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Geschichte der deufschen
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1
Herausgegeben im Auftrage des Zentralverbandes der
zimmerer und verwandten Berufsgenossen Deutschlands
von
August Bringmann
bErlter Band
Zweite, durchgesehene und verbesserte Auflage
ßamburg 19095 Verlag von Fr. Schrader
24
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Druck: hamburger Buchdruckerei und Verlagsanstalt Auer & Co. in hamburg.
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Die Aufhebung der Koalitionsverbote in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . 151
Die Stellungnahme der Generalversammlung des Allgemeinen deutschen
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Inhalftsverzeichnis.
Vormort zur ersten Auflage ..... . . . . . . . . ...
Vorwort zur zweiten Auflage ...
1J. Die Zünfte der Zimmerleute.
Die Ausbildung des Zimmerberufes ........ . . . . . . ..
Das Alter der Zünfte .. . . . ..
Die Bauhütten ...... .....
Die gesellschaftliche Stellung und die Entlohnung der Zimmerleute in
der zünftigen Zeit.... . . . . .. . . . .. .....
Die Bestrebungen der Zünfte nach Exklusivität und gewerblicher Gleich⸗
stellung der Zunftgenossen .....
Die Handwerkerpolitik der Landesregierungen und der Verfall der Zünfte
Das Gesinde der Zimmerleute... .... J
Die Stellung der Zimmergesellen in den Zünften und die besonderen
Gesellenkorporationen .......
Die Organisation der fremden Zimmergesellen..
Die Lohnbewegungen in der zünftigen Zeit ...
II. Die Entwicklung der Zimmerei.
Die Arbeitsteilung . . . . . . . . ... ... 94
Die Umwälzung des Bauwesens und der zünftigen Bauhandwerke durch
den Kapitalismus .......... .. ...... 100
Die Zimmerei in der Periode der Umwälzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . .108
Statistisches über die Entwicklung der Zimmerei 116
Die Gründung der modernen Gewerkschaften in Deutschland durch
die politische Arbeiterbewegung.
Die politische Entwicklung Deutschlands und die ersten Anfänge der
modernen Arbeiterbewegung ........ ..... 128
Die Wiedererweckung der Arbeiterbewegung durch die Bourgeoisie, der
Allgemeine deutsche Arbeiterverein und die Internationale Arbeiter—
Assoziation . . . ... ... .. ....
Anfängliche Wertung der Gewerkschaftsbewegung in der sozialistischen
Theorie .... . . . . . . . . . . . ... ..... . .. .... 141
Die Aufhebung der Koalitionsverbote in Deutschland ... ....... 151
Die Stellungnahme der Generalversammlung des Allgemeinen deutschen
Arbeitervereins in Hamburg 1868 zu der Gewerkschaftsbewegung.. . . 152
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III.
Seite
Die Agitation für die Beschickung des Allgemeinen deutschen Arbeiter—
kongresses 1868 ............ ... 153
Die Haltung der gegnerischen Presse und die Hintertreibungsversuche
der Fortschrittspartei............ * 167
Der Allgemeine deutsche Arbeiterkongreß 1868 ... .. 163
Die Zersplitterung der deutschen Gewerkschaftsbewegung ..........6* 174
Die Hirsch⸗-Dunckersche Gewerkvereinsgründerei ... ...... 176
Die Internationalen Gewerksgenossenschaften ... ....... 177
Die ersten Resultate........... ....... 182
Die Krise im Allgemeinen deutschen Arbeiterschaftsverbande ........... 183
Die Umwandlung des Arbeiterschaftsverbandes in den Allgemeinen deutschen
Arbeiter⸗Anterstützungsverband ....... .. 187
Die Gründung des Berliner Arbeiterbundes ... .... 192
Die Wiederbelebung des Allgemeinen deutschen Arbeiter⸗Unterstützungs⸗
verbandes . . . . . ..... .... .. .. ..... 197
Die Zusammenschließungsbestrebungen der Internationalen Gewerks—
genossenschaften ......... ............. 208
Weitere Fortschritte der Gewerkschaftsorganisation Lassallescher Partei⸗
richtung und der Anfang der staatsanwaltschaftlichen Unterdrückungen 221
Die Einigung zwischen den Gewerkschaften der Lassalleschen Partei—
richtung mit den Gewerkschaften der Eisenacher 1875. .. ............ 225
Selbständige Gehversuche der deutschen Gewerkschaften. .............. 230
Statistische Tafel der Gewerkschaften in Deutschland, zusammengestellt
Ende des Jahres 1877 ..... ... . . . Zwischen Seite 282 und 238
Die Unterdrückung der deutschen Gewerkschaften auf Grund des Sozialisten⸗
gesetzes .......
— 0
Anlagen.
J. Urkunden aus der Zunfjtzeit.
Auszug aus der Polizey⸗Hochzeit⸗Kleider⸗Gesinde⸗Tagelöhner⸗ und Hand⸗
werksordnung Churf. Joh. Georgens II. zu Sachsen den 22. Junii
Anno 1661. . ........ ... ..... 249
Die Handwerks⸗Ordnungen der Zimmerleute in Wien von 16483 bis 1752 251
Altonaer Urkunden.
Königliche Conceßion der Ambts⸗Gerechtigkeit und Confirmation der
vom Bürgermeister und Raht der Stadt Altona revidierten und
approbirten neuen Ambts⸗Artieulen für sämbtliche Meister des Hauß⸗
Zimmer⸗Handwerks daselbst von 1782..... .... 264
Pxtractus protocolli praesidialis Altonensis den 6. Dezember 1742 271
Plakat gegen das Schimpfen der Handwerkszünfte .........42*2*6* 272
Neuregelung der Krugtage und Einsetzung des „Kleinen Amtes“ 1802 273
Seite
Aus dem Leben der zünftigen Zimmerleute.
Extract des Altonaischen Obergerichts-Protocolls vom 27. April 1797 274
Extract des Altonaischen Obergerichts-Protocolls vom 29. Mai 1797 275
Extract des Altonaischen Obergerichts-Protocolls vom 19. Juni 1797 275
Ein Gnadenerlaß vom 29. März 1798. ....... ..... 275
Eine abgewiesene „allerunthertänigste Supplication und Bitte abseiten
der Altgesellen des Hauszimmereramts .... um Aufhebung zweier
Decrete“ vom 16. Oktober 1801. . . . . . . .. ....... 276
Ertract des Altonaischen Policey-Protokolls vom 9. März 1836 ..... 279
Gehorsamste Vorstellung von Seiten der Zimmergilde zu Walsrode
vom 16. April 1808.. ....
Einwendungen von Seiten der Zimmergilde zu Walsrode vom
3. August 1808. 281
Kostenspecification und untertänig-gehorsamste Bitte des Zimmergesellen
Schnabel ......... . 282
Anzeige und Bitte pp.vom 1. November 1809. .................... 283
Bekanntmachung in betreff des Wanderns der Gewerbegehülfen. . . . . 284
Wanderbuch eines Zimmergesellen aus den Jahren 1883 und 18534 ... 287
Statuten der fremden Zimmergesellen von 1896 .......... ....... 298
Legitimationszettel aus der Organisation der fremden Zimmergesellen 297
II. Urkunden aus der deutschen Gewerkschaftsbewegung vor Erlaß des
Sozialistengesetzes.
Kopie eines Briefes von Karl Marx an v. Schweitzer vom 18. Oktober 1868 298
Denkschrift des Zentralkomitees der Sektionsgruppe deutscher Sprache
der Internationalen Arbeiter-Assoziation an den sozialdemokratischen
Kongreß zu Eisenach 1869 ........
Marx über die Gewerksgenossenschaften . ......... ......
Der Allgemeine deutsche Arbeiterkongreß (sieben Artikel aus dem „Sozial⸗
demokrat“ von 1868). . . . .... ....... 304
Die bürgerliche Presse über die Gewerkschaftsbewegung 1868 ..... .... 314
Verzeichnis der auf dem Allgemeinen deutschen Arbeiterkongreß 1868
anwesenden Delegierten .. . . . . . . ... .. .... 827
Mustersatzung für die einzelnen Arbeiterschaften (beschlossen vom ersten
deutschen Arbeiterkongreß 1868) ....... ..... 885
Satzung für den Arbeiterschaftsverband (beschlossen auf dem ersten deutschen
Arbeiterkongreß 1868) .......... ...... 8839
Präsenzliste der zweiten Generalversammlung des Allgemeinen deutschen
Arbeiterschaftsverbandes... ........ 34
Statut des Allgemeinen deutschen Arbeiter-Unterstützungsverbandes
beschlossen auf der dritten Generalversammlung des Allgemeinen
deutschen Arbeiterschaftsverbandes 1870)...........
Instruktion für die Bevollmächtigten und Ortskassierer des Allgemeinen
deutschen Arbeiter-Unterstützungsverbandes von 1870. . . . . . . ..... . .. 360
ß
Seite
Statut des Berliner Arbeiterbundes (beschlossen von dem Kongreß zur
Einigung der Arbeiter Berlins 1871) .. .... 862
Die Kämpfe der Lassalleaner mit den Eisenachern in Köln a. Rh....... 864
J. Auer gegen die Beteiligung der Eisenacher an den Berufskongressen
der Lassalleaner ........ ......
Praktische Emanzipationswinke (vier Artikel aus dem „vVolksstaat“
von 1878) ......... .
Protokoll über die am 24. und 25. Februar 1878 zu Gotha stattgefundene
Gewerkschaftskonferenz.......... ..... 385
Vorlage zu dem am Montag, 10. Juni (zweiter Pfingsttag), nachmittags
3 Uhr, in Magdeburg beginnenden allgemeinen Gewerkschaftskongreß 405
Verzeichnis der benutzten Literatur .. .. ........ 418
Eine Sammlung von Lehrbriefen und Kundschaften. ..... ...... 415
Vorwort zur ersten Auflage.
Jede Vorrede ist für den Autor eigentlich ein Nachwort; es wird
geschrieben, wenn das Werk druckreif ist oder gar, wenn es sich bereits
unter der Presse befindet. Die beste Erklärung des Zweckes einer Arbeit
gibt eben ihre Entwicklungsgeschichte; ich muß daher von dem alten
Rechte der Schriftsteller, im Vorworte von sich zu reden, Gebrauch
machen, die Eigentümlichkeiten der vorliegenden Arbeit machen mir das
zur Pflicht.
Was ich dem Leser bieten will, ist eine Geschichte der deutschen
Zimmererbewegung. Als ich anfing, das verarbeitete Material zu
sammeln, hatte ich noch nicht die Absicht, es schriftstellerisch zu verwerten;
ich wollte die deutsche Zimmererbewegung nur selbst kennen lernen, das
war mein Wunsch, seitdem ich mit ihr in Berührung gekommen bin.
Dies ereignete sich bereits in meiner Lehrzeit. In den Frühstücks- und
Vesperpausen, wenn meine Lehrgesellen von ihrer Wanderschaft erzählten
und sich oft über die Zunftgebräuche, die langsam in der Achtung der
Gesellen zu verblassen begannen, heiß stritten, dann wurde meine Neu—
gierde um so mehr gesteigert, als wir Lehrjungen uns Fragen in solchen
Sachen nicht erlauben durften. Einer von meinen Lehrpolieren hatte
auch an dem ersten deutschen Zimmererkongreß 1868 in Braunschweig
als Delegierter teilgenommen, er war nach seiner Rückkunft von den
Meistern „gekauft“; seither war er und die moderne deutsche Zimmerer—
bewegung oft Gegenstand des Gesprächs meiner Lehrgesellen bei un—
belauschten Gelegenheiten.
Nachdem ich meine Lehrzeit überstanden hatte, schleuderte mich ein
Streik in meinem Heimatsorte „in die Fremde“. Nun hatte ich
Gelegenheit, das zünftige Wesen in meinem Berufe kennen zu lernen
und mich über die moderne Zimmererbewegung zu informieren. Manchen
alten, verbissenen Zunftgesellen, die bekanntlich ihr Wissen am liebsten
für sich behielten, habe ich dann mit meinen naiven Fragen belästigt,
ohne mich abschrecken zu lassen durch die oft nicht gerade schmeichelhaften
Antworten, die mir wurden.
2
Zum Mann herangereift, stand ich in den vordersten Reihen der
kämpfenden Zimmerer; bald befand ich mich auch in leitenden Stellungen.
Hier war die Kenntnis der Geschichte der deutschen Zimmererbewegung
nicht bloß erwünscht, sondern ein Bedürfnis, eine Notwendigkeit. Es
genügt aber nicht, daß bloß die leitenden Personen einige geschichtliche
Kenntnisse sammeln, es ist auch von großem Vorteil, wenn alle in einer
Organisation Vereinigten die Geschichte ihrer Bewegung möglichst genau
kennen. Die ganze Organisation gewinnt dadurch an Klarheit und Kraft.
Die Eigenart aller Verhältnisse und Zustände, in denen wir leben und
wirken, und mit denen wir uns auseinanderzusetzen haben, läßt sich
nur erkennen, wenn wir ihr Entstehen, ihr Werden verfolgen. Weiß
man aber die Gründe, aus denen irgend etwas — z. B. eine Betriebsform,
ein Gesetz, eine Organisationsform, eine Kampfestaktik und dergleichen — so
geworden ist, dann wird man damit auch in der Regel schon erfahren haben,
unter welchen Bedingungen es sich ändern wird oder geändert werden muß.
Denn dadurch unterscheiden wir uns von den autoritätsgläubigen Benutzern
der Geschichte, daß wir nicht wie sie die Notwendigkeit der Erhaltung
des Bestehenden aus der Tatsache und aus der Dauer seines Bestandes
beweisen wollen, sondern daß wir im Gegenteil aus der Geschichte die
Bedingungen der Umwandlung zu erfahren trachten. Für uns bietet die
Geschichte keine fertigen Lehren, vielmehr ist sie uns ein hervorragendes
Hilfsmittel, unsere Urteile zu klären und dadurch indirekt unsre Ziele
zu fördern. Daß uns dabei nichts ferner liegt, als ein tendenziöser Miß—
brauch der Geschichte, sei ausdrücklich festgestellt; auch mit den unbequemen
Ereignissen wissen wir fertig zu werden, sie sind uns als Lehre ebenso
nützlich wie unsre Erfolge. J
Von dieser Erkenntnis ausgehend, stellte ich auf der zwölften
Generalversammlung des Zentralverbandes der Zimmerleute und ver—
wandten Berufsgenossen Deutschlands den Antrag: „Den Redakteur des
„Zimmerer“ (das heißt mich selbst) zu beauftragen, das Material über
die deutsche Zimmererbewegung zu sammeln und der nächsten General⸗
versammlung Bericht zu erstatten, ob es sich lohnt, die Geschichte der
deutschen Zimmererbewegung zu schreiben.“ Der Antrag wurde zum
Beschluß erhoben; das war im Jahre 1897 (siehe das Protokoll dieser
Generalversammlung, Seite 78). Ich habe dann auf jeder der nächsten
Generalversammlungen über den Fortgang bezw. über den Stand der
Angelegenheit Bericht erstattet (siehe das Protokoll vom Jahre 1899,
Seite 81, und das Protokoll vom Jahre 1901, Seite 99). Vorerst gewann
es den Anschein, als würde die Lösung der gestellten Aufgabe immer weiter
hinausgeschoben werden, bis endlich im Dezember 1900 ein gemeinsamer
J
Beschluß des Verbandsausschusses und des Zentralvorstandes ermöglichte,
an die Sichtung des Materials und die Geschichtschreibung selbst zu gehen.
Erst als das Material von mir gesichtet war, ließ sich ein Ueber—
blick gewinnen, welchen Umfang das Werk annehmen würde. Ich selbst
war bis dahin immer der Ansicht gewesen, eine handliche Broschüre würde
sehr gut die ganze Geschichte der deutschen Zimmererbewegung darstellen
können; das erwies sich bald als unmöglich. Dr. Adolf Braun sagt im
„Archiv für soziale Gesetzgebung und Statistik“ in seiner Abhandlung
„Neue Literatur von und über Gewerkschaften“ 1901 treffend: „Wer die
deutschen Gewerkschaftsorganisationen unsrer Tage nur aus der Literatur
kennt, der muß fast annehmen, daß sie im Kopfe einiger Führer ent—
standen und ohne jeden Zusammenhang mit früheren Gebilden plötzlich
aufgetaucht seien. Und doch ist es keine Frage, daß auch unsre Gewerkschafts—
organisationen durch manche Fäden verknüpft sind mit den alten Gesellen—
—D
weisen, dann mußte mein Werk weit über den Umfang hinauswachsen,
den ich angenommen hatte. Gerade die deutsche Zimmererbewegung ge—
hört zu jenen, die bis in das Mittelalter zurückreichen.
Die Geschichte der deutschen Zimmererbewegung wird, wenn es mir
vergönnt ist, sie vollständig darzustellen, in drei Bänden erscheinen. Der
vorliegende Band umfaßt alles, was nach den bisher aufgefundenen
Quellen der modernen Bewegung Anstoß, Form und Inhalt gegeben
hat: die historische Zimmererbewegung, die Entwicklung der Zimmerei
und die Gründung der modernen Gewerkschaften durch die politische
Arbeiterbewegung. Im zweiten Band soll die moderne deutsche Zimmerer—
bewegung als Ganzes vorgeführt werden, und im dritten Band gedenke
ich die Geschichte der einzelnen Verbandszahlstellen und die soziale Lage
der Zimmerer Deutschlands darzustellen.“*
Meine Absicht ging anfänglich nur dahin, in der vorliegenden Arbeit
an erster Stelle zu beschreiben, wo und in welchem Umfange bei dem
Aufkommen der modernen Zimmererbewegung noch Ueberreste von den
alten Zünften vorhanden waren; ich mußte aber auch das Wesen dieser
Organisationen darstellen, und das war ohne tieferes Eindringen in die
Entwicklungsgeschichte der Zünfte ganz unmöglich. Eine längst verschollene
Zeit läßt sich ohne eine gewisse Breite und Fülle dem lebenden Geschlecht
nicht recht lebendig machen, um so weniger, wenn Legenden den historischen
Werdegang undeutlich gemacht haben, was von den Zünften gewiß nicht
* Daß dieser Plan eine Aenderung erfahren mußte, ist bereits im Vorwort
zum zweiten Bande mitgeteilt worden.
10
bestritten werden kann. Das Material zu diesem Teile meiner Arbeit
fand ich in den Werken, welche in dem Seite 413 abgedruckten „Ver—
zeichnis der benutzten Literatur“ aufgeführt sind, in den beigegebenen
Anlagen und in vielen ungedruckten Urkunden. Allein alle diese Materialien
wären mir ein Buch mit sieben Siegeln geblieben, wäre ich mit den Ueber—
bleibseln des alten Gewohnheitsrechtes der Zünfte, mit den Zunftgebräuchen
der Zimmerleute nicht bekannt geworden. Ich habe mir redlich Mühe ge—
geben, das an sich oft unverständliche Material zu durchdringen. Wie weit
mir das gelungen ist, zu beurteilen, muß ich freilich der Kritik überlassen.
Das Material zu dem zweiten und dritten Teile war bequemer
zu bearbeiten.
Im dritten Teile werden Konflikte in der Arbeiterbewegung be—
schrieben, die seit etwa dreißig Jahren ignoriert worden sind, auch ich hätte
sie lieber unerörtert gelassen. Schieden sich doch die Parteien in diesen
Konflikten oft weniger nach der Verschiedenheit ihres ideellen Standpunktes,
als mehr nach persönlichen Sympathien und Antipathien. Auf diesen
Umstand dürfte vor allem die Leidenschaft, mit der gegenseitig gekämpft
wurde, zurückzuführen sein. Die moderne deutsche Zimmererbewegung hat
in diesen Konflikten eine bedeutende Rolle gespielt, sie hat gewissermaßen
die Sturmkolonnen der Lassalleaner gestellt; daher ist es meine Pflicht, diese
Konflikte zu beschreiben. Ich bin mir dabei der eignen Objektivität voll—
ständig sicher und beabsichtige nicht, wie ich ausdrücklich bemerken will, mit
meiner Darstellung Personen zu treffen, die in ihrem Leben ihr Bestes für
die Arbeiterklasse eingesetzt haben — das muß man besonders von Bebel
und Liebknecht sagen, die bei der Darstellung dieser Konflikte des öftern
genannt werden — aber es ist unmöglich, die Wirkungen von Meinungen
und Ansichten zu beschreiben, ohne die Träger derselben zu nennen.
Trotz dieser Vorbemerkung blieb die Befürchtung bestehen, daß der
dritte Teil des vorliegenden Bandes zu Mißverständnissen Anlaß geben
könnte. Das Verhältnis der Sozialdemokratie zu den Gewerkschaften ist
seit Jahren oft Gegenstand der Erörterung gewesen, und die Annahme
lag nahe, als sollte in dieser Angelegenheit hier Stellung genommen
werden; mir ist das jedoch gar nicht in den Sinn gekommen. Ich habe
deshalb dem dritten Teile eine Abhandlung über „Die Sozialdemokratie
und die Gewerkschaften“ angereiht, welche diese Angelegenheit vom sozial—
demokratischen Parteistandpunkte aus behandelt und die dem zweiten Bande
vorgreift. Ehrlichen Irrtümern dürfte somit der Boden entzogen sein;
gegen böswillige Auslegungen gibt es allerdings kein Mittel.*
* Vergleiche Vorwort zur zweiten Auflage.
J
4
Die Beigabe der „Anlagen“, soweit es sich um bis dahin unge—
druckte Urkunden handelt, bedarf keiner Erläuterung. Soweit es sich um
Nachdruck aus Zeitungen handelt, muß ich bemerken, daß diese Zeitungen
selten sind und vielleicht in einigen Jahren überhaupt nicht mehr vor—
handen sein dürften. Es kam darauf an, einige wichtige Urkunden aus
den ersten Jahren der deutschen Gewerkschaftsbewegung zu retten.
Ich habe es vermieden, den Text durch fortlaufende Angaben über
den Ursprung der einzelnen Mitteilungen zu unterbrechen. In dem
ersten Teile beruhen viele Mitteilungen auf mühselig gesammelten
mündlichen Auskünften, andre auf Quellen, die dem Leser nicht zu—
gänglich sind; darauf zu verweisen wäre nutzlos und kostspielig gewesen.
Es konnte hier aber auch nicht darauf ankommen, eine schulgemäße Dar—
stellung zu geben; das vorliegende Buch ist zunächst für den Kreis meiner
Berufsgenossen berechnet, also für Arbeiter, die, wie ich aus Erfahrung
weiß, über Fußnoten nicht gerade erfreut sind. Ganz vermeiden konnte
ich diese Unterbrechungen freilich nicht; oft ist die Quelle auch im Text
selbst angegeben, wo ich glaubte, es sei für den Leser bequemer. Ein
„Verzeichnis der benutzten Literatur“ befindet sich, wie bereits bemerkt,
am Schlusse des Bandes.
Wer sich mit alten Urkunden und Schriften beschäftigt hat, weiß,
daß in ihnen Uebereinstimmung in der Orthographie gänzlich fehlt, daß
die Interpunktion dürftig und höchst willkürlich, die Satzbildung unregel—
mäßig und oft schwerfällig ist. Ich habe die Eigentümlichkeiten der
Originale, soweit solche Verwendung gefunden, mit allen ihren Inkon—
sequensen und Unregelmäßigkeiten beibehalten; ebenso ist die originelle
Schreibweise bei Zitaten aus Werken beibehalten worden. Es wäre
ungerechtfertigt und oft ganz unmöglich gewesen, hieran zu ändern.
Es bleibt mir noch übrig, mit aufrichtigem Danke die Bereitwilligkeit
anzuerkennen, mit der eine ganze Reihe von Personen meine Arbeit ge—
fördert hat. Neben meinen Gewerkschaftskameraden hat mir auch der
Vorstand der sozialdemokratischen Partei zur Gewinnung von Material
verholfen, das ich auf anderm Wege gewiß nicht bekommen hätte. Im
besondern bin ich meinem Parteigenossen J. Auer für sein bereitwilliges
Entgegenkommen zu Dank verpflichtet. Der Oberarchivar Herr Dr. Karl
Uhlirz in Wien hat die angeschlossenen Handwerksordnungen der Zimmer—
leute Wiens mit den im Archiv der Stadt Wien befindlichen Abschriften
vergleichen lassen, soweit solche dort vorhanden waren. Meine Partei—
genossen Dr. A. Braun, K. Kautsky, Paul Kampffmeyer und Ernst Preczang
haben meine Arbeit einer kritischen Durchsicht unterzogen und mir wert—
volle Ratschläge erteilt. Dr. A. Braun hat mir außerdem einen Beitrag
7*
geliefert, der mir um so willkommner war, als es nur recht und billig
erscheinen mußte, über das Thema „Die Sozialdemokratie und die Ge—
werkschaften“ einem Manne das Wort zu erteilen, der seit vielen Jahren
inmitten der sozialdemokratischen Partei wirkt.
Ich möchte diese Gelegenheit auch benutzen, eine Bitte aus—
zusprechen. Es ist mein innigster Wunsch, die Geschichte der deutschen
Zimmererbewegung möglichst lückenlos zu gestalten; Hinweise auf etwaige
Unrichtigkeiten und Mängel im vorliegenden Bande nehme ich mit Dank
an. Es sollen aber auch noch zwei Bände erscheinen, und da ist mir
einschlägiges Material sehr willkommen, besonders solches Material aus
der Zeit der vorgewerkschaftlichen Arbeiterbewegung an den einzelnen
Orten. In den siebziger und achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts
ist viel Material verloren gegangen oder verzettelt. Damals galt als
„heilige Pflicht eines jeden Genossen, dafür zu sorgen, daß keine
geschriebene Zeile länger aufbewahrt wird, als es unbedingt not—
wendig“ war. Nicht „was geschrieben ist“, zwang zu dieser Vorsicht,
„sondern daß überhaupt etwas Geschriebenes vorhanden“ war, genügte
in den siebziger Jahren, „um eine Anklage mit obligater Verurteilung
herbeizuführen“. Die damaligen Arbeiterblätter schärften ihren Lesern
fortgesetzt nicht ohne Grund ein: „In den Händen unsrer Staats—
anwälte genügt jeder Fetzen beschriebenen Papiers, der von der Hand
eines Sozialdemokraten herrührt und in die Hand eines andern Sozial—
demokraten übergeht, um auf Grund desselben eine verbotene Verbindung
zweier politischer Vereine zu beweisen, und bei der Stimmung unsrer
Richter gegen die Sozialdemokratie weiß man, was es zu bedeuten hat,
wenn nur erst einmal die Anklage fabriziert ist.“ In den achtziger Jahren
war es sogar gefährlich, Druckschriften aufzubewahren. Die Abrechnungen
der Zimmererorganisationen sind bis 1877 in den Publikationsorganen
derselben nicht veröffentlicht, sondern sie sind monatlich oder vierteljährlich
den Mitgliedschaften im Sonderdruck zugesandt; die Streikabrechnungen
sind gewöhnlich auf den Herbergen ausgelegt worden und nicht weiter
publiziert; Flugblätter und Zirkulare sind ebenfalls nicht systematisch
gesammelt. Wer noch einige Stücke dieser Materialien im Besitze hat
oder sie auftreiben kann, würde zur Vervollständigung der Geschichte der
deutschen Zimmererbewegung wesentlich beitragen, wenn er mir dieselben
zur Einsichtnahme überlassen wollte, worum ich im Interesse der deutschen
Zimmererbewegung dringend bitte.
Hamburg, Neujahr 1903.
August Bringmann.
Vorwort zur zweiten Auflage.
Als die erste Auflage des vorliegenden Bandes erschien, rechnete
ich nicht darauf, daß er in derselben Form eine Neuauflage erleben würde,
daß hingegen bei einer eventuellen Neuauflage des Gesamtwerkes einige
Partien des ersten Bandes fortbleiben könnten, weil ja nur eine Geschichte
der deutschen Zimmererbewegung gegeben werden sollte (vergl. Protokoll
der 16. Generalversammlung unsres Zentralverbandes vom Jahre 1905,
Seite 226). Allein die erste Auflage wurde von der Kritik gut auf⸗
genommen, jene Partien, welche ich bei einer eventuellen zweiten Auflage
des Gesamtwerkes für nicht notwendig hielt, fanden den lebhaftesten Beifall.
Allgemein wurde gelobt, daß es sich im dritten Teile des vorliegenden Bandes
nicht bloß um die Geschichte der Zimmererbewegung, sondern um die An—⸗
fänge der deutschen Gewerkschaftsbewegung überhaupt handle. Der erste Band
fand auch in andern als Zimmererkreisen Freunde, er war bald vergriffen.
Die 18. Generalversammlung unsres Zentralverbandes hat nun be—
schlossen, den ersten Band neu aufzulegen, und es ist mir angenehm,
dadurch Gelegenheit bekommen zu haben, ihn nochmals durchzusehen, an
manchen Stellen zu verbessern und zu erweitern. Die erste Auflage
schloß mit der Einigung zwischen der Lassalleschen und Eisenacher Partei⸗
richtung im Jahre 1876, die Neuauflage schließt mit der Unterdrückung
der deutschen Gewerkschaften im Jahre 1878. Zur Bequemlichkeit jener
Leser, die nur auf den ersten Band reflektieren, hätte ich auch gern die
ersten Versuche der Staatsgewalt, die deutschen Gewerkschaften zu unter—
drücken, den großen Monstreprozeß im Jahre 1875 in der vorliegenden
Neuauflage beschrieben, was bisher im zweiten Bande geschehen. Allein
jene Vorgänge hatten speziell auf die Zimmererbewegung einen derartig
großen Einfluß, daß ich die Beschreibung in jenem Zusammenhang be—⸗—
lassen muß. Ich kann den Leser des ersten Bandes nur darauf verweisen.
Abgesehen hiervon, kommt im vorliegenden Bande nun die vorsozialisten⸗
gesetzliche deutsche Gewerkschaftsbewegung zur Darstellung.
Die seit der Herausgabe der ersten Auflage (1903) erschienene
einschlägige Literatur hat manche historischen Vorgänge in ein schärferes
J
—F
Licht gerückt, als sie mir bei der Abfassung der ersten Auflage erschienen,
und auch ermöglicht, einige bei der ersten Auflage bereits benutzten
Quellen ausgiebiger zu verwerten. Das trifft für den ersten Teil zu
und besonders auch für den dritten; der zweite Teil hat nur unbedeutende
Aenderungen und Ergänzungen erfahren. Den Schlußartikel der ersten Auf—
lage: „Die Sozialdemokratie und die Gewerkschaften“ von meinem Freunde
Dr. Adolf Braun habe ich aus dieser Auflage fortlassen müssen, um den
Band nicht zu umfangreich werden zu lassen und weil ich hoffe, daß in
absehbarer Zeit auch der dritte Band erscheint, wo die Materie hineingehört.
Auch eine andre Auswahl und Anordnung der „Anlagen“ habe
ich getroffen. Mehrere Zunftstatuten und behördliche Verfügungen aus
der Zunftzeit habe ich ausgeschieden und dafür einige Urkunden eingefügt,
welche das Zunftleben in seinem Absterben besser veranschaulichen als
Statuten und behördliche Verfügungen. Zu den Urkunden aus den
Anfängen der modernen deutschen Gewerkschaftsbewegung ist die Kopie
eines Briefes von Karl Marrx an v. Schweitzer aus dem Jahre 1868,
das Protokoll einer Gewerkschaftskonferenz im Jahre 1878 und eine
Kongreßvorlage vom gleichen Jahre hinzugekommen. Ich habe ferner
der Kopie des Briefes von Karl Marrx, der Denkschrift der Sektions—
gruppe deutscher Sprache der Internationalen Arbeiterassoziation an den
Eisenacher Kongreß und dem Artikel „Marrx über die Gewerksgenossen—
schaften“ die erste Stelle der Anlagen aus den Anfängen der modernen
Gewerkschaftsbewegung eingeräumt, obwohl die weiterhin abgedruckten
—VDDDDD
Grunde getan, weil in den ersteren Urkunden Ideengänge zum Ausdruck
kommen, denen die Priorität gebührt. Es werden darin die Absichten
der Internationalen Arbeiterassoziation vertreten, wie sie schon von deren
Kongreß im Jahre 1866 in Resolutionen festgelegt sind.
Gustav Jaeckh schreibt zwar in seinem Buche über „Die Inter—
nationale“, die Denkschrift in Form von Erwägungsgründen und Anträgen
an den Eisenacher Kongreß sei von Johann Philipp Becker in Genf ver—
faßt worden. Das mag sein, jedenfalls kann ich es nicht bestreiten.
Jaeckh schreibt aber ferner: „Man war sich in Genf wohl der Möglich—
keit bewußt, daß diese junge deutsche Bewegung, die in wenigen Jahren
sich aus kleinen Anfängen zu dieser ansehnlichen Stärke entwickelt hatte,
sich bald auch dem Genfer Zentralkomitee gegenüber völlig verselbständigen
würde. Um dem noch beizeiten vorzubauen, arbeitete der umsichtige Taktiker
J. Ph. Becker einen Organisationsentwurf aus, der als Denkschrift in der
Form von Erwägungsgründen und Anträgen dem Eisenacher Kongreß zur An—
nahme unterbreitet werden sollte und in derselben Nummer des „Vorboten“
F
veröffentlicht wurde, wie der Aufruf zum Eisenacher Kongreß selbst. Der Ent—
wurf ist ein nicht unwichtiges Dokument der Geschichte der Internationale,
weil er das Bestreben der Zentralen, die Verselbständigung zu
nationalen Bewegungen hintanzuhalten, treffend kennzeichnet.“
Diese Darstellung ist nicht haltbar. Becker schreibt in einem Briefe
vom 31. Juli 1869 an Sorge, daß er nach dem deutschen Sozialisten⸗
kongreß in Eisenach gehe, daß er viel zu tun habe und dabei „soll“ er
noch Denkschriften und Resolutionen ausarbeiten! Die Sache wird viel⸗
mehr so gelegen haben, der Nürnberger Vereinstag im Jahre 1868 hatte
das Programm der Internationalen umgestülpt angenommen, was sich
zweifelsfrei ergibt, wenn wir die beiden Programme hier nebeneinanderstellen.
Statuten der Internationalen Nürnberger Programm.
Arbeiterassoziation. Mürnberg, September 1868.)
Beschlossen von der Delegiertenkonferenz in Der zu Nürnberg versammelte fünfte
St. Martinshall zu London, 28. September 1864, deutsche Vereinstag erklärt in nachstehen⸗
und endgültig — 6 Kongreß, den Punkten seine Uebereinstimmung mit
In Erwa * g: »em Programm der internationalen
daß die Enmoanzipation der arbeiten— Mcnie
den Klassen durch die arbeitenden Klassen . Die Emanzipation Gefreiung) der
arbeitenden Klassen muß durch die
selbst erobert werden muß, daß der Kampf
ur die Emanzipalion der arbeitenden irbeitenden lassen selbst erobert werden.
Klassen nicht einen Kampf für Klassen-— der Kampf für die Emanzipation der
privilegien und Monopole, sondern für arbeitenden Klassen ist nicht ein Kampf
sleiche Rechte und Pflichten und für die ür Klassenprivilegien und Monopole,
a aiessenerrschast bee ndern für gleiche Rochte und gleiche
deulet; Pflichten und für die Abschaffung aller
.4 —M— Zlassenherrschaft.
daß die ökonomische Abhängigkeit des * ...
Mannes der Arbeit vom Monopolisten 2. Die ökonomische Abhängigkeit des
der Werkzeuge der Arbeit, der Quellen Mannes der Arbeit vwon dem Mono⸗
des Lebens, die Grundlage der Knecht—⸗ polisten Dem ausschließlichen Besitzer der
schaft in jeder Form, des sozialen Elends, Arbeitswertzeuge bildet X Grundlage
der geistigen Herabwürdigung und poli⸗ der Knechtschaft in jeder Form des sozia⸗
lischen Abhängigkeit bildet; en Elends, der geistigen Herabwürdigung
daß deshalb die bkonomische ind der politischen Abhängigkeit. æIF
Emanzipation der arbeitenden Klassen 3. Die politische Freiheit ist
das große Ziel ist, welchem jede poli— dne unentbehrliche Vorbedingung
tische Bewegung als bloßes Hilfs— zur ökonomischen Befreiung der
mittel sich unterordnen sollte. arbeitenden Klassen. Die soziale
Frage ist mithin untrennbar von der
politischen, ihre Lösung durch diese be—
dingt und nur möglich im demo—
kratischen Staat.
Die Statuten der Internationale —DDD———
der arbeitenden Klassen“ in den Vordergrund, sie bezeichnen „jede politische
Bewequng als bloßes Hilfsmittel“ und das Nürnberger Programm stellt
16
die politische Bewegung zur Erreichung des demokratischen Staates in den
Vordergrund. Im Jahre 1868 ließ sich das der Internationalen gegen—
über noch rechtfertigen, und der Referent Schweichel tat es mit den
Worten: „Wie vortrefflich die Streiks oder Arbeitseinstellungen sein
mögen, um die Arbeitszeit herunterzusetzen, so bedarf es wohl dafür
keines Beweises, daß sie zu ihrem Gelingen, abgesehen von den unent—
behrlichen Geldmitteln zur Unterhaltung der Feiernden, die unbeschränkte
—DDDD00—
vorhanden; sie muß also erst erobert werden.“ Anders lag die Sache
1869. Die Koalitionsverbote waren aufgehoben, die Gewerkschafts—
bewegung hatte lebhaft eingesetzt; da war es gerade vom Standpunkt der
Internationalen verständlich und konsequent, daß sie durch ihre deutsche
Sektionsgruppe ihr unverfälschtes Programm präsentierte. Der Eisenacher
Kongreß nahm es nicht an, er gab der neuen sozialdemokratischen Arbeiter—
partei hingegen ein rein politisches Programm, das „die Errichtung des
freien Volksstaats“ an der Spitze führt und rein politische Forderungen
als die „nächsten“ bezeichnet. In taktischer Hinsicht war der Eisenacher
Kongreß somit ein tüchtiges Stück von der Internationale abgerückt.
Im Einverständnis mit Karl Marx ist das sicher nicht geschehen.
Sein Unmut über den Eisenacher Kongreß dürfte in dem Gespräch mit
Hamann zum Ausdruck kommen, das in dem Artikel „Marr über die
Gewerkgenossenschaften“ beschrieben wird, der als Anlage abgedruckt
ist. Marx meinte demnach: „Alle politischen Parteien, mögen sie sein,
welche sie wollen, () begeistern die Massen der Arbeiter nur eine Zeit—
lang vorübergehend, die Gewerkschaften hingegen fesseln die Masse der
Arbeiter auf die Dauer, nur sie sind imstande, eine wirkliche Arbeiterpartei
zu repräsentieren und der Kapitalmacht ein Bollwerk entgegenzusetzen.“
Das ist aber auch der Grundgedanke der Denkschrift der deutschen Sektion der
Internationale an den Eisenacher Kongreß. Karl Marrx dachte über
die Arbeiterklassenbewegung anders, als sie sich in Deutsch—
land entwickelte! Das ergibt sich ferner sehr klar aus einem Briefe
an F. Bolte. Karl Marx schreibt an diesen unterm 28. November 1871:
„Die Internationale wurde gestiftet, um die wirkliche Organisation der
Arbeiterklasse für den Kampf an die Stelle der sozialistischen oder halbsozialistischen
Sekten zu setzen. Die ursprünglichen Statuten wie die Inauguraladresse zeigen
dies auf den ersten Blick. Andrerseits hätten die Internationalen sich nicht
behaupten können, wenn der Gang der Geschichte nicht bereits das Sektenwesen
zerschlagen gehabt hätte. Die Entwicklung des sozialistischen Sektenwesens und
die der wirklichen Arbeiterbewegung stehen stets im umgekehrten Verhältnis.
Solange die Sekten berechtigt sind (historisch), ist die Arbeiterklasse noch unreif
zu einer selbständigen geschichtlichen Bewegung. Sobald sie zu dieser Reife
17
gelangt, sind alle Sekten wesentlich reaktionär. Indes wiederholte sich in der
Geschichte der Internationalen, was die Geschichte überall zeigt. Das Veraltete
sucht sich innerhalb der neugewonnenen Form wieder herzustellen und zu behaupten.
Und die Geschichte der Internationalen war ein fortwährender Kampf des
Generalrats gegen die Sekten und Amateurversuche, die sich gegen die wirkliche
Bewegung der Arbeiterklasse innerhalb der Internationalen selbst zu behaupten
suchten. Dieser Kampf wurde in den Kongressen, aber vielmehr noch in den
privaten Verhandlungen des Generalrats mit den einzelnen Sekten geführt. .....
Das political movement der Arbeiterklasse hat natürlich zum Endzweck
die Eroberung der political power für sie und dazu ist natürlich eine bis zu einem
gewissen Punkte entwickelte previous organisation der working class nötig,
die aus ihren öbomonischen Kämpfen selbst erwächst.
Andrerseits ist aber jede Bewegung, worin die Arbeiterklasse als Klasse
den herrschenden Klassen gegenübertritt und sie durch pressure from without zu
zwingen sucht, ein political movement. Zum Beispiel der Versuch, sich in einer
einzelnen Fabrik oder auch in einem einzelnen Gewerk durch Streiks usw. von
den einzelnen Kapitalisten eine Beschränkung der Arbeitszeit zu erzwingen, ist eine
rein ökonomische Bewegung; dagegen die Bewegung, ein Achtstunden—
usw. Gesetz zu erzwingen, ist eine politische Bewegung. Und in dieser
Weise wächst überall aus den vereinzelten ökonomischen Bewegungen
der Arbeiter eine politische Bewegung hervor, das heißt eine Be—
wegung der Klasse, um ihre Interessen durchzusetzen in allgemeiner
Form, in einer Form, die allgemeine gesellschaftlich zwingende Kraft
besitzt. Wenn diese Bewegungen eine gewisse previous organi-—
sation unterstellen, sind sie ihrerseits ebensosehr Mittel der Ent⸗
wicklung dieser Organisation.
Wo die Arbeiterklasse noch nicht weit genug in ihrer Organisation fortge⸗—
schritten ist, um gegen die Kollektivgewalt, i. e. die politische Gewalt der herrschenden
Klassen, einen entscheidenden Feldzug zu unternehmen, muß sie jedenfalls dazu geschult
werden durch fortwährende Agitation gegen die uns feindselige Haltung zur Politik
der herrschenden Klassen. Im Gegenfall bleibt sie ein Spielball in deren Hand ....“
Vergleiche F. A. Sorge: „Briefe und Auszüge aus Briefen usw.“ Stuttgart 1906.)
Karl Marx wertete die Gewerkschaftsbewegung anders als seine
einflußreichen Freunde in der deutschen Arbeiterbewegung. Die Denk—
schrift der deutschen Sektion der Internationale bringt vor allem Marrx
Auffassung zum Ausdruck, auch wenn er sie nicht verfaßt hat.
Wie sich aus seinen bisher bekannt gewordenen Briefen ergibt, hat
Karl Marrx der deutschen Arbeiterbewegung auch fernerhin kritisch gegen—
übergestanden, womit natürlich weder bewiesen werden kann, noch
bewiesen werden soll, daß er die Gewerkschaftsbewegung immer so
wertete wie in den vorstehenden Zitaten. Friedrich Engels ist nach—
weislich zu einem andern Standpunkte gekommen. In einem Briefe
vom 12. September 1874 schreibt er an Sorge:
„Mit Deinem Austritt ist die alte Internationale vollständig abgeschlofssen
und zu Ende. Und das ist gut. Sie gehörte der Periode des zweiten Kaiser⸗
Bringmann, Geschichte der Zimmerer.
18
reichs an, wo der in ganz Europa herrschende Druck der eben wiedererwachenden
Arbeiterbewegung Einigkeit und Enthaltung von aller inneren Polemik vorschrieb.
Es war der Moment, wo die gemeinsamen kosmopolitischen Interessen des Prole—
tariats in den Vordergrund treten konnten; Deutschland, Spanien, Italien,
Dänemark waren eben erst in die Bewegung eingetreten oder traten ein in sie.
Der theoretische Charakter der Bewegung war in ganz Europa, das heißt bei
den Massen, in der Wirklichkeit 1864 noch sehr unklar. Der deutsche Kommunismus
existierte noch nicht als Arbeiterpartei, der Proudhonismus war zu schwach, um
seine Spezialmarotten vorreiten zu können, Bakunins neues Krämchen bestand
noch nicht einmal in seinem eignen Kopfe, selbst die Chefs der englischen
Trade-Unions glaubten, auf Grundlage des in den Considérants der
Statuten ausgesprochenen Programms in die Bewegung eintreten
zu können. Der erste große Erfolg mußte dies naive Zusammengehen aller
Fraktionen sprengen.. .. Der Zerfall, der nicht ausbleiben konnte, kam....
Mit dem Haager Kongreß war es in der Tat am Ende.... Das einzige Land,
wo noch etwas auf den Namen der Internationalen zu machen, war Amerika,
und ein glücklicher Instinkt legte die Oberleitung dahin. Jetzt ist auch dort das
Prestige erschöpft, und jede weitere Anstrengung, neues Leben hineinzugalvanisieren,
wäre Torheit und Kraftverschwendung. Die Internationale hat zehn Jahre
europäischer Geschichte nach einer Seite hin — nach der Seite, worin die Zukunft
liegt — beherrscht und kann stolz auf ihre Arbeit zurückschauen. Aber in ihrer
alten Form hat sie sich überlebt... . Ich glaube, die nächste Internationale
wird — nachdem Marrx Schriften einige Jahre gewirkt — direkt
kommunistisch sein und geradezu unsre Prinzipien aufpflanzen.“
Diese neugewonnene Auffassung, daß die nächste Internationale
„direkt kommunistisch sein und geradezu unsre Prinzipien aufpflanzen“
wird, deutet eine Rückkehr zum „Kommunistischen Manifest“ an. In der
Tat heißt es in seinem Vorwort vom Juni 1872, das von Karl Marr
und Friedrich Engels unterzeichnet ist: „Wie sehr sich auch die Ver—
hältnisse in den letzten fünfundzwanzig Jahren geändert haben, die in
diesem Manifest entwickelten allgemeinen Grundsätze behalten im ganzen
und großen auch heute noch ihre volle Richtigkeit.“ Und Fr. Engels
schreibt im Vorwort vom 1. Mai 1890: „Der kontinentale Sozialismus
war schon 1887 fast nur noch die Theorie, die im Manifest verkündet
wird.“ Das mußte auch zu einer andern Wertung der Gewerkschafts—
bewegung führen als jener, die sie in der alten Internationale und in den
sechziger Jahren auch bei Marx gefunden. Ausführungen darüber gehören
indes nicht in dieses Vorwort, sondern eventuell in das Schlußkapitel des
Gesamtwerks. Im vorliegenden Bande kann es sich nur darum handeln,
die anfängliche Wertung der Gewerkschaftsbewegung in der sozialistischen
Theorie festzustellen; sie ist auf die Entwicklung der Gewerkschaften nicht
ohne Einfluß geblieben.
Hamburg, im August 1909.
August Bringmann.
4.
Die Zünfte der Zimmerleute.
Die Ausbildung des Zimmerberuses.
Wenn die Menschheit, noch auf der Unterstufe der Barbarei stehend,
schon in hölzernen Häusern, in verpalisadierten Dörfern wohnte, wie
Friedrich Engels in seinem Buche: „Der Ursprung der Familie, des
Privateigentums und des Staats“ schreibt, dann darf man annehmen,
daß die Zimmerei bis zu einem gewissen Grade schon damals Spezial—
arbeit war, die nicht mehr jeder für sich verrichtete, sondern wenige Be—
fähigte für viele. Von dieser vielleicht ersten Entwicklungsstufe der
Zimmerei bis zu ihrer Zusammenfassung zu einem Berufe, also zur Aus—
übung der Zimmerarbeit von dazu besonders vorgebildeten Personen, die
diese Art der Beschäftigung als das Gebiet betrachten, auf dem sie um
die Gewinnung ihrer Existenzmittel ringen, ist ein weiter Weg, den die
Entwicklung zurückzulegen hatte. Ist ein Volk seßhaft geworden, bleibt
es zunächst noch die Familie, die die Sorge für die Befriedigung aller
vorkommenden Bedürfnisse übernimmt, schreibt Ernst Mummenhoff in
seiner Monographie: „Der Handwerker in der deutschen Vergangenheit“.
Auch bei den Germanen fertigte zunächst die Familie im Hausbetrieb das,
was sie im täglichen Leben brauchte. Allein wir dürfen uns diese
Familienwirtschaft nicht als Zwergwirtschaft vorstellen, sondern als Haus—
gemeinschaft, in der mehrere Generationen ein Vater mit seinen Söhnen
und deren Weibern und Kindern, mitunter auch Kindeskindern hauste.
In Kroatien und Slavonien gibt es auch heute auf dem flachen Lande
keine Zimmermeister bezw. Zimmereibetriebe, trotzdem die Bauernhäuser
ganz aus Holz gebaut werden. Dafür ist aber fast in jeder Familie ein
Zimmermann zu finden. Ist ein Bauer gezwungen, ein neues Gebäude
zu errichten, so kommen die Zimmerer aus der Nachbarschaft zusammen,
und es wird dann gemeinsam gezimmert und nicht einmal so schlecht.
So dürfte es früher auch in Deutschland gewesen sein.
Die Germanen gliederten sich in Markgenossenschaften. Der Grund
und Boden war Gemeineigentum und blieb es auch noch, als mit der
20
Verdichtung der Bevölkerung die Markgenossenschaften sich in Dorfgenossen—
schaften gliederten. Im besondern blieben die Wälder noch sehr lange
Gemeineigentum. Die Wohnhäuser bezw. die Höfe waren Eigentum
der einzelnen Markgenossen, niemand machte ihnen Vorschriften, wie sie
dieselben bauen ließen; aber die Markgenossenschaft hatte das Bauholz zu
liefern und hiermit mußte immer sparsamer verfahren werden. Mit der
Zeit kamen verhältnismäßig harte Vorschriften gegen Holzverschwendung
auf; wer Bauholz gebrauchte, mußte Anzeige davon machen. Nach oft
recht sorgfältiger Prüfung des Bedürfnisses durch die Markbeamten und
zuweilen auch durch die Versammlung der Markgenossen, den sogenannten
„Märkerdings“, bekam der Bittsteller Holz angewiesen. Dieses mußte
dann in einer bestimmten Zeit gefällt und verbaut sein. Holzhandel
existierte noch nicht und Holzdiebstahl wurde hart bestraft. Ueber ihre
Holzbestände wachten alle Marken sehr eifrig; selbst dem Schirmherrn
wurde zumeist verboten, Holz zu verkaufen oder zu seinem Privatgebrauch
außerhalb der Mark zu verwenden. Es konnte schließlich kein Hof und
kein Haus, überhaupt keine Baulichkeit errichtet werden ohne Zustimmung
der Markbehörden. Selbst zu baulichen Veränderungen, wenn dazu Bau—
holz aus den Markwaldungen erforderlich war, bedurfte es der Erlaubnis.
Niemand durfte eine Baulichkeit mutwillig verderben, aber auch in keinem
baufälligen Zustande lassen. Es kamen Vorschriften auf, die bei der Er—
richtung von Bauten beachtet werden mußten und die bezweckten, das
Baumaterial möglichst lange vor Verderbnis zu schützen. Unter anderm
wurde vorgeschrieben, jeder Neubau sollte einen Steinfuß haben, um das
Holz vor Fäulnis zu schützen; der Anlage der Feuerstellen wurde besondere
Aufmerksamkeit gewidmet. Die Erhaltung der Bauten wurde kontrolliert.
Nachlässige Hausbesitzer wurden mitunter sehr hart bestraft. Man konnte
nicht mehr jeden Beliebigen im Walde holzen und das Bauholz ver—
arbeiten lassen, dazu brauchte man mit der Zeit einen verantwortlichen
Zimmermann, um die Verschleuderung des Holzes zu verhindern. Nach
Hermann Dunker („Das mittelalterliche Dorfgewerbe nach den Weistums—
überlieferungen“) wurde der Mark- oder Dorfzimmermann vereidigt, um
für die richtige Auswahl des Holzes durch die Bauern Sorge zu tragen.
Die Heimburgen (höhere Markbeamte) besichtigten mit dem geschworenen
Zimmermann die Bauten. Der Zimmermann leitete die Bauausführung.
Er hatte aber auch Knechte und Lerner, das heißt Gesellen und Lehrlinge.
Nach Georg Ludwig v. Maurer hat es in den Marken von jeher Hand—
werker gegeben. Sie gehörten nicht zu den vollberechtigten Märkern,
sondern sie zählten zu den Hinter- oder Beisassen. Sie standen an
persönlicher Freiheit den erbangesessenen Markgenossen gleich, sonst galt
von ihnen in der Regel, „daß sie an und für sich gar keine Mark—
berechtigung, in jeder Mark vielmehr immer nur diejenigen Rechte hatten,
welche ihnen aus Gnade oder aus einem andern Grunde von den Mark—
genossen zugestanden waren“.
Zu den Ureinrichtungen Germaniens gehören auch die Fronhöfe,
nach Georg Ludwig v. Maurer reichen sie bis zu den ersten germanischen
Ansiedlungen zurück. Man wird sich diese Fronhöfe aber zunächst nicht
als Wirtschaftseinheiten vorstellen dürfen, sondern als eine Art Herrensitz,
dem viele Bauernwirtschaften zinspflichtig waren. Sie berührten die
bäuerlichen Hausgemeinschaften noch nicht. Mit der Zeit wurde das
anders. Die Fronhöfe entwickelten sich zu Wirtschaftsbetrieben. An die
Stelle der großen Bauernwirtschaften traten Zwergwirtschaften, die den
Fronhöfen nicht nur zinspflichtig, sondern auch dienstpflichtig waren. An
die Stelle der Hausgemeinschaft trat die Hofgemeinschaft. Auf diesen
Höfen befand sich auch eine der Größe des Hofes entsprechende Zahl
Handwerker, darunter auch Zimmerleute.
Für ihren Unterhalt erhielten die niederen Hofdiener, unter denen
auch die Zimmerleute genannt werden, gegen Zins und andre Leistungen
Bauerngüter, öfter auch Benefizien. So dürfte es auch in den Marken
gewesen sein. Für seinen Wohnsitz und einiges Ackerland übernahm der
Zimmermann das Zimmeramt einer Mark, eines Dorfes oder eines
Hofes. Er war in allen Fällen bis zu einem gewissen Grade abhängig.
Als Markzimmermann war er Störhandwerker, das heißt er arbeitete
auf den Bauernhöfen und wurde dabei beköstigt. Viel anders wird auch
das Verhältnis des Dorfzimmermanns nicht gewesen sein. Hermann Dunker
berichtet einen Fall, wo bei öffentlichen Arbeiten, wozu die Amtszimmer—
leute natürlich verpflichtet waren, jede einzelne Bauernwirtschaft der Reihe
nach die Zimmerleute zu beköstigen hatte. Neben Kost und eventuell
Logis ist wohl auch Lohn gezahlt worden. Die Unfreiheit oder Hörigkeit
der Handwerker auf Fronhöfen dürfte auch kaum härter gewesen sein.
Ueber ihre Arbeitskraft verfügte zwar der Hofherr in seinem und des
Hofes Interesse, hatten die Handwerker aber dem Hofe die Dienste
geleistet, wozu sie verpflichtet waren, so konnten sie — nach Mummenhoff —
ihr Handwerk auch öffentlich ausüben, wenn sie nicht durch die Bewirt—
schaftung des Ackers oder des Feldes, das sie vom Hof als Zinslehn
trugen, in Anspruch genommen waren.
Das Zimmeramt erbte nach der Sitte der Zeit vom Vater auf
den Sohn weiter. Und es scheint, daß es die damaligen Zimmerleute
schon zu ansehnlicher Kunstfertigkeit gebracht hatten. Schreibt doch
Mummenhoff: „Schon den Germanen kann es nicht an handwerksmäßig
22
ausgebildeten tüchtigen Männern gefehlt haben, die mit den Arbeiten des
Zimmermanns wohl vertraut waren. Die aus Holz gefügten Wohnungen
entbehrten der Abwechslung der Farben und der Kunst des Schnitzwerks
nicht. In den Holzpalästen der Könige und Fürsten glänzten „die wunder—
bar hohen Wände von Wurmbildern“, wie das andelsächsische Gedicht
„Der Wanderer“ schildert, und die Säulenkapitäle, die Türen und die
Wandflächen waren, wenn von den späteren nordischen Bauten ein Rück—
schluß gestattet ist, mit reichem, vielverschlungenem Schnitzwerk geschmückt,
aus dem Schlangen, Fische, Vogelköpfe und andres phantastisches Schnitz⸗
werk sich hervorhob. Der Palast König Attilas, den der Gesandte des
griechischen Kaisers Theodosius II., Pricus, schildert, war aus wohl—
geglätteten Brettern erbaut und von einem Umgang umgeben. Die Wohnung
der Königin setzte sich aus zahlreichen einzelnen Gebäuden zusammen, die
eine Einfriedigung umschloß. Die Gebäude waren aus wohlgefügten, mit
Schnitzwerk verzierten Brettern gebildet oder aus sorgfältig gradlinig
behauenen Balken. Bewunderungswürdig erschienen dem Gesandten die
Eigentümlichkeit der Bauweise, die Höhe der Säulen, die Wirkung des
feingehobelten, gedrechselten, ausgeschnittenen und polierten Holzes, die
Verzierungen und die Harmonie der Verhältnisse. Diese Bauten aber
waren nicht etwa das Werk der barbarischen Hunnen, sondern stellten sich
dar als der Palast eines gotischen Königs, den sich Attila zu seinem
Sitze erkoren hatte.“
Wie in den Marken, Dörfern und Fronhöfen lagen die Verhältnisse
ursprünglich auch in den Städten. Alle alten Städte sind aus Dörfern
hervorgegangen; sie unterschieden sich zunächst nur durch ihre Umgebung
it Wall und Graben von den Dörfern; durch die Ummauerung wurden
die alten Verhältnisse aber in keiner Weise berührt. Auch haben sich
ehemalige Königshöfe, Fronhöfe und kirchenfürstliche Pfalzen zu Städten
erweitert, wie z. B. Basel, Münster i. W., Lehnin und viele andre.
Schließlich entstand in jeder Stadt auch ein Königs- oder Fronhof, eine
Pfalz usw.; in vielen Städten bestanden solche Einrichtungen nebeneinander.
Dem entsprachen auch die Verhältnisse der Zimmerleute. In Straßburg
z. B. waren 1322 die Zimmerleute dem Bischof zu Hofdiensten verpflichtet,
sonst waren sie frei und übten für die Bürgerschaft ihr Gewerbe. Anders
kann auch Schoenlanks Mitteilung („Soziale Kämpfe vor dreihundert
Jahren“) nicht ausgelegt werden, daß in Nürnberg die Zimmergesellen
1425 direkt unter dem Rat und dem Stadtbaumeister gestanden; auf
Arbeiten für Private hat das gewiß keinen Bezug. Schanz (,„Geschichte
der deutschen Gesellenverbände im Mittelalter“), den Schoenlank zitiert,
meint übrigens, in Nürnberg wäre der Lohn für Meister und Gesellen
23
des Bauhandwerks von dem Stadtbaumeister ausbezahlt worden; das
kann sicherlich nur bei städtischen Arbeiten der Fall gewesen sein, zu
welchen Arbeiten die Zimmerleute in Nürnberg gewiß ebenso verpflichtet
waren wie die Zimmerleute anderwärts auch. In Lübeck verpflichtete die
Zunftrolle von 1545 die Zimmerleute ausdrücklich zu der Verrichtung der
städtischen Arbeiten. Diese Zunftrolle droht für den Fall der Weigerung
sogar den Ausschluß aus der Stadtgemeinschaft an.“ Selbst in dem
Privilegium der Zimmergesellen in Berlin von 1683 lautet der 5. Artikel
noch: „Wenn Se. Churfürstl. Durchlaucht dero Hoff Arbeit in der Eil
wollen verfertigt haben, müssen einheimbsche Alt— und Junggesellen auf
Anforderung sich aller wege parat erweisen. Der Anfang muß vom Alt⸗
gesellen geschehen, und ein jeder umb und umb 14 Tage stehen, und so
soll es auch mit den Magistraten in hiesigen Residenzien, wo dieselben in
der Eil den Städten zum Besten arbeiten lassen, umb gebührlichen Lohn
gehalten werden ....“
Mit der Zunahme der Bevölkerung an einem Orte mußte man
natürlich auch die Zahl der Zimmerleute vermehren. Während des
gewaltigen sozialen und wirtschaftlichen Umschwunges seit dem elften
Jahrhundert, wo der Uebergang von der Naturalwirtschaft zur Geld—
wirtschaft angebahnt und beschleunigt wurde und die Städtebildung rasche
Fortschritte machte, mußten auch die alten Verhältnisse in Fäulnis geraten.
Zum Städtebau bedurfte man vieler Zimmerleute. Der Städter konnte
nicht mehr in dem Umfange Bauer bleiben wie der Märker oder Dörfler,
er mußte zur Arbeitsteilung übergehen. So wurde auch die Zimmerei
der Lebensberuf vieler Personen.
Das Alter der Zünlte.
In einer alten Königspfalz, an einem Bischofssitz oder einer großen
Abtei bestand in der Regel schon die eine oder andre Handwerkervereinigung,
die im Dienste der Herrschaft unter einem Meister sich den herkömmlichen
Arbeiten zu unterziehen hatte, schreibt Mummenhoff. Demnach waren
diese Vereinigungen Arbeitsgemeinschaften. Sie waren nicht entstanden
zur Wahrung der beruflich-wirtschaftlichen Interessen ihrer Angehörigen.
Das macht aber erst das Wesen einer Zunft aus. Gewiß, jene Arbeits—
gemeinschaften werden sich in vielen Fällen, wie die Zunft der Spinn—⸗
* Der bezügliche Artikel lautet in der Lübecker Zunftrolle von 1545
wörtlich: „Wenn eynn Radt arbeydeslude bedarffet vnnd de olderlude lathenn an⸗
seggenn, welck se scholenn holdenn im ampte by geborthe, dem de olderlude denn
lalhenn thoseggen de schall erstes dages gaenn up des Rades arbeyt by vorlusth
der stat waninghe, eth sy dann dath ohne de buwhernn wyllenn vorlovenn eynen
andern yn sine stede tho settenn.“
24
wetter in Basel, zu der die Zimmerer, Glaser, Kübler und Wagenbauer
gehörten, oder wie die Bauleutezunft in Speyer, zu der die Zimmerleute,
Maurer, Steinhauer, Tüncher, Schreiner, Glaser, Hafner, Küfer, Schiefer—
decker, Bildhauer und Maler gehörten, zu wirklichen Zünften, das heißt
zu beruflich-wirtschaftlichen Interessenvertretungen ausgebildet haben.
Aber wann Zünfte in diesem Sinne entstanden oder ältere Handwerks—
ämter sich in diesem Sinne erweitert haben, läßt sich im einzelnen nicht
nachweisen. Man wird indes annehmen dürfen, daß die beruflich-wirt—
schaftliche Interessenvertretung der Zimmerleute so stark zum Bedürfnis
wurde, wie die alten Verhältnisse dahinsanken. Die alte Markverfassung
mit ihrem Gemeineigentum an den Waldungen, mit ihrer Unterdrückung
des Holzverkaufs konnte bei dem Aufblühen der Städte nicht stand—
halten. Mit ihrer Abtragung wurden auch die Verhältnisse der Zimmer—
leute andre. Die Zünfte der Zimmerleute werden, wie andre Zünfte
auch, in der Geschichte der Städte erst erwähnt, als sie soweit aus—
gebildet waren, daß sie eine Bedeutung für die Entwicklung der all—
gemeinen Verhältnisse erlangt hatten. Die überlieferten Zunftrollen und
Zunftstatuten können als Stiftungsurkunden nicht gelten, sie sind manchmal
gewiß erst lange Zeit nach der tatsächlichen Errichtung der betreffenden
Zünfte niedergeschrieben worden.
Georg Ludwig v. Maurer führt in seiner „Geschichte der Städte—
verfassung“ aus: „Oefter wurden die freien Zünfte und Innungen, welche
sich eigenmächtigerweise ohne Zustimmung der Grund- und Landesherren
gebildet hatten, zumal in frühern Zeiten wieder aufgelöst und nur mit
Zustimmung der Grund- und Landesherren ihre Neubildung gestattet. Da
nämlich die freien Handwerker Hintersassen entweder der in der Stadt
ansässigen Grundherren oder der Stadtbürger oder der Stadt selbst waren
und jedenfalls unter der öffentlichen Gewalt standen, so bedurften ihre
Genossenschaften, wiewohl sie als freie Leute zu deren Eingehung berechtigt
waren, je nach den Umständen der grundherrlichen oder städtischen oder
landesherrlichen Bestätigung. Diese scheint nun öfter gar nicht nachgesucht,
öfter aber auch verweigert worden zu sein, indem man sich damals wie
heute noch vor dem zuweilen etwas stürmisch auftretenden Geiste der
Freiheit fürchtete. Da jedoch eine innere Notwendigkeit zur Bildung
freier Zünfte drängte, so kam es fast allenthalben zum Kampf und sodann
bei allen Regierungen, welche ihre Zeit nicht begreifen, zu Verboten und,
statt zur Leitung jener Bestrebungen, zu ihrer Unterdrückung und zur
Abschaffung der bereits schon bestehenden Zünfte. Die jenen voranstrebenden
freieren Zunftgeist fürchtenden Grund- und Landesherren drängten die
Kaiser, und diese ließen sich zu jener unheilvollen schwankenden Politik
9
4
drängen, nach welcher sie jenen Aufschwung bald bekämpften, bald auch
wieder unterstützten, je nachdem es die Weltlage oder ihr momentanes
Interesse erheischte, die Landesherren gegen die Städte zu unterstützen
oder die Städte gegen die Landesherren. Schon im Jahre 1158 wurden
von Friedrich J. alle Konventikel und Verbindungen in den italienischen
Städten verboten und später auch in den deutschen Städten von Friedrich II.
auf den Reichstagen zu Worms und zu Ravenna in den Jahren 1231
und 1232.“
Die Anerkennung bezw. Bestätigung einer Zunft ging in der Regel
so vor sich, daß sie ihre Satzungen der Behörde einzureichen hatte, die
Behörde änderte die Satzungen dann nach Gutdünken ab oder gab
sie unverändert als Verordnung zurück. Als dann die Territorial—
gewalt aufkam, ließen sich die Territorialherren bei ihrem Regierungs—
antritt jedesmal alle Zunftsatzungen einreichen, bestätigten sie neu oder
gaben sie abgeändert als neue Verordnung zurück. Sie ließen ihre
Oberhoheit somit erkennen und außerdem brachte ihnen diese Handlung
Geld ein; denn die Neubestätigung der Zunftsatzungen mußte bezahlt werden.
Die ersten Zunftsatzungen dürften daher zumeist verloren gegangen oder
absichtlich vernichtet worden sein. So konnte es nur kommen, daß selbst
bedeutende Städte eine geraume Zeit bestanden, bevor der Existenz einer
Zunft der Zimmerleute Erwähnung getan oder ihre Gerechtsame urkundlich
anerkannt worden ist. Regensburg war schon in der Römerzeit im 2. und
3. Jahrhundert ein wichtiger Ort und vom 11. bis 15. Jahrhundert die
blühendste Stadt im südlichen Deutschland; die Zimmerleute nannte man
Gademar,“* ihre Zunft wurde 1244 von der Obrigkeit anerkannt. Helm—
stedt entstand um das Jahr 900, die Zunft der Zimmerleute wurde 1247
anerkannt; Frankfurt a. M. wird urkundlich 724 zum ersten Male erwähnt,
sein erstes Stadtrecht datiert von 1297, die Zunft der Zimmerleute hatte
sich bereits gebildet, als sie 1354 Anerkennung begehrte und erhielt. In
Worms bestand 1304 eine Zunft der Zimmerleute, in Mainz 13832. In
Marburg hatte die Zunft der Zimmerleute 1388 bereits einen Deputierten
im Stadtrat. Breslau ist 758 Stadt geworden, um das Jahr 1000
war Breslau schon ein sehr bedeutender Ort, die erste Urkunde von der
Brüderschaft der Zimmerleute datiert von 1457. Lübeck, früher die
bedeutendste Handelsstadt in ganz Norddeutschland, wurde nach seiner
Zerstörung 1138 noch im gleichen Jahrhundert neu aufgebaut; die
erste Zunftrolle der Zimmerleute datiert von 1428. Kiel entstand im
* An andern Orten in Süddeutschland sind die Zimmerleute auch „Gadem⸗
macher“ genannt worden, was soviel bedeutet als Etagenbauer. Stockwerke nannte
man, wie sich auch aus den Breslauer Urkunden ergibt, „Gadem“.
26
11. Jahrhundert und erhielt 1242 Stadtrecht, der Bestand der Zunft der
Zimmerleute ist aber erst seit 1380 bekannt. In Landau wird die Zunft
der Zimmerleute im 16. Jahrhundert zum ersten Male erwähnt, und viele
andre Zünfte mögen noch später entstanden bezw. amtlich anerkannt
worden sein. Es hat aber selbst im 18. Jahrhundert noch Städte gegeben,
in denen die Zimmerleute keine Zunft besaßen. Sinn hatte ihre Er—
richtung übrigens nur dort, wo mehrere Zimmerleute zugleich um die
Zimmerarbeiten warben.
Die Bauhũtten.
Mitunter wird auch angenommen, die alten Bauhütten seien der
Ursprung der Zünfte gewesen. Die neuzeitlichen Baugewerksinnungen
legen sich bekanntlich vielfach die Bezeichnung „Bauhütte“ zu. Die alten
Bauhütten hatten indes mit den Zünften nichts gemein. Sie unter—
schieden sich von diesen wie die Gesellschaften und Hansen der Kauf—
leute von den Krämerzünften, wie die Maler- und Sängerbrüderschaften
von den Zünften der Tüncher, Anstreicher und Stadtmusikanten. Jeden—
falls hatten sie mit den Zünften der Zimmerleute nichts zu tun. Wir
wollen indessen das Wesentlichste hier folgen lassen, was Georg Ludwig
v. Maurer über die Bauhütten schreibt:
Die Bauhütten sind offenbar mit dem Bauwesen selbst in Auf—
nahme gekommen. Sie reichen daher schon in die karolingischen und
vorkarolingischen Zeiten hinauf, worauf auch eine alte Tradition, welche
sich bei den Steinmetzen in Paris und in Wien erhalten hat, hindeutet.
Sehr wahrscheinlich hatten die alten Bauhütten die gleiche Einrichtung
wie die Handwerksämter (es waren also Arbeitsgemeinschaften). Die
Maurer und Steinmetzen wohnten wie die übrigen Handwerker und
Künstler zusammen, entweder in dem herrschaftlichen Palatium oder
Fronhof, oder in dem Kloster, oder bei der Domkirche, bei welcher sie
beschäftigt waren. Und an der. Spitze des Bauamts stand ein von der
Herrschaft ernannter Baumeister, wie bei jedem andern Handwerksamt der
Meister. Noch im 13. Jahrhundert hatten die Könige in Frankreich den
Meister der Steinmetzzunft in Paris zu ernennen. Die Hütte, in welcher
gearbeitet wurde, stand meistenteils neben der Baustelle, wo gearbeitet
werden sollte, z. B. in Straßburg an dem Münster, in Wien bei
St. Stephan, in Nürnberg bei St. Sebald, in Ulm an dem Münster.
Erst im Anfang des 16. Jahrhunderts sind die Bauhütten verschwunden.
Den Hauptmittelpunkt der deutschen Baukunst bildete ursprünglich
der Kirchenbau. Daher entstanden bei allen Kirchen und Klöstern, wo
viel gebaut wurde, eigne Bauhütten. Geistliche waren es, die als
27
Baumeister oder Werkmeister an der Spitze des Bauamts oder der Bauhütte
standen, z. B. in St. Gallen im Anfang des 9. Jahrhunderts. Die Kirchen
und Klöster waren indessen nicht die einzigen Bauten. Karl der Große
zumal baute auch schon Palatien und andre weltliche Gebäude und ließ
hierfür Künstler und Handwerker aus weiter Ferne an seinen Hof kommen.
Wie andre Künstler und Handwerker, so haben zweifellos auch sie in dem
Königlichen Palatium oder Königshofe selbst gewohnt und unter eignen
Meistern und unter den höheren Hofbeamten gestanden, wie es auch bei
den andern Handwerksämtern der Fall war. Seit der Abschaffung der
Hörigkeit in den Städten hat nun auch die Umbildung dieser Bauämter
in freie Genossenschaften und die Bildung neuer freier Brüderschaften
und Innungen begonnen. Die früher hörigen Maurer und Steinmetzen
waren demnach nun freie Maurer oder Freimaurer geworden. Die be—
rühmtesten Maurer- und Steinmetzenhütten sind übrigens an der Seite
eines Domes oder Münsters entstanden. Epochemachend waren jene zu
Köln, Straßburg im Elsaß, Freiburg im Breisgau, Wien und Zürich.
Wann diese Bauämter zu freien Genossenschaften umgebildet oder
auch neue Genossenschaften dieser Art an der Seite jener Bauämter gebildet
worden sind, liegt noch immer im dunkeln. Nach den großen Leistungen
dieser Brüderschaften zu urteilen, muß es aber schon in sehr frühen Zeiten,
jedenfalls seit dem 12. und 13. Jahrhundert, gleichzeitig mit den Hansen
und Kaufmannsgilden geschehen sein. Die ältesten Steinmetzenordnungen
datieren zwar erst aus dem 165. Jahrhundert. Sie enthalten jedoch bereits
altes Herkommen, alte Gebräuche und alte Satzungen.“ Ihr Inhalt
gehört daher einer weit früheren Zeit an.
In den Residenzstädten haben sich die alten Hofbauämter nach wie
vor neben den freien Brüderschaften meistenteils sogar bis auf unsre Tage
erhalten. Daher findet man denn noch im 185. Jahrhundert in München
einen Hofmaurermeister, im 15. und 16. Jahrhundert in Speyer ein
bischöfliches Baumeisteramt und ein Steinmetzenamt, und in Heidelberg
ein landesherrliches Baumeisteramt, bestehend aus einem Oberbaumeister,
welcher jedes Jahr zwei Hofkleider, ein Sommer- und ein Winterkleid,
erhalten sollte, und aus einem Bauschreiber, woraus jedoch nicht mit
Mone gefolgert werden darf, daß es daselbst niemals eine Bauhütte
gegeben habe. Denn daß es auch in Speyer und in Heidelberg Bauhütten
gegeben, sagen mehrere Steinmetzenordnungen ausdrücklich. Bestätigt
wird es noch durch die Rachtung der Stadt Speyer vom Jahre 1420,
welche von Geschworenen des Steinmetzenhandwerks spricht, und durch
die Bauordnung von 1538, in welcher von dem Steinmetzenhandwerk
in Heidelberg und von Hüttengebrauch daselbst die Rede ist. Jene
28
Bau- und Steinmetzenämter in Speyer und Heidelberg haben demnach
neben den Steinmetzenbrüderschaften bestanden, wie dieses auch später noch
an fast allen landesherrlichen Höfen der Fall war und heute noch neben den
Steinmetzeninnungen solche Hofbauämter unter gar mancherlei Benennungen
bestehen. In München führt dieses Amt den Namen Hofbauintendanz.
Die Steinmetzenbrüderschaften waren genossenschaftliche Verbindungen
und von andern Zünften durchaus nicht verschieden. An ihrer Spitze
stand immer ein Baumeister. Die Genossen hießen Meister oder Werkleute.
Unter ihnen standen die Gesellen, Lehrlinge und noch andre Diener. Das
Oberhaupt der Gesellen war ihr Sprecher, wie in Goslar u. a.m. der Wort—
halter und in Hamburg der Vorsprach der Parlirer oder Palier, woraus
man später einen Palierer, Pallirer, Polirer, Polier und Palier gemacht
hat. Die Baukunst wurde geheim gehalten und daher in eine symbolische
Sprache und in symbolische Formen gehüllt. Jede Mitteilung an Fremde
war verboten. Ebenso die schriftliche Abfassung der Geheimlehre. Auch
die Aufnahme in die Brüderschaft geschah in symbolischen Formen. Und
an geheimen Zeichen erkannten sich die Genossen. Ob und wieweit der
Freimaurerorden mit den alten Bauhütten und Baubrüderschaften zu—
sammenhängt, ist schwer zu entscheiden. Jedenfalls scheinen aber die
Zeremonien von ihnen entlehnt worden zu sein.
Die Bauhütten und die damit verbundenen Brüderschaften waren
sehr verbreitet. Denn jede damals hervorragende Stadt hatte ihre eigne
Hütte und ihren eignen Baumeister, Werkmeister, Stadtmeister oder
Stadtwerkmeister mit dem nötigen Personal. Außer den vier Haupthütten
zu Straßburg, Köln, Wien und Zürich, kennt man noch die Bauhütten
zu Basel, Speyer, Mainz, Heilbronn, Ulm, Augsburg, Regensburg,
München, Nürnberg, Frankfurt, Heidelberg, Freiburg, Hagenau, Schlett—
stadt, Konstanz, Bern, Meisenheim, Stuttgart, Salzburg, Ansbach,
Blassenburg, Dresden, Magdeburg und Wittenberg u. a. m. Mit jeder
Bauhütte war wieder eine Brüderschaft verbunden und jede Brüderschaft
hatte ihre eigne Ordnung. Zwar datieren die Lokal-, Steinmetzen- und
Maurerordnungen, welche wir bis jetzt kennen, ausnahmslos erst aus dem
16. und 17. Jahrhundert, so die Steinmetzen- und Maurerordnung aus
Breslau, Eßlingen, Winterthur und Zeitz, ebenso das Artikelbuch der
Maurerbrüderschaft in Ulm und das Hütten- oder Bruderbuch zu Magde—
burg und Wittenberg. Ihr Inhalt stammt aber aus früheren Zeiten.
Die Bauhütten und Baubrüderschaften standen anfangs, wie die
andern Zünfte, vereinzelt da. Erst der berühmte Meister Dotzinger von
Straßburg brachte sie miteinander in Verbindung. Daher bildeten die
deutschen Bauhütten erst seit der Mitte des 15. Jahrhunderts einen
29
Gesamtverein, ein „ganzes gemaines Handwerk des Steinwerks und der
Steinmetzen im deutschen Landen“. Auf Betreiben des berühmten Werk—
meisters am Münster zu Straßburg, Dotzinger, wurde nämlich auf einer
im Jahre 1459 zu Regensburg gehaltenen Versammlung ein Verein aller
deutschen Baumeister und Steinmetzen und für diesen Verein eine eigne
Steinmetzenordnung beschlossen, welche im Jahre 1498 nochmals vom Kaiser
bestätigt worden ist. Danach wurden alle deutschen Bauhütten unter vier
Haupthütten gestellt. Die Haupthütten waren Straßburg, Köln, Wien und
Zürich, eine jede mit einem sehr ausgedehnten Hüttengebiet. Zu Straßburg
sollten alle Hütten in Schwaben, Bayern, Franken, Hessen, Sachsen,
Meißen und Thüringen gehören, zu Köln alle Städte am Rhein, zu
Wien ganz Oesterreich, Steiermark, Ungarn und die Städte an der Donau,
und zu Zürich das ganze Gebiet der Eidgenossen. An der Spitze einer
jeden Haupthütte sollte der Werkmeister als oberster Richter, über allen
Haupthütten aber wieder die Hütte von Straßburg stehen, der Werkmeister
des Münsters von Straßburg also gleichsam der Großmeister der gesamten
Brüderschaft sein, und in dieser Eigenschaft mit seinen Gesellen und Mit—
brüdern alle unter den Genossen entstandenen Streitigkeiten in letzter
Instanz entscheiden. Im Jahre 1563 fanden zu Basel und Straßburg
wieder neue Beratungen statt, deren Resultat eine neue, vielfach veränderte
Steinmetzenordnung war, welche später noch öfter (in den Jahren 1578,
1613 und 1697) bestätigt worden ist.
Die vier Haupthütten sollten nach wie vor bleiben. Auch blieb
der Werkmeister von Straßburg oberster Richter oder Großmeister. Die
unter einer Haupthütte stehenden Bauhütten wurden aber wieder in kleinere
Bezirke geteilt, ein jeder Bezirk mit einem eignen Oberen, welcher das
Hüttenbuch bei sich haben sollte. Außer dem Gesamtverein, welcher von
Zeit zu Zeit zu Regensburg, Speyer, Straßburg, Basel u. a. m. allgemeine
Versammlungen zu halten pflegte, durfte auch jede Haupthütte und jeder
einzelne Bezirk wieder seine besonderen Versammlungen halten. Auf einem
solchen Haupthüttentag zu Wien kam im Jahre 1564 eine Steinmetzen—
ordnung und im Jahre 1637 ein Vergleich der Steinmetzen und Maurer
zustande. Das letztere geschah im Jahre 1462 zu Torgau und das
Resultat der daselbst versammelten Werkmeister von Magdeburg, Halber⸗
stadt, Hildesheim, Merseburg, Meißen, Vogtland, Harzland und Thüringen
war die berühmte Steinmetzenordnung von 1462. Auch die österreichischen
Provinzen erhielten auf diese Weise ihre besonderen Ordnungen. Die
allgemeinen Deutschen Steinmetzenordnungen von 1459 und 1563 blieben
aber auch nach wie vor in allgemeiner Geltung. Denn jene Partikular—
ordnungen setzten die allgemeinen voraus und suchten sie nur zu ergänzen
30
und zu lokalisieren. Sie verhielten sich daher zu ihnen wie das parti—
kulare Recht zu dem gemeinen. Daher haben auch die Steinmetzenbrüder—
schaften zu Köln, Basel, Zürich, Hamburg und Danzig bis auf unsre
Tage bestanden, die Steinmetzenordnung von 1563 bis in die letzten
Zeiten beobachtet. Seitdem jedoch die Verbindung mit der Haupthütte
zu Straßburg, da jene schöne Stadt nicht mehr zu Deutschland gehörte,
durch einen Reichstagsbeschluß von 1707 aufgehoben und im Jahre 1731
auch noch die Vereidigung auf Geheimnisse verboten worden und die
Haupthütten selbst aufgehoben worden waren, seitdem war es um jenen
schönen Verein aller deutschen Bauhütten geschehen. Auf die Bildung
des Freimaurerordens scheint jedoch jener großartige Gesamtverein der
deutschen Bauhütten nicht ohne Einfluß gewesen zu sein, vielleicht die
erste Idee zu dem Orden selbst gegeben zu haben. Indessen ist der Frei—
maurerorden erst im Anfang des 18. Jahrhunderts in England entstanden
und hat sich von dort aus über ganz Europa verbreitet.
Die gesellschaftliche Stellung und die Entlohnung der Zimmerleute
in der zünktigen Zeit.
Auf den Fronhöfen, auf den Königshöfen, ebensowohl auf den Höfen
freier Leute und Grundherren waren von jeher Künstler und Handwerker
ansässig. Sie waren unfreie oder wenigstens hofhörige Leute, schreibt
Georg Ludwig v. Maurer: „Seitdem der freie Verkehr in den Städten
zur Abschaffung der Hörigkeit geführt hatte, wurden auch die hörigen
und unfreien Handwerker frei von ihrer Herrschaft. Der Grad ihrer
Freiheit hing jedoch von der Art und Weise ab, wie die Hörigkeit ab—
geschafft worden war. In jenen Städten, in welchen, wie zum Beispiel
in Speyer, die hörigen Leistungen der Handwerker ganz abgeschafft worden
sind, waren sie natürlich weit freier als in jenen Städten, in welchen,
wie zum Beispiel in Halle, Worms u. a. m., jene Leistungen noch längere
Zeit geblieben sind. Es ist interessant, ihre allmähliche Befreiung von
den Banden der Hörigkeit in den verschiedenen Städten zu verfolgen.
Denn nirgend sind die hörigen Handwerksämter mit einem Schritt in
freie Innungen übergegangen. Dieser Uebergang erfolgte vielmehr erst
nach und nach, in der einen Stadt früher, in der andern später, und
zwar auf eine mehr oder weniger stürmische Weise, je nachdem der Herr
der Stadt die neuentstandenen Bedürfnisse durch freiwillige Zugeständnisse
befriedigte oder, weil er seine Zeit nicht begriff, sich alles abtrotzen ließ.“
Die Zimmerleute wurden nun Lohnwerker. Das heißt sie unterschieden
sich von jenen Handwerkern in den Städten, die auf eigne Rechnung
Marktwaren produzierten. Sie wurden, wie alle Bauhandwerker, zu
31
Arbeiten herangezogen, zu denen der Bauherr als Unternehmer mindestens
in groben Umrissen die Anleitung gab und das Material lieferte. Der
Bauhandwerker führte die ihm angewiesenen Arbeiten mit seinen Gesellen
und Lehrlingen aus. Die Bezahlung wird nach dem Aufhören der alten
Verhältnisse zunächst der freien Vereinbarung oder auch den Verein—
barungen der Zünfte unter sich unterstanden haben. Das ist indessen
eine Annahme, die erheblich eingeschränkt wird, wenn man berücksichtigt,
daß die „Markgenossen“, „Geschlechter“ oder „Patrizier“ auch nach
dem Uebergang von der Naturalwirtschaft zur Geldwirtschaft in den
Städten an der Herrschaft blieben. Sie übten ein gar strenges Regiment.
Selbst wo ihre Herrschaft gebrochen, die Markverfassung der Städte von
der Zunftverfassung abgelöst wurde, ist es mit der freien Vereinbarung
und eigenmächtigen Festsetzung der Zimmerer- beziehungsweise Bauhand—
werkerlöhne nicht sehr weit gegangen. In Speyer hatten zum Beispiel
— wie Mummenhoff berichtet — die Zünfte schon vor dem Jahre 1304
einen, wenn auch geringen Anteil an der Regierung erhalten als Be—
lohnung für die Hilfe, welche sie den Geschlechtern im Kampfe gegen den
Bischof geleistet hatten. Was die Geschlechter zugestanden, genügte den
Zünften nicht. Wie ein späterer Bericht erzählt, „wollten sie auch zu den
Aelten in den Rat, daß sie wüßten, wie die mit der Stadt Gut um—
gingen“. Nach jahrelangen Kämpfen erhielten 1330 die Zünfte gleiche
—— Zwiedineck-⸗Südenhorst
(„Lohnpolitik und Lohntheorie“) wurde aber bereits im Jahre 1842 eine
Lohntaxordnung mit dieser charakteristischen Einleitung erlassen:
„Wir, der Rat von Speyer, veröffentlichen und tun kund alle
denen, die diesen Brief sehen oder lesen hören, daß wir einmütiglich und
einhelliglich darüber gesessen und betrachtet haben, wie ein jeglicher Arbeiter
würdig sei seines Lohnes, den er verdient. Selig ist aber, wer sich mit
seinem verdienten Lohne begnügen läßt. Es ist aber offenkundig, daß
dies nicht geschieht, und wir sehen es täglich, daß unsere Bürger, arme
und reiche, an ihren Bauten von den Werkleuten dicke, gröblich, über
die Maßen über Reue und Bescheidenheit an dem Lohne gesteigert, be—
strenget und benötigt gewesen. Da nun manchem anderen Menschen sein
Bau danieder liegt und nicht fertig wird, wir aber die Ehre der Stadt
zu wahren haben und zu Nutz und Frommen unserer Bürger, arme und
reiche, gar teuer geschworen haben, nach billigem Verstehen und Vorsorgen
Frieden zu stiften, so haben wir zu Nutz und Notdurft unserer Bürger
für die gemeinen Werkleute, wie Steinmetze, Maurer, Zimmerleute,
Decker, Kleber und Binder einen Lohn geschaffen und aufgesetzt, mit
solcher Bescheidenheit, als hier nach steht. Wir wollen auch, daß dieses
32
Gebot hinfort stets gehalten werde von allen unseren Bürgern und allen
denen, die unter unserem Gericht sind und hier zu Speyer wohnen wollen.“
Die ältesten erhaltenen Lohnsatzungen — schreibt v. Zwiedineck—
Südenhorst — sind fast ausnahmslos von Stadtobrigkeiten erlassen.
Sie nahmen das Interesse der Gesamtheit der Stadtbewohner wahr und
erließen zu diesem Zweck die Normen, die bei Abmachungen von Arbeits-
löhnen, welche von Bürgern an Handwerker gezahlt werden mußten,
zu berücksichtigen waren. Die Administrativgewalt der Stadtobrigkeiten
stützte sich gewöhnlich auf eine besondere Verleihung der Stadtherren.
Die Zünfte der Zimmerleute waren also auch dann noch sehr be—
schränkt, als die Unfreiheit und Hörigkeit der Handwerker längst dahin—
geschwunden waren.
Die uns vorliegende älteste Ratsverordnung über die Lohnsätze
der Zimmerleute datiert vom 30. April 1493 aus Breslau. Im Sommer,
März bis Oktober, betrug danach der Tagelohn der Meister 5 Groschen,
der Tagelohn der Gesellen 4 Groschen, wenn daneben Beköstigung nicht
verabreicht wurde; geschah das letztere, dann betrug der Tagelohn der
Meister 4 Groschen, der Tagelohn der Gesellen 210/3 Groschen. Im Winter
betrug der Tagelohn der Meister 4 beziehungsweise 3 Groschen, der
Tagelohn der Gesellen 3 beziehungsweise 2 Groschen. Ueber die Be—
köstigung wird in jener Verordnung ausgeführt: „Item ein jeder Meister
und Geselle soll sich lassen genügen an Speise und Trank, wie ein jeder
Mann, dem sie arbeiten, nach seinem Stande pflegt seinem Gesinde zu
geben, und sie sollen darum niemanden höher dringen, noch ausbedingen
besondere Speise und Trank zu geben.“ Dieselben Lohnsätze befinden
sich noch in einer Ratsverordnung von 1542. Erst 1621 läßt sich der
Rat zu Breslau auf dahingehende Vorstellungen bewegen, den Lohn der
Zimmergesellen zu erhöhen. Von nun an bekam ein gemeiner Geselle
6 Weißgroschen Tagelohn, ein Werkgeselle aber 7 Weißgroschen. In Lübeck
wurde der Lohn der Zimmerleute in der Rolle von 1516 folgendermaßen
festgesetzt: Von Lichtmeß (2. Februar) bis Ambrosius (4. April) und
von Lambertus (17. September) bis Martini (10. November) bekam ein
Meister täglich d Witten, ein Geselle 8; von Ambrosius bis Lambertus
ein Meister 10 Witten, ein Geselle 9. (1 Witte ist gleich 4 Pfennig.)
1545 wurde der Lohn erhöht, und zwar für die Sommerzeit auf 12 Witten
täglich dem Meister, 11 dem Gesellen und dem Lehrknecht während des
ersten Jahres 9, dann 10; für die Frühlings- und Herbstzeit dem Meister
10 Witten täglich, dem Gesellen s, dem Lehrknecht 8. Eine abermalige
Erhöhung trat 1571 ein, nämlich für die Sommerzeit dem Meister
6 Schilling, dem Gesellen 5, dem Lehrling 4; für die Frühlings- und
33
Herbstzeit dem Meister 5 Schilling, dem Gesellen 4, dem Lehrling 3.
Eine Verordnung von 1514 bestimmt für Leipzig die Arbeitszeit und
Lohnsätze der Zimmerleute: Petri-Stuhlfeier (22. Februar) begann die
Sommerarbeitszeit um 4 Uhr morgens und endigte um 6 Uhr abends
bei je halbstündiger Pause zu Frühstück und Vesper und einstündiger
Mittagspause; Gallus (16. Oktober) begann die Winterarbeitszeit von
6 Uhr morgens bis 5 Uhr abends, unterbrochen von einer einstündigen
Mittagspause von 9 bis 10 Uhr und einer halbstündigen Vesperpause
von 2 bis 21/ Uhr. Der Meister erhielt im Sommer 4 Groschen Tage—
lohn, der Geselle 3 Groschen; im Winter der Meister 3 Groschen, der
Geselle 21/3 Groschen. In Frankfurt a. M. wurde zu Beginn des
fünfzehnten Jahrhunderts eine Lohntaxordnung erlassen; dann regelte
die Bauordnung von 1564 die Löhnung der Bauhandwerker. In Nürnberg
sind, wie Schoenlank berichtet, die Tagelöhne der Zimmerleute schon seit
dem dreizehnten Jahrhundert durch amtliche Taxordnung reguliert worden;
dann sind Bestimmungen andrer Art, insbesondere solche über die Arbeits—
zeit, hinzugekommen. Nach der Festsetzung von 1597 belief sich der Tage—
lohn für den Meister auf 84 Pfennig, für den Gesellen auf 60 Pfennig
im Sommer und auf 71 beziehungsweise 55 Pfennig im Winter. Die
wirkliche Arbeitszeit, also mit Ausschluß der Pausen, betrug im Sommer
zwölf, im Winter sieben Stunden. In einem amtlichen Mandat vom
14. Mai 1658 werden die Tagelöhne neu geregelt; nun bekam der Meister
im Sommer 30, der Geselle 24 Kronen, im Winter der Meister 24, der
Geselle 20 Kronen. Die Länge des Arbeitstages blieb unverändert.
Eine ähnliche Lohntaxordnung erließ man um 1380 in Köln; auch aus
Regensburg ist eine Lohntaxordnung aus jener Zeit bekannt. Kautsky
erwähnt eine Lohntaxordnung für die Bauhandwerker in Freiburg im
Breisgau von 1475, Schmoller Lohntaxordnungen für Wien von 1527
und 1786.
