Standortes
eines Menschen in bezug auf Natur und Gesellschaf?; sie ermöglicht
im Ritus des L"c'gizims den Zugang zur persönlichen ^fenba-
rung und k'ürt cos V--báltnis von Motivation und Intention cs Zu-
gang zum eigenen Lebenssinn, und: De Maieutik gliedert cas Wis-
sen der Befreiung in zwólf Gebiete, wobei jedes durch die vielfältige
Bestimmung ... aus der psychischen Ebene auf die existentielle er-
hoben und damit zum Kónnen wird.
Arnold Keyserling záhlt gleichzeitig zu den geistigen Vätern
einer vom Kreis der Regenbogenkinder (Springen wir in die Un-
móc keit, überqueren wir als Regenbogenkinder die Regenbogen-
brücke, Berthold Róth) geforderten spirituellen Politik der Grü-
nen, die in einer BAG , Spirituelle Wege in Wissenschaft und Poli-
tik" erarbeitet werden soll. Das Engelsgchirn, die Vorderlappen in
der Hohe des 3. Auge-Chakra, erméglicht multisensorische Wahr-
i. ung; die, heißt es im Bericht vom Treffen der Griindungs-
^....ative, kónnen wir noch nicht mit Worten und in Begriffen de-
^J "en, aber wir kónnen sie zulassen und dabei erfahren. Die
--.ussion ging um die neue Art des Denkens. Das Resümee war,
en empfangen, statt mit Denken bestimmen, wodurch unsere
«N ausgelöst wären. Mit Energie (wie beim abendlichen Re-
Ain entfacht) bestimmen, mit Gefühl Energie geben, mit
. rolichkeit Energie halten, das war die Forderung. Weiter
heißt es: Unsere Erfahrungen sind kollektiv. Wir besitzen sowohl! zie
Erfahrungen, die wir heute machen, als auch die Lrfahrungea aller
unserer früheren Cenerationen, die P rungen von 2000 Jahren
Christentum sowie die Erfahrunz von Tausenden von Jahren ver-
schiedenster Denkstrukturen und Philosophien. Jeder von uns hat
zudem seine Lrfahrungen aus allen friiheren Leben, Inkarnationen,
summiert. Es ist einzigartig, welche Erfahrungen uns in unserer
jetzigen Zeit zur Verfügung stehen. Wissenschaft, jedenfalls die
30
bisherige Praxis an den Universitätsbetrieben — patriarchalisch, zer-
stôrerisch, entselbstend —, wird damit überflüssig. Um Denken zu
empfangen, muf3 Wissenschaft in anderen Bewufitseinszustánden
angegangen werden. Alle Techniken müssen dafür erprobt
werden, sei es Rebirthing, Yoga, Meditation, Fasten etc.
Und nach der ‘neuen Wissenschaft’ der Regenbogenkinder
kommt die ‘neue Politik’. Da steht als Motto unter konkrete näch-
ste Schritte in Großbuchstaben geschrieben: Alle negativen Er-
scheinungen sind unsere großen Entwicklungshelfer! (selbst AKWSs,
Aids etc.).
Wir kennen es schon: Die Bombe ist schon gefallen, und wir sind
die Mutanten. Aber nun auch noch die Katastrophen als Ent-
wicklungshelfer für den neuen Menschen, für das Manifest der
Person, um das es auch hier geht: Egal jeder in welchen Zu-
sammenhángen mit verschiedenen Personen arbeitet, handelt es sich
dabei immer um sein individuelles eigenes Netzwerk. (Ich stelle es
anheim, die etwas stammelnde, wórtlich wiedergegebene Spra-
che der großen Erregung zuzuordnen oder der Absage an die
“bisherige Praxis’ des Lernens!)
Als Crundlagenliteratur wird »Die Kraft des Regenbogens.
Spirituelle, ókologische und politische Modelle zur Vernetzung
des Bewufitseins« von Bernhard Schaer empfohlen. Schaer, Jahr-
gang 1772 (Inhaber einer Tantra-Galerie, Organisator von »Kul-
tur- und Ókologieseminaren« und einer Planetary-Rainbow-Ce-
remony in Interlaken, Organisator eines indianischen Netzwerkes
mit einer geplanten Ausbildung in Keyserlings Maieutik), stellt
sich alz Regisseur, F-zJuzent und Schauspieler des Drehbuchs
einer p.anetarischen Kultur vor, deren Rohmaterialien er in den
letzten 22 Jahren (d.h. seit seinem 14. Lebensjahr!) entdeckt hat:
die verschiedenen Energien, welche jedes große Kulturvolk dieser
Erde in einzigartiger Weise repräsentiert. Das Buch wird mit einem
Kapitel ,," »m kollektiven Aufschrei 1968 zur Ich-Politik" einge-
leitet, gefolgt von ,,Die Verstrómung in den Kosmos". Dann
werden als Reise zum personenübergreifcacen Selbst ... neue For-
men multisensorischen Lernens anhand der Lehren des Meisters
der »Kultur- und Ókologie-Seminare«, Swift Deer, vorgestellt. Sie
stehen im Zusammenhang einer Ókologie der Selbstverwirkli-
chunz, eines Dialogs zwischen Okologie und Psychologie. Baum-
meditation wird monatlich empfohlen: Diese bringt uns auf
131
schöne Weise mit der Natur und uns selbst wieder in Einklang. Und
nicht nur dies: ... so helfen wir mit die Welt zu heilen ..., denn was
wir da im kleinen und im einzelnen tun, ist das entsprechende Spie-
gelbild des Ganzen; genau der Quell, woraus sich eine ókologische
Lebensweise náhren und woran sie wachsen kann.
Im Vergleich zu den Techniken und Darstellungen der ‘inneren
Reisen’ sind die Äußerungen zur “Repolitisierung der Spirituali-
tät’, außer der Kritik an der industrie-kapitalistischen Entwick-
lung, kurz und vage und gipfeln schließlich wieder in der spiritu-
ellen Selbstfindung als Strategie: Die Zeit der Reinigung ist also
gekommen. Es spielt keine Rolle, ob dies durch eirz indianische
Schwitzhiitte, durch Meditation, Y:ga oder was auch immer, ge-
schie**. Wichtig ist, da es geschic^:, und zwar auf eine spirituelle
Weiss, cin nur so werden wir wieder durchlässig, weich und ganz-
heitlieh. Ur! um diese Cxalitäten geht es, denn erst das “türen der
eigenen Weichheit macht uns wieder offen für die Bedürfnisse unse-
rer Mitwelt und somit für alle Formen des Lebens.
6.2 Persönliches Maß oder neue Kommunitàt?
Wie sieht bei Theodore Roszak, unserem Eingangsbeispiel, die
spirituell-ókologische Politik aus? Diese Politik wird als eine per-
sonalistische bezeichnet, das heiBt, Zentrum aller Politik ist die
Freisetzung des Individuums für seine Selbstentdeckung. Der
Feind als industriell-urbaner Gigantismus kann nach Roszak al-
lerdings nicht durch die bisherigen Dezentralisierungsmodelle
bekämpft werden. Von Schumachers menschlichem Maf bis zu
Sekten und Kommunen kritisiert Roszak das AuBerachtlassen
der Gefahren, daf neue kommunitáre Zwáünge die Person an
ihrer Selbstfindung hindern. Auch Roszak plädiert für die plane-
tarea? Netzwerke der Verständigung jener Wissenden, die inneres
b: _<..stum der Person mit der quasi automatischen Schrumpfung
des ökonomischen Wachstums gleichsetzen. Das persönliche Maß
des Lebens wird dann an den Bereichen Heim, Schule und Arbeit,
städtisches /ländliches Leben als ‘Alltag’ festgemacht. Ausbil-
dung und Beruf sollen freudig sein, befreit, selbstbestimmt, Beru-
fung. Und mit ftiefem, váterlichem Stolz berichtet Roszak, dal
seine Tochter aufgrund der offenen Kindheit Tänzerin werden
132
konnte. Er selbst und seine Frau sind Akademiker in der ersten
^ eneration; der Rückblick auf die Herkunft aus der Arbeiter-
"lasse wird nicht vergessen. Wie aber sieht hier die in den Kapi-
teln Familie und stádtisches Leben geforderte Selbstversorgung
aus? In seinem Plädoyer für die neue Familie heißt es, daß jede
ernstzunchmende Strategie zur Rettung der Familie sich darum
kümn:- "21 muß, die Arbeit wieder an das Zuhause zu binden und die
Fami!ie wieder zu einem Mindsstmaß an ökonomischer Autonomie
zurückzuführen. Familienhof und Familienbetrieb sind seine Al-
ternativen, wobei immer die Kleinfamilie zentral bleibt. Den Ge-
danken eines kommunitären Haushalts des Lebens aufgrund einer
notwendig-freiwilligen Kommunität sieht Roszak eben nur als
vorübergehende Versuche, die persönliches Wachstum wiederum
behindern: ... vielmehr ist es eher hinderlich, wenn regionale
Szlhztyersovg:ng zu sehr im Vordergrund steht. Vor allem geht es bei
wer Wiederbelebung der I auswirtschaft darum, der Familie einen
Geschmack von der Unabhängigkeit zu geben, die sie braucht, um
die persönlichen Rechte ihrer Mitglieder zu schützen. Das ist die
Kre/^, die das Familienband zu einem praktischen Sakrament
machen kann. Und es ist auch ein Weg, mit dem Planeten Frieden zu
schließen.
Zu diesem Friedenschließen gehört weiterhin die Entleerung
der Städte von der entfremdeten Masse, damit die Stadt werden
kónnte, was sie sein sollte: Lebensraum einer oft schópferischen,
manchmal ziemlich überspannten, stets aber sehr lc5haften Minder-
heit — eine faszinierende menschliche Energie, die stándig des aus-
gleichenden und stc isierenden E:flusses der lándlichen Welt jen-
seits ihrer Grenzen bedarf ... Stácte müssen nicht groß sein, um
lebensfähig zu sein ... Die Kultur der Stadt hat nie mehr gebraucht
als eine k'ene Cemeinschaft wahrhaft städtischer Geister = Men-
Sche», d:e einen besonder: 3 Cinn für rasilose intellektuelle Aktivität,
für den Z :ssammexprall der Ideen und den raschen Wandel von Ge-
Schn: X und V ctvorstellungen haben. Nur solche Menschen kón-
nen die Mógla keiten der €£:z5t vc!l ausscl.Zzfen, und es genügen
wenig? von ihnen, um eine lebendige Kultur hervorzubringen — ein
pc: * hundert Denker, Künstler und Studenten und einige tausend
Co Ll, Cónner und Kritiker ..., wo immer sie sich finden, schaffen
Sie einen fruchtbaren Freiraum mitten im täglichen Kommerz. Nur
hier kann die Kultur der Stadt überhaupt blühen ... Betrachten wir
133
die Stadt als ein Laboratorium, in dem unsere Spezies mit ihrer
machtvollen Energieform experimentiert — der menschlichen Imaci-
nation. In der Stadt hct die Imegzination den Spielraum, den sie
sonst nirgends findet. € ^ findet unbegrenzt viel Erfahrungs-Rch-
materic!, kann vóllig frei mit ihm ursgehen und es zu genialen oder
monstrósen Neubildungen kombinieren.
Daß Roszak selbst sich nichts anderes als ein urbanes Leben
für sich vorstellen kann, mit Kleinfamilie und Beruf als Beru-
fung, bedarf hier wohl keines Kommentars. Philobatischer Hó-
henflug grenzüberschreitender Phantasie in dem von stórenden
Objekten freigeráumten stádtischen Raum und oknophile Be-
darfsdeckung in der Kleinfamilie, beides abgesichert durch den
stabilisierenden [sprich: materiell versorgenden] Einfluß der länd-
lichen Welt jenseits der Grenzen. Läuft die spirituelle Politik hier
nicht wieder einmal auf das Recht der Wenigen hinaus?
Ehe aber die von Roszak geforderte Entstädterung zugunsten
jener ‘Wenigen’ stattgefunden hat, plädiert er für einen städti-
schen Gartenbau, erinnert an Kriegszeiten, englische Küchengár-
ten, Pariser Dachgárten der Arbeiterllasse. Als innerstádtisches
Neuland für urbane Ökologen und Stadtplaner werden verlassene
Steinwüsten wie die South Bronx gesehen. Aber es heißt gleich
wieder: im P.zhmen eines Programms ... für die Armsten der Ar-
men. Ziel bleibt die Aussiedlung derjenigen, die der Kultur der
Städte keinen Wert beimessen. Wenn Roszak Plàne von sicher uto-
pischen Stadtbauern wie Paolo Soleris Arcology (— Architecture
und Ecology) als Extremfille des Ausbreitens des Kainsmals
Stadt bezeichnet, dann übersieht er, daß diese Städte von der
Idee her einen Haushalt des Lebens darstellen, in dem eine
soziale Gruppe sich nicht nur geistig, sondern auch materiell
selbst versorgt, der ‘Wildnis’ Raum läßt, aber nicht die agrartech-
nisch aufbereitete Wildnis zum Versorgungsbetrieb der urbanen
Freigesetzten macht.
Der griechische Polis-Gedanke der sich selbst versorgenden
Städte, die die ‘kritische C,öße’ nicht übersteigen, die sich ver-
streuen, autark sind und sich gleichzeitig über ein Netzwerk aus-
tauschen, kommt Soleris Stadtideen náher, als die riesenhaften
Ameisenhaufen, als die sie Roszak bezeichnet. Und Lewis Mum-
ford, auf den sich Roszak so positiv als seinen Lehrer bezieht,
hatte gerade die griechische Polis über ihre Nachfolge in den de-
| 32
zentralisierten Gemeinwesen Kropotkins — Acker, Fabriken und
V^-"stütten und einem Austauschnetz -, den Garten-Stádten
Coenezer Howards - mit innerem Zusammenhalt und Grenzen
zu* r"chsten Stadt — bis zur ausgewogenen Region und der un-
sichtbaren Stadt, in der die technologischen Informations- und
Trans"ortmôglichkeiten mehr denn je den Austausch móglich
macien, ohne die Autarkie zu behindern, als Ziel gesetzt. Auch in
seinem Buch »Hoffnung oder Barbarei: Die Verwandlung des
^ "ensc^en« behált Mumford diesen Gedankengang bei. Der neue
?. znscA, der geeinte Mensch in einer Weltkultur ist nicht die Ver-
schwörur der transzendierten Wenigen in einer Weltkultur ohne
Heimatland, nicht der selbsterlôsende Seinssucher über Medita-
tion, Yoga und Schwitzhütte als eindimensionale Aneignung
fremde- Spiritualität, sondern der aktive Mensch, der durch
Selbstüberwindung die Enge seiner kulturellen Horizonte mehrdi-
mensional überwindet: Diese Selbstüberwindung würde den mo-
dernen Menschen dazu befühigen, die einmalige Chance seiner Zeit
zur V-rwirklichung eines Universalismus zu nützen ... Doch der
Endzweck der geeinten Welt ist es, die Möglichkeiten des Menschen
zu erweitern und neue Bereiche für scine Entwicklung zu erschlie-
Ben, und zwar auf dieser Erde und nicht im interstellaren Raum.
Mumford sprict* von einem neuen Lebensplan, einer neuen
Lebenswirtschaft, als deren Kernzelle er die kleinen lokalen Ein-
heiten betrachtet. Nur aus diesen Kernzellen gemeinsamer Ver-
antwortlichkeit kann für Mumford der geeinte Mensch entstehen
- nicht das erleuchtete Individuum, die singuläre Inkarnation, son-
dern dzr Mznsch als Gattung, als die letzte Station in der Entwick-
lung à: r ysikalischen Universums, der organischen Welt und der
menschlichen Gemeinschaft.
Auch Mumford setzt ein 'Manifest der Person', sieht oder er-
hofft eine neue Entwicklungsstufe der Menschheit, fordert den
autonomen Menschen, zeigt politische Konsequenzen für eine
gesellschaftliche Neuorganisation und eine Wiedergewinnung
des ó! ologischen Gleichgewichts. Aber sein autonomer Mensch
ist nicht der aus der Gesellschaft entlassene, er argumentiert
nicht mit Menschen, die ihr Engelsgehirn entdecken oder sagen:
ich bin Cc:t, sondern mit Menschen, denen es durch eifriges Üben
gelungen ist, ohne Brille normal zu sehen, das heißt mit sich der
empirischen Welt wahrnehmend, denkend und verarbeitend zu-
| 3*
wendenden Menschen: Der Menschtyp, den unsere Zeit verlangt,
ist die geeinte Persönlichkeit, autonom genug, alle &chranken der
Kultur und der Geschichte, die bisher €:z Entfeltung des Menschen
behinde*t habca, zu durchbrechen, ein Mensch, nicht auf ewig ge-
kennzeichnet ar) die Tätowierung seines Stammes oder unlösbar
gebunden durch die Tabus seines Totems, nicht lebenslänglich einge-
näht in diz Tracht seiner Kaste oder eingezwängt in den Panzer sei-
nes E:"ufes, den cr auch nicht ablegen kann, wenn er sein Leben be-
droht, ein M-5ch, dcr durch seine religiósen Diátvorschriften nicht
davon c"gel.z!ten v7 4, geistige Kost zu sich zu nehmen, die andere
Menschen nahrc7 finden, den seine ideologisckz Prille nicht daran
hindert, je mehr a:s nur einen kurzen Plick auf die V.-!t zu werfen,
wie sie sich Menschen mit andern ideologischen Brillen zeigt, oder
wie sie sic^ jenen enthüllt, denen es durch eifriges Üben gelungen ist,
ohne Brille normal zu sehen.
Dieser Mensch wäre der reife Mensch, befähigt, eine reife Ge-
sellschaft mitzugestalten, nicht vom Heimweh nach primärer
Liebe oder passiver harmonischer Verschränkung getragen, sich
nicht oknophil an Objekte anklammernd, nicht Objekte im philo-
batischen Höhenflug der Selbstverwirklichung umgehend und
beiseite räumend, sondern aktiv mit den ‘Objekten’, und das
hieße dann den Menschen und der Umwelt als Subjekten, Har-
monie als Gegenseitigkeit in einem tätigen und schöpferischen
Austauschprozeß im Haushalt des Lebens zu gestalten. Es wäre
der Neubeginn des autonomen Menschen als reifer Mensch.
6.3 Aber braucht der Mensch dafür Engel?
Der Wissenssoziologe Peter L. Berger hat seinem Buch »Dia-
lektik von Religion und Gesellschaft«, in dem die Gedanken zur
gesellschaftlichen Konstruktion von Wirklichkeit auf Religion
übertragen werden, eine Arbeit folgen lassen, die zich »Auf den
Spuren der Engel. Die moderne Gesellschaft und die Wiederent-
deckung der Transzendenz« nennt. Mit diesem Buch móchte er
das Gespräch mit der Theologie aufnehmen, Anregungen für
eine induktive Theologie geben, die eine anthropologische Di-
mension gewinnen soll. 4m Anfang war der Mensch ist der
Grundsatz eines induktiven Glaubens auf religiósem Gebiet, der
136
bei der menschlichen Erfahrung beginnt, im Gegensatz zum de-
duktiven Glauben, der sich auf göttliche Offenbarung beruft und
in der empirischen Wirklichkeit nicht nachgeprüft werden kann.
Berger behauptet nun, daß es in der empirisch gegebenen Situa-
tion €zs Menschen prototypisches menschliches Verhalten gibt,
das als Zeichen, als Geste, auf Transzendenz weist. Prototypische
Cesten werden im Gegensatz zu den Archetypen Jungs gesehen.
Sind !ctztere im Unbewufiten begrabene Symbole, so gehören die
protc*pischen Verhaltensweisen in den Bereich alltäglicher
Wahrnehmung. Es sind jene transkulturell feststellbaren Phäno-
mene, die uns Anthropologen als Konstanten begegnen, uns nach
einer Crundkonstitution des Menschen, nach menschlichen
Grundbedürfnissen fragen lassen. Aber die Tendenz, Glauben als
eines dieser Grundbedürfnisse neben die materiellen, sozialen
und ethischen Bedürfnisse zu setzen, erfáhrt bei Berger eine Wen-
dung. Es geht ihm darum, die menschliche Fáhigkeit zu zeigen,
die ncrmalen alltáglichen Erwartungen zu transzendieren und
die alltágliche Wirklichkeit als eine Imitatio der absoluten Wirk-
lichkeit gespiegelt zu wissen. Die Ordnung des Chaos gehórt für
Berger zu den Grundzügen: die Gewifhheit des elterlichen Kin-
dertrostes Alles ist in Ordnung transzendiert in eine kosmische
Ordnung, und das heift: im Mittelpunkt der Menschwerdung, im
innerstez / c é:r Humanitas steckt ein Erlebnis des Vertrauens in
die Wi+klicl.keit Jer Ordnung bzw die Ordnung der Wirklichkeit .. .
Dor E'ang des Menschen zu ordnen, impliziert also eine transzen-
dente Crdnung, und jede Geste des Ordnens ist ei: / :chen, gegeben
in die und aus der Transzendenz. Auch das Spiel als freudiges Her-
austreten aus der ‘ernsten’ Wirklichkeit, als Geste schópferischer
Schönheit ist Zeichen der Transzendenz, weist vom induktiven
Glauben her auf Religion, ebenso Hoffnung als Ja zum Leben
und Ncin zum Toc. Als viertes Argument wählt Berger ein mora-
lisches Negativ, die Verdammnis. Damit will er die Intention des
Sinns für Gerechtigkeit schärfer herausbringen, einer Gerechtig-
keit, die gegen historisch-relativierende Analysen immun ist und
die die unmenschliche Geste in Verdammnis transzendieren muß.
Und schließlich hat Berger noch das Argument des Humors, der
im Alltag Diskrepanzen bewältigt, die auf eine Grunddiskrepanz
zurückgchen: die zwischen dem Menschen und dem Universum.
Das Komische ist eine Spiegelung der Gefangenschaft des Geistes in
,
13"
der Welt. Und weiter heißt es: Wenn der Humor uns über die Gefan-
genschzf des Ceistes lachen macht, so steckt darin deren Endlich-
keit, die Möglichkeit, sie zu überwinden. Damit ist auch der Humor
ein Zeichen der Transzendenz. Lachen kann die Welt überschrei-
ten.
Anregungen für eine neue Teologie? Würe diese Theologie
dann noch Theologie oder nicht eher eine anthropologische Anti-
zipation des Móglichen, basierend auf der empirischen Grund-
lage des schon je partiell Verwirklichten? Läge die Reife der Ge-
sellschaft und die Reife des Menschen nicht gerade in einer Zu-
rückholung der Transzendenz - als einer menschlichen Fähigkeit
des Überschreitens — auf die Erde: Aufbau einer Vertrauen ge-
benden Ordnung, Spiel als Geste schópferischer Schónheit,
Hoffnung als Ja zum Leben, Gerechtigkeit als Nein zur un-
menschlichen Geste und Humor, Lachen als Fähigkeit, sich
selbst zu relativieren. Dann ist nicht mehr alles in Ordnung, weil
alles ohne EcZeutung ist, wie für den Selbstvertrauenden des
Transzendentalisten Emerson, sondern der Einzelne transzen-
diert sich in die Zeit, den Raum und den Lebensplan einer/ sei-
ner Gemeinschaft. Er sucht nicht den Te! im Leben, erleidet nicht
den kulturellen Tod, sondern relativiert den eigenen biologischen
Tod durch das gelebte und fortlebende schôpferische Ja zum
Leben, durch liebende, und das heißt auch sorgende Zuwendung
zu den Menschen und Dingen seiner Gegenwärtigkeit in einer
Gegenwart, die Vergangenheit und Zukunft menschlicher Exi-
stenz mit enthält.
Berger hatte sein Buch »Auf den Spuren der Engel« genannt; in
seinem Schlußkapitel gleichen Titels sagt er: Dieses Buch handelt
nicht von Engeln, Eine zen-buddhistische Paradoxie? Vielleicht:
wenn es um die Entdeckung des Glanzes des Gewöhnlichen (Ros-
zak), wenn es um die Rückverweisung des Schülers auf die Diszi-
plinierung seiner selbst geht. Und dazu Berger: Wir haben uns von
Göttern und Engeln weit entfernt ...; wir le&c:1 nun einmal in einer
Situation, in der das Coernatürliche allenfalls noch ein Gerüc,:,
eine verwe/;:e, wenn nic/.1 versteinerte Spur ist ... Wir kónnen nic..t
mehr in ein f" heres Stadium der Geschichte zurück ... Und wir soll-
ten d.cs wohl nicht einmal wünschen ... Vielleicht ist es viel wichti-
ger, cy wir uns der Banalitiit, dem Trivialen stellen. C “cn zu sein
für die Zeichen der Transzendenz bedeutet nämlich auch, die Erfah-
138
rung wieder in angemessenen Verhältnissen wahrzunehmen. Erlö-
sur= ist auch Entlastung — bis zur Komik. Wir lachen wieder und
spielen aus nevgewonnener Fülle. Damit entziehen wir uns nicht
d^»: moralischen Anruf der Stunde. Wir sind ja gerade angehalten,
jed: n.^sck!iche Gebárde, auf die wir treffen oder die von uns im
alltäglichen Drama erwartet wird, sorgfältig, d.h. im tiefsten Sinne
des V ^*tes, in „unendlicher Sorge“ um die Sache des Menschen zu
becchten. Denn mitten in ihrem alltäglichen Tag, heißt es im Neuen
Testament, „haben etliche ohne ihr Wissen Engel beherbergt“ (He-
brder 12:2)
Degibt sich aber nicht das New Age, begeben sich nicht die
Mythoethnologen und Mythotouristen auf die Suche der verweh-
te^, versteinerten Spuren des Übernatürlichen? Auffällig ist da-
bei allerdings, daB im Vergleich zu Schamanen und Hexen nach
E7^cln kaum gesucht wird oder wenn, von den Hinterbliebenen
-z* "rogen-, Cammler- und Rockszene nach 'gefallenen Engeln’.
.zue Frohbcetschaft von der 'Rückkehr des Imagináren' ver-
haL* hier ungehórt: ... In unserer Linsamkeit und Verlorenheit sind
1 c.,2 mekr oder weniger zu gefallenen Engeln geworden, so daß
(0 omer eigzucs Schicksal nur noch in stilisierter Form, in einer Mi-
s "ur aus C:bnbeit und Verkommcznheit erkennen kónnen, die uns
£02 zr Dinzelpersonen vorgelebt haben, schrieb Peter Schult
1*?1 aus dem Knast für ein Buch, in dem Märchen, Magie, My-
sti: und N'vthos als Anfánge einer neuen Politik entdeckt werden
sollten. Aber Engel gab es dort auch nicht. Die Anhänger des
l'.zuen Zxitalters brauchen die geflügelten - und oft strafenden —
. oten des christlichen Gottes nicht, auch nicht in ihrer volkstüm-
lichen Form des herabschwebenden Schutzengels für den irdisch
gefáhrccten Menschen. Alles ist in Ordnung, der elterliche Trost,
bedarf der im Schutzengelbild materialisierten Geste in und aus
der Transzendenz so nicht mehr.
En neuen Menschen haben selbst Schwingen, bedürfen keiner
Vermiit!c+ zwischen sich und dem Himmel, können ohne die Erde
zw ssen in de: Himmel kommen. So der Titel eines Vortrages
« t,7t7 €ecoterischen Tagung mit dem Motto Auf den Schwingen
L.^' > Traumarbeit — Reisen im Feinstoffkórper — Erfahrbarkeit
un 7 ";stik jenseitiger Welten, veranstaltet vom »Himmel-Forum«.
N.ben weiteren Vorträgen über Träume, Rat und Heilung durch
Jeistwesen, Astronautik des inneren Raums und Leben und Tä-
[39
tigkeit in der Jenseitswelt kann man in Workshops Seelenreisen in
höhere Bewußtseinszustände und Exkursionen ins Reich der Ele-
mente vornehmen, bekommt Kontakte zu Verstorbenen demon-
striert.
Und die neuen Menschen haben selbst ihr Engelsgehirn!
Wichtig bleibt, wie schon bei den PSI-Phänomenen erwähnt,
der wissenschaftliche Beweis. Neben Evolutionslehre und ^r-
cháologie ist es insbesondere die Physik, die von allen mystischen
Richtungen aufgegriffen wird, wobei der ZirkelschluB des wech-
selseitigen Beweises nicht ausbleibt: das eine bestátigt sich aus
dem anderen. Günther Schiwy, der sich in seinem Buch »Der
Geist des Neuen Zeitalters. New Age-Spiritualitàt und Christen-
tum« sonst nur mit den GroBen des Neuen Zeitalters, insbeson-
dere mit Teilhard de Chardin, unterhàlt und sich nicht in die *Nie-
derungen' von Kommunen, Festivals, Workshops, Paganismus
und Visionáren aus dem Volk begibt, hat bei der Engel-Frage eine
Ausnahme gemacht. Die Findhorn Community in Schottland,
die durch ihren über die Kommunikation mit Devas und Engeln
zu übernatürlichem Wachstum gebrachten Garten berühmt
wurde, führt ihn zur Frage nach den vernachlässigten christlichen
Engeln. Er greift den Faktor X, wie ihn Trevelyan auf Findhorn
anwendet, auf und fragt - fragt allerdings nur: Sprechen nicht En-
gel zu uns, wenn wir uns unserer Verwandtschaft mit der Tizr- und
Pflanzenweit bewufit werden, uns zur Verteidigung der geschándeten
Natur aufgerufen fühlen und für die Rechte dcr vom Aussterben
bedrohten, noch so unscheinbaren Pflanzen- und Tierarten eintre-
ten, wenn in uns beim Anblick eines Vergifmeinnichts die Sehnsucht
nach dem Parades entbrennt”
Zuvor geht Schiwy, den christlich-ókumenischen Symbolfor-
scher Alfons Rosenberg zitierend, auf den scheinbaren Wider-
spruch zwischen naturwissenschaftlichem Weltverständnis und
alter Engelgnosis ein: Darum kann erst ein neues geistiges Ver-
ständnis cer Schópfung und ihrer Materie, wie sie heute untcr ande-
rem von der Atomphysik, der aus ihren Z:kenntnissen abgeleiteten
Philosophie und dem neuen Ganzheitsdenken angebahnt wird, aus
diesem durch die Hochaufklärung verursachten Zwiespalt heraus-
führen. Rosenberg leitet neue Einsichten in das Wesen der Engel
gerade aus den Erkenntnissen jener Naturwissenschaftler her, die
meinen, die Existenz der Engel ... getótet zu haben. Wenn diese
(40
auch nicht von Engeln sprächen, wenn sie sich Urphänomenen
nähern, sondern von Materie als geformter Energie, von Kraftfel-
dern d Mikro- und Makrokosmos, in denen sich Energie unauf-
hörlich im Wechselspiel der Gestalten manifestiert , so bestätigen sie
doch eben jene überirdischen Kräfte. Und Rosenberg fährt fort:
Wenn avc^ mit gänzlich neuen Begriffen und Anschauungsweisen,
bezeugt c'so die Naturwissenschaft das Dasein und Wirken unge-
Lkleurc- ' 7^2 und Müchte, deren Einwirkung wir zwar verspüren,
die cher trc:z F'^rmeln und Schemata unsere Begriffe übersteigen.
Für Ci2se Kräftz hat auch die Wissenschaft keine wirklichen, das
PT Gussagenden Namen ... Da es abcr nur eine, wenn auch
vi 52 Wirkeichkeit gibt ..., so muß in den Erkenntnissen der
I" asensc! ^ 4d.» gleiche Wirklichkeit eingefangen sein, von der die
Seren FT x ter Zeugnis ablegen.
Wie ein moderner Seher und Gründer einer New Age-Kom-
mune, Cessen charismatische Stilisierung ich später darstellen
werde, über eine ‘wissenschaftliche’ Collage aus panentheisti-
schen und dualistischen östlichen Religionsphilosophien, christ-
licher Mystik, evolutionistischen, physikalischen, archäologi-
schen, geologischen, vor allem aber mythologischen Bruchstük-
ken, vermischt mit Ufologie, nicht nur den Engelsbeweis er-
bringt, sondern auch den der Engelemanation in den Menschen,
den der ‘gefallenen Engel’ und der Rückkehr der erlösenden En-
gel, zu denen er selbst gehórt, móchte ich am Beispiel der »Gene-
sis der £chópfung« von Norman Paulsen zeigen.
^m /]7^;ng, ehe die sich sichtbar ausdehnende Sphäre der Schóp-
fung erschien, war der góttliche l.;cndige Geist in einem Zustand
ewigez, immer neuer Freude und Seligkeit. Der weite, endlose, ur-
anfüzgliche Ozean des Lebens und des Bewufitseins lag unbeweg-
lich in der Entrückung ewigen, zeitlosen Friedens. Nicht eine Gedan-
kenform tanzte auf dem See ewigen Lebens und Bewufitseins. Der
gottlic: > Teist war sich seines eigenen Seins bewußt, das über der
spiege/g'atten Oberflzche des ewigen Ozeans von Leben und Ener-
gie schwebtc. Decr Geist, unbeweglich, wollte sichtbare, sich bewe-
gende Erscheinungen sehen, die in dem weiten Meer des Lebens
Form annehmen: Der göttliche Geist begab sich voller Sehnen zum
Z2ntrum des Bewufitseins, das das Sein des kleinsten aller Räume
beherk<:-*. Dort, in dem Zentrum des kleinsten aller Räume, fühlte
der göttliche Geist das Sein des größten aller Räume. Aus dem Zen-
trum des Bewufitseins gebar der Geist Gedankenformen, die in den
weiten, ewigen Ozean des Lebens und der Energie hinausstrómten.
Der Geist sehnte sich danach, in den Ideen, die aus dem Zentrum
des kleinsten aller Rüáume ausgestrahlt waren, zu leben und zu tan-
zen. C - Zankez/ormen, die sich vom Zentrum hinaus in das umge-
bene } er von Leden und Energie bewegten, schufen, wie der Wind,
Kräuselungen und Wellen auf der Cberflüche des Ozeans des Be-
wufitseins. Gedanken, die auf der Cberflüche des Bewufitseins er-
schienen, trieben Leben und Energie des Geistes in Bewegung.
Leben des Geistes ist eine Form von Energie.
. Bewegung, eibung, Widerstand, zwei zentripetale Wirbel ent-
stehen, góttlic.2 Ekstase war im Körper des uranfänglichen Ozeans
von Leben und Bewußtsein zu spüren.
Der Geist führt die beiden auseinanderstrebenden Wirbel am
entferntesten Punkt vom Zentrum des Bewußtseins zur Kollision.
Es ist die Zeugung und Geburt des göttlichen weiblichen Nach-
kommens - der sichtbaren, sphärischen Erscheinung eines strahlen-
den weißen Lichts. Und nach dem gleicherweise erschaffenen
göttlichen männlichen Nachkommen, dem männlichen Licht,
das der göttliche weibliche Nachkomme wie eine Braut das Kom-
men des Bräutigams erwartet hatte, vereinen sich die beiden
strahlenden Lichterscheinungen, diese strahlenden Energiewir-
bel, durch magnetische Anziehung zueinander hingezogen. Die Ro-
tation Ger weiblichen Kraftwirbel und die der männlichen ermög-
lichten ein Verschmelzen ohne Kollision: Am Platz des Zentrums
des kleinsten aller ume, wo alles begann, verschmolzen die beiden
glühenden Lic^:sp^áren, mánnli.h und weiblich, in eins, in einer
Vereinigung, die die I.!2e der Schopfung vervollkommnete.
So haben Geist-Mutter und. Ccist-Veter, der ursprüngliche
Ozean der Lebenskraft, den góttlichen androgynen Nachkommen,
das Licht, den Großen Zentralen Sun-Sen (Sonne-Sohn), in
dessen Sphäre nun Christus war, geboren, das Zentrum künftiger
dualer Schöpfung.
Zeugung und Geburt des Engel-Manns und der Engel-Frau ka-
men aus der dualen Natur des Großen Zentralen Sun-Son: Dr
Engel-Mann und die Engel-Frau waren duplikate Kopien der góttli-
chen androgynen Erscheinung des Lichts. Sie begaben sich zu den
Inseln der neugeborenen Sonnen und Planeten und waren dazu
bestimmt, in die aus einer Verbindung der Elemente entstandene
^
D
Schöpfung des hu-man einzutreten: Das Ich-Bewußtsein der
Kreatur war bereit, Körper, Geist und Leben zu überantworten, um
zu wissen, um mit seinen Schöpfern zu sein.
Diese über die Emanationen den göttlichen Geist in sich tra-
genden physisch sterblichen Menschen wurden über die Inbesitz-
nahme ihres Ich-Bewußtseins durch den Engel-Mann und die
Engel-Frau unsterblich, wurden menschliche Engel. Das Be-
wußtsein der Kreatur konnte seinen Körper verlassen, zu dem
Zentrum des Großen Zentralen Sun-Son reisen. Zurückgekehrt
beherrschte hu-man, der Engel, alle Wissenschaften, Zeit und
Raum, erreichte das Hóchste in der Raumfahrt. Das geschah auf
einem Planeten namens Himmel, von dem sich diese fortgeschrit-
tenen menschlichen Wesen als vier Rassen über die Galaxien ver-
breiteten. Paulsen nennt sie die Builders, die Erbauer. Die Ent-
wicklung ihrer Schópfungen in den Laboratorien ihrer himmli-
schen Raumschiffe, den Mus, reichte so weit, daB sie auch ihre
physische Existenz erneuern, lebenproduzierende Substanzen zu
Leben auf den Planeten entwickeln konnten, und sie halfen auf
der Erde, die Kräfte der Mutter Natur auszubalancieren.
Es folgt der Kampf mit den dunklen Engeln, den gefallenen
Engeln, die in die verbotenen Spháren des tiefen Raums vorge-
drungen waren, deren Bewufitsein von den negativen Energien
besessen war. Sie zerstórten mit ihren atomgetriebenen Schiffen
die Zivilisation der Erbauer in den Galaxien. Die Erbauer, die
positiven menschlichen Engel, flogen auf die Erde, begründeten
im Westen eine hohe Zivilisation mit Hilfe der über ihre geneti-
schen Laboratorien vervollkommneten Erdbewohner, das Land
Na (Lemuria) im Südpazifik mit Kolonien in Südamerika. Im
C sion verfahren die gefallenen Engelmenschen, die Nephilims,
ähnlich. Sie schaffen Adam und Eva, wie sie glauben steril, als
Arbeiter für ihre Industrien, aber Eva erfährt das Geheimnis
der Zeugung von der Schlange, und die Nephilims haben nun
Angst vor der eigenen Schôpfung, die sich über die Erde ver-
breitet hat, nachdem die Zivilisation der Erbauer durch die Ne-
philims zerstôrt wurde und diese wieder auf den Heimatplane-
ten Himmel geflogen sind. Aber auch deren Geschôpfe leben
noch auf der Erde verstreut, Weiße in Skandinavien (Paulsens
Herkunftsheimat), die nach der Sintflut geflohenen Roten, die
Hopi, die seit über zwólftausend Jahren auf die Rückkehr der
143
„Erbauer“ und des wahren weißen Bruders warten, in den Wüsten
Nordamerikas.
Und schließlich heißt es, daß die Erbauer bei ihrer Vertreibung
versprochen haben, zurückzukommen und die Erde von der bösen
Dunkelheit der Nephilims, die sie nun besitzen, zu befreien. Dieses
Gelübde wird in der Jetztzeit wirklich. Norman Paulsen selbst be-
zeichnet sich als einen inkarnierten Herrscher der Erbauer, Chri-
stus ist in ihn eingekehrt, er hat Kontakt mit den Erbauern, die
auf ihren Mus zurückkommen.
Und in seiner Kommune Sunburst in Kalifornien, deren Land-
besitz bei meinem Besuch 1982 gerade verkauft worden war (um
in der Wüste von Nevada unter dem Namen The Builders neu zu
beginnen), sollte die Landepiste für die zurückkommenden Er-
bauer, die Engelmenschen, entstehen, um, auch mit deren eige-
nen bekehrten Adam-und-Eva-Nachfahren, die gefallenen Engel
endgültig zu vertreiben. Berichte in der Presse und von Anwoh-
nern über Waffenlager und Waffenausbildung sind die andere
Seite einer ‘Rückkehr der Engel’ am Anfang des Neuen Zeital-
ters.
Norman Paulsen konnte seine Ideen im kalifornischen geisti-
gen Klima der 50er/60er Jahre entwickeln und, wie es Christopher
Evans nennt, aus den »Kulten des Irrationalen« schópfen. Die
Ufologie mit einem ihrer auffálligsten Vertreter, George Van Tas-
sel, den Paulsen öfter erwähnt, bewegte die Gemüter. Die Aethe-
rius-Society um das englische ‘Medium’ George King, die Kon-
takte mit interplanetaren Mächten hatte, breitete sich nach Ame-
rika aus und errichtete eine Zentrale in Los Angeles, Atlantis
wurde gesucht. Die Scientologen hatten die Thetanen erschaffen,
und ihr Gründer hatte Paulsens Schiffstraum verwirklicht. David
Berg hatte seine Visionen über die Endzeit, war ein Berufener des
Neuen Zeitalters (Ich bin der Wassermann — dies ist mein Zeitalter)
und 1128 seine Children of God - die drop-outs, die die Jesus-
«evolution machen sollten - kleine Kommunen als gottgewollte
Kolonien gründen. Mit dem Hopi White Bear fuhr Paulsen 1972
zu einer Aquarian Age Conference nach Hawaii. Lr meditierte
bei Kirpal Singh, den er als einen der Erbauer bezeichnete, und
war Schüler des Hindu Paramhansa Yogananda, der die Self-
Realization-Fellowship begründete und die Gründung von spiri-
tuellen Kommunen propagierte, zu denen auch das Ananada Co-
144
operative Village gehört. Die Bhagavad Gita steht gleich neben
der Bibel in seiner Lektüre. Auffällig sind zahlreiche Parallelen
zu Leben und Lehre des Rev. San Myung Mun, des Gründers der
Vereinigungskirche, die auch in Kalifornien weite Verbreitung hat:
weltlicher Leidensweg, Offenbarung der Mission, Kämpfe mit
Satan, die vollkommene Ehe auf der biographischen Seite; die
Cenesis um die Freude des góttlichen Geistes willen, das dualisti-
sche Polaritátsprinzip, das den Schópfergeist einbezieht und von
Atomphysik bestátigt wird, die sich in allem Leben fortsetzende
Polaritát, die Ursünde als Ehebruch der Vereinigung der Men-
schen mit Satan, woraus der satanische Adamtyp entstand, dessen
Ansiedlung im Osten, was bei Mun deutlicher den Kampf gegen
den Kommunismus beinhaltet, der Endkampf, bei Mun der
3. Weltkrieg, Mun als Herr der Wiederkunft in vollkommener Ehe
wie Paulsen mit seiner Engel-Frau.
Die 'sanften Verschwórer' des Neuen Zeitalters, die Schreib-
tisch-Philosophen des evolutionáren Bewuftseinssprungs, die
mit Báumen und Kristallen kommunizierenden Regenbogenkin-
der, die meditierenden Initiierten indischer Gurus, die auf den
Schwingen der Seele in hôhere BewuBtseinszustände reisenden
Workshc»ler werden sagen, dies sei kein New Age. Aber schauen
wir ruhig einmal genauer hin, sehen die vielen gedanklichen Ver-
bindungslinien und Übergánge, die sich im gesamten Spektrum
der Vcrfechter eines Neuen Zeitalters zeigen, trennen nicht so
schnell Spreu vom Weizen, denn auch der Weizen kann sich als
Spreu erweisen - oder Giftweizen sein, der als Medizin für
'inneres Wachstum' genommen wird, aber den menschlichen Rei-
fungsprozeB zum gesellschaftlichen Handeln verhindert. Zwi-
schen Atlantis-Suche und Grals-Suche, zwischen Engeln in Ufos
und Engeln in Kürbissen, wobei beide die Kráfte der Mutter
Natur ausbalancieren wollen, beruht der Unterschied wohl mehr
auf anderen Signifikanten als auf anderen Signifikaten, und der
zentrale Cedanke der Neuen Zeit, die Gewinnung des Bewuft-
seins der Einheit des Menschen mit dem Kosmos, die Fáhigkeit
zur Transzendenz, durchzieht alle Versuche. Die gesellschaftli-
chen und politischen Konsequenzen scheinen weicher zu sein:
Da werden nicht mehr die Jugendlichen aufgefordert, sich von
den Eltern und der Gesellschaft zu trennen, als drop-outs Kolo-
nien zu grünen, Babies zu bleiben, um in den Himmel zu kommen
145
(Children of God), sondern der Workshop zielt tendenziell - und
oft auch deutlich sichtbar — auf die Môglichkeit des ‘Familiener-
lebnisses'. Die politische Dimension besteht eher in Verweige-
rung — und seltener im passiven Widerstand - als im Aufruf zu
den Waffen. Aber das sagt noch nichts über einen Reifungspro-
zel) aus. Und es berührt schon seltsam, wenn - nach der Flut der
Kritiken an der militant-religiósen Haltung des Rev. Mun, an sei-
nen Messias-Ansprüchen, an seinen Finanzgescháften und sei-
nen pádagogischen Praktiken - die Verkünder der sanften Spiri-
tualität sich unter seiner Schirmherrschaft und Finanzierung
1985 zum Assembly of the World’s Religions in New Jersey versam-
meln und neben ihren Vortrágen an Kreis-, Feuer-, Schweige-,
Gebets- und Anrufungsritualen der Geister des Platzes durch den
Delaware-Chief Richard Snake teilnehmen. Und Mun spricht in
seinem Grußwort von Liebe, Glück und Frieden für die ganze
Menschheit - ohne Schranken zwischen Farbe oder Nationalitát,
zwischen kulturellen Traditionen, zwischen Ost und West, Nord
und Süd. Gott umarmt alle Kinder. Doch auch in diesem Gruf-
wort fehlt der Messias nicht zur Rettung der gefallenen Humani-
tát, die auch sogleich dingfest gemacht wird: moralische Korrup-
tion, Drogen, Terrorismus, Rassendiskriminierung, Vólkermord,
Krieg, ungleiche Verteilung der Güter, MiBachtung der Men-
schenrechte und totalitárer Kommunismus. Schuld sind Hedo-
nismus, atheistischer Materialismus und sákularisierter Huma-
nismus. Aktive Mobilisation der Religionsvertreter wird gefor-
dert, wobei das Wie offengelassen wird.
Wiederkehr der strafenden Engel?
Verdammnis und Ordnung des Chaos aus deduktivem Glau-
ben, aus Offenbarung? Wo bleibt die Móglichkeit, aus der em-
pirischen Alltagserfahrung Hoffnung als Ja zum Leben abzulei-
ten und umzusctzen? Wo bleiben Spiel und Lachen als schópferi-
sche und relativierende Gesten?
Doca wenden wir uns wieder den Findhorn-Engeln zu, dem
Faktor” zwischen naturwissenschaftlichen Kraftfeldern und
Sehnsucht nach dem Paradies. 1962 wurde der Findhorn-Garten
von drei Menschen, die alle von sich sagten, daB Gott zu ihnen
spreche, als eine Versorgungshilfe bei ihren drmlichen Verhiltnis-
sen angelegt. Das ‘übernatürliche’ Wachstum der Pflanzen in
dem, wie es immer wieder heißt, ‘kargen Boden’ ging als Wunder
46
durch die Medien, lockte Besucher an und führte schließlich zu
einer kleinen Kommune spiritueller Menschen. Heute ist daraus
eine gut organisierte grofie Gemeinschaft geworden, die jáhrlich
um die 5000 Gáste zu Seminaren und Kursen beherbergt. Das be-
deutet eine soziale und ráumliche Ausdehnung, die wir natürlich
auch als touristische Überlagerung der Einheimischen bezeich-
nen können. Das Ziel ist ein planetarisches Dorf als internationa-
ler Inbegriff einer New Age-Kultur und einer spirituellen Ökolo-
gie, in der der Carten, der über den Workshop wohl zunächst
ziemlich vernachlässigt worden ist, eher die Rolle eines Mediums
spielen soll, um Gott auf die Erde zu bringen. Das allerdings ist die
Äußerung eines dort lebenden Mitglieds.
Was aber hatte es in den Gründungsjahren mit dem Faktor X
auf sich, gibt es heute noch einen Faktor X? Das von der Comm-
unity 1^75 selbst herausgegebene Buch »The Findhorn Garden«
beschreibt auch die Fehlschláge, die mühsamen Versuche und die
unendliche Arbeit in diesem Garten, nicht nur die Botschaften
der Devas und Engel, die auch als Energie, Lebenskräfte bezeich-
net werden. Und die Botschaften dieser Wesen sind sehr prak-
tisch. So gab die Artischocken-Deva die Anweisung: Wir glauben,
daß das Land auf dem Hügel dort ein guter Platz für uns sein wird,
solange es nicl.t zu winZig ist, oder die Kohl-Deva: Es wáre besser,
die Pflanzen jetzt zu lichten. Auch die unteren Blätter abzunehmen
wäre gut. Außer den Devas der einzelnen Pflanzen gab es den
Landsc!:aftsengel, der Fragen des Zusammenspiels der Kréfte im
gesamten Areal beantwortete. Und schließlich, nachdem der
Garten eine Einheit geworden war, entstand der Engel von Find-
horn, eine Art Schutzengel. Dorothy sagte dazu: Ich glaube, dafi
Jede Einheit, sei es eine Farm oder eine Kommune, ein Paar oder
eine Nation, eine überstrahlende Anwesenheit hat, die irgendwie die
verschiedenen Ebenen der Energien umfaßt, die in dieser Einheit ge-
nutzt werden. Der Engel von Findhorn ist ein zusammengefügtes
Wesen, gz2boren aus der Substanz unserer Gedanken und Ideale, den
Ausstrahk:>cen des Landes und den Energien der hóheren Selbste,
nicht nur der Menschen, die dieses Land bearbeiten, sondern ebenso
von den F,anzen und Tieren dort.
David £pangler, der lange in Findhorn lebte und 1971 in einem
Buch Findhorn als Geburt eines.Neuen Zeitalters bekannt machte,
bezeichnet diese überstrahlende Anwesenheit als Synergie, als
|A.
Status, in dem das Individuum als Teil einer Gruppe größer ist als
allein, mit mehr Gewahrsein und Kreativität, wobei das Indivi-
duum und das Ganze stärker werden.
Ein anthroposophischer Bauer in der Schweiz nannte diese
Synergie in einem Gespräch Hofindividualität oder Hofwesen, er
sprach von der menschlichen Fähigkeit, Lebendiges zur Entfal-
tung zu bringen: Und die Produktivität, die dzbei herauskommt, in-
dem eben ein Hof an Fruchtbarkeit und ! istungsfähigkeit zu-
nimmt, die liegt darin, daß menschliche Anteilnahme, menschliche
Fähigkeit, menschliches Können und Wellen, menschliche Arbeit
hereing^zeben wird. Diese menschliche Arbeit und alles, was an
Liebe b:s zur Fachkenntnis mit hereinspielt, wirkt sich da an diesem
Lele. gen noc’ ganz anders aus, als sich das in einem Industriebe-
trieb könnte; da ja etwas lebendig ist, was darauf anspricht und gern
bereit ist, mehr herzugeben ... Und vor allem dieses stindige Inter-
essehaben an den Vergängen, an den Lebensvorgängen auf dem
Hofe. Das ist das, was den Bauernhaf eben aus dem reinen Naturbe-
trieb heraushebt und zuzs K^ !turbctricb macht. Im besten Sinne des
Vzstes. Aber c! za nit, da. ProzZ Etivitát dadurch erzeugt wird,
ct man móglichst viel Feirzrtrzg herauswirtschaften will, sondern
dafi man jeden Acker und jedes Tier und alles, was zum Hof ge:^t,
stándia neu im Bewufitsein hat und azzpricht und ihm eigentlich
hilft, m« *r herauszugeben, als es von sich aus kónnte ... Und dann
entsteht nicht nur diese ökologische oder biologische Geschlossen-
heit ein:s L'ofes … Es er:ts:c).! eine Art Ir Zividuclität, wie Steiner es
ausdrückt, die ja eigentlich etwas Wesenhaftes beinhaltet, was selbst
zu leben beginnt auf dem Hof. Man kann den Begriff nehmen: Hof-
wesen. Es ist einfach etwas, was anfüngt von innen heraus Kraft und
Gestalt zu bekommen (Peter Blaser).
Eileen Caddy, eine der Begründerinnen, die auf Findhorn
blieb, sah auch nach der neuen Entwicklung von Findhorn ihre
besondere Aufgabe darin, wirkliche Liebe zu lehren, bedingungs-
lose Licbe. Das bedeutet für mich ohne jegliche Erwartungen und
ohne jegliche Ansprüche zu licóen ... Ich habe dazu Workshops ge-
geben, Vortráge gehalten, und ich werde immer wieder über dasselbe
sprechen: lieben zu lernen; wie man das fertigbringt, indem man ein-
fach io. hts von anderen erwartet, nichts beansprucht, sondern ein-
fach Il... ....
Ob diese Liebe, die sorgende Zuwendung und Arbeit, das Sich-
148
einbringen in eine Einheit, die wir hier immer als Haushalt des
Lebens bezeichnet haben, den Workshop-Selbstsuchern wirklich
zu vermitteln ist, sei dahingestellt. Über die Frage, ob sensitive
Menschen mit Pflanzen ‘sprechen’ können, ebenso über Bio-
relativität und elektromagnetische Vibrationen in interartlicher
Kommunikation, ist viel geforscht und geschrieben worden. Fak-
tor X? Vielleicht gibt es darüber hinaus eben einen Faktor X, der
nur für unsere Gesellschaft ein Faktor X ist, nämlich das Prinzip
der Gegenseitigkeit reifer Menschen in einer reifen Gesellschaft.
Aber brauchen wir dafür Engel? Vielleicht solche, wie sie ein
Mitglied von Findhorn, das für den Gartenbau zuständig ist, be-
schreibt: Der Garten, das war Arbeit, harte Arbeit mit der Natur,
war auch Gegenseitigkeit, Austausch zwischen Menschen mit sich
und ihr-x Umwelt. Heute, sagt er, verbrauchen die Besucher mit
ihren Becürfnissen die Energien und ist ein Teil des Gartens
Dschungel: Nicht alle, aber viele von uns versuchen, diese Verbin-
dung dcr sorgenden Auseinandersetzung mit der Natur wieder aus-
zuarbeiten, aber wir bescháftigen uns nicht damit, psychische Erfah-
rungen zu machen. Was uns wichtiger ist, sind nicht die Devas da
drav en, die unter den Büumen sitzen. Es ist wichtiger, die Devas in
sich drinnen zu finden.
149
4; SPIRITUELLE SUBLIMATION
DER PRIMAREN LIEBE
71 Vom prápersonalen Schlummerzustand zum Ende der Welt
Ken Wilber, führender Vertreter einer New Age-Wissenschaft
und einer Ewigen Philosophie, verweist die Engel schlieflich in
den prápersonalen Zustand einer Seligkeit der Unwissenheit: Ein
Engel ist eine Seele, die nicht genügend gewachsen ist, zitiert er
einen Sufi-Meister. Die Suche nach den Engeln wire für ihn der
Rückkehrversuch der Menschen in einen archaisch-uroborischen
Zustand, einen prápersonalen Garten Eden, der in die nächste,
die typhonische Entwicklungsstufe der Menschheit hineinragt: in
dieser waren das Ich und der Kórper mehr oder weniger verschmol-
zen — si? warez total undifferenziert. Der Engel und das Tier, der
Mensc und die C-hlange waren eins. Unter Berufung auf Piagets
Entwicklungsstufen der Kindheit, die von Wilber auf die Ent-
wicklung dcr Menschheit übertragen werden, sieht er auf dieser
Stufe die Ich-Umwelt-Verschránkung magisch festgehalten. Es
ist das erste Atman-Projekt des Menschen, Ersatzbefriedigung fiir
das absolute Einssein. Dieses absolute Einssein oder die immer-
wührende Hóchste Ganzheit nennt Wilber Atman und verbindet
diesen hinduistischen Begriff in Gleichsetzung mit denjenigen
anderer Religionen: Diese immerwährende Höchste Ganzheit, die
sich in jedem Menschen manifestiert, nennen wir Atman (wie die
Hindus es tun) oder Buddha-Wesen (wie die Buddhisten es tun) oder
Tao oder Geist oder Eewufitsein ( Überbewufitsein) oder aber Gott —
letzteres cAerdings seltener, ca sich so viele irreführende Assoziatio-
nen mit ciesem Begriff verbinden.
Le Kette der Atman-Projekte, der Ersatzbefriedigungen, die
sich fiir Wilber aus dem BewuBtwerden des theologischen Sün-
denfalls, der illusorischen Trennung aller Dinge von der Gottheit er-
gaben, ist nun für ihn nichts anderes als die W-!t dcr F- "tur. Kultu-
ren werden dabei unter Berufung auf Ernest Decker als genormte
Systeme der Todesleugnung gesehen. Die Rückkehr zum Absolu-
150
ten, zum Himmel des Überbewufiten, zu Atman, bedingt also im
Transzendieren des biologischen Todes zum Geist auch ein Tran-
szendieren der Todesleugnung, und das heit aller Stufen der At-
man-P*ojekte, der Kultur. Der kulturelle Tod ist somit die notwen-
dige Voraussetzung der Transzendenz: Wenn alle Tage gestorben
sind, LI: 5t nur Gott. Auf diese Weise mac. t das Atman-Projekt mehr
und mehr dem A*znan Platz, bis es nur noch Atman gitt, und die Seele
fest veranke-t steht in jener QUELLE und jenem SOSEIN, die das
^^ :und Omega ihrer langen Reise durch die Zeit war.
Die Vndezeit ist nun für Wilber, im Gegensatz zu den meisten
allzu cptimistischen New Age-Vertretern, keinesfalls jener im
Hier und Heute angesiedelte BewuBtscinssprung, sondern eben
die Halbzeit der Evolution, noch fern dem Atman fiir das Durch-
schnittsbewuftscin, aber, da es die mental-ichhafte Ebene der
Evolution erreicht hat, kann das Durchschnittsindividuum in seiner
green ?"zhrheit jetzt beginnen, ein transzendenter Held zu werden.
Wie in allen seinen Evolutionsstufen fordert Wilber die Akzep-
tanz des Todes der je gegenwärtigen Stufe, hier das Sterben der
mental-ıchhaften Struktur, um in die nächsthöhere psychische
Stufe einzudringen: Intuition als den Weg zu subtilen Bereichen
des archetyrischen Einsseins (Licht und Glückseligkeit), der
durchdringenden Erleuchtung (Gnosis) und schließlich der voll-
kommenen Auflösung des separaten Ichempfindens und der Auf-
erstehur ; 4.5 ATesdurckdringc:dcn Lebens oder Geistes (der vor
dem I. ;, Ccist oder C.«le und tlt da war, sie aber alle in einem
Nic! &istiscuen und universellen Bewuftseins umfaft). Es sind
die Stufen der Meditation, deren kontemplative Praxis Wilber als
einen absolutca ethischen Imperativ, einen neuen kategorischen
Imperativ für die Evolution der Menschheit setzt.
Seine Cesellsc! aftstheorie von morgen ist der Buddha- Weg, die
mystiszae © ...mclzung der potentiell freien Menschen, weil sie
Sul, …<uxx _ ", …. transzendieren und in ein unverstelltes Einheits-
bew:;.sein ...chbrechen kónnen, das vor allen Welten existiert,
aber kein ArZeres ist. Diese Gesellschaftstheorie einer potentiel-
len menschlichen Freiheit setzt Wilber dem humanistischen Mar-
Xismus und dem freudianischen Konservatizsmus entgegen, wobei
Im ersteren die Unfreiheit auf die Unterdrückungen in einer ob-
jektiven "velt, im letzteren auf die innere Unfreiheit, die subjekti-
ven Verdrángungen, zurückgeführt wird.
151
Da nun für Wilber weder die Veränderung der objektiven Welt
noch die subjektiven Verdrängungen die Todesangst des separier-
ten, des von seinem Ursprung getrennten Ich aufheben können,
nur zu immer neuen Atman-Projekten führen, polemisiert er
nicht nur gegen die konservativen Wissenschaften, sondern insbe-
sondere gegen die humanistische Psychologie und Psychothera-
pie des New Age. Nach allen Encounters, Urschreien, dem Heraus-
kehren czr Eingeweide und nach aller Katharsis bleibt das Ich im-
mer noch das Ich, und die Angst kommt wieder. Wilber hàlt die
New Age-Bewegung (abgesehen von einer Handvo!l wahrhaft
tranz^..'sonc'cr Seelen) für Massen prdpersonaler Siichtiger oder
tra:5nzisonaler Landstreicher mit einer rückláufigen Entwicklung
avf p" »ersonale, kultische, narzifitische Zielsetzungen bzw. in ein
Eden c.5 prápersonaler Schlummerzustand, den er mit Erich Hleu-
mann charakterisiert: Der Mensch schwirimt unbewufit im Instink-
tive3 wie das Tier. Geborgca, getragen und gehalten von der Grofen
.. 7r, die ihn wiegt und cer er ausgeliefert ist im Guten und Bösen.
^v. 2 Est er selber, alles ist WE!t. €:e ist bergend und náhrend, er,
der Mensch, nur selten schon wollend und tuend. N::htstun, tráge im
Unbewuften, in der unerschôpflichen Dämmerwelt dasein, in der die
große Nährerin ihm im mühelosen freicn 7" 4strómen alles gibt, was
er brauc/.!, cs ist der ,selig2" Zustand der Frühzeit.
