Einleitung
Dafs die Volkskunde und ihre Nachfolgefücher nach dem Urteil von Mar-
tin Scharfe bislang nur einen ungenügenden Beitrag zur Analyse der mo-
dernen, technologisch geprágten Alltagskultur leistete, dafür wurde im er-
sten Teil dieser Arbeit ein komplexes Ursachenbündel haftbar gemacht.
Die Marginalisierung des Themas ,Technik* war insbesondere der Ent-
wicklung des disziplinspezifischen ,style of reasoning” und den mit thm
etablierten Leitunterscheidungen geschuldet, die die Beobachtung des all-
tagskulturellen Umgangs mit moderner Technik tendenziell verhinderten.
Sowohl die Fachorthodoxie als auch die in der Disziplin formulierten hete-
rodoxen Positionen arbeiteten mit den impliziten Unterscheidungen Zivili-
sation-Kultur bzw. Technik-Kultur, womit das Fach weitgehend auf die
Analyse von Relikten und Survivals der Vormoderne in der Moderne fest-
gelegt wurde. Bei allen Unterschieden der im Fach zur Diskussion gestell-
ten Positionen und Ansätze konnte damit eine weitgehende disziplinäre
Ignoranz hinsichtlich moderner (Alltags-) Technik konstatiert werden, ein
„blinder Fleck“, der auch durch die grundlegenden theoretischen, themati-
schen und methodischen Reformen zwischen 1954 und 1970 — dem Er-
scheinen von Hans Mosers Aufsatz „Gedanken zur heutigen Volkskunde“
und den um die Falkensteiner Tagung gruppierten Debatten um Ausrich-
tung und Identität des Faches — nicht vóllig beseitigt werden konnte.
Diese dringend notwendigen, aber erst spát eingeleiteten Revisionen der
Disziplin, mit der nicht nur die längst überfálligen Lehren aus dem Beitrag
des Faches zu Rassismus und Nationalismus gezogen werden sollten, son-
dern auch eine im Wortsinn radikale Korrektur des vorwiegend antiquari-
schen Forschungsinteresses der Volkskunde, ihrer Theorien, Themen und
Methoden erfolgen sollte, blieb unvollstándig. Da es nicht gelang, diszipli-
näre Homogenität und Identität auf neuer theoretischer und praktischer
Basis herzustellen, richtete sich das Fach in Unübersichtlichkeiten ein: Die
differente „Etikettenlage“ (H.Gerndt) der in den 70er Jahren umbenannten
ehemaligen volkskundlichen Institute ist Symptom divergierender Ar-
beitsprogramme und wissenschaftlicher Orientierungen des Faches, deren
Polyphonie durch eine gemeinsame organisatorische Klammer — Verband