Oft wurden solche die Löhnung und Arbeitszeit der Bauhandwerker
betreffenden Verordnungen auch für den Umfang eines ganzen Fürstentums
erlassen. Für Bayern wurde die Löhnung der Bauhandwerker durch eine
Verordnung von 1553 geregelt, für Württemberg regelte die Bauordnung
von 1568 die Löhnung der Bauhandwerker, für die Kurpfalz wurde 1579
eine Lohntaxordnung erlassen, welche auch die Löhnung der Zimmerleute
regelte, für Baden wurde 1609 eine Verordnung erlassen, die gewisser⸗
maßen eine Schablone für die lokale Fixierung der Löhne der Zimmerleute
enthielt. In dem Privilegium der Zimmerleute von Ahrentsee von 1693
wird auf eine „Churfürstliche revidirte Bauordnung de Anno.. 51“ ver-
wiesen, danach „soll der Zimmermann schuldig sein, umb Tagelohn zu
Bringmann, Geschichte der Zimmerer.
9
34
arbeiten, und mit der Kost, so gut es der Bauherr aufbringen kann,
Vorlieb nehmen, oder da der Bauherr es verlangt, die Arbeit oder
Gebäude zu verdingen, auch sich selbst zu beköstigen“. Für Kursachsen
ist eine Lohntaxordnung von 1628 bekannt. 1744 wurde in einer Ver—
ordnung für das gesamte Fürstentum Sachsen-Altenburg der Lohn der
Zimmerleute festgesetzt. Danach betrug in der Zeit von Ostern bis
Michaelis der Tagelohn der Meister 6 Groschen, der Tagelohn der Gesellen
5 Groschen; von Michaelis bis Ostern der Tagelohn der Meister 5 Groschen,
der Tagelohn der Gesellen 4 Groschen. In der Stadt Altenburg ist der Tage—
lohn dann 1765 auf 8 bezw. 7 Groschen erhöht worden, welche Lohn—
taxe auch 1767 nochmals verordnet wurde. Unter anderm liegt uns auch
der Amts- und Gildebrief der Zimmerleute zu Lauenburg a. d. E. von
1734 vor. Er bestimmt nicht mehr die Lohnsätze, wohl aber noch die
übermäßig lange Arbeitszeit: Im Sommer von 4 Uhr morgens bis 7 Uhr
abends und im Winter von Licht zu Licht. Die Lohnsätze wurden aus—
—
neuem festgesetzt. Nach diesem Gildebriefe sollte der Zimmermeister stets
selbst bei der Arbeit sein, alles dirigieren, die Gesellen zu fleißiger und
tüchtiger Arbeit aufmuntern und selbst mit Hand anlegen. Nur wenn er
so verfuhr, hatte er auch seinen Tagelohn, sonsten aber von dem Bau—
herrn nichts zu hoffen. Hatte der Meister den Gesellen Arbeit an—
gewiesen, so sollte er ihre Rechnung führen, dieselbe alle Sonnabend
dem Bauherrn überreichen, den Lohn erheben und an die Gesellen
auszahlen, auch hatte er das grobe Werkzeug zu liefern. Dafür hatte
er dann das Recht, von jedem Tagelohn der Gesellen 2 Schilling
(15 9) und von jedem Tagelohn eines Lehrlings 1Schilling für sich
zu beanspruchen.
Genug, die Zimmerleute waren von alters her gewissermaßen privi—
legierte Tagelöhner und von einem solchen Geiste waren auch ihre Zünfte
erfüllt. In ihren Mitgliedern handelt es sich um eine Anzahl Personen,
welche die Ausführung der Zimmergrbeit für eine Stadt oder einen
größeren Komplex als ihr Amt betrachteten und die daher ihre Ver—
einigung zumeist auch „Amt“ nannten. Die feinsinnige Unterscheidung, daß
die Vereinigungen, die sich „Aemter“ nannten, aus dem Hörigkeitsverhältnis
stammen, hingegen die Zechen, Gilden, Zünfte, Innungen usw. ursprüng—
lich freie Vereinigungen gebildet hätten, trifft nicht zu; tatsächlich kommen
für eine und dieselbe Vereinigung verschiedene Bezeichnungen vor. Wie
die Vereinigung aber auch genannt werden mochte, sie hatte immer den
angedeuteten Charakter. Selbst wo solche Vereinigungen zuerst in Form
von Kranken- und Sterbekassen oder als religiöse Brüderschaften aufgetreten
35
sind, haben sie doch sehr bald den vorbeschriebenen Charakter angenommen.
Die Annahme, als seien die Zünfte aus religiösen Brüderschaften und
Vereinigungen zur Unterstützung kranker Berufsgenossen hervorgegangen,
ist nicht stichhaltig. Wo Urkunden zuerst Vereinigungen von Berufs—
genossen zu vorbenannten Zwecken erwähnen, hat die Sache sicherlich so
gelegen, daß die zu gewerblichen Zwecken gebildeten Genossenschaften
jenen Abmachungen zu einer Zeit schriftlichen Ausdruck gegeben haben,
wo schriftliche Feststellungen andrer Art noch nicht notwendig oder
nachteilig erschienen. Uebrigens ist die oben erwähnte Annahme, so—
weit die Lübecker Zünfte in Betracht kommen, von Wehrmann wider—
legt worden.
Die Bestrebungen der Zünste nach Exklusivität und gewerblicher
Gleichstellung der Zunftgenossen.
Seitdem derjenige, der bauen wollte, das Baumaterial selbst be—
schaffen mußte, schien es ihm oftmals vorteilhafter zu sein, den Amts—
zimmermann mit seiner Arbeit nicht zu behelligen, sondern sich eines andern
zu bedienen. Gegen diese Störer, Pfuscher und Bönhasen richtete sich der
Kampf der Zünfte ganz besonders. Beständig und eifrig strebten sie da—
nach, das Zimmeramt den Familien ihrer Mitglieder als Privilegium zu
erhalten und das Recht zu erringen, über die Vergabe etwa neuer Meister—
stellen allein zu entscheiden. Das ist ihnen aber niemals gelungen. Die
Obrigkeit hat den Zünften wohl ein Mitrederecht insofern eingeräumt,
indem die Zünfte über die Befähigung desjenigen zu befinden hatten,
der das Amt neben ihnen ausüben wollte, weitgehendere Befugnisse haben
die Zünfte jedoch nirgend gehabt. Zu völliger Gewerbefreiheit für
Zimmerleute scheint es auch nirgend gekommen zu sein. Wohl mußte
man in schnell aufblühenden Städten auch eine größere Zahl Zimmerleute
zulassen, als vorher zur Verfügung standen. Man wird sich auch die
Störer haben gefallen lassen, die, ohne ansässig zu sein, zeitweilig in
den Hausstand derjenigen eintraten, die Zimmerarbeit zu verrichten
hatten, um diese zu fertigen. Im allgemeinen konnte aber ein solcher
Zustand nur so lange währen, als die Stadt fort und fort wuchs und
mehr Kräfte brauchte, als ihr zugeführt wurden. Waren Zimmerleute
in ausreichender Zahl am Orte oder war gar ein Ueberschuß an solchen
da, dann mußte bei den angesessenen der Trieb erwachen, sich ihr Arbeits—
feld zu sichern.
In den Breslauer Urkunden läßt sich der Kummer, den die ein—
gesessenen Zimmermeister über die Störung ihres Privilegiums empfanden,
bis 1481 zurückverfolgen. In der selbstentworfenen Handwerksordnung
36
von diesem Jahre heißt es: „Item wenn ein Meister einem Mitbürger
einen Bau abdingt, oder um Tagelohn arbeitet, so soll er gedenken, daß
er seinem Lohnherrn arbeite, daß es eine Tugend hat, daß er ihm nicht
darf Schuld geben und über ihn klagen, und daß sich ein anderer
Meister der Arbeit nicht unterziehen muß.“ Schon 1489 klagen die
Zimmerleute wieder bei dem Rat, „daß etliche unter ihnen wären, die
sich Baue unterstünden und dieselben in Verdingung nehmen und meistern
wollten, die die Leute nicht vor Sorgen bewahren und kaum eines Gesellen
Stelle und auch nicht wohl vorstehen könnten, davon der Stadt, Arm
und Reich, Schaden und der ganzen Bruderschaft der Müller und
Zimmerleute allhier Unehre und Nachrede geschehe.“ Der Rat räumte
nun der Brüderschaft die Prüfung der Befähigung derjenigen ein, die
meistern wollten. In einer Verordnung von 1536 wird vorgeschrieben,
daß „alle diejenigen, so in oder außerhalb der Stadt wohnen und
darinnen oder draußen arbeiten wollen, mit der Bruderschaft, wie
gebührlich ist, Innung gewinnen; ohne das soll ihnen das Handwerk
zu treiben keineswegs vergönnt werden.“ 1574 wurde auf Ansuchen
der Meister der Zimmerleute ein Meisterstück wie folgt vorgeschrieben:
„Erstlich soll ein jeder Zimmermann, der das Meisterrecht suchen und
gewinnen will, ehe und bevor er dasselbe erlangt und bekommt, vor
allen Dingen seine Geburts- und Lehrbriefe vorlegen, und wenn dieselben,
wie es sich nach Brauch und Gewohnheit des Handwerks erheischt, für
kräftig erkannt und befunden werden, alsdann soll er das Meisterstück,
wie folget, zu machen und ins Werk zu richten schuldig sein, nämlich also:
daß er einen Bau von ganzem Holze abbinden und denselben in das kleine
Werk setzen soll, in der Länge von vierzig Ellen, in der Weite aber von
vierundzwanzig Ellen; der unterste Gadem soll abgebunden und scheitrecht
gesetzt sein, sieben Ellen hoch; der andere Gadem sechs Ellen hoch, mit
allen Gemächern eingetheilt, desgleichen mit ordentlichen Treppen auf
zweierlei Art über einander gemacht, nämlich eine gebrochene, gedoppelte
Treppe von Brettern eingeschoben, sowie eine gedoppelte Schnecke, dergestalt,
wenn zwei Personen nebeneinander gehen und reden, daß sie einander
nicht sehen können. Unter dem Dache aber soll ein liegender Stuhl dreier
Gadem hoch abgebunden sein; darinnen stehende Stühle mit hangenden
Giebelspießen neben anderem Zubehör, sofern es von Nöthen ist, verfertigt
werden sollen; desgleichen soll der Ueberschlag und Rechnung, wie viel des
Holzes zu solchem Bau gehörig sei, gemacht werden. Wann nun der,
so das Meisterrecht begehrt und gewinnet, obgedachter Gestalt den Bau
in das kleine Werk gerichtet und gesetzt und den ältesten und jüngsten
Meistern des Zimmerwerks vorgetragen hat, und sie dasselbe richtig und
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vollkommen befunden haben, soll ihm alsdann das Meisterrecht zu haben
und zu treiben verstattet und zugelassen sein.“ 1594 versuchten die ältesten
und jüngsten Meister des Zimmerhandwerks zu Breslau, vierzehn an der
Zahl, das Meisterrecht ihren Familien sicher zu stellen. Wir „haben
befunden und gesehen, daß sich allerlei Confusion und Zertrennung bei
unserem Mittel einzuschleichen beginnen“, so klagen sie. „Da uns aber
zusteht und gebührt, gute Ordnung zu halten und wir unseres Mittels
Bestes zu sinnen und zu stärken bemüht sein sollen, so sind wir der
Hoffnung und Meinung, daß unsere nachfolgenden jungen Meister uns als
ihren Vorgängern und Vorfahren für den vielfältigen Kummer und emsigen
Fleiß Dank wissen werden, mit dem wir uns haben angelegen sein lassen,
daß gute Mittel dem Unterschleif zu gegen gefunden werden möchten.“
Sie machten dann eine Reihe Vorschläge, die für ihre Nachkommen
zweifellos sehr vorteilhaft waren. Der Rat sagte den guten Leuten in
seiner Verordnung vom 28. März 1601 aber vor den Kopf, er wollte
„taugliche Meister in dieser Stadt haben“. Das konnte man ihm kaum
verdenken. Die Nachkommen der Eingesessenen drückten sich um das
Meisterstück herum; wenn nun ein Fremder das vorgeschriebene Meister—
stück gemacht hatte, dann war er ganz zweifellos ein sehr tauglicher Mann,
und er war wert, in einem aufstrebenden Gemeinwesen festgehalten zu
werden. Daher ließ der Rat alles ziemlich beim alten. Indessen hat sich
in Breslau die Erbfolge trotzdem erhalten, der direkte Nachkomme von
einem 1594 unterzeichneten Meister betrieb 1894 noch das Zimmergeschäft
seiner Vorfahren.
In Lübeck war das Meisterwerden noch schwieriger. Nach der Ur—
kunde von 1428 mußte der Meisterkandidat zunächst bei einem Meister
am Orte in Arbeit stehen. Diesem hatte er seine Absicht, selbst Meister
werden zu wollen, anzuvertrauen. Derselbe hatte es dann den übrigen Zunft—
meistern mitzuteilen und dabei Auskunft zu geben, ob der sich Meldende
zu einem Meister tauglich sei. Obgleich er dann ein Meisterstück zu
machen hatte, war sein Fürsprecher in dem ersten Jahre der Meisterschaft
noch dafür verantwortlich, daß der junge Meister niemandem die Arbeit
verderbe. Außerdem hatte der junge Meister bei seiner Verheiratung gewisse
Vorschriften zu beachten*“ Dazu wurde 1503 verboten, daß Gesellen
* Die bezüglichen Vorschriften in der Lübecker Zunftrolle der Zimmerleute
vom 10. November 1428 lauten:
.Vortmer wan he vnse kumpanye vntfanghen heft, so schal he houwen
myt enem mestere in vnseme ampte alzo langhe bet he synes sulves werden wil,
vnde wan he synes sulves werden wil, so mod de mester, dar he mede wesen heft,
dat segghen by synen waren worden vor den olderluden vnde mesteren, dat he
38
selbständig Arbeiten ausführten.“ Diese Bestimmungen gingen auch in
die Zunftrolle von 1545 über. Im Laufe des 17. Jahrhunderts hatten
sich unter diesen Umständen die Verhältnisse so gestaltet, daß das Amt
immer aus acht Meistern bestanden hatte. Als 1700 eine Revision der
Zunftrolle von 1545 vorgenommen wurde, traf der Rat die Anordnung,
daß immer nur acht Meister angenommen werden sollten. So ist es
bis 1859 geblieben.
In Freiburg i. B. setzten die alteingesessenen Zimmermeister die
Bestimmung durch, daß jeder, der in der Stadt Zimmerarbeiten ausführen
wollte, zuvor die ganze Zunft kaufen mußte. Da es sich auch hier im
wesentlichen nur um Störarbeiter handeln konnte und diese damit fern—
gehalten wurden, erschien dem Stadtrate die Bestimmung zu hart, und er
änderte sie um das Jahr 1375 dahin, daß solche Zimmerleute von aus—
wärts nur die halbe Zunft zu kaufen hatten. Im 16. Jahrhundert kamen
in ganz Baden schwere Meisterstücke auf, ebenso wurde das Einkaufsgeld
in die Zunft unerschwinglich erhöht; Vergünstigungen bestanden nach der
Skala der engeren oder weiteren Verwandtschaft mit den alteingesessenen
Meistern; auf Störer, Pfuscher usw. machte man Jagd wie auf Hasen.
So war es auch in Württemberg seit 1568.
Das Privilegium der Zimmermeister zu Havelberg vor 1668 scheint
sich auf die vier Zimmermeister, die es zu der Zeit dort gab, beschränkt
zu haben; über die Zulassung zum Meisterrecht kamen nun die zwei nach—
stehenden Bestimmungen in das Privilegium hinein: „Do Einer eines
Meister Tochter zu Ehren nehme, undt das Handtwerk ehrlich gelernet,
gud vor enen mester sy. Ok so mach denne de gheselle sunder hovedmann holt
egghen vnde delen to makende, mer nicht to vorarbeydende sunder hovedmann.
„Vortmer wan he syn ampt esschen wil, so schal he ersten borgher werden
onde dar na vnse ampt esschen to dren morgenspraken, alzet van aldinghes ene
wonheyd gheweset heft.
„Vortmer wan he synes sulves gheworden is, so schal de mester, dar he
vore mede houwen heft, dar gud wesen vor vnsen heren vp dem huse, dat he
binnen dem ersten yare neneme borghere syn tymmer vorderve.
„Vortmer weret, dat de jenne, de synes sulves werden wil in vnseme ampte
vnde he eer der esschinghe des amptes een beruchtet wyff to echte ghenomen hedde,
de schal vnses amptes vnwerdich wesen.
„Vortmer de ghenne, de vnses amptes werdich wesen wil, de schal nemen
ene erlike vrouwen edder juncvrouwen, de unberuchtet sy, anders so en mach he
vnses amptes nicht besitten.“
*„Ok is one vorlenth, dat neyn knecht offt kumpan dessulven amptes
hyrnamals bynnen dusser stad Lubeke emande wes schal vordingen to maken,
sunder dat schul don syn mester, vmme to vorwachten eyneme ideren syn tymmer
vnde gehuwete nicht to vorderffen, vnde welk knecht offt kumpan dar anne brockaftich
gefunden, de schal ßo vaken dat gebort, den weddehern dre mark sulpers vnde
deme ampte eyne tunne lubesches bers to gevende vorbort hebben.“
39
der soll nicht mehr dann einen halben gülden in die Gülde-Lade zu erlegen
schuldig sein. Wann ein Meister von Frembden herein kompt, der soll den
Zimmerleuten allhier 6 thlr. in die Lade geben.“ Merkwürdig sind auch
nachstehende Bestimmungen: „Es soll sich niemand unterstehen, bey einen
Bauherrn selbsten anzubieten, wer dawider handelt, soll zur Strafe geben
zweene Rthlr. So einer oder mehr mutwilliger Weise aus der Gülde
treten würde, auch nicht darinne bezahlen wolte, was er schuldig ist,
sollen Keine Gesellen bey Ihnen arbeiten, Er habe sich dann mit der
Gulde vertragen, undt darinnen bezahlet, was er schuldig, wann Er
mittel darzu hat.“
Die hier in Betracht kommenden Bestimmungen in dem Privilegium
der „Zimmerleute zu Neu-Ruppin“, von 1670, lauten: „Wer Meister werden
will, sol, wan er seinen Lehrbrief vorleget, oder denselben zu schaffen zusagt,
Drey mahl von Vierzehn Tagen zu 14 Tagen muthen, und alle Muth—
zeit Sechs gr. in die Lade erlegen, und wan er eine Muthzeit versäumet,
soll er die Sechs gr. doppelt erlegen, drauff soll er zum Meisterstück ein
Gebäude aufführen, so eines zu bawen vorhanden, und wen er damit
bestehet, sol er zum Meister auf- und angenommen werden. Er sol aber
erstlich das Model dem Handwerk zeigen, damit der Bauherr nicht in
schaden gerathen möge; Solte aber gleich kein Gebäude aufzuführen
vorhanden sein und die Gülde wüßte, daß er ein gutes Gebäude bauen
könnte, soll er zum Meister aufgenommen werden, und Vier Thlr. zum
Meistergelde geben, und sol Keiner wan er nicht will, ein Meisteressen
zu geben schuldig sein. Eines Meisters Sohn oder wer eines Meisters
Wittwe oder Tochter heyratet, soll nur einmahl muthen und nur 3 gr.
muthgeld geben, und nichts zum Meistergelde geben, mit dem Meisterstück
sol es mit ihm gehalten werden, wie im vorigen punkt. Niemand, wer
die Gülde nicht gewonnen, sol in der Stadt Neu-Ruppin das Zimmer—
handwerk treiben, und wer dawider handelt, sol durch Hilfe der Obrigkeit
aufgehoben und Ihme das Werkzeug hinweggenommen werden, und noch
darzu 6 Thlr. strafe geben. Dahero ein ieder in diesem umbcereyss wen
er zimmern will, sich mit dem Handwerk gebührend sol abfinden oder
der strafe gewertig sein.“
Und die bezüglichen Bestimmungen für Ahrentsee von 1693
lauten: „Da einer mit zünftig sein und die Gülde gewinnen wolte,
solle zuforderst die Alterleute und Güldemeister ansprechen, hernacher
der Gülde Acht Thlr. über dem auch dem Churfl. Ambte einen Thaler
entrichten, seinen Geburts- und Lehrbrief mit zur stelle bringen, und der
Gülden Vorzeigen, ein Meisters Sohn oder derienige, so eines Meisters
Witwe oder Tochter heyrathet, entrichtet alles nur zur Hälfte. Derjenige
40
Meister, so die Gülde gewonnen, soll ein Gebäude zum Meisterstück un—
tadelhaftig verfertigen, da dann bei der Besichtigung einer auß dem
Churfl. Ambte alhier mitzugezogen werden soll, würde sich dann das
Gebäude strafbar befinden, solte derienige, so es Verfertiget, für so
manchen Zolle, alß es aus dem Loht ist, zur strafe geben 8 gr. halb der
Obrigkeit, und halb der Güldelade alhier. Da auch ein Zimmermeister
umb einige arbeit zu verfertigen angesprochen und die arbeit fordern,
und die leute nicht übersezen würde, ein anderer aber denienigen, so an—
gesprochen, ihm mit list die angenommene arbeit entziehet, der soll zur
Strafe geben zwey Rthlr. halb der Obrigkeit und halb der Gülde alhier.
Da ein außwertiger Meister die Gülde mithält, hergegen die Bürgerschaft
nicht gewonnen noch hat, solle im Städtlein zur arbeit nicht verstattet
werden, bey strafe Zween Rthlr. alß Einen Thlr. dem Churfl. Ambte
und Einen Thlr. der Gülde, würde aber ein Bürger sich unterfangen,
seine arbeit durch einen solchen, der die Bürgerschaft nicht hat, ungeachtet
verfertigen zu lassen, der soll ohne gnade mit 3 Rthlr. gestrafet werden.
Jedoch mit solcher restriction, daß zwarten Keinen frembden im Städtlein
Ahrentsee zu arbeiten verstattet werden solle, wenn die einheimischen
Meistere die arbeit dergestalt machen können, als Verlanget würde,
wiedrigenfalls soll derienige frembde Meister, so nicht genugsam im Lande
gesessen, den Bauherrn allenfalls Caution stellen. Es solle auch keinen,
der nicht zunftmäßig und an Keinen orte die Gülde hält und zu Keiner
privilegirten Stadt-Gülde gewidmet ist, in denen zur Ahrentseeischen Land—
reuterey gehörigen Dörfern zugelassen werden, Zimmerarbeit anzunehmen
noch zu verfertigen, bey einer willkürlichen Geldstrafe, halb der Obrigkeit
und halb der Gülden, welche strafe das Ambt zu determiniren hat. Soll
auch keinen Zimmermeister zugelassen werden, Klozenhauer in Verbinde—
städte zu nehmen, weniger zum Löcherhauen gebrauchen, bey strafe 2 Rthlr.
halb der Obrigkeit und halb der Gülde-Laden alhier.“
Uebrigens war die Seßhaftmachung in allen Städten mit der Er—
werbung des Bürgerrechts verknüpft, „und dieses zu erwerben, war bis
in die neuere Zeit hinein für arme Leute ganz unmöglich. Vor der
Etablierung von Konkurrenzgeschäften waren die eingesessenen Zimmer—
meister somit geschützt. Des Störer- und Pfuschertums konnten sie jedoch
nicht Herr werden. Dem wurde selbst in Zunftstatuten manche Rolle
zugewiesen. Im Privilegium der Berliner Zimmergesellen lautet ein
Artikel: „Es soll kein Geselle bey einem Fuscher oder bey einem Böhn—
hasen Arbeit treiben, dringet ihm aber die Noth, wann er wandert und
kein Handwerk vorhanden ist, kan er wol 14 Tage bey solchen Verharren,
aber nicht länger, Gleichwie auch die Meister außerhalb der Noth, und
41
da sie keine Gesellen haben können, nicht berechtiget seindt dergleichen
Leuthe zu fordern, und da es auß noth geschehe, dieselbe nicht länger
alß vier wochen in Arbeit behalten dörffen.“
Die Zünfte strebten gleichzeitig auch dahin, einem jeden das
Quantum Arbeit vorzuschreiben, das er im Höchstfalle übernehmen durfte.
In den Breslauer Urkunden lassen sich diese Bestrebungen bis 1493
zurückverfolgen. In diesem Jahre wurde verordnet, daß kein Meister
mehr als auf fünf Gesellen einen Jungen halten und nicht mehr als
zwei Arbeiten auf einmal annehmen soll. Die letztere Verordnung
wurde auch 1542 wieder eingeschärft und dahin erweitert, „bei einem
jeden Bau soll der Meister mit seiner Hand einen halben Tag arbeiten;
darauf soll ihm auch der Bauherr ein volles oder ganzes Wochen⸗
lohn zu geben schuldig sein. . . . Wenn ein Bürger einen oder zwei
Gesellen bedürfte auf etliche Tage, sollen sie ihm die zu leihen schuldig
sein. Und wo der Meister mit seiner Hand nicht alle Tage einen halben
Tag neben ihnen arbeitet, so sollen die Meister von diesen geliehenen
Gesellen nichts fordern bei schwerer Strafe“. 1546 wurde diese Ver—
ordnung nochmals erweitert: „Zudem sollen auch die Müller, die der
Stadt zugehörig sind (diese waren auch Zimmerleute), desgleichen der
(Stadt)-Baumeister neben ihrem Dienst nicht mehr als einen Bau an—
nehmen und ausführen, doch der Baumeister in alle Wege nur mit
Vorwissen des Herrn Kämmerers und Bauherrn und der Müller mit
Vorwissen und Zulassen des Mühlherrn.“ Bis 1564 hatten „etliche
Irrungen und Gebrechen“ Platz gegriffen, worüber vielfältige Klagen
vor den Rat gelangt waren. Um diesen gebührlich abzuhelfen, erweiterte
er die erwähnten Vorschriften noch dahin: „daß allezeit ein Meister ihres
Gewerks für sich selbst und nicht mit Zuthat eines anderen Meisters, also
auf gleichen Pfennig und Gewinn einen Bau fördern soll. Denn daraus
erfolgt allerlei Zwiespalt, Zerrüttung und Nachtheil. ... Für's dritte
soll kein Meister zur Sommerszeit mehr als zwölf und zur Winterszeit
mehr als acht Gesellen zu halten befugt sein. Da nun jemand zuwider
dieser unserer verliehenen und gegebenen Ordnung, es sei jung oder alt,
sich würde betreten lassen, so werden wir gegen diesen, wenn uns solches
vorgebracht und geklagt wird, mit unnachlässiger Strafe von zwei schweren
Schock und eines Stocksitzens zu verfahren wissen.“ Diese Verordnungen
erhielten 1573 eine nähere Erläuterung: „So und als zwischen den
Meistern der ehrsamen Zeche der Zimmerleute wegen eines Artikels ihrer
Zechenordnung (nämlich daß kein Meister mehr denn zwei Baue befördern
und annehmen, desgleichen Sommerszeit mehr denn zwölf, Winterszeit
aber acht Gesellen halten solle, welches etliche ihres Mittels allein auf
2
die Stadt beziehen und außerhalb derselben mehr Baue angenommen)
Streit, Irrung und Gebrechen vorgelaufen, haben wir oben vermeldeten
Artikel mit Rath unserer Altesten und Schöppen dahin erkläret, nämlich,
daß vermöge unserer alten Ordnung ein Meister nicht mehr, in und
außerhalb der Stadt, wo das sein mag, als zwei Baue auf einmal, auch
Sommerszeit nur zwölf, Winterszeit aber acht Gesellen bei allen seinen
Bauen befördern, haben und halten soll. So aber ein Meister nicht
mehr als einen ansehnlichen Bau hätte und jemand aus der Bürgerschaft
zu einer geringen Ausbesserung oder Flickwerk ein paar Gesellen bedürfte,
so soll ihm, die Gesellen, die er bei dem Hauptbau nicht bedarf, bei
zweien oder, wie es die Nothdurft erfordert, gegen Empfang des halben
Lohnes in mehrere Orte zu vertheilen vergönnet sein, doch daß in Allem
die genannte Zahl nicht überschritten, sondern genau und gewiß nach
Gelegenheit der Zeit innegehalten werde, wie wir denn gegen die Ueber—
treter vermöge ihres Zechenbriefs mit unnachläßlicher Strafe zweier Schock
Groschen und eines Stocksitzens zu verfahren und niemand damit zu ver—
schonen gesonnen sind. Es soll aber der gemeinen Bürgerschaft und
Jedermann freigelassen sein, wann sie vor der Stadt, es sei auf dem
Anger, Elbing oder sonst in den Vorstädten bauen wollen, nach ihrem
Gefallen Meister aus der Stadt oder von den Dörfern zu gebrauchen,
doch keiner anderen Gestalt und Meinung, als daß die fremden Meister
sich selbst ihr Gesinde von den Dörfern und sonst mitbringen und
also den Meistern in der Stadt keinen Eintrag thun und ihr Gesinde
nicht abhalten dürfen, wie wir denn solches keineswegs zu gestatten
gesonnen, sondern hiermit zur Verhütung allerlei Weiterung gänzlich
abgeschafft wollen haben. Darnach sich Jedermann wird zu richten
wissen.“
Alle diese Verordnungen wurden in der Zechenordnung der Zimmer—
leute zu Breslau von 1660 folgendermaßen zusammengefaßt: „eErstlich
und vor allen Dingen sollen jederzeit zwei Meister zu Aeltesten erkoren
werden, welche nicht nur das Handwerk ehrlich überkommen haben, sondern
auch darauf gewandert sind, und keinen Mangel an ihrem Wohlverhalten
haben, damit ihr Aeltestentisch jederzeit rein und ohne Makel sei; diesen
wird dann auf ihr Ersuchen von der Obrigkeit ein ordentlicher Beisitzer
gegeben und zugelassen werden.
„Ein jeder Meister, wenn er durch den Zechenboten aufgefordert
wird, sei es zu dem ordentlichen vierteljährlichen Quartal oder der
Zusammenkunft, die die Obrigkeit selbst begehrt, soll auf die angedeutete
Stunde und Zeit sich einzustellen, und derjenige, der ausbleibt oder zu
spät kommt oder vor beendeter Verrichtung, ohne es anzuzeigen, weggeht,
43
allemal 12 Groschen zu erlegen, und also alle zugleich zu erscheinen,
dasjenige, was die Aeltesten vortragen, vernünftig zu erwägen und zu—
gleich über die Sachen einen Beschluß zu fassen schuldig sein.
„Wenn ein Bürger oder Bauherr einem Zimmermeister ein Haus
von Neuem zu bauen andingt, so ist der Zimmermeister berechtigt, wenn
es der Bauherr von ihm begehret, die Thüren, Fußböden, Decken, Fenster
und anderes, so viel zum Hause gehörig ist, zu machen, zu leimen und
sonst allenthalben zu verfertigen; wenn aber in alten Gebäuden die
Thüren, Decken, Fenster und anderes wiederum schadhaft würden, als—
dann soll solche Arbeit den Tischlern zustehen und gebühren, und von
den Zimmermeistern keiner ihnen Eintrag thun.
„Es soll sich auch kein Zimmermeister unterstehen, mehr als einen
neuen Bau auf einmal zu bauen und anzunehmen, damit er solchen
desto eher richtig und gut gewähren könne.
„Kein Meister soll dem anderen seine Arbeit, zu der er bereits
gefordert worden, ablaufen, andere verachten und nur auf sich allein
sehen, es wäre denn, daß der Bauherr selbst den ersten abgedankt hätte.
Desgleich soll auch kein Meister dem anderen das Gesinde abhalten und
dadurch Uneinigkeit erregen, alles bei hoher Strafe.
„Wenn ein Meister, dessen Weib oder Kind stirbt und mit Tode
abgeht, so sollen die Meister dem Begräbniß gebührend beiwohnen, und
die Jüngsten, die zum Tragen bestimmt werden, sich zu rechter Zeit ein—
stellen oder bei Unterlassung dessen jeder 12 Groschen zur Strafe geben.
„Jeder Meister soll auch schuldig sein, sein Gesinde in Werkstätten
oder wo sie beisammen sind, falls er bei ihnen ist, zu allem Guten an—
zuhalten, ihnen kein Schelten, Fluchen und andere üble Worte und Werke
zu gestatten, sondern solches den Meistern, wo dergleichen vorgeht, an—
zuzeigen, damit der Verbrecher gebührend bestraft werden kann, und
wenn er solches verschweigt, selbst 12 Groschen zur Strafe zu erlegen.
„Damit nicht etwa ein Meister zur besten Arbeitszeit das Gesinde
alles an sich ziehe und behalte, seine Mitmeister dagegen daran großen
Mangel und Noth litten, so soll ein bestimmter Beschluß gefaßt werden,
wie viel Gesellen jeder Meister halten soll. Doch soll derjenige Meister,
der in Kirchen, Hospitälern, und anderen hohen Aemtern zu bauen hat,
etliche Gesellen über die festgesetzte Zahl anzunehmen die Macht haben.
„Wenn es sich ereignen sollte, daß ein fremder Zimmermeister
— —— der soll seinen ehelichen und
ehrlichen Geburts- und Lehrbrief, sowie glaubhafte Zeugnisse und Kund—
schaft seines Verhaltens vorlegen. Wer aber Armuts halber seine Briefe
nicht sogleich auslösen könnte, soll inzwischen für einen Gesellen, wenn
3
er sich dazu anmeldet, ein Jahr oder so lange arbeiten, bis er seine
Briefe zu wege bringen mag, und alsdann dasjenige wie andere, die
hier Meister geworden sind, verrichten und bestehen.
„Bei offener Lade, beim Quartal und anderen Zech-Zusammen—
künften soll alles gotteslästerliche Leben, Fressen, Saufen, Schelten,
Schwören und andere üble Worten und Sitten, wie auch alle mördliche
Gewehr, Waffen, Messer und dergleichen bei sich zu führen oder zu
behalten, gänzlich abgeschafft und verboten sein bei Strafe von 12 Groschen.
„Kein Meister soll mehr als zwei Lehrjungen auf einmal lernen
und jeden zwei Jahr lang hintereinander.“
Vereinbarungen und Bestimmungen über die Grenzen des Geschäfts—
umfanges des einzelnen Zimmermeisters haben wohl in allen Zünften
existiert. Diesen Bestrebungen liegt der Gedanke zugrunde, daß jeder
Zunftgenosse möglichst gleichen Anteill an dem dem Amte in seiner Ge—
samtheit zustehenden Rechte nehmen sollte; man wollte verhindern, daß
einzelne Vorzüge, welche der Besitz größerer Mittel oder andre Umstände
ihnen geben mochten, zum Nachteil der übrigen Zunftgenossen geltend
machen könnten. Die Zünfte selbst wollten das Emporkommen des großen
Meisters und Unternehmers verhindern.
Die handwerkerpolitik der Tandesregierungen und der UVerfall
der Zünfte.
Eine Aenderung erfuhr die Zunftverfassung der Städte und die
Verfassung der Zünfte durch das Aufkommen der landesherrlichen Macht
und deren Eingriffe.
Für Sachsen lassen sich die landesherrlichen Eingriffe bis 1482
zurück verfolgen. In jenem Jahre erließen die Herzöge Ernst und Albrecht
zu Sachsen einige Polizeiordnungen „von wegen mancherley Gebrechen“,
die sich gegen die Autonomie der Zünfte richteten. Im Jahre 1541
wurde durch ein herzogliches Ausschreiben die Gerichtsbarkeit der Zünfte
beschränkt. „Aber die Straffe, die ihnen in ihren Zunftbrieffen aus—
drücklich nachgelassen und gegeben ist, mögen sie üben, doch unschädlich
denen Gerichten, daß sie vermöge der Vorbehaltung in denen Innungs—
brieffen, auch solche Straffe, aus vorstehenden billigen Ursachen lindern
und aufheben mögen.“ Die ordentlichen Gerichte sollten hiernach die von
den Zünften verhängten Strafen lindern und aufheben können; die in
den Innungsbriefen bezw. Zunftstatuten vorgesehene Gerichtsbarkeit sollte
nicht überschritten, vielmehr sollten Ueberschreitungen hart bestraft werden.
Im Jahre 1543 wurde von dem Herzog Moritz verordnet: „Die Räthe
derer Städte“ sollten „denen Handwerksleuten, Schneidern, Mäurern,
45
Zimmerleuten und dergleichen Handwerkern, denen allein die Handarbeit
belohnet wird, eine Ordnung und Maaß geben, wie viel sie .... wöchentlich
zu Lohn nehmen sollen.“ Im übrigen richtet sich diese Verordnung gegen
die „mutwilligen Handwerksgesellen“. Im Jahre 1550 wurde ein Aus—
schreiben erlassen: „Jgtem: Die Mäurer und Zimmerleute wollen in kurtzen
Tagen, denen langen Tagen gleich, Besoldung haben.“ .... „So üben
auch die Handwerksgesellen, wenn man je zu Zeiten billich Einsehen thun
will, viel Muthwillens mit dem Auftreiben“; sie wollten „darinnen keiner
Obrigkeit billiche Weisung nach Erkänntnüß leiden, sondern selbst Richter
seyn“. Dagegen wurde wiederum schwere Strafe angedroht. Dieses
Ausschreiben wurde 1555 nochmals in Erinnerung gebracht und die Räte
in den Städten wurden ermahnt, auf die Durchführung desselben zu achten.
Auf dem Landtage zu Torgau im Jahre 1609 hatten „die von Adel
und Städte sich beschwehret, daß zeithero etlichen Handwergen, als Zimmer—
leuten, Mäurern und dergleichen, von denen Schlössern, ohne Befehlich,
hin und wieder gewisse Innungen gegeben und confirmiret worden, welche,
zum Nachtheil des gemeinen Nutzens, andere Unterthanen fast zwingen
wollen, keine andere dergleichen Handwergsleute, welche diese Arbeit so
gut, als sie, und um ein weit geringer und leichter Lohn, verfertigen
können, bei ihren Gebäuden zu gebrauchen“. Daraufhin wurde im
Jahre 1612 „denen Schlössern ernstlich“ befohlen, daß keiner ohne
Vorwissen des Herzogs „einigen Handwerge neue Innungen, bei höchster
.. . . Straffe und Ungnade, zu bestätigen sich unterfahe“. Dergleichen
Gesuche sollten an den Herzog verwiesen werden.
Im Jahre 1654 ermächtigte ein Reichstagsabschied die Landesherren
ausdrücklich, eigne Gewerbeordnungen zu erlassen. Dadurch bekam die
Gewerbeverfassung in Deutschland ein recht buntes Aussehen. Man stelle
sich vor, daß Deutschland im 18. Jahrhundert noch in über 300 selb⸗
ständige Ländchen, in über 1500 reichsritterliche halbsouveräne Be⸗
sitzungen und ein halbes Hundert freie Städte und Reichsdörfer zerfiel,
von denen jedes dieser Einzelteile sein besonderes Gewerberecht von oben
herab erließ, dann wird man von dem Wust von krausen Verordnungen
und Gesetzen, die nun Geltung bekamen, einen annähernden Begriff be—
kommen. Die Zünfte verloren allerwärts den Charakter einer wollenden
Korporation, und zwar ebensowohl dort, wo die Handwerkerpolitik der
Landesherren scheinbar den von den Zünften eingeschlagenen Bahnen
folgte, als in jenen Ländern, wo die Handwerkerpolitik sich zum Konzessions⸗
wesen verdichtete.
Wie sich die Verfassung der Zimmerleutezunft in Wien, der damaligen
Reichshauptstadt, von 1643 bis 1752 entwickelte, zeigen die in den Anlagen
416
abgedruckten Handwerksordnungen.“ Die 20 Paragraphen umfassende
Handwerksordnung von 1643 war schließlich auf 32 Paragraphen ange⸗
schwollen; aber mit dem Umfange der Ordnung hatte sich nicht etwa das
Recht und die Freiheit der Zunftgenossen vermehrt. Maria Theresia
bestätigte „derlei Satz und Ordnungen“ im Jahre 1752 nur noch „zu
Beförderung der Ehre Gottes auch zu Fortpflanz und Erhaltung ehrbarer
Mannszucht und Einigkeit“. Man denke sich „Mannszucht und Einigkeit“
von oben herab verordnet!
Eine Polizei-... Tagelöhner- und Handwerkerordnung vom Jahre
1661 für Sachsen, aus der wir ebenfalls einen Auszug in den Anlagen
abdrucken**, wollte zwar: „daß die Handwerkere, so bestätigte Innungen
vorzulegen haben, dabei geschützet und die unzunftmäßige Störer abgeschafft
werden sollen“, aber sie machte um so rücksichtsloser aus den Zünften
eine taube Nuß.
In Brandenburg-Preußen wurden durch Edikte vom 8. November 1686,
7. Mai und 13. Juli 1688 teure Meisterstücke verboten. Die Geschlossenheit
der Zünfte wurde verpönt und Einwanderer erhielten unter Umständen
freies Meister- und Bürgerrecht. Die bereits erwähnten Privilegien der
Zimmermeister zu Havelberg von 1668, Neu-Ruppin 1670 und Ahrentsee
1693 stammen aus jener Zeit; an ihnen sind die Spuren dieser landes—
herrlichen Eingriffe erkennbar. 4718 wurden die Privilegien der städtischen
Zünfte durchbrochen; jedes Dorf konnte sich nun einen Zimmermeister
halten. Die Rechte dieser Landmeister wurden erweitert; sie durften nun
sfo viele Gesellen und Lehrlinge halten wie sie gebrauchten, nur lossprechen
konnten sie die Lehrlinge nicht. 1733 verdichtete sich diese Politik zu
einer „Handwerksordnung vor das Königreich Preußen“, deren Ziel in
den Artikeln 1 und 14 zum Ausdruck kommt. Diese lauten:
„J. Wollen und verordnen wir hiermit und Kraft dieses, daß an
keinem Orth einige Handwerks-Articul, Gebräuche und Gewohnheiten ge—
duldet werden sollen, sie seyn dann von Uns, als dem souverainen
Landes-Herrn, nach vorgängiger gnugsamer Erwegung und nach der Sachen
gegenwärtigen Zustand bestätiget und bekräfftiget; Hingegen sollen alle
Diejenigen, so von Unseren Höchstseeligen Herren Vorfahren confirmiret
seynd, jedoch nur so lange, biß Wir selbige nachsehen lassen, und confir⸗
miret haben werden, in so weit sie dieser Verordnung nicht entgegen sind,
vor gültig geachtet, diejenigen aber, welche von denen Handwerks-Leuten,
Meistern und Gesellen, ohne Landes- und Obrigkeitlicher Erlaubnüß,
Einwilligung und Confirmation, auffgerichtet seyn oder noch eingeführet
*Seite 251.
** Seite 249.
5
werden möchten, nichtig, ungültig und unkräfftig seyn. Wann auch die—
selben sich mit Einführung eigenwilliger Gebräuche hier wider vergriffen,
auch auf. Obrigkeitliche Ahndung davon nicht abstehen würden, sollen
selbige nach gebührend beschehener Obrigkeitlicher Erkentnüß, wegen solcher
Uebertretung und Ungehorsams, auf ihren Handwerkern an keinem Orthe
gefördert, sondern von jedermänniglich vor Handwerks-unfähig und
untüchtig gehalten, auch wenn sie ausgetreten, an denen Rathauß⸗Thüren,
oder an anderen öffentlichen Orthen angeschlagen, und auffgetrieben werden,
so lang und so viel, biß sie solchen ihren Verbrechens und Unfugs wegen
von der Obrigkeit abgestraffet und von selbiger zu ihrem Handwerke
wiederum zugelassen worden, mit welcher Straffe auch gegen diejenigen
Meister und Gesellen, so dergleichen Uebertreter mit Hindansetzung
gedachter ihnen kund gethaner Obrigkeitlicher Erkentnüß vor tüchtig, und
Handwerks-fähig halten, und zu Treibung des Handwerks, beförderlich
seyn wollen, zu verfahren.
„14. Dafern auch bey denen Gewercken die Gewohnheit eingerissen,
oder auch in ihren confirmirten Rollen mit enthalten seyn solte, daß ein
Meister nicht so viel Gesellen und Stühle halten dürffe, als er wolle
und könne, so soll selbige gänzlich aufgehoben und einem jeden Meister
erlaubet seyn, so viel Gesellen und Stühle zu halten, als er zu seiner
Nahrung nötig hat, ihm auch frei bleiben, von seiner Arbeit anderen
Meistern abzugeben.“
In dem preußischen Landrecht von 1794 wurde dann bezüglich der
Zünfte vorgeschrieben: „Neue Zünfte zu errichten kommt allein dem
Landesherrn zu. Der Landesherr allein hat das Recht, eine bisher unge—
schlossen gewesene Zunft in eine geschlossene zu verwandeln, d. h. die
Zahl der Mitglieder, aus welchen die Zunft an einem Orte bestehen soll,
zu bestimmen. Auch wo geschlossene Zünfte sind, bleibt dem Staate nach
wie vor das Recht, nach Befinden der Umstände, Freimeister anzustellen.“
Diesem Vorgehen schlossen sich die übrigen Landesregierungen unter
den verschiedensten Formen an. Ein Verehrer der landesherrlichen Handwerker—
politik, Gustav Schmoller, schreibt über die Entwicklung der Baugewerbe: „Der
mittelalterliche Maurer- und Zimmermeister war ein Handwerker ohne großes
Kapital; er durfte wohl mehr Gesellen und Lehrlinge halten als andre Meister,
oft vier Gesellen und noch mehr, während andern nur einer oder zwei erlaubt
waren; aber ein großer Unternehmer wurde er dadurch nicht. Die
Lieferung der Materialien, des Kalks, der Steine, des Holzes, der Ziegel,
war Sache dessen, der bauen ließ; der Kapitalbesitz des Meisters reichte
dazu nicht, Sitte und Vorschrift wollte es auch nicht, um die Geschäfte
nicht zu groß werden zu lassen. Oft war ja auch den Meistern verboten,
48
mehr als ein oder zwei Werke zugleich zu übernehmen. Größere Bauten
lagen in der Hand eines Ratsherrn, eines Domkapitulars, dem die
Rechnungsführung übertragen war; an solchen arbeiteten viele Meister.
Für Meister und Gesellen waren feste Tagelohnsätze hergebracht, die des
Meisters etwas höher, weil er die Geräte auch für seine Gesellen zu stellen
hatte. .. In den schon vor 1815 zu Preußen gehörigen Landesteilen
hatten die Dinge schon früher (infolge der angedeuteten Handwerkerpolitik)
sich geändert. Eine strenge Baupolizei hatte höhere Anforderungen an
den einzelnen Meister gestellt. Alle größeren, besonders die staatlichen
Bauten wurden zwar den höheren, vom Staate geprüften und von ihm
angestellten Bautechnikern zur Leitung übergeben. . . . Aber für die Aus—
führung derselben brauchte man größere Werkmeister und eigentliche
Unternehmer. Und je mehr es früher an großen Bauspekulanten fehlte,
die bloß als kaufmännisches Geschäft, als Spekulation gegen feste Aversal—
summen Bauten übernahmen und sich selbst wieder der einzelnen Meister
für die Ausführung bedienten, um so mehr begünstigte man es, wenn die
Meister selbst als Unternehmer auftraten. Die Rechnungslegung wurde
einfacher; man hatte einen verantwortlichen Unternehmer, einen Mann
von größerer Zuverlässigkeit, von einigem Vermögen; an den man sich
halten konnte; solche größere Zimmer- und Maurermeister hatten selbst
die nötigen Rammen, Pumpen, Rüstungen, Hebezeuge, die zu umfassenden
Bauten notwendig sind; schon deswegen gab man ihnen gern den Vorzug.“
Schmoller will damit sagen, daß die landesherrliche Handwerkerpolitik in
— —
In Preußen wurde erst in einigen Landesteilen, durch Dekret vom
2. November 1810 aber für den ganzen preußischen Staat, bis zu einem
gewissen Grade die Gewerbefreiheit eingeführt. Als nach den sogenannten
Freiheitskriegen Preußen vergrößert wurde, ließ man in den neuerworbenen
Landesteilen die Gewerbeverfassung zunächst unverändert, die Gewerbe—
freiheit am Rhein und in Westfalen und die Zunftverfassung in Thüringen
und Sachsen. Einen Ausgleich bewirkte jedoch die Gewerbeordnung von
1845; nach ihr sollten die Innungen dort erhalten bleiben, wo sie bestanden,
und auch neue Innungen gegründet werden dürfen, wo keine vorhanden
waren, allein ihnen wurde jeder Beitritts- und Prüfungszwang untersagt,
die Meisterprüfung wurde rein staatlich organisiert.
In Bayern lag die Handhabung der Gewerbegesetze in den Händen
der Gemeindebehörden, diese besaßen auch ein Vetorecht bei neu zu
gründenden Heimwesen. Dadurch entwickelten sich in Bayern die buntesten
Verhältnisse; in manchen Orten herrschte nahezu völlige Gewerbefreiheit
und in andern Orten wiederum starre Erklusivität.
49
In Württemberg wurde die Zunftverfassung 1828 und 1836 ge—
mildert und 1862 ganz aufgehoben. Im selben Jahre wurde auch in Baden
der Zunftzwang abgeschafft. In Sachsen bestand die Zunftverfassung mit
Innungs-, Lehr- und Wanderzwang bis 1840, von da ab wurde sie ge—
mildert und 1861 wurde die Gewerbefreiheit eingeführt. In den freien
Reichsstädten hatten sich die Zunftprivilegien unbeeinflußt bis in das
19. Jahrhundert erhalten, ebenso in manchem kleinen Bundesstaate; in
Lübeck wurden die Zunftprivilegien 1889 aufgehoben, in Hamburg 1865*
und in andern kleinen Bundesstaaten noch später.
Mit der Durchbrechung und schließlichen Aufhebung der Zunft⸗
privilegien waren die Zünfte leere Organisationen geworden. Die Teil⸗
nahme an diesen Institutionen war seitdem keine innige mehr, sie erlahmte
nach und nach, die Versammlungen wurden nicht mehr besucht, und als
der Beitrittszwang aufhörte, wurden auch die Beiträge nicht mehr geleistet,
so daß die einstmals mächtigen Organisationen nur noch dem Namen nach
vegetierten. Uebrigens gebrauchte der aufkommende Kapitalismus auch
nicht so notwendig staatlich approbierte und privilegierte Meister als kredit⸗
fähige Unternehmer im Zimmergewerbe, die mit den Arbeitskräften auch
das nötige Baumaterial lieferten. Die Einführung der Gewerbefreiheit
durch den Norddeutschen Bund (1869) räumte schließlich mit den entarteten
und vermorschten Ueberresten von Einrichtungen auf, die einer Wirtschafts⸗
periode angehörten, welche einer neueren Wirtschaftsweise bereits Platz
gemacht hatte.
Das Gesinde der Zimmerleute.
Wie die ursprüngliche Bauernwirtschaft aufzufassen ist als eine
Hausgemeinschaft, in der mehrere Generationen ein Vater mit seinen
Söhnen und deren Weibern und Kindern, mitunter auch Kindeskindern,
hauste, so muß man sich auch den ursprünglichen Amtszimmermann vor—
stellen. Gerechtsamen und Verpflichtungen bezogen sich ursprünglich nicht
auf die Person, sondern auf das zu Lehn erhaltene Gut. Die Person
tritt erst mit der Einführung des römischen Rechts in den Vordergrund!
Man darf sich die ursprünglichen Bauernwirtschaften auch nicht vorstellen
als eine streng abgeschlossene Familie. Es konnten darin auch Fremde
* Ein Stück von den Zunftprivilegien hat sich aber auch über diese Zeit
hinaus erhalten. Den Zimmeramts-Meistern in Hamburg standen auch im 19. Jahr⸗
hundert noch städtische Zimmerplätze zur Verfügung. Als dann in den siebziger
Jahren der „Hansaplatz“ angelegt wurde, wo sich vormals die Zimmerplätze
befunden haben, ist die alte Zunftgerechtsame in der Weise abgelöst worden, daß
den einstmaligen Amtsmeistern bezw. deren Familien noch auf eine Reihe von
Jahren in andern Stadtteilen Zimmerplätze angewiesen wurden.
Bringmann, Geschichte der Zimmerer.
50
aufgenommen werden und sie wurden aufgenommen, wenn man mehr
Arbeitshände gebrauchte, als die Familie hatte. Eine fluktuierende Be—
völkerungsschicht, die ihren Lebensunterhalt im Dienste bei Angesessenen
erwerben mußte, hat es aber von jeher gegeben. Wer sich z. B. mit
seiner Familie nicht vertragen konnte oder mochte, war eben auf andre
angewiesen, er zählte in der fremden Familie zum Gesinde. Der Vater
war für seine Hausinsassen dem Gemeinwesen gegenüber verantwortlich.
Im Hause übte er die väterliche Gewalt. Erst allmählich ist das anders
— D Verhältnis zu erhalten trachteten,
bezeichnen die Marksteine seines Zerfalles. In fast allen Städten wurde
wiederholt strenge verordnet, daß kein Geselle oder Lehrling auch nur
eine Nacht außer dem Hause des Meisters schlafen sollte. Eine Rats—
verordnung in Breslau von 1546 lautet: „Weil nun vormals und jetzt
aus der Ungleichheit, daß einer seine Gesellen speist, der andere nicht,
viel Irrthümer erfolgt und entstanden sind, wollen wir, daß ein jeder
Meister der Zimmerleute auf unserm Zimmerhof und die Meister in den
Mühlen die Gesellen zugleich speisen sollen, soviel derselben jeder Meister
zu seiner Arbeit bedarf“..
Wenn auch die Bauern lange Zeit hindurch mit ihren Leuten unter
Beihilfe weniger Handwerker ihre Häuser selbst bauten, so dürften die
Zimmerleute doch immer öfter und schließlich allemal mit ihrem Gesinde
dabei gewesen sein. Die nur gelegentliche Hilfe von fachunkundigen Leuten
konnte erst in zweiter Linie in Betracht kommen. Zwischen dem Zimmer—
mann und seinem Gesinde, oder zwischen Meister und Gesellen dürfte
früher kein großer Abstand geherrscht haben, da die Lohnsatzungen einen
solchen kaum erkennen lassen. In Lübeck wurden die Zimmergesellen noch
1589 als „cumpanen der tymmerlude“ benannt. Ebensowenig dürfte
ursprünglich ein Unterschied zwischen Gesellen und Lehrlingen bestanden
haben, er wird erst im 16. Jahrhundert erkennbar und auch dann vollzog
sich der Uebergang von der einen in die andre Kategorie noch ohne
Formalitäten. Um Zimmermeister zu werden, sind schon früher gewisse
Nachweise erforderlich gewesen, insbesondere der Nachweis der ehrlichen
Geburt und der Nachweis, daß der Betreffende das Zimmerhandwerk
gründlich erlernt hatte. Daß solche Nachweise aber auch erforderlich
gewesen wären, um als Gehilfe das Zimmerhandwerk auszuüben, ist nicht
nachweisbar und auch nicht wahrscheinlich. Lehrbriefe wurden ursprünglich
nur erteilt, wenn ein Zimmerknecht bezw. -geselle in einem fremden Orte,
wo er unbekannt war, selbständig werden wollte. Die Brauchbarkeit des
Gesindes wurde während einer Probezeit geprüft, die auch später, während
der ganzen Zunftzeit, als Lehrbriefe und Kundschaften eine festgewurzelte
51
Einrichtung bildeten, in Uebung geblieben ist. Im übrigen werden wir
weiterhin sehen, daß die Familienverwandtschaft unter den Zimmerleuten
ehemals eine große Rolle gespielt hat.
Daß diese Zustände sich geändert haben, ist zum großen Teil der
allgemeinen gesellschaftlichen Entwicklung geschuldet, höchst wahrscheinlich
hat aber dabei schon eine Organisation des Gesindes der Zimmerleute
mitgewirkt, deren Existenz zwar keine Urkunde verrät, deren Wirksamkeit
wir aber in der nachfolgenden Darstellung begegnen. Wir haben hierbei
die heute noch bestehende Organisation der fremden Zimmergesellen im
Auge, deren Gebräuche an längst vergangene Zeiten erinnern und deren
Entstehen völlig in Dunkel gehüllt ist.“ Diese Organisation lag in der
Natur der Verhältnisse. Das Gesinde hatte zumeist keine Aussicht, an
dem Orte, wo es mit dem Zimmerhandwerk vertraut gemacht worden
war, dauernd zu bleiben. Aus der fluktuierenden Bevölkerungsschicht
entnommen, wurde es wieder in diese gestoßen, wenn es den Dienst
aufgab oder aus demselben entlassen wurde. Heimatlos, wie das Gesinde
war, konnte es nur in der Organisation einigen Halt finden.
Auf den Bestand einer solchen Organisation weist vor allem die
Einführung der systematischen Handwerkslehre hin. Sie bildet das
Fundament des Gesellenstandes. Dieser konnte erst zu Macht und Ansehen
kommen, nachdem die Zulassung zum Zimmerhandwerk auch für die Gehilfen
von dem Nachweise einer überstandenen Lehrzeit abhängig gemacht worden
war. Bekannt ist übrigens, daß die Gesellenorganisationen immer eifer⸗
süchtig darüber gewacht haben, daß kein Unberufener zur Ausübung des
Zimmerhandwerks zugelassen wurde. Jene weitverbreitete Meinung, daß
die Handwerkslehre und die Beschränkungen in bezug auf das Halten
von Lehrlingen dem Bestreben der Meister geschuldet seien, die Zahl derer,
die künftig einmal zum Meisterrecht sich melden möchten, recht klein zu
erhalten, widerlegt Wehrmann treffend mit dem Hinweise, daß man den
Zweck mit solchem Mittel gar nicht hätte erreichen können, weil immer
viele aus der Fremde einwanderten. Für die Zimmermeister konnte ein
solcher Zweck auch kaum maßgebend sein, weil ihre Meisterstellen von
jeher einem erblichen Privilegium glichen. Uebrigens weisen einige Be⸗
stimmungen in den vorliegenden Urkunden darauf hin, daß die Einführung
einer bestimmten Lehrzeit den angedeuteten Ursprung hat.
In Breslau wurde 1536 die zweijährige Lehrzeit vorgeschrieben.
In derselben Verordnung wird auch von dem Zureisenden zum ersten
Male verlangt, daß er den Nachweis liefert, das Handwerk erlernt zu
* Vergl. Seite 77.
52
haben, bevor er zur Arbeit zugelassen wird. Diese Bestimmung lautet:
„Wenn ein fremder Geselle gewandert kommt und das Handwerk erlernt
hat, soll ihm ein Monat lang Arbeit gegeben werden; alsdann soll er sich
nach alter Gewohnheit in die Bruderschaft schreiben lassen.“ In Lübeck
ist das Streben der Gesellen, Lehrvorschriften herbeizuführen, deutlicher er⸗
kennbar. Eine Urkunde vom 10. Dezember 1539 handelt von einem Streit
zwischen den Meistern und Gesellen („De schelinge vnnd twyst, so tusschen
denn meysternn vnnd cumpanen der tymmerlude vann wegen des leergeldes,
dar vann se eine busse holdenn, entstandenn“), der damit geschlichtet wird,
daß jeder Meister nur einen „leerknecht“ halten durfte. Von dem Lehrgelde
bekamen die Gesellen nun einen Bruchteil ab, über den sie frei verfügten.
1545 wünschten die Zimmergesellen eine Korporation für sich zu bilden und
ihre eigne Ordnung und Beamten zu haben; der Rat gab es aber nicht zu,
sondern erlaubte nur, daß neben den Aelterleuten zur Aufsicht über die Meister
noch Beisitzer zur Aufsicht über die Gesellen (Altgesellen) gewählt wurden.
Im erwähnten Jahre kamen auch detaillierte Lehrvorschriften auf, wonach
jeder Meister, der einen Lehrling annehmen wollte, dieses den Aelterleuten
mitteilen sollte. Hatte sich in der vierzehntägigen Probezeit herausgestellt,
daß der Lehrling als Zimmermann brauchbar werden würde, so sollte er
drei Jahre lernen. Der Meister sollte aber während dieser drei Jahre
keinen zweiten Lehrling annehmen dürfen. Zugleich wurde auch die
Bestimmung getroffen, daß ein etwa zureisender Geselle den Nachweis
zu erbringen hatte, daß er Zimmermann war.“* Daß hier der Erlaß
* Die betreffenden Bestimmungen in der Lübecker Zunftrolle von 1645 lauten:
„Eyn meyster, de eynenn lerknecht wyll thosettenn, de schall eth denn older⸗
ludenn kund doenn vnnd nemen ohne 14. dage vp denn arbeyt; indem den de knecht
tho dem ampte duchtich ys, so schall he gevenn denn olderludenn sampt den
bysytters achte schillinghe vnnd blyvenn dre jare yn de lere. Wenn de dre jare
omme synn, so schall he ghevenn in des amptes busse twintich schillinghe, denn
so mach he eynenn meyster kesenn, wenn he wyll vnnd arbeydenn vor eynenn
kumpaen. Dar he sick aver in denn dren jarenn gheve van synem meyster by
eynenn andern meyster, so schall ehme- de tydt, de he rede ghelert hefft, nicht
ghereckent werdenn, sunder schall vpt nighe dre folgende jare wedder anlerenn,
eth wer denn, dath ome synn meyster, dar he by ghelert, affstorve offte kranckheit
halvenn nicht vuderholden konde, so mach he sick mith wethenn vnnd wyllenn
der olderlude vnnd der bysitters by eynen andern meyster ghevenn.
„Ock schall eynn meyster nicht mehr als eynenn lerknecht yn drenn jarenn
thosettenn, eth were denne, dath ohme syn lerknecht affstorve, so mach he mith
wyllenn der olderlude eynenn nighen knecht thosettenn, de vann erlyker geborth ys.
„Dar ock eynn meister synenn lerknecht wolde vorvnghelimpen vnnd also
vann dem ampte drenghenn, de klacht schall vann den weddehernn gehort werdenn,
vnnd weß de dar ynne erkennen, wath recht ys, dar schall eth by blyvenn.
„Wenn eynn geselle op synn ampt reyset vnnd begert hir arbeyt, dem
sollenn de olderlude veerteynn daghe arbeyt wysenn offte ghevenn; werth he
53
von ausführlichen Lehrvorschriften mit dem Streben der Gesellen, eine
eigne Korporation zu bilden, zusammenfällt, ist gewiß sehr merkwürdig;
die Tatsache spricht für unsre Annahme, daß die Einführung der syste⸗
matischen Handwerkslehre von dem Gesinde selbst erstrebt worden ist.
In jüngeren Zunftstatuten bilden Vorschriften über die Annahme
von Lehrlingen ein selbstverständliches Zubehör. Im Privilegium der
Zimmermeister von Havelberg aus dem Jahre 1668 finden wir nach—
folgende Vorschriften:
„Zum Ersten, soll Kein güldebruder einen Lehrjungen ohne der
Güldemeister Wissen und Willen annehmen, bey strafe 12 grsch. undt wann
der Lehrjunge angenommen wirdt, soll er einen halben gülden, Wann Er
aber ausgelernet, einen guten gülden dem Handwerke in die Lade geben.
„Zum Anderen, soll Er Ihn Vierzehn Tage Versuchen, und Wann
Er zweene Tage bey ihm gewesen, soll er dem Handtwerk einen halben
gülden zu geben schuldig sein.
„Zum Dritten, Soll allen Meisters Söhnen das Handtwerk zu lernen
jederzeit frei stehen, undt deswegen einen halben f. in die Gülde-Lade
erlegen. ...
„Zum Neun undt Dreißigsten, haben sich die Güldebrüder auf⸗
genommen, daß hinfüro ein Lehrjunge, der das Zimmerhandtwerk lernen
will, soll zwey Jahre lernen, das erste Jahr soll Er zum Lohn haben die
Woche achzehn groschen, das andere Jahr aber die Woche einen Thaler.“*
Im Privilegium der Zimmerleute von Neu-Ruppin aus dem Jahre
1670 lauten die Lehrvorschriften:
„Keiner sol mehr den Einen Lehrjungen halten, und wer einen anderen
eher alß der erste ausgelernet, wieder annimpt, sol vier thlr. strafe erlegen.
„Der Lehrjunge sol 14 Tage zum Versuch gesetzet, darnach wan
Ihme das Handtwerck und er dem Meister beliebet, vorm Handtwerck
angenommen werden, seinen geburtsbrief nebst Einem thlr. in die Lade,
zwölf gr. aber dem Rahte in Neuen-Ruppin, erlegen und nach begehren
des Meisters zwene Bürgen schaffen, daß er getreu sein und nicht davon
laufen wolle.
„Der Lehrjunge sol wenn Er zwey Jahr lernet, zehen thlr. lehrgeld
und zwar die Helfte beym auffdingen und die andere Helfte beym
denne vor eynenn gudenn arbeydesman bekanth, so mach he eynenn meyster
kesenn vnnd ghevenn yn des ampts busse dre marck lubesch tho harnisch gelde
onnd tho wasse.“
*Diese Bestimmung beziehungsweise Vereinbarung wird so zu verstehen
sein, daß die Meister den festgesetzten Wochenlohn bei den Bauherren in Ansatz
bringen sollten; daß ein solcher Wochenlohn den Lehrjungen ausgehändigt werden
sollte, ist nicht wahrscheinlich, weil der Gesellenlohn kaum höher war.
54
loßzehlen geben; Solte er aber wegen armuth nichts geben können, hat er
sich mit dem Meister wegen der Lehrjahre zu vergleichen; Sonsten sol
er sein eigenes Bette mit zugehörigem Lacken halten.
„Wan ein Lehrjunge loßgezehlet wird, soll er Einen thlr. dem Handt—
werck zwölf gr. aber dem Raht erlegen, und sich als ein Gesell ehrlich zu
halten angeloben.
„Mit eines Meisters Sohn, wan er das Handtwerck lernen wil, soll
es gleichergestalt gehalten werden, nur daß er zwölf gr. in die Lade,
Sechs gr. aber dem Raht erlege.“
Und im Privilegium der Zimmerleute von Ahrentsee vom Jahre
16983 lauten die diesbezüglichen Vorschriften:
„Wann einer das Zimmerhandwerck zu lernen Beliebung hette, soll
der Gülden zweene Thaler und dem Ambte Einen Thaler entrichten,
daneben seinen Geburtsbrief oder auch zwei glaubwürdige Zeugen Vor—
stellen, zwey Jahr lernen und nach verflossenen Lehrjahren ohne entgeldt
freygesprochen werden.
„Solle auch Keiner einen Lehrjungen außerhalb der Morgensprache,
weder in die Lehre noch in die Werkstedte, ohn angesprochen der Alter—
leute und Güldemeister nehmen, Wer darwieder thut, solle 2 Rthlr. halb
der Obrigkeit und halb der Gülde zur Strafe geben.
„Es soll auch kein Meister ehe undt bevor der Lehrjunge nicht seine
Lehrjahre halb ausgestanden, einen andern anzunehmen befuegt sein, bey
Voriger strafe.“
In Wuürttemberg betrug die Lehrzeit der Zimmerleute seit dem
sechzehnten Jahrhundert fünf Jahre, in Nürnberg seit 1634 drei Jahre;
dazu mußte der Lehrling 24 Gulden Lehrgeld zahlen. In Berlin, Altona
und Wien betrug die Lehrzeit der Zimmerleute zwei Jahre. Uebrigens
waren die Lehrlinge der Zimmerleute, wie Wehrmann andeutet und wie
sich auch aus den Breslauer Urkunden ergibt, meist schon im reifen Alter,
wenn sie die Lehre antraten.
Das fluktuierende Verhältnis des ursprünglichen Gesindes bestand
noch fort, als ein besonderer Gesellenstand sich schon lange herausgebildet
hatte. Welchen Umfang das Wanderleben der Zimmergesellen selbst im
18. Jahrhundert noch hatte, zeigen uns die noch ziemlich vollständig er⸗
haltenen Urkunden der Zimmergesellenschaft zu Altona.
Altona entstand im 15. Jahrhundert; der Flecken wurde 1640 zur
Stadt und am 8. und 9. Januar 1713 zerstört. Im gleichen Jahre wurde
ein neues „Zimmer-Handwerksgesellen-Buch“ angelegt, das uns ebenso wie
die Ersatzbücher vorliegt. In diese Bücher sind die Namen derjenigen ein—
getragen, die in Altona in Arbeit traten, und sich daher einschreiben
55
lassen mußten. Daneben wird auch angegeben, woher die Betreffenden
stammten, an welchem Orte und bei welchem Meister sie das Zimmer—⸗
handwerk erlernt hatten. Wann sie wieder aus Altona abgereist sind,
wurde nicht vermerkt, wohl aber, ob sie zum zweiten Male oder öfter
geschrieben bezw. erneuert wurden. Aus diesen Niederschriften haben wir
nachstehende Uebersicht zusammengestellt.
rr
Jahr
1718
1714
1715
1716
1717
1718
1719
1720
1721
1722
1728
1724
17258
1726
1727
1728
1729
1730
1731
1732
1738
1784
1733
S
2
*8
—3
2
*
7
39
22
10
11
12
4
6
11
11
22
16
12
20
7
99
9
5
25
—5
55
323
* 8
—A
13 5
53
882
—M— 8
23335*
222 *
33 22
333838
5553733
8335
7
—
23
2385
O
se e —
328 —— 1835*
— 35— QG* —
8Q2 5 38 3
38 535 3 8
358
—8
388 —
536
————
—*9—
1736
17387
1738
1789.
1740
1741
1742
— D
17440
1745.
1746
747
1748
A
1750
1751.
——
1753 9
754
17658
3
1737
34
46
26
18
20
31
24
18
5
26
zs
58
7
—
F
8
3
99
J
10
69
4
2
5
77
J
16
15
3
5
2*
12
2
17132 17876 1147
255 82
Soweit es sich aus den Urkunden feststellen läßt, haben 17183 bis
zum Oktober im ganzen 59 Zimmergesellen in Altona in Arbeit gestanden;
davon waren in dem genannten Jahre 39 zugereist bezw. geschrieben
worden. Rechnen wir? die 255 Erneuerungen ab, so haben in den
45 Jahren, worüber vorstehende Tabelle Auskunft gibt, 892.Einschreibungen
stattgefunden. 82. Eingeschriebene. hatten in Altona erst das Zimmer⸗
handwerk erlernt, 810 Zimmergesellen waren zugewandert. Und diese
56
kamen weit und breit her. Es ist natürlich nicht möglich, das lange
Ortsverzeichnis hier aufzuführen, woher die Zuwandernden alle kamen;
aus den Notizen für die Jahre 1732 bis 1757 stellen wir die nachstehende
Ortsliste zusammen:
1. Annaburg. 26. Hamburg. 51. Prag.
2. Ansbach. 27. Hannover. 52. Preetz.
3. Berlin. 28. Harburg. 53. Querfurt.
4. Blankenburg. 29. Heidelberg. 54. Regensburg.
5. Boizenburg. 30. Heldrungen. 55. Rostock.
6. Braunschweig. 31. Hildesheimn. 36. Roßlau.
7. Bremen. 32. Hirschberg i.Schl. 57. Saalfeld.
8. Breslau. 33. Itzehoe. 58. Sandersleben.
9. Calbe. 34. Kiel. 59. Schleswig.
10. Celle. 35. Königsberg. 60. Stade.
11. Coblenz. 36. Kopenhagen. 61. Stralsund.
12. Danzig. 37. Lauenburg.! 62. Strelitz.
13. Dresden. 38. Lübeck. 63. Torgau.
14. Cbingen. 39. Lüboldsheim i.d. Pf. 64. Tübingen.
15. Elbing. 40. Lüneburg. 65. Tuttlingen.
16. Erfurt. 41. Magdeburg. 66. Ulm. 8
17. Eutin. 42. Merseburg. 67. Walsheim.
18. Frankfurt a.d.O. 48. Mühldrobt. 68. Weimar.
19. Frankenhausen. 44. Mühlhausen. 69. Wernigerode.
20. Gera.46. Naumburg. 70. Wien.
21. Glogau. 46. Neustadt a. d. Orla 71. Wiesbaden.
22. Gotha. — 47. Nurnberg. 72. Winterthur.
23. Greifswald. 48. Ohlau. 73. Wismar.
24. Halberstadt 49. Oldesloe. 74. Wolfenbüttel.
25. Halle. 50. Pinneberg.
Es war aber nicht bloß hei den Zimmergesellen so, daß sie aus
allen vier Himmelsrichtungen in Altona ihre Wanderschaft kreuzten,
sondern bei den Lehrlingen- war es nicht viel anders. Von den
82 Lehrlingen, die unsre Tabelle aufführt, waren nur fünf aus Altona
gebürtig, die übrigen waren von auswärts, und zwar nicht nur aus den
umliegenden Ortschaften, wie nachstehendes Ortsverzeichnis von einigen
Jahren zeigt:
1. Berlin.
2. Bietzendorf. I
3. Bremen Stift.
4. Göhlen i. M..
57
13. Oldendorf. 16. Preetz. 19. Stade.
14. Ottersberg. 17. Rauendorf. 20. Stralsund.
15. Pinneberg. 18. Reinbek.
Aehnlich so war es allerwärts; denn etwa die Hälfte aller Ein—
geschriebenen hatte nicht an ihrem Geburtsorte gelernt. J
Die Altonaer Urkunden lassen uns erkennen, in welchem Maße
die Familienverwandtschaft bei den Zimmerleuten eine Rolle gespielt
hat. 1751 wurde z. B. ein Junggeselle Heitmann, gebürtig aus Berlin,
geschrieben, der in Altona bei einem Zimmermeister Heitmann gelernt
hatte. In diesem Falle haben wir es nicht bloß mit einer zufälligen
Namensvetterschaft zu tun. Der Junggeselle war aller Wahrscheinlichkeit
nach ein ganz naher Verwandter seines Lehrmeisters. Die Namen von
zut einem Drittel aller Eingeschriebenen lauten genau so wie die Namen
ihrer Lehrmeister. Es waren Meistersöhne oder doch nahe Verwandte der
Zimmermeister.
Für die Meistersöhne bestand ursprünglich kein Wanderzwang und
auch später waren dahingehende Bestimmungen nur wenig bedeutsam.
Nichtsdestoweniger waren aber doch viele und vielleicht auch die meisten
Meistersöhne auf die Wanderschaft angewiesen. So ausgedehnt war die
Zimmerei nicht, daß die männlichen Nachkommen der Zimmermeister auch
unter allen Umständen zu Hause Beschäftigung gefunden hätten. Vielfach
reichte sie nicht einmal für die Meister selbst aus. Diese arbeiteten
dann, wie Wehrmann berichtet, selbst als Gesellen bei einem andern
Meister, der gerade Arbeit hatte. Uebrigens dürfte die Neigung zum
Wandern auch eine Rolle gespielt haben. Die Fremde war nicht nur
das Domizil des Elends, sondern sie bildete auch den Glückshafen für
unternehmungslustige Leute. Für diese öffnete das mittelalterliche Leben
— 0
darin, wie es den städtischen Zimmermeistern nicht einmal lieb war. Die
Gesellen, ohne Aussicht, in den Städten Meister zu werden, verloren sich
in den Flecken und Dörfern, wo sich ihnen irgendeine Gelegenheit bot,
seßhaft zu werden. Nun erst kamen die bitteren Klagen der Meister in
Mode, daß die Lehrlinge und Gesellen bezw. das Gesinde kaum noch zu
bändigen war. Die Ratsverordnungen gegen das Gesinde in Breslau
datieren aus der Zeit von 1536 bis 1660. Solche Verordnungen sind
aus allen alten Städten bekannt; die sogenannten „Gesellenmißbräuche“
füllten lange Reichstagsverhandlungen. Die aufkommende landesfürstliche
Macht setzte den Kampf gegen das „widerspenstige Gesinde“ fort, es kam
zu einer Reihe von Reichstagsabschieden und im 18. Jahrhundert zu über—
aus harten Landesgesetzen, auf die wir weiterhin zu sprechen kommen.
58
Die Stellung der Zimmergesellen in den Zünsten und die besonderen
Gesellenkorporationen.
Eine bereits kurz erwähnte Urkunde aus Breslau vom Jahre 1536
zeigt, daß die Zimmergesellen sich „nach alter Gewohnheit in die Brüder—
schaft schreiben lassen“, noch bevor die Scheidung des „Gesindes“ in
Lehrlinge und Gesellen sich vollzogen hatte.“ In Lübeck hatte nach der
Zunftrolle von 1428 der Geselle ebenfalls Leistungen an das Amt. Sobald
er seine vierzehntägige Probezeit gearbeitet hatte und länger bleiben
wollte, mußte er vier Pfund Wachs dem Amte geben, außerdem zu jeder
Morgensprache „teyn pennynge“ (zehn Pfennig) und „op aller zelen
Dach“ (das katholische Fest „Aller-⸗Seelen“, das am 2. November gefeiert
wird) fünf Schilling „to zelemissen“ (Seelen-Messe). Daß die Gesellen
dafür auch Rechte in den Zünften und eventuell Einkünfte aus denselben
gehabt hätten, ist aus den älteren Urkunden nicht ersichtlich. Erst in
den jüngeren Zunftstatuten sind solche Bestimmungen enthalten. Die
Artikel 24 bis 27 im Privilegium der Zimmermeister von Havelberg aus
dem Jahre 1668 lauten:
„Ein jeglicher Geselle, der 14 Tage allhier gearbeitet hat, der soll
in die Lade geben 28 undt ein Jeglicher Meister undt Geselle alle Viertel
Jahre 45 Zeitengeld, mit solchem Gelde soll man die gesellen, so krank
verden, Verlegen undt entsetzen.
Do aber solch Geld aus der Lade durch den Kranken verzehret
würde, undt nicht mehr vorhanden were, damit man dem Kranken zu
Hülfe kommen möchte, alssdann sollen die beyden Jüngsten von Hause
zu Hause gehen, undt von einem jeglichen 44 fordern, darmit der arme
Kranke erhalten und nicht noth leiden möge.
„Wolte aber einer mehr aus Barmherzikkeit zur Hülfe geben, soll
—D
„So nun einer in seiner Krankheit und noth aus der Lahde verleget
würde, So ihn Gott wieder aufhülfe undt Er des Vermögens were,
soll er solch ausgelegtes Geld, das ex aus der Lade emfangen wieder—
zugeben schuldig sein.“
Im Privilegium der Zimmerleute von Neu-Ruppin vom Jahre
1670 sind regelmäßige Beiträge nicht vorgesehen; es heißt vielmehr
darin: „Wan ein armer Meister oder Gesell Kranck wird, oder gar
sterben möchte, sol Ihn das Handwerck aus dem Vorrath der Laden,
so einiger vorhanden, pflegen und begraben lassen, Solte er aber
wieder aufkommen, oder der Verstorbene hat Vermögende Eltern,
* Siehe Seite 52.
59
sollen die Eltern den Vorschuß zahlen, und der so genesen, sol die
Helfte, so Ihm aus der Laden gereichet worden, künftig zu erstatten
schuldig sein.“
Im Privilegium der Zimmerleute von Ahrentsee lauten die be—
treffenden Bestimmungen: „Es soll ein ieder Meister von ieden Gesellen,
die er in Arbeit gehalten, jährlich 2 gr. Zeitgeldt geben, ein frembder
Geselle aber giebet 1 gr. einschreibegeldt und 3 gr. der Laden. Da
es sich auch zutrüge, daß ein Geselle, er stünde in arbeit oder Käme
anders woher, Kranck und unvermögen würde, und hette Keine Zehrung,
soll auß der Laden Vorschub gethan werden, würde er dann mit tode
abgehen, so soll von seinem Zeuge die Lade bezahlet werden, würde er
aber besser, soll er Verbunden sein, vom Wochenlohne es wieder zu be⸗
zahlen, da er aber säumhaftig würde und darüber gar davon laufen,
folle er mit Consens der Obrigkeit nachgeschrieben werden, und zugleich
die unkosten bezahlen.“
Recht unklar beschrieben sind die Pflichten und Rechte der Gesellen
in den Handwerksordnungen der Zimmerleute in Wien. Trotzdem die
Gesellen an der „Zöchtäding“ (Zunftversammlung) teilnehmen mußten,
scheinen sie doch keinerlei bedeutungsvolle Rechte gehabt zu haben.
Mit dem Erstarken des Gesellenstandes wurde der Einfluß der
Gesellen in den Zünften natürlich größer; zu der unterschiedslosen Gleichheit,
wie sie Schanz anzunehmen scheint, ist es aber nirgend gekommen.
Denn sobald die Macht der Gesellen die völlige Gleichberechtigung zu
erzwingen drohte, waren es die Meister, die den Bruch vorzogen, so daß
auch in den Zünften der Zimmerleute schließlich besondere Gesellen—
korporationen entstanden sind. Das Aufkommen einer besonderen Kor⸗
poration der Zimmergesellen zu Breslau ist bezeichnend. In schweren
Zeiten, 1576, hatte die Zeche der Zimmerleute zu Breslau Schulden
gemacht, sie hatte für die Angehörigen Getreide angekauft. 1577 wurde
den Meistern und Gesellen eine Extrasteuer aufgelegt, um die Schulden
zu bezahlen und um für spätere Fälle eine Unterstützungskasse zu haben.
Die Zimmergesellen wurden dabei kräftig übers Ohr gehauen, so daß
sie bei dem Rat der Stadt um die Loslösung von der Lade der Meister
baten. „Nach genugsamem Verhör und notdürftigen Erkundigungen bei
beiden Parteien“ ordnete der Rat am 20. August 1577 die Errichtung
einer besonderen Lade für die Zimmergesellen an. Auch aus München
ist eine merkwürdige Geschichte bekannt.* In Thorn ist eine besondere
„Die Entstehung der „Kranken⸗ und Sterbekasse der Zimmerleute Au—
München“ fällt in die Zeit, da das herzoglich bayrische Hoflager noch auf
Schloß Neudeck in der Au Peilte. Am 16. September 1606 war von hier aus
590
Korporation der Zimmergesellen 1603 aufgekommen, in Danzig 1552,
in Nürnberg 1686. „Der Zimmergesellen in Berlin, Cölln, Friedrichs⸗
Werder und Dorotheen-Stadt Privilegium“ datiert von 1683. Dahin—
gegen erhielten die „Gesellen eines löblichen Handwerks der Zimmerleute“
in der Kaiserlichen Freien Reichsstadt Mühlhausen in Thüringen erst
1747 „Articul und Ordnung von denen hochedlen und hochweisen Räten“.
Inzwischen und auch später sind noch an vielen Orten besondere Kor—
porationen der Zimmergesellen entstanden.
Herzog Wilhelm V., der Fromme, zur Saujagd in den Forst zwischen Straßlach
ind Grünwald ausgezogen. Mitten im Walde wurde der Herzog plötzlich von
einem wütenden Eber angefallen und schwebte in höchster Lebensgefahr. Der in
der Nähe befindliche Oberförster rief mittels seines Jagdhorns Hilfe herbei, die
auch alsbald in Gestalt von vier Zimmerleuten aus der Au, die im Walde Holz
für die damalige Proviantmühle fällten, erschien. Es gelang ihnen alsbald, den
Eber mit ihren Aexten zu erlegen und so den Herzog aus seiner gefährlichen
Lage zu befreien. Einige Tage nach dem Vorfalle ließ der Herzog seine Lebens⸗
retier auf Schloß Neudeck rufen, um durch Ueberreichung eines ansehnlichen
Geldgeschenkes ihnen seinen Dank zu bekunden. Dies wurde aber zu seiner
größten Ueberraschung zurückgewiesen, dagegen aber baten die Männer um die
Erlaubnis zur Gründung eines Vereins der Zimmerleute in der Au. Gern
wurde dies bewilligt, gleichzeitig händigte der Herzog dem Zimmermann Geißreiter
100 bayrische Taler als Zuschuß zur Vereinsgründung aus. Alsbald trat der
Verein mit 83 Mitgliedern ins Leben. Der Gründungstag wurde festlich be—
gangen; der Herzog ließ die Mitglieder auf Schloß Neudeck rufen, wo sie bewirtet
Hurden. Als Vereinslokal wurde der „Neudecker Garten“ gewählt. Fast 100 Jahre
hatte der Verein bestanden, da kam das verhängnisvolle Jahr 1705. Jakob Gelb,
der damalige Vorstand, berief am 24. Dezember 17085 seine Kameraden, und in
einer begeifierten Ansprache wußte er dieselben zur Teilnahme an dem Kampfe
der Oberlander Bauern zu entflammen. Mit Todesverachtung kämpften die
Zimmerleute Schulter an Schulter mit den Bauern, 34 der Getreuen blieben auf
der Wahlstatt, 46 Waisen ließen sie hilflos und verlassen zurück; der Rest der
kämpfenden Zimmerleute, unter ihnen Jakob Gelb, entkam. Der Verein schien
aufgelöst. Im Jahre 1707 konnte Jakob Gelb das Bündniß neu beleben und
am Bennotage zogen die Zimmerleute der Au mit den Waisen ihrer gefallenen
Kameraden zunächst zum Sendlinger Friedhof und dann nach Andechs. Unter
der Mitwirkung und Förderung des P. Anton, Conventual der Paulaner-⸗Mönche,
gedieh der Verein rasch wieder. Durch die später folgenden Ereignisse abermals
zersplittert und zerstreut, trat der Verein im Jahre 1821 unter dem Titel „Kranken⸗
und Sterbekasse der Zimmerleute Au-München“ neuerdings mit 150 Mit—⸗
gliedern ins Leben. Da der „Neudecker Garten“ sich für diese Mitgliederzahl
als zu klein erwies, wurde der „Damenwirt“ als Herberge gewählt, wo der
Verein seitdem weilte und auf 800 Mitglieder anwuchs. Dem Herkommen gemäß
zieht der Verein alle drei Jahre am Bennotage zum Grabe der Oberländer in
Sendling und dann nach Andechs, in neuerer Zeit aber nach Maria Eich. Durch
den Abbruch seines Heims sah sich der Verein gezwungen, sich um ein neues
umzusehen, das er im Gasthaus zum „vVierschäffler“ gefunden hat. Unter Be⸗
teiligung des Veteranenvereins Au-München mit Musik und Fahne wurde der
Umzug in das neue Lokal in festlicher Weise betätigt und dasselbe mit einer
Familienunterhaltung eingeweiht.“ G(mMünchener Zeitung“ 1002.)
61
Wo besondere Gesellenkorporationen nicht ausdrücklich bestätigt
worden sind, ist es doch vielfach so gewesen wie in Lübeck und Wien,
daß nämlich Altgesellen, in Wien „Zöchgesellen“, gewählt wurden, die in
besonderen Angelegenheiten der Gesellen diese zu besonderen Beratungen
versammelten, ebenso wie auch die Meister trotz der gemeinsamen Zunft
ihre besonderen Zusammenkünfte gehabt haben, über welche die Statuten
keine Bestimmungen enthalten. Bei einer geringen Personenzahl, wie sie
meist in Betracht kam, waren Bestimmungen nicht notwendig. Wo aber
auch besondere Gesellenkorporationen bestanden, nach außen bildete jede
Zunft ein geschlossenes Ganzes, sie umfaßte alle Personen, die an einem
Orte das Zimmerhandwerk ausübten. Selbständige Gesellenvereine im
heutigen Sinne haben ebensowenig existiert wie selbständige Meister—
bereine neben Gesellenvereinen. Freilich hat an vielen Orten der Gesellen—
stand in den Zünften gar keinen Einfluß gehabt, weil er eine zu geringe
Personenzahl umfaßte; in Bochum z. B. kam nach einer Statistik aus
dem Jahre 1780 auf acht Zimmermeister ein Geselle.
Wie die Statuten und Rollen der Zünfte überhaupt, so bilden auch
die uns überkommenen Artikel der Gesellenkorporationen Handwerks⸗
ordnungen, die von Behörden schon fertigen Genossenschaften vorgeschrieben
worden sind. Diese Genossenschaften hatten gewiß schon allerwärts lange
Zeit bestanden, feste Formen angenommen und als Richtschnur für das Ver—
halten ihrer Mitglieder Gebräuche und Gewohnheiten ausgebildet, die jeder
Genosse kannte, ohne daß sie jemals niedergeschrieben worden sind. Im
wesentlichen beabsichtigten alle Handwerksordnungen und Gesellenartikel, alte
Gebräuche und Gewohnheiten zu konservieren oder soweit zu beschränken,
wie es jenen Behörden, die diese Handwerksordnungen erlassen haben,
notwendig erschien. Es handelt sich darin mehr um Verbote als um
Gebote. Die Zunftstatuten und Gesellenartikel enthalten daher auch vieles,
wofür wir heute kein rechtes Verständnis mehr haben, und manches darin
wird uns erst verständlich, wenn wir auch die alten Gebräuche und Ge—
wohnheiten erfahren, um die es sich handelt. Genug, die Gesellenartikel
enthalten gewöhnlich lange Strafregister für Vergehen, die längst von
den Strafrichtern geahndet werden oder die als Vergehen nicht mehr
gelten. Dann wird in ausführlicher Breite beschrieben, was ein zureisender
Geselle alles zu beobachten hat, bis er in Arbeit tritt, wie er sich auf
der Herberge und dem Herbergs- oder Krugvater und dessen Familie oder
Gesinde gegenüber und schließlich bei dem Zusprechen um Arbeit dem
Meister gegenüber zu verhalten hat. In ähnlicher Ausführlichkeit werden
die Amtshandlungen vor offener Lade und Büchse beschrieben. Dann
kommen Bestimmungen über Verhalten bei Krankheits- oder Todesfällen.
62
Die ältesten Statuten stellten auch Verpflichtungen einer Kirche gegen—
über fest. Das Amt der Zimmerleute in Berlin unterhielt „das Fenster
in der St. Marien-Kirche“, das Amt der Zimmerleute in Hamburg stand
mit der Jakobi-Kirche in Beziehungen, das Zimmergewerk in Halle a. d. S.
hatte seine Fahnen und Utensilien in der Moritz-Kirche, die Zimmergesellen
in Stade hatten in der St. Wilhadi-Kirche ein Fenster mit ihrem Wappen
zu unterhalten, ebenso unterhielten sie ein Licht in der Kirche. Dafür
hatten sie 25 Sitzplätze, die ihnen bis auf den heutigen Tag noch reserviert
werden. Das Fenster ist in den sechziger Jahren des neunzehnten Jahr—
hunderts nochmals aus den Mitteln der zünftigen Zimmergesellen—
Korporation erneuert worden. In Speyer hat sich das Verhältnis der
Zimmergesellen zu einer der dortigen Kirchen bis 1897 erhalten, wo der
letzte Zug zur Kirche stattgefunden hat.
Neben den eigentlichen Handwerksordnungen und Gesellenartikeln
bestanden auch Nebenstatuten, galten Gerichtserkenntnisse und besondere
Verfügungen der Amtspatrone oder Aufsichtsbehörden. „Neben dem
geschriebenen Recht, obwohl,“ wie Dr. Moritz Meyer berichtet, „man
schon im fünfzehnten Jahrhundert sich beeilt hatte, möglichst das gesamte
Zunftrecht zu fixieren, nahm das Gewohnheitsrecht noch einen unver—
hältnismäßig großen Raum ein.“ Auf Gewohnheitsrecht beruhte vor
allem auch die tatsächliche Verfassung der Zünfte der Zimmerleute; aus
den uns überkommenen Zunftartikeln ist sie nicht klar ersichtlich, einen
tieferen Einblick in dieser Beziehung gewähren erst die Protokolle der
Zimmergesellen in Hamburg von 1810 bis 1834.
Die Korporation der Zimmergesellen in Hamburg war, wie ander⸗
wärts auch, keine selbständige Gesellenzunft, sondern nur eine besondere
Abteilung des Amtes der Zimmerleute, und sie war von der Korporation
der Zimmermeister abhängig. Diese bestimmten aus ihren Reihen immer
zwei Ladenmeister, welche die Zusammenkünfte der Gesellen, ihre Lade
und ihr Kassenwesen beaufsichtigten und Obacht gaben, daß über die
althergebrachten Gewohnheiten nicht hinausgegangen wurde. In solchen
Fällen erhoben sie Einspruch. Die Ladenmeister vermittelten auch den
Verkehr zwischen der Meisterkorporation und der Gesellenkorporation; von
einer direkten Vertretung der Gesellen im Meisterrate ist nirgend die
Rede. Nur wenn Gesellen „einheimisch“ wurden, was in einer Ver—
sammlung der Meister zu geschehen hatte, wurden die Altgesellen zugelassen,
um die Papiere der in Betracht kommenden Person zu prüfen.
Das Amt der Zimmerleute unterstand in seiner Gesamtheit einem
„Amtspatron“, das war eine Persönlichkeit aus dem Stadtrate. Diesem
Amtspatron unterstand die Gesellenkorporation jedoch nicht erst durch die
83
Vermittlung der Meister, sondern sie unterstand ihm direkt; den Verkehr
mit ihm besorgten die Altgesellen, die sich ihm nach ihrer Wahl vor—⸗
zustellen hatten. Er entschied etwaige Differenzen zwischen den Korpo—
sationen der Meister und Gesellen und auch solche zwischen dem Amte der
Zimmerleute und einem andern Amte. Wo er eine Entscheidung nicht
finden konnte, verwies er die Sache vor die ordentlichen Gerichte.
Die Korporation der Zimmergesellen bestand aus einheimischen und
aus fremden Zimmergesellen. Einheimisch wurde niemand schon durch
die Geburt und ebensowenig dadurch, daß er vielleicht in Hamburg das
Zimmerhandwerk erlernte. Das Recht der Einheimischen wurde durch
Amtshandlungen erworben und von der Korporation der Meister in jedem
Einzelfalle vergeben. Es wurden auswärts geborene und als Zimmer—
gesellen nach Hamburg gekommene Fremde ebenso gut einheimisch wie in
Hamburg geborene und hier gelernte Zimmergesellen „Fremde“ wurden.