John ©. Lilys seit den 60ern entwickelte und getestete Isola-
tionstanks für die Erfahrung des tiefen Selbst simulieren diesen
prápersonalen Zustand perfekt. Als Ein Gedanke aus dem Tank
wird von der Móglichkeit gesprochen, den rcinen Zustand des
Seins, der keine Parameter hat und unendlich ist, zu erreichen.
Und mit einer Bildergeschichte werden die Schritte der Bewuft-
seinsveránderung aufgezeichnet: 1. Kärpergefühle: schwarz,
feuckt*, warm, ruhig; 2. Einleitende Gedanken: warum bin ich hier?
(über dem auf dem Wasser schwimmenden Kopf tauchen Bilder
der /....zaswelt, Uhr, Haus, ein Kind, auf); 3. Erkenne, daf du al-
lein m°t deinem Geist bist (laf3 es los) (über dem Kopf ein heller
Lichtkreis); 4. Begib dich in einen traumáhnlichen Zustand (der
K^7^ sinkt gewissermafen in einem Ozean, hinter dem noch
Land sichtbar ist, im hellen Lichtbündel ist ein Embryo); 5. Er-
fahre neue Realitáten (Wirbel als ein Zustand des Seins) (das Em-
bryo, Czean und Land sind verschwunden, es bleibt ein Lichtwir-
bel in der Dunkelheit); 6. Darstellung eines Programms der
[52
Astralkörper-Trennung in die Leere: Totale Finsternis. Ein Licht-
punkt erscheint. Das Licht (Energie) erreicht und umgibt das Be-
wußtseir. Ein anderer Punkt erscheint (Leere). Das Bewußtsein
transzendiert, trennt sich und verläßt den Körper, gebadet in der Si-
cherheit der Energie, nähert sich der Leere. Das Selbst außerhalb
des Körpers tritt in die Leere ei ... Totale Finsternis ... Dann in
einen b? ^eren Z stand. Das Sclbst erfährt erweitertes Bewußtsein,
Astralreise, usw.; 7. Erkenne: Du bist die Leere. Kehre von deiner
planetarischen Reise zuriick (der Lichtwirbel erscheint im Kopf).
Die Simulation zielt aus einem pripersonalen Zustand auf
einen transpersonalen, auf die Evolution in den Zustand vor der
Menschwerdung. Die Reports ccr Versuchspersonen allerdings
verweisen, sofern Ich-Mentalität überhaupt ausgeschaltet
werden kann, eher auf die Rückkehr in prápersonale Phantasien
im Sinne Wilbers oder objektschwache, grenzüberschreitende
Phantasien im Sinne Balints: mütterlicher Orgasmus wührend
der eigenen embryonalen Phase; das Freihe:tsgefühl in einem
Heim ohne Objekte; Bewegung durch galaktische Ráume, über
weite Distanzen; schóner, schwarzer Nicht-Raum, ekstatischer
Raum tctaler Freude, Raum ohne Dimensionen, ohne Zeit, totaler
Fried», Nichtsein; Beobachtung der lokalen Bräuche auf der Erde
von oben aus der Distanz samtenen Halbdunkels; Beobachtung
der winzigen Einheit des Ich auf der fernen Erde aus einem leeren
..aum. Dieses Ich hatte einen juckenden Punkt auf der Nase
(Ausgang der Reflexion), und dieser Punkt war dem Universum
in seiner Größe gleich. Und das Ich war der Punkt und war das
Universum; und schließlich: in dieser sanften, warmen, liebenden
Dunkelheit und Stille zu liegen, war wie die Heimkehr zu eines har-
ten Tcces NO...
Arno!! Éeyserling, sich auf die Humanistische Psychologie
berufend, baut seine Stufenlehre der menschlichen Bewußtwer-
dung von der notwendigen Rückkehr in den pränatalen Zustand
auf: Dis erste Erkenntnis ... ist also, daß wir unser Grundvertrauen
finden, indem wir in den Zustand vor der Geburt — sei es früher
durch P gen, jetzt durch Hyperventilation oder durch andere Mit-
tel, zurückgehen ... Ein Mensch, der diese Schwelle nicht zurückgeht
in den vorgeburtlichen Lustand, der hat kein Grundvertrauen.
Den vorgeburtlichen Zustand beschreibt er — mit jener 'humo-
rigen' Sprache, die, wie man aus dem Beifall merkt, offensichtlich
153
bei den Hörern/ Anhängern gut ankommt - als höchst vergnügtes
Planschen in der amniotischen Flüssigkeit. Ähnlich humorig wen-
det er sich dem Geburtstrauma zu: ... und plótzlich denken sie,
was ist mit der Mutter los, die scheint verrückt geworden zu sein.
Und jetzt b^zinnen die V. then ..., dann werden si? wie ein alter
Zahn ausges:_fen ., steht da draußen ein Engel, leicht erkennbar
an seinem weißen Mantel, der nimmt uns an den Fen und die Welt
beginnt mit unserer tiefsten Erfahrung der Popoklatsche. Da das
Bewuf:sein der Herkunft in diesem Moment schwindet, muB es
durch Rebirthing wiedergeholt werden. Die zweite Stufe der R.e-
orientierung ist für Keyserling die Sexualität: Die Ceburt selber
bedeutet, d2fl man diese Pzrioden wiedcrerlebt, das ist die Sexuali-
tät. Die Scxual:*Zt ist nichts anderes als ein V-»such, d:e frühere Ver-
einigu::g mit Zer Mutter immer wizJcr zu erleben. Wie Wilber den
New Ase-Adepten präpersonale Orientierungen vorwirft, so
ihren ““ritikern, den Sozialkritikern und Anthropologen, die Ver-
wechslung von prä-ichhaftem und trans-ichhaftem BewuBtsein,
den Mangel an Unterscheidungsvermôgen zwischen Reorientie-
rung an einer archaisch-unbewuBten Verschmelzung und einer
evolutionären Verschmelzung über das höchste Bewußtsein oder
das Überbewußtsein, das das Ende der Geschichte, das Ende der
Tyrannei dc: Zeit, das Ende der optischen Täuschung des Getrennt-
seins, d.e Auferstehung dcs A/l und die Rückkehr zur Ganzheit be-
deutet. Es ist Zie angestrebte Verschmelzung, die über den biologi-
schen Sündenfall (das erwachende Ich-BewuBtsein) in stufenwei-
ser Evolution den theologischen ^3ndenfc'l der Trennung vom All-
einen überwinden will. Das bedeutet Transzendierung, Aufló-
sung aller Grenzen: Die Grenze zwischen dem Ich und dem Ande-
ren ist der Schrecken des Lebens; die Crenze zwischen Sein und
N°". Sein der Schrecken des S:zzbens. Solange die A :aschen Skla-
ve © Crenzea sind, werden sic in Këmp” +! -wick.!t sein … Das
ww. I ystik ist es, die Mensc;sen aus ihron Kámpfen zu befreien,
inden: sie sie von ihren Grenzen befreit ... Die Entdeckung des hóch-
sten Ganzen ist das einzige Gegenmittel gegen Unfrciheit und die
einzige medizinische Verordnung, die die Mystiker anbieten.
Und hier sind es schließlich doch wieder ‘die Wenigen’, die
dieses Ziel erreichen, wáhrend es noch Tausende or gar Millio-
nen von Jahren dauern wird, bis die Menschheit ‘ls Ganzes sich in
den Bereich des Überbewußtseins hinein entwickelt hat und somit
54
Geschichte eine Chronik über Menschen ist und bleiben wird, die zu
früh geboren wurden.
Ken Wilber rechnet sich selbst zu den Wenigen - und das hat er
mit allen New Age-Anhängern gemeinsam, selbst wenn er jene zu
den *7anspersonalen Landstreichern záhlt. Und wie diese beruft er
sich immer wieder auf Teilhard de Chardin. Aber bezeichnet sich
Teilhard nicht selbst als einen solchen ‘Landstreicher’, wenn er
1934 schreibt: Wir müssen in einem gewissen Maße einen bestündi-
gen Hafen suchen. Doch wenn das Leben uns unaufhórlich losreifit,
ohne urs ircendwo V'rzela sch'zzen zu lassen, ist das vielleicht ein
Ruf und ein S£ezen: die V7: wird nur von jenen begriffen und geret-
tet werden, d:e keinen Platz haben, wohin sie ihr Haupt legen kón-
nen. Persónlich bitte ich Gott, mich am Rande einer Strafle sterben
zu lassen.
Dieser Glaube an die Welt ist aber gleichzeitig der Glaube an
das Ende der Welt, den Punkt Omega, in dem die Vereinigung des
getrennten Ego mit dem All erreicht ist. Im Gerensatz zur Entro-
pie der Materie, die bei Wilber aus dem Urknall als dem dréhnen-
den Gelächter Csttes, der sich freiwillig zum millionsten Mal verlor,
entstand, ist der Geist nicht der Entropie unterworfen, strebt zur
Personalisierung im Überpersönlichen. Wie ein beständiges Aus-
strôme”. sagt Teilhard, lösen sich rings um uns, eine um die andere,
die ©__!en’ los und tragen ihre unmittc:dare Bewuftseinslast nach
obe-. “lnc um die andere: und doch nicht vereinzel:. Denn für jede
ven i .:: a gle es infclge der Natur von Omega nur einen moglichen
Pup... | ll3gen Dmportauchens. Er wird deutlich werden, wenn
de } s Le mit ihrer persónlichkeitsbildenden Kraft der Syn-
thess cz" Ihre einzelnen Elemente wie sich selbst als Ganzes zur
Per: * _ ... tg _rundet haben wird. Er liegt da, wo die Noosphäre,
im ko’. .tiven Zusammenwirken, ihren Konvergenzpunkt erreicht —
am ‘Ende der Welt’.
72 Kryptoerotische Variationen
Die Jahrmilliarden (Wilber spricht von 7-15 Milliarden Jah-
ren) zwischen jenem dröhnenden Gelächter Gottes oder dem
spielerischen Sich-Verlieren und Sich-Vergessen des Geistes
(Brahman / Atman) in einer illusorischen Bewegung (nur so zum
155
Spaß, als göttliches Spiel) abnehmenden Bewußtseins (der Invo-
lution) bis zum Punkt Omega der Evolution, dem Verschmelzen
im Alleinen, sind nun für den Mystiker in jenem ewigen Augen-
blick des absoluten Einsseins aufgehoben, das so oft als ozea-
nisches Gefühl, als Verschmelzung, als Ekstase, als ein Liebesakt
kryptoerotisch beschrieben wird. So Teilhard de Chardin: Jede
Flutwelle, die mich durchkreuzt, umschlingt oder einfüngt, geht letzt-
endlich vom Herzen Gottes aus, führt nach Art einer subtilen wesen-
haften Energie die Schwingungen des góttlichen Willens mit sich.
Jede Pzegnung, d:e mich liebkost, mich anspornt, mich stófit, mich
schürft oder mich bricht, ist eine Berührung mit dcr vielfórmigen
aber a.lzeit anbetungswürdigen Hand Gottes. Jedes Element, das an
mir baut, flie?t von Gott über. Cebe ich mich den Umarmungen des
sichtbaren und tastbaren Universums hin, dann kann ich mich dem
láuternden Unsichtbaren vereizigez: und mich de: mak. Jlosen Geist
einké*p2*n! Gott durchbc*: dca Ather; uad durch ihn gelangt er bis
ins ark meiner materiellen €. 5stanz. Kraft sciner treffen sich, be-
einflussen und unterstützen sich alle Kórpzr in der Einheit der tota-
len Spháre, deren Grenzmantel wir uns nict vorzustellen vermógen
-.. Gott arbeitet im Leben ..., ich >." Ihn in der tief 1 biologischen
Strómung, die in meiner Seele krzist und sie mit sich fortwälzt.
Und 1912 schrieb der Mittdreifiger Teilhard, der nach Schiwy
sein spiritue..cs Erwachen dem Einflufi von Frauen verdankt , in sein
Tagebuch: Schon am Anfang bin ich aus den Händen Gottes her-
vorgegangen. Alles in diesem Universum, von der blindesten Bewe-
gung der Fertikeln und der Sterne, geschieht durch 1 ^ 7einigung und
Fruchtbarkeit. — Ich bin die vereincnde uid anzi. .ende Seite der
Seienden. Durch mich bewegt sich alles und wird alles koordiniert
o I*Sv7 mich wird also alles differenziczt und alles vergeistigt, —
wird ailes fruch:bar .. Mit dem Leben habe ich mich in zahllosen
Z2ntren individualisiert. Doc im Angesicht des Menschen hat der
Schónfer mich zum erstenmal in meinc- ganzen C :hónkeit auftreten
lassen ... Wenn der Mann eine F:au licct, glaubt er, sein Herz wende
sich nur einem Indiviz.:m zz, cem er begegnet und mit dem er sich
frei verbindet ... Doch sehr bald wundert er sich über die Gewalt, die
in ihm entfesselt wird, und mit Zittern stellt er fest, daft er sich mir
nicht vereinen, nicht nähern kann, ohne notwendig in den Dienst
eines universellen Werkes der Schöpfung gestellt zu werden. Ich bin
das Tor der Welt, nicht nur das Zentrum der Erhellung, sondern das
56
offenbarende Zentrum, der Zugang zu den tiefen, inneren Bereichen
der ei3zicen Wirklichkeit; — ich die (stürmische ...) Initiation. Wer
mich l:z* t, liebt alle Dinge: das Universum fárbt mich und umhüllt
mic") mit einem prächtigen Gewand. Ich bin sein Antlitz und sein
Blick ... Wer mich findet, hat das Leben gefunden. Ich bin die
Natur.
Denken wir an Leiris’ Caput mortuum, die entindividualisierte
Frau als universelle Matrix, in der sich der Mann als das Antlitz
Gottes findet, die ‘primitivere’ Antwort des Unternehmer-Ver-
schwôrers von Ferguson, der das Yin in sich entdeckte, weil er
‘Frauen hatte’.
Der Schritt zum kosmischen Orgasmus, wie ihn Bhagwan Shree
Rajneesh predigte, ist nur korisequent und konnte - den weltli-
chen, westlichen ‘transpersonalen Landstreichern’ zugewandt,
die in den 70er Jahren in sein Zentrum nach Poona strómten - bei
jener befreiten Sexualität anknüpfen, die insbesondere über den
von der 68er Generation zum Propheten ernannten Wilhelm
Reich getragen wurde. Auf dessen Orgon, die mit Sexualität iden-
tifizierte Urenergie, dessen Hochschätzung des Orgasmus und
der Annahme und Hingabe an die Lebenskraft, die Bioenergie,
baute Lajneesh, insbesondere unter Hinzuziehung des Tantris-
mus (Tantra ist eine totale Annahme der Dinge wie sie sind) seine
Lehre von Sexualität und Spiritualität als zwei Seiten einer einzi-
gen Enerei? auf. Kundalini-Yoga verwandelt Sexualenergie in
spirituelle Energie: Tantra ist kosmischer Sex.
Annahme und Hingabe sind zentrale Begriffe von Rajneeshs
Transzendierungslehre, deren Sprache nicht mehr kryptoero-
tisch, sondern kryptosexuell ist. Die Hingabe und Selbstausliefe-
rung zwischen Mann und Frau wird auf die Hingabe des Jüngers
an den Meister übertragen: Es ist eine Liebesbeziehung ... du hast
dich ausge. fert. Das hilft, denn nun bist du verwundbar, offen. Du
bist weibli.^ g2worden. Das münnliche Ego ist abhanden gekom-
men, wu: Z4 E: zu einem weiblichen Mutterschofl geworden. Hin-
gabe und Annahme, hier als weibliche Qualitáten hypostasiert —
fiir wen? Den Guru? Doch die Sublimation geht weiter. In Medi-
tation, als innerem Geschlechtsverkehr, vereinigt sich der Tran-
szendierende mit der Frau in sich selbst, und in der Stufe der Er-
leuchtung geht das androgyne Prinzip in die kosmische Ver-
schmelzung über, die Rajneesh so konsequent als kosmischen Or-
157
gasmus beschreibt: Ein Buddha lebt tagein, tagaus, 24 Stunden am
Tag, im stand des Orgasmus. Zwischen dem Tog, an dem Gau-
tama I «ha erleuchtet wurde, und dem Tog, als er starb, liegen ^ :
Jahre. In diesen 42 Jahren befand er sich unaufhórlich in einer» .
stand des absoluten, vollkommenen F'ahepunkts. Überlegt euch das
einmal ..., die wenigen Momente, die ihr erlebt, sind nichts im Ver-
gleich zu einem Buddha.
In Ken Wilbers Terminologie handelt es sich hier um ein analo-
ges Gesetz, das die Prinzipien des Seins nicht aus der Entstehung
aus den niederen Spháren erklárt, sondern sie als eine reduzierte
Version oder eine Abwirtsreflexion des Hoheren sieht: Im Hin-
duismus zum Beispiel durchliuft die absolute Gliickseligkeit des
Brahman eine ganze Reihe c"^w?ts gerichteter Reflexionen oder
Verdiinnungen, bis sie schließlich als sexueller Crgasmus erscheint,
oder, die Vedanta-Vorstellung interpretierend: der kausal2 Kórper
ist nichts als eine unbedeutende Kentraktion im Vergleich zur Ewig-
keit. Der kausale K3rper, für Wilber die vollkommene Stufe der
Erleuchtung (die Buddha-Stufe), verdünnt sich gewissermaßen in
einer abwärts gerichteten Version, die aber das hóchste Prinzip
noch enthält, zur menschlichen Sexualität. Wie für Wilber so ist
auch fiir Rajneesh das Transzendieren in die nàchsthóhere Stufe
nur durch Annahme der vorausgehenden môglich. Rajneeshs
Aufforderung an seine Anhänger, sich ihren Energien hinzuge-
ben, sie anzunehmen, können wir als konsequente Auslegung des
analogen Gesetzes sehen, aus dem sich dann auch die Analogie
von Sexualität und Spiritualität erklären läßt.
Wenn Cu deine Sexualität lebst, wirst du eines Tages auf deine
Spirituclitát treffen ... Sex ist nur dor Anfans, nicht das Ziel. Aber
wenn du den Anfai: versáumst, wirst du auch das Ziel verpassen
(Bhagwan Shree Rajneesh, »Sex«).
Der in Wien auZgewachsene und in den USA lebende Benedik-
tiner und Zen-Buddhist Bruder David Steindl-2ast argumentiert
in einem Vortrag »Die Religion religiós machen« mit Abraham
Maslows Gipfelerlebnissen (auch Grenzerfahrungen), zu denen
das Verschmelzen mit der Natur ebenso gehórt wie große Linge-
bungen, Sport, die natürliche Czburt und die großen Augenblicke
ven Liebe und Szx. Diese Gipfelerlebnisse als I” "fahrung dcr Wirk-
l--hkeit bestátigen nun für Steindl-Rast mit Maslow die eigent-
liche religióse, mystische Erfahrung als Wirklichkeit: Gipfelerleb-
158
nisse können als wahrhaft religiöse Erfahrungen betrachtet werden
... Das verstehe ich unter Religion.
Handelt es sich bei Verschmelzungssehnsüchten und ihren
kryptoerotischen Variationen nicht eben um Fälle von induktiver
Theologie im Sinne Bergers, bei denen die weltlichen Erwartun-
gen transzendiert und als eine Imitatio der absoluten Wirklich-
keit gespiegelt werden? Rajneesh bezog in seiner Sublimierungs-
lehre direkt Stellung gegen das Christentum und seine Sünden-
lehre: Pie zwcitausendjährige Unterdrückung der Sex-Energie
durch das C'ristentum. Daf) seine Lehre von der freien sexuellen
Energieentfaltung in den 80er Jahren seines Wirkens in Ore-
gon/ U^A unter der Einwirkung des puritanischen Geistes Ame-
rikas und den Schatten von Aids zu einem Kanon von Hygiene-
Anleitungen und Enthaltsamkeitsidealen führte, zeigt die gesell-
schaftliche Gebundenheit kryptoerotischer Spiritualitätslehren
besonders deutlich. Ken Wilber hatte 1981 die Kundalini-Subli-
mierung bereits ausschließlich im Hinblick auf eine entspre-
chende Anpassung der Ehepraktiken im Zeitalter des verantwor-
tungzccwufiten stabilen Ego interpretiert. Aids ist nicht nur für die
katholische Kirche ein Vehikel, um die traditionellen Werte von
Keuschheit und ehelicher Treue erneut zu betonen, sondern wird
auch von New Age-Anhüngern als Strafgericht interpretiert.
Für 7 :jneesh ist Aids allerdings geschwundener Lebenswille
des von den P-iestern ..., von den Eltern, von den Politikern, von den
Páüdagogen bctrz zcnen Menschen. Und er fáhrt fort: An dem Tag,
an dem «7 rcif wird und dies erkennt, zerbricht der Lebenswille. Und
das €, was wunder wird, wird deine C«xualitát sein. Für mich
ist Ao gua oc. Vad won colo Pexualztát zu verkümmern be-
ginnt, Gcnn hc/;st du in Wirkdüchkeit, daß etwas passiert und du in
ewiges Schwzeigza eingehen wirst, in ewiges Verlóschen. Für seine
Anhänger hält Dhagwan Shree Rajneesh, auBer den 1984 in der
>Aids-Eotschaft« versandten praktischen Empfehlungen, jedoch
eine I. ;Cnungslehre bereit: Leben ohne jeden Willen, Leben voller
Freuc. , alle Morgen und alle Gestern vergessend, durch die Kon-
zentration auf das gelebte Heute stark genug, alle Arten von
EÉrankzeiten, jece selbstmórderische Neigung abzuwehren.
Anders die spirituelle *Priesterin' Dina Rees in Freiburg: Der
Sex bringt heute Unglück durch Vérantwortungslosigkeit ... Die
Evolution bringt uns zur Umkehr, indem sie Aids kreiert hat ... Aids
159
... ist aus meiner Sicht die moderne Pest, ein von der Evolution kre-
ierter Zustand, um die Menschen wieder zur Verantwortung zu erzie-
hen für das wahrheftige Leben, dazu, ein Mensch zu werden ...
Mann und Frau sind nicht dazu geschaffen, was heute als Spiel ab-
làuft ... Sex geschieht ohne Verantwortung.
Die »Utopie der Treue« wie sie Marina Gambaroff analysiert,
und die sexuellen Tabus einer neuen Spiritualität bekommen
Unterstützung aus einer neuen Todesangst. Die unio mystica oder
das ozeanische Gefühl der Ekstase, die harmonische Verschrän-
kung als letztes Ziel libidinösen Strebens im Sinne Balints bietet
das New Age aber auf jener höheren, transformierten Ebene wei-
terhin an, einer Ebene, die sich parallel zu den gesellschaftlichen
Entwicklungen im Westen aus der Boheme- und Drogenszene der
60er Jahre zur neuen bürgerlichen Ethik der 80er Jahre bewegte,
von der Libertinage von Kommunen und Massenfesten zu Medi-
tations- Workshops und Family Gatherings.
73 Das ozeanische Gefühl
Um in den Surat Shabd Yoga (Yoga des Góttlichen F'ang-
stroms) in den von Kirpal Singh gegründeten westlichen Zentren
der Ruhani Satsang-Lehre oder bei Workshops eingeführt zu
werden, muß man zwei Voraussetzungen erfüllen: die Einhaltun-
gen menschlicher Tugenden (Vegetarismus, Alkohol- und Dro-
genabstinenz, Arbeit im ‘Schweiße des Angesichts’ und Keusch-
heit, von der nur die Ehe ausgenommen ist) und die liebende
Hingabe an den Meister, den Guru oder Gottmenschen. Nur mit
Hilfe des Gottmenschen kann der Aufstieg in die hôheren Sphä-
ren erfolgen, wobei in diesem Yoga die Technik nicht wie im tan-
trischen Yoga beim Sexualzentrum einsetzt, sondern beim
6.Chakra, dem 3.Auge. Um in den gôttlichen Energiestrom,
Licht und Klang als uranfängliche Manifestationen des gôttli-
chen Geistes, einzugehen, muB der Mensch von dem Gottmen-
schen, der mit dem unpersónlichen Gott eins ist, der zur Lehre
Gestalt angenommen hat, geführt werden. Er ist der Ozean des
Lebens: Gott und der Gottmensch sind wahrhaft wie der Ozean und
seine Gezeiten. In den Augenblicken, wenn die Gezeiten sich heben
und fallen, erscheinen sie als verschieden, aber sie sind von der glei-
160
chen Wesenheit wie das Wasser des ursprünglichen Ozeans. Genau
das gleiche ist ein Wassertropfen. Wenn vom Meer getrennt, ist er ein
Iropfen, aber wenn er in den Ozean eingeht, verliert er seine Indivi-
dualität und wird Teil des Ozeans. Und, einen Sufi zitierend, wird
dieses Bild schlieBlich auf die Erkenntnisfindung in der spirituel-
len Suche ausgedehnt: Der große Name ... ist der große Ozean,
dessen Wellen wir sind, allein der, der unsere Lehre gemeistert hat,
kann d 7s verstehen.
Die überragende Bedeutung des Guru auf dem Weg in das ozea-
nische C'efühl beschreibt ein Jünger Bhagwan Shree Rajneeshs:
Sein Gesicht ist grenzenlos geworden, unscharf. Dann ist auch
das verschwunden, und nur ein ozeanisches Gefühl bleibt zurück, als
stündc-t du ver einem sich in ungeheuere Weite erstreckenden Meer.
Wenn du dich da hineinfallen lassen kannst, mit ihm verschmelzen,
darin untertauchen kannst, dann verlierst du etwas, und etwas
komm:t Finzu. Nach Millionen von Jahren tauchst du wieder auf,
doch du bist ein klein wenig weniger du und etwas mehr etwas ande-
res.
Auch die Lebensphilosophie der Farm-People in Tennessee,
ehemalige Hippies, die unter ihrem spirituellen Führer Stephen
Gaskin 1971 eine Landkommune gründeten, basiert, neben ande-
ren östlichen und christlichen Einflüssen, auf dem tantrischen
Prinz^ von Hingabe und Annahme der Energieströme. Auch
hier &i€ Annahme von Sexualitát als Spiritualitát. Aber sie wird
in den Predigten Gaskins nahezu zärtlich als Gegenseitigkeit von
liebendem Energieaustausch vermittelt, nicht als Ich-Auflósung
im ozeanischen Gefühl des Orgasmus.
Wenn du zugewandt bist, kannst du einen anderen aus drei Fuß
Entfernurg küssen und du fühlst die Energie von deinem Mund zu
dem a::">=ren Mund übergehen, in einem Eündel von Energie ...
Wenn ©: tentrisch b.s:. Wenn du kein Materialist bist. Wenn du kein
machoi.cfier Freak bist. Die Annahme und Hingabe an jeder-
manns Energie - der universalen Energie — ist soviel mehr, als je-
der einzelne behalten kann, und wenn eben dieser Einzelne zu viel
Energie erhalten hat, dann halte ein und lasse sie hinaus. Dein ,.Sto-
ned“ is: nur ein kleiner Überschuß an Lebensenergie in deiner
Aura: Van du sie nicht brauchst, gib sie einem Kind oder einer
Pflanze 6... irgend etwas. Aber laß sie sich nicht zerstreuen. Liebe
ist Yoga, Heilen ist Yoga, Geburtshilfe ist Yoga, Arbeit ist Yoga -
161
Yoga ist hier ein das gesamte Dasein durchziehendes Handeln im
Hier und Heute: Gaskin spricht von einem Haushalter Yogi.
Yoga irt hier nicht der Weg meditativer Selbsterlósung in die
Zeitlosigkeit. Sebald ich den friedvollen Platz gefunden habe und
friedvoll geworden bin, sagt Gaskin, erfahre ich, daß das, was ich
tun muß, aufbrechen und wieder hinausgehen ist und ich mich
wieder der geschäftigen Pflichten annehmen muß, denn es gibt
noch viele Menschen, die Hilfe brauchen, und ich kann noch nicht
ruhe. Siehe, das ist alles Handel für Gott. Der Haushalt des
Lebens wird von dem Haushalter Yogi in sich durchdringenden
konzentrischen Kreisen von der Kleinfamilie über die Haus-
haltsfamilie und die Farm-Gemeinschaft zu den zahlreichen
Entwicklungshilfe-Projekten draußen aufgebaut. Primäre Liebe
zu reifer Liebe entwickelt — auch das ist als spirituelle Sinnpro-
duktion móglich.
In George Trevelyans Vision des Wassermannzeitalters, die
von einem hohen Gegenwartsoptimismus getragen wird, spielt
die Verschmelzung im Ozean des Lebens, die Grenzüberschrei-
tung in der Meditation als ewigem Jetzt, dem kostbaren Augen-
blick dcr Zeitlosigkeit, eine durchgängige Rolle. Der innere Kern
des Menschen, das, was man in jedem von uns „Geist“ (das ^»iritu-
elle) nennen könnte, ist ein kleiner Tropfen der góüttlichen ^":z^», Als
solcher ist er unvergánglich und ewig. Die Transformation im dz-
hinflieenden Jetzt wird als Überwindung der Getrenntheit be-
schrieben, damit das kleinere Scibzt mit dem grZberen Sclbst ver-
schmelzc1 kann — , der Tropfez ft in den Ozean". Der Tod wird so
die Befreiung aus dem Grab des Kórpers, in das der freie Geist
eingegangen ist: Wenn ein Kind fragt, wo es hergekommen sei, fragt
es eich: Was ist mit e^. Erinneruna. an eine wunderschóne
WE't & > Lichts, &2 ich hcbz?" Es frost nicht — auch wenn unsere
mater: \stisc). Fultizr das annirs=t — nach vorzeitiger Auskunft
über Coxualijlt wd die sczczs3 , Tatscchen 7-5 Ledens“ Die
Erin, an einz wunderbzze Vt mag schr wckl n»ch wahrend
aov ET het Ezstchen, dznn der Abstieg in einen 7. "tp-r bei der Ge-
bw“ ic, wie wir gesagt haben, ein Abstieg in drastisc!:e Begrenzung
Zu..." Linengungz. Dese Verminczrung zu betrz" ten ist erschütternd.
2"? unsterbliche Scelc, Erbe der ganzen Fülle des unbegrenzten Be-
Ww "seins, ein freier Geist, imstande, die weiten Bereiche des Spiri-
tuellen zu durchwandern, sich zur geistigen Sonne emporzuheben,
[
A2
ein Wesen solch erhabener Größe muß sich jetzt darein schicken, sich
in eine enge körperliche Gestalt einzuschließen und zu beschränken.
Im embryonalen Zustand scheint für Trevelyan noch die Unbe-
grenztheit der freien Seele zu sein, so jedenfalls greift er interpre-
tierend das Gedicht Thomas Trahernes aus dem 17 Jahrhundert
auf:
Ich war im Inneren
eines 1. zuses, cus ich nici.? kanntc;
frisch ausgcAlcidet mit Haut.
Da wer mir meine Seele mein einziges Alles
ein levendiges unendiiches Auge,
vom Himmel kaum bcogrenzt,
dessen Krajt und Tzn nd Wesen das Sehen wa;
ich war eine innere Cplidre des Lichts,
oder ein grenzenloser Kreis des Sehens,
das übertreffend, was die Tage schafft,
eine lebensspendenae Sonne,
die weithin ihre Strahlen ausbreitete
Ganz Leben, ganz Sinn,
bloße, einfache, reine Intelligenz.
Und wenn der Tod aus der Qual des Getrenntseinsbefreit, dann
sublimiert sich Liebe, mit dem tróstlichen Versprechen, dafi wir
diejenigen, die wir geliebt und verloren haben, tatsáchlich wiederfin-
den: In diesem kórperfreien Raum kónnen Seelen sich verbinden
und miteinander verschmelzen, so daß das Bewußtsein eines wird,
während 2 eicene Llentitát bestehen bleibt. So wird das ekstati-
sche I tnis der Licde intensiviert, nur in viel feinerer Form als im
physischen Kórp:.. Vie Goethe sagt, ist alles Vergángliche nur ein
Gleichnis, ein ÆDbild. Ailes IrZische ist Widerspiegelung schópferi-
scher I..cen und Archetypen in den spirituellen Sphären. So kann die
kórperliche 1 :.e nur eine Spiegelung dcr wundervollen Erfahrung
sein, wenn I .5t- und liebeserfüllte Seelen sich auf den hóheren Ebe-
nen You Vor brauchen uns nicht zu fürchten, daß wir durch
den T4 die Móglic';keit dc» Ekstase hinter uns gclassen hätten.
Schwimmen im Ozean des universellen Bewufitseins durch das
Lied des Universums war die Aufforderung bei einem Workshop
der Ananda-Gruppe zum Heilen mit Musik. Gemeinsames Sin-
gen, geschlossene Augen, wiegend-flieBende Bewegung der Ober-
163
körper und der Text in ständiger Wiederholung: Welle des Meeres
versinke im Meer ... Ich bin die Welle, mach mich zum Meer, mach
mich zu deinem kosmischen Meer.
""inne7n wir uns noch einmal rückblickend an die psychoana-
lytische Interpretation. Für Michael Balint gab es jene Grundbe-
ziehung der primáren Liebe zwischen Mensch und Umwelt in rei-
ner Form nur im fótalen Zustand. Hier ist die Umwelt noch Ur-
substanz oder unstrukturierter Ozean. Die Umwelt und das Indi-
viduum durchdringen sich gegenseitig, existieren in harmonischer
Verschránkung. Die Geburt ist ein Trauma, weil diese Harmonie
zerbricht. Ziel allen libidinósen Strebens ist nach Balint die Re-
gression in diesen Zustand in einem ozeanischen Gefühl, einer
unio mystica. Dem erwachsenen Narziften — ich habe ihn unreifen
Menschen oder Bürger als Kind aufgrund jener gesellschaftlichen
Grundstórung, die ihm Reifung verweigert, genannt - wird nun in
der neuen synkretistischen Spiritualität dieses regressive Verlan-
gen in den Mutterschof als progressiver Weg in die ewige Glück-
seligkeit des kosmischen Ungeteiltseins angeboten — das Ver-
schmelzen im Ozean des universellen Bewufitseins. Die narziDti-
sche Suche bedarf, sei sie objektschwach oder objektstark, die-
ser interesselos lustspendenden Umwelt, die eigene Göttlichkeit
widerspiegelt, sie durchdringt. Die Suche nach der Identität mit
dem All-Einen ist letztlich atheistisch. Sie bedarf nicht eines fer-
nen Gottes oder ferner Gótter, die strafen, richten oder gar sozia-
les Handeln im Diesseits fordern. Max Weber hatte in seiner Ana-
lyse cer indischen Heilslehren von ihrem Mangel an weltlicher
Ethik gesprochen und die aktivitütsfremde Zustándlichkeit des
klassischen Bucdhismus als die maximale Steigerung des spezi-
fisch asozialen Charakters aller eigentlichen Mystik bezeichnet.
Lie V.rwunderung der traditionellen christlichen Kirchen über
den Abfall ihrer Gláubigen und den Zustrom zu eben solchen für
den Westen aufbereiteten Heilslehren wáre vielleicht nicht so
groD, wenn sie jene Suchenden einer neuen Frómmigkeit im W»-
sten eben nicht nur als religióse Sucher, sondern als den narzif-
tisch-asozial sozialisierten Gesellschaftstypus der ‘Wohlfahrts-
Demokratien’ sehen würden. Das Versagen unserer Kirchen ist
ein Versagen unserer Gesellschaft, den reifen Menschen in sozia-
ler Aktivitätsentfaltung und Verantwortlichkeit zuzulassen. Be-
freiungstheologie bedarf einer Befreiungsgesellschaft — auch im
164
Westen! Sie bedarf der aktiven und reifen Liebe in Gegenseitig-
keit und nicht der interessenlosen ‘primären Liebe’.
So eingeschränkt wie die Möglichkeiten einer Befreiungstheo-
logie in einer nicht vorhandenen Befreiungsgesellschaft zu sein
scheinen, so unbegrenzt scheinen die Möglichkeiten, eine spiritu-
elle primäre Liebe als Sublimation zu inszenieren, zu sein. Ihre
Regisseure und Dramaturgen entwickeln gewissermaßen Rollen
für jeden Gesellschaftstyp, indem sie in das unerschöpfliche Ar-
senal der Kulturen der Welt und ihrer Sinnproduktionen greifen
und ihnen jenen einen Sinn der spirituellen Ökologie geben, die
Trennung zwischen Mensch und Kosmos spirituell aufzuheben,
harmonische Verschränkung für den ‘kosmisch Heimatlosen’ zu
schaffen. Die grenzüberschreitende Phantasie der Kreatoren
scheint sich allerdings der oknophilen Grundhaltung ihrer Klien-
ten bewußt zu sein, läßt sie aus der Grenzerfahrung in Tanks und
Workshops immer wieder in das Heim zurückgehen, in das das
amorrhe Lachen (P.oszak) des Molochs Moderne ebensowenig
eindringt wie in den spiritualisierten Raum, in dem die Familie
die perz?nlichen Pechte ihrer Mitglieder schützt, die Ehepraktiken
als sublimierte £zzualitát aufgefaDt werden, Kinder reife Seelen
sind, die, jedenfalls bei diesen transformierten Eltern, einen an-
gemessenen Korper (Trevelyan) gefunden haben, Vegetarismus
nicht nur Gesundheit, sondern hohere Gesundheit signalisiert
und der Yoga des Werkes als materialisierte Form von Liebe aus
dem Mónchstum und der Kommune auf die ‘transformierten
Unternehmer’ übertragen wird. Und verflüchtigt sich damit nicht
auch Foszaks Hoffnung auf das Mônchstum als Leitbild für eine
neue Fauswirtschaft? Es wird, sagt er selbst, in unserer Cesell-
sc...“ niz mehr als eine Minderheit von Menschen geben, die bei
eirz^ . sensfühigen Adaption des mónchischen Modells anlangen.
165
$. IMITATIO DER ABSOLUTEN WIRKLIC:**
8.1 Zwischen Wissenschaft und Offenbarung
Ken Wilber würde das mónchische Modell vielleicht zu jenen
Atman-Projekten rechnen, deren Synergie zwar Ersatzbefriedi-
gung, das heibt Kultur, ist, hilfreich synchronisierte Illusion, aber
zumindest nicht tödlich für diejenige große Mehrheit, die den
Tod nicht ungültig machen kann, denn das hieße, Atman selbst
wiederzuentdecken, das All selbst zu sein. Vielleicht wiirde Wilber
auch eine induktive Theologie fiir diese Mehrheit befiirworten
und sogar jene von ihm so verurteilten empirischen Anthropolo-
gen dafür zulassen, vergleichend transkulturell konstante Grund-
erwartungen zu erschließen.
Die Ewige Philosophie Wilbers allerdings ist, auch wenn er
seine Evolutionstheorie als eine biologische bezeichnet und über
selektierte archäologische und anthropologische Belege verwis-
senschaftlicht, ein Glaubensbekenntnis. In diesem Glaubensbe-
kenntnis wird Kultur als Atman-Projekt erledigt, das heißt als Er-
satzbefriedigung. Als Kulturanthropologen sehen wir aber Kul-
tur als das Kriterium des Menschseins überhaupt und fragen
nach cer Sinnproduktion in den je existenten Kulturen. Glaube
muB für uns Produktion eines hóchsten Sinns bleiben. Und
wenn in unserer ^ 2genwart als ein spizituell-ókologischer Protest
zum Moloch Moderne ein Gegenbild der Verschmelzung der
(transzendierten) Person mit dem Kosmos, dem Geist, der Gott-
heit entworfen wird, dann sehen wir auch dieses als einen kultu-
rellen Entwurf. Und in diesem kulturellen Entwurf bleibt auch
Atman ein Atman-Projekt, nämlich die Endlichkeit des erfahrba-
ren menschlichen Lebens zu überwinden, in eine zeitlose, gren-
zenlose, ganzheitliche, ungetrennte harmonische Verschränkung
zu gelangen, zurückzugelangen, sie wiederzufinden.
Am Anfang war das Wort. Beginn der Genesis und des dedukti-
ven Glaubens. Die New Age-Seher haben aus den Religionen
und Philosophien der Welt uns die verschiedenen Worter fiir
166
dieses Wort zusammengesucht, um seine jenseits der Ausdrucks-
verschiedenheit liegende allgültige kosmische Wahrheit zu bewei-
sen. D=s Wort als die göttliche Energie, aus der alles hervorging,
die in allem enthalten ist, in die alles wieder eingeht. Und erin-
nern wir uns an Rosenbergs Heranziehung der Naturwissen-
schaften als Bestätigung und Beleg für die Schópfungsge-
= “cho: Da es aber nur eine, wenn auch vielschichtige Wirklichkeit
S ‚so muß in den Erkenntnissen der Wissenschaft die gleiche
! ' "keit eingc/cgen sein, von der die Seher und Dichter Zeug-
iis e" "gen. Oder hóren wir Fritjof Capra, den Physiker, der zum
ie / -2-Prorheten wurde: Im zwanzigsten Jahrhundert hat die
Phys jel: richrere gedankliche Revolutionen erlebt ..., die
grof2 /hnl:_!xe!t mit den Anschauungen der Mystiker aller Zeiten
und ÜL-rlieferungen aufweist.
Teilhard de Chardins Evolutionsphilosophie, als religiôse
Wahrheit, die Günther Schiwy mit der Theorie des Physikers Da-
vid Bohm von der impliziten Ordnung des Einfaltens eines Gan-
zen in seine Teile und des wieder Entfaltens des Ganzen aus sei-
nen Teilen vergleicht, geht von dieser impliziten Ordnung aus, in
der sich der Geist Gottes in Geist und Materie des Universums
einfa!tet, dieses sich im Laufe der Evolution entfaltet, um im
Punkt Omega sich wieder einzufalten, das Ziel des konvergenten
Strebens, die Vereinigung in der Einheit des Geistes zu finden.
Ken Wilber ‘belegt’ den Urknall mit dem dröhnenden Gelächter
Gottes, €:r sich freiwillig zum millionsten Mal verlor, und umge-
kehrt und mit beidem den theologischen Sündenfall der scheinba-
ren Trennung von der Gottheit — der illusináren Trennung aller
Dinge vom Geist oder der Schópfung des materiellen Kosmos als
äußerste Grenze der Involution. Er belegt den Garten Eden als pràá-
personalen Zustand der Menschheit (in unbewufiter Erbsünde)
und den naturwissenschaftlichen Sündenfall als BewuBtwerden
des thzologischen Sündenfalls (mit dieser Argumentationskette
Darwin *ür ci» Theologie rettend) und der Entstehung von Kul-
tur als Ersatzhandlungen (Atman-Projekte) bis zur spirituellen
Evolution mit Autoritäten aus Mythologie, Evolutionslehre, An-
thropoiogie, Philosophie usw, deren Auswahl natürlich unter
dem Gesichtspunkt der Verifizierung getroffen wurde.
Wir haben hier nicht nur die Bestätigung der Wissenschaft
durch die Religion und die Bestätigung der Religion durch die
167
Wissenschaft, sondern auch den genau umgekehrten Vorgang zu
Bergers induktivem Glauben. Was gefordert wird, ist ein dedukti-
ver Glaube, der von Annahmen, hier die der einen Wirklichkeit,
ausgeht, die mit Hilfe empirischer Erfahrung nicht nachgeprüft
werden können (da sie unsere Pegriffe übersteigen). Wenn Berger
sagt, daß deduktiver Glaube sich auf göttliche Offenbarung be-
ruft und von daher zur Interpretation der empirischen Wirklich-
keit fortschreitet, dann gilt dies auch für den deduktiven Glauben
des verwissenschaftlichten Göttlichkeitsbeweises in der kosmi-
schen harmonischen Verschránkung, im kosmischen Reigen (Capra).
Ob der Offenbarende jetzt mit eigener Zunge spricht, und sich
dafür eines Weltarsenals von Wissenschaften und Religionen be-
dient, oder mit ‘fremden Zungen’ wie zahlreiche Propheten des
Neuen Zeitalters, aus denen die Source, die Quelle, spricht, im-
mer wird aus der einen (kosmischen) Wirklichkeit die empiri-
sche Wirklichkeit des (spirituellen) Menschen abgeleitet.
Teilhard de Chardin, auf den sich zu beziehen, und sei es mit
einem Motto, keiner der belesenen New Age-Propheten und -An-
hánger unter!£ fit, leitet Hoffnung als Ja zum Leben und Nein zum
Tod nicht aus den alltáglichen Gesten ab, sondern aus einer Verei-
nigung des Ego mit dem Al: So ist das Universum daran, sich über
unseren Háuptern aufzubauen, indem die Teilchen des Denkens die
wahren und uzzerstérbaren Atome eines Stoffes bilden — ein in sei-
ner Resv tante genau Lzztimmtes Universum — in Gegenrichtung zu
einer Materie, die sich verliert: ein Universum, Sammler und Be-
wahrecz vc: Porse::cn und nicht von mechanischer Energie, wie wir
glaubten. Wie ein bestándiges Ausstrómen lósen sich rings um uns,
eine um die andere, ‘die Seelen’ los und tragen ihre unmittelbare Be-
wufitseinslast nach oben. Eine um die andere: und doch nicht verein-
zelt. Denn für jede von ihnen gilt es infolge der Natur von Omega
nur einen miglichen Punkt ere) zen Exportauchens. Er wird
deutl:ch werden, wenn die Noosz .£re mit ihrer persónlichkeitsbil-
denden rcft der Synthese sowekl ihre einzelnen Elemente wie sich
selbst als Ganzes zur Fersonlichkeit gerundet haben wird. Er liegt
da, wo die N_ >sphdre, in kollcktivem Zusammenwirken, ihren Kon-
vergenzpunkt erreicht — am ‘Ende der Welt’.
Roszak leitet das Manifest der Porson mit Walt Whitman ein:
Jeder vor: uns unausweichlich /Jeder von uns grenzenlos .../ Jeder
von uns hier so Góttlich /Wie nur irgendeiner sonst.
68
New Age liefert eine Offenbarung, einen deduktiven Glauben,
cine neue symbolische Sinnwelt als die eine Wahrheit, die den
Un-Sinn der Zeit der Trennungen im Moloch Moderne aufhebt.
Das allumfassende Bezugssystem, in dem auch der Tod aufgeho-
ben wird, ist die kosmische Persónlichkeit. Der ganze Kosmos ist
der neue Haushalt des Lebens, Ego und All verbinden sich, jede
Persónlichkeit einzeln und doch nicht vereinzelt, sondern vereint
im Überpersónlichen, im Geist.
Der Protest der spirituellen Okologie gegen die Mensch-Welt-
Trennung errichtet ein Gegenbild der kosmischen Verschmelzung
über einen evolutionistischen Begriff des Geistes in der Kosmo-
genese. Die Sinnerfülltheit wird über spirituelle Techniken zum
subjektiv sinnerfüllten intentionalen Handeln vor dem Hinter-
grund des objektiven, intersubjektiv akzeptierten Sinngehalts im
Hier und Heute angesiedelt. Der objektive Sinn erfordert deduk-
tiven Glauben. Die Sinnproduzenten legitimieren den Sinn, den
Erwartungshaltungen ihrer Anhänger (Gläubigen, Klienten, Pa-
tienten), die durch ein wissenschaftsgläubiges Zeitalter gegangen
sind, entsprechend über eine Wissenschaft, die ‘grenzwissen-
schaftlich’ ist. Im Selbstverstindnis heiBt das: die Begrenzung
der herkömmlichen, der empirischen Wissenschaften überschrei-
tend (transzendierend!) - grenzüberschreitend sein. Ewige Philo-
sophie, Wilde Wissenschaft, Visionére Wissenschaft, Esoterische
V/issenschaft sind andere Namen für diese Grenzüberschreitung.
Die Kette der Sinnproduzenten ist lang, und selbst die Work-
shop-Vermittler produzieren, abgesehen von der konsumgerech-
ten Verdünnung des Sinngehalts, noch ‘ihren’ Sinn durch weitere
Collagen. Wie aber wird ‘Einsichtigkeit’ über diese Institutionali-
sierung und Legitimierung erzielt, die für den subjektiven Sinn
notwendig ist?
Arnold Keyserling, und das ist nur ein Beispiel für viele, weist
den Weg: das Lächerlichmachen des Expertenwissens und des
Lernens an Schulen und Universitäten. Frenetisches Klatschen
und Lachen bestätigt ihm die Einsichtigkeit: Es wird uns weisge-
mackz, da g:.1 es weise Affen, die haben uns einen Lebensplan ver-
mitte/:, uad c.scin Lebeasplan müssen wir folgen. Und da ist jetzt
das Entscheidende: was Lb. Jeutzt universitäres oder schulisches Wis-
sen” "cost mal, wissen Sie, es brauckt schon eine verdammt grofie
Vitalität, um eine Universität zu überleben ...; es lohnt sich einfach
169
nicht, weil die Universität nicht mehr etwas ist, was die menschliche
Entwicklurz cngeht …. Wi2 kônnen wir uns anpassen an eine I.”
die wissesz-hsftlich falsch ist ... Entscheidendes Wissen ist nic*:
das, wes i^ im Laufe meines ganzen Lebens lerne, sondern das,
was ic^ so/ 77 wz:tergeben kann. Eine Lerngesellschaft muß davon
ausechen, daf) die Hauptkrankheit aus der Welt verschwindet, nàm-
lich die Experten. Stelle sie sich einmal vor, was ein Experte ist, ein
Experte, der nur in der Vergangenheit lebt ..., das heifit, er ist nicht
mehr offen gegenüber dem, was passiert.
Das ist die Einleitung für die Lehre des Wissens der neuen
Zeit, das jedem zugänglich ist.
8.2 Alles ist in Ordnung
Peter L. Berger war bei seinem Pládoyer für einen in“uktiven
Glauben davon ausgegangen, daß der Mensch seine A.ltagser-
fahrungen transzendiert. Und er brachte das Beispiel der kindli-
chen Erfahrung des Elterntrostes Alles ist in Ordnung. Die Sozia-
lisationsformen früherer und einfacher Gesellschaften vermitteln
nun aber sehr deutlich, daf dieses Alles ist in Ordnung nicht For-
derung an Versorgung bleiben darf, sondern Gegenseitigkeit,
Mitsorge, Pflichten, Handeln im sozialen und wirtschaftlichen
[- ontext bedeutet, damit alles in Ordnung bleibt. Die verlängerte
Adoleszenz, die Funktionsteiligkeit und die Verlagerung der Ver-
antwortung und Verpflichtung für Alles ist in Ordnung auf den
bürokratischen Wohlfahrtsstaat der Moderne haben nun für eine
sehr viel längere oder für eine Vielzahl der Menschen perma-
nente Lzbensphase diese andere Seite der Ordnungshoffnung -
nämlich das tätige Handeln für die Vermeidung des Chaos - un-
möglich gemacht. Solange die ‘Wohlfahrts-Demokratie’ schein-
bar alles in Ordnung halten konnte, war die Transzendenz auf
den Himmel auf Erden beschränkt. Man konnte sich oknophil an
den Dingen festklammern, c'e der in ‘harmonischer Verschrän-
kung’ festgehaltene ‘Bürger als Kind’ als Ersatzobjekte für die
Verhinderung seiner Reife von der schützenden, allmächtigen Ge-
walt (Tocqueville) namens Staat geliefert bekam.
Erst als die ‘ewige Kindheit’ in diesem schützenden, nähren-
den, versorgenden Mutterschoß Wohlfahrtsstaat sich als Schein
0
erwies, erhob sich Protest. Protest, der auch wieder nach dem
Sinn fragte. Protest in verschiedenen Wellen, von verschiedenen
Gruppen getragen, mit verschiedenen Zielen. Zijderveld verweist
in seiner Analyse der »Abstrakten Gesellschaft« und ihrer Anpas-
sungs- und Pzotestformen auf die Weitsichtigkeit Schelskys, der be-
reits 1957 in seiner>Skeptischen Generation« die kommende Reali-
tit beschrieben habe: Ich erwarte eine ,sezessionistische Jugendge-
neration“ gekennzeichnet durch eine Welle ,sinnloser“ Ausbruchsver-
suc*2 aus der in die Watte manipulierter Humanitát, überzeugender
Sicherk- und alleemeiner Wc fahrt gewickelten modernen Welt.
Zijderveld arbeitet am Beispiel der amerikanischen Entwicklung
der 60er Jahre drei Grundformen des Protestes heraus, die er Gno-
stizismus, Anarchismus und Aktivismus nennt. Und er sieht auch
1972, daf es sich hier nicht nur um ein Generationenproblem han-
delt: D'- “»wrtome, die sich beobachten lassen, deuten auf eine Ma-
laise der demckratischen Gesellschaften hin, die entschieden schwer-
wiegender sein &'*rfte, als das T-merationenproblem. Unbestreitbar
allerdings ist, daß es.die Proteste der „sezessionistischen Jugendgene-
ration“ g >wesen sind, die diese Malaise haben sichtber werden lassen.
Wiederum mehr als zehn Jahre später hat sich dieses Bild ent-
scheidend verändert. Konformismus und Anpassung sind geblie-
ben, haben sich in der Jugendgeneration vermehrt, der Anarchis-
mus der Kommunebewegung ist zurückgegangen, der Aktivismus
hat neue Felder entdeckt und ist im ókologischen Protest gegen
die materielle und soziokulturelle Zerstórung der Mensch-Welt-
Beziehung eine generationenübergreifende Bewegung.
^7 irt in Cxdnung, die überzeugende Sicherheit wird tagtäg-
lich als Lüge erkannt. Ein induktiver Glaube, der kein Kinder-
glaube mehr ist, müßte, wenn er aus der alltäglichen Erfahrung
als /mitatio der absoluten Wirklichkeit schópft, in erschreckende
Bereiche transzendieren: Bereiche des Chaos, ohne Spiel als
schópferische Schónheit, ohne Hoffnung als Ja zum Leben, ohne
Lachen und ohne Gerechtigkeit.
Und so nizimt es nicht wunder, daß jene Protestform, die
dieses alltágliche, gesellschaftliche Leben in den Tod als Erló-
sung zum Leben transzendiert, die den kulturellen Tod prokla-
miert, das ‘Manifest der Person’ in einem auf den Kosmos über-
tragenen Haushalt des Lebens, sich immer mehr ausbreitet, alles
andere als nur ein Jugendphänomen ist.
LAE
Und hier ist dann alles wieder in Ordnung, so wie es George
Trevelyan in seiner »Vision des Wassermann-Zeitalters« aus-
drückt: Nichts vermag den heutigen Drang aufzuhalten, esoteri-
sches Wissen zu erforschen, genausowenig wie den Menschen nichts
von der Raumfahrt abhalten wird. Wir müszen die C»fahren erken-
nen und lernen, zwischen verláfilichen und nicht verláfllichen Pfaden
der E»f^rschung zu unterscheiden, und wir dürfen gewifi sein, daf
wir unsichtbare Führer und Helfer haben, die uns hin zum Licht füh-
ren kónnen.
Es herrscht aber auch das Empfinden, daß die Zeit drängt. Wir
nähern uns einem entscheidenden Wendepunkt, und diese Genera-
tion ist an einer großen Aufgabe mitbeteiligt. Entweder lernt der
Mensch den wahren heilenden Impuls der bewi?ten Vereinigung mit
den K-“ ten des Lichts oder er wird sich in Unheil un.' Katastrophen
stürzen. Vieles von unserer gegenwärtigen Gesellschaftsstruktur
wird wegfallen müssen, aber dann vermag eine neue Gesellschaft zu
entstehen, in welcher der vereinigende spirituelle Impuls wirklich am
Werke ist. Denn es gibt Cuellen schopferischer Energie, die niemals
austrocknen kÿnnen, weil sie die ewigen Reservoirs der Liebe und
schópferischen Imagination anzapfez.
We:: Veränderungen unmittelbar bevorstehen, ist es wichtig, dafi
möglichst vicle Seelen sich ihrer spirituellen Natur 1cw:sft w:rden
und imstande sind, wahrzunehmen, was geschieht. Falglich ist die
unmitte-"cre Cegenwart eine Zeit des Wchstums und der C nung
des Z2wtfiseins — ein Wiederauf!. ^n des Coistes, der die e:nzelnen
miteinander verbindet und frisch» Impulse ins menschliche Ver-
stehen einbrinz* Indem dc^ 'ruck innerer und áufterer Vzründcrun-
gen grifler wird, werden alle, die mit ihrer spirituc) + Virklichieit
in Berührung gekommen sind, begreifen, was gesc!:.: * Wir haben
tatsächlich mit einer Wiederkunft zu tun. Im Grunz: ist aes in 2-4-
nung trotz d-r anscheinend zunehmenden Schwierigkeiten. Wir
müssen aber den Mut haben, wc! rzunehmen, caf? uns etwas Unge-
heures bevorsteht — die Herrlichkeit einer Neuen Geburt planctari-
schen und kosmischen Ausmafes — und daf wir alle caran Ecteiligt
sind. Die einzige wirkliche Scrge ist die, möglicherweise nicht wach
und bewuft zu sein, wcnn unscre Zeit gekommen is..
Die Einsichtigkeit des Ales ist in Ordnung wird aus den ewigen
Reservoirs der Liebe legitimiert. Wenn, was die Legitimatoren
sicher behaupten und durch grenzwissenschaftliche Beweise
172
untermauern, dieser Glaube ein induktiver aus der alltäglichen
Erfahrungsmóglichkeit des Individuums .sein soll, sein Selbst
sich nur der kosmischen Verschmelzung öffnen muß, dann wäre
allerdings nur der pränatale Zustand der ‘primären Liebe’ die
‘Imitatio der absoluten Wirklichkeit’. Die Wirklichkeit des gesell-
schaftlichen Lebens, die Frage der unreifen Gesellschaften, die
den Reifungsprozeß des Individuums verhindern, stellt sich nicht
mehr. Die strukturelle gesellschaftliche und die psychosoziale
Grundstörung können in Richtung primärer kosmischer Liebe
transzendiert werden, die Trennungen werden ‘auf den Schwin-
gen der Seele’ aufgehoben.
Für mich bleibt dieser Glaube deduktiv, abgeleitet aus dem
höchsten Allgemeinen, dem Punkt Omega Teilhard de Chardins,
für das ‘Besondere’, den Menschen. Allerdings haben wir gese-
hen, daß die induktive Komponente in der Glaubenspraxis
durchaus eine Rolle spielt: die internalisierten irdischen. Werte
einer ‘Gesundheit des Glücks’, liebender Annahme und Hingabe,
individueller Freiheit und individuellen Erfolgs werden als Vor-
aussetzungen und Ergebnis der Transformation dargestellt.
Ich bedeute etwas. Ich bin etwas Besonderes, nannte Roszak
sein Kepitel des ‘Abenteuers der Selbstentdeckung'. Und dieses
‘Abenteuer’, diese gefährliche Reise in den inneren Weltraum (Tre
velyan) ist das Angebot und Ziel des New Age.
8.3 Die Hausgebundenen
und die transpersonalen Landstreicher
Angstlust hatte Balint neben der Vorliebe für die objektlosen
und grenzenlosen Weiten und der Bewegung über die Grenzen als
Tendenzen des objektschwachen Charakters herausgearbeitet.
Angstlust war das dominante Thema von Castanedas Grenzüber-
schreitung in die andere Wirklichkeit, Angstlust inszeniert Norm
Paulsen biographisch in seiner (siegreichen) Begegnung mit den
Mächten der Finsternis, Angstlust steht hinter den Ankündigun-
gen der Apokalypse jetzt, Angstlust treibt zur libidinösen Todes-
sehnsucht: von den bloßen Bekundungen, daß man für den Mei-
ster sterben würde, bis zu dem als revolutionär bezeichneten Mas-
senselbstmord von Jonestown 1978, von den Kontakten mit Ver-
172
storbenen über das Verlassen des Körpers bis zur Visionssuche.
Vision führt bei Arnold Keyserling zum Gewinn des neuen Wis-
sens, in eine neue orphische Periode der entwickelten Mensch-
heit. Es ist der Gang in die Unterwelt, um den Sinn zu finden, den
Tod über die Erfahrung des Todes ungültig zu machen. Und eine
Frau in der Ojai Foundation, einer spirituellen Gruppe in Kali-
fornien, die von Joan Halifax begründet wurde, gibt uns eine
geradezu beispielhafte Darstellung der philobatischen Visionssu-
che, die sich indianischer Rituale bedient. In unserer Kultur,
führte sie aus, gibt es keine Rituale, keine Erfahrungen, die den
Menschen von seiner Todesfurcht befreien. Die Freiheit von
dieser Furcht erhält man, indem man im Leben die Grenze über-
schreitet, sich dem Tod aussetzt, indem man sich drei Tage begra-
ben läßt. Die Wildnis — für mich ist es die Wüste, das Canyon-
Land, wo man keine Menschen finden kann, sagte sie — ist die
Natur, die den Menschen lehrt, ein enirituelles Selbst zu finden.
Wir haben im bisherigen Verlauf des Buches wohl mit genü-
gend Beispielen und Argumenten die spirituelle Suche nach
einem harmonischen Verschmelzungszustand erhärten kônnen,
der Balints Regression in den Zustand primärer Liebe zu einer
Progression in eine ewige Harmonie transformieren will, den das
menschliche Selbst durch Transzendenz, das Überschreiten der
sozialen und kulturellen Grenzen, das heißt die Akzeptanz des
sozialen und kulturellen Todes, schon im Heute oder in der
Gegenwart des ewigen Augenblicks erreichen kann.
