Artung hängt mit der Bildung der modernen Staaten eng zu-
sammen, und gewissermassen kann man sie als ein Anhängsel
der politischen Ereignisse bezeichnen, das allerdings bisweilen
welthistorische Bedeutung erlangt hat. Als wirklich lebens-
fähig haben sich nur wenige Nationalhymnen erwiesen, und
selbst solche, die in drangvoller Zeit entstanden sind und an-
fänglich förmlich fanatisierend gewirkt haben, sind später der-
artig in ihrer Bedeutung gemindert worden, dass sie nur noch
ein Scheinleben führten und gänzlich verschwunden wären,
wenn nicht offizielle Protektion sie gehalten hätte. Vom rein
künstlerischen und ästhetischen Standpunkte aus darf man sich
über den poetischen und musikalischen Wert der National-
hymnen keinen Illusionen hingeben; zumeist entstanden sie ja
nicht aus innerem Drange, sondern beeinflusst durch politische
Geschehnisse, die von Berufenen und Unberufenen mit patrio-
tischen Redewendungen, gelegentlich wohl auch stark liebe-
dienerisch besungen wurden, und dann waren die Verfasser
dieser Gelegenheitsgebilde gewöhnlich kleine Talente oder gar
— zumal in musikalischer Hinsicht — ungeschulte Dilettanten,
denen wohl hin und wieder eine leicht im Ohre haften bleibende
Melodie einfiel, deren weitere Ausgestaltung aber sie Andern
überlassen mussten. Nur ganz ausnahmsweise hat sich einmal
ein Meister ersten Ranges, wie Joseph Haydn, mit dieser
Form befasst. Aber die kulturhistorische Bedeutung der National-
hymnen ist dafür eine um so grössere. Für den, der in der
Volksseele lesen und ihren geheimsten Regungen nachgehen
will, sind sie lebendige Dokumente, die über das Hoffen und
Harren, über Kampf, Sieg und Niederlage der Nationen oft
bessere und zuverlässigere Auskunft geben, als manches gelehrte
und weitschichtige Geschichtswerk.
Ihrem Inhalte nach sind die Nationalhymnen zwiefacher
Natur. Sie wenden sich entweder an die Person eines Herr-
schers, der in Kriegs- oder Friedenswerken vom Glücke ausser-
gewöhnlich begünstigt worden ist und besingen dessen "Taten
in überschwänglichster Weise, oder sie befassen sich mit den
Geschicken einer bestimmten Nation, mit deren Errungenschaften,
Eigentümlichkeiten, Freuden und Leiden, inneren und äusseren
Umwälzungen. Wollte man sie eruppen weise sondern. so könnte