Hatte ein Lehrling seine Zeit überstanden, dann wurde er zunächst unter
die Fremden geschrieben. Er konnte bei seinem Lehrmeister noch bis zu
einem halben Jahre beschäftigt werden, mußte dann aber in die Fremde
gehen. Waren seine drei Wanderjahre verflossen, dann kam er nicht etwa
als Hamburger Einheimischer, sondern immer nur als Fremder zurück.
Hielt er jene drei Wanderjahre nicht aus, dann konnte er ebensowenig
einheimisch werden wie ein Fremder, der nach Verlassen der Stadt, in der
er das Zimmerhandwerk erlernt hatte, keine drei Jahre gewandert war,
bevor er nach Hamburg kam. Der Geselle mußte, wenn er einheimisch
werden wollte, eine bestimmte Anzahl Kundschaften aus fremden Städten
aufweisen, also schriftliche Ausweise, daß er in jenen Städten gearbeitet
und die in jeder Stadt besonders vorgeschriebene Zeit in Arbeit aus—
gehalten hatte.“ In andern Fällen bekam er keine Kundschaft. Es gab
also fremde „einheimische“ Zimmergesellen in Hamburg und auch Ham—
burger „fremde“ Zimmergesellen. Auch die Verheiratung spielte keine
Rolle. Es exristierten unverheiratete Einheimische und auch verheiratete
Fremde. In Betracht kamen die Eheverhältnisse nur bei der Besetzung
der Altgesellenposten. Die Zimmergesellenschaft in Hamburg hatte immer
vier Altgesellen zu gleicher Zeit; sie bildeten das „Tischgesäß“. Darunter
befand sich allemal ein einheimischer verheirateter und ein einheimischer
unverheirateter, ein fremder verheirateter und ein fremder unverheirateter
Altgeselle. Die Wahl erfolgte immer auf ein Jahr, alle Halbjahr schieden
die zwei Aeltesten aus; sie konnten jedoch wiedergewählt werden. Der
Aelteste im Amte führte den Vorsitz.
* Einige Kundschaften drucken wir am Schlusse dieses Bandes ab.
34
Wer die Vorbedingungen zum Einheimischwerden erfüllt hatte, war
ein Supplikant geworden; er hatte dann das Recht, das Einheimisch⸗
werden zu erbitten. Um einheimisch zu werden, mußte er sich bei den
Aelterleuten, den Vorstehern der Meisterkorporation, melden; bei dem
nächsten Quartal wurde die Amtshandlung dann vollzogen. Die Meister⸗
versammlung hatte darüber zu befinden, ob und wie viel Gesellen zum
Einheimischwerden zugelassen werden sollten. Die Altgesellen kamen nur,
um die Papiere der Supplikanten zu prüfen. Wurde einem Supplikanten
das Einheimischwerden gestattet, dann mußte er eine Abfindungssumme
in die Meisterlade zahlen.
Durch das Einheimischwerden erwarb der Zimmergeselle ein be⸗
deutendes Recht. Er konnte nun kleinere Arbeiten selbständig über—
nehmen, und es war ihm die Arbeit geradezu garantiert. In Hamburg
mußte jeder Meister mindestens erst drei einheimische Zimmergesellen
beschäftigen, bevor er einen fremden Zimmergesellen in Arbeit nehmen
konnte. Wurde die Zahl der einheimischen Zimmergesellen zu groß, dann
ließ man eine Zeit lang keine zu. 1821 bestand die Zimmergesellenschaft
in Hamburg aus 340 Zimmergesellen; darunter waren 220 Supplikanten
und unter diesen 198 Einheimische. Die Größe des Vorrechtes der
letzteren dürfte somit einleuchten.
Aehnlich wie in Hamburg waren die Zunftverfassungen anderwärts
auch. Besonders das große Vorrecht der „Einheimischen“ ist auch in
jüngeren Statuten zuweilen noch erkennbar. So berichtet Schanz aus
Nürnberg, „daß die Meister keinem fremden Gesellen über acht Tage
Arbeit geben und stets den Einheimischen dem Fremden vorziehen sollten“.
In dieser Fassung erscheint uns die Darstellung freilich übertrieben; indessen
kommt es hier nur auf die Tatsache an, daß ein Vorrecht der „Ein—
heimischen“ bestand. Nach dem Privilegium für Havelberg von 1668
follte „kein Meister einen frembden Gesellen auf die Arbeit fordern, so
ferne in der Innunge welche zu bekommen sein, So aber keiner vorhanden
oder nicht arbeithen wolte, soll er macht haben, frembde Gesellen zu
fordern“. In dem Amts- und Gildebriefe der Zimmerleute in Lauen—
burg a. d. E. wird das Vorrecht der einwohnenden, seßhaften, tüchtigen
und einheimischen Gesellen im Artikel 43 so umschrieben: „Ein jeder
Amts Meister soll schuldig seyn, die einwohnende saßhafte tüchtige Gesellen
oder andern in Arbeit zu nehmen, und also so soweit denen Fremden
vorzuziehen, weil jene Onera publioa (öffentliche Lasten) tragen, und außer—
halb nicht füglich Arbeit suchen können. Sollte dagegen mit Wahrheit von
einem einheimischen tüchtigen Gesellen geklaget werden, muß der Meister
einen Thlr. Strafe erlegen; Hingegen soll auch ein solcher Geselle,
65
außerhalb denen ordentlichen Quartalen von seinem Meister nicht abgehen,
auch keine Sauf- und freye Montage feiern, bei der gesetzten Strafe.“ Von
dem Vorrechte der „Einheimischen“ in Altona handelt eine Urkunde, die
wir in den Anlagen abdrucken.“ Und aus vier Artikeln des Privilegiums
der Zimmergesellen in Berlin von 1688 in der Reihenfolge 41, 42, 18
und 19 schaut die Zunftverfassung, wie sie in Hamburg bestand, keck
hervor. Diese Artikel lauten:
„Wenn ein Lehr Junge losgesprochen wirdt, So soll er in der
Gesellen Lahde Einen Thaler zuerlegen schuldig seyn, und denn sein
einschreibegeldt alss wie ein frömder Zimmergeselle Zuthun schuldig
ist, geben.
„Es soll der ausgelernete Lehr Junge, der zum Gesellen gemacht ist,
nich länger alss ein halb Jahr bei seinem Lehrmeister aufs höchste
Arbeiten, alssdann nach diesen sich auf der Wanderschafft begeben, aufs
wenigste Zwey Jahr; Kömbt Er aber zwischen der Zeit wieder, so gilt
seine Wanderschafft vor nichts, sondern er ist nicht besser alss ein
ungewanderter Zuachten, bleibet aber einer hier und wandert nicht, so
soll Er vor das Erste Jahr Drey Thaler und für das andere Jahr Zwey
Thaler geben, in die Gesellen Lahde.
„Müssen Vier Haubt Quartal, also Ostern, Johann, Michaelis und
Weihnachten gehalten werden, aber auf keinen Sonn- oder Festtagen,
sondern Acht tage vor das Quartal soll der Altgeselle dem Alt⸗Meister
fragen, an welchen tage die Zusammenkunfft soll gehalten werden.
„In den Oster Quartalen, sollen von der gantzen Gesellschafften Vier
Alt- und Acht Jung-Gesellen, alss Zween Einheimische und Zwey Fremde
zu Alt-Gesellen, und Vier Einheimische und Vier Frembde zu Jung-Gesellen
gewehlet werden, wer sich aber weigert solches anzunehmen, soll Ein Thaler
in der Gesellen Lahde verfallen sein.“
Der ursprüngliche Begriff des „Einheimischwerdens“, der sich als
Gewohnheitsrecht lange erhalten hat, so daß er in Hamburg noch im
19. Jahrhundert gebräuchlich war, ist in den bisher aufgefundenen Statuten
und Gesellenartikeln entweder gar nicht enthalten oder stark verwischt; er
dürfte früher aber allerwärts gegolten haben. Seine Entwicklung macht
gewissermaßen die Entwicklungsgeschichte der Zünfte aus. Maßgebend
waren nicht so sehr berufliche Umstände, sondern die Entwicklung der
Städteverfassungen. So lange die alte Stadtmarkverfassung die Regel
bildete, war jeder, der sich in einer Stadt aufhielt, ohne Bürger oder
Beisasse zu sein, ein Fremder, der jederzeit aus der Stadt gewiesen werden
* „Extractus protocolli praesidialis Altonensis“ von 1742, Seite 871.
Bringmann, Geschichte der Zimmerer.
66
konnte. Der Erwerb des Bürgerrechts war für arme Leute ganz unmöglich,
denn es gehörte dazu, daß sich der Einwerbende in der Stadtmark ansässig
machte und in der Stadtmark seinen eignen Rauch hatte. Bis tief in das
16. Jahrhundert hinein war das Bürgerrecht an Grundbesitz geknüpft.
Dann ging es erst auf die Person über. Heimatberechtigte Gemeinde⸗
mitglieder, die nicht Bürger waren, sind erst im. 17. Jahrhundert auf—
gekommen. Zu beliebigem Aufenthalt berechtigte Ortsfremde sind aber erst
eine Errungenschaft des 19. Jahrhunderts. Erst die Reichsverfassung hat
diesen Zustand verallgemeinert. In Breslau wurden die einheimischen und
verheirateten Zimmergesellen z. B. im Jahre 1589 mit der Ausweisung
bedroht, wie eine weiterhin abgedruckte Urkunde“* zeigt; sie waren damals
gewiß noch nicht heimatberechtigt.
Während der alten Stadtmarkverfassung besaß der Bürger auch
ein Schutzrecht, er konnte Hintersassen und Gesinde halten; auch die Bei—
sassen und Hintersassen hielten ihrerseits Gesinde. Alle Personen dieser
gesellschaftlichen Unterabteilungen waren in gewissem Sinne so lange
Gemeindemitglieder, als sie unter dem Schutze eines Bürgers oder eines
Bei- oder Hintersassen der Markgenossenschaft standen. Aus dieser Zeit
stammt die Verfassung der Zünfte der Zimmerleute. Sie stellt sich dar als
das Kompromiß einer entwickelten Fremdenorganisation mit den eingesessenen
Meistern. Dem merkwürdigen Rechte der „Einheimischen“ liegt der echt
solidarische Gedanke zugrunde, daß die Besten der Fremden einen Ruhe⸗
punkt finden sollten, um ein Familienleben begründen zu können. Als das
Bürgerrecht von dem Besitz auf die Person überging, kam das Schutzrecht in
Verfall. Nun wurde von demjenigen, der die beruflichen Vorbedingungen
zum Einheimischwerden erfüllt hatte, noch verlangt, selbst Bürger zu werden.
Damit bekam die ganze Zunftverfassung eine andre Bedeutung. Die
Vorbedingungen zum Erwerb des Bürgerrechts waren je nach der Heimat
des Einwerbenden verschieden. Mit dem Aufkommen der heimatberech⸗
tigten Nichtbürger bekam die Zunftverfassung wiederum einen empfind⸗
lichen Stoß: die Wanderschaft geriet in Verfall. Zwar wurde er durch
den Wanderzwang aufgehalten; aber wenn der Heimatberechtigte seine
gesetzliche Wanderzeit überstanden und zum Rechte der Einheimischen nicht
zugelassen wurde, hatte er vor dem Ortsfremden, der die beruflichen
Vorbedingungen zum Einheimischwerden erfüllte, doch einen unverkennbaren
Vorteil. Der Ortsfremde konnte sich nach Handwerksbrauch nur eine gewisse
Zeit am Orte aufhalten, der Heimatberechtigte konnte aber zur Weiterreise
nicht gezwungen werden. Diese komplizierten Rechtsverhältnisse bildeten
* Seite 86.
67
gegen das Ende der Zunftzeit die Regel; das Recht der „Einheimischen“
war schließlich doch fast nur noch ein Recht der Heimatberechtigten.
Genug, die Verfassung der Zünfte der Zimmerleute hatte die
Wanderschaft als einen in den Verhältnissen begründeten ausgeprägten
Handwerksgebrauch zur Voraussetzung. Die Annahme, als sei die
Wanderschaft erst durch das Wandergebot in Fluß gekommen und durch
den Wanderzwang allgemein geworden, trifft nicht zu. Der Wanderzwang
setzt allerwärts dort ein, wo das Wandern aufzuhören droht, eine selbst—
verständliche Regel zu bilden. In Breslau beschwerte sich die Zeche der
Zimmerleute bei dem Rat der Stadt, „daß die Lehrjungen, wenn sie das
Handwerk nach Inhalt der Zechenordnung gelernt haben, sich alsbald in
den Ehestand begeben und bei keinem Meister allhier länger in Arbeit
stehen, noch an anderen Orten, wo sie etwas mehereres sehen, lernen
und erfahren möchten, sich versuchen wollten“. Daraufhin verordnet der
Rat 1576, „daß kein Lehrjunge nach seinen überstandenen Lehrjahren
hinfort zur Ehe zu greifen und zu schreiten befugt sein soll, er habe
dann zuvor bei den Meistern allhier ein Jahr lang gearbeitet oder dem
Handwerk nach gewandert und sich an anderen Orten versucht“. In der
Zechenordnung von 1660 erhielten die Lehr- und Wanderbestimmungen
diese Fassung: „Wenn ein Junge, der das Zimmerhandwerk lernen will,
sich vier Wochen darauf versucht hat und aufgenommen werden soll, so
muß solches im offenen Quartal unter Vorlegung seines Geburtsbriefes
(ohne den es garnicht statthaft ist) geschehen und soll er versprechen, zwei
Jahre lang hintereinander treu und fleißig zu lernen, auch deswegen
zwei Bürgen für ein gewisses Geld setzen, welche im Handwerk angeloben,
wenn der Junge diese Zeit nicht ehrlich aushielte, dasselbe bar in die Zech—
lade zu zahlen. Dieses ist deshalb sorgfältig in die Zechbücher einzutragen.
Wenn er hiernach seine Jahre richtig ausgehalten hat, sowird er auch billig
zum Quartal wieder von der Lehre los- und freigesprochen werden.
„Es lehrt die Erfahrung, daß öfters solche Burschen nach Erlangung
des Handwerks sich in den Ehestand begeben und hernach mehr der
Störerei als dem Handwerk nachgehen. Deshalb wird ihnen solches ver—
boten, also, daß sie vor der Heirath entweder ein Jahr einem ehrlichen
Meister arbeiten oder zwei Jahre wandern sollen.“
Im übrigen ist nicht zu verkennen, daß die Wandervorschriften
an sich der Zunftverfassung ihre ursprüngliche Bedeutung genommen oder
sie zur Absurdität getrieben haben. In Lübeck verordnete der Rat
Anfang des 17. Jahrhunderts die Wanderschaft der Zimmerleute. Der
Wanderzwang in Preußen, wie er in dem Statut der Zimmergesellen in
Berlin zum Ausdruck kommt, ist bezeichnend. Daß sich jemand mit fünf
—X
Talern von der Wanderschaft befreien konnte, bedeutet den Sturz der
ursprünglichen Zunftverfassung. Für das Königreich Sachsen wurde die
Wanderpflicht gesetzlich auf drei Jahre bestimmt. Es genügte aber, daß
ein Geselle während dieses Zeitraumes nur an einem andern als dem
Orte, wo er in der Lehre gestanden, gearbeitet hatte. Er brauchte weiter
nicht auf Reisen gewesen zu sein. Auch dieses bedeutet den Sturz der
einstmaligen Zunftverfassung. Dagegen erließ die Fürstlich Oetting- und
Detting-⸗Spiegelbergische Regierung noch am 29. Mai 1785 eine Wander—
ordnung für die Handwerker in ihrem Lande. Danach mußten die Zimmer—
leute sechs Jahre wandern und in einer Reihe von bedeutenden Orten
gearbeitet haben, bevor sie zurückkommen und sich im Lande niederlassen
durften. Eine solche Bestimmung mußte dahin führen, daß in solchen
Ländern nur Zimmerleute seßhaft werden konnten, die jeden körperlichen
Saft und alle körperliche Kraft verloren hatten und körperlich und vielleicht
auch moralisch geknickte Menschen waren. So einfach war es nicht, in einer
gewissen Reihe von Jahren auch in einer bestimmten Anzahl bedeutender
Orte, wie Wien, München, Hamburg, Riga usw., Arbeit erhalten und die
in jedem Orte verschiedenen Bedingungen erfüllen zu können, mangels dessen
die Kundschaft nicht ausgehändigt wurde. In Bayern ist die Wanderschaft
durch die Polizeiordnung von 1616 und durch Mandat von 1669 als
Bedingung zur Meisteraufnahme vorgeschrieben worden. Nichtsdestoweniger
dauerte es in den einzelnen Städten noch einige Zeit, bis jene landesherr⸗
lichen Verfügungen zum Vollzug kamen. In München 3. B. geschah dies
erst im Jahre 1661. Auch in Frankfurt a. M. scheint das Wandern erst im
17. Jahrhundert vorgeschrieben worden zu sein. Für das ganze Deutsche
Reich wurde aber die Notwendigkeit der Wanderschaft erst durch den Reichs—
schluß von 1731 vorgeschrieben, worauf sodann in den meisten Territorien
landesherrliche Verordnungen über das Wandern nachfolgten.
Die einzelnen Landesregierungen kamen von der Praxis des Wander⸗
zwanges aber wieder zurück. Die in den Anlagen abgedruckte preußische
„Bekanntmachung in Betreff des Wanderns der Gewerbe-Gehilfen“ von
1833* beschränkt die Wanderschaft ganz erheblich und verbietet sie sogar
für weite Kreise. Dazu kamen die Erschwerungen für die Wanderburschen
auf Grund der Bundestagsbeschlüsse von 1840, wie sie aus dem in den
Anlagen abgedruckten Wanderbuche ersichtlich sind., Die Wanderburschen
standen seitdem unter einer schikanösen Kontrolle der niederen Polizeiorgane.
„Man suchte den Widerwärtigkeiten, welche in den Paßscherereien, z. B.
c
* Seite 284
Seite 287.
69
Visieren usw., bestanden, immer noch eine humoristische Seite abzugewinnen,“
schreibt zwar ein Zimmergeselle, der in den vierziger Jahren gereist ist, allein
die Einführung der Freizügigkeit ist selbst für jene eine große Erleichterung
gewesen, die an dem Zunftwesen festzuhalten bestrebt waren. Mit der Auf⸗
hebung des Wanderzwanges verlor die Zunftverfassung jedoch jeden Halt.
Jede Zunft und jede Gesellenkorporation besaß auch ihre eigne
Gerichtsbarkeit. Ursprünglich hat diese gewiß die Bedeutung gehabt,
Maßregeln zur Aufrechterhaltung der Disziplin und der Achtung vor den
selbstgefaßten Beschlüssen zu treffen. Ohne solche Gerichtsbarkeit ist, wie
Maurer und Schanz meinen, keine Genossenschaft nach germanischen Ideen
denkbar; gewiß auch nach den Ideen andrer Völkerstämme nicht! Sie
ist um so notwendiger und um so lebhafter in Uebung, je weniger eine
Genossenschaft über die Kunstfertigkeit verfügt, schnell feste Regeln aus—
zubilden und niederzuschreiben, nach welchen sich jeder zu richten hat,
wenn er die Mitgliedschaft bei der Genossenschaft nicht verlieren will.
Diese Gerichtsbarkeit hat ihre Bedeutung in dem Maße verloren, wie die
Handwerksordnungen detaillierter geworden sind. Zuletzt hatten die Zünfte
bezw. Gesellenkorporationen nur noch darüber zu wachen, daß jeder den
Bestimmungen der Handwerksordnung nachkam, und sie hatten denjenigen,
der sich dagegen verging, nach Maßgabe derselben Handwerksordnung ab⸗
zuurteilen und zu bestrafen. Allein auch diese beschränkte Gerichtsbarkeit
unterstand der Nachprüfung der öffentlichen Behörden, welche die ver—
hängten Strafen mildern und nach Gutdünken ganz aufheben konnten.
Zu welchen Absurditäten diese Gerichtsbarkeit schließlich geführt
hat, lassen einige Urkunden aus dem Anfange des 19. Jahrhunderts
erkennen, die wir in den Anlagen abdrucken. Die Zimmergilde zu Wals⸗
rode hatte sich im Jahre 1808 vom Amt Rethem die Erlaubnis erwirkt,
„ein ordnungsmäßiges Jagen nach unzünftigen Arbeiten“ zu veranstalten.
Man hatte dabei einen Zimmergesellen aufgetrieben, der den Treibern
bekannt war, weil er bei der Zimmergilde zu Walsrode gearbeitet und
ohne Kundschaft aufgehört hatte. Ihm wurde das Handwerkszeug fort⸗
genommen. Kurz darauf wurde wieder gejagt. Der betreffende Zimmer⸗
geselle, der nun noch mit einem Pfuscher an derselben Arbeit schaffte,
wurde wieder aufgetrieben und dabei verhauen. Er klagte beim Amt
Rethem und erhielt Recht. Die Auseinandersetzungen dauerten dann noch
mehr als zwei Jahre. Sie zogen sich aber nicht nur in die Länge,
sondern auch in die Breite, weil der Zimmergeselle hatte glaubhaft machen
können, daß er unter einem Schutzmeister gestanden, der zu einem andern
Amte gehörte. Die Hauszimmergesellen zu Altona hatten im Jahre 1797
einen Mitgesellen „aus dem Gesellenverzeichnis ausgestrichen und ihn aus
70
ihren Versammlungen ausgewiesen“. Dieser klagte beim Magistrats⸗
—D „sofort und bei Vermeidung zehn
Reichstaler Strafe in das Gesellenbuch wieder einzuschreiben, ihn bei
ihren Zusammenkünften zuzulassen, auch demselben die Arbeit und sein
Verdienst nicht zu stören“. Als das nicht fruchtete, wurde die Strafe
durch Dekret auf 20 Reichstaler erhöht. Als sich die Zimmergesellen
trotzdem widersetzten, wurde ihnen angedroht, „daß unter Vorbehalt der
erkannten Brüche (Strafe) ihre Lade versiegelt und so lange in sichere
Verwahrung gebracht werden soll, bis sie dem Dekret gebührende Folge
geleistet“. Nunmehr fügte man sich und reichte zum Erlaß der Strafe
ein Gnadengesuch ein, dem stattgegeben wurde. Im Jahre 1801 wurde
wieder einer aus dem Gesellenverzeichnis gestrichen. Die Gesellenschaft
wurde wiederum verurteilt, die Streichung rückgängig zu machen. Sie
legte dagegen Berufung bei dem Oberappellationsgericht ein, wurde aber
auch hier abgewiesen. Die Rechtfertigungsschrift des aus dem Gesellen—
verzeichnis Gestrichenen ist in den Anlagen abgedruckt. Sie zeigt drastisch,
daß die alte „Ehrbarkeit“, „Handwerksgebrauch und Gewohnheit“ sich
überlebt hatten, obgleich sie noch immer Vertreter fanden. Schließlich
wollte niemand mehr den Posten als Altgeselle annehmen, so daß auf
die Ablehnung Strafen gesetzt wurden. Die letzten Reste der ursprüng—
— D
fremden Zimmergesellen, auf die wir weiterhin zu sprechen kommen.
Eine der wichtigsten Aufgaben der Zünfte bestand darin, ihre An—
gehörigen in Krankheitsfällen zu unterstützen und im Todesfalle anständig
zu begraben. In der Erledigung dieser Aufgaben hat sich die größte
Mannigfaltigkeit und Verschiedenheit herausgebildet. Bei manchen Zünften
ist zuerst nur diese Aufgabe zu erkennen, bei andern kam sie erst später
zu den übrigen Aufgaben hinzu. Oft handelt es sich um gemeinsame
Unterstützungskassen der Meister und Gesellen, obgleich die letzteren in
den Zünften nichts zu sagen hatten, und dann existierten wieder, trotz der
gemeinsamen Zunft, besondere Kranken- und Totenladen der Gesellen.
In größeren Städten, wo besondere Gesellenkorporationen in den Zünften
bestanden, bildeten diese für sich auch das Unterstützungswesen aus.
Diese Unterstützungseinrichtungen haben schließlich die Handwerker—
politik der Landesregierungen gehindert, die Gesellenorganisationen ganz
zu unterdrücken. In Sachsen war man seit dem sechzehnten Jahrhundert
gegen die Selbständigkeit der Gesellenkorporationen scharf vorgegangen,
die Unterstützungseinrichtungen derselben unterdrückte man aber nicht. Nach
dem „Mandat, die General-Innungs-Articul für Künstler, Professionisten und
Handwerker betreffend, vom 8. Januar 1780“ war den Dienern und Gesellen
7.
„bey Innungen, wo dergleichen bisher üblich gewesen“, gestattet, sich alle vier
Wochen auf der Herberge zu versammeln; natürlich „sollen jedesmal zwey
von der Innung aus ihrem Mittel dazu geordnete Beisitzer (zwei Meister)
beywohnen, und, daß alles ordentlich zugehe und denen Gesetzen in keinem
Stück zuwider gehandelt werde, bey Vermeidung eigener Verantwortlichkeit,
Obsicht tragen. . . . Bei sothanen monatlichen Zusammenkünften giebt
jeder in Arbeit stehende Diener oder Geselle das sogenannte Auflegegeld,
wie solches in denen besonderen Articuln seiner Kunst, Profeßion oder
Handwerks bestimmt ist. . . . Sothanes Geld ist zur Unterhaltung der
Herberge, Verpflegung armer und kranker Gesellen, und zum Reisepfennig
derer, wegen ermangelnder Arbeit weiter wandernden Diener oder Ge—
sellen lediglich, keineswegs aber zu Schmausereien anzuwenden. Wie
dahero der Altgeselle solches in Empfang zu nehmen, richtige von denen
Beisitzern aus denen Innnngen attestierte Rechnung darüber zu führen,
und solche alle Quartale, vor versammelter Innung, denen Aeltesten, in
Gegenwart derer Diener oder Gesellen, abzulegen hat: Also darf er auch,
ohne Einwilligung derer Beysitzer aus der Innung, aus der Büchse,
darinnen solches Geld unter doppelten Schlössern verwahret wird, und
worzu gedachter Beysitzer den einen Schlüssel, der Altgeselle aber den
anderen, führen sollen, etwas zu nehmen sich nicht ermächtigen, auch soll
die Büchse selbst auf der Herberge nicht gelassen, sondern, nach beendigter
jedesmaligen Zusammenkunft, dem Aeltesten zur Verwahrung zugestellt
werden. . . . Die Gesellenbrüderschaften, Brüderschaftssiegel, schwarze
Tafel, das Schimpfen, Auftreiben, und alle anderen Gesellenmißbräuche
werden hierdurch nochmals aufgehoben, und ernstlich, bey ohnnachbleiblicher
harter Strafe, verboten. Die Diener und Gesellen sollen sich alles Brief⸗
wechsels mit anderen Innungen und Handwerken sowohl, als die Abschickung
an dieselben, schlechterdings enthalten, vielmehr dasjenige, was sie anzubringen
haben, der Obrigkeit ihres Orts gebührend anzeigen. Liefen an die Diener
oder Gesellen in corpore gerichtete Schreiben ein, so müssen die Altgesellen
solche sofort unerbrochen denen Innungsältesten, diese aber der Obrigkeit
übergeben, und von letzterer weiteren ohnentgeldlichen Bescheid erwarten.“
Im Jahre 1810 wurden diese minimalen Rechte der Gesellen—
korporationen in Sachsen noch mehr eingeengt. Durch ein Mandat vom
7. Dezember genannten Jahres wurden den Dienern und Gesellen die
„zum Auflegen der Diener- und Gesellengelder zu gewissen Zeiten not—
wendig zu halten gewesenen Versammlungen .. .. wieder aufgehoben“.
Nun wuͤrden die üblichen Beiträge zu Unterstützungszwecken durch „den
Herren oder Meister“ vom Lohn abgezogen und der Innungskasse, die
von Meistern verwaltet wurde, zugeführt. Nur bei der Rechnungsabnahme
72
„zu Entfernung alles von den Diener oder Gesellen etwa zu hegenden
Mißtrauens“ sollten einige derselben, „und zwar nach dem Verhältnisse
der Anzahl, die sie bei einer Zunft ausmachen, zwei, vier bis höchstens
sechs, die sich durch gute Ausführung ausgezeichnet haben, und von der
Obrigkeit zu wählen sind, zugezogen werden“.
Jene Einrichtungen in den Zünften, durch welche die Gesellen—
korporationen unmittelbaren Einfluß auf das Zimmergewerbe geübt und
welche die Hauptsache gebildet hatten, wurden meist allerwärts brutal
unterdrückt. Und als das Notgewerbegesetz vom 8. Juli 1868 für alle
Staaten des Norddeutschen Bundes erschien, da schritten an manchen
Orten die Zimmergesellen selbst zu der Aufhebung der zünftigen Ein—
richtungen. Unter anderm richteten die Zimmergesellen in Schwerin
durch ihre Altgesellen und Ladenschreiber nachstehenden Vortrag an das
Ministerium des Innern:
„Durch das für alle Staaten des Norddeutschen Bundes rechts—
verbindliche Notgewerbegesetz, wie solches unterm 8. Juli v. J. durch
das Bundesgesetzblatt publiziert ward, sind auch diejenigen Verhältnisse,
in welchen die Zimmergesellen Mecklenburgs bisher zu den den Aemtern
erteilten Amtsrollen gestanden haben, wesentlich andre geworden, indem
zur Uebernahme und Ausführung einer jeglichen Zimmerarbeit weder ein
Befähigungsnachweis mehr erforderlich ift, noch in der Anfertigung aller
und jeder Zimmerarbeit ohne auf Lehrlingszeit, Gesellen und Wander—
jahre Rücksicht zu nehmen, irgendeine Beschränkung stattfindet, vielmehr
die freieste Konkurrenz ohne jegliche Schranken gestattet ist, da sogar ein
jeder Gewerbetreibende Zimmerarbeit übernehmen und ausführen kann,
dazu in der Wahl und Zahl der Arbeiter die freieste Verfügung hat, ja
selbst Lehrlinge in beliebiger Zahl halten darf.
„Nach reiflicher Erwägung aller dieser bereits eingetretenen Um—
gestaltungen, wie der notwendig sich daraus ergebenden weiteren Folgen,
sowie in Berücksichtigung, daß die Amtsrollen in allen ihren die Gesellen—
verhältnisse betreffenden Paragraphen den Zimmergesellen nur Pflichten
und die größten Beschränkungen in der Verbesserung ihrer sozialen Lage
auferlegen, ihnen aber gar keine Rechte und Vorteile fortan mehr ver—
leihen noch künftig verleihen können, haben die Zimmergesellen Schwerins
in pflichtmäßiger Berücksichtigung ihrer materiellen Lage und sozialen
Interessen beschlossen und die unterzeichneten Altgesellen und Laden⸗
schreiber bevollmächtigt, im Namen der hiesigen Zimmergesellenschaft an
das Ministerium die Erklärung abzugeben:
„Daß sie die in der Zimmeramtsrolle für den Schweriner Zunft—
bezirk enthaltenen einzelnen Bestimmungen, Vorschriften und Gesetzes⸗
73
paragraphen, insoweit sie das gesamte Gesellenverhältnis sowohl zum
Amtspatron, Amtsvorstande, zu den Meistern, wie ihre speziellen Ver—
pflegungs- und sonstigen Kassenverhältnisse, ihre Arbeitszeit und Lohn—
preise ꝛc. ꝛc. betreffen, fortan nicht mehr als für sie rechtsverbindlich und
für sie normierend anerkennen können und wollen sich also von demselben
lossagen und hierbei die Erklärung hinzufügen, daß sie in Gemäßheit
des Bundesgesetzes vom 8. Juli v. J. sich fortan als freie Arbeiter und
Gewerbetreibende betrachten und als solche nunmehr ihren Lohn wie ihre
übrigen Verhältnisse zu den Arbeitgebern nach ihrem freiesten Ermessen
regeln wollen, wie sie denn auch ihre gesamten Kassen künftig ohne
Konkurrenz des Amtspatrons, Amtsvorstandes oder der Ladenmeister ver⸗
walten werden.“
Eine in diesem Sinne gehaltene Petition wurde von den Maurer—
und Zimmergesellen Schwerins auch an den Reichstag des Norddeutschen
Bundes gerichtet. Derselben war eine Denkschrift des Hofbaurats
Demmler beigefügt über die Bedeutung der landesherrlichen Zunftrollen
Mecklenburgs und ihren Wert für den Gesellenstand aller Zünfte, ins—
besondere für den der Maurer und Zimmergesellen.
Die Krankenkassen wurden die Mittelpunkte der Gesellenorganisation.
An vielen Orten wurden die bis dahin für Meister und Gesellen gemein—
samen Zünfte auch in regelrechte Krankenkassen umgewandelt, die denn
ganz naturgemäß in die Hände der Gesellen kamen, weil die Meister für
ihre eignen Personen Krankenkassen nicht nötig zu haben wähnten. In
diesen Krankenkassen wurden zunächst auch die Zunftgebräuche weiter
gepflegt. Man verband damit eine „Zechkasse“. Hier hinein flossen die
Abfindungsgelder der Junggesellen, und wo die Disziplin noch nicht ge—
lockert war, so daß die Gesellen etwaige Händel unter sich „vor offener
Lade und Büchse“ ausglichen, flossen auch die Bußen hinein. Aus diesen
Kassen wurden dann die Unkosten für Quartalsfeiern und ähnliche Veran—
staltungen bestritten. Mit der Bezeichnung „Zeche“ verband sich mit der
Zeit also ein ganz andrer Begriff als ursprünglich. Die Zunftgebräuche
hatten ihre einstmalige Bedeutung und allen praktischen Sinn verloren.
Soweit sich die erwähnten Krankenkassen lebensfähig erwiesen, hat sie
das Gesetz, betreffend die Krankenversicherung der Arbeiter vom
15. Juni 1883, in Ortskrankenkassen verwandelt. Die Ortskrankenkassen
sind auf einer Grundlage aufgebaut, die es ausschließt, daß die Kranken—
kassen auch fernerhin den Mittelpunkt der Gesellenorganisation bilden
konnten. Die Art der Beitragsleistung und Verwaltung der alten
Gewerkskrankenkassen brachte die Berufsgenossen von Zeit zu Zeit,
meistens monatlich einmal, zu den „Auflagen“ und vierteljährlich oder
74
doch alljährlich einmal zu den „Quartalen“ zusammen. In den Orts⸗
krankenkassen ist es anders; die Beitragsleistung und die Verwaltung sind
so geregelt, daß nur äußerst wenige Zusammenkünfte notwendig sind und
in diesen Zusammenkünften haben auch die Meister Sitz und Stimme.
An vielen Orten haben sich daher, als die Gewerkskrankenkassen Orts⸗
kassen geworden waren, daneben besondere Vereine von Zimmergesellen
gebildet, die bezweckten, die alten Zunftgebräuche weiter zu pflegen und
die sich zum Teil auch eine weitere Grundlage gegeben haben, so daß
sie die Interessenvertretung der Zimmergesellen des Ortes bilden sollten
in der Gestalt von lokalen Fachvereinen. Um diese Zeit war die Idee
der modernen Gewerkschaftsbewegung jedoch schon soweit populär, daß
an vielen Orten die Zimmergesellen ihre Interessenvertretung nicht mehr
auf lokaler Grundlage organisierten, sondern sich in dem Verbande
deutscher Zimmerleute mit ihren Berufsgenossen an andern Orten
vereinigten.
Die Geschichte der Fachvereine und des Verbandes deutscher Zimmer⸗
leute kommt im zweiten und dritten Bande ausführlich zur Darstellung.
Sie bildet die Geschichte der modernen deutschen Zimmererbewegung
überhaupt. Hier wollen wir nur noch jener Vereinigungen gedenken,
welche bei der Auflösung der Zünfte die Interessenvertretung aufgegeben
und sich der Zunftspielerei gewidmet haben. Ihre Zahl ist zweifellos
anfänglich beträchtlich gewesen; denn in vielen Städten, wo der Verband
der Zimmerer Deutschlands Zahlstellen hat, bestand einstmals ein Verein
dieser Art. Aber die große Mehrzahl dieser Vereine ist bald verschwunden,
oft sind sie kaum ein Jahr alt geworden. Wo sie jetzt noch existieren,
fristen sie ein ganz unbeachtetes Dasein. An die Eristenz solcher Vereine
erinnern gewöhnlich nur noch Mitteilungen der arbeiterfeindlichen Presse.
Unter anderm berichtete der „Anhalt. Staatsanzeiger“ 1899, daß am
11. September genannten Jahres die Zimmergesellen-⸗Innung in Roßlau
ihr hundertjähriges Bestehen durch einen Umzug durch die Straßen und durch
Absingen einiger Kirchenlieder gefeierxt habe. In Baden-Baden beging
am Josephstage, 19. März 1900, der dortige „Baugesellen-Verein“ sein
96. Stiftungsfest, das dem „Badener Tageblatt“ zufolge in einer kirch⸗
lichen und weltlichen Feier seinen Ausdruck fand. Manche dieser Vereine
—VV Harmlosigkeit dem Polizeieifer der deutschen
Regierungen Anlaß zum Einschreiten gegeben. In Speyer 3. B. hatte sich
ein ebensolcher Zimmergesellenverein erhalten, und er hatte das Organ der
modernen deutschen Zimmererbewegung der 1870er Jahre, den „Pionier“,
in einem Exemplare abonniert. Daraufhin wurde dieser Verein Ende 1878
auf Grund des Sozialistengesetzes geschlossen. Die Mitglieder wandten
75
sich mit einer Eingabe an die bayrische Regierung. Die Antwort darauf ist
wert, der Nachwelt erhalten zu bleiben. Wir teilen sie deshalb hier mit:
Kgl. Bayrische Regierung
der Pfalz.
Kammer des Innern.
Betreff:
Vollzug des Reichsgesetzes vom
21. Oktober 1878 gegen die gemein⸗
gefährlichen Bestrebungen der
Sozialdemokratie.
Die Beilagen des Randberichts vom 80. v. M. und Jahres
folgen im Anschlusse mit dem Eröffnen zurück, daß der Gründung
eines neuen Vereins der Zimmerleute mit Ausschluß der Sozial⸗
demokraten ein Hindernis nicht im Wege steht.
Die Zurücknahme des am 28. November eingereichten
Rekurses der Mitglieder der verbotenen „Gewerkschaft der
Zimmerleute“ hat zur Kenntnis gedient.
An
das Kgl. Bezirksamt
Speyer.
gez Braun.
gez. Metschnabel.
Kgl. Bezirksamt
Speyer.
Betreff:
Vollzug des Reichsgesetzes vom
21. Oktober 1878 gegen die gemein⸗
gefährlichen Bestrebungen der
Sozialdemokratie.
Geht in Abschrift an
Herrn Polizeikommissär Beringer,
dahier
zur Kenntnisnahme und Eröffnung an die betreffenden Mit—⸗
glieder des ehemaligen Vereines der Zimmerleute, welche
hienach zur Bildung eines neuen Vereines geeignet erscheinen.
Römmich,
Königl. Regierungsrat und
Bezirksamtmann.
An
Herrn Polizeikommissär Beringer,
dahier.
Geht an die Mitglieder des
rüheren Vereins der Zimmerleute
dahier zur Kenntnisnahme gegen
Bescheinigung.
Speyer, den 8. Januar 1879.
76
Daraufhin hat sich der Verein wiederum konstituiert, und er hat bis
1897 bestanden und alljährlich seinen gemeinsamen Kirchgang gemacht,
bis er im genannten Jahre von einer Zahlstelle des Verbandes der
deutschen Zimmerleute verdrängt worden ist.
Von allen alten Zünften hat sich am vollständigsten die zünftige
Zimmergesellenkorporation in Danzig erhalten. Sie besaß bis vor einigen
Jahren ein eignes Haus und noch alle Zunftutensilien. Nach ihrem
Mitgliederverzeichnis von 1900 zählte sie 132 Mitglieder, von denen
viele das Zimmerhandwerk nicht mehr ausübten, die indes hofften, sich
dermaleinst das Vermögen der Vereinigung mit teilen zu können und die
deshalb ihre Mitgliedschaft nicht aufgaben. Gegründet ist diese Gesellen⸗
korporation, wie aus ihren „Satzungen“ ersichtlich ist, am 29. April 1596;
die Berechtigung dazu hatte sie, nach derselben Quelle, jedoch schon in
einer Rolle vom 27. August 1552 vom König Sigismund August von
Polen erhalten. Nach ihren Satzungen von 1879 hat sie der Interessen—
vertretung der Zimmerer Danzigs endgültig entsagt. In diesen Satzungen
heißt es: „Zu andern Zwecken, als den zu zahlenden Sterbegeldern
und der Deckung der Verwaltungskosten dürfen weder Beiträge von den
Mitgliedern erhoben werden, noch Verwendungen aus dem Vermögen der
Kasse gemacht werden .. .. Abänderungen des Statuts können von
der Generalversammlung unter Zustimmung von zwei Dritteln der sämt—
lichen vertretenen Mitglieder beschlossen werden. Zu derartigen Statut⸗
veränderungen ist die Genehmigung des Herrn Oberpräsidenten der
Provinz einzuholen.“ Da diese Satzungen jedoch nur auf die Totenlade
Bezug hatten und außer dieser Kasse noch ein beträchtliches Vermögen
vorhanden war, das den freien Entschließungen der Mitglieder unterstand,
hat sich die Mitgliedschaft 1901 als „Danziger Hauszimmergesellen⸗Gewerk“
konstituiert und in das Vereinsregister eintragen lassen. Der zweite Absatz
des 83 dieser Satzungen lautet: „Personen, die sozialdemokratischen oder
ähnlichen auf den gewaltsamen Umsturz der bestehenden Gesellschaftsordnung
abzielenden Vereinigungen angehören oder die Zwecke solcher Vereinigungen
fördern helfen oder eine gegen Kaiser und Reich feindselige Stellung betätigen,
sind von der Aufnahme in den Verein vorweg ausgeschlossen.“ Das hinderte
natürlich nicht, daß sich Mitglieder vom „Danziger Hauszimmergesellen⸗
Gewerk“ in den Zentralverband der Zimmerer Deutschlands aufnehmen
ließen und dann durchsetzten, daß das „Hauszimmergesellen-Gewerk“ über⸗
haupt keine Mitglieder mehr aufnahm, das eigne Haus verkaufte und den
Erlös an seine noch existierenden 90 Mitglieder verteilte.
Genug, die Zünfte waren Gebilde einer längst untergegangenen
Wirtschaftsweise; sie konnten in der Luft des Kapitalismus nicht mehr
77
gedeihen. Bei dem Aufkommen des Kapitalismus flüchtete sich allerwärts
der muffige Geist der Krähwinkler in diese Organisationen; wo er über—
wunden wurde, gingen die Gesellenkorporationen in die moderne deutsche
Zimmererbewegung auf, und wo er nicht überwunden werden konnte, wo
jener muffige Geist vielmehr herrschend wurde, da haben die Ueberbleibsel
der Zünfte nicht nur das Fortkommen der modernen deutschen Zimmerer⸗
bewegung erschwert, sie haben auch die Interessen der Zimmerer ihres
Ortes arg vernachlässigt. Die durch den Sieg des modernen Kapitalismus
geschaffenen neuen Verhältnisse erforderten zur Interessenvertretung der
Zimmerer Deutschlands Einrichtungen, die von anderem Geiste durchweht
fein müssen als die Zünfte es waren. Allein die alten Organisationen
boten für die moderne deutsche Zimmererbewegung vielfach nicht zu unter—
schätzende Anknüpfungspunkte.
Die Organisation der tremden Zimmergesellen.
Von den beschriebenen Gesellenkorporationen der Zünfte ist die
Organisation der fremden Zimmergesellen zu unterscheiden. Sie entspricht
in ihrem Wesen einigermaßen den Beschreibungen der mittelalterlichen
Gesellenverbände, die Georg Ludwig v. Maurer, Schanz und Schoenlank
geliefert haben. Das Entstehen dieser Organisation ist in völliges Dunkel
gehüllt. Es ist darüber keine Urkunde vorhanden und in keiner Urkunde
wird die Existenz dieser Organisation erwähnt. Aber vorhanden war sie
zweifellos, noch bevor die Gesellen in den Zünften zur Anerkennung
gelangten. Was Georg Ludwig v. Maurer von den mittelalterlichen
Gesellenverbänden sagt, daß sie nämlich dem deutschen Ritterorden nach—
gebildet wären, trifft auf unsre Fremdenorganisation aber nicht zu. Das
charakteristische Merkmal jenes Ordens besteht vor allem in der sklavischen
Unterordnung unter die Befehle eines Oberhauptes, und ein solches hat
die Organisation der fremden Zimmergesellen niemals gehabt. Sie hatte
auch keine Zentralstelle und ebensowenig hatte sie Statuten. Auch Kongresse
hat sie früher niemals abgehalten. Ihre Verfassung läßt sich wie folgt
darstellen:
Die Organisation nimmt jeden fremden Zimmergesellen auf, der
nachweist, daß er das Zimmerhandwerk erlernt hat. Ein Unterschied be⸗
stand früher insofern, als derjenige, der an einem nicht zünftigen Orte
gelernt, das doppelte Einschreibegeld (Abfindung) zu bezahlen hatte. Der
Junggeselle konnte sich natürlich nur dort abfinden (schreiben lassen), wo
die Fremden eine besondere Gesellenschaft bildeten. Er hatte bei dieser
Gelegenheit ein Band mit seinem Namen und Geburtsort sowie mit der
Jahreszahl seiner Abfindung an das Stubenschild zu hängen. Um sich
78
mit den Regeln der Fremden vertraut zu machen, gewährte man dem
Junggesellen drei Freiklagen, das heißt, bei den ersten drei Verstößen gegen
diese Regeln, wenn er darum angeklagt wurde, ging er frei aus. Mit
seinem Eintritt in eine lokale Gesellenschaft gehörte der Zimmergeselle
der Gesamtorganisation der Fremden an. Reiste er ab, dann bekam er
von der Gesellenschaft einen „Zettel“ mit, der ihn in allen andern
Gesellenschaften der Fremden legitimierte.“ Hatte er alle seine Ver—
pflichtungen vor der Abreise erfüllt, dann war der Zettel gedruckt, im
andern Falle wurde er nur geschrieben.
Für die Errichtung einer Gesellenschaft bediente man sich der Be—
zeichnung: „Das Buch aufmachen.“ Waren in einer Stadt sieben ge⸗
schriebene fremde Zimmergesellen, dann hatten sie bei der Beobachtung
mehrerer Vorbedingungen das Recht, das Buch wieder aufzumachen, wenn
es an dem betreffenden Orte schon einmal offen gewesen war. Sie teilten
die Wiedereröffnung den nächsten vier Gesellenschaften nur mit. War an
einem solchen Orte das Buch aber noch nicht offen gewesen, dann mußten
die sieben nächsten Gesellenschaften erst ihre Zustimmung geben, bevor
das Buch aufgemacht werden konnte. Jede der sieben Gesellenschaften hatte
das unbestrittene Recht, das Buchaufmachen zu untersagen, wenn es sich
um einen Ort handelte, der zu dem Amtsbezirk eines andern Ortes
gehörte, wo das Buch offen war, und wenn es sich in den Fremden, die
das Buch aufmachen wollten, um die Gesellen solcher Meister handelte,
welche in die Amtsgerechtssame einer andern Zunft pfuschten. In beiden
Fällen hatten sich übrigens auch die Fremden schon dadurch straffällig
gemacht, daß sie an solchen Orten und bei solchen Meistern in Arbeit ge—
kreten waren. Im übrigen war es Gebrauch, daß die Fremden, welche
an einem Orte erstmalig das Buch aufmachen wollten, die Buße erlegten,
die für „vogtländisch arbeiten“ (was so viel bedeutet, als an nichtzünftigen
Orten in Arbeit treten) üblich war: pro Mann ein halbes „Stubenrecht“
(ein halber Tagelohn). Die Gesamtsumme dieser Buße wurde unter die
sieben in Betracht kommenden Gesellenschaften verteilt. Jede Gesellenschaft
konnte auf ihren Anteil zugunsten der neuen Kasse verzichten, und sie
taten das in der Regel alle. Sie konnten aber auch eine Delegation
senden, dann wurde die Buße gewöhnlich an Ort und Stelle verzehrt.
Mitunter sind bei solchen Anlässen große Feste gefeiert worden, und im
Mittelalter dürfte das meist immer der Fall gewesen sein. In der Zeit
der systematischen Verfolgung der Gesellenorganisationen, im 19. Jahr⸗
hundert, waren solche Feste natürlich an den meisten Orten unmöglich.
* Seite 297.
79
Außer den angeführten wurden manches Mal auch noch andre Bedingungen
geltend gemacht. Wurde die Zustimmung einer Gesellenschaft an zu hart
scheinende Forderungen geknüpft, dann übernahm eine der etwa zu—
stimmenden Gesellenschaften die Befragung aller Ges ellenschaften durch einen
Laufbrief. Die Majorität war entscheidend. Die Entscheidung wurde
auf demselben Wege bekannt gegeben. Und wenn unterdessen die Er—
öffnung eines Buches für den Ort aus andern Gründen hinfällig ge⸗
worden, indem die fremden Zimmergesellen vielleicht wieder abgereist waren,
dann galt die Abstimmung doch für die Zukunft. Hatte die Majorität
sich für die Eröffnung eines Buches entschieden, dann rechnete der be⸗
treffende Ort zu denen, wo schon einmal das Buch offen war. Nur in
den allergrößten deutschen Städten wird ununterbrochen das Buch offen
gewesen sein. Als die bedeutendsten Orte für unsre Fremden galten
einstmals: Hamburg, Stettin, Danzig, Riga, Breslau, Prag, Ofen und
Pest, Wien, Zürich und inmitten Deutschlands Frankfurt a. M., Leipzig
und Magdeburg. Indessen ist in allen diesen Orten im 19. Jahrhundert
das Buch öfter zugemacht und in einer Anzahl derselben niemals wieder
aufgekommen. Besonders haben die Ostseestädte ihre einstige Bedeutung
eingebüßt, die Städte im Westen Deutschlands sind für die Gesellen—
schaften der Fremden die wichtigeren geworden.
Jede Gesellenschaft wählte aus ihrer Mitte einen Altgesellen, einen
Büchsengesellen (Rechnungsführer) und einen Dosengesellen (dieser trug
und präsentierte bei Zusammenkünften eine künstlerisch, meistens in Form
eines Hobels gearbeitete Schnupftabaksdose). Dabei war jedoch Gebrauch,
daß der Altgeselle bereits die zum Einheimischwerden notwendigen Wander⸗
jahre hinter sich hatte und auch die erforderliche Anzahl Zettel aufweisen
konnte. War eine solche Persönlichkeit nicht in der Gesellenschaft, dann
wurde der diesen Anforderungen am nächsten stehende Fremde als Alt—
gesellen-Stellvertreter gewählt. Der Büchsengeselle sollte zwei Wander—
jahre hinter sich haben und die in diesen zwei Jahren zu sammelnden
Zettel aufweisen können. Den Posten des Dosengesellen bekleideten die
Junggesellen, die ihre drei Freiklagen bereits hinter sich hatten. Große
Gesellenschaften leisteten sich auch einen Schenkgesellen, der allabendlich
auf der Herberge zu erscheinen hatte, um die etwa Zugereisten auszu⸗
schenken. Kleine Gesellenschaften schenkten nur Mittwochs und Sonnabends
aus, und dann besorgte das der Altgeselle oder der Büchsengeselle mit,
die an diesen beiden Abenden auf der Herberge zu sein hatten. Während
der Altgeselle auf ein Jahr gewählt wurde, der Büchsengeselle für den
Zeitraum, den er sich in der Stadt aufhalten konnte, meistens ein Viertel⸗
jahr, und der Dosengeselle auf vier Wochen, war die Amtsdauer der
80
Stellvertreter abgelaufen, sobald ein den Vorbedingungen entsprechender
Fremder zuwanderte und in Arbeit trat. Sonnabends darauf fand dann
Neuwahl statt.
Jede Gesellenschaft war autonom. Sie hatte nur die spärlichen all—
gemeinen Regeln, die sich in althergebrachten Formeln ausdrückten, zu
beachten; im übrigen blieb ihr alles überlassen. Nur wenn althergebrachte
und allgemein bekannte Regeln verletzt worden waren, konnte eine andre
Gesellenschaft, die zur Mitwirkung bei etwaigen Aktionen aufgefordert
wurde, Einspruch erheben, sonst konnte sie ihre Mitwirkung nicht versagen.
Jede Gesellenschaft hielt in der Woche zwei Krugtage ab, davon war
der Sonnabend den ernsten Angelegenheiten gewidmet und der Mittwoch
der Kurzweil. Sonnabends wurde die Auflage bezahlt, dann ging es
auf den Handwerkssaal. Hier versammelte sich die Gesellenschaft nach
spezieller Aufforderung, die von den Altgesellen ausging. Jeder verharrte
in feierlicher Stille, den Rock zugeknöpft und entblößten Hauptes. Die
von auswärts eingelaufenen Briefe wurden verlesen und erledigt und
dann etwaige Klagen entschieden. Wer sich gegen die allgemeinen Regeln
vergangen hatte, fand meist immer auch seinen Ankläger. Der Ausgleich
wurde gewöhnlich gefunden, indem der Schuldige eine Kanne Vertragbier
bezahlte, die von der Gesellenschaft unter Beachtung diverser Zeremonien
getrunken wurde. In schwereren Fällen mußte ein halbes oder ganzes
Stubenrecht bezahlt werden. Sollte dieses den Sühnebetrag bilden, dann
mußte der Kläger den Betrag zunächst aus seiner Tasche auf den Tisch legen,
und der Beklagte legte einen eben solchen Betrag daneben. Wurde der
Angeklagte für schuldig befunden, so verlor er den von ihm aufgelegten
Betrag, der Kläger bekam den seinigen zurück. Im andern Falle verlor
der Kläger den aufgelegten Betrag und der Angeklagte bekam sein Geld
wieder. Bei Halsstarrigkeit des Verklagten kam es auch zum Verhauen,
jedoch erst nach einer Reihe von Versuchen, die Halsstarrigkeit in andrer
Weise zu brechen. Damit der Halsstarrige nicht auf seine körperkiche
Kraft pochen könne, war es seinem Partner vergönnt, sich einen starken
Vertreter zu erküren. Denn zu einer wüsten Prügelei, wie die Legende
behauptet, artete dieser Brauch niemals aus. Es rangen immer nur
zwei in Körperkräften einigermaßen ebenbürtige Personen um das Recht.
Sobald einer der Ringenden „Friede“ rief, mußte der Kampf eingestellt
werden; der Rufer erklärte sich damit als unterlegen, und hart bestraft
wurde derjenige, der nachdem noch einen Schlag nach seinem Gegner
führte. Die Stärksten und Kühnsten der Gesellenschaft umstanden die
Ringenden; sie griffen sofort ein, wenn jemand unehrliche Griffe anwandte
oder, nach dem Rufe zum Frieden, nicht sofort vom Kampfe abließ.
81
War hingegen der Verklagte nicht zugegen, dann wurde er gefordert;
kam er nicht, so erhielten drei der stärksten Personen den Auftrag, ihn
auf den Handwerkssaal zu bringen. Entzog er sich aber durch heimliche
Abreise dieser sehr heilsamen Gerichtsbarkeit, dann kam sein Name an
die schwarze Tafel und er wurde durch einen Laufbrief verfolgt. Er
konnte sich jedoch immer durch die Büßung der Strafe wieder abfinden,
wo er auch getroffen wurde. Aehnlich so wurde es mit den Meistern und
ganzen Meisterzünften gehalten. Auch die einzelnen Meister und die
Altmeister der Zünfte wurden zur Beantwortung und zur Entkräftung der
Anklage auf den Handwerkssaal gefordert. Sie konnten aber auch, ohne
anwesend zu sein, eine Abfindung festsetzen lassen, die sie dann bezahlten.
Meistens genügte ein Faß Bier. Die einzelnen Meister und Zünfte
wurden nicht etwa wie ein Angeklagter vor den Richter geladen, sondern
das Ganze glich — und zwar auch bei den Gesellen — einer ernsten,
geordneten Auseinandersetzung und Verständigung, wobei der Respekt vor
der Person niemals gefährdet wurde.
Das Kampfmittel der Fremdenorganisation bildete von jeher das
„Schwarzmachen“, der Boykott. Die Bezeichnung bedeutet nur, daß der
boykottierte fremde Zimmergeselle, der Meister, der gegen die Gesellen sich
versündigte, oder der Ortsname solcher Zünfte, die den fremden Zimmer⸗
gesellen zu nahe traten, sie beleidigten, an die schwarze Tafel geschrieben
wurden. Die schwarzen Tafeln gab es jedoch nur auf den Herbergen
der größeren und ständigen Gesellenschaften. Im übrigen wurde der
Boykott durch einen Laufbrief angesagt. Dieser enthielt in allen Fällen
den Beschluß und die kurze Begründung der gerade handelnden Gesellen⸗
schaft. Er wurde der nächsten Gesellenschaft übermittelt, diese nahm
Kenntnis, handelte dem Beschluß gemäß, drückte ihren Stempel unter
den Brief und gab ihn weiter. Er kam nach seinem Umlauf an diejenige
Gesellenschaft zurück, die ihn angefertigt hatte, und wenn der betreffende
Ort selbst schwarz gemacht worden war, bekam den Brief diejenige Ge—
sellenschaft, die als Sachwalterin von der sich aufgelösten Gesellenschaft
bestimmt worden war. In dem Falle, wo Orte schwarz gemacht wurden,
löste sich die Gesellenschaft auf, und die einzelnen Fremden reisten ab.
Natürlich hatte auch dieser Verruf eine Grenze. Wenn das Mittel nicht
gefruchtet hatte, oder wenn seine Wirkung in einem Falle nicht bekannt
geworden war, wurden nach einer Reihe von Jahren die Namen an der
schwarzen Tafel gelöscht. Der ewige Verruf ist niemals Brauch gewesen.
Auch bei den einzelnen Meistern erstreckte sich der Verruf nur auf die
Person, nicht auch auf ihre Nachkommen. Nur bei ganzen Zünften war
der Brauch härter. Sie sollten, bis sie Genugtuung gegeben hatten,
Bringmann, Geschichte der Zimmerer.
82
schwarz bleiben. Es ging kein Fremder dorthin, und die Junggesellen,
die etwa von dort kamen, wurden geächtet. Daher sind auch die Bezeichnungen
„Potsdamer“, „Vogtländer“, „Kajuvier“, „Heidelberger“, „Bremer“* usw.
Ausdrücke der Geringschätzung. Es handelt sich in solchen Fällen um schwarz
gemachte Zünfte, die sich nicht wieder abgefunden haben. Seit Mitte des
19. Jahrhunderts hat die Schwarzmacherei von einzelnen Meistern und
Zünften ihre Wirksamkeit eingebüßt, sie ist nicht mehr in Uebung.
Der Krugtag am Mittwoch war der Kurzweil gewidmet. Zur
Kurzweil wurde auch das „Walzen“ geübt, worüber sehr mit Unrecht die
wunderlichsten Legenden erzählt werden, als wäre das eine harte Strafe
und eines der wichtigsten Disziplinarmittel gewesen. Die ganze Handlung
war ein derber Spaß ausgelassener junger Leute, verknüpft mit einigen
althergebrachten Formen. Mittwochs wurde „vogtländisch“ aufgeklopft.
Das heißt, die ganze Handlung bildete eine Parodie auf die Zunft—
gebräuche. Anstatt daß der Altgeselle sagte: „Mit Gunst und Erlaubnis
ein wenig Gehör,“ sagt nun der „Knüppel-Geselle“: „Met Gift und
Dunnerwetter, Snut un Mul hollen.“ In dieser Karrikatur bewegt sich
die ganze scherzhafte Handlung. Der eine Fremde klagt den andern
scherzweise an; wer nicht die volle Strafe erlegen will, läßt sich auf einer
achtkantigen Walze, die auf einen Tisch gelegt wird, bei Gesang von
Handwerksliedern „trudeln“. Wer sich aber trudeln läßt, der zahlt dafür
ein Trinkgeld in Höhe der Strafe und nach Belieben höher. Ist genügend
„Moos“ zu einem Faß Bier zusammen, dann wird eins getrunken. Dabei
werden Handwerkslieder gesungen, das der Organisation der fremden
Zimmergesellen eigentümliche „Klatschen“ wird geübt, die alten Fremden
erzählen lustige Schwänke usw. Wer solche Abende als junger Fremder
mitgemacht hat, der fühlt gewiß noch allemal, wenn er deren gedenkt,
das Feuer der Begeisterung für seinen Beruf, das ihn bei diesen fröhlichen
Gelegenheiten erfüllte.
Die Gesellenschaften der Fremden sorgten auch für menschen—
würdige Herbergen, sie bildeten die Sicherstellung für Logiswirte und
Verleiher von Werkzeug, sie unterstützten die Reisenden durch Ersatz
* Als „Potsdamer“ gelten solche, die nicht zünftig reisen, besonders nicht
auf den Herbergen der Zimmerer einkehren und sich, ohne „ausgeschenkt“ zu sein,
nach Arbeit umsehen. Der Verruf der „Kajuvier“ und „Vogtländer“ wird auf die
Regierungszeit Friedrichs II. von Preußen zurückgeführt, der Zimmerer aus dem
Vogtlande, die nicht zünftig waren, nach Ostpreußen beförderte und die „Kajuvier“
nahmen diese in ihre Zünfte auf. „Heidelberger“ ist in Hamburg ein Ausdruck
für importierte Streikbrecher. Als „Bremer“ wird derjenige bezeichnet, der sich
hon einem andern, besonders von dem Meister, das Werkzeug aus der Hand
nehmen und sich auf diese Weise die Arbeit vormachen läßt.
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defekt gewordener Kleider und Schuhwerk, sie waren in jeder Beziehung der
Anwalt der Fremden. Kommt ein geschriebener Fremder nach einem Orte
gereist, wo das Buch offen ist, so fühlt er sich zu Hause. Das ist auch der
Umstand, der in erster Linie dazu beigetragen hat, daß sich die Organisation
der fremden Zimmergesellen aus der ältesten Zeit in die Periode des
Kapitalismus herüber gerettet hat. Die Gemeinsamkeit der Interessen der
fremden Zimmergesellen wird durch den Kirchturm nicht eingeengt, nicht
gefesselt an das Weichbild eines bestimmten städtischen Gemeinwesens,
ihren Halt finden sie, wie früher das Gesinde der Zimmerleute überhaupt,
in der Organisation. In den siebziger Jahren haben sich an manchen
Orten die Unterstützungskassen der Fremden zu Krankenkassen verdichtet. Im
Jahre 1891 hat in Magdeburg der erste Kongreß der fremden Zimmer—
gesellen stattgefunden und seit jener Zeit werden in bestimmten Zwischen—
räumen regelmäßige Kongresse abgehalten. Auch Statuten hat sich diese
Organisation gegeben, die wir in der Fassung von 1896 in den Anlagen
zum Abdruck bringen.*
Diese Organisation hat niemals in einem feindlichen Gegensatz zu
den Zünften und den Gesellenkorporationen der Zünfte gestanden, sie ist
aber auch niemals darin aufgegangen. Wenn ihre Angehörigen an zünftigen
Orten arbeiteten, gehörten sie auch den Zünften an, ohne ihre Zugehörig—
keit zu der Fremdenorganisation aufzugeben; die Gesellenschaften der Fremden
bestanden dann neben den Gesellenkorporationen der Zünfte. Die voll—
ständige Gliederung der Zünfte der Zimmerleute stellt sich so dar, daß
alle Zimmerleute eines Ortes, also Meister, Gesellen und Lehrlinge, eine
Zunft, das heißt das Zimmeramt bildeten. Dieses gliederte sich dann
in die Meister- und Gesellenkorporationen. Die letztere zerfiel in die
Korporation der Einheimischen und in die der Fremden, und die Korporation
der Fremden wieder in die Unterabteilungen der fremden Verheirateten und
der reisenden Fremden. So war es noch um die Mitte des 19. Jahr—
hunderts in Altona und Kiel. Die Organisation der fremden Zimmer—
gesellen, die heutigestags noch besteht, bildet auch keinen Gegensatz zu
dem modernen Zentralverbande der Zimmerer; ihre Angehörigen zählen
zu seinen eifrigsten Mitgliedern und tragen viel zu seiner Verbreitung bei.
Die Lohnbewegungen in der zünftigen Zeit.
Die angeführten Lohn-Taxordnungen** lassen erkennen, daß der
Arbeitslohn der Zimmerleute nach unsern heutigen Begriffen früher
außerordentlich knapp bemessen war und daß außerdem die Zeitabschnitte,
* Seite 293.
** Seite 32.
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in welchen die Lohnsätze unverändert geblieben, recht lang gewesen sind.
In Lübeck bestand der Lohnsatz von 1516 29 Jahre; er wurde dann
um ein Geringes erhöht, um wiederum 26 Jahre als Norm zu gelten.
In Nürnberg verstrich ein Zeitraum von 61 Jahren, bevor die Lohntaxe
von 1597 erhöht wurde, und in Breslau blieb der Lohnsatz von 1493
sogar 168 Jahre unverändert. Verständlicher wird dies, wenn wir.
erfahren, daß auch die Lebensmittel damals entsprechend billiger gewesen
sind, was schon daraus hervorgeht, daß die tägliche Beköstigung in den
Lohn⸗-Taxordnungen mit nur einem Groschen berechnet worden ist. Im
15. Jahrhundert kostete z. B. in Sachsen ein fetter Ochse 4 Gulden,
ebensoviel zahlte man für 20 Schafe, im Altenburgischen gar nur
3 Gulden. Der Durchschnittspreis für ein Paar Schuhe betrug 2 bis
3 Groschen, eine Elle vom besten einheimischen Tuche kostete 5 Groschen,
ein Scheffel Roggen 6 Groschen 4 Pfennig. Ein Klafter Brennholz
mit Anfuhr kostete 5 Groschen. Als Macherlohn für Rock, Hose und
Kugelhut eines Kantors wurden in Leipzig 7 Groschen bezahlt. In
Holstein konnte sich ein freier Arbeiter — dessen Lohn kaum so
bemessen war wie die Löhne der Zimmerleute — in 29 Tagen eine
fette Kuh verdienen, im Slavischen konnte in den Jahren 1470 bis
Fso ein in Kost arbeitender Tagelöhner sich durchschnittlich für
sechs Arbeitstage ein Viertel Scheffel Roggen, 10 Pfund Schweine⸗
fleisch oder 12 Pfund Kalbfleisch, 6 große Kannen Milch, 2 Knudel
Holz anschaffen und behielt außerdem in vier bis fünf Wochen so viel
Geld übrig, wie ein gemeiner Arbeitskittel, 6 Ellen Leinewand und
ein Paar Schuhe kosteten. In Konstanz wurde 1487 ein Bauernpferd
mit 5 Gulden bezahlt. In Augsburg konnte sich ein Tagelöhner für
seinen Lohn täglich 1 Pfund Fleisch oder 7 Eier, ein Viertel Erbsen,
ein Maß Wein und das nötige Brot verschaffen und erübrigte noch die
Hälfte der Einnahme für Wohnung, Kleidung und sonstige Bedürfnisse.
Im Jahre 1464 kostete im Fürstentum Bayreuth ein Pfund Bratwurst
IPfennig und 1 Pfund des besten Rindfleisches 2 Pfennig. Trotz
der anscheinend sehr niedrigen Löhne war die Kost reichlich, kräftig und
abwechslungsreich.
Die angedeuteten Lohnerhöhungen scheinen auch keine Verbesserung
der Lage der Zimmerleute ergeben zu haben. Zu der Lohnerhöhung in
Nürnberg bemerkt Schoenlank, der Minimallohn sei zwar gestiegen, tat⸗
sächlich aber vermochte man 1658 für den Lohn der Zimmerleute nicht
mehr Bedürfnisse zu decken als 1597, und er belegt die Behauptung mit
Angaben über die Preise der notwendigsten Lebensmittel. Die Urkunde,
durch welche der Rat in Breslau 1621 den Tagelohn erhöhte, lautet:
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„Wir Rathmann ꝛc. bekennen ꝛc., daß wir aus den von den Zimmer⸗
gesellen im Mühl- und Bauamte bittlich eingewendeten Ursachen, vor—
nehmlich aber vorgehender, schweren Zeiten halber eingewilligt haben,
daß ihnen sammt und sonders das Lohn um 1 Weißgroschen erhöht
und hinfort dem gemeinen Gesellen täglich 6, dem Werkgesellen aber
7 Weißgroschen gegeben werden sollen. Dagegen soll den Meistern, denen
wir anbefehlen, sämmtlich hierinnen Gleichheit zu halten, das Lohn ohne
unser Vorwissen nach ihrem Gefallen zu steigern, bei Strafe von 10 Thalern
hiermit abgeschafft und verboten sein. Geschehen den 15. Juni Anno 1621.“
Durch diese Urkunde wird dargetan, daß es sich um eine Notlage
der Zimmerleute handelt. Wir erfahren daraus aber auch, daß die Zimmer—
gesellen ein Bittgesuch um Lohnerhöhung eingereicht hatten, und das scheint
uns die in früheren Zeiten übliche Methode der Lohnforderung gewesen zu
sein. Der zweite Abschnitt bezieht sich auf die Löhne der Meister, die
ihren Tagelohn, wie es scheint, eigenmächtig gesteigert hatten.
Im allgemeinen sind früher die Verhältnisse Lohnbewegungen der
Zimmerleute nicht günstig gewesen; denn sie mußten sich gegen die Stadt⸗
behörden richten, welche die Lohn- und Arbeitsbedingungen festsetzten.
Wenn ein Bittgesuch abgelehnt wurde, dann war das Vorgehen der
—DDD
Gerade der Umstand, daß auch die Meister mit ihren Söhnen usw. in
Betracht kamen, mußte jede Aktion in Frage stellen. Streiken konnten
die Meister nicht, ihre ganze Existenz war ja nur eine Art Gnadenwerk
der Stadtgemeinde. Auch ihren Söhnen waren die Flügel bei solchen
Gelegenheiten gebunden. Es kamen nur die Gesellen, soweit sie nicht
unmittelbare Verwandte der Meister waren, in Betracht; diese haben aber
in jenen Zeiten sicherlich stets nur einen kleinen Bruchteil der Zimmer—
leute eines Ortes gebildet. Es ist daher auch erklärlich, wenn Schoenlank
berichtet, daß die Zimmerleute in Nürnberg im Jahre 1589 zur Durch⸗
führung der zehnstündigen Arbeitszeit einen Streik unternommen hätten,
der aber nur zum Teil geglückt sei. Uebrigens ging man auch zur Zeit
des Zunftregiments in den Städten mit streikenden Knechten nicht gerade
glimpflich um; in Danzig wurden 1388 streikenden Knechten die Ohren
abgeschnitten. Die Art und Weise, wie sich früher Streiks abspielten,
stellt Schmoller so dar: „Die Gesellen hatten jederzeit Verbindungen und
Nachrichten überall hin; sie fühlten sich nicht als Bürger der Stadt, in
der sie arbeiteten; jahrelang in Bewegung, kam es ihnen nie darauf an,
den Ranzen zu schnüren und den Wanderstab zu ergreifen. Mit Pfeifen
und Trompeten zogen sie bei Streitigkeiten leichtlich in Massen aus,
legten sich in einer benachbarten Stadt auf die faule Haut und verlangten,
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wenn man mit ihnen Frieden schließen wollte, regelmäßig die Bezahlung
der Zeche an diesem Orte. Durch ihre bessere Verbindung und den viel
stärkeren Korporationsgeist hielten sie jeden Zuzug ab und blieben so
häufig Sieger im Kampfe.“
Ob sich die Streiks der Zimmerleute auch so abgespielt haben, müssen
wir dahingestellt sein lassen. Daß aber die fremden unverheirateten
Gesellen auch bei den Zimmerleuten den eigentlichen kämpfenden Teil
gebildet haben, liegt auf der Hand. Welche Schwierigkeiten sich den
verheirateten bezw. „einheimischen“ Gesellen entgegenstellten, zeigt eine
Urkunde aus Breslau von 1589; diese lautet:
„Wir Rathmann der Stadt Breslau bekennen und thun kund
öffentlich hiermit vor Jedermann, daß uns die ältesten und jüngsten
Meister beider ehrbaren Zechen der Maurer und Zimmerleute gehorsam
zu erkennen gegeben haben, daß von etlichen Meistern in anderen Orten
ihr Eigennutzen gesucht, auch von ihrem Gesinde in der besten Sommer—
zeit, wenn sie die benöthigten Baue ausführen sollen, ihnen allerlei Ver—
hinderung geschehe, indem das Gesinde beider Gewerke, wenn man ihnen
nicht ihres Gefallens ihren Muthwillen im Saufen und anderm un—
ordentlichen Leben und Unfleiß gestatten wollte, sich aus rechtschaffenem
verbosten Eigensinn unterstünde, im Frühling und sonst vorsetzlich bei der
Arbeit ein Aufstehen zu machen und außer der Stadt auf dem Lande
entweder selbst zu pfuschen oder dergleichen Meistern, die nicht zechmäßig
sind, zuzuziehen, wodurch bei der Stadt merkliche Hinderung an den
Bauen gespürt würde, mit gehorsamer Bitte, daß wir solchem Unrath
so viel möglich Rath schaffen, auch des Gesindes Bosheit und Muthwillen
steuern wollten. Da wir nun dies ihr Ansuchen in alle Wege für nützlich
und nothwendig erachten, so haben wir uns mit unsern verordneten
Stadtschöppen dahin verglichen und einhellig beschlossen, daß die Meister
und Gesinde beider Gewerke der Maurer und Zimmerleute, wenn sie sich
im Frühling oder im Sommer außer unserer Erlaubniß und ohne der
Zeche Vorwissen von hier aus der Stadt in fremde Lande und Orte zu
arbeiten begeben und solche Baue über Sommer ausführen, in diesem
Falle ihre Weiber und Kinder mit sich nehmen und an den Orten, wo
sie zur Sommerzeit ihren Erwerb und bessere Nahrung suchen, auch über
Winter verbleiben sollen, und daß ihnen auch nachmals hier weder
Herberge noch Unterhalt verstattet und zugelassen werden solle. Darnach
werden sich beide, Meister und Gesellen, zu richten und vor Schaden zu
hüten wissen. Zu Urkund dessen haben wir unser Stadtinsiegel hieran
hängen lassen. Gegeben den siebenundzwanzigsten Tag des Monats März,
im fünfzehnhundertneunundachtzigsten Jahre.“
8
Nebrigens versteckten sich häufig auch die Meister hinter die Ge—
sellen; in vielen alten Zunftordnungen, die wir eingesehen, befindet sich
ein Artikel, der den Meistern eine Strafe androht, wenn sie Gesellen
aufreizen. In der Wiener Zunftordnung heißt es wörtlich: „Welcher
Meister seine Gesellen, daß Sy umb den von der Obrigkeit bestimbten
Tagelohn nit arbeiten und ein mehreres fordern sollten, anraitzen und
sterkhen wurde, der oder dieselben sollen fünffzig Pfundt War zu der
Ladt verfallen sein, da er aber noch darüber truzig erschine soll Ihm
alsdann das Handwerkh auf eine zimbliche Zeit niedergelegt werden.“
Solche Bewegungen pflegten sich dann so abzuspielen, daß die fremden
Zimmergesellen abreisten und den Zuzug fernhielten, die Meister beklagten
sich nun gewöhnlich, daß sie der unzureichenden Löhne willen kein Gesinde
bekommen könnten. Das war ein Zustand, der heute noch seine Nachahmung
findet, indem Arbeiter, die von ihren Arbeitgebern darüber zur Rede gestellt
werden, daß sie der „Streikorganisation“ angehören, vielfach zu antworten
pflegen, wenn sie sich derselben entzögen, würden ihnen die Knochen zer—
schlagen, obgleich sie oft genug selbst am energischsten nach Erhöhung der
Löhne drängen und in den Versammlungen zu den Schreiern gehören.
So mögen die meisten drakonischen Verordnungen gegen die „Mißbräuche“
der Zunftgesellen zustande gekommen sein, wie sich ja noch vor kurzem die
Väter der Zuchthausgesetze auf die angedeuteten unwahren Beschönigungen
feiger Gesellen stützten. Solche Aktionen hatten erst von der Zeit an
Aussicht auf Erfolg, als der Gesellenstand zahlreicher geworden war als
der Meisterstand, und selbst dann haben solche Bewegungen jahrelang
anhalten müssen, um Erfolg zu erzielen.
Allgemeine Bewegungen dieser Art dürften in den älteren Zeiten auch
seltener gewesen sein. Die Konflikte wegen Beköstigung, Schlafstellen usw.
haben gewiß im Vordergrund gestanden. Gewöhnlich sind es die Vor—
nehmsten unter den Zimmerleuten, die bei den Räten der Städte Klage
gegen das Gesinde führen, und die ärmeren Meister stehen den Gesellen bei.
Unrichtig ist zweifellos die Meinung, wonach die Gesellen der damaligen Zeit
mit ihrer Lage zufrieden gewesen wären, da sie mit wenigen Ausnahmen hätten
darauf rechnen können, einst selbst Meister zu werden. Behauptet wird auch,
der Lohn, den der damalige Geselle erhielt, wäre nicht wie heute ein Ein—
kommen gewesen, von dem er voraussichtlich lebenslänglich sich und seine
Familie ernähren mußte, sondern nur ein Taschengeld, das er während der
Zeit seiner Ausbildung erhielt; so günstig wird bei den Zimmerleuten das
Gesellenverhältnis niemals gewesen sein. Nicht die idyllische Lage hielt
diese bis Ende des 16. Jahrhunderts von Lohnbewegungen ab, sondern
Hindernisse andrer Art, die in den Verhältnissen begründet waren.
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Auch das 17. Jahrhundert brachte keine nennenswerten Lohn⸗
erhöhungen. Die Arbeitszeit war äußerst lang. Dr. Moritz Mayer
meint, daß die Gesellen im allgemeinen sich nicht wohl dabei befunden
haben können. Der Tagelohn der Zimmergesellen in Berlin von 1689
entspricht nach dem heutigen Stande der Dinge einem Werte von M. 2,50.
In der Mark Brandenburg sind nach Mayer erst unter König Friedrich J.
bisweilen Lohnerhöhungen vorgekommen. Natürlich waren diese Lohn—
erhöhungen mehr dem Druck des nunmehr erstarkten Gesellenstandes zu
danken, als der besseren Einsicht derjenigen, die die Lohntaxen festsetzten.
Die Handwerkerpolitik der Landesregierungen äußerte sich nur in dem
Streben, die Gesellen zu verhindern, eine Erhöhung ihres Einkommens
herbeizuführen. Anstatt bessere Lohntaren kamen scharfe Bestimmungen
gegen das Aufstehen und Streiken der Gesellen auf. Aus der schon
erwähnten „Handwerksordnung vor das Königreich Preußen“ von 1733
mögen die Artikel 30 und 31 den arbeiterfeindlichen Geist der Herrscher
jener Zeit hier demonstrieren. Diese Artikel lauten:
„Dafern auch bey einigen Handwerckern dieser wider alle Vernunfft
lauffende Mißbrauch eingerissen seyn möchte, daß die Handwercks-Gesellen
vermittelst eines unter sich selbsten anmaßlich haltenden Gerichts, die
Meister vorstellen, denenselben gebieten, ihnen allerhand ungereimte Gesetze
vorschreiben, und in deren Verweigerung sie schelten, straffen, und gar
von ihnen aufstehen, auch die Gesellen, so nachgehends bey ihnen arbeiten,
auftreiben und vor unredlich halten; So sollen diese Unordnungen und
insolentien hiermit schlechterdingg, sambt demjenigen, was bereits Art. 1
von Handwercks Articuln und Gewohnheiten, so von denen Handwercks—
leuten, Meistern und Gesellen alleine vor sich und ohne Unsere oder
Unserer in Gott ruhenden Herren Vorfahren Approbation und Confirmation
aufgerichtet oder eingeführet worden, verordnet ist, gäntzlich abgeschaffet,
auch unter dieser Verordnung ins besondere die sogenandte Gesellen—
Gebräuche (sie seyend nun gleich zu Papier gebracht oder nicht) begriffen,
folglich eins mit dem andern völlig verworffen seyn, auch zu dem Ende
die zeithero etwan ausgestellete Gesellen-Briefe, ob gleich selbige von Uns
oder der vormahligen Landesherrschafft confirmiret seyn möchten, als
mmnullirt und cassirt, sambt der Gesellen Laden und Siegel eingezogen
und auf die Rath-Häuser gebracht werden.
„Wann die Gesellen unter irgends einigem Prätert hinführo einen
Aufstand zu machen, folglich sich zusammen rottiren, und entweder die an
Orth und Stelle noch bleibende so lange biß ihnen in diesem oder jenem
unbilligen und unzulässigen Begehren gefuget worden, den Meistern die
Arbeit und den Gehorsahm zu versagen, oder selbst Hauffenweise auszutreten,
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oder anders dergleichen rebellisches Unwesen sich unterstehen würden, so
sollen dergleichen Freveler und boßhaffte Verächter dieser Unserer Handwercks—
Ordnung nicht allein wie oben Art. 21 schon erwehnet, mit Gefängniß—
Zucht-Haus- und Vestungs-Bau-Straffe beleget, sondern auch nach Be—
schaffenheit der Umbstände, und hochgetriebener Renitentz, auch würcklich
verursachten Unheils am Leben gestraffet werden. Falls nun die Stadt—
Magisträte sie allein zu bändigen nicht vermöchten, haben sie davon also—
fort ihren ausführlichen Bericht an Unsere Preußische Krieges- und
Domainen-Cammer zu erstatten, damit dieselbe das nöthige darauf ver—
anlassen, und allenfalls die Sache an Unsere höchste Persohn zu weiterem
Verfügen bringen könne. Solten dergleiche ausgetretene aufrührische
Gesellen in des Heil. Römischen Reichs oder andere Lande geflüchtet und
darinnen anzutreffen seyn; So wird des Orths Obrigkeit im Römischen
Reich sie auf geschehene Requisition, nach Maaßgebung obgedachter Kayser—
lichen erneuerten Handwercks-Constitution, zur Verhafft zu bringen und
entweder zurück zu liefern, oder sie wenigstens selbsten gehörig zu bestraffen
nicht unterlassen: Gestalt Wir dann auch wollen, und Krafft dieses ernst—
lich befehlen, daß an keinem Orth Unsres Königsreichs, dahin dergleichen
mutwillig aufstehende, oder ausgetretene Handwercks-Pursche ihre Zuflucht
nehmen möchten, denenselben einiger Auffenthalt, so wenig in Wirths—
Häusern, als sonst in andern Häusern gestattet, oder sie mit Speise und
Tranck versehen, sondern vielmehr gegen die frevelnde Handwercks-Pursche
sowohl als gegen derselben Heeler, als Mithelffer der Auffrührigen, mit
obigen Straffen verfahren werden soll.“
Wie unter diesen Umständen Lohnverbesserungen erzielt worden sind,
zeigt uns ein urkundlich überliefertes Beispiel. In dem Privilegium der
Zimmergesellen in Berlin von 1683 sind Arbeitszeit und Lohnsätze
folgendermaßen vorgeschrieben: „Die Zimmergesellen seindt schuldig, von
Mariae Verkündigung, biss Mich. des Morgens umb 4 Uhr auff und des
Abendts umb 6 Uhr von der Arbeit, von Michaelis aber biss Marien
Verkündigung mit anbrechendem Tage auff undt mit der Sonnen Unter—
gang abzutretten, da Ihnen dann zu iederzeit Ihr gebührlicher Lohn, alss
des Sommers 6 gr. 6 und des Winters 5 gr. 6 H, wie es also ver⸗
ordnet ist, gereichet werden muß.“
Der bekannte Soldatenkönig, Friedrich Wilhelm J. von Preußen,
versuchte auch der wirtschaftlichen Entwicklung zu gebieten; er wollte ein
großes Berlin haben und verschenkte zu diesem Behufe weite Strecken
Land zu Bauplätzen. Damit allein war die Sache jedoch nicht getan.
Viele Bauten waren zwar angefangen, mußten aber unvollendet liegen
bleiben, weil dem Bauherrn das Geld ausgegangen war. Von den
—30
Bauleuten war die künstlich erzeugte flotte Bautätigkeit natürlich benutzt
worden, um die seit langem unzureichenden Lohn⸗ und Arbeitsbedingungen
zu verbessern. Was nun geschah, erzählt nachstehende Urkunde, die sich,
wie Baumeister Dr. D. Joseph berichtet, in der Handschriftensammlung der
Königl. Bibliothek in Berlin im Original befindet: „Am 9. Mai dieses
Jahres (1735) war auf dem Berlinischen Rathause ein großer Aufstand,
von denen Maurer- und Zimmergesellen, welche an dem neuen Bau auf
der Friedrichs- und Dorotheen⸗Stadt nicht mehr arbeiten wollen, weil
ihnen anstatt der täglich pro Mann gezahlten 10 Gr., weiter ein mehreres
nicht als 8 Gr. inkl. des Meister-⸗Groschens, gereichet worden und sie auch
eine Stunde mehr, nämlich bis 7 Uhr Abends, davor arbeiten sollen.
Und, ohnerachtet sie vom Präsidenten Neuendorff zur Ruhe angewiesen
und ihnen Nomine Regis angedeutet worden, daß die Widerspenstigen
an Leib und Leben gestraft werden sollten, haben sie sich dennoch darnach
nicht achten wollen, sondern wie man zwei von denen Redels-Führern
durch die Wache in Arrest bringen wollen, haben sie selbige nicht lassen,
sondern alle mit in die Wache gehen wollen und die Wache dergestalt
infultiret, daß sie genöthigt gewesen, die Bayonnette aufzustecken, um die
Leute abzuhalten, wobei aber einige bei weiterem Eindrängen hart ver—
wundet worden sind. Wobey Magistratus sich obligiret gesehen, heimlich
vom Rathhause zu gehen, weil sie befürchtet, sie möchten ihres Lebens
nicht sicher seyn. Hierauf sind alle Bursche in Arrest genommen und
sollen zwoy davon, welche am meisten an solchem Aufstand schuld, nächstens
auf des Königs darüber eingekommene Ordre gehangen werden. Den
13. dito Sindt obgedachte Maurer- und Zimmer-Gesellen anderweit zu
Rathhause vernommen, und welche arbeiten wollen, loß gelassen, die anderen
aber krumm doppelt zusammen in denen Gefängnissen geschlossen worden.“
Aber auch diese scharfe Maßregel verfehlte ihren Zweck und erzeugte
Gegenmaßregeln. Im Dezember 1733 erließ daher der König eine
Ordonnanz, welche die Zimmerleute und Maurer zur Unterwerfung unter
die Lohnreduzierung veranlassen sollte, Die Gesellen zogen aber nach wie
vor davon. Das behagte dem baulustigen Soldatenkönig nicht, er sann
deshalb auf schärfere Mittel. In einer Ordonnanz vom 23. Februar 1736
konute er kund tun, er habe sich mit dem Administrator des Erzstifts
Magdeburg vetterlich verglichen, daß keiner „aus unsern Residentzien ent—⸗
wichenen Meurer und Zimmerleuthe alldort aufgenommen werden solle, er
habe dann von seinem BauhHerr ein beglaubigtes Docoment vorzuzeigen.
Die entwichenen Meurer und Zimmerleuthe sind weyter ebenmaeßig an⸗
zuhalten und in Hafft zu nehmen und sollen deren Klagen ueber Lohn
und dergleychen so sie vorzuschuetzen haben mögen, vor keinem anderen,
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als der obersten Gerichtsbehoerde des Orthes, allwo sie in Arbeyt ge—
standen, ventiliret und decidiret werden. Ferner, damit dem weglauffen
der Meurer und Zimmerleuthe aus unseren Residentzien, wofern die
BauHerrn ihnen ihre Uebersetzung nicht genehmigen können, desto mehr
gesteuret und gewehret werde, so sollen alle diejenigen, so zu Austretung
Vorschub thun, und sie verleiten, nach Ermessung der Obrigkeit, unter
welcher sie unmittelbar gesessen mit Gefängniß oder Geld bestraft werden“.
Als auch dieses Mittel noch nichts half, sondern immer mehr Maurer und
Zimmerleute fortliefen und statt ihrer minderwertige Kräfte das Hand⸗
werk übten, die nach keiner Richtung genügten, verfügte der König am
21. Juni 1736, daß „denen sämmtliche Soldaten, so in wirklichen Diensten
stehen, und das Meurer und Zimmerhandwerk erlernt, verstattet sein soll,
auf dem Bau zu arbeyten bis sich die Unordnung geleget“.
Der Ausgang der Angelegenheit dürfte für den baulustigen König
nicht sonderlich schmeichelhaft gewesen sein; denn es sind keine Nachrichten
weiter darüber bekannt geworden. Uebrigens wurde 1723 auch in Wien
der kaum gesteigerte Tagelohn der Maurer und Zimmerleute auf obrig—
keitliche Anordnung herabgesetzt, damit „der Bauherr gegenwärtige gesegnete
Zeiten in etwas genießen möge“. Darüber ist es auch zu Unruhen ge—
kommen, über deren Verlauf nichts bekannt geworden ist.
Auch aus Kiel sind einige Daten über Lohnbewegungen der Maurer—
und Zimmergesellen bekannt. Im Jahre 1794 wandten sich diese mit
der Bitte um Erhöhung ihres Tagelohnes an den König von Dänemark,
der damals in Schleswig-Holstein regierte. Bis dahin hatte ihr Tagelohn
betragen: 15 Schilling (2 Schilling gleich 15 9). im Frühjahr und
Sommer, 14 Schilling im Herbst und 12 Schilling im Winter; sie baten
um eine Erhöhung auf 20 Schilling im Frühjahr und Sommer, 18 Schilling
im Herbst und 16 Schilling im Winter und begründeten ihren Antrag
mit der Verteurung der Lebensmittel und mit dem Umstande, daß sie
im Winter fast gar keine Beschäftigung hätten, so daß sie ihre Familien
mit dem Lohne nicht zu ernähren vermöchten. Unterm 31. März 1795
erhielten sie von der Schleswig-Holsteinischen Kanzlei in Kopenhagen den
Bescheid, daß in dieser Sache kein Zwang stattfinden könne, sondern
dieselbe der gütlichen Vereinbarung zwischen jedem einzelnen Gesellen mit
seinem Meister überlassen bleiben müsse. Damit war die regierungs⸗
seitig festgehaltene Maximallohngrenze für Schleswig-Holstein fortgeräumt.
1819 forderte indes die Statthalterschaft auf Gottorf von dem Kieler
Magistrat Nachricht darüber, ob für die Bauhandwerker bestimmte Lohn—
taxen beständen. Der Magistrat berichtete, es gelte in Kiel für die
Bauhandwerker zwar ein bestimmter Arbeitslohn, doch sei derselbe weder
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gesetzlich vorgeschrieben, noch beruhe er auf einer rechtlichen Observanz,
in jedem Einzelfalle stehe den Bauherren frei, mit dem Meister über den
Arbeitslohn zu akkordieren; dem Bericht ist hinzugefügt, daß bei den
Maurer- und Zimmerleuten bei einer Arbeitszeit von morgens 6 Uhr
bis abends 6 Uhr der Tagelohn 28 Schilling beträgt, bei kürzerer
Arbeitszeit im Winter 24 Schilling.“ Es ergibt sich danach eine
wesentliche Lohnerhöhung, von der man jedoch nicht weiß, ob sie nur
durch Vereinbarungen erzielt worden ist. Außerdem erscheint es zweifel—
haft, ob die Angabe über die Arbeitszeit zutrifft; denn anfangs der
siebziger Jahre währte sie von 6 Uhr morgens bis 7 Uhr abends.
Es hätte also nach 1819 wiederum eine Verlängerung der Arbeitszeit
stattgefunden, was ohne Kenntnis der näheren Umstände nicht recht
glaublich erscheint.
Von der Regelung der Lohnsätze in den kleinen Städten Nord—
deutschlands wird 1884 in den „Reise-Grinnerungen eines alten Zimmer⸗
gesellen“, der zirka 40 Jahre vordem mit Felleisen und Kundschaftsbüchse
auf Wanderschaft war, diese Darstellung gegeben: „Die Löhne wurden
gewöhnlich am Osterquartal in den einzelnen Städten gemeinschaftlich
durch Meister und Gesellen geregelt; es wurde also ein bestimmter Lohn⸗
satz (Minimallohnsatz) für ein Jahr festgestellt und auf der Herberge,
Wir folgen hierbei einer Darstellung, welche die „Kieler Zeitung“ in ihrer
Abendausgabe am 22. Januar 1902 brachte. In ihrer Morgenausgabe vom
26. Januar 1902 brachte dieselbe Zeitung eine Darstellung der Bezahlung der
Tagelbhner vor 160 Jahren, der wir das Nachstehende entnehmen:
Im Jahre 1758 hatte der Rat der Siadt Kiel unter Genehmigung der
großfürstlichen Regierung eine Taxe erlassen, welche feststellte: für einen Stein—
Zrücker im Sommer 182 Schillinge, im Winter 6 Schillinge; für einen Tagelöhner,
„welcher vor dem Tor, bei der Schiffbrücke, den Packräumen oder sonst auf den
Straßen sich beschäftigen läßt“, im Sommer 10, im Winter 8 Schill.; „wenn er
aber in Häusern und Ställen für Tagelohn arbeitet“, bezw.8 und 6 Schill. Sehr
gering ward der Holzsäger bezahlt; für einen Faden „Blockholz“, wenn er im
Hause aufgestapelt wuͤrde, 14 Schill., wenn er treppenaufwärts zu schaffen,
Ié Schill.; für einen Faden „Klobenholz“ 10 und 12 Schill.; ferner für ein Fuder
Holz, „welches etwa 3 bis 4 Mark Lübisch kostet“, zu sägen und klein zu machen,
zSchill.; für ein Fuder, das 5 bis 6 Mark kosiet, 6 Schill.; sollte es treppen⸗
aufwärts gebracht werden, je 2 Schill. mehr. Für das Wegfahren von Schnee
und aufgehauenem Eis aus den Straßen ward das Fuder mit 2 Schill. bezahlt.