Wir haben weiterhin allerdings den objektstarken, das heiBt
den sich an Ersatzobjekte anklammernden Menschen als den
Grundtypus der Moderne bezeichnet. Hauslosigkeit, die Wüsten-
erfahrung, der Glanz des Gewôhnlichen, Besitzverzicht auf Men-
schen und inge, grenzüberschreitende Einsamkeit: diese Spra-
che der M--tiker ist nicht ihre Sprache. Der besitzlose Landstrei-
cher ist nicht ihr Ileal. Und seibst wenn sie, auf der Suche nach
dem ‘persönlichen Maf’, nach der ‘Gesundheit des Gliicks’, nach
Selbsterfahrung, die Stille suchen, nehmen sie ihre Behaustheit
mit, wird ihnen Gemeinschaft und Betreuung geboten, oft Fe-
rienkomfort. Kann diese Grenzüberschreitung mehr sein als ein
temporárer Trip, der einem noch einmal mehr erlaubt, sich aus
der Gesellschaft zurückzuziehen: Es hat überhaupt keinen Zweck,
sagt Arnold Keyserling, an der Gesellschaft etwas zu ándern, son-
A
dern das einzige, was man tun kann, ist, außerhalb der Gesellschaft
Stätten zu schaffen, wo das Lernen von Nicht-Experten existiert, wo
Menschen sich selbst psychologisch erfahren können. Riten und
Workshoos verhelfen zu diesem Wissen.
Den I:zichtum der Welt zu verwenden, um den eigenen Reichtum
zu verstehen, ist der Weg nach innen, ist Imagination, Traum, Vi-
sion. D'^zu braucht man nach Keyserling Workshops, Verlage und
eben die Kassetten aller jener New Age-Propheten, die ihr ent-
scheidendes Wissen sofort weitergeben, was der hühnerbrüstige
Experte (des eingeschránkten Universitátswissens) nicht kann,
da er einem local cultural consensus, das heit der kulturellen
Übereinkunft, verhaftet sei.
Wir erinnern uns an die mit Keyserling argumentierenden Re-
genbozzn-Kinder. Sie bezeichnen sich als Kinder, die — kulturell
unverformt? — das Wissen der Welt in sich tragen, den Wissen-
schaftsbetrieb ebenso für überholt halten, Reinigungszeremoniale
für die Person und den Planeten gestalten, indem sie sich für
ihren *»rung in die Unmógliéhkeit an die Objekte fremder kultu-
reller Übereinkünfte klammern. Der Kindertrost Alles ist in Ord-
nung, Unschuld und Vertrauen werden über:das Einfliegen von
Wissencen und per Postzustellung von Kristallen aus der selek-
tierten € piritualitát von jenseits des Meeres und aus dem Jenseits
der fremden Kulturen bezogen, selbst das tanzende Zelt indiani-
scher Rituale, wobei das erhabene Gefühl das gleiche bleibt, ob
nun Ur-Ahnen, erste Menschen, Außerirdische, Kachinas oder
Sheede auftauchen. Alles ist ein Gemeinschaftserlebnis, bis zum
Massenorgasmus. Die ‘transzendentalen Helden’ sind keine ein-
samen ‘transpersonalen Landstreicher’ bei ihrer Grenzüber-
schreitung, suchen nicht einsame Angstlust in objektfreien Wei-
ten. Sie überwinden das Trauma der Entlassung aus der eigenen
"bergenden' Gesellschaft nicht durch den Versuch, die gesell-
schaftlicnen I~ zite auf Reife durchzusetzen, sondern durch Vor-
haltun - &. * Kind-Substanz-Schilde und durch die gemeinschaftli-
che Cbje...cesetzung fremder Kultobjekte. Sie sind trotz aller Be-
mühungen der Grenzüberschreitung keine Philobaten.
Für die westlichen Heilssucher des New Age gilt weder die reli-
giöse Einsamkeit der Erlösung suchenden Einzelseele noch die
Einkehr in das ewige Schweigen der Einsiedler im Schweigen des
Waldes wie in der klassischen brahmanischen Lebensführung als
Mh
Ideal, noch auch jenes »Leben in den Wäldern«, wie es der Tran-
szendentalist Thoreau im 19. Jahrhundert pries. Dort hieB es: Vor
allem aber kann der Mann, der allein geht, heute schon abreisen,
wer aber mit anderen reist, muß warten, bis der andere bereit ist,
und es kann lange währen, bis die Fahrt beginnt. Für Thoreau be-
deutet cie Freiheit der Person das Aufgeben von Bindungen an
Beruf, Geld, Ruhm und auch Menschen. Sie müssen gleichgültig
werden, und schließlich ist es die Gleichgültigkeit selbst, die man
hinter sich läßt. Diese Überwindung der Gleichgültigkeit durch
Gleichgültigkeit ist ein einsamer Vorgang. Walt Whitman, der wie
Thoreau zu den Transzendentalisten um Emerson gehörte, singt
immer wieder diesen neuen Menschen, der alles sein kann, wenn
ihm nichts gehört, der nichts begehrt zu behalten, der immer wie-
der aufbricht auf den großen Straßen des All: Fortan verlang ich
kein Glück; ich selbst bin das Glück (Gesang von der freien
Straße).
Es gibt viele Pfade zu den Bergen, sagte die Frau in der Ojai
Foundation, die ihre Kraft aus dem Wiistenerlebnis bezog, mein
Weg ist ein sehr einsamer. Roszak hilt zwar die Wüstenerfahrung
- als Kunst d-r schópferischen Auflósung — für ein Leitbild, das er
aber sogleich als Dománe einer Minderheit bezeichnet und zusátz-
lich für die Ansprüche des heutigen Menschen aufbereitet wissen
will. Arnold Keyserling vermittelt zwar seinen Horern, daß jeder
ein urangepafites Genie sein kann, aber als Helfer sieht er den
Workshop. Der auf sich selbst gestellte Grenzgänger, das Genie
von früher, die Einsamkeit schöpferischer Auflösung, der philo-
batische Gang in die grenzenlosen, objektlosen ‘freundlichen
Weiten’ ist literarisches Leitbild, nicht aber alltägliche Notwen-
digkeit auf der Suche nach der verlorenen primären Liebe.
Werden die transzendentalen Helden trotz des Anschwellens der
transzendentalen Sehnsucht nicht immer weniger? Berufen sich
deshalb alle jene Hausgebundenen immer wieder auf die Weni-
gen, deren geniale Erfahrung von Transzendenz mit der Hauslo-
sigkeit Jes einsam Wandernden verbunden ist? Hatte Teilhard de
Chardin recht, wenn er schrieb: Weshalb soZ:e c'e VW It, dic bestin-
dige Familien und wohletablierte Leute brzucht, nicht auch diese be-
weglichen V’esen und fohrenden Leute Frauchen ... Es ist etwas
Großes, nicht zu wissen, wohin man sein Haupt legen soll, wenn man
den Glauben an die Welt im Herzen trägt? Das klingt tröstlich für
íi
76
die Beständigen und Wohletablierten. Es klingt tröstlicher als die
Angriffe der Beat-Generation auf diese Wohletablierten, tröstli-
cher als ‘Das Geheul’ ihrer objektverachtenden Transzendenz.
Ihr Genie wird als das einer ‘verlorenen Generation’ eingestuft.
Sie waren konsequente ‘transpersonale Landstreicher’. Waren sie
auch die letzte Generation von Philobaten in einer Welt objekt-
starker Ersatzbefriedigungen?
Hóren wir noch einmal Allen Ginsberg zu jenen,
die zweiundsiebzig Stunden quer
durchs Land fuhren, um zu sehen,
ob ich eine Vision hatte oder du
oder er, um die Ewigkeit zu
finden, ...
die ... zurückgewiesen, doch frei
ihre Seele bekennend im Ein-
klang mit dem Rhythmus der
Gedanken im nackten und grenzen-
losen Hirn,
als Irrer, Tramp und Engel, geschlagen
in der Zeit, unbekannt, doch
hier um festzuhalten, was vielleicht
noch zu sagen bleibt in der Zeit nach
dem Tod, ...
und das absolute Herz des Lebensge-
dichts, das sie sich aus dem Leib
rissen, bietet Nahrung für tausend
Jahre.
Walt Whitman - kinderloser einsamer alter Handwerker — war
für sie ein anderes Leitbild, als er es im amerikanischen Traum je-
ner zweiten amerikanischen Revolution der hoffnungsfrohen ‘New
Age-Prophetin’ Marilyn Ferguson und ihrer Anhinger ist. Allen
Ginsberg blickt in Trauer zuriick:
Wohin gehen wir, Walt Whitman? . ..
Werden wir die ganze Nacht
durch verlassene Straßen wandern?
Die Bäume fügen Schatten an
Schatten, kein Licht mehr in
7
den Häusern, wir werden beide
einsam sein ...
Ach, guter graubártiger Alter, der
uns Mut lehrte, was war dein
Amerika, als Charon aufhórte
sein Fährboct zu staken und
du vom schwellenden Ufer aus
dem Boct mit den Blicken folgtest,
während es langsam verschwand
auf den schwarzen Wassern des Lethe.
178
9. CHARISMA UND VERWANDLUNG
9.1 Charismatisches Klima und charismatischer Prozef
Charisma gilt als die außerordentliche Qualität begnadeter
Personen, deren Gnadengaben, als innere, aus dem Menschen
selbst kommende, oder als von einer übermenschlichen, jenseiti-
gen Macht eingegebene, sich entduBern. Die Strahlkraft der cha-
rismatischen Person wird als übertragbar auf ihre Anhänger, ihre
Jünger, angesehen. Gelten bedeutet hier, wie schon von Max
Weber und allen Sozialwissenschaftlern; die seiner Interpretation
folgten, ausgeführt, daB es sich um keinen ontologischen Begriff
handelt, nicht um die Frage, ob der als Charismatiker Geltende
diese Seinskráfte tatsáchlich hat. Er hat sie aus dem Glauben der
anderen. Charisma wird somit als ein interkommunikatives und
interaktives Phánomen gesehen.
Das Sozialwerden von Charismatikern, das. heiBt das Aufmer-
ken g-genüber und das Anerkennen von potentiell charismati-
schen Fersonen, bedarf nun zusätzlich spezifischer gesellschaftli-
che- ^:tuationen, in denen sich ein charismatisches Klima ent-
wickeln kann. Rudolf Otto sprach von dámonisierten Zeitaltern,
W'.lhelm E. Mühlmann führt in »€hiliasmus und Nativismus«
flerrschaftsüberlagerung, Unterdrückung und Überfremdung an,
und V..fgang Lipp macht fiir den charismatischen Umschlag ge-
sellscaftliche Grenzspannungen verantwortlich. Strefsituatio-
uen az “rund von Systemverengung oder Systemüberdehnung im
".irtschafts-, Herrschafts- oder Wissenschaftsbereich, deren áu-
oerer oder innerer Druck.auf die Normalitát des Alltagshandelns
zu übermächtig wird, bereiten den Umschwung vor. Bei System-
verenpgung handelt es sich um Verknappung der Handlungsmóg-
lichkeiten: wirtschaftliche Not, Unfreiheit, Wissensverdünnung
uz4 Wissensverlust in den Alltagserfahrungen. Bei Systemüber-
Gehnung entsteht StreB aus einer ÜberfluBsituation: Überhäu-
fung mit materiellen Gütern auf wirtschaftlicher Seite, politische
Beliebigkeit und Wissensüberflutung. Krisensituationen im Zen-
179
trum eines Systems provozieren gewissermaßen das Relevantwer-
den der Peripherien, der Grenzen, die auf Bereiche jenseits ver-
weisen, die das Überschreiten der Grenze als Weg in ein neues
Heil erscheinen lassen.
Das Entstehen eines charismatischen Klimas hat sowohl die
gesellschaftliche Krisensituation, die Verunsicherung der ‘Nor-
malitát' des Alltagsgeschehens, als auch die intentionale Bewe-
gung auf ein Heilsgeschehen als Voraussetzung. Um allerdings
von einem charismatischen Klima zu sprechen, das das Auftreten
und die Gefolgschaft von Charismatikern ermöglicht, muß jenes
weitere Moment hinzukommen, das in Rudolf Ottos dámonisier-
tem Zeitalter bereits enthalten ist. Es ist die Bereitschaft, nicht ra-
tional erklárbare Máchte anzuerkennen, und die emotionale Auf-
ladung gegenüber diesen Máchten. Dafür hat Otto die Kategorie
des Numinosen bereitgestellt, deren Bedeutung für die verschie-
densten charismatischen Klimata sich immer wieder zeigt. Das
Numinose ist das Heilige jenseits seines rationalen Moments,
also des theologischen Versuchs der rationalen Deutung, und jen-
seits seines sittlichen Moments, das heift einer Interpretation im
Sinne der je gesellschaftlich geltenden Moral. Die numinosen
Qualitáten umfassen: Mysteriosum als das ganz Andere, das Be-
fremdende; Tremendum als numinose Scheu, zum Erschauern,
zum Erzittern Bringendes; Fascinosum als Anziehendes, feierlich
Berückendes; Energicum als Leidenschaft, als Zwingendes; Ma-
jestas als Macht, Übergewalt; Sanctum als Geweihtes, Unverletz-
liches.
Das charismatische Klima setzt, und darin durchaus extremen
Naturgewalten vergleichbar, das alltägliche rationale Routine-
handeln außer Kraft, ist ein Einbruch des ‘ganz Anderen’, des
Übergewaltigen, das faszinieren und erzittern macht, das Irratio-
nalität geradezu herausfordert. Rationalität müssen wir in diesem
Zusammenhang als kulturelle Vernunft begreifen, das heißt als
ein rationales Handeln in Relation zu einer je notwendigen Ord-
nung der alltäglichen Gegenseitigkeit in einem Haushalt des
Lebens. Irrational ist dann ein Handeln, das die je geltende kul-
turelle Vernunft ‘verkehrt’. Mühlmann hatte eine Dialektik von
Erwartung und Handeln in der charismatischen Orientierung auf
das Heil der neuen Zeit herausgestellt: vom abwartenden Adven-
tismus über die eskapistischen Fluchtbewegungen bis zum ethi-
180
schen Rigorismus der Vorwegnahme des neuen Zeitalters. Das
Einstellen der Arbeit, die Vernichtung von Produktionsmitteln,
das Infragestellen von Institutionen gehören ebenso dazu wie das
Motiv der 'Sáuberung', das heift der Ausrottung von Andersden-
kenden. Im Sinne der 'verkehrt' Handelnden allerdings verkehrt
sich auch die Bedeutung von rational und irrational. Ihre Vor-
wegnahme des neuen Zeitalters ist rational, ist ihre kulturelle Ver-
nunft in Hinblick auf das gedachte System, den neuen Haushalt
des Lebens, in dem zum Beispiel keine Arbeit mehr existiert,
keine Autoritäten vorhanden sind. Wenn in der Koréri-Bewegung
in Neuguinea im Anschluß an die Ausmalung des Endes der al-
ten, der für sie ‘verkehrten’ Welt zum Steuerboykott sofort aufge-
rufen wurde, dann ist das ‘rationale’ Vorwegnahme der neuen
Welt. Und wenn der Transzendentalist Thoreau sich einerseits es-
kapistisch in die Wälder zurückzieht und andererseits die Tatsa-
che seiner Verhaftung wegen Steuerschulden als Ausgang für die
Entwicklung jenes ethischen Rigorismus Ȇber die Pflicht zum
Ungehorsam gegen den Staat« nimmt, dann ist auch dieses ratio-
nale Vorwegnahme des einzig wahren Amerika. Die Steuerhinter-
ziehungen der neuen Sektenführer vor dem Hintergrund ihres
verschwenderischen Konsums einerseits und der Armut ihrer
Mitglieder andererseits füllen die Presse. Was im charismatischen
Klima des vorweggenommenen Neuen Zeitalters legitim und ra-
tional erscheint, gilt in der gesellschaftlichen Realität, in die diese
charismatischen Inseln eingebettet sind, als illegal und irrational.
Die Diskrepanz zwischen rational und irrational entsteht vor
der Frage des je verschiedenen Geltens kultureller Vernunft. Es
geht also auch hier nicht um eine ontologische Erklärung von Ra-
tio und Irratio an sich. Allerdings kónnen wir auch ohne ontolo-
gischen Zugriff die Frage nach der kulturellen Vernunft stellen,
wenn wir Kultur als Überlebensstrategie betrachten, als realisier-
ten Ordnungsentwurf, um Chaos in einen Haushalt des Lebens
zu verwandeln, der dem Einzelnen und der Gruppe materielles,
soziales und geistiges Überleben garantiert. Das enthebt uns je-
nes totalen Relativismus des Geltenlassens von rationalen und ir-
rationalen Ordnungen und eröffnet gleichzeitig die Möglichkeit,
Umbrüche und Wandlungsprozesse hinsichtlich ihrer kulturel-
len Vernünftigkeit zu betrachten. Wir hatten den Haushalt des
Lebens mit einem Ökosystem verglichen, das sich in einem dyna-
[81
mischen Fließgleichgewicht befindet. Das heißt, die Ordnung des
Systems ist keine statische, sondern eine bewegliche, in der im-
mer wieder ‘Störungen’ ‚verarbeitet werden müssen. Diese Stö-
rungen können wir durchaus als chaotische Einbrüche betrach-
ten, als Einbrüche, die zunächst die gewohnte Routine durchein-
anderbringen. Da menschliche Kulturen, der menschliche Haus-
halt des Lebens, nicht mechanistisch geregelt werden, können
diese Einbrüche auch schópferische Suche, Freisetzung von Be-
wußtsein und Phantasie, Möglichkeit für die Entfaltung hóherer'
kultureller Vernunft bedeuten. Das. Chaos kann die Basis einer
neuen Ordnung oder auch der überhöhenden Verdeutlichung von
Ordnung sein.
Im Zusammenhang von Spiel und Ritual wird dieser Einbruch,
diese chaotische Phase als Übergang, als Passage bezeichnet. Die
drei von Arnold van Gennep herausgearbeiteten Phasen in einem
Passageritus umfassen die Trennung von der alten Ordnung, die
Übergangsphase oder die transitorische Phase und die Eingliede-
rung in eine neue Ordnung. Die Übergangsphase ist der Durch-
gang durch das Chaos des Niemandslandes zwischen den Ord-
nungen, zwischen den sozialen Gemeinschaften und den Wertset-
zungen. Es ist aber auch die Phase des Freigesetztseins von den
geltenden sozialen Normen und die Phase des Lernens, der
Unterweisung und der Wahrnehmung einer hóheren Ordnung.
Victor Turner, der, wie auch schon van Gennep, von einer /imina-
len Phase (von limen — Schwelle/ Übergang) spricht, bringt
zahlreiche Beispiele für dieses kreative Lernen in einem Zustand
vorübergehender ‘Unordnung’ bei einfachen Gesellschaften.
Aber er sagt gleichzeitig, daß sowohl Lernen als auch Unordnung
im Übergang obligatorisch sind, dem Willen der Gesamtheit
unterstellt, sei es für alle wie in den Ritualen des Jahreszyklus, sei
es für eine Altersgruppe oder eine Statusgrup: > wie in den Ritua-
len des Lebenszyklus. Und Turner betont, daB durch die Verkeh-
rung der normalen Ordnung, der alltáglichen Routine im Über-
gang, wo das Bizarre normal wird, und wo durch die Lockerung der
Verbindungen zwischen normalerweise in bestimmten Kombinatio-
nen verbundenen Elementen, deren Vermengung urd Wderzasam-
menfügen in monstrôsen, phantastischen ur. annczürlichen Gestal-
tungen, die Novizen veranla: werden zu denken, hart nachzuden-
ken über jene kulturellen Erfahrungen, die sie bisher für gewiß ge-
187
halten haben. Die Novizen werden gelehrt, daß sie nicht wissen, was
sie zu wissen dzchten. Unter der Oberflichenstruktur des Gewohn-
fen war eine tiefe Struktur, deren Regeln sie durch Paradoxon und
Schock zu lernen hatten.
Charismatisches Klima und seine Voraussetzungen sind für
diese Rituale in homogenen Gesellschaften, die ich als notwen-
dige Kommunitát bezeichnet habe, durchaus relevant: es sind dà-
monisierte Zeiten oder Krisensituationen mit intentionaler Bewe-
gung auf ein Heilsgeschehen. Aber die Krisen sind die zyklischen
«risen des Lebens oder des Jahres, sie sind bekannt in Gemein-
samke:t und werden in Gemeinsamkeit bewältigt, die temporäre
Irrationalität ist rational, aufgrund kultureller Vernunft, in das
System eingebaut. Die dramatischen Höhepunkte scheinbarer
Umkehrung des Alltags, des Eintauchens ins Chaos, dienen der
Besinnung auf den Sinn und die Ordnung in jenem das gesamte
Dasein umfassenden Haushalt des Lebens. Die Übergangsphase
der asozialen Freisetzung, der Vergeudung von Ressourcen, der
Aufhebung von materiellen Sorgen und Arbeiten, der Hingabe an
das Numinose ist limitiert, bedeutet nicht eine ersehnte perma-
nente Aufhebung des bisher Gültigen, nicht neue Gesellschaft,
sondern rituell überhöhende Legitimation der alten Gesellschaft.
Dagegen bedeutet der Übergang, die transitorische Phase in
Umsturzbewegungen und Revolutionen, die Turner als relativ
späte soziale Phänomene bezeichnet, nicht nur die temporäre
Außerkraftsetzung der alten Ordnung, sondern ist der Übergang
in eine neue Ordnung.
Die New Age-Bewegung bezeichnet sich selbst als revo-
lutionár, wobei der Begriff der evolutionáren Revolution sowohl
einen gesellschaftlich als auch biologisch neuen Menschen meint,
die intc7p'anetare Mutation des menschlichen Geistes, wie es Ros-
zak ausirüct:. Und er führt fort: Früher entsprach der Unterschied
zwiz_ la {ove tion uz 5volution demjenigen zwischen radikaler
unc Llo.crvnlvoo 'clitik. Dlose beiden Vorstellungen vom gesell-
$C ak 24... Stangen einander so unversöhnlich gegenüber
W_ « > «cnysischen und apollinischen Tugenden: auf der einen
Geite > alrupte Rebellion; auf dcr anderen dcr ruhige, kontrol-
hert2/ | ai. Weunrend gegenwärtig politische Radikale weiter-
hin &.. ' :volution aitea Stils predigen, ist zusátzlich ein kultureller
Radika'ismus zu beobachten, der die Evolution propagiert — eine
183
Evolution des Bewußtseins, die mit der rasanten, alle Übel der Erde
ausmerzenden Revolution erbarmungslos ins Gericht geht und eine
Revolution schaffen will, die ebenso notwendig wie unausweicl:!._
ist. Vielleicht haben die Beatles mit ihrem Song »Revolution« und
dem mahnenden Refrain "You better change your head instead"
dies am überzeugendsten zum Ausdruck gebracht.
Ein evolutionárer Bewufitseinssprung: Dieser Gedanke ist zum
aktuellen Jahrtausendbegr:ff des Wàssermannzeitalters geworden,
zur uralten Hoffnung auf den sogenannten rettenden Rest, ... wo-
nach das Neus Jerusalem im Rahmen eines revolutionären Durch-
bruchs wiedererstehen und die Welt erlost wird durch eine übertrag-
bare psychische Mutation, ausgebrütet von den grauen Gehirnzellen
einiger weniger Auserwählter. Man beachte, wie bereitwillig heute
Randgrurpen v5) Minderkeiten sich als Freaks bezeichnen und mit
welchem C:olz sie .. :s Wort in den Mund nehmen. Vielleicht hoffen
sie, zu den ersten Mutanten zu gehóren, zu jenem neuen Menschen-
geschlezl.:, &zs dic Vo wprechen des Neucn Zcitalters einlcs:.
Halten sie sich für eine Superrasse? Sollte das d^» F:!l sein, dann
stehen sie auflerhalb jedcr Nation, Cesellschafissch. it url ur.
Sie L5 zc kcine 13, ‘orialen 1 saürfnisse, Erauchen keine politischen
Sitin. cal Ccke un.” lehnen jedes l'errschaftsstrcben ab. Zbnormitát
heipt€us Treuczelébnis, das den Ledenssti! {7 kulture on Randgrup-
pen p:°,<. Hier gent es um eine Sensibilität für außerordentliche,
phan:astische Wirklichkeiten. Freilich zählen nur Realitäten, die
rharmazeutischen Uz-rrungs sir:d. Im Coitaltez /-— ° —_arier erl:den
die Auscrw’liiten eine Dewuftseinsmutation — vielle!.!.t eine durch-
aus beausic/.. 5-1 Wederbelebung der genetischen Si.bstanz.
Roszak 1t uie Crenzbereiche der Aquarianer mit ihren phanta-
stisc.ca V. iss seiten (selbst wenn manches unausgegoren, geist-
los oder schlicht gretesk ist, selbst Teilhard de Chardins rhapsodi-
sche Lrgz3se &ocr cen Omega-Punkt nehmen sich aus wie apokalyp-
tische FP zifallshascerei) für das Übergangsstadium im Rahmen
der evolutionären BewuBtseinsveränderung.
Die Auferkraftsetzung der Normalitát, des Routinedenkens
und -handelns aber entspringt für Roszak durchaus einer hóhe-
ren Vernunft, hat - wie die Übergangsrituale — die Irrationalitàt
des charismatischen Klimas, die Unordnung, die Crenzüber-
schreitung als Basis für die Erfahrung neuer Sinnstrukturen und
der Vorbereitung auf das Heilsgeschehen.
| 84
Die Heilserwartung des New Age aber ist eine chiliastische, ist
Hoffnung auf ein Friedensreich, wobei in der mystischen Orien-
tierung irdisches und himmlisches Paradies über das Bewußtsein
der göttlichen Immanenz eins werden. Am Ende der Transforma-
tion - des Weges der Seelen auf den großen Straßen des All
(Whitman) - steht die Verschmelzung im großen Ozean des
Lebens, im Punkt Omega, in einem einzigen planetarischen Be-
wuftsein, das bei Fergusons ‘planetarischer Familie’ diesseitig
und jenseitig zugleich ist. Universalismus und Integralismus
hatte Mühlmann als wesentliches Element chiliastischer Heilser-
wartungen gesehen. Für die New Age-Erwartungen ist der ganz-
heitliche Anspruch essentiell: von der Ganzheitlichkeit der Per-
son über die Ganzheitlichkeit des Planeten bis zur umfassenden
kosmischen Ganzheit. Das Personale und das Universelle ver-
schmelzen zu einer einzigen geistigen Einheit (Roszak).
Die neue Welt, das neue Zeitalter, setzt nun allemal den Unter-
gang des alten voraus. Weltenwende fordert Weltenuntergang,
und die Passage zwischen diesen Welten wird in den Kosmolo-
gien der Völker immer als eine dramatische, von Kämpfen, Kata-
strophen und Bedrängnissen erschütterte beschrieben. Mühl-
mann spricht von messianischen Wehen und führt weiterhin aus:
Der Topos der „messianischen Wehen“ ist der Niederschlag der hi-
storizz! zr Unangepcafitheit der Menschen. Die Hoffnung auf einen
geschichtslosen Endzustand, auf ein Reich der Ruhe und des
vollkommenen Friedens tritt besonders dann hervor, wenn Zeiten
politischer Wirren, politischer Anarchie, politischer Bedrängnis in
den Mznschen ein tiefes Bedürfnis nach Ruhe und Sicherheit er-
zeugt I... ben ... Das drückt die historische Überreizungsschwelle der
mensc..«chen Le.densfühigkeit, der historischen Eindrucksfühigkeit
überhzzpt aus. D:» Menschen revoltieren gegen ein ,, Übermafi an
Geschichte" und sehnen sich nach einem Zustand vólliger ,Stille-
gung «.r Cesch.cnie"
Die Sehnsucht nach dem Entkommen aus der Geschichte, aus
der Kuitur, nach kulturellem Tod hatten wir als charakteristisch
für die New Arge-Bewegung hervorgehoben, die historische Über-
reizungsschwelle im Moloch Moderne, den wir durchaus als ein
dámonisiertes Zeitalter sehen kónnen, aufgewiesen. Wir haben
gesellschaftliche StreBsituationen als Voraussetzungen für die
Entstehung charismatischer Prozesse erwühnt. Für Mühlmann
185
sind es vor allem Systemverengungen, die den Boden für Um-
sturz und chiliastische Hoffnungen bereiten. Handelt es sich aber
im Fall der New Age-Bewegung um Systemverengung? Steht da-
hinter eine Verknappung der Handlungsmóglichkeiten? Sind es
die Parias der Geschichte und Gesellschaft, die sich auf ein
geschichtsloses Zeitalter bewegen?
New Age ist ein Phánomen, das sich ausgehend von Amerika
in den reichen westlichen Wohlfahrts-Demokratien verbreitet,
die Bewegung geht von einer stádtischen, oft akademischen obe-
ren Mittelschicht aus. Das Land als Zielort gilt nicht der làndli-
chen Bevölkerung, sondern ist sowohl von der ländlichen als
auch städtischen Masse befreiter Rückzugsort für die Passageri-
tuale der ‘Wenigen’. Freizeit und Geld sind die Voraussetzung für
die Passage in das höhere Bewußtsein. Die Menschen in Kalifor-
nien, hatte Marilyn Ferguson gesagt, verfügen über das Geld, die
Zeit und die Sicherheit zukünftigen Komforts, um keine andere Al-
ternative zu haben als jene, sich ihren eigenen Ängsten zu stellen.
Die Technologie steht ihnen für ihre ‘weltweite Verschwörung’
zur Verfügung. Handelt es sich bei ihnen vielmehr um die Folgen
einer Systemüberdehnung, einer Überflußsituation? Für sie gilt
durchaus der Überfluß an materiellen Gütern, es gilt auch die po-
litische Beliebigkeit in den nur noch legitimatorischen Kommu-
nitäten des ‘allmächtigen’ Staates, es gilt auch die Wissensüber-
flutung in der abstrakten Informationsgesellschaft. Diesem
ÜberfluB, dieser Beliebigkeit steht aber, wie wir ausgeführt
haben, eine Verknappung gegenüber, námlich die Verknappung
oder das Fehlen von Sinn. Und genau im Zusammentreffen von
Überfluf einerseits und Verknappung andererseits, nicht in ent-
weder / oder, sehe ich den Keim für die spirituelle Bewegung der
westlichen Moderne. Die ókologischen Katastrophen zu be-
kámpfen ist nicht das eigentliche Ziel, die Heilserwartung ist auf
die Erlósung des Selbst aus seinem kosmischen Getrenntsein ge-
richtet. Die *Heilheit' des Planeten, der 'neuen Erde’, wire die
selbstverstándliche Folge der Heilheit der Person. ‘Reins’ “rerei-
nie*.' . zrsonen kónnen nichts mehr verschmutzen!
186
9.2 Messianische Wehen und Erlösung
Der Topos von der Zeit der Reinigung als dem Übergang in die
Zeit der Reinheit bezieht sich auf eine vom Mikro- bis zum
\akrokosmos reichende dramatische Verwandlung. Dem neuen
l'italter geht wie in fast allen chiliastischen Konstruktionen eine
besoncers erschreckende, katastrophale Zeit voraus: das Chaos
der Unordnung als Umordnung, die messianischen Wehen. Die
[-atastrephen der Gegenwart werden wie in einem Brennpunkt
gebündelt und als Zeichen der Endzeit gedeutet: Apokalypse
ietzt und der Mensch zwischen dem Dámon und dem Stern ... das
Schlin=mste erwartend, auf ein Wunder harrend (Roszak).
[ie I: tastrophen des Molochs Moderne werden im charisma-
tischen Klima des Ubergangs in das neue Zeitalter ebenso numi-
nos aufgeladen wie die erwartete Zeit. Warten und Harren ist die
gesellschaftliche Reaktion, der Aktivismus bleibt personal, dem
Manifest der Person verhaftet, ist letztendlich eskapistisch, ein
V.rstecken vor den Katastrophen bis zur Erlösung. Und die Pro-
phezeiungen, die das charismatische Klima aufheizen, sind
durchaus optimistisch fiir jene, die sich durch die innere ‘Reini-
gung’ vorbereiten. Der Zugriff der Propheten auf das kulturelle
Arsenal der Untergangs- und Aufstiegsmythen ist nahezu unbe-
£*nzt. Auch hier fällt wieder die wechselseitige Bestätigung von
* "thos und Wissenschaft auf und die Bestátigung alter Prophe-
zeiung .. sus 7 atastrophen der Gegenwart, wobei wirtschaftliche
und politische IE:atastrophen ebenso wie Naturkatastrophen zur
Prophetie angeeignet werden.
1986 war es Tschernobyl, das vom Indianischen Netzwerk BRD,
dem Herausgeber der Zeitschrift »Mescalito«, unter die Hopi-
Weissagungen eingeordnet (Big Mountain und Tschernobyl. Pro-
phezeiungen der Hopi-Indianer und die Zusammenhänge des Reak-
torunglücks in der Sowjetunion und der Räumung von Navajos in
den UZ.4) und im gleichen Atemzug mit Erdbeben und sintflutar-
tigen Regc.ifzzca als Warnung intoniert wurde: Gibt es neben
Tschernob:“ nicht schon Warnungen genug? Challenger, seit neuem
die L' Æigk.!t der C74, eine Rakete ins Ail zu schicken; Bomben
auf 1j; fct teglich ein Erdbeben im Pazifik, in Mittel- und Süd-
amerik.-, in Anaiolien; immer mehr aktive Vilkane; sintflutartige
Regenfälle in Thailand und Kenia; eine drohende Hungerkatastro-
187
phe und Massenstrahlenerkrankungen in der UdSSR; fürchterliche
Auseinandersetzungen in allen Teilen der Welt ...
1978 erschien erstmals Jeffrey Goodmans »We are the Earth-
quake Generation, spiter angekündigt als der umstrittene Best-
seller, der eine zwanzig Jahre andauernde „Zeit der Katastrophen“,
mit Mt. St. Helens beginnend, voraussagt. Der 1980 erfolgte Aus-
bruch des Vulkans wurde in die spáteren Auflagen buch- und
prophetiebestátigend aufgenommen. Das Buch steht — und steht
nicht - im Umkreis einer nach dem Zweiten Weltkrieg besonders
in Amerika intensivierten Hazard-Forschung, benutzt deren Lite-
ratur, um sie gewissermaflen zu 'transzendieren'. Als Hazard wird
ein katastrophentrüchtiges Risiko von ereignishaftem sc!*enem
Charakter bezeichnet, auf das sich die Gesellscheft durch 'Adjust-
ments' (Anpassungs- und Abhilfestrategien) einstellen muß, wenn
sie überleben will (Geipel). Es geht in dieser interdisziplinären
Hazard-Forschung vorrangig um die Bewältigung von Gesell-
schaftskatastrophen im Anschluß an auslösende Naturkatastro-
phen, das heißt weniger um die über naturwissenschaftliche Be-
rechnungen schon teilweise möglichen Voraussagen der Naturka-
tastrophen, sondern um Voraussagen der gesellschaftlichen und
personalen Reaktionen auf Frühwarnsysteme und Katastrophen-
managements im industriegesellschaftlichen Kontext. Gerade
beim Ausbruch des Mt. St. Helens (wobei der Vulkan als Hazard,
der Ausbruch als Katastrophe bezeichnet wird) hat sich die
eigentliche Katastrophe aus den gesellschaftlichen Reaktionen
ergeben. Das ließe sich für viele Naturkatastrophen ergänzen
und ebenso für die sogenannten Man-made Hazards, deren inter-
disziplináre Erforschungen Geipel für noch weitaus dringender
hält.
Bei Goodman nun werden die Katastrophen der nächsten
zwanzig Jahre für die Vereinigten Staaten in aller Deutlichkeit
dargestellt und mit Hilfe der verschiedensten wissenschaftlichen
und grenzwissenschaftlichen Theorien belegt (geologische Kata-
strophentheorie, Seismographie, neue Eiszeit- und Polverschie-
bungs-Theorien, astronomische Sicht und Biorelativitätstheorie).
Wesentlich allerdings sind für Goodman die Voraussagen von
Hellsehern, wobei er aus den Prophezeiungen der Bibel, des No-
stradamus (16. Jahrhundert), des amerikanischen Spiritisten Ed-
gar Cayce, der 1945 verstorben ist, und lebender Spiritisten, ins-
[ XR
besondere seines Gewährsmanns Aron Abrahamsen, die gleichen
Katastrophensequenzen herausliest, die in einer Checklist zu-
sammengestellt werden, die bis ins Jahr 2030 reicht.
Wichtiger als die nicht in Erfüllung gegangenen Naturkatastro-
phen und die Frage nach der Reaktion auf die verfehlten Prophe-
tien ist hier die Frage nach den Überlebensstrategien im Zu-
sammenhang eines New Age-Denkens. Dieses zumal, wie wir
noch sehen werden, und worauf auch Mühlmann für das prophe-
tische Charisma insistiert, weil Prophezeiungen verschoben und
umgebogen werden kónnen, wofür sich die man-made Katastro-
phen der Gegenwart geradezu anbieten.
Bei Goodman nun erreichen die Katastrophen zwischen 1990
und 2000 ihren Hóhepunkt, angereichert um zahlreiche gesell-
schaftliche Folgekatastrophen. 2000 kommt der Wendepunkt mit
der plótzlichen Polverschiebung, wobei die Erdrotation für Tage
aufhórt. Danach beginnt das Neue Zeitalter: die Rückkehr Christi
mit vielen Helfern, Besuch von Weltraumbewohnern, ein neues
menschliches Bewußtsein und neue kulturelle Dimensionen ent-
stehen, cie Erde stabilisiert sich wieder. Und 2030 ist dann schlief-
lich das Paradies auf Erden: Die US-Ókonomie wird wieder gesund;
millcrizimáhnliche Bedingungen herrschen vor; erleuchtete Lehrer
sind &"en zvgánglich, die persónliche Entwicklung suchen; eine neue
Emr! cedo Togierungen liegt auf der Hilfeleistung zur Entwicklung
der 11220500 stet der Regulierung ihres Verhaltens und ihrer Ge-
danken; &.. Li... 1wirtschaft benutzt das Gebet für die Kontrolle von
Regen und V.Echstum; die Sonne und das elektromagnetische Erdfeld
werden die l'auptquelle der Energie; Spiritisten werden alle wissen-
schaftliche Forschung leiten; die Medizin macht extensiven Gebrauch
von Farbheilen, oft mit dramatischen Ergebnissen; Krebs ist geheilt;
Gliedma/ienregeneration móglich; Kristalle werden für Heilung und
Energiedistribution und -erzeugung genutzt.
Wie die Katastrophen überleben, wie in das neue paradiesi-
sche Zeitalter gelangen? Da gibt es das Kapitel »Consult Your
Local Goldfish«, in dem wiederum die Aussagen von Spiritisten
über ESP bei Tieren und wissenschaftliche Forschungen über tie-
rische Vorwarnsysteme zur wechselseitigen Bestátigung herange-
zogen werden, um personale Sensibilitàt für personale Rettung
zu motivieren. Die eigentliche New Age-Prophezeiung liegt aller-
dings in jener optimistischen Vorausnahme des Neuen Zeitalters,
189
die uns schon so oft begegnet ist: die harmonische Persönlichkeit
hier und heute, aus der sich die Harmonie der Welt ergibt. Bei
Goodman ist es, wiederum bestátigt durch Spiritisten und fremde
und eigene wissenschaftliche Forschung, die Biorelativitàt (oder:
du bist das Beben). Unter Biorelativitüt versteht er Gedankenfor-
men als fünfte Kraft in der Natur, die als psychische Energie oder
Geistesenergie des Menschen, als elektromagnetische Vibratio-
nen auf die Umwelt ausstrahlen. Die Hazards werden damit man-
made, Katastronhen wären vermeidbar über eine ethische Evolu:
tion zur persönlichen Harmonie. Persönlicher Frieden als Vor-
aussetzung zum Weltfrieden wurde auf dem Friedenskongreß in
Amsterdam gelehrt. Übergang in das Friedensmillenium ohne
vorherigen Weltuntergang durch Naturkatastrophen, aber auch
ohne die Notwendigkeit einer gesellschaftlichen Hazard-For-
schung, wenn genügend ‘Seelen’ sich auf die harmonische Geist:
wanderung begeben!
Auch in dem 1980 erschienenen Buch von J. R. Jochmans »Rol:
ling Thunder« über die kommenden Katastrophen, den Weltun-
tergang vor Beginn des Neuen Zeitalters, wird eine Hoffnungs-
perspektive angeschnitten, über die verfehlte P-cphetie nicht nur
verschoben oder umgebogen werden mu, sondern als Beweis für
ein gewandeltes Bewußtsein das charismatische Klima verstärkt:
Schliefilich, heiBt es im Vorwort, ist es die Hc*fnuz2 cs Autors, ...
dafi die náchsten zwanzig Jahre dea grZ/cren 7:3 des Rolling Thun-
der ais Fiktion erweisen werden. Wenn die Prophezeiungen von Dun-
kelheit und Untergang wie vorhergesagt kommen, dann ist der
Zweck dieses Buches — die Menschen dazu zu führen, i^r Bewupt-
sein zu einer positiveren Lcbensweise zu ändcrn — yosf- Lt. Venn die
Prophezeiungen sich nicht erfüllen oder schlieBlich sich nic*t in der
vorherzesagten Schwere ercignen, dann k.:t sich ein erheblicher gu-
ter Wille aurc*zesetzt, denn es be.'zutct, dap die prcphetiscisen Bar-
nur.gc^ 1 2chtet worden sind und sich die Zukunfisrichtung deutlich
£2w:-7Jelt ha:. Jochmans hat sein Buch der P:ophezeiunzen in
Anlehnung an das zehnte Kapitel in der Offenbarung des Johan-
nes in sieben Donner eingeteilt. In diesen Donnern gibt er einen
Überblick über Weltuntergangsprophezeiungen und das Neue
Zeitalter, wobei die Katastrophen sich von Erdbeben und Sint-
fluten, Hungerkatastrophen, Arbeitslosigkeit, Nuklearunfällen
bis zum 3. Weltkrieg erstrecken. Seine Kronzeugen reichen von
190
der Bibel und Rangarek, dem altnordischen Weltuntergangsmy-
thos, über die Kulturhistoriker Spengler, Toynbee und Sorokin
bis zu modernen amerikanischen Hellsehern. Die wichtigsten
Zeugen sind aber auch für Jochmans wiederum Edgar Cayce und
Nostradamus. Und so schlieBt der letzte Donner auch mit No-
stradamus über das Neue Zeitalter und jenseits. Nostradamus wird
für das New Age aufbereitet. Das sieht so aus (den Versen des
Nostradamus folgt jeweils der Kommentar von Jochmans,
Der Körper ohne Seele nicht länger
verleugnet,
Der Todestag als Geburtstag des
neuen Lebens gefeiert,
Wissend um die Führung des
Göttlichen Geistes zu größerem
Glück
und sehend Dasein als |
niemals endendes. (IT, 13)
Der Prophc* fafit hier die zentralen Themen der New Age-Lehre zu-
saxemen: Pe unstersliche Seele jedes Individuums geht durch viele
Lebenszeiten, und jeder Tod ist nur ein Tor in eine andere Existenz, in
einen neuen r:steriellen I. »per. Leben nach Leben, der Geist führt
die Seelz zu höheren Stufen von Gewahrsein und Sein, zu größerer
Selbstvel'endung, bis die Seele den sterblichen Körper nicht mehr
als ein Mittel benötigt und totaler Geist wird.
Spirituelle Formen, unsterblich und
ohne Ende, werden dem Auge sichtbar,
Wo sie zuvor verborgen waren,
Die unsichtbaren Formen, gesehen
durch das Haupt, die Stirn
und heilige Gebete schweigen. (IV, 25)
P7 hre.-3 dos Neuen Zeitalters wird das psychische Bewußtsein der
Menschieit ook worden, und jeder wird fähig sein, die unsichiba-
ren Wesenheiten des spivituellen Reiches, jene höher entwickelten
Seelen, zu ‘sehen’. Nicht länger wird es nôtig sein, in Gebeten zu ih-
nen zu sprechen, denn wir ‘sehen’ und ‘sprechen’ zu ihnen telepa-
thisch von Angesicht zu Angesicht, durch die psychischen Kräfte des
Dritten Auges im Zentrum der Stirn.
191
Diesem, nach Jochmans’ Auslegung von Nostradamus im Jahr
2000 beginnenden Neuen Zeitalter des spirituellen Menschen
folgt 9000 die endgültige Zerstörung der Erde, die letzte Stufe der
menschlichen Evolution: Nur der Mensch-Geist wird bleiben — un-
sterblich und rein av seiner fortdauernden Reise zurück zur Vereini-
gung mit dem Góttlichen —, um durch neue Universen und Dimen-
sionen zu treiben, auf immer erfahrend, auf immer lernend, auf im-
mer wachsend ... Für das Hier und Jetzt aber gilt die Chance der
Katastrophenvermeidung dadurch, anzufangen unser tägliches
Leben so zu leben, als ob wir bereits im New Age wären. Und auch
das für die chiliastischen Prophetien charakteristische Motiv der
‘Säuberung’ von den Andersdenkenden fehlt nicht. Der Heraus-
geber gibt in seinem Vorwort ein Gespräch mit dem Autor wieder,
nach dem eine groBe Trennung zwischen der Menschheit stattfin-
den wird: Was geschehen wird ist, daß die Gleichen die Gleichen an-
zichen werden — jene mit einem positiven Bewußtsein, die gelernt
haben, in wahrer Harmonie mit anderen und der Umwelt der Erde
zu leben, sie werden in 'sicheren' Gebieten zusammengebracht
Werecz; wührend jene mit einem negativen Bewußtsein, die außer-
halb dez Balance mit ihren Mitmenschen und der Natur verharren,
in 'Gefahrenzonen' versammelt werden.
Auch der 'schlafende Prophet' Paul Solomon spricht in seinen
Readings aus der Source von jenen Vorbereiteten, die an die si-
cheren Plätze geleitet werden, um nach dem Ende der Erschütte-
rungen einen neuen Planeten Erde aufzubauen. Daf) die 'siche-
ren Plätze’ sehr real gesucht werden, um zu den ‘Überlebenden’
zu gehören, hat mich manche Erfahrung gelehrt. Da war eine na-
hezu unerklimmbare Höhle in den Gebirgszügen der Provence,
ausgependelt, die von einer spirituellen Gruppe ausersehen wor-
den war. Meine Fragen nach Wasser und Lebensmitteln, nach
Transportmöglichkeiten wurden nur belächelt. Die Survivalists in
Rogue River/Oregon hatten ihren Rückzugsort nicht nur mit
Vorratslagern, sondern auch mit Waffen ausgestattet. Auch in der
Sunburst Community von Norm Paulsen gab es auf der Lemuria-
Ranch Mitte der 70er Jahre nicht nur ein Waffenlager und Mili-
tärausbildung für den Endkampf (wobei in Gerichtsverhandlun-
gen nur von Verteidigung gegen Banden gesprochen wurde), son-
dern einen Armageddon-Plan, der die Verteidigung gegen und
die Vernichtung von Horden Ungläubiger zur Zeit des großen
jJ
Kollapses ausgearbeitet hatte. Denn, wie Norm Paulsen in seiner
1^90e- Autobiographie schreibt, Sunburst ist die Basisstation für
die Puilders. Es ist hier, wo die Feuertaufe herabsteigt, es ist die Ent-
scheidung der Builders ... Die Builders sind hier, um die Mensch-
heit zu erleuchten und die Kriegsrüster für immer zu zerstóren, aber
wir müssen helfen. Ein junger Sanyassin des Bhagwan Shree
Rajneesh erzählte mir schließlich auf Gomera gläubig und freu-
dig von seiner Hoffnung, daß ein Bunker auf der Ranch in Ore-
gon allen Sanyassin zum Überleben dienen könne, damit sie ihm
nach der Vernichtung der bisherigen Erde als New Age-Men-
schen entsteigen können.
Der unterirdische Bunker, aus dem man in die neue Welt her-
aufsteigt, als eschatologische Phantasie einer in Zement und
Atomenergie- und Kriegsbedrohungen aufgewachsenen Genera-
tion hat die Kiva, jenen heiligen Erdraum, aus dem in der Mytho-
logie der Hopi die Überlebenden in den Zyklus einer neuen Welt
aufsteigen, verdrángt. Nicht aber die Hoffnungen, die aus ihren
Prophezeiungen aufsteigen. Und sie, die Indianer, vermitteln sich
und werden vermittelt über Vortráge und Workshops als die Pro-
pheten eines Neuen Zeitalters, das die Trennungen der Mensch-
heit und des Menschen aufhebt. Wie ich an einem Beispiel von
einem Workshop in Kalifornien zeigen móchte, geht auch in diese
Prophezeiungen die gesamte New Age-Mythologie ein, wird als
Nachrichten des Friedens aus einer seit Tausenden von Jahren und
Generationen weitergesebenen Tradition, ebenso wie die histori-
schen Ereignisse der Cegenwart, nachtráglich bestátigt. Danach
sind wir jetzt in der Zeit der Reinigung, in der drei bedeutsame
Ereignisse alle Le*cwesen betreffen werden. Das erste Ereignis wird
das gzc?e Sich-Schüttcln der Erde sein. Dies wird durch die Swa-
stika o.'-* dcs münnlicke Symbol reprásentiert. Neben dem Wan-
de*pfal ict à s die mánnliche Energie des Universums. Es sind die
Más 62 Wnderung anführten, und so benutzten sie dieses
Symbol auc: für c . : rzánnliche Prinzip im Leben. Wir wissen heute,
dap d:escs Syn: -1 c. Zeit des ersten und zweiten Weltkrieges meint
und die deutsche Kultur, die alle mánnliche Energie anháufte, die
sie 'kricgen' konnte. Sie erdrückte die Menschen und kämpfte für
eine W-Ithe-rschzft dieser Energie. Dies wird die ganze Welt aufrüt-
tein, es wird viele zu einer Gewahrwerdung von Grundprinzipien
bringen. Dann wird eine kurze Zeit des Friedens sein. Dann wird ein
193
zweites Schütteln der Erde folgen. Dieses zweite Schütteln wird vom
Sonnensymbol vertreten, dem weiblichen 7':chen der opi. Die
Sonne als Mutter aller Planeten. Die weibliche Energie wird kenzen-
triert in einer Konfrontation des weiblichen mit dom männlichen
Prinzin. D':2 Ir:z-n7c:ation der Áltesten ist die des Dialogs mit dem
Osten, mit A~iza. Die westlickz V2! hat di» óstlizkz solarge igno-
riert, bis wir d2* Menschen dzrt die Wissenschzt und Technik anbo-
ten. Als sie c5cs C schenk nahmen, wurden 7? zu einer Bedrohung
für die westliche W. '*, Und so haben wir zugl.ich positive und nega-
tive Beziehungen zur óstlichen I'emispháre. Wir hatten den Korea-
krieg, den Viztnamkrieg, den Diales mit China, ale diese Sachen
mit dem óstlichen Weg d^ Philoscphie und des Denkens. Pas weibli-
che Prinzi» verkórpc:t sich in óstlicher Religion und ôstlichem Den-
ken. Und so schen wir, dafj beide Symbole die Extreme der münnli-
chen und weiblichen Energien im Le*zn darstellen.
Und cann wird etwas drittes geschehen: Das, was ich Ihnen be-
schricben habe, als einen Ascheregen, dcr alles verdir^t, so dafi
nichts wachsen kann und das Gift in des Wasser und in die Erde
dringt und alles vergiftet. D26 Frauen kcin normales L:*en mehr
schenkea k3nnca. DSes alles wird d:2 wichtigste Z..:t cükündigen,
die Z-it d Làüuterung. Zu &e7 Lt müssen die Altesten zu-
sammenkomme:: und dicse Geschichte, diz Sie gerade horen, zu-
sammentregen. Damit die Welt erinnert wird an unsere Herkunft,
unsere Ziele und an die Existenz der zwei-herzigen Element.
In de: Zeit der Läutcrung zeigt diese Linie auc* für die Tvei-her-
zigen den V3 zum Frieden. Es ist Cana in dieser Zu möglich, wie-
der Anschluß an den wahren „Weg des Friedens“ zu finden. Und das
ist es, wcCs wir bzzte czzchehen sehen. Aber es ist auch wie eine Kiva-
Leiter: Unsere Brüder im Südwesten haben ihre Kirchen unter der
E:… u:d &;7 Eingang ist eine Leiter, die vom Dach zum Bc.'^a
FL. Das stellt Zcn Purc^zang von der materiellen in die spiritucile
boo Tugel ist es eine A+ Notzusgang vzn einer in die andere
V. 7 zcrlsntict auch dicse Linie, die die Verbindung zwi-
schen c.esc: zwei WL::en is: Es ist gesagt, daff wührend dieser zit
Leute cz c2: two-hearted Weg, die merken, wo sie gehen — und daß
der Grof3e Geist einen Plan hat, der über allem steht, was wir denken
kónnen — das alles wahrnehmen und bereuen. Sie künnen auf den
„wahren W-z“ zurückkehren.
Immer aber noch gehen Menschen auf dem zweiherzigen Weg;
i94
Vulkanausbrüche, Trockenheit und Hungerkatastrophen sind die
Folge. Viele Weissagungen ihres Weges haben sich schon erfüllt:
Spinnweben über das Land = Stromleitungen; Straßen in der
Luft = Flugzeugstrecken; Schachteln auf Rädern = Pferdekut-
schen; Schachteln ohne angebundene Tiere = Autos; nach der
letzten groBen Erfindung erscheint ein Haus am Himmel, das
herabstürzt, weil seine Priester den Plan des Großen Geistes nicht
verstehen = Skylab. Dann kommt der Läuterer und das letzte
große Schütteln der Erde. Mit ihm die Menschen mit roten Hüten
und Umhängen aus dem Osten, die Weisheit bringen, gedeutet als
das Kommen eines tibetanischen Lama nach Hotevilla. Der letzte
Teil der Weissagung ist noch nicht gedeutet: die Leute mit roten
Hüten und Czwändern aus dem Westen, die in riesiger Anzahl
kommen und alles Leben vernichten.
Der Workshop-Leiter John Kimming fordert dann zu jener per-
sonalen Larmonisierung von Yin und Yang auf, zur spirituellen
Verinnerlichung, um für den großen Tag der Reinigung, wenn der
grofle weifle Bruder, der Reiniger, der Pahana, kommt, gerüstet zu
sein, um nicht unerbittlich gerichtet zu werden, sondern in das
Reich des tausendjährigen Friedens und der Harmonie einzuge-
hen.
Die Weissagung schlieBt mit der Aufgabe Kaliforniens, in dem
wie sonst nur noch auf dem tibetanischen Plateau ein besonders
hohes Spannungsfeld zwischen Wetterzyklen, dem elektromagne-
tischen Feld der Erde und dem menschlichen Bewußtsein be-
stehe. Es gehe darum, die Verantwortung zu übernehmen und die
Geister des Landes zurückzurufen. Und es folgt die abschlie-
Bende *wissenschaftliche Bestätigung’: Diese Geschichte, die ich
Ihnen hez:e aus dem Hopiland und vergangenen Zeiten herüberge-
brackt habe, würden auch Anthropologen als die älteste Geschichte
des Kontinents bezeichnen.
9.3 Die ‘Helden’ des Neuen Zeitalters
In der Einleitung zu dem Reader »Apokalypse. Weltuntergangs-
visionen in der Literatur des 20. Jahrhunderts« schreiben die Her-
ausgeber: F'aben áltere Epochen das Ende der Zeiten immer als ein
relatives Ende verstanden, so erscheint in der Gegenwart die Apoka-
195
lypse als eine Zeit der endgültigen Zerstórung ... Gemeinsame
Merkmale des Endzeitbewufitseins sind im wesentlichen drei Struk-
tur-Momente, die sowohl intellektuell als auch künstlerisch-formal
prägend sind: Totalität, Entropie und Irreversibilität.
Die Bewegung des Neuen Zeitalters setzt dagegen das spiritu-
elle Prinzip Hoffnung. Die Katastrophen führen nicht zu Entro-
pie und Irreversibilität, sondern zur Totalität einer Transforma-
tion, sind die liminale Phase im Übergang zu einer neuen Welt
mit neuen Menschen, neuen Helden. Nach Ken Wilber sind wir
in jenem Stadium der Evolution, in dem das Durchschnittsindivi-
duum in seiner großen Mehrheit jetzt beginnen kann, ein transzen-
denter Lcid zu werden.
Der vielzitierte Joseph Campbell beschlieBt seinen Gang durch
die Weltgeschichte der Helden »The Hero with a Thousand Fa-
ces< mit einem Ausblick auf den Heros heute: Nicht die Tierwelt,
nicht d:2 Pflanzenwe!t und nicht das Wunder dzr €pháren, sondern
der Mensch selbst ist jcizt cas zentrale © I eimnis. ... Dez Mensch,
verstanien cber nicht als Ich, sondern als Du: Denn von den Ideen
und zeitweiligen Institutionen aller Stämme, Rassen, Kontinente,
Klassen und Jahrhunderte kann kcine das Mafi der unerschópfli-
chen und wunderbar vielfältigen göttlichen Existenz sein, die das
Leben in uns allen ist.
Der modernc “eld, der Mensch von heute, der es auf sich nimmt,
dem Ruf zu folgen und die Stätte jener Kraft zu suchen, mit der
allein unser ganzes Geschick gestillt werden kann, kann und darf
nicht warten darauf, daß die Gesellschaft ihren F‘ukl von Hoch-
mut, Furcht, heuchlerischem Geiz und verstellter Feindseligkeit berei-
nigt. ...
Nicht die Gesellschaft hat den schópferischen Heros zu lenken
und zu erreiten, sondern er sie. Und so teilt jeder von uns das höchste
Gottesgericht und trägt das Kreuz des Erlósers — nicht in den Augen-
blicken grofier Stammessiege, sondern im Schweigen seiner einsa-
men Verzweiflung.
Das ist der kreative Held heute, der seine liminale Phase, sei-
nen Übergang, seine Probe ohne seine Gemeinschaft im Schwei-
gen seiner einsamen Verzweiflung erfahren soll, um sich vom aver-
age human zum meta kuman (Solomon) zu háuten. Sicher, es sind
nicht Stamm, Rasse, Klasse, die seine Gemeinde bilden. Aber ist
er ein ‘einsamer Held’, ohne Gemeinde, ohne Führer?
196
Die Reise des Helden wird als Workshop angeboten. In der An-
kündigung des Mountain Seminar Center in Reno / Nerv. heißt es
dazu: ,Reise des Helden" ist eine dynamische Form, die entwor-
fen wuz.'», um Menschen die V^ zhscl im Le*ensweg zu erleichtern.
Die V '.'* jedes Gruppenmitglizds wird durch die Linse der Phantasie
gesehen, dramatisiert und durch einen Übergangsritus erfahren
werden, der auf einem universalen Ritual beruht, das benutzt wurde,
um d:^se M:tamorphosen zu feiern: der Mythos des Helden. Der
Hell wirt durch das absolute „Ja“ strukturiert, der Dämon durch
das a559:::2 ,, Nein" zr Personlichkeit des Teilnehmers, den inneren
Konfl::: dam:t verduflernd. Die beiden werden sich dann auf der
Reise &.3 Helden gegenübertreten und einen dramatischen Kampf
erfinden, Lis eine Cynthese der entgegengesetzten Kráfte erreicht ist.
Der gesellschaftliche Konflikt ist in das Innere der Person
verlagert, die fremdkulturelle Reise des Helden ist westlicher
Psychotherapie einverleibt worden. Die einsamen Helden, die
Heilbringer in den Mythologien der Vólker, die, allein drama-
tische Kámpfe durchstehend, ihrer Gemeinschaft Heil bringen,
sind zu ec»7entrierten singuláren Personen geworden, denen Per-
sónlichkeit als personales Heil versprochen wird. Jeder verein-
zelt, sitzen sie beieinander, monologisieren ihre Konflikte, reisen
in sich selbst, und der Reiseleiter (der Guru, der Therapeut) ver-
spricht Konfliktlösung, ohne daß sich in der äußeren Welt etwas
ändern muß, ohne daß die Reise des Helden einer Gemeinschaft
etwas schuldig ist.
In der Verlagerung heroischen Handelns in ein innerpersonales
Drama mit archetypischen Qualitäten - der Heldenmythos, ein
unbew::ftes Drama - kann die spirituelle Ökologie auf C. G. Jung
zurückgreifen. Von ihm stammt, in Auseinandersetzung mit
Freud, auch die These, da die Opferbereitschaft des Helden tie-
fenpsychologisch als Wirken des Todestriebes zu sehen sei, aller-
dings handelt es sich ebensowohl um den ,anderen" Trieb ..., der
geistiges Lesen bedeutet. Das archetypische Drama ist ein Akt der
Selbstbefruchtung, auch eine Selbstvergewaltigung, ein Selbstmord,
und bedeutet im Austragen der Spannung doch die Ganzheit des
Selbst: Pas Kreuz, oder was der Held immer als schwere Last trägt,
ist er selber, oder genauer gesagt, seine Ganzheit, ebensosehr Gott
wie Tier, nicht nur empirischer Mensch, sondern die Fülle seines We-
sens, die in der Tiernatur wurzelt und über das Nurmenschliche in
197
die Góttlichkeit hinaufreicht. Seine Ganzheit bedeutet eine unge-
heure Gegensätzlichkeit, die aber in sich gecint erscheint wie das
Kreuz ... Und schließlich ist der Held der Schauspieler der Gottes-
wandlurg im Menschen, er ist von vornherein als ein andeutungs-
weiser Gott gekennzeichnet, und es wird mit seiner Géttlichkeit aus-
gesprochen, daß das Selbst numinos ist, d. h. quasi ein Gott oder an
gottlicher Natur teilhabend.
