Technik als Verlaufssowverán — Handeln im stählernen Gehäuse 0n
Revisionen: Weber — Durkheim — Marx
Im Rahmen seines Entwurfes einer Soziologie der Sachverhiltnisse wies
Hans Linde bereits 1972 auf eine einseitige Orientierung des kognitiven
Programmes der deutschen Soziologie hin, die vor allem soziale Beziehun-
gen, verstanden als „(inter-) individuell begründete und/oder doch vom
subjektiven Sinn der Beteiligten artikulierte Verbindungen oder Hand-
lungsorientierungen“,? analysiere. Demgegenüber postulierte Linde ein
verhältnisorientiertes kognitives Programm, bei dem „soziale Verhältnisse“
ım Zentrum der Analyse stehen sollten, die „von vor- oder überindividuell
gegebenen Regelungen [...] dominiert werden, welche die Individuen, die
in sie eintreten oder die ihnen durch Zuschreibung unterworfen sind“,*
auch jenseits ihres subjektiven Handlungssinnes vergesellschaftenden Be-
dingungen unterwerfen. Mit seiner Unterscheidung beziehungs- und ver-
hältnisorientierter kognitiver Programme in der Soziologie stellt Linde
demnach die Frage nach den ihnen jeweils zugrundeliegenden Gesell-
schafts-Konzepten: Wird das Verständnis von Gesellschaft aus dem „sub-
jektiv gemeinten Sinn“ der sozialen Beziehungen zwischen ego und alter
entwickelt (wozu Weber tendierte), oder wird primär nach den normati-
ven, die sozialen Handlungsmuster und Verhältnisse prägenden Determin-
anten gefragt (wozu Durkheim tendierte)?
Für Linde stellte diese Beziehungsorientierung der deutschen Soziologie
das zu überwindende Hindernis dar, sollten (technische) Sachen der Analy-
se zugänglich gemacht werden. Aus der Fokussierung der Untersuchungen
auf die „motivierten menschlichen Beziehungen und Interaktionen zwi-
schen ego und alter [...], in welchen die soziale Struktur sich als System von
genuin interindividuellen Beziehungsmustern (Rollen) darstellt“® und in-
teraktionsrelevante Situationen entscheidend durch die Erwartungen des
jeweiligen Gegenübers definiert seien, folge notwendig, daß „toten“ Sachen
kein sozialer Stellenwert eingeräumt werden könne. Aus Sicht beziehungs-
orientierter kognitiver Programme seien „non-human-objects (weil weder
zu motiviertem Handeln noch zu Internalisierung und selektiven Geltend-
machen und Variation von Erwartungen befähigt, kurz: weil non-psychi-
cal-objects) auch non-social-objects.** Hintergrund dieser Verengung des
theoretischen Blickfeldes der Soziologie stellt nach Linde die ;unglückliche
Scheidung in einerseits soziales Handeln [...] und andererseits nicht-sozia-
les Handeln? durch Weber dar; eine Unterscheidung, die eigentlich me-
thodologisch motiviert gewesen sei, jedoch in ihrer Rezeption zu substan-
tialistischen Fehlinterpretationen geführt habe. Pointiert formuliert ver-
Linde, Sachdominanz, S. 36.
Ebd.
Ebd., S. 35.
Ebd., S. 34.
Ebd.. S. 42.
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