Was landwirtschaftliche Arbeiten anbetrifft, so erhielt ein Mäher im Felde 16 Schill.,
ein Garbenbinder oder eine Garbenbinderin 10 Schill. ein Drescher 10 Schill.;
bei allen übrigen Feldarbeiten ein Mann 10, eine Frau s Schill. Eine Wasch⸗
frau endlich empfing für Tag und Nacht 8s Schill. und volle Kost; eine Frauens⸗
person für niedere Hausarbeit 6 Schill. gleichfalls nebst Beköstigung. Diese Taxe
bestimmte auch die Arbeitszeit: von 5 Uhr morgens bis 7 Uhr abends im Sommer,
von 6 bis 6 Uhr im Herbst, von 7 bis 4 Uhr im Winter, wobei jedoch morgens
von 8 bis 9 Uhr und mittags von 12 bis 1 Uhr als die „gewöhnlichen Feier—
stunden“ zugestanden waren.“
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unterschrieben vom Obermeister und Altgesellen, angeschlagen. Die Fest—
stellung des Lohnes richtete sich meistenteils nach dem Preise der Lebens—
mittel, teilweise nach der in Aussicht stehenden Arbeit. War z. B. viel
Arbeit in Aussicht, wo fremde Gesellen herangezogen werden mußten, so
wurde ein Vorschlag zur Lohnaufbesserung von den Meistern gemacht;
natürlich widersprachen dann die Gesellen nicht. Furchtbar stürmische
Verhandlungen gab es, wenn der Lohn reduziert werden sollte. Es
ist dieses auch sehr selten gelungen; einen einzigen Fall aus meiner
Wanderschaft weiß ich noch; es war, wenn ich nicht irre, in Rendsburg.
Der Lohn der Zimmerleute war zu der Zeit 24 Schilling hamburgisch
(M. 1,803). Die Mehrzahl der Gesellen war mit der Reduzierung nicht
einverstanden und alle Fremden reisten sofort ab. Die Meister hatten
auch mit den Verheirateten viele Widerwärtigkeiten, so daß zum Johanni—
Quartal wieder eine Einigung zustande kam und das Fremdenbuch auf—
gemacht wurde.“
Einen Anspruch auf absolute Richtigkeit kann auch diese Darstellung
nicht machen, sie beruht gewiß auf Verallgemeinerung eines oder einiger
Fälle. Außerdem sind die vierziger Jahre des 19. Jahrhunderts die
fortgeschrittenen Kinderjahre des Kapitalismus. Bei den Lohnbewegungen
in jenen Jahren kamen Umstände in Betracht, die erst weiterhin dargestellt
werden. Die Meister waren teils schon Unternehmer. Sie kehrten den
Herrenstandpunkt immer schärfer hervor. Von einer Harmonie zwischen
Meistern und Gesellen war kaum noch die Spur vorhanden.
1.
Die Entwicklung der Zimmerei.
Die Arbeitsteilung.
Um das Jahr 800 bestanden in Deutschland die Wohn-, Arbeits⸗
und Oekonomiegebäude, wie heute noch in den Alpen, aus Holz. Sogar
die Paläste der Könige und Stammfürsten, wenn auch etwas geräumiger,
sind ihrer Bauart nach nicht viel anders gewesen. Die Außenseite der
Wohnung bestand aus blockhausartig zusammengefügten Balken mit einem
hohen Dache, welches damals schon der First genannt worden ist. Die
Dächer waren mit Stroh oder Schindeln gedeckt, zuweilen aber auch schon
mit Ziegeln; alles übrige bestand aus Latten und sonstigem Holzwerk.
Sowohl das Dach als das Innere des Gebäudes wurde von Säulen
getragen, außerdem standen noch vor dem Gebäude Säulen, welche das
vorstehende Dach trugen und dadurch einen bedeckten Gang bildeten, wie
dieses heute noch in den Alpen an Blockhäusern zu sehen ist. Das Innere
der Wohnung zwischen den vier Wänden kann nur aus einem großen
Raum bestanden haben, in welchem die ganze Familie beisammen wohnte
und schlief, auch muß dieser Raum, die Diele, bis unter das Dach hinauf
gereicht haben. Mehrere Stockwerke aufeinander zu bauen oder die
einzelnen Gebäude miteinander unter einem Dache zu vereinigen, war für
rein hölzerne Gebäude nicht zweckmäßig, bei dem Ueberfluß an Holz und
an Bauplätzen auch nicht notwendig. Das alles entstand erst in späteren
Zeiten. Nur die Kirchen waren hier- und da schon gemauert. Es hat
aber auch noch in späteren Zeiten hölzerne Kirchen gegeben. Selbst die
Umfestigung der Höfe und auch der Städte hat stellenweise noch sehr spät
aus Holz bestanden. Erst im 12. Jahrhundert ist Hamburg mit Mauern
versehen, Prag Anfang des 13. Jahrhunderts; Itzehoe war noch im
14. Jahrhundert mit hölzernen Planken befestigt, und 1269 ist in der
Mark Brandenburg noch eine hölzerne Burg, Zielenzig, angelegt worden.
Die Bauten in den Städten unterschieden sich ursprünglich gar nicht
von den beschriebenen. Noch lange waren die Gebäude lediglich von Holz.
In Hamburg, Zürich und Bern noch im 12. Jahrhundert. In Magdeburg,
95
Lübeck, Görlitz und Breslau noch im 13. Jahrhundert. In Speyer,
Heidelberg und München noch im 14. Jahrhundert usw. Erst allmählich
— besondere Anordnung.
So wurde 1342 in München verordnet, die Häuser sollten mit Stein ge—
baut oder mindestens mit Ziegeln gedeckt werden. In Augsburg waren
aber noch im 15. Jahrhundert alle Gebäude mit Stroh oder Schindeln
gedeckt, ebenso in Frankfurt a. M. während des ganzen 14. und 15. Jahr—
—
lang, die Stroh- und Schindeldächer zu beseitigen. In Wetzlar wurde
eine Verordnung dieser Art erst im Jahre 1712 erlassen.
Nur allmählich und zunächst nur vereinzelt gelangte man zu Bauten
aus Stein, die dann im Gegensatz zu den Holz- bezw. Baum- oder Block—
häusern Steinhäuser genannt wurden, gewöhnlich aber nur Fachwerk⸗
gebäude waren, so in Frankfurt 1253, in Worms 1266, Speyer 1340,
Mainz 1376 usw. Vielfach war auch zu solchen Häusern nicht ein einziger
Stein verwandt worden, sondern die Blockhäuser wurden hier und dort
abgelöst von Gebäuden, deren Fachwerke mit Stecken geflochten und dann
mit Lehm übertüncht worden waren. Solche Häuser und auch mit Stein
gemauerte Fachwerkgebäude, beide Arten jedoch mit Stroh oder Schindeln
gedeckt, haben sich in großer Zahl bis ins 19. Jahrhundert nicht nur
erhalten, sondern sie sind in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts selbst
in Städten noch gebaut worden und existieren bis auf den heutigen Tag.
Die Steinbauten begannen in den Städten im 10. und 11. Jahr—
hundert aufzukommen. Um diese Zeit wurden die Domkirchen in Augs—
burg, Speyer, Mainz, Köln, Ulm, Regensburg, Nürnberg und in andern
Städten in Angriff genommen. Seit dem 13. und 14. Jahrhundert baute
man die ersten Rathäuser, Kaufhäuser, Gewerbehallen usw. mit Stein, so
in Augsburg, Prag, Nürnberg, Braunschweig, Breslau, Danzig, Stralsund,
Thorn usw. Daneben bauten auch die Geschlechter, adlige Familien, wahre
Paläste oder burgartige Gehöfte in den Städten, von denen noch sehr
viele existieren. Genug, die Bauweise wurde mit der Zeit ein sehr buntes
Gemisch, die ältesten Gewohnheiten erhielten sich zähe und neue kamen hinzu.
Die Herstellung von Bauten war demnach ursprünglich Zimmer—
arbeit und erst nach und nach ist das anders geworden. Nachdem die
Holzbestände anfingen knapp zu werden, und aus noch andern Gründen
griff man zu Lehm und Steinen. Ursprünglich haben die Zimmerleute
bei gewöhnlichen Bauten die aus der Verwendung von anderm Bau—
material resultierende Arbeit gewiß mit verrichtet; die „Husmaker“ in
Dithmarschen und Nordschleswig befinden sich noch heute auf dieser Ent—
wicklungsstufe, sie vereinigen in ihrem Berufe die Zimmerei, Maurerei
96
und Tischlerei. Nichtsdestoweniger hat sich schon früh auch die Maurerei
zu selbständiger Berufsarbeit entwickelt. Der Maurerberuf hat aber bis
anfangs des 19. Jahrhunderts eine geringere Ausdehnung gehabt als der
Zimmerberuf; selbst 1816 gab es im Königreich Preußen noch mehr
Zimmerleute als Maurer. Ein Wandel ist erst im 19. Jahrhundert ein⸗
getreten, dann ist die Entwicklung des Zimmerberufes hinter der Ent⸗
wicklung der andern Bauberufe weit zurückgeblieben.
Die Zimmerei erstreckte sich von Anfang an nicht nur auf Bau—
arbeit, sondern auch auf die Verfertigung von Wirtschaftsgeräten. Auch
diese Verrichtungen sind nach und nach Spezialarbeit und besondere
Berufe geworden, die teils den Zimmerberuf weit überragen. Die Ver—
richtungen der „Sniddeker“ Verfertiger von geschnitzten Decken), „Kysten⸗
makers“ und „Kuntormakers“, ursprünglich Spezialarbeiten des Zimmer—
berufes, bildeten schließlich den Tischlerberuf; die hiermit beschäftigten
Handwerker wurden in Lübeck 1620 zu einem besonderen Amte vereinigt.
In Nürnberg — im Mittelalter die bedeutendste Gewerbsstadt in ganz
Europa — war die Schreinerei schon früher vom Zimmerberuf abgezweigt;
sie bildete eine „freie Kunst“, das heißt eine Arbeit, die jeder ausführen
durfte. 1529 wurden die Schreiner in Nürnberg zu einer Zunft ver—
einigt. Auch die Tatsache, daß in Basel Zimmerleute, Kübler und Wagen⸗
bauer in einer Zunft vereinigt gewesen sind, dürfte ihren Ursprung mit in der
Arbeitsteilung haben. Sogar die Müllerei wurde ursprünglich vielfach von
den Zimmerleuten besorgt; sie wurde dann eine Spezialarbeit, weiterhin
ein besonderer Beruf und schließlich ein Gewerbe, das gar keine Aehnlichkeit
mehr mit der Zimmerei hat. Das Urkundenbuch der Breslauer Innung der
Zimmermeister enthält über diese Abzweigung sehr viel des Interessanten.
Gäbe es keine Dokumente, die jeden Zweifel ausschließen, dann
erinnerten uns die Namen vieler Mühlen an ihren Ursprung. Dorf—
mühle, Gutsmühle, Hofmühle, Schloßmühle, Städtermühle, Neustädter⸗
mühle, Klostermühle, Stiftsmühle usw., das sind alles Bezeichnungen,
die ohne weiteres verraten, wer ursprünglich Besitzer der betreffenden
Mühlen war, und die es klarstellen, daß der Besitzer der Mühle nicht
selbst die Mühlenarbeit besorgte. Das machte vielmehr vielfach ein mit
der Mühle vertrauter Zimmermann . Dieser hatte vorerst keineswegs das
ganze Jahr hindurch seine Beschäftigung daran. Er wird früher auch
in dieser Beziehung nur ein Tagelöhner — —
der Mühlenpächter geworden, später der Mühlenbesitzer. An die Stelle
der Lohnmüllerei ist die Spekulation in der Mehlproduktion getreten, und
heute birgt die Müllerei die entwickeltesten kapitalistischen Betriebe in sich,
die mit der Zimmerei keinerlei Berührungspunkte haben.
)
1457 ließ der Rat zu Breslau die Brüderschaft der Zimmerleute
zu; in einer Urkunde von 1481 tauchen in dieser Brüderschaft aber ganz
uͤnvermittelt auch die Müller auf. Diese sollten nur dann auf Zimmer—
arbeit gefordert werden dürfen, wenn sie eine Schrotmühle bereiten und
für einen Zimmergesellen zugleich arbeiten konnten. Aus einer Urkunde
von 1536 ist zu ersehen, daß sich um diese Zeit die Müllerei schon etwas
weiter vom Zimmerberufe entfernt hatte; nun gab es schon Mühlknechte,
die ständig in den Mühlen beschäftigt waren. Aber nach einer Urkunde
von 1546 übernahmen die Müller noch immer die Ausführung von
Bauten. In einer Urkunde von 1593 wird noch ausdrücklich gesagt, daß
die Meister ihre Kinder bis dahin immer beide Handwerke hatten lernen
lassen. Nun war das aber nicht mehr der Fall, es gab schon Mühl⸗
meister, die das Zimmerhandwerk nicht mehr erlernt hatten, und daher
brachen in der Zeche Mißhelligkeiten aus. Die Zimmerleute wählten
die Müller, die nicht zugleich auch Zimmerleute waren, nicht zu Aeltesten,
und die Müller bestanden darauf, daß ihr Name auf dem Siegel der
Zeche vor den Namen der Zimmerleute gesetzt werden sollte. Der Rat
traf einige Verordnungen zur Schlichtung des Streites, unter anderm
auch jene Verordnung, daß hinfort zwei Siegel in Gebrauch genommen
werden sollten; eines mit der Inschrift: Müller und Zimmerleute, eines:
Zimmerleute und Müller. Wessen Angelegenheit es nun betraf, da sollte
auch das Siegel entsprechend angewandt werden. In dieser Sache ver⸗
steckt sich zweifellos sehr viel mehr als nur eine Zunftschrulle. 1601
waren die Müller nicht mehr in der Zeche der Zimmerleute vertreten.
Später ist die Brettschneiderei Spezialarbeit geworden, dann die
Mühlenbauerei, und auch die Zubereitung des Holzes war schon bis zu
einem gewissen Grade Spezialarbeit, als sie von Maschinen besorgt wurde.
Diese Verrichtungen erscheinen von dem Zimmerberuf losgelöst und bilden
besondere Berufe. Wie verwickelt und verworren die Verhältnisse bei
den Abzweigungen neuer Berufe mitunter gelegen haben, davon zeugt
noch eine Urkunde von 1828 aus Altona. Einem Mühlenbauer war das
„Privilegii zur Betreibung seines Gewerbes mit den von den ein—
schlagenden Gewerken zu nehmenden Gehilfen“ erteilt. Er mag nun
geglaubt haben, er gehöre damit zu dem Zimmergewerk und habe die—
selben Rechte wie andre Zimmermeister. Er wurde jedoch vom Altonaer
Oberpräsidialgericht dahin belehrt:„Daß das gedachte allhöchste Privilegium
dem Kläger zwar die Befugnisse erteile, für seinen Betrieb Gehilfen von
den dahin einschlagenden Gewerken, also auch von dem Zimmergewerk, zu
halten, der Kläger mithin von Zunftzwang in dieser Hinsicht gänzlich
liberirt zu achten sey, keineswegs aber die Rechte wirkliger Meister der
Bringmann, Geschichte der gimmerer.
98 —
gedachten einschlagenden Zunfte und Gewerbe erlangt habe, nahmentlich
nicht als Haußzimmer Amts Meister angesehen werden könne. Daß
demnach die Gehülfen des Klägers, wenn sie wirklich zünftige Gesellen
sind des Arbeitens bey Kläger, ungeachtet zünftig bleiben, daß aber die—
jenigen Gehülfen desselben, die nicht Mitglieder einer Zunft, oder nicht
wirklich zünftige Gesellen sind, dadurch daß sie von Kläger in Arbeit
genommen werden, nicht die Rechte zünftiger Gesellen erlangen — daß
hiernach also die Beklagten schuldig sein, diejenigen Gehülfen des Klägers,
die vorher, ehe sie bey Kläger in Arbeit gekommen, zünftig waren, als
zünftige Gesellen aufzunehmen, und anzuerkennen und gegen die von den⸗
selben gleich anderen zünftigen Gesellen zu leistenden etwannigen Kosten⸗
beyträge an der Gesellenzunfteinrichtungen des hiesigen Haußzimmer Amts
Theil nehmen zu lassen, in welcher Hinsicht die aufzunehmenden die. her⸗
gebrachten Bescheinigungen zu führen haben; — daß übrigens das hiesige
Haußzimmer Amt den Kläger es nicht verwehren dürfe, in seiner der—
mahligen stellung zünftige Gesellen zu halten, nicht aber verpflichtet sey,
ihm nach dem Anits Gebrauch der Amts Meister gesellen ordentlich zu
schicken zu lassen.“
Man darf diese Entwicklung jedoch nicht so auffassen, als hätten
die Verrichtungen aller jener Handwerker, deren Beruf sich aus der
Zimmerei heraus entwickelt hat, vordem den Beruf der Zimmerleute
ausgemacht. Vollkommen zutreffend schreibt z. B. Herold schon 1835:
„Die erste Art, in Holz zu arbeiten, war gewiß die mit der Art, der
Säge, dem Messer. Die Ausbildung des menschlichen Zusammenlebens
huele aber und vermehrte auch die Bedürfnisse der Menschheit und
zwang den menschlichen Geist, mit neuen, zweckdienlichen Mitteln seiner
Hände Arbeit zu fördern; auch für die Holzarbeiter wurden neue In⸗
strumente erfunden, und was ursprünglich der Zimmermann mit der Art
bereitet hatte, das verfertigte später der Tischler und nach ihm der
Drechsler mit verfeinertem Handwerkszeug.“ Es entspricht aber nicht den
Tatsachen, wenn Herold daran anknüpfend meint, diese Veränderung habe
stattgefunden, ohne daß die Produkte am Ende andre als die des
Zimmermanns gewesen wären. Diese ganze Entwicklung stellt sich viel⸗
mehr dar als eine großartige Ausweitung der gesellschaftlichen Bedürfnisse
und der Formen ihrer Befriedigung. Die von den Zimmerleuten ur⸗
sprünglich verfertigten Produkte haben sich vermehrt, werden nun massen⸗
haft konsumiert und immer verfeinerter verlangt. Die Arbeitsteilung
mußte dieser Entwicklung folgen. Auch die dem Berufe der Zimmerleute
zur Verfertigung verbliebenen Produkte konnten ihre heutige Brauchbar⸗
keit und Wohlfeilheit nur durch die Arbeitsteilung erlangen. Wer mit
F
Vielerlei beschäftigt ist, sein Können weit verstreuen muß, dem bleibt für
die Verfertigung des einzelnen nicht jenes Maß von Kraft und Muße,
ohne daß etwas Vollendetes nicht entstehen kann. So verhält es sich
aber gleichermaßen mit den Berufen der Handarbeiter.
Es muß übrigens auch darauf verwiesen werden, daß bei der
Arbeitsteilung nicht nur Spezialberufe sich aus der Zimmerei heraus
entwickelten, sondern daß der Beruf der Zimmerleute auch in neue
Arbeitsgebiete eingedrungen ist. Viele Industrien bedürfen bei der Ver—
fertigung ihrer Produkte auch der fachkundigen Zimmerarbeit. Nach der
Betriebsstatistik von 1895 wurden in Deutschland 28 175 Zimmerleute
in andern als Zimmereibetrieben beschäftigt. Ihre Verrichtungen sind
aber keineswegs immer solche, die früher den Zimmereibetrieben zugefallen
wären, sondern zumeist handelt es sich um Arbeiten, die man früher gar
nicht gekannt hat.
Genug, die Arbeitsteilung ist seit erdenklichen Zeiten in Fluß; ihre
Tendenzen sind mannigfach, sie hat sich während der starren Zunftordnung
durchgesetzt und sie hat auch seitdem nicht geruht. Die systematische
Berufsliste der amtlichen Berufs- und Betriebszählung vom 12. Juni 1907
führt als Zimmerer auf: Bauzimmerer, Dielensäumer, Einschaler, Hoch—
bauzimmerer, Holzbeschlager, Marktbudenbauer, Pfählreißer, Platzmeister,
Platzpolier, Scharwerkszimmerer, Staker, Sticksteckenleger (Staker), Treppen⸗
bauer, Werkholzzurichter, Werkmacher, Windelbodenmacher, Zeltenbauer,
Zimmeramtsbruder, Zimmerer, Zimmerleute, Zimmermann, Zimmermeister,
Zimmerpoliere (Zimmerparliere), Zuschneider. Das sind zum Teil schon
sehr verdichtete Ansätze zu weiteren Spezialberufen, und in Rücksicht auf
diese Tatsache läßt sich sagen, daß auch für die Zukunft ein endgültiger
Abschluß der Arbeitsteilung nicht zu erwarten ist.
Die Begleiterscheinungen der Arbeitsteilung zeitigen mitunter die
Vermutung, der Beruf der Zimmerleute würde in nicht sehr ferner Zeit
überhaupt untergehen. Es handelt sich dann gewöhnlich um Eingriffe der
Gesetzgebung, die den natürlichen Entwicklungsgang unterbrechen. Die
Rayongesetze für Festungen und die Baupolizeigesetze zur möglichsten
Beschränkung und Verhütung von Brandschäden stellen sich als solche Ein—
griffe dar. Die ersteren Gesetze haben zur Folge, daß Holz in großen
Quantitäten länger als Baumaterial verwendet wird, als es bei freier
Entwicklung des Bauwesens der Fall wäre, und die Baupolizeigesetze
verbieten oft die Verarbeitung von Holz als Baumaterial dort, wo es
bei freier Entwicklung des Bauwesens noch recht lange zur Verwendung
kommen könnte. Werden für eine Festung die Rayongesetze plötzlich auf—
gehoben, dann werden auch plötzlich viele Zimmerleute überflüssig, während
7 *
lastitut for deutsche Vollkelundo
100 —
andre Bauberufe, besonders der Maurerberuf, sich schnell emporschwingen.
Dieselbe Erscheinung tritt ein, wenn die angedeuteten Baupolizeigesetze in
Kraft gesetzt werden. Solche Krisen sind jedoch immer nur lokaler Natur,
sie werden in verhältnismäßig kurzer Zeit überwunden; die Anzahl der
Zimmerleute an solchen Orten vermindert sich zwar immer recht auffallend,
aber im ganzen genommen geht die Zahl der Zimmerleute nicht zurück.
Hingegen hat sich die Zahl der im Zimmerberuf Erwerbstätigen von
300 154 im Jahre 1895 auf 219 580 im Jahre 1907 erhöht; darunter
die Zahl der Gehilfen von 155 475 im Jahre 1895 auf 175409 im
Jahre 1907.
Auch die Kunstfertigkeit der Zimmerleute soll⸗ früher einmal eine
größere gewesen sein als später. Die künstlichen Holz- und Fachwerk⸗
bauten aus früheren Jahrhunderten werden im Gegensatz zu den Fach—
werkbauten aus dem Anfange des 19. Jahrhunderts, wie sie besonders
in schnell anwachsenden Großstädten erstanden, für den Niedergang der
Zimmerkunst ins Feld geführt. Allein dieser Wandel hat von andern
Faktoren abgehangen, denen sich auch die Zimmer kunst hat anpassen
müssen. Früher konnte, wie Kautsky treffend darlegt, der Reiche und
Mächtige sein Einkommen noch nicht in Aktien oder Staatspapieren an—
legen. „Je mehr die Ausbeutung durch weltliche und geistliche Fürsten
und Herren, durch Patrizier und Kaufleute wuchs, je größer deren Ein—
kommen wurden, desto größer der Luxus, den sie trieben.“ Ihr Reichtum
war ein Zeichen und eine Wurzel ihrer Macht, stolz und prahlend trugen
sie ihn zur Schau; neben anderm Luxus, den sie trieben, erbauten sie
auch Paläste und ließen diese aufs prächtigste ausstatten. „Es war das
ein goldenes Zeitalter, auch für die Kunst.“ Heute ist die Hauptaufgabe,
die sich der reiche Mann stellt: die Akkumulation, die Anhäufung von
Kapital. Die Baulichkeiten sind von ihrer einstmaligen Bedeutung als
Prunkstücke zu Ausbeutungsobjekten herabgesunken, alle „Kunstfertigkeit“
hat jetzt zum Ziel, einträgliche Bauten herzustellen.
Die Umwalzung des Bauwesens und der zünstigen Bauhandwerke
aurch den Rapitalismus.
An Anfängen der kapitalistischen Produktionsweise fehlte es bei
Beginn des 19. Jahrhunderts in Deutschland nicht, trotz aller Armut,
die sonst herrschend war. In den Handels⸗ und Seeplätzen befanden sich
beträchtliche Kapitalien in wenigen Händen. Der Despotismus, besonders in
Preußen, hatte mit seiner Monopol⸗Privilegien⸗ und Protektionswirtschaft
beträchtliche Hebel der kapitalistischen Produktionsweise geschaffen. Im
Königreich Sachsen datierten die Anfänge des Kapitals aus dem Zeitalter
101
der Reformation. Und der industrielle Mittelpunkt des westlichen Deutsch—
lands war infolge der französischen Revolution nahezu auf der Höhe
der modernen bürgerlichen Gesellschaft angelangt. Nichtsdestoweniger
hielt die wirtschaftliche Entwicklung vorerst doch nur ein sehr lahmes
Tempo inne, so daß man von Fortschritten kaum reden konnte. Die
ersten Jahre nach dem Frieden von 1818 waren nicht günstig für die
wirtschaftliche ·Entwicklung. Die Nachwehen der großen Verluste und
Zerstörungen, die Hungersnot 1816 bis 1817, die Ackerbaukrisis 1820
bis 1825 waren harte Schläge. Bis 1830 krankte Deutschland dahin.
Wesentlich besser gestalteten sich die Zustände in den dreißiger Jahren.
Unter schweren Geburtswehen kam der Zollverein zustande, er war in
wirtschaftlicher Beziehung ein dringendes Bedürfnis, die Industrie konnte
sich ohne diese Maßregel kaum entwickeln. Sein Einfluß war bald zu spüren.
1790 war in England die Dampfmaschine erfunden, sie hatte dort
schon in den ersten vier Jahrzehnten im frischfröhlichen Schöpfungsdrange
eine neue Gesellschaft mit neuen Klassen geschaffen. In Deutschland
fand die Dampfmaschine bald nach ihrer Erfindung Eingang, aber erst
in den vierziger Jahren begann hier der Kapitalismus den Dampf in
respektablem Umfange in seinen Dienst zu zwängen. Früher konnten bloß
an Wasserläufen Fabriken errichtet werden, nach der Erfindung der Dampf⸗
maschine stand deren Errichtung nirgend etwas im Wege. Im Jahre
1840 waren in Preußen 634 Dampfmaschinen mit 12278 Dampf—
pferdestärken in Bewegung, 1875 dampften bereits 35684 Maschinen mit
2519 513 Pferdestärken. Ferner war in England 1814 die erste brauch—
bare Eisenbahn-Lokomotive gebaut und in schneller Folge verbessert worden;
im Dezember 1835 wurde zwischen Nürnberg und Fürth nun auch die
erste Eisenbahn in Deutschland eröffnet. Dann kam 1838 eine solche bei
Elberfeld und gleichzeitig auch zwischen Potsdam und Berlin eine in Gang.
1839 wurde die Eisenbahn zwischen Leipzig und Dresden eröffnet und 1840
die Strecke Leipzig- Magdeburg. Um diese Zeit wurde der Eisenbahnbau in
ganz Deutschland rüstig in Angriff genommen. Die Länge des Eisenbahn—
netzes betrug in Deutschland: Im Jahre 1840: 469 Kilometer; 1850:
5856; 1860: 11088; 1870: 18 450; 1880: 33 411; 1889: 41 793 und
im Jahre 1899: 48989 Kilometer.
Mit den technischen Fortschritten gingen auch die Fortschritte der
Naturwissenschaft Hand in Hand. Die Fabriken schossen wie Pilze aus
der Erde, nachdem die Eisenbahnen den Reichtum des deutschen Bodens
an Erz und Kohlen erschlossen und die Maschinenbauerei sich angesiedelt
hatte. In raschem Tempo gewann der Kapitalismus die Volkswirtschaft.
Die neue Gestaltung der Dinge erforderte auch ganz andre Bauten
102
als früher, und man konnte die Bauzeit nicht mehr, wie z. B. bei
dem Straßburger Münster, auf 163 Jahre (1277 bis 1439) bemessen. Das
Tempo der Eisenbahnen wurde auch für die Errichtung von Bauten vor—
bildlich. Professor Hermann Pfeifer sagte über denselben Gegenstand in
einem Vortrage gelegentlich der Preisverteilung an der technischen Hoch—
schule zu Braunschweig 1898: „Mit dem 19. Jahrhundert verschiebt sich der
Standpunkt der Kultur: Macht und Bildung bleiben nicht mehr ein Vor⸗
recht von Adel und Klerus, sondern es wird den idealen und materiellen
Interessen des ganzen Volks Rechnung getragen. Damit entsteht eine
Zeit der größten Umwälzungen aller Daseins— und Schaffensbedingungen,
die mit dem ungeahnten Aufschwung der Naturwissenschaften, der Technik,
der Industrie und des Weltverkehrs eng verbunden sind. Jetzt wo das
ganze Volk Bauherr geworden ist, treten plötzlich mit elementarer Gewalt
die mannigfaltigsten neuen Bedürfknisse hervor: Schulen, öffentliche Biblio—
theken, Museen, Konzertsäle, Bahnhöfe, Markthallen, Börsen, riesengroße
Kauf⸗- und Geschäftshäuser, Krankenhausanlagen, Volksbäder, Post- und
Telegraphengebäude, Ausstellungshallen usw. sind zu errichten. Eine so
vielseitige, umfassende Bautätigkeit hat die Welt nie vorher gesehen,
selbst nicht in dem baulustigen alten Rom. Mit geradezu unerhörter
Geschwindigkeit und unwiderstehlicher Macht wachsen die Großstädte an.
Dazu die gesteigerten Anforderungen der öffentlichen Gesundheitspflege
und des Komforts, die Einführung von Tausenden neuer Erfindungen,
von neuen Baumaterialien, wie Gußeisen, Walzeisen, in Verbindung mit
Glas usw. in ausgedehntestem Maße!“
J Die kapitalistische Gesellschaft stellte Aufgaben, welche die zünftigen
Bauhandwerke ihrer ganzen Natur nach nicht leisten konnten. Sie wurden
infolgedessen von Grund aus umgestaltet. Mit der hoch entwickelten
Kultur des Römerreiches war auch die höhere Baukunst nach Deutschland
verpflanzt worden. Sie hatte jedoch die vielen Jahrhunderte hindurch
nur ein dämmeriges Pflanzendasein gefristet. Im 17. Jahrhundert bekam
sie in den „Akademien der Künste“ zwar eine Art Treibhäuser, aber
selbst in der Fridericianischen Zeit mußten die Baumeister, soweit sie
nicht von außerhalb herangezogen wurden, ihre grundlegenden Kenntnisse
in der Zeichenstube eines älteren Baumeisters mühsam zusammengeizen.
Ihre weitere Befruchtung erlangten sie auf Reisen durch Italien und
Frankreich. Die höhere Baukunst war im Mittelalter auch nur dem
Pracht-⸗ und Luxusbau gewidmet gewesen. Der Despotismus des 18. Jahr⸗
hunderts aber, der bei seinem Merkantilsystem auch viele geschulte Bau—
beamte gebrauchte: „Baubedienten, Deichoffizianten, Kondukteurs“ usw.,
mußte sich zum Fortschritt bequemen. Am 21. April 1799 wurde in Berlin
42*
2
die erste „Königliche Bauakademie“ mit zehn Studierenden eröffnet, die in
Deutschland als die älteste der technischen Hochschulen dieser Art gilt. Diese
Institute haben sich an Zahl rasch vermehrt und ihren Umfang ver—
größert. Im Semester 1888,99 belief sich die Zahl der auf allen
technischen Hochschulen in Deutschland Studierenden auf 9228, von denen
etwa 30p3t. dem Baufache angehörten.
Diese Techniker sind in das Joch des Kapitalismus eingeschirrt
worden. Die Bauhandwerksmeister konnten gegen sie nicht mehr auf—
kommen; die Techniker galten von jeher als eine allen Bauhandwerkern
übergeordnete Kategorie. In gewissen Beziehungen gingen sie auch allen
andern Kategorien von Bauhandwerkern voran. Bereits 1840 konstituierte
sich der Berliner Architektennerein, dem bald andre zur Seite standen.
1870 hatte der Verein 876 Mitglieder. In Hannover gründeten 1851
40 Mitglieder den dortigen Architekten- und Im Aeverein WSso zahlle
er 1594 Mitglieder. Der sächsische Ingenieur⸗ und Architektenverein
wurde 1846 gegründet. Der bayrische Architekten- und Ingenieurverein
entstand in den sechziger Jahren, 1870 zählte er schon 533 Mitglieder.
Auch in kleineren Staaten gründeten sich bald derartige Vereine. Sie
verfolgten nicht nur rein fachliche Zwecke, sondern sie übten auch Einfluß
auf die Honorarsätze. Die Regelung derselben bildete schon bei der
Gründung dieser Vereine den Kardinalpunkt.
Die mittelalterlichen Städte waren klein, 10000 bis 20000 Ein—
wohner machten schon eine große Stadt.“ Die Despoten des 18. Jahr⸗
hunderts versuchten besonders ihre Residenzstädte zu vergrößern. Friedrich
Wilhelm J. von Preußen z. B. preßte seine bemittelten Untertanen in
Berlin ganz ungeniert zum Häuserbau. Er hatte es sich einmal in den
Kopf gesetzt, Berlin zu einer Großstadt zu erheben, und da schreckte er
vor keinem Mittel zurück, um seinen Zweck zu erreichen. So nötigte er
einmal acht Personen, einen tiefen Sumpf in der Friedrichstraße zu
bebauen. Aehnlich so machten es auch andre Despoten, ohne ein
genügendes Resultat zu erreichen. Erst die große Industrie und der
—VF
ẽ A
Früher sah es in den deutschen Großstädten übrigens ganz anders aus als
heute. Zeiler, der Haupttopograph des 17. Jahrhunderts, z. B. sagt: „Berlin und
Cölln sind nicht sonderlich groß und von schlechten Gebäuden.“ Häuser waren
über 1200, aber mehr als der vierte Teil stand bei Ausgang des Dreißigjährigen
Krieges leer. Die Häuser waren mit wenigen Ausnahmen hölzern, zum großen
Teil baufällig, die Straßen, auf denen die Schweine der Berliner Ackerbürger
umherliefen, ungepflastert und so voller Kot, daß im Jahre 1671 der Befehl
erging, jeder Bauer, der zu Markte komme, solle rückwärts eine Fuhre davon
mit sich nehmen. Sogar das Schloß war so verfallen, daß eine gleichzeitige
Nachricht sagt: man müsse sich vor den Fremden schämen, die dieses kurfürstliche
Residenzschloß sähen.
104
große Handel schufen die modernen Großstädte. In diesen feiertevon
vornherein die Wohnungsnot ihre gräßlichsten Orgien. Das stäödtische
Spießbürgertum erwies sich als unfähig, für das Unterkommen der
Hunderttausende zu sorgen, die alljährlich den Städten zuströmten.
Eine ganz neue Kategorie Bauherren mußte erstehen, um Remedur zu
schaffen. Schon Mitte der dreißiger Jahre des 19. Jahrhunderts wurde
infolge der schrecklichen Wohnungsnot für die Gründung von gemein—
nützigen Bauvereinen Propaganda gemacht. Im April 1848 kam es
endlich in Berlin zur Gründung einer solchen Gesellschaft; lebensfähig
wurde sie indessen erst 1830. Sie arbeitete mit einem Kapital von
20000 bis 1000000 Taler. Eine ähnliche Gesellschaft entstand 1851
in Halle a d. S., 1833 in Stettin, 1861 in Königsberg, 1864 in
Görlitz. In Lüdenscheid entstand schon 1853 eine regelrechte Aktienbau—
gesellschaft. Dann— folgten weitere in Frankfurt a. M., Heilbronn,
Stuttgart, Mainz, Nürnberg, Chemnitz, Hamburg usw. Bis zum
31. Dezember 1871 waren in- Berlin allein 13 Aktienbaugesellschaften
gegründet worden, im ersten Quartal 1872. stieg ihre Zahl auf 29, im
zweiten Quartal auf 85 und im dritten Quartal auf 45. Eine ähnliche
Entwicklung machten diese Grundungen in allen bedeutenden Orten durch.
Sehr lange hielt diese Entwicklung jedoch nicht an; 1876 waren
schon die meisten Aktienbaugesellschaften zusammengebrochen. Der
Statistiker Engel stellte die Resultate von 46 Aktienbaugesellschaften im
Königreich Preußen zusammen, demnach verfügten diese 1872 über ein
Nominalkapital von 538657 200 Taler. Der Kurswert dieser Kapital—
summe betrug:
I872 . . . . . . . . . . . . . . . . . . ...... 60 608 710 Taler —*
1874.. 23 1598838
1875... 16 084 0o58 , 8
oder anders ausgedrückt: die Aktien standen durchschnittlich im Kurse
1872: 104,22 pgt. 1874: 84,51 p8t. und 1875: 25 pZt. Damit hatten
die Aktienbaugesellschaften, die die Häuserproduktion teils fabrikmäßig
betrieben, ihre Rolle ausgespielt. Mittlerweile war das „Bürgertum“
soweit fortgeschritten, die Ausbeutung der Wohnbedürfnisse zu übernehmen.
Die „Bürger“ wurden Hauswirte, Besitzer von so und so vielen Miets⸗
kasernen, von denen kaum ein Ziegel auf dem Dache ihr wirkliches
Eigentum war. Die Häuserproduktion verblieb in den Händen von
Spekulanten.
Die Formen, unter welchen die Bauspekulation in Erscheinung
tritt, sind verschieden und wenig von Bestand, so daß die Bauspekulation
nicht eingehend dargestellt werden kann. Neben dem kleinen Spekulanten,
105
der alte Häuser ankauft, sie durch Um- oder Durchbau rentabler gestaltet
und dann wieder zu verkaufen sucht, treten auch solche mit großer Kapital—
kraft auf. In Leipzig z. B. bildete sich im Jahre 1897 unter der
Firma: „Leipziger Bauverein mit beschränkter Haftung“ eine Gesellschaft,
der die allgemeine deutsche Kreditanstalt, die Leipziger Bank, sowie die
Leipziger Immobiliengesellschaft als Teilhaber beitraten. Es handelte
sich um ein Projekt, wozu 22 Millionen Mark erforderlich waren. Solche
Geschäfte sind oft vielseitig und wenig durchsichtig. In Dresden gründete
sich 1899 z. B. die „Bank für Bauten“. Gegenstand des Unternehmens
der Gesellschaft ist: —
a) die Herstellung, Vermietung, Weiterveräußerung und gewerb⸗
liche Benutzung von Bauten jeder Art;
die Errichtung von Zweigniederlagen, die Uebernahme oder
Errichtung von Anlagen, Grundstücken, Geschäften oder andern
Unternehmungen, welche zur Erreichung des zu a gedachten
Zweckes dienen, sowie die Beteiligung an solchen jeder Form;
der Erwerb andrer in die Geschäftszweige der Gesellschaft
einschlagenden Geschäfte und Fortführung derselben unter ihrer
seitherigen Firma mit oder ohne einen die Nachfolge andeutenden
Zusatz.
Die bare Einlage der Teilhaber dieser Bank betrug drei Millionen
Mark. Die Neubaugelände der Städte, besonders der Großstädte, befinden
sich gewöhnlich in den Händen von Terraingesellschaften, welche die Terrains
in bebauungsfähigen Zustand setzen und sie dann parzellenweise ver—
äußern. Die darauf zu errichtenden Gebäude sind meist schon projektiert, oft
übernimmt die Terraingesellschaft auch die Finanzierung des Aufbaues.
Solche Parzellen werden dann von mehr oder minder kapitalschwachen
Zwischenunternehmern erworben, die das Baugeschäft teils selbst be—
treiben. Auch das Deutsche Reich, die Bundesstaaten und die einzelnen
Kommunen sind bedeutende Bauherren geworden, die alljährlich große
Aufträge vergeben, welche viele Millionen Mark ausmachen, die, im
Gegensatz zu dem Tagelohnsystem in früheren Zeiten, jetzt in Submission
vergeben werden. Genug, die Bauspekulanten, die Staaten usw. sind in
jedem Falle ganz andre Bauherren als jene in den zünftigen Zeiten.
Eine ganz neue Arbeitsteilung setzte sich im Baumesen.durch, die
sich im großen und gFanzen folgendermaßen darstellt: In das Gebiet des
Arch itekten fallen die Entwürfe, Anlagen, die Formengebung und innere
Ausstattung aller solcher Gebäude, die über dem Niveau des einfachen
bürgerlichen Wohnhauses stehen. Zu seinem Ressort gehören alle Gebäude,
die höheren oder bevorzugteren Lebenszwecken dienen und, sei es Lals
3)
106
öffentliche oder Privatgebäude, auf monumentalen Charakter Anspruch
machen, wie: die Villa und das herrschaftliche Wohngebäude, Paläste,
Schlösser, Theater, Museen, Musikhallen, Rathäuser, Regierungsgebäude,
Gerichtshöfe, Markthallen, Bahnhöfe, Kirchen, größere Schulgebäude und
höhere Lehranstalten, Festhallen, Vergnügungslokale, Turnhallen, Arsenale,
Ausstellungspaläste, Bäder und alle über das bloße Bedürfnis aus—
gestatteten landwirtschaftlichen und industriellen Fachbauten usw. Die
Tätigkeit des Ingenieurs umfaßt alle wichtigen öffentlichen Nutzbauten
smnd solche bauliche Anlagen, zu deren Entwurf und Ausführung eine höhere
theoretische Berechnung mit Zuhilfenahme der Mathematik, Mechanik, Physik
und Chemie erforderlich ist. Hierher gehören Wasserleitungen aller Art,
Kanalisierungen, Tunnels, Gasanstalten, Ueberbrückungen, Straßen, Eisen⸗
bahnen, Maschinenwerkstätten, Wasser— und Schleusenbauten, größere
chemisch- und mechanisch-technische, gewerbliche und Fabrikanlagen, wie
Brennereien, Brauereien, Siedereien, Webereien, Spinnereien usw., sowie
alle größeren und theoretisch zu begründenden Einzelkonstruktionen, wie
große Dachwerke und Ueberwölbungen, größere Heiz—⸗ und Feurungs⸗
anlagen usw. Das Tätigkeitsgebiet des Baugewerksmeisters erstreckt sich
auf die praktische bezw. stoffliche Durchführung der Pläne des Architekten
bezw. Ingenieurs. Ebenso umfaßt sein Gebiet den Entwurf und die Aus—
führung aller nicht benannten kleineren bezw. unbedeutenderen Anlagen.
Auͤßer den Wohnhäusern gehören hierher: kleinere Fabriken und gewerb—
siche Anlagen, lJandwirtschaftliche Gebäude, Geschäftslokale, Gasthöfe,
Säle, kleinere Brücken und alle Bauanlagen, deren künstlerische und
technische Anforderungen etwa das Niveau des bürgerlichen Wohnhauses
nicht überschreiten. Indessen greifen die Techniker mehr und mehr auch
in das so beschränkte Gebiet des Baugewerksmeisters über; besonders in
großen Städten beschränkt sich das Tätigkeitsgebiet des Baugewerks⸗
meisters fast nur noch auf die Aus- bezw. Durchführung der Pläne des
Architekten und Ingenieurs, wobei er bezw. seine Leute auch vielfach
einem Bauführer unterstehen.
Im Anfange des Kapitalismus konnte man an die Schaffenskraft
der Bauhandwerksmeister keine großen Anforderungen stellen. Professor
Sombart schreibt in seinem Buche „Der moderne Kapitalismus“: daß
das Alter der Gebäude sich nach deren Bauangabe bestimmen lasse, alle
zeigen dieselben Grunddispositionen, sogar gleiche Maße in bezug auf
Stockhöhe, Breite und Höhe der Durchfahrt, Türen und Fenster und
der Breite der Fensterpfeiler. Solche Häuser konnte jeder handwerks⸗
mäßig geschulte dimmer- und Maurermeister erbauen, von einem detail—
setten Bauplan oder Voranschlag war keine Rede. Denn der Preis stand
107
so fest wie der Grundriß, der höchstens durch die wechselnde Lage der
Straßenfront unbedeutende Aenderungen erlitt. Die Bauzeit erstreckte
sich gewöhnlich auf zwei Jahre. Die einzelnen beim Bau tätigen Hand—⸗
werksmeister standen auch noch in der Regel in einem besonderen und
direkten Verhältnis zum Bauherrn, unter sich also nicht im Verhältnisse
gegenseitiger Ueber- und Unterordnung. Als in den zwanziger Jahren
von seiten der Regierungen Veranstaltungen getroffen wurden, in den
Baugewerben die staatliche Meisterprüfung einzuführen, fanden die
betreffenden Kommissionen, wie Zwick berichtet, daß die Aspiranten
auch den mäßigsten Ansprüchen añ Kenntnisse und Fertigkeiten nicht
genügen konnten. Nichts war vorhanden als Handfertigkeit in Bearbeitung
der Stoffe, ohne jegliches Verständnis für das Wesen der Formgebung
oder für die Naturvorgänge bei den Prozessen, denen die Stoffe unter—
worfen werden, die Gesetze, denen sie behufs Konstruktion, Festigkeit und
Standhaftigkeit sich fügen. Auf roher Empirie und praktischer Regel,
überkommener Gewohnheit und unverstandener Reminiszenz war bis dahin
alle Leistung begründet.
Dieser Zustand bildete die Veranlassung zur Gründung von Bau—
gewerkschulen. Die erste dieser Anstalten war die 1831 gegründete Bau—
gewerkschule zu Holzminden, später folgten auch andre: die Baugewerk—
schule in Hörter 1864, in Eckernförde 1868, Idstein 1869 usw. Ur—
sprünglich handelte es sich nur um Privatunternehmen. Die Anstalten
wurden aber vernachlässigt, als sich herausstellte, daß sie sich zu Erwerbs—
objekten nicht eigneten. Dann traten die Stadtverwaltungen und Staats-
regierungen, die für die Bedürfnisse der Bourgeoisie steigendes Interesse
bekundeten, für ihre Erhaltung ein. Die ältesten staatlichen Baugewerk—
schulen finden wir in Sachsen. Die in Dresden ist 1837 gegründet
worden. Um dieselbe Zeit wurden jedoch auch in andern Staaten
Gewerbeschulen mit einer Abteilung für das Baufach gegründet; dann
folgten Gründungen von reinen Baugewerkschulen in größerer Zahl.
Im Königreich Preußen, das mit der Errichtung von Baugewerk—
schulen am längsten zögerte, bestanden 1899 19 Baugewerkschulen, die
sich in demselben Jahre auf 21 vermehrten. 1901 bestanden in ganz
Deutschland zusammen 83 Baugewerkschulen und gleichwertige technische
Fachschulen.
Anfänglich traten meist nur Personen im vorgerückten Alter, zum
Teil vollendete Praktiker, in diese Schulen ein; nur vereinzelte jüngere
Handwerker wurden darunter bemerkt. Der „Zünftige“ spielte noch lange
eine dominierende Rolle auf diesen Anstalten. Dann machte sich aber
allerwärts ein starker Andrang geltend, so daß anfangs der siebziger Jahre,
108
als schon eine größere Anzahl Baugewerkschulen bestand, immerfort geklagt
wurde, die Anstalten seien überfüllt und könnten den Zudrang nicht völlig
aufnehmen Die Baugewerkschule zu Holzminden haben in der Zeit
von 1831 bis 1873. rund 15000 Schüler besucht, die Baugewerkschule
in Hörter in der Zeit von 1864 bis 1873 1400 Schüler, die Baugewerk—
schule zu Eckernförde 1868/69 33 Schüler, 1869/70 67 Schüler, 1870/71
84 Schüler, 1871/72 101 Schüler, 1872/73 143 Schüler. Die Bau—
gewerkschule zu Dresden besuchten in der Zeit von 1837 bis 1873 zu—
fammen 2808 Schüler. Im Winter 1872/,73 befanden sich auf 11 Bau—
gewerkschülen, über welche das Jahrbuch berichtet, 2789 Schüler. In
die 19 preußischen Baugewerkschulen wurden im Winter 1898 /99 zu—
sammen 3744. Schüler aufgenommen, weit über 500 Aufnahmesuchende
mußten Raummangels wegen abgewiesen werden. Daneben wurden aber
auch sehr viele Schüler auf privatem Wege unterrichtet, unter Anleitung
von Privatarchitekten, Baubeamten und Werkmeistern. I
Von dem Bauhandwerksmeisterstande haben sich diese Bildungs—⸗
anstalten keinerlei Förderung zu erfreuen gehabt; jener pochte nur immer⸗
fort auf sein vermeintliches Vorrecht. Er haͤtte, wie Zwick bemerkt,
das Bauhandwerk „zum mißachteten Brotgewerbe degradiert“, er vegetierte
„in längst überlebten und lächerlich gewordenen, ihres Inhalts längst
beraubten und daher in Roheit übergegangenen Lebens— und Gesellschafts—
formen“. Erst das Jahr 1870,71 hat die öffentliche Erklärung. für
erhöhte Bildung seitens der Baugewerken erlebt.
Die Zimmerei in der Periode der Umwalzungen.
Bei der beschriebenen Umwälzung kam auch die Zimmerei ins
Gedränge. Sowohl das Dichterwerden der Bevölkerung, die Zusammen—
drängung von Menschen in den Städten, als auch der zunehmende Holz⸗
mangel revolutionierten die althergebrachte Bauweise. Neue Bedürfnisse
und neue Möglichkeiten, sie zu befriedigen, entfesselten vor allem das
Aufkommen der Warenproduktion, das Aufkommen des Kapitalismus und
seine riesenhafte Entwicklung. Von der modernen Industrie werden große
Bevölkerungsmassen auf engem Raume zusammengezogen. Die Industrie—
bevölkerung braucht viel mehr und ganz anders geartete Baulichkeiten
als die fast nur Landwirtschaft treibende Bevölkerung. Der Baugrund
wird teurer und das Wohnbedürfnis einförmig. Große Fabriken und
eine Menge bienenstockähnliche Mietskasernen machen in der Hauptsache
die Baulichkeiten der industriellen Bevölkerung aus. Das Bedürfnis nach
neuen Baustoffen wurde rege und der durch den Kapitalismus angespornte
Erfindungsgeist trat in eifrige Tätigkeit. Die Ziegelei nahm einen
109
mächtigen Aufschwung. Der Verbrauch von feinem Sandstein und viel
„Patent“-⸗Baumaterial ist hinzugekommen. Außerdem wurde gegen die
Verwendung von Holz zu Bauzwecken systematisch Stimmung gemacht.
Die höhere Baukunst, seit ihrem Eindringen in Deutschland darauf an—
gewiesen, in Stein zu arbeiten, bildete die Ansicht aus, die Bauweise
in Holz sei eine Manier der Barbaren und Halbkultur. Die durch den
Kapitalismus angeregte Entwicklung wurde so aufgefaßt, als erklimme
die bürgerliche Gesellschaft die lichten Höhen der Baukunst. Daß diese
zum Volke herniedersteigen sollte, leuchtete den Baukünstlern vorerstꝰ nicht
ein.“ Nun haftete der bürgerlichen Gesellschaft aber die Bauweise mit
Holz noch immer zähe an und dagegen wandten sich gekränkt die Bau—
künstler, die bei dem Aufkommen des Kapitalismus vielleicht noch zünftiger
gesonnen waren als die privilegierten Bauhandwerker. Einer der Ersten,
der die zünftige Meinung der. Baukünstler mit Schärfe auch in der
Literatur vertrat, war Baumeister J. E- Zeller. In seinem Werke, das
18485 /46 in Stuttgart zu erscheinen anfing, äber nicht durchgeführt werden
konnte, weil es nicht genug Abnehmer fand, verwies er auf seiner Meinung
nach künstlerische Vorbilder und schrieb dann: „Die Beeinträchtigung der
Baukunst liegt zunächst in dem allgemein angenommenen Maßstab, den
Wert der Häuser nach den Zinsen zu berechnen, und daun in dem Bauen
mit Holz, jener fatalen örtlichen Erscheinung, welche lange ungemein
hemmend auf eine zeitgemäße Entwicklung der Baukunst wirken mußte,
die auch nicht genug gerügt werden kann; denn bis auf diese Stunde ist
das Bauen in Holz selbst bei besseren Privatgebäuden durchaus nicht
verbannt, ja nicht einmal dessen Charakter wurde kultiviert, während wir
doch von Natur vorzugsweise reich mit Bausteinen, dem Keupersandstein
feinster Sorte, versorgt wurden, der jeglicher Ausarbeitung fähig ist.
Infolge dieser durch das Gesetz nur zur Hälfte beseitigten verwünschten
Gewohnheit und infolge der Anregung von außen her für mehr Solidität
entstanden vielfach Maskierungen der Riegelholzwände, welche nicht nur,
wie gewöhnlich zuvor, bloß mit Stein ausgemauert, sondern zugleich damit
nach außen über sie vorspringend verkleidet wurden, worauf dann der den
besseren Steinbau darstellen sollende Bewurf folgt, während dieser sonst
unmittelbar die Riegelwandfläche bedeckte. Daß beide Baumethoden der
Bildung eines entschiedenen Stils, selbst einer bloßen Bauart, widerstreben,
läßt sich leicht erklären.“
In dieser der Zimmerei feindlichen Stimmung bewegte sich die
Beeinflussung des bauenden Publikums und der Baugesetzgebung etwa
dreißig Jahre ohne jeden Widerspruch. Die ständige Lamentation lauteteé
bis in die siebziger Jahre hinein: „Die Profession des Zimmermannes
110
hat den Charakter einer Kunst, den man ihr noch zu Anfang dieses
Jahrhunderts zusprechen wollte, bald ganz verloren. Wohl keine Branche
der Bautechnik hat in dem letzten Vierteljahrhundert weniger Fortschritte
gemacht als der Holzbau. Die Ursache dieses Stillstandes findet ihre
Begründung in der Unzulänglichkeit des Holzes, auch für größere Kon⸗
struktionskombinationen dienstbar sein zu können. Dahingegen gestattet
die ausgedehnte Anwendung des Eisens eine ungemeine Vereinfachung der
Verbindungen. Auch sind die Holzbauten, sowohl wegen der damit ver⸗
bundenen Feuergefährlichkeit als auch wegen der verhältnismäßig geringen
Dauerhaftigkeit, in Abnahme gekommen. Eine vielseitige und originelle
konstruktive Entwicklung kann auch füglich nicht mehr erwartet werden,
seitdem das Holz bei allen wichrigeren Staats- und Privatbauten eine
untergeordnete Rolle spielt und dort, wo es den modernen Ansprüchen
nicht mehr Genüge zu leisten vermag, seinem Rivalen, dem Eisen,
den Platz räumen muß.“ Daß außerdem auch „die bedeutenden An—⸗
sprüche, welche gewandte Zimmerleute stellen zu dürfen glauben“ und
der „Mangel an wirklich erfahrenen Zimmergesellen“ für den gewünschten
Zurückgang der Zimmerei verantwortlich gemacht wurden, versteht sich
am Rande.
Der erste Rausch, den die Neuheit der Künstelei im Baugewerbe
mit sich brachte, war nichtsdestoweniger bald dahin. Die Kunstwerke
waren nicht so geartet, wie sie die Baukünstler erhofft. „Sollte ein
Zweifler an unsern Worten vorhanden sein, den verweisen wir auf die
Tausende von architektonischen Jammergestalten, bar aller fachwissenschaft—
lichen, praktischen und künstlerischen Grundrequisite, welche man zu
erblicken Gelegenheit hat, den verweisen wir auf die zweifelhaften Bau⸗
werke, welche man, ironisch genug, mit dem Namen ländliche Wohnhäuser
belegt.“ Diesen Ton schlug Hermann Zwick an in der Zeitschrift:
„Deutsches Jahrbuch über die Leistungen und Fortschritte auf dem Gebiete
der Theorie und Praxis der Baugewerbe“. Die ganze Künstelei hatte
nur „schwächlichen Absud und Abklatsch des Monumentalbaues“ zuwege
gebracht, sie hatte es dem Jahrbuche nach vermocht, „daß das Wohnhaus
seiner natur- und fachgemäßen sowie seiner volkstümlichen Entwicklung
entgegen und einseitig über den Kreis seiner Geltung hinausgeschleppt
ist, daß die meisten ueuen Häuser zwar äußerlich scheinbar palastartige
Prachtbauten, aber ohne inneren Gehalt sind, daß sich jene baulichen
Mißgeburten von Mietshäusern in den Straßen spreizen, die weder
Traulichkeit noch Behagen bieten und statt den Menschen zu fesseln und
ihn einzuladen, ihn hinaustreiben, daß die Wohnung, das Haupt⸗
bedürfnis des gesitteten Menschen, unerschwinglich geworden ist und Krisen
— 111
heraufbeschworen wurden, die nicht bloß für die Spekulation verhängnis—
voll gewesen sind. Trotz aller Theorie, trotz des vielen Rechnens, trotz
der Tausende kostspieliger Anlagen und der vielen Spezialisten und Systeme
ist das Bauen immer teurer, aber nicht solider und zuträglicher geworden.
Das ist das Hauptergebnis der modernen Baukunst!“ Nun sahen die
Baukünstler auch ein, die Häuserproduktion „befindet sich zu mindestens
neun Zehnteilen in den Händen von Kaufleuten und andern bloßen
Spekulanten und dient lediglich dem möglichst schnellen Geldgewinn.
Die Spekulation ist nicht der Baukunst dienstbar, sondern diese ist
abhängig von ihr. Die Baukunst muß sich von den Spekulanten
Gesetze diktieren lassen“. Um diese einfach banale Tatsache zu be—
greifen, hatten die zünftigen Baukünstler nahezu ein halbes Jahrhundert
gebraucht!
Nun erst fanden die Baukünstler, daß auch Holzbauten der Be—
achtung wert seien. Der Direktor einer Fachschule, Heinr. Greil, meinte
nun über die Häuschen im Salzkammergut: „Es haben diese schlichten
Bauten durchaus keine durch architektonische Form sich auszeichnende
Gestalt, im Gegenteil, es sind schmucklose, aus dem bloßen Bedurfnis
entstandene Wohnstätten, aber in ihrer natürlichen Einfachheit sind sie
vom Standpunkt des Künstlers den modernen Landhäusern mit überreich
geschmückten Veranden weit vorzuziehen.“ Ein andrer, Professor Degen,
beklagt es charakteristischerweise, „vom Standpunkt des Architekten, daß
unser schöner alter deutscher Holzbau immer mehr von der Bildfläche
verschwindet“, und er meint, „der Grund hierfür liegt fast allein in der
Feuersgefahr, die Bauordnungen schreiben so vielfach den Massivbau vor.
Derselbe wird manchmal auch dort vorgezogen, wo es vielleicht nicht
gerade notwendig wäre .... Man ist öfter geradezu rigoros mit ab—
fichtlicher Strenge gegen das Holz vorgegangen .... Alles in allem
genommen, wird man bei Betrachtung der Holzbauten zu dem Schluß
kommen, daß, weit entfernt davon, daß der Holzbau zum größten Teile
seine Rolle im modernen Bauwesen ausgespielt habe, derselbe noch immer
die eingehendste Beachtung verdient und nach Tunlichkeit die Anwendung
nicht beschränkt, sondern erleichtert werden sollte“.
Unsern Baukünstlern und Baugesetzgebern mußten aber erst noch
einige große Brände die Köpfe darüber erleuchten, daß Eisen noch
viel feuergefährlicher ist als Holz. Nachdem die großen Speicher—
brände in Hamburg und der Brand der Borsig-Mühle in Berlin
erkaltet und Bauwerke vom Feuer vollständig zerstört worden waren,
zu deren Konstruktion kein Stück Holz Verwendung fand, sondern
nur Steine und Eisen, da fand man heraus, daß Holz dem Feuer
12
mehr Widerstand leistet als Eisen und gewisse Sorten Stein. Professor
Ferdinand Hroch in Brünn begründete diese Tatsache eingehend und schreibt:
„Als einen feuersicheren Baustoff sah man längere Zeit (auch in
Fachkreisen) das Eisen an; die Erfahrung hat jedoch gelehrt, daß es
faum einen in Hinsicht auf Feuersicherheit ungünstigeren Baustoff gibt:
selbst Nadelholz ist ihm hierin überlegen, obgleich dieses als Feuerfänger
an Orten zu meiden ist, wo es darauf ankommt, das Entstehen eines
Schadenfeuers zu verhindern.
„Nach Versuchen des Ingenieurs Kollmann (Oberhausen) sinkt die
Tragfähigkeit des Schmiedeeisens bei 300 o O auf 90 pZt., bei 60000
auf 40 ptt. und bei 7000 0 auf 20 pZt., während bei größeren
Bränden Wärmegrade von mehr als 10000 O zu gewärtigen sind.
„Der Berechnung von Eisenteilen legt man gemeiniglich eine drei⸗
bis vierfache, selten eine fünffache Sicherheit zugrunde. Hat man nun
z. B. eine dreifache Sicherheit bei einer Konstruktion zugrunde gelegt,
dann ist diese bei einer Temperatur von 6000 O bereits aufgezehrt; bei
der geringsten Ueberschreitung brechen die Eisenteile zusammen. Selbst
bei Annahme einer fünffachen Sicherheit ist der Zusammenbruch bei
7000 0 zu gewärtigen. Rotglühendes Gußeisen wird an Kaltschweiß—
stellen rissig und zerspringt beim leisesten Schlag; bei etwas über 1000 0.
schmilzt es. Ein weiterer Nachteil des Eisens gegenüber dem Feuer ist
seine gute Wärmeleitung und starke Ausdehnung; abgesehen von der
Verringerung der Festigkeit wird durch den Angriff des Feuers eine
einseitige, zumeist höchst. ungünstige Durchbiegung hervorgerufen. So
biegen sich eiserne Säulen und Träger nach der Glut hin durch. Wird
endlich heißes Eisen vom Wasserstrahl getroffen, dann wird infolge der
Abkühlung ein rasches Zusammenziehen an diesen Punkten hervorgerufen,
welches den Einsturz beschleunigt. Haben eiserne Träger Gewölbeschub
zu ertragen, dann wird die Gefahr des Einsturzes infolge seitlicher
Durchbiegung schon bei mäßiger Glut eintreten; selbst starke Verankerungen
vermögen hiergegen nur geringen Schutz zu bieten. Gleich gefährlich ist
es, die Trägerenden unmittelbar mit der Wand (durch Anker- und Ver—
maurung) zu verbinden; erfolgt in diesem Falle ein Durchbiegen derselben,
dann wird die Wand zunächst nach außen hin ausgebaucht und kann,
falls eine größere Zahl von Trägern in Frage kommt, einstürzen. Erfolgt
aber ein Einsturz der Träger, dann wird durch sie die Wand gehoben
und umgeworfen. Türen aus Eisenblech haben sich ebenfalls wegen
ihrer raschen Durchbiegung als vollkommen unbrauchbar zum Abschluß
in Brandmauern erwiesen. Eiserne Treppen müssen als völlig ungeeignet
für Wohnungsgebäude wie Geschäftshäuser bezeichnet werden.
113 —
„Von den natürlichen Steinen vermögen ebenfalls nur wenige dem
Feuer auf die Dauer zu widerstehen; Granit zerspringt sowohl infolge der
Hitze wie infolge rascher Abkühlung durch einen Wasserstrahl in kleine
Brocken. Die Kalksteine verhalten sich ähnlich; sie zerfallen außerdem bei
hohen Wärmegraden zu Staub. Von den Sandsteinen vermögen ausschließlich
die mit kieseligem Bindemittel dem Feuer Widerstand zu leisten, während
kalkige und tonige Bindemittel durch hohe Wärmegrade zerstört werden. ...
„Bei allen bedeutenderen Feuersbrünsten hat sich Holz widerstands—
fähiger gezeigt als der allgemeinen Annahme nach zu erwarten war.
Seinem Nachteile der leichten Entzündbarkeit steht der Vorteil der
schlechten Wärmeleitung gegenüber; es geht infolgedessen bei Luftabschluß
die äußere Glut nur langsam nach innen über. Auch können sich die
Löschmannschaften jederzeit durch den Augenschein von der noch zu er—
wartenden Haltbarkeit des Holzes überzeugen, während dieses weder beim
Eisen noch bei den harten Gesteinarten der Fall ist; der Bruch tritt hier
im Gegenteil häufig ganz unerwartet und plötzlich ein, wodurch große
Gefahren entstehen. Hartes Holz mit glatter Oberfläche (Teak-, Nuß-,
Mahagoni-, Eichenholz u. a. m.) entzündet sich außerdem sehr schwer, so
daß diese Holzarten zur Bildung von Treppen in Wohnhäusern mit
wenigen Geschossen als durchaus geeignet bezeichnet werden dürfen, falls
die Ausmaße der einzelnen Teile ausreichend stark gewählt werden. So
berichtet Möller über einen Magazinbrand, bei welchem Mahagoniblöcke
stundenlang einem starken Feuer ausgesetzt waren und sich. dennoch nur
an der Oberfläche bis in eine Tiefe von einem bis drei Zentimeter zerstört
zeigten. Die Entzündung läßt sich auch für weichere Holzarten durch
Ueberziehen der Flächen mit Schleifkitt, Anstrich mit Asbestfarbe und
Imprägnieren etwas verzögern. Doppelte Fußböden bieten dem Feuer
lange Zeit Widerstand gegen Durchbrennen nach unten. Ein vollkommener
Schutz wird durch Sandunterbettung der Fußböden erreicht, welche das
Gebälk völlig bedeckt.“
Seitdem man diese und ähnliche Feststellungen gemacht, hat die
Holzarchitektur sowohl wie die Holzkonstruktion vor den Baukünstlern
Gnade gefunden. Sie bedienen sich derselben wieder in höherem Maße
als früher. Die Statistik des Zimmergewerbes im folgenden Abschnitt
zeigt übrigens, daß die feindliche Gesinnung der Baukünstler die Ent—
wicklung der Zimmerei nicht aufzuhalten vermochte; diese hat fast das
ganze 19. Jahrhundert hindurch schneller zugenommen als die Be—
völkerung.
Entscheidend für die Entwicklung der Zimmerei wurden die Holz—
bestände und die Holzproduktion. Deutschlands Wälder reichen schon
Bringmann, Geschichte der Zimmerer.
114
längst nicht mehr aus, den Holzverbrauch Deutschlands zu decken.“ Die
Holzeinfuhr mußte helfend eingreifen. Aber auch die Wälder Europas
reichen nicht mehr aus, den Holzbedarf in Europa zu befriedigen; ent—
ferntere Erdteile werden in Anspruch genommen. Um unsern Holzbedarf
zu decken, werden wir in den nächsten Jahrzehnten, sicherlich in den nächsten
Jahrhunderten, die entlegensten Gebiete der Erde aufsuchen müssen. Infolge—
dessen hat die Zimmerei mit der Entwicklung der Industrie im allgemeinen
nicht Schritt halten können und ihre Entwicklung wird auch in Zukunft
hinter der allgemeinen industriellen Entwicklung zurückbleiben.
Alle diese Umstände drängten das Bauholz von seiner einstmals
dominierenden Bedeutung beim Hausbau zu einer untergeordneten
Bedeutung herab. Dieser Entwicklung mußte auch die Zimmerei folgen.
Allein der Häuserbau hat sich nicht zu jenem Einheitsbetrieb entwickelt,
wie er das Wesen der industriellen Produktion ausmacht. Die Bau—
berufe haben ihre Selbständigkeit und Geschlossenheit bewahrt und werden
diese, soweit sich voraussehen läßt, auch in Zukunft behalten. Selbst bei
Bauten, wo das Bauholz nicht eingebaut wird, ist der Zimmermann
unentbehrlich. Als das Eisen in größerem Umfange beim Hausbau ein⸗
geführt wurde, entstand Nachfrage nach Zimmerleuten zum Aufstellen der
Eisenkonstruktionen. Ebenso ist es beim Betonbau, wo auch kein Holz
eingebaut wird. Der Zimmermann gibt hier als Einschaler dem Bau—
material die Form eines Hauses.
Soweit bei dem Aufkommen des Kapitalismus nicht schon größere
Zimmergeschäfte bestanden, entwickelten sich diese nun schnell in großer Zahl.
Mit den großen Zimmergeschäften waren ansehnliche Holzlager verknüpft,
auch bewirkten sie teils die Holzbearbeitung vermittels Maschinen und
widmeten sich auch der Holzbearbeitung für andre Berufe in mehr oder
minder großem Umfange. Es handelte sich zumeist um recht vielseitige
Betriebe. Zum überwiegenden Teil fehlte aber diesen Betrieben noch die
* Ueber die Frage, ob Deutschland seinen Holzbedarf selbst decken kann,
gab Professor Enders gelegentlich eines Vortrages im Forstverein zu Wiesbaden
am 18. September 1900 eine Antwort, der wir die nachstehenden Angaben ent⸗
nehmen: „1899 repräsentierte die gesamte Nutzholzmehreinfuhr eine Rundholzmenge
von 10 Millionen Kubikmeter. Im Inlande können 16 bis 17 Millionen Kubik⸗
meter erzeugt werden. Wollten wir die 10 Millionen Mehreinfuhr auch im In⸗
lande erzeugen, so brauchten wir eine Fläche von 8 Millionen Hektar über das
Vorhandene hinaus, das Bewaldungsprozent des Deutschen Reiches müßte von 26
auf 40 pZt. steigen, während nur noch 1 Million Hektar zur Aufforstung geeignet
sind. Das Defizit kann also nicht entfernt gedeckt werden. Abgesehen davon
wird der Erfolg erst nach frühestens 30 Jahren in die Erscheinung treten. Nur
Bayern und Wuͤrttemberg haben einen Holzüberfluß, das gesamte übrige Deutsche
Reich verbraucht mehr als es produziert.“
115
soziale Spannkraft. Das Tagelohnsystem mit n war
zunächst allgemein üblich. Meistens bestand der Arbeiterstamm solcher
Zimmereibetriebe aus einer mehr oder minder großen Anzahl Gruppen,
die immer neu durcheinander geschüttelt wurden und die nur lose im
Zusammenhang sich befanden. Auch ihre Unterordnung unter den Meistern
war nur recht problematisch. Wer bauen wollte, ließ sich Zimmerleute
von einem Meister kommen und entnahm das nötige Baumaterial von
ihm. Nominell führte der Meister auch die Aufsicht über die Bauausführung,
indessen war diese Aufsicht ziemlich bedeutungslos; der Meister war an
der Bauausführung nicht interessiert. Viele Zimmergesellen hatten selbst
einen ausgedehnten Kundenkreis, mit dem sie ganz ohne Vermittlung des
Meisters verkehrten. Häufig bezogen sie auch ihren Lohn direkt von dem
Bauherrn und gaben nur das übliche Meistergeld ab. Ja, sie beschäftigten
ihrerseits wieder eine mehr oder minder große Anzahl Gesellen, die dann
zu dem Meister in demselben losen Verhältnis standen wie sie. Mancher
Geselle hat seinen Meister Monate und halbe Jahre lang gar nicht gesehen.
Naturlich konnte diese Betriebsform nicht von langer Dauer sein.
Ihre Umwandlung war jedoch mit dem Untergange oder der Auflösung
dieser Betriebe verknüpft. Sie konnten nicht einmal die Einführung und
das Umsichgreifen des Submissionswesens vertragen. Ihren Höhepunkt
erreichten diese Betriebe in den sechziger Jahren, dann sind sie zerstoben;
Holzhandlungen, Holzbearbeitungsfabriken und neuartige Zimmereibetriebe
sind an ihre Stelle getreten. In Großstädten und Industriezentren haben
die modernen Zimmereiunternehmer auf allen Ballast verzichtet; sie unter⸗
—
lager, und ebensowenig besitzen sie Holzbearbeitungsmaschinen. Einen festen
Stamm von Arbeitern haben sie ebenfalls nicht mehr. Alles das läßt sich jetzt
in dem Augenblick, wo es gebraucht wird, vorteilhafter anderweitig beschaffen.
Es trifft völlig zu, was Dr. Andreas Voigt in den Schriften des Vereins
für Sozialpolitik über die Baugewerbe in Deutschland anführt:
„Vorteile des Großbetriebs, entsprechend denen des Fabrikbetriebs
im Vergleich zum industriellen Kleinbetrieb, gibt es im Baugewerbe nicht.
Die Betriebskosten steigen mit der Größe des Betriebs, sobald dieser
einen Umfang annimmt, den der Inhaber nicht ohne Unterstützung fremder
Hülfskräfte zu übersehen vermag. Infolge der Eigentümlichkeit des
Baugeschäfts, sich in eine Reihe von Einzelunternehmungen aufzulösen,
nimmt die Zentralisation mit der Geschäftserweiterung ab, zumal wenn
auch Aufträge nach auswärts übernommen werden; das Aufsichts- und
Bureaupersonal erfordert Kosten, denen keine Ersparnis gegenübersteht.“
Speziell über das Zimmergewerbe berichtet Voigt: „Der kleine Meister, der
116
nur soviel Arbeiter hält, wie zur Ausführung eines Baues notwendig sind,
ist mit dem großen völlig konkurrenzfähig. Es beklagen sich im Gegenteil
die großen Geschäfte über die Konkurrenz der kleinen Meister, die selber mit—
arbeiten und mit geringem Gewinn zufrieden sind. Diese Meister sind es,
die bei Submissionen und andern Konkurrenzen den Preis in unliebsamer
Weise drücken. Von einem Holzhändler unterstützt, vermögen sie gelegentlich
auch größere Aufträge für offentliche Bauten zu übernehmen.“
Aeußerlich unterscheiden sich die modernen Zimmergeschäfte nur durch
den ewigen Wechsel ihres Umfangs von den alten zünftigen Zimmer—
geschäften. Ein moderner Zimmermeister beschäftigt jetzt vielleicht fünfzig
Personen, in sechs Wochen nur fünf und in einem halben Jahre niemand.
Aber die soziale Spannkraft ist in diesen Geschäften in einem Grade ent—
wickelt, wie sie in keinem Fabrikbetriebe schärfer sein kann. Der Unter—
nehmer ist in jedem Augenblick mit seinem Geldbeutel bei der Bau—
ausführung interessiert, seine Interessen befinden sich in einem scharfen
Gegensatz zu den Interessen der Arbeiter.
‚tatistisches über die Entwicklung der Zimmerei.
Wenn wir die frühere Entwicklung der Zimmerei bis zu einem
gewissen Grade klar zu erkennen vermögen, so ist es aber doch nicht
möglich, das bereits Gesagte auch an der Hand der Statistik eingehend
zu erläutern. Diese ist früher gar nicht gepflegt worden. Die ältesten
brauchbaren Zahlen bietet Gustav Schmoller. Was derselbe an Zahlen—
material aus dem 18. Jahrhundert anführt, ist für uns ohne Belang;
hingegen sind seine statistischen Zusammenstellungen aus dem Anfange
des 19. Jahrhunderts von Bedeutung. Ueber das Zimmergewerbe in
Preußen bietet er die auf Seite 117 abgedruckte, die historische Ent—
wicklung veranschaulichende Tabelle.
Aus dieser Tabelle erhellt zuerst, wie bedeutend die Zimmerei im
Anfange des 19. Jahrhunderts zugenommen hat; die Zahl der Ziminerleute
wuchs um 40 pg8t. schneller als die der Bevölkerung. Auch die Verhältnis—
zahl der Gehilfen steigt viel schneller als die Zahl der Meister. Darin
kommt nicht die wirtschaftliche Umwälzung rein zum Ausdruck, sondern
die staatlichen Bestimmungen über das Meisterwerden beeinflussen die
Zahlen noch sehr stark. Auch die Zahl der Flickarbeiter ist nach der
staatlichen Konzessionserteilung ermittelt worden und kann kein klares Bild
abgeben. Ferner bildeten die Brunnenmacher keinen besondern Beruf,
wie es nach der Tabelle erscheinen könnte, sondern wenn nicht alle, so
waren doch die meisten Brunnenmacher Zimmermeister und -gesellen,
denen auch die Konzession erteilt worden war, die Brunnenarbeit zu machen.
117
Jahr
Brunnen⸗ 8 a a82
* *
macher 53 s5 323 35333
— 3 2 — 8 8 3538
353535 533358353
338 8 3— * 2 5
5 8 * 257 38 55 5835
8*364 ẽ — 5 55 A 338
5 * 52353 28 73 —523*
— 2 — 2 * 3 538
8 83 8 5 8 5 73 *
5ñ5
J — —2 8
159 416
179 411
215 419
2528902
260 379
307 366
327 836
387 — 819
368 325
415 319
481 311
617 — —*
4191 205
cosh.d l¶l:fbõ/dl lO:lul
Diese Arbeit erstreckt sich im wesentlichen nur auf die Herstellung und
Unterhaltung hölzerner Pumpen, Reinigen der Brunnen usw. Bei dem
Aufgraben von Brunnen, deren Ausmauerung usw. sind natürlich auch
andre Handwerker und Arbeiter beschäftigt worden. In den Jahren, für
welche die Zahlen der Flickarbeiter und Brunnenmachermeister nicht be—
sonders aufgeführt worden sind, zählte man sie mit zu den Zimmermeistern,
die Gehilfen zu den Gehilfen der Zimmerleute.
Einen tiefen Einblick in die Art der geschäftlichen Organisation
können die vorstehenden Zahlen keineswegs geben; dazu reichen die
Berufszählungen überhaupt nicht aus. Die sich ergebenden Durchschnitts—
zahlen bei Berufszählungen können das Produkt einer großen Zahl
mittlerer Geschäfte sein, wie auch das Produkt ganz großer und ganz
kleiner Geschäfte, ganz abgesehen davon, daß man auch Zimmermann sein
kann, ohne zur Zeit der Zählung im Berufe beschäftigt zu werden. Wie
unzulänglich Berufszählungen zur Erkenntnis der gewerblichen Verhältnisse
oft sind, ergibt sich aus nachstehender, sonst sehr beachtenswerter Tabelle
über die Entwicklung der Zimmerei in Berlin von 1729 bis 1890, die
in dem Buche: „Statistische Studien zur Entwicklungsgeschichte der Berliner
Industrie von 1720 bis 1890“, von Otto Wiedfeldt, enthalten ist. Die
aus dieser Tabelle ersichtlichen großen Schwankungen. sind auf politische
Beunruhigungen zurückzuführen; im übrigen gewinnt es nach der Tabelle
118
den Anschein, als hätte sich die Zimmerei in Berlin seit über hundert
Jahren gar nicht entwickelt, als wären alle wirtschaftlichen Umwälzungen
spurlos an ihr vorübergegangen.
Jahr
Ein Selb⸗
ständiger
Heschäftigte
Abhängige
Ein Selbst⸗
tütiger
entfällt auf
Einwohner
Jahr
Ein Selb⸗
ständiger
beschäftigte
Abhängige
Ein Selbst⸗
tätiger
entfällt auf
Einwohner
Jahr
Fin Selb⸗Ein Selbst⸗
ständiger tätiger
beschäftigte »ntfällt auf
Abhängige Einwohner
10,14 292
8,91 317
13,74 244
is,a1 288
12,791 319
18,86 218
3,90 890
9,95 681
,08 409
3,88 426
15,58661 249
Die Entwicklung der Verhältniszahl der Gehilfen zu den Meistern
war übrigens in den einzelnen preußischen Provinzen sehr verschieden,
wie nachstehende Tabelle zeigt. Nach Hoffmann und Schmoller kommen
auf 100 Zimmermeister Gehilfen:
228
287
319
316
242
242
215
259
427
378
1855
1858
1861
1867
1871
1875
1880
1882
1885
1890
12,71
is1
1489
10,91
1224
1839
—
260
Ant
1217
319
302
237
345
280
171
296
283
294
286
Preußische Provinzen
1837
1861
Preußen .....
Posen ............
Brandenburg .. .. . ..224
Pommern ........ 222*22*2*6*2*
Schlesien...... —*
Sachsen .........
Westfalen ......
Rheinprovinz ........
Hier sind die Flickarbeiter nicht einbegriffen.
Ferner zählte man 1861 in den
333
364
1377
834
1336
798
128
98
1250
1086
2161
1528
3482
2482
269
261
Zimmer⸗ Flick⸗
Bundesstaaten meister arbeiter
Gehilfen
2857 — 2151
3246 — 8418
2851 2210 18678
Eine Aufstellung, die das Verhältnis der Zimmerleute zu der Zahl
der Bevölkerung von 1861 veranschaulicht, gibt Viebahn. Hiernach kamen
1861 auf je 10000 Einwohner an Zimmermeistern und Gehilfen:
119 —
In den preußischen Provinzen
In den übrigen Bundesstaaten
— —
Preußen ..
Posen ...............14
Pommern ............ 21
Brandenburg ... .... 42
Schlesien ............. 40
Sachsen .............. 60
Westfalen ............ 82
Rheinprovinz .........7!
Hannover. ....... 51
Kurhessen ............ 28
Nassau............... 27
Sachsen .............. 74
Thüringen............ 72
Hessen-Darmstadt. . . . . 28
Württemberg ..... ... 47
Baden ............... 33
—XVV
Vollständiger wurde die Statistik erst nach der Gründung des
Deutschen Reiches 1871. Nun wurde ein besonderes statistisches Amt
für das Deutsche Reich geschaffen, welches nach bestimmten Grundsätzen
Erhebungen veranstaltet und dieselben dann bearbeitet der Oeffentlichkeit
übergibt. In bezug auf die Berufs- bezw. Gewerbestatistik übereilt sich
allerdings auch das Deutsche Reich trotz seines statistischen Amtes nicht.
Es sind erst zwei verarbeitete Aufnahmen erfolgt, 1882 und 1895, deren
Resultate vorliegen. Ueber die Berufszählung von 1907 liegt bereits
auch ein Band vor. Das Erscheinen der übrigen Bände können wir
aber nicht abwarten; denn es können noch Jahre vergehen, bevor sie alle
zugänglich sind. Immerhin zeigt schon der erste vorliegende Band der
Berufs- und Betriebszählung vom 12. Juni 1907, daß die Entwicklung
der Zimmerei seit 1895, bis zu welchem Jahre die nachfolgenden Zahlen
reichen, nicht geruht hat. Die Zahl der im Zimmerberuf Erwerbstätigen
hat sich vielmehr, wie bereits Seite 100 angedeutet, von 200154 im
Jahre 1895 auf 219580 im Jahre 1907 vermehrt. Darunter die
Zahl der Gehilfen (Gesellen und Lehrlinge) von 155475 im Jahre
1895 auf 175409 im Jahre 1907. Aber auch aus den älteren Zahlen
aus den Jahren 1882 und 1895 läßt sich. ein bis zu einem bestimmten
Grade klares Bild über die Entwicklung des Zimmerberufes und des
Zimmergewerbes gewinnen.
Ehe wir daran gehen, die den Zimmerberuf betreffenden Zahlen
zu registrieren und zu betrachten, müssen wir uns über den statistischen
Aufbau des ganzen Volkes klar werden. Die Teilnahme an der Erwerbs—
tätigkeit scheidet die Bevölkerung in die beiden großen Klassen der Er—
werbstätigen, denen die häuslichen Dienstboten noch hinzuzuzählen sind,
und der Berufslosen, das sind die Angehörigen und die berufslosen
Selbständigen, wie Rentiers usw. Die 22 Millionen der ersten Klasse
sind durch die Arbeit ihrer Hände, ihres Kopfes oder auch nur ihres
Kapitals die Ernährer der übrigen 29 Millionen. Die Erwerbstätigen
120
zerfallen in die fünf großen Berufsabteilungen: Landwirtschaft (A),
Industrie (B), Handel und Verkehr (O), Lohndienst (D) und freie
Berufe und Beamte (P), oder etwas mehr spezialisiert in 24 Berufs⸗
gruppen, von denen die Industrie allein 16 umfaßt. Jede Berufsgruppe
vereinigt eine Anzahl von Berufsarten, so daß die gesamte Berufs—
bevölkerung Deutschlands schließlich in 199 Berufsarten zerlegt ist.
Die Bauberufsgruppe bildet mit 1353 637 Erwerbstätigen die
zweitgrößte Berufsgruppe der Industrie. Sie spaltet sich in 18 Berufs—
arten, unter denen die Zimmerei nach der Zahl der Berufstätigen
(200 154) die dritte Stelle einnimmt. Einen Vergleich der Zahlen von
1895 mit den Ergebnissen von 1882 zeigt nachstehende Tabelle:
Im Jahre 18908
Erwerbstätige
und Dienende
—41,92 pgt. J42,71pBgt.
d. Gesamtbevölkerung woii d. Gesamtbevölkerung
(45222118) B1770 284)
—33,74 pgt. — 37,45 pgt.
der Erwerbstätigen der Erwerbstätigen
und Dienenden und Dienenden
⸗14,80 ꝓpgt. — 16,85 pZt.
der Industrie der Industrie
—1 . 214,79 ꝓpgt.
des —— οιαι des e
Durch Dienstboten und Angehörige steigt die Berufsart Zimmerei zu
einer Berufsbevölkerung von über einer halben Million. 583117 Personen
müssen teils direkt, teils indirekt von Zimmerarbeit leben. Es waren in:
Industrie .....
Baugewerbe ..
Zimmerer....
Berufsgruppe Jahr Berufs⸗ Erwerbs⸗
Berufsart bevölkerung! tätige
HZäusliche .*
Dienst58 angeldnne 8**
boten 5 536
—
—8X
Baugewerbe ......
Zimmerei ........
J
1808034 64,8
2814705 62,8
Ap
378797 64,9
Wir sehen, es sind nicht unbeträchtliche Verschiebungen seit 1882
vor sich gegangen, die uns noch in der nachfolgenden Zusammenstellung
verdeutlicht werden, in der die absoluten Zahlen der Berufstätigen im
allgemeinen und der Arbeiter im besonderen für alle Berufsarten der
Bauberufsgruppe im Jahre 1895 mitgeteilt sind. Die Entwicklung ist
dargestellt durch Relativzahlen, die die Vermehrung (berechnet auf 100
im Jahre 1882) angeben:
121
Hauptberufstätige
Darunter Arbeiter
Absolute Zunahme
Zahlen gegen 1882
1895 pg8t.
4 30,7
9 81,0
78
4 76,6
4 28,6
F
4 208,8
4 8431
4 39,0
4 72,5
4275,7
46,68
-41,46
Berufsarten
Absolute
Zahlen
Zunahme
gegen 1882
1895
p3t.
Maurer ...... *X
Bauunternehmung .... .......
Zimmerer ...
Stubenmaler ................
Stukkateure ...
Dachdecker .... ....
Ofensetzer...... Ams
Schornsteinfeger .. α
Steinsetzer .... .....
Brunnenmacher ..............
Glaser ...... .... 24
Feldmesser .......
Gas- und Wasserinstallation ...
Bauberufsgruppe .........
Industrie .. . . ... —X
Erwerbstätige (A, B, C. D und B)
und Dienende .............. 22110191 - 16,60
GBesamtbevölkerung ... ....... 531770284 414,50
Von sämtlichen Berufsgruppen weist die Bauberufsgruppe die
größte absolute Zunahme seit 1882 auf (- 407 054). Während die
Bevölkerung um 14,5 pZt. gewachsen, stieg die Bauberufsgruppe in drei—
mal schnellerem Tempo (“ 43 p8t.). Der Zimmerberuf nimmt, wie wir
aus vorstehender Tabelle ersehen, an dem allgemeinen Aufschwung der
Bauberufsgruppe nur geringen Anteil, seine Entwicklung ist auch hinter
der Bevölkerungszunahme zurückgeblieben. Ferner zeigt vorstehende Tabelle
eine starke Vermehrung der Selbständigen in der Bauberufsgruppe.
Deutlicher wird diese Entwicklung in nachstehender Uebersicht:
gunahme gegen
1882
Bau⸗B. ——
pgt. pt;t.
4 æꝛ 10,4
n
4,7 7,6
485379 - 3000418426
8876007 - 880380116
200154 868 160658
i86087 95668
14548 4 683,8 1107
—e— —
18210 i2267
4ι — 163,661 3889
20790 7068
ö αν 2882
216410 —4856 —*
Uies — 881 5044
87988 —25939 6786
—W 1882
Selbständige ........
ständige ()
1882
Angestellte (b)..........
ges— (6) αα
Arbeiter () ..... 1882
1895
164628 17,801 82581 17,71
201994 14,921 850925 17, 95
zu A 1784 0,97
30950 8,76 8676 1,84
7600427 80,88140415 81,82
1100693 81132 1605653 80,21
Demnach vermehrten sich im Zimmerberuf die Selbständigen
stärker als die Arbeiter. Mittlerweile bekommt das alles ein ganz
22
andres Aussehen, wenn wir uns die Entwicklung nach Ortsgrößen⸗
klassen betrachten, die durch folgende Tabelle veranschaulicht wird.
F*
Dresgrddentlassen Bauberufsgruppe J Zimmerei den eehe
un IIX TXXCIEI.CI
Stellung im Beruf iss2 wo Iiꝛ —J
1882 18958 4
IJ. Großstädte (über 100 000
Einwohner) .........
Darunter: a (Selbständige)
e (Arbeiter ....
II. Mittelstädte (20000 bis
100000 Einwohner) ..
Darunter: a (Selbständige)
e (Arbeiter) ...
III. Kleinstädte (8000 bis
20000 Einwohner) ...
Darunter: a (Selbständige)
e (Arbeiter) ...
IV. Landstädte (2000 bis
5000 Einwohner) ....
Darunter: a GSelbständige)
e (Arbeiter) ...
V. Plattes Land (bis 2000
Einwohner) .........471088 341886
Darunter: a (Selbständige) —9— 94789
c (Arbeiter) ... 380545 435125
12077
972
10923
l
28152
1742
20804
137.46
91,64
12804
1270
11426
17695
1640
15616
-67,334 -88,21
21983
2803
18929
26607
3031
22939
— 350,90
-21,04
25953
4995
20675
28782
5545
22731
4 82
04 4 11, 18
10913 103918
22491 23967
87462 78468
415,02 —- 6,31
Diese Tabelle zeigt zunächst, daß die Hälfte (51,9 pZt.) aller An—
gehörigen des Zimmerberufes auf dem platten Lande (Orte unter 2000 Ein—
wohnern) sich befindet. Die Zimmerei auf dem platten Lande beeinflußt daher
auch alle Zahlen über den Zimmerberuf. Die Zahl der Arbeiter hat auf dem
Lande um 10 pZt. abgenommen; das ist bei der starken absoluten Zahl aber
von großer Bedeutung. Dabei konnte sich die Zahl der Selbständigen natürlich
so vermehren, daß ihre Vermehrung das Zahlenverhältnis des ganzen Berufes
wiederum stark beeinflußt. Ein ganz andres Bild bekommen wir von der Ent⸗
wicklung des Zimmerberufes, wenn wir die städtischen Verhältnisse allein in
Betracht ziehen. Der städtische Zimmerberuf hat sich seit 1882 um 32 pZt.
vergrößert, ist also der allgemeinen Zunahme der Bevölkerung voran—
geeilt, wie andre Berufe auch, die hauptsächlich in den Städten ihren Sitz
haben. Die Selbständigen sind um 19,10 pZt., die Arbeiter dagegen
um 32,51 pgZt. gewachsen. Von 100 städtischen Zimmerleuten waren:
Jahr Selbständige Angestellte Arbeiter
1882. ........... 18,78 1,15 85,07
1895... .......... 12,42 2,28 85,30
123
Die Berufszählung von 1882 gliederte die Angestellten und
Arbeiter in keine weiteren Unterabteilungen; 1895 unterschied man
dagegen: höheres technisches (b 1), Aufsichts- (b 2) und Rechnungs- und
Bureaupersonal (b 3).
Klassifikation
bp . .... *
P2 .... . ..
83..
absolut
Im Baugewerbe
p8
22121
22531
6298
2
047
Ibsolut
In der Zimmerei
pZ3t.
216
3237
187
—RX
164
0,o9
Die 3676 Beamten des Zimmerberufes (1,84 pgt.) gehören mit
geringfügiger Ausnahme dem Aufsichtspersonal als Poliere an. In der
Stadtzimmerei haben sie sich seit 1882 um 16,5p8t. vermehrt.
Interessant ist auch das Zahlenverhältnis der gelernten und ungelernten
Arbeiter; letztere faßt die Statistik als 03 zusammen: „Hilfspersonal
für Dienstleistungen, zu welchen in der Regel eine Vorbildung nicht
erforderlich ist“. Es wurden 1895 gezählt:
Stellung unter
der erwerbstätigen
Bevölkerung
Industrie ... ....
Baugewerbe ....
Zimmerer. ......