Wolfgang Lipp, der in seiner Arbeit über »Stigma und Cha-
risma« weitgehend mit Jung und Campbell den Helden als Arche-
typus sozialdramatischen Handelns diskutiert, fordert zwar den
sozial bezogenen überspringenden Sinn heroischen Handelns,
aber seine Argumentationskette baut auf dem leidenden Bruch
mit der Gesellschaft auf. Zwar subsumiert er unter dem Helden
Heroen, Märtyrer, Eeilige, Berserker, Führer, Genies, Propheten
und Weise, zentral bleibt jedoch der Typus des Märtyrers, der das
Kreuz trä,:. Einsamkeit, eigene schweigende Erfahrung, Entschie-
denheit in der Trennung von der Welt und Opfer gerinnen zur Pro-
totypie heroischen Handelns. Die heroisch Handelnden sind
Stigmatisierte und Selbststigmatisierer: Parias, Perverse, Fremde,
Knechte, Narren und Irre. Ist aber die Charakterisierung des
Helden als eines tragischen Helden, eines Märtyrers, und seine
Verinnerlichung nicht eher Zeichen eines zeitspezifischen charis-
matischen Klimas als prototypisch?
Wir hatten den Moloch Moderne als ein dämonisiertes Zeital-
ter bezeichnet und seine strukturelle Grundstörung in jener ‘Sor-
geanmaßung’ der Wohlfahrts-Demokratien verankert, die den
Bürger entmündigen, ihn aus der Mitkonstruktion und Teilhabe
an objektivem Sinn entlassen, die Grundpersónlichkeit des Nar-
zißten schaffen und perpetuieren, der den Gott und den Dämon
in sich selbst sucht. Die Trennung von der Welt als einer gesell-
schaftlichen ist nicht das entschiedene einsame Opfer des Hel-
den, sondern der Alltag aller, von denen die Umwelt nichts ande-
res erforderic, ais nur gerade die Bewáltigung des Alltags. So Max
Weber zu den Heilserwartungen nach dem Ersten Weltkrieg.
N.ühlmann spricht von einer Zunahme dcr Dümonopathie durch
jene Entzauberung der Welt (Max Weber), der sogenannten Entmy-
thologisierung, die die Dämonen wieder in die menschliche Psyche
hineintreibt. Und die psychische Spannung verstärkt sich, wenn
dem inneren Dàmon ein innerer Gott gegenübersteht, wenn die
198
ungeheure Gegensätzlichkeit als Ganzheit erklärt wird und Selbst-
befruchtung aus Selbstvergewaltigung, Selbstmord gefordert, der
Todestrieb als Weg zum geistigen Leben gesehen wird.
Der programmierte soziale und kulturelle Tod steigert sich in
dem selbstbefruchtenden Selbstmord als Befreiung zum wahren
Selbst in ein Heilsversprechen, das die Vernichtung der gesell-
schaftlichen und sozialen Existenz geradezu fordert, den Um-
welt- und Mitweltverlust zum heroischen Ideal macht, Narziß-
mus zum Lebensstil.
Der mythische Narziß war unfähig, seine Umwelt zu sehen, die
Wasseroberfläche war nur sein Spiegelbild, er beugt sich ihm
überwältigt zu: und ertrinkt. Man ertrinkt im Selbst — so entfaltet
sich ein entropischer Prozef}, heiBt es bei Sennett. Sind aber nicht
die spirituellen Aufforderungen des Erkenne Dich selbst eben
Aufforderungen zu einem narziBBtischen Selbstmord, bei dem die
Welt zugunsten der Selbstfindung gelöscht wird?
Daß dieser programmierte soziale und kulturelle Selbstmord
des Einzelnen durchaus als 'heroisches Opfer' in biologische
Selbsttótung sich steigern kann, ist auch ein Phánomen der heuti-
gen spirituellen Bewegung. Als kollektiver Selbstmord hat es sich
in der Selbsttótung der Jonestown-Sekte 1978 in Guayana ge-
zeigt. Die Analyse von Enrico Pozzi, die sich an Durkheims Ana-
lyse des altruistischen Selbstmords anlehnt, verweist auf Paralle-
len zu einer kollektiven Selbststilisierung, die dem 'heroischen'
narziBtischen Psychodrama entspricht. Pozzi geht von der
scheintaren Versähnung der Hauptwidersprüche der amerikani-
schen Gesellschaft in der Sekte der People's Temple Christian
Church aus, das heißt der Versóhnung der Konflikte der Genera-
üonen, der Rassen, der Klassen und der Stadt-Land-Gegensátze.
Scheinbar nur, denn intern reproduziert die Gruppe jene Kon-
flikte, die sie allerdings in ihrem Bewuftsein der neuen definiti-
ven I: zntität, die sich in einer Mischung aus religiósem Funda-
mentz.:smus und den sozialistischen Utopien der 68er Bewegung
herausbildete, nicht zulieB. Die Anomie bildet für Pozzi eine
funktionale Einheit mit dem Altruismus der Gruppe, und die
Pzoduktion von Spannungszustánden im Inneren führte schlief-
lich zu jener 'Opferung' in einem kollektiven Selbstmord: Aufge-
lóst, zcrsc:zt, entlassen in die anomische Individuation, war die
Sekte als S»kte tot; definitiv lebendig wird sie erst durch den wirk-
199
lichen Tod ihrer Mitglieder ... Das Ende der Zeit lóst alle Fragen.
Pozzi spricht auch von einer chiliastischen Beschwórung mit
einem Unterton von Rache an der Geschichte und von anomischen
Strategien, die das ozeanische Ich, die Auflósung des Individu-
ums, produzieren, schlieBlich von dem mysterium tremendum et
fascinans im Sinne Rudolf Ottos, das in der Selbstheiligung der
Sekte einschließlich ihres demonstrativen kollektiven Selbst-
mords liegt, in dem das Geopferte, der Opfernde und das Opfer
zusammenfallen.
Das verlorene Charisma des kollektiven Ich der Sekte, kónnten
wir sagen, ist über das ‘heroische Opfer’ der Selbststigmatisie-
rung, der Selbstvergewaltigung und des Selbstmordes wieder her-
gestellt worden - und die P.eaktion auf die Katastrophe von Jones-
town, die als ein Mythos in der veróffentlichenden Ôffentlichkeit
der ketastrophalen Moderne (Heinrichs) gehandelt wurde, bestà-
tigte den 17 cnmythos als ein unbewufies Drama, die numinose
Qualität zwischen Erzittern und Faszination.
Die Entschicdenheit der Trennung von der Welt, der heroische
Spannungszustand der ganzheitlichen ungeheuren Gegensätzlich-
keit des narzißtischen Selbststigmatisierers auf dem Weg zum
Charismatiker, ist hier aus der personalen Einsamkeit des geop-
ferten und sich opfernden Opfers in die kollektive Einsamkeit
übertragen worden, wobei die Entindividualisierung der Grup-
penmitglieder <ie eben zu einem heroischen Ich werden lie.
Das ozeanische I-h hat zwei Seiten: die Auflósung des Individu-
ums in eine soziale Gruppe als neues Ichbewuf'tsein und die er-
sehnte Auflósung dieses kollektiven Ich in der Defreiung aus dem
irdischen Leben überhaupt: Eingehen in den Czean des Lebens.
In der L'eutung Sennetts ertrinkt der Narzif3t, den er als die
Grundr: rsônlichkeit der Moderne bezeichnet, in seinem Selbst,
weil er die Wasserobcrfläche nicht als etwas auBer ihm Existie-
rendes erkennt; die Versenkung in das Selbst fügt dem Selbst
Schmerzen zu. Wenn wir noch einen Schritt weitergehen und das
bisher über den geforderten sozialen und kulturellen Tod in der
neuen Spiritualität Gesagte reflektieren, müssen wir das Wasser
nicht mehr als das nicht erkannte, auBerhalb des Selbst Existie-
rende sehen, sondern hier als den gesuchten Ozean des Lebens, in
den das leidende Selbst sich wieder auflôsen kann. Der NarziBt
des Neuen Zeitalters ertrinkt nicht in etwas auBer ihm Existieren-
200
dem, sondern lóst sich in seinem góttlichen Selbst, von dem ihn
das Leben getrennt hat, auf: nicht Entropie wird hier signalisiert,
sondern der Punkt Omega.
Können wir in dieser Interpretation aber noch von einem afl-
truistischen Selbstmord im Sinne Durkheims sprechen? Der al-
truistische Selbstmord ist aktives begeistertes Handeln, auch als
befohlenes, im Sinne einer Pflichterfüllung gegenüber einer Ge-
meinschaft. Den egoistischen Selbstmord dagegen leitet Durk-
heim aus einer depressiven, inaktiven Grundstimmung her, die
ihren Ausdruck entweder in melancholischer Sehnsucht oder in
epikureischer Unbekümmertheit findet. In beiden Füllen aber ist
es das isolierte Selbst, das den Selbstmord begeht, sich endgültig
aus allem, was außerhalb des Selbst existiert, befreit. Durkheim
beschreibt den Zustand vor dem egoistischen biologischen
Selbstmord als Zustand der Leere und des Verströmens und zi-
tiert Raphael, den Helden Lamartines, als typisches Beispiel: Die
Sehnsuc!' * in allen Dingen um mich war ein wunderbarer Zu-
sammenklang mit meiner eigenen Sehnsucht. Indem sie sie verzau-
berte, ezhólh:z sie sie. Ich versank in Abgründe ven Schmerz. Aber
dieser tief: C.hmerz war voll Leben, voller Gedanken und Ein-
drücke, voller V.-bindung mit dcr Unendlichkeit, und meine Seele
ging in einer solchen Hez"unkel cf, dafl es mir widerstrebte, mich
ihm zu ertzienen ... und 5-7 154 kam mir vor wie ein wollüstiges
Aufgz':es im "nendlichen. Ich wollte mich ihm hinfort ganz überlas-
sen, je.'2 C zseilschaft meiden, die mich davon ablenken könnte, und
gegenüb "zm, ccm ich dann och begegnete, mich in Schweigen,
Einsam. ur ' " ze hiillen; aie Einsamkeit meiner Seele war wie
ein Leichentuca, £725 _.as hindurch ich nicht mehr den Menschen,
sondern nr noch die Natur und Gott wahrnehmen wollte.
Wenn wir Fazzis Ausführungen über den kollektiven Selbst-
mord einer Sckte, die über die Entindividualisierung ihrer Mit-
glieder ein Gruppenselbst geschaffen hat, konsequent auslegen
und in die spirituelle Ideologie des góttlichen Selbst einordnen,
handelt es sich nicht — oder nur im sozial bereits aufgelösten Be-
reich - um einen altruistischen Selbstmord, sondern um einen
egoistischen, bei dem das personale oder kollektive Selbst jenen
sehnsüchtigen ewigen Augenblick der Verschmelzung in seinem
eigentlichen Selbst erlebt - die ozeanische Auflösung.
Die charismatische Gnadengabe des Neuen Zeitalters ist letzt-
201
endlich die Auflösung, die Verschmelzung - jenseits von Indivi-
dualität und jenseits von Sozialität.
9.4 Die radikale Verwandlung
und die neuen signifikanten Ander..
Zur Erlangung dieser Gnadengabe bedarf es der Transforma-
tion, der radikalen Verwandlung oder der zweiten Geburt, und das
heiBt der Initiation in ein neues Leben. In den 1988 von Bhagwan
Shree Pajneesh geschaffenen gemeinsamen Let-Co-Meditatio-
nen al^ Abschluf) eines jeden Diskurses wird der kollektive Tod
(Ais ob ihr tot seid) schließlich zur Metapher des befreienden
Jberrangs: Dem This is the most beautifi:l graveyard im Anblick
der leblos scheinenden Kórper auf dem Boden der Buddhahalle
folgt Bhagwans Auferstehungsruf Comeback to lifc.
Roszak fordert die Suche nach den alten Mysterien: Die Mvs.. -
rien beherrschen die zweite Geburt des Menschen, die Konfrzz::zticn
mit der geistigen Krise. Sie sollen uns den Kern unserer I!zntitát
vermitteln, das Selbst innerhalb unseres Selbst, dessen Entdeckung
das Ende des einen und den Beginn eines anderen Lebens bedeuten
kann.
In einer solchen Zeit besinnen sich Männer und Frauen auf die
Mysterien = zw einem punkt, wo €... Tden tit, Cie iknen die VÆlt
z. 20wizzem bct cL brócke't eder zur zo! oca Last der ' 3ge wire ...
Und sc! efilich kommt die Zeit, wo cas Bedürfnis ncc: Erneuerung
übermächtiz wird ... Sie wollen die V.*gangenkc.t c»streifen, die
Lügen un Vezsáumnisse vcrzcssen und einen neuen /^3fang wagen
auf einer L5ene, die den €:!5zt-Widerzpruch ausscl:. 71. Wogegen
kámrfea 7 ? "irchterliche Feindz — die Kánst*. keit des sozialen
Ichs ud der Z5sci.-z ver zzinem Tz. ... Die ! “ysterien wurden er-
dacht, um mit ihzc- Eilfe das neue Leben vor dem Todesgriff dieser
psychischen Pathologie zu retten. Es sind die hóchsten und gewagte-
sten Purchgangsritca, Cie dcr Mensch kennt.
Vie in den Mysterienkulten der alten Wz/t nähert man sich den
M'vsteriea durch Initiation: ein ritualisierte- __hrgang, bestehend
aus P-ifurg, Instruktion, £.Jbstprüfura und v.ziondren Übungen
unter der Leitung eines erfahrenen geistigen A. istcrs.
Berger und Luckmann hatten für die radikale Verwandlung
202
vier Notwendigkeiten herausgearbeitet, die uns auch in der spi-
rituellen Transformation immer wieder begegnen, wobei das
Transformationsziel gerade innerhalb der westlichen. Workshop-
szene durchaus nur auf den 'transformierten' Alltagsmenschen
gerichtet sein kann: die ‘Gesundheit des Glücks’ (Roszak) ver-
mitteln will.
Die vier Notwendigkeiten sind:
', eineneueplausible gesellschaftliche Wirklichkeitsstruktur,
2. neue Sozialisationsinstanzen, insbesondere signifikante
Andere,
*. die anerkennenden Anderen (die ‘Gemeinde’),
4. Beseitigung bzw. Uminterpretation der Vergangenheit.
^us cer Fülle móglicher Beispiele, die insbesondere im Zu-
sammenhang der Jugendsekten angststimulierend publiziert wor-
den sind, möchte ich ein weniger spektakuláres Workshop-Bei-
spiel geben, das meines Erachtens allerdings sowohl die Intentio-
nalität als auch die gesellschaftliche Penetration der Wendezeit
und ihres altersunspezifischen Angebots besser verdeutlicht.
Es war ein Workshop in Virginia Beach / USA bei dem als Pro-
phet und Visionár in der Nachfolge Edgar Cayces bekannten Paul
Solomon, der jetzt auch in Europa arbeitet und vor allem soge-
nannte Family Gatherings veranstaltet. Solomon empfängt wie
einst Cayce in einem schlafáhnlichen Zustand Weissagungen und
Hinweise von der Source (der gôttlichen Quelle), die in. Readings
veröffentlicht werden. Seine Schule nennt sich Inner Light Con-
sciousness und bezieht ihre Lehre sowohl aus christlicher Überlie-
ferung als auch aus óstlicher Mystik, indianischen Traditionen, At-
lantis-Spekulationen und westlichen Psychotechniken. Bei der
Veranstaltung waren ca. 40 Personen, vorwiegend Frauen mittleren
/ xers ncoen einigen jüngeren Frauen und Männern, anwesend.
Den / ufbau seiner Unterweisung möchte ich nach den vier
Verwandlungs-Notwendigkeiten Bergers und Luckmanns inter-
pretieren.
Der Inhalt wurde als wissenschaftliche Darstellung des Inner
Light Consciousness bezeichnet, nicht als dessen spirituelle Er-
fahrung, daB das Bewußtsein selbst eben die je eigene Erfahrung
des Bewzfitseines inneren Lichts sei. Die Bibel als Buch der All-
tagserfahrungen, nicht als Religionsbuch, vermittelte Einblick in
solche Erfahrungen. Die groBen Meister, insbesondere Beloved
203
Joan, sind Lehrer des praktischen Lebens. Aus dem Johannes-
Evangelium wird in einfachen Gedankenschritten die göttliche
Immanenz im Menschen abgeleitet. Das Wort (logos) als góttli-
cher Ausdruck ist Leben und Licht, das jeden Menschen erleuch-
tet, nur die average people wissen es nicht. Der meta human, der
spirituelle, seines Selbst, des Lichts in seinem Körper bewußte
Mensch erfährt, daß sich in seinem Körper der göttliche Gedan-
ken ausdrückt: I am the life in my body, und somit ist mein Kórper
die Schöpfung meines göttlichen Selbst, erklärt Solomon: und
dann kommt die Frage an eine Hórerin, was bist du also; Zógern,
erneute suggestive Aufforderung, und es folgt die erwartete Ant-
wort: / am God. Nachdem dieser mystische Gedankenschritt
vollzogen ist, wird seine Bedeutung für den Alltag erórtert. Unter
[linweis auf die Mystiker wird der Übergang von der alten zur
neuen Identität als eine dramatische Erfahrung bezeichnet. In
dieser neuen Identitàt aber wandelt sich das O»fer-Bewufitsein
(Is bin das P.esultat/Opfer meiner Umwelt) zum V-rursacher-Be-
wu'/sein (Ich, mein Kórper und meine Personalitit, bin die
Schóp^ung meines Selbst. Mein Selbst benutzt sie als Instru-
ment). "^as eigentliche Versprechen liegt also in einem für das
Alltagsleben geriisteten neuen Menschen, der unabhängig von
seiner Umwelt und Mitwelt wird. Die Anpassung an die westli-
chen Erwartungen des gesunden Körpers nimmt dann auch den
breitesten Raum ein. Während der Curchschnittliche Mensch
aufgrund seiner Umweltabhängigkeit, seines Opfer-Bewußtseins
Krankheiten und Verdrängungen aktualisiert, versteht der meta
Luman die Sprache seines Körpers; erreicht die ‘Gesundheit des
Glücks’. Die mystische Entfernung vom Körper, die Löschung
von Lebensdurst, wird hier also geradezu in das Gegenteil ver-
kehrt. Selbsiheilung heißt Körperheilung für einen glücklichen
Alltag — und das ist genau die Sprache der neuen Heiler, die ihre
westlichen Klienten verstehen. Das Manifest der Person, wie es
Roszak nennt, wird aus der göttlichen Immanenz legitimiert und
über einen internalisierten höchsten Wert ‘Gesundheit’ einsichtig
gemacht, Gesellschaft wird als Verursacher- und Mitverantwor-
tungsinstanz in Cegenseitigkeit ausgeklammert.
Wir sehen hier also auch, daB die totale Verwandlung in der
heutigen Praxis nicht unbedingt den totalen Wandel von Wert-
orientierungen beinhalten muß, die eher einen positiven Verstär-
{id
kereffekt über einen aus Offenbarung deduzierten Glauben er-
halten. Kultureller Tod heit hier die legitimierte Entlassung des
Individuums aus gesellschaftlicher Verantwortung.
Das greift gleichzeitig auf die Notwendigkeit der Beseitigung
bzw. Uminter"retation der Vergangenheit über, die mit der Elimi-
nation der bisherigen wirklichkeitssichernden Instanzen bzw. si-
gnifikanten Anderen verbunden ist. Auch hier verlagert sich die
radikale Wendung eher in ein neues Bewußtsein. Dieses gibt dem
‘Erleuchteten’ die Chance, sich als meta human von den average
people, dem Durchschnitt, positiv abzusetzen und gleichzeitig un-
abhàáng's von ihrer Anerkennung zu werden. Transformierte be-
tonen dabei háufig die bedauerliche, aber notwendige Trennung
von bisherigen Partnern, Freunden. Marilyn Ferguson widmete
in ihrer »Sanften Verschwórung« der Gefahr für alte Beziehungen
ein ganzes Kapitel.
Diese Zuriickbleibenden (oder ‘Zuriickgebliebenen’) werden
aber durch transformative Beziehungen ersetzt — von der transfor-
mativen sexuellen Liebe über die transformative Familie bis zur
planetarischen Familie. D'as sind die neuen anerkennenden An-
deren als dritte Notwendigkeit der Verwandlung. Die Family Ga-
therings von Solomon suggerieren Gemeinde als Familie. Zuwen-
dungs- und Bestátigungsrituale reichen vom gemeinsamen aner-
kennenden Lachen (Solomon initierte es durch auffordernde
Pausen und eigenes Lachen) über Hàndehalten, gegenseitige
Massagen, gemeinsamen Gesang bis zum singenden Lobpreis des
Meisters, Refrain: Wir sind glücklich mit ihm.
Er, das ist die vierte Notwendigkeit, ist die neue Sozialisations-
instanz, der signifikante Andere. Hier wird Charisma relevant.
Wesentlich für die charismatische Person sind zunächst die
'Gnadengaben', die als innere (aus dem Menschen selbst kom-
mende) oder als von einer übermenschlichen, jenseitigen Macht
eingegebene sich entáufern. Durch die mystische Orientierung
der heutigen Spiritualität fällt Wirkendes und Bewirktes zu-
sammez. Wenn aus Solomon die Source, die Quelle, spricht, dann
ist ez gleichzeitig die Quelle, nàmlich sein Selbst, das góttliche
Licht in seinem K rper. Es ist somit auch dieses Selbst, das Pro-
phezeiungen gibt, Heilungen vornimmt. Die ersten Erfahrungen
solcher Gnadengaben werden vorrangig als numinoses Pháno-
men zwischen Fascinosum und Tremendum beschrieben.
205
Der Katalog der Gnadengaben ist bei den spirituellen Charis-
matikern breit gefüchert: der als wissenschaftliche Erleuchtung
bezeichnete Paradigmensprung des Erkennens neuer Zusammen-
hánge, z. B. Capras Zusammenschau von Physik und Tao; die
mystisch? Erfahrung: Ich bin Gott; die Äußerung einer Heilerin:
Ich w^? nickt, woher meine K:áfte kommen ; schlieBlich die bio-
graphische Darlegung des ganzen Katalogs der vor allem aus
dem Schamanismus bekannten magischen Kráfte, wie bei Norm
Paulsen, dem Gründer der amerikanischen Kommune Sunburst:
Wissen um seine freiwillige Wiedergeburt, Sprechen in der Spra-
che des früheren Lebens, Verlassen des K 5rpers, übermenschli-
che kórperliche Kraftentwicklung, Vision der zu gründenden
Kommune, Begegnung mit Ufos - den Himmelsschiffen — und
Fahrt in ‘seine Heimat’, Begegnung mit Christus, Kampf mit Lu-
zifer, Visionen politischer Ereignisse.
Diese Biographie ist Bestandteil der charismatischen Selbstdar-
stellung, die als Biographie, Autobiographie, Selbstmitteilung,
Information durch Wissende über soziale Netzwerke als *Wer-
bung' eingeschleust wird. Neben der Selbstbespiegelung spielt
dabei die Selbstbezichtigung bzw. dis Selbststigmatisierung eine
wichtige Rolle. Bei unserem Beispiel nannte Paulsen vor allem
Trunkenheit, Straffálligkeit, Frauengeschichten, Umgang mit
schlechten Freunden, Krankheiten, die als unheilbar eingestuft
werden, dunkle Visionen. Diese Selbststigmatisierung dient der
Neutralisierung von Fremdstigmatisierung. Die Beurteilung wird
in die Selbstverantwortung/Gottesverantwortung zurückgeholt,
die Verfehlungen sind Heimsuchungen, der Befreite ist ein Held,
kein gesellschaftlich Angepaßter, kein Durchschnitt. Das numi-
nose Energ:cum als Wille und Kraft wird damit unterstrichen.
Gleichzeitig bedeutet die gelungene Transformation vom heimge-
suchten Bösewicht zum Heiligen, zum Helden, Identifizierungs-
angebot für die zu Verwandelnden.
Die charismatische Selbstdarstellung über die Biographie wird
durch ckarisr-atisckz Insccierung der Auftritte ergánzt, die in
unsere" Medienwelt auch Fernsehauftritte sein k5nnen. Nicht
nur Bhagwan Shree Rajneesh versorgt - jetzt wieder aus Poona —
seine Jinger mit Videokassetten seiner Auftritte, sondern auch
der Dalai Lama und Darshan Singh. Und nztürlich muB man
kein Jünger sein, um sie kaufen zu kónnen. AuBergewôhnliches
206
steht in der Inszenierung neben Gleichschaltung: Norm Paulsen
brauchte € chiffe, Bhagwan Rolls-Royce, während der Lehrer der
Farm People, Stephen Gaskin, auch bei seinem Auftritt als die Ehe
segnender Priester das farmeigen produzierte T-Shirt wie alle
trug, Bhagwan dagegen seine 'exotische' Skimütze. Exotisch auf
dem Kopf des Inders, aber das Exotische ist in der westlichen
Szene auch der Turban des Darshan Singh.
Das Aufzeigen des 'ganz Anderen' als einer numinosen Quali-
tát zwischen Mysteriosum und Fascinosum muf) eben nur fremd
und berückend sein, um Numinoses zu vermitteln, das heit in
der Interpretation Rudolf Ottos das Heilige minus seines sittli-
chen und minus seines rationalen Moments. Und zu dieser Ver-
mittluns des Numinosen gehóren ebenso die Akte einer Kommu-
nikation, in der die Meister ihre Kraft — ihr Energicum — aus-
strahlen lassen: das Berührendürfen des Rolls-Royce eines Bhag-
wan Shree Rajneesh, die gesegneten Kórper, die Darshan Singh
seinen Jüngern aus Indien zusendet. Schließlich die Augen der
Meister, immer als strahlend beschrieben. Von den Buchdeckeln
schauen sie auf den Leser, sei es Bhagwan Shree Rajneesh
(>Sprengt den Fels der UnbewuBtheit), Norman Paulsen (>Sun-
burst. The Return of the Ancients<) oder Kirpal Singh (Godman.
Finding a Spiritual Master«). In jedem Zentrum schauen sie aus
den Porträtpostern auf die wachenden und schlafenden Anhän-
ger und Gäste. Im Sawan Kirpal Meditation Center in Bowling
Green/Virginia waren es sogar die Augen sowohl des Baba Sa-
wan Singh, des Sant Kirpal Singh als auch des ‘lebenden Mei-
sters’ Sant Darshan Singh, die den Cästeraum füllten. Beim Sa-
wan Kirpal Photo Service kann man die Porträts kaufen, wobei es
im Prospekt heiBt: Keine Photographie kann je das Göttliche Ge-
sicht der Meister empfangen, denn... sie senden in jedem Augen-
blick ein neues Strahlen aus.
Zu dieser charismatischen Stilisierung géhórt auch die charis-
matisc!.. Verachtung der anderen: von der gegenüber Normalwis-
senschaftlern durch die visionáren und Grenz-Wissenschaftler
bis zu den im ‘Tierzustand’ Verbliebenen durch die evolutionären
Grenzüberschreiter zum Geist. Es gehôrt dazu die charismatische
Rückverzickerung, zu der bei unserem Beispiel Norm Paulsen
dessen Reinkarnation in die Familie des Blinden Buddha ebenso
gehörte wie das erhaltene Bewußtsein seiner Herkunft von der
7
^
A
alten Zivilisation der bald zurückkommenden Engel-Menschen
von Lemuria und das Eingehen von Christus in seinen Körper.
Wenn Kirpal Singh lehrt, Godman, d.h. der Master, der Guru, ist
mehr als Gott, dann ist damit vor allem das Bodhisattva/; :ci-
land-Prinzip der liebenden Zuwendung zu den noch nicht Erló-
sten angesprochen.
Ich kann Gott aufgeben, aber ich kann nicht für einen einzigen
Augenblick den Meister vergessen, denn Gott selbst kann es
ihm nicht gleichtun.
Gott trieb mich in die Wildnis der Welt, aber der Meister hat für
mich den unaufhórlichen Zyklus der Seelenwanderung ge-
sprengt.
Gott heftete auf meine Spuren die fünf Todsünden (Verlangen,
Groll, Habgier, Verblendung und Egoismus), aber der Meister
hatte Erbarmen mit meiner Hilflosigkeit und rettete mich von
den Sünden.
Gott verstrickte mich in die Netze der Familienbande, aber der
Meister zerschnitt die Fesseln.
Gott lieferte mich Krankheit, Verfall und Tod aus, aber der Mei-
ster mit seinen Yogi-Kráften befreite mich davon.
Gott band mich mit Händen und Füßen in das Gewebe der kar-
mischen Reaktionen, aber der Meister cffenbarte mir meine
wahre Natur, und ich habe nun erfahren, daß ich Seele bin, der
Geist des Universums.
Gott in mir verbarg sein Selbst hinter einem Vorhang, aber der
Meister mit seiner Fackel der Wahrheit offenbarte mir Gott.
Gott schuf beides, Knechtschaft und Rettung, aber der Meister
setzte diesen chimärischen Phantasien ein Ende.
Ich werde meinen Körper und meine Seele Charan Das, mei-
nem Meister darbringen. Ich würde eher Gott um des Meisters
willen aufgeben.
Die für das charismatische Milieu zentrale Heilslehre — in unse-
rem Fall das Bewußtsein der göttlichen Immanenz und die Be-
freiung aus der kulturell-gesellschaftlichen Verhaftung - erfor-
dert Grenzüberschreitung, Transzendieren, Lósung aus den bis-
herigen Bezügen. Der Guru, Meister, Lehrer wird der notwendige
signifikante Andere - ein bereits Erlóster, ein Bodhisattva, der in
liebender Zuwendung *herabsteigt', um zu helfen. Letztendlich
SQ
begibt er sich aus einem Zustand des ungültigen Todes oder des
ewigen Eros, der zeit-, raum- und grenzenlosen Verschmelzung,
wieder in das Leben im Tod, um die Unerlösten zu erlösen. Und
zu erlösen heißt, sie von einem kulturell pervertierten Eros (als
Liebe zum Leben) aufgrund der Verdrängung von Thanatos (dem
kulturell geschaffenen Tod) zu befreien. Das Drama des ver-
drängten Todes wird druch den Tod im Leben aufgehoben.
In den konsequentesten Erörterungen der New Age-Bewegung
ist die Geburt ein geboren werden als Tod (Trevelyan), eine Abtrei-
bung vom Ursprung (Balints Geburt als Trauma der Trennung),
der auf den chaotischen Pfaden durch das Leben als Tod gesucht
wird. Der Tod im Leben oder das Sterben der alten Ilentitdt als
Lósung aus den bisherigen sozial und kulturell fordernden
Lebensbezügen ist die Voraussetzung nun jener radikalen Ver-
wand lure, die mit Hilfe eines Meisters oder der auf dem spirituel-
len Markt angebotenen Techniken die libidinóse Sehnsucht der
narziBtischen Selbstfindung als ozeanisches Gefühl des Unge-
trenntseins vermittelt. Die dafür angebotenen Wege sind vielfältig
und vielfach auch für die Momentpersónlichkeit unserer schnell-
lebigen Workshop-Zeit aufbereitet.
Der Selbstaufopferung der Jonestown-Sekte als definitives
‘Lebendigwerden’ steht der Hedonismus des Esalen-Instituts
gegenüber: Laß nichts aus, was Dich amüsiert; dem Armutsge-
lübde der Farm-People die teuren Workshops und Erleuchtungs-
reisen; dem Keuschheitsgebot des Darshan Singh das Ausleben
der Sexualität als Weg zur Erleuchtung bei Bhagwan Shree
Rajneesh im einstigen Poona; dem Krebs als Kufj Gottes bei Dina
Rees der gesunde Körper des meta human bei Paul Solomon.
Zentral aber bleibt das Manifest dcr Person (Roszak), auch wenn
die Pczson das Sektenich ist, das sich auf die spirituelle Reise be-
gibt, ie soziale und kulturelle Umwelt als „limen“ überschreitet
un“ anter sica läßt.
709
ZWISCHEN OKKULTEM JARGON
UND GEKONNTER COLLAGE
10.1 Der okkulte Jargon
Wenn man sich lange genug auf den Ebenen spiritueller
Textualisierungen bewegt hat, um zu verstehen, was nicht ver-
standen werden soll, greift man dankbar nach einem Buch, das
eine kritische Analyse ankündigt. Der Titel macht zwar stutzig —
»Diktatur der Freundlichkeit. Über Bhagwan, die kommende
Psychokratie und Lieferanteneingänge zum wohltätigen Wahn-
sinn« -, aber wiederabgedruckte und übersetzte Beiträge von
Adorno / Herkheimer, Enrico Pozzi und André Béjin lassen eine
über die staatlich-kirchliche Sektenkritik hinausgehende Analyse
psychosozialer Grundstórungen erwarten. Und so wird hier
auch, leider unter Vernachlássigung empirischer Daten, dafür mit
einem Übermaf an Hegel-, Marx-, Benjamin- und Adorno-Zita-
ten, der Blick auf den pornographischen Blick ins fungible Subjekt
(Psychoware) geworfen. Geht aber dem geneigten Leser der kriti-
sche Blick nicht eher in zwei Richtungen (die gar nicht so weit
auseinanderliegen), wenn die Signifikanten für das Signifikat
mafilose Dummheit Marke neues Kleinbüraertum aus einem ador-
nolastigen 68 er-Jargon bestehen und die Signifikanten für das Si-
gnifikat die kritische ganz neue Linke aus einer Inszenierung stu-
dentisch-umgangssprachlichen Tiefsinns?
Ist diese Gegenüberstellung bereits jenes ironische Spiel mit
Gleichheit und Verschiedenheit, Vertrautem und Fremdem, Hier
und Sonstwo, das James Clifford als Charakteristikum der (Post-)
Moderne sieht und für einen fortlaufenden ethnographischen
Diskurs als Co:lage fruchtbar gemacht wissen möchte? Oder ist
es das Cegenteil: ein neuer ‘Jargon der Eigentlichkeit’ (Während
er überflicf/t von der Prätention menschlichen Angerührtseins, ist er
unterdessen so standardisiert wie die Welt, die er offiziell verneint,
Adorno), der die Gegenüberstellung weder zur Fremd- noch zur
Selbsterkenntnis nutzt, sondern zur Verfestigung von Gesin-
M0
nungsgrenzen. Adorno hatte die Vereinigten im »Jargon der Ei-
gentlichkeit« antiintellektuelle Intellektuelle genannt.
Hóren wir c2 Psychokratie-Autoren selbst auf der Ausdrucks-
ebene: 72s cz Acische Verháltnis, durch das, wie Adorno schreibt,
Gesellschaft die Individuen zu Bündeln objektivierter, funktionaler
Eigensci.zj:en modelliert und die Pynamik der psychischen Struktur
des Einzelnen die gesellschaftliche Totalitát in der Psychostruktur
selbst totalisiert, leiert aus. Das S.:;-kt situiert sich immanent im
“ vischenraum von integraler Objektivation und realem Autismus,
fizurie-* im anthropozentrischen ‘Theater als der „wunschfreie
Mensch”, dem diz Therapie ein geheiltes Selbst, die Auflósung der
Spannurz.3 ur das freie Zirkulieren der Energien verspricht.
Venn die Lust die Differenz zwischen einem Mehr oder Weniger an
Spannunzen nickt mehr kennt, kann die Illusion des selbstorgani-
Siero Y. vehwlhollzas der Person in nichts als reincr Lust entstehen.
In keimfreien Zwischenwelten entzündet sich kein Wunsch mehr, der
die P" renzen zu nzgieren sucht, da ihn konstant ein Mangel treibt.
Pords werden d.z Pie, an denen sich die Störungen der psychischen
Apparatur (Pr>xchose und Neurose) fixieren, und damit schwindet
die Máglicz.z. 7 nr P fferenzierung von D'ifferenzen.
Dieser Lrzitik der 'fremden' Psychowaren-Konsumenten steht
die scheinbare Ironisierung der 'eigenen Krisenlage' des Auto-
renkollektivs bei der Buchproduktion gegenüber:
Workshop: Held des Alltags. Be your own hero
Te. .^ 5...zn, zzhneputzen, koffeekochen. Der Kórper liegt er-
starrt, “or V._ ker kiingeit, schutzsuchend kriimmen wir uns zur Em-
bryohc!:ung unter die Kissen. Mit einfachen Übungen wollen wir
versuchen, die Handlungskompetenz über den Alltag zurückzuer-
obern.
Sodom und Gomorrha — Sodomie für Anfänger
In Eäve-l! 12 Casellsci:cften katte T:--1iebe noch eine umfas-
sens. 311 _outurg, aie ! Luic nur als Vorschein einer Ahnung
erfahriaris.. 7735 7 Lsstündnis czs Menschen ist unmóglich ohne das
Verstándnis c.z 7.:cres. Die vici bekiagte Krise der Sexualitát zeigt
uns die Notwenu weit, den Siall als Hort der Lust zurückzuerobern.
Mitzubringen: alles was Beine hat.
Der kürzeste Weg zu dir selbst — Veitstanz für Anfänger
Ausgehend von der Frage: Wer war. Veit?, führt uns die Entdek-
211
kungsreise zu den abgelegensten Plätzen unseres inneren Trümmer-
grundstücks, auf dem noch manch vergessenes Müllhäuflein auf
sein Recycling wartct. Auf der Freiburger Mülldeponie, idyllisch ein-
gebettet zwischen Mooswald und Dreisam, lernen wir auf dem Grat
zwischen Z:vilisation und Wi!dnis zu tanzen. Dieser Kurs erfordert
ein hohes Maß an Bereitschaft, in die eigene Scheiße zu springen.
Die Selbstgefälligkeit beider Spielarten des Jargons springt
ins Auge. Die Vereinigung von Signifikant (dem Bezeichnenden,
dem Bild) und Signifikat (dem Bezeichneten, dem Begriff) im
auf Bedeutung verweisenden Sprachzeichen findet, wenn über-
haupt, im Binnenraum der Insider statt. Der ist so hermetisch
im selbstgebastelten Ereignis-Werk (Heinrichs) der spezifischen
Verschränkung von säkularisiertem Heiligen (von Marx bis
Adorno) und Profanem (einer 'anti-bürgerlichen' verlángerten
Adoleszenz), daf) der Sicherheitsraum gar nicht mehr verlassen
werden kann, auch nicht, um sich mit »den Untersuchungsob-
jekten' - den dankbaren Opfern des Ckkulten mit ihrem merk-
würdigen Konglomerat aus Abfüllen, gehemmten Triebresten und
nicht gewufiten Lügen — zu konfrontieren. Vielleicht müßte man
dann ja erkennen, dab die eigene Scheifle des inneren Trümmer-
grundstücks auch mit Hilfe von Adorno zu interpretieren wáre.
Aber so hat man seine ‘Helden’ fiir die Interpretation der Ande-
ren, wird selbst über die charismatische Aneignung ein kleiner
Held - be your own hero!
Ein Autor der »Diktatur der Freundlichkeit«, der sich als linker
Aufklürc- vczsteht, kommentiert in einem Intervicw die ethnolo-
gische Feldforschung oder die gesuchte interaktive Nähe zum
untersuchten Subjekt als einen Irrtum: ... daß Ihr eben meines
Erachtens in dem Irrtum lebt, man muß immer dabei gewesen sein
oder beobachtet haben ... man kann wissen, daß ein Huhn ein Ei
legt, ohr.z selber ein Huhn gewesen zu sci.
Und für die eigene Vorgehensweise heit es: 4n sich muß man
sagen, es reicht vo!'kommen aus, diese Adorno-Thesen iSer Okkul-
tismus zu lesen und den Aberglauben aus zweiter Hand. Wenn man
das weifl, dann brauckt man von diesen Leuten heute nic/.:s Neues
mehr zu lesen und muß auch keinen einzigen fragen. Wir haben von
Anfang an gedacht, mit Interview-Methoden, gelegentlichen, muß
man der Sache gar nicht nahe treten, sondern daß eben ein klassi-
212
scher ideologiekritischer Ansatz voll und ganz ausreicht, um das
Übel hier zu ergreifen.
Die Thesen Adornos sind zu Schlüsselworten geworden, deren
Wiederholung genügt, um die Übel der Welt zu 'ergreifen' und
sich selbst jenseits dieser Übel zu verstehen. Die sákulare ‘radi-
kale Vcrwandlung' arbeitet mit den gleichen Mechanismen wie
die religiöse. Die ‘Jünger’ bedürfen der ‘Paßworte’ des Meisters,
des signifikanten Anderen, in einer sich wechselseitig bestätigen-
den Gemeinde.
Die Worte werden zum okkulten Jargon der Initiierten, die in
der liminalen Phase verharren móchten. Daf viele dieser 'gehei-
men Verschwórer' unter dem Banner einer kritischen Vernunft
nach ihrer Entlassung in die Gesellschaft in die andere Verschwó-
rung der spirituellen Transformation - mit neuen, aber ebenso si-
cheren Pafworten - übergewechselt sind, bestätigte auch der
Freiburger Autor der »Diktatur der Freundlichkeit« und führt die
bekannten Altlinken auf, die im Freiburger Ashram des Bhagwan
Shree Pajneesh gelandet sind.
Okkultismus und der Jargon der Eigentlichkeit stehen in einer
wechselseitigen Beziehung zueinander. Beiden wohnt der Glaube
an das Verborgene, Geheime inne, und ihre Anhänger bemühen
sich um die Teilhabe am Geheimen über das Verbergen, das Ge-
heimhalten. Zum Okkultismus und zum Jargon der Eigentlich-
keit gehort die ‘geheime Gesellschaft’ der Eingeweihten. Der Ok-
kultismus bedarf des Jargons der Eigentlichkeit und der Jargon
der Eigentlichkeit braucht das Okkulte, um eigentlich zu werden.
Was aber wird verborgen gemacht?
Die N_.gung zum Okkultismus ist ein Symptom der Rückbildung
des Bewußtseins, sagt A lorno. Das heißt aber Regression aus dem
erreichten Stand einer kritischen Vernunft, die die Dinge der Welt
auf den Begriff zu bringen versucht, zugunsten einer charismati-
schen Teilhabe am Verborgenen hinter den Dingen der Welt. Und
damit gzht es nicht darum, das Verborgene zu entzaubern, son-
dern das Entzauberte wieder zu verbergen. Entfremdung soll
durch Verfremdung aufgehoben werden. Zentrum aber des neuen
Geheimnaisses ist das verborgene numinose Selbst des entzauber-
ten Ich. Die PZámonopathie (Mühlmann) der entzauberten Welt
und ihre psychokratischen Helfer schaffen die Dámonen, verla-
gern sie in den personalen Kampf des Helden, geben ihm damit
Si
das innere Erleben von Mysteriosum, Fascinosum und Tremden-
dum, und suggerieren ihm schlieflich die Selbstfindung als Ener-
gicum, Majestas und Sanctum: die Transformation vom average
human zum meta human oder das Schauspiel der Gotteswandlung
im Menschen.
Das suggerierte und nichtvorhandene Geheimnis aber ist óffent-
lich, sagt Adorno in seiner Auseinandersetzung mit dem Jargon
der Eiczntlichkeit: V^r es nicht hat, braucht nur zu reden, als ob er
es hátte, und als hitten die anderen es nicht. Die expressionistische
Formel ,Jczz7 Mensch ist auserwáhlt" ... taugt ... zur ideologischen
Selbstbefriez:2::.** eines von d^» gesellschaftlichen Entwicklung be-
drohten und erniedrigten Kleinbürgertums.
Der neue Ckkultismus des Selbst wird nun durch jenes schwei-
gende Sprechen ‚ermöglicht, das das ‘tiefe Selbst’ öffentlich
macht, indem es seine Tiefe durch die Okkultisierung der Spra-
che zur Schau stellt. Signifikant und Signifikat vereinen sich
nicht in einem Zeichen, das auf den allgemein geteilten Sinn hin-
weist, sondern der Signifikant ist der Sinn für die Eingeweihten.
Das reicht von dem kraftdurchströmten Bündel Wörter im Simran,
deren Bedeutung als Paßworte für alle inneren Ebenen in der Wie-
derholung liegt, über die Bedeutungsaufladung einzelner Wörter,
die transzendent gegenüber dem Kontext werden (Selbst, Trans-
formation, Erleben, Sein, tiefes Ich, Ganzheit) und deren Benut-
zung einen eben zum Auserwählten, zum Wissenden macht, bis
zur Betonung der bewußten Decollage der Sprache, um den Ver-
stand zum S&'illstand zu bringen. So Bhagwan Shree Pajneesh: Ich
kann ciso a: :s mógliche sagen, das widersprückz: ^ ist, das absurd
ist, oder: 1h sp-cche nicht, um euch eine D :tschaft za g.Sen, son-
dern um euren Verstand zum Stillstand zu bringen. Ich kümmere
mich nicht darum, ob ich schlüssig bin oder nicht, denn das ist nicht
der Zwez ... Min Zl izt so einzigartig — ich benutze Worte ein-
fach nur, um Lz:ken voller Stille zu erzeugen.
Schweigendes Sprechen ist ein Sprechen, das keine zwischen-
menschliche 'communikation anstre;t, sondern die Heilung und
Heiligung des Selbst zum góttlichen Selbst, das sich dann im ewi-
gen Schweigen vollendet - als dem letzten Akt nicht nur des Ver-
lustes einer Beziehungssprache, sondern der menschlichen Inter-
aktion überhaupt. Dieses Ideal des klassischen brahmanischen
Weges allerdings hat auch Bhagwan nur eine Zeitlang durchge-
214
halten, für den Alltagsmenschen gar wird die Stille vorüber-
gehend gegen Bezahlung inszeniert: vom Isolationstank über den
Meditationskurs bis zur nonverbalen Therapie. Und diese Stille
ist weit entfernt von jenem Schweigen in Gemeinsamkeit des
mönchischen Modells, das zu einem gemeinsamen Alltag gehört.
Es ist das mit einem geheimen Versprechen aufgeladene Schwei-
gen gegen einen Alltag, dem zwar der Lärm inhärent ist, aber
auch das Schweigen einer Beziehungssprache.
Stille und Schweigen können wir sicher zu den ‘Edelsubstanti-
ven’ im Jargon der Eigentlichkeit der spirituellen Bewegung rech-
nen. Ihre Benutzung macht einen zum Mitglied einer secret voice,
als einer Gemeinschaft von okkulten Sprechern einer okkulten
Sprache.
Daß die Jargonworte, unabhängig vom Kontext wie vom begriffli-
chen Inhalt, klingen, wie wenn sie ein Höheres sagten, als was sie
bedeuten, wäre mit dem Terminus Aura zu bezeichnen ... ...: gefro-
rene Emcnationen, sind die Stichw3rter des Jargons der Eigentlich-
keit V--!lsprozukte der Aura (Adorno).
Und Ciese scheinbare Aura des Jargons bemáchtigt sich nicht
nur der Edelsubstantive, zuweilen greift er auch banale auf, hält sie
in die Fôhe und bronziert sie. Adorno spricht von dem faschisti-
schen Brauch, der das Plebiszitäre und Elitäre weise mixt.
Diese ‘weise Mixtur' aber breitet sich aus, wird zum geheimen
—-ode der Erleuchtung. Theodore Zoszak beruft sich für den
Glanz des Gewóhnlichen auf zen-taoistische Lehre: Zu den árgsten
Dichotomien, d:e wir auf dem Weg zur Ganzheit beseitigen müssen,
gc.^"t a.» quálence Trennung von ,geheiligt" und ,profan" ...
,Vznn P. «einen S£ ucknapf leerst oder eine Toilette reinigst, darfst
Du nicht as Gefüll Eaben, einem anderen damit einen Gefallen zu
tun. F^ Leeren von Spucknápfen ist Dharma." Überall im aquari-
schen C-enzbzreich sin wir auf Menschen, die mit einem wachen
Lug fr visiondire MN oglichkeiten an alle Dinge herangehen ... Von
A:l 2 Lasse 5 stammt c Cutz, der das alles so treffend kennzeich-
nei. „Auch Gas Arschloch ist heinz."
V "tmagie mit dem Glanz des Gewöhnlichen oder, wie es Ros-
224 Lunkt, transzendentale Wahrnehmung, Geheimnis des Steins
aer VEisen, die zur Erkenntnis der Grenzen des 6konomischen
Wachstums über materielle Anspruchslosigkeit führen? Dreck ist
besser als Worte, gab Kerouac zen-buddhistische Weisheit wieder.
215
Und von den Kritikern tönt es am Ende ihrer Kritik der
Psychokratie in einer geborgt-elitären Sprache der kritischen Ver-
nunft ganz profan - oder doch schon wieder ‘geheiligt’? — Dieser
Kurs erfordert ein hohes Maß an Bereitschaft, in die eigene Scheiße
zu springen.
Der Folklorist Alan Dundes schließlich hat mit einem mehr-
fach gesprochenen und gedruckten Dauervortrag über die Benut-
zung der Wörter Scheiße, Dreck, Mist, Arsch in deutscher Lite-
ratur, Folklore, Reinlichkeitserziehung und Toilettenbenutzung
einen analen deutschen Nationalcharakter zu beweisen versucht,
womit er ein Mittel zum besseren Verständnis der Deutschen und
der deutschen Kultur intendiert und die Judenverfolgung im Na-
tionalsozialismus als eine logische Erweiterung dieser skatologi-
schen Neigung erklärt.
Diese Neigung sieht Dundes als eine konsistentes Muster von
Luther und Grimmelshausen über Goethe und Mozart bis Böll
und Grass. Zwar gibt Dundes zu, daß die skatologische Neigung
auch bei anderen Nationen zu finden sei, aber diese erscheinen als
Ausnahmen, während in Deutschland solche Schriftsteller als die
Regel escheinen. (Daß Dundes in den Vortragspausen auf der Su-
che nach Toilettensprüchen war, mußte man wohl seinem For-
scherdrang zugute halten?)
Was in dieser folkloristischen Skatologie überdeutlich wird —
und in seiner Folgerung nicht nur die deutschen Hórer betroffen
machte —, ist die andere Seite des Jargons der Eigentlichkeit: das
banale Wort — unberührt von Geschichte ... aufgeladen ... auf Ko-
sten von Satz, Urteil, Czdachtem ... unabhángig vom Kontext wie
vom begrifflichen Inhalt (Adorno) - produziert 'Sichereignen',
hier nicht als ein *Eóheres', sondern als ein, aber ebenso unum-
stôBlich, ‘Niederes’. Der Signifikant ScheiBe wird von dem histo-
rischen Sıgnifikat getrennt und wird gleichzeitig in einer überzeit-
lichen Bedeutung - hier der Aussage über das Wesen der Deut-
schen - vereint.
Adorno hatte dem Jargon als Organisationsprinzip die Desor-
ganisation zugeordnet, den Zerfall der Sprache in Wórter. Dieser
Zerfall aber strebt die totale Erklärung an. Die Wörter - heilig
oder profan, edel oder banal - werden zu Schlüsselworten, deren
Wiederholung (wie im Simran) oder Reihung (wie in der folklori-
stischen Sammlung) auf Totales verweist. Das Organisations-
216
prinzip zu diesem Totalen ist sprachlich zwar Desorganisation,
aber gedanklich Organisation im Sinne einer Totalität, die des
Argumentativen nicht mehr bedarf, sondern über Bilder, edle
oder banale Substantive jenes okkulte Wissen signalisieren soll,
in dem das Alltägliche und Vereinzelte auf das Bedeutende, Sei-
ende verweist. Zentral bleibt die Deutung des Wesenhaften, sei es
des neuen Kleinbürgertums, der Deutschen oder der spirituellen
Person. Im spirituellen Jargon ist es das auf Ganzheit zielende
Manifest der Person (Roszak), das sich das Wesen der Dinge an-
eignet und damit deren Eigendasein zerstórt.
Die Dinghaftigkeit der Welt wird, weil man ihre Brüche nicht
ertragen kann, nicht mehr rational analysiert, sondern okkult ge-
macht, wird in der Dunkelheit einer unfafibaren mystischen Kraft
verborgen. Das Banale wird mystifiziert.
Bei einem Morgenspaziergang am 17 Mai 1973 im Shevot-Hills
Park in Los Angeles erläutert Srila Prabhupäda die unfafbare
Kraft im Menschen am Beispiel des Fingernagels: Diese unfafi-
bare M. "", urfcfbare Energie oder mystische Kraft besitzen auch
Wir, je.'^«^ in seh» c?ringem Mafle. So viele Dinge gehen im Kórper
vor, für 6:2 wir keine Erklärung haben. Die Fingernägel z. B. wach-
sen, cr? Ga3 wir wissen wie. Wenn ein Nagel abbricht, wächst er in
der gleichen Form und Beschaffenheit nach. Das ist mystische
Kre/: sie wohnt im Kérper. Und nicht nur für mich, sondern auch
für die Ärzte — für jeden — ist es mystische Kraft. Kein Arzt kann er-
kláren, w:e diese Dinge geschehen. (Zwischenbemerkung Krsna-
kanti: P. 2 Arzt? sind über die komplizierte Struktur des menschli-
chen Gehirns in höchstem Maße erstaunt.) Ja, aber sie sind Halun-
ken. Denn nicht das Gehirn arbeitet, sondern die spirituelle Seele ist
die treibende Kraft.
Dieses ist nur ein Beispiel aus »Die wissenschaftliche Grund-
lage des Krsn-BewuDtseins« oder auch »Leben kommt von
Leben«, in dem alle wissenschaftlichen Erklärungsversuche als
Betrug abgestempeit werden. Die Menschen sind in den letzten
zweihundert Jahren betrogen worden ... All die sogenannten Wis-
senschcftler, diese Gauner, sind innerhalb der letzten zweihundert
Jahre aufgetreten. Doch auch das findet irgendwann ein Ende. In
fünfzig Jahren wird der Spuk vorüber sein. Das Edelsubstantiv für
die spirituelle Wissenschaft ist Ganzheit als eine unhinterfrag-
217
bare, nicht zergliederbare Größe: Alles findet man im Samen, es
ist alles vorhanden ... In ähnlicher Weise ist auch im Universum al-
les vorhanden, oder in deinem oder meinem Körper, der eine andere
Form, eine kleine Ausgebe des Universums darsteli;. Alles ist vor-
handen — wie im großen Universum, so Srila Prabhupäda. Und
dieses Alles entspringt aus der unfalbaren K:aft der Überseelem
von der die Lebewesen in der materiellen Welt ewige fragmenti-
sche Teile sind, aber in ihrer Stufe der menschlichen Entwicklung
in das F rsna-Bewufitsein eingehen, Fragmentarisierung überwin-
den, sich im Czean des Lebens auflósen kónnen. Die analytische
Wissenschaft steht diesem Bewußtsein entgegen: Wenn man etwas
avf szine Lestand:cile hin ar.-'ysiert, wenn man ein analytisches
Studium L-treibt, das ist sankhya2 ... , Sankhya", ,z&hlen^, wird
schließlich „sänkhya“, „Wissen durch Analysz*.
Dieses Wissen zu verlassen fordert auch Hans Peter Duerr für
den Ethnologen: Um der Dämonen „inne“ zu werden, müßte sich
der Wissensc!afticr selbst ,dämonisieren“, er müfte sich zu den
Grenzen ccr , Insel ces tonal“ vorwagen, ,lecr“ worden, anstatt sich
mit ,tonal-Wisse::“ zu überfüttern. Er müfite sich Flügel wachsen
lassen, was er auc: Eónntc, cznn er ist das, war er nic? ist. Auch
er kónn:e eici einhamr sein, wie die C^rmanen sagten, deren , Wis-
sensc-aftler" Cin noch Weisheit besaß und fließen konnte.
Wissenschaftler und Wissenschaft auf dem Weg zum okkulten
Dokume::t, so wie es Stephen Tyler für die postmoderne Ethno-
grapnie fordert, und dies ganz in der Terminologie der spirituel-
len : zwegung: ... es ist die gleichzeitige Czzenübcerstellung dieser
ç -_nsatziichen Dewegungen und ihr wechs-'seii.x neutralisierender
D^ tro Ganze ermóglicht, was ;.: Lozzhwóren wil, jene
Cowles, © 15 weder J!óheres nocà M: eres gilt, vcccr Vor-
WENNS PO. Fuuxwärts, weacr Vorgangenheit noch 7. Xun/, wo
Faum und 2... einander aufhcben ..., jener Uribruch in dor cit,
jen: imimcr &.;nwürlig», nie c^genwártii» C. coigke:t von
Fac: ur" nantasie, &;2 die Rockiehr zc _r wirkich menschlich
Voss Le Lu! za Vt darstez, fliepoad wis £77 zrr Brahma, bewe-
gu: :s5inc.-cberflüáchenlosc: / 27e, aos Lou. in uns as”
,...oben in volixommener V. wá cung, eine Pics ir, die nic. t
Steigerung, zegri,,, festes bild od.» homóostatisches Gicichgewicht
ist, sondern eine V ringerung dcr Epannung, wenn der Moment der
Transzendenz gleichzeitig sich nähert, näher zieht und fortzieht,
^18
ohne angekommen zu sein. Und deshalb ist die postmoderne Ethno-
graphie ein okkultes Dokument; es ist eine rätselhafte, paradoxe
und esoterische Verbindung von Realitát und Phantasie ...
Dieser Text, bei dem es eigentlich um die Móglichkeiten ethno-
graphischer Beschreibung geht, enthált nahezu alle Edelsubstan-
tive des Ganzheitsjargons der ‘Verschwôrer’ des Neuen Zeital-
ters. Trotzdem geht es Tyler um das Fragmentarische — Wir bestá-
tigen in unseren Ethnographien unser Bewußtsein vom fragmentari-
schen V^sen der postmodernen Weit ... =, gleichzeitig setzt er die
ethnographische Beschreibung vom Surrealismus ab - Sie ist der
Realismus einer Wut des gesunden L'enschenverstands, die nur in
den F.!:tionen der V'issenscha;t surreal ist —, und schlieBlich wen-
det er sich gegen die Illusion eines Transzendentalen — Weil die
postmoderne Vt eine postwissenschaftliche Welt ohne die Illusion
des Traiiszend ~ntalen ist, kónnen. weder eine transzendentale Wis-
senschr‘t noch eine transzendentale Religion in ihr zuhause sein ...
Weder c..^ wissenzz'zfAiche Illusion der I:2alitát noch die religiöse
Realität «. * "zia stimmt mit der Realität der Phantasie in der
phantastischen Realität der postmodernen Wit überein.
Der postmoderne Diskurs als Sprachspiel mit dem Wider-
spruch hat das Fragment zum Crganisationsprinzip erhoben.
Deshalb muß er das Bekannte in Gemeinsamkeit okkult machen,
um es einer verborgenen Weisheit zuzuführen. Selbst in der Ab-
lehnung der Transzendenz von Wissenschaft und Religion
scheint Transzendieren auf, nämlich das Transzendieren der
Iranszendenz, jenes bei den Amerikanern besonders beliebte
beyond the beyond, hier angesiedelt in der phantastischen Reali-
tát einer Sue der Mitte, flieend in der oberflüchenlosen Leere.
Auch h:er das mystische Element des Eingehens der Fragmente
in die Cpannungslosigkeit ‘primärer Liebe’. Und das ist der
Widerspruch in der Postmoderne selbst. Sie hilt ihr Spiel mit den
vorge. indenen und geschaffenen Fragmenten, den geschehenen
und den kommenden Katastrophen und dem Chaos, dem Para-
doxen und Paralogischen nicht aus, sondern postuliert das Unbe-
kannte, Okkulte als Idee einer Stille der Mitte nach der Apoka-
lypse, ¢iz zum A.cht-Ercignis textualisiert wird.
Lyotard, der Heros der postmodernen Diskurse, schreibt zur
postmodernen Wissenschaft: In ihrem Interesse für die Unent-
scheidbaren, für die Grenzen der Prüzision der Kontrolle, die Quan-
219
ten, die Konflikte unvollständiger Informationen, die „Frakta“, die
Katastrophen und pragmatischen Paradoxa entwirft die postmo-
derne Wissenschaft die Theorie ihrer eigenen Evolution als diskonti-
nuierlich, katastrophisch, nicht zu berichtigen, paradox. Sie verän-
dert den Sinn des Wortes Wissen, und sie sagt, wie diese Verände-
rung stattfinden kann. Sie bringt nicht Bekanntes, sondern Unbe-
kanntes hervor.
Im fragmentarischen Impetus, in der Suche nach dem Unbe-
kannten, im Auseinanderbrechen von Signifikant und Signifikat,
in der Erklárung der Katastrophen zum Nicht-Ereignis, in der Ab-
sage an die erklárende Vernunft der Wissenschaften, im selekti-
ven Zugriff auf die Objektivationen der Kulturen - und: in der
Setzung eines unerklárbaren Erhabenen, Absoluten, gehórt die
neue Spiritualität durchaus in den Umkreis einer Postmoderne
als einem Denkstil der Immaterialisierung des Materiellen zu-
gunsten einer okkulten, unsagbaren, nicht darstellbaren Absolut-
heit.
Lyotard macht diesen Denkstil an der gegenstandslosen Kunst
fest: Das Absolute kann man also nicht darstellen. Man kann je-
doch darstellen, daß es Absolutes gibt.
Stephen Tyler zertrümmert mit Derrida die Zeichen und will
uns, wozu er sich allerdings doch des alphabetischen Schreibens
bedienen muB, über 7he Unsaid, The Unspeakable oder On Being
Out of Words zur Stille der Mitte führen.
