Technik in der Volkskunde
Studien litten unter dem, „was man Brepohl-Effekt nennen könnte: der
Ruhrgebietsvolkskundler und -soziologe wurde bekanntlich immer dann
zitiert, wenn man die Volkskunde als eine der technischen Moderne gegen-
über aufgeschlossene Wissenschaft präsentieren, aber selbst nichts zu die-
sem Ruf beitragen wollte; Brepohl wurde stets vorbeugend zitiert. Auf die
Gründe, die Scharfe für diesen »Brepohl-Effekt* anführt — und auf deren
Plausibilität ^ wird noch einzugehen sein. Festgehalten werden soll hier
zunächst die Diagnose, daß sich die akademische Volkskunde mit Technik
und deren Auswirkungen auf den Alltag bislang nur sehr ungenügend aus-
einandergesetzt hat.
Wissenschaftstheoretische Perspektiven
Um diese Aussage zu überprüfen, werden im folgenden einige der wenigen
volkskundlichen Studien vorgestellt, in denen Technik in ihren Auswirkun-
gen auf den Alltag oder die (Alltags-) Kultur thematisiert wird. Ziel ist dabei
gleichzeitig, die „Leitdifferenzen“ dieser Studien und den ihnen zugrunde-
liegenden „style of reasoning“ herauszuarbeiten. Der kanadische Wissen-
schaftstheoretiker Ian Hacking bezeichnet mit dem Begriff „style of reason-
ing“ die spezifische, konventionalisierte Art der Argumentation und Be-
gründung innerhalb einer wissenschaftlichen DisziplinS Mit ihm werden
nicht nur verbindliche Modelle, Erklärungsweisen und damit auch eine spe-
Oberland) unter Einwirkung des Maschinen- und Fabrikwesens im 19. und 20. Jahr-
hundert. Erlenbach-Zürich, Stuttgart 1965, Eugen Rentsch Verlag; Bentzien, Ulrich:
Das Findringen der Technik in die Lebenswelt der mecklenburgischen Landbevöl-
kerung. Eine volkskundliche Untersuchung. Mschr., Berlin 1961.
Scharfe, Martin: Volkskunde in den Neunzigern. In: Hessische Blätter für Volks- und
Kulturforschung, Bd. 28. Hessen und Thüringen. Kulturwissenschaftliche Bilanz und
Perspektive. Marburg 1992, Jonas Verlag, S. 65—76, S. 69.
Hacking, Ian: Language, Truth and Reason. In: Martin Hollis, Steven Lukes (eds.): Ra-
tionality and Relativism, Cambridge/Mass. 1982. MIT Press, S. 48-66. Vgl. auch Hack-
ing, Tan: Entdecken. In: Dialektik. Enzyklopädische Zeitschrift für Philosophie und
Wissenschaften, H. 3/1993: Natur, Naturwissenschaften, Kulturbegriffe, S. 39-62; hier
ist der Begriff „style of reasoning“ vereinfachend als „Denkstil“ übersetzt worden, wo-
mit wesentliche Konnotationen des englischen Begriffs ausgeblendet werden; die eben-
falls angebotene Übersetzung »Argumentationsstil* ist ebenfalls nicht sonderlich glück-
lich, so daß im folgenden am Originalbegriff festgehalten wird. Der von Hacking ver-
wendete Begriff „style of reasoning“ greift ein Konzept des polnischen Mediziners Lud-
wik Fleck (Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache. Einführung
in die Lehre vom Denkstil und Denkkollektiv. Mit einer Einleitung hrsg. von Lothar
Schäfer und Thomas Schnelle. Frankfurt/M 1980, Suhrkamp (erstmals veróff. Basel
1935) auf und entwickelt es weiter. Fleck definiert als Denkstil das »gerichtete Wahr-
nehmen, mit entsprechendem gedanklichen und sachlichen Verarbeiten des Wahrge-
nommenen ... Ihn charakterisieren gemeinsame Merkmale der Probleme, die ein Denk-
kollektiv interessieren; der Urteile, die es als evident betrachtet: der Methoden, die es als
Erkenntnismittel anwendet “ (Ebd., S. 130)