Arbeiter Auf 100 gelernte
— — — Arbeiter kommen
gelernte uungelernte ungelernte
383192909 2047779 38,2
706768 392896 35,6
153475 4866 —X
Der Zimmerberuf weist, wie wir sehen, eine sehr geringfügige Zahl
ungelernter Kräfte auf.
Die Statistik unterscheidet von der bis jetzt allein berücksichtigten
hauptberuflichen die nebenberufliche Tätigkeit: „jede Tätigkeit, die neben
einem Hauptberuf, sei es zurzeit der Zählung oder zu einer andern
Jahreszeit, ausgeübt wird und einen wesentlichen Teil des Gesamtein—
kommens aus erwerbender Tätigkeit bringt“. Die einschlägigen Zahlen
ergeben nachstehende Uebersicht:
—
Stellung unter der
erwerbstätigen
Berufsbevölkerung
Industrie .....
Baugewerbe ...
Zimmerer ..... —
Jahr
Von den Donproeun Darunter von
tätigen haben ander⸗ — —
weigen Rebenberuf den Arbeitern (o)
absolut pgt. absolutpgt.
1882 1693321
1895 1491865
1882 4411830
1895 309162
1882 80036
—5 61676
26,47
18.02
3604
2284
48,86
3082
754651 18,42
753175 12,65
289954 81,586
208048 18,90
55248 86,97
38340
124
Die Zimmerei steht demnach in bezug auf nebenberufliche Be—
schäftigung obenan, aber es geht damit schnell bergab, 1882 waren noch
fast die Hälfte aller Zimmerleute in einen Nebenberuf eingeschirrt, 1895
sind es schon erheblich weniger. Diese Beschäftigungsart spielt wiederum
im wesentlichen nur auf dem platten Lande; 1895 hatten 30,8 pgt.
von den Selbständigen auf dem platten Lande einen Nebenberuf, und
zwar in 28pZt. der Fälle war der Nebenberuf landwirtschaftlicher
Natur; ähnlich so liegt es bei den Arbeitern. In derselben Weise wie
der Nebenberuf aufhört, müßte die Zimmerarbeit zunehmen, wenn eine
Verminderung der Personenzahl nicht stattfinden soll. Denn es handelt
sich ja um Nebenberufsarbeit hauptsächlich landwirtschaftlicher Natur, die
nicht etwa nur eine Art Lückenbüßer für die tote Saison bildet; sie fällt
in den Sommer, wie die Zimmerarbeit auch. Eine so rapide Zunahme
der Zimmerarbeit, wie hier nötig wäre, findet aber nicht statt und daraus
erklärt sich zum Teil die Abnahme der Zimmerleute auf dem platten Lande.
Den Gegensatz von nebenberuflicher Beschäftigung der Zimmerleute
bildet „die Zimmerei als Nebenberuf“, wo also Angehörige andrer Berufe
auch Zimmerarbeit liefern.
Nebenberuf
Industrie .. . . . ..
Baugewerbe ...
Zimmerer....
Jahr Personen
Nebenberufe
in Prozenten aller
Berufsfälle
Haupt- nu. Nebenberuf)
iss2
1895
1882
1895
82
895
5327604 7,62
619386 6,96
80639 7,85
93687 6,47
22849 10,84
23705 6 10,60
Auch hier steht die Zimmerei obenan, sie wird von allen Berufsarten
am häufigsten als Nebenberuf gewählt. Ein Wandel in dieser Beziehung
ist noch kaum bemerkbar. Die einzelnen Kategorien des Zimmerberufes
bekommen dadurch folgendes Aussehen. Es übten 1895 den Zimmer—
beruf aus:
Klassifikation
Im Hauptberuf Im Nebenberuf Summa
Selbständige (a).. 35925
Angestellte (b) ... 3676
Arbeiter (c)...... 160553
11721 47646
249 3925
11785 172288
Durch die nebenberuflichen Zimmerer steigt die Gesamtziffer der
Zimmerleute auf 223859. Fast zu gleichen Teilen wird der Nebenberuf
125
in leitender und dienender Stellung ausgeübt. Die 11721 nebenberuflichen
Zimmermeister weisen uns zumeist wieder auf dörfliche Verhältnisse. Ueber—
haupt sind 89,25 pZt. der Personen, die den Zimmerberuf nebenher aus—
üben, hauptberuflich in der Landwirtschaft tätig.
Einen Einblick in die Art der geschäftlichen Organisation des
Zimmergewerbes kann, wie bereits Seite 117 bemerkt worden ist, die
Berufsstatistik nicht bieten; das statistische Reichsamt verknüpft daher mit
der Berufszählung auch Erhebungen über gewerbliche Verhältnisse. Die
Resultate der letzteren sind unter der Bezeichnung „vetriebsstatistik“
publiziert. In dem Buche: „Die deutsche Volkswirtschaft am Schlusse des
19. Jahrhunderts“, herausgegeben vom kaiserlichen statistischen Amt im
Jahre 1900, wird über das Verhältnis der Berufsstatistik zu der Betriebs—
statistik ausgeführt: „Die erstere sei der Grundlage nach durchaus ver—
schieden von der letzteren und für die Charakteristik der Volkswirtschaft
weniger sicher. Aber man könne die Berufsstatistik deshalb nicht ent—
behren, weil eingehende Nachrichten über die Personalverhältnisse der
Wirtschaftenden und ihrer Angehörigen nur durch die Aufnahme, welche
sich an die einzelnen Personen fragend wendet, erlangt werden können,
während die Auskünfte bei der Statistik der gewerblichen Betriebe, die
sich an die Unternehmer halten müßte, viel dürftiger ausfallen. Außer—
dem sei das Feld der Betriebsstatistik enger, weil sie alle die Personen,
welche nicht in Betriebe eingereiht sind, ausläßt.“ Den 200154 Zimmer⸗
leuten der Berufsstatistik stehen daher nur 133322 Zimmerleute der
Betriebsstatistik gegenüber. Klarer wird das in der folgenden Zusammen—
stellung aus den Resultaten von 1895:
Bei der Berufszählung ermittelte Zimmerleute . . . . . . . . .... 200154
In Zimmereibetrieben gezählte Zimmerleute. .. . . .. . 133,322 —
In andern als Zimmereibetrieben beschäftigte Zimmerleute 28 175
Arbeitslose Zimmerleute am 14. Januar 1895. ... . .. 4147 165 644
Differenz . .. 34510
In dieser Differenzzahl kommt zunächst der tatsächliche Unterschied
zwischen den Begriffen „Zimmerberuf“ und „Zimmergewerbe“ zum Aus—
druck. Beide Begriffe sind miteinander verwandt, sie sind aber keines—
wegs identisch. Das ist jedoch nicht die einzige Ursache der großen
Differenzzahl. Es ist z. B. eine Tatsache, daß besonders in den Groß—
städten immer weit mehr Personen beschäftigt werden, als ihren Wohn—
sitz darin haben. Auf letztere konnte sich die Berufszählung aber nur
erstrecken. Die Betriebsstatistik müßte für die Großstädte bedeutend mehr
Personen nachweisen als die Berufszählung.
—RX
846
Es ergibt sich für die Zimmerei in den 28 Großstädten dieses Bild:
Stellung im Beruf
Berufs⸗ Betriebs⸗
zählung statistik
A. Selbständige und leitende Beamte..
B. Verwaltungs⸗, Aufsichts⸗ und Bureau⸗
personal ........
O. Gehilfen, Lehrlinge und tätige Fami⸗—
lienmitglieder .. ..... ... .....
17423 1748
606
20804 11418
... 23152 56
Zusammen 15 13567
Differenz ............ 9585
411
Für Berlin allein ergibt sich dieses Verhältnis:
Stellung im Beruf
Berufs⸗ Betriebs⸗
zählung statistik
A. Selbständige und leitende Beamte..
B. Verwaltungs⸗, Aufsichts⸗ und Bureau⸗
personal ........... ...
O. Gehilfen, Lehrlinge und tätige Fami⸗
lienmitglieder . . . . . . . . .. .......
316
317
100
83
42391678
46668 2078
Zusammen...
Differenz ............ 2577
Bei diesen Differenzen spielt die moderne Bau- und Zimmerei—
betriebsform eine große Rolle. Die in den modernen Betrieben tätigen
Personen sind mit den Erhebungsmethoden des Reiches statistisch nur
schwer zu fassen. Bei den unklaren Verhältnissen zwischen den Bau—
spekulanten und deren Strohmännern werden bei der Methode des
statistischen Reichsamts viele Zimmereibetriebe überhaupt nicht gezählt.
Das will jedoch besagen: im eigentlichen Zimmergewerbe sind mehr
Zimmerer beschäftigt als aus der Betriebsstatistik ersichtlich ist.
Wie nun die an der Hand der Berufszählung bereits dargestellte
Entwicklung der Zimmerei im Lichte der Betriebsstatistik aussieht, zeigt
die nebenstehende Tabelle. Sie zeigt die Zimmereibetriebs⸗Einteilung nach
Größenklassen, die Zahl der in Zimmereibetrieben ermittelten Personen
und die Entwicklung dieser Verhältnisse seit 1882.
Danach haben sich die Zimmereibetriebe seit 1882 um 14,11 pgt.
vermehrt, die Zahl der in Zimmereibetrieben beschäftigten Zimmerleute
um 34,94 pgt. Das ist ein Wachstum, das dem der Industrie sich
parallel entwickelt und alles bestätigt, was wir über die Entwicklung des
Zimmergewerbes bereits ausgeführt haben.
127
Größenklassen
—
Kleinbetriebe:
Alleinbetriebe ..............
mit 1 bis 53 Gehilfen .......
Summa...
Mittelbetriebe:
mit 6 bis 10 Gehilfen ......
„ 11, 60 „ ......
Summa...
Absolute Zahl
In Prozenten
Betriebe Personen Betriebe Personen
—ADDDD—
7102 20664 17102 20664 51,60 34,6.0 17,8 15,8
13096 11552 87890 —*— 39,6 80,8 88,6 24,6
3o188 8ειöμαοοα B8ööο 1,2 88, I) bG, 1 40,0
1281 2865 10261 216881 8,01 7,7 10,8 16,2
1588 2608 29156 806151 48 6,9 29,7 88,0
2864 646889417 72270 8,7 14,6 40,2 854,2
Großbetriebe:
mit 51 bis 200 Gehilfen ... 49 102 3489 74781 0,11 0,81 8,51 5,6
„201 und mehr , ... 1206 217 0,0 0,0 0,2 0,
Summa. 50 108 86451 7608 0,11 0,8 8,7 8,8
Gesamtsumme.. 88112 87787 2803418838322100, 0100,0100,0 100,0
— ——
III.
Die Cründung der modernen Gewerkschalten in Deutschland
durch die politische Arbeiterbewegung.
Die politische Entwicklung Deutschlands und die ersten Anfange
der modernen Arbeiterhewegung.
Die Zünfte haben früher Jahrhunderte hindurch in politischer
Beziehung eine bedeutende Rolle gespielt; in ihren Händen lagen mehr oder
minder die Geschicke der mittelalterlichen Städte; sie wurden von Königen
und Kaisern für bündnisfähig gehalten; sie nahmen an den Geschicken Deutsch⸗
lands regen und unmittelbaren Anteil. Ihre Macht verminderte sich jedoch
in demselben Maße, wie die Territorialgewalt der Fürsten zunahm; als diese
auf ihrem Gipfel anlangte, war die Macht der Zünfte dahingeschwunden.
Am Ausgange des 18. Jahrhunderts blüten überall die absoluten Staaten
und zwar in einem schier unerschöpflichen Gestaltenreichtum. In diesen
Zwergstaaten sprach der Landesherr das Recht über seine Untertanen;
er besteuerte sie für die Wohltaten, die ihnen aus seiner Regierungs⸗
weisheit flossen; er errichtete seine Schlagbäume und prägte mitunter sogar
sein eignes Geld. Die politischen Zustände schrien mit tausend Zungen
nach einer Umgestaltung an Haupt und Gliedern. Das Volk nahm seine
wolitischen Schicksale aber noch gleich dem Wetter in demütigem Schweigen
als „Fügung des Herrn“ hin.
Als die französische Revolution von 1789 überall die Feuerzeichen
zu einer Erhebung des Volkes entflammte, da blieb es still im weiten
Deutschen Reiche. Eine Oeffentlichkeit in unsernm Sinne gab es noch
nicht; es hatte sich noch nirgend in Deutschland eine revolutionäre Partei
gebildet. Erst später, als die französische Revolution die großen Völker⸗
kriege entzündete, begannen sich die Völkerbefreiung verkündenden Ideen
auch auf deutscher Erde zu äußern. Ganz Deutschland kam in irgendeiner
Form unter französische Botmäßigkeit. Unter der tatkräftigen Initiative
Napoleons erlebte Deutschland einen wahren Umsturz der bestehenden
Staatsverhältnisse. Durch den sogenannten Reichsdeputationshauptschluß“
vom 25. Februar 1803 wurden nicht weniger als 112 souveräne Staaten
129 —
von der Landkarte gestrichen, der größte Teil der freien Städte, die
Reichsgrafen und Reichsritter, die Erzbischöfe, Bischöfe und Prälaten
hatten als weltliche Fürsten ausgelebt. Die französische Revolution hat so
zu einer folgenreichen politischen und sozialen Neugestaltung Deutschlands
den Anstoß gegeben und dadurch äußerst wirksam das Einigungswerk
Deutschlands gefördert. Es verblieben nur noch 36 Monarchien und
einige freie Städte.
Die französische Fremdherrschaft hatte Deutschland von dem größten
Schutte des Feudalismus gesäubert, nichtsdestoweniger wurde sie als schwere
Last empfunden; ihre Beseitigung wurde indessen den deutschen Teil—
fürsten nur möglich durch die opferfreudige Beteiligung des Volkes, die
sie mit dem bestimmten Versprechen erzielten, als Preis des Sieges dem
Volke auch politische Rechte einzuräumen. Nach Napoleons Niederwerfung
dachten die meisten „Landesväter“ natürlich nicht daran, ihr gegebenes
Versprechen einzulösen, ihre wackligen Throne waren mit dem Blute
des Volkes von neuem befestigt worden, nun zogen unter ihrem Schutze
auch die alten Feudalklassen in die „deutsche Kinderstube“ wieder ein.
Statt der so heiß ersehnten Freiheit erntete das Volk die Stadtvogtei
und die Festung; die versprochenen Konstitutionen aber ließen auf sich
warten. Das deutsche Bürgertum, dem der Vortritt gebührte, zeigte
allerdings auch keine Lust, für Volksrechte zum Märtyrer zu werden,
wie unabänderliche Geschicke nahmen die Kleinbürger die Ereignisse hin,
nirgend verspürte man in der bürgerlichen Welt Deutschlands etwas von
jenem vollkräftigen, genialen Geiste, der das Bürgertum Frankreichs so
ausgezeichnet hatte. Nur auf den deutschen Hochschulen loderte das
revolutionäre Feuer fort, welches die Freiheitskriege in dem Herzen des
jungen Deutschland entfacht hatte. Die deutschen Burschenschafter ver—
gaßen nicht, für welche hohen Ziele sie die „Flamberge“ in den Frei—
heitskriegen geschwungen; sie pflanzten auf den Universitäten das Banner
der Rebellion auf und stritten noch fort für ein einiges und freies Deutsch—
land. Es war aber nur eine Vorhut, die kein Heer hinter sich hatte.
Eine tiefe Stille lag über ganz Deutschland; das Tragen des schwarz—
rot-goldenen Bändchens galt schon als leibhaftiger Hochverrat, Hunde—
demut wurde des Bürgers Zierde. Erst in den dreißiger Jahren des
19. Jahrhunderts kam es zu einer nationalen Kundgebung, der in einigen
der sechsunddreißig deutschen Vaterländer billige Zugeständnisse an das
Volk folgten. Dieser Kundgebung folgte aber auch eine reaktionäre
Sturzwelle, welche die standhaftesten der bürgerlichen Revolutionäre über
Deutschlands Grenzen trieb. Sie gründeten im Auslande demokratische
Gesellschaften und suchten auch mit den deutschen Handwerksburschen in
Bringmann, Geschichte der Zimmerer.
130 —
Verbindung zu kommen. Nach Dr. Georg Adler („Die Geschichte der
ersten sozialpolitischen Arbeiterbewegung in Deutschland“) läßt sich in der
Zeit nach der Julirevolution, die 1830 in Frankreich stattgefunden, zum
ersten Male eine Beteiligung deutscher Arbeiter an den politischen Be—
wegungen nachweisen. In Paris, der damaligen Hauptstadt der
europäischen Revolution, gehörten 1832 eine Anzahl deutscher Arbeiter
dem „deutschen Volksverein“ an. Im Jahre 1836 gründeten hier
deutsche Flüchtlinge im Verein mit Handwerksburschen aber auch den
„Bund der Gerechten“, der fast ausschließlich aus deutschen Arbeitern
bestand. Der Schneidergeselle Wilhelm Weitling, einer der bedeutendsten
Vorkämpfer der deutschen —
ging nach der Schweiz, um dort die deutschen Arbeiter aufzuklären und
zu organisieren. Aber bald wurden jene Organisationen gesprengt, die
Bundesmitglieder, besonders Weitling, hart und rücksichtslos verfolgt.
Einige Mitglieder des „Bundes der Gerechten“ wurden nach London
verschlagen, wo sie 1840 den deutschen Arbeiterbildungsverein gründeten,
der heute noch besteht und der zunächst zum Stützpunkt des Bundes
wurde. Auf einem Bundeskongresse im Jahre 1847 wurde der „Bund
der Gerechten“ in den „Bund der Kommunisten“ umgewandelt, dem nun
auch Karl Marr und Friedrich Engels angehörten.
Wie schon der „Bund der Gerechten“ war auch der „Bund der
Kommunisten“ keine in sich abgeschlossene Organisation. Die Bundes⸗
mitglieder gründeten, wo sich ihnen die Gelegenheit bot, unter den ver—
schiedensten Namen lokale Vereine nach dem Vorbilde des deutschen Arbeiter⸗
bildungsvereins in London und versuchten, die Teilnehmer mit ihrer Lehre
und ihren Bestrebungen zu erfüllen. Von 1844 ab nahm übrigens das
Vereinswesen in den größeren Städten Deutschlands allgemein einen Auf⸗
schwung. Teils, wie in Hamburg, wurden diese Vereine sogar staatlich
subventioniert. Wo sich „Gewerbevereine“ oder „Arbeiterbildungsvereine“
nicht gründen ließen, versuchte man es mit der Gründung von Gesang-—
vereinen. Jene Vereine sollen in der deutschen Arbeiterwelt viel Anklang
gefunden haben; der erste Arbeiterverein dieser Art in Berlin z. B., der im
Jahre 1844 gegründet wurde, soll weit über 1000 Mitglieder gezählt
haben und Dr. Georg Adler meint, als sicher könne hingestellt werden,
„daß die meisten Arbeitervereine unter der Führung von Mitgliedern des
Kommunistenbundes standen“. Hingegen berichtet Eduard Bernstein („Die
Geschichte der Berliner Arbeiterbewegung“) über den erwähnten Arbeiter⸗
verein in Berlin, daß er von bürgerlichen Arbeiterfreunden, als deren
Haupt der damalige Stadtsyndikus und spätere zweite Bürgermeister
Berlins, Hedemann, bezeichnet wird, ins Leben gerufen und „Handwerker⸗
131
verein“ geheißen wurde; es war gewissermaßen eine Handwerker- und
Arbeiterbildungsschule. Es fanden sich darin radikale Gelehrte, Künstler,
Schriftsteller mit bildungsfreudigen Handwerkern und Arbeitern zusammen.
Aber auch in diesem Verein fehlte es nicht an einem Mitgliede des
Kommunistenbundes, man betrachtete ihn jedoch mit Mißtrauen und witterte
in ihm einen Agenten der Polizei. Nichtsdestoweniger gelang es dem
Kommunisten Mantel verhältnismäßig schnell, einen Kreis von Angehörigen
für seinen Bund zu gewinnen, so daß Berlin bereits vor 1848 seinen
Kommunistenprozeß hatte.
Ueber die Stärke und Verbreitung des „Bundes der Kommunisten“
fehlen indes nähere Angaben. Im großen und ganzen bildete er eine
Propagandagesellschaft und umfaßte, wie Friedrich Engels berichtet, jenen
wenig zahlreichen Teil der Arbeiterklasse, der eine gründliche Umgestaltung
der Gesellschaft forderte; es wurde ein nur im rauhen gearbeiteter, nur
instinktiver, manchmal etwas roher Kommunismus darin vertreten. Der
zweite Kongreß des Kommunistenbundes, der im November 1847 stattfand,
beschäftigte sich mit der Feststellung der Bundeslehre; Engels und Marr
wurden damit betraut, sie in einem Manifest zusammenzufassen. Das
„Kommunistische Manifest“ erschien im Februar 1848 zum ersten Male
im Druck. „Für die Bundesmitglieder handelte es sich,“ wie Stephan
Born berichtet, „nichtsdestoweniger um eine Besserung ihres materiellen
Daseins, die ja auf Grund der Entwicklungsgeschichte der Menschheit doch
einmal kommen mußte. Daran glaubten sie, und das mit Recht. Zu
welchem letzten Ziel die ihnen vorgetragene Theorie führte, ob dieses
auch erreichbar sei, das machte ihnen keine Sorge. Anders sollte es werden
und besser.“ Für die Idee der Gewerkschaftsbewegung war, wie hervor—
gehoben werden muß, trotzdem noch kein Raum in diesen Organisationen.
Der Beginn der sozialistischen Bewegung fiel, wie Dr. Georg Adler schreibt,
zwar mit dem Zeitpunkt zusammen, in welchem der vierte Stand (lies
Arbeiterklasse) in Deutschland seine gedrückte Lage zu fühlen begann. Es
brachen im Jahre 1844 in einer Reihe von Orten des deutschen Bundes
Unruhen unter den Arbeitern aus, aber „bei allen diesen Erhebungen ist
notorisch auch nicht ein einziges Moment vorhanden gewesen, das auf
irgendwelchen, auch nur den leisesten Zusammenhang mit dem Sozialismus
deuten könnte. Kein einziger von den in Untersuchung gekommenen
Arbeitern war in der Schweiz gewesen, bei keinem einzigen hatte man
irgendwelche sozialistische Drucksache gefunden. Nirgend hatte man eine
sozialistische Forderung gehört, wenn man nicht Klagen über Lohn—
herabsetzungen und Uebervorteilungen seitens der Fabrikanten dazu
rechnen will. Jene Emeuten waren nur durch die bittere Not veranlaßt.
Ae
14132
Immerhin waren sie ein Zeichen, daß auch die deutschen Arbeiter ihre
Lage zu fühlen begannen und daß eine tiefergehende Erregung sich der
Arbeiter zu bemächtigen anfing. .. . Die organisierten Arbeiter taten
nirgend mit, mochten nun gerade sie von der Not nicht betroffen sein
oder mochten sie wissen, daß mit solchen planlosen Tumulten am aller⸗
wenigsten etwas erreicht werden konnte.“ Nach der Lehre der Kommunisten
sollte das Proletariat die verelendenden Tendenzen des Kapitalismus
niederkämpfen in einer politischen Revolution!
Das Kommunistische Manifest konnte noch nicht allen Mitgliedern
des Bundes zu Gesicht gekommen sein, da brauste schon eine gewaltige
revolutionäre Windsbraut über fast ganz Europa dahin; jedes kleine
Krähwinkel, jedes Schöppenstedt hatte seine Revolution, die je nach den
Verhältnissen, unter denen die sozialen Klassen der Zeit lebten, einen
besonderen Charakter trug. In Deutschland hob sich noch der halbfeudale
Adel als starke soziale Macht aus der Gesellschaft heraus. Die Bourgeoisie
war noch wenig entwickelt, das Kleinbürgertum hingegen hatte einen be—
deutenden Umfang, der wirtschaftliche Aufschwung der dreißiger Jahre
hatte es eher gestärkt als geschwächt, intellektuell war es jedoch eher rück⸗
wärts, der alten Zunftzeit zu, als vorwärts, der freien bürgerlichen
Gesellschaft entgegengekommen. Die Stadtmauern waren noch immer
die Grenze der kleinbürgerlichen Welt. Aber auch die Arbeiter waren
zumeist noch zünftige Gesellen, die Fabrikarbeiter traten nur vereinzelt
auf, sie spielten selbst in den Großstädten keine nennenswerte Rolle.
Nichtsdestoweniger überließ das Bürgertum in Deutschland den revo—
lutionären Kampf der Arbeiterklasse. Sie siegte und wurde dann infolge
ihrer politischen Unreife von dem Bürgertum sofort um die Früchte des
Sieges betrogen. Erst als der Verrat offenbar wurde, ließ sich eine
besondere Arbeiterbewegung auf die Beine bringen.
In Paris stifteten Marr und Engels einen deutschen kommu⸗
nistischen Klub, worin sie den Arbeitern rieten, einzeln nach der Heimat
zurückzukehren und dort— für die Bewegung zu wirken. Von der damaligen
Levolutionären Regierung in Paris wurden Reisevergünstigungen für die
fortgeschickten Arbeiter ausgewirkt; es sollen auf diese Weise dreihundert
bis vierhundert Arbeiter nach Deutschland gekommen sein, darunter eine
große Zahl der Mitglieder des Kommunistenbundes. Unter anderm kam
auch der schon erwähnte Schriftsetzer Stephan Born einige Tage nach
dem 18. März 1848 nach Berlin zurück. Er war hier bereits bekannt.
1825 in Schlesien geboren, kam Born 1840 nach Berlin, um Schrift⸗
setzer zu werden. Seine Lehrzeit betrug noch fünf Jahre. Er wurde
währenddessen mit dem schon erwähnten Berliner „Handwerkerverein“
133
und auch mit einem Mitgliede des Kommunistenbundes bekannt. Nachdem
er ausgelernt, ging er auf die Wanderschaft, kam nach Paris und wurde
hier mit Friedrich Engels bekannt, der von Januar bis Herbst 1847 sein
einziger Umgang war. Born wurde nunmehr formell in den Kommu—
nistenbund eingeführt. Er führte für den Bund mehrere Aufträge aus,
und bei dem Ausbruch der Februarrevolution 1848 war er in Brüssel
bei Karl Marr, dessen Familie er nach Paris begleitete, bevor er nach
Berlin zurückging. Hier organisierte er, wie es nach Eduard Bernsteins
Darstellung den Anschein gewinnt, mit Hilfe der Berliner Mitglieder des
Kommunistenbundes eine Art loses Gewerkschaftskartell. Am 6. April 1848
wurde in Berlin die erste Arbeiterversammlung einberufen. Born fand
mit seinen Ideen Anklang. Es folgten nun Gewerksversammlungen, die
Deputierte ernannten. Nun wurden Deputiertenversammlungen ver—
anstaltet. Bereits am 19. April 1848 konstituierte sich in Berlin ein
„Zentralkomitee für Arbeiter“; Born wurde sein Vorsitzender. Dieses
Zentralkomitee entwickelte eine eifrige Agitation. Unter anderm gab es
seit dem 1. Juni 1848 eine Zeitschrift heraus, „Das Volk“, die sich zur
Aufgabe machte: „das Bürgertum einerseits zu unterstützen im Kampfe
gegen die Aristokratie, gegen das Mittelalter, gegen die Mächte von
Gottes Gnaden; dem kleinen Gewerbetreibenden wie dem Arbeiter beizu⸗
stehen gegen die Macht des Kapitals und der freien Konkurrenz und
immer voranzuschreiten, wo es gilt, dem Volke ein irgend noch vorent—
haltenes politisches Recht zu erkämpfen, damit es die Mittel erhalte, sich
die soziale Freiheit, die unabhängige Existenz um so schneller zu erringen“.
Das Komitee beschickte auch die Handwerkerkongresse in Hamburg
und Berlin. Von den hier gefaßten Beschlüssen war es aber nicht be—
friedigt, sie waren durchweg zünftlerisch; es hatte eingesehen: wollte die
Arbeiterklasse als Macht im Staate dastehen, dann war ihre Organisation
die erste Aufgabe. Die Elemente zu einer Arbeiterpartei waren besonders
nach Ansicht des Vorsitzenden des Zentralkomitees vorhanden in den
Genossenschaften, die in einem und demselben Gewerbe einer Kranken-,
Invaliden- und Witwenkasse oder einer Unterstützungskasse für reisende
Kollegen angehörten; kurz, er sah diese Elemente einer Arbeiterpartei in
den Ueberresten der alten Gesellenverbindungen. In Gemeinschaft mit
Arbeitervertretern aus andern Orten berief das Zentralkomitee einen
Arbeiterkongreß nach Berlin, der am 23. August 1848 zusammentrat.
Aus 35 Orten waren Arbeitervereinigungen durch 40 Delegierte vertreten,
von denen fünf nur beratende Stimmen hatten. Das Wichtigste, was
der Kongreß leistete, war ein Statutenentwurf zu einer Organisation der
deutschen Arbeiter. Gedacht war diese Organisation als eine umfassende
134
„Arbeiterverbrüderung“, so wurde der Bund auch bezeichnet. Er sollte
sich aufbauen auf lokalen Arbeitervereinen. Jedes Gewerk oder sonstige
Arbeiterverbindung an einem Orte sollte außer dem Altgesellen oder
sonstigen Vorsteher mindestens noch einen Deputierten zum Lokalkomitee
wählen. Die beteiligten Verbindungen zusammen bildeten den lokalen
Arbeiterverein, das Lokalkomitee den Vorstand. Eine größere oder ge—
ringere Anzahl Lokalkomitees unterstanden einem Bezirkskomitee, als
— Lokalkomitee des gewählten Vorortes.
Ueber dem Ganzen waltete das „Zentralkomitee der deutschen Arbeiter“,
dessen Sitz nach Leipzig verlegt wurde.
Im September 1848 siedelte das Zentralkomitee, mit Stephan Born
an der Spitze, nach Leipzig über. Am 3. Oktober 1848 erschien die
erste Nummer des zweimal wöchentlich erscheinenden Bundesorgans:
„Die Verbrüderung, Korrespondenzblatt aller deutschen Arbeiter“. „Das
Volk“ hatte am 29. August 1848 sein Erscheinen bereits eingestellt. Das
erste „Rundschreiben des Zentralkomitees für die deutschen Arbeiter, an
sämtliche Arbeiter und Arbeitervereine Deutschlands“ datiert vom
18. September 1848. Es bildet eine packende Aufforderung, auf Grund
der Berliner Beschlüsse die Organisation nunmehr zu vollziehen. Daneben
wurden Bezirkskongresse abgehalten. Für das Königreich Sachsen, die
sächsischen Herzogtümer und die preußische Provinz Sachsen fand ein
solcher in Leipzig statt; vertreten waren 25 Deputierte. Für Südwest⸗
deutschland fand am 28. und 29. Januar 1849 ein Kongreß in Heidelberg
statt, wo die Einigung der süddeutschen Arbeiter mit den norddeutschen
gelang. Die ersteren fanden bis dahin ihre Vertretung in einem
Zentralkomitee in Frankfurt a. M., das unter dem Einflusse des Professors
Winkelblech stand. Diesem wurde auf dem Kongreß in Heidelberg
gehörig heimgeleuchtet. Das Frankfurter Komitee vereinigte sich mit dem
Zentralkomitee in Leipzig. Für die Thüringer Staaten fand am 11. und
12. Februar 1849 in Altenburg ein Kongreß statt. Vom 10. bis
14. Februar tagte der Kongreß norddeutscher Arbeiter in Hamburg; auf
demselben erschienen 32 Deputierte. Eine Generalversammlung der Würt—⸗
temberger Arbeitervereine fand am 4. März in Göppingen statt. Die
Abgeordneten von elf Arbeitervereinen waren vertreten. In der Zeit
vom 2. bis 4. April tagte in Nürnberg der bayrische Arbeiterkongreß.
In seinem ersten Rundschreiben hatte das Zentralkomitee schon aus—
geführt: „Sobald die Organisation vollendet, werden wir eine General⸗
bersammlung zusammenberufen, um die Beschlüsse nochmals durchzusehen
und je nach der Notwendigkeit Zusätze oder Verbesserungen vorzunehmen.“
Nun sollte im Juni 1849 ein zweiter Kongreß in Leipzig stattfinden,
135
der schon deshalb imposant zu werden versprach, weil auch die rheinischen
Arbeiter sich anschickten, daran teilzunehmen. Diese standen unter der
Führung der „Neuen Rheinischen Zeitung“, deren erste Nummer am
1. Juni 1848 erschien und die Karl Marx leitete. Sie waren länger
bei der bürgerlichen Demokratie verblieben als die Arbeiter anderwärts.
Am 14. April 1849 schieden die rheinischen Kommunisten aus dem
demokratischen Ausschuß aus und beriefen zum 6. Mai einen Provinzial—
kongreß. Dieser sollte über eine Organisation der rheinischen und west—
fälischen Arbeitervereine sowie über die Beschickung des Kongresses der
Arbeiterverbrüderung beraten.
Die Maistürme des Jahres 1849 verschlangen aber alle diese Vor—
bereitungen. Am 19. Mai 1849 erschien der „Neuen Rheinischen Zeitung“
letzte Nummer. Die Arbeiterverbrüderung hielt sich etwas länger. Im
Februar 1850 fand nochmals ein Kongreß statt. Um die Mitte des—
selben Jahres erlagen jedoch Organ und Bund dem bereits wieder stark
gewordenen Polizeiregiment. Die Trümmer der rheinischen Arbeiter—
vereine gingen unter mit der Verurteilung der Kölner Kommunisten im
Jahre 1852. Die Trümmer der Arbeiterverbrüderung, die sich besonders
in süddeutschen Staaten erhalten hatten, vernichtete der Bundestag, der
auf Wunsch des preußischen Bevollmächtigten am 13. Juli 1854 beschloß:
alle Vereine, die kommunistische oder sozialistische oder politische Ziele
verfolgen, zu unterdrücken. Nach kurzer Zeit waren die letzten Reste der
Arbeiterorganisation verschwunden. Born hatte sich an dem Maiaufstande
in Dresden beteiligt; er ist nach dem Siege der Reaktion nach der
Schweiz entkommen und hat sich später von der Arbeiterbewegung ganz
abgewendet. Er starb 1898 in Basel als Professor. Der Redakteur
der „Verbrüderung“, Gangloff, wurde wegen angeblichen Hochverrats
vier Jahre ins Zuchthaus geworfen. Marx und Engels verschlug die
reaktionäre Sturzwelle nach London, wo sich die Reste des Kommunisten⸗
bundes auflösten, weil seit der Verhaftung der Kölner Kommunisten und der
Verurteilung derselben jede Verbindung mit dem Kontinent aufgehört hatte.
Die Arbeiterverbrüderung war aber nicht nur rein politische
Organisation, sie war auch ein Stück Gewerkschaftsbewegung. Schon
„Das Volk“, die Zeitschrift des Berliner Lokalkomitees, forderte in seinem
Programm: „Bestimmung des Minimums des Arbeitslohnes und der
Arbeitszeit durch Kommissionen von Arbeitern und Meistern oder Arbeit—
gebern; Verbindung der Arbeiter zur Aufrechterhaltung des festgesetzten
Lohnes.“ Die politischen und gewerkschaftlichen Bestrebungen griffen in
dieser Bewegung, wie wir das auch während der russischen Revolution
erlebt haben, vielfach ineinander. Nach dem Siege der Revolution
138
gingen die Wogen der Lohnbewegung in ganz Deutschland ziemlich hoch.
Die Arbeiter versuchten, die eben errungene Freiheit in Brot umzusetzen.
Herabsetzung der übermäßig langen Arbeitszeit von 12 bis 14 Stunden
und Erhöhung des kümmerlichen Lohnes bezw. Festsetzung eines Minimal⸗
lohnes wurden rasch die Schlagworte der Arbeiterwelt. An fast allen
Orten, die eine einigermaßen entwickelte Industrie besaßen, und unter
den Handwerksgesellen gab es mehr oder minder rege Arbeiterbewegungen.
Die Lohnbewegungen verliefen zunächst ohne nennenswerte Kampf—⸗
erscheinungen. „Man feierte ein paar Tage, zog mit klingendem Spiel
und Fahnen, unter denen die schwarz⸗rot⸗goldene Fahne nicht fehlen
durfte, durch die Straßen, und dann kam es auf irgendeine Weise zum
Friedensschluß mit den Prinzipalen, der wieder durch einen Umzug mit
Fahnen, feierliche Danksagungen an die Meister und dergleichen gefeiert
wurde“, schreibt Eduard Bernstein speziell über die damaligen Lohn⸗
bewegungen in Berlin. Auf seiten des Bürgertums war man zunächst
einsichtsvoll genug, den Alassengegensatz nicht zu schärferer Zuspitzung
gelangen zu lassen. Soviel sahen selbst die liberalen Bourgeois ein,
daß es um die ihnen so überraschend schnell in den Schoß gefallenen
politischen Errungenschaften sehr schlecht stand, wenn es zwischen Bürgertum
ind Arbeiterschaft zu ernsten Zusammenstößen kam. Aber das wurde
bald anders, und zwar in dem Maße, wie die Herrschenden einsahen,
daß sie ohne dauernde Zugeständnisse an die Bourgeoisie ihre wackeligen
Throne nicht wieder befestigen konnten.
Es kam zu festerem Zusammenhalten der Gesellen und auch zur
Stiftung von Vereinen zum Zwecke von Streiks. Bei den Buchdruckern
und Tabakarbeitern kamen sogar nationale Berufsverbände zustande. Je
mehr die erheuchelte Arbeiterfreundlichkeit des Bürgertums verrauschte,
je mehr stützten sich die Arbeiterbewegungen, soweit sie nicht einfach im
Sande verliefen, auf die Arbeiterverbrüderung. Indem die Polizei—
behörden alles aufboten, die Regungen des Proletariats niederzuhalten,
führten sie den Arbeitern die Notwendigkeit zu Gemüte, daß sie sich
auch politisch als Klasse oder als besonderer Stand, wie es damals hieß,
zu betätigen hätten. So kam es, daß, trotzdem mit dem Jahre 1849
der Sieg der Konterrevolution endgültig entschieden und die Lage der
Arbeiterverbrüderung eine sehr heikle wurde, ihre Fortschritte nicht auf⸗
hörten. Nach dem Kongreß von 1850 umfaßte die Arbeiterverbrüderung
250 Arbeitervereine aus allen Gauen Deutschlands, und es gab darunter
Vereine mit ansehnlichen Mitgliederzahlen. Nach den Angaben von
Dr. Georg Adler, dem wir hier folgen, zählte z. B. der Breslauer
Verein 1200 Mitglieder, der Halberstädter 1000, der Zschopauer 600,
137
der Nürnberger 300, der Delitzscher 210, der zu Halle a. d. S. 130, der
Braunschweiger 700, der Hannoveraner 450, der zu Bremen 250 usw.
Uebrigens wurde von dem Kongreß 1850 mit Entschiedenheit darauf
gedrungen, daß diese Vereinigung sich auch wirklich auf fachgewerblicher
Grundlage aufbauen sollte. In jedem Orte sollten die Mitglieder eines
jeden Gewerks für sich einen Lokalverein bilden und erst deren Deputierte
sollten das Lokalkomitee zusammensetzen. Die Lokalvereine hatten die
Verpflichtung, sich wöchentlich mindestens einmal zu versammeln und
hatten die Aufgabe, die Bedürfnisse und Uebelstände der Arbeiter ihrer
Berufsart sowohl wie auch im allgemeinen zu erforschen und auf ihre
Abhilfe zu wirken, ferner ihre Gewerks-, Arbeits- und Wirtschafts⸗
verhältnisse zu beraten und zu ordnen; durch Arbeitsvermittlung, wie
durch Errichtung und Selbstverwaltung freier Kranken-, Sterbe-, Invaliden-,
Dispositionskassen usw., den Arbeiter und seine Familie nach Möglichkeit
vor den Wechselfällen des Lebens zu schützen und die Grundsätze der
Gegenseitigkeit und Brüderlichkeit im Volke zu fördern; schließlich durch
Lehrvorträge, Bibliotheken, Musterwerkstätten und ähnliche Institute
Kenntnis und Bildung unter den Arbeitern zu verbreiten. Man möchte
fast sagen, die Arbeiterverbrüderung schickte sich nach dem endgültigen
Siege der Konterrevolution an, eine rein gewerkschaftliche Einrichtung
zu werden. Aber das konnte die Rache der Herrschenden nicht dämmen.
Setzten sie Himmel und Hölle in Bewegung, um Revolutionäre in Schlaf—
rock und Pantoffeln unschädlich zu machen, so durfte konsequent eine
Organisation der echten, der wirklichen Revolutionäre nicht geschont
werden, welche samt und sonders bereit waren, Gut und Blut im Kampfe
gegen die damals bestehende Herrschaft einzusetzen.
Aber die Konterrevolution hatte ja auch nur durch den Verrat der
Bourgeoisie an der Revolution siegen können. Die Throne ließen sich
nur halten durch die neu gewonnenen Stützen. Ihnen war eine
stelbständige Arbeiterbewegung, noch dazu in Form einer Gewerkschafts—
organisation, vielleicht noch verhaßter als das vormärzliche Regime.
Schon als der erste Arbeiterkongreß in Berlin tagte, durchzogen zahl⸗
reiche, sehr starke Patrouillen der Bürgerwehr die in der Nähe des
Versammlungslokales liegenden Straßen aus Furcht vor den Arbeitern.
Jeder Streik löste große Angst und Besorgnis im Bürgertum aus und
die schließliche Vernichtung der Arbeiterbewegung erntete den Beifall der
Bourgeoisie und des Spießbürgertums zugleich. Zur Wahrung und
Förderung ihrer wirtschaftlichen Interessen und aus Furcht vor den
Arbeitern warfen sie sich der politischen Reaktion in die Arme. So
endete der erste Akt der deutschen Arbeiterbewegung.
138
Die Wiedererweckung der Arbeiterbewegung durch die Bourgeoisie,
der Allgemeine deutsche Arbeiterverein und die Internationale
Arbeiter⸗Assoꝛiation.
Der ökonomische Aufschwung der fünfziger Jahre warf der Bourgeoisie
reichen Verdienst in den Schoß, auch das Kleinbürgertum bekam von
dem furchtbaren Platzregen einiges ab. Bei alledem gab es ein Gebiet,
auf dem selbst die Bourgeoisie rebellisch blieb: das war die deutsche
Zerrissenheit. Diese legte dem nach schrankenloser Entfaltung ringenden
Kapitalismus die drückendsten Fesseln an. Die verschiedenen Maß-,
Münz⸗ und Gewichtssysteme innerhalb des deutschen Gebiets, die Ehe⸗
und Niederlassungsbeschränkungen, welche die einzelnen Staaten trennten
und das Kapital an der freien Verfügung über das Proletariat hinderten,
der Mangel an diplomatischem Schutz im Auslande, der die deutsche
Konkurrenz auf dem Weltmarkte empfindlich erschwerte, und manches
andere wurde für die deutsche Bourgeoisie um so unerträglicher, je mehr
sie über alles bisherige Maß hinauswuchs. Ihre anschwellenden Profite
drängten zur deutschen Einheit, zur Gewerbefreiheit und Forträumung
aller feudal-zünftigen Schranken.
Ohne die Hilfe der breiten Masse konnte die Bourgeoisie den
Absolutismus und Feudalismus mittlerweile nicht überwinden, daher
spannte sie zunächst das Kleinbürgertum vor ihre Forderungen, dann
drillte sie auch die Arbeiter ein für den politischen Kampf, in der Absicht,
eine politisch zugleich tatkräftige und willenlose Hilfstruppe zu organisieren.
1859 gründete die Bourgeoisie für sich den Nationalverein. Zum
Arbeiterfang wurden Handwerker- und Bildungsvereine gegründet und
„diese Arbeitervereine wuchsen“, wie Bebel berichtet, „in den Jahren
1860 bis 1863 aus dem Boden wie Pilze nach einem warmen Sommer⸗
regen“. Auch wurde eine Arbeiterzeitung herausgegeben, welche die Inter⸗
essen der Arbeiter so vertrat, wie die Bourgeoisie diese Interessen ver—
stand. Daneben krebste Schulze aus Delitzsch mit der Gründung von
Konsumvereinen, die den gleichen Zweck verfolgten.
Mit dieser ihnen zugewiesenen Rolle waren die Arbeiter aber nicht
lange zufrieden. In den fortgeschrittensten Bildungsvereinen in Berlin
und Leipzig machte sich bald eine Strömung bemerkbar, welche die
Arbeiterinteressen in Wirklichkeit vertreten haben wollte. Nachdem in
Berlin eine Reihe Bezirksversammlungen abgehalten worden waren,
wurde am 7. Oktober 1862 in einer Schlußversammlung ein Komitee von
25 Personen niedergesetzt, das die Einberufung eines Arbeiterkongresses
vorbereiten sollte. In derselben Zeit konstituierte sich auch in Leipzig ein
solches Komitee. Beide verständigten sich über ein gemeinsames Vorgehen,
—139
so daß Ende Januar 1863 der Kongreß in Leipzig stattfinden sollte.
Diese Rechnung war jedoch ohne die bürgerlichen Politiker gemacht
worden, die der Arbeiterklasse weder Zugeständnisse machen, noch ihnen
ihre Selbständigkeit einräumen wollten. Außerdem war die Gleich—
gültigkeit der Arbeiter noch eine unbekannte Größe. Der angesetzte
Termin zur Abhaltung des Kongresses erwies sich als verfrüht; das
Leipziger Komitee kam zu der Erkenntnis, daß der ganze Plan zu ver—⸗
sumpfen drohte, wenn nicht endlich reiner Tisch zwischen Bürgertum
bezw. Fortschrittspartei und den Arbeitern gemacht würde. Um dieses
zu erreichen, nahm eine Leipziger Deputation mit den Führern der
Fortschrittspartei und des Nationalvereins Rücksprache. Sie wurde hier
aber mit schlecht verhülltem Hohn abgewiesen. Nun kam sie zu Ferdinand
Lassalle, der zusagte, an der Verwirklichung des gefaßten Planes mit—
zuwirken. Bei Lassalles Eingreifen spaltete sich das Komitee zur Ein—
berufung des Kongresses; jetzt ging auch jener große Spektakel in Szene,
der es zu einer umfassenden selbständigen Arbeiterbewegung noch auf lange
Zeit hinaus nicht kommen ließ. Die bürgerlichen Politiker arbeiteten nach
dem Grundsatze: die Arbeiterklasse lieber in endlosen Zank und Streit zu
verwickeln und das gegenseitige Vertrauen ganz unmöglich zu machen, als
sie zu einem besonderen Machtfaktor im Staate sich herausbilden zu lassen.
Am 23. Mai 1863 wurde nichtsdestoweniger in Leipzig der „Allge—
meine deutsche Arbeiterverein“ gegründet. An der Gründung nahmen
Delegierte aus elf Städten teil. Berlin befand sich nicht darunter,
dagegen Hamburg, Harburg, Köln, Düsseldorf, Elberfeld, Bärmen,
Solingen, Frankfurt a. M. und Mainz. Lassalle wurde zum Präsidenten
gewählt und mit nahezu ganz unbeschränkten Vollmachten ausgestattet.
In der Tat lag die Hauptlast auch weniger auf dem Verein als solchem,
als auf der Person Lassalles. Nicht der Verein, sondern Lassalle
kämpfte und stritt mit den Feinden einer selbständigen Arbeiterbewegung
und er als Person peitschte die Arbeiter zur Erkenntnis ihrer Klassenlage
auf. Der Verein war vorerst noch nicht einmal stark genug, um seine
Unterhaltungskosten zu decken; das geschah zum größten Teil aus
Lassalles Privatvermögen. Leider starb Lassalle schon am 31. August 1864;
er fiel in einem Duell, das mit der Arbeitersache nichts zu tun hatte,
sondern eine private Angelegenheit Lassalles war. Der Verein erhielt
sich trotz aller Wirren, die nach des Führers Tode darin ausbrachen,
er fand in Lassalles Freunde Jean Baptist v. Schweizer einen eifrigen
Förderer, der 1867 auch Präsident des Vereins wurde.
Gleichzeitig mit dem Wiederaufkommen der deutschen Arbeiter—
bewegung erstand auch die internationale Arbeiterbewegung. Gustav
140
Jaeckh („Die Internationale“) führt ihr Entstehen auf die Tätigkeit einer
Anzahl Londoner Gewerkschaftsführer zurück, darunter auch Robert
Applegarth, der Organisator der Zimmerer Englands. Anläßlich eines
Meetings am 28. September 1864 in London, an welchem eine Depu—
tation französischer Arbeiter teilnahm, wurde ein Komitee gewählt und
ihm die Vollmacht erteilt, seine Mitgliederzahl zu vermehren und die
Statuten und Reglements einer internationalen Vereinigung zu entwerfen.
Unter den Gewählten befand sich auch Karl Marr. Das Komitee
konstituierte sich als provisorischer „Generalrat der Internationalen
Arbeiterassoziation“. In der ersten Septemberwoche 1866 tagte in Genf
der erste Kongreß der Internationalen Arbeiterassoziation, der von
60 Delegierten besucht war, darunter drei deutschen. Seit Anfang des
Jahres 1866 gab Johann Philipp Becker, ein alter Achtundvierziger, in
der Schweiz eine Monatsschrift, „Der Vorbote“, als Zentralorgan der
Sektionsgruppe deutscher Zunge heraus. In Deutschland bestanden
jedoch erst kleine und vereinzelte Sektionen des Bundes in Schlesien,
Sachsen, Schleswig-Holstein und am Rhein. Der zweite Kongreß dieses
Bundes fand in der ersten Septemberwoche 1867 in Lausanne statt; er
war von 64 Delegierten besucht, darunter sechs deutschen. Der dritte
Kongreß tagte vom 6. bis 12. September 1868 in Brüssel und war
von 97 Delegierten besucht, darunter vier deutschen.
Auch die Arbeiterbildungsvereine, die der Fortschrittspartei anhingen,
traten im Jahre 1863 zu dem „Verband deutscher Arbeitervereine“ zu⸗
sammen; sie hielten von Zeit zu Zeit Vereinstage ab. Ihr vierter Vereinstag
fand 1867 in Gera statt. Der Ausschuß dieses Verbandes war bis dahin
über ganz Deutschland verzettelt gewesen, nun wurde ein Vorort bestimmt,
der sechs seiner Mitglieder in den Ausschuß zu delegieren hatte; den Ausschuß—
vorsitzenden wählte der Vereinstag. Die Wahl fiel auf August Bebel.
Der fünfte Vereinstag fand in Nürnberg statt. Hier trennten sich die
Arbeiter von den bürgerlichen Elementen; 37 Vereine mit 5876 Mitgliedern
traten aus dem Verbande deutscher Arbeitervereine aus. Der Verband
nahm nun die Hauptsätze aus den Statuten der Internationalen Arbeiter⸗
assoziation als. Programm an.
Der Allgemeine deutsche Arbeiterverein zählte im Jahre 1868 in
82 Orten 7274 Mitglieder. Der reorganisierte Verband deutscher Arbeiter⸗
vereine hatte in 72 Orten 6480 Mitglieder. Die Zahl der deutschen
Arbeiter, die sich der Internationalen Arbeiterassoziation angeschlossen
haben, war, wie Mehring in seiner „Geschichte der deutschen Sozial⸗
demokratie“ berichtet, immer sehr gering, mehr als tausend werden es
schwerlich zu irgendeiner Zeit gewesen sein. Daneben bestand noch eine
141
Abart vom Allgemeinen deutschen Arbeiterverein, die „Hatzfeldschen Sozial—
demokraten“ oder auch „die weibliche Linie der Lassalleaner“ genannt,
deren numerische Stärke oder Schwäche nicht bekannt ist. Das war der
Stand der deutschen Arbeiterbewegung, als sich für sie die Notwendigkeit
herausstellte, der Gewerkschaftsbewegung Beachtung zu schenken.
Anfaängliche Wertung der Gewerkschaftsbewegung in der
soꝛialistischen Theorie.
Die Idee der Gewerkschaftsbewegung hatte lange Zeit hindurch in
der sozialistischen Theorie keinen Raum gefunden. Allein die Gewerk—
schaftsbewegung war in Form von Streikbewegungen da, die sozialistische
Theorie mußte sich mit ihr abfinden. Friedrich Engels und Karl Marr
nahmen bereits in den vierziger Jahren des vorigen Jahrhunderts Stellung
dazu. In seinem Buche: „Die Lage der arbeitenden Klasse in England“,
das im Sommer des Jahres 1845 erschien, macht Engels Mitteilung über
die Anfänge der Gewerkschaftsbewegung in England und schreibt: „Die
Geschichte dieser Verbindungen ist eine lange Reihe von Niederlagen der
Arbeiter, unterbrochen von wenigen einzelnen Siegen. Es ist natürlich,
daß alle diese Anstrengungen das Gesetz der Oekonomie nicht ändern
können, daß sich der Lohn durch das Verhältnis der Nachfrage zum
Angebot im Arbeitsmarkte bestimmt. Daher sind diese Verbindungen
gegen alle großen Ursachen, die auf dies Verhältnis wirken, ohnmächtig. . ..
Aber gegen kleinere, einzeln wirkende Ursachen sind sie allerdings
mächtig. Hätte der Fabrikant von den Arbeitern keine konzentrierte
— DVV seines Nutzens
willen allmählich den Lohn immer mehr und mehr drücken; der Kampf der
Konkurrenz, den er gegen die andern Fabrikanten zu bestehen hat, würde
ihn sogar dazu zwingen und der Lohn bald auf sein Minimum sinken.
Diese Konkurrenz der Fabrikanten unter sich wird aber in Durchschnitts⸗
verhältnissen allerdings durch die Opposition der Arbeiter gehemmt. . ..
Was aber diesen Assoziationen und den aus ihnen hervorgehenden Turnouts
(Arbeitseinstellungen) die eigentliche Wichtigkeit gibt, ist das, daß sie der
erste Versuch der Arbeiter sind, die Konkurrenz aufzuheben. Sie setzen
die Einsicht voraus, daß die Herrschaft der Bourgeoisie nur auf der
Konkurrenz der Arbeiter unter sich beruht, d. h. auf der Zersplitterung
des Proletariats, aus der Entgegensetzung der einzelnen Arbeiter gegen—
einander. Und gerade weil sie sich, wenn auch nur einseitig, nur auf
beschränkte Weise gegen die Konkurrenz, gegen den Lebensnerv der
jetzigen sozialen Ordnung richten, gerade deshalb sind sie dieser sozialen
Ordnung so gefährlich. Der Arbeiter kann die Bourgeoisie und mit ihr
142
die ganze bestehende Einrichtung der Gesellschaft an keinem wunderen
Fleck angreifen als an diesem. Ist die Konkurrenz der Arbeiter unter
sich gestört, sind alle Arbeiter entschlossen, sich nicht mehr durch die
Bourgeoisie ausbeuten zu lassen, so ist das Reich des Besitzes am Ende.
Der Arbeitslohn ist ja bloß deshalb von dem Verhältnisse von Nachfrage
und Angebot, von der zufälligen Lage des Arbeitsmarktes abhängig, weil
die Arbeiter sich bisher gefallen ließen, als Sache, die man kauft und
verkauft, behandelt zu werden. Beschließen die Arbeiter, sich nicht mehr
kaufen und verkaufen zu lassen, treten sie bei der Bestimmung, was denn
eigentlich der Wert der Arbeit sei, als Menschen auf, die neben der
Arbeitskraft auch einen Willen haben, so ist es aus mit der ganzen
heutigen Nationalökonomie und den Gesetzen des Lohnes.“
Auch in Marx' Buche: „Das Elend der Philosophie“, welches im
Sommer 1847 erschien, befindet sich ein Abschnitt über „Streiks und
Arbeiterkoalitionen“. Marr wendet sich darin gegen die Oekonomen und die
damaligen „Sozialisten“ in Frankreich und England, die sich beide darin
einig waren, die Koalitionen zu verurteilen. Er führt demgegenüber
aus: „Trotz beider, trotz Handbücher und Utopien, haben die Arbeiter⸗
sgolitidnen keinen Augenblick aufgehört, mit der Entwicklung und der
Zunahme der modernen Industrie sich zu entwickeln und zu wachsen.
Das ist heute so sehr der Fall, daß der Entwicklungsgrad der Koalitionen
in einem Lande genau den Rang bezeichnet, den dasselbe in der Hierarchie
des Weltmarktes einnimmt. England, wo die Industrie am höchsten ent⸗—
wickelt ist, besitzt die umfangreichsten und bestorganisierten Koalitionen.“
Im Kommunistischen Manifest, das im Jahre 1848 erschien,
führen Marr und Engels aus:
„Das Proletariat macht verschiedene Entwicklungsstufen durch. Sein
Kampf mit der Bourgeoisie beginnt mit seiner Existenz.
„Im Anfang kämpften die einzelnen Arbeiter, dann die Arbeiter
einer Fabrik, dann die Arbeiter eines Arbeitszweiges an einem Orte gegen
den einzelnen Bourgeois, der sie direkt ausbeutet. Sie richten ihre An—
griffe nicht nur gegen die bürgerlichen Produktionsverhältnisse, sie richten
sie gegen das Produktionsinstrument selbst; sie vernichten die fremden
konkurrierenden Waren, sie zerschlagen die Maschinen, sie stecken die
Fabriken in Brand, sie suchen die untergegangene Stellung des mittel⸗
alterlichen Arbeiters wieder zu erringen.
„Auf dieser Stufe bilden die Arbeiter eine über das ganze Land
zerstreute und durch die Konkurrenz zersplitterte Masse. Massenhaftes
Zusammenhalten der Arbeiter ist noch nicht die Folge ihrer eignen Ver⸗
einigung, sondern die Folge der Vereinigung der Bourgeoisie, die zur
1*
4
Erreichung ihrer eignen politischen Zwecke das ganze Proletariat in
Bewegung setzen muß und es einstweilen noch kann. Auf dieser Stufe
bekämpfen die Proletarier also nicht ihre Feinde, sondern die Feinde ihrer
Feinde, die Reste der absoluten Monarchie, die Grundeigentümer, die
nichtindustriellen Bourgeois, die Kleinbürger. Die ganze geschichtliche
Bewegung ist so in den Händen der Bourgeoisie konzentriert; jeder Sieg,
der so errungen wird, ist ein Sieg der Bourgeoisie.
„Aber mit der Entwicklung der Industrie vermehrt sich nicht nur das
Proletariat; es wird in größeren Massen zusammengedrängt, seine Kraft
wächst und es fühlt sie mehr. Die Interessen, die Lebenslagen des
Proletariats gleichen sich immer mehr aus, indem die Maschinerie mehr
und mehr die Unterschiede der Arbeit verwischt und den Lohn fast überall
auf ein gleich niedriges Niveau herunterdrückt. Die wachsende Konkurrenz
der Bourgeois unter sich und die daraus hervorgehenden Handelskrisen
machen den Lohn der Arbeiter immer schwankender; die immer rascher
sich entwickelnde, unaufhörliche Verbesserung der Maschinerie macht ihre
ganze Lebensstellung immer unsicherer, immer mehr nehmen die Kollisionen
zwischen dem einzelnen Arbeiter und dem einzelnen Bourgeois den
Charakter von Kollisionen zweier Klassen an. Die Arbeiter beginnen
damit, Koalitionen gegen die Bourgeois zu bilden; sie treten zusammen
zur Behauptung ihres Arbeitslohnes. Sie stiften selbst dauernde Assozia—
tionen, um sich für die gelegentlichen Empörungen zu verproviantieren.
Stellenweise bricht der Kampf in Emeuten aus.
„Von Zeit zu Zeit siegen die Arbeiter, aber nur vorübergehend. Das
eigentliche Resultat ihrer Kämpfe ist nicht der unmittelbare Erfolg, sondern
die immer weiter um sich greifende Vereinigung der Arbeiter. Sie wird
befördert durch die wachsenden Kommunikationsmittel, die von der großen
Industrie erzeugt werden und die Arbeiter der verschiedenen Lokalitäten
miteinander in Verbindung setzen. Es bedarf aber bloß der Verbindung,
um die vielen Lokalkämpfe von überall gleichem Charakter zu einem
nationalen, zu einem Klassenkampf zu zentralisieren. Jeder Klassenkampf
ist aber ein politischer Kampf. Und die Vereinigung, zu der die Bürger
des Mittelalters mit ihren Vizinalwegen Jahrhunderte bedurften, bringen
die modernen Proletarier mit den Eisenbahnen in wenigen Jahren zustande.
„Diese Organisation der Proletarier zur Klasse und damit zur
politischen Partei wird jeden Augenblick wieder gesprengt durch die
Konkurrenz unter den Arbeitern selbst. Aber sie entsteht immer wieder,
stärker, fester, mächtiger. Sie erzwingt die Anerkennung einzelner Interessen
der Arbeiter in Gesetzesform, indem sie die Spaltung der Bourgeoisie
unter sich benutzt.“
„Später erfuhren — wie Gustav Jaeckh schreibt — die organi—
satorischen Erfahrungen der englischen Arbeiterwelt in der Internationale
eine wertvolle Verwendung“. Das merkt man auch der Resolution an,
welche vom ersten Kongreß der Internationale, der 1866 in der Schweiz
stattfand, beschlossen wurde. Ihr Entwurf dürfte von Karl Marx her—
rühren. Die Resolution lautet:
„Die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Gewerksgenossen⸗
schaften (Trade-Unions):
„L. Ihre Vergangenheit. Das Kapital ist eine konzentrierte
gesellschaftliche Kraft, während der Arbeiter nur über seine persönliche
Arbeitskraft zu verfügen hat. Ein Vertrag zwischen Kapital und Arbeit
kann daher niemals auf gerechter Grundlage in dem Sinne einer Gesell—
schaft abgeschlossen werden, welche den Besitz der materiellen Lebens- und
Arbeitsbedingungen auf eine und die lebendige Produktionsfähigkeit auf
die entgegengesetzte Seite stellt. Die einzige gesellschaftliche Macht der
Arbeiter besteht in ihrer Zahl. Die Macht der Zahlen wird aber durch
ihre Uneinigkeit gebrochen. Die Uneinigkeit der Arbeiter wird durch ihre
unvermeidliche Konkurrenz untereinander erzeugt und genährt. Die
Gewerksgenossenschaften hatten ihren Ursprung in dem freiwilligen
Streben der Arbeiter, diese Konkurrenz zu beseitigen oder wenigstens zu
beschränken in der Absicht, sich Vertragsbedingungen zu erkämpfen, durch
welche sie über die Stellung einfacher Sklaven emporgehoben würden.
Der unmittelbare Zweck der Gewerksgenossenschaften beschränkte sich
daher auf die alltäglichen Bedürfnisse, auf augenblickliche Auskunftsmittel
gegen die fortwährenden Uebergriffe des Kapitals, mit einem Worte:
auf die Lohnfrage und die Frage der Arbeitszeit. Diese Tätigkeit der
Gewerksgenossenschaften ist nicht bloß berechtigt, sie ist notwendig.
Sie darf nicht aufgegeben werden, solange das gegenwärtige Produktions⸗
system dauert. Im Gegenteil, sie muß verallgemeinert werden durch
die Gründung und Vereinigung von Gewerksgenossenschaften in allen
Ländern. Andrerseits bildeten die Gewerksgenossenschaften, sich selbst
unbewußt, Organisationsmittelpunkte der Arbeiterklasse, wie die mittel—
alterlichen Gemeinden und Korporationen es für die Bürgerklasse waren.
Wenn die Gewerksgenossenschaften für den kleinen Krieg zwischen Arbeit
und Kapital unentbehrlich sind, so haben sie eine noch größere Bedeutung
als organisatorische Körperschaften zur Beseitigung des Systems der
Lohnarbeit und der Herrschaft des Kapitals.
„2. Ihre Gegenwart. Zu ausschließlich mit dem örtlichen und
unmittelbaren Kampfe gegen das Kapital beschäftigt, haben die Gewerks⸗
genossenschaften noch nicht hinlänglich ihre Macht, gegen das System
145
der Lohnsklaverei selbst zu wirken, begriffen. Sie haben sich deshalb
zu sehr von der allgemeinen sozialen und politischen Bewegung fern—
gehalten. Neuerdings scheint ihnen allerdings das Bewußtsein ihrer
hohen geschichtlichen Mission aufzudämmern, es erhellt dies unter anderm
aus ihrer Teilnahme an den jüngsten politischen Kämpfen Englands,
aus dem erweiterten Gesichtskreis, den sie in den Vereinigten Staaten
von Nordamerika gewonnen haben und aus dem nachstehenden Beschluß,
der auf der letzten großen Konferenz von Gewerks-Genossenschaftsdelegierten
in Sheffield gefaßt wurde: „Die Konferenz anerkennt im vollsten Maße
das Bestreben der Internationalen Arbeiterassoziation, die Arbeiter aller
Länder in einem großen Bruderbund zu vereinigen, und legt den ver—
schiedenen hier vertretenen Gesellschaften ernstlich ans Herz, sich dieser
Assoziation anzuschließen, in der Ueberzeugung, daß dies von wesentlicher
Wichtigkeit für den Fortschritt und die Wohlfahrt der gesamten Arbeiter—
klasse sein würde.“
„3. Ihre Zukunft. Abgesehen von dem ursprünglichen Zweck
müssen die Gewerksgenossenschaften jetzt bewußt als Organisations—
mittelpunkte der Arbeiterklasse deren vollständige Befreiung anstreben.
Sie müssen jede soziale und politische Bewegung, die auf dieses Ziel
gerichtet ist, unterstützen. Wenn sie sich als Vorkämpfer und Vertreter
der gesamten Arbeiterklasse betrachten und demgemäß handeln, können
sie nicht verfehlen, die jetzt noch fehlenden Arbeiter in ihre Reihen
hineinzuziehen. Sie müssen sich mit ernstem Eifer den Interessen der am
schlechtesten bezahlten Arbeiter widmen, wie z. B. der ländlichen Tage—
löhner, die durch ausnahmsweise Verhältnisse machtlos geworden sind.
ADDDDDD—
engherzig und selbstsüchtig zu sein, die Befreiung der unterdrückten
Millionen bezwecken.“
Der Fortschritt vom Kommunistischen Manifest bis zu vorstehender
Resolution ist unverkennbar. Nach dem Kommunistischen Manifest wird
die Organisation der Proletarier „jeden Augenblick wieder gesprengt durch
die Konkurrenz unter den Arbeitern selbst. Aber sie ersteht immer wieder,
stärker, fester, mächtiger“. Die vorstehende Resolution hat stabile
und fortschreitende Organisationen zur Voraussetzung. Während nach
dem Kommunistischen Manifest die Entwicklung vom Lohnkampf zum
politischen Klassenkampf gewissermaßen automatisch vor sich geht, „haben
— nach der vorstehenden Resolution — die Gewerksgenossenschaften noch
nicht hinlänglich ihre Macht, gegen das System der Lohnsklaverei selbst
zu wirken, begriffen“, sie sollen „jetzt bewußt als Organisationsmittel—
punkte der Arbeiterklasse deren vollständige Befreiung erstreben“ usw.
Bringmann, Geschichte der Zimmerer.
146
Es ist nicht gelungen, den alten Gewerkschaften das hohe Strebe—
ziel der Internationale aufzupfropfen. In England konnte die Inter—
nationale mit den Trade-AUnions „im günstigsten Falle eine Art Personal⸗
union eingehen, wobei stets der ganze Zusammenhang zwischen Inter—
nationale und Trade-Unions auf den Augen von wenigen Personen
ruhte“. Den primitiven Organisationen in der Schweiz gab die Inter—
nationale „einen ganz neuen Elan“, aber doch wohl nur, weil die dortigen
„Lokalorganisationen oft genug nicht leben und nicht sterben konnten,
ergriffen sie die Gelegenheit eines neuen Agitationsstoffes mit Freuden“.
Während die englischen Trade-Unions mit der Internationale sympathi⸗
sierten, weil um jene Zeit „für die englischen Gewerkschaften politische
Fragen notwendig zu lösen waren, wenn sie ihre gesetzliche Existenz sicher
stellen wollten“, kamen die Arbeiter der Schweiz erst durch ihre Ver—
bindung mit der Internationale in die Lage, Lohnbewegungen durch⸗
zuführen. In beiden Fällen war also nicht das hohe Strebeziel der
Internationale die Triebfeder und der Kitt, sondern sehr viel näher
liegende materielle Interessen.
In England erkaltete das Interesse an der Internationale sehr bald
und in der Schweiz schmolzen die Gewerkschaften nach jeder Lohnbewegung
auf kleine Reste zusammen, wo sie nicht ganz versandeten.
Während jedoch — worauf es ankommt — Karl Marr bezw. die
Internationale den Gewerkschaften ein hohes Strebeziel zumutete, werden
in dem sozialistischen Programme Ferdinand Lassalles die Gewerkschaften
als Machtfaktoren der aufstrebenden Arbeiterklasse gar nicht gewertet. In
den programmatischen Ideen Lassalles wird niemals der Ruf nach starken
gewerkschaftlichen Organisationen laut. Nach Eduard Bernstein zog Lassalle
„aus der Geschichte der Lohnkämpfe der englischen Gewerkschaften den
Schluß, daß der Versuch der Arbeiter, durch Koalitionen ihre Lage zu
verbessern, ein hoffnungsloses Schwimmen wider den Strom sei. ... .
Die Arbeiter sollten sich durch das allgemeine aleiche Wahlrecht die
Herrschaft im Staat erringen“.
Das allgemeine gleiche und geheime Wahlrecht wurde im Nord⸗
deutschen Bunde eingeführt. Es besaß nicht jene Wunderkraft, die Lassalle
vorgeschwebt hatte und außerdem drängten die deutschen Arbeiter wiederum
zur Verbesserung ihrer wirtschaftlichen Lage. Es kam zu Streiks und nun
mußten sich auch die Lassalleaner damit abfinden. Das besorgte der „Sozial⸗
demokrat“, indem er schrieb: „Es wird einem Sozialisten nie in den Sinn
kommen, Arbeitseinstellungen organisieren und als Agitationsmittel be—
nutzen zu wollen, wenn diese Arbeitseinstellungen nicht von selbst da sind.
Denn der Sozialist ist der Ansicht, daß es besser wäre, ganz direkt auf
147
das Ziel loszugehen — aufs Ziel: den Staat unter die Bestimmung der
Arbeiterklasse zu bringen, die ihrerseits nichts andres tun könne, als die
Klassengegensätze aufzuheben. Allein jedes Ding will seine allmähliche
Entwicklung haben, die man zwar beschleunigen, deren einzelne Stadien
man aber nicht überspringen kann. Mögen wir Sozialisten, die wir unser
Prinzip bis zu Ende gedacht haben, zehnmal wissen, daß es darauf an—
kommt, die gesamten Grundlagen der heutigen Gesellschaft umzuändern,
mögen wir zehnmal wissen, daß die Streiks und überhaupt jegliches auf
Grundlage des heutigen ökonomischen Zustandes sich bewegende Mittel nie
geeignet sein kann, die heutige Gesamtproduktionsweise umzustoßen, mögen
wir dies alles zehnmal wissen, wir können nicht bewirken, daß die Arbeiter—
klasse in ihrer großen Masse das alles sofort ebenso einsieht.“ Die Streiks
wurden hiernach aufgefaßt als ein „geschichtlich notwendiges Uebergangs—
stadium zur vollen Herrschaft der sozialistischen oder kommunistischen Be—
wegung“.
Auf die Frage: „Haben die Arbeiter durch die Arbeitseinstellungen
in der Regel Vorteil?“ antwortete der „Sozialdemokrat“ mit „Nein!“
Und er begründete das folgendermaßen:
„Wenn zur Erhöhung des Arbeitslohnes eine Arbeitseinstellung
unternommen wird, so ist
„J. meistens der Sieg vollständig auf seiten des Kapitals, da dieses
länger ausdauern kann;
„2. selbst wenn die Arbeiter gesiegt haben, wird in vielen Fällen
die kleine Lohnerhöhung durch die gebrachten Opfer überwogen werden.
Und endlich ist
„3. jede also errungene Lohnerhöhung immer eine unsichere, die
jeden Augenblick durch ungünstige Verhältnisse rückgängig gemacht
werden kann.“
Für den „Sozialdemokrat“ stand die Frage nichtsdestoweniger so:
„Da Streiks da sind und unfehlbar auch fürder kommen werden, sollen
wir die Organisation derselben andern überlassen oder dieselbe selbst in
die Hand nehmen?“ Er entschied sich, die Organisation selbst in die
Hand zu nehmen.
Nach der Auffassung des „Sozialdemokrat“ war nach 1866 aber
auch die politische Revolution tot, die soziale noch nicht reif, wer vorwärts
drängen wolle, könne nur in dem einen Sinne wirken: die Reife der
sozialen Bewegung zu beschleunigen. Für ihn gab es nun innerhalb
der tatsächlichen Verhältnisse für die Entwicklung der Arbeiterklasse zu
selbstbewußtem sozial-politischem Element keinen andern Anknüpfungspunkt
als den im Lohnverhältnis sich zeigenden Gegensatz zwischen Kapital und
10*
148
Arbeit. Hier sollte der Hebel eingesetzt werden. Er meinte, das Klassen—
bewußtsein der Arbeiter werde durch die Arbeitseinstellungen wie folgt
entwickelt:
„J. Auch die große Masse der Arbeiter, insoweit sie der sozialistischen
Belehrung, welche gewissermaßen eine theoretische, nicht zugänglich ist,
begreift im Falle der Arbeitseinstellung, daß absolut unvereinbare, ein⸗
ander durchaus widerstreitende Interessen vorliegen. Die Kapitalisten
wollen möglichst kleinen Lohn zahlen, die Arbeiter möglichst hohen Lohn
erhalten. Der Gegensatz wird im Streik zum offenen Krieg. Alle Ge—
hässigkeiten, die ganze Anerbittlichkeit der Kapitalmacht tritt für jeden
faßlich zutage; die Maßregelungen und Verfolgungen jeder Art, die
Wut, der Ingrimm, die Hartnäckigkeit, mit der sich die Kapitalisten der
Bewegung gegenüberstellen, machen auch dem schwerbegreiflichsten Arbeiter
den Standpunkt klar. Jeder sieht ein, daß ein unversöhnlicher Gegensatz
in der Gesellschaft vorhanden — ein Gegensatz, der durch immer ge—
steigerten Kriegszustand bis zu einer Höhe gebracht werden muß, wo die
Entscheidung eine Notwendigkeit ist.
„2. Bei den Arbeitseinstellungen sind die Arbeiter auf die Hilfe
ihrer Genossen angewiesen. Das Gefühl der Brüderlichkeit, das Bewußtsein
der Zusammengehörigkeit greifen Platz und senken sich tief in die Herzen
und Geister. Als zusammengehörig aber müssen die Arbeiter durchweg
in ihrer gesamten Masse sich fühlen, wenn ihr Kampf Aussicht und
Erfolg haben soll.
„3. Die Arbeiter lernen sich organisieren, lernen einheitlich auf⸗
treten, lernen sich als soziale Massenmacht der sozialen Kapitalmacht
gegenüber fühlen. Sowohl die Bevormundung, die der Polizeistaat, wie
diejenige, welche die Geldmacht auf das Volk legt, wird gebrochen, wenn
dieses für sein eignes Interesse, nach eignem Ermessen, in Gemäßheit
eigner Organisation im Streik sich erhebt. Die Arbeitseinstellungen im
großen fördern mehr als irgend etwas andres die Selbständigkeit des
Auftretens im Volk.“
Der „Sozialdemokrat“ setzte aber auch des öftern auseinander,
daß die besitzenden Klassen auf allen Gebieten des gesellschaftlichen Lebens
ihre Herrschaft etabliert haben. Es bedinge nur wenig Ueberlegung, um
einzusehen, daß die Beherrschung des Staates durch die Besitzenden nur
eine Folge des Umstandes ist, daß dieselben tatsächlich in der Gesellschaft
herrschen, und daß umgekehrt ihre herrschende Stellung in der Gesellschaft
befestigt wird dadurch, daß sie den Staat und seine Machtmittel in der
Hand haben. Die Lösung der sozialen Frage bestehe folglich darin, die
in der Gesellschaft und ihren materiellen Verhältnissen in Mein und Dein
149
vorhandenen Unterschiede und Gegensätze zugunsten eines Zustandes
auszugleichen, der jedem einzelnen ein menschenwürdiges Dasein er—
möglicht. Die wirkliche Gleichheit solle herrschen, nicht bloß die formelle
des Rechtsstaates. Eine Gleichheit zwar nicht, durch welche ein Mensch
genau dastehe wie der andre, wohl aber eine Gleichheit der Bedingungen,
unter welchen die einzelnen ihren Lebenslauf antreten, was heute nicht
der Fall ist. Die inhaltvolle und lebendige Freiheit solle herrschen, nicht
bloß die inhaltlose und tote Freiheit, die heute, also nur einseitig, auf
politischem Gebiete erstrebt wird. Der Kampf für die volle Volksfreiheit
sollte sich danach äußern auf allen Gebieten, dem sozialen und dem
politischen, kurz in einer das ganze Volksleben umfassenden Weise. Eine
Eroberung auf einem dieser Gebiete sei eine Eroberung auf allen. Der
Arbeiterklasse könne nur auf dem einen Wege geholfen werden, daß in
ihr Klassenerkenntnis, Klassengeist und dadurch Klassenwillen um sich greifen.
Sobald allgemein erkannt werde, daß alle Profite des Kapitals lediglich
auf der Ausbeutung der Arbeitskraft beruhen, dann würde auch die ganze
Arbeiterklasse von dem festen und unerschütterlichen Willen erfaßt werden,
dem heutigen Zustande ein Ende zu machen. Man sollte sich jedes
Vorganges freuen, der in dieser Richtung wirkt und uns der Entscheidung
näher bringt. In diesem Sinne war die Gewerkschaftsbewegung dem
„Sozialdemokrat“ eine Waffe im Klassenkampfe des Proletariats.
Mit der Organisationsform, die Lassalle für den Allgemeinen
deutschen Arbeiterverein“ gewählt hatte, war Marr durchaus nicht zu—
frieden. In einem Brief an v. Schweitzer, datiert London, 13. Oktober
1868, der indes erst durch Abdruck in der „Neuen Zeit“ im Jahre 1896
bekannt geworden ist, spricht Marxr seine Unzufriedenheit über die Lassallesche
Agitation und Organisation aus. Außerdem ergibt sich schon aus der
oben abgedruckten Resolution der Internationale von 1866, daß Marrx
mit der Lassalleschen Organisation nicht einverstanden sein konnte. Seine
Auffassung, wie eine Arbeiterklassenorganisation aufgebaut sein müßte,
dürfte sich aus einer Denkschrift des Zentralkomitees der Sektionsgruppe
deutscher Sprache der Internationalen Arbeiterassoziation an den sozial—
demokratischen Kongreß zu Eisenach 1869 ergeben, die wir ebenso, wie den
erwähnten Brief, in den Anlagen abdrucken.“ Marr hat jene Denkschrift
zwar nicht gezeichnet, allein sein angedeuteter Brief von 1868 und ferner
ein Flugblatt, das wir ebenfalls in den Anlagen abdrucken,“* worin
Aeußerungen von Marr über die Gewerkschaften mitgeteilt werden, und
der im Vorwort dieser Auflage zitierte Brief an F. Bolte lassen kaum
* Seite 298 und 800.
** Seite 303.
150
einen Zweifel aufkommen, daß Marr' Meinung über den Aufbau einer
Arbeiterklassenorganisation in jener Denkschrift zum Ausdruck kommt.
Hiernach sollten „die Gewerkschaften die Grundbestandteile der Partei
bilden“.
Der Allgemeine deutsche Arbeiterverein bestand indessen, trotz
wiederholter polizeilicher Auflösungen bezw. Verbote. Das Verhältnis
zwischen diesem Verein und den Gewerkschaften umschrieb der „Sozial—
demokrat“ so:
„Der Allgemeine deutsche Arbeiterverein war und wird sein ein
sozialpolitischer Verein mit den weitgehendsten Bestrebungen; ein sozial⸗
politischer Verein, der sich zur Aufgabe stellt, auf gesetzlichem Wege in
der Arbeiterklasse die Ueberzeugung zu verbreiten, daß die ganze heutige
Produktionsweise nebst der auf dieselbe gegründeten Gesellschaft, als auf
der Ausbeutung der Arbeitskraft durch das Kapital beruhend, durchaus
verwerflich ist und daß an Stelle derselben eine von Grund aus andre
Produktionsweise zu treten hat, in welcher Kapital und Arbeitskraft ver—
einigt sind, wodurch die Klassengegensätze der Gesellschaft wegfallen.“ —
Dies die Aufgabe des Allgemeinen deutschen Arbeitervereins. „Da wir
Sozialisten aber durchaus nicht gesonnen sind, über den Staat der Zukunft
den Staat der Gegenwart zu vergessen, so haben wir außer dem Allge—
meinen deutschen Arbeiterverein einen Verband von Gewerfkschaften nach
englischem Muster gegründet, damit durch diese Organisation die Arbeiter⸗
klasse alle diejenigen Vorteile durchsetzen könne, die innerhalb der heutigen
Gesellschaft und auf Grund ihrer eignen Einrichtungen und Gesetze erreicht
werden können. Während der Allgemeine deutsche Arbeiterverein, ein
politischer Verein, eine Umgestaltung der heutigen Gesellschaft und Staats—
verhältnisse im durchgreifendsten Sinne anstrebt, beschränkt sich der Verband
der Arbeiterschaften, jeglicher Politik fernstehend, darauf, auf Grund der
heutigen Verhältnisse die gerechten Forderungen der Arbeiter den Kapitalisten
gegenüber zur Geltung zu bringen — im ernsten, kräftigen Kampfe zwar,
aber doch immer nur auf Grundlage der heutigen Verhältnisse selbst.
Beide Vereinigungen also sind notwendig — jede derselben hat ihre be—
stimmte, fest begrenzte Aufgabe.“ 3
So weit nun auch die Bewertung der Gewerkschaften in der
sozialistischen Theorie auseinanderging, auf keiner der beiden Seiten
erkannte man, daß eine Proletarierschicht nach der andern vermittels der
Gewerkschaftsbewegung die degradierenden Wirkungen des Kapitalismus
überwinden würde;. auf keiner der beiden Seiten wurden die Gewerk⸗
schaften aufgefaßt als ein Instrument der wirtschaftlichen Macht⸗
entfaltung der Arbeiterklasse. Die Eroberung der politischen Macht
151
zur Umgestaltung der sozialen Verhältnisse war das Strebeziel hüben
wie drüben. In diesem Sinne betrachtete man die Gewerkschaften „mehr
oder weniger als Rekrutenschulen für die Sozialdemokratie“. Es ist
bemerkenswert, daß August Bebel selbst sagt („Gewerkschaftsbewegung
und politische Parteien“ 1900), auch er „habe anfangs ebenfalls von
diesem Standpunkt aus die Gewerkschaften betrachtet“.
Die Aufhebung der Roalitionsverbote in Deutschland.
Vorerst war die Gewerkschaftsangelegenheit noch eine eminent politische
Frage. Die scharfen Koalitionsverbote aus dem 18. Jahrhundert hatten
sich in der Gesetzgebung aller Einzelstaaten fortgepflanzt; jeder Streik
hatte Aufsehen erregende Prozesse im Gefolge. Die Streikenden wurden
scharenweise vor die Gerichte zitiert, und wo die ordentlichen Gerichte
nicht eingriffen, da lag die Sache noch nichtswürdiger. Gelegentlich
eines Maurer- und Zimmererstreiks 1862 in Hannover wurden die
Streikenden ohne Gerichtsurteil in Trupps von fünf Personen von jedem
Meister nacheinander eingesteckt, die übrigen wurden gezwungen, weiter
zu arbeiten. Solche skandalöse Zustände machten die Agitation für die
Koalitionsfreiheit aktuell; zudem war in Sachsen 1861 mit der Gewerbe—
freiheit auch eine Art Koalitionsrecht eingeführt worden. Die Arbeiter
hatten die Fortschrittspartei gezwungen, im preußischen Hause der Ab—
geordneten einen Antrag auf Aufhebung der Koalitionsverbote einzu—
bringen; der Allgemeine deutsche Arbeiterverein trieb durch Massen—
versammlungen die Fortschrittspartei zum Ernstmachen an. Mitte Februar
1865 kam ihr Initiativantrag zur Beratung; nun erklärte auch die
preußische Regierung, bereit zu sein, die Koalitionsfreiheit zu gewähren.
Am 10. Februar 1866 brachte sie im Abgeordnetenhause eine Gesetzes⸗
vorlage ein, durch die das Koalitionsverbot nicht nur für die gewerb—
lichen Arbeiter, sondern auch für die Landarbeiter beseitigt werden sollte.
Der Krieg mit Oesterreich stand ja bevor, man mußte den Arbeitern
etwas versprechen! Die Vorlage kam nicht zur Verabschiedung. Als
1867 der Reichstag des Norddeutschen Bundes zusammentrat, dem auch
die Gewerbegesetzgebung zugefallen war, brachte die Fortschrittspartei
ihren Antrag, das Koalitionsverbot aufzuheben, wieder ein und der
Bundesrat warf ihn in den Papierkorb. Der Antrag wurde auch 1868
wieder gestellt und die Staatsanwaltschaft erhob nun auf Grund der
Koalitionsverbote keine Anklagen mehr; es stand fest, daß die Gewerbe—
ordnung auch eine Regelung des Koalitionsrechtes bringen würde. Am
21. Juni 1869 trat die Gewerbeordnung in Kraft. Die politische
Arbeiterbewegung in Deutschland hatte sich jahrelang mit der Agitation
152
für die Koalitionsfreiheit beschäftigt; dabei war sie der Gewerkschaftsfrage
immer näher gekommen, so daß sie schließlich zur Gründung von Gewerk⸗
schaften die Hand bieten mußte.
Die Stellungnahme
der Ceneralversammlung des Allgemeinen deutschen Arbeitervereins
in hamburg 18608 2u der Gewerkschaftsbewegung.
In der Praxis vollzog sich die Gründung der modernen Gewerkschaften
folgendermaßen: Die Internationale Arbeiterassoziation hatte auf ihren drei
ersten Kongressen zu der Gewerkschaftsbewegung Stellung genommen ohne
erfichtlichen Erfolg in Deutschland; weder die alten, zünftigen Organisationen,
noch die von Bebel geleiteten Arbeiterbildungsvereine fortschrittlicher Cou—
leur hatten sich gerührt. Hier lag der Schwerpunkt im Allgemeinen deutschen
Arbeiterverein. Dieser nahm auf seiner Generalversammlung, die vom 22.
bis 26. August 1868 in Hamburg tagte, Stellung zu der „Streikbewegung“.
Diese Generalversammlung hielt zur Erledigung ihrer Tagesordnung
geschlossene und auch öffentliche Sitzungen ab; zu den ersteren hatten nur
die Delegierten Zutritt und Stimmrecht, wohingegen zu den öffentlichen
Sitzungen alle Parteimitglieder Zutritt und Stimmrecht hatten. Die
geschlossenen Sitzungen faßten die für den Verein maßgebenden Beschlüsse;
fie fanden statt am 23. und 24. August. Von den Vereinsmitgliedern
in Braunschweig war beantragt worden: „Die Generalversammlung wolle
geeignete Schritte tun, die Arbeitseinstellungen in Deutschland zu organi—⸗
fieren.“ Nun wurden folgende präzisere Anträge gestellt:
1. von Perl in Hamburg:
In Erwägung, daß die Streiks, abgesehen von ihrem Wert
oder Unwert, nicht zur speziellen Tätigkeit des Vereins gehören,
und in Erwägung, daß die Mittel des Vereins in keiner Weise
auch nur annähernd ausreichen, um die in solchen Fällen nötige
Unterstützung zu gewähren, geht die Generalversammlung über die
Frage des Streiks zur Tagesordnung über.
Von Fritzsche aus Berlin;:
1. Die Generalversammlung erklärt: Die Streiks sind kein
Mittel, die Grundlagen der heutigen Produktion zu ändern und
somit die Lage der Arbeiterklasse durchgreifend zu verbessern; allein
sie sind ein Mittel, das Klassenbewußtsein der Arbeiter zu fördern,
die Polizeibevormundung zu durchbrechen und unter Voraussetzung
richtiger Organisation einzelne soziale Mißstände drückender Art,
wie z. B. übermäßig lange Arbeitszeit, Kinderarbeit u. dergl.,
aus der heutigen Gesellschaft zu entfernen.
2.
—
58
2. Die Generalversammlung beauftragt den Vereins—
präsidenten, einen allgemeinen deutschen Arbeiterkongreß zur Be—
gründung von allgemeinen Gewerkschaften zu berufen, die in
diesem Sinne wirken.
Nach zum Teil höchst stürmischen Debatten, die in einem in den
Anlagen abgedruckten Artikel geschildert werden,“ wurde der Perlsche
Antrag in namentlicher Abstimmung mit 3417 gegen 2583 Stimmen
verworfen; der erste Teil des Antrages Fritzsche wurde angenommen, der
zweite gegen 3044 Stimmen verworfen. Nun setzte Schweitzer durch,
daß er und Fritzsche als Reichstagsabgeordnete einen allgemeinen Arbeiter—
kongreß einberufen könnten.
In der öffentlichen Sitzung der Generalversammlung begründete
Geib aus Hamburg nachstehende Resolution:
„Die Generalversammlung begrüßt in den Trade-Unions lang—
jährige und treue Vorkämpfer der Arbeitersache, welche auf Grund einer
starken Organisation die sozialistische Erkenntnis verbreiten, daß die Rechte
der Arbeit gegen die Uebergriffe des Kapitals mit allen Kräften, ins⸗
besondere durch die Vertretung der Arbeiter in den gesetzgebenden Ge—
walten, zu erstreben und zu sichern sind.“
In seinen Ausführungen verriet Geib eine große Kenntnis der
Geschichte der englischen Gewerkschaften, die nachher den deutschen
Arbeitern in interessanten Werken näher gebracht worden ist.“ Im übrigen
trat noch eine Reihe Redner für die Organisierung der Streiks ein;
unter anderm Dr. Kirchner und Jakob Audorf. Die Resolution wurde
einstimmig angenommen.
Die Agitation für die Beschickung des Allgemeinen deutschen
Arbeiterkongresses 18608.
Kaum waren alle Delegierten des Allgemeinen deutschen Arbeiter—
vereins von der Generalversammlung zu Hamburg wieder zu Hause an—
gelangt, da erschien in Nr. 101 des „Sozialdemokrat“ vom 30. August 1868
der nachfolgende Aufruf:
An die Arbeiter Deutschlands!
Immer häufiger und immer größer treten die Arbeitseinstellungen auf; sie
sind in den Verhältnissen begründet, sie sind Zeichen einer immer wachsenden
Bewegung.
Seite 304.
** Brentano: „Die Arbeitergilden der Gegenwart“. Leipzig 1871 und 1872.
Sidney und Beatrice Webb: „Die Geschichte des Britischen Trade-Unionismus“.
Stuttgart 1895. „Theorie und Praxis der englischen Gewerkschaften“. Stuttgart 1900.
*
154
Arbeiter haben uns beide Unterzeichneten mit ihrer Vertretung im Reichs⸗
tage des Norddeutschen Bundes betraut; allein wir sind der Ansicht, daß wir nicht
nur innerhalb des Reichstages, sondern ebenso außerhalb desselben die Pflicht
haben, für die Interessen der Arbeiter (worunter wir sawohl die Fabrikarbeiter,
wie die kleinen Handwerksmeister und Gewerbetreibenden, welche unter dem Druck
des Kapitals leiden, verstehen) nach besten Kräften tätig zu sein. Darum richten
wir an sie diese Ansprache und die nachstehende Aufforderung:
Die Arbeitseinstellungen sind kein Mittel, die Grundlage der heutigen
Produktion zu ändern und also auch kein Mittel, den Gegensatz zwischen Kapital
und Arbeit und die darauf begründeten Klassengegensätze aus der Welt zu schaffen;
allein siè sind ein Mittel, das Klassenbewußtsein, das Bewußtsein der Zusammen⸗
gehörigkeit der Arbeiter und der Gleichheit ihrer Interessen im Gegensatz zu denen
der Besitzenden, in den Arbeitern zu erhöhen; sie sind ein Mittel, den Bevormundungs⸗
druck und die niederträchtige Polizeiwirtschaft reaktionären Staatswesens zu durch⸗
horechen, und endlich sind sie ein Mittel, verschiedene soziale Mißstände der
furchtbarsten Art, welche innerhalb der heutigen Gesellschaft hervortreten, ohne
wesentlich und notwendig in derselben begründet zu sein — z. B. übermäßig lange
Arbeitszeit, Kinderarbeit, regelmäßige Sonntags- und Nachtarbeit u. dergl. —,
allmählich zu beseitigen und dadurch eine weitere Grundlage für die Entfaltung
und das Weiterschreiten der Arbeiterbewegung zu schaffen.
Aber wie man auch immer über die Arbeitseinstellungen denken möge, so⸗
viel steht fest, daß kein Staat befugt ist, sie zu verbieten, kein Staat das Recht
hat, die Koalitionsfreiheit zu verweigern. Die Arbeitskraft ist das einzige Besitztum
vbon Millionen Menschen, das einzige Besitztum der großen Masse des Volkes.
Nicht länger sind die Arbeiter gesonnen, sich die freie Verfügung über ihr einziges
Besitztum verbieten zu lassen; sollte man versuchen, noch länger dieses Verbot
aufrecht zu erhalten, so werden sie eine vernehmliche Sprache zu reden und eine
unzweideutige Haltung einzunehmen wissen.