Im snirituellen Kontext ist diese Mitte das göttliche Sein im
Wesen des Menschen. Zum Beispiel Karlfried Graf Dürckheim:
Die Mitte «> Menschen: Das in seinem Wesen anwesende Sein. —
Das eigentlich und wahrhaft wirklie/.2, weil alles bewirkende Zen-
trum, c:2 ursprüngliche und eigentliche Mitte alles Lebendigen, ist
das i1 ihm verkzzperte und zum C/fenbarwerden in je bestimmter
Gestalt drángende góttliche Sein ... Das Bewufitsein dieses Seins ist
keineswegs schon mit dem natürlichen Ich-W-/ibewufitsein gegeben,
uz «as Innescin ces Seins mitten im Dasein “es Menschen ist nicht
sé. 5cundlich. Die Seinserfahrung ist vielmehr ein zuerst durch
«as Ich-Weltbewufitsein verstelltes Ereignis besonderer Art. Erst das
Leiden an der V5rstellurg dessen, dessen Offenbarwerden das ge-
heime Grundanliegen des Bewufitseinswesens Mensch ist, macht
den Menschen sehnsüchtig und bereit, zu gegebener Stunde das Auf-
gehen bzw. Durchbrechen des Seins in seinem Bewufitsein als beson-
220
deres Erlebnis zu erfahren ... Jede Bewufitseinsform, die das Offen-
barwezzcai des umfassenden Seins behindert, bedeutet, daß der
Mc7-^ verhindert ist, in seiner wahren Mitte zu sein, und er gelangt
in scin2 wahre Mitte nur dort, wo er dem Aufgehen des Seins in sei-
nem Pew"Btsein Raum geben kann, ja nur in dem Maße, als all sein
Tun ur:! Lassen als Antric^, Sinn und Erfüllung in dem Offenbar-
werdenlassen des überweltlichen Seins in seinem weltlichen Dasein
verwurzeit ist.
Das überweltliche Sein als Absolutes, das man nicht darstellen
kann, aber wohl darstellen, daB es dieses Sein gibt: Der Seins-
grund, c^r sich im Überschreiten der Ichgrenze aufbaut, die hier er-
fahrene * -szendezz, ist keine in sich ruhende Wirklichkeit, kein
Raum und kein Reich, kein Gefüge und keine begreifbare Ordnung,
überhaurt nichts, wovon man sich eine Vorstellung machen kann,
sondern unbzgrci/*ares, schenferisches, ordnendes und erlósendes
Leben ... Die C ^82 Erfahrung stellt den Menschen in die unge-
schiedene Fülle ces Seins, die jenseits ist aller Bilder und Begriffe.
Graf Dürckheim bietet die initiatische Therapie für die Ganz-
heitsfincung an. Paul Solomon lehrt Inner Light Consciousness,
wobei die Katastrophen für den meta human zum Bedeutungslo-
sen erklärt werden (... seid nicht besorgt wegen der Zerstörung
dieses Tonklumpens, der die Erde ist. Und wenn alle Körper mit ihm
zers:F-t werden, es ist ohne Bedeutung). Und auch hier ist das Her-
aufdümmern eines neuen Tages nicht darstellbar: Es gibt keine
Worte, jenen neuen Tag, jenes neue Leben zu beschreiben.
Diane Battung schlieBlich macht den Quantensprung zum Zen-
trum ihrer Workshop-Lehre vom Neuen Bewufitsein. Aus seinem
physikalischen Kontext abgelöst heißt er dann: Altes Wissen, neue
Wissenschaft und a:e spannenden Entdeckungen im Bereich unserer
erweiterten Fühigkeitea verbinden sich zu einem kosmischen Tanz in
einem Weisheitskreis, der Quantensprung L. annt wird.
Wenn eine Teilnehmerin sagt: Diese Erklárung verschleiert zu-
nüchst mehr, als sie offenlegt, so spricht sie damit genau aus,
worum es geht: das Okkultmachen des je kulturell Erarbeiteten,
indem man in einem kosmischen Tanz sowohl Mythen aus dem
Dunkel menschlicher Frühzeit und dem Licht der frühen Hochkultu-
ren cs auch Beschäftigung mit neuesten Erkenntnissen der Physik
und der Gehirnforschung verbindet, aus den Frakta Unbekanntes
hervorbringt und dieses Unbekannte als ein Absolutes — eben das
4
22
Neue Bewufitsein — stilisiert: Wir sind die alten Menschen, wir sind
die neuen Menschen. Wir sind tiefer als zuvor die g!c/zhen Men-
schen. — Wir sind die Regenbogen-M'nschen, wir sind die Teile eines
Puzzles. Wir sind das sich entwickelnde Zentralnervensystem der
Erde. Wir sind die Psyche der Erde.
Der okkulte Jargon der spirituellen Postmoderne benutzt die
Fragmente eines gespeicherten historischem Wissens, wirbelt sie
durcheinander und fügt sie zu dem - 'nicht darstellbaren' — Bild
des absoluten Menschen zusammen.
Collage?
10.2 Prinzip Collage
Das Fett des Kórpers eines normal beschaffenen Menschen ge-
niict, um 7 “tück Seife herzustellen. Man findet im C-zanismus gz-
n^^vd Lisen, um einen Nagel mittlerer Crófle zu fabrizieren, und
«er, um eiie Tasse Kaffee zu süßen. Der Phosphor reicht für
2200 Streichhélzer. Das Magnesium geniigt gerade fiir eine Photo-
graphic. Noch e Lifichen Pottasche und 7. 5wef.?, aber von un-
brauchoarer Quartität. Diese verschiedenen Rchstoffe ergeben nach
dem aktuellen Marktwert ungefähr eine Zumme vo» 25 Francs.
Dieses ‘Bild des Menschen’ wurde 1729 unter der Rubrik »Dic-
tionnaire« in der führenden französischen Surrealisten-Zeit-
schrift »Documents« wiedergegeben. Die Autoren dieser Zeit-
schrift, deren Untertitel » Archéologie, Beaux-Arts, Ethnographie,
Varietés« auf die enge Verbindung zwischen Kunst und Ethnogra-
phie verweist, bedienten sich der ironischen Collage, der Gegen-
überstellung, der Deklassifizierung und Verfremdung vertrauter
Identitäten: Ihre Sicht der Kultur gestaltete keine Konzeptionen or-
ganischer Struktur, funktionaler Integration, Ganzheit oder histori-
scher F.cntinuitz,. ... E Alturelle Realizzt war aus künstlichen Codes,
ideologizchen Icentitáten und Cjekten zusammeng setzt, die
emrfünglich für phantasievolle Wiederkombincition und Gegenüber-
stellung waren, argumentie-t James Clifford und fordert für die
moderne Darstellung der Kulturen eine Besinnung auf das pro-
vokative Moment der Relativierung und Infragestellung ideolo-
gischer Ganzheiten.
Und die »Documents« haben sich in ihren Beitrágen und insbe-
a an
,
PP
sondere im »Dictionnaire« immer wieder der Entmystifizierung
des Menschen und seines Kórpers zugewandt. Das Manifest des
ganzheitlichen Menschen, wie es uns auch im okkulten Jargon
der spirituellen Ökologie der Postmoderne zelebriert wird, war in
der surrealistischen Verfremdung zunächst eine De-Collage. Der
ganze Mensch: verschiedene Rohstoffe ohne größeren Wert.
Nicht der Weg zur Ganzheit, zur Absolutheit und zur Heiligung
des Menschen wurde gesucht, sondern er wurde zu einer der vie-
len zutiefst fragwürdigen Realitäten neben anderen erklärt. Ins-
besondere galt die kritische Provokation dem Selbstbild des west-
lichen Menschen, seiner Relativierung. Die ethnographischen
Beschreibungen fremder Kulturen wurden zu Quellen, um in iro-
nischer Infragestellung jedem kulturellen Dogma ein anderes,
ebenso mögliches gegenüberzustellen.
Dem Glanz des Gewöhnlichen und der auf menschliche Ganz-
heit bezogenen Heiligung der Dinge und Handlungen (Im Leeren
von Spuckndpfen ist Dharma, Auch das Arschloch ist heilig) in den
spirituellen Gedankengángen Roszaks steht die surrealistische
Rationalitát der sezierend-ironischen Analyse gegenüber.
Da gibt es zwei Artikel in den »Documents« über Spucke. Gri-
aule zieht seinen Artikel an der Seelenspucke und ihrem kulturell
differenten Celten auf: Zusammenfassend von der Verhexung bis
zur V.;Altütigkeit, von der Beleidigung bis zum Wünder, die Spucke
verh£'i sich wie die Seele, als Balsam oder als Schmutz. Und Mi-
chel Leiris behandelt die Spucke als Wasser im Mund:
Genau un:zr &. 3 Zizgen besitzt ccr Mund eine privilegierte Stel-
lung, weil er dcr ^t des V.ortes ist, die Atemóffnung, die Höhle, in
der sich ¢ ^ I1." des Kusses besiegelt, mehr als man an die
Schmic"f. zri .'.s Fauens denkt. Einerseits bedarf er der Liebe, um
all seine my:ic.osischen Funktionen wieder herzustellen ..., ande-
rerseits ccr "vcio, ur ihn in einem Schlag auf den letzten Grad der
organischen Ciufea fallen zu lassen, indem sie ihm eine Funktion für
das Aussoncern p.15, die noch widerlic! or ist als seine Rolle als Tor,
in das man d.» Leoensmittel hineinschiebt ... Tatsächlich repräsen-
tiert die “ou... insofern ein Ubermaf3 an Entheiligung. Die Gott-
lichkeit ges Mundes ist durch sie tagtäglich besudelt. Welche Bedeu-
tunz | :t er, leiztlich in Übereinstimmung mit dem Verstand, auch
mit Jeri Wort, und fclglich in Ubereinstimmung mit dem würde-
vollen Anspruch des Menschen, wenn man daran denkt, daß der
223
ganze philosophische Diskurs dank der Tatsache, daß Sprache
und Snucke aus einer Quelle stammen, legitimerweise abgebildet
werden kann über das inkongruente Bild eines Redners mit feuch-
ter Aussprache.
Die Spucke ist letztendlich durch ihre Inkonsistenz, ihre undefi-
nierbaren Umrisze, aufgrund dz» rzctivc: Ungenauigke:t ihrer
Farbe, ihrer Feuchtigkeit selbst das Tymbe! der Ungestalt, des Un-
verifizierbaren, des Nicht-Hierarchischen; £:zin ds Anstofles, weich
und gl! 7, bringt sie, besscr a!s irgendein K:esclstein, alle Denk-
schritte Ccssen zu Fall, der sich das menschliche Scin als etwas Sei-
endes verstellt — als etwas anderes als ein wildes T >» und ohne Mus-
keln, als die Spucke eines Weltschopfers im Delirium, lachend bis
zum Platzen, in Erwartung dieser eingebildeten Larve, der komi-
schen Kaulquappe, die sich aufblüht wie das aufgeblasene Fleisch
des Halbgottes ...
Was uns als surrealistische Collage gegenübertritt, ist also zu-
náchst einmal die Destruktion, die Decollage eines inthroni-
sierten Bildes vom Menschen, jenes im okkulten Jargon 'Seien-
den’. Er wird in seine verdrángten Bestandteile seziert, frag-
mentiert. Und die Surrealisten haben sich zu diesem Zweck ne-
ben der ethnographischen Juxtaposition vor allem auch der
naturwissenschaftlichen, | insbesondere auch anatomischer,
Detailanalysen bedient. Allerdings: es ging nicht um naturwis-
senschaftliche Erkenntnisse, sondern um eine dsthetische Profa-
nation und um den Aufweis einer Logik des Lisparaten, der nur
scheinbaren Ubereinstimmung von Signifikant und Signifikat.
Spies spricht von einer Aggressivität gegenüber dem Schein „le-
bendigz;" Harmonie, und in bezug auf die Dada-Ausstellungen
im Nachkriegsdeutschland des Ersten Weltkrieges sagt er: Der
Bürger wurde in einer Zeit des Schwarzmarktes mit Phantomen
des Un-Lesitzes bekannt gemacht. Dada trat auf als Appetitzügler
des Erhabenen.
Und doch waren die Werke dieser Künstler weder ein Puzzle,
in dem ein bekanntes Ganzes willkürlich zerschnitten wird, um
sich in einem freizeittherapeutischen Bescháftigungsspiel wieder
zu diesem bekannten Ganzen zu fügen, noch waren sie eine De-
struktion um ihrer selbst willen. Denn der Decollage folgte die
Collage cer Fragmente zu einem Neuen, Móglichen: Collage-
Technik ist die systematische Ausbeutung des zufälligen oder künst-
1d
lich provozierten Zusammentreffens von zwei oder mehr wesens-
fremden Realitäten auf einer augenscheinlich dazu ungeeigneten
Ebene — und der Funke Poesie, welcher bei der Annäherung dieser
Realitäten überspringt, heißt es bei Max Ernst.
Wenn ich den Begriff Collage — wie schon bei den surrealisti-
schen Künstlern und Ethnographen - über den technischen Vor-
gang hinaus auf kulturelles Handeln erweitere, dann wáren einer
gekonnten Collage verschiedene Phasen inhàrent: die Destruk-
tion verfestigter kultureller Selbstverstándlichkeiten, die Gegen-
überstellung anderer Móglichkeiten, die Ironisierung der Zentra-
lität und Harmonie des (westlichen) Menschen und seiner Welt-
herrschaft, die Zusammenführung verschiedener Realitäten und
die Schöpfung eines kulturell Neuen mit eben jenem Funken
Poesie.
Was aber könnte dieser Funke Poesie im Kontext einer Kritik
des Molochs Moderne sein? Gibt es ihn in der synkretistischen
Collage der spirituellen Bewegung des Neuen Zeitalters?
Der Kritiker der französischen Nachkriegskultur, Henri Le-
febvre, hat einem auf schöpferisches Kulturschaffen erweiterten
Poesiebegriff jenen Ausdruck gegeben, in dem er hier auch be-
nutzt werden soll. Lefébvre geht es um eine F ulturrevolution. Die
Frage nach den Transformationsmöglichkeiten entspricht der
Forderung an eine auf Praxis hin orientierte Kultur, das heißt auf
die transformierte Alltäglichkeit. Die Kritik der Alltäglichkeit
s.t* 'ci dem tiefen Bruch zwischen dem Alltüglichen und dem
Nou 7 ga ein, das den Verlust eines Stils mit sich bringt.
Zic! ist die Wiedergewinnung eines Stils, in dem das Alltägliche
Voto wird: Titigkcit einer Gruppe, die ihre Rolle und ihr gesell-
schaftliches Schicksal selbst in die Hand und Pflege nimmt, mit an-
deren Worten S -lbstverwaltung. Dieser Stil war für Lefébvre in je-
nen Cesellschaften vorhanden, die Lévi-Strauss als reife Gesell-
schaften bezeichnet hat. Stil gibt es für Lefébvre nur dort, wo er
die Totalitàát des Lebensvollzugs umfafte: Die alltäglichen háusli-
chen Gegenstände waren noch nicht in die Prosa der Welt gefallen.
Die Prosa der Wit ließ sich nicht von der Poesie trennen. Poesie,
das ist jene verdichtete, sinngebende schópferische Gestaltung
eines menschlichen Kosmos, die das mitgestaltende Individuum
zu einem definierten Ich im Kontext des Lebensplans einer
Gruppe macht.
225
Als kulturrevolutionärer Akt aber bedeutet diese poetische Ge-
staltung zunächst die Destruktion verfestigter Kulturinhalte, die
Umschau nach anderen Möglichkeiten und schließlich, als wich-
tigsten Schritt, die Collage zu einem neuen sinngebenden Haus-
halt des Lebens.
Kultur ist immer ein Prozeß des Um- und Neugestaltens, der
Veränderung eigener Gehalte und der Übernahme fremder Ideen,
Erfahrungen und Objekte, ist letztendlich immer Collage aus Al-
tem und Neuem, Eigenem und Fremdem. Als gekonnte Collage
aber fordert sie eine bessere Welt für ihre Gestalter. Collage ist
Wunscherfiillung (Spies) kann ich erst sagen, wenn die kulturrevo-
lutionáren Ziele einer Kulturcollage sich in kultureller Praxis, als
konkrete Utopie, verwirklichen.
Im Vorfeld sozialer Bewegungen, zu denen wir die Suche nach
dem Neuen Zeitalter durchaus rechnen, verstárkt sich die Un-
ruhe im eigenen System und die Infragestellung des je gegenwär-
tigen Zustandes.
Als ein wesentliches Kriterium der klassischen sozialen Be-
wegungen des Nativismus und Chiliasmus gilt — neben der
Heilslehre des kommenden glücklichen Zeitalters, die für die
New Age-Bewegung zentral ist - die Revitalisierung der eige-
uen Kultur oder die Wiederherstellung des reinen Urzustandes
(Mühlmann), der eine traditionalistische Komponente inhàürent
ist.
Für die soziale Bewegung der New Age-Verschwórer trifft
diese Reorientierung an einer eigenen Kultur scheinbar nicht zu.
Scheinbar, weil die Selbstinterpretation auf eine zu revitalisie-
rende spirituelle Menschheitskultur, die *wahre' und gemeinsame
Kultur des Gattungswesens Mensch hinausláuft. Die neuen
Seinssucher sind die westlichen Mittelstandsbürger, die nicht nur
mit ihrer eigenen Kultur brechen wollen, sondern auch nicht auf
die Traditionen der abendlàündischen Kultur zurückgreifen. Ihre
Bausteine, die sie als Grenzbereiche der Aquarianer bezeichnen,
selektieren sie aus fremden Kulturen, von óstlichen Philosophien
über Schamanentum und Geist-Heilungen bis zu indianischer
Naturmystik, aber auch aus jenen Vorstufen des abendlündischen
Geistes, die sie selbst als (positiv bewerteten) Paganismus be-
zeichnen. Im religiósen Bereich sprechen wir hier von Synkretis-
mus, der nach Mühlmann auch zahlreichen nativistischen Bewe-
126
zungen inhärent ist und als verarbeiteter Synkretismus nicht nur
Eigenes mit Fremdem mischt, sondern eine archetypisch-mythi-
sche Umstiftung fremder Figuren, Symbole und Motive zu eigenen
beinhaltet.
Dieser schôpferische und sinnstiftende symbolische Prozeß
der Umordnung und Transformation disparater vorhandener
Substanzen wurde von Lévi-Strauss in seinem Buch »Das wilde
Denken« als Eigenart des mythischen Denkens und als Brico-
lage bezeichnet. Mythen-Bricolage ist für ihn die Bastelei mit
Bruchstücken der Vergangenheit, aus denen neue strukturierte
Ganzheiten geschaffen werden, wobei in dieser unaufhôrlichen
Rekonstruktion mit Hilfe der gleichen Materialien immer vergan-
gene Zwecke berufen sind, d: Rolle von Mitte!n zu spielen: die Si-
gnifikate werden zu Signifikanten und umgekehrt.
Diese Um- und Neuordnung des Vorhandenen in der Bricolage
ist für Lévi-Strauss ein strukturierender schópferischer Akt der
sinnstiftenden Ordnung von Ereignissen und Dingen der sinnlich
wahrnehmbaren Welt. Er verweist auch als ein Beispiel aus der
Moderne auf die Basteleien jener Künstler, die als Erleuchtete am
Strafienrand von den Surrealisten entdec:t und deren Werke
unter dem Signum Art Brut zusammengefaßt wurden. Sie alle
sind F zeitkünstler ohne jegliche künstlerische oder akademi-
sche Schulung, bastelten mit gefundenen Materialien aus der
Natur oder den Müllprodukten der Konsumwelt, um sich ihre in-
dividuellen und je einmaligen gebauten Träume (Plessen) zu
schaffen. Die Art-Brut-Künstler waren Besessene, die ihre Identi-
tätsbedrohung durch den sozialen Tod über eine selbstinszenierte
Traumkultur zu überwinden versuchten. Ihre Werke mögen vom
kunstüsthetischen Standpunkt aus betrachtet keinen Ge-
schmacksnormen gerecht werden, aber sie stehen als kreative An-
strengung gegen das Mittelmaß des Konsums jener vielen ande-
ren Freizeitbastler, die sich willig dem käuflichen Puzzle ver-
schreiben.
Bricolage und Collage heute sind Protestformen gegen den
sozialen und kulturellen Tod der Individuen und Gruppen, sind
Versuche, einen eigenen Stil gegen eine vorgefertigte Welt zu set-
zen, indem man sich der Dinge eben dieser Welt bedient, um sie
in einen neuen, oft provokativen Diskurs zu überführen. Die be-
kannten Zeichen erfahren ihre Veránderung dadurch, dab das
^v
y^
+
2
Bild, der Signifikant, in einem neuen Kontext zu einem transfor-
mierten Signifikat wird, eine andere Botschaft bezeichnet.
Wenn diese provokative Botschaft insbesondere von den
Randseitern unserer Gesellschaft ausgesprochen wird, dann im-
pliziert dies gleichzeitig jenes resignative Element, für das die
Entwicklung des Punk hier stellvertretend stehen möge. Die Pro-
vokation der Gesellschaft ist abgedrángt worden in einen Frei-
zeitstil, der den Bruch zum Alltag notwendig verstärkt, statt ihn
aufzuheben. Der alltägliche Erfahrungsraum kann nicht über
einen konkreten Erwartungshorizont in einen neuen Erfahrungs-
raum sinnhaften Alltags erweitert werden, sondern bleibt im pro-
vokativen Augenblick des Nicht-Alltáglichen stecken. Die Zu-
kunft hat keinen Horizont. Ja logisch, ... auf der einen Seite her-
auszustechen aus der Gesellschaft und auf der anderen auch zu pro-
vozieren und zu zeigen, dafi man eigentlich nicht viel von den ande-
ren hält.
Das englische Centre for Contemporary Cultural Studies hat
sich, ausgehend von klassentheoretischen Vorgaben und den For-
derungen nach einem neuen Bewußtsein der Arbeiterklasse, den
Subkulturen von Arbeiter-Jugendlichen, zu denen die Punks ur-
sprünglich gehörten, besonders intensiv zugewandt. Die Unter-
scheidung zwischen dem diffusen, individualistischeren gegen-
kulturellen Milieu der Mittelklasse und den festgefügten kollekti-
veren Strukturen der Arbeiter-Subkulturen führte zur Frage nach
deren Lebensstil, der von einigen Autoren mit dem von Lévi-
Strauss geprägten Begriff der Bricolage bezeichnet wird. Bei
Hebdige heißt es: Punk spiegelt die gesamte Nachkriecsez^schichte
der modischen Kulturen der Arbeiterjugend wider, die als Frakta
aus Elementen verschiedenster Epochen aufscheinen. Die Brico-
lage der Punkkultur wird an den vier Freizeit-Elementen Klei-
dung, Musik, Ritual und Argot festgemacht, wobei die kulturelle
Lösung als magische oder imaginüre bezeichnet wird. Durch die
Ausklammerung der Arbeitssphäre und des Klassenkampfes der
Vorváter gelingt ihr nicht die reale Lósung des Klassenwider-
spruchs.
Und doch wird ihre Subkultur trotz dieser Ausklammerungen
als eine Icbensfáhige Kultur interpretiert, deren Sinngebung aus
der Kritik an der Warengesellschaft resultiere, denn sie entwik-
keln aus dem im Rahmen eines vorgeprägten Marktes erhältlichen
228
Schund lebensfähige Kulturen und formulieren durch ihre Bearbei-
tung von vorgefundenen Gebrauchsgütern tatsächlich eine leben-
dige, gelebte und konkretisierte Kritik an der Gesellschaft, die diese
verdrehten, bc'eidigenden und oft sinnlosen Dinge produziert.
Die Frankfurter Untersuchung von Lothar Voigt, die sich vor
allem der geschichtlichen Entwicklung und gegenwärtigen Situa-
tion der Punkbewegung widmet, kommt zu einer anderen Aus-
sage in kritischer Auseinandersetzung mit den englischen Auto-
ten und ihrer Stilisierung des Punk-Stils zur revolutionären An-
klage des Tauschwertcharakters der Dinge in der Klassengesell-
schaft, indem sie in symbolischer Handlung diese in Gebrauchs-
wert transformieren. Lothar Voigt dagegen sieht den Umschlag
der Symbole in die verduferlichten Zeichen einer Identität, die
einer p=ychischen Anteilnahme durch Reflexion nicht mehr bedarf.
D: "Loduficrlichung des Ichs ist das Wesentliche, die psychische
Ncktkeit wird zu einer Konsequenz. Das Symbolische gewinnt als
Zeichen wieder Tauschwertcharakter. Und er zitiert Punk als die
letz“. A'2de in der Geschichte der Popkultur, die einen Bezugs-
punkt hatte. Und dzr war die Bezugslosigkeit selbst.
Bezugslosigkeit ais Lebensstil allerdings mufi diesen auflósen,
da Kulturen und Subkulturen für ihre Stilformung der sinnbezoge-
nen Interdependenz ihrer Elemente bedürfen. So lóste sich Punk,
ganz den Verlaufsregeln sozialer Bewegungen entsprechend, nach
seiner heftigen und kurzlebigen Phase der montée aux extrémes
(Baechler) in Cie Warengesellschaft auf oder ging in den Unter-
grund der StraBe. Und dic Ctrafenpunks sind auf der Straße eben ge-
blieben, sag: Voigt: Sie durchstrcifen diese und versuchen sich der
zwangsmäfig wirkenden Vergeseilschaftung zu entziehen, indem sie
sich der Sti« bedienen wie dic ZwiebelihrerSchalen.
Und doch verweisen diese fragmentarischen Stile mit ihrem
Collage-Charakter, selbst noch bei den StraDenpunks, auf den
von ihnen gemeinten Sinn: die Transformation der beleidigenden
Dinge einer Warengesellschaft in den Stil der háDlichen Schón-
heit, die der Umwelt ihre schóne, entleerte HäBlichkeit vorhält.
Punk machte das grofartige, grundlegende Nein (Spies) der
Surrealisten zum Bestehenden in der Imagination eines Anti-Stils
zum Cruppenmythos der Entrechteten. Sinn lag im Aufweis von
Un-Sinn von Bezugslosigkeit als gesellschaftlichem Produkt.
Aber das Basteln mit den beleidigenden Dingen führte nur zu
}
22€
einer Collage der Freizeit, nicht zu einer Veränderung des gesell-
schaftlichen Alltags.
Der Theologe Gerhard M. Martin hatte sich in seiner Festtheo-
rie kritisch-mit dem Leben als Cellage auseinandergesetzt und ver-
weist dabei auf die Diskontinuität von Fest und Alltag: Der
Lebensstil der Juxtaposition allein genügt nick: Dr trägt nichts bei
zur Emanzipation — im C-genteil, er steht in Gefchr, die allgemein
konstatierte Ich-Schwáche :1 einer autoritüren, konsum- und me-
dienkonformen Cesellschaft bis zur absoluten Zerrissenheit und bis
zur f" zepbecnie zu steigern. Und weiter: dafl der Mensch
menschlich nicht in wilder Collage leben kann, sondern nur in Ver-
stehens- und Cinnzzammenhüngen.
Martins wilde Collagen und Lévi-Strauss' wildes Denken zeigen
die gegensátzliche Interpretation des Begriffes wi!?. Der christli-
che Theologe ccr westlichen Gegenwart, für den das starke Ich
den Alltag auf die messianische Wirklichkeit hin aufsprengt,
führt eine religiós-ontolczische Kritik am Leben als grofjie Cz'lage,
die nur disparate Wirklichkeitserfahrungen kennt, also wild ist.
Für den Anthropologen Lévi-Strauss ist das wilde Denken ein
ordnendes Denken von disparaten Erfahrungen zu einem Sinn-
haften, das Welt umfaßt. Dieses Denken lebte für ihn in den wirk-
lich primitiven, archaischen oder kalten Gesellschaften, deren
soziopolitisches Dasein auf kollektivem Konsens aufgebaut ist,
bei dem Religion in die soziale Ordnung integriert ist und Chaos
durch die Ordnung der umgebenden Welt überwunden wird. Bri-
colage ist diese Ordnung in Sinn stiftende Zusammenhänge.
Die mesziznische Wirklichkeit gehórt, wie wir es im Verlaufe un-
serer Ausführungen sehen konnten, nun durchaus in das Zen-
trum der spirituellen Ökologie. Aber diese Ökologie ist eine Aut-
ökologie, die sich auf das Selbst konzentriert und das Fließ-
gleichgewicht im ozeanischen Gefühl durch eine mystische Über-
sprunghandlung sucht. Übersprungen und verdrängt wird der ge-
sellschaftliche Alltag. Im Workshop begibt man sich auf die he-
donistische Scelenreise der Selbsterfahrung.
Für Martin hieB die messianisch allein môgliche Festtheorie: Al-
tag soll „Sonntag“ werden. Und er fährt for“: Y% die Fturistis ”
messianische Perspektive ve-loren is: kann die Forma! Alles scl
Sonntag und Fest sein, durchaus L'jben. Dann erklärt man die
Gegenwart zur Fülle der Zeit, wie es die Hippies und manche Sub-
MIU
kultur im letzten Jahrzehnt getan, dabei aber die alltäglichen Ver-
hältnisse gerade aus dem Blick verloren haben. Weltfernes Mediz?-
ren, ekstatischer auertanz und der Traum am psychedelischen 7. --
min sind /nzcichen für … Verhältnislosigkeit zwischen Fest und £:-
tag. Es gitt eine Crundstimmung ekstatischer Geborgenheit und
eines trassmhaften Optimismus, &:e den Schmerz, das Stumpfe an
mir und dn anderen, die Krank^::*, soziales Elend, den Druck der
ganzen I. enden und seufzenden Kreatur ., . nicht mehr kennen ...
nicht ni "= kritische Theorie, sondern auch das Christentum [muß]
„Freiheit“ == Jefinieren, „daß sie alsıein nirgends schon Bestehendes
bewußt un-: c-kannt wird".
Freiheit, Canzheit und Heilheit aber wird dem 'tiefen Selbst
im Hier und Heute versprochen, wobei durchaus auf die bürgerli-
chen Heimwelt-Bedürfnisse von Glück spekuliert wird.
Ich arbeite seit 19 Jahren mit dem Atem, Meditation, Gestalt und
Kórrz:ez.eit und integriere Methoden der humanistischen und spi-
rituelle: "syckz'egie mit den zeitlosen Prinzipien, Reinigungs- und
Heilme:.oden óstli:zr und westlicher Praxis.
In meinem personlichen Leben scl: heute die Integration des Fa-
milienl. 5c.:s mit dz» spirituellen Lelensausrichtung sowie die Ver-
wirkl. chung des Ideals der Frau-Mann-Beziehung als Kern des
Wez* ir: Zentrum meiner Bemühurg …
La£t uns g-:neinsam unsere góttliche Natur und Heilkraft erfah-
ren. V. wollen uns dzbei ganz der Óffnung unserer Herzen hinge-
ben. Left uns unsere L:ebe, unseren innewohnenden Frieden, unsere
ureigenste Lebensfreude, unsere Kreativitát vd unser Vertrauen in
den góttlichen Flan entfalten und uns ihm als Instruiient zur Verfü-
gung st Xen. Laßt uns an den Ort in uns selbst vordringen, wo wir
klar und deutlich das Gebet und die innere Stimme unseres Herzens
yernenmen ...
So steht es in der Einladung zum Ganzheitlichen Heilseminar
von Bobby Dreyfus/Sundar Baba auf die Schweibenalp bei
Brienz/ Schweiz im Zentrum der Einheit.
Hier sind noch einmal, und deshalb móge dieses Beispiel genü-
gen, alle Aspekte der versprochenen ‘Gesundheit des Glücks’
vereint: die Findung des göttlichen Selbst, Lebensfreude im Hier
und Eeute, Beziehungsglück in Partnerschaft und Heimwelt.
Grundlage und Garantie dafür ist die Selektion und Bricolage
aus dem Weltarsenal von Heilmethoden durch einen 'Wissen-
231
den’, dessen unzivilisiertes Charisma (Sennett) auf einer Tyrannei
der Intimitát aufbaut (In meinem persónlichen Leben ... n.
Die Bastelei mit Disparatem ist der spirituellen Ökologie inhä-
rent. Roszak hatte 1975 unter dem Titel »Die Heiligen Werke«
einen Überblick der Möglichkeiten des Menschen, eine Transzen-
denz zu provozieren, gegeben. Als Ziel bezeichnet er die radikale
Subjektivität und gleichzeitig die ozeanische Phase, das Sympo-
sion d2s Ganzen. Die von ihm aufgeführten Grenzbereiche der
Aquarianer haben zwar zwischenzeitliche Erweiterungen und
Veränderungen erfahren, aber grundsätzlich gilt seine Schwer-
punkt-Katalogisierung auch heute noch: Jüdisch-christliche Wie-
dergeburt, östliche Religionen, sowie einzelne Gurus und Massenbe-
wegungen, esoterische Wissenschaften, eupsychischz T'"crepien,
Geist-Heilung, K “rperthercpien, N aprimizi:izimus und Heidentum,
Organizismus, „wik! >“ Wssscascha/ Psychologen, Spiritisten, ok-
kulte Gruppen, Psychotronik, Pop-Kultur.
Wildes Denken war von Lévi-Strauss im mythischen Bereich
einer Um- und Neuordnung des sinnlich Wahrnehmbaren, einer
Neukombination des Vorhandenen eingeordnet worden. Die
sichtbaren Dinge der Natur bekamen ihren Ort in einem Haus-
halt des Lebens, in dem auch die Gótter und Geister, die Ahnen
und die zukünftigen Seelen sichtbar wurden: ordnende Brico-
lage.
Wilde Collage als Phánomen der Neuzeit bedeutet für Martin
den Verlust von Verstehens- und Sinnzusammenhängen, Diskon-
tinuität bis zur absoluten Zerrissenheit.
Was ist Wilde Wissenscke”” Tir Roszak und die ‘sanften Ver-
schwörer” ist wilde Wissenschaft zunächst grenzüberschreitende
Wissenschaft, Wissenschaft, die nicht nur die eingefahrenen
Wege des je fachspezifischen Wissens überschreitet, sondern
auch die Grenzen zwischen den Wissenschaften und zwischen
den Denksystemen überhaupt. Ihr Erkenntnisziel hat Absolut-
heitsanspruch im Sinne von Lyotards Äußerung, daß man das
Absolute nicht darstellea kann, aber darstellen, daB es das Abso-
lute gibt. Damit wird Wissenschaft wieder verborgen gemacht.
Und es nimmt nicht wunder, daß Physik und Religion hier eine
enge Verbindung eingehen. Sie beweisen sich wechselseitig. Und
in etwas verdünnter Form probt dann ein 'sensibilisierter intellek-
tueller Mittelstand' mit Diane Battung den Quantensprung zwi-
732
schen den Mythen aus menschlicher Frühzeit ... und den neuesten
Erkenntnissen der Physik. Marilyn Ferguson vermittelt die Neuig-
keiten von der vordersten Front der Wissenschaft — insgesamt aus
dem naturwissenschaftlich-grenzwissenschaftlichen Bereich - im
Jargon des Okkulten:
Wir erfahren, daß die Natur nicht eine Kraft ist, die wir besiegen
müssen, sondern das Mittel zu unserer Transformation.
Die Geheimnisse ... befinden sich nicht wie schwarze Lócher ir-
gendwo im Weltall, ... sondern in uns selbst.
Diese neuen Entdeckungen enthüllen Aspekte der Natur, die zu
reichha ig sind, als daß sie einer Analyse zugänglich wären; und
dennoch können wir sie verstehen ... Sie passen zu einem tief in uns
verborgenen Wesen.
Walz Wissenschaft kombiniert wie das Wilde Denken, aber
nicht induktiv, sondern deduktiv: aus dem physikalischen und
religiösen Universum ungebrochener Ganzheit wird menschliche
Ganzheit — das Manifest der Person - abgeleitet. Naturwissen-
schaft dient in dieser spirituellen Lehre dazu, die von den Gesell-
schaftswissenschaften nachgewiesenen Briiche und Spriinge des
Daseins hinwegzudiskutieren.
Wir sehen hier einen dem surrealistischen Collage-Prinzip ent-
gegengesetzten Vorgang. Während die Surrealisten kritisch die
Zentralheit und den Ganzheits- und Absolutheitsanspruch des
‘seienden’ Menschen attackierten und sich dafür der sezierenden
Naturwissenschaften bedienten, benutzt die spirituelle Ökologie
die Naturwissenschaften, um gegen den gesellschaftskritischen
Aufweis des fragmentierten Alltags ‘verborgene’ Ganzheit und
Heilkraft zu belegen. Die Collage kommt ohne Decollage aus. Ist
sie nicht letztendlich nur ein Puzzle, bei dem die Fragmente vor-
gestanzt sind, um sie — und die Helfer stehen bereit — wieder in
das alt-neue Manifest eines menschlichen Absolutheitsbildes zu
fügen?
Und der Funke Poesie? Er ist sicher da. Nur: fállt er auch in
die Prosa der Welt? Sicher ist es poetisch, als Regenbogen-Kind
einen imaginierten Spaziergang auf dem Regenbogen zu machen,
sich als Psyche der Erde zu verstehen, Kristalle zu pflanzen,
Báume zu umarmen, in Trance zu fallen, einen kollektiven Orgas-
mus zu haben und mit Druiden und Karma-Meistern zu spre-
chen.
233
Was Ferguson von der neuen Wissenschaft sagt, daß sie über
kühle, klinisch-neutrale Beobachtungen hinaus zu einem Bereich
schwimmender Paradoxien vordringt, wo unsere eigentliche Vez-
nunft geführdet erscheint, das gilt auch hier. Wie aber wird
der schimmernde Regenbogen festgehalten, wie wirft er das
Licht der Vernunft in das materielle Sein der seufzenden Krea-
tur‘
10.3 Gelebte Collage des Móglicher
Erfahrung und Interpretation
Den Regenbogen festhalten?
Es war einmal — und es ist noch und es ist no: nic^t 1m Sinne
eines utcpischen Vorscheins des Móglichen (Bloch) - eine Land-
kommune, die für mich den Regenbogen in einem neuen Haus-
halt des Lebens, in einer gelebten, und vielleicht lebensfähigen,
Collage festgehalten hat.
Auf einem der vielen Recycling-Gebäude eine ‘naive’ Wand-
malerei: heile, bunte Natur, strahlende Sonne, ein Regenbogen,
der Himmel und Erde verbindet, und: ein menschlicher Ciown
zwischen eben diesem Himmel und dieser Erde.
Naive Ailegorie?
Bei The Farm, dieser Landkommune in Tennessee / IS A mit
über tausend Mitgliedern, vom Neugeborenen bis zam Greis, be-
gegnete mir als lebendig bewegter Alltag jene Bildwelt, die wir
jenseits von formalistischen Interpretationen als typisch naive se-
hen: sich unterhaltende Männer, Frauen und Kinder bei der To-
matenernte; dicke P^erde, die auf einem klapprigen Wagen die
Ernte heimfahren; 'XXirchgang! zum Gottesdienst im Wald in den
bunten selbstgemachten Farm-Shirts, die wie eine Tracht wirk-
ten; eine Gruppe Männer im Gespräch, alle mit den gleichen
Wildwuchs-Bärten und langen wallenden, manchmal zu Zópf-
chen gcflochtenen Haaren; Square-Tanz bei der Hochzeitsfeier,
an der aas ganze Dorf teilnahm, auf dem Versammlungsplatz im
Freien. Aber es war mehr als die Themen und Motive der naiven
bäuerlichen Maler: es war die Atmosphäre jener Bilder, die
lebendig gewordene arme und heitere Welt ruralen Gemein-
schaftslebens, in der die spirituelle Allverbundenheit die gegen-
2
Bri
wärtige amerikanische Umwelt vom Hier der Kommune in Rich-
tung Kosmos zu überspringen schien.
Dieses Bild als bleibendes — war es die verborgene Klarheit
jener Erfahrung der ersten Eindrücke im Feld, die die Sur-
realisten den objektiven Zufall in einem privilegierten Augen-
blick genannt haben? Für den Anthropologen kann dieser
objektive Zufall sowohl das Potential der Authentizität ent-
halten als auch das Risiko selbstzentrierter Interpretation.
Deshalb versuchen wir immer, diese sinnlichen Erfahrungen
erster Eindrücke zu hinterfragen, sie auf anderen Ebenen zu
reflektieren. Manchmal wird dadurch die Vision entschwin-
den oder aber mehr Klarheit erlangen, in der jener erste pri-
vilegierte Augenblick verborgener Klarheit sich verdeutlicht.
Immer wird die wissenschaftliche Skepsis zunächst die ver-
borgene Klarheit des ersten Blicks trüben. Verweisen die Bil-
der, die Darstellungen der Anderen wirklich auf eine erfah-
rene Bedeutung? Ist diese Bedeutung die einer geträumten
oder einer gelebten Erfahrung? Ist die Bedeutung meine
oder ihre?
Die ‘heile’ Welt der naiven Malerei und eines so gelebten
Lebens: gebliebener Sonntag (Bloch), utopischer Vorschein oder
barbarische Zurückgebliebenheit und Jargon der Eigentlichkeit
(Adorno)?
Und so führt eine andere Ebene der Interpretation zu einer
ideologiekritischen Hinterfragung der Darstellungen, der
Texte, die sich uns in jenem ersten Bild gezeigt haben.
Ist es der von Adorno kritisierte ‘Jargon der Eigentlichkeit’, der
ihre Lebenswelt als utopische Konstruktion einer Wirklichkeit
prügt, der aus dez Worten, den Predigten ihres spirituellen Leh-
rers Stephen Gaskin spricht? Aus dem Kontext der alltáglichen
Lebensführung gelóst, wird es ein Leichtes, ihr Weltbild mit
Adorno zu kritisieren:
Gaskin: Es ist eine Gnade, das erste Mal, in welchem Zustand
auch immer, zu dieser Stufe des Bewuftseins zu erwachen. Es ist
eine Gnade zu erfahren, dc;8 nichts von allem, das dir geschehen ist,
dich auf Dauer verändert oder bekümmzert oder verletzt hat.
Adorno: Im Lob der FPositiviti.t sind alle ces Jargons Kundigen
von J..:pers abwárts miteinander einig .. .,,A..cs atmet und dankt. O
ihr Note der Nacht, wie ihr spurlos versankt^ (Rilke).
735
Gaskin: Das Wesen des Universums ist, daß es das zu tun
wünscht, was du wünschst — ... Und so lange du Dinge wünschst,
wirst du bekommen, was du wünschst. Aber das Universum besitzt
noch ctwas sehr Kostbares, von dem du vielleicht nichts weißt. Wenn
du es aufgibst, Dinge zu wünschen, wirst du herausfinden, was es ist.
Das meinen sie mit dem Wegwerfen der Wünsche.
Adorno: Durchwza schmuggelt die Logik des Jargons Be-
schránktes, schliefllich materielle Mangelsituation als Positivität ein
und wirkt für ihre Verewigung in dem Augenblick, in dem, nach dem
Stand der menschlichen Kräfte, solche Beschränkung real nicht
mehr sein müßte.
Gaskin: Und die Teile, die gut arbeiten, sind diejenigen, die am
weitesten von den technologischen Dingen getrennt sind. Die Far-
men und ähnliche Plätze tun es ... Wir haben es immer und immer
wieder gesehen, daß es die Übereinstimmung der Menschen ist,
die die Ernten hervorbringt ... Und Gott unterstützt uns, indem
er uns high genug hält, damit wir Arbeit nicht als Zwang empfin-
den. Wir fühlen, daß Arbeit die materielle Erfahrung von Liebe
ist ... Wir sind durch unser Zusammenarbeiten eine Gemeinde ge-
worden.
Adorno: ... kann er sich unter dem Heilen das Seelenheil vorstel-
len oder das richtige Leben oder noch nicht vom Industrialismus be-
herrschte soziale Enklaven ... Aber Geborgenheit als Existential
wird aus dem Ersehnten und Versagten zu einem jetzt und hier
Gegenwártigen ... gekettet an jenes Moment bornierter Partikulari-
tüt, das aus sich heraus das Unheil erneuert, vor dem keiner gebor-
gen ist.
1977 schloB Gaskin eine seiner Predigten, die er »Theorie und
Praxis« nannte, mit einer Metapher, die das Thema Wir sagen
Arbeit ist ein Yoga variierte und in den Zusammenhang von Pflan-
zen, Wachsen und Blühen in der Natur, im Spirituellen und im
Hier und Jetzt des Farm-Alltags stellte: Wir haben hier an einem
guten Ct begonnen, so wollen wir im nächsten Jahr von hier aus
eine Blume wachsen lassen.
Ist die Wandmalerei mit dem Regenbogen nur die naive Wie-
dergabe eines 'sophisticated' New Age-Weltbildes oder die einer
gelebten Utopie? Und entspricht dann die naive Bilderwelt
einem naiven Weltbild?
Ich kónnte Adornos Kritik unterschreiben, wenn ich nur die
236
Texte und Bilder hätte, ich kann es nicht aus dem Sehen und Erle-
ben eines von diesen Menschen gelebten Alltags: eines Alltags,
der nicht nur freiwillige Armut in einer spirituellen Enklave be-
deutete, sondern auch sowohl in die eigene Lebenswelt als auch
nach außen (in aktiven Hilfsprojekten gegenüber der fernen und
der nahen materiell armen Welt) gerichteten Protest, der nicht nur
verbal protestiert, auch nicht nur Hoffnung malt und spricht,
sondern eine Gegenwelt lebt.
Die ‘totale Verwandlung’ im Sinne des New Age fordert nur im
klosteráhnlichen Dasein von Kommunen einen radikalen Bruch
mit früheren und gegenwärtigen Ordnungen einer materiellen und
sozialen Alltagswelt. Diese Versuche, einen neuen Haushalt des
Lebens zu finden und zu erfinden, in dem alle Bereiche des alltägli-
chen Lcbensvollzugs interdependent und auf einen allgemein ge-
teilten Sinn, bekannt in Gemeinsamkeit, bezogen sind, sind eher
rückläufig als multiplikatorisch zu sehen. Ihre von Roszak noch
1978 beschworene zentrifugale Rolle — die AuBenwirkung aus
einem Zentrum des gemeinsamen einfachen Lebens — ist den vielen
Freizeit-Zentren gewichen, in denen man sich für einige Ferienwo-
chen, ein Wochenende oder einige Stunden aus dem Alltag lósen
will, spirituelle Psychotherapie sucht und geboten bekommt. Das
mónchische Modell allerdings sah auch Roszak letztendlich in un-
serer Gesellschaft nur als Sache einer kleinen Minderheit an. Und
die Radikalitát einiger politischer Kommunen und religióser Sek-
ten — Lcben und Ende der Jonestown-Kommune sind nur ein tragi-
scher Hóhepunkt, zber keine ganz andere Erscheinung - hat
gerade dieses Modell suspekt, gesellschaftlich auffällig und unter-
suchenswert gemacht. Staat und Kirche fühlten und fühlen sich
hier aufgerufen, Kritik zu üben und Gegenmodelle einer ‘Jugend-
arbeit’ zu entwickeln. Jugend im Sog neuer Heilsversprechungen
(Zinke): das rüttelt an den Grundfesten eingefahrener Institutio-
nen, die cie Jugend als Garanten der Zukunft brauchen. Über diese
Analyse des Geführdenden der grofen Zahl wurden die positiven
Aspekte *mónchischer Gegenmodelle' kaum ôffentlichkeitsrele-
vant. Als Religionen am Rande der Gesellschaft (Zinke) wurden - zu-
meist unter dem Aspekt einer Verführungstheorie, wozu die abge-
druckten Zeugnisse von Eltern oder ausgeschiedenen Anhángern
beitragen - die als jugendgefáhrdend eingestuften neu-religiósen
Sekten mit einer großen Anhängerschaft, Absolutheitsansprüchen
237
und deren alltagsweltlicher Verbindlichkeit kritisiert: Familie der
Liebe (Children of God), Vereinigungskirche des S. M. Mun, Scien-
tology-Eirche, Hare-Krishna-Gemeinde, Divine Light Mission,
die Achram-Bewegung des Bhagwan Shree Rajneesh.
Die Farm in Tennessee blieb trotz ihres spektakulàren Beginns
unauffálliger. Ihre Selbstdarstellungen blieben Insider-Bücher,
die Sonntagspredigten Gaskins kamen nicht auf den Kassetten-
markt, die Farm-People traten nicht auf Kongressen auf, es gab
keine Workshops und die Besucher gehórten mehr zu jenen Alter-
nativ-Touristen, von denen ein Jochen Reinalda nach einer drei-
monatigen Trampreise durch die USA so beeindruckt war, daß
er sich fragte: Warum sollte ich dann nicht auch meine Diplomarbeit
über ein Thema aus diesem Bereich schreiben? Mein Besuch, unter
ähnlichen Bedingungen, wenn auch unter dem Felderfahrungs-
Wunsch der Anthropologin als Ausgangsmotivation begonnen,
führte zunächst zu jenen ersten Eindrücken eines in der Provinz
gebliebenen Sonntags oder vielleicht besser eines Sonntags, der in
den Alltag hineinreichte, wo die Lebenswelt noch nicht (nicht
mehr) in Alltägliches und Nicht-Alltägliches zerfiel. Es war eine
Collage, bei der ich den Funken Poesie fühlte.
Fühlen und Erleben waren lange Zeit Tabubegriffe in der
ethnographischen Beschreibung, als subjektiv und emotio-
nal wurden diese Erfahrungen, wenn überhaupt, allenfalls in
Feldtagebücher verbannt und hatten in Veróffentlichungen
nichts zu suchen. Nun ist aber Kulturanthropologie als Wis-
senschaft von den Menschen und ihren kulturellen Daseins-
gestaltungen auf eben jene Begegnungen mit den fremden
Menschen und ihren Werken angewiesen, die auch sonst in
unserem Alltag Verstehensprozesse begleiten. Und wie im
Alltag erste Begegnungen als Schritte zum Verstehen, auch
zum Einordnen, mehr vom subjektiv-emotionalen als vom
objektiv-klassifizierenden Erfahren geprigt sind, so ist es
auch in der Feldforschung. Und oft kommt dieser erste
Blick, vielleicht weil er ein poetischer Blick ist, in dem sich
Geschautes und Gehôrtes - noch ungeschieden durch zer-
gliederndes Einordnen - verdichtet, der dichten Beschreibung
(Geertz) als einer Hermeneutik des Wesentlichen näher.
Diese Ebene einer Erfahrung der Anderen - das kann im er-
sten Augenblick der Begegnung, aber auch zu einem spáte-
238
ren Zeitpunkt des wirkenden Wahrnehmens sein — mu sich
im ProzeB des Verstehens und Erklärens nicht bestätigen,
aber wir tun gut daran, diese Ebene immer wieder in die den-
kende Annäherung zwischen ständigen Selbst- und Fremd-
reflexionen einzubeziehen. Wenn ‚überhaupt etwas, außer
dem spontanen und nicht wiederzugebenden Gespräch über
das Erfahrene mit nahestehenden Menschen (die der Feld-
forscher nicht immer um sich hat), diese erste Wahrneh-
mungsebene zu vermitteln vermag, ist es das sogenannte
Feldtagebuch. Es ist nicht, obgleich meist sehr deskriptiv
und unpoetisch in seinen Aussagen, bloBe Beschreibung,
sondern immer schon Interpretation. Die Farm nimmt in
meinem Feldtagcbuch neben - und gegen - der Ranch von
Bhagwan Shree Rajneesh in Oregon, dem behavioristisch
orientierten Twin Oaks in Virginia und dem Paul Solomon-
Zentrum in Virginia Beach einen. besonders breiten Raum
ein. Einige Passagen daraus sollen die weitere Ebene der
[Interpretction aufweisen, die aus der direkten sinnlichen Er-
fahrung teilnehmender Feldforschung erwächst.
Nach einer Übernachtung in Phoenix (so heiß, daß man die Wege
nicht borf18 bctreten konnte, aber einen heiteren Adend im Swim-
mingpec! tobend, mit Wein und Zigaretten — und erst heute weïf ich,
wie m-— vermissen kann — verbrackt) Start ge3 Nashville (drei
schcz:flich2 FXse, eine Übernachtung, billig, scl.!cchtes Ami-Essen)
unc von cort mit Greyhound zvr "Farm" nach Cummertown.
V7 wurden von zwei netten Typen mit Klcinkizd im Wagen abge-
L2*:, 7 inn kamen wir vor eine Schranke: ,dort beginnt die Farm",
Del und ‚anschließend 2 Stunden Dauerberieselung von
Kzz. Ceitdem versuche ich, bei Arbeit, Essen (kaum), Gesprächen,
Eine." "2 zu merken, zu verarbeiten, aber vorläufig ist alles noch
zieml::^ vcrwirrenz.
Vielle;:'.: £::ge ich mit der Schranke an. Neben ihr ist das Office,
in.czm wirlJich T;g und Nacht mehrere Leute D''enst haben. Die
Echranke ist tagsiLer auf, aber jeder Vagen (auch ciejenigen der
Resiler:z) bt hier und der ‘Diensthabende’ schreibt Name, Zeit
un” " …! auf. Auf Frage nach Sinn wurde , Mitfahr-, Mitbringgele-
genheit" angegez.:1, aber das ist es wohl kaum, die Stechuhrfunk-
tion ist unüberselbar. Abends wird.die Schranke geschlossen, wegen
der "rough people", und von den die ganze Nacht aufbleibenden
239
Gatekeepers bedient. Und, soweit ich es mitbekommen habe (spät
und kurz geschlafen), geht der Betrieb auch tatsächlich die ganze
Nac/!:t ” "-itors, Leute die von der Arbeit außerhalb kommen, ir-
gendwc:! '2 Anlicferer u.s. w). Da war avch irzendeine Geschichte
mit I'ubschraubzr ung Polizei; aber ich habe sie nicht gerafft. Nun
ist cas ^ ?lánde grofi (' 7^? czre) und die Leute lassen ihre Türen
offen, aber es erinnert halt doch an die geschlossenen Stadttore, die
Dorfumgrenzungen u. s. w., an Mittelalter — kein Gesindel rein, aber
auch keine unkontrollierten Handlungen in der Gruppe, kein Ent-
weichen; vielleicht zu hart und 'blofi' Stechubr — vd Jann sind wir
in dcr Gegenwart der vielen in unsercr Gesellschaft. Heute morgen
noch eine Ergänzung zur “rough area’. Vorgestern ist ein betrunke-
ner "moonshiner" mit Gewehr vor der Tër umgefallen. Die “moon-
shiner” sind die C-hwarzbrenner von Whisky. Das wurde übrigens
als Besründun® Cafür erzählt, daß 6.2 T-auen hier keine Nachtwa-
che machen. Vorher: Sie haben wohl k.::«e Lust.
Es wird hier immer gesagt, „mach das und das, wenn Du Lust
dazu hast“, aber eigentlich wird erwartet, daß man sie hat.
Allerdings entstand dann gestern das übliche Problem, dafi
eigentlich keine Arbe:: fiir uns gefunden werden konnte. Wir wurden
ins Grecnhouse gzfahren, einer ráumte auf und wer frch, uns den
Eimer für Kor-:! zu übergeben. Da es aber in Ctrómen gof,
konnte nichzs ;,:7:: . t werden — Rumstehen, Erika und ich machten
Gang c.rcns P ^ Da hatte er seine Idee geboren: Tomaten aussor-
tieren! D'1 wir aber 4 Cäste für diese Arbeit waren, war's in à Stunde
bereits wi - ‘an. Dann T!efoniererci, die nicht kisrpte. Alles
viel Inves.iin 7 ‘Arbeitsbeschaffung’. SchlieBlich drargen wir al-
lein F5 z^ ^. "z:envczarbeitungsanlag2 vor. Dort aber waren
gerade a2 !.tzic:: Süáuberungen für d.» Dinnerpzuse. Zbends aller-
dings lance:.:: wir auf den Tomatenfeldern und ernteten bis in die
Dunkelheit. Ich mufiie an die Tomatenpflückerinnen aus Messina
denken, ce billigen A Seitskráftz.
Gearbeitet wird auch hier viel. Die Arbeitszeiten scheinen aller-
dings nic!: so geregelt zu sein, sofern man auf der Farm selbst
arbeit. *. C/7, wie gestern Lc. der Tomatenernte, dann abcr bis in die
Dunkehe.t, oer, wie der Mann in der Tomatenjuice-Anlage sagte,
auch bis nachts 24.00 Ihr. Einige arbeiten außerhalb, z. B. die Árzte
einige Tage (7) in der Woche, die Anwálte führen z. 7t. einen Prozef3
gegen die Nuklearpolitik des Staates, andere arbeiten als Dachdek-
740
ker oder anderes Handwerk. Ein intensiver Austausch scheint mit
den Projektstellen (Plenty) zu bestehen. In der Bronx ist eine Ambu-
lanz ei»zerichtet, in San Diego vor allem eine Geburtshilfestation,
in Florida eine Kommune für Alte, Behinderte und Waisen. Ein Pro-
jekt in Cuatemala, das vor allem vom kanadischen Staat finanziert
wurd- /V.zsscrleitung, teaching, Soja), wurde wegen der Unruhen im
Land a: fgegzben. Auch in einem Indianerreservat ist ein Projekt ge-
laufen, g-=lant ist eine Farm in der Karibik (in Frankreich eine an-
gelaufen, f^» Dzztschland móchte Hanna eine Stadtkommune orga-
nisieren). D'e L'fsprojekte existieren als Ansatz seit 1974, d. h. mit
diesem Z-:tpunkt setzte größeres politisches Bewußtsein ein, heute
z. B. auc’: Zsammenarbeit mit Greenpeace.
Die Existenzgrundlage ist vielfáltig: Die Landwirtschaft, die al-
lerdires noch nicht ganz zur Selbstversorgung ausreicht. Vieh ist
nic! : vc*handen, Pferde zum Spafi und leichter Arbeit (vor allem die
weiblichen Teenager kümmern sich um Pferde), kaum Hunde und
Katzen, kein Federvieh (strengste Vegetarier, weder Fleisch, noch
Eier, Mich, K ze).
A7--^aut wird: (vor allem und tügliche Nahrung) Bohnen und
Sojcic ex, Tomaten, Pcprika, Kiirt isse und sonstiges Gemüse, et-
was V.//n, Karz-ffeln, Getreide, Cbstbáume. Vorhanden dafür sind
Tomatenverarbeitungsanlage, eine Mühle, die Bäckerei. Handwerk:
Tór c.i (verrangig für Eigenbedarf), Batik fiir T Shirts (Regenbo-
genfi-Le-), die auch verkauft werden, aber auch einen Einheitslook
hier b. en. Buchdruckerei fiir die eigenen Biicher (insbes. die Verdf-
fentlicks:~ zn und Predigten von Stephen Gaskin, das Buch über die
spiritue. ^ Geburt vcn seiner Frau Ina May, weitere Bücher über
sanftc Ceburt, ein Kochbuch). Was e::ffüllt, sind die riesigen Lager
von Schrottautos (der Motorpool, der sich aber geschwürartig über
viele Gebiete ausdehnt). Hier wird viel gebastelt. Jeder Haushalt
scheint mehrere Autos zu haben, die nicht zugelassen sind und nur
auf dern C zlünde gefahren werden dürfen; ansonsten kurvt man viel
auf Fahrrädern rum (meist Easy Rider-Stil). Gearbeitet wird von
Montag bis Freitag für die Farm, man gibt auch den Außenverdienst
ganz ab.
Samstag ist Haustag bzw. die Möglichkeit, außerhalb für den
Haushalt zu verdienen. Eigenes Geld hat keiner, Sonderwünsche
müssen nech Übereinstimmung aus dem Haushaltsgeld genommen
werden (d.h. man darf eigentlich keine haben!). Von der Bank be-
24]
kommt man monatlich 2 bis 3 Dollar für Kleidung. Es gibt einen
second-hand-shop, in dem man einkauft. Auch die Windcln werden
gebrauckl: gzkauft. Die Grundnakbrungsmittcl (und sonst wi-3 vic^tg
gegessen) b:-:onzizt: ran vom food-store der Farm zugeteilt. Kinder
finden eine £*eZtfahrt mit Cola das Grë2t2, Hannas dreijährige
Tochter erzählte uns gleich von der Oma, die ihr so viel € :*okolade
gegeben hat, ,wie man Erauch:“. Am Eonntag ist d!2 "'achzeit von
einem, dessen Eltern 'reich' sind und Cc!d gezzendzt kaben. Dafür
wird Ls für die ganze Kommune gcmacht (7 »jz). LZ*ern und son-
stige A7cciórige scheinen ibezh*aupt die Q-:7..7 für die kleinen Son-
derwünsche zu sein (z. B. ein Film für den l'otezrparat u.s. w. oder
Sachen fiir die Kinder). Grundsátzlich brinzt man seinen Besitz ein,
hat dann aber noch so etwas wie Foto, Radio o. à. als Privatbesitz.
Hanna meinte, man brauche es nicht. Wenn man eintritt, legt man
das Armutseclibde ab. Auf die Frage, wenn die Farm reich würde:
dafür hc5en w:7 ja Plenty:
Hanna erzählte noch einiges über den spektakulären Auszug der
Gruppe 1771 mit 250 Leuten in Bussen von San Francisco, um „sich
und Menschen kennenzulernen“. Als sie zurückkamen nach S. E,
hatten sie das Cofühl, dafl sie zusammengchóren, und haben sich
die Farm (vor'er eine zur Verfügung gestcZ:c?) gekau;t (sie zahlen
jetzt nech a!); ancre Version: 2:2 hátten sich gleich auf den gemein-
samen W-g der Suche gemacht. Pzide Frauen, die uns davon erzáhl-
ten, betrachteten als besonders wichtig, dafl in den Bussen auch Ea-
bies gezorén wurden. Ie Busse stehen übrigens noch vielfach, z. T.
bewohnt; z: "7 in !'üuscr integriert, herum.
IUgcMESh folLlten wir uns etwas frustriert von den vielen Vor-
schrif. :, vor a-..:n dem Tick mit der Sauberkeit —- und das ging über
Tage, 2 man sich die Hände gewaschen habe, ehe man in die Küche
ging. "5 war ai.crdings immer die Rede von einem bestimmten Virus
(feuck:-warme € | end) und der Unsauberkeit von Gásten. Die Gà-
ste durften zunà ':- gar nicht in der Küche helfen, was man aber bei
uns sczr schnell c: aute.
