166 Einleitung
und Zeitschrift — und den Bezug auf eine allerdings unterschiedlich bewer-
tete Fachgeschichte orchestriert wird. In dieser Situation ist es wenig ver-
wunderlich, daft der vermeintlich in den 70er Jahren ad acta gelegte thema-
tische Kanon ,immer wieder durchschlägt“ (H.Bausinger) und nicht nur
zur Anrufungsinstanz disziplinärer Identität wird, sondern — wenn auch in
durchaus kritischer Aufklárungs- und Aufarbeitungsabsicht — die themati-
sche Arbeit vieler Institute noch (mit-)bestimmt. Ergebnis der unvollstän-
digen Reform der 70er Jahre jedenfalls ist, daß die oben vorgestellten Ar-
beiten von Rudolf Braun, Ulrich Bentzien, Wilhelm Brepohl und Her-
mann Bausinger aus den 60er Jahren das Schicksal der Anfang der 90er Jah-
re entstandenen Studien von Martin Scharfe und Gudrun Silberzahn-Jandt
teilen:! Sie stehen ,unverbunden in der Fachgeschichte* (H.P. Fielhauer).
Weder konnten sie eine Forschungstradition zum Themenfeld Alltag —
Technik — Kultur begründen, noch gelang es ihnen, fachweite Diskussio-
nen zu den analysierten Phánomenbereichen anzustoflen.
Zur fachwissenschaftlichen Vereinzelung dieser Arbeiten trug neben
den oben erwähnten Gründen auch bei, daß sich die Reformversuche im
Zuge der Debatten um die kognitive, soziale und historische Identität des
Faches Ende der 60er Jahre insbesondere an der Soziologie und der Ethno-
logie orientierten, an Disziplinen also, die zu diesem Zeitpunkt ebenfalls
durch eine weitgehende Exkommunikation moderner (Alltags-) Technik
charakterisiert waren. Sofern Technik etwa in der Soziologie überhaupt
zum Thema wurde, geschah dies ausgehend von deterministischen Ein-
fachmodellen, bei denen technischer Fortschritt unmittelbar die Anpassung
der sozioókonomischen und soziopsychischen Strukturen erzwang Diese
in der Soziologie dominierenden Konzepte konnten daher wenig zu einer
Revision der im Fach verwendeten niederkomplexen, deterministischen
Technikbegriffe beitragen, die die volkskundlichen Pionier-Studien der
60er Jahre theoretisch geleitet hatten. In der Volkskunde wurde moderne,
industriegesellschaftliche Technik konzipiert als angewandte Naturwissen-
schaft (Bausinger) und damit als der Kultur externer Faktor, der etwa evo-
lutionistischen Modellen zufolge als Stimulus die Herausbildung einer der
Moderne adäquaten Rationalität förderte (Bentzien), oder als strikt deter-
minierender Faktor, der die (Industrie-)Kultur total prägte (Brepohl).
Dieses deterministische Verständnis der Technik als einer Regelungsum-
gebung der Kultur dominierte auch die im Fach etablierten Innovations-
und Diffusionstheorien, die vorwiegend in der Sachkulturforschung Ver-
Braun, Wandel; Bentzien, Das Eindringen; Brepohl, Industrievolk; Bausinger, Volks-
kultur; Scharfe, Circulation; Silberzahn-Jandt, Wasch-Maschine.
Vgl. zu dieser Kritik Lutz, Burkart: Das Ende des Technikdeterminismus und die Fol-
gen - soziologische Technikforschung vor neuen Aufgaben und neuen Problemen. In:
Ders. (Hg.): Technik und sozialer Wandel. Verhandlungen des 23. Deutschen Soziolo-
gentages in Hamburg 1986, Frankfurt/M., New York 1987, Campus, S. 34-52: vgl.
hierzu ausführlich unten.