Von höchster Wichtigkeit nun ist es, daß in dem Augenblick, wo das Koalitions⸗
recht proklamiert wird, die Organisation für die wirksame Vornahme von Arbeits⸗
einstellungen bereits vorhanden sei. Das jetzige planlose Hervortreten von Streiks
hald da, bald dort, oft mit wenig Ueberlegung und meistens ohne die erforderlichen
Gelder im Hintergrund, kann nicht vorwärts führen; nur eine planmäßige, zusammen⸗
hängende Organisation der Streiks durch ganz Deutschland kann dieselben erfolgreich
machen. Nur dann, wenn die Gesamtheit der Arbeiter in fester Organisation plan⸗
mäßig und unverbrüchlich zusammenhält, kann der Uebermut der Kapitalisten in
erträgliche Grenzen zurückgedrängt werden.
Es muß ermöglicht werden, daß bei uns, ebenso wie in England, 80000 Arbeiter
an einem Tage die Arbeit einstellen, ohne um ihren Lebensunterhalt in Sorge zu
sein, da die Unterstützung ihrer Brüder in ganz Deutschland ihnen gewiß ist. Es
muß möglich gemacht werden, daß, wenn die Kapitalisten und Fabrikanten in un⸗
berechtigtem Uebermut und schamloser Habsucht verharren, die Industrie einer
ganzen Stadt, einer ganzen Gegend lahmgelegt werde; es muß dafür gesorgt
sein mit einem Wort, daß der Kampf unerbittlich bis aufs äußerste geführt
werden kann.
Andrerseits muß dafür gesorgt werden, daß die Arbeiter an einem einzelnen
Orte keine unerreichbaren Forderungen zu ihrem eignen Schaden und zum Schaden
der mit ihnen verbündeten Gesamtarbeiterschaft stellen.
155
Mit einem Worte: Eine umfassende, festbegründete Organisation der gesamten
Arbeiterschaft Deutschlands durch und in sich selbst zum Zweck gemeinsamen Vor⸗
schreitens vermittels der Arbeitseinstellungen tut dringend not.
Die Vorbedingung dazu ist, daß, ähnlich wie in England, die Arbeiter der
einzelnen Geschäftszweige sich in allgemeinen Gewerkschaften vereinigen. Schon
haben wir einen Allgemeinen deutschen Gewerkverein der Buchdruckergehilfen,
der Zigarrenarbeiter, der Schneider, ganz neuestens der Bäcker. Auf diesem Wege
muß fortgefahren werden.
Zum Zwecke der Begründung bezw. Befestigung solcher allgemeinen Gewerk⸗
schaften in allen Zweigen durch ganz Deutschland sowie auch zur Besprechung
und Einrichtung einer allgemeinen Organisation in Sachen der Arbeitseinstellungen
— welche Organisation erst selbstverständlich mit dem Augenblick, wo die Koalitions⸗
freiheit gesetzlich erteilt ist, tatsächlich ins Leben zu treten hat — kurz, zur Be—
sprechung und Einrichtung alles dessen, was mit den Arbeitseinstellungen zusammen⸗
hängt, berufen wir einen Allgemeinen deutschen Arbeiterkongreß auf
Sonntag, den 27. September, vormittags sß Uhr, nach Berlin. (Sonn⸗
abend, den 26. September, abends 8 Uhr, wird eine Vorberatung stattfinden.)
Die bereits bestehenden Gewerkschaften (Allgemeiner deutscher Buchdrucker⸗
gehilfen-, Zigarrenarbeiter-, Schneider- und Bäckergehilfenverein) werden ersucht,
sich in ihrer Gesamtheit vertreten zu lassen. Was die andern Arbeitszweige betrifft,
so ergeht das Ersuchen, daß an jedem Orte die Arbeiter nach den einzelnen Gewerbs⸗
zweigen in Versammlungen zusammentreten, z. B. die Schuhmacher, die Eisenarbeiter,
die Holzarbeiter usw., und einen Vertreter entsenden. Wo in einem bestimmten
Gewerbszweige die Arbeiter nicht in größerer Menge vorhanden sind, empfiehlt
es sich, daß mehrere miteinander verwandte Gewerbszweige sich vereinigen; an
kleinen Orten können auch die Arbeiter ohne Unterschied der Gewerbe gemeinsam
einen Vertreter entsenden.
Jeder Vertreter wird eine schriftliche Vollmacht mitbringen, unterzeichnet
von dem Vorsitzenden und dem Schriftführer der Versammlung, die den Vertreter
gewählt hat. Zur besseren Beglaubigung soll zugleich der Bericht einer Zeitung
über die fragliche Versammlung mitgebracht werden. Für den Fall, daß die
Zeitungen sich weigern sollten, solche Berichte zu bringen, ist die Redaktion des
Sozialdemokrat“ in Berlin bereit, kurze Berichte aufzunehmen. In dieser Ver⸗
öffentlichung von Berichten in Zeitungen und in der Vorlegung derselben liegt
eine weitere Kontrolle darüber, daß die Wahl eines Vertreters und die Be—
vollmächtigung desselben wirklich stattgefunden hat. Anmeldungen zum Kongreß
sind zu richten an Herrn W. Grüwel, Berlin, Hellweg 7.
An die Arbeiterschaft Berlins wird in einer allgemeinen Versammlung der
Ruf ergehen, dafür Sorge zu tragen, daß die Arbeitervertreter gastfreundlich auf⸗
genommen werden können.
Arbeiter Deutschlands! Ihr alle, wo Ihr auch sein und weilen möget,
seufzet unter dem Druck des Kapitals. Ihr alle fühlet über Euch jene gemüt⸗ und
schonungslose, jene unersättliche Macht, der Eure Arbeitskraft dienen muß! Stehet
zusammen, wo es gilt, das moderne Joch zu bekämpfen und für die ewigen Menschen⸗
rechte einzustehen. Seid einig und erkennet Eure ungeheure Macht!
Hamburg, den 27. August 1868.
Schweitzer, Berlin. Fritzsche, Berlin.
156
Außer diesem Aufruf veröffentlichte der „Sozialdemokrat“ noch sieben
Artikel aus der Feder v. Schweitzers, die wir in den Anlagen abdrucken.*
In schneller Folge erschienen dann im „Sozialdemokrat“ Aufrufe, in
welchen die Arbeiter der verschiedenen Berufe aufgefordert wurden, sich
gewerkschaftlich zu organisieren und den einberufenen Kongreß zu beschicken.
So erschienen ein Aufruf an die Zimmerer Deutschlands in Nr. 104, an
die Zinngießer Deutschlands, an die Bäckergesellen und an die Buch—
binder in Nr. 106, an die Schreiner, Dreher und Glaser usw. in Nr. 109
des „Sozialdemokrat“.
Zumeist nahmen jedoch die Bevollmächtigten des Allgemeinen
deutschen Arbeitervereins die Arrangierung der Delegiertenwahlen in die
Hand. In Hamburg tagte am 7. September eine allgemeine Arbeiter—
— folgenden
Antrag annahm: „Die heutige allgemeine Arbeiterversammlung wählt aus
ihrer Mitte ein Komitee, das die zur Beschickung des am 27. September
dieses Jahres in Berlin stattfindenden allgemeinen deutschen Arbeiterkongresses
nötigen Schritte bei den einzelnen hiesigen Gewerkschaften vorzunehmen
hat und erforderlichenfalls eine zweite allgemeine Arbeiterversammlung
beruft, um darin Abgeordnete für die etwa nicht selbständig vorgehenden
Korporationen wählen zu lassen. Das Komitee besteht aus 25 Personen,
und es soll bei der Wahl dieser Personen möglichst jede einzelne Korpo⸗
ration berücksichtigt werden. Zur Bestreitung der sich ergebenden Kosten
wird das Komitee ermächtigt, Sammellisten in Umlauf zu setzen, über
deren Ertrag öffentlich Rechnung abzulegen ist.“
So wurde die Sache auch in andern großen Städten gehandhabt,
unter anderm in Magdeburg, Braunschweig, Kassel usw. Stellenweise
hefolgten die Bevollmächtigten diese Taktik auch ohne Komitee. Unter
anderm schrieb C. W. Tölcke unterm 8. September aus Iserlohn: „In
der gestrigen stark besuchten Volksversammlung verlas ich zunächst den
Aufruf. und erläuterte dann in einem etwa einstündigen Vortrage, der
großen Enthusiasmus hervorrief, die Angelegenheit, indem ich schließlich
dazu aufforderte, die Sache in besonderen Fachversammlungen näher zu
besprechen und für die Wahl von Abgeordneten zum Kongreß zu wirken.
Auf dem Kongreß wird allem Anscheine nach die hiesige Gegend stark
vertreten sein.“
Noch leichter machte sich der Bevollmächtigte in Wolfenbüttel die
Sache; in einer Versammlung vom 11. September „erklärten verschiedene
Altgesellen, daß sie Herrn Spier mit ihrer Vollmacht betrauen wollten“,
* Seite 30.
7
57
daraufhin vertrat er die betreffenden Gewerke auf dem Kongreß. Andre
Delegierte wurden von allgemeinen Arbeiter- und Volksversammlungen
beauftragt.
In Berlin, wo die Wogen am höchsten gingen, weil hier der
Widerstand der bürgerlichen Gewalten sich am fühlbarsten bemerkbar
machte, fanden zwei Versammlungen statt. Die Versammlung am
12. September billigte die Einberufung eines allgemeinen deutschen
Arbeiterkongresses zur Gründung von Gewerkschaften und zur Organi—
sierung der Arbeitseinstellungen über ganz Deutschland; sie erklärte es für
Pflicht aller Arbeiter, für die Unterstützung des Kongresses in diesem
Sinne tätig zu sein. Dieselbe Resolution wurde in der Versammlung
am 16. September wiederum einstimmig angenommen.
Die Referate in allen diesen Versammlungen bewegten sich auf dem
im „Sozialdemokrat“ eingenommenen Standpunkte. Die Referenten fanden
allenthalben stürmischen Beifall; die Opposition, die sich auf der General⸗
versammlung des Allgemeinen deutschen Arbeitervereins bemerkbar gemacht
hatte, schwieg still oder arbeitete kräftig mit, um den bevorstehenden Kongreß
zu einer imposanten Demonstration zu gestalten. Der ganze Verein schien
in der Agitation für die Beschickung des Kongresses zu wetteifern.
Die haltung der gegnerischen Presse und die hintertreibungsversuche
der Fortschrittsparte.
Kaum war der Aufruf zum ersten allgemeinen deutschen Arbeiter—
kongreß erschienen, da war die geplante moderne Gewerkschaftsbewegung
auch das Tagesgespräch in den Zeitungen. Bis dahin war die deutsche
Arbeiterbewegung noch nicht stark genug gewesen, die bürgerlichen Parteien
zu einer reaktionären Masse zusammenzutreiben, sie konnten sich noch immer
die Freiheit erlauben, sich gegenseitig zu bekämpfen und sich gegenseitig
die Schuld für Vorkommnisse in die Schuhe zu schieben, die ihnen
in ihrer Gesamtheit nicht lieb waren. Sie alle hieben zwar kräftig
auf die in Fluß kommende Arbeiterbewegung ein, aber dabei wurden
noch viel wuchtigere Seitenhiebe für die gegnerischen Parteien
der eignen Klasse ausgeteilt. Insbesondere wurde das Vorhaben
v. Schweitzers und Fritzsches benutzt, um in den liberalen Parteien
Verwirrung anzurichten. Eine regelrechte Preßfehde entwickelte sich
zwischen der „Norddeutschen Allgemeinen Zeitung“ und der „National⸗
zeitung“, die wir nebst einigen andern Zeitungsartikeln aus jener Zeit
in den Anlagen reproduzieren.“ Als die „Norddeutsche Allgemeine Zeitung“
* Seite 314.
158
einsah, daß sie die liberalen Zeitungen nicht dazu bewegen konnte, eine
konsequente Haltung gegen die aufkeimende Gewerkschaftsbewegung ein⸗
zunehmen, fing sie an, den Arbeitern zu schmeicheln, was v. Schweitzer
zum Anlaß nahm, der Versammlung am 16. September 1868 in Berlin
die nachstehende Resolution zur Annahme zu empfehlen: „Angesichts
der jüngsten Leitartikel der „Nordd. Allgem. Ztg.“, des Organs der
preußischen Regierung, welche Leitartikel sich gegen die liberale Oekonomie
richten und einen arbeiterfreundlichen Schein zur Schau tragen, konstatiert
die Versammlung: daß in der letzten Reichstagssession die Fortschritts⸗
partei die Einführung des Koalitionsrechtes der Hauptsache nach beantragt
hat, während die im Norddeutschen Bunde maßgebende preußische Re—
gierung das Ihrige zur Einführung der Koalitionsfreiheit nicht getan
hat. Angesichts dieser und andrer bekannter Tatsachen erklärt die
Versammlung: daß es der „Nordd. Allg. Ztg.“ und überhaupt den
reaktionären Blättern nicht zusteht, die Arbeiterfreundlichen zu spielen.“
In ihrer Verlegenheit quittierte die „Nordd. Allg. Ztg.“ mit einigen
schnoddrigen Redensarten über diese derbe Zurechtweisung, wobei sie auch
eingestand, daß sie mit ihren Artikeln „die liberale Oekonomie, diese Ursache
der Tätigkeit der Herren Schweitzer und Genossen“, habe bekämpfen wollen.
Die liberalen Blätter hatten aber ebenfalls keine Freude an der
erwähnten Resolution. Besonders der „Volkszeitung“, dem Hauptorgan der
Fortschrittspartei, war damit die Waffe der Verleumdung aus der Hand ge—
schlagen, als handelten v. Schweitzer und Fritzsche im Interesse der Reaktion;
ihr Artikel, den wir in den Anlagen abdrucken,* erklärt sich damit hinläng—
lich. Eine vom liberalen Standpunkt aus vernünftige Haltung nahm die
„Zukunft“ ein, die den demokratischen Flügel der Fortschrittspartei vertrat.
Die Zeitungspolemik hatte natürlich nicht vermocht, die Arbeiter
gegen den Plan, sie gewerkschaftlich zu organisieren, einzunehmen; das
begriffen am besten die Führer der Fortschrittspartei, welche nun andre
Mittel versuchten, um sich ihren Einfluß auf die Arbeiter zu sichern.
Oeffentliche Versammlungen konnten sie um diese Zeit selbst in Berlin
nicht mehr wagen, sie versuchten daher vermittels der Berliner Maschinen⸗
bauer, die ihnen noch treu ergeben waren, einen Keil in die Bewegung
zu treiben. Am 20. September 1868 tagte eine von etwa 100 Personen
besuchte Maschinenbauerversammlung, in welcher Dr. Max Hirsch ver⸗
kündete, er habe die Arbeiter gewerkschaftlich organisieren wollen. Er sei
nach England gereist und habe sich gerade diese Institutionen genau an—
gesehen, um hier die Anregung zu ähnlichen Versuchen zu machen. Bei
* Seite 323.
159
seiner Rückkehr habe er nun gefunden, daß die Herren Schweitzer und
Fritzsche mit einem ähnlichen Versuch bereits vorgegangen seien. Ferner
erzählte er seinem Publikum, die englischen Arbeiter hätten längst erkannt,
daß die Arbeitseinstellungen ein Nachteil für die Industrie des Landes
seien, von der sie doch abhingen, daß sich also die Arbeitseinstellungen
gegen die eignen Interessen der Arbeiter richten. Dieser Erfahrung
wollte er in Deutschland folgen und nicht etwa Streikvereine errichten,
wie Schweitzer und Fritzsche. Von diesen sagte er, sie würden der Sache
nur schaden, daß sie sich der Sache nur bemächtigen wollten, um ihre
Parteizwecke zu fördern und ihre Person dabei zu heben.
Auch der Buchdruckereibesitzer Duncker bewegte sich mit seinen Aus—
führungen in den von Hirsch angefahrenen Geleisen. Er tadelte den
Aufruf zum Kongreß wegen der Betonung der prinzipiellen Feindschaft der
zu gründenden Gewerkschaften gegen das Kapital. Dieser Gegensatz, so
meinte Duncker, sei ein unwahrer, er bringe die Arbeiter mit sich selbst in
Gegensatz; denn in der Industrie arbeite nicht das Kapital einiger großer
— DD
sondern das Kapital des ganzen Volkes, auch die ersparten Groschen der
Arbeiter; wer ein Sparkassenbuch habe, sei selbst ein hartherziger Kapitalist.
Die Arbeiter ließen sich aber mit diesen Redensarten nicht mehr
so ruhig einseifen wie zur Zeit Lassalles; Hirsch und Duncker erlebten,
daß ihnen selbst in ihrer treuen Gefolgschaft mehrere Redner entgegen—
traten, die da meinten: Wenn die Sache an und für sich gut sei, und
dies hätten beide Herren zugegeben, so müsse man sich auch daran
beteiligen, etwa divergierende Ansichten könne man ja am besten auf dem
Kongreß selbst zum Austrag bringen. Eine von Hirsch gestellte Resolution
wurde gar nicht zur Abstimmung gebracht, die Macher schienen sich ihrer
Annahme nicht sicher genug zu sein.
Am 24. September 1868 tagte wiederum eine Versammlung. In
den Annoncen, welche zu derselben einluden, war angegeben worden, daß
jeder, der an der Versammlung teilnehmen wollte, sich durch das Buch
der Maschinenbauer-Krankenkasse legitimieren müsse. Diese Maßregel hatte
aber nur den Zweck, die Sozialdemokraten fernzuhalten. Ein be—
deutender Teil der 400 bis 5300 Versammlungsbesucher war alles andre,
nur keine Maschinenbauer, es waren zuverlässige Fortschrittsmänner aus
andern Gesellschaftsklassen.
Dieser Versammlung wurden die nachstehenden beiden Resolutionen
unterbreitet:
a) Die heutige Versammlung der Maschinenbauarbeiter erklärt:
Die Gewerkvereine nach englischem Muster zum Schutze und
160
zur Förderung aller berechtigten Interessen der Arbeitnehmer
auf dem Boden der Selbsthilfe sind eine gesunde und auch für
Deutschland höchst erstrebenswerte Institution. Diese Vereins⸗
bildung darf aber nicht zentralistisch unter dem Befehl eines
Diktators und zur Organisierung des sozialen Krieges erfolgen,
sondern muß, wie in England, naturwüchsig von unten nach
oben entstehen. Demnach haben sich zunächst die einzelnen Ge⸗
werke vereinsweise zu konstituieren, um alsdann durch Deputierte
zur Wahrnehmung der gemeinsamen Interessen freiwillig zu—
ammen zu wirken.
Die Versammlung beschließt: 1. Ein Komitee von zwölf Per—
sonen mit dem Rechte der Kooptation zu wählen, welches ein
Statut für den in Berlin zu gründenden Gewerkverein der
deutschen) Maschinenbauarbeiter entwirft, und einer von ihm
zu berufenden Versammlung sämtlicher Maschinenbauarbeiter
— Annahme vorlegt. 2. Dasselbe
Komitee wird mit der Vertretung der Maschinenbauarbeiter von
Berlin auf dem bevorstehenden Arbeiterkongreß beauftragt und
hat in dem Sinne der angenommenen Resolution zu wirken.
Dr. Max Hirsch begründete diese Resolutionen, er stieß aber wiederum
auf Opposition. Ein Arbeiter, Richter, drückte den Einberufern des Kon—
gresses, Schweitzer und Fritzsche, sein Vertrauen aus. Er wurde dafür
niedergebrüllt. Ihm sprang ein zweiter Arbeiter, Tesch mit Namen, zur
Seite, der ausführte, man hätte zu dieser Versammlung nicht nur die
Führer der Fortschrittspartei, sondern auch Schweitzer und Fritzsche ein—
laden sollen, damit diese Herren sich gegenseitig aussprechen und die
Arbeiter daraus ihre Ueberzeugung schöpfen könnten. Auch dieser Arbeiter
wurde niedergeschrien. Mittlerweile sahen die Führer der Fortschritts⸗
partei doch ihren Einfluß schwinden und deshalb hielt nun Schulze von
Delitzsch eine Rede, in der die Wut der Fortschrittsmänner gut zum
Ausdruck kommt und die sehr viel dazu beigetragen hat, daß sich die
Arbeiter von der Fortschrittspartei abgewandt haben. Dem erhaltenen
Berichte nach führte Schulze aus:
„Es sei ihm nicht leicht geworden, dem Rufe zu folgen, aber er habe
demselben Folge gegeben, weil die Maschinenbauarbeiter, die zum größten
Teile seine Wähler seien, ihn gerufen hätten; denn dem Drange, in
einer Versammlung zu sprechen, dem genüge er das ganze Jahr hindurch.
Er gehöre auch nicht zu denen, die sich an Personen halten, aber einiger⸗
maßen müsse man sich doch in dieser Frage die Personen ansehen, welche
zu dem Kongreß einladen.“ Herr Schulze amüsierte dann die Versammlung
)
161
einige Zeit mit Ergüssen über persönliche Streitigkeiten, dann ging es
weiter: „Im Allgemeinen deutschen Arbeiterverein war nur eine sehr
bedeutend kleine Minorität der deutschen Arbeiter vertreten. (Oho! All—
gemeine Bewegung im ganzen Saale. Zwischenrufe von allen Seiten,
so daß der Redner sich nur in schreiender Weise weiter vernehmlich machen
kann.) Ja, meine Herren! Eine nur sehr kleine Minorität gehörte dazu,
und Sie machen mich durch Ihre Ohos nicht dumm, und ich behaupte
noch einmal, es waren nicht sehr viele, die sich durch diesen albernen
Köder halten ließen. (Anhaltendes Bravo! und wiederholter Wider—
spruch.) Dieser sogenannte Allgemeine Arbeiterverein kann sich bei der
Regierung bedanken, daß sie ihn auflöste. Jetzt, wo die Frage der Ge—
werbsvereine auftaucht, bemächtigten sich nun diese Herren dieser Frage,
um den Verein wiederum zu beleben. Die Streiks, also Organisationen
von Arbeitseinstellungen in Masse, was sind sie anders im Verhältnis
zu dem Lassalleschen System als eine Tollheit gerade und ein Unsinn?
Lassalle hat gar nicht an die Organisation von Streiks gedacht, nicht denken
können. Wie sollte er denn auch? Er wollte ja durch Staatsunter—
stützung und durch Staatskredit die Mittel erwerben, um die Arbeiter zu
Unternehmern zu machen durch Produktionsassoziationen. Welch ein Unsinn
wäre es dann, wenn die Arbeiter gegen die Unternehmer, gegen sich selber
Streik machen wollten! Da sind ja die Herren mit ihrem ganzen System
im tollsten Widerspruch! Man verlange, daß die Arbeiter durch Beiträge,
zunächst durch Ersparung, Fonds zusammenbringen, um später 50000
Arbeiter, die da streiken, zu erhalten. Für den sozialen Krieg also könnten
die Arbeiter sparen; aber um aus sich selbst heraus durch Ersparnis Arbeit—
geber zu werden, dazu sollten, nach Lassalle, die Arbeiter nicht sparen
können. Und solches dummes Zeug habe man die Stirn, dem Arbeiter
aufzuschwatzen! Die „Pioniere von Rochedale“ hätten auch zunächst ge—
streikk und von ihrem Streikfonds eine kleine Summe übrig behalten.
Diese Summe hätten sie später durch Ersparnisse verstärkt und dann erst
und dadurch das bekannte Großartige ihrer Einrichtungen erreicht. Das
Kapital müsse man sich dienstbar machen; die Arbeiter dürften nicht rufen:
„Nieder mit dem Kapital!“, sondern sie müßten rufen: „Her mit dem
Kapital!“ Man habe von der Fortschrittspartei gesprochen und gesagt,
sie habe sich der Arbeitersache nicht angenommen. Was habe die Fort—
schrittspartei denn tun sollen? Den Arbeitern die Koalitionsfreiheit
schaffen? Ja, das habe sie seit 1865 regelmäßig versucht, aber gegen—
über den andern Parteien noch nicht erreichen können. Die Streiks mit
dem Lassalleschen Prinzip in Zusammenhang zu bringen, sei geradezu ein
Nonsens, um es deutsch zu sagen. Was dem Arbeiter notwendig sei,
Bringmann, Geschichte der Zimmerer.
162
habe er schon in seinem „Arbeiter⸗Katechismus“ ausgesprochen. Die Fort⸗
schrittspartei habe auf den darin enthaltenen Prinzipien ihre Anträge
basiert, sie habe das freie Vereinsrecht und politische Freiheit für den
Arbeiter verlangt, und damit diese Freiheit vollkommen zum Ausdruck
komme, habe sie eine vollkommene politische Bildung des Volkes durch
die Volksschule verlangt. Dies habe die „Arbeitspartei“ nicht getan;
was sie einzig und allein verlange, sei das allgemeine direkte Wahlrecht,
und was für einen Vorteil das dem Volke gewähre, das bewiesen die
Reichstagswahlen. Zunächst sei es notwendig, die politische Bildung
des Volkes zu fördern, und dies zu erreichen, habe sich die Fortschritts⸗
vartei stets bestrebt. Wer hat Ihnen belehrende Vorträge gehalten?
Haben die Führer der Fortschrittspartei je gefehlt, wenn Sie sie gerufen
haben? Keine als diese ist so sehr für die Volksbildung eingetreten.
Ich habe nach oben nicht geschmeichelt — da gehöre ich zu den Ver—
haßten — und will auch Ihnen nicht schmeicheln. Erst schaffen Sie sich
die Bildung! Geifall.) Zu der Pariser Industrieausstellung haben wir
131 Arbeiter hingeschickt aus Mitteln, die wir zusammengebracht. Das
heißt: etwas für die Bildung tun! Wenn die andre Partei gleiche
Taten aufweisen kann, dann mag sie kommen! Ich gebe zu, die Streiks
haben eine Geschichte; ich erinnere an die Tuchmacher in Burg und an
die Buchdrucker! Zu wem sind aber diese Leute gekommen? Zu mir
sind die Tuchmacher gekommen. Man muß die Dinge kennen, um den
müßigen Schwätzereien unnützer Buben entgegenzutreten. Dem Arbeiter
müsse das Koalitionsrecht und das Recht der Streiks gewährt, es müsse
aber auch dafür gesorgt werden, daß dieses Recht nicht falsch angewendet
werde; denn jedes Recht könne falsch angewendet werden. Die Organisation
dürfe nicht von oben nach unten erfolgen. Der Allgemeine deutsche
Arbeiterverein sei gleichfalls so verkehrt organisiert worden: ein Diktator
sei aufgetreten und habe den Verein organisieren wollen, der darum eben
nicht ein allgemeiner deutscher Arbeiterverein geworden sei. Von unten
nach oben müsse organisiert werden, wie bei den deutschen Genossenschaften.
Uns sollte einmal ein solcher Diktator kommen, den wollten wir schon
abführen. Dadurch seien aber auch die Genossenschaften eine Macht
geworden. Etwas Lächerlicheres, als gegen das Kapital zu hetzen, kenne
er überhaupt nicht; denn jeder, der da arbeiten wolle, müsse mit Kapital,
mit Instrumenten und Rohprodukten, die auch Kapital seien, arbeiten.
Dies Verhältnis ändern wollen, hieße die Naturgesetze ändern. Rufe
man: „Nieder mit dem Kapital!“, so sei das keine Schmeichelei für das
Kapital und könne „leicht zur Folge haben, daß sich das Kapital von der
Industrie zurückziehe.“ Redner verbreitet sich nunmehr über das Gedeihen
163
der Genossenschaften und Volksbanken und fährt hierauf fort: „Ich habe
keine Lust, auf Persönlichkeiten einzugehen.“ Trotzdem ergeht er sich sofort
in Persönlichkeiten. „Lesen Sie jetzt nur in den reaktionären Blättern,
sehen Sie nur den Jubel, den die „Zeidlersche Korrespondenz“ und
sonstiges Nachtgevögel anstimmt. Sie wissen, daß durch das Gebaren
der Sozialisten das Kapital, wie in Frankreich, in die Arme der Reaktion
getrieben wird. Der Hintergedanke der Reaktion sei immer der: die
industriellen Arbeiter gegen die Arbeitgeber zu hetzen. Der ländlichen
Arbeiter sei sie sicher die gäben die besten Soldaten und die „Arbeiter—
Bataillone“ würden dann durch die „Militär-Bataillone“ überwunden.
(Pfui!) Gott behüte, daß die deutsche Arbeiterbewegung in solche Bahnen
gelenkt werde, daß Sie durch Schaden klug werden sollten. Sie hätten
dann nicht allein Ihre, sondern auch unsre Interessen zu verantworten.
Sollten Sie in diese Bahnen hineinlenken wollen, so würden wir unser
Mandat in ihren Schoß zurücklegen.“
Nach kurzer Debatte wurden hierauf die mitgeteilten Resolutionen
angenommen und schließlich als Delegierte gewählt: Literat Dr. Mar
Hirsch, Ingenieur Blume, Spengler, Erbe, Ortmann, Scholz, Seiffert,
Endenthum, Vetterlein, Neumann, Literat Weise und Thümmler. Duncker
lehnte für sich und die übrigen Führer der Fortschrittspartei, Schulze
und Parisius, welche auch vorgeschlagen waren, ein Mandat ab, „da sie
keine Zeit dazu hätten, es auch besser wäre, daß nur Arbeiter hierzu
deputiert würden“.
Der Allgemeine deutsche Arbeiterkongress 1808.
Mittlerweile war der Kongreß herangekommen; er begann seine
Verhandlungen am Sonnabend, 26. September, morgens 111 Uhr,
im „Vauxhall“ zu Berlin. Es waren Arbeiter aus nachfolgenden Orten
durch die beigedruckte Anzahl Delegierter vertreten; jene Orte, bei welchen
die Zahl der Delegierten nicht vermerkt ist, sind durch Delegierte aus
andern Orten vertreten worden: Achim 1, Altenburg 3, Altona 8, Augs—⸗
burg 1, Barmen 6, Bautzen 2, Berlin 27, Boizenburg, Bielefeld 7,
Bockenheim, Brandenburg 15, Braunschweig 7, Bremen J1, Breslau 2,
Burg 1, Cassel 7, Celle 1, Charlottenburg 2, Coblenz, Cöln 1, Cöthen 1,
Crefeld 1, Cüstrin 2, Dessau 2, Duisburg 1, Düsseldorf 2, Dreißighuben,
Dresden 1, Einbeck, Elberfeld 5, Erfurt 3, Essen 6, Etzoldsheim 1,
Flensburg, Frankenthal, Frankfurt a. M. 1, Frankfurt a. d. O. 3, Freiberg
i. Sachsen, Freiburg i. Baden, Frielinghausen 1, Glauchau 1, Glückstadt,
Goslar, Großdenckte, Großlobke, Hagen, Halberstadt 1, Halchter, Halle,
Hanau, Hamburg 14, Hannover 4, Harburg 1, Hastedt, Heidelberg,
4 72
164
Heidingsfeld, Helmstedt, Hemelingen 1, Herford, Hildesheim 1, Iserlohn 1,
Leipzig 7, Lemgo 1, Linden 2, Lorsch, Lübbecke 1, Lüneburg 1, Magdeburg 8,
Maing 1, Mannheim 1, Memel, Minden 1, Neheim, Neviges 1, Neu—
münster 1, Oerlinghausen, Offenbach 8, Oldendorf (Hessisch), Osterode,
Ottensen 2, Pinneberg, Pirna, Potsdam 3, Preetz 1, Reichelsheim,
Rheda, Rochlitz, Ronsdorf, Salzungen, Seesen, Seidau, Soest, Sonborn,
Spandau 4, Speyer, Stettin 2, Stralsund, Vechede, Velbert, Verden,
Vreden, Werther, Wiesbaden 1, Wittenberg 2, Wolfenbüttel 1, Wurzen 1,
Würzburg 1, Wrietzen a. d. O. 2, Zeitz 1, Zorge, Zwickau. Es vertraten
206 Delegierte 142 008 Arbeiter aus 110 Orten. Die Präsenzliste drucken
wir in den Anlagen ab.*
Dr. v. Schweitzer eröffnete den Kongreß mit folgenden Worten:
„Meine Herren! Wir begrüßen Sie, die Sie aus allen Teilen Deutsch—
lands im Auftrage der Arbeiter hierher gekommen sind, aufs herzlichste,
daß Sie so zahlreich unserm Rufe gefolgt sind. Wir hatten dies kaum
gewagt zu hoffen; aber daß es so gekommen ist, beweist, daß wir zur
rechten Zeit den rechten Ruf erhoben haben. Gestatten Sie uns zur
Einleitung, Ihnen kurz auseinanderzusetzen, welche Gesichtspunkte es
waren, die uns zur Einberufung dieses Kongresses geleitet haben. Sie
alle wissen, meine Herren, daß in der letzten Zeit in Deutschland an
den verschiedensten Orten die Arbeitseinstellungen immer mächtiger und
umfangreicher hervorgetreten sind. Hierin liegt ein Anzeichen einer tief⸗
gehenden Bewegung, und es mußte sich an jeden, der es ernst nimmt
nit der Arbeitersache, die Frage herandrängen: Kann das länger in dieser
planlosen Weise geschehen wie bisher, oder ist es nicht an der Zeit,
endlich Ordnung und System in die Bewegung zu bringen? Das führt
uns auf die Frage: Was ist überhaupt von den Arbeitseinstellungen zu
halten? Die beiden großen Richtungen der Oekonomie, sowohl die
herrschenden Schulen der Liberalen als der Sozialismus, sind darin ein⸗
verstanden, daß eine nachhaltige und bedeutende Besserung der Lage der
Arbeiter auf dem Wege der Arbeitseinstellung nicht zu erreichen ist.
Betrachten wir zunächst die Ansicht der herrschenden liberalen Schule.
Nach ihr gestaltet sich der Preis kiner jeden Ware nach Angebot und
Nachfrage. Man behauptet, daß dadurch der naturgemäße Preis einer
Ware sich von selbst ergebe, und unter Voraussetzung der heutigen Zu—
stände hat man darin auch recht. Eine Ware ist unter den jetzigen
Verhältnissen auch die Arbeitskraft. Es ist also richtig, zu sagen, es
wird durch künstliche Mittel, durch irgendwelches Zusammenhalten im
* Seite 327.
165
großen und ganzen nicht viel geändert werden an dem Preis dieser
Ware. Bis jetzt waren Sie daran behindert durch das Koalitionsverbot,
und eine volle Verfügung wird erst möglich sein, wenn die Arbeiterklasse
sich organisiert hat, um durch gemeinsame Tätigkeit möglichst den Preis
ihrer Ware, der Arbeitskraft, zu steigern. Aus diesem Grunde ist auch
die liberale Oekonomie der Ansicht, daß zwar Arbeitseinstellungen im
wesentlichen nichts ändern werden, aber doch ein Mittel sind, um Abhilfe
und Linderung vieler Uebelstände zu schaffen.
„Vom Standpunkte des Sozialismus stellt sich die Sache so: Wir
verwerfen den ganzen heutigen Zustand, wir wollen keine Trennung von
Arbeitskraft und Kapital; denn wir wissen, daß sie nichts weiter besagt,
als daß der Kapitalist den Arbeiter auszubeuten sucht. Der heutige
Zustand, wo Kapital und Arbeit in getrennten Händen sind, führt dahin,
daß alle Reichtümer und Erzeugnisse der Produktion einer Klasse in den
Schoß fallen, während die andre Klasse mit wenigem abgefunden wird.
Wir dringen darauf, daß diese Trennung aufhört. Wir sagen nicht:
„Nieder mit dem Kapital!“ (Sehr gut!) Wir wollen, daß die große
Masse des arbeitenden Volkes im Besitze dieses Kapitals ist, welches das
arbeitende Volk selbst hervorgebracht hat; denn alles, was an Kapital
vorhanden ist, ist Erzeugnis der früheren Arbeit, gehört nicht denen,
welche, weil sie früher schon Kapital hatten, das Kapital der Arbeiter
an sich ziehen konnten. Von unserm Standpunkte aus müssen wir sagen:
die Arbeitseinstellungen sind kein Mittel, nachhaltig diesen Sachverhalt
zu ändern; aber wir erkennen an, daß innerhalb dieser heutigen Gesell—
schaft dadurch eine wesentliche Linderung der Lage der Arbeiter möglich
wird, daß sie ihre Kräfte vereinigen und plangemäß dem Drucke des
Kapitals widerstehen. Darum, weil wir zwar weitgehendere Pläne
haben und die ganze Gesellschaft umändern wollen, aber nicht blind sind
dafür, daß man innerhalb dieser heutigen Gesellschaft etwas tun kann,
haben wir es für unsre Pflicht gehalten, den Anstoß zu geben, damit
die Arbeitseinstellungen eine kräftige und wirksame Waffe werden in der
Hand des Arbeiters.
„Nun, meine Herren, tritt zunächst die Frage heran, wie ist das
möglich, damit die Sache „Hand und Fuß“ hat? — Die Arbeiter müssen
dazu zusammentreten zu Gewerkschaften nach einzelnen Arbeitszweigen.
Es sind jedoch nicht die Interessen der Arbeiter im großen und ganzen
verschieden, nein, sie müssen sich fühlen als eine Klasse und brüderlich
zusammenstehen. Aehnlich wie in der Armee, obschon sie ein einheitlicher
Körper ist, Regimenter und Bataillone formiert werden, so ist es nötig,
daß Sie sich in einzelne Abteilungen formieren, weil nur dadurch der
166
richtige Einblick in alle Verhältnisse möglich wird und dadurch die
Zentralleitung in den Stand gesetzt wird, zu beurteilen, wie die Ver—
hältnisse liegen und ob eine Arbeitseinstellung von Erfolg sein kann.
„Es ist eine sehr ernste Sache mit den Arbeitseinstellungen; niemals
darf leichtsinnig dazu gegriffen werden. Die deutschen Arbeiter müssen
es machen wie die englischen Arbeiter. Man glaube nicht, daß diese
darauf ausgehen, Arbeitseinstellungen zu machen und zu provozieren. Sie
wissen sehr gut, daß dieses nur mit vielen Opfern geschehen kann; aber
sie sind so organisiert, daß, wenn sie dazu schreiten, sie den Kampf aufs
äußerste füuhren können. Es handelt sich um einen ernsten Kampf;
lassen Sie sich daher keine Phrasen vormachen. Die Kapitalisten haben
das Interesse, kleine Löhne zu —
lassen; die Arbeiter dagegen, möglichst hohe Löhne zu erhalten und kurze
Zeit zu arbeiten. Scharf und schroff sind die Gegensätze, und nur auf
dem Wege des Kampfes können sie zum Austrage gebracht werden; ich
will nicht sagen eines gewaltsamen Kampfes, sondern eines gesetzlichen
Kampfes. Die englischen Arbeiter, trotz ihrer großartigen Organisation,
sind nicht immer glücklich. Das ist richtig. Aber bedenken wir,
daß wir unendlich leichteres Spiel haben als die englischen Arbeiter.
England ist weitaus das kapitalreichste Land der Erde, und wenn dennoch
die ausländische Industrie über die englische Herr geworden ist, so ist
das geschehen, weil die englischen Arbeiter den dortigen Kapitalisten so
viel Schwierigkeiten machten. Dasselbe kann in Deutschland geschehen,
und leichter. Die deutschen Arbeiter können geradezu die deutsche
Industrie ruinieren, wenn sie wollen, und sie haben kein Interesse daran,
sie zu halten, solange ihnen diese den erbärmlichsten Lohn zukommen
läßt. Es gibt keine nationale Industrie; es gibt nur eine solche Industrie
weniger Kapitalisten und diese geben der großen Masse des arbeitenden
Volkes kärglichen Lohn. Die Arbeiter können, wenn sie fest organisiert
sind, die deutsche Industrie konkurrenzunfähig machen, und wenn die
Herren Kapitalisten das nicht wollen, so mögen sie höhere Arbeitslöhne
zahlen. Dann wird die Industrie in Flor stehen, anders aber in Zukunft
nicht. Die englischen Trade-Unions, hicht die Arbeitseinstellungen, sind
die Mittel, wodurch die Arbeiter wirken, und zwar wirken sie am nach⸗
haltigsten durch die bloße Existenz derselben, die beständige Furcht, die
fie den Kapitalisten einjagen; denn hierdurch wird bewirkt, daß manche
Arbeitseinstellungen nicht mehr nötig sind.
„Es gilt also zu handeln wie die englischen Arbeiter, aber zugleich
diejenigen Fehler zu vermeiden, die sie dort begehen und die damit
zusammenhängen, daß die englischen Einrichtungen etwas schwerfällig
167
sind. Die Einrichtungen der deutschen Arbeiter müssen demokratisch sein,
aber solche, die die schnelle, sichere Handlung ermöglichen, um durch ganz
Deutschland rasche, entscheidende Schläge zu führen.
„Noch eins. Glaube niemand, man könne eine solche Bewegung
künstlich machen. Dinge, wie sie hier geschehen sollen, dürfen niemals
und können nicht von oben, sie können nur von unten gemacht werden.
Von unten sind die Arbeitseinstellungen gekommen. Alle Welt hat
dagegen gepredigt und sie sind doch gekommen; von unten sind die Ge—
werkschaften gekommen, die der Zigarrenarbeiter, Bäcker, Schneider u. a.,
und von unten sollen auch die hier zu grundenden kommen. Sie sollen
aus dem Willen der Arbeiter hervorgehen.
„Sie, meine Herren, sind hierher eingeladen, und Sie haben zu
beschließen, was Sie wollen. Sie können einrichten, alles, was Sie
wollen; Sie können an die Spitze stellen, wen Sie wollen. Sie sind
hier das souveräne Volk, das über seine Einrichtungen beschließt. (Bravo!)
„Und nun noch eine Mahnung an Sie. Gehen wir mit ernstem,
festem Sinne an die Arbeit, vermeiden wir es insbesondere, allzuviel
Worte zu machen, überlassen wir das den nationalen und sonstigen
Bourgeois-⸗Rednern, die Arbeiter müssen mehr Männer der Tat als des
Wortes sein. Ich will darin mit gutem Beispiele vorangehen, indem ich
von der Art und Weise abweiche, solche Kongresse mit stundenlangen
Reden zu eröffnen. Nur noch eine Mahnung zum Schluß: Seien Sie
einig! Bedenken Sie, meine Herren, nicht die ökonomischen Unterschiede;
ob wir Sozialisten sind, ob wir der liberalen Oekonomie angehören, das
ist in dieser Frage ganz gleichgültig. Alle Parteiunterschiede müssen
darum zurücktreten, und von jedem, der die Fackel der Zwietracht unter
uns werfen will, können Sie mit Gewißheit annehmen, daß er ein
bezahlter Agent der Geldmacht oder Reaktion ist. Wenn Sie einig sind,
verschwindet die Reaktion, und Sie allein haben die Macht, verschwinden
zu machen die schwachsinnigen Bourgeois, die, wenn Geldfragen angeregt
werden, sofort zu den Regierungen überlaufen. Nicht die Mittelstände
werden die Freiheit bringen, die Arbeiter allein haben die Macht, es zu
tun; Sie können in politischer Beziehung ebensogut wie in sozialer die
Reaktion brechen. Stehen Sie darum alle einig zusammen, halten Sie
die Einigkeit fest und beherzigen Sie das Wort, das wir Ihnen in dem
Aufrufe entgegengerufen haben: „Seid einig, Arbeiter, und erkennet
Eure furchtbare Macht!“ (Anhaltender Beifall.)
Nunmehr hatte sich der Kongreß mit der Fortschrittspartei abzufinden.
Die zwölf Delegierten, welche in der Maschinenbauer-Versammlung am
24. September gewählt worden waren, hatten sich. auf dem Kongresse
—168
eingefunden und suchten diesen schon bei seiner Konstituierung zu sprengen.
Der Versuch endete mit der Entfernung der Fortschrittsmänner vom
Kongreß. Nachdem dann die Geschäftsordnung geregelt und beschlossen
worden war, nur Delegierten das Wort zu gestatten, wurde die General⸗
diskussion über Ziele und Zwecke des Kongresses im allgemeinen eröffnet.
Als Referent führte Fritzsche aus: „Der Nutzen eines Gewerkschafts⸗
verbandes sei unverkennbar, dies hätten hauptsächlich die englischen
Arbeiter gezeigt; denn sie seien es gewesen, die durch ihre Organisation
— V der Fall
sei, bewahrt hätten. Sie hätten gestreikt und dadurch ihre Lohn—
verhältnisse in etwas gesichert und hauptsächlich den Arbeitern die
Erkenntnis ihrer schlechten Lage beigebracht; wo aber Erkenntnis sei, da
sei auch das Klassenbewußtsein. Außerdem aber hätten die Gewerks—
genossenschaften, wenn auch nur mittelbar, einen materiellen Vorteil
insofern, als die Furcht vor den Arbeitseinstellungen bei den Kapitalisten
immer größer gewesen sei, ehe sie begonnen, als hernach, wenn die Ein—
stellung erfolgt wäre. Die Einberufer des Kongresses hätten nicht die
Absicht, in unüberlegter Weise die Arbeiter zu Arbeitseinstellungen auf⸗
zuhetzen, sondern durch die großen Verbände die Kapitalisten, die die
Arbeitskraft ausbeuten wollten, zu zwingen, den gerechten Forderungen
der Arbeiter in etwas nachzugeben. Damit seien sämtliche Vorwürfe
der Fortschrittspartei widerlegt. Wie könne man überhaupt solchen Unsinn
sagen, daß durch die Arbeitseinstellungen das Kapital aus Deutschland
hinausflüchte. Kapital seien die Maschinen, Gebäude, Grund und
Boden usw., wer wollte das in die Tasche stecken und damit ins Ausland
gehen? Wenn dann der Führer der Gegner, Schulze-Delitzsch, in der
neulichen Versammlung der Maschinenbauarbeiter von „unnützen Buben“,
„Tollheiten“ usw. gesprochen, so habe er hierdurch wie durch andre
Behauptungen hinlänglich gezeigt, daß er nicht zurechnungsfähig gewesen
sei. Als die Zigarrenarbeiter ihren Verband hätten gründen wollen,
hätte man Herrn Schulze zur Begutachtung das Statut vorgelegt; der
habe es vier Wochen in Händen gehabt und nur einzelne Ausstellungen
gemacht, dann habe man ihn, nachdem er sich in einer Versammlung für
das Statut ausgesprochen, heimlich nach seiner richtigen Meinung gefragt
und da habe Herr Schulze geantwortet, „die Sache ist vortrefflich, aber
die Apostel gefallen mir nicht“. Damit könnte niemand anders als er
Fritzsche) gemeint gewesen sein. Dies sei im Jahre 1866 vor Ausbruch
des Krieges gewesen. Trotzdem also Schulze die Gründung von Gewerk—⸗
schaften für gut gehalten, er (Fritzsche) ihm nicht gefallen habe, habe
Schulze seither nicht einen Finger gerührt, um solche Vereine zu gründen.
169
Als die Berliner Zigarrenarbeiter zu ihm gekommen seien, um Rat zu
holen, habe er bloß gefragt: „Haben Sie gespart, meine Herren? Nur
dann kann ich eintreten.“ Das habe ein Mann gesagt, der für das
Wohl der Arbeiter einzutreten verpflichtet sei. Wären die Lassalleaner
nicht gewesen, so wären jene Zigarrenarbeiter zugrunde gegangen; die
Lassalleaner hätten ihren Bedarf an Zigarren von den Arbeitern ent—
nommen, die Fortschrittsleute Berlins nicht ein einziges Mal, und doch
predigten sie die Selbsthilfe in den glänzendsten Reden, aber leider nur
so lange, als von der Selbsthilfe kein Erfolg zu erwarten sei. (Bravo!)
Auf die Sache selbst glaube er nicht weiter eingehen zu brauchen, da
selbst die Gegner und selbst Schulze die Nützlichkeit der Gewerkschaften
anerkannt hätten.“ (Bravo!)
Die weitere Diskussion hielt sich in den angefahrenen Geleisen.
Vor allem war die Abrechnung mit der Fortschrittspartei eine gründliche.
Gegenüber den Aeußerungen Dunckers, daß der Kongreß nur eine
Versammlung von Delegierten der Lassalleaner sei, konstatierte Pfannkuch
aus Kassel, nicht alle Anwesenden seien Lassalleaner, der Geist Lassalles
habe jedoch die Arbeiter mächtig erfaßt. Ein Breslauer Delegierter
führte unter allgemeiner Heiterkeit aus, er sei ein echter Schulzeaner
gewesen und habe, weil er durch seinen Prinzipal zum Sparen auf—
gefordert sei, gespart. Im Jahre 1866, wo alle Welt gedarbt habe,
seien aber die Ersparnisse verzehrt worden. Wie nun das verzehrt ge—
wesen, was ihm Schulze geboten habe, da sei er Lassalleaner geworden.
Es sei der Fluch Schulzes, meinte ein andrer Delegierter, daß er das
Elend der Arbeiter in meisterhafter Weise zu verkitten gewußt habe.
Wenn er überhaupt so fortfahre, wie er in seiner Rede in der letzten
Versammlung der Maschinenbauer angefangen, dann werde er den Leuten
bald selbst die Augen öffnen, um zu sehen, wo der Hase im Pfeffer
liege. Prast aus Hamburg führte daraufhin aus: „Für mich ist Schulze
ein toter Mann; ich bitte Sie, sich nicht mehr mit ihm zu beschäftigen.“
Allerdings, meinte ein andrer Delegierter, wolle man Selbsthilfe, aber
keine nach Schulzeschem Muster zugeschnitten. Inzwischen wurde auch
mitgeteilt, daß ein Abgesandter der Fortschrittspartei auf der Schneider—
herberge Leute zu werben versucht habe, die möglichst anständig gekleidet
sich nach dem Kongreß begeben und hier durch Trampeln und Rufen
Lärm machen sollten, bis die Polizei den Kongreß auflöse. Auch bei
den Zimmerleuten hatte einer der von dem Kongreß entfernten Fort—
schrittsmänner das Programm des Kongresses besprechen wollen. Diese
Manipulationen verfehlten nicht nur ihren Zweck, sondern sie steigerten
die Abneigung gegen die Fortschrittspartei ganz enorm. Kapitalisten
170
und Aristokraten seien keine Freunde der Arbeiter, führte ein Delegierter
aus, ihnen müßte man entgegentreten. Die Wichtigkeit des Kongresses,
meinte ein andrer, könne man ermessen an der Wut, mit welcher die
Gegner über ihn herfallen. Die Fortschrittspartei greife die Einberufer
des Kongresses an, weil sie fürchte, ihr würde das Heft aus der Hand
genommen. Der Grund, weshalb sie gegen den Kongreß wüte, sei der
Umstand, daß sie selbst die Trade-Unions in Deutschland in die Hand
bekommen wollte. Demgegenüber führte ein andrer Delegierter aus:
Die Fortschrittspartei sei, wie immer, wenn es sich um einen ernstlichen
Kampf gehandelt, in das Lager der Reaktion übergegangen. Die An—
feindungen der Fortschrittspartei sei man längst gewohnt, man habe ihre
Palliativmittel längst durchschaut. Die Fortschrittspartei zeige durch ihre
Rufe: „Wie kommen die Lasselleaner dazu, Vereine zu organisierter Selbst⸗
hilfe zu gründen?“ deutlich, daß sie sich über die entrissene Führerschaft
in dieser Sache ärgere. Es sei eine Frechheit der „Volkszeitung“, wurde
ausgeführt, den Arbeitern Lügen ins Gesicht zu schleudern; das Ver—
hältnis der englischen Trade-Unions sei ein andres, als die „Volks—
zeitung“ berichte. Ein Maschinenbauer aus Erfurt sagte: Er verachte
die Verdächtigungen der „Volkszeitung“ und beklage das Verhalten
seiner Gewerkskollegen von heute morgen. Ein andrer Maschinenbauer
verwahrte die Maschinenbauer Deutschlands gegen das Verhalten der
sogenannten Vertreter der Berliner Maschinenbauer im Anfange der
Sitzung. Von den Arbeitern sei bisher nichts Außerordentliches zu
erwarten gewesen, wurde weiter ausgeführt, weil sie sich im Schlepptau
befanden und daher nicht zum Selbstbewußtsein gekommen wären. Heute
erst werde man sehen, welcher Geist unter den Arbeitern herrsche.
Man müsse sich hüten und nicht wieder in das Lager der Fortschritts⸗
partei gehen.
Auch die soziale Lage der Arbeiter wurde geschildert. Wie unbe—
friedigend die Verhältnisse der Schneider waren, zeigte ein Redner bei
Schilderung eines Schneiderstreiks in Memel. Auch die Lage der Weber
und Wirker im Kreise Mettmann wurde als eine traurige bezeichnet,
und trotz vielfacher Versuche sei es noch nicht gelungen, sie zu verbessern.
Hirsch aus Erfurt berichtete, daß er auf einer Agitationsreise Arbeiter getroffen
habe, deren höchster Lohnsatz sechs bis acht Silbergroschen täglich betrage.
Die Weber, in Erfurt verdienten in zehn Tagen höchstens zwei Taler,
wobei die Frau und Kinder noch Spulen machen müßten. Ein Delegierter
aus Essen berichtete über eine siegreiche Arbeitseinstellung der dortigen
Bergleute, über, welche die liberalen Blätter gefälschte Berichte gebracht
hätten. Ein Grubenarbeiterverein war bereits gebildet. Aus Augsburg
— 171 —
wurde berichtet, 18000 Fabrikarbeiter der Baumwollenindustrie befänden
— nicht zu ändern wagten, weil sie
befürchteten, am andern Tage sofort entlassen zu werden. Als einmal
eine Bitte um Lohnerhöhung laut geworden, seien die Betreffenden als
Empörer in polizeilichen Gewahrsam genommen worden. Ein andrer
Redner führte aus, es sei richtig, daß die Maschinen Fortschritt in die
Industrie gebracht, aber die Versprechungen der Kapitalisten, die Maschinen
vpürden den Arbeitern das Leben leicht machen, würden Lügen gestraft
durch die bleichen Gesichter und schlotternden Kniee der Arbeiter. Ein
Delegierter aus Braunschweig hatte den Auftrag, für die Braunschweiger
Kleinmeister, Tischler und ihre Interessen einzutreten. Ein Redner aus
Kassel führte aus, durch die Freizügigkeit sei der unbemittelte Handwerks⸗
meister und Geselle ruiniert; denn er sei nicht imstande, mit dem
Kapital zu konkurrieren. Eine Vereinigung durch ganz Deutschland sei
nötig, um der Roheit des Kapitals entgegenzutreten.
Alle diese Schäden sollten durch die zu schaffende Organisation
beseitigt werden. Laut forderte man daher auch das Koalitionsrecht, das
man den Arbeitgebern nicht vorenthalten hatte. Ein Delegierter aus
Krefeld berichtete, daß dort ein behördlich genehmigter Fabrikantenverein
bestehe, der sich „Sicherheitsverein der Fabrikanten gegen Seidendieb—
stähle“ nenne, dessen Nebenstatut aber auch bestimme, daß alle Seiden—
fabrikanten an die dem Verein nicht beigetretenen kleinen Handwerker
ihre Ware nicht verkaufen dürfen, widrigenfalls die großen Fabrikanten
die Verbindungen mit ihnen abbrechen.
Es wurde aber auch berichtet, daß sich allenthalben eine mächtige
Bewegung unter den Arbeitern bemerkbar mache, und ein Redner führte
aus: Nicht allein die Fortschrittspartei, sondern vieles andre habe dazu
beigetragen, daß die Arbeiter noch nicht so weit gekommen seien, wie sie
müßten; er hoffe, daß der Kongreß in dieser Beziehung zum Segen für
ganz Deutschland werde und bei den Arbeitern Kenntnis und Sinn für
die eignen Interessen wecke.
Die englischen Trade-Unions wurden immerfort als Muster⸗
organisationen hervorgehoben, weil sie schon Monate lange Streiks geführt
hätten. Man müsse sich in allen Gewerken organisieren, so wurde bald
von jedem Redner ausgeführt, wie es die Buchdrucker, Schneider, Zigarren—
arbeiter und Bäcker bereits getan hätten. Wenn man sich nicht eng und
innig vereinige, seien alle Worte umsonst; man müsse zusammenstehen
und zusammen arbeiten. Auch in Süddeutschland sei man von dem
Gedanken des Kongresses beseelt, führte der Delegierte von Offenbach
aus, daß nur durch Zusammenwirken eine Befreiung vom Kapital zu
172
erlangen sei. Die Generaldiskussion endete mit dem Beschluß, „daß sich
der Kongreß mit der Gründung von Gewerkschaften einverstanden erklärt“.
Die Einberufer des Kongresses schlugen vor, die Arbeiterschaft in
die nachstehend verzeichneten Gruppen zu organisieren:
1. Bergleute, Brunnenmacher.
Arbeiter aus Hütten- und Hammerwerken (mit Ausnahme der
Eisenhütten).
Eisenarbeiter: Arbeiter aus Eisenhütten, Puddel— und Walz-⸗
werken, Stahlfabriken, Eisengießereien, Maschinenbauer, Schlosser,
Schmiede, Feilenhauer, Nagelschmiede, Waffenschmiede, Büchsen⸗
macher, Gas- und Wasserrohrleger.
Arbeiter aus Glashütten, Glasschleifereien, Porzellan-, Fayence⸗
und Steingutbrennereien.
Arbeiter aus chemischen Fabriken (Farben-, Drogen-, Soda⸗,
Säure- und Düngerfabriken, Salinen, Gaswerken, Petroleum—⸗
und Paraffinfabriken, Lichtgießereien, Zuckerfabriken und Vapier⸗
jabriken).
Färber, Schön- und Seidenfärber, Zeug-, Kattun- und Garn⸗
drucker.
Drucker, Metall-, Kupfer-, Stein⸗-, Tapetendrucke.
Gerber, Weiß- und Lohgerber, Lederzurichter, Lohmüller.
Brauer und Brenner.
Weber, Raschmacher, Tuchmacher, Seidenwirker, Strumpfwirker,
Bandwirker, Tuchscherer, Manchesterschneider, Walkmüller, Appre⸗
teure, Kettenscherer, Garndrellierer, Haspeler, Spuler, Spinner,
Posamentierer, Knopfmacher, Riemendreher, Seiler, Haarspinner,
Reepschläger, Segelmacher.
L1. Bäcker, Pfefferküchler, Konditoren, Müller.
12. Schlächter (Metzger).
18. Zigarrenarbeiter, Tabakspinner.
14. Buchdrucker, Schriftsetzer, Schriftgießer.
15. Buchbinder, Etui-, Portefeuille-, Steinpapparbeiter, Spielkarten⸗
verfertiger.
16. Sattler, Riemer, Täschner, Tapezierer, Dekorateure, Lederarbeiter,
Handschuhmacher.
17. Schuhmacher, Pantoffelmacher.
18. Sehneider, Hutmacher, Kürschner, Hasenhaarschneider.
19. Gold- und Silberarbeiter, Vergolder, Goldschläger, Goldplätter,
Goldsticker, Goldgraveure, Silberpresser, Silberdrucker, Plattierer,
Galvanoplastiker.
173
20. Gürtler, Bronzeure, Rot- und Gelbgießer, Zinn-, Glocken⸗ und
Zinkgießer, Kupferschmiede, Blechschmiede, Klempner (Spengler).
Mechaniker, Optiker, Instrumentenmacher aller Art, Kupferstecher,
Modelleure, Ziseleure, Uhrmacher, Nadler, Drahtweber, Sieb—
macher, Stahlfedernarbeiter.
Maler aller Art, Zeichner, Photographen und Retuscheure, An⸗
streicher, Lackierer, Wagen- und Blechlackierer, Stubenbohner.
Böttcher, Faßbinder, Stellmacher, Wagner.
Tischler (Schreiner), Möbelpolierer, Stuhlmacher, Kamm⸗- und
Bürstenmacher, Fournier- und Leistenschneider, Holzbildhauer,
Pianofortemacher, Kork- und Elfenbeinschneider, Glaser.
Zimmerleute, Brettschneider, Schiffbauer, Mühlenbauer.
Maurer-, Dach- und Schieferdecker, Steinmetzen, Steinhauer,
Stukkateure, Bildhauer, Gips- und Kunstformer, Töpfer, Ziegel⸗
brenner.
27. Barbiere, Friseure.
28. Tagelöhner, Steinträger, Sackträger, Hafenarbeiter, Dienstmänner.
29. Erdarbeiter, Steinsetzer, Pflasterer, Eisenbahn— und Chaussee⸗
arbeiter, Holzschläger, Köhler, Teerschwäler.
30. Matrosen, Ewerführer, Kahnschiffer.
31. Kellner, Köche, Lohnkutscher, Lohndiener, Haus-, Schul- und
Kontordiener.
32. Städtische Dienstboten.
33. Ländliche Arbeiter, ländliche Dienstboten.
Noch unterzubringen waren: Schornsteinfeger, Feuermänner, Gärtner,
Droschkenkutscher.
So schematisch ließ sich die Sache nun freilich nicht einrichten. Die
Einberufer bestanden auch nicht allzu sehr auf ihrem Vorschlag, der Kongreß
verlief in voller Harmonie und führte nach viertägigen Verhandlungen
zur Gründung von neun neuen „Arbeiterschaften“. Für diese Bezeichnung
hatte man sich entschieden, weil die Mehrheit der Delegierten befürchtete,
die Bezeichnung „Gewerkschaft“ könne bei vielen Arbeitern Erinnerungen
an zünftlerische Bestrebungen erwecken. Zu mehreren andern Arbeiter⸗
schaften wurde auf dem Kongreß der Grundstein gelegt. Die nachstehend
verzeichneten traten zu einem Arbeiterschaftsverbande zusammen.
1. Allgemeine deutsche Genossenschaft der Berg— und Hüttenarbeiter.
2. Allgemeine deutsche vereinigte Metallarbeiterschaft.
3. Allgemeine deutsche Genossenschaft der Hand- und Fabrikarbeiter.
4. Allgemeine deutsche Arbeiterschaft für Färber, Weber, Manufaktur—
arbeiter usw.
21.
174
5. Allgemeiner deutscher Schuhmacherverein.
6. Allgemeiner deutscher Bäckerverein.
7. Allgemeine deutsche Arbeiterschaft der Buchbinder, Lederarbeiter usw.
8. Allgemeiner deutscher Schneiderverein.
9. Arbeiterschaft der deutschen Holzarbeiter.
10. Allgemeine deutsche Maurerarbeiterschaft.
Der allgemeine deutsche Schneiderverein hatte sich schon vor dem
Kongresse gebildet, er trat dem Verbande provisorisch— bei, unter dem
Vorbehalte, daß seine Generalversammlung zustimmen würde. Die
Delegierten der bereits bestehenden Gewerkschaften der Zigarrenarbeiter
und Zimmerleute erklärten, ihren Generalversammlungen dringend den
Anschluß an den Verband empfehlen zu wollen. Hingegen lehnte der
Vertreter des Buchdruckerverbandes den Anschluß ab, weil er nur für eine
föderalistische, nicht aber für eine zentralistische Verbindung zu stimmen
ermächtigt war.
Der Kongreß tat sich als erste Generalversammlung des Arbeiter—
schaftsverbandes auf und setzte das erste Präsidium ein, das aus v. Schweitzer,
Fritzsche und Klein aus Elberfeld bestand. Der Ausschuß sollte aus den
Präsidenten der verschiedenen Arbeiterschaften, die sich anschlossen, bestehen.
Diese traten zusammen und beschlossen, daß diejenigen Arbeiterschaften,
deren Präsidenten nicht in Berlin wären, bis zum 15. Oktober 1868 eine
Person in Berlin mit unbedingter Vollmacht betrauen und auf das
Widerspruchsrecht verzichten sollten. Als Verbandsorgan wurde der
„Sozialdemokrat“ bestimmt. Das beschlossene Musterstatut für die Arbeiter⸗
schaften drucken wir in den Anlagen ab.“ Es konnte von jeder Gewerkschaft
nach Belieben verändert oder auch ganz umgestaltet werden. Verpflichtet
wurden die Gewerkschaften nur auf das Statut des Arbeiterschaftsverbandes,
das wir ebenfalls in den Anlagen abdrucken.**
Die Zersplitterung der deutschen Gewerkschaftsbewegung.
Die Beschlüsse des allgemeinen deutschen Arbeiterkongresses waren
vorerst ein Provisorium. Aus trifligen Gründen war beschlossen worden,
daß alle in den Verbandssatzungen vorgesehenen Einrichtungen und Be⸗
stimmungen erst dann ins Leben treten sollten, wenn wenigstens im
Norddeutschen Bunde das Koalitionsrecht gesetzlich gesichert worden wäre.
Inzwischen sollte die Aufgabe erfüllt werden, die neugeschaffene Organi—
sation auszubreiten, innerlich zu ordnen und zu befestigen. Der „Sozial⸗
demokrat“ gab der Hoffnung Raum, der Arbeiterschaftsverband werde
* Seite 335.
x* Seite 339.
175
seine Bestimmung, die ganze deutsche Arbeiterschaft in sich zu ver—
einigen, sicher erreichen. Es wurde angenommen, bis zum 1. Januar
1869 würde die Organisation der einzelnen Arbeiterschaften, als auch
die Organisation des Verbandes selbst, vollständig in Ordnung sein. Bis
dahin gelte es, die Arbeiterkreise über Zweck und Wesen dieses neuen
Werkes aufzuklären und zahlreiche Mitglieder zu werben. Eine dahin
zielende Agitation wurde auch eingeleitet und mit großer Energie be⸗
rieben. Der „Sozialdemokrat“ brachte sechs Artikel „Zur Verständigung
über das Werk des Arbeiterkongresses“, die sich gegen „eine Reihe von
Mißverständnissen“ richteten und die praktische Anleitungen enthielten,
wie das neue Werk eingerichtet und gefördert werden solle. Außerdem
war die mündliche Agitation allenthalben im Gange.
Allein, die gestellte Aufgabe war nicht leicht und das gesteckte Ziel
war nicht so rasch zu erreichen als vermutet wurde. Hinter den Be—
schlüssen des Kongresses standen, wie auch die in den Anlagen abgedruckte
Präsenzliste erkennen läßt, gewiß nicht einmal so viele Tausend Arbeiter
als Zehntausende angegeben waren. Wohl läßt sich behaupten, daß die
Blicke aller fortgeschrittenen Arbeiter auf den Kongreß und seine Beschlüsse
gerichtet waren; es wird in der Arbeiterklasse damals keine bewußten
Gegner des neu beschlossenen Werkes gegeben haben. Auch jene Be—
hauptungen, wonach die beschlossene Organisation als solche den Keim des
Verfalls in sich getragen habe, treffen nur bedingt zu. Eduard Bernstein
schreibt zwar in der „Neuen Zeit“ Nr. 1 von 1896/97: „Liest man den
Schweitzerschen Entwurf, so erstaunt man über die große Aehnlichkeit dieses
Projekts mit der großen, von Owen geführten Nationalen Konsolidierten
Trade-Union von 18383,34 (in England). Und wie die Verfassung,
so die Geschichte. Hier wie dort dasselbe pilzartige Aufschießen der
Organisationen, hier wie dort dasselbe Streikfieber und hier wie dort der⸗
selbe schnelle Zusammenbruch.“ Da in England die von Owen geführte
Organisation als die unmittelbare Bahnbrecherin der heutigen englischen
Gewerkschaften aufgefaßt werden muß, läßt sich nur folgern, daß auch
v. Schweitzer mit seinen Arbeiterschaften und seinem Arbeiterschaftsverbande
auf dem richtigen Wege sich befand. Wenn die Entwicklung des Arbeiter⸗
schaftsverbandes nicht wie in England zu selbständigen Berufsorganisationen,
sondern in einen sogenannten „Gewerkschaftsbrei“ führte, so zeigt das nur,
daß die Verhältnisse in Deutschland anders lagen als in England.
Zunächst war die deutsche — — sie hatte
noch nicht das nötige Vertrauen zu ihrer eignen Kraft, so daß sie sich
zersplittern ließ, noch bevor die beschlossenen Einrichtungen in Wirksamkeit
reten konnten. An die Stelle der beabsichtigten Konzentration aller Kräfte
176
der Arbeiterklasse zum gewerkschaftlichen Kampfe trat vorerst der Bruder—
krieg in der Arbeiterklasse. Er gab für die nächste Zeit der Gewerkschafts—
bewegung das Gepräge und beeinflußte die Entwicklung jeder einzelnen
Gewerkschaft. Für die deutsche Zimmererbewegung war das Schicksal
des Arbeiterschaftsverbandes von maßgebender Bedeutung.
Die hirsch· Duneckersche Gewerkvereinsgründerei.
Zunächst versuchte die Fortschrittspartei, einen Teil der Arbeiter für
sich zu retten. Wie sie dabei verfuhr, zeigt nachstehendes Zirkular, das
sie in jener Zeit versandte:
Berlin, den 19. Oktober 1868.
Hochgeehrter Herr!
Wie Sie durch die Zeitungen unterrichtet sein werden, haben sich infolge
der seit einiger Zeit eingetretenen Arbeiterbewegungen Männer aus allen Ständen
mit der Absicht vereinigt, die Lage der arbeitenden Klassen durch Gründung von
Gewerkvereinen, welche ganz Deutschland umfassen sollen, zu verbessern. Sie haben
es vorerst unternommen, durch ein aufzustellendes Musterstatut eine gesunde
Grundlage zu schaffen. Die Statutenberatungen haben seit einer Woche unter
Hinzuziehung von Vertretern aller Berliner Gewerke begonnen und haben uns
die Verhandlungen, besonders aber die Art und Weise, wie sich die einzelnen
Vertreter der Gewerke zu dieser ihrer eignen Sache stellen, den deutlichsten
Beweis geliefert, daß es möglich sein wird, diese so außerordentlich wichtige
Angelegenheit im Gegensatz zu den extrem sozialistischen Versuchen auf eine für
alle Teile befriedigende Bahn zu lenken. Von dieser Seite sieht man also der
Gründung der deutschen Gewerkvereine mit großer Sehnsucht entgegen. Da nun
aber die von den Vertretern der Gewerke zur Gründung solcher Vereine gewählte
Kommission von den schon schwer belasteten arbeitenden Klassen Geldleistungen
nicht erheben kann, ehe nicht die Gewerkvereine ins Leben getreten sind, und da
es gegenüber den gegnerischen Bestrebungen von der größten Wichtigkeit ist, diese
Vereine so schnell wie möglich ins Werk zu setzen, so erlaubt sich die ergebenst
unterzeichnete Kommission, an Sie, geehrter Herr, die Bitte zu richten, uns durch
einen Geldbeitrag in die Lage zu setzen, daß wir im Interesse der guten Sache
die uns gestellte Aufgabe, die mit nicht unbedeutenden Kosten verbunden ist,
lösen können. Indem wir uns zu bemerken erlauben, daß der Schriftführer unsrer
Kommission, Herr Daut, Grüner Weg 10, beauftragt ist, und die unterzeichneten
Mitglieder der Kommission bereit sind, Geldbeiträge in Empfang zu nehmen,
zeichnen wir Hochachtungsvoll und ergebenst
Die Kommission zur Beratung von Musterstatuten für deutsche Gewerkvereine.
Franz Duncker, Vorsitzender, Potsdamerstr. 20.
E. Blum, Rendant, Zimmerstr. 88.
Die Kommission zur Beratung von „Musterstatuten für deutsche
Gewerkvereine“ wandte sich also nicht in erster Linie an Arbeiter, sondern
an Kapitalisten! Ueber ihre weiteren Schritte berichtet Max Hirsch:
„In einer großen Arbeiterversammlung am 28. September 1868 wurden
— 177
die Hirschschen Grundzüge für die Organisation von Gewerkvereinen an—
genommen und eine Kommission, bestehend aus 70 Vertretern fast aller
Berliner Gewerke, zur Beratung eines Musterstatuts gewählt. Am
1. November 1868 wurde das Musterstatut mit Aufruf veröffentlicht, und
binnen wenigen Monaten gründeten sich in durchaus spontaner Weise
Hunderte von Ortsvereinen der verschiedenen Berufe in der Hauptstadt
wie in den verschiedenen Gegenden Deutschlands. Aus diesen örtlichen
Vereinen entstanden nach und nach, zum Teil erst nach Jahren, durch
Zusammenschluß auf Delegiertentagen nationale Berufsgewerkvereine und
aus diesen endlich seit Pfingsten 1869 der Verband der deutschen Gewerk—
vereine.“
Hätte Hirsch die Bescheidenheit besessen, seiner Darstellung auch die
entsprechenden Daten einzufügen, dann würde dieselbe weniger erfreulich
klingen. Auf die Kollisionen dieses Sonderbundes mit der modernen
deutschen Zimmererbewegung werden wir im zweiten Bande zurückkommen
und wollen vorläufig nur bemerken, daß, wie auch Mehring berichtet,
der rosig geschilderten Gewerkvereinsgründerei der endgültige Bankrott
auf dem Fuße folgte. Um der sozialdemokratischen Agitation ein Paroli
zu bieten, hatte sich Max Hirsch mit seiner Agitation im Waldenburger
Bezirk anzusiedeln versucht, aber die geschundenen Bergarbeiter nahmen
sein frivoles Spiel für bitteren Ernst und legten im Jahre 1869,
6500 Köpfe stark, die Arbeit nieder. Der Streik endete mit einer voll—⸗
ständigen und, soweit es sich um Max Hirsch und seine fortschrittlichen
Helfershelfer handelte, überaus schimpflichen Niederlage. Die schlesischen
Bergarbeiter mußten ihren Irrtum teuer bezahlen, ähnlich wie die Forster
Fabrikarbeiter, die bald danach mit Marx Hirsch ähnliche traurige
Erfahrungen machten. Immerhin trug dieser Sonderbund vorerst dazu
bei, eine rasche Entwicklung der deutschen Gewerkschaftsbewegung zu
hemmen; er hat Jahre hindurch wie ein Knüppel gewirkt, der dem Rade
der Entwicklung in die Speichen geworfen war.
ILIXVV
Vor dem Allgemeinen deutschen Arbeiterkongreß hatte sich v. Schweitzer
an Karl Marx gewandt, um, wie es nach der Antwort von Marrx, die
allein vorliegt“, scheint, durch Marx' Vermittlung sich die Unterstützung
des sozialistischen Flügels des Verbandes deutscher Arbeitervereine zu
verschaffen und Marx' Urteil über die Statuten des zu gründenden
Arbeiterschaftsverbandes einzuholen. Marx versprach als Sekretär der
* Seite 298.
Bringmann, Geschichte der Zimmerer.
178
Internationale, den Vermittler zwischen v. Schweitzer und der Nürnberger
Majorität zu spielen. Marrx' Vermittlung und Urteil über die Statuten
des Arbeiterschaftsverbandes kamen indes einige Posttage zu spät. Der
fünfte Vereinstag deutscher Arbeitervereine hatte bereits vom 5. bis
7. September 1868 in Nürnberg getagt, der Allgemeine deutsche Arbeiter⸗
kongreß in der letzten Septemberwoche und Marx' Brief ist datiert:
London, den 13. Oktober 1868. Nachdem auf dem erwähnten Vereins⸗
tage deutscher Arbeitervereine die Ausscheidung der bürgerlichen Elemente
vollzogen war, hatte er u. a. auch beschlossen, dem Vorort aufzugeben, für
Vereinigung der Arbeiter in zentralisierte Gewerksgenossenschaften tatkräftig
zu wirken. Auf Grund dieses Beschlusses versuchten nun Liebknecht und
Bebel, den in Berlin beschlossenen Arbeiterschaften Gewerkschaftsorgani⸗
sationen ihrer Richtung entgegenzustellen.
Bald nach dem Schlusse des Allgemeinen Arbeiterkongresses und der
Hirsch-Dunckerschen Gewerkvereinsgründerei veröffentlichte August Bebel
als Vorsitzender des Verbandes deutscher Arbeitervereine ein Musterstatut
für „Internationale Gewerksgenossenschaften“, das wir in der Form, wie
es für die Internationale Gewerksgenossenschaft der Maurer und Zimmerer
gegolten hat, im zweiten Bande abdrucken werden. Am 26. November 1868
fand unter dem Vorsitze von Bebel eine Versammlung von Delegierten
Leipziger Gewerke statt. In dieser wurde folgende, vermutlich von
Karl Marrx angeregte und durch Liebknecht beantragte Resolution ein—
stimmig angenommen:
„Die Versammlung beschließt: Die von der Majorität des Nürn—
berger Arbeitertages und der Majorität des Berliner Arbeiterkongresses
gegründeten resp. zu gründenden Gewerksgenossenschaften haben darauf
hinzuwirken:
1. daß von beiden Seiten nach gegenseitiger Verabredung eine
gemeinschaftliche Generalversammlung zum Behufe der Einigung
und Verschmelzung berufen werde;
daß, bis eine Einigung und Verschmelzung zustande kommt, die
heiderseitigen Gewerksgenoössenschaften in ein Vertragsverhältnis
zueinander treten, sich namentlich mit ihren Kassen gegenseitig
unterstützen und womöglich einen gemeinsamen provisorischen
Ausschuß wählen;
daß beide Teile unter allen Umständen jede Gemeinschaft mit
den Hirsch-Dunckerschen Gewerksgenossenschaften zurückweisen,
die, von Feinden der Arbeiter gestiftet, keinen andern Zweck
haben, als die Organisation der Arbeiter zu hintertreiben und
die Arbeiter zu Werkzeugen der Bourgeoisie herabzuwürdigen.“
— 179
Dem Präsidium des Arbeiterschaftsverbandes wurde dieser Beschluß
nicht etwa brieflich mitgeteilt, sondern es erfuhr die Angelegenheit
eigentümlicherweise erst durch die „Zukunft“. Das Präsidium und
der Zentralausschuß des Arbeiterschaftsverbandes beschäftigten sich am
29. November in einer gemeinsamen Sitzung mit der Sache; es wurde
einstimmig beschlossen:
„Die Einigkeit der Arbeiter ist fur Begründung und Fortführung
der Gewerkschaften das erste Erfordernis. Demgemäß ist es tief zu
bedauern, daß die Herren Franz Duncker und Max Hirsch, statt auf dem
Kongresse ruhig und ordentlich ihre Ansichten zu verteidigen und dann
in Gemäßheit der demokratischen Grundsätze sich der Majorität zu fügen,
darauf ausgegangen sind, Uneinigkeit unter den Arbeitern durch Be—
gründung besonderer Gewerkschaften neben denen des Kongresses zu
stiften. Es ist nicht minder zu bedauern, daß, nachdem auf diese Weise
Uneinigkeit gestiftet worden, nunmehr die Herren Liebknecht und Bebel
die vorhandene Uneinigkeit wesentlich zu steigern bestrebt sind, indem sie
eine dritte Gruppe von Gewerkschaften zu gründen suchen. Die Ver—
sicherung, in ein Vertragsverhältnis treten oder auf eine gemeinsame
Generalversammlung zur Einigung hinwirken zu wollen, ist ohne Gewicht,
indem man es sich sparen kann, die Einigkeit wieder herzustellen, wenn
man dieselbe nicht vorher zerstört hat. Wenn die genannten Herren die
Einigkeit nicht stören wollen, so ist es ihre Pflicht, in den Verband ein⸗
zutreten, innerhalb desselben auf statutenmäßigem Wege für die ihnen
gut scheinenden Aenderungen zu wirken und unter allen Umständen sich
der Majorität zu fügen. Es muß daher erwartet werden, daß sie die
beabsichtigte Gründung einer dritten Gruppe von Gewerkschaften unter—
lassen. Im entgegengesetzten Falle ist klar, daß die genannten Herren
sich nur persönlich zur Geltung bringen wollen. Zu dieser Annahme ist
man um so mehr berechtigt, als das von den genannten Herren aus—
gearbeitete Musterstatut nicht so viel demokratische Bürgschaften bietet
wie das vom Kongreß entworfene Statut. Demgemäß ergeht an die
deutschen Arbeiter die Aufforderung, einem neuen offenbaren Versuch, sie
zugunsten der persönlichen Zwecke einzelner zu zersplittern, mit allem
Nachdruck entgegenzuarbeiten.“
Wie sich die Agitation für die Gewerkschaftsbewegung nun gestaltete,
davon legen die aus jener Zeit erhaltenen Versammlungsberichte beredtes
Zeugnis ab. Die Leipziger Zimmerleute gehörten offenbar nicht zu jenen
Gewerken, welche die Liebknechtsche Resolution „einstimmig“ angenommen
hatten. Sie konstituierten sich vielmehr auf Grund der Beschlüsse des
Berliner Arbeiterkongresses und sie hatten das erfreuliche Resultat zu
19*
180
verzeichnen, daß sich alle Zweige, in welche sich das alte Gewerk aufgelöst
hatte, in dem neuen Verein wiederum vereinigten; diesem traten die
Mitglieder der Zimmererkrankenkasse und des Begräbnisvereins sowie des
Fahnenvereins bei. Die konstituierende Versammlung fand am 19. November
7868 in den Räumen des „Wiener Saal“ statt. Man sprach sich dahin
aus, daß man mit dem Vorgehen der Herren Bebel und Liebknecht
keineswegs einverstanden sei.
Dazu waren Bebel und Liebknecht nicht still. Am 24. Januar 1869
fand in Leipzig wiederum eine Zimmererversammlung statt, in der auch
der Präsident des Allgemeinen deutschen Zimmerervereins, Gustav Lübkert,
zugegen war. Von über 300 Personen war die Versammlung besucht,
darunter befanden sich auch Bebel und Liebknecht. Lübkert berichtet:
„Nachdem ich kurz über die Lage der Arbeiterklasse gesprochen, unterzog
ich die Programme und Ansichten der in Beziehung auf die Arbeiter—
bewegung hauptsächlich in Betracht kommenden drei Parteien, der Fort—
schrittspartei, der Volkspartei und unsrer Partei, einer eingehenden Kritik
und legte der Versammlung —DV deutschen
Arbeiterverein und unserm Arbeiterschaftsverbande anzuschließen, was mit
großem Beifall seitens der Versammlung aufgenommen ward. Hierauf
ergriff Herr Bebel das Wort und wandte sich bei seinen Ausführungen
hauptsächlich in persönlichen Angriffen gegen unsern Präsidenten
Dr. v. Schweitzer; er hatte damit aber durchaus kein Glück, indem
dadurch die Versammlung nicht nur in stürmische Unruhe geriet, sondern
den Redner durchaus nicht weiter sprechen lassen wollte. Nur dem Zu—
reden des Vorsitzenden und einiger andrer Redner, worunter auch ich
mich befand, gelang es, dem Herrn Bebel das Weitersprechen zu
ermöglichen. Doch wiederholte sich bei den nun vom Redner fort—
gesetzten Angriffen mehrmals der Sturm des Unwillens, und es wurde
der Beschluß gefaßt, jeden Redner nur zehn Minuten sprechen zu lassen.
Herr Bebel sprach dann noch zehn Minuten mit dem gleichen Miß⸗
erfolg. . . . . Im weiteren Verlaufe sprach noch Herr Liebknecht in der—
selben Weise und mit demselben Mißerfolg wie Herr Bebel.“
Ueber dieselbe Versammlung erschien auch in dem Organ der
deutschen Arbeitervereine, in dem „Demokratischen Wochenblatt“, das von
Liebknecht und Bebel geleitet wurde, ein Bericht, der eine Art Antwort
auf den Bericht von Lübkert im „Sozialdemokrat“ bildet. Darin heißt
es: „Herr Lübkert spricht von dem Mißerfolg der Herren Bebel und
Liebknecht. Nur hübsch gelogen! Einen Mißerfolg hatte beiläufig nur
Herr Lübkert, da die Versammlung ganz resultatlos verlief.“ Im übrigen
werden in diesem Berichte auch die Vorwürfe angedeutet, die von Bebel
181
und Liebknecht gegen v. Schweitzer erhoben worden sind. Liebknecht
behauptete, daß v. Schweitzer jeden Einigungsversuch systematisch ver—
eitelt habe. „Ueber die Motive Schweitzers wolle er nicht reden; jeden—
falls habe derselbe durch sein Verhalten in der Militärfrage bewiesen,
daß er kein Demokrat sei, und folglich könne er auch kein Sozialdemokrat
sein.“ Liebknecht führte ferner aus, „wie die Taktik Schweitzers, auf
sozialem Gebiet möglichst tapfer und auf politischem Gebiet möglichst
zahm vorzugehen, einzig und allein der preußischen Regierung zum Vor⸗
teil gereichen könne“.*
Der „Mißerfolg“ Lübkerts rächte sich aber wiederum an Bebel.
Das „Demokratische Wochenblatt“ kam in die Lage, am 83. Juni 1869
„über eine Skandalversammlung sondergleichen berichten zu müssen“. Die
Anhänger Bebels hatten in Leipzig eine Versammlung veranstaltet, in
der er referieren sollte. Diese Versammlung war von 500 bis 600 Personen
*Wie unbegründet die Angriffe Bebels und Liebknechts auf v. Schweitzer
gewesen sind, weist Franz Mehring in seiner Geschichte der Sozialdemokratie in
Deutschland nach und wir können hier nur auf Mehrings Werk verweisen. Allein
zum besseren Verständnis der hier in Betracht kommenden Kämpfe muß doch
bemerkt werden, daß v. Schweitzer sich von vornherein auf den Boden des Nord⸗
deutschen Bundes gestellt hatte, der von Bebel und Liebknecht grimmig bekämpft
wurde; das war die wesentlichste Ursache aller Differenzen zwischen v. Schweitzer
einerseits und Liebknecht und Bebel andrerseits. v. Schweitzer hat zu dem Nord—
deutschen Bunde dieselbe Stellung eingenommen, wie sie die gesamte sozial⸗
demokratische Partei seit der Gründung des Deutschen Reiches zu diesem
eingenommen hat und heute noch einnimmt. In einer Polemik gegen die
„Norddeutsche Allgemeine Zeitung“ schreibt der Sozialdemokrat“ vom 5. Ja⸗
nuar 1868 sehr einleuchtend:
„Sollte irgendwer glauben, auf Grund des Bodens, welcher durch den
Norddeutschen Bund geschaffen ist, sei eine ernste und nachhaltige Opposition gar
nicht möglich? Sie ist ebenso möglich wie in Frankreich und in jedem noch so
absolutistischen Staate. Warum sollen sich denn nicht Männer finden können, die
der Ansicht sind, daß dem Auslande gegenüber in der Einheits- und Machtfrage
etwas geschehen ist (durch die Gründung des Norddeutschen Bundes), die zugleich
aber auch der Ansicht sind, daß Deutschland nicht dazu da ist, zugunsten spezifisch
preußischer Kabinettspolitik auf die Freiheit zu verzichten; daß vielmehr die
geschaffene Aussicht auf Einheit nur wirklichen Wert hat, wenn ein freiheitlicher
Zustand begründet wird. Und warum sollten sich nicht Männer finden, welche
diese Auffassung mit Ernst und Nachdruck zur Geltung brächten? Sie haben sich
gefunden und sie werden sich hoffentlich weiter finden.“
Im übrigen machen die dargestellten Auseinandersetzungen, Liebknechts
Resolution vom 26. November 1868, der Beschluß des Arbeiterschaftsverbands⸗
Ausschusses vom 29. November 1868 und die Antwort des „Demokratischen
Wochenblattes“ auf Lübkerts Bericht im „Sozialdemokrat“, den Eindruck, als
wäre es v. Schweitzer sowohl als Liebknecht und Bebel in erster Linie darauf
angekommen, vor Karl Marx Recht zu behalten, der sein in dem Briefe vom
Iz Oklober 1868 an v. Schweitzer gegebenes Wort, auf eine Einigung hinzuwirken,
wahr gemacht haben dürfte.
182
—
besucht, es waren aber „auch viele Zigarrenarbeiter, Schneider und
Zimmerleute von den Schweitzerschen Arbeiterschaften“ eingedrungen, die
bei der Bureauwahl die Leitung der Versammlung in die Hände der
Lassalleaner brachten. „Darauf nahm Herr Petzold, Schuhmacher, das
Wort, und begründete ...... in längerer Ausführung ...... eine Reso—
lution, wonach Herr Bebel laut Beschluß einer Arbeiterversammlung vom
19. März unwürdig sein sollte, in einer Versammlung wieder zu sprechen.“
Die Versammlung wurde nach einem größeren Tumult, bei welchem sich
die Arbeiter gegenseitig erhitzt hatten, resultatlos geschlossen.*
Glücklicher schnitt Bebel in einer stürmischen Versammlung am
17. Januar 1869 in Dresden ab, dort blieb er über die weibliche
Linie der Lassalleaner Sieger. Sonst standen die Arbeiter allerwärts
fest zum deutschen Arbeiterschaftsverbande.
Die ersten Resultate.
Anstatt, wie beabsichtigt worden war, die Zeit des Provisoriums zu
benutzen, die Gewerkschaftsbewegung zu kräftigen und zu befestigen, hatten
die bestellten Führer des Arbeiterschaftsverbandes gegen so manche Anstürme
zu kämpfen. Unter diesen schwierigen Verhältnissen fand in der Zeit vom
23. bis 26. Mai 1869 in Kassel die zweite Generalversammlung des
Arbeiterschaftsverbandes statt. Bis zu dieser Generalversammlung hatten
sich die nachstehend genannten Gewerkschaften definitiv gebildet und sich
dem Arbeiterschaftsverbande angeschlossen:
1. Allgemeine deutsche vereinigte Metallarbeiterschaft, mit dem Sitz
in Hannover. Präsident Louis Schulze.
Allgemeine deutsche Arbeiterschaft der Manufakturarbeiter, mit
dem Sitz in Barmen. Präsident Franz Dörmann.
Allgemeine deutsche Genossenschaft der Hand- und Fabrikarbeiter,
mit dem Sitz in Elberfeld. Präsident Karl Klein.
*Um den Wirrwarr einigermaßen zu veranschaulichen, der damals in der
deutschen Arbeiterbewegung bestand, sei es gestattet, hier Mitteilung über das
weitere Schicksal Petzolds zu machen. Bei der Reichstagswahl im Jahre 1871
wirkte er, obwohl er im Allgemeinen deutschen Arbeiterverein eine Vertrauens⸗
stelle einnahm, für die Eisenacher Parteirichtung. Auf der Generalversammlung
des Allgemeinen deutschen Arbeitervereins, die in der Zeit vom 19. bis 25. Mai
gleichen Jahres in Berlin stattfand, wurde Petzold verschiedener Intrigen und
Quertreibereien beschuldigt. Er verteidigte sich nun damit, „er habe für Bebels
Wahl gewirkt wegen seines Wahlprogramms“; dasselbe stehe nicht im Wider⸗
spruch mit dem Prinzip Lassalles und deshalb habe man auch für Bebel stimmen
können. Man hielt jedoch daran fest, Petzold habe durch sein Eintreten für die
Eisenacher „die Wahlbewegung in Sachsen ruiniert“. Er wurde aus dem All⸗
gemeinen deutschen Arbeiterverein ausgeschlossen.
183
Allgemeiner deutscher Zimmererverein, mit dem Sitz in Berlin.
Präsident Gustav Lübkert.
Allgemeiner deutscher Maurerverein, mit dem Sitz in Berlin.
Präsident Gustav Lübkert (Zimmerer).
Gewerkverein deutscher Holzarbeiter, mit dem Sitz in Harburg.
Präsident Theodor York.
Allgemeine Genossenschaft der Berg⸗, Hütten- und Salinen—
arbeiter, mit dem Sitz in Berlin. Präsident C. W. Tölcke.
Allgemeiner deutscher Schuhmacherverein, mit dem Sitz in Berlin.
Präsident Luis Schumann.
Allgemeiner deutscher Schneiderverein, mit dem Sitz in Köln.
Präsident Heinrich Schob.
Allgemeiner deutscher Bäckerverein, mit dem Sitz in Berlin.
Präsident A. Merkel.
Allgemeine deutsche Arbeiterschaft der Buchbinder, Lederarbeiter,
Sattler, Riemer und Handschuhmacher, mit dem Sitz in Berlin.
Präsident Hermann Peter.
Auf dem Kongreß schlossen sich noch an:
12. Der Allgemeine deutsche Zigarrenarbeiterverein.
13. Das deutsche Maler-, Lackierer- und Vergoldergewerk.
Im ganzen waren auf dem Kongreß 100 Delegierte anwesend, die
35 282 zahlende Verbandsmitglieder in 220 Orten vertraten. Viele Orte
hatten keinen Delegierten gesandt; es wurde behauptet, dem Verbande
gehörten um diese Zeit mehr als 60000 zahlende Mitglieder an. Die
Präsenzliste drucken wir in den Anlagen ab.“*
Das Präsidium des Verbandes verblieb in Berlin; auch wurden
die Präsidenten neu bestätigt; an Stelle des zweiten Vizepräsidenten
Klein, der nicht nach Berlin übersiedeln konnte, wurde der Zimmerer
Gustav Lübkert gewählt.
Der Kassenbericht lag dem Kongreß vor, indessen wurde er im
Bericht nicht veröffentlicht.
Die Rrise im Allgemeinen deutschen Arbeiterschastsverbande.
Nach der Generalversammlung in Kassel sollte das Provisorium
aufhören und der Arbeiterschaftsverband seine Wirksamkeit beginnen.
Das Präsidium setzte auch in seiner Sitzung am 28. Juni 1869 einen
Kassierer ein, Grüwel, und forderte die Arbeiterschaften auf, nun die
statutenmäßigen Beiträge zu leisten. Auch trat der Verbandsausschuß in
* Seite 347.
184
Funktion; er bestand aus nachstehend verzeichneten Personen: J. A. Kapell
(Zimmererverein), 2. Grändorf II (Maurerverein), 8. Zielowsky (Schuh—
macherverein), 4. H. Renz (Holzarbeitergewerkschaft), 5. Knoche (Hand⸗
und Fabrikarbeiterschaft), 6. Bruno Schulz (Manufakturarbeiterschaft),
7. C. W. Tölcke (Berg- und Hüttenarbeitergenossenschaft), 8. Leib (Buch—
binderarbeiterschaft), 9. Ellinger (Metallarbeiterschaft). Die übrigen
Arbeiterschaften hatten noch keinen Vertreter ernannt, da mußte der
Ausschuß sich schon mit einer Angelegenheit beschäftigen, die zu einer
tiefgehenden Krise führte.
Unter einem Teil der Mitglieder des Allgemeinen deutschen
Arbeitervereins bestand von jeher eine sinnlose Angst vor den Gewerk⸗
schaften. Der Verleger des „Sozialdemokrat“, v. Hofstetten, schrieb zum
Beispiel am 1. Januar 1866 an Tölcke: „Die Dinge, die in der letzten
Zeit geschehen sind, müssen notwendig die ganze Partei zugrunde richten,
in der öffentlichen Meinung verdientermaßen herabsetzen und zum gänzlichen
Ruin der Partei und vorläufig der ganzen Bewegung führen, die, wie
Sie sehen werden, politisch im Sande verläuft und eine rein materielle
Richtung nimmt in der Weise, daß, ähnlich wie die Zigarrenarbeiter
und Buchdrucker, die einzelnen Gewerke sich zu zentralisieren und ihre
korporativen Interessen zu fördern suchen. Politische Bedeutung oder
vielmehr politischen Einfluß wird diese Bewegung vorläufig nicht haben,
und die Folge davon, das Abtreten einer Sozialdemokratie vom politischen
Schauplatze, wird höchstens der entschiedenen, aber rein bürgerlichen
Demokratie, der sogenannten Volkspartei und ähnlichen Elementen zu—
gute kommen.“
Tölcke berichtet auch, v. Schweitzers Eintreten für die Gewerkschaften
habe das Vertrauen zu ihm erschüttert. Nun handelte auch v. Schweitzer
parteitaktisch in einer Weise, welche seinen Hassern den erwünschten Vor—
wand bot, ihren Neigungen freien Spielraum zu lassen. v. Schweitzer
hereinbarte mit. der Gräfin Hatzfeld, daß der ursprünglich von Lassalle
— DDD wieder hergestellt werden
sollte, der bis dahin in zwei Richtungen gespalten war. Diesen Umstand
benutzte eine Anzahl Mitglieder des Allgemeinen deutschen Arbeitervereins
Schweitzerscher Richtung, um mit dem Verbande deutscher Arbeitervereine,
der von Bebel und Liebknecht geleitet wurde, im Spätsommer 1869
die sozialdemokratische Partei Eisenacher Richtung zu gründen. Der
Gründungskongreß der „Ehrlichen“ — so lautete ihr Spitzname — fand
in Eisenach statt.
Unter den abgefallenen Personen befanden sich auch Leiter von
Arbeiterschaften, außerdem spielte Fritzsche eine merkwürdige Rolle. Kaum
185
hatte sich sein Zigarrenarbeiterverein an den Arbeiterschaftsverband an—
geschlossen, da forderte er auf, die Beiträge an die Verbandskasse nicht zu
leisten. Der Ausschuß des Arbeiterschaftsverbandes suspendierte in seiner
Sitzung am 14. Juli 1869 deshalb Fritzsche von dem Amte des ersten
Vizepräsidenten und faßte außerdem nachstehenden Beschluß:
1. Diejenigen, welche vom Allgemeinen deutschen Arbeiterverein ab—
gefallen sind. und gegen denselben agitieren, erweisen sich als
Störer der Einigkeit der Arbeiter. Sie können daher nicht
länger Mitglieder der zum Verband gehörigen Gewerk- und
Arbeiterschaften sein, da der Verband auf die Einigkeit der
Arbeiter hinwirken muß.
Die Präsidenten und Bevollmächtigten aller zum Verband ge—
hörigen Gewerk- und Arbeiterschaften werden hiermit angewiesen,
vorläufig und bis zur Entscheidung der nächsten Generalver—
sammlung die betreffenden Personen aus den Mitgliederlisten zu
streichen und in den Mitgliederversammlungen nicht zuzulassen.
Hierzu wurde noch folgende Erklärung abgegeben: „Nicht diejenigen
Mitglieder seien auszuschließen, welche vom Allgemeinen deutschen Arbeiter⸗
verein abgefallen seien. Bekanntlich seien viele Mitglieder der Gewerk—
schaften, ohne Mitglieder des Allgemeinen deutschen Arbeitervereins zu
sein. Man kann daher auch diejenigen, welche einfach vom Allgemeinen
deutschen Arbeiterverein abfielen, nicht aus den Gewerkschaften ausschließen,
so sehr man auch einen solchen Abfall bedauern oder verdächtig finden
möge. Zum Ausschluß sei vielmehr nötig, daß einer gegen den Allge—
meinen deutschen Arbeiterverein agitierend auftrete, wie das z. B. die
Herren v. Bonhorst, Schumann, Ehlers und andre täten. Diesen Herren
könne, nachdem sie aus dem Allgemeinen deutschen Arbeiterverein ausge⸗
schieden, unmöglich der Verband als Tummelplatz für ihr Zwietrachtsäen
eingeräumt werden.“
Von diesem Zeitpunkt ab behandelte der „Sozialdemokrat“ die
Gewerkschaftsbewegung als nebensächlich. In seinem Leitartikel vom
14. September 1869 schrieb er: „Die Grunderkenntnis des Sozialismus
liegt in dem Satze, daß, solange diese Produktionsweise mit ihrem Gegensatz
von Kapital und Arbeitskraft dauert, auch das eherne Lohngesetz be⸗
stehen muß; daß hieran, solange diese Produktionsweise besteht, im
wesentlichen nichts geändert werden kann, sondern vielmehr immer dem
Arbeiter zugunsten des Kapitalisten ein Teil seines Arbeitsertrages
entzogen wird. Demgemäß erstrebt die Arbeiterpartei eine durchgreifende
Aenderung der Produktionsweise, eine Aufhebung des Gegensatzes von,
Kapital und Arbeit, einen Zustand, worin der gesamte Arbeitsertrag sich.
186
unter die Gesamtheit der Arbeitenden verteilt. Wenn gleichwohl die Arbeiter⸗
partei den Verband (die Gewerkschaften) gegründet hat, um durch gegen—
seitige Unterstützung, insbesondere durch Arbeitseinstellungen, auch innerhalb
der heutigen Gesellschaft einige Vorteile zu erreichen, insbesondere durch
gemeinsames Vorgehen ein allzu großes Herabdrücken des Lohnes, eine
allzu schrankenlose Willkür der Kapitalistenherrschaft zu verhindern, so ist
sich die Partei hierbei klar bewußt, daß dies nur ein nebensächliches
Streben sein kann, ein Streben, welches nun und nimmermehr geeignet
ist, die große Arbeiterfrage wirklich zu lösen. Derjenige, der in dem
Irrtum befangen ist, solange der Gegensatz von Kapital und Arbeitskraft
dauert, auf Grundlage dieses Gegensatzes sei auf irgend eine Weise die
Lage der Arbeiterklasse durchgreifend zu verbessern; derjenige, der sich ein⸗
bildet, durch Arbeitseinstellungen sei die Herrschaft des Kapitals entscheidend
zu brechen, der ist kein Sozialist und gehört nicht in unsre Partei. Hat
uͤber einer den richtigen Sachverhalt eingesehen, hat einer erkannt, daß
der Verein den höheren und dauernden Zweck, der Verband nur unter—
geordnete und vorübergehende Zwecke verfolgt, daß aber bei alledem im
Verein und im Verband die gleiche Partei organisiert ist, so muß
er auch erkennen und zugeben, daß der Verband als das Nebensächliche
sich streng und unbedingt dem Vereine als dem Hauptsächlichen unter⸗
zuordnen hat.“
Diese Taktik und prinzipielle Schwenkung sprengte den Arbeiterschafts⸗
verband. Die meisten Gewerkschaften spalteten sich in der Weise, daß die
Präsidenten mit einem Teile der Mitglieder vom Arbeiterschaftsverbande
abfielen, selbständige Gewerkschaften bildeten oder als „Internationale
Gewerksgenossenschaft“ zu den Eisenachern übergingen, der andre Teil
ihrer Gewerkschaft blieb bei dem Arbeiterschaftsverbande. Nur die Zimmerer
und Maurer blieben diesem geschlossen treu.
Diese Abfälle setzten sich mit überaus kleinlichen Zänkereien durch.
Im Herbst 1868 hatte v. Schweitzer eine Gefängnisstrafe verbüßt und
für die Zeit seiner Haft den Redakteur des „Sozialdemokrat“, Hasselmann,
betraut, die an die Adresse v. Schweitzers eingehenden Briefe zu öffnen.
Daraufhin beschloß der Ausschuß des damals noch provisorischen Arbeiter⸗
schaftsverbandes, im „Sozialdemokrat“ die Aufforderung zu erlassen,
„alle Briefe, welche Verbandsangelegenheiten beträfen, an den Sekretär,
H. Roller, zu adressieren“; Hasselmann verweigerte die Aufnahme dieser
Aufforderung. Seitdem hatte die Generalversammlung stattgefunden, das
Provisorium war aufgehoben, die Tabak- und Zigarrenarbeiter hatten
sich dem Verbande angeschlossen. Nun begründete der erste Vizepräsident,
Fritzsche, in dem Ausschusse des Allgemeinen deutschen Tabak— und
187
Zigarrenarbeitervereins, dessen Präsident Fritzsche war, mit jenem Vorgehen
den Antrag: die Steuer an den Arbeiterschaftsverband nicht zu zahlen.
Der Ausschuß des Tabak- und Zigarrenarbeitervereins nahm, wie bereits
angedeutet, den Antrag an. Von HYork, dem Präsidenten der Holzarbeiter,
erschienen zwei öffentliche Kundgebungen gegen v. Schweitzer, ebenso eine
gepfefferte Kundgebung vom Präsidenten der Metallarbeiter. Alle diese Un—
erquicklichkeiten erschienen oder wurden nachgedruckt und fruktifiziert im Organ
der „Eisenacher“, im „Domokratischen Wochenblatt“ bezw. „Volksstaat“.
„Einen außerordentlich heftigen Charakter nahm die Befehdung der
„Ehrlichen“ und Lassalleaner in Hamburg an — schreibt Heinrich Bürger.
(„Die Hamburger Gewerkschaften und deren Kämpfe von 1865 bis 1890). —
In der Versammlung am 12. August 1869 bei Tütge, in der die Bericht⸗
erstattung vom Eisenacher Kongreß erfolgte, kamen die Feindseligkeiten
zum offenen Ausbruch. Der gerade gewaltig tobende Lauensteinsche Streik
drängte indes während seiner Dauer weitere Zwistigkeiten zurück, da der⸗
selbe dringend einheitliches Handeln aller Hamburger Arbeiter erheischte.
Sobald aber dieser Streik beendigt war, ging der Fraktionsstreik mit
erneuter Wucht los, und manches alte Dokument zeugt von der Rück⸗
sichtslosigkeit und Gehässigkeit, mit der auf beiden Seiten gefochten wurde.
Zum größten Schaden der Gewerkschaftsbewegung übertrug sich dieser
unfruchtbare Streit auf diese. Sobald der Präsident oder Vorsitzende einer
gewerkschaftlichen Organisation seiner parteipolitischen Stellung nach ein
Schweitzerianer (Lassalleaner) war und er hatte einigen Einfluß, sofort
kam eine Spaltung, in der dann die „Ehrlichen“ einen der Ihren auf
den Schild hoben oder auch umgekehrt. So konnten denn die Gewerk—
schaften zu keiner gedeihlichen Entwicklung kommen. In vielen Gewerben
bestanden zwei sich gegenseitig bekämpfende Organisationen, die zum
Ueberfluß beide nicht recht lebensfähig waren.“
Die Umwandlung des Arbeiterschastsverbandes in den Allgemeinen
deutschen Arbeiter⸗Unterstützungsverband.
Unter den angedeuteten erschwerenden Umständen rückte die dritte
Generalversammlung des Allgemeinen deutschen Arbeiterschaftsverbandes
heran. v. Schweitzer entschloß sich, derselben die Verschmelzung der
Arbeiterschaften zu einem einzigen Verbande zu empfehlen, und er
motivierte den Vorschlag so:
„Von allen Seiten im Verbande ertönt der Ruf nach größerer
Zentralisation. Ja, aus den verschiedensten Gewerkschaften, teilweise durch
deren Präsidenten selbst, und von den verschiedensten Orten her wird
sogar der Gedanke verfochten, die sämtlichen Gewerkschaften in eine
188 —
einzige große Gewerkschaft zu verschmelzen. Der Verbandspräsident wurde
auf seiner Rundreise vielfach darüber interpelliert, ob er nicht auch
für eine solche Verschmelzung sei. Er gab— anfangs die Antwort,
daß dieser Wunsch nach Verschmelzung aller Gewerkschaften zu einem
einzigen Verein zwar ein erfreulicher Beweis dafür sei, daß die Lassallesche
Organisationsidee tiefer und tiefer in die Massen eindringe; daß auch
ganz ohne Zweifel dahin gestrebt werden müsse, die Verschmelzung
— noch fraglich sei, ob die Arbeiter
uͤberall so weit fortgeschritten seien, daß dies verwirklicht werden könne,
und daß es daher bedenklich erscheinen müsse, jetzt schon mit der gedachten
Verschmelzung vorzugehen. Da aber der Präsident im weiteren Verlauf
seiner Reise gefunden hat, daß jene Absicht der Verschmelzung fast überall.
mehr oder minder hervortritt und da auch in den Anträgen zur General—⸗
versammlung und in den Berichten des „Sozialdemokrat“ dasselbe der
Fall ist; da, mit einem Wort, die tiefere Erkenntnis sich bereits Bahn
gebrochen zu haben scheint, so erachtet er es als seine Pflicht, für den
Fall, daß die Generalversammlung die Verschmelzung aller Gewerkschaften
zu einer einzigen beschließt, eine Vorlage zur Einrichtung dieser Gesamt—
gewerkschaft auszuarbeiten. Er übergibt den Mitgliedern und der General⸗
bersammlung einen ausführlichen Statutenentwurf, damit derselbe, im Falle
die Verschmelzung beschlossen würde, den weiteren Beratungen zugrunde
gelegt werden könne. In dem Entwurf sind ebenso das bisherige Ver—
handsstatut wie auch das Normalstatut der Einzelgewerkschaften, wie auch
endlich die bisherigen Erfahrungen berückhsichtigt. Wegen der Krankenkasse,
Reiseunterstützung und derlei Einrichtungen müßte noch besonders ein⸗
gehend beraten und' beschlossen werden, daher diese Punkte im Entwurf
nicht behandelt sind. Derselbe richtet sich vorzugsweise auf die Wirk—
samkeit durch planmäßig angelegte und großartig durchgeführte Streiks.“
Die Generalversammlung fand im Anschluß an die General⸗
versammlung des Allgemeinen deutschen Arbeitervereins vom 12. bis
15. Januar 1870 in Berlin statt. Anwesend waren 89 Delegierte, die
20674 zahlende Mitglieder vertraten. v. Schweitzer sagte in seiner Ein—
leitung: „Als wir den Verband begründeten, da beabsichtigten wir vor
allen Dingen eine Stärkung der Arbeiterklasse dem Kapital gegenüber in
der Weise, daß die notwendig werdenden Arbeitseinstellungen systematisch
durchgeführt werden sollten. Das ist zum Teil nicht erreicht; die
Genexralversammlung wird daher vornehmlich die Frage beantworten
müssen, wie eine straffere Organisation herbeigeführt werden kann. Als
sich ferner Wirren im Allgemeinen deutschen Arbeiterverein einstellten,
zeigte es sich, daß dieselben im Verein viel schneller überwunden wurden
189
als in den Gewerkschaften; in letzteren sind- sie heute noch nicht
geschwunden. Das ist die Folge der festeren Organisation des Allgemeinen
deutschen Arbeitervereins; sollte daher auch die Verschmelzung der
Gewerkschaften, welche von einzelnen Mitgliedern vorgeschlagen wird,
abgelehnt werden, so muß doch eine größere Konzentration angestrebt
werden. Das sind die hauptsächlichsten Gesichtspunkte, welche die
Generalversammlung ins Auge zu fassen haben wird. Wenn einzelne
Unzuträglichkeiten in der Verwaltung vorgekommen sind, so liegt dies
teils in der Neuheit der Sache, teils in der mangelnden Personen⸗
kenntnis; jetzt haben wir die Erfahrung hinter uns und werden die
Unzuträglichkeiten beseitigen und diejenige Ordnung schaffen, welche zur
segensreichen Wirksamkeit der Gewerkschaft notwendig ist.“
Die sofortige Verschmelzung der Arbeiterschaften fand nicht die er—
forderliche Majorität. 13000 Stimmen wurden dafür abgegeben, 9000
dagegen. Die Generalversammlung beschloß jedoch gegen 17 Delegierte:
„die Verschmelzung am 1. Juli 1870 eintreten zu lassen und sofort
unter Zugrundelegung der Vorlage des Präsidiums eine vollständige Ver⸗
fassung des neuen Verbandes auszuarbeiten“. Für die abgefallenen
Präsidenten der einzelnen Arbeiterschaften wurden bis zum 1. Juli neue
Präsidenten eingesetzt. Der neue Gewerkschaftsverband erhielt den Namen
„Allgemeiner deutscher Arbeiter⸗Unterstützungsverband“. Das von dieser
Generalversammlung beschlossene Statut drucken wir in den Anlagen ab.“*
Die Wahl des Präsidiums wurde durch eine Urabstimmung vollzogen,
und zwar sollte das zu wählende Präsidium auch gleich dem neubeschlossenen
Arbeiter⸗Unterstützungsverband vorstehen. Gewählt wurde v. Schweitzer als
Präsident, Lübkert als erster Vizepräsident. Bei der Entscheidung über den
zweiten Vizepräsidenten mußte eine engere Wahl stattfinden. Lübkert konnte
auch nicht wieder annehmen, weil er im Frühjahr 1870 nach Amerika aus—
wanderte. Schließlich wurde August Kapell als erster und Otto Kapell als
zweiter Vizepräsident gewählt, als erster Ersatzmann Finn und als zweiter
Libisch in Hamburg. Als Verbandskassierer wurde Max v. Mietzel bereits
von der Generalversammlung gewählt.
Das beschlossene Verbandsstatut erwies sich schon, bevor es zur
Geltung kam, als zu straff, so daß es in einer „zu der tatsächlichen Ver⸗
wirklichung der Verschmelzung“ erlassenen Kundgebung des Präsidenten
vom 15. Juni 1870 heißt:
„Laut Beschluß des Präsidiums, welcher Beschluß nötig war,
weil die Statuten in dieser Beziehung keine Anordnung treffen, soll es,
* Seite 353.
190 —
vorbehaltlich der Genehmigung der nächsten Generalversammlung, gestattet
sein, daß an Orten, wo eine bestimmte Berufsgenossenschaft mehr als
100 Mitglieder zählt, diese Berufsgenossen, abgesehen von ihrem Besuch
der regelmäßigen Verbandsversammlungen, besondere Versammlungen für
sich halten. Eine besondere Kasse hierfür darf nicht eingerichtet werden.
Die entstehenden Kosten soll der Ortskassierer des Verbandes erstatten,
vorausgesetzt, daß der Bevollmächtigte findet, daß diese Kosten sich in den
entsprechenden Grenzen halten.
„Nach dieser Bestimmung können also, wenn in einer Stadt z. B.
über 100 Zimmerleute oder Schneider beim Verbande sind — aber auch
nur in diesem Falle —, die Zimmerleute oder Schneider regelmäßige
besondere Versammlungen für sich abhalten. Abgesehen von diesen regel⸗
mäßig wiederkehrenden Versammlungen, können sich Berufsgenossen, auch
wenn sie nicht die Zahl 100 übersteigen, in außerordentlicher Weise —
also vorübergehend, nicht regelmäßig wiederkehrend — dann versammeln,
wenn besondere Berufsangelegenheiten vorliegen, die zur Erledigung
kommen müssen. Auch hier hat der Ortskassierer die Kosten zu erstatten,
wenn der Bevollmächtigte findet, daß dieselben innerhalb der entsprechenden
Grenzen verbleiben. Möge nunmehr jeder das Seine tun, damit die
Verschmelzung der Gewerkschaften mit derjenigen Ordnung und Sicherheit
sich vollziehe, welche wir bei allen unsern Unternehmungen gewohnt sind.“
Für die Zeit vom 1. Januar bis 1. September 1870 liegt auch eine
Abrechnung der Verbandshauptkasse vor. Für den Allgemeinen deutschen
Arbeiterschaftsverband vereinnahmte während dieser Zeit der Kassierer
Grüwel 1938 Taler 285 Silbergroschen 8 Pfennig. Die Ausgaben
betrugen; Für Leitung und Verwaltung des Verbandes 637 Taler
4 Silbergroschen 3 Pfennig, für Streiks 395 Taler, für persönliche
Unterstützungen 48 Taler 3 Silbergroschen, für Agitation 217 Taler
26 Silbergroschen d Pfennig. Summa 1298 Taler 4 Silbergroschen.
Der Bestand von 640 Taler 21 Silbergroschen 3 Pfennig floß in die
Kasse des Allgemeinen deutschen Arbeiter-Unterstützungsverbandes. Mit
vorstehendem Uebertrag hatte die Kasse des Arbeiter-Unterstützungs⸗
verbandes in der Zeit vom 1. Juli bis 1. September 1870 1546 Taler
28 Silbergroschen 8 Pfennig Einnahme. Die Ausgaben betrugen: Für
die Leitung und Verwaltung des Verbandes 135 Taler 2 Silbergroschen
6 Pfennig, für Streiks 50 Taler, für Agitation 20 Taler. Summa
205 Taler 2 Silbergroschen 6 Pfennig, so daß ein Barbestand von
1341 Taler 25 Silbergroschen 11 Pfennig vorhanden war.
Dem Allgemeinen Arbeiter-Unterstützungsverbande waren, wie auch
diese Zahlen zeigen, nur bescheidene Trümmer des Arbeiterschaftsverbandes
191
geblieben; in der Hauptsache waren es nur die Zimmerleute, die zu ihm
hielten. Sie stellten vier Personen in den Vorstand, August und Otto
Kapell, Finn und v. Mietzel, was anderseits wieder dazu beigetragen
haben mag, daß gerade die Zimmerleute in größerer Zahl dem Verbande
treu blieben. Im übrigen war mit dieser Schwenkung der Gewerkschafts⸗
sache kein guter Dienst erwiesen und man hat v. Schweitzer dafür die
schlimmsten Absichten nachgesagt. Allein v. Schweitzers Handeln läßt sich
von höheren Gesichtspunkten sehr wohl erklären.
v. Schweitzers Gewerkschaftstheorie hatte sich als falsch erwiesen.
Die Arbeiter hatten tatsächlich Vorteil von den vielen Arbeitseinstellungen
im Jahre 1869 gehabt, selbst dort, wo Streiks verloren gegangen, und
an vielen Orten, wo gar keine Streiks stattgefunden, waren die Löhne
gestiegen. Das Klassenbewußtsein der Arbeiter hatte sich durch die Streik—
bewegung aber keineswegs in dem Sinne und in dem Tempo entwickelt,
wie v. Schweitzer erwartet hatte. Sein Allgemeiner deutscher Arbeiter⸗
verein kam bei der Gewerkschaftsbewegung nicht so vorwärts, wie er es
gehofft. Er faßte die Seele des Arbeiters eben anders auf, als der
Arbeiterphilosoph Joseph Dietzgen, der sehr richtig schreibt („Erkenntnis
und Wahrheit“): „Für die Arbeiterklasse hat Essen und Trinken den
Vorzug vor allen Kulturanhängseln. Wenn man uns belehren will, daß
es damit nicht genug ist, daß auch feinere Vergnügen, wie Tanz und
Musik, dazu gehören, so lassen wir uns das gefallen und dergleichen
nachkommen; dann mag auch Schönheit und Kunst, Moral und Sittlichkeit,
Staat und Gesellschaft und wie sonst der geistige und vergeistigte Schnick⸗
schnack noch heißt, nachfolgen — nachfolgen!“ Die finanzielle Leistungs—
fähigkeit der organisierten Arbeiter absorbierte die Streikbewegung. Es
bestand durchaus die Gefahr, daß die politische Arbeiterbewegung ins
Hintertreffen geraten würde. Das mußte einem Parteimann wie v. Schweitzer
es war recht peinlich berühren. Daß seine Schwenkung in der Gewerk—
schaftsorganisation „sich vorzugsweise auf die Wirksamkeit durch planmäßig
angelegte und großartig durchgeführte Streiks“ richten sollte, ist sicherlich
nur eine diplomatische Redewendung. Ebenso der Hinweis: „Als sich
Wirren im Allgemeinen deutschen Arbeiterverein einstellten, zeigte es sich,
daß dieselben im Verein viel schneller überwunden wurden, als in den
Gewerkschaften“. In den Gewerkschaften drängten eben viel mehr und
ganz andre Probleme zur Lösung als in der politischen Arbeiterbewegung.
Der Fraktionsstreit verhinderte aber, daß die Gewerkschaftsprobleme in
den Vordergrund der Auseinandersetzungen treten konnten.
Freilich ging es mit dem festen Zusammenschluß der Arbeiter in
Gewerkschaften auch ohnedem nur langsam. Fortschritte waren noch auf
192
lange hinaus nicht zu merken. Es handelte sich in der Hauptsache nur
um Streikbewegungen. War eine Forderung durchgesetzt oder auch nicht
durchgesetzt, dann verliefen sich die Massen wie sie gekommen. Die Führer
wurden fast immer gemaßregelt und damit ging auch die Aussicht auf
baldige Wiederholung des Zusammenschlusses verloren. Genug, keine der
Hoffnungen, die v. Schweitzer an die Gründung von Gewerkschaften ge⸗
knüpft hatte, schien sich zu erfüllen. Kein Wunder, wenn er zu experi—
mentieren anfing und schließlich vom sozialen Kampfschauplatze abtrat.
Nichtsdestoweniger war mit der Verschmelzung der Gewerkschaften
vielen Arbeitern vor den Kopf gestoßen. Eine große Anzahl Mitglied⸗
schaften ging ein oder sie vegetierten als Lokalvereine fort, ohne sich dem
Verband anzuschließen. Außerdem brachte der Krieg 1870/,71 das gewerk—
schaftliche Leben zum fast völligen Stillstand. Die vierte Generalver—
sammlung des alten bezw. die zweite des neuen Verbandes fand am
25. Mai und die folgenden Tage 1871 in Berlin statt; vertreten waren
4257 Mitglieder aus 27 Orten durch 18 Delegierte.
Die Cründung des Berliner Arbeiterbundes.
Die Generalversammlung des Arbeiter-Unterstützungsverbandes 1871
hatte das zweifellos zu fest geknüpfte Band insofern gelockert, als die
Mitglieder eines und desselben Berufes nun besondere Mitgliedschaften
bilden konnten, wo sie dies für notwendig hielten. Zudem hatte v. Schweitzer
das Präsidium des Allgemeinen deutschen Arbeitervereins niedergelegt und
auch das Präsidium des Allgemeinen deutschen Arbeiter⸗Unterstützungs⸗
verbandes.“ Seine Stelle hatte Hasenclever eingenommen. Als erster
Vizepräsident war Otto Kapell gewählt worden. Der „Sozialdemokrat“
wurde auch von dem „Neuen Sozialdemokrat“ abgelöst und dieser be⸗
kannte sich in bezug auf die Gewerkschaftsbewegung zu dem Satze: „Die
Streiks oder richtiger die Vereinigungen der Arbeiterklasse zum organi⸗
sierten Angebot der Arbeitskraft auf dem Arbeitsmarkt sind ein trefflicher
Notbehelf zur möglichst guten Stellung der Arbeiter innerhalb der heutigen
Gesellschaft.“ Das Interesse für die Gewerkschaftsbewegung war seitdem
im Allgemeinen deutschen Arbeiterverein wieder im Steigen begriffen.
Zunächst ging man daran, die Berliner Arbeiter zu einer wirksamen
gewerkschaftlichen Vereinigung zusammenzufassen.
*Dr. v. Schweitzer ist im Sommer 1875 auf einer Erholungsreise in die
Schweiz in Giesbach am Brienzer See gestorben. In seiner Nr. 16 vom
7. August 1875 schrieb der „Pionier“: „v. Schweitzer war am 12. Juli 1834 zu
Frankfurt a. M. geboren. Er studierte Rechtswissenschaft und war eine Zeitlang
Advokat in Frankfurt a. M. Der Verstorbene war eine der begabtesten Persönlich⸗
keiten, welche jemals den sozialpolitischen Kampfplatz betreten haben.“
193
Am 5. Oktober 1871 kamen die Vertreter von 17 Gewerkschaften
zusammen. Es waren Vertreter von verschiedenen Streikvereinen, von
dem Unterstützungsverbande und auch von Hirsch-Dunckerschen Ortsvereinen.
Vertreten waren die Bildhauer, Buchdrucker, Zigarrenarbeiter, Drechsler,
Former, Hutmacher, Korbmacher, Maler, Maurer, Metallarbeiter, Sattler,
Schneider, Schuhmacher, Stellmacher, Tischler, Weber und Zimmerer
zusammen durch 100 Personen. Folgende Resolution wurde beschlossen:
„Die in der heutigen Versammlung anwesenden Delegierten der
verschiedenen Korporationen erklären sich mit der Idee der Zentralisation
einverstanden und versprechen, mit aller Kraft für dieselbe zu wirken.“
Die Versammlung setzte auch ein ständiges Bureau ein, bestehend aus
den Personen Ganguin, Blonk, Stahl, Hasenclever, Otto Kapell, Schmitz,
Paul und Hasselmann. Eine Delegiertenversammlung am 15. Oktober
verstärkte das Bureau auf 30 Personen, welche das Recht erhielten,
noch weitere Personen hinzuzuziehen. Es waren sofort 25 Gewerke darin
vertreten.
Dieser „Ausschuß“ hatte eine von Hasselmann entworfene Statuten⸗
vorlage für einen „Berliner Arbeiterbund“ vorzuberaten, die dann einem
Kongreß vorgelegt wurde. Außerdem erließ dieser Ausschuß nachstehenden
Aufruf: RV
Arbeiter Berlins!
Die Arbeit befindet sich gegenwärtig im Kampfe für ihr gutes Recht gegen⸗
über der Kapitalmacht. Noch immer lastet die letztere wie ein drückender Alp
auf den Arbeitern; sie können sich in den Ketten, welche das Kapital um sie
schlingt, nicht rühren und regen. Diese Ketten zu zersprengen, um dadurch ein
menschenwürdiges, glückliches Dasein zu erlangen, sei unsre Aufgabe. V
Auf, Arbeiter Berlins! Greift auch Ihr mit Eurer ganzen Kraft, mit
Eurer ganzen Hingebung dieses große Werk an zur Befreiung Eurer Klasse, zur
Errettung Eurer Nachkommen aus der Not und aus dem Elend. Jedem echten
Mann muß das Herz höher schlagen bei dem Gedanken, daß er als Mitkämpfer
für eine heilige Idee streiten kann.
Der erste Schritt zum Kampfe ist die Erkenntnis unsrer beschränkten Lage
und diese Erkenntnis wird uns fühlbar durch unsre Entbehrungen, durch unsre
Sorgen beigebracht. Der zweite Schritt zum Kampfe und zum Siege ist die
Einigkeit unter uns selber. Arbeiter Berlins, vereinigt Euch! So soll unser
Kampfruf hallen!
Auf einen Hieb aber fällt kein Baum, und ebensowenig ist es möglich,
daß die Ausbeutung der Arbeit durch das Kapital auf einen Stoß aus der Welt
geschafft werden kann. Deshalb müssen wir, um unsre Lage zu verbessern, durch
fortwährendes Ringen nach und nach den Baum zu Falle bringen! Und hierzu
sind als gewuchtige Axthiebe zu betrachten:
1. die Verminderung der Arbeitszeit;
2. die Lohnerhöhung.
Bringmann, Geschichte der Zimmerer.
194 —
Durch die Verminderung der Arbeitszeit wird dem Arbeiter mehr Ge⸗
legenheit gegeben, sich auszubilden, um so zu fortdauernder Erkenntnis zu kommen.
Durch die Lohnerhöhung wird eine direkte augenblickliche Verbesserung der Lage
erzielt, und wenn auch nach der Lohnerhöhung der Preis der Lebensmittel steigt,
so ist es doch für die Arbeiter sehr vorteilhaft, wenn schon vorher der Lohn ge⸗
stiegen ist, und nicht, nachdem der Preis der Bedürfnisse schon in die Höhe ge⸗
gangen ist, erst die Lohnerhöhung eintritt.
So ist ja in den letzten zwanzig Jahren hier in Berlin der Preis der
Wohnungen und Lebensmittel fast um das Doppelte gestiegen, während der Lohn
erst nach und nach, und zwar lange nicht in dem Verhältnis, in die Höhe geht,
wenn die Arbeiter die Lohnerhöhung nicht selbst erzwingen. Und je besser durch
den höheren Lohn die Lebensgewohnheiten des Arbeiters sich gestalten, je
schwieriger wird es dem Kapital werden, die Arbeiter zu unterdrücken.
Aber auch darin, daß die Arbeiter diese beiden Vorteile fordern und mit
vereinten Kräften erkämpfen, liegt ein großer Schritt zur Erringung eines
menschenwürdigen Daseins. Zum ersten Male tritt der zur Maschine herab⸗
gewürdigte Arbeiter seinen Arbeitgebern als Mensch entgegen, der sein Recht in
Anspruch nimmt, und darin liegt die Gewähr eines endgültigen Sieges, eines
völligen Menschtums für alle Glieder der großen Kette, die man jetzt nur
Menschheit nennt.
Die Einigkeit aber allein führt zum Siege!
Der Kampf um Verminderung der Arbeitszeit und um Erhöhung des
Lohnes ist in den letzten Zeiten von den Arbeitern oft genug geführt worden,
und wenn auch in den meisten Fällen der Sieg auf seiten der Arbeiter gewesen
ist, so kostete der jedesmalige Kampf doch immer große Opfer, welche die Arbeiter
selbst an den notwendigsten Bedürfnissen bringen mußten.
Wer da weiß, welche Not vielfach bei den langwierigen Arbeitseinstellungen
herrscht, der wird sicherlich einsehen, daß die Streiks selbst nur das äußerste
Kampfmittel sein dürfen, wenn auf andre Weise die Forderungen nicht durch⸗
gesetzt werden können. Gutwillig aber haben bis jetzt die Arbeitgeber dieselben
nur in ganz spärlichen Fällen gewährt, deshalb muß immer ein Druck, eine
Machtäußerung von seiten der Arbeiter vorhanden sein, welche die Arbeitgeber
zur Nachgiebigkeit zwingen.
Und dieser Druck, diese Machtäußerung sind zu suchen in einer Vereinigung
der Arbeiter Berlins. Ist diese Vereinigung zur Wahrheit geworden, haben wir
eine Organisation geschaffen, welche bezweckt:
1. daß nicht verschiedene Streiks auf einmal losbrechen;
2. daß die Streiks nur zu geeigneter Zeit geführt werden, und
3. daß, wenn ein Streik ausbricht, derselbe auch genügende Unterstützung
— Kampfes die Arbeiter sich
—D00
dann sehen die Arbeitgeber den Ernst, welcher unter den Berliner Arbeitern waltet,
und die große Macht, welche in ihrer Einigkeit liegt. In den meisten Fällen
werden sie bei gerechten Forderungen, ohne daß eine Arbeitseinstellung notwendig
ift, nachgeben, und dadurch werden viele schwere Opfer gespart; geben die Arbeit⸗
geber trotzdem nicht nach, nun, dann liegt in unsrer Einigkeit die sicherste Gewähr
zum leichten Siege!
Und was hindert uns an der Einigkeit?
195
Haben uns nicht die gleiche Not, die gleichen Entbehrungen zu Brüdern
gemacht? Sind wir nicht diejenigen, welche alle Arbeit schaffen und dafür mit
kargem Lohne abgespeist werden, während eine kleine Anzahl von Menschen die
Früchte unsrer Arbeit verpraßt?
Bis jetzt hat uns an dieser Einigkeit noch gehindert, daß die Erkenntnis
der eignen Lage den meisten Arbeitern noch fremd war, weil sie noch glaubten
an die Liebe der Fabrikherren und Arbeitgeber überhaupt den Arbeitern gegenüber.
Doch diese Täuschung ist verschwunden; nichts steht uns mehr hinderlich im
die Bruderhand uns zu reichen.
Schlagt ein, Arbeiter Berlins!
Durch Organisation, durch Einigkeit, durch Kampf zum Siege!
Berlin, den 18. Oktober 1871.
Der provisorische Ausschuß.
Der „Kongreß zur Einigung der Arbeiter Berlins“ tagte am 19. und
20. November 1871 im Saale des „Handwerkervereins“, Sophienstr. 16.
Vertreten waren 23 Gewerke durch 146 Delegierte, welche eine Gesamt—
zahl von 14408 Arbeitern vertraten, und zwar:
1. Berliner Stuhlarbeiter .. ........ 6 Delegierte 600 Mitglieder
2. Allgemeiner deutscher Maurerverein
(Mitgliedschaft Berlin) . . . . . . . . . .30
3. Berliner Zimmerverein .. . ....... 25
4. Streikkasse der Zigarrenarbeiter ... 10
5. J „Ticschler . . . . . . . . .. 31
6. Allg. deutsch. Arbeiter-Unterstützungs⸗
verband (Mitgliedschaft Berlin) ...
7. Streikkasse der Sattler .. . . . . . ...
8. Verein der Akkordträger u. Bauarbeiter
9. Stellmacherverein . . . . . . .........
10. Streikkasse der Schuhmacher ......
I1. F „Tapezierer ........
12. „Bildhauer ........
13. „„Schneider .........
14. Wollenwaren-Arbeiter............
15. Fabrik von Becker KProtzen .. ...
16. Freie Vereinigung der Hutmacher ..
17. Streikkasse der Drechsler . . . . . . ...
18. Internationale Metallarbeiterschaft ...
19. Arbeiter der städtischen Gasanstalt..
20. Nähmaschinenfabrik von Wernicke ..
21. Versammlung der Bäcker.........
22. Moabiter Maurer ..............
23. Berliner Mühlensteinarbeiter .. . ...
12*
196 —
Die Verhandlungen verliefen in würdigster Weise. Nach ein—
gehender Debatte wurde der siebenundzwanzig Paragraphen umfassende
Siatutenentwurf mit einigen Abänderungen und Zusätzen so angenommen,
wie wir ihn in den Anlagen abdrucken.“ Der Bund war eine
ganz eigentümliche, den damaligen Verhältnissen aber durchaus ent—
sprechende Einrichtung. Er nahm Einzelmitglieder auf und auch ganze
Korporationen. Die Einzelmitglieder hatten monatlich zwei Silbergroschen
Beitrag zu leisten und die angeschlossenen Korporationen leisteten für jedes
ihrer Mitglieder einen Silbergroschen pro Monat. Wer durch Anschluß seiner
Korporation Mitglied war, konnte nicht auch noch Einzelmitglied werden.
Die Bundesgeschäfte besorgte ein Ausschuß von 30 Personen, die auf einen
Zeitraum von sechs Monaten gewählt wurden. Die oberste und maß⸗
gebendste Behörde war jedoch die alle Monat einmal stattfindende ordent—
liche Generalversammlung sämtlicher Kassenmitglieder. Wer in Streik⸗
fällen die Unterstützung des Bundes anrief, unterstellte sich damit auch der
Kontrolle des Bundesausschusses. Zur Unterstützung von Streiks wurde
von dem Bunde ertra gesammelt; die außerordentlich niedrigen Beiträge
dienten nur zur Unterhaltung des Bundes und zur Agitation.
Der Bundesausschuß bestand zunächst aus folgenden Personen:
A. Bäthge, Drechsler; Brumberg, Akkordträger; Derossi (für den Arbeiter—
Unterstützungsverband); H. Ecks, Zigarrenarbeiter; C. Finn, Zimmerer;
W. Greiner, Tischler; Hasenclever (für den Arbeiter⸗Unterstützungsverband);
G. Joel, Weber; C. Jonas, Sattler; Kärger, Metallarbeiter; A. Kapell,
Zimmerer; Kapitän, Sattler; P. Kersten, Bildhauer; Kinner, Teppich—
weber; C. Krause, Schuhmacher; H. Lüdicke, Schneider; A. Merkel,
Bäcker; Niegel, Stellmacher; J. Otto, Fabrikarbeiter; A. Paul, Maurer;
Sahlfeld, Bildhauer; Schmitz, Tischler; R. Schnabel, Weber; Tscherner,
Mühlensteinarbeiter; Trochmann, Rollkutscher; Weiß, Tapezierer; Welt,
Hutmacher; Wend, Akkordträger; Zilowski, Schuhmacher; Zimmermann,
Zigarrenarbeiter. Als Bundeskassierer wurde August Kapell gewählt;
sein Gehalt betrug vom 15. Dezember 1871 ab pro Monat 30 Taler.
Er war zugleich Bundesagitatot. Das Bundesbureau befand sich
Gitschinerstraße 17.
Um den Berliner Arbeiterbund populär zu machen, wurden große
Volksversammlungen veranstaltet, die gewöhnlich von mehreren Tausend
Arbeitern besucht waren; in dem Allgemeinen deutschen Arbeiterverein
fanden Diskussionen darüber statt, die mehrere Versammlungen füllten,
und so war es auch in dem Arbeiter⸗Unterstützungsverbande. Besonders
* Seite 362.
197
sorgten aber die Gegner dafür, daß die Diskussion und die Werbung für
den Bund nicht zur Ruhe kam; Dr. Max Hirsch hat mit seinen Ver—
leumdungen viel zu der Ausbreitung dieses Bundes beigetragen. Für
jede Verleumdung und Entstellung erhielt er gewöhnlich fünf bis sechs
moralische Ohrfeigen, und das wirkte anziehend auf die Massen. Die
kleinen Unliebenswürdigkeiten der „Eisenacher“ wurden aber nicht beachtet,
sie prallten an dem Streben der Arbeiter, das sich damals auf die
praktische Verbesserung der Lage der Arbeiter konzentrierte, einfach ab.
Schließlich wurden bestimmte Summen ausgeworfen, um Personen speziell
damit zu betrauen, in Berlin die Agitation für den Bund zu betreiben.
Zeitweilig hat auch der zu Unrecht als geschworener Gewerkschaftsfeind
verschriene Tölcke die Agitation für den Bund besorgt.
Die Wiederbelebung des Allgemeinen deutschen Arbeiter⸗
Unterstützungsverbandes.
Die Gründung des Berliner Arbeiterbundes und das offene Ein⸗
treten des „Neuen Sozialdemokrat“ für die Streikbewegung ermunterte
die Arbeiter auch an andern Orten. Bezeichnend ist ein Situationsbericht
aus Hamburg vom 5. Januar 1872. In demselben wird ausgeführt:
„Nachdem seit Jahresfrist der Verband hier bei uns am Orte bis zur
Bedeutungslosigkeit zusammengeschrumpft ist, hat es den Anschein, als
sollte derselbe wieder zur Geltung kommen. So hat z. B. ein Teil der
hiesigen Korbmacher sich der Verbandskasse Altonas angeschlossen, weil
dort zugleich eine Krankenkasse des Verbandes existiert. Auch die Stein—
metzen oder Steinhauer arbeiten an ihrer Vereinigung ernsthaft von
neuem. Ebenso Tischler und Schuhmacher. Maurer und Zimmerer
lassen gar nichts von sich verlautbaren, trotzdem einige der letztgenannten
Gewerke das Mißliche dieses ihres Verhaltens gern abstellen möchten.
Schneider und Zigarrenarbeiter nehmen hier zwar meistens teil an dem
sozialpolitischen Leben. Aber wie! Beispielsweise sei nur angeführt,
daß deren Zerfahrenheit nicht mehr imstande ist, ihre selbstgeschaffenen
korporativen Vereinigungen aufrecht zu erhalten.“ An andern Orten sah
es noch schlimmer aus!
Am 27. und 28. Mai 1872 fand die Generalversammlung des
Allgemeinen deutschen Arbeiter-Unterstützungsverbandes in Berlin statt;
vertreten waren 8337 Mitglieder durch 18 Delegierte. Die Wahl des
Präsidiums wurde nach der Generalversammlung durch Urabstimmung
vollzogen. Gewählt wurden: Zum Präsidenten Hasenclever, zum ersten
Vizepräsidenten Otto Kapell, zum zweiten Vizepräsidenten Ecks. (Hasenclever
war übrigens auch Vorsitzender des Berliner Arbeiterbundes; von der
198
Unterordnung der einen unter die andre Organisation waren die
Lassalleaner zurückgekommen, sie hielten nur noch an der Personal⸗
Union fest.)
Auf der Generalversammlung war von mehreren Rednern Klage
darüber geführt worden, daß der Vorstand des Verbandes nichts oder nur
recht wenig für die Agitation getan habe. Bei der Misere, die im
ganzen Verbande geherrscht, konnte der Vorstand freilich mit dem besten
Willen nicht mehr leisten. Nachdem nunmehr die Organisation wieder
erstarkt war, durchzogen auch die Agitatoren das Land kreuz und quer.
Die Zimmerer Otto Kapell und Finn bereisten Ost- und Westpreußen,
Pommern, Posen und einen Teil von Brandenburg. Sie berichteten
darüber:
„Sonnabend, den 8. Juni 1872, abends, hielten wir eine gut
besuchte Volksversammlung in Frankfurt a. d. O. ab, in welcher wir über
die Ziele und Zwecke des Vereins und Verbandes sprachen, und verlief
diese in schönster Weise, indem alle Redner sich für den Allgemeinen
deutschen Arbeiterverein aussprachen und den Eintritt in denselben
empfahlen. Wir glauben, daß durch unsre Anwesenheit die Bewegung
wieder in Fluß kommt, und empfehlen jedem dortigen Parteigenossen, sich
die dortigen Führer zum Vorbild zu nehmen und unermüdlich wie diese
für die Bewegung zu wirken. Sonntag, den 9. Juni, kamen wir in
Guben an, fanden aber leider nichts vorbereitet, da die Briefe und Auf—
rufe, welche wir an die Altgesellen gerichtet hatten, diesen gar nicht ein—
gehändigt waren. Wir suchten zunächst dieselben auf und waren erfreut,
Männer zu finden, welche für den Sozialismus in die Schranken treten
wollten. Den uns folgenden Agitatoren unsrer Partei wird ein guter
Stützpunkt durch diese Männer geboten werden. Auch sorgten wir dafür,
daß sofort auf vier Exemplare unsres Organs abonniert wurde. Sonntag
nachmittag waren wir in Krossen a. d. O. Auf der Fahrt von Guben
dorthin hatten wir das Gaudium, einen Max Hirsch-Dunckerschen Gewerk—
vereinsagitator zu Gesicht zu bekommen, welcher sehr angelegentlich nach
dem Zweck unsrer Reise spionierte. Wir langten mit ihm in Krossen
an, wo derselbe uns noch sagte, daß er ebenfalls nach Grünberg wolle
und dann verschwand. Leider war auch hier nichts vorbereitet, doch
wurden auch hier Verbindungen angeknüpft. Montag, den 10. Juni,
langten wir in Grünberg an und fanden alles vorbereitet. Es existiert
dort ein Hirsch-Dunckerscher Ortsverein der Tuchmacher und es hatten
die Generalräte den Vorsitzenden desselben instruiert und ihm Hilfe ver—⸗
sprochen. Dies erfuhren wir durch einen Maurer. Wir hatten vor—⸗
mittags eine kleine Zusammenkunft und erfuhren im Gespräch, daß unsre
199
Versammlung nicht angemeldet sei, die Fortschrittler hätten dagegen zum
nächsten Tag ebenfalls eine Versammlung angemeldet. Wir erkannten
sogleich das Manöver unsrer Gegner und schickten nochmals zum Magistrat.
Trotzdem die Versammlung nun wirklich nicht zeitig genug angemeldet
worden war, gab der Magistrat uns die Erlaubnis, daß die Unterzeichneten
Vortrag über die deutsche Arbeiterbewegung an demselben Tage halten
konnten. Als wir abends im Versammlungslokal ankamen, fanden wir den
Fortschrittler Waldow aus Berlin mit einem Fabrikanten Schwarzrock aus
Grünberg vor. Wir sprachen über die Arbeiterbewegung, wobei natürlich
auch das eherne Lohngesetz auseinandergesetzt wurde. Dann meinte
jener Herr Schwarzrock, daß dies Gesetz durch Spar- und Konsumvereine
und andre Palliativmittelchen durchbrochen sei und in Wirklichkeit gar nicht
mehr existiere. Auch Herr Waldow wollte nachweisen, daß dies Gesetz
nicht existiere; denn, so behauptete er, aus. den Reihen der Arbeiter
— empfahl schließlich das Sparen
und leugnete alles Arbeiterelend. Er wurde jedoch oft von den Arbeitern
unterbrochen. Nachdem wir beide unter Beifall ihm nachgewiesen hatten,
daß heute Tausende von Kleinmeistern zu Lohnsklaven würden, nicht aber
umgekehrt, und nachdem die Anwesenden durch weitere Ausführungen die
Unverschämtheit, mit welcher Waldow die schlechte Lage der Arbeiter
ableugnete, erkannt hatten, forderten wir zum Eintritt in den Verband
auf, welcher Aufforderung auch sofort viele Arbeiter nachkamen. Die
Herren Waldow und Schwarzrock wurden noch gefragt, ob sie nach
unsrer Widerlegung noch zu sprechen wünschten, doch verzichteten sie
darauf. In Grünberg haben wir somit eine Mitgliedschaft gegründet
und hauptsächlich für das Abonnieren des Parteiorgans gewirkt. Wir
hoffen, daß dieses Samenkorn gute sozialistische Früchte trägt. Als wir
abreisten, sandten die Arbeiter uns noch von den am Bahnhof liegenden
Bauplätzen ein donnerndes Hoch. Von Grünberg fuhren wir nach
Posen, mußten jedoch in Bentschen mehrere Stunden liegen bleiben,
und benutzten diese Zeit dazu, auf einem Zimmerplatz unter polnisch
sprechenden Arbeitern zu agitieren. Traurig, sehr traurig steht es um
diese Menschen; das polnische Landvolk ist durch die Ausbeutung und
Verdummung von seiten der Pfaffen völlig stumpf geworden. Wir
nahmen auch ein altes, zerfallenes Schloß in Augenschein, welches seine
Rolle in der polnischen Revolutionszeit gespielt hat, jetzt aber ein öder
Trümmerhaufen ist. Immerhin mahnte uns der Anblick dieses alten,
mit dem polnischen Wappen gezierten Schlosses an die großen Freiheits—
kämpfe dieses edeln Volkes. Von Bentschen fuhren wir nach Posen, in
welcher Stadt wir eine Mitgliedschaft des Verbandes gründeten. Nun
200 —
machten wir nach Bromberg, wo wir im großen Saale des Schützen—
hauses eine von Tausenden besuchte Volksversammlung abhielten. Von
Bromberg fuhren wir nach Thorn, wo der fortschrittliche Abgesandte
Benckmann aus Danzig bereits durch Plakate eine öffentliche Ver—
sammlung bekannt gemacht hatte, welche nachmittags 3 Uhr stattfand,
um einen Ortsverein zu grunden. Wir gingen hin und hörten seinem
Vortrag zu, in welchem über die Sozialisten als Umstürzler hergezogen
und dann zum Sparen und zum Eintritt in den Gewerkverein aufge—
fordert wurde. Es meldete sich Kapell zum Wort; Herr Benckmann
schloß aber sofort die Versammlung. Wir forderten unsrerseits alle
Anwesenden auf, abends 7 Uhr in der von uns anberaumten Ver—
sammlung im großen Stadttheater zu erscheinen. Der Saal war
gedrängt voll von Handwerkern, Doktoren usw.; das Bureau wurde
von Zimmerleuten gebildet. O. Kapell zeigte nun die Oberflächlichkeit
der Kenntnisse unsrer Gegner in betreff der sozialistischen Arbeiter—
bewegung und enthüllte das verräterische Vorgehen des Dr. Mar Hirsch.
Nach Erörterung der Arbeiterfrage schloß Redner unter rauschendem
Beifall. Finn besprach die heutige Produktionsweise und das Elend der
Arbeiter, welches man stets verdecken wolle, gleichfalls unter großem Beifall.
Benckmann wollte jetzt sprechen, kam aber erst zum Wort, nachdem Finn
ausdrücklich die Versammlung ersucht hatte, denselben anzuhören. Benck—
mann holte den „Gewerkverein“ aus der Tasche und las den Ver—
sammelten allerlei vor, über v. Schweitzer, Bebel, Liebknecht usw., was
gar nicht zur Sache gehörte, er wurde daher fortwährend unterbrochen und
trat schließlich ab. Nachdem Kapell und Finn unter dem Beifall der Ver—
sammelten ihn widerlegt und ihm mehrere Fragen vorgelegt hatten, die er
nicht beantworten konnte, forderte Finn zum Eintritt in den Verband auf.
Dreiviertel der Versammelten stimmten dafür; eine neue Versammlung
wurde gleich bekannt gemacht, in welcher die Wahl des Vorstandes statt⸗
finden soll. Von Thorn fuhren wir nach Graudenz. In der Post hatten
wir eine amüsante Debatte mit einem katholischen Pfarrer. In Graudenz
angekommen, wurden wir von den Kornträgern und Zimmerleuten an
der Post in Empfang genommen; diese Leute hatten die Arbeit ein—
gestellt, weshalb große Aufregung in der Stadt war. Alle trugen grüne
Hoffnungsschleifen an den Hüten und führten uns nach der zu unserm
Empfang mit einer Ehrenpforte gezierten Herberge. Abends fand eine
zahlreich besuchte Arbeiterversammlung statt, welcher der Bürgermeister
selbst beiwohnte. Sämtliche anwesenden Arbeiter verpflichteten sich,
dem Verbande beizutreten, und es wurde auch gleich ein Vorstand
gewählt; also können wir mit dem Resultat zufrieden sein. Von
201
Graudenz sind wir heute nach Marienwerder gekommen, wo wir im
alten Schützensaale eine öffentliche Arbeiterversammlung abhalten werden.
„Mittwoch, den 19. Juni, kamen wir in Dirschau an und fanden
zu unsrer Freude alles gut vorbereitet. Die Versammlung fand im großen
Saale des Herrn Busibukki statt und war gut besucht, namentlich waren die
in den Werkstätten der königlichen Ostbahn arbeitenden Lohnsklaven zahlreich
vertreten. Wir setzten den Anwesenden unter Beifall die nächsten und
die Endziele der Arbeiterbewegung auseinander und forderten zum Eintritt
in den Verband auf, welcher Aufforderung zahlreich nachgekommen ward,
auch wurden ein Bevollmächtigter und ein Kassierer gewählt. Die Verhält—
nisse der hiesigen Arbeiter an der königlichen Ostbahn sind haarsträubend.
Einer derselben erzählte uns, daß ihre Arbeitszeit eine zwölf- bis fünfzehn—
stündige sei, wovon die Hälfte noch aus Nachtstunden besteht, und wofür sie
einen Tagelohn von zwölf Silbergroschen bekommen, trotzdem in Dirschau
die Lebensbedürfnisse ebenso teuer sind wie in Berlin. Der Arbeiter erzählte,
sie hätten sich an die königliche Regierung der Bahn um Aufbesserung ihrer
Löhne gewendet, die Direktion habe beim Dirschauer Inspektor angefragt
und dieser habe nach Berlin der Direktion geantwortet: die Leute könnten
in Dirschau mit dem Lohn ganz zufrieden sein, denn wenn sie nicht wollten,
bekäme er alle Tage Leute genug für zehn Silbergroschen Tagelohn. So sorgt
ein königlicher Eisenbahninspektor für die Arbeiter. Donnerstag, 20. Juni,
fuhren wir nach Marienburg und hatten abends eine Versammlung, in
welcher auch einige dem Hirsch-Dunckerschen Ortsverein angehörige Maurer
anwesend waren, außerdem war zur Rettung der Ortsvereine ein gewisser
Herr Rodiß aus Elbing angelangt, welcher uns Opposition machen sollte,
sich aber gänzlich unfähig dazu zeigte und unter mitleidigem Achselzucken
der Anwesenden das Feld räumte. Wir begreifen überhaupt nicht, wo
ein Arbeiter Begeisterung hernehmen soll, um für Kranken- und Invaliden⸗
kassen zu agitieren. Auch hier gründeten wir eine Mitgliedschaft des
Verbandes, welche sich sofort ihren Bevollmächtigten wählte. Dr. Max
Hirsch hatte früher einmal hier eine Versammlung abgehalten, in welcher
er 16 Maurer erwischte, die hier den Ortsverein bildeten. Der Herbergs—
vater erzählte uns, und der Sekretär des Ortsvereins bestätigte es, daß
Mäxchen darum keinen Anklang gefunden, weil er den Leuten sagte, sie
könnten noch ganz gut sparen, sie sollten nur ein Glas Bier weniger
trinken und nicht so viel Zigarren rauchen. So etwas hat der „Anwalt“
der Gewerkvereine, Dr. Max Hirsch, armen Arbeitern in Marienburg
empfohlen!
„Von Marienburg fuhren wir nach Elbing und hielten abends im
„Deutschen Reichsgarten“ eine gut besuchte Versammlung ab. Herr Rodiß,
202
welcher ebenfalls mit seinen Ortsvereinlern in der Versammlung erschienen
war, hatte sich nach seiner gestrigen Niederlage in Marienburg noch Herrn
Benckmann aus Danzig verschrieben, da er sich mitsamt seinen Anhängern
zu schwach fühlte, der Wahrheit gegenüberzutreten. Finn sprach über die
nächsten Ziele der Arbeiterbewegung und forderte zum Eintritt in den
Verband auf; donnerndes Bravo erscholl nach seinen Worten. Nun er—⸗
teilte ich Herrn Benckmann das Wort; wie gewöhnlich begab sich dieser
Herr sofort auf das Gebiet persönlicher Schimpfereien. Er empfahl das
Sparen und zog schließlich, als die Versammelten unruhig wurden, ab.
Nun ergriff ich das Wort, wies die Lügen nach und zeigte, wie der
Dr. Max Hirsch vor dem Kapital geschweifwedelt habe. Dieses konnte
Herr Benckmann nicht widerlegen und er wurde deshalb nochmals ordentlich
mitgenommen. Nochmals meldete sich ein Ortsvereinler, ein Maschinen⸗
bauer, zum Wort, um die Leute, die schon für den Eintritt in den Ver—
band gestimmt hatten, zu beschwören, kein Geld nach Berlin zu schicken,
denn dort würde alles verjubelt und verpraßt. Es erfolgte aber ein großer
Zornesausbruch der Versammlung, denn die Frechheit war den Arbeitern
zu stark, da namentlich unter ihnen einige Zimmerleute waren, welche in
Berlin gearbeitet hatten. Ich hatte große Not, wieder Ruhe zu schaffen.
Nachdem wir nochmals alle Lügen widerlegt hatten, wurde die Versammlung
geschlossen; in der nächsten Zeit soll eine zweite stattfinden. Von Elbing
fuhren wir nach Braunsberg und haben hier eine Zusammenkunft mit den
Altgesellen verschiedener Gewerke gehabt. Sie gaben uns die feste Ver⸗
sicherung, für die Errichtung einer Mitgliedschaft wirken zu wollen. Freitag,
den 28. Juni, fuhren wir von Memel per Dampfer nach Königsberg und
hielten am Abend eine Zimmererversammlung ab, welche gut besucht war.
Es wurde auch hier eine Mitgliedschaft des Verbandes gegründet. Sonn—
abend, 29. Juni, kamen wir in Danzig an. Eine öffentliche Arbeiter⸗
versammlung war von unsern beiden Parteigenossen Dorowsky und
Samborsky vorbereitet. Dieselbe fand im Selonkeschen Saale statt. Alles,
was in Danzig an Ortsvereinlern vorhanden war, hatten die Fortschrittler
zusammengetrommelt, so daß aus ihrer Mitte das Bureau gewählt wurde.
Kapell bekam zunächst das Wort und hielt eine Rede über unser Prinzip,
die oft von Bravos unterbrochen wurde, trotz der heimlichen Hetzereien
der fortschrittlichen Anführer. Als nun Finn das Wort bekam, unter—
brachen ihn die „gebildeten“ Ortsvereinler durch Tumult. Die Fort⸗
schrittler setzten die Hetzereien dermaßen fort, daß die Versammlung
geschlossen werden mußte. Wir begaben uns, gefolgt von einigen
Arbeitern, welche in nächster Zeit eine Mitgliedschaft des Vereins
bilden wollen, in ein andres Lokal. Die meisten Anhänger der
203
Ortsvereine in Danzig kleben bloß wegen der Invalidenkassen daran
und werden wohl, sobald sie den Schwindel, welchen Märxchen mit
den heiligen Interessen der Arbeiter treibt, einsehen, vom Ortsverein
abfallen. Sonntag, den 30. Juni, hatten wir in Stolp eine Zusammen⸗
kunft mit den Vorständen verschiedener Gewerke, setzten diesen die Ziele
unsrer Bewegung auseinander und erhielten von ihnen das Ver—
sprechen, in nächster Zeit mit der Gründung einer Mitgliedschaft
vorzugehen.
„Montag, den 1. Juli, trafen wir in Schlawe ein und lernten hier
zuerst hinterpommersche Polizei und Bürgermeister kennen. Die schrift⸗
liche Anmeldung der Versammlung war 24 Stunden vorher in die Hände
eines Polizeidieners gekommen, doch hatte sie dieser dem gestrengen Herrn
Bürgermeister erst zehn Stunden vorher überreicht und infolgedessen sagte
letzterer zu unserm Altgesellen: „Die Versammlung findet nicht statt.“
Der Polizeikommissar fügte hinzu: „Wer nicht eingekerkert werden will,
der gehe nicht hin.“ In dem Lokale, wo die Versammlung stattfinden
sollte, logierten wir zugleich und hatten am Abend das Vergnügen, vier
Polizisten als Ehrenwache zu haben, welche zugleich die Leute abhalten
sollten, in das Lokal zu gehen. Nachdem wir diesen Vier klar gemacht,
daß sie nicht das Recht hätten, Leute vom Einkehren in ein öffentliches
Gasthaus abzuhalten, bestritten sie, dies getan zu haben, und es füllten
sich nun nach und nach alle Räume des Lokales mit Arbeitern, welchen
wir in privater Unterhaltung unsre Bewegung auseinandersetzten; die
diensteifrigen Polizisten gingen soweit, einem neugierigen Maurermeister
ein Zwiegespräch mit Finn zu untersagen, welchem sich jener Meister
auch fügte. Bis nachts 1 Uhr beobachtete uns die Polizei; dennoch
haben wir unsern Zweck erreicht, und es wird nächstens eine Mitgliedschaft
dort gegründet werden. Am Dienstag sprachen wir in einer öffentlichen
Arbeiterversammlung in Köslin, welche sehr gut besucht war; dort wurde
einstimmig der Beschluß gefaßt, dem Verbande beizutreten. Mittwoch
kamen wir in Belgard an und wurden schon am Bahnhof mit Hurra
empfangen; Maurer und Zimmerer hatten an diesem Tage die Arbeit
liegen lassen und schon vormittags eine Versammlung anberaumt, welche
jedoch nicht abgehalten werden konnte, weil wir mit dem ersten Zug
nicht angekommen waren; die Versammlung mußte also zum Abend des
nächsten Tages anberaumt werden. Wir reisten unter den Klängen der
Stadtmusik, welche auf der Herberge aufspielte, nach Kolberg. Hier hielt
Kapell eine Versammlung ab, welche sehr gut besucht war und wo sich
ebenfalls eine Mitgliedschaft des Verbandes gründete, welche bald tüchtig
zu werden verspricht. Finn reiste nach Belgard und wurde dort auf
204 —
dem Bahnhof von vielen Arbeitern empfangen. Das Lokal war stark
besetzt und Finn sprach über das Arbeiterelend. Als er ausführte, daß
die Landräte nur zu oft von diesem Elend in ihren Kreisen nichts zu
sehen pflegten, sprang der Bürgermeister auf und löste die Versammlung
als Bürgermeister von „Falkenburg“ auf; der gute Mann hatte im Eifer
vergessen, daß er nach Belgard versetzt war. Trotzdem erreichte Finn
durch weitere Besprechung seinen Zweck vollständig, und es wird auch
hier der Verband Wurzel fassen. Freitag, den 5. Juli, hielten wir in
Schivelbein eine sehr gut besuchte Versammlung ab, wobei vor dem
Lokale noch Massen auf der Straße standen. Alles verlief gut. Gegner
meldeten sich nicht zum Wort, trotzdem die Kapitalisten anwesend waren;
wir können den guten Geist unsrer dortigen Parteigenossen loben, welche
namentlich bei ihren Arbeiten über Land unter den ländlichen Tage—
löhnern unsre Idee verbreiten. Sonnabend, den 6. Juli, hielten wir in
Stargard eine Zimmererversammlung ab, welche ebenfalls günstige Resul⸗
tate fur den Verband ergab. Nachdem wir zwei Versammlungen in
Stettin abgehalten hatten, fuhren wir Mittwoch, den 10. Juli, nach
Pasewalk. Die erste Kunde, daß alles in Ordnung sei, erhielten wir
in einem Lokale, wo von einigen Militärs und einem Polizisten am
Nebentisch zu uns die Worte herübertönten: „Heute Abend muß ich
eine Versammlung überwachen, zwei Sozialdemokraten, solche Berliner
Bummler, wollen heute hier sprechen.“ Wir hatten die Freude, das
Lokal gut gefüllt zu sehen, meistens waren Maurer, Zimmerer und
Zigarrenarbeiter dort. Zunächst sprach ich, dann Finn über unser Prinzip;
wir forderten schließlich zum Eintritt in den Verband auf. Es wurde
uns das Versprechen gegeben, eine Mitgliedschaft zu konstituieren. Unser
Polizist, welcher jetzt die Versammlung überwachte, mußte das Wort
„Bummler“ sehr oft hören und schnitt deshalb ein grimmig Gesicht.
Donnerstag, den 11. Juli, kamen wir in Anklam an; hier fanden wir
zu einer öffentlichen Arbeiterversammlung alles gut vorbereitet. Als wir
am Nachmittage in unserm Logis saßen, wurde plötzlich an die Tür
geklopft und auf unser „Herein“ trat der Herr Polizeikommissarius ein,
welcher sich entschuldigte, uns überraschen zu müssen; dann bat er sich
unsre Legitimationspapiere aus, schrieb sich genau unsre Wohnung in
Berlin auf, fragte, ob wir hier Schriften verbreitet hätten, und kam,
als dies verneint wurde, auf die Tagesordnung zu sprechen, indem er
sich erkundigte, ob wir auch das politische Feld betreten würden. Wir
antworteten natürlich, daß wir nicht verpflichtet wären, dies vorher
anzuzeigen. Der Saal war abends gut besetzt, und wir hatten das
Vergnügen, den Herrn Pfarrer und andre Notabilitäten der Stadt
205
anwesend zu sehen. Nachdem wir beide gesprochen, forderten wir vergeblich
zur Interpellation auf, dann folgte der einstimmige Beschluß der Ver—
sammlung, sich dem Verbande anzuschließen.
„Freitag, den 12. Juli, kamen wir nach Neubrandenburg, ins
gelobte Land der Haselnußstöcke, Mecklenburg-Strelitz. Hier sollten wir
Polizeischwierigkeiten kennen lernen; als wir am Abend zum Ver—
sammlungslokal kamen, erwartete uns ein Diener der heiligen Hermandad.
Er überreichte uns ein Schreiben folgenden Inhalts: „Den Arbeitern Kapell
und Finn aus Berlin, welche nach Anzeige des Zimmergesellen Wahrbehn,
hier, heute hier zur Verhandlung und zur Besprechung der gegenwärtigen
Arbeiterbewegung eine öffentliche Versammlung abzuhalten beabsichtigen,
wird die Abhaltung derselben bei einer Strafe von 10 Talern, eventuell drei⸗
tägiger Haftstrafe, hierdurch untersagt. Gegeben im Stadtgericht zu Neu—
brandenburg, den 12. Juli 1872. Richter und Rat. Pieper.“ Nachdem
wir uns bei dem Ueberbringer dieses Ukases bedankt hatten, nahmen wir
in dem Versammlungslokal Platz. Dieses war von den Eingeladenen
vollständig gefüllt. Wir setzten denselben nun gesprächsweise unsre Ziele
auseinander. Da kamen plötzlich abermals zwei Polizisten herein, fragten
nach den Berlinern und als wir uns ihnen zu erkennen gaben,
drohten sie nochmals mit dem obengenannten Ukas. Wir setzten ihnen aus—
einander, daß in einem öffentlichen Lokal jeder sein Glas Bier trinken
und dabei 'auch sprechen könne; sie wollten dies bestreiten. Endlich
trollten sie ab und wir warben neue Parteigenossen, doch wurden
wir bis zu unsrer Abreise fortwährend von der Polizei scharf beobachtet,
und es mag dem Herrn Bürgermeister und Rat ein Stein vom Herzen
gefallen sein, als er uns abfahren sah. Doch es sollte im gelobten
Mecklenburg noch besser kommen. Als wir per Post in Neustrelitz
ankamen, wurde uns von dem Anmelder der Versammlung gesagt, daß
der Rat die Erlaubnis zu derselben gegeben habe und daß dieselbe
Sonntag, nachmittags 4 Uhr, in der Maurerherberge stattfinde. Aber
Sonntag mittag wurden wir plötzlich mit den Altgesellen der Maurer
und Zimmerer zum Herrn Rat beschieden, wo unter der Bewachung
eines Polizeiinspektors und zweier Sergeanten vom Rat ein Protokoll
folgenden Inhalts über uns dem Schreiber in die Feder diktiert wurde:
„Auf hohe Verfügung der Regierung wird den Arbeitern Kapell und Finn
aus Berlin, ersterer legitimiert durch ein Besitzzeugnis des Alsenkreuzes
von General Herwarth, letzterer durch einen Niederlassungsschein des
Polizeipräsidiums zu Berlin, durch uns eröffnet, daß, wenn sie sich um
4 Uhr in dem betreffenden Versammlungslokal zeigen, sie sofort arretiert
und in Haft gebracht werden; zweitens, sollten dieselben gesonnen sein,
206 —
etwa eine Versammlung unter freiem Himmel abhalten zu wollen, wie
sie dies gestern ausgesprochen, so haben sie ebenfalls sofortige Verhaftung
und strenge Bestrafung nach dem deutschen Strafgesetzbuch zu erwarten.
Die beiden werden dann noch gefragt, wann sie abzureisen gedenken,
und antworten darauf: wahrscheinlich morgen. Finn fragt dann noch,
ob er nicht eine Abschrift dieser Verfügung bekommen könne, worauf
ihm mit „Nein“ geantwortet wird. Der Polizeiinspektor Winscheffel
wird beauftragt, unsrer Verfügung genau nachzukommen und in dieser
Sache die größte Wachsamkeit zu entfalten.“ Dies famose Protokoll
wurde uns schließlich noch einmal vorgelesen und dann den beiden Alt—
gesellen bedeutet, sofort die Versammlung abzubestellen. Wir wurden,
nachdem wir vergebens versucht hatten, dem Rat die Besorgnisse aus dem
Kopf zu bringen, entlassen. Die ganze Neustrelitzer Polizei war durch
den Inspektor Windscheffel mobil gemacht; sie mußte das zur Versammlung
hestimmte Lokal besetzen; in unser Logis kam stündlich ein Polizist, um
nachzusehen, ob wir nicht etwa Petroleumbomben fabrizierten; als wir
mit einzelnen Arbeitern nach einem Lokal gingen, tauchte plötzlich im
Dunkel der Gebüsche die lange, hagere Gestalt eines Sergeanten auf,
der uns beobachtete; abends um 10 und 11 Uhr kam nochmals Polizei,
um zu horchen, ob wir ja nicht mit unserm Wirt hochverräterische
Gespräche führten. Man war so besorgt um die Sicherheit Mecklenburgs,
daß man den armen Polizisten, welche die ganze vorhergehende Nacht
bis Sonntag mittag auf Feuerwache gewesen waren, nicht einmal Zeit
zum Mittagessen ließ, sondern sie ununterbrochen hinter uns drein jagte.
Als wir am andern Morgen Kaffee tranken, erschien ebenfalls ein Polizist
mit dem Auftrage des Rats, uns zu fragen, wann wir abzureisen
gedächten; wir antworteten ihm, daß wir uns Zeit lassen würden. Er
ging mit dieser Schreckensbotschaft wieder nach dem Rathause; wir aber
eilten nach der Post, um nach Prenzlau zu fahren. Gerade diese Polizei⸗
schwierigkeiten haben den Arbeitern, mit welchen wir sprachen, die Augen
geöffnet, und so ist es wenigstens gelungen, einige Abonnenten für den
„Neuen Sozialdemokrat“ zu gewinnen.
„In Prenzlau hielten wir eine gut besuchte Versammlung in der
„Konkordia-Halle“ ab, in welcher auch viel Militär anwesend war. Unsre
Ausführungen über Militarismus, Krieg und Frieden wurden allseitig
mit Beifall aufgenommen. Niemand meldete sich dagegen zum Wort;
in nächster Zeit wird sich eine Mitgliedschaft des Verbandes konstituieren.
Am andern Tage hielten wir eine stark besuchte Versammlung in Anger⸗
münde ab, in der viele von der besitzenden Klasse waren. Da die
Arbeiter in politischen Dingen noch unerfahren waren, wählten sie einen
207
Redakteur und Buchdrucker, Herrn Feistel, zum Vorsitzenden, der einstmals
Leiter der Buchdrucker Deutschlands war, jetzt aber als Kleinbürger ganz
versauert ist. Kapell sprach und forderte zum Schluß zur Interpellation
auf, doch meldete sich niemand. Dann sprach Finn. Jetzt forderte
Herr Feistel die Versammlung auf, uns zu widerlegen. Da sich wieder
niemand meldete, sprach er selbst einige Worte, deren Sinn war, daß man
den Mittelstand hochhalten und den kleinen Handwerker nicht zum gewöhn⸗
lichen Arbeiter stempeln solle! Sodann schloß dieser Herr, trotzdem wir uns
zum Wort gemeldet hatten, schleunigst die Versammlung. Die Arbeiter,
welche unsern Ausführungen mit Beifall gefolgt waren, gaben auf meine
Aufforderung durch Händehochheben zu erkennen, daß sie dem Verbande
beitreten wollten, und bestimmten auch sogleich, wann die nächste Ver—
sammlung stattfinden solle. Am andern Tage erfuhren wir noch von
Arbeitern, daß der Bürgermeister nebst einem Fabrikanten verschiedene
Taler zum besten gegeben habe, um die Leute vom Verband abzuhalten.
Das beste war aber der Bericht des Herrn Feistel im Angermünder Blatt,
in welchem er sich selbst lobte und behauptete, uns vollständig widerlegt
zu haben. In Schwedt a. d. O. mußte die Versammlung ausfallen, weil
der Einberufer über Land arbeitete, doch hatten die Zimmerleute gerade
eine Zusammenkunft und wir Gelegenheit, mit diesen zu sprechen. In
Neustadt-Eberswalde fiel die Versammlung durch nicht vorschriftsmäßige
Anmeldung aus. Hiermit endete unsre Agitation.“
Außer Kapell und Finn waren noch in andern Reichsteilen die
Agitatoren des Verbandes emsig an der Arbeit. In Hamburg-Altona,
Brandenburg a. d. H., Achim, Greiz, Osnabrück und Köln bestanden
besondere Agitationskommissionen, die auch nach Kräften Agitation betrieben.
1873 beschloß die Generalversammlung des Allgemeinen deutschen
Arbeitervereins, welche vom 18. bis 24. Mai 1873 in Berlin tagte, die
nachstehende Resolution:
a) Die gegenwärtige Streikbewegung in Deutschland ist die natur—
gemäße Folge des Druckes der Kapitalmacht auf die Arbeiter⸗
klasse; die Streiks sind somit berechtigt als ein, wenn auch
unzureichender Akt der Notwehr von seiten der Arbeiterklasse
innerhalb des heutigen Gesellschaftszustandes, während die end⸗
gültige Befreiung der Arbeit vom Drucke des Kapitals nur durch
den Sozialismus erreicht werden kann, also durch die politische
Agitation und die feste Organisation des Allgemeinen deutschen
Arbeitervereins.
Die Durchführung des Streiks hat vielfach das Entstehen von
Korporativvereinen zur Folge gehabt, welche die Unterstützung
208
Streikender bezwecken. Andrerseits hat sich durch die Erfahrung
herausgestellt, daß nur dort entschiedene Siege durch Streiks
erzielt werden können, wo bereits der brüderliche, sozialistische
Geist alle Arbeiter fest vereint. Auf alle Fälle kann somit eine
Korporativbewegung, welche sich von den sozialistischen Ideen
entfernt und die Lassallesche Organisationsidee schädigt, nur
schädlich auf die Arbeiterklasse wirken.
Die deutsche Korporativbewegung findet somit ihren inneren Halt
zanz allein durch die Organisation des Allgemeinen deutschen
Arbeitervereins, und es ist deshalb Pflicht der Korporativvereine
und ihrer Vorstände, zu veranlassen, daß die Mitglieder derselben
auch Mitglieder des Allgemeinen deutschen Arbeitervereins werden,
um in diesem den unbedingt zur schließlichen Befreiung der
Arbeiterklasse nötigen organisierten sozialpolitischen Kampf zu
ühren.
Die Mitglieder des Allgemeinen deutschen Arbeitervereins, welche
innerhalb irgendwelcher Korporativbewegung und hauptsächlich
an der Spitze stehen, sind verpflichtet, im obigen Sinne zu
handeln und verletzen durch Versäumnis dessen unbedingt ihre
Pflicht gegen den Allgemeinen deutschen Arbeiterverein.
Außerdem wurden die nachstehenden beiden Beschlüsse einstimmig gefaßt:
„Um planlose Agitationen zu verhüten, sind die Mitglieder des
Allgemeinen deutschen Arbeitervereins, welche Leiter der Korporativ—
bewegungen sind, verpflichtet, bei vorzunehmenden Agitationen dem
Präsidenten des Allgemeinen deutschen Arbeitervereins vorher mitzuteilen,
wie und wo die Agitation betrieben werden soll und nachher dem
Präsidium über den Ausfall der Agitation zu berichten.“
„Die Generalversammlung erklärt: Es ist Pflicht jedes Bevoll—
mächtigten des Allgemeinen deutschen Arbeitervereins, diejenigen Korpo—
rationen, welche sich der Bewegung aus irgendwelchem Grunde fernhalten,
den zur Partei gehörigen Gewerkschaften zuzuführen und den Leitern
der Gewerkschaftsbewegung soviel als möglich Unterstützung zu gewähren.“
4)
Die Zusammenschliessungsbestrebungen der Internationalen
Gewerksgenossenschaften.
Ueber v. Schweitzers Statutenentwurf für den Arbeiters chaftsverband
schrieb Karl Marx am 13. Oktober 1868:
„Was den Statutenentwurf betrifft, so halte ich ihn für prinzipiell
verfehlt, und ich glaube, soviel Erfahrung als irgendein Zeitgenosse auf
dem Gebiete der Trade-Unions zu haben. Ohne hier weiter auf Details
209
einzugehen, bemerke ich nur, daß die Organisation, so sehr sie für geheime
Gesellschaften und Sektenbewegungen taugt, dem Wesen der Trade—
Unions widerspricht. Wäre sie möglich — ich erkläre sie tout bonnement
für unmöglich —, so wäre sie nicht wünschenswert, am wenigsten in
Deutschland. Hier, wo der Arbeiter von Kindesbeinen an bureaukratisch
gemaßregelt wird und an die Autorität, an die vorgesetzte Behörde glaubt,
gilt es vor allem, ihn selbständig gehen zu lehren . . . . Lassalle
beging großen Mißgriff, als er den „olu du suffrage universel“ der
französischen Konstitution von 1852 entlehnte. Nun gar in einer Trade⸗
Unionsbewegung! Diese dreht sich großenteils um Geldfragen, und sie
werden bald entdecken, daß hier alles Diktatortum aufhört.“
Das Bebelsche Musterstatut für Internationale Gewerksgenossen⸗
schaften entsprach Marx' Auffassung. Aber die Bebel-Liebknechtsche
Richtung zog die Konsequenzen der Denkschrift des Zentralkomitees der
Sektionsgruppe deutscher Sprache der Internationalen Arbeiterassoziation
an den Eisenacher Kongreß 1869 ebensowenig wie dieser. Die Eisenacher
gingen keineswegs in den Gewerkschaften auf, wie es jene Denkschrift
verlangte. Der Eisenacher Kongreß nahm vielmehr ein rein politisches
Programm an. Mit dem Satze:‘ „Die politische Freiheit ist die unent—
behrlichste Vorbedingung zur ökonomischen Befreiung der arbeitenden
Klasse; die soziale Frage ist mithin untrennbar von der politischen,
ihre Lösung durch diese bedingt und nur möglich im demokratischen Staat“,
wird der Gewerkschaftsbewegung geradezu jede Bedeutung abgesprochen.
Die Eisenacher stellten ihre Gewerkschaften auf ihre eignen Kinderfüße
und da mißlangen alle Gehversuche. Wenn für die Internationalen
Gewerksgenossenschaften nichtsdestoweniger einige Häuflein Arbeiter ge—
wonnen wurden, so war das der überaus rührigen Agitation geschuldet,
die Bebel und Liebknecht nicht etwa für eine leistungsfähige Gewerkschafts⸗
bewegung, sondern gegen v. Schweitzer und den Allgemeinen deutschen
Arbeiterverein entfalteten. Ueber die Tätigkeit des Vororts in der
Gewerkschaftsangelegenheit berichtete Bebel dem sechsten Verbandstage
deutscher Arbeitervereine, der am 10. August 1869 in Eisenach stattfand:
Konstituiert seien die internationalen Gewerksgenossenschaften der Buch⸗
binder, der Manufaktur-, Fabrik- und Handarbeiter und der Berg— und
Hüttenarbeiter. Der Konstituierung nahe seien die Metallarbeiter, Holz—
arbeiter, Schuhmacher, Maurer- und Zimmerergewerkschaften. Das war
alles, was sich von der Mutterorganisation hatte absprengen lassen.
Die Internationalen Gewerksgenossenschaften konnten weder leben
noch sterben. Die Hilflosigkeit der Internationalen Gewerksgenossenschaft
der Maurer und Zimmerer kommt im zweiten Bande zur Darstellung,
Bringmann, Geschichte der Zimmerer.
210
hier sollen nur ihre Kräftigungsversuche durch Zusammenschluß beschrieben
werden. Bereits auf dem Kongreß der Eisenacher in Stuttgart im
Jahre 1870 hatte sich York, der von den Lassalleanern zu den Eisenachern
mit übergetreten war, eifrig zu wehren, damit durch Parteibeschluß die
Gewerksgenossenschaften nicht auch zu einem „Gewerkschaftsbrei“ zusammen⸗
gerührt wurden. Nach kaum einem halben Jahre mußte VYork aber selber
auf den Zusammenschluß der Gewerksgenossenschaften in eine „Gewerk—⸗
schaftsunion“ zurückkommen. In einer Ansprache „An die Vorstände und
Mitglieder der Internationalen Gewerksgenossenschaften“, die im „Volks—
staat“ Nr. 32 am 19. April 1871 erschien, führte York aus:
„Bereits im vorigen Jahre wurde auf dem Stuttgarter Kongreß
eine Resolution gefaßt, durch welche den verschiedenen Gewerkschaften
empfohlen wurde, unbeschadet ihrer Selbständigkeit, in ein gewisses Ver—
tragsverhältnis zur gegenseitigen Kräftigung und Unterstützung zusammen⸗
zutreten. So richtig dieser Vorschlag nun auch war, die praktische Durch—
führung mußte aus verschiedenen Gründen bis jetzt unterbleiben, weil es
eben zur Realisierung dieses Vorschlages an den notwendig autorisierten
Personen fehlte und auch, weil der kurz nachher über uns hereingebrochene
Krieg den Versuch, in dieser Richtung organisatorisch vorzugehen, von
vornherein unmöglich machte. Jetzt, nachdem mindestens das letztere Hindernis
als beseitigt angesehen werden muß, scheint es mir an der Zeit, in dieser
Beziehung praktisch vorzugehen. Vor allem andern ist es notwendig, wenn
überhaupt eine solche Vereinigung zustande kommen soll, daß die ver—
schiedenen Gewerkschaften sich untereinander über die Basis einer solchen Ver⸗
einigung verständigen und demgemäß eine bestimmte Organisation schaffen,
die die einzelnen Körperschaften verbindet und, ohne deren Selbständigkeit
in eignen Verwaltungssachen aufzuheben, doch die Möglichkeit bietet, selb⸗
ständig vorzugehen. Ein bloßer Kartellvertrag, etwa nur dazu errichtet,
um den Kontrahenten die Kassenbestände der verschiedenen Gewerkskassen
zur Verfügung zu stellen, wäre ebensowenig genügend, als es andrerseits
verkehrt sein würde, jetzt alle Gewerkschaften in einen Topf zu werfen,
um einen Gewerkschaftsbrei à la Schweitzer daraus zu machen. Ebenso
aber haben wir im verflossenen Jahre sattsam Gelegenheit gehabt, zu
beobachten, wohin es führt, wenn in einer Stadt jede winzige Mit⸗
gliedschaft in absoluter Unabhängigkeit von der womöglich noch kleineren
Mitgliedschaft einer andern Gewerkschaft ihre eignen Wege geht.
Durch das vollständige Isoliertsein der Gewerkschaften ist es nun eben
dahin gekommen, daß wohl keine derselben imstande sein wird, selbst⸗
ständig eine Generalversammlung abhalten zu können, und aus diesem
Umstande ist es recht deutlich zu ersehen, wie notwendig ein geregeltes
211
gemeinsames Zusammengehen und Zusammenwirken ist. Wie aber dazu
gelangen? Das ist natürlich eine Frage von höchster Wichtigkeit. Und
da wären denn, wenn wir den Umstand ins Auge fassen, daß wohl
keine Gewerkschaft dieses Jahr eine Generalversammlung abhalten wird,
die außerdem auch noch laut Statut zu verschiedenen Zeiten stattfinden
würden, nur zwei Wege offen. Der eine Weg wäre, durch schriftlichen
Verkehr der verschiedenen Verwaltungen untereinander eine Verständigung
über Basis und Satzungen einer solchen Vereinigung zu erzielen, der
andre, daß Bevollmächtigte der verschiedenen Gewerkschaften mündlich
darüber beraten. Unzweifelhaft dürfte freilich letzterrr Weg der
geradeste, am ehesten zum Ziele führende sein, und da doch zu Pfingsten
der Parteikongreß zu Dresden tagen wird, so erlaube ich mir, nach—
stehenden Vorschlag einer eingehenden besonderen Beachtung angelegentlich
zu empfehlen: „Jede Gewerkschaft resp. der Vorstand jeder Gewerkschaft,
wo ersteres unmöglich sein sollte, beauftragt und bevollmächtigt jemand
aus ihrer Mitte, zur Zeit des Parteikongresses in Dresden gemeinschaftlich
mit den Bevollmächtigten der andern Gewerkschaften über Mittel und
Wege zu beraten, wie eine Vereinigung der verschiedenen Gewerkschaften
resp. Gründung einer „Gewerks-Union“ am ehesten zu bewirken ist, und
verpflichtet sich, später in jeder Weise für das Zustandekommen einer
solchen Verbindung tätig zu sein.“
Dieser Vorschlag bekam aus Breslau eine unangenehme Abfuhr;
die unterm 21. Mai 1871 im „Volksstaat“ Nr. 45 erschienene Korre—
spondenz lautet:
„Da in Nr. 32 Th. York die Parteigenossen auffordert, Vorschläge
zu machen, wie eine Vereinigung der verschiedenen Gewerkschaften
resp. Gründung einer Gewerks-Union am ehesten zu bewirken ist, ohne
einen Gewerkschaftsbrei à la Schweitzer herzustellen, so erlaube ich mir,
einige Bemerkungen über die Gewerkschaften vorausschickend, auch ein
Wort zu sprechen: Nachdem die Gewerksgenossenschaften 1868 zur Re—
gelung der Streiks bei uns importiert wurden, haben wir bis heute (dies
wird kein ehrlicher Parteigenosse bestreiten können) im allgemeinen mehr
Fiasko als Erfolg mit denselben gemacht. Die Schuld lag zum größten
Teile an den Arbeitern sowie auch an den Gründern selbst. Für ein
paar Silbergroschen Beitrag wurde alles mögliche versprochen: Kranken-,
Sterbe- und Wandergeld und Unterstützung bei Aussperrung resp. bei
Arbeitseinstellungen. Mochte die Beteiligung bei einer solchen Gewerk—
schaft nun stark oder schwach sein, der Prozentsatz der Unterstützungs—
bedürftigen blieb sich doch immer gleich, und die Erfahrung hat gelehrt,
daß bei so wenig Beitragszahlung es eine Unmöglichkeit war, das den
14*
212
Mitgliedern versprochene Unterstützungsgeld in Fällen, wo sie desselben
bedürftig waren, zu zahlen. Zudem machten die meisten Arbeiter einen
zu frühzeitigen Gebrauch von ihrem Rechte, ohne zu bedenken, daß noch
keine Fonds vorhanden waren, um eine Arbeitseinstellung wagen zu können.
„Daß infolgedessen viele Streiks zum Nachteil der Arbeiter ausfielen
und noch ferner ausfallen werden, liegt auf der Hand. Solche verunglückte
Arbeitseinstellungen, und ihrer sind nicht wenige, haben unsre Sache
schwer geschädigt, und man kann wohl denjenigen nicht ganz unrecht
geben, welche behaupten: Die Gewerkschaften seien gerade das Mittel
gewesen, um der Sozialdemokratie, wenn auch nicht den Todesstoß, so
doch einen schweren Schlag zu versetzen. In unserm Prinzip liegen sie
nicht. Ich erlaube mir nur, die älteren Parteigenossen an die General—
versammlung des Allgemeinen deutschen Arbeitervereins im August 1868
in Hamburg zu erinnern. Unsre Partei hat die Pflicht, die Arbeiter
für den Sozialismus resp. hauptsächlich dieselben gesellschaftlich und politisch
zu bilden. Weichen wir nur um Haaresbreite davon ab, so verfehlen wir
das richtige Ziel.
„Es wird den Arbeitern bei Gründung der Gewerksgenossenschaften
gesagt, dieselben würden den Uebergang zu den Produktivgenossenschaften
bilden; inwieweit das richtig, oder besser nicht richtig ist, wurde schon
im vorigen Jahre kurz nach dem Stuttgarter Kongreß im „Volksstaat“
bewiesen. Daß die Gewerkschaften, wie dieselben bis jetzt bestanden, der
Solidarität des gesamten arbeitenden Volkes nicht gebührend Rechnung
getragen und den mittelalterlichen Kastengeist nur fördern, ist jedem
wirklichen Sozialisten klar. Die Frage liegt nun so: Ist es nach den
bis jetzt gemachten Erfahrungen noch ratsam, den kleinen Rest der noch
vorhandenen Gewerkschaften zu erhalten oder gar mit Aufbietung unsrer
Kräfte, welche wir auf politischem Gebiete verwenden können, zu unter⸗
stützen, daß dieselben wieder neue Lebenskraft gewinnen und sich erweitern
und vergrößern?
„In denjenigen Orten, wo Streiks mißlungen sind, wird dies ein
schweres Stück Arbeit, wenn nicht in vielen Fällen eine Unmöglichkeit
sein! Man wird mir antworten: Blicke auf die sächsischen Weber, ihr
Streik ist mißlungen und doch treten dieselben massenhaft der Gewerks⸗
genossenschaft bei! In Zeiten der Bewegung fehlt es nicht an ähnlichen
Strohfeuern, welche, wie die Erfahrung lehrt, bald ausgebrannt sind,
und es bleibt nur ein kleines Häuflein Asche übrig, welches der erste
Wind zerstreut. Sind die Arbeiter in ihrer großen Mehrheit sozial⸗
politisch gebildet, so bedarf es keiner Gewerkschaft, um einen Streik glücklich
durchzuführen. Die meisten Arbeiter aber, welche bis jetzt Mitglied von
213
Gewerksgenossenschaften wurden, haben durch ihr Verhalten gezeigt, daß sie es
nicht für nötig hielten, sich noch politische Bildung anzueignen, und nach dem,
was wir bis jetzt erfahren, scheint in Deutschland der Boden nicht zu sein, wo
die Gewerksgenossenschaften, wie in England, zum Aufschwung gelangen.
„Bleiben wir unserm politischen Programm treu! Der Weg zum
Ziel ist vielleicht etwas langsamer, aber sicher; wir erziehen Kämpfer für
die Schlachten des Proletariats und scheiden einst mit dem Bewußtsein,
unsre Schuldigkeit getan zu haben.“ Julius Scheil.
Dienstag, den 15. August 1871, nach Schluß des Parteikongresses,
traten die anwesenden Delegierten und Vertrauensmänner der Gewerkf chafts⸗
verwaltungen unter dem Vorsitz von York nichtsdestoweniger zusammen,
um über die Grundlage der Agitation zur Ausbreitung und Kräftigung
der bestehenden Gewerkschaften einerseits sowie über Mittel und Wege
zur Gründung einer Gewerkschaftsunion andrerseits zu beraten. Außer
VYork (Holzarbeiter) waren beauftragt, an der Konferenz teilzunehmen:
von dem Ausschuß der Metallarbeiter Reichelt (Hannover), von dem Aus—
schuß der Manufaktur- und Fabrikarbeiter Motteler (Crimmitschau), von
dem Ausschuß der Baugewerke Müller und Gäbler (Dresden) und von
dem Ausschuß der Schuhmacher Ullrich (Leipzig).
Als Referent befürworte Bremer (Magdeburg) eine nach Gewerkschafts—
sektionen geregelte Zentralisation an allen Orten. Von allen Delegierten
wurde übrigens die Notwendigkeit einer Zentralorganisation für die
Gewerkschaften hervorgehoben, und nur über die Frage der praktischen
Ausführung gingen die Ansichten nach zwei Richtungen auseinander.
Während von Gabriel und Stelzer zur endgültigen Regelung ein be—
sonderer Gewerkschaftskongreß für notwendig erachtet wurde, entschied
schließlich die Versammlung auf Antrag von Bebel: „daß die anwesenden
Vertreter der Gewerkschaftsverwaltungen als Kommission zur Ausarbeitung
eines Organisationsentwurfes der Gewerksunion ernannt und verpflichtet
werden, diesen Entwurf der Diskussion und Urabstimmung zu unterbreiten“.
Von dieser Kommission wurde York mit der Ausführung des gefaßten
Beschlusses beauftragt.
Die Angelegenheit machte aber keine Fortschritte; sie wäre gewiß
ganz vergessen worden, wenn die zugkräftige Agitation der Lassalleaner den
in Harburg sitzenden York nicht zu weiteren Maßnahmen angetrieben hätte.
Im Frühjahr 1872 betrieb er die Veranstaltung eines Gewerkschaftskongresses
mit größter Emsigkeit, auch ohne eine regelrechte Urabstimmung. Dabei
mußte er aber noch eine gewiß recht unangenehme Ueberraschung erfahren.
Der Gewerkschaftler York hatte gewiß schon lange herausgefühlt,
daß der „Sozialdemokrat“ und dann der „Neue Sozialdemokrat“ die
214
Interessen der Gewerkschaftsbewegung mit Wärme und rücksichtslos ver—
traten, wohingegen der „Volksstaat“ absolut nichts weiter war als das
Publikationsorgan der Internationalen Gewerksgenossenschaften. NYork
war daher schon früher für die Schaffung eines besonderen Gewerkschafts⸗
organs eingetreten. Dieses Organ sollte „durch Erörterung prinzipieller
Fragen auf sozialem Gebiete das Bewußtsein der Mitglieder kräftigen
Ind die Erkenntnis der Klassenlage fördern und somit Bahnbrecher der
Gewerkschaftsbewegung überhaupt sein“. Der „Neue Sozialdemokrat“
erfüllte diese Aufgabe zeitgemäß, der „Volksstaat“ aber nicht. Am 16. Juni
sollte der Gewerkschaftskongreß zusammentreten und am 8. Juni brachte
der „Volksstaat“ einen „B“ gezeichneten Artikel: „Zum Gewerkschafts⸗
kongreß in Erfurt“.“ Darin wurden die Schäden der Gewerksgenossen—
schaften anerkannt; auf die Idee eines besonderen Gewerkschaftsblattes
wurde jedoch ein Kaltwasserstrahl losgelassen. In dem Artikel wurde
darüber gesagt:
„Wir begreifen wohl das Verlangen nach einem eignen Gewerks⸗
genossenschaftsorgan, weil bisher die Verhältnisse es mit sich brachten,
daß der „Volksstaat“ nach dieser Seite zu wenig leistete. Die Gewerks—
genossenschaftsbewegung muß entschieden in den Vordergrund treten,
fleißiger besprochen werden als bisher. Nur sehen wir nicht ein, daß
dazu ein apartes Organ notwendig ist, das bei einmal wöchentlichem
Erscheinen — und an öfteres ist nicht zu denken, soll die Steuerlast
nicht zu groß werden — bei weitem nicht genügt. Sollen wichtige
Gewerkschaftsangelegenheiten volle acht bis zehn Tage warten, ehe sie
in die Hände der Interessenten gelangen, dann dürfte es oft zu spät und
die Mitteilung nutzlos sein. Man benutze also das Vorhandene zu dem
größeren Zweck. Man beschließe in Erfurt immerhin die Herausgabe
eines speziellen Gewerksgenossenschaftsorgans, aber man lasse es als Bei—
lage zum „Volksstaat“ erscheinen, ohne daß letzterer im Preise dadurch
erhöht wird. Vom 1. Oktober an wird der „Volksstaat“ eine wöchent—
liche Beilage recht gut ertragen können; entsteht im ersten und zweiten
Quartal ein kleines Defizit, so wird dieses durch die Gewerksgenossen—
schaften gedeckt; es beträgt aber sicher nicht die Hälfte der Kosten, die
die Gründung eines besonderen Organs beanspruchen würde. Wer auf
den „Volksstaat“ abonniert ist, erhält dann das Gewerkschaftsorgan, das
einen besonderen Titel führen kann, gratis mit. Außerdem können die—
jenigen, welche nur das Genossenschaftsorgan wünschen, sich auf dasselbe
*Diesen Artikel hat August Bebel verfaßt, der denselben auch in seine
Broschüre: „Gewerkschaftsbewegung und politische Parteien“, Stuttgart 1900,
aufgenommen hat.
215
besonders abonnieren, und zwar zu einem vierteljährlichen Preis von
zirka sechs Silbergroschen. Beschließt der Kongreß in diesem Sinne, dann
beschließt er etwas Praktisches, die Arbeiterinteressen nach jeder Seite
hin Förderndes. Es wird hohe Zeit, daß wir aus dem Hin- und Her—
schwanken und Experimentieren herauskommen und endlich festen Fuß fassen.“
Am 16. und 17. Juni 1872 tagte in Erfurt der lange vorbereitete
Gewerkschaftskongreß. Es hatten sich 532 Delegierte aus folgenden
Städten eingefunden: Altona, Apolda, Augsburg, Berlin, Braunschweig,
Chemnitz, Crimmitschau, Coburg, Dresden, Erfurt, Eisenach, Fürth, Gotha,
Harburg, Hannover, Köln, Leipzig, Mainz, Magdeburg, München,
Nüurnberg, Passau, Pößneck, Regensburg, Ronneburg, Stuttgart, Würzburg,
Wien, Weimar, Werdau. Außer Gewerksgenossenschafts-Mitgliedschaften
waren auch verschiedene Fachvereine und sonstige Arbeiterverbindungen
vertreten. Für den Verwaltungsrat der Maurer und Zimmerer hatte
sich Gäbler aus Dresden, für den der Holzarbeiter York aus Harburg,
für den der Manufakturarbeiter Motteler aus Crimmitschau, für den der
Schneider C. F. Rick aus Berlin, für den der Schuhmacher, G. Gunreben
aus Nürnberg, für den Aufsichtsrat der letzteren Aug. Schäfer aus
Leipzig und für den provisorischen Ausschuß der Metallarbeiter Thümler,
Schubert und Dietz aus Chemnitz eingefunden.
Ins Bureau wurden gewählt: Motteler zum ersten und York zum
zweiten Vorsitzenden; zu Schriftführern: Müller-Weimar, Schauer-Dresden,
Berg-⸗Köln und Vahlteich-Chemnitz; in die Mandatsprüfungskommission:
Somann⸗Altona, Müller-Weimar und Kunze-Leipzig.
York-Harburg legte den Delegierten einen gedruckten Entwurf für
die zu gründende Gewerkschaftsunion vor. Die Generaldebatte war eine
äußerst lebhafte, besonders deshalb, weil ein großer Teil der Delegierten
eigentlich fuür die Gründung einer Unionsgewerkschaft, Zusammenwerfen
aller Gewerkschaften in einen Topf, eingenommen war; auch bezüglich der
Frage, ob ein selbständiges Gewerkschaftsorgan gegründet werden solle,
waren die Meinungen geteilt, jedoch erklärte sich die Mehrheit der Redner
dafür, daß auch in Zukunft der „Volksstaat“ als Organ beibehalten resp.
daß demselben eine Beilage beigegeben werden solle, die ausschließlich
gewerkschaftliche Interessen zu behandeln hätte. Bebel hatte seine Absicht
erreicht.
Die Kongreßbeschlüsse blieben in jeder Beziehung nur Projekt. Zu
allem Unglück hatte man den Unionsausschuß nach Leipzig verlegt. Als
das dort eingesetzte Komitee am 15. Juli die Unionsstatuten dem Polizeiamt
zur Genehmigung einreichte, erhielt es unterm 17. Juli den Bescheid, daß
die Gewerkschaften und Fachvereine, welche sich der Union anschlössen,
216
als Zweigvereine betrachtet würden. Unterm 11. August 1872 brachte
das Komitee sämtlichen Vorständen und Mitgliedern der auf dem Erfurter
Kongreß vertreten gewesenen Gewerkschaften zur Kenntnis, daß die örtlichen
Verhältnisse Leipzigs sowie die von seiten der Behörde erhobenen
Schwierigkeiten das Komitee veranlaßten, die Verlegung des Vororts von
Leipzig nach irgend einem Orte außerhalb Sachsens zu befürworten.
Um nun aber allen Gewerkschaftsmitgliedern gerecht zu werden, war der
Vorschlag in Kürze folgender: „Da am 5., 6. und 7. September in
Mainz der Kongreß der sozialdemokratischen Arbeiterpartei abgehalten
werden soll, so mögen die Vorstände der auf dem Erfurter Kongreß ver⸗
treten gewesenen Gewerkschaften im Einverständnis mit ihren Mitgliedern
die von den Mitgliedern der sozialdemokratischen Arbeiterpartei delegierten
Vertreter der Kostenersparnis halber beauftragen, nach dem Kongreß eine
Sitzung zur nochmaligen Beratung resp. Umänderung des Unionsstatuts
sowie zur Verlegung des Vororts von Leipzig anzuberaumen. Wir ersuchen
nun die Vorstände der betreffenden Gewerkschaften, unsern Vorschlag so
rasch wie möglich ihren Mitgliedern zur Beratung und Beschlußfassung
zu unterbreiten, das Resultat derselben aber uns sofort zu übermitteln.
Wird, wie wir hoffen, unser Vorschlag angenommen, so wird ein von
uns nach Mainz entsendetes Mitglied des Komitees die Sachlage näher
erläutern. Im Auftrage des Komitees: O. Stelzer.“
Nach Schluß des Parteikongresses traten am 11. September 1872
die Gewerkschaftsdelegierten zu einer Konferenz zusammen, um die An—
gelegenheit der Union zu besprechen. York führte aus: „daß es mehr
die Sache selbst als das Statut sei, an welchem man (das heißt die
Leipziger bezw. sächsische Polizeibehörde) Anstoß nehme“. Er schlug des⸗
halb vor, „entweder einen andern Ort als Domizil der Union zu wählen
oder aber die Angelegenheit auf gänzlich veränderter Basis ins Leben zu
rufen“. In ersterem Falle schlug er „aus mehrfachen Gründen“ vor,
die Union in Berlin bei der Behörde anzumelden, „zumal auf Grund
des preußischen Vereinsgesetzes bereits ähnliche Gewerkschaftsorganisationen,
wie die von der sächsischen Polizei verhinderte Gewerkschaftsunion, in
Preußen unbeanstandet ins Leben getreten seien. Auch unterläge es
gar keinem Zweifel, daß in Berlin die organisatorischen Kräfte zu finden
wären, um die ganze Angelegenheit endlich zum Abschluß zu bringen.“
Motteler machte den Vorschlag: „Die Gewerkschaftsunion als Genossen⸗
schaftsangelegenheit, gestützt auf das Genossenschaftsgesetz, zu behandeln
und als Verficherungsgesellschaft ins Leben zu rufen.“ Motteler hielt
diesen Vorschlag für den vorteilhaftesten, „da er auch geeignet sei, der
Sache den Bourgeois und Zünftlern gegenüber mehr Ansehen und Gewicht
217
zu geben“. Zu einem bestimmten Beschluß kam die Konferenz nicht, sie be—
auftragte vielmehr York und Motteler mit der Weiterverfolgung der Sache.
Die Angelegenheit kam nicht mehr in Fluß, so daß man in den
Gewerksgenossenschaften selbst nicht wußte, woran man war. Trost in
Berlin klagte im „Volksstaat“ Nr. 8 von 1873: „Da auf verschiedene
Anfragen über den Stand der Gewerkschaftsunion bisher von keiner
Seite Antwort erfolgt ist, muß man wohl oder übel zu der Annahme
—D0 befindet.“
Dieser Stand der Dinge versprach für die Gewerksgenossenschaften
um so mehr verhängnisvoll zu werden als die Lassalleaner ihre Gewerk—
schaftsorganisation dahin erweiterten, daß sie die Arbeiter von neuem in
nationale Berufsverbände zusammenfaßten. Die Eisenacher kamen dabei
arg ins Gedränge. Nun legte sich „ein entschiedener Vertreter der Ver—
söhnung und Verständigung“ ins Mittel. Als 1873 Grottkau einen
Kongreß der Maurer und Steinmetzen nach Berlin berief, da machte
J. Auer im „Volksstaat“ Propaganda gegen den Kongreß. Wir drucken
seine Korrespondenz in den Anlagen ab.“ Mit geradezu rührender Naivität
schrieb Auer am Schlusse: „Wollen die Herren Grottkau und Genossen
wirklich, daß Friede unter den deutschen Arbeitern werde, gut, dann mögen
sie feierlich und offiziell erklären, daß sie uns als Sozialdemokraten an—
erkennen, wie sie das Gegenteil schon so oft getan; sie mögen erklären, daß
sie uns unrecht getan, als sie uns stets die Eigenschaften einer sozial⸗
demokratischen Partei absprachen.“ Grottkau sandte der Redaktion des
„Volksstaat“ eine Erklärung zu dieser Korrespondenz, die diese abdruckte,
aber mit fünfzehn überaus gehässigen Bemerkungen versah, die weit
mehr Raum beanspruchten als die Erklärung. Das ging selbst Arbeitern
in der Eisenacher Partei über die Hutschnur. Der Maurer Körner
schickkte der Redaktion des „Volksstaat“ eine Erklärung mit dieser
Einleitung: „Fast in jeder der letzten. Nummern des „Volksstaat“
unterhalten die Mitglieder der Partei eine fortwährende Polemik mit den
Leitern des Allgemeinen deutschen Arbeitervereins. Alles, was irgend
aufzufinden und nicht gerade löblich zu nennen ist, glaubt man nach der
Redaktion des „Volksstaat“ schicken zu müssen, womöglich mit der Be—
merkung: Aufnahme unbedingt nötig. Der Redaktion scheinen solche
Pamphlete sehr willkommen zu sein.“ Die Erklärung wurde zwar auf⸗
genommen, aber wiederum durch sechzehn Bemerkungen verlästert.
Diese Kampfesweise trug nicht dazu bei, die Gewerkschafts—
hewegung zu stärken, sie war nicht einmal geeignet, die Internationalen
* Seite 367.
218
Gewerksgenossenschaften zusammenzuhalten. In dieser Not griff der
Schriftsetzer Karl Hillmann, ein ehemaliger Lassalleaner, der Redaktion
des „Volksstaat“ mit einer Artikelserie unter die Arme, die unter der
Stichmarke „Praktische Emanzipationswinke“ zum Abdruck kamen.
In diesen Artikeln wird auseinandergesetzt, daß die große Mehrzahl
der Arbeiter keinen Sinn für politische Bestrebungen hat, sie interessiere
sich nicht für Reichstag und Gesetzgebung, für Zoll-, Steuer-, Verkehrs-,
Landes- und Fürstenfragen, für Republik oder Monarchie. Es sei auch
schwer, sie aufzurütteln. Am besten sei sie für Lohnerhöhung, kurze
Arbeitszeit, Reise- und Krankenunterstützung zugänglich. Die Gewerkschaften
„können auch den Lohn wenigstens auf die Höhe hinaufschrauben, durch
welchen es möglich wird, die Bedürfnisse zu erweitern und zu vergrößern,
und da sich der Lohn nach dem ehernen Lohngesetz, nach den gewohnheits⸗
mäßigen Bedürfnissen eines Volkes richtet, so kann nichts näher liegen,
als die gewohnheitsmäßigen Bedürfnisse zu erweitern. Durch die Er—
weiterung der Bedürfnisse arbeitet man nicht nur dem Hungertyphus
entgegen, sondern der Arbeiter lernt auch die Nützlichkeit der kurzen
Arbeitszeit schätzen. Er gibt der Arbeitskraft nicht nur einen höheren
Wert, vielmehr noch schützt er sich vor Ueberproduktionen und Handels—
krisen, er vermehrt damit seine sozialpolitische und ökonomische Bildung
und wird dem Familienleben nicht entfremdet, sondern demselben näher
geführt. Die Gewerkschaften sorgen endlich für die furchtbarsten aller
Waffen in den Händen des Proletariats, für die Statistik und Massen—
disziplin, welche, gestützt durch die politische Agitation und Organisation,
das Reich der Bourgeoisiewelt in seinen Fugen erschüttern und die neue
Gesellschaft aus der Taufe heben werden.“ Die Aufgabe der Gewerk—
schaften erledige sich nicht mit der Tätigkeit in Widerstands-, Schutz⸗
und andern Unterstützungszwecken, sondern die gewerkschaftliche Organisation
sei die natürliche historische Handhabe, um die Arbeiter zur Abschaffung
der Klassenherrschaft zu befähigen. Der rein praktische Sinn des Arbeiter—
standes müsse benutzt werden, der Arbeit allmählich zur Herrschaft zu
verhelfen. Es sei ein verhängnisvoller Irrtum, die Gewerkschaftsbewegung
der rein politischen Bewegung unterzuordnen. Kurz, die gewerkschaftliche
Bewegung ist nach diesen Artikeln eine gleichbedeutsame und gleichberechtigte
Waffe des proletarischen Emanzipationskampfes wie die politische Be⸗
wegung, aber zwischen beiden Bewegungen sollte eine scharfe Trennung
durchgeführt werden. In lichtvoller Weise werden die einzelnen Aufgaben
der Gewerkschaften erörtert und gezeigt, was sie als wirksame Hebel der
proletarischen Klassenlage, als Uebungsfelder demokratischer Selbstver⸗
waltung, als Keime der zukünftigen Gesellschaftsorganisation, genug als
219
Organ des bewußten Kampfes für die Emanzipation des Proletariats leisten.
Wir drucken die interessanten Artikel, die heute noch mit Nutzen gelesen werden
können, in den Anlagen ab.“ Gegen sie erhob sich sofort eine protestierende
Stimme im „Volksstaat“. Liebknechts Schwiegersohn, Geiser, antwortete
in einem Artikel, überschrieben: „Die Stellung der sozialdemokratischen
Partei zu den Gewerkschaften“. In diesem Artikel wird dem Verfasser der
„Praktischen Emanzipationswinke“ vorgeworfen, seine Artikel litten „an
einem erstaunlichen Mangel an Prinzipienklarheit, und sind nur geeignet,
Verwirrung anzurichten“. Im übrigen gipfelt der Artikel in dem Satze:
„Einen Wert haben diese Koalitionen (Gewerkschaften) für die mit Recht
reinpolitischen Parteibestrebungen der heutigen Sozialdemokratie nur, insofern
sie den indifferenten Arbeitermassen den Begriff der Zusammengehörigkeit
vermitteln, soweit sie den Arbeiterstand auf dem Niveau seiner Lebens—
haltung festhalten und schließlich durch die Unaufhörlichkeit ihres Kampfes
und die Geringfügigkeit seiner Erfolge die eigne Unfähigkeit nachweisen.“
Hillmann wandte sich in einer Replik gegen diesen Artikel, an der
erstaunlich ist, mit welcher Schonung er seinen Partner behandelt. Die
Redaktion des „Volksstaat“ äußerte sich in einer Randbemerkung zu dem
Geiserschen Artikel,“* aus welcher Mehring den Schluß gezogen zu haben
scheint, als sei Hillmanns Auffassung über die Gewerkschaften „unverkenn⸗
bar die herrschende in der Eisenacher Fraktion“ gewesen. Das war sie
nicht, die sozialdemokratischen Nichthandarbeiter, die sich in der Eisenacher
Richtung konzentrierten und in derselben den Ton angaben, waren
zweifellos mit Geiser völlig einverstanden. Hillmanns*** Artikel blieben
auch ohne jeden praktischen Erfolg.
Yorks Unionsbestrebungen faßten keinen Boden, das sah jeder ein.
Daraufhin plädierte eine Stimme im „Volksstaat“ für eine einheitliche
* Seite 369.
x*æ Geiser sprach nämlich seine Verwunderung darüber aus, daß „die Redaktion
des „Volksstaat“ die „Emanzipationswinke“ ohne kritische Randnoten und als Leit⸗
artikel in die Welt gesandt hat“. Dazu machte die Redaktion diese Bemerkung:
„Wir haben dies genau zu demselben Zweck getan, zu dem wir jetzt auch
vorstehenden Artikel ohne kritische Randnoten in die Welt senden. Wir bemerken
nur, daß wir mit den vorstehenden Ausführungen nicht in jeder Beziehung ein⸗
verstanden sind und meinen, daß die Gewerkschaftsbewegung im Interesse der
Massenorganisation weit sorgfältiger zu pflegen sei, als vorstehender Artikel es
verlangt. Auch glauben wir hier mitteilen zu müssen, daß viele Parteigenossen in
ihren Zuschriften an uns ihr Einverständnis mit den in den „Praktischen Emanzi⸗
pationswinken“ dargelegten Anschauungen bekundet haben. Eine weitere Replik über⸗
lassen wir dem Verfasser der „Emanzipationswinke“. Redaktion des „Volksstaat“.
*xx Hillmann ist anfangs der achtziger Jahre auf Grund des Sozialistengesetzes
aus Hamburg ausgewiesen und nach Lübeck gegangen; dort ist er 1896 als Redakteur
des Generalanzeiger“ gestorben.
220
Organisation für Sachsen. Aber auch diese „landsmannschaftlichen
Bestrebungen“ zeitigten keine praktischen Resultate, und so kam man 1874
wiederum auf die Gewerkschaftsunion zurück. In einer langen Artikel—
serie wurde im „Volksstaat“ das Projekt der Gewerkschaftsunion be—
sprochen und schließlich ein Gewerkschaftskongreß nach Magdeburg ein—
berufen. Uns interessiert nur die Geschichte der Unionsbestrebungen,
mit welcher die Artikelserie eingeleitet wurde. Es heißt da:
„Schon vor zwei Jahren haben wir, leider vergeblich, den Versuch
gemacht, eine Vereinigung der verschiedenen Gewerkschaften unter Zu—
grundelegung einer einheitlichen Organisation und behufs einheitlicher
Aktion herzustellen. Der Erfurter Gewerkschaftskongreß, der am 15. Juni
1872 stattfand und einberufen war, um diese allseitig gewünschte Ver—
bindung der Gewerkschaften durchzuführen, blieb resultatlos, mindestens
in positiver Hinsicht. In negativer Hinsicht hatte er freilich das Gute,
daß manchem, „der mit Worten trefflich streitet, mit Worten ein System
bereitet', später klar geworden sein wird, daß ein Quentchen organisato⸗
rische Kraft besser ist als ein Zentner theoretische Wortmacherei. Die
praktische Durchführung so mancher auf dem Gewerkschaftskongreß in
Erfurt gefaßten Beschlüsse wäre, ganz abgesehen von den Hindernissen,
die der Leipziger Rüder dem Inslebentreten der Union bereitete, zu
einem hanfenen Halsband für die bestehenden Gewerkschaften geworden.
Im Grunde genommen war es auch ganz gleich, ob erdrückt wurde, was
später doch erstickt wäre, mindestens nur kümmerlich vegetiert haben würde.
Als Ursache, daß das Resultat des Gewerkschaftskongresses von 1872
kein günstigeres war, muß die schreckliche Zerfahrenheit und Unklarheit
vieler anwesenden Delegierten in organisatorischen Fragen bezeichnet
verden. Heute ist es anscheinend besser in dieser Hinsicht. Derzeit aber
wurde jeder Versuch einer zentralistischen Organisation entschieden bekämpft,
als undemokratisch verketzert und als Diktaturteufelei an die Wand gemalt.
Als ob ohne die Möglichkeit einer vernünftigen Konzentrierung der Kräfte
und Mittel die Arbeiter überhaupt jemals auf Erfolg rechnen könnten!
„Selbstverständlich waren den für Dezentralisation schwärmenden
Delegierten die zentralisierten Gewerkschaften ein Greuel, und wurden die⸗
selben auch nicht als Grundpfeiler der Union betrachtet und durch organi⸗
satorische Maßregeln gestärkt, sondern im Gegenteil durch manche Beschlüsse
wurden sie zugunsten der Fachvereine geschwächt, so daß schließlich nicht
eine Gewerkschaftsunion, sondern eine mit Fachvereinen durchspickte Unions⸗
gewerkschaft das Resultat der Kongreßverhandlungen war.
„Heute, wo die aus Oesterreich importierte Fachvereinsspielerei glück⸗
licherweise ein überwundener Standpunkt ist, an welchem nur noch einige
221
sonderbare Schwärmer und solche Leute Wohlgefallen finden, die aus
persönlichem Ehrgeiz oder auch aus egoistischen Zwecken den Absonderungs-
trieb der Fachvereinler fördern, steht schon eher zu hoffen, daß auf dem
diesjährigen Gewerkschaftskongreß eine lebensfähige Gewerkschaftsunion
geschaffen wird, zumal ja die ersten Anfänge bereits gemacht sind und
nur organisch weiter entwickelt zu werden brauchen.“
Der Kongreß fand zu Pfingsten 1874 in Magdeburg statt, er blieb
aber auch erfolglos. In den ersten Stunden des Jahres 18785 starb
Theodor VYork, und damit war die einzige organisatorische Kraft der Inter⸗
nationalen Gewerksgenossenschaften dahin. NYork hat sicherlich den besten
Willen gehabt, die Gewerkschaftsbewegung vorwärts zu bringen, indessen
blieb es ihm versagt, aus den Eisenacher Nurpolitikern warme Befürworter
der Gewerkschaftsbewegung zu machen, daran sind seine Projekte gescheitert.
Weitere Fortschritte der Gewerkschaftsorganisation Lassallescher Partei-
richtung und der Anfang der staatsanwaltschaftlichen Unterdrũckungen.
Der Berliner Arbeiterbund hatte seine Aufgabe erfüllt; unterm
3. Juli 1873 erließ sein Vorstand eine Bekanntmachung, in der es
heißt: „Da sämtliche Korporationen, welche zu dem Bunde gehörten,
im Laufe der Zeit entweder dem Allgemeinen deutschen Arbeiter-Unter—
stützungsverband beigetreten waren oder den Wunsch äußerten, dieser
großen, über ganz Deutschland verbreiteten Verbindung beizutreten, beschloß
unter solcher Voraussetzung der Ausschuß einstimmig, den Berliner Arbeiter⸗
bund, der reichlich für Ausbreitung der Sozialdemokratie in Berlin seine
Schuldigkeit getan, aufzulösen. Vom vorhandenen Gelde wurden 100 Taler
zur Agitation dem Allgemeinen deutschen Arbeiterverein, 100 Taler zur
Reichstagswahl in Berlin und 91 Taler dem Allgemeinen deutschen Arbeiter⸗
Unterstützungsverband als Einschreibegeld der Mitglieder überwiesen.“
Auf der Generalversammlung des Allgemeinen deutschen Arbeiter—
Unterstützungsverbandes am 25. Mai 1873 in Frankfurt a. M. berichtete
Otto Kapell als Vizepräsident: „Nach der letzten Abrechnung hat der
Verband sechs Tausend und einige Hundert Mitglieder, über zwei Tausend
mehr als bei der vorigen Generalversammlung“.“
* Diese Angabe kann keinen Maßstab für die Verbreitung der Gewerkschafts⸗
organisation Lassallescher Parteirichtung abgeben. Verschiedene Berufsverbände,
die zu dieser Parteirichtung hielten, wie z. B. die Maurer, waren an den
Verband nicht angeschlofsen, andre meldeten nur einen Teil ihrer Mitglieder an,
um die Beiträge für sich behalten zu können und im Falle eines Streiks doch
das Recht auf Unterstützung zu haben. Außerdem stimmt die Angabe nicht mit
jener über die Beteiligung an der Generalversammlung 1872. (Siehe Seite 197.)
Die Differenz aufzuklären, ist uns nicht gelungen.
222
Es ist bereits angedeutet worden, daß von den Gewerkschaften der
Lassalleaner die Taktik befolgt wurde, gestützt auf den Berliner Arbeiterbund
und auf den Unterstützungsverband, die Arbeiter in nationale Berufs—
verbände zusammenzufassen. Diese Entwicklung war bereits in Fluß;
sie hatte 1872 begonnen und war 1874 ihrem Abschluß nahe. Die
siebte und letzte Generalversammlung des Allgemeinen deutschen Unter—
stützungsverbandes tagte 1874 in Hannover. Auf Grund vieler Anträge,
welche eine Zentralisation der verschiedenen Gewerkschaften bezweckten,
hatte die Generalversammlung des Allgemeinen deutschen Arbeitervereins
bereits Stellung genommen und die gewerkschaftliche Bewegung für
notwendig erklärt, „indem dadurch der Druck der Kapitalmacht, welche
durch die heutige Produktionsweise auf dem Arbeiterstande lastet, etwas
gelindert wird und der Arbeiterstand eine momentane Verbesserung seiner
Lage durch Verkürzung der Arbeitszeit und Aufbesserung der Löhne
erreicht. Diese Verbesserung ist jedoch nur durch eine gute Zentrali⸗
sation sämtlicher Gewerkschaften zu erreichen, und findet die heutige
gewerkschaftliche Bewegung nur. einen tatkräftigen Stützpunkt in der
Herstellung einer alle Gewerkschaften umfassenden Zentralkasse. Als
solche bezeichnet die Generalversammlung des Allgemeinen deutschen
Arbeitervereins die bereits bestehende lebensfähige Hauptkasse des
Allgemeinen deutschen Arbeiter⸗Unterstützungsverbandes. Die General⸗
verfammlung fordert daher die einzelnen Gewerkschaften auf, sich dem
Unterstützungsverbande unter solcher Form, wie es schon der deutsche
Zimmererbund getan hat, anzuschließen.“ Bezugnehmend auf diese
Resolution, beschloß die Generalversammlung des Allgemeinen deutschen
Arbeiter⸗Unterstützungsverbandes, folgende Zusatzparagraphen in ihr Statut
aufzunehmen:
1Die sich dem Unterstützungsverbande anschließenden Gewerk—
schaften zahlen pro Mitglied monatlich einen Silbergroschen in
die Verbandshauptkasse, wofür ihren streikenden oder von der
Arbeit ausgeschlossenen Mitgliedern Unterstützung nach Beschluß
des Zentralausschusses geleistet werden muß.
Die Ansprüche solcher Gewerkschaften auf Unterstützung bei
Arbeitseinstellungen oder Arbeitsausschlüssen unterliegt den 88 28,
24 und 25 des Verbandsstatuts.
Solchen sich dem Allgemeinen deutschen Arbeiter⸗Unterstützungs⸗
herbande anschließenden Gewerkschaften steht das Recht zu,
Mitglieder zu dem im 820 des Statuts erwähnten Zentral⸗
ausschuß, wie ebenfalls zu der im 826 des Statuts bezeichneten
Verbandskommission zu wählen.
223
4. Auch haben diese Gewerkschaften das Recht, sich vollzählig
auf den Generalversammlungen des Verbandes vertreten zu
lassen, sowie ihren Delegierten volles Stimmrecht zu allen An—
trägen, als auch volles Wahlrecht für das Verbandspräsidium
gewährt wird.
Die Agitation innerhalb ihrer Korporation bleibt den betreffenden
Vorständen selbst überlassen; doch ist es Pflicht dieser Vorstände,
dem Verbandspräsidium solche Agitationsreisen so zeitig wie
möglich vor dem Beginn anzuzeigen.
Jede Mitgliedschaft solcher sich anschließenden Gewerkschaften
erhält Statuten des Unterstützungsverbandes.
Anspruch auf Reise- oder Nebenunterstützungsgelder haben solche
an die Hauptkasse des Verbandes pro Mitglied allmonatlich
einen Silbergroschen zahlenden Gewerkschaften nicht, sondern
dieses Recht haben nur die allwöchentlich einen Silbergroschen
zahlenden Mitglieder.
Das Präsidium gab diese Beschlüsse bekannt und bemerkte dazu:
„Unter diesen Veränderungen im Statut des Verbandes ist der Beitritt
jeder Gewerkschaft, wenn nur der gute Wille vorhanden ist, sehr bequem
gemacht, denn dieser Zusatzparagraph gibt solchen sich anschließenden
Gewerkschaften das Recht, welches ebenfalls nur die schon jahrelang
pro Woche einen Silbergroschen zahlenden Mitglieder haben, und gesteht
ihnen überhaupt dieselben Rechte in allen Angelegenheiten zu. Mögen
nun die einzelnen Vorstände der Gewerkschaften im Interesse dieser
Resolution handeln, damit das planlose Streiken einmal beseitigt und
die Partei nicht permanent mit Sammeln für Streikende beschäftigt
wird. Sollte dieser Resolution nicht Folge geleistet oder dagegen
agitiert werden, so ist leider anzunehmen, daß in den einzelnen
Gewerkschaften der Partikularismus und der Kastengeist zum Schaden
der gesamten Arbeiterbewegung absichtlich betrieben wird. Die Vor—
stände der sich anschließen wollenden Gewerkschaften haben sich an
den ersten Vizepräsidenten, O. Kapell, zu wenden. Der Verbands—
präsident: Hasenclever.“
Damit hatte sich die Gewerkschaftsbewegung der Lassalleschen
Parteirichtung in eine „Gewerkschaftsunion“ verwandelt, die York bei
den Eisenachern resultatlos anstrebte. Auch ein spezielles Gewerkschafts⸗
organ wurde geschaffen im „Pionier, Organ der sozialistischen Gewerk—
schaften“, dessen erste Nummer am 1. August 1874 erschien. Die
Gewerkschaftsbewegung sollte sich in der neuen Form aber nicht lange
entwickeln!
6.
224
Im „Sozialdemokrat“ Nr. 104 vom 9. September 1874 erschien
die nachstehende Bekanntmachung:
An die Mitglieder
des Allgemeinen deutschen Arbeiter-Unterstützungsverbandes!
In Anbetracht, daß der Zimmererbund polizeilich geschlossen worden ist, daß
ferner alle sozialistischen Gewerkschaftsverbände sich der polizeilichen Verfolgungen
in hohem Maße zu erfreuen haben, so daß auch der Allgemeine deutsche Arbeiter⸗
Unterstützungsverband an die Reihe kommen wird, haben wir beschlossen, den
Verband am heutigen Tage selbst aufzulösen. Die Auflösung ist der Berliner
Polizeibehörde angezeigt worden.
Die Verbandsmitglieder werden nunmehr aufgefordert, sämtlich auf den
allmonatlich erscheinenden „Pionier“, Organ der sozialistischen Gewerkschaften, zu
abonnieren.
Expedient des „Pionier“ ist der seitherige Verbandskassierer August Kapell,
Redakteur der seitherige Vizepräsident Otto Kapell. Der seitherige Präsident
Hasenelever hat seine Mitwirkung an der Redaktion des „Pionier“ zugesagt.
Die Bevollmächtigten haben an den einzelnen Orten der Ortspolizeibehörde
von der Auflösung des Verbandes Anzeige zu machen.
Trotz alledem und alledem schließen wir mit dem Rufe: Es lebe die
Einigkeit, es lebe die sozialistische Organisation!
Berlin, den 8. September 1874.
Das Präsidium
des Allgemeinen deutschen Arbeiter-Unterstützungsverbandes.
Hasenclever, Präsident. Otto Kapell, Vizepräsident.
Sennwitz, Ersatzmann.
Im „Pionier“ Nr. 3 vom 3. Oktober 1874 erschien die nachstehende
Bekanntmachung:
An die früheren Mitglieder des Arbeiter-Unterstützungsverbandes!
Wir bringen hiermit den früheren Mitgliedern zur Kenntnis, daß der
Verband am 8. September 1874 vom Präsidium unter einstimmiger Zustimmung
des Ausschusses aufgelöst ist. Den Grund zur Auflösung gab die polizeiliche
Schließung von fast sämtlich bestehenden sozialistischen Gewerkschaften, so daß mit
Gewißheit die polizeiliche Schließung des Verbandes ebenfalls vorauszusehen war.
Um der Polizei die Mühe dieser Arbeit zu überheben, haben wir den Verband
selbst aufgelöst und diese Auflösung der Berliner Polizeibehörde angezeigt.
In nächster Zeit wird nun vom früheren Präsidium des Unterstützungs⸗
verbandes ein Gewerkschaftskongreß einberufen werden, durch welchen die jetzt
geschlossenen gewerkschaftlichen Verbände wieder neu organisiert werden sollen,
und wodurch überhaupt eine straffere Zentralisation aller Gewerkschaften Deutsch⸗
lands herbeigeführt werden wird.
In der Zeit jedoch, welche zwischen der Auflösung des Verbandes und der
Einberufung des Kongresses liegt, mögen die früheren Mitglieder die gewerk⸗
schaftliche Bewegung dadurch tatkräftig unterstützen, daß sie Mann für Mann auf
den „Pionier“ abonnieren. Der „Pionier“ ist das Organ der sozialistischen Ge⸗
werkschaften und wird durch denselben, trotz aller Schließung und Auflösung, das
geschlossene Auftreten für die momentane Verbesserung des Arbeiterstandes
225
gegenüber den nicht aufgelösten Fabrikantenverbänden gewahrt bleiben, indem der
„Pionier“ nicht nur in geistiger Beziehung seinen Lesern Aufklärung verschaffen
wird, sondern auch, wie es der Bestand der Expeditionskasse möglich macht, tat⸗
kräftig für die materielle Unterstützung seiner Abonnenten bei gemeinsamer Arbeits-
losigkeit eintreten wird. Möge daher ein jeder, welcher früher Mitglied einer
jetzt aufgelösten oder vorläufig geschlossenen gewerkschaftlichen Bewegung war, auf
den „Pionier“ abonnieren, denn dadurch kräftigt er den Zusammenhalt für die
Verbesserung seiner Lage und sichert sich bei eintretenden Arbeitseinstellungen oder
Arbeitsausschlüssen die materielle Unterstützung.
Redakteur des „Pionier“ ist der frühere Vizepräsident des Verbandes, Otto
Kapell, Expedient der frühere Verbandskassierer, August Kapell; der frühere
Präsident des Verbandes, W. Hasenelever, hat seine Mitwirkung an der Redaktnon
des „Pionier“ zugesagt. Die Redaktion des „Pionier“.
Die cinigung 2wischen den Gewerkschaften der Lassalleschen
Parteirichtung mit den Gewerkschasten der Eisenacher 1875.
Einen tiefen Einblick, wie sich die Arbeiterbewegung an jenen vielen
Orten gestaltet hatte, wo beide Parteirichtungen vertreten waren, gewährt
eine Korrespondenz aus Köln a. Rh., welche der „Volksstaat“ Ende 1872
publizierte und die wir in den Anlagen abdrucken.“ Jedem, der die
Interessenvertretung der Arbeiterklasse ernst nahm, hatte sich seit Jahren
die Ueberzeugung aufgedrängt, daß die Sozialdemokraten, wenn sie Einfluß
gewinnen wollten, einheitlich organisiert sein müßten und nicht die beste
Kraft in den Bruderkämpfen vergeuden dürften. Die polizeilichen Maß—
nahmen förderten endlich auch den guten Willen zur Vereinigung. Man
kam überein, 1875 einen Einigungskongreß stattfinden zu lassen. Dieser
Schritt hatte auch die Einigung der Gewerkschaften zur Folge. Es erschien
nachstehende Bekanntmachung:
An die Vorstände sämtlicher deutschen Gewerkschaften sowie der
verschiedenen lokalen Fachvereine!
Freitag, den 27. März 1875, fand in Hamburg eine Konferenz sämtlicher
dort befindlichen Gewerkschaftsbevollmächtigten statt, an welcher ebenfalls die Herren
Schöning, Geib, Otto Kapell, Finn, Auer, Hartmann, Drogand, Rieke und andre
in der Arbeiterbewegung bekannte Persönlichkeiten teilnahmen.
Zweck dieser Konferenz war die Besprechung der gewerkschaftlichen Organi⸗
sation resp. Zentralisation aller Gewerkschaften in einen Zentralverband. Nachdem
von allen Seiten die Notwendigkeit solcher Organisation und Zentralisation betont
worden war und man selbstverständlich dabei hervorgehoben hatte, daß der
Einigung der politischen Arbeiterparteien auch die der Gewerkschaftsparteien folgen
müsse, wurde folgender Antrag des Herrn Otto Kapell angenommen:
a) Ende April dieses Jahres eine Konferenz sämtlicher Vorstände der jetzt
organisierten Gewerkschaften von beiden Seiten einzuberufen. Diese Vor⸗
stände beschließen unter sich, wie viele Delegierte sie zu dieser Konferenz senden.
* Seite 864.
Bringmann, Geschichte der Zimmerer.
226
b) Zweck der Konferenz:
1. Einheitliche Organisation der einzelnen Berufsklassen, Ausarbeitung
eines Statuts, welches den darauf stattfin denden Generalversammlungen
und Kongressen der betreffenden Berufsklassen unterbreitet werden soll.
Ausarbeitung eines alle Gewerkschaften verbindenden Organisations⸗
entwurfes.
Festsetzung der Zeit, in welcher ein allgemeiner Gewerkschaftskongreß
stattfinden soll.
Um diese Beschlüsse zunächst praktisch zur Ausführung zu bringen, wurden
die drei Unterzeichneten gewählt, und ersuchen diese die obengenannten Vorstände
um möglichst baldige Zusendung genauer Adressen, an welche die Einladung zur
Konferenz zu senden ist. Vei der Wichtigkeit dieser Frage möge jeder zur kräftigen
Entwicklung der Gewerkschaften dadurch beitragen, daß er so schnell wie möglich
dem Wunsche der Unterzeichneten nachkommt.
Otto Kapell, Berlin, Waldemarstr. 56.
H. Rieke, Braunschweig, Schöppenstädterstr. 50.
H. Grosz, Hamburg⸗St. Pauli, Bergstraße, Hof 28.
Die weitere Entwicklung der Angelegenheit ergibt sich aus nach⸗
stehender Bekanntmachung:
An die Vorstände
der deutschen Gewerkschaften sowie der lokalen Fachvereine!
Die Unterzeichneten fordern die Vorstände zur Teilnahme an der am
28. Mai 1875 in Gotha stattfindenden Gewerkschaftskonferenz auf. Die Konferenz
tagt im Kaltwasserschen Lokal und beginnt am 28. Mai, vormittags 9 Uhr. Die
Delegierten müssen jedoch schon am 27. Mai, abends, in Gotha eintreffen, woselbst
sie von den dortigen Parteigenossen — erkenntlich an roten Schleifen —
empfangen werden.
Die Konferenz hat den Zweck, für die deutsche Gewerkschaftsbewegung
allgemeine Organisations⸗ und Zentralisationssatzungen — unter möglichster
Berücksichtigung der augenblicklich für viele Gewerkschaften geltenden — aufzu—
stellen, durch welche eine Einigung der einer Berufsklasse angehörenden, aber
augenblicklich in zwei Organisationen geteilten Arbeiter ermöglicht werden kann.
Auch soll die Konferenz sich mit der Ausarbeitung einer Kongreßvorlage be⸗
schäftigen, durch welche eine Zentralverbindung sämtlicher Gewerkschaften — ohne daß
eine derselben in ihrem selbständigen Handeln ges chädigt werden könnte — hergestellt
werden kann, und soll die Zeit festsetzen, in welcher dieser Kongreß stattfinden soll.
Es ist notwendig, daß jeder Delegierte die Statuten der Organisation, welcher
er angehört, mit zum Kongreß bringt. Alles weitere, was besprochen werden soll, be⸗
schließt die Konferenz, und steht es jedem Delegierten frei, beliebige Anträge zu stellen.
Jeder Vorstand einer zentralisierten Gewerkschaft oder eines Fachvereins
kann zu dieser Konferenz soviel Delegierte schicken, wie er will, doch müssen diefe
Delegierten bis spätestens den 25. Mai Herrn W. Bock in Gotha, wohnhaft
Fritzelsgasse 27, gemeldet sein, damit für Quartier gesorgt werden kann.
Mögen die geehrten Vorstände genannter Verbindungen den guten Zweck
dieser Konferenz wohl erkennen und recht zahlreich auf derselben vertreten sein.
Mit sozialdemokratischem Gruß
Otto Kapell-Berlin. H. Rieke-Braunschweig. H. Grosz-Hamburg.
3
227
Die Konferenz hat unter sehr starker Beteiligung am 28. und
29. Mai 1875 in Gotha stattgefunden. Von den organisierten Gewerk—
schaften hatten die Goldarbeiter, Schuhmacher, Schneider, Zigarrenarbeiter,
Bergarbeiter, Buchbinder, Steinhauer, Metallarbeiter, Maurer, Zimmerer,
Holzarbeiter, Tischler und Manufakturarbeiter Vertreter gesandt; dann
waren außerdem noch für Berlin und Hamburg die Bau- und Erd—
arbeiter sowie die Gipser vertreten; der Fachverein der Tischler in Köln
hatte ebenfalls einen Delegierten gesandt. Im ganzen mögen wohl an
40 Delegierte anwesend gewesen sein.
Nachdem die Konferenz durch Otto Kapell eröffnet worden war,
wurde das Bureau, bestehend aus Fritzsche und O. Kapell als Vorsitzende
und A. Hurlemann und Auer als Schriftführer, gewählt und in die
Verhandlungen eingetreten.
Als erster Punkt der Tagesordnung war die „Vereinigung der
verschiedenen Gewerkschaften“ aufgestellt. Es nahm zu diesem Punkte
eine ganze Reihe von Delegierten das Wort, welche sich alle dahin aus—
sprachen, daß die Vereinigung der gleichartigen Gewerkschaften, innerhalb
deren verschiedene Organisationen bestehen, notwendig sei. Die bei dieser
Debatte hervortretende Frage, ob es besser sei, bloße Streikorganisationen
zu schaffen und die Organisation von Arbeiterhilfskassen ganz außer acht
zu lassen, gab zu lebhaftem Meinungsaustausch Anlaß. Nach längerer
Debatte, bei welcher besonders darauf hingewiesen wurde, daß, solange
über das Hilfskassenwesen keine einheitlichen gesetzlichen Regeln gelten,
von einer entscheidenden Organisation auf diesem Gebiete nicht die Rede
sein könne, einigte man sich dahin, es den einzelnen Gewerken zu über—
lassen, ob sie zentralisierte Hilfskassen gründen wollen oder nicht; ein
Zwang für Eintritt in die Hilfskassen bei Aufnahme in die Gewerkschafts—
verbindung soll nirgend angewendet werden.
Eine von Fritzsche und Tölcke eingebrachte Resolution, welche sich für
die Notwendigkeit der Verschmelzung der Gewerkschaftsgruppen desselben
Geschäfts aussprach, wurde mit großer Majorität angenommen. Sie lautet:
„Sofern in einem Geschäftszweige mehrere gewerkschaftliche Organi—
sationen, lokale Fachvereine usw. bestehen, ist es die Pflicht derselben, sich
zu einigen resp. der etwa bestehenden zentralisierten Organisation ihres
Gewerks sich anzuschließen. Zu diesem Zwecke empfiehlt die Konferenz
den Gewerkschaften, bei welchen verschiedene Organisationen bestehen,
baldmöglichst einen gemeinsamen Spezialkongreß behufs der Vereinigung
einzuberufen, soweit solches nicht schon geschehen ist.“
Ueber die Notwendigkeit der gewerkschaftlichen Organisation selbst
herrschte nur eine Stimme und schloß sich die Konferenz nachfolgender,
1xR*
228
von Fritzsche eingebrachter Resolution einstimmig an: „Obgleich die
gewerkschaftlichen Organisationen der Arbeiter nicht vermögend sind, die
Lage der Arbeiter durchgreifend und auf die Dauer zu verbessern, so sind
sie doch immerhin geeignet, die materielle Lage derselben zeitweise zu
heben, die Bildung zu fördern und sie. zum Bewußtsein ihrer Klassenlage
zu bringen. Die Konferenz erklärt es deshalb für die Pflicht aller Arbeiter,
fich der Arbeitergewerkschaft ihres Geschäftszweiges anzuschließen oder,
falls in einem Gewerke keine derartige Verbindung besteht, eine solche
zu begründen.“
Im weiteren Verlaufe der Verhandlungen wurde der Antrag gestellt,
einen allgemeinen Gewerkschaftskongreß zu berufen, um dann auf dem—
selben über ein Normalstatut, gemeinschaftliche Presse usw. zu beraten und
zu beschließen. Diesem Antrage gegenüber wurde indes mit Erfolg
geltend gemacht, daß ein solches Vorgehen für jetzt noch verfrüht sei,
erst müßten sich die Gewerkschaftsgruppen unter sich einigen. Gegen ein
Normalstatut sprach man sich ebenfalls aus, die einzelnen Gewerkschaften
hätten zu verschiedene Interessen und ein zu verschiedenes Kampffeld, als
daß sie nach einer Schablone behandelt werden dürften. Indes war
man dafür, daß allgemein gültige Normativbestimmungen vereinbart
werden sollten, welche für die einzelnen Gewerkschaften bindend seien, sowie
auch, daß die Gewerkschaften Kaͤrtellverträge unter sich abschließen, nach
welchen sie einander bei Streiks, Wanderunterstützung usw. zu unterstützen
haben. Um indes eine Verständigung zwischen den einzelnen Gewerk⸗
schaftsvorständen herbeizuführen und ein Organ für die Vorarbeiten zu
dem nächsten allgemeinen Gewerkschaftskongreß zu haben, wurde ein Antrag
von Finn angenommen, welcher lautet: „Die Konferenz beschließt, eine
Kommission zu wählen, bestehend aus fünf Personen, die ihren Sitz in
Berlin hat, wohin die Vorsteher oder Präsidenten der verschiedenen
Gewerkschaften zu berichten haben, wann sie mit ihren Generalversamm—
lungen resp. Kongressen fertig sind, und zu gleicher Zeit angeben sollen,
ob sie mit einem allgemeinen Gewerkschaftskongreß einverstanden sind,
und im Falle der Zustimmung, wann und wo derselbe stattfinden soll.
Spricht sich die Mehrzahl der Vorstände für den Kongreß aus, so hat
die Kommission die Kongreßvorlage auszuarbeiten und den Kongreß ein⸗
zuberufen.“ In die Kommission wurden gewählt: O. Kapell, Zimmerer;
Fritzsche, Zigarrenarbeiter; Hurlemann, Maurer; Schneckendieck,
Tischler; Baumann, Buchdrucker; sämtlich in Berlin wohnhaft. Der
Kommission wurde das Recht der Kooptation gegeben.
Eine längere Diskussion entspann sich über die Frage, ob es besser
sei, ein Zentralorgan für sämtliche Gewerkschaften zu gründen oder
229
kleinere Fachblätter für jedes Gewerk einzuführen. Nachdem mehrere
Redner für und wider ein Zentralorgan gesprochen und von den
Gegnern besonders hervorgehoben worden war, daß die einzelnen,
bereits seit Jahren mit sehr gutem Erfolg bestehenden Fachblätter un—
möglich zu beseitigen seien, wolle man nicht die Mitglieder der be—
treffenden Gewerkschaften vor den Kopf stoßen und eine gefährliche
Opposition im eignen Lager schaffen, einigte man sich dahin, diese
Frage vorläufig als eine offene zu betrachten und sie auf dem allgemeinen
Kongreß zur Entscheidung zu bringen.
In bezug auf die Agitation beschloß man, sich möglichst zu unter—
stützen. Besonders lebhaft wurde von einzelnen Delegierten die Not—
wendigkeit hervorgehoben, daß in den Gewerkschaftsversammlungen die
Politik fern zu halten und überhaupt von den Gewerkschaften als
Gewerkschaften keine Politik zu treiben sei. Abgesehen davon, daß die
Vereinsgesetze der meisten deutschen Staaten es verbieten, sei es auch
nicht Sache der Gewerkschaftsverbindungen, sich mit Politik zu befassen.
Die Gewerkschaft, so wurde ausgeführt, soll dem Arbeiter Schutz und
Hilfsmittel innerhalb der heutigen Gesellschaftsorganisation sein und
zugleich die Keime für die sozialistische Zukunftsproduktion legen, indem
durch dieselbe der gemeinschaftliche Geist gehegt und der Arbeiter zum
Selbstbewußtsein und Selbstvertrauen herangezogen werde. Wolle der
Arbeiter Politik treiben — und er muß sich auch dieses Gebietes be—
mächtigen, will er seine Klasseninteressen gefördert und vertreten sehen —,
so möge er sich der sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands anschließen,
deren Programm und Organisation genügende Garantie dafür bieten, daß
ihre Angehörigen nur für und im Interesse der Arbeiter wirken werden.
Diese Ausführungen fanden von keiner Seite Widerspruch. Man einigte
sich schließlich über folgende von Fritzsche eingebrachte Resolution, welche
einstimmig angenommen wurde: „Die Konferenz erklärt: Es ist Pflicht
der Gewerkschaftsgenossen, aus den Gewerkschaftsorganisationen die Politik
fern zu halten, dagegen sich der sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands
anzuschließen, weil nur diese die politische und wirtschaftliche Stellung der
Arbeiter in vollem Maße zu einer menschenwürdigen zu machen vermag.“
Nachdem noch beschlossen worden war, daß ein Protokoll über die
Konferenz nicht veröffentlicht werden solle, sondern nur die wesentlichsten
Beschlüsse in den Gewerkschaftsorganen und dann in den beiden Haupt—
blättern der politischen Partei bekannt zu geben seien, wurde die Konferenz
von dem Vorsitzenden mit dem Wunsche, daß die Beschlüsse in bezug
auf die Vereinigung der einzelnen Gruppen recht bald gute Früchte
tragen mögen, geschlossen. —
250
gelbstandige Cehversuche der deutschen Gewerkschalten.
Den Parteistreit waren die Gewerkschaften los. Die Zeit der
aufsteigenden und Hochkonjunktur war jedoch verpaßt. Es herrschte wirt⸗
schaftlicher Niedergang, der bald in eine schwere wirtschaftliche Krise
mündete. Zu einer schnellen Erstarkung kamen unter diesen Umständen die
Gewerkschaften trotz ihrer Einigung nicht. Jede einzelne hatte hart um
die Aufrechterhaltung ihrer Existenz zu kämpfen. Diese Situation diktierte
bereits die Anträge, die auf der Einigungskonferenz diskutiert worden
waren: gewerkschaftliche Kartellverträge zur gegenseitigen Unterstützung
bei Streiks; allgemeiner Gewerkschaftskongreß; Schaffung eines gewerk⸗
schaftlichen Zentralorgans an Stelle der kleinen Blättchen usp.—
Man hatte die Kommission, welche einen allgemeinen Gewerkschafts⸗
kongreß vorbereiten und eventuell einberufen sollte, nach Berlin verlegt.
Aber gerade hier waren die Gewerkschaften nahezu vollständig zertrümmert,
Polizei und Staatsanwaltschaft ließen sie nicht mehr aufkommen. Das
einzige Lebenszeichen, das die Kommission von Berlin aus gab, war die
nachstehende Anregung:
Der Gewerkschaftskommission, die von der Gothaer Gewerkschaftskonferenz
eingesetzt worden ist, um Vorlagen für einen einzuberufenden allgemeinen
Gewerkschaftskongreß auszuarbeiten, ist der Vorschlag unterbreitet worden, an
allen Orten, wo sich Gewerkschaftsvereine befinden, einen gemeinsamen Verkehr,
ühnlich wie die Herbergen „Zur Heimat“, christliche Herbergen, katholische Gesellen⸗
herbergen usw., einzurichten. In diesem Verkehr sollen Kastellane eingesetzt, alle
Gewerkschafts⸗ und Arbeiterzeitungen sowie die nötigsten sozialdemokratischen
Broschüren ausgelegt und ein Arbeitsnachweis für alle Gewerke eingerichtet
werden.
Die mächtige Propaganda, welche die oben erwähnten, der sozialistischen
Arbeiterbewegung feindlichen Herbergen für Verdummungszwecke machen, müßte
durch das gleiche Mittel iberwunden, den Gewerkschaften aber an jedem Orte
eine Zentralstelle geschaffen werden. Durch solche Einrichtung lasse sich das
geistige und gesellige Leben bedeutend fördern, ohne daß es den Gewerkschaften
große Opfer koste. Ja, an vielen Orten könne sogar noch ein Gewinn daraus
gezogen werden; vor allem aber werde die Macht der Gewerkvereine dadurch in
vorzüglicher Weise gefördert werden, indem durch den zentralisierten Arbeits⸗
nachweis eine vernünftige Regelung des Arbeitsmarktes, wenigstens zum Teil,
durch die Arbeiter erwirkt werden könne.
Diesen Vorschlag bringen wir hierdurch zur allgemeinen Kenntnis der
Gewerkschaften, damit dieselben ihn einer eingehenden Beratung unterziehen
können. Das Resultat der Beratung bitten wir uns spätestens innerhalb vier
Wochen zusenden zu wollen.
Alle Arbeiterzeitungen sind gebeten, diesen Bericht in ihre Spalten auf⸗
gunehrnen. Für die Kommission:
F. W. Fritzsche, Berlin 8, Dresdnerstr. 87.
231
Zentralvorstände konnten sich in Berlin nicht mehr halten. Soweit
Zentralsitze hier waren, mußten sie verlegt werden. Der Sitz der
Zimmerergewerkschaft kam nach Hamburg. Hier erhielt sich ein einiger—
maßen reges Gewerkschaftsleben. Durch die Einigung war es auch
August Geib, der schon auf der Generalversammlung des Allgemeinen
deutschen Arbeitervereins im Jahre 1868 warm für die Gewerkschaften
eingetreten, später aber zu den Eisenachern übergegangen war, möglich
geworden, seine bewährte Kraft wieder für die Gewerkschaften einzusetzen.
Im Jahre 1877 wurde zwischen den Gewerkschaften der Tischler, die
ihren Zentralsitz in Mannheim hatte, und der Zimmerer eine Ver—
ständigung getroffen, wonach die erstere ihr Organ, „Der Bund“, eingehen
ließ und beide Gewerkschaften den „Pionier“ hielten. August Geib
übernahm mit August Kapell gemeinsam die Redaktion.
Der „Pionier“ versuchte nun, die Gewerkschaften zum gemeinsamen
Handeln zu bewegen. Geib wirkte auch im Zentralorgan der sozial—
demokratischen Partei, dem „Vorwärts“, in diesem Sinne. Er hatte zunächst
die Verbesserung der damals sehr dürftigen Gewerkschaftspresse im Auge,
die er durch Verschmelzung der verschiedenen Fachorgane erzielen wollte in
der Weise, wie es mit dem „Bund“ und dem „pPionier“ geschehen war.
Geib gab damit aber den Anstoß zu einer eingehenden Diskussion weiterer
Gewerkschaftsfragen, aus welcher August Kapell die nachstehenden Vor—
schläge formulierte und im „Pionier“ Nr. 11 vom 13. Oktober 1877
bekannt gab:
1. Es findet Sonntag, den 11. November 1877, eine Gewerk—
schaftskonferenz statt, zu welcher jede Gewerkschaft zwei Delegierte,
möglichst Vorstandsmitglieder, entsendet. Die Konferenz tritt in Gotha
zusammen.
2. Auf die Tagesordnung der Konferenz würden folgende Punkte
zu stellen sein:
a) Ist die Errichtung eines Zentralorgans für sämtliche Gewerk—
schaften zweckmäßig oder empfiehlt es sich, nur die ver—
wandten oder an Zahl kleineren Berufsgenossen mit einem
solchen zu verbinden?
b) Ist eine Gemeinschaftlichkeit im Auszahlen der Reiseunterstützung
zu ermöglichen?
Empfiehlt es sich, an den einzelnen Orten gemeinschaftliche
Verkehrslokale, verbunden mit Arbeitsnachweis, für alle Gewerks—
genossenschaften einzuführen?
Ist eine gemeinsame Unterstützung bei größeren Arbeitseinstellungen
oder Arbeitsausschlüssen zu ermöglichen oder nicht?
0)
2
4
6) Ist es zweckentsprechend, bei Ausbreitung der Gewerkschaften
durch Agitatoren diese Agitation gemeinschaftlich betreiben zu
lassen?
Wann und wo soll zur Erledigung der vereinbarten Punkte
ein allgemeiner Gewerkschaftskongreß stattfinden?
Die Vorschläge waren von der Not der Zeit diktiert und die Not der
Zeit ließ sie auch auf Widerstand stoßen. Selbst der Vorstand des Bundes
der Tischler zweifelte daran, daß die Gewerkschaftsvorstände das Recht
hätten, an der in Vorschlag gebrachten Konferenz teilzunehmen. Dieselbe
habe kein Bestimmungsrecht und stifte daher keinen Nutzen. Das zur Be⸗
schickung notwendige Geld könne anderweitig viel besser verwendet werden.
Fühle man das Bedürfnis, einen Gewerkschaftskongreß abzuhalten, so
könne man sich durch Besprechung der Angelegenheit in der Presse einigen
über Zeit und Ort, wo im nächsten Jahre zugleich die nötigen General⸗
versammlungen abgehalten werden könnten. Aehnliche Stellungen nahmen
auch andre Gewerkschaftsvorstände ein. In Nr. 15 des „Pionier“ vom
10. November 1877 konnte August Kapell jedoch bekannt geben, daß das
Resultat seiner Vorschläge insofern ein erfreuliches gewesen sei, als
mehrere Gewerkschaften für die Abhaltung der Konferenz zu dem fest⸗
gesetzten Termin sich ausgesprochen hätten, andre seien zwar mit den
gemachten Vorschlägen einverstanden, erklärten aber, nicht in der Lage
zu sein, die Konferenz zu dem in Vorschlag gebrachten Tage beschicken zu
können. Der Tag der Abhaltung wurde daher bis zum Februar 1878
verschoben.
Nun veranstaltete der „Pionier“ eine statistische Erhebung über
die Stärke der Gewerkschaften Deutschlands und ihre Einrichtungen. Das
Resultat erschien im „Pionier“ Nr. 4 vom 26. Januar 1878. Es fehlen
die Angaben von nur wenigen Gewerkschaften; die wichtigste der fehlenden
ist die der Hutmacher (Zentralverband mit eignem Organ), dann der
Verein der Steinmetzen (Sitz Leipzig), ferner mehrere kleine Vereine in
Hamburg, als: Reepschläger (Seiler), Posamentierer, Drechsler und
Schirmmacher, endlich der Verein der Xylographen (Holzschneider). Von
zwei Gewerkschaften mußten die Statistiker sich das Material auf privatem
Wege verschaffen, da die Verwaltungen der Maurer und Tabakarbeiter
sie ohne Antwort ließen. Das erhaltene Material ist als eine statistische
Tafel zusammengestellt, die wir hier einfügen. Der Bearbeiter der
Statistik, August Geib, würdigte das Resultat wie folgt:
„Wenn wir die Tabelle überschauen, kann uns. die Freude über die
Zahl der sozialistischen Gewerkschaften in Deutschland trotz alledem und
Iledem nicht verdorben werden. Die Gesamtzahl der in der Tabelle
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Tafel der Cewerkschaften in Deutschland. Zusammengestellt Ende des Jahres 1877.
V. bedeutet Verhältnis, M. Monat, M. Meile.
Wieviel Unterstützung wird gezahlt velche Erxtrabeiträge werden gezahlt
Neile Ort. Woche oder nach Verhäse? pro he, Monat oder einmal)
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Invalidenkasse, ist eingetragene Genossenschaft. * Die 17 Serstellungskosten des Blattes sowie die hierher gehörende Abonnentenzahl repräsentieren den Anteil, der auf diese Gewerkschaft fällt.“ Die Invalidenkasse hat
Der Geschäftsfuührer hezieht als Redakteur noch monatlich 4. 50. * Darunter 80000 Schlosser, 16 000 Klempner, 25 000 Schmiede. 8*Jedem Abreisenden wird eine ünterftützung von Ke gewährt. Biele Kleinmeister außerdem.
Verhandiungen betreffs Änschluk an den Nninien ind un Gange. iB In dieser Branche iind die männlichen und weiblichen Arbeiter an Zahl aleich 4Nitker v. 10 ohalt werden a fur die Redaktion aezahlt. 6 Hat einen
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1 Die Gewerkschaft zahlt auch die Verwaltung der separat gehaltenen Krankenkasse. 2 Hat Kranten⸗ und
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Fuür verstorbene Frauen der Mitglieder wird M. 86 Sterbegeld gezahlt. u Viele Kleinmeister außerdem
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27
genannten Vereinigungen beträgt 30, darunter sind 25 Zentralvereinigungen
mit Mitgliedern an mehr als einem Orte, die übrigen 5 sind Lokalvereine.
Lassen wir die Hutmacher nicht außer acht, so beträgt die Zahl der
eigentlichen Gewerkschaften 26 und haben diese zusammen dann mehr als
50 000 Mitglieder an etwa 1300 Orten. Das sind stattliche Zahlen
und doch wie klein erscheinen sie, sobald die Gesamtzahl der Arbeiter
jener Geschäftszweige, wonach die Gewerkschaften benannt sind, auf⸗
marschiert. Diese Gesamtzahl — Lehrlinge ausgeschlossen — beträgt
rund zwei Millionen, so daß davon nur 2!/2 pZt., also von 1000 Arbeitern
nur 25, den Gewerkschaften angehören.
„Nehmen wir die Zahl der Arbeiter (Gesellen und Gehilfen —
männlich und weiblich) in den verschiedenen Gewerbebetrieben Deutschlands
auf rund drei Millionen an, eine Zahl, die nicht zu hoch gegriffen ist,
dann ergibt sich, daß nur 12/8 pßt. aller Gesellen und Gehilfen in
Gewerkschaften organisiert sind. Das ist wenig, sehr wenig und wird in
der Zahl auch nicht wesentlich geändert, wenn wir die Hirsch-⸗Polkeschen
Gewerkvereine (Duncker ist abgetan) nach ihrer eignen übertriebenen
Schätzung in Anrechnung bringen. Diese Vereine haben angeblich
25 000 Mitglieder, nur halb soviel wie die sozialistischen Gewerkschaften
und können, da sie nur 5/6 p8gt. der vorerwähnten drei Millionen Arbeiter
—EDDDDDVVV hinauf⸗
schrauben, somit kommt in Deutschland auf 40 gewerbliche oder industrielle
Arbeiter nur einer, welcher einer freien, von staatlicher Kontrolle unabhängigen
Organisation angehört. Und um dies Ergebnis zu erreichen, sind volle
neun Jahre nötig gewesen — eine lange Zeit. Allein trotzdem sind wir
erfreut, so gering auch die Erfolge anscheinend sein mögen. Warum wir
das sind, ist sehr einfach. Es bedeutet viel, wenn unter 40 auch nur
einer weiß, wieviel die Uhr geschlagen hat. Außerdem ziehen wir die
schwierigen Verhältnisse in Betracht, unter welchen die Gewerkschafts⸗
bewegung sich auf ihre heutige Höhe emporarbeiten mußte. Schwierig
waren die Verhältnisse besonders für die sozialistische Gewerkschafts⸗
bewegung. Von Anfang an im Kampfe mit den gegnerischen Gewerk—⸗
vereinen, hatte sie auch viele Gegner in ihren eignen Reihen, unten ihren
natürlichen Freunden. Bald sollte sich dies noch verschlimmern. Der
politische Fraktionsstreik der Sozialdemokratie Deutschlands wirkte zurück
auf die gewerkschaftliche Bewegung, und gerade auf die am meisten, am
nachteiligsten. Daher war ein kräftiges Aufblühen erst möglich, als im
Jahre 1875 das Fundamentd einer einheitlichen Arbeiterbewegung in
Deutschland gelegt wurde. Aber nicht allein die eben besprochenen Hinder—
nisse galt es zu überwinden, nein, nicht minder große, die der polizeilichen
234
und staatsanwaltlichen Eingriffe, mußten verdaut werden. Daß dazu ein
kräftiger Magen erforderlich war und noch ist, bedarf keiner Begründung.
Genug, die Gewerkschaften, niemals ungestört und unbehindert, sind ihrer
Feinde bis jetzt stets Herr geworden und das läßt sie uns als einen
wichtigen, tüchtigen Faktor in der modernen Arbeiterbewegung begrüßen.
„Wie sehr die Hirsch⸗Polkeschen Gewerkvereine, trotz aller Harmonie—
duselei, hinter unsern Gewerkschaften zurückgeblieben sind, beweisen die
beiderseitigen Zahlen. Die Zahl der Gewerkvereine beträgt — gegenüber
unsern 26 — nur 14. Während auf unsrer Tabelle 22 Hauptgewerbs—
zweige vertreten sind — die Schlosser und Schmiede gehören zur Branche
der Metallarbeiter —, umfassen die Gewerkvereine nur folgende: Ma—
schinenbau⸗ und Metallarbeiter, Fabrik- und Handarbeiter, Tischler, Stuhl⸗
arbeiter, Maurer und Steinhauer, Zimmerer, Schiffszimmerer, Lithographen,
Glasarbeiter, Schneider, Lederarbeiter, Töpfer, Bergarbeiter, Tabakarbeiter.
Trotzdem wir nun viel weiter vorgedrungen sind als die Gewerkvereine,
fehlen uns doch noch Organisationen unter den Arbeitern in folgenden
wichtigen Gewerbebetrieben: Papierfabrikation, Talg- und Seifensiedereien,
Mühlen, Bäckereien, Mälzereien, Brauereien und Brennereien, Barbier—
geschäften, Geschäften der Dachdecker und Schornsteinfeger, Kunst⸗ und
Handelsgärtnereien, Schlächtereien. Was aber überhaupt fehlt, d. h. am
meisten vermißt wird, ist eine starke Organisation unter den Fabrikarbeitern
einer- und den Landarbeitern anderseits. Das, was wir hierin aufzu⸗
weisen haben, ist nur ein schwaches Reis von Organisation, ist aus zu
vielerlei Elementen zusammengesetzt, um kräftig gedeihen zu können.
„Die stärkste und älteste Organisation, welche auf der Tabelle ver⸗
zeichnet steht, ist die der Buchdrucker, nächst ihr an Stärke die der
Schiffszimmerer. Beide Organisationen sind insofern als die stärksten
zu bezeichnen, als die Hälfte der Arbeiter in den betreffenden Geschäfts⸗
zweigen zur Gewerkschaft gehören und beiden Gewerkschaften ziemliche
Geldmittel zur Verfügung stehen. Bezüglich der Mitgliederzahl kommt
zuerst der Tabakarbeiterverein, welcher seit zwölf Jahren rüstig im
Vordergrunde der gewerkschaftlichen Bewegung gerungen und ebenfalls
pekuniär sein Schäfchen im trocknen hat. Die übrigen Organisationen
find alle jüngeren Datums und teils erst aus Vereinigungen zweier
Organisationen in den Jahren 1875 und 1876 hervorgegangen.
„Vergleichen wir die Einnahmen und Ausgaben aller Gewerkschaften,
soweit sie auf der Tabelle ermittelt sind, dann. ergibt sich ein Ueberschuß
von monatlich M.6772. Wir zweifeln nicht daran, daß unter Hinzu—⸗
ziehung der Tabakarbeiter, Maurer und Hutmacher dieser Ueberschuß
sich auf etwa M. 8000 monatlich belaufen wird. Davon fällt der
233
Löwenanteil den Buchdruckern und zwar mit M. 3538 zu, womit erwiesen
ist, daß die übrigen 25 Gewerkschaften zusammen nur M. 4500 monatlich
(eine also kaum M. 180) erübrigen. Das ist eine geringe Summe, auf
deren Vergrößerung im Interesse der ganzen Gewerkschaftsbewegung zeitig
Bedacht genommen werden muß.“
Die lange geplante Gewerkschaftskonferenz fand nun am 24. und
25. Februar 1878 in Gotha statt. 25 Delegierte waren anwesend.
Vertreten waren: der Verband der Buchbinder, der Buchdruckerverband,
der Bund der Böttcher, der Bund der Glasarbeiter, der Maurer- und
Steinhauerbund, die Metallarbeiter-Gewerksgenossenschaft, Manufaktur—
und Handarbeiter, der allgemeine deutsche Schneiderverein, die Schuhmacher⸗
Gewerkschaft, der Stellmacherverein, der Tischlerbund, der Töpferverein
und das Zimmerergewerk. Außerdem waren die organisierten Arbeiter
Erfurts und Heidelbergs durch besondere Delegierte vertreten. Der Verein
der Seiler und Reepschläger sowie der Schmiedeverband hatten nicht die
nötigen Mittel, um die Konferenz zu beschicken. Der Verein der Maler
bedauerte ebenfalls, die Konferenz nicht beschicken zu können.
Den Vorsitz der Konferenz führten Weidemann (Tischler) und
Kapell (Zimmerer).
„Vorschläge zu einem Statut, betreffend Kartellverträge zwischen
den deutschen Gewerkschaften, behufs gegenseitiger Unterstützung“, waren
im „Pionier“ veröffentlicht; sie dienten als Vorlage. Die Kartellverträge
sollten den Zweck haben, die Gewerkschaften zur Durchführung ihrer
Bestrebungen in ein solidarisches Verhältnis zu bringen. Beabsichtigt
wurde, die einzelnen Organisationen zu kräftigen, „ohne daß ihre Unab—
hängigkeit und Selbständigkeit gefährdet wird“. Jede Gewerkschaft sollte
sich möglichst zentralisieren und die Agitation dadurch erleichtern, „daß
in erster Linie jede Gewerkschaft möglichst gleichmäßige Beitrags- und
Unterstützungsarten und -sätze einführt“. Die Agitation sollte gemein—
schaftlich betrieben und von einer Kartellkommission geleitet werden, die
auch für die einzelnen Städte, Kreise und Provinzen Agitationskomitees
einsetzen sollte. Die Mittel zur Agitation sollten durch regelmäßige Bei—
träge, deren Höhe der Gewerkschaftskongreß zu bestimmen hatte, von den
Gewerkschaften aufgebracht werden. Die Unterstützung von Ausständen
sollte zunächst Sache der einzelnen Gewerkschaften sein. Falls eine
Gewerkschaft zur Unterstützung außerstande sein würde, sollte sie bei der
Kartellkommission die Genehmigung der Arbeitseinstellung und ihre Unter—
stützung beantragen. Stimmte die Kartellkommission zu, dann übernahm
sie damit auch die Leitung des Streiks. So sollte es auch bei Aus—
schlüssen sein.
236
Die Aufbringung der Unterstützung plante man durch Extrasteuern,
welche die Kartellkommission auszuschreiben und „bei Verlust des Mit—
gliedsrechtes von jedem Mitgliede zu zahlen“ wären. Auch bei der Aus—
zahlung der Reiseunterstützung sollten sich die Gewerkschaften in der Weise
gegenseitig helfen, daß die eine für die andre an Orten, wo diese keine
Verwaltungsstellen haben würde, die Auszahlung übernimmt und das
ausgelegte Geld dann von jener Gewerkschaft zurückerhalten sollte, für
welche es ausgezahlt wurde. Ferner sollten nach Möglichkeit Arbeits—
nachweise eingerichtet werden, die Gewerkschaftsmitglieder sollten an solchen
Orten, wo Arbeitsnachweise zustande kämen, nicht zusprechen gehen. Ebenso
sollte die Errichtung von Verkehrslokalen kräftigst gefördert werden. Man
hatte damit im Auge, „die Verkehrslokale der Neuzeit entsprechend ein⸗
zurichten und zur Stätte gemütlichen Umgangs zu machen, so daß die
Einkehr sowohl der am Ort ansässigen wie der wandernden Genossen
veranlaßt wird“. Die Gewerkschaftspresse sollte durch Vereinigung
mehrerer Blätter zu einem verbessert und „womöglich obligatorisch“ ein⸗
geführt werden. Auch sollten die kartellierten Gewerkschaften ihre General—
— VV und demselben Orte abhalten, damit
im Anschluß an diese der allgemeine Gewerkschaftskongreß abgehalten
werden könne. An Orten, wo die Zahl der Berufsgenossen zu winzig,
um eine Verwaltungsstelle für jede Gewerkschaft zu gründen, sollten ge—
mischte Lokalvereine errichtet und der Kartellkommission unterstellt werden.
Die Gewerkschaften, welche Kranken- und Sterbekassen errichtet hatten,
sollten gemeinsame Abmachungen mit Aerzten und Apothekern treffen.
Die Kartellkommission sollte aus sieben Personen bestehen, aus zwei Vor⸗
sitzenden, vier Beisitzern und einem Kassierer, der zugleich als Sekretär
zu fungieren hatte. Die Wahl der Kartellkommission, die Bestimmung
ihres Sitzes und die Festsetzung etwaiger Gehälter sollten dem allgemeinen
Gewerkschaftskongreß obliegen. Die Amtsdauer der Kartellkommission
sollte zwei Jahre betragen, ihre Aufgabe sollte sein: in allen Ange⸗
— beraten und zu beschließen, die Agitation
zu leiten, die Presse zu überwachen, alle Streitigkeiten zwischen den
einzelnen Gewerkschaften zu schlichten und die Kasse zu überwachen und
zu revidieren. Der allgemeine Gewerkschaftskongreß sollte alle zwei Jahre
in der Zeit vom 15. Mai bis 31. Juli stattfinden und von der Kartell—⸗
kommission einberufen werden.
Zunächst wurde eine Generaldiskussion darüber eröffnet, ob
eine Zentralisation der Gewerkschaften im Sinne der Vorlage möglich
sei. Die Meinungen gingen in manchen Punkten auseinander. Ein
Delegierter meinte, „daß man sich nicht Fesseln anlegen lasse . . , man
237
müsse alle Lehren benutzen, nur kein neues Papsttum schaffen“. Hingegen
meinte ein andrer, „in betreff der Kartellkommission handle es sich nicht
um eine Behörde, welche eine Diktatur ausüben solle, sondern dieselbe
solle nur den einzelnen Vereinigungen mit Rat und Tat an die Hand
gehen“. Das oberste Prinzip der Gewerkschaften sei, einen bestimmten
Einfluß auf die Lohn- und Arbeitsverhältnisse auszuüben, und da die
Statistik zeige, daß die bestehenden Vereinigungen diese Bedingungen im
großen ganzen nicht erfüllen können, müsse man den Versuch machen,
„durch eine Zentralisation die Ausbreitungeder Gewerkschaften systematisch
zu betreiben“. Die Fachorgane dürften nicht beseitigt, sondern müßten
gehoben werden. Ein Redner wollte „in erster Linie eine Einigung in
Arbeitsnachweisen und Verkehrslokalen herbeiführen“, um die Zentrali—
sation der Gewerkschaften darauf zu bauen. „Nur die Erhöhung der
Löhne und Stärkung der Gewerkschaften nach innen sei die Hauptsache,“
führte hingegen ein andrer aus. Manchem schienen „viele Punkte der
Vorlage verfrüht“ und man sprach sich auch „gegen die Arbeitseinstellungen
aus“. Es wurde aber auch ausgeführt: „Erst müssen tatkräftige Ge—
werkfchaften vorhanden sein, dann könne man an Zentralisation denken“,
wogegen eingewandt wurde, „daß man alles für verfrüht halten könne,
durch eine Zentralisation sei es nur möglich, auch für die kleineren Ge—
werkschaften zu agitieren“. Nachdem ausgesprochen worden war, daß die
Abstimmung nicht binde, stimmten sämtliche Delegierten im Vrinzip für
die Zentralisation im Sinne der Vorlage.
In der Spezialdiskussion wurde darauf hingewiesen, daß durch
möglichst gleiche Einrichtungen in agitatorischer Hinsicht Bedeutendes
geleistet werden könne. Es sei nötig, eine einheitliche Steuer zu er—
heben und es sei zu wünschen, daß die niedrigen Steuerbeiträge erhöht
würden, um etwas Tatkräftiges zu leisten. Diejenigen Gewerkschaften,
welche die wenigsten Steuern erheben, seien auch die schwächsten. Von
einigen Gewerkschaften würden Monatsbeiträge von 25 bis 30 H er-⸗
hoben und dafür könnten den Mitgliedern keine Rechte eingeräumt werden.
Man einigte sich dahin, eine Kommission zur Ausarbeitung eines Normal—
statuts für zentralisierte Berufsvereinigungen einzusetzen.
Die Vorschläge, welche eine Verschmelzung der Fachpresse
bezweckten, wurden mit 15 gegen 8 Stimmen abgelehnt, hingegen wurde
mit allen gegen drei Stimmen eine Resolution angenommen, wonach „die
verwandten Berufsgenossen nach Maßgabe der staatlichen Gewerbestatistik
sich in der Presse zu vereinigen haben“ sollten.
Die gemeinschaftliche Agitation hielt ein Redner „für den
Kardinalpunkt der Vorlage“. „Durch die gemeinschaftliche Agitation
238
ließen sich für die einzelnen Gewerkschaften besonders große Vorteile
erringen, dieselbe brauche durchaus nicht von Fachgenossen betrieben zu
werden.“ Die Agitatoren sollten sich bei der gewerkschaftlichen Agitation
„nur auf die sachliche Auslegung der Prinzipien der Gewerkschaften be⸗
schränken“. „Durch öffentliche Versammlungen, in denen die Haupt—
grundzüge der Gewerkschaften zu erörtern sind, solle die Bewegung in
Fluß gebracht werden.“ Es wurde in Vorschlag gebracht, eine besondere
Agitationssteuer von 6 pro Kopf zu erheben. Schließlich wurde die
Vorlage gegen zwei Stimmen angenommen.
Ueber die Unterstützung bei Arbeitseinstellungen und
Arbeitsausschlüssen gingen die Meinungen wieder mehr auseinander.
Während nach der Vorlage die Unterstützung zunächst Sache der einzelnen
Gewerkschaften sein sollte, wurde verlangt, „daß jeder Streik als Kartell⸗
sache zu betrachten sei und daß sich die Streikenden direkt an die Kartell⸗
kommission zu wenden hätten“. Andere „waren gegen die Befugnis der
Kartellkommission, über Arbeitseinstellungen zu entscheiden“. Man ver—
sprach sich auch wenig Erfolg von der Vorlage. Die Sache würde sich
erst nach und nach entwickeln; „man solle nicht einen Generalstab ohne
Armee schaffen“. Hingegen wurde geltend gemacht: „Die Annahme der
Vorlage würde ein großer Fortschritt für die Gewerkschaften sein.“ Ein
Redner wollte nicht, „daß die Kartellkommission die ausschließliche Behörde
ist, die über Arbeitseinstellungen zu entscheiden habe; daß sie dann keine
Kartellkommission, sondern eine Streikkommission sei“. Ein andrer
Redner befürwortete, die Leitung der Streiks solle zur Verbandssache
gemacht werden. Auch darüber gingen die Meinungen auseinander, ob
Extrabeiträge zur Unterstützung von Streiks und Aussperrungen aus—
geschrieben werden sollten oder nicht, ob sie von den Mitgliedern zu er—
heben seien oder von den Zentralen der Gewerkschaften usw. Schließlich
wurde jedoch die Vorlage angenommen.
Ueber gegenseitige Abkommen zur Auszahlung der Reiseunter—
stützung sowie über Arbeitsnachweise und Verkehrslokale wurde
nicht lange diskutiert, sondern die Vorlage angenommen.
Ueber die gemischten Lokalvereine ließ sich keine Ver—
ständigung erzielen. Während der Delegierte der Buchdrucker ent⸗
schieden dagegen war, weil sich die Buchdrucker bereits in Bezirks⸗
dereine und Gauverbände gliederten, wollte der Vertreter der Tischler
die gemischten Lokalvereine der Kartellkommission nicht unterstellt wissen,
sondern jene Arbeiter, die zur Bildung einer Filiale ihres Berufs⸗
verbandes zu schwach seien, sollten sich der stärkeren Berufsgruppe und
deren Gewerkschaft anschließen. Schließlich wurde die Vorlage dahin
239
abgeändert, daß es nicht gemischte Lokalvereine, sondern gemischte Gewerk—
schaften heißen sollte, und dann mit acht gegen sechs Stimmen an—
genommen.
Ueber die gleichzeitige Abhaltung der Generalver—
sammlungen entspann sich keine Debatte. Die Vorlage wurde an—
genommen. Hingegen wurde in bezug auf Zusammenwirken der
Gewerkschaften auf dem Gebiete der Krankenkassen die Vorlage
abgelehnt und beschlossen, eine allgemeine Zentral-Kranken- und Sterbe—
kasse für sämtliche Gewerkschaften anzustreben. Ueber die Kartell—
kommission und den allgemeinen Gewerkschaftskongreß gab es
keine ausgedehnten Debatten; die Vorlage wurde angenommen. Auch
die nachstehenden Bestimmungen fanden ohne Debatte Annahme:
„Gewerkschaften, welche den vorstehenden Kartellverträgen beigetreten
sind, können, wenn darüber bei den Mitgliedern die Urabstimmung statt—
gefunden hat, den Vertrag nach einer vorherigen Aufkündigung von drei
Monaten ganz oder teilweise wieder aufheben.
„Ebenso steht es Gewerkschaften frei, wenn einzelne Kartellverträge
für sie unvorteilhaft sind, auch nur auf einzelne Teile derselben einzugehen.
„Gewerkschaften, welche ihre Verpflichtungen gegen die Kartell-—
bestimmungen nicht erfüllen, sind von denselben ausgeschlossen.“
Die Konferenz beschloß dann noch, daß der allgemeine Gewerkschafts—
kongreß am ersten Pfingsttag in Magdeburg eröffnet werden sollte und wenn
seine Abhaltung dort nicht möglich sei, in Hamburg. Außerdem wurde
beschlossen, eine Kommission zur Ausarbeitung der Kongreßvorlage in
Hamburg zusammentreten zu lassen, und zwar in der Weise, daß die
Konferenz zwei Personen, Kapell und Schulze, bestimmte und jeder Vor—
stand ein Mitglied seiner Gewerkschaft dazu ernannte. Das Protokoll
dieser Gewerkschaftskonferenz und die von der Hamburger Kommission
gefertigte Kongreßvorlage drucken wir als Anlagen ab.“*
Wie die Konferenzbeschlüsse zeigen, hatten die Gewerkschaften allen
Ueberschwang abgestreift, sie standen auf rein gewerkschaftlichem Boden
und waren bestrebt, leistungsfähige Berufsverbände durchzuführen. „Man
sieht — schrieb damals selbst das Hamburger Senatorenblatt, der
„Hamburgische Correspondent“ —, daß politische Ziele mit jenen Ver—
bänden nicht verbunden sind. Manche Zwecke jener Verbände sind löblich
und deren Erfüllung allgemein wünschenswert (Förderung der Beihilfe
in Krankheits- und Sterbefällen, bei Arbeitslosigkeit usw., insbesondere
das so sehr der Verbesserung bedürftige Herbergswesen und die Organisation
* Seite 385 und 405.
240
der Arbeitsnachweise). Einer der Hauptzwecke, Organisation der Arbeits⸗
einstellungen, Unterstützung während der Dauer derselben, gemeinschaftliches
Wirken behufs Erzielung günstiger Arbeitsbedingungen, wird freilich vieler⸗
wärts Bedenken erregen. Allein solche gemeinschaftlichen Bestrebungen
werden viel von ihrem nachteiligen Einfluß auf die gewerblichen Ver—
hältnisse verlieren, wenn die zur Leitung einer solchen Bewegung aus den
Kreisen der Arbeitenden entsendeten Männer in nachdenkender und be—
sonnener Weise auftreten und nicht durch augenblickliche Eindrücke und
Leidenschaften sich beherrschen lassen. Und je größer und je fester gegliedert
die Gewerkschaftsverbände sind, eine desto größere Gewähr wird obwalten,
daß die gerade in Verhandlung stehenden Fragen mit Ruhe und Einsicht
werden beurteilt werden. Jetzt, wo die Gesetzgebung das Gewerbewesen
in bezug auf seine innere Entwicklung fast ganz auf sich selbst angewiesen
hat und wo die bürgerliche Verwaltung auch kaum einmal einen beratenden
Einfluß auf die Gestaltung der Arbeitsverhältnisse ausübt, ja, wo nicht
selten der Gewerbestand als der Stand der Arbeitgeber aufgefaßt wird,
scheint es in mehr als einer Beziehung wünschenswert, daß die im ab—
hängigen Arbeitsverhältnis stehenden Männer sich nach den einzelnen
Gewerbszweigen zu Verbänden vereinigen, um ihre Interessen zu fördern,
und um sich eine durch die einzelnen Mitglieder zu erwählende, dadurch
zur Sache legitimierte, nach außen sichtbare Vertretung durch Berufs⸗
genossen zu schaffen.“ Nichtsdestoweniger sollte das Gewerkschaftsleben
in Deutschland noch einmal ausgelöscht werden.
Die Unterdrũckung der deutschen Gewerkschaften
auf Crund des Soꝛialistengesetes.
Der „Pionier“ brachte in seiner Nr. 19 vom 11. Mai 1878 den
nachstehenden Aufruf:
Allgemeiner Gewerkschaftskongreß in Magdeburg.
Derselbe beginnt am zweiten Pfingstfeiertage, nachmittags 3 Uhr, im großen
Saale des Herrn Geßner, Große Storchstr. 7.
Tagesordnung:
Wahl des Bureaus und Feststellung der Präsenzliste der anwesenden
Delegierten, Festsetzung der Geschäftsordnung.
Beneraldebatte über Zweck und Nutzen der Zentralisation.
Spezialdebatte und endgültige Beschlußfassung über die von der Gothaer
Konferenz und dem Hamburger Komitee festgestellten Organisations⸗
punkte sowie über weitere eingegangene Anträge.
Wahl der Kartellkommission und Beschlußfassung über den Ort, wo
dieselbe ihren Sitz haben soll.
Anderweitige Anträge können durch einfachen Majoritätsbeschluß zur
Debatte kommen.
241
Jeder Delegierte muß sich durch ein Mandat seiner Wähler legitimieren
können. Dasselbe muß die Unterschrift zweier Bureaumitglieder der Wahlver—
sammlung eventuell zweier Mitglieder von Gewerkschaftsvorständen nebst der
Bezeichnung des Ortes und die Zahl der Wähler enthalten. Die in Magdeburg
tagenden Delegierten von Gewerkschafts-Generalversammlungen können durch ihre
Bureaus delegiert werden. Delegierte können gewählt werden: von zentralisierten
Gewerkschaften, gemischten Gewerkschaftsversammlungen einzelner Orte, von Fach—
vereinen, Ortsvereinen und einzelnen Mitgliedschaften sowie auch von gemein—
schaftlichen Versammlungen keiner Organisation angehörender Arbeiter.
Die eintreffenden Delegierten werden auf dem Bahnhofe von Mitgliedern
der Lokalkommission — an weißen Schleifen erkenntlich — empfangen werden.
Behufs Beschaffung von Quartieren wolle man sich an den Vorsitzenden
der Lokalkommission, Herrn Schuhmacher Ebert, Jakobstraße 11/12 in Magdeburg,
wenden. Wir hoffen, daß die Notwendigkeit dieses Kongresses allen für die Ent—
wicklung der Gewerkschaften sich interessierenden Genossen klar' ist, und daß dem⸗
zufolge allerorts die möglichsten Anstrengungen gemacht werden, um einen zahl⸗
reichen Besuch des Kongresses zu veranlassen. Mögen daher die Genossen, welche
in der Zentralisation der Gewerkschaften einen Fortschritt erblicken, kräftig für
die Beschickung desselben eintreten.
Hamburg, den 7. Mai 188. Für die Hamburger Kommission:
August Kapell, Kraienkamp 22.
Die Bevollmächtigten des Bundes der Tischler und des Zimmerergewerks
in Magdeburg bekamen auf die Anmeldungen der Generalversammlungen
ihrer Gewerkschaften vom Polizeipräsidenten den Bescheid, „daß nach 87
der Verordnung vom 15. Mai 1854 Handwerkerzusammenkünfte am
9. Juni, als dem ersten Pfingstfeiertag, gar nicht und am 10. Juni erst
nach 4 Uhr nachmittags abgehalten werden dürfen“. Nun meldete
August Kapell den Gewerkschaftskongreß an; ihm wurde vom Polizei—
präsidenten in Magdeburg eröffnet, daß der Kongreß während der ganzen
Pfingstwoche nicht stattfinden könne. Der Kongreß sollte nun in Hamburg
abgehalten werden. Allein er wurde auch hier in letzter Stunde unter—
sagt, „und zwar ohne jede Motivierung“. Mithin blieb der Kommission
kein andrer Ausweg, als den Kongreß auf eine günstigere Zeit zu vertagen.
Am 11. Mai 1878 hatte nämlich ein verlotterter Klempnergeselle,
Hödel, der mit der Arbeiterbewegung nichts zu tun hatte, Unter den Linden
in Berlin auf Wilhelm J. ein paar blinde Revolverschüsse abgegeben.
Dieses „Attentat“ auf den Kaiser wurde vom Reichskanzler Bismarck
zum Vorwand genommen, im Reichstage den Entwurf eines Ausnahme—
gesