III. Kultur und Alltagswelt 1. Kultur und Alltag als Widerspruch Was hat Kultur mit Alltag zu tun? Diese Frage werden die Leser dieses Buches vielleicht so jetzt nicht mehr stellen, aber im Gesamt unseres gesellschaftlichen Daseins, in den Strategien unserer Kul- turpolitik und im populären Verständnis stehen sich Kultur und Alltag als Widersprüche gegenüber (Greverus 1977 C). Zwei zwólfjáhrige Kinder einer bundesrepublikanischen Stadt stellen uns ihren Alltagsbegriff vor: , Der Alltag = langweilige Bewegung (lesen, schreiben); die Zeit totschlagen, doch manch- mal, urplótzlich: ein Termin, ein festgesetzter Tag: plótzlich Hetze, die Zeit ist zu kurz, sie reicht nicht mehr. Der Alltag = Müll, ein Schrottplatz, kaputte Autos, Lärm, Maschinen, Schule, alles auf einmal. Schmerzen, Kopfschmerzen stellen sich ein. Der Alltag = graue Städte, von den Abwässern der Fabriken noch dreckiger, verpestete und verseuchte Luft, Unfälle, halbabgerissene Häuser, kaputte Fensterscheiben, unruhiger Schlaf und, und, und, eben eine Großstadt.‘ „Wenn ich an Alltag denke, fällt mir die Stadt, Autos und andere Sachen ein. Ich denke an Baustellen und schlechte Luft. Ich denke an frühes Aufstehen und in die Schule gehen und mittags Hausauf- gaben machen. Ich denke an gleiche Häuser, immer die gleichen Straßen, die gleiche Wohnung und immer geht es so, tagein, tag- aus" (Unterrichtsmodell Tourismus 1972). Sind wir Erwachsenen von der Sicht dieses Alltags allzuweit entfernt? Ist es nicht vielmehr unsere Perspektive, die diese Kinder erlernt haben, und ist es nur unsere Perspektive, oder ist es die Realitát, in der wir leben? Diesem Alltagsbegriff, der sich auf eine deformierte Umwelt, auf Leistungen statt Produktivität und Kreativität, auf Herrschaft der Umwelt — einer von Menschen geschaffenen — über den Men- a]