Nac: «was zum V hnen: am Anfang war das Gate-Haus: grofler
Av. 3tha/tsraum als Büro und Gásteraum, Buchausstellung; F 5-
sche, h ©. ZZche unc [| Schlafraum unten, in CDergeschof zwei Gi-
stezimmcz; vor dem Haus ein überdachter Freiplatz, wo man viel
saf, auch zum Essen. Dann kam ein. weiter W^g bis das ‘Dorf be-
gann, am Hauptweg vor allem: die: öffentlichen Gebäude: Mühle,
"A2
Bückerei, Greenhaus, Schule, Werkstatt, Solarwerkstatt, Tomaten-
verarbeitung, Molkerei (für Soja), Handwerker, Hospital und eine
Art Klinik für Krankenhausaufenthalte, alles sehr primitiv von in-
nen und aufien aus Recycling-Material, der Maschinenschrott an
sehr viclen — zu vielen — Stellen. Nur wenige Wohnháuser dazwi-
schen. Die meisten lagen weiter entfernt an Waldwegen, auch sie alle
Recycling, alle sehr vereinzelt, d.h. das Ganze entsprach im kleinen
den t»pisc^en amerikanischen Siedlungen mit weder Dorf- noch
Stad:chaxaktcr. V'^hnen, auch was innen betraf, ge^àrte sicher nicht
zu einem spezificchen W--t an sich; das Umziehen fiel sicher leichter,
denn es gab wenig Persónliches. Gürten wie in anderen spirituellen
Kommurzn waren kaum da, wenige Gartenversuche überhaupt, z. T.
mit Gemüse für eizenen Haushalt; nach Aussage eines Besuchers,
der am Samstag in einem Hausgarten half, sehr verkommen („Die
Tomate: vcrfaulten, weil sie niemand unter dem Unkraut finden
konnte"). Irgendw> ein aufgestauter Teich, vor allem Kinder
schwazzmen dort (auch sie alle mit Badeanzügen/).
D^ wer eigentlich überall. Grofier Unterschied zu der rela-
tiven W-*!habezheit in Twin Oaks. War die Farm nicht als steuerfrei
aufgrund von Gemeinwohlaufgaben anerkannt? Plenty wurde fi-
nanzic" vc» fpenden getragen, nicht von der Farm (aufer den
Arbeitenc -\ ^'zr die Farm hatte eben sehr viele Kinder, die noch
kein .^ *boitz Vr? fte wcren, aber sehr viele Arbeitskráfte (Betreuung,
Schul. v.s. v! erforderten. Das Hospital arbeitete nicht nur für die
1300 M'tglzz: sendern auch für Fremde gratis; die Landwirt-
schet und ccs Handwerk waren nur für den Eigenbedarf — und, áa
mit wc::gclend primitiven Mitteln, sehr arbeitsintensiv. Auflerdem
war woFl vieles — Solar, d:2 Fahrzeuge, Computer (?) — in einem Ver-
suchss:zzium, und auch das mit unzureichenden Mitteln.
Ab wer, wie offensichtlich das ganze Dasein, wenig systemati-
sier*, vicl Spontanes.
Auf der Farm leben z. Zt. 1200-1300 Menschen (und es melden
sich ir": 7 neue, für die vorläufig vom Baulichen zu wenig Platz ist),
übc- cC: Hálfo davon sind Kinder (2596 davon Sozialwaisen
i. .). = "rchschnitt ist Mitte 30-40, aber auch dltere, der dlteste
Mann. 02 (wer zu Kindern gekommea, die jetzt fort sind), viele
." vcrlch Behinderte. Die Familie mit Kindern erscheint als Ideal.
„2 bekommt hier als Frau auch noch verhältnismäßig spät, über
40, wieder Kinder. Kleinfamilien und Alleinstehende leben jeweils in
24
Haushalten zw. 15—20 Personen zusammen, d.h. um das Zentrum
Familie schließen sich die konzentrischen Kreise Haushalt und
darum , die Farm-Peoplz".
Jedzr Eausha!t hzt Kinder, viele auch fremde. Die Kinder sind
voll integriert. Dcr S€zhulunterricht (waren gerade Ferien) findet in
der farm:z zenen £-hule statt, auf dem Feld sind sie dabei, überall
auf cen C trafen fuhren sie mit ihrc: Rádern herum, beim Fest blei-
ben die Kinder bis nachts (die Eleinen schliefcn auf dem Rasen
unter ziemlich chrenbetäubender Musik). Vcn E dern und beson-
ders auch vom Kinderkriegen ist immer die Led. Man ist gegen Ab-
ortus und fordert Frauen auf, ihre Kinder auf der Farm zv gebären
und gc. dort zu lassen. €:e kónnen jederzzit zurückgeholt werden,
ebs. grü£c:c , abgegebene" Kinder. Die Kinder machten einen sehr
aufgeweckten Eindruck, bereits mit Dreijáhrigen konnte man sich
richtig unterhalten.
Will man als Aufienstehende sein Kind auf der Farm bekommen,
komm: man im allgemeinen 6 Wochen vor der C.burt avf die Farm,
lebt à^7t und v. d von den ?'idwives auf die spiritue-. » natürliche
Gebu ^. Duc. ‘a Lay CT xin) vorber: x: Pann firdct die Ge-
burt als Hausg:! 17! stait (viele Fäuser haben ein sog. Geburtszim-
mer), und man /.!t anscl. 2cnd in dem [lausha!:, bis man die
Farr: wieder veiw, ot und Cort Llcilt wie die Deutsclie Lanna. Sie
lebte ir Miinchen, offensic:ilich ledig, erwartete ein Kind, las Inas
Buck, lcrniz Tote ven dor Farm acl ciner Tournee kennen — und
fuhr hin. Sie lebt jetzt bereits 4 Jahre ort, het inzwischen O. L. ge-
heiratet und ein zweites Kind. Sie ist, wie cie meisten Frauen mit
kleinen Kindern, vorrangig zu Hause, allerdings arbeitet sie
manchmal mit in dcr T Shirt-Herstellung und gièt in der Schule
Deutsc/ianterric).…. Die Trennung in geschlechtsspezifische Aufga-
ben schien uzs cffensichtlich, wenn auch ni-..t ganz durchgängig.
Die Au. narbeiten wurden vorrangiz von Männer gemacht (so
kam auch kaum mal eine Frau durch das Cute in «2» Aufienwelt —
Farmisolation?, die Wache am Gate machten während unserer
Zeit nur Nänner, in Gr Gate-Kücne dagegen kochten nur Frauen
(7 fall?), im Motorpool sahen wir nur } inner, ¢.2 Maschinen bei
der Toncnvera;L zung wurden von Mnnern bzJient, die Müller
wären Männer; &:2 Lictammen waren Frauen, ài2 Ärzte Männer
(allerdings machte €£tephen G. auch !' .bammenarbeit), tagsüber
waren die Frauen im Haus, kochten, allerdings auch Männer beim
244
Abwasch gesehen. Bei der Tomatenernte pflückten beide Ge-
schlechter und auch die Kinder.
Die ‘Manager’, ihre Rolle wurde allerdings nie ganz klar, waren
Männer, cfensichtlich war Gate-Dienst auch mit Arbeitsverteilung
verbunden. Einige, wie O. L. oder auch ein anderer, von dem die jün-
geren beim Heimtranspcz! sprachen, schienen viel zu sagen zu
haben (F'ierarchic? heimliche ?).
Stephen Gaskin wurde immer nur als teacher — nicht Fiihrer —
bezeichnet. Nachfolge sei, so jemand über seine Auflerung, kein-
Problem, d si? alle im gleichen Geist lebten. Wenn Gaskin außerhalb
ist, haben sie &as System der freien Predigten (wer gerade will.
Um Mitglied zu werden, mufl man erst einige Zeit (3 Wochen?
Aber dcr Dáüne lebte schon 3 Monate dort) im Gate-Haus wohnen,
dann kommt man in einen Haushalt. Die Probezeit ist verháltnismá-
Big lang. Dc» "ine, ca. 35, machte nach wie vor einen recht desinte-
griertea E: '7wuzk, sa abends meist allein odcr sprach mit den Gä-
sten. Erzáhltz ausführlich seinen (üblichen middle class) Lebensweg:
vom Aussteiger (aus £::dium in Amerika) zum ‘Erleuchteten’. Er
hatte vorkcr in einer stürker spiritue:i Zstlich (vic! M :Zitation) inspi-
rierten F-mmune in Florida gelebt. Er ist potenti... Mitglied.
Ein Deutscher, ca. 30, ist jetzt im 2. Jahr (neue Aufenthaltsgeneh-
migung) 3. Wirkte forsch — unspirituell, aber sehr begeistert; will
nicht ble:en, a!-cr vor allem ncue Ideen dcr alternativen Techniken
in Deutschland einbringen (het le-:ge in Soja-Verarbeitung gearbei-
tet, jetzt in £lar-V"rkstatt, sind bei Erprobung eines alternativen
Fahrzc..75, es acf eine Ausstellung soll).
Fritik grr "stem hört man selten (es sei denn vor allem von deut-
sche: "veak-L zsuzhern wie in Twin Oaks, mehrere Deutsche fuhren
gleich am ni lsica Morgen wieder ab), und wenn nur zufillig in
nicht uns gzltenccn Cesprüchen, imrzz7 von Jüngeren, so in einem
über die Unmózli-'keit, zu eigenem Geld zu kommen. Wollte es ein-
bringen, daß mehr Zeit dafür gegeben werden muß: „schließlich will
man ja au! mel! raus, verreisen!”
E 27 lcm des Tzuskommens gilt nicht für alle. Da ist einmal
die A:., cnarbeit in cor Umgebung, dann lángerfristige Auftragsar-
beiten (r:it Verträgen) in anderen Regionen, z. D. Erntearbeit in Ore-
gon, V_llaufforstung in Maine (das verlief so: die Gruppe fuhr mit
eigenen Wagen, bekam alle notwendigen Lebensmi::cl mit, lebte in
den Wäldern für Wochen allein und arbeitete dort, der Verdienst ge-
24^
hört der Farm). Dann sind die Projekte von Plenty, die von Farmleu-
ten durchgeführt werden (in der Bronx z. B. ist man 2-3 Jahre, dann
geht man zurück).
Außerdem gibt es Tourneen, wohl vor allem für die ‘Lehrenden’
und d:2 Musik-Bands (sie haben 15, vor allem guter. Rock). Eine
hatte gerade einen Preis gewonnen.
Nach Aussagen pflegt man auch die Kontakte zu Nachbarn, ins-
bes. wurden die Amishen hervorgehoben. Diese lehrten sie Pferde-
zucht, sie ihnen I'eilung. Tatsüchlich kam auch mal eine alte Kut-
sche, Frauen in Schwarz mit Kapotthütcken zum L'ospital. Die An-
feindungen wurden auf dic "rough people" (arbeits!'ose Jugendliche,
moonshiner u. s. w.) geschoben. Auflerdem war da der Prozefi — und
das war die Geschichte mit dem Hubschrauber. 'Früher' Anbau von
Marihuana, Gaskin war im Gefüngnis, dann nichts mehr angebaut
/^ Einer azs der.Umgebung hatte anderes gemeldet, nachts (?)
F."zeiüberfa.l mit I'zbschraubern, Durchsuchung, man fand
nizhis! Dleser Tag wird! jé! zEch als ein Fest gsfciert. Der Deutsche
behaupte:2 steif und fest, da8 nichts mehr angebaut und genommen
wiirde. Die Pflanzen, die Erigitte gesehen hatte, , versteckt" zwischen
Gemüzs, müfite ich ihm erstmal z.;gen. Allerdings behauptete der
deutsch? Angebcz-Typ auf Twin Css, dafi er den ganzen Tag “shit”
gerauckt hätte. Er berichtete auc/ besonders aggressiv vom farmei-
genen I.rnsehen, das alle manipulieren würde (nachgehen!. i... ....
war neben diesem (vor allem Ü*ertragung der Czrvices) auch «as
norma. Fernsehen da (Auswahl der Kanäle durch Manager?). J.-
denf«s L.f das Fernsehen im Gate-Haus die ganze Nacht; auch
jede blöde £chnulze. 4s Kontrolle erschien uns zunáchst auch die
Rufverbindung in jedem W&gen bzw. mit tragbaren Ccráten. Wir er-
lebten es bei einer 1:-bamme, die jeden ihrer Schritte (bringe die 5ei-
den Deutschen in Haus sowieso) kundtat. Sie begründete es aller-
dings einleuchtend nur für das Kospitalpersonai.
Eigen:l. 1 widen alle Linwdnde immer wieder beiseite gewischt.
Warum l.:zienciich auch für uns? V£nn man Menschen ansehen
kann, &.,7 sie ihr Leoen als sinnvoll sehen, caf sie glücklich sind,
daf, s.c nicht nur sich sexost, sondern auch andere gern haben, caf) sie
denken und nicht gedaci.: werden, dann war es ihre Ausstrahlung.
Die Menschen waren einfach schón, nicht nur schlank und gut aus-
sehend, sondern es. war mehr, kaum beschreibbar, auch durchgei-
stigt ist falsch; vielleicht war einfach Wárme da, wirklich so etwas
746
wie ganze Menschen. Ich hab das so gemerkt, wie ich in die Bronx
kam un? nach all dca vielen háfilichen und schónen Korpern, Ge-
sichtern, klugen und dummen, weltlichen und spirituellen, angepaß-
ten und Aussteigern u.s.w wicder die Farm-People gesehen habe.
Ick freute mich einfach. Und das waren nicht nur die äußeren Kenn-
zeic'.e: die Farm-Hemden, die langen Zópfchen-Haare und die un-
gezc'- tenen Lirte.
Wurde» man aber als Besucher wirklich herzlich aufgenommen ?
Als w°- kamen, war da Kceth, der Gästebetreuer, der von sich selbst
sagte, daß er gern rede. Die Kommunikation war verschieden, am
Gate waren es vor allem die etwas /"'eren, die sich unterhielten,
auch vi: ' f-7gten. Cesprüche gab es in der Küche bei der Arbeit und
viel mit den beiden Deutschen, ansonsten waren es eigentlich mehr
die k'cinen ^ 7 2lichen Gesten, dafj man sich immer zuwinkte, mit
dem V.^gen hic:, um den anderen mitzunehmen. Man war einfach
da und mußte sich sicher ein bischen bemühen. So war es auch bei
dem Fest, ganz anders als auf Twin Oaks. Hanne und O. L. nahmen
uns mit, man saf auf der Wiese, tanzte, eine Grurpe inszenierte
Squarecance, > Finder waren dabei, es gab Eis und Kuchen, aber
gesprochen wurc wenig. Brigitte und ich verzogen uns ófter zur ,Z-
gare:tc pause“ in den V7.22, Von dort war die Musik eigentlich noch
sch3ne;. We ich mich als Besucher cort allein gefült hátte? Ich
weiß nicht = vielleicht wäre dann doch alles sehr fremd gewesen.
Sicher, auf der Farm waren wir irgendwer, nicht so wichtig, aber
man frzg;. 5 nach uns. Hier bin ich wichtig, aber nicinand fragt
nach mir. I." hire zu oder erzähle „interessant“! Und ich weiß, daß
ich ungerecht bin, weil ich eben hier — „zu Hause" — etwas anderes
erwarte.
^sch zu Hause angekommen, mit dem gewonnenen Abstand,
auch 55er Erzählungen, erscheint mir die Farm als eine der wenigen
tragfähigen A’ternativen für ein neues soziales Bewußtsein, das
nicht nur spiritue.Jer Egotrip ist.
Eine nächste Ebene der Textualisierung, bei der sich im all-
gemeinen Vorwissen, Felderfahrung und nachbereitende
Lektüre und Analyse mischen, ist der Versuch. die Ge-
schichte einer untersuchten Mikroeinheit — hier der Farm -
aufzuzeigen und die Einzelphánomene der Vergangenheit
und Cegenwart in ein Beziehungsgefüge und einen histori-
schen Kontext zu setzen.
247
Die Geschichte der Farm beginnt in den 60er Jahren in San
Francisco, sie steht im Umbruch von der Beatnik- zur Hippie-Ge-
neration, sie ist Teil der Studentenbewegung der 60er Jahre. Ste-
phen Gaskin, der Kopf und spirituelle teacher der Farm, war
Universititslehrer, als er seine Montagabendklassen als Grund-
lage der Hippie-Philosophie zunéchst in Berkeley begann: So be-
gann ich einen experimentellen Klassenunterricht mit einer Anzahl
Leute, und zuerst waren wir wie ein Untersuchungsinstrument, und
wir lc^2n alle Eiicher, die wir nur lesen konnten, iiber Tarot und das
I Chirg und "72 und Zen und Närchen und Science Fiction und
außersinnliche Wahrnehmung, und eine ganze Bandbreite von Zeug,
das plétzlich so erschien, als ob es eine Kraft in sich trüge, die es zu-
vor nicht zu haben schien.
Vier Jahre lehrte Gaskin, manchmal vor bis zu 2000 Zuhórern,
zwischen Berkeley und dem Haight Ashbury District in San
Francisco seine Philosophie, in der die Gewaltlosigkeit eine
ebenso große Rolle spielte wie religióser Synkretismus, Bewuft-
seinserweiterung über Drogen und Meditation und die Suche
nach neuen Formen menschlichen Zusammenlebens, die denen
der gierigsten Menschen (L*2 Amerikaner sind die gierigsten Men-
schen in der Welt. Sechs Prozent d:r Weltbevölkerung verbrauchen
zweiunddreißig Prozent der natürlichen Ressourcen der Welt. Das ist
Habgicr) entgegengesetzt sind. -
Im Oktober 1970; als die Hippie-Bewegung schon weitgehend
zerschlagen war, sich aufgelöst oder sich mit der neuen Linken zu
einer alternativen gewaltfreien Politik verbunden hatte, startete
Stephen Gaskin seine legendäre Hippiekarawane als Vortrags-
reise durch Amerika. Die zu Wohnmobilen umgebastelten Schul-
busse, es sollen zum Schluß 63 gewesen sein, waren die ersten
Wohnheime auch auf der Farm, und einige von ihnen blieben -
Werkstátten und Erinnerung - auf dem Gelände.
Zurückgekehrt von der monatelangen Tour durch die Staaten,
beschlossen sie, weiterhin zusammenzubleiben, ein gesellschaft-
liches Gegenmodell aufzubauen: Als wir nach Can Francisco zu-
rückkamen, waren wir etwas Neues geworden — und wir waren nicht
mehr «e gleichen wie zuvor, und wir konnten nicht einfach mit dem,
was wir hatten, aufhóren, denn wir waren durch unzcr Asammen-
arbei:ca eine Comcinde geworden, und wir wuften, d.38 wir in unse-
rer Zusammenarbeit Wesentliches erreichen kónnten. Am nàá. sten
"AS
Sonntag trafen wir uns, und ich sagte, „Leute, wir können uns nicht
einfach so trennen, weil wir eins geworden sind. Wir sind etwas. Wir
haben so viel Karma geteilt, und so viele bedeutende Sachen sind
abgelaufe“, und wir haben viel bedeutendere Sachen getan, als wir
je ges”! L3tten, dB wir sie miteinander tun könnten“ ... Ich
sagte, ,,Lafit uns nach Tennessee ziehen und eine Farm erwerben“,
und jeder entdeckte es. Wir packten alle Busse und fuhren am glei-
chen Nachmittag ab nach Tennessee.
Zunächst auf geliehenem Land, ab Mai 1971 auf einer 1750
Morgen großen erworbenen Farm starteten ca. 250 Menschen
ihre Kommune. Zur Zeit meines Aufenthaltes 1982 hatte sie wohl
mit über tausend Bewohnern ihre größte Kapazität erreicht, der
Umbruch aus einer neuen Generation kündigte sich bereits an.
1987 lebten, die Hälfte davon Kinder, nur noch 300 Menschen
auf der Farm. Stephen Gaskin sprach vom Gesundschrumpfen,
plädierte auch für die kleineren, ruhigeren Gemeinschaften, die
lernen, selbständig zu sein und sich weiter zu entwickeln; sie lernen,
wie man andere Menschen in der Welt erreichen kann.
Trotzdem spricht aus Gaskins Worten auch Resignation, wenn
er hinsichtlich der Privatisierung der ursprünglich ausschließlich
kollektiven wirtschaftlichen Basis sagt: Das hat schließlich die
ganz: ''ac'genheit hier umgedreht. Anstatt daf die Leute arbeite-
ten, C... : vz: dienten, dieses ins Kollektiv zahlten, das sich wiederum
um je.1z.: Zzreerte, zckize auf einmal jeder Steuern an die Farm,
anstatt z.,2 e Farm für den einzelnen sorgte. Viele dachten, wenn
sie schon C... z:./ten, warum sollten sie «ann nicht in die Stadt zie-
hen mit “0 und Pizzeria um die Ecke. So gingen einige weg, was
hier jeJer versteh:. — Man ist sich vielleicht selbst klar darüber, war-
um man e.a €facaes Leben führt. Aber wie soll man das den Kin-
dern vermitteln. — Kinder haben keine Veranlassung dazu, es sei
denn, si: haben eine unglaublich perfekte Erziehung, was ein Ideal
wáre in der Wirklichkeit.
Die Farm war seit ihrem Beginn auf Selbstversorgung und eine
eigene Infrastruktur orientiert: von der eigenen Landwirtschaft,
dem Ausgangsprojekt, und Verarbeitungsstátten der Produkte bis
zur Schule, medizinische Versorgung, Druckerei und Verlag, Au-
towerkstatt. Wäscherei und Läden. Gleichzeitig wurden Ver-
kaufsprodukte entwickelt, die durchaus im Rahmen der moder-
nen Entwicklung einer sanften Technologie anzusiedeln sind
749
(allerdings häufig der industriellen Konkurrenz nicht gewachsen
waren): Solaranlagen, Geigerzähler, Parabolantennen.
Der Computer spielt als Kommunikations- und Koordina-
tionsmedium im Netzwerk ihrer Außenstellen, die alle der Ent-
wicklungshilfe gewidmet sind und vor allem über private Spen-
den finanziert werden, eine große Rolle. Sie laufen als Plenty-
Projekte über die ganze Welt: von Hausbau- und Wasserprojek-
ten, Ernährungs- und Kinderbetreuungsprojekten in Guatemala,
Strahlenopferhilfe im Südpazifik, Wind- und Sonnenenergieein-
satz und Schaffung von Radiostationen in den indianischen Re-
servaten bis zum Erste-Hilfe-Projekt im Slum der amerikani-
schen Großstadt. Plenty arbeitet mit Farmbewohnern und frei-
willigen Helfern. Zentrales Argument für diese materiellen Hilfs-
programme aber ist mit den Worten Gaskins aus den 70ern die
spirituelle Grundidee des Bodhisattva / Heiland-Prinzips: Ich ver-
suche euch zu erzählen, was ich tue, warum ich es Überhaupt tue,
und übr* ei: Ebene des Bewußtseins. Meine Pewußtseinsebene,
wenn ich nick: heunruhigt bin, ist wie die eines Säuglings, und ich
mag es so. 1:^ li.5e es, mit dcn gerade geborcnen Lakies zusammen-
zusein, weil ich mich ihren Schwingung-: kingebea kann und tiefen
Friec. - fien. Und i:5 kann dzs auch allein tun. Ich gehe nur hin-
aus in 27? Wer unc sitze, oder ich kann einen Joint rauchen — ich
kann in einer ganzen Vielfalt von Möglichkeiten zu diesem friedvol-
len Platz ge'angza. Aber wann auch immer ich zz: ":iesem friedvollen
Platz gc^z uz friedve!l werde, merke ich, daß ih az/brczhen und
wieder zuri, cen und nich wieder um mcine Pflichten kümmern
muß, denn es gibt so vis! 17. as-'; en, die noch immer Hilfe brauchen
— und so kann ich rch nicht ruben.
Diese Worte Caskins führen uns auf eine weitere Ebene eth-
nographischer Beschreibung, die die Bedeutung des Han-
delns und Denkens für eine kulturelle Gesamtgestaltung zu
verstehen versucht. Was hält die Details zusammen, was ist
die übergreifende Sinngebung, was das Kulturideal? Wie
interpzctieren diejenigen, die wir verstehen wollen, selbst
ihre Weltsicht?
Die Grundidee der Farm ist die der Materialitàt übergeordnete
Spiritualitát, die sich synkretistisch bedient. Die Farm-People
orientieren sich vor allem am Zen-Buddhismus, wie er über
Schunryu Suzuki-roshi, den Begründer des Zen-Zentrums Green
WP
Gulch bei San Francisco, über Alan Watts, der in den 50er Jahren
in San Francisco lehrte, und die Aneignung der Beat-Generation
in Amerika verbreitet wurde. Neben Zen spielte der tantrische
Einschlag des buddhistischen Diamant-Fahrzeugs (Vadschray-
ana) für das Ringen um ein neues Sexualgefühl eine große Rolle,
ebenso das Große Fahrzeug (Mahayana) insbesondere mit seinem
aktiven weltzugewandten Bodhisattva-Ideal, mit dem das Hei-
land-Prinzip des Christentums verbunden werden konnte. Das
frühere Interesse für okkulte Weissagungspraktiken und psycho-
dele Erfahrungen ist der ‘Energie-Sprache’ des Farm-Alltags ge-
wichen.
In seiner Darstellung der ersten Zeit und ihres Aufbaus der all-
täglichen Zusammenarbeit schreibt Gaskin: Wir sind spirituell,
und dzs bedeutet, dafl wir daran glauben, daf) alles, was sich ereig-
net, sicà von eincz spirituellen Ebene zu der materiellen Ebene be-
we“‘ V/enn du die materielle Ebene beeinflussen willst, mußt du
von e...2m spiituellen Platz her beginnen ... Ich glaube nicht an zu
viel relg Coes 2. .5chér. Ich glaube, fiir das Verstindnis der Lebens-
energien ist am wesentlichsten zu erkennen, daß du sie mit deinem
Geist ! wegen kannst — und dafi du keine Tarotkarten brauchst ...
Ich glaube nicht, daft man eine spirituelle Initiation für fünfunddrei-
Big D'ar erwerben kann, und ich glaube, da,3 jeder Lehrer, der
Geld v. st, ein Petrüger ist, denn spirituelle Lehre ist frei oder sie
ist nicht wii... Und ich lasse meine Finger von Handlesen oder
Astrologie oder dem I Ching ocer irgendeinem C'rakel oder Weissa-
gungca, cenn kcmplizierte magische Systeme haben nichts anderes
mit &-r svirituelen Ebene zu tun, als dich daran zu erinnern, dafi
diese Loene da ist. Diese Ebene existiert unabhángig, und wenn du
guten V, lens bist und Gott und deinen Nachbarn wie dich selbst
liebst, kannst du die spirituelle Ebene bewohnen.
Dieses ‘Bewohnen’ aber fährt zu dem Kern einer Alltagsphilo-
sophie, die eine All-Tage-Lehre für eine neue menschliche Kom-
munitàt darstellt, die die spirituelle und materielle Existenz im
Hier und Heute umfaßt. Sie geht aus von einer spezifischen Auf-
fassuns des Yoga, so daf wir von einem Alltagsprinzip Yoga
sprechen kànnen. Dieses Prinzip allerdings durchbricht sowohl
die klassischen óstlichen Yoga-Lehren als auch ihre westliche
Therapie-Verdünnung. Verbinden wir einerseits mit Yoga jene
Praxis zur Erreichung der Leere oder des Seins ohne Lebens-
751
durst, die im klassischen Yoga des Pantanjali über acht Stufen er-
reicht wird und zur Auslöschung des Individualitätsbewußtseins
führt, in dem die unterschiedlose Alleinheit des Absoluten reali-
siert ist, so tritt uns andererseits Yoga als therapeutisches Mittel
zur Selbstfindung und zum persónlichen Glück im Hier und Heute
des westlichen Menschen gegenüber. Auf beiden Seiten steht der
meditative Ausstieg des Individuums aus dem Alltüglichen und
Kommunitären im Zentrum.
Zen konzentriert sich dagegen in der Auslegung Gaskins auf
die Interaktion mit der Welt: Im Zen, so sagen sie; sollst du lernen,
mit dcr W.it in Wechselwirkung zu stehen, ansta:t sie zu verlassen.
Nimm €: Un:he auf dich, denn auch sie ist Buddha. Und an an-
derer Stelle F2ißt es in einem poetischen Bild: Manchmal, wenn
cor nd wo fihle ich ihn durch uns wehen als ob wir ein Wrizen-
feld w“ 2. X kann den Wind ia unser al-r Haaren fühlen und ich
weiß, daß wir ia Wirklichkeit nicht verschieden sind von der "izen
coo Dor Wiad west und unsere Zeiten vergehen ebenso wie d'e Wei-
zenze:t. Wir t&ten gut daran zu wirken, solange wir reif sind, ehe un-
sere Zcit vorüber ist.
Dieses Tun aber ist Yoga als Lebensstil und Energiesprache, die
sich auch in einer physischen Welt vermittelt. Diese Energiespra-
che unterscheidet Gaskin strikt vom Farm-Jargon, den man be-
nutzt, weil er eben edel klingt: Da kamen *'zasc'en und sprachen
im Farm-Jargon Paragraphen zu mir, daß ich nicht mehr verstand,
als von einer freziden Sprache, die ich nie gclernt hatte ... Die
Energiesprache ais Yoga dagegen ist kein Jargon, sondern ein
Tun, kein spezialisierter Trip, sondern das Ganze als sozialer
Sahana, als Yoga einer wirklichen Gemeinschaft.
Die Begriffe Haushalt, Familie, Gegenseitigkeit, Füreinander-
Sorgen sind zentral. In einer Predigt über Theorie und Praxis ver-
gleicht er die Farm mit einer künstlichen Treibhaus-Gemeinde, in
der die Gegenseitigkeit des natürlichen Drfes freiwillig über-
nommen werden muB. Und er beruft sich dabei auf den Synergie-
Begriff von Buckminister Fuller: ... er bedeutet, dafl aus dem z..:-
sammenfügen eines Bündels von Bestandteilen neue Vorzüge und
neue Energiequellen als Resultat dieser Mischung hervorgehen,
die nicht vorhergesagt werden k3nnen.
Aber, und das durchzieht alle Gedankengünge, der Energie-
austausch ist kein Ritual für außergewöhnliche Zeiten, sondern
‘5?
eine Praxis des Alltags, die über die Grenzen von Sprachen und
Nationalitäten, also auch über kulturell spezifische Manifestatio-
nen hinaus, Humanität bedeutet, Energie auch nicht zur Wohl-
fahrt macht, sondern sie als Pflichten und Rechte jedes Mitglieds
in einen Haushalt des Lebens einbringt. So setzt er mit einem Bei-
spiel aus der westlichen Übernahme der Energieübertragung im
ekstatischen Sufi-Tanz des Pir Vilayat Khan — und das ist ausge-
zeichnet, wenn du in einer Stadt lebst ... er macht mich high —
dieses Ritual vom Farmalltag ab: Hier tun wir es notwendigerweise
nicht in einem Rundtanz, wir tun es, indem wir unser Leben auf
dieser Farm tanzen.
Damit wird die gesamte Lebensführung Yoga, Energieaus-
tausch: von der stillen Meditation über Arbeit und gemeinsame
Feste, Heilen und Geburtshilfe bis zu Liebe und dem Gespräch
mit dem Nachbarn. Es ist das Sorgen füreinander. Auch Arbeit
wird zzr me:zrialisierten Form von Liebe, und das heißt wieder zur
Iransformation von Energie. Arbeit bedeutet über die materielle
Existenzsicherung hinaus eine symbolische Orientierung im
Sinne der Ressourcenwandlung für neue Energien; Landwirt-
schaft und Handwerk sollen diesen Anspruch ebenso erfüllen
wie die Errrobung technologischer Alternativen. Die gebaute
Umwe.t wir:! Ausdruck dieser Handlungsentwürfe und -vollzüge.
Das Material ist Recycling: nicht nur Armut spiegelt sich darin
wider, sondern auch die Erhóhung der Armut zum Glaubensbe-
kenntnis. Selbstversorgung, Alternativen für die Umwelt und das
Energieprinzip Arbeit ist Yoga erfordern nicht nur jene breite
Streuung von Arbeitsanlagen, sondern auch eine weitgehende
Durchlässigkeit gegenüber Spezialisierung, die Idee der Freiwil-
ligkeit und der Arbeit für den anderen. Deshalb verteilte man in
der Farm auch nicht, wie in anderen Kommunen, die sogenann-
ten Kreditkarten für geleistete Arbeitsstunden.
Das Prinzip Heilen und die Zuwendung zum Leben als Energie-
austausch. verwirklicht insbesondere in der spirituellen Geburts-
hilfe, ließ die Farm-People nicht nur eine eigene Klinik bauen, son-
dern auch Geburtszimmer in den Haushaltswohnungen einrich-
ten, in denen auch vorübergehend mitwohnende Fremde für die
Geburt aufgenommen wurden. Die aus der Weltsicht des Energie-
austauschs alles Lebendigen erwachsene Ablehnung der Schwan-
gerschaftsunterbrechung führte nicht nur zu Predigten, sondern zu
251
sozialen Konsequenzen. Die Farm bot schwangeren Frauen vor
und nach der Geburt einen sozialen Sicherheitsraum, sie konnten
danach ihre Kinder mitnehmen oder bis zu einem späteren Zeit-
punkt auch dort lassen, ohne sie ganz zu verlieren.
Liebe ist Yoga als tantrisches Prinzip des Energieaustauschs
gilt allen Menschen, basiert aber auf der direkten Zuwendung
zwischen zwei Energietrágern. Das Paar (Mann und Frau, Mut-
ter/ Vater und Kind) sind die sich ergánzenden Pole. Die Kleinfa-
milie wird damit zum zentralen Kern des sozialen Modells, das
sich in konzentrischen Kreisen über die Haushaltsfamilie zur
Farmgemeinschaft erweitert. Kleinfamilie und Einzelpersonen,
je mit einem eigenen Raum, schließen sich in einer Haushaltsfa-
milie mit einem eigenen gebauten Haus zusammen. Die größe-
re Cemeinschaft findet sich in der (vorrangig rotierenden)
Arbeit; in der Church zu Meditation und Gottesdienst, wofür
die Meditationshalle, die früher ein bewaldeter Hügel war, ge-
baut wurde; bei gemeinsamen Festen des Jahres- und Lebens-
zyklus.
Dieses soziale Modell baute auf der kommunalen Idee des Ge-
meinschaftsbesitzes und der Rechte- und Pflichten-Teilung auf.
Persönliches Vorwärtskommen ist in einer Gesellschaft mit ge-
meinsamem Eigentum und gemeinsamer Arbeit ohne Wert. Und
indem die Rolle des Familienversorgers in der Kleinstfamilie auf-
gehoben wird, der Haushalt mehrere Familien und Einzelperso-
nen umfaßt, Kinder nicht als Besitz der Frau angesehen werden,
verliert auch die ökonomische und soziale Rolle des männlichen
Familienoberhaupts ihre funktionale und kompensatorische
Bedeutung. Damit wird das bürgerliche Familienideal fragwür-
dig gemacht, obgleich die Arbeitsteilung zwischen Männern und
Frauen weitgehend durchaus traditionell ist. Das gedanklich Ent-
scheidende aber dürfte die Bewertungsfrage sein. Wenn Arbeit
nicht Selbstverwirklichung oder Geldverdienst für privates
Glück, sondern Energieaustausch in einer Kommunität ist, dann
trágt jede Arbeit den gleichen Wert für eben diese Gemeinschaft.
Die Gleichwertigkeit erkennt die Ungleichheit (und das betraf
auch die Arbeitsteilung mit alten oder behinderten Menschen
und mit Kindern) an.
Arbeit als materialisierte Form von Liebe und die Idee des Wir
sind alle eins muB in der Auffassung Gaskins schlieflich über die
154
Grenzen der Haushaltsfamilie in Welt hineinwirken. Sein Ideal
war der Multiplikationseffekt des Vorbilds für neue freiwillig-
notwendige moralische Kommunitáten. Aber darüber hinaus
jene praktische Entwicklungsarbeit, die als Hilfe zur Selbsthilfe
angelegt ist. Und Gaskin bringt in einer Sonntagspredigt Rechter
Lebensinhalt die Notwendigkeit des veránderten Energieaus-
tauschs in einer gewandelten Welt über das Beispiel des betteln-
den Buddha: So dünn besiedelt, wie die Welt in jenen Tagen war,
und ohne Medien, wie wir sie jetzt kennen — wurde sein Wort ... von
Mund z:: Mund, von Person zu Person verbreitet ... Nennt es Shakti,
was e= Latte, ein unglaublicher Bestand an Shakti — so viel, daf er es
nôtig fand, un sein Essen zu betteln. Aber er lehrte nicht, um eine
714522 von Menschen zu schaffen, die für ihre Nahrung betteln sollte
— dzs war nicht seine Absicht. Er dachte, weil er solch eine gewaltige
F-—^ batte, wäre es gut, wenn er sich erdet und jeden Tag hinausge-
he: ue um seine Nahrung betteln würde, um mit der realen Welt in
Ve--i-dung zu stehen. — Aber wir leben jetzt in einer anderen Welt.
Und die Frage, wieviele Menschen kann die Welt noch unterhalten,
ist aufgekommen ... Und deshalb ist die Frage nach dem rechten
Lebensunterhalt mehr als eine persónliche Frage. Sie wird zur Frage
nach dcr Verantwortlichkeit für unsere Nächsten. Und er erläutert
diese Vcrantwortlichkeit über eine Karma-Industrie : Well, wenn es
gut is‘, Nahrung wachsen zu lassen, muß es auch gut sein, sie auszu-
tauschen, sie zu verbreiten und zu den Menschen hinaus zu bringen.
Dies sind verwendte gute Karma-Industrien ... Und hinter und
über diesem steht die spirituelle Botschaft: Es ist nicht das Lied,
das du siigst; es ist nicht der Name, mit dem du Gott benennst: es
ist, wie du leb:t. Und es ist eine Lehre, wie man leben soll.
SchlieBlich verlassen wir als Anthropologen in unserer ver-
steherden Textualisierung auch die Ebene einer Interpreta-
tion, die sich an der Eigeninterpretation der Untersuchten
festhált, hier der Interpretation des Lebens als Energiespra-
che in einer gedachten, erzáhlten und zum Leben gebrachten
besonderen Ordnung. Wir versuchen nun, das Besondere vor
dem Hintergrund des historisch und transhistorisch Allge-
meinen zu verstehen, und gleichzeitig versuchen wir manch-
mal als Anthropologen, dieses Besondere in seinem Hinweis-
charakter auf ein mógliches Allgemeines zu interpretieren.
Dieser vorläufige Abschluf) einer verstehenden Interpreta-
25^
tion ist immer derjenige des Autors selbst im Spannungsfeld
zwischen gespeicherten Erfahrungen aus dem Vorhandenen
und Erwartungen an das Mögliche. Und das Mögliche ist alle-
mal ein Aufbruch in Utopia als einer besseren Welt.
Der immer wieder erneute Aufbruch in die Welt ist ein so inte-
grierter Bestandteil der Farm-Lehre, daB wir ihn zum Ausgang
einer weiteren Interpretationsebene machen wollen, die versucht,
die hier zunáchst aus sich heraus erfahrene Welt der Farm in den
Kontext einer spirituellen westlichen Bewegung und ihren Anlei-
hen einzuordnen und ihren utopischen Wert als Vorbild einzu-
schátzen.
Am Anfang meiner Überlegungen steht der Ochsenpfad«, der
zu den klassischen Darstellungen des Zenweges durch den Zen-
meister Kuo-an Shih-yüan (Kakuan Shien) aus dem 12. Jahrhun-
dert gehôrt. Ich gebe ihn in der Interpretation von Hans Walden-
fels wieder:
Am Anfang steht die Situation, in der sich der Mensch vorfindet:
eine *'*uction der Entfremdung, der Nicht-1222titát ds Menschen
mil sic^ scibst, budchistisch gesprochen: des Leidens, das aber in je-
der geschichtlichen Etunde über die immer wiederkehrenden Formen
mensc!!".-< Nichtverwirklichurz hinaus seine konkrete Ausprä-
gung €: ält. Der Mensch muß sich felglich auf den W-g machen, um
den Ochsen zu suchen und zu finden. Die Etappen des Weges sind
gekennzeichnet durch das Erblicken der Spuren und des Cchsen
se:2st, durch das Einfangen und Z:hmen des Ochsen, um mit ihm
heimzukehren. Der Weg auf dem Rücken des gezühmtea Cchsen
endet im Vergessen des Ochsen, schließlich bei der achten Station im
Vergessen von Ochsen und Hirten, in jener Lezre, wo weder Ochse
noch Hirte záhlen, sondern nur noch die unscgbare Cfenheit und
Fülle, Einheit und Kommunikation, dargeste!t in dcr. Pilircihe
durch einen großen leercn, lichten, sonnengleichen Kreis. Doch das
achte Pd ist nicht das letzte. Auch in der Erfahrung &:r Lcz:o ist
der Mensch nicht aus der Welt ausgestiegen; cr ist in dcr V. t, auch
wenn er «43 Verdergründige in der Krzjt &:s Hintergrünzi;en be-
greift und den Marktplatz dcr Vitgzsckichte als Sehend'er betrit",
mit c ^-nen, lcerca Hánden: , Ohne C.heimnis und Wunder zu mü-
he, i72 cr jáh die dürren Büume erblühen.* Zr Wz2 endet nicht in
VW. ..osizkeit, sondern in offener Ceschichtlichkeit, nicht im Verlust
ven Ich und Selbst, sondern in selbstloser, Hilfe schenkender Kom-
'56
munikation. Auch die Erleuchtung des Zenweges endet im Bodhi-
sattvawer.
Zentral wird die Strophe des »Ochsenpfades<:
Mit entblüfiter Brust und nackten Füßen
kommt er herein auf den Markt.
Das Cesicht mit Erde beschmiert,
den Kozf mit Asche über und über bestreut.
Seine V:ngen überstrómt von máchtigem Lachen.
Ohne Geheimnis und Wunder zu mühen,
läßt er jäh die dürren Bäume erblühen.
Waldenfels zitiert die Interpretation des japanischen Zenmei-
sters Ctsu über den heiligen Narren (. .. wandct er ... in der staubi-
gen V^ * ursher wie ein Narr. Er wirft sich willig in das qualvolle,
wegen... Meer der ewigen Seelenwanderung und rettet die darin
I” sunkenen ...), cz weist auf das Herausspringen aus dem großen
Nein in das grofe Ja und sagt: Der Erleuchtete erreicht damit jene
Weise ,lczr gcwordener Leere", in der d'esc sich selbstlos-mitleidend
mitte: und so die Erkenntnis zum M':tleid wird.
Und es folgt mit Ueda die Frage, ob sich - hier im gegenwärti-
gen J.pzn - die buddhistische Ununterschiedenheit nicht ver-
kehrt habe: ... verkehrt sich das ursprüngliche Un-Unterscheiden,
das Selbst selbstlos nicht vom Anderen zu unterscheiden, zum Un-
Unterscheiden, das Andere selbstisch nicht vom Selbst zu unterschei-
den. Sozialpsychologisch ist es die Verkehrung in jenen Narzib-
mus, wie ihn Sennett als Sozialcharakter der modernen westli-
chen Gesellschaften beschreibt: Die Auslóschung der Grenze zwi-
schen dem S.'»st und em Anderen bedeutet, dafj dem Selbst nie et-
was Neues, ‘Anderes’ begegnen kann. Dieses wird verschlungen und
so lange umg2formt, bis sich das Selbst darin wiedererkennt — damit
aber wird das Andere oder der Andere bedeutungslos.
Diese narziBtische Einverleibung des Anderen der fremden
Kulturen, einschließlich Gottes, in ein góttliches Selbst - der
Gott, der sich aus dem Spiegel entgegensieht — ist uns als Kenn-
zeichen neuer Spiritualität im Manifest der Person immer wieder
begegnet - als ein egoistisches und narziftisches Ja, bei dem die
Katastrophen schon geschehen sind.
Man kehrt nicht als Narr auf den Markt der Welt zurück, um
dürre Bäume erblühen zu lassen, sondern man läßt die Narren
257
auf dem Marktplatz, dem Platz der materiellen Entscheidungen
und Mißstände zurück - und kauft sich auf einem anderen Markt
Selbstfindung, die sich in Heimwelt einrichten kann. Selbstloses
Un-Unterscheiden als Tätigwerden gegenüber dem Anderen
steht ebensowenig im Zentrum der Gedanken der ‘sanften Ver-
schwôrer’ wie die ‘Narrheit’ lachender Besitzlosigkeit.
Haben nun die Farm-People, die hier als ein Beispiel der ande-
ren Seite einer spirituellen Okologie stehen, den zen-buddhisti-
schen Ochsenpfad in einer für diese Welt wirkenden Weise be-
schritten? ‘Wir sind alle eins’ zur Zuwendung selbstlosen Un-
Unterscheidens in einem lebensfáhigen Modell gemacht? Utopi-
schen Vorschein des Móglichen geschaffen?
Ich greife aus der Argumentation meiner verschiedenen Ebe-
nen der Erfahrung drei Begriffe noch einmal auf: Aufbruch,
Energiesprache, Collage.
Der Aufbruch hat sowohl eine physische als auch psychische,
eine materielle und spirituelle Dimension, hat Vergangenheits-,
Gegenwarts- und Zukunftsbezug, ist historisch zu verorten als
Idee und Handlung und lebt aus der Forderung, ein Noch-Nicht
kulturell zu verwirklichen.
Aufbruch war mit der Beat- und Hippie-Generation die Ab-
sage an die eigene Konsumgesellschaft, Protest und Provokation
gegen den kapitalistischen Materialismus, gegen technologische
Zivilisation und angepaßte bürgerliche Moral, gegen die Zwänge
rationalen. Fortschrittsdenkens und gegen entfremdetes Leben.
Aufbruch war die Suche nach alternativen Lebensformen in
fremden Kulturen, wobei der Blick sich vorrangig ‘gen Osten’
und in ‘Positionen jenseits’ (Roszak) wandte, zu denen auch der
Aufbruch über psychedelische Erfahrung gehörte.
Aufbruch war die ‘Rucksackrevolution’, wie sie in der Beat-
Generation unter Berufung auf Walt Whitman als Weg der irren
Zen Barden von Kerouac gepriesen wurde und in der Hippie-Ge-
neration zur Gründung zahlreicher Landkommunen als Orte des
Rückzugs aus der Gesellschaft führte.
Aufbruch war die Schaffung einer ‘Narrenkleidung’ als Ge-
genbilu.
Aufbruch war das Zurückgehen auf den Markt der Welt, um
über Musik und Worte eine neue Botschaft zu verkünden.
Bis hierhin unterscheidet sich der Aufbruch der Farm-People
NR
nur graduell von der Jugendrevolte ihrer Zeit und ihres Raums.
Und alle hier aufgeführten Momente drückten sich auch noch im
Farm-Leben der 80er Jahre aus. Hinzugekommen aber war ein
neuer Aufbruch, der die Grenzen und Freiheiten verlängerter
Adoleszenz in temporär-provokativem Ausstieg sprengte. Es war
ein Aufbruch vom nur lachenden Narrentanz zum Bodhisattva-
weg, der‘ die materielle Ebene des Lebens einbeziehen mußte.
Dieser Aufbruch führte über Musik und Worte hinaus zur
Arbeit und Mitarbeit auf einer materiellen Ebene in den Räumen
der Armut des eigenen Landes und fremder Länder.
Dieser Aufbruch führte aber auch zu einer notwendigen Heim-
kehr, zur Arbeit an und in einem eigenen Haushalt des Lebens.
Hilfe zu geben bedeutet zunáchst, sich selbst helfen zu kónnen,
einen Ort des Vertrauens, der materiellen und sozialen und idea-
tionalen Sicherheit für sich selbst und seine Gemeinschaft aufzu-
bauen, eine mündige, eine reife Gesellschaft zu werden, nicht for-
dernd, sondern schaffend und gebend, kurz, um es mit Lefébvres
kulturrevolutionàrer Forderung auszudrücken: Werk zu werden:
Tätigkeit einer Gruppe, die ihre Rolle und ihr gesellschaftliches
Schicksal in die Hand und Pflege nimmt, mit anderen Worten
Selbstverwaltun;;.
Diese Tätigkeit einer Gruppe sollte bei der Farm als Yoga oder
Energiesprache den Alltag durchziehen. Das bedeutet zweierlei:
Über das Prinzip Yoga wurde jede Tätigkeit als interdependentes
Element in einen Yoga als Lebensstil eingeordnet, und das heißt,
daß den alltäglichen Handlungen wieder der übergreifende, auf
ein Ganzes bezogene Sinn gegeben werden sollte. Die Energie-
sprache aber orientierte sich am alten Prinzip des Austauschs, der
Gegenseitigkeit, der Sorge füreinander in einem Oikos, in einem
Haushalt des Lebens. Wenn Gaskin sagte, jeder kann ein Bodhi-
sattva sein, dann wollte er damit nicht nur das Guru-Prinzip ab-
bauen, sondern auch die Ungleichheit zwischen Gebenden und
Nehmenden. Die Forderung war allerdings nicht Gleichheit, son-
dern Gleichwertigkeit der verschiedenen Energien. Und nur so
ist ein Haushalt des Lebens, der die Generationen, die Ge:
schlechter, die Gesunden und Kranken umfaßt, möglich.
Allerdings zeigt auch die Entwicklung der Farm, daß das klö-
sterliche Modell, selbst wenn es so lebenszugewandt ist, in einer
umgebenden Welt von staatlicher Kontrolle und Wohlfahrt, Kon-
759
sum, Privatisierung und individualistischen Glücksversprechun-
gen, sich kaum zu halten vermag. Das ‘Gesundschrumpfen’ ist
weder der klösterlich-spirituelle Weg der Gründung neuer Zellen
noch der weltliche Weg der Polis zur Gründung von in einem
Netzwerk verbundenen ‘Kolonien’. Ist der Weg in die Zukunft of-
fen oder verschlossen? Führt er in dieser Kommune zur allmähli-
chen Assimilation an die bestehende Gesellschaft oder wird er
Bestandteil eines Diskurses, in dem sich Extreme aufeinander zu-
bewegen, kritisch und selbstkritisch De-Collage betrieben wird,
um zu einer neuen Collage vorzustoßen?
Wir hatten der gekonnten Collage verschiedene Stufen zuge-
ordnet. Die erste war die De-Collage oder die Destruktion und
Ironisierung verfestigter kultureller Selbstverstündlichkeiten.
Diese De-Collage haben die Farm-People im Rahmen ihrer
Gegenkultur an der *habgierigen' amerikanischen Gesellschaft —
und darüber hinaus an der westlichen Gesellschaft - vorgenom-
men.
Der náchste Schritt war der Aufweis und die Gegenüberstel-
lung anderer Móglichkeiten. Auch dieser ist vollzogen worden:
Spiritualitát gegen Materialismus, Religionen und Philosophien
anderer Kulturen, Vegetarismus gegen eine 'fleischfressende' Na-
tion, Drogen zur BewuBtseinserweiterung, ‘natiirliche’ Kleidung,
Haushaltsfamilien statt Fleinfamilien, eine andere Sexualität,
natürliche Geburt, Rückkehr in den Primärsektor der Selbstver-
sorgung, sanfte Technologien, Arbeit als Tun für den anderen, die
Gemeinschaft, Wiederfinden des Gesprächs in einer verstumm-
ten Gesellschaft.
Schließlich die Stufe der Schöpfung eines kulturell Neuen aus
den verschiedenen Realitäten über den Funken Poesie in einer
gekonnten Collage. Ich habe diesen Funken Poesie aus meiner
Erfahrung des Farmalitags darzustellen versucht, eben als eine
Neuschöpfung, die nicht nur Disparates zusammenfügt, sondern
zu einem neuen Sinnganzen führt, einem gemeinsamen Lebens-
plan, in dem sich der Einzelne als definiertes Ich in einer Grup-
penidentität wiederfinden kann.
Der menschliche Clown zwischen Himmel und Erde beim Re-
genbogen auf dem Recyclinggebáude, mit dem ich meine Refle-
xionen begonnen habe, drückt er nicht auch jene Stufe des Och-
senpfades aus, wo der lachende Narr als weltoffener Bodhisattva
260
ohne Geheimnis und Wunder zu mühen, jäh die dürren Bäume erblü-
hen läßt?
Warum, könnte man jetzt fragen, wenn ich zum Ausgangspunkt
meiner Reflexionen, zum ‘ersten Blick’ zurückkehre, habe ich die
verschiedenen Ebenen der Erfahrung aufgeführt? Als neues in-
tellektuelles Spiel des Anthropologen? Das nicht, sondern ich
wollte an einem Beispiel, und sicher macht man das lieber an
einem positiv besetzten Beispiel, den Prozeß des Verstehens ver-
deutlichen, der einer Interpretation zugrunde liegt. Dieser Prozeß
führte von einer Vorerfahrung zu einem ersten Blick, zur Hinter-
fragung dieses ersten Blicks in einer Gegenüberstellung mit der
Kritik, hier des Jargons der Eigentlichkeit von Adorno, von dort
zur Frage, ob ich einen Text ohne seinen Kontext des gelebten
Alltags verstehen kann. Gelebter Alltag aber wird aus Anschau-
ung und Gesprächen in der primären Interaktion erfahren. Das
Feldtagebuch ist die Ebene des direkten Niederschlags dieser
subjektiven Erfahrung. Für die Überprüfung der eigenen Subjek-
tivität und der nicht — noch nicht - verstandenen Fakten und
Ideen einer fremden Lebenswelt dient der Versuch einer histori-
schen Einordnung, die das singulár Erlebte aus dem Kontext der
historischen Zeiterscheinungen einerseits und der spezifischen
historischen Entwicklung des untersuchten Phánomens anderer-
seits zu verstehen versucht. Hier werden die Texte der anderen re-
levant: vom Interpreten der Zeitgeschichte bis zur oral history der
Akteure. Um den Sinn ihres faktischen Handelns zu verstehen,
bedarf es aber einer weiteren Ebene, in der die Betroffenen selbst
den Sinn ihres Handelns interpretieren, die gedachte Ordnung
hinter der gelebten Ordnung aufzuweisen versuchen. Diese Ebene
bedeutet den Versuch, hórend und lesend, ein fremdes Weltbild
zu erfahren und vielleicht zu verstehen.
Dieses Verstehen kann bedeuten: ich habe es verstanden, mit
meinem Verstand erfaßt, und kann es als einmaliges historisches
Phänomen beschreiben. Wenn die Intentionen der Anthropolo-
gen darüber hinausgehen und auf eine verallgemeinernde Per-
spektive zielen, versuchen sie, das zunächst einmalige Phänomen
zu vergleichen und zu fragen, welche Chance menschenmöglichen
Verhaltens (Mühlmann) ist hier aufgegriffen worden und warum,
wo kann ich die Phänomene verorten. Wenn Verstehen aber über
Verstandenhaben zum Verständnishaben geht, wird es parteilich,
261
überschreitet die Grenzen neutraler Wissenschaftlichkeit. Der ge-
meinte Sinn der anderen ist dann entweder auch mein gemeinter
Sinn, oder er ist es nicht. Wo aber gewinnt der Anthronologe
diesen gemeinten Sinn her? Seine eigene Einbildung (als einge-
prägtes Bild) und sein wissenschaftliches Selbstverständnis füh-
ren ihn aus der kritisch-vergleichenden Perspektive über die Ana-
lyse des je Gegebenen, Kritik des Gegebenen und die Gegenüber-
stellung zum Aufweis menschlicherer Daseinsmóglichkeiten.
Was allerdings menschlicher ist, bildet eben die Grundlage
jenes gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Diskurses um die
Glücksmóglichkeiten des nicht festgelegten Wesens Mensch, in
den der Einzelne, sofern er überhaupt zugelassen wird, nur seine
eine einzige Stimme einbringen kann. Diese Stimme bleibt immer
subjektiv, von eigener Erfahrung und Hoffnung getónt. Aber
wenn diese Erfahrung sich um andere Erfahrungen bemüht hat,
wenn viele andere Stimmen áhnliche Erfahrungen und Hoffnun-
gen ausdrücken, dann kónnen sie vielleicht nicht mehr in ihrem
Forderungscharakter überhórt werden.
Die Kritik des von uns gelebten Lebens ist unüberhórbar, die
Sehnsucht nach Alternativen unübersehbar, die Móglichkeit zu
kulturell vielfáltigen Collagen ist gegeben und wird praktiziert.
Sie alle zielen tendenziell auf ein ganzheitlich erfahrbares Leben,
wobei die Gefahr, daf) 'Ganzheit' zum Jargon verkommt, sich in
elitäre Geheimgesellschaften flüchtet, Narzißmus bestätigt und
verstärkt, gesellschaftliche Verantwortung im ozeanischen Ce-
fühl auflöst, wohl deutlich geworden ist. Und damit verstärkt die
Ganzheit der einen die Marginalität der anderen.
Die Coliage der Farm hat die utopischen Schritte auf ein Mo-
dell gemacht, in dem Ganzheit das alltágliche Leben aller Mit-
glieder umfassen sollte. Und als ein solches Modell ist ihr ge-
meinter Sinn auch mein subjektiv gemeinter Sinn. Das muf sich
nicht auf die je gelebten Details erstrecken, das wird auch nicht
durch Scheitern in Frage gestellt: vielleicht müssen wir die phan-
tastischen Môg!ichkeiten der disparaten Nealititen tatsächlich
erst erkennen. Aber es muB sich immer wieder auf eine Identitäts-
arbeit erstrecken, die Sich-Erkennen, Erkannt- und Anerkannt-
werden in einem gemeinsamen Lebensplan ermöglicht. Das be-
deutet aber auch die immer wieder erneute Aufnahme neuer
Erfahrungen, die Kritik der je geschaffenen Ganzheit und die
262
De-Collage eigener erstarrter Strukturen. War, müssen wir dann
fragen, die Farm-Ideologie so erstarrt, daß die Kinder ausgezo-
gen sind? War Ganzheit nur noch ein Jargon, eine nostalgische
Renlik der Elterngeneration? Oder ist der Sog der bürokratisch
gelenkien Konsumgesellschaft und der scheinbaren Freiheit des
InZiv: ^uums so übermáchtig, daB Gegenentwürfe nicht lebensfá-
ie
263
11. ‚OFFENE GEDANKEN:
HOFFNUNG ODER VERKEHRTE WELT
Der Farm-Alltag als Idee, Modell und Realisierungsversuch
eines Neuen Zeitalters war für mich - trotz mancher Schwierig-
keiten der Annahme, abgesehen vom Scheitern oder nicht - als
Person, als Anthropologin und als Kritikerin des Molochs Mo-
derne Vorschein auf ein mógliches Noch-Nicht im Sinne von
Blochs Prinzip Hoffnung.
Dieses Noch-Nicht als gesellschaftlich Noch-Nicht-Bewuftes
vermag in Zukünftiges zu verweisen, ist Dämmerung nach vor-
wärts, hat utopische Funktion. Und Ernst Bloch hebt, ohne
diesen Begriff zu benutzen, das hervor, was ich eine gekonnte Col-
lage genannt habe: Und auch die Phantasievorstellungen sind hier
nicht solche, die sich aus Verhandenem lediglich zusammensetzen,
au“ ge Weise, sondern die Varhandenes in die zukünftigen Mög-
lichkeizen seines Andersseins, Besserseins antizipierend fortsetzen.
Wonac^: sich die so bestimmte Phantasie der utopischen Funktion
von L7 F'antasterei eben dadurch unter: z"cidct, dafi nur erstere
ein Noc.. Ni Lt-Zcin erwart^arer Art für sich hat, das heiflt, nicht in
einem Lzerlauf "Fz lichen herumspielt und abirrt, sondern ein real
Mógliches psychisch vorausnimmt.
Die Zeantwortung der im Verlaufe dieses Buches gestellten
Frage Aber braucht der Mensch dafür Engel? — also eine Kraft
auDerhalb der realen, diesseitig wirkenden und bewirkenden
menschlichen Existenz und Fähigkeit — fällt mir immer noch
schwer. Ich bin keine Theologin und auch keine Grenzwissen-
schaftlerin, die Physik in Religion transzendiert und Religion
über Physik 'verwissenschaftlicht'. Als Anthropologin kann ich
nur bis zu der Erklárung vorstofien, daf) Menschen sich Engel
und Teufel — schaffen, um sowohl bisher Unerklärbares zu erklä-
ren, als auch um Sinnlosem, Leiden, Sinn zu geben. Aber da ist
auch das Problem von Ohnmacht auf der einen und Macht auf
der anderen Seite, die Ungleichheit im Behandeltwerden und Be-
handeln und Handelnlassen von Engeln und Teufeln. Und da ist
264
schließlich jene Verkehrte Welt einer gesellschaftlichen Verdrän-
gung von Unbewuftem, Irrationalem in die Überrationalität
eines jenseits Waltenden bis zur mystischen Verschmelzung, die
sich dem gesellschaftlich produzierten und asozial wirkendem
NarziBmus anbietet.
Erinnern wir uns daran, daß auch Peter L. Berger die Frage
nach der Existenz von Engeln als Soziologe nicht beantwortet.
Aber er folgert aus der Analyse der menschlichen Geschichte,
daB der Mensch Engel, er nennt es Transzendenz, nicht nur
brauc-t, sondern hat, in der sich die alltäglichen Erwartungen
und die alltägliche Wirklichkeit als eine Imitatio der absoluten
F^-k*c' Xeit spiegeln. Er spricht von den Gesten der Ordnung,
des Spiels in schópferischer Schónheit, der Hoffnung als Ja zum
Leben, der Verdammnis als Nein zur Ungerechtigkeit und des
Lachens als Überschreiten-der Gefangenschaft des Geistes. Seine
Forderung war eine induktive Theologie, die wieder auf der an-
thropologischen Erfahrung des Alltags aufbaut.
Indem ich diese Gesten als Grundbedürfnisse bejahte, stellte
sich mir allerdings die Frage, ob die Transzendenz als Fahigkeit
des Uberschreitens nicht gerade wieder auf die Erde, in einen
neuen Alltag zuriickgeholt werden miifite, wo sich der Einzelne
in die Zeit, den Raum und den Lebensplan einer / seiner Gemein-
schaft transzendieren kann, wechselseitig Zuwendung erfahren,
kulturelle Fähigkeiten entfalten, lachend, ohne Geheimnis und
Wunder zu mühen, jáh dürre Büume erblühen lassen kann — und
aus dieser zugelassenen Fähigkeit auch die Kompetenz zu grenz-
überschreitender Hilfe gegen Ungerechtigkeit gewinnen kann.
Wenn das Energiesprache heißt, die sich als eine Imitatio der ab-
soluten V "rklichkeit versteht, warum nicht? Die fünf Gesten wa-
ren auf der Farm jedenfalls spürbar.
Aber waren sie aus der alltáglichen Wirklichkeit abgeleitet?
Waren sie nicht vielmehr Setzungen, Gesten gegen die alltágli-
chen gesellschaftlichen Erfahrungen und Erwartungen? Und es
sind eben nicht nur Erfahrungen, sondern auch Erwartungen, die
wir aus dem gesellschaftlich produzierten und subjektiv wirken-
den Verlust menschlicher Reife herleiten kónnen. Alles ist in Ord-
nung ist der Kindertrost, der sich über den gesellschaftlichen
Bürger als Kind in den Himmel verlángert, der die narziBtisch-
oknophilen Anklammerungs-, die narziDtisch-philobatischen
265
Ausklammerungs- und die Verschmelzungssehnsüchte aus nicht
zugelassener kultureller Reifung als Ziel und Wert bestätigt.
Wenn wir im Hinblick auf die Jugend der westlichen Gesell-
schaften von verlängerter Adoleszenz sprechen, dann meinen wir
eigentlich zweierlei: einmal die Verlängerung der noch nicht
gesellschaftlich verantwortlichen Phase zwischen der Trennung
von den Cbjektbesetzungen der Kindheit und der Übernahme
von Objektverantwortung des Erwachsenenlebens; zum anderen
aber einen regressiven Vorgang, der sowohl die adoleszenten als
auch die erwachsenen Fühigkeiten zu kultureller Arbeit ausklam-
mert und auf kindliche Zuwendungsforderungen fixiert bleibt,
die Garantie Alles ist in Ordnung weiterhin passiv empfangen
will: von der Familie über die Gesellschaft zum Jenseits - harmo-
nische Verschmelzung in lebenslanger Unmündigkeit. Die Pro-
duktion dieses Typus aus einer gesellschaftlichen Grundstórung
und die spirituellen Angebote zur UnbewuBtmachung dieser
Grundstórung habe ich aufzuzeigen versucht. Es ist also eigent-
lich keine verlängerte Adoleszenz, sondern die Verlängerung
einer unterdrückten Adoleszenz, die hier wirksam wird.
Adoleszenz benutze ich als Begriff sowohl hinsichtlich eines
biologischen als auch eines sozialen Alters. Mario Erdheim hat in
Weiterführung von Freuds Ansatz der Sexualentwicklung im
Rahmen einer psychoanalytischen Kulturtheorie auf die Bedeu-
tung der Pynamik der Acoleszenz für den Kulturwandel verwie-
sen: Der erste Tricbschub, der von der ódipalen Phase aufgefangen
wird, führt zur /^pzssunz an die stabile, konservative Familien-
struktur, der z:zzite, der in … - Pubertät anfängt, zur Anpassung an
die dynamise..2, expensive ” .turstruktur. Die beiden Anpassungs-
vorgánge sind grunasátzlich voneinander verschieden. Beim ersten
geht es vor allem um die Aneignung vorgegebener Verhältnisse: dem
Kind sind z. £. «> Liebesobjekte vorgegeben. Beim zweiten Anpas-
sungsprozef jedoch steht das innovative Moment im Vordergrund . . .
Anpassung b-.L tct hicr nici: ZA 3glcichung an vorgegebene Verhält-
nisse, sonder... acht wes Individuums an den sich verändernden
Strukturen der C zsellschef..
Dieser Prozef ist mit Protest gegen das Vorgegebene, Omnipo-
tenzvorstellungen, Verlustgefühlen und Sehnsucht nach Neuem
verbunden. Er gleicht dem Narzifmus des Philobaten mit der
Objektschwäche als Objektverlust, Objektablehnung und Objekt-
266
beseitigung, der grenzüberschreitenden Phantasie, der schwei-
fenden Sehnsucht in die Weite und der Angstlust gegenüber dem
Fremden, Neuen, Gefährlichen.
Jede Gesellschaft versucht, diesen Prozeß zu institutionalisie-
ren und zu kanalisieren. Nur die Richtungen sind verschieden.
Für die sogenannten kalten oder archaischen Gesellschaften
(Lévi-Strauss) verweist auch Erdheim auf die Initiation, die. als
rituelle Gemeinschaftshandlung für die Adoleszenten temporár
Freigesetztsein und Chaos verstárkt, normale Ordnung verkehrt,
die alten GewiBheiten iiber Paradoxes und Schock zur reflektie-
renden Uberpriifung bringt. Es ist ein Vorgang der De-Collage,
der zu einer mitgestaltenden und mitdenkenden Collage führen
soll. Wildes Denken wird für einen neuen Diskurs freigesetzt.
Die inszenierte Un-Ordnung; in der die adoleszenten Poten-
tiale gewissermaßen zum Kulminationspunkt in einer Gemein-
schaftshandlung getrieben werden, dient der kulturellen Vernunft
im Sinne einer inneren Neu-Ordnung als Legitimation der sinn-
haften alten Ordnung einer ewigen Wiederkehr (Eliade), an deren
Erhaltung die über die Initiation erwachsen Gewordenen nun-
mehr in Pflichten und Rechten teilhaben. Die Orientierung ist
konservativ, aber an der Konservierung des Haushalts des
Lebens im Sinne eines vom Ursprung her Gegebenen (in der
Traumzeit) sind eben alle beteiligt.
In nativistischen Umsturzbewegungen, Pioniergesellschaften
und revolutionären Gesellschaften wird nun dieses adoleszente
Potential der De-Collage und Collage besonders relevant. Adoles-
zenz a's Haltung muß gewissermaßen auf die‘ ganze Gesellschaft
ausgedehnt werden, muß verbreitert und verlängert werden, um
die geltende Ordnung zu stürzen. Nativistische Bewegungen, zu
denen wir auch die neuen ethnischen und regionalistischen Be-
wegungen rechnen können, sind dabei insofern ‘konservativ’, als
sie den 'reinen Urzustand' beziehungsweise den Zustand vor der
Überlezerung und Unterdrückung wieder herstellen wollen: Die
‘A1<*henbastelei’ kann sich dabei selektiv aus eigenen und frem-
Gen Traditionen bedienen. Die Frage allerdings ist, ob nicht auch
die sozialen und kulturellen Revolutionen der Neuzeit trotz des
Zieles einer Neu-Ordnung der Gesellschaft immer Reorientie-
rung an einer gedachten Ordnung davor darstellen, aus der *hei-
Ben Gesellschaft’ mit ihrem: gierigen Bediirfnis nach Veränderung,
267
wie es Levi-Strauss nennt, aussteigen wollen. Die ‘grüne Revo-
lution' ist das beste Beispiel für den Versuch, aus linearem Fort-
schrittsdenken in ein dynamisches Gleichgewicht zurückkehren
zu wollen. Für Lefébvres Kulturrevolution wird dieser Gedanke
überdeutlich. Er spricht von der Restitution des Werkes und des
Werksinns. Mao griff durchaus selektiv auf die Traditionen des
chinesischen Volkes zurück, konzentrierte seine Wandlungen auf
den Primärsektor der Wirtschaft und baute auf der Wiederbele-
bung familiáren Gemeinschaftsdenkes auf. Gleichzeitig forderte
er mit dem Gedanken der permanenten Revolution so etwas wie
eine Permanenz des adoleszenten Potentials von De-Collage und
Collage als bewegendem kulturinnovativem Moment in einer rei-
fen, aber nicht erstarrten Gesellschaft. Die amerikanische Pio-
niergesellschaft schlieBlich hat das adoleszente Potential aus
fremden Ländern benötigt und gefördert für den Aufbau einer
‘jungen’ Nation und damit gleichzeitig einen philobatischen
Grundzug geschaffen und gestützt. Daß sie, wie es Gaskin aus-
drückt, zur ‘gierigsten Nation’ geworden ist - und damit Inbegriff
einer ‘heißen Gesellschaft’ =, liegt an der Vereinseitigung des in-
novativen Kulturprozesses zum Moloch Moderne des technolo-
gischen Fortschritts, der: die verantwortliche, gereifte Einbrin-
gung und Verarbeitung des kulturdynamischen Potentials verhin-
dert, Adoleszenz in die eindimensionale P:chtung einer spezifi-
schen Innovation bei gleichzeitiger Unterdrückung des kritischen
Potentials gesellschaftlich verlängert und schließlich kompensa-
tiv eine ‘Wohlfahrt’ für den Bürger als Kind anbietet:
Lévi-Strauss hatte die ‘heißen Gesellschaften’ mit Dampfma-
schinen verglichen: Diese Maschinen leisten enorm viel ..., aber
nur, indem sie ihre Energie verbrauchen und nach und nach zerstó-
ren. Unsere Gesellschaften sind jedoch nicht einfach solche, die Ge-
brauch von der Dampfmaschine machen, sondern sie gleichen den
Dampfr:asclhinen in ihrer Struktur: um zu funktionieren brauchen
sie nämlich ein potentielles Cefälle, das durch verschiedene Formen
sozialer. Hierarchie entsiehi ... Solche maschinenartigen Gesell-
schaften haben ein Ungleichgewicht erreicht, mit dessen Hilfe sie ...
viel mehr ‘Entropie’, selbst in den zwischenmenschlichen Beziehun-
gen, erzeugen.
Diese soziale und kulturelle Entropie aber hat zwei sich
scheinbar widersprechende Pfeiler: die Effizienz der technolo-
268
gischen Überproduktion in einer ‘heißen Gesellschaft’ und die,
eine ‘kalte Gesellschaft’ simulierende, Ineffizienz der bürokrati-
schen Verwaltung von Menschen und Dingen, die sinnbezogenes
kulturinnovatives Handeln in eigenverantwortlichen ‘mora-
lischen! Kommunitáten verhindert.
Anton Zijderveld forderte gegen Verfachlichung und Speziali-
sierung und gegen die ‘MittelmäBigkeit’ aus der Professionali-
sierung den Typ des vielseitigen, gebildeten Amateurs und Dilet-
tanten, der provokativ und asketisch sich der Erstarrung entge-
genstellt. Der Provokateur hat das adoleszente Potential der De-
collage, der Asket das reife Potential der Collage, kónnten wir
für die beiden Seiten der kreativen Amateure sagen, die neue Im-
pulse und neue Inhalte geben kónnen. Bürokratische Ordnung
vernichtet aber sowohl die Kreativitát adoleszenter Opposition
als auch deren verantwortliche Umsetzung.
Wie unterdrückte Adoleszenz als kulturelles Erneuerungspo-
tential, und zumeist an die intellektuellen Jugendlichen (biolo-
gisch und sozial) einer Gesellschaft gebunden, aufflammt und
sich durchzusetzen versucht und wieder unterdrückt wird, hat die
westliche Geschichte der sogenannten Jugendrevolte nach dem
Zweiten Weltkrieg gezeigt. Die Einordnung als ‘verlängerte Ado-
leszenz' war diejenige einer Gesellschaft, die sich *Narren' leisten
konnte, solange sie nicht als solche gereift auf den ‘Markt’ der
Bürokratie zurückkommen und verándernde Mitarbeit einklagen
wollten. Dann - spátestens - war ‘Ruhe’ und ‘Ordnung’ angesagt,
und die bürokratische Maschinerie setzte sich in Bewegung: bot
Integration den einen, die sich für 'adoleszentes Verhalten' ent-
schuldigten und bereit waren, sich wieder als Kind-Bürger einzu-
ordnen, und entlieB die anderen in den wahrnehmbaren sozialen
und kulturellen Tod, der den vorgezogenen biologischen Tod
durchaus einschloB. Die Verkehrte Welt einer Adoleszenz wurde
wieder zurechtgeriickt.
Im Untergrund aber gárt eine unterdriickte Adoleszenz, die
sich nicht zur Reife bringen kann, in der De-Collage verharrt, den
erlebten Zusammenbruch zu einem geforderten Zusammenbruch
macht — dem Warten auf die Bombe - und schließlich in postmo-
derner Manier nur noch sich in fragmentarischer Vergeblichkeit —
dem Katzenjammer freischwebender Adoleszenz - einrichtet und
die Bombe als bereits gefallen betrachtet. Sind sie über die sur-
269
realistische Verzweiflung hinausgeschritten, wie sie Michel Leiris
darstellte?
iLeiris.hatte 1929 die surrealistische Verzweiflung noch deutlich
als eine Verzweiflung an der Gesellschaft benannt. Er wählte da-
für den Titel »Zusammenbruch«. Dieser Begriff charakterisiert
die menschengemachten Katastrophen, die nur übertragen mit
einer naturgemachten Eiszeit gleichgesetzt werden. Die Sintflut,
die das alles vernichtet, ist die letzte Verzweiflungstat des Huma-
nen, das sich aus seiner Perversion nur durch die Selbst-Vernich-
tung retten kann!
Le: endlich befindet sich das heutige Leben eingebunden und
eingefroren im dicken industricllen Eis, das uns in Kadaver verwan-
deln móchte. D: F'ásse der wirklich menschlichen Beziehungen sind
unbeweglich und tot, die K-'te c^winnt, die Luft gzzinnt; ... unsere
sentimentalen Flüsse wandeln sich in Arterien voll erkalteten Blutes,
das gz-innt; Strafjen für die zühen Bakterien eines Umstandes, in
dem es keine andere Daseinsberechtigung gibt als die der Gkono-
mie; soziale Beziehungen, armselia und schmutzi: wie Flóhe,
schwieriger zu ertragen von unseren Wirbelsáulen als ganze Ladun-
gen Cemüseautos oder als brechendvolle Autobusse.
Gefangen von dieser Klilte wie die Mumien in ihren steifen Bän-
dern, in den grimassenhaften Posen der schandhaft Gelähmten, be-
Wezz.! wr uns nicht, bleiben wir bewegungslos, fühlen uns se!5st wie
Holzbalken, und dennoch erhoffen wir nichts so sehr wie den Zu-
sammcilruch . ..
Wenn der Fluf stürbe, dann durch diesen Verkzhr, der uns fesselt,
durch ©. zon grotesken Kreislauf or kleinen 7. .Jküle, die uns unter
das Joch bring: und aus uns Schlimmeres a!s Tiere machen. Um
diesem verstaubten Gerümpel zu entkommen, in dem wir verschim-
meln, wir und unser abgelegter Plunder, ... müfiten d:2 Wsser un-
serer I.C..zcn, unserer Musken, unserer Haut ihrea natürlic^e3 7 —-
stand w:cce.5winnen, zugleich in ihrer Cánzz :hre ursprüngliche
Gewalt wiezcz/7:den, d:2 Ccwalt ccr Zeit d:7 Zzslutea, dcr Glet-
scherkatastrcy..-n und der Springfluten, um die Kais, die weltlichen
Vthre, zu brechcn, und um sich auszubreiten quer durch alle Län-
der, seien es Brachländer, Felder, Städte, Dörfer, alles überschwem-
mend auf ihrem Durchgang, was nichts F'umanes hat, und endlich
verduns:en in der Weise wie sich dieses Wiederaufleben zur Stunde
der Niederlage transformiert. Dies hátte im ganzen genommen als
270
letztes Ergebnis, nachdem das niedergeschlagen wurde, was feind-
lich und frzmd war, dann selbst zerstórt zu sein im Sich-Andern in
schimérer Umneblung, die absolut alles vernichtet.
Hier wird die verkehrte Welt endgültig vernichtet, die selbst-
vollzogene Anokalypse als Konsequenz aus den selbstvollzoge-
nen Katastrophen gefordert. Da gibt es nicht den agnostischen
Diskurs.danach über die Unerkennbarkeit des Seins als Spiel mit
Fragmenten und auch nicht die Tróstung eines unzerstórbaren
Selbst-Seins in einem Sein jenseits der Katastrophen.
Weder adoleszentes Weiterspielen im Trotz noch der Kinder-
trost Alles ist in Ordnung sind móglich vor dem Zusammenbruch
einer reifen Humanitàt, in dem die sozialen Beziehungen armselig
und schmutzig wie Flóhe geworden sind.
Die verkehrte Welt läßt sich nicht mehr verkehren, sie bricht
zusammen.
Eine verkehrte Welt gründet für mich auf dem Verlust einer kul-
turellen Vernunft, die dem Einzelnen und der Gruppe materiales,
soziales und ideationales Überleben in einem Haushalt des Lebens
sichert. Diese kulturelle Vernunft bedeutet aber auch das Zulassen
von Vernunft als die Reife des erwachsenen Menschen, der sein
kulturelles Potential als Werkschaffen in Verantwortung für die Er-
haltung und Cestaltung dieses Oikos einsetzen kann und daraus
subjektive Sinnerfülltheit in einer objektiven, und das heißt inter-
subjektiv wahren, Sinnkonstruktion erhált. Kultureller Tod als be-
wußt oder unbewußt erfahrener Entzug ikultureller Vernunft in
Rechten und Pflichten ist Entmündigung und Enteignung.
Eine spezifische Form des Protestes gegen diese Entmündi-
gung und Enteignung ist nun die Verkehrung der verkehrten Welt
in das Konstrukt einer Verkehrten Welt.
Das Thema einer Verkehrten Welt als einer Umkehrung des
Selbstverstándlichen, des in:der bestehenden Welt :dls "richtig"
Geltenden, kónnen wir literarisch, bildnerisch und im sozialen
Verhalten wohl weltweit entdecken. Es läßt sich in der antiken
Reihung unmöglicher Dinge als ein Prinzip erkennen, das im Da-
daismus und Surrealismus wieder bewußt eingesetzt wurde; es
durchzieht die Satire des Mittelalters; Volkskunst und Volkslite-
tatur haben das Motiv veratbeitet. Aber die Verkehrung begegnet
uns ebenso in den Prophetien der Hochreligionen der Welt: als
Entsetzen vor der Verkehrung oder als Jubel über die Verkehrung.
A
Ernst Robert Curtius hatte die Verkehrte Welt als eine Zeit-
klage bezeichnet, die in einem imaginierten Rollentausch zum
Ausdruck gebracht wird. Dieser Rollentausch, eine Gegenwelt
zum Bestehenden als einfache Umkehrung des Bestehenden, ist
eines der charakteristischen Kennzeichen der Thematisierung
einer Verkehrten Welt, wodurch sie sich auch von der Utopie als
Vor-Schein eines Noch-Nicht, das die Welt insgesamt verbessert,
unterscheidet, obgleich zahlreiche Motive beiden Zeitklagen in-
hárent sind.
Mit Mühlmann kónnen wir die Zeitklage der Verkehrten Welt
in eine pessimistische und eine euphorische einteilen. Während
erstere eine umgekehrte Sozialkritik, das Erschrecken vom Um-
kehren dessen nach unten, was bisher oben war, beinhaltet, gip-
felt die euphorische Verkehrung in der überwundenen Zeitklage
aus der Sicht derjenigen, die unten waren: Die Letzten werden die
Ersten sein; Die Herren werden zu Knechten, die Knechte zu Her-
ren.
Das ist keine revolutionär veründernde, sondern eine nur die
Verhältnisse umverteilende Frohbotschaft, die, ob im Himmel
oder auf der Erde - die dann beide ihre Hölle brauchen — ange-
siedelt, die Geste der Verdammnis aus der alltäglichen Erfahrung
ins Zentrum rückt, über der Verkehrung der Ordnung die Neu-
ordnung vergißt und das Lachen, den selbstkritischen Humor,
zur Schadenfreude macht.
Insbesondere Fritz Kramer hat in seiner Arbeit über die imagi-
näre Ethnographie des 19.Jahrhunderts ein weiteres Moment her-
ausgearbeitet, bei dem die Verkehrte Welt als Zeitklage die eigene
Gesellschaft scheinbar ausklammert und sich der ethnographi-
schen Fremde zum Aufweis eines möglichen Anderen bedient.
Die Fremde kann sowohl Verkehrte Welt im Sinne der Bestäti-
gung des eigenen höherentwickelten moralischen Systems wer-
den als auch moralisch höherstehende Gegenwelt, die die ei-
gene Welt — oft unausgesprochen - als verkehrte Welt kritisiert. In
beiden Füllen aber wird mit der Verkehrung des je Geltenden ge-
arbeitet.
Was Kramer nachweisen móchte, ist, daf die Wirksamkeit der
Ethnographie, das, was sie , interessant” mac..:, nicht in ihrem
Gegenstand begriindet war, sondern in dessen Beziehung auf die
Gesellschaft, die ihn zu ihrem Negativbild verfremdet hat. Ahnli-
272
ches schreibt Hans-Jürgen Heinrichs hinsichtlich des gegenwärti-
gen Ethnologieinteresses, wobei meines Erachtens der Mytho-
Ethnologe und neben ihm (und oft in einer Person) der Mytho-
Tourist und der transzendierende Spiritualist eine Schlüsselposi-
tion einnehmen (was allerdings nicht heißt, daß die moderne Eth-
nologie und Anthropologie sich vorrangig aus Mytho-Ethnolo-
gen zusammensetzt). Kennzeichnend ist die synkretistische Ver-
einnahmung der Mythen der Völker, die Ausblendung des Kon-
texts und die scheinbar offene Projektion auf das Selbst.
Bei aller Ähnlichkeit der modernen Mytho-Spiritualität mit
der vergleichenden Mythologie der Romantik, die Kramer an den
Beginn seiner imaginären Ethnographie als Verkehrte Welt stellt,
scheint sich in dieser Selbstdarstellung das Prinzip der Verkehr-
ten Welt als Juxtaposition aufzuheben. Die Verfremdung zum Ne-
gativbil<, das heißt zum Verborgenen, Unentwickelten, versteckt
Vorhandenen, Tabuisierten und Gemiedenen, ist zum Positivbild
des Vorhandenen geworden. Man braucht sich nicht mehr hinter
der Fremde zu verstecken, sondern tritt aus ihr als Folie hervor.
Der selektiven Aneignung des Fremden zur narzißtischen Sti-
lisierung des Eigenen in einem Manifest der Person scheinen
keine Grenzen gesetzt. Die Verkehrte Welt ist nicht Zeitklage
gegen eine entmündigende Gesellschaft und gegen die Enteig-
nung von kultureller Vernunft für einen kommunitären Haushalt
des Lebens auf dieser Erde, sondern Frohbotschaft der ‘Auser-
wáhlten', die jenseits von kultureller Vernunft — über einen gefor-
derten kulturellen Tod - im Ozean des Lebens verschmelzen kón-
nen. Die real verkehrte Welt wird damit bedeutungslos, versinkt
hinter der Imagination primärer Liebe in einer entmaterialisier-
ten Welt.
Doch diese Imagination des Transzendierens geht von dieser
materiellen Welt aus und kehrt in sie zurück, ohne eine Revo-
lution im materiellen und sozialen Haushalt des Lebens einzukla-
gen. Der meta human ist, wie es Paul Solomon sagte, unabhängig
von seiner Umwelt und seiner Mitwelt, unabhängig damit auch
von den Fremden, deren kulturelle Ausdrücke er selektiv seiner
Selbstfindung zugeordnet hat. Die Verkehrte Welt zeigt sich über
die Verkehrung der buddhistischen Ununterschiedenheit zum
selbstischen Un-Unterscheiden hinaus in allen Aneignungsvor-
gängen aus den spirituellen Traditionen fremder Kulturen: ...
273
verkehrt sich das ursprüngliche Un-Unterscheiden, das Selbst selbst-
los nickt vom Anderen zu unterscheiden, zum Un-Unterscheiden,
das Andere selbstisch nicht von Selbst zu unterscheiden.
Wie sehr das Neue Denken fremde Kulturen zur selbstischen
Folie macht, ihre real verkehrte Welt zur Verkehrten Welt sti-
lisiert, wird aus den biographischen Notizen Fritjof Capras in sei-
nem gleichnamigen Buch mit dem Untertitel »Die Entstehung
eines ganzheitlichen Weltbildes im Spannungsfeld zwischen
Naturwissenschaften und Mystik« überdeutlich. Sechs Wochen
weilte er zur Feier des Abschlusses seines Werkes und zu Vorträgen
in Indien. Und dieses Indien wird Verkehrte Welt, im Sinne der
Verkehrung von Realitäten eines wirtschaftspolitischen und
soziokulturellen Systems, zugunsten einer Folie für die authenti-
sche Ecgecnung zwischen zwei Menschen (Capra und Indira
Gandhi). Und die Armut bedrückte ihn aus irgendeinem Grund
weit weniger, als er befürchtc* hatte: P2 Armut war da, ganz offen
und uniibersehbar auf den S:rafien. Sie wurde niemals geleugnet
und schien ins Leben der Großstadt integriert. Wührend ich tege-
lang durch die Straflen schlenderte und in Taxis umherfuhr, hatte
ich ein cizenartiges El. zis. Immer wieder kam mir ein Wort in den
Sinn, das mehr ais jedes andere das Leben in Bombay zu bzzzhrei-
ben schien — das Wort ,reich". Bombay ... ist keine Grofistadt. Es ist
ein menschliches Ökosystem; in dem die Vielfalt des Lebens un-
glaublich reich ist.
Ist es wirklich eine Weisheit besonderer Art, wie das Schlufka-
pitel mit diesen Gedanken heiDt, wenn die gerade in einem Land
wie Indien auf der Straße liegenden (und das im wahrsten Sinne
des Wortes) Bevölkerungs- und Armutsprobleme so von den Ku-
lissen für eine tiefe Ökologie verstellt werden? Die Verkehrung
der Welt, in der arm zu reich wird - jedenfalls im Kopf eines rei-
senden Grenzwissenschaftlers der Wendezeit —, ist weder Zeit-
klage noch Satire, sondern Produkt des spirituellen BewuBtseins,
wobei Enzensberger im Zusammenhang des Tourismus von Be-
wußtseinsindustrie gesprochen hatte.
Und dieses Indien als Verkehrte Welt gehört seit der Romantik
zur Eewußtseins-Reise gen Osten, von der romantischen Mytho-
logie bis zum heutigen Sanyassin-Trip nach Poona.
Fritz Kramer hat die romantische mythologische Verkehrung
besonders eindringlich am Beispiel von Friedrich Creuzers »Sym-
, À
bolik und Mythologie der alten Vólker« dargestellt. Creuzer setzt
sich - und da stehen zahlreiche Grenzwissenschaftler des Neuen
Zeitalters in seiner Nachfolge — sowohl von Wissenschaft als
auch religiósem Glauben ab. Es geht ihm um eine Erkenntnis-
frage Ces Einen, der ursprünglichen Wahrheit, der Uroffenba-
rung, dem die vielen Gottheiten entsprungen seien. Die ethnogra-
phisch vergleichende Mythologie diente der Absicht, durch die
Lthnographie zur Theologie zu kommen, nennt es Kramer. Wir
kónnten hier auch von einem grenzwissenschaftlich-mystisch
arbeitenden Synkretismus sprechen, bei dem die Mythen der Re-
konstruktion eines Absoluten im Ursprung, Creuzer nennt es die
Criginc'z-.lanken, dienen.
Nach Kramer hat Creuzer fiir seine synkretistische Mythenba-
stelei — D35 ,is:", das das Zeichen und das Gemeinte des Symbols
verbinde:, bezeichnet die Verkleidung des einen in das andere, das
sich cz wi.«cr anderes enthüllt ... und das ,, Eine", in dem alles
seip: .. 2: finden soll, ist leer - in der indischen Überlieferung
szine Weltanschauung ausgesprochen gefunden. Das Wesen der
1._, £2hreibt Creuzer, ruht ... in seinen eigenen Tiefen. Aber von
a: 2a hat es sich umgeben mit der Maja, mit dem freudigen Selbst-
vc.,z3sen ... In bezug auf das Wesen der Vesen ... da ist es Schein,
Tau: nung ... Ades Schaffen ist Spielen der Gottheit ... Die Dinge
six: sinc nich... Die Liebe ist Weltmutter, aber was sie geboren
hat, iz: iml... en £zheine geboren, es ist ein Scheinbild, es sind Zau-
bergárten, die mit dem Beschwórungsworte wieder in sich selbst ver-
sinken.
Der Mythos wurde Ersatz für verlorenes Leben, kommentiert
Kramer sowohl den bürgerlichen Rückzug in der Zeit der Restau-
ration als auch den personalen Widerspruch Creuzers gegen
seine Cegenwart: Er hielt sich ,für eine von den Naturen, die bei
vielem inneren Leben eine unbesorgliche áufzere Trügheit besitzen,
die voa innen heraus gern die Welt anschauen, aber um alles nicht in
derse..c.: Land. wocen; denen nichts verhafiter ist, als alles, was
man Gesc».j: nennt, d. h. diejenigen Complicationen, die sie daran
erinnern würden, daß sie in einer bürgerlichen Welt leben“
Die eigene gesellschaftliche, materielle Welt wird zwar als ver-
kehrt abgeichnt, aber nicht als solche kritisiert, sondern über die
Flucht in die exotische Verkehrte Welt der Maya, die Welt des
Scheins, der Illusion, des góttlichen Spieles (Lilà) kompensiert.
775
Und das wissenschaftliche Spiel mit den Assoziationsketten läßt
dabei die Imagination einer Teilhabe an góttlichem Lilà aufkom-
men.
Auch in der spirituellen Bewegung der westlichen Postmo-
derne gewinnen Maya und Lila einen über den Import indischer
Frommigkeit durch die direkte Mission hinausgehenden weltan-
schaulichen Wert. Wenn die materielle Welt zu Maya erklart wird,
wenn die Dinge sind und nicht sind, dann berühren Armut und
Katastrophen nicht mehr, sind schon geschehen oder sind nicht
geschehen. Und das macht frei für die westlich-subjektivistische
und psychotechnologische Aneignung des Eudchismus als „Reli-
gion abscluter Diesseitigkeit“ (Waldenfels). Man ist freigesetzt für
das narzißtische Spiel in Zaubergärten — nur so zum Spaß, wie
Ken Wilber göttliches Lilä charakterisiert.
Der postmoderne Theatertheoretiker Richard Schechner be-
schreibt unter dem Titel »Das Ende des. Humanismus« das post-
moderne Bewußtsein - für eine über das Theater hinausgehende
Performance - als Erfahrung von Mäya/ Lilä in einem Spiel zwi-
schen Fragmenten und Absolutem, einem Spiel, daß das Ende des
sehr arroganten, sehr anthropozentrischen Humanismus (Beide,
Kapitalismus und Marxismus, sind humanistisch) bedeutet.
Dessen Erfahrung stellt er die andere Erfahrung von - als
Beispielen - Computersprachen, multinationalen Kooperatio-
nen und postmocerner Performance gegenüber: ... diese offen-
sichtlic!: sehr verschiedenen Systeme sehen Erfahrung als das, was
die Hindus Maya und Lua — Illusion und Spiel — nennen — eine
Konstruktion des Eewuftseins. Die ,letzto. Wahrheit" liegt ir-
gendwo sonst ... Postmz.Jcrn meint ... cas Ordnen von Erfahrung
in eincz + t, in der Erfahrung maya-lila ist. Das Findea va We-
gen, um Infermationsfragmente so zu ordnen, daf! diese Frag-
men: sowc/ c5 Dyzhorusg existieren ... als auch als das, was
dahin:cr stc, cas ist d.e Grundlegung dcr Erfahrung. Eine sehr
schwierige Aufgabe dcr D2r»elung. D:e postmec orne Performance
verbanrt Lrzá'una als ihre Gruscz! gung. Weil Erziilung Erfah-
rung als iLanczng ist. Denn Lrjznruag ais n:aya-lía entspricht
nic* «:r Hanc'ung, sie ist als Handlurz nicht zuverlássig. Und
weil acr westliche Künstler — im Unterschied zum indischen — nicht
nur wünscht, daß die Performance Wahrheit repräsentiert, sondern
daß sie Wahrheit ist, oder wenigstens glaubwürdig, schafft diese
276
Desintegration der Basis von Wahrheit, diese Destruktion von Er-
fahrung, eine tiefgehende Krise.
Ist die tiefgehende Krise aber nicht jene über Mäya/ Lilä in
einem intellektualisierenden Jargon inszenierte Krise, bei der ein
Teil der von Leiris benannten komischen Kaulquappen, Halbgöt-
ter — geboren aus der Spucke eines Weltschopfers im Delirium —
sich tiefsinnig in einen ‘Freistaat’ des postmodernen, phantasti-
schen Diskurses - spirituell oder nicht - zurückziehen können,
die Katastrcphen und Krisen, das Ende des Humanismus, für sich
bereits geschehen machen, sich in einer Verkehrten Welt einrich-
ten, und die Verantwortung für eine real verkehrte Welt, die Welt
eines pervertierten Humanismus, der Bürokratie überantworten?
Die Verkehrte Welt ist für mich nicht nur ein literarischer Topos
und eine soziale Zeitklage, die soziales Unten nach oben kehren
will, sondern auch die Umkehrung des materialen, sozialen und
ideationalen Seins in der Welt zu einem spirituellen und intellek-
tuell-~hantastischen Sein jenseits dieser Welt, wo der soziale
Tod übersehen werden kann, der kulturelle Tod gefordert wird
und Zeit und Raum, kollektive Geschichte und gemeinsamer zu-
kunftsbezogener Lebensplan illusorisch werden; wo das Ende
der Humanität nicht mehr, wie in Leiris' Version des Zusammen-
bruchs, zum absoluten Nicht-Sein unseres Lebens führt, sondern
das góttliche Selbst, den meta human, zum Spiel, zu Lilà, einládt,
schôpferisch, aber nur ‘zum SpaB’ in einer vordergründigen
Scheinwelt des ‘irgendwo’ verborgenen Absoluten.
Das wire Maya postmodern verwestlicht und verweltlicht — und
doch jenseits der Realitáten dieser Welt. Eine Deduktion, die in-
duktive Theologie entmenschlichte und Anthropologie zur Farce
machte. Die Geste des selbstkritischen Lachens ist verloren.
Offene Gedanken müssen keine abschlieDenden Gedanken
sein. Sie brechen ab, weil der sicher aus vielen Dialogen gewon-
nene Monolog ihres Autors, hier ihrer Autorin, eines neuen Dia-
logs bedarf. Und diesen Dialog mit meinen imaginierten und hof-
fentlich doch wirklichen Gespráchspartnern móchte ich gern von
einer surrealistischen De-Collage her entfalten, wie sie Max
Ernst in seiner »Aeihung unmóglicher Dinge« als Verkehrte Welt
gegen eine verkehrte Welt vorgenommen hat. In seinem »Leitfa-
den« gibt es einen Schöpfer von Leben und Tod, der seine Autorität
und seinen Spaß an der Schöpfung verloren hat. Sind wir Men-
Um
M ^
schen der Schöpfer dieses Schöpfers? Und ist dieser Schöpfer
dann ein Geschöpf unserer Verzweiflung, oder gibt es uns den
Weg frei für eine bessere Schöpfung?
Es gibt die verschiedenen Perspektiven auf das Jahr 2000 als
eine Zeitenwende oder ein Neues Zeitalter. Die postmoderne Spiri-
tualität thematisiert sie als eine Wendezeit zu einem Bewußtsein
jenseits der menschlichen Geschichte. Und in dieser Abwendung
von Geschichte als einer zukünftigen, mitzuverantwortenden,
fordert und begrüßt sie den kulturellen Tod des Menschen. Hier
trifft sich die postmoderne Spiritualitát mit der szkularen Post-
moderne, in der es heit: Das Jahr 2000 wird nicht stattfinden
(3audrillard). Dieses Nicht-Stattfinden oder das Nicht-Ereignis
(Derrida) entláBt aus der Verantwortung für die Eine Cegenwart,
in deren Sinnkonstruktion Zukünftiges ebenso eingeschlossen ist
wie Vergangenes und das Gegenwärtige. Für Baudrillard sind wir
gefangen (oder befreit?) in einem Nihilismus der Hoffnungslo-
sigkeit auf andere menschlichere Lebensformen. Es ist die Aufló-
sung in den Schein, die Abkehr von jeder Überzeugung, die Zerstó-
rung des Sinns und dessen Crdnung, die Apokalypse der Indiffe-
renz. Und diese Apokalypse der Indifferenz gibt sowohl den Weg
frei fiir das Warten auf die Bombe als messianische Wehe als auch
fir ihre Textualisierung als Nicht-Ereignis oder dem No Apoca-
lypse, not nc von Derrida. Fiir Derrida existiert die Bombe, der
Atomkrieg, als fabulóse Textualisierung ... des nicht antizipierba-
ren Ganz-Anderen in der Gegenwart, und er fährt fort: War könnte
schwóren, c7 inser Unbewufites nicht darauf wartet, nicht davon
träumt, es niz/: wünscht?
Die Bombe gewinnt numinose Qualitüten. In diesem charis-
matischen Milieu eines dámonisierten Zeitalters wird das Nicht-
Ereignis zum unbewufiten Warten auf das nicht-antizipierbare Er-
eignis. Endet es hier in jenem Nichts eines Fieges ohne Namen
(Derrida), so wird es im spirituellen Milieu des Neuen Zeitalters
zum Frieden in einen zwar antizipierbaren, aber nicht aussprech-
baren Namen - dem des absoluten Einsscins. Aber das Prinzip
Hoffnung für diese Welt ist allemal gestorben.
Eznst Bloch hatte dem Unbewufiten sein Noch-Nicht- Bewufites
ais Prinzip Hoffnung entgegengestellt. Es war Tagtraum auf ein
4 jnftiges in der Welt, der mit Jugend, Zcitwende und Produk-
tion etwas zu tun hatte. Es war Antizipation des Móglichen von
‚X
Kultur, bezogen auf ihren konkret-utopischen Horizont gegen das
schlecht Vorhandene.
Bloch hebt auch den allegorischen Charakter, die auf Bedeu-
tung weisende allegorische Übersteigerung dieses Noch-Nicht
hervor. Es ist die dichte Beschreibung (Geertz), die auch von der
ethnographischen Allegorie gefordert wird, von ihren starken Ge-
schichten. Diese starken Geschichten sind die unserer Anderen,
die wir nur wiedergeben kónnen. Auch Bloch hat die Geschichte
und die Geschichten der Anderen erzählt, ihr Träumen nach vor-
wärts. Und er spricht von einer Reife der utopischen Funktion,
deren phantasievoller Blick ... einzig vom Reellen in der Antizipa-
tion selbst her berichtigt wird: Der Berührungspunkt zwischen
Traum und Leben, ohne den der Traum nur abstrakte Utopie, das
Leben aber nur Trivialitát abgibt, ist gegeben in der auf die Füfle ge-
stellten utopischen Kapazitát, die mit dem Real-MOglichen verbun-
den ist. Diese Reife bedeutet mitbeteiligte, mitarbeitende Prozefi-
Haltung. Bloch warnt nicht nur vor der abstrakt-utopischen Träu-
merei, sondern vor allem vor den Philistern und ihrer Bundesge-
nossenscha?:, worin der dicke Bourgeois wie der flache Praktizist
das Antizipierende allemal, in Bausch und Bogen nicht nur verwor-
fen, sondern verachtet haben. Ja, die Bundesgenossenschaft — aus
Abneigung gegen jeden Modus von Wünschbarkeiten, vorab gegen
die vorwürtstreibenden — hat sich zuletzt sogar, konsequenterweise,
um den — Nihilismus vermehrt.
Und im Sinne einer ethnographischen Allegorie móchte ich.
mein Buch mit einer kleinen, aber sehr dichten Geschichte schlie-
Den, die mir die Anderen erzáhlt haben. Die Anderen, das waren
die Menschen auf der Alpha-Farm in Oregon. Sie hatten ein schó-
nes alie5 Haus mit vielen Büchern, einen kleinen Laden, Land-
wirtschaft und einen blühenden Heilkráuter-Garten — und sie ar-
beiteten nicht nur viel miteinander, sondern sie sprachen auch
viel miteinander, auch mit uns, ihren Gásten. Sie hatten die rela-
tional voice, die Beziehungssprache, auch zu ihrer nicht-mensch-
lichen Umwelt, die sie gegen die invisible hand, die unsichtbare
Hand der Okonomie, und die invisible voice, die unsichtbare
Stimme der Verwaltung von Menschen und Dingen, setzten. Ihre
Erzáhlung soll ein Gleichnis bleiben. Aber wird es móglich sein,
unseren '*Maulwürfen' der invisible voice, die die antizipierten
Haushalte des Lebens, die kommunitáren 'Heilkráuter-Gárten'
279
der Anderen, zerstören, zu sagen, daß genügend Platz wäre, um
irgendwo anders ein eigenes Feld zu bestellen?
Und hier ist die Geschichte, wie ich sie in meinem Feldtage-
buch notiert habe: Es waren einmal viele Maulwürfe im Hausgar-
ten. Da beschlossen die Bewohner, mit den Maulwürfen sehr liebe-
voll zu reden und sie zu bitten, auf ein anderes Feld am Weldrand
umzuziehen. Und eines Abends setzte sich die ganze Komn::':2 im
Kreis vor den Garten und sprach mit den Maulwiirfen. Und sie. -
sie zogen aus!
280
ANMERKUNGEN
Der Abschluß eines Buches ist mit Dank an diejenigen verbunden,
die geholfen haben, daß dieses Buch entstehen konnte. Da sind als er-
stes alle Gesprächspartner, die freundlichen und die weniger freundli-
chen - und wohl auch manchmal unerfreuten - zu nennen, über die ich
geschrieben habe. Und der Dank gilt auch den Wissenschaftlern und
Literaten, auf deren Arbeiten ich mich bezogen habe. Jedes neue Buch
baut auf dem imagináren Gesprách mit den toten und den lebenden Au-
toren anderer Bücher auf. Aber auch auf den geführten und oft gar
nicht buchbezogen geführten Gespráchen mit Freundinnen und Freun-
den, Kolleginnen und Kollegen. Ich danke ihnen, die mir auf meinen
Wegen und Umwegen, daheim oder auf Reisen, eine Beziehungssprache
gegeben haben. Und ich móchte einigen von ihnen namentlich danken:
Erika Haindl, mit der ich gemeinsam zwischen der Schweiz, den USA,
Amsterdam und Sindelfingen Aspekte des Neuen Zeitalters erfahren
und diskutiert habe; Marietta Schult, die nicht nur mit Geduld, sondern
auch mit fragendem und sagendem Interesse meine Manuskripte leser-
lich gemacht hat; Gisela Welz, mit der ich gemeinsam ein studentisches
Forschungsprojekt zur Topographie der neuen Spiritualitát im urbanen
Raum leitete, die mein Manuskript gelesen und mir manche Anregun-
gen gegeben hat, die meine Übersetzungen aus der englischen Sprache
überprüft hat; Hermann Tertilt, der mir nicht nur eine Hilfe in der Er-
stellung der endgültigen Fassung war, sondern auch ein kritischer Leser,
der mir manche Hausaufgaben zur Verdeutlichung und Verdichtung
meines Textes erteilt hat.
SchlieBlich danke ich der Deutschen Forschungsgemeinschaft / Bonn,
die mir für die Forschungsreise in die USA 1982 eine Reisebeihilfe ge-
wührt hatte, und besonders der Stiftung Volkswagenwerk / Hannover, die
mir 1987 über ein akademisches Halbjahr nicht nur eine erneute For-
schungsreise in die USA ermóglichte, sondern mir auch, über die Finan-
zierung eines Vertreters meiner Professur, die Ruhe und das gute Gewis-
sen gab, mich vorübergehend von meinen Lehrverpflichtungen abzuset-
zen, um schließlich neue Erfahrungen in den Erwartungshorizont der
Studierenden einbringen zu kónnen.
Und meinen Studierenden móchte ich zum Schluf ebenso danken. Sie
haben mir in einer Zeit der Herrschaft der invisible voice an der Universi-
tát, der versuchten Verhinderung unserer kulturanthropologisch-interdis-
281
ziplinär angelegten Forschung und Lehre — unseres selbstangebauten
Gartens — die relational voice gegeben. Lehre ist eingeordnet in eine Be-
ziehungssprache — gemeinsam und kritisch die knowing voice der autori-
táren und konservativen Wissenschaftstradition hinterfragend. Antizipa-
tion des Móglichen oder nostalgische Illusion auf eine Studienform und
die Grenzüberschreitung traditionalistischer Wissenschaften?
Die Anmerkungen sind folgendermaßen zu lesen:
- im Text aufgeführte Literatur ohne Zitat ist der Bibliographie zu ent-
nehmen;
die Zitate und Bezugnahmen sind kapitelweise in der Reihenfolge des
Textes angegeben;
die Übersetzungen aus fremdsprachlicher Literatur stammen, soweit
keine übersetzte Ausgabe vorhanden war und kein anderer Übersetzer
angegeben wurde, von der Autorin;
die Literaturhinweise beziehen sich auf verarbeitete Spezialgebiete
und dienen der weiteren Vertiefung.
Im laufenden Text sind
- alle wórtlichen Zitate kursiv gedruckt;
ebenso sind einzelne Begriffe, die die Autorin als geistiges Eigentum
anderer oder eigener interpretativer Begriffsschöpfungen versteht,
kursiv gedruckt. Das bezieht sich allerdings nur auf die erstmalige Er-
wähnung oder spätere besondere Hervorhebungen.
Vorwort
Zitate und Bezugnahmen:
Mao Tse-tung: Über die Praxis, 363; Lefébvre: Das Alltagsleben, 276;
Foucault: Die Ordnung der Dinge, 447; Clifford: On Ethnographic Sur-
realism, 551; Mao Tse-tung: Über den Widerspruch, 367.
Literaturhinweise:
Kritik der eigenen Gesellschaft:
George E. Marcus und Michael M. J. Fischer schreiben in der Einleitung
ihres Buches »Anthropology as Cultural Critique«, daB die Sozial- und
Kulturanthropologie des 20. Jahrhunderts ihrer westlichen Leserschaft
Aufklárung an zwei Fronten versprochen habe. Das zweite Versprechen,
wenic " b2rvorgehoben und beachtet als das erste, war dasjenige, als eine
Art Lusturkritik für uns selbst zu dienen. Im Aufzeigen der Portraits fremder
E.turr:-5ter, um unsere eigenen Wege selbstkritisch zu reflektieren, durch-
bri..! Anthropologie das Gewohnheitsdenken und zwingt uns, unsere für
sicher ccnommenen Annahmen zu hinterfragen (S.1). Und zum neuen
2
P
engagierten’ Relativismus heißt es dort: Er muß fortfahren, einen über-
zeugenden Zugang zu der Verschiedenheit in der Welt zu vermitteln, zu einer
Zeit, in der die Wahrnehmung, wenn nicht die Realität, dieser Verschieden-
heit durch Zas moderne Bewußtsein bedroht ist. .. Die Verschiedenheit in der
Welt wird nicht länger entdeckt ..., sondern muß wiedererlangt oder als
wertvoll u:4 bedeutend wiederentdeckt werden — in einer Zeit deutlicher Ver-
einheitlichung und mangelnder Authentizität, in einer Zeit, die zwar kultu-
relle Verschiedenheit sucht, aber ihre praktischen Folgen ignoriert (5. 167*
Verkehrte Welt:
Vgl. Kap. 11.
Collage:
Vgl. Kap. 10.2.
Objektiver Zufall («hasard objectif »):
Vel. zum «hasard objectif» im Surrealismus, der damals, über Bretons
'Nadja« zu einer Art Gruppenmythos geworden war, Spies / Max Ernst, 29.
1.1 Grenzüberschreitungen
Zitate und Bezugnahmen:
Bloch: F-inzip Hoffnung I, 433f.; 434f.; Heller, André: Abendland,
Schallplatte Electrola 1C 062 — 31845; Diamond: Anthropologie am
Scheideweg, 229; Heinrichs in Leiris: Auge des Ethnographen, 8; Leiris:
Auge des Ethnographen, 34; Leiris: Mannesalter, 203, 199 £., 202f.; Lei-
ris: Auge des Ethnographen, 246, 262; Duerr: Kónnen Ethnologen flie-
gen, 24ff.; Duerr: Traumzeit, 153, 161, 88, 85, 141, 140, 29; Deloria:
Briefzitat in Duerr: Der Wissenschaftler und das Irrationale II, 645;
Mille: Don Juan Papers, 17; Horx: Ade, Don Juan, 52; Black Elk in
Brown: Begrabt mein Herz, 248; Castaneda: Don Juan, Ixtlan, 27 f.; Ca-
staneda: Kunst des Pirschens, 10; Koepping: Lachen und Leib, 301;
Schlesier: Tsistsistas-Praxis, 143; Heinrichs: Die katastrophale Mo-
derne, 26; Kerényi: Auf Spuren des Mythos, 67; Greverus: Kulturdi-
lemma, 46; Heinrichs: Postmoderne; Tyler: Post-Modern Ethnography.
Literaturhinweise:
Fremderfahrung, (unterlassene, verdrángte) Selbsterfahrung in der
Feldforschung:
Clifford, Marcus: Writing Culture; Devereux: Angst und Methode; Erd-
heim: Produktion von Unbewufitheit ; Greverus, Kóstlin, Schilling: Kul-
283
turkontakt - Kulturkonflikt. Zur Erfahrung des Fremden; Greverus:
Kultur und Alltagswelt; Greverus: Sehnsucht des Ethnologen; Kohl:
Exotik als Beruf; Kohl: Abwehr und Verlangen; Lindner: Angst des For-
schers; Marcus, Fischer: Anthropology as Cultural Critique; Stagl: Kul-
turanthropologie.
Diskussion um Castaneda:
Drury: Don Juan; Mille: Reisen des Carlos Castaneda; Mille: Don Juan
Papers; zahlreiche Beitráge in Duerr: Der Wissenschaftler und das Irra-
tionale.
Diskussion um Duerrs Traumzeit:
Gehlen, Wolf: Der gláserne Zaun.
1.2 Auf den Spuren des New Age-Mythos
Überarbeitung aus Greverus: Auf den Spuren des New Age-Mythos in
Amerika. Wáhrend meiner Feldaufenthalte habe ich folgende Kommu-
nen und Institutionen einer New Age-Bewegung besucht: Bhagwan
Rajneeshporam Ranch/Oregon; Cerro Gordo Community / Oregon;
Alpha Farm / Oregon; Green Gulch / Kalifornien: Esalen Institute / Ka-
lifornien; Fallarones Institute / Kalifornien; Ojai Foundation / Kalifor-
nien; Theosophical Center Crotona / Kalifornien; World University The
Farm/ Tennessee; Rainbow People/ Arizona; Arcosanti (Soler? ./ Ari-
zona; Twin Oaks / Virginia; Inner Light Center/ Virginia; Cayce ...nter/
Virginia; Sawan Kirpal Meditation Center/ Virginia; Plenty Center /
New York.
Zitate und Bezugnahmen:
Kerényi: Auf Spuren des Mythos, 10, 11; Koselleck: Vergangene Zu-
kunft, 356; Eliade: Das Heilige und das Profane, 57; Bloch: Prinzip
Hoffnung II, 167; Roszak: Das unvollendete Tier, 211, 221; Braudel: Ge-
schichte und Sozialwissenschaften, 53; Ferguson: Sanfte Verschwórung,
149, 151, 150f.; Roszak: Das unvollendete Tier, 131, 18; Solomon: Earth
Changes, 34.
Literaturhinweise:
Neue Geschichte und «longue durée»:
Bloch, Braudel, Febvre: Schrift und Materie in der Geschi.
784
Utopiediskussion:
Voßkamp: Utopie-Forschung.
(Land-)Kommunen-Bewegung:
Greverus: Landbewegungen; Greverus, Haindl: Versuche, der Zivilisa-
tion zu entkommen; Greverus, Haindl: Ókologie - Provinz — Regiona-
lismus; Holloway: Heavens on Earth; Kanter: Commitment and Com-
munity; Schibel: Das alte Recht.
Roszaks Analysen sub- und gegenkultureller Bewegungen in:
Gegenkultur; Where the Wasteland Ends; Das unvollendete Tier;
Mensch und Erde (Kap. I „Das Manifest der Person“).
Punk u. a. ‘subversive Stile’ jugendlicher Subkulturen:
Clarke: Jugendkultur; Hebdige: Subculture; Willis: Profane Culture;
Voigt: Punks (ebd. 293, 329, 270 die Zitate von Straßenpunks).
Collage:
Vgl. Kap. 10.2.
Charisma und Verwandlung:
Vgl. Kap. 9.1-9.4.
Katastrophen-Literatur:
Vgl. Kap. 9.2: Zur Metapher Die Bombe ist schon gefallen, und wir sind die
Mutanten der amerikanischen Wandinschrift vgl. den Roman »Malevile
oder Die Bombe ist gefallen« von Robert Merle; s. dazu: Kuon: Apoka-
lypse und Abenteuer.
Darshan Singh:
Vgl. bes. Kap. 1.4.
Paul Solomon:
Vgl. bes. Kap. 1.4, 9.4.; vgl. das Mitteilungsblatt »JLC. In Belgium and on
the Continent« für die Workshop- und Reiseangebote in Inner Light
Consciousness.
Etora:
Vgl. Prospekte Etora, Seminar- und Meditationszentrum, Forum, Costa,
Tegise, Lanzarote, unter dem Titel »Die Reise zum Zentrum«; s.a. Blaser
u. a.: Urbanitát und Spiritualität.
Am Institut für Kulturanthropologie und Europäische Ethnologie
wird z. Zt. eine Untersuchung zu einer »Spirituellen Topographie« im ur-
28^
banen Raum im Vergleich der Städte Frankfurt a. M. und Freiburg i. Br.
durchgeführt, Veröffentlichung 1990 in der Schriftenreihe „Notizen“ des
Instituts; vgl. Blaser u.a.: Urbanität und Spiritualität.
1.3 Umwege
Die ‘Umwege’ basieren auf Forschungsreisen und Feldaufenthalten in
China (1985), Fiji, Tonga, W-Samoa (1986), Indianer-Reservat Mooso-
nee / Moose Factory / Kanada (1986), Sizilien (1958/59, 1961, 1981,
1983). Soweit nicht anders angegeben, liegen den Zitaten und Hinweisen
eigene Gesprüche und Beobachtungen zugrunde. Der Abschnitt über Si-
zilien ist meinem Aufsatz »Tradition der Traurigkeit und anarchische
List. Zu einer sizilianischen Identitütsarbeit« entnommen. Zu meinen
persónlichen Erfahrungen in der Südsee vgl. Greverus: Kulturdilemma.
: Zitate und Bezugnahmen:
Bauer: China, 22, 224 ff. (Paradies des Westens), 551; Die Große Proleta-
rische Kulturrevolution 2, 26 f. (Ost-West-Wind-These); Mao Tse-tung:
Über den Widerspruch, 395; Mao Tse-tung: Über die Praxis, Werke I,
363; Zitat Mao Begriff ist Realität .. nach Grimm / Mao Tse-tung, 96;
Bauer: China, 544; Illich: Genus, 19; Capra: Wendezeit, 40, 44, 42, 46;
I Ging: 11; Ferguson: Die sanfte Verschwórung, 449; Caucau: Installation
of a Fijan Chief, 191; Aiavao: Who's Playing Maked Now, !” : Vusoni-
wailala: Communication, 6f.; Crocombe: The Pacific Way, . ; Lampe-
dusa: Der Leopard, 167; Barbera: I ministri dal cielo, 73 ff., «. ..; 1.os-
zak: Das unvollendete Tier, 224; Roszak: Mensch und Erde, ©
Literaturhinweise:
Strukturwandel in der Volksrepublik China:
Fischer, Krockow, Schubnell: Das neue Selbstbewufitsein; Kraus: Wirt-
schaftliche Entwicklung; Schubnell: Strukturwandel; Spence: Tor des
himmlischen Friedens; Wiethoff: Grundzüge der neueren chinesischen
Geschichte; vgl. auch die informativen Berichte aus dem Alltag in: Me-
rian 3/32, China: Shanghai und der Süden; Lange: China.
Die Selbstdarstellung der neuen Wandlungen für die Fremden sind gut
aus den populér aufgezogenen Serien “China Handbook Series”, Hrsg.
Foreign Languages Press, Beijing, und “China Today”, Hrsg. Beijing Re-
view, zu ersehen.
Dort heißt es: The articles describe China in the process of modernizing
its agriculture, industry, defence and science — known collectively as the Four
Modernizations.
286
Spirituelle Chef-/ Manager-Seminare:
Vgl. Kap. 2.3, Anmerkungen.
In der Sendung des Club 2 / Wien vom 175.1988 über New Age (Teil-
nehmer: Fritjof Capra, Sharla Euler, Ina-Maria Greverus, Hermann Ha-
ken, Hans A. Pestalozzi, Klaus Podak, David Steindl-Rast; Moderation:
Axel Corti) hoben sowohl Capra als auch Euler ihre Manager-Work-
shops hervor. Frau Euler, die sich Trainerin und Referentin für Neues
Bewuftsein (Light Age) nennt, betonte hinsichtlich der teuren Manager-
Seminare sogar, daB die hohen Investitionen auch eine besondere Bereit-
schaft (zum Anschluß an das Allbewufitsein jenseits des Logo- und Wahr-
heitsbewufitseins) signalisieren. Vgl. die Kritik des New Age-Managerbe-
wufitseins bei Pestalozzi: Die sanfte Verblódung.
Der Stranger King:
Sahlins: Islands of History; vgl. auch Greverus: Kulturdilemma
Bahá'i-Programm:
Schaefer: Der Bahá'i.
Pacific Way:
Crocombe: The Pacific Way; Crocombe: The Pacific Identity; Morrison:
Pacific Viewpoint.
Zu den Institutionen des pan-pazifischen Identitátsmanagements
vgl. Crocombe: Pan-Pacific Person. Eine wichtige Rolle spielt dabei
die University of the South Pacific in Suva/Fiji. Sie betreut über
Fernkurse, Zentralkurse und Aufenstellen 11 Lánder des zentralen
Südpazifik. Das 1976 gegründete Institute of Pacific Studies hat fünf
Schwerpunkte innerhalb der Sozialwissenschaften, die vor allem
praxisorientiert im Hinblick auf die südpazifische Entwicklung sind
(social, cultural and economic studies; history and biography, government
and politics, land tenure policy and development, language and communi-
cation). Der kleine Stab, dem Ron Crocombe als “Professor of Pacific
Studies” seit 1975 vorsteht, bemiiht sich um eine enge Zusammenar-
beit mit anderen Institutionen, regionalen Organisationen und' Indivi-
duen für Kurse und Publikationen. Eine umfangreiche Schriftenreihe
zeugt von dem Engagement, mit dem hier über Gegenwartsprobleme
soziokultureller Entwicklungen und Möglichkeiten gearbeitet wird,
wobei die Skala von der Geschichte der pazifischen Länder über
gegenwärtige Politik, ländliche Entwicklungsplanung, Tourismus, die
Künste bis zur pazifischen Identität reicht. In Zusammenarbeit mit der
South Pacific Social Sciences Ass. wird über das Institut auch die
Zeitschrift »Pacific Perspective« vertrieben und das Kunstjournal
>Mana<, das von Marjorie Crocombe, Präsidentin der Pacific Creative
287
Arts Society, herausgegeben wird. In einem jährlichen Report berich-
tet das Institut über seine Lehre und Forschungen.
Die enge Verbindung von Lehre, Forschung und praxisbezogener Aus-
bildung zeigte sich insbesondere auch in den Außenstellen, wie z. B. im
USP-Institute of Rural Development in Nuku’alofa, zu dessen zentralen
Aufgaben Lehrgänge für Multiplikatoren in den Provinzen gehören, die
jeweils mehrere Dörfer betreuen. Auch der an der University of the
South Pacific während meines Aufenthalts laufende pazifische Frauen-
kongreß »Women in Development«, getragen vom National Council of
Women, Fiji, war über Diskussionen und Ausstellungen mehr Problemen
des weiblichen Alltags als abstrakten Diskussionen einer Frauenbewe-
gung gewidmet.
Situation kanadischer Indianer:
Cardinal: The Unjust Society; Waubageshig: The Only Good Indian;
Krotz: Urban Indians; Native Peoples in Canada; Weaver: Making Ca-
nadian Indian Policy; Tanner: Bringing Home Animals; Long: Treaty
No.9 (Long war seit 1972 Lehrer in Moose Factory und behandelte die
verschiedenen Antráge und Einwánde der Cree zu den Treaties).
Forschungsprojekt Sizilien des Institut für Kulturanthropologie und
Europäische Ethnologie in Frankfurt a. M.:
Giordano, Greverus: Sizilien.
Uomo solo:
Giordano: Geschichte und Skepsis; Greverus: Tradition der Traurigkeit.
Forschungsprojekt Dorferneuerung in Hessen:
Greverus, Kiesow, Reuter: Das hessische Dorf.
Forschungsprojekt Raumorientierung in Frankfurter Stadtteit«n:
Greverus, Schilling: Heimat Bergen-Enkheim.
Gesundheit des Glücks:
Roszak: Das unvollendete Tier, 267ff.; Greverus: Das wandelbare
Glück.
1.4 Worte, Wörter und das Wort
Zitate und Bezugnahmen:
Darshan Singh: Biographie, 28 f.; Popper: Logik der Sozialwissenschaf-
ten, 108 f.; Marx: Einleitung zur Kritik der politischen Ökonomie, 641 f.;
288
Schülein u.a.: Politische Psychologie, Vorwort; Darshan Singh: Ton-
band- und Gesprächsprotokolle einer Veranstaltung in Sindelfin-
gen / Stuttgart vom 11./12.6.1983; Kirpal Singh: Mensch erkenne dich
selbst, 34; Solomon: Tonband- und Gesprächsprotokolle einer Veranstal-
tung vom 24.8.1982 in Virginia Beach/ USA; Paulsen: Sunburst, 20;
Duerr: Traumzeit, 135, 129; Kerouac: Gammler, 14f.; Roszak: Das un-
vollendete Tier, 338 (Achaan Chaa ebd.); Roszak: Gegenkultur, 190;
Kuhn: Struktur wissenschaftlicher Revolutionen; Ferguson: Die sanfte
Verschwörung, 29; Roszak: Das unvollendete Tier, 214ff.; Mühlmann:
Vólkerkunde, 138f.; Eliade: Mythen; Roszak: Das unvollendete Tier,
211, 226; Zitat ,,Leiter ... Energetik". Tonbandprotokoll vom 14. 10. 1987
(Institut f. Kulturanthropologie und Europ. Ethnologie, C. Rohe); Fer-
guson: Die sanfte Verschwórung, 472.
Literaturhinweise:
Gastarbeiteruntersuchung in Sindelfingen:
Giordano, Greverus: Sizilien 1986; Giordano: Zwischen Mirabella und
Sindelfingen 1984.
Surat Shabd Yoga:
Kirpal Singh: The Crown of Life, 135 ff.
Ethnoscience / Neue Ethnographie:
Vgl. Alltagswissen; Greverus: Kultur und Alltagswelt, 102 ff.
Logos und Mythos:
Vgl. Bühner: Logos; Horstmann: Mythos; der Anthropologe Roy
A. Rappaport: Pigs for Ancestors, 308 ff., sieht im primitiven Denken und
Handeln von Stammesgesellschaften eine ókologische Vernunft wirken,
die er dem Heraklitschen Logos-Begriff zuordnet und strikt von der óko-
nomischen Rationalität und den anthropozentrischen Okosystemen der
modernen Gesellschaften trennt.
2.1 Wie Naturkatastrophen
Zitate und Bezugnahmen:
Sinclair: Der Dschungel, 38; Lorca: Werke I, 241; Ginsberg: Geheul, 30;
In den Elendsvierteln von New York, 86; Goodman: Earthquake Gene-
ration, 216, Leitsprüche.
289
Literaturhinweise:
Bronx:
Vgl. Zeitungsartikel aus >The Village Voice« von M.Berman “Roots,
Ruins, Renewals: City Life after Urbicide” (4. Sept. 1984, 118 ff.): The
South Bronx … is the site of one of the greatest aggregations of recent ruins
in the world today outside Beirut. Vgl. auch eine ebd. 1986 veröffentlichte
Artikelserie “How to Make New York Work. Nine Blueprints for a Better
City”. Die Artikel verdanke ich Gisela Welz M. A., Frankfurt a. M., die
z. Zt. eine Stadtteiluntersuchung in New Yorker Slums durchführt; aus
Gesprächen mit ihr haben sich meine Eindrücke bestätigt.
Graffiti-Kunst:
Kurlansky, Naar, Mailer: The Faith of Graffiti; Grasskamp: Wilde Bil-
der; Greverus: Naive Malerei; Welz: Die Wilden Bilder von New. York
City.
2.2 Erkenne Deine Kräfte
Zitate und Bezugnahmen:
Ferguson: Die sanfte Verschwórung, 204; Schmeidler, McConnel: ESP,
30; Roszak: Das unvollendete Tier, 72, 74, 12.
Literaturhinweise:
Cayce:
Stearn: Edgar Cayce; das A. R. E. hat ein umfangreiches eigenes Veróf-
fentlichungsprogramm, das auf den »Edgar Cayce Readings: basiert;
weiterhin erscheint monatlich eine Zeitschrift The A. R. E. Journal.
Rhine, ESP, Sheep/ Goat-Effekt:
Rhine: Extrasensory Perception; Rhine: Progress in Parapsychology;
Brian: Rhine; Palmer: Scoring in ESP; Gruber: Der Parapsychologe;
Edge: Parapsychologie; Beloff: Das Paranormale.
2.3 >Geist des Friedens«. Ein Kongref spiritueller Friedenssucher
Zitate und Bezugnahmen:
Tonband- und Gedächtnisprotokolle; Muller: New Genesis, 179 f.; Uni-
versity for Peace in: Proposal by the Government of Costa Rica. Presi-
dental Commission on the University for Peace. June, 1979 Costa Rica.
Y
B
13. - Die Zitate zu Guboo Ted Thomas entstammen ausgelegten verviel-
fältigten Manuskripten.
Literaturhinweise:
Eine scharfe Kritik an dem Kongref unter dem Titel »Starkult, Chau-
vinismus und Neokolonialismus« bei Gugenberger, Schweidlenka: Mut-
ter Erde, 280ff. - Ankündigung des Kongresses in der Nullnummer der
MZ. Neue Zeit. Zeitung für ein neues Bewufitsein«, hrsg. von Theo Kip-
penberger und Frank Kóchlin. Freiburg, Februar 1985; zu den Zielen des
Vereins Agape: Agape. Forum für Kunst, Kommunikation und interkul-
turelle Beziehungen e. V Gemeinnütziger Verein. Gerberau 14, Freiburg:
Selbstverstándnis, Ziele und Aufgaben. Ms. - Hier einige Beispiele aus
dem Prospektmaterial (man beachte die ‘amerikanische Überlagerung’
und die Preise!): 9th International Conference Tradition & Technology.
In: Transition in Kyoto/Japan, 23.-29. April 1985, Veranstalter: The
International Transpersonal Association, San Diego / Cal.; Mitveranstal-
ter Esalen Institute, The New York Open Center, KongreBgebühr 425,- $.
Sondernummer anläflich der Sri Chinmoy Friedenskonzerte 1985: Ma-
gazin 2000, Das Magazin für den Menschen von morgen. 7.Jg. Nr.1,
März 1985.
Schamanisches Heilen und wissenschaftliches Denken. Ein Fest der
Transformation, 19-21.April 1985 in Friedensweiler/ Schwarzwald,
Veranstalter: Forum International/ Freiburg, Gestalter: Prof. Dr. med.
Dr.phil. Hans Bender, Freiburg, Don Eduardo Calderon, Palomino/
Peru, ein Inkaschamane, Dr. Alberto Villodo/ USA, Anthropologe, die
Klangmagier Otto Richter/USA und Klaus Netzle/ Deutschland,
Preis 350,- DM; weitere Programme vorwiegend zu den Themen Traum
und Heilen, u.a. Seminarreihe Traum und Wirklichkeit, 3-Tage-Semi-
nar, Preis 280,- DM.
De practische weg naar innerlijke ontpooiing, 7 Tage in Den Haag,
Veranstalter: Fellowship of the Inner Light, Arnhem, eine Zweigstelle der
von Paul Solomon in Virginia gegründeten Gesellschaft, Preis hfl1220,-;
gleichzeitig wird auf die Tour mit Paul Solomon nach Israel und Ägypten
und das International Family-Gathering in England hingewiesen.
Information über Feuerseminare in Europa, Veranstalter: Transforma-
tions-Seminare Karl Everding / Hamburg mit Artikeln »Walking on Fire«
von M. Sky und Dio U. Neff; Reinkarnationstherapie, 2 Tage, Veranstalter:
Transformations-Seminare Karl Everding/ Hamburg, Preis 250,- DM.
Spiritual Works of Our Time, Experience Week und Konferenz der
Findhorn Foundation, Schottland, Oktober 1985, Preis 320,- DM.
Tibetan Medicine, Studienwoche mit Ven. dr Trogowa Rinpoche, Am-
sterdam, Veranstalter: De Kosmos, Preis hf1160,-.
29]
Innovative Workshops, Veranstalter: interhelp / Northampton, M. A. /
bzw. Interhelp Nederland, Preis für 11/2 Tage: hf1120,—
Chefseminar „Unternehmen im Wandel“ in der Akademie Wasserfal-
lenhof/Schweizer Jura, 5.-8. Mai 1985, Veranstalter: Internationales
Creativ Centrum, Themen u.a.: Der epochale Wandel, New Age, Der
Führungsstil der Zukunft, Das Unternehmens-Modell »Zirkel 2000“ als
Organismus, Persönlichkeit im Regelkreis bewußter Selbsterkenntnis,
Kursgebühr Fr950,-; weitere Programme z. B. Umdenken-Wendezeit,
persónliche und gesellschaftliche Transformation, 41/2 Tage, Kosten:
Fr350,-; Wochenendseminar zu Fr180,- zu den Themen Reinkarna-
tionsforschung, esoterische Radiästhetik, initiative Astrologie, Medita-
tion, Geistheilen, Ernährung und Bewußtsein.
3.1 Über den Sinn der Produktion von Sinn
Zitate und Bezugnahmen:
Weber: Wirtschaft und Gesellschaft, Kap. Soziologische Grundbegriffe ;
Weber: Verstehende Soziologie; Schütz: Der sinnhafte Aufbau; Schütz:
Problem der Relevanz; Schütz: Theorie der Lebensformen; Ber-
ger/Luckmann: Konstruktion der Wirklichkeit, 103, 107f.; Greverus:
E altur und Alltagswelt, 227 ff.; Gehlen: Moral und Hypermoral, 160;
z»inner: Jenseits von Freiheit und Würde; Skinner: Futurum Zwei, 240,
2341f., 261ff.; Kirpal Singh: Godman, 173, 171; Berger/ Luckmann:
Konstruktion der Wirklichkeit, 109 f.; Greverus: Kultur und Alltagswelt,
262f.; Friedrich: Bewußtsein eines Naturvolkes, 187; Cassirer: Mythi-
scher, ásthetischer und theoretischer Raum, 34; Erikson: Identität und
Lebenszyklus; Mühlmann: Umrisse und Probleme, 32; Lefébvre: Kritik
des Alltagslebens I, 206; Duerr: Traumzeit, 85, 139.
3.2 Moloch Moderne und die Unterproduktion von Sinn
Zitate und Bezugnahmen:
Marx: Britische Herrschaft in Indien, 226; Marx: Grundrisse der Kritik
der politischen Ökonomie, 387f.; Heinrichs: Die katastrophale Mo-
derne, 122, 132, 91; Lefebvre: Das Alltagsleben, 92, 59; Elias: Zum
Begriff des Alltags; Jaeggi: Ordnung und Chaos, 126; Elias: Prozeß der
Zivilisation; Redfield: Folk-Gesellschaft; Diamond: Kritik der Zivilisa-
tion, 15; Pasolini: Freibeuterschriften, 23; Zijderveld: Die abstrakte Ge-
sellschaft, 145f., 50; Schülein: Sinnprobleme in Industriegesellschaften ;
Lefébvre: Kritik des Alltagslebens II, 56f.: Rammstedt: Subjektivität
und Sozialwissenschaften, 61 f.
?
12
Literaturhinweise:
Kulturökologie und Zivilisationskritik:
Vgl. meine früheren, teilweise hier übernommenen Ausführungen in:
Greverus: Kultur und Alltagswelt, 48 ff., 2661f.; Kulturökologische Auf-
gaben; Natur im utopischen Denken; Óko pro Region; Effizienz ókolo-
gischer Nischen; der von Roy A. Rappaport über die Analyse südpazifi-
scher Ökosysteme eingeführte Begriff der ökologischen Logik gegenüber
der ökonomischen Rationalität in den anthropozentrischen Ökosystemen
der westlichen modernen Gesellschaften unterstützt die hier dargelegte
Kritik der Moderne (vgl. Rappaport: Pigs for the Ancestors, 301 ff.; Eco-
logy, Meaning and Religion).
Alltagsforschung:
Zur Kontroverse um die Alltagsforschung vgl. Greverus: Alltag und All-
tagswelt.
Tschernobyl:
Umgang mit Gefahr 1987; Gambaroff u.a.: Tschernobyl; Thompson:
Nukleare Bedrohung.
ZeitbewuBtsein :
Wendorff: Zeit und Kultur (insbes. die Auseinandersetzung mit der linea-
ren Zeit in der Geschichte Europas); Hall: The Dance of Life (interkultu-
reller Vergleich zu Zeitdimensionen); Fabian: Time and the Other (Kritik
des Allochronismus in der anthropologischen Auseinandersetzung mit
dem Fremden).
3.3 Gegenbilder
Zitate und Bezugnahmen:
Lévi-Strauss: Traurige Tropen, 367; Lévi-Strauss: Strukturale Anthropo-
logie, 134; Lefébvre: Kritik des AlltagslebensI, 211, 203ff., 208; Le-
fébvre: Das Alltagsleben, 269, 276; Diamond: Kritik der Zivilisation,
129f.; Lévi-Strauss: (kalte Gesellschaften) in: Strukturale Anthropolo-
gie IL, 22 ff., 351 ff.; Lévi-Strauss: Primitive und Zivilisierte, 33 ff.; Zijder-
veld: Die abstrakte Gesellschaft, 78 ff., 82, 83; Romein: Algemeen Men-
seleijk Patroon; Romein: Über den Konservatismus; Durkheim: Teilung
der sozialen Arbeit; Bloch: Prinzip Hoffnung, 1628; Weiß: Volkskunde,
53; Rosaldo: Imperialist Nostalgia; Greverus: Zu einer nostalgisch-re-
trospektiven Bezugsrichtung; Joh. Linke zit. nach Schonauer: Deutsche
Literatur im Dritten Reich, 116f.; Sennett: Verfall und Ende des óffentli-
293
chen Lebens; Greverus: Kommunität; Offe: Identität der kommunalen
Ebene.
Literaturhinweise:
Zu meinem Heimatbegriff und den historischen Ausführungen zu Hei-
mat vgl.: Der territoriale Mensch; Auf der Suche nach Heimat; The Hei-
mat Problem.
4.1 Die Sehnsucht nach dem ewigen Augenblick.
Romantik und die amerikanischen Transzendentalisten
Zitate und Bezugnahmen:
Wendorff: Zeit und Kultur, 358; Brentano zit. nach KleBmann: Roman-
tik, 257; Tieck, ebd. 255; E. L A. Hoffmann: Elixiere des Teufels, 332;
Novalis: Aus dem Allgemeinen Brouillon 1798-1799. Werke, 452f.;
Schelling zitiert nach Wendorff: Zeit und Kultur, 367 (vgl. auch Gent:
Kategorien des Raumes und der Zeit); Wendorff: Zeit und Kultur, 367;
Lion: Romantik, 51, 50; Ferguson: Die sanfte Verschwórung, 143, 141;
Emerson: Die Natur, 174 (Selbstvertrauen); Thoreau zit. nach Pütz, Krie-
ger, Emerson: 30; Bartol ebd. 33; Emerson: Die Natur (Selbstvertrauen):
IT 1/7, 149, 150, 153, 163, 171 f., (All-Seele): 183f.; Emerson: American
Solar zit. nach Pütz, Krieger, Emerson: 67 f.; Emerson: Die Natur, 173,
1417, 173f£., (Der Transzendentalist) 229; Whitman: Grashalme (Vom
fischfórmigen Paumanok) 17, 20, 30, 31; Whitman: Complete Poetry,
376; Emerson zit. nach Pütz, Krieger: Emerson.
Literaturhinweise:
Romantische Sehnsucht / Attitüde der Protestbewegungen:
Zijderveld: Die abstrakte Gesellschaft, 100 ff. ; Roszak: Gegenkultur; Fa-
ber: Frühromantik, Surrealismus und die Studentenrevolte ; Sebald: Ro-
mantik des New Age ; Voigt: Die romantischen Strukturen der 68 er-Stu-
dentenbewegung.
Transzendentalisten :
Miller: The Transcendentalists; Buell: Literary Transcendentalism ; Pütz,
Krieger: Emerson.
Brook-Farm:
Burton: Brook Farm; Miller: The Transcendentalists, 464 ff.; Holloway:
Heavens on Earth, 134ff.
Y»
Md
Thoreaus Walden:
Thoreau: Walden; McIntosh: Thoreau; Turner: Reflexivity as Evolution
in Thoreau's Walden.
Manifest Destiny:
Smith: Virgin Land; Raeithel: Go West.
4.2 Amerikas spirituelles Sendungsbewufitsein
Zitate und Bezugnahmen:
Keyserling: Amerika, 466 f., 462, 474; Solomon: Earth Changes, 46; Mul-
ler: New Genesis, 190f.; Ferguson: Die sanfte Verschwórung, 153, 154,
160; Murphy zit. nach Myrell, Schmandt, Voigt: Neues Denken, 33; Ros-
zak: Das unvollendete Tier, 269f.; Ferguson: Die sanfte Verschwórung,
161; Norman Fischer zit. nach Myrell, Schmandt, Voigt: Neues Denken,
44; Richard Baker ebd. 47; Richard Baker: Jeder besitzt ein schimmern-
des Juwel, 172; Richard Baker in Neues Denken, 46.
Literaturhinweise:
Esalen Institute:
Außer der bereits angegebenen Lit. vgl.: The Esalen Catalog, insbes. “25th
Anniversary. The Early Years”, Sept. 87-Febr. 88, Esalen Institute, Big
Sur, CA 93920; Capra: Das neue Denken, 293 ff.; zu den eigenen Erfah-
rungen der Autorin im Esalen Institute vgl. Greverus: Kulturdilemma.
Zur Entwicklung amerikanischer Glücksvorstellungen bis zur Gesund-
heit des Glücks vgl. Greverus: Das wandelbare Glück.
4.3 Spiritualität. Träume von Philobaten?
Zitate und Bezugnahmen:
Raeithel: Go West, 89, 49; Emerson: Die Natur, 89; Whitman: Gras-
halme, 151 f.; Roszak: Das unvoliendete Tier, 348 ff. ; Raeithel: Go West,
48; Whitman: Grashalme, 149, 143, 145, 146; Balint: Therapeutische
Aspekte, 200, 75; Raeithel: Go West, 74, 86f., 57.
5.1 Die Suche nach der harmonischen Verschmelzung
Zitate und Bezugnahmen:
Balint: Angstlust; Balint: Urformen der Liebe; Balint: Therapeutische
204
Aspekte der Regression, 81 f., 82 f., 90f.; Kuenzli: Dialektik der Heimat:
Gambaroff: Utopie der Treue, 55.
Literaturhinweise:
Geschichte der Verbindungen zwischen Anthropologie / Ethnologie
und Psychologie / Psychoanalyse:
Erdheim: Die gesellschaftliche Produktion von UnbewuBtheit, 9 ff.
5.2 Gesellschaftliche Grundstórung und der Bürger als Kind
Zitate und Bezugnahmen:
Diamond: Kritik der Zivilisation, 127, 115; Tocqueville: Demokratie in
Amerika, 233f.; Lévi-Strauss: Primitive und Zivilisierte, ^ : Hegner: Das
bürokratische Dilemma; Erdheim: Die gesellschaftliche Produktion von
Unbewuftheit; Weber: Gesammelte Politische Schriften, 150; Zijder-
veld: Die abstrakte Gesellschaft, 104 f.
53 Zwischen Heimwelt und Protest
Zitate und Bezugnahmen:
Raeithel: Go West, 109 ff., 52; Danckert: Unehrliche Leute; Lutz: Weibs-
Bilder, 44ff., 46ff., 194ff., 5Off.
Literaturhinweise:
Verhinderung von Reife:
Vgl. Kap. 11.
6.1 Repolitisierung der Spiritualität?
Zitate und Bezugnahmen:
Roszak: Das unvollendete Tier, 61 f., 63, 64f., 347; Roszak: Mensch und
Erde, 67, 52f., 69, 58; Capra: Wendezeit, 42; Ferguson: Die sanfte Ver-
schwórung, 264; Roszak: Mensch und Erde, 58; Heinrichs: Die katastro-
phale Moderne, 95; 2.(hektograph.) Rundschreiben der BAG »Spiritu-
elle Wege in Wissenschaft und Politik« (Rheindemonstration); ebd. 28
(Celtsun); ebd. 28 (Swift Deer); Keyserling: Kriterien der Wassermann-
zeit, 154; Mescalito 1/86, 29ff.; ebd. 11, 10; B. Róth in: taz vom 7. 1.85;
Bericht Gründungsinitiative BAG »Spirituelle Wege in Wissenschaft und
V6
Politik«, 18./19. 11. 1986 (hektrograph.); Schaer: Kraft des Regenbogens,
51, 122.
Literaturhinweise:
Bateson, Gregory:
Der 1980 verstorbene Gregory Bateson war, wie es seine Kollegen und
Freunde Robert J.Levy und Roy Rappaport ausdrücken, a deeply
puzzline figure to a good many of his colleagues (American Anthropolo-
gist 84, 1982, 380). Seine interdisziplinär angelegten Arbeiten zwischen
Naturwissenschaft, Kulturanthropologie und Psychiatrie zielten auf eine
ökosystemische Sicht der Lebensprozesse, die er unter dem Begriff mind
herausarbeitete.
Hier liegt seine Verbindung zu einer New Age-Bewegung und insbe-
sondere zum Esalen Institute / Big Sur, das zur Gründungszeit weniger
spirituell-psychotherapeutisches Workshop-Angebot als vielmehr Dis-
kussionsforum für die intellektuellen Außenseiter eines ‘Neuen Den-
kens' war (vgl. The Esalen Catalog 1987/88 »25th Anniversary«; Capra:
Das neue Denken, 293 ff.).
Zur Lebens- und Wissenschaftsgeschichte vgl. Levy, Rappaport: Gre-
gory Bateson (mit Bibliographie): Lipset: Gregory Bateson.
Diane Battung:
Interview »Neue Dimensionen des Gehirns. Entdeckt die Neurophysio-
logie das dritte Auge« in: Mescalito 1/86, 32ff.; zu einem 1987 von Diane
Battung geleiteten Seminar ,Quantensprung" im Schwarzwald vgl.
Haindl: Die Mythen kehren zurück.
Arnold Keyserling:
Vgl. Kap. 8.1.
Zum gesamten Komplex dieser spirituellen Politik und ihrer Tráger-
schaft vgl. Gugenberger, Schweidlenka: Mutter Erde.
6.2 Persönliches Maß oder neue Kommunität?
Zitate und Bezugnahmen:
Roszak: Mensch und Erde, 162, 163f., 237, 254f., 245, 238; Mumford:
Die Stadt, 599 ff.; Mumford: Hoffnung oder Barbarei, 197, 212.
297
Literaturhinweise:
Paolo Soleris Arcology:
Soleri: Arcology; Soleri: Arcosanti; Greverus: Wohnstätten des Seins.
6.3 Aber braucht der Mensch dafür Engel?
Zitate und Bezugnahmen:
Berger: Spuren der Engel, 67, 68, 82, 83, 108f.; Schult: Gefallene Engel,
319; Esoterische Tagung. Horn-Externsteine vom 8.-10. Mai 1987 , Auf
den Schwingen der Seele“, Himmel-Forum, Anmeldungsschreiben;
Schiwy: Geist des Neuen Zeitalters, 61; Rosenberg: Engel und Dämo-
nen, 318f. (Zit. nach Schiwy: Geist des Neuen Zeitalters, 60); Paulsen:
Sunburst, 337f.; Evans: Kulte des Irrationalen; Mun in: Founder's Ad-
dress, Dialogue and Alliance, Assembly of the World's Religious.
Nov. 15, 1985. New Jersey, USA; Findhorn in: Myrell, Schmandt, Voigt:
Neues Denken, 59 ff.; The Findhorn Garden, 62, 67; Spangler: New Age;
Blaser in: Greverus, Haindl: Okologie — Provinz — Regionalismus, 199f.;
Findhon in: Myrell, Schmandt, Voigt: Neues Denken, 65, 64.
Literaturhinweise:
Land Mu (Lemuria):
Als Vorlage für die Lost Continent-Phantasien haben Paulsen die Bücher
von Churward über Mu gedient.
Norman Paulsen:
Vgl. Kap. 9.4; die lebensgeschichtlichen Daten stammen aus seiner Auto-
biographie »Sunburst«; über das Waffenlager, die Errichtung eines Forts
und militárische Übungen - nach Exmitgliedern: ... um sich gegen die
"Horden' zu verteidigen, wenn die Gesellschaft zusammenbricht, oder: Das
Pueblo ist das Fort für Armageddon — wird ausführlich in Santa Barbara
News and Review v. 7.3. 1975 unter dem Titel » Arsenal for Armageddon:
berichtet. Es ist der erste Artikel einer Serie über die Brotherhood of the
Sun oder die Sunburst Communities.
Bei meinem Besuch 1982 war das Gelànde bereits verkauft, die noch
verbliebenen Mitglieder lebten in armseligen Baracken, waren wenig
kommunikationsbereit und warteten auf die Übersiedlung nach Nevada.
Der großzügige, saubere und mit einem reichhaltigen Angebot versehene
Natural-Food-Laden wurde noch geführt. Das Restaurant war geschlos-
sen. Der neue Besitzer der Ranch führte ihren Bankrott auf fehlende
Skills und fehlende Investitionsmöglichkeiten zurück, andere Interpre-
AR
ten auf die Überlagerung mit verwahrlosten Jugendlichen oder, wie ein
Presseartikel, auf die Veruntreuungen von Paulsen und seiner Frau (Paul-
sen pleads poverty, but wife banks $45000, Santa Barbara News and Re-
view v. 14. 3. 1975).
Die Sunburst Community gehörte jedenfalls zu der von Kanter: Com-
mitment and Community, als psychosoziale Gegemodelle mit Missions-
charakter bezeichneten Kommunenbewegung der Nachkriegszeit. Vgl.
auch die Untersuchung von dreizehn amerikanischen Kommunen bei
Gardner: The Children of Prosperity.
In der Selbstdarstellung »What is Sunburst (in: Sunburst Communi-
ties Pioneering a Vision for the New Age. 1980) hieB es: Sunburst ist un-
sere Konzeption des Großen Amerikanischen Traums in Aktion. Der Traum
manifestiert sich in Seele, Geist und Kórper der Mitglieder von Sunburst ...
Die erfolgreiche Manifestation des Großen Amerikanischen Traums wird
das physische, mentale und spirituelle Wohlergehen für alle Wesen sein, die
diesen Weg gehen.
Myung Mun:
Fuchs: Jugendsekten, 81 ff.; Mildenberger: Die religiöse Revolte, 67 ff.;
Zinke: Religionen am Rande, 73 ff., 123ff.; Hammerstein: Ich war ein
Munie.
Findhorn:
Vgl. außer der zitierten Literatur noch den Erlebnisbericht von Hawken:
Zauber von Findhorn; s. a. Trevelyan: Vision des Wassermann-Zeitalters,
189 ff.
71 Vom präpersonalen Schlummerzustand zum Ende der Welt
Zitate und Bezugnahmen:
Wilber: Halbzeit der Evolution, 44, 61, 27, 355, 31, 32, 331, 351, 367, 366,
384 f£., 378 ff., 383; Zitat transpersonale Landstreicher in: Zündel: Ken
Wilber, 47; Wilber: Halbzeit der Evolution, 370, 44 (Neumann); Lilly:
Deep Se!f, 175 ff., 190, 194, 199, 242, 258, 243; Keyserling: Kritik der my-
stischen Erfahrung; Wilber: Halbzeit der Evolution, 34, 384, 54; Teilhard
de Chardin nach: Teilhard de Chardin II, 160; Wilber: Halbzeit der Evo-
lution, 354f.; Teilhard de Chardin: Mensch im Kosmos, 28!
290
72 Kryptoerotische Variationen
Zitate und Bezugnahmen:
Wilber: Halbzeit der Evolution, 354, 342; Teilhard de Chardin (Das kos-
mische Leben, 1916) zit. nach Schiwy: Geist des Neuen Zeitalters, 48 f.;
ebd. 92; Bhagwan Shree Rajneesh: Book of the Secrets (zit. nach Hum-
mel: Indische Mission, 222f.), 95, 400, 351, 404, 355, 44f.; Bhagwan
Shree Rajneesh: Intelligenz des Herzens, 79 (zit. nach Duerr: Angst vor
dem Leben, 638); Wilber: Das holographische Weltbild, 23; Sex zit. nach
Malatesta: Cosmic Orgasm, 13; Steindl-Rast: Religion religiós machen,
197f.; Bhagwan Shree Rajneesh: Mein Weg, 194; Wilber: Halbzeit der
Evolution, 374, 372; Bhagwan Shree Rajneesh: Aids, 107f., 109; Rees:
Menschwerden, 14, 13.
Literaturhinweise:
Wilhelm Reich:
Die Orgontheorie wurde vor allem in Reich: Der Krebs, entwickelt. Sein
Schüler Lowen: Love and Orgasm, hat die Lehre von der Bioenergie in
die bioenergetische Heilmethode weitergeführt. Zu Reich: Rycroft: Wil-
helm Reich.
Bhagwan Shree Rajneesh:
Die Buch- und Kassettenproduktion von Rajneesh, jetzt wieder aus
Poona, láuft unvermindert und wird über einen eigenen Rajneesh Verlag
publiziert, der auf der Buchmesse in Frankfurt 1988 mit grofiem Angebot
auftrat. In der Edition Tao ist 1988 »Mein Weg: Der Weg der Weißen
Wolke« in neunter Auflage erschienen. Es sind Reden von 1974 aus
Poona, die vor allem die westlichen Anhänger ansprechen sollten. Zu sei-
ner Lehre von Sexualität und Spiritualitát vgl. vor allem »The Book of the
Secrets«. 5 Bde. Auszüge in: Tantra, Spiritualität und Sex.
Kritisch zu Rajneesh: Hummel: Indische Mission, 221 ff.; Mildenber-
ger: Die religiöse Revolte, 158 ff.; Gugenberger, Schweidlenka: Mutter
Erde, 190ff.; vgl. auch Kap.9.4; die aus einer Diplomarbeit erwachsene
"Geschichte einer Bewegung' von Thoden, Schmidt: Mythos um Bhag-
wan, ist eher deskriptives und wenig distanziertes Sachbuch als eine kriti-
sche Aufarbeitung.
73 Das ozeanische Gefühl
Zitate und Bezugnahmen:
Tugenden' als Voraussetzung für die Initiation in den Surat Shabd Yoga-
300
Pfad: Protokolle Sawan Kirpal Meditation Center Bowling Green: Virgi-
nia 1982; Workshop Sindelfingen: Stuttgart 1983; Kirpal Singh: Mensch
erkenne dich selbst, 20; Kirpal Singh: Die sieben Wege; Kirpal Singh:
Trown of Life, 135 ff.; Kirpal Singh: Godman, 140; Kirpal Singh: Crown
of Life, 143; Bhagwan Shree Raijneesh: Sprengt den Fels, 80; Gaskin:
Season's People, 54; Gaskin: Hey Beatnik!; Trevelyan: Vision des Wasser-
mannzeitalters, 81, s. d. in einem Vortrag ,,Der lebendige Geist und Ge-
spräch v. 13.3. 1987 in Frankfurt, 48, 50, 78 f.; Ananda-Seminar ,,Heilen
mit Musik" in Freiburg i. Br. 17/18.10.1987; Weber: Religionssoziolo-
gie II, 230; Roszak: Mensch und Erde, 273.
Literaturhinweise:
Kirpal Singh:
Dressel: Dem Vollendeten begegnet (Lebensgeschichte, von einer.An-
hángerin geschrieben); Hummel: Indische Mission, 161 f. (insbesondere
über den synkretistischen Ansatz des Sikhismus).
Stephen Gaskin und The Farm:
Vgl. Kap. 10.3.
8.1 Zwischen Wissenschaft und Offenbarung
Zitate und Bezugnahmen:
Wilber: Halbzeit der Evolution, 386ff.; Rosenberg zit. nach Schiwy:
Geist des Neuen Zeitalters, 60; Capra: Wendezeit, 46; Schiwy: Geist des
Neuen Zeitalters, 79 ff.; Wilber: Halbzeit der Evolution, 354f., 339ff.;
Teilhard de Chardin: Mensch im Kosmos, 281; Roszak: Mensch und
Erde, Motto; A. Keyserling: Kritik der Mystischen Erfahrung.
&.2 Alles ist in Ordnung
Zitate und Bezugnahmen:
Zijderveld: Die abstrakte Gesellschaft, 111, 113; Trevelyan: Vision des
Wassermannzeitalters, 39f.; Roszak: Mensch und Erde, 42; Trevelyan:
Vision des Wassermannzeitalters, 39.
301
8.3 Die Hausgebundenen und die transpersonalen Landstreicher
Zitate und Bezugnahmen:
Jonestown: vgl. Kap.9.3; Ojai Foundation: Tonbandprotokoll 1992;
Keyserling: Kritik der mystischen Erfahrung; Thoreau: Walden, 80; Ri-
chartz in ebd. 15; Whitman: Grashalme, 143; Ojai Foundation: Ton-
bandprotokoll 1982; Roszak: Mensch und Erde, 259 ff.; Keyserling: Kri-
tik der mystischen Erfahrung; Teilhard de Chardin (1934) in: Schiwy:
Teilhard de Chardin, Bd. II, Motto; Ginsberg: Das Geheul, 23, 27 f., 43f.
91 Charismatisches Klima und charismatischer Prozef
Zitate und Bezugnahmen:
Weber: Wirtschaft und Gesellschaft, 179 ff., 832ff.; Otto (Reich Gottes
und Menschensohn) zit. nach Mühlmann: Chiliasmus und Nativismus,
252; Mühlmann: Chiliasmus und Nativismus, 243 ff. (vgl. ders.: Die cha-
rismatische Verführung); Lipp: Stigma und Charisma; Otto: Das Hei-
lige; Mühlmann: Chiliasmus und Nativismus, 321; Thoreau: Pflicht zum
Ungehorsam; Thoreau: Walden, 206; Gennep: Rites of Passage; Turner:
Liminal to Liminoid, 42 (vgl. ders.: The Ritual Process); Roszak: Das un-
vollendete Tier, 15, 106 £., 107f., 104; Mühlmann: Chiliasmus und Nati-
vismus, 282; Ferguson: Die sanfte Verschwórung, 154.
92 Messianische Wehen und Erlósung
Zitate und Bezugnahmen:
Roszak: Das unvollendete Tier, 349; Mescalito 10/86: 19; Geipel: Ha-
zard-Forschung, 68; Goodman: Earthquake Generation, 54; Jochmans:
Rolling Thunder, 208 f., 210, 213, 11; Solomon: Earth Changes; Lemuria
Ranch: "Brotherhood of the Sun. Arsenal for Armageddon", Santa Bar-
bara News & Review, March 7, 1975; Paulsen: Sunburst, 522; John Kim-
ming: Diese Zeit wird 'Zeit der Reinigung' genannt. Eine Prophezeiung
der Hopi, vervielfältigtes deutschsprachiges Manuskript der Überset-
zung eines englischsprachigen Tonbands, das bei einem Workshop in Ka-
lifornien aufgenommen wurde. Hrsg. Hermann und Erika Haindl. Hof-
heim / Ts. 1986.
302
93 Die 'Helden' des Neuen Zeitalters
Zitate und Bezugnahmen:
Grimm, Faulstich, Kuon: Apokalypse, 8f.; Wilber: Halbzeit der Evolu-
tion, 367; Campbell: Der Heros, 355; Mountain Seminar Center-Work-
shop: Catalog of Events 1987; Jung: Symbole der Wandlung, 681, 567,
501, 523f., 681; Lipp: Stigma und Charisma, 222, 229; Mühlmann: Cha-
rismatische Verführung, XXVI; Sennett: Verfall und Ende des óffentli-
chen Lebens, 365; Pozzi: Jonestown, 125, 124, 125, 128; Durkheim:
Selbstmord, 322 f.
94 Die radikale Verwandlung und die neuen signifikanten Anderen
Zitate und Bezugnahmen: .
Rajneesh Times International: Deutsche Ausgabe v. 15. Mai 1988, Video-
Diskurs Rajneesh v.23.Juni 1988; Roszak: Das unvollendete Tier, 228;
Berger, Luckmann: Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit,
167ff.; Paul Solomon-Workshop 1982: eigene Notizen und Kassette
"Teacher's Training", 8/23/82 (auch Solomons Lesungen werden ‘live’
aufgenommen und verkauft); Ferguson: Sanfte Verschwórung, 447 ff.;
zur charismatischen Inszenierung vgl. Mühlmann: Charismatische Ver-
führung; Paulsen: Sunburst: Kirpal Singh; Godman, 98f. (Gedicht von
Sehjo Bai).
10.1 Der okkulte Jargon
Zitate und Bezugnahmen:
Diktatur der Freundlichkeit, 144 ff.; Clifford: Ethnographic Surrealism;
Adorno: Jargon der Eigentlichkeit, 9, 7; Diktatur der Freundlichkeit,
149, 215, 144; Heinrichs: Das Unbewufite und das Fremde; Tonband-
Interview Freiburg 1987, Institut für Kulturanthropologie und Europäi-
sche Ethnologie (Autor der »Diktatur der Freundlichkeit); Adorno: Ok-
kultismus, 321; Adorno: Jargon der Eigentlichkeit, 12; Bhagwan Shree
Kajneesh in Rajneesh Times International (dt. Ausgabe) v.20.11.1987;
Adorno: Jargon der Eigentlichkeit, 12, 9; Roszak: Das unvollendete Tier,
338 f.; Dundes: Volkskunde, 263; Adorno: Jargon der Eigentlichkeit, 11;
Leben kommt von Leben, 107, 103, 51, 78; Duerr: Traumzeit, 88; Tyler:
Post-Modern Ethnography, 133f., 132, 127, 135; Lyotard: Das postmo-
derne Wissen, 172f.; Lyotard: Immaterialitàt, 98; Dürckheim: Erlebnis
und Wandlung, 234f., 107; Solomon: Earth Changes, 24; Diane Battung-
Workshop in Haindl: Die Mythen kehren zurück, 138 f.
303
10.2 Prinzip Collage
Zitate und Bezugnahmen:
Documents 4, 1929, 215; Clifford: Ethnographic Surrealism, 550; Docu-
ments 7, 1929, 381f. (Übersetzung Marita Zimmermann); Spies: Max
Ernst, 18, 39; Ernst: Jenseits der Malerei (Wilh.-Hack-Museum), 24; Le-
febvre: Das Alltagsleben, 276, 47; Spies in: Max Ernst. Jenseits der Male-
rei (Bruxberg Dokumente); Mühlmann: Chiliasmus und Nativismus, 10;
Lévi-Strauss: Das wilde Denken, 34; Voigt: Punks, 278; Subkultur-
Untersuchungen Centre for Contemporary Cultural Studies: Clarke
u.a.: Jugendkultur, Hebdige: Subculture (Zitat S.26), Willis: Profane
Culture (Zitat S. 20); Voigt: Punks, 240; Voigt: Punks, 241; Martin: Fest
und Alltag, 62, 61, 49f.; Prospekt ,,Ganzheitliches Heilseminar* 1987,
Zentrum der Einheit, Schweibenalp, Brienz; Roszak: Das unvollendete
Tier, 43ff., 49; Ferguson: Die sanfte Verschwórung, 167 f., 171.
10.3 Gelebte Collage des Móglichen. Erfahrung und Interpretation
Zitate und Bezugnahmen:
Greverus: Naive Malerei (mit übernommenen Passagen); Bloch: Prinzip
Hoffnung, 952; Gaskin: Hey Beatnik! o. S. (drei Zitate); Gaskin: Volume
One, 120; Adorno: Jargon der Eigentlichkeit, 23, 25f., 25; Zinke: Reli-
gionen, 10; Reinalda: Gemeinsam leben, 1 (vgl. auch Vollmar: Landkom-
munen: Wojak: Dat wi 6verleven); Gaskin: Hey Beatnik! o.S. (3 Zitate);
Gaskin-Zitate in Myrell, Schmandt, Voigt: Neues Denken, 37, 36; Gas-
kin: Fey Beatnik! o.S. (4 Zitate); Gaskin: Volume One, 24, 27, 110, 116,
117, £7 ff.; Waldenfels: Absolutes Nichts, 65 f., 121, 122f., 124f.; Sennett:
Verfall und Ende des óffentlichen Lebens, 364; Roszak: Gegenkultur,
183; Kerouac: Gammler, 75; Lefébvre: Das Alltagsleben, 276; Mühl-
mann, Müller: Kulturanthropologie, 11.
Literaturhinweise:
Kritik der Jugendsekten:
Fuchs: Jugendsekten; Haack: Jugendreligionen; Hummel: Indische
Mission; Mildenberger: Die religióse Revolte; Zinke: Religionen am
Rande der Gesellschaft.
Zeugnisse ausgeschiedener Sekten-Anhànger:
Z. B. in Zinke: Religionen am Rande der Gesellschaft; Fuchs: Jugend-
sekten; Diktatur der Freundlichkeit; Hammerstein: Ich war ein Munie.
304
Geschichte der Farm:
Gaskin: Hey Beatnik!; Myrell, Schmandt, Voigt: Neues Denken, 34ff.;
Wojak: Dat wi óverleven, 79 ff.
Kommune-Bewegung in den USA:
Gardner: Children of Prosperity; Holloway: Heavens on Earth; Kanter:
Commitment and Community; Melville: Communes; Vollmar: Land-
kommunen.
Feldtagebuch:
Die Passagen aus meinem Feldtagebuch 1982 in den USA sind unberei-
nigt, d. h., sie sind weder für didaktische noch literarische Zwecke aufbe-
reitet worden, sondern sollen eben in ihrer ‘Roheit’ eine Stufe der Inter-
pretation von Erfahrung in einer Anthropologie der Erfahrung (Turner,
Bruner: Anthropology of Experience) widerspiegeln, die jener Writing
Culture (Clifford, Marcus) als Textualisierungsprozef im Verstehens-
prozeb zugrunde liegt. Zum Prozefcharakter von Erfahrung und Inter-
pretation in der empirischen anthropologischen Forschung vgl. auch
Greverus: Levels of Experience and Interpretation.
Yoga:
Eliade: Yoga; Vergleiche der Yoga-Prinzipien als Hinführung auf den ei-
genen Yoga s. z. B. Aurobindo: Der integrale Yoga; Kirpal Singh: Crown
of Life.
11. Offene Gedanken: Hoffnung oder Verkehrte Welt
Zitate und Bezugnahmen:
Bloch: Prinzip HoffnungI, 163f.; Erdheim: Die gesellschaftliche Pro-
duktion von UnbewuBtheit, 277 f.; Lévi-Strauss: Das wilde Denken, 272;
Lefébvre: Das Alltagsleben, 275; Lévi-Strauss: Primitive und Zivilisierte,
34; Zijderveld: Die abstrakte Gesellschaft, 193; M. Leiris in: Docu-
ments 7, 1929, 382f.; Curtius: Europäische Literatur, 105; Mühlmann:
Chiliasmus und Nativismus, 307 ff., 333 ff.; Kramer: Verkehrte Welten, 7 ;
Capra: Das neue Denken, 355, 337f.; Enzensberger: Tourismus; Kra-
mer: Verkehrte Welten, 37, ebd. Zitat Creuzer: Symbolik Bd.I, 2. Aufl.,
392f., ebd. 35 Zitat aus: Briefe Creuzers an J. H. C. Bang; Schechner:
End of Humanism, 97; Max Ernst zit. in Spies: Max Ernst, 85; Baudril-
lard: Das Jahr 2000 wird nicht stattfinden, zit. nach Wartmann: No Fu-
ture postmoderne Avantgarde; Derrida: Apokalypse, 102; Baudrillard:
Transparenz, 33f.; Derrida: Apokalypse, 103f., 130; Bloch: Prinzip
Hoffnung I, 166, 199 ff., 165, 166, 164.
305
Literaturhinweise:
relational voice, invisible voice:
Vel. Greverus: Kulturdilemma.
Ethnographische Allegorie, dichte Beschreibung:
Vgl. Clifford: On Ethnographic Allegory; Greverus: Kulturdilemma
Geertz: Dichte Beschreibung.
306
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326
NAMENREGISTER
Abrahamsen, Aron 189 207. 209. 213. 214. 237 239. 300.
Achaan Chaa 46 301. 303
Adorno, Theodor W 210. 211. 212. Blaser, Christine 285. 286. 298
213. 214. 215. 216. 235. 236. 261. Blaser, Peter 148
303. 304 Bloch, Ernst 1.10.83. 234. 235. 264.
Aiavao 31.286 278. 279. 283. 284. 293. 304. 305
Aurobindo, Sri 101. 305 Bôll, Heinrich 216
Bohm, David 167
Baechler, J. 229 Braudel, Claude 13. 284
Bailey, E G. 88 Brentano, Clemens 91. 294
Baker, Richard 103. 295 Brian, Denis 290
Balint, Michael 104. 110. 112. 1:2. Brown, Dee 283
114. 1' ^. 119. 122. 123. 129. 153. Brunner, E. M. 305
160. 164. 173. 174. 295 Bruteau, Beatrice 47
Bang, J.H.C. 305 Bühner, J.-A. 289
Banyacya, Thomas 58 Buell, Lawrence J. 294
Barbera, Lorenzo 36. 286 Burton, Katherine 294
Bateson, Gregory 125. 297
Battung, Diane 127 128. 129. 221. Caddy, Eileen 58,148
232. 297, 303 Calderon, Eduardo 291
Baudrillard, Jean 278. 305 Campbell, Joseph 196. 198. 303
Bauer, Wolfgang 22. 23.2 Capra, Fritjof 24.25. 58.59.60. 125.
286 127. 167. 168. 206. 274. 286. 287.
Becker, Ernest 150 295. 296. 301. 305
Béjin, André 210 ‘Jarazo, Rodrigo 58
Beloff,John 290 Cardinal, H. 288
Bender, Hans 291 Cassirer, Ernst 66. 292
Benedict, Ruth 4 Castaneda, Carlos 5. 6. 46. 57. 102.
Benjamin, Walter 210 129. 173. 283
Berg, David 144 Caucau, Ratu Isireli 29. 286
Berger, Peter L. 63. 64. 68. 157. 127. Cayce, Edgar 54. 188. 203. 290
138. 159. 168. 170. 202. 235. 2... Clarke, J. 285. 304
292. 298. 305 Clifford, James IX. 210. 222. 282.
Berman, M. 290 303. 304. 305. 306
Bhagwan Shree Rajneesh XIII. Corti, Axel 237
157 158. 159. 161. 193. 202. 206. Creuzer, Friedrich 274. 275. 305
]
à)
Crocombe, Ron 31. 32. 286. 287 Fabian, Johannes 293
Curtius, Ernst Robert 272. 305 Faulstich, Werner 303
Faunces, William A. 83
Dalai Lama 57 58. 206 Febvre, L. 284
Danckert, Werner 121. 296 Ferguson, Marilyn 14. 15. 25. 33.
Darshan Singh 12.39.40. 206. 207. 47. 50. 55. 58.93. 101. 102. 127.157.
209. 289 177. 185. 186. 205. 233. 234. 286.
Darwin, Charles 167 289. 290. 294. 295. 296. 302. 303.
Deere, Phillip 58 304
Deloria, Vine 6. 283 Fischer, H. 286
Derrida, Jacques 220. 278. 305 Fischer, Michael M. J. 282. 284
Devereux, Georges 283 Fischer, Norman 102
Diamond,Stanley 2.38.75.81.82. Fletscher, Robert James 27
115. 283. 292. 293. 296 Forster, Georg 26
Dressel, Hilde 301 Foster, George M. 88
Dreyfus, Bobby 231 Foucault, Michel IX. 282
Drury, Nevill 284 Freud, Sigmund 1'2. 197 266
Dürckheim, Karlfried Graf 220. Friedrich, Adolf 65. 66. 292
221. 303 Fuchs, Eberhard 299. 304
Duerr, Hans Peter 4. 5. 46.69. 218. — Fuller, Buckminister 252
283. 284. 292. 300. 303
Dundes, Alan 216. 303 Gambaroff, Marina 115. 160. 293.
Durkheim, Émile 199. 201. 293. 296
303 Gandhi, Indira 274
Gardner, Hugh 299. 305
Edge, Horst L. 290 Gaskin, Ina May 241.20"
Eichendorff, Joseph v. 111 Gaskin, Stephen 161.162 7...
Eliade, Mircea 10.49.267 284.289. 236.238.241.244. 245. 2.2.22.
305 249. 250. 251. 255. 259. 268. 301.
Elias, Norbert 74. 75. 117. 292 304. 305
Emerson, Ralph Waldo 93. 95. 96. Geertz, Clifford 238. 279. 306
98. 104. 105. 108. 109. 110. 138. Gehlen, Arnold 63. 292
176. 294. 295 Gehlen, Rolf 284
Enzensberger, Hans Magnus 1. Geipel, Robert 188. 302
274. 305 Gennep, Arnold van 182. 302
Erdheim, Mario 119. 266. 267 296. — Ginsberg, Allen 47 53.69.177.215.
305 289. 302
Erikson, Erik H. 67. 292 Giordano, Christian 288. 289
Ernst, Max XIV. 225.277 283.304. Goethe, Johann Wolfgang v. 216
305 Goodman, Jeffrey 16. 54. 183. 18^
Euler, Sharla 287 190. 289. 302
Evans, Christopher 144. 298 Grass, Günter 216
Everding, Karl 291 Griaule, Marcel 223
328
Grimm, Gunter E. 286. 303 Keyserling, Arnold Graf 129. 130.
Grimmelshausen, "'ansJ.Chr. 216 131. 153. 169, 174. 175. 176. 296.
Gruber, Elmar R. 290 299. 301. 302
Guboo Ted Thomas 60. 61. 291 Keyserling, Hermann Graf 98. 99.
Gugenberger, Eduard 291. 297 129. 295
300 Keyserling, Wilhelmine 129
Kiesow, Gottfried 288
Haack, EW. 304 Kimming, John 195. 302
Haind'. Erika 285. 298. 302. 303 King, George 144
Haind! Tfermann 302 Kippenberger, Theo 291
Haken, Hermann 287 Kirpal Singh 40. 64. 144. 160. 207
Halifax, Joan 58.59. 60. 174 208. 289. 292. 301. 303. 305
Hall, Edward T. 293 KleBmann, Eckhart 294
Hammerstein, Oliver v. 299. 304 Koechlin, Frank 290
Hebdige, D. 228. 285. 304 Koepping, Klaus-Peter 7 283
Hegel, G. WF 4.210 . Kostlin, Konrad 283
Hegner, Friedhardt 118. 296 Kohl, Hans-Helmut 284
Heinrichs, Hans-Jürgen 2.78.72. Koselleck, Reiner 9. 284
73. 127. 200. 211. 273. 283. 292. Kramer, Fritz VII. 272. 273. 274.
296. 303 275. 305
Heller, André 1. 283 Krappmann, Lothar 67
Hoffmann, E. T. A. 91. 294 Kraus, W. 286
Holloway, Mark 285. 294. 305 Krieger, Gottfried 294
Horaz 1 Krockow, C. 286
Horkheimer, Max 210 Kropotkin, Peter A. 134
Horstmann, A. 289 Krotz, Larry 288
ilorx, Matthias 6. 283 [.rsnakanti 217
Howard, Ebenezer 135 i. aenzli, Arnold 114. 296
Hummel, Reinhart 300. 301. 30+: Lahn, Thomas S. 47. 289
Kuo-an Shih-yüan 256
Illich, Ivan 24. 286 Kuon, Peter 285. 303
Kurlansky, Mervin 290
Jaeggi, Urs 75. 292
Jaspers, Karl 235 Lampedusa, G. Tomasi di 3..
Jochmans, J. R. 16. 190. 191. 192. 286
302 Lange, Annette 286
Jung, Carl Gustav 137. 197. 303 Leeuw, G. van der 48
Lefébvre, Henri VIII. 69. 73. 74. 78.
Kanter, Rosabeth Moss 10. 285. 80. 81. 225. 259. 268. 282. 292. 293.
305 304. 305
Kerényi, Karl 8. 283. 284 Leiris, Michel X.2.3.4.5.157 222.
Kerouac, Jack 46. 121. 215. 258. 270. 277. 283. 305
289. 304 Leonard, George 102
329
Lévi-Strauss, Claude VII. 75. 80. Müller, E. W. 304
81.82.1117 113. 225. 227 228. 230. Muller, Robert 58. 59. 60. 100. 290.
232. 257. 268. 293. 296. 304. 305 295
Levy ":zbertJ. 297 Mumford, Lewis 134. 135. 297
Lilly, John C. 152. 299 Mun, Myung 145. 146. 237 228
Lindner, Rolf 9. 284 Murphy, Michael 102. 295
Linke, Johannes 293 Mutter Theresa 58
Lion, Ferdinand 92. 294 Myrell, Günter 295. 298
Lipp, Wolfgang 179. 198. 302. 303
Lipset, David 297 Naar, Jon 290
Long,John 288 : Neumann, Erich 152
Lorca, Federico García 53. 289. Nostradamus 16. 188. 191. 1..."
Lowen, Alexander 300 Novalis 91. 294
Luckmann, Thomas 63. 64. 68. 202.
203. 292. 303 Otsu 257
Luther, Martin 216 Offe, Claus 87 294
Lutz, Ronald 122. 296 Otto, Rudolf 179.180. 200. 207 302
Lyotard, Jean Francois 217. —...
232.303 Palmer, John 290
Pantanjali 251
Mailer, Norman 290 Paramhansa Yogananda 144
Mao Tse-tung VIII. XIII. 18. 20. Parsons, Talcott 86
23. 252. 232. 286 Pasolini, Pier Paolo 76.7? '
Marcus, George E. 282. 264, 522 Paulsen, Norm(an) 46.1
Martin, Gerhard M. 250.2... ^. 144, 145. 173. 192. 15/1
Marx, Karl 70.210. 211. 222. 289. 298. 299. 362
Maslow, Abraham 102.1. Pestalozzi, Hans A. 287
NM .l..ouc,Binah 58.60 Piaget,Jean 150
M..Cunnell 56.290 Plessen, Marie-Louise 2
N:;Intosh, James 295 Podak, Klaus 287
Melville, Keith 305 Popper, Karl R. 42. 288
Merle, Robert 255 Pozzi, Enrico 199. 200. 201. 210.
Merton, Robert K. 122 303
Mildenberger, Michael 299. 300. Prina, Turi di 35
304 Pütz, Manfred 294
Mille, Richard de 6. 283. 284
Miller, Perry 294 Raeithel, Gert 104. 108. 110. 111.
N.orrison, Philipp S. 287 112. 1232. 121. 295. 296
i». zart, Wolfgang Amadeus 216 Rammstect, Otthein 78. 293
Mühlmann, Wilhelm E. 42. 49. 69. Fapp-port, Loy À. 289. 293, 277
172. 180. 185. 189. 198. 2,2. 222. Redfield, ..obert 75. 81. 82. 2.2
261. 272. 289. 292. 302. 303. 304. Rees, Dina 159. 209. 300
305 Reich, Annie 113
230
Reich, Wilhelm .157. 300 Schweidlenka, Roman 291. 297.
Reinalda,Jochen 238.304 300
Reuter,Reinhard 288 Sebald, Hans 294
Rhine,J:2. 55. 102. 290 Sennett, Richard 86. 199. 200. 232.
Richter, Otto 291 257. 293. 303. 304
Rilke, Rainer Maria 235 Sessions, George 125
Róth, B. 296 Sinclair, Upton 52. 289
Rogers, Carl 102 Skinner, B. F. 64. 102. 292
Rohe, Cornelia 289 Smith, Huston 58. 295
Romein, Jan 82. 83. 293 Snake,Richard 146
Rosaldo, Renato 84. 293 Soleri, Paolo 134. 298
Rosenberg, Alfons 140. 141. 167. Solomon, Paul 13. 14. 16. 55. 100.
298. 301 192. 196. 203. 204. 205..209. 221.
Roszak, Theodore XIV 11. 14. 15. 239. 2773. 284. 288. 291. 295. 302.
17:38. 33 46. 47 43. 42.80. 56.102. 303
104. 106. 1C7. 109. 125. 127 132. Spangler, David 147 298
123.12 120. 175. 168. 173. 176. | Spence,Jonathan 286 ^
183. 1£ !. 125. 187. 202. 203. 204. Spengler, Oswald 191
209. 2.7. 217. 222. 232. 237. 258. Spies, Werner 223. 226. 229. 283.
284. 225. 220. 283. 290. 294. 295. .304. 305
296. 227. 301. 302. 303. 304 Srila Prabhupada 217 218
Rousseau, Jean-Jacques 117 Stagl, Justin 284
Rycroft, C. 300 Steindl-Rast, David 158. 287 300
Suzuki-roshi, Shunryu 102. 103.
Sahlins, Marshall 287 250
Schaefer, Udo 287 Swift Deer 128. 129. 131. 296
Schaer, Bernhard 131. 297
Schechner, Richard 276. 305 Tanner, Adrian 288
Schelling, F. W. J. 91. 294 Teilhard de Chardin, Pierre 140.
Schelsky, Helmut 171 155. 156. 167. 168. 173. 176. 184.
Schibel, Karl 285 299. 300. 301. 302
Schilling, Heinz 283. 288 Thakar Singh 40
Schiwy, Günther 140.156.167298. Thoreau, Henry David 93.94. 176.
300. 301. 302 181. 294. 295. 302
Schlesier, Karl 7 283 Tieck, Ludwig 91. 294
Schmandt, Walther 295.298 Tillich, Paul 102
Schmeidler, G. R. 56. 290 Tocqueville, Alexis de 116. 170.
Schubnell, Hermann 286 296
Schülein, Johann August 77. 289. Toynbee, Arnold 102. 191
292 Trahernes, Thomas 163
Schütz, Alfred 62. 292 Trassel, George van 144
Schult, Peter 139. 298 Trevelyan, George 140. 162. 163.
Schumacher, E. E 72. 132 165. 172. 173. 209. 299. 301
331
Turner, Victor 182. 183. 295. 302. Weiß, Richard 84. 293
305 Welz, Gisela 279
Tweedie, Irina 59 Wendorff, Rudolf 91. 2
Tyler, Stephen 9.218. 219. 220. 283. 294
303 Wendt, Albert 32
White Bear 144
Ueda 257 Whitman, Walt 96. 97 €9. 101. '$1.
U Thant 72 105. 108. 109.168.175. 1... ^
258. 294. 295. 302
Villodo, Alberto 291 Wiethoff, Bodo 286
Voigt, Jürgen 295. 298. 305 Wilber, Ken 150. 151. 152. 152.
Voigt, Lothar 229. 285. 294. 304 154. 155. 158. 159. 166. 167. 196.
Vollmar, Klaus-B. 304. 305 2776. 299. 300. 301. 303
Vusoniwailala, Lasarusa 286 Willis, P 225. 304
Wojak, Andreas 304.
Waldenfels, Hans 256. 257 304 305
Wallace Black Elk 6. 46. 283 Wolf, Bernd 284
Wartmann, Brigitte 305
Watts, Alan 102. 251 Zijderveld, Anton C. 76. 83. 119.
Waubageshig 288 123. 171. 269. 292. 293. 294. 296.
Weaver, Sally M. 288 301. 305
Weber, Max 62. 118. 119. 164.17 Zimmermann, Marita 304
198. 292. 296. 301. 302 Zinke, Ludger 237 299. 30
337
Das Buch ist eine anthropologische Kritik an den gesellschaftlichen
Entwicklungen in der westlichen Welt, die als Moloch Moderne eine
strukturelle Grundstörung hervorgebracht haben. Sinnverlust, erstarrte
Bürokratisierung und verhinderte Reifung der erwachsenen Persönlich-
keit zu kommunitärer Verantwortung gehören zu ihren Kennzeichen. Als
eine Gegenbewegung zur Sinnkrise der Moderne wird die postmoderne
westliche Spiritualität mit ihrer synkretistischen Aneignung fremder
Kulturen kritisch analysiert. Im Gegensatz zu den Vertretern einer neuen
Spiritualität sieht Ina-Maria Greverus diese Bewegung allerdings nicht
als eine Revolution des Bewußtseins im Sinne eines dialektischen Um-
schlags vom Materialismus in die Spiritualität, sondern vielmehr als
Sonderfall eines narzißtischen Gesellschaftstypus mit Heilserwartungen
jenseits der gesellschaftlichen Verantwortung. Die sogenannte spirituelle
Ökologie wird mit Gegenbildern gedachter und gelebter Haushalte des
Lebens konfrontiert, die ökologische Vernunft als kommunitäre Möglich-
keiten aufscheinen lassen. »Neues Zeitalter oder Verkehrte Welt« fordert
den Leser über Fáchergrenzen hinweg zu einer kritischen Reflexion
seiner Stellung in der gegenwártigen westlichen Welt heraus.
[na-Maria Greverus
Jahrgang 1929, ist Professorin und Begriinderin des Instituts fiir Kultur-
anthropologie und Europäische Ethnologie an der Universität Frankfurt.
Erfahrungs- und Erlebnisberichte aus Feldforschungen und Studien-
aufenthalten machen die besondere kulturanthropologische Perspektive
ihrer Schriften aus. Schwerpunkt ihrer Arbeit sind die Probleme einer
Kulturanthropologie komplexer westlicher Gesellschaften, Kulturökologie,
Raumorientierungen und Heimatphänomen, Alternativbewegungen und der
Praxisbezug kulturanthropologischer Gegenwartsforschung. Ina-Maria
Greverus ist Mitherausgeberin der Schriftenreihe »Notizen« des Instituts
für Kulturanthropologie und Europáische Ethnologie und der ab 1990
neu erscheinenden Zeitschrift »Anthropological Journal on European
Cultures:
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DARMSTADT