Die Ordnung der Dinge, die Verortung des Alltags 195
liche Strategien und Problemlösungen weniger schroff von »alltäglichen«
[... abzugrenzen], als das in der Vergangenheit der Fall war.“!%
Trotz dieser Einsichten wurde jedoch die „Fabrikmauer“ als definitori-
sche Grenzbestimmung des Alltags nicht aufgegeben. Dies kann exempla-
risch an den Aufsätzen des von Berward Joerges herausgegebenen Bandes
„Technik im Alltag*'? gezeigt werden, in denen eine ,Präparierung“ der
Alltagsbegriffe unter spezifisch techniksoziologischen Aspekten vorge-
nommen wurde. Alltag wurde auf drei Ebenen náher bestimmt: als (a) be-
sondere Wissens- und Handlungsform, (b) besondere Form der Institutio-
nalisierung und (c) sozial-räumlich umschriebener Lebens- und Tätigkeits-
bereich. Technisches Handeln im Alltag wird in den gegenwärtigen Debat-
ten unter zwei, nicht immer klar voneinander geschiedenen Perspektiven
thematisiert: Einerseits ausgehend von der Analyse der spezifischen Struk-
tur- und Formalisierungsbedingungen des Alltags. Alltägliches Handeln
wird hierbei als spezifisch außerbetriebliche Form der Technikverwendung
interpretiert und fällt „mit laienhaften und häuslichen Verwendungszu-
sammenhängen von Technik*'^ zusammen. Aus der anderen Untersu-
chungsperspektive wird Alltag weniger als institutionell oder sozial-ráum-
lich abgrenzbares Teilsystem analysiert, sondern — ausgehend ,von den so-
zialen Problemstellungen, Deutungen und Handlungsweisen der einzelnen
Gesellschaftsmitglieder*!!! — als en Bereich, der charakterisiert ist durch
eigensinnige, vielsinnige oder widerstándige Handlungsmóglichkeiten. Be-
tont die erste Perspektive die besondere Form alltáglichen Handelns mit
Technik und hebt damit auf dessen strukturelle Bestimmung ab, wird im
zweiten Ansatz explizit eine Kulturperspektive eingenommen. Trotz der
Berücksichtigung aller durch Technik in den Alltag eingebauten und -ge-
schriebenen Handlungsanweisungen werden dabei besonders die oft er-
heblichen Spielräume und Innovationspotentiale für die Nutzer hervorge-
hoben.'?
108 Joerges, Technik, S. 8.
109 Die Beitráge in diesem Band wurden als Vortráge im Rahmen einer zwischen 1984 und
1986 durchgeführten und von der DFG gefórderten Kolloquiumsreihe am Wissen-
schaftszentrum Berlin für Sozialforschung gehalten.
110 Joerges (Technik, S. 9) nennt als Vertreter dieses Ansatzes insbesondere Bernd Biervert,
Kurt Monse und Werner Rammert.
111 Hórning, Technik im Alltag.
112 Vgl. hierzu insbesondere Hórning, Technik im Alltag, S. 62ff.; bemerkenswert ist hier-
bei, daft zur theoretischen und methodischen „Absicherung“ dieser soziologischen
Kulturperspektive von Horning auf die Ende der 70er Jahre entwickelte , neuere Ethno-
logie“ Clifford Geertz', speziell dessen ,symbolische“ oder ,semantische Anthropolo-
gie" (Dichte Beschreibung. Beitráge zum Verstehen kultureller Systeme. Frankfurt/M.
1983, Suhrkamp), zurückgegriffen wird. Hörning leitet aus Geertz’ Überlegungen „den
zentralen Auftrag [der Techniksoziologie ab] — auch in einem so »materialistischen«
Feld wie der Technik -, deren symbolischen Formen nachzugehen, um so die Bedeu-
tungen herauszufinden, die Menschen an die Dinge herantragen und diese an sie.*
(Ebd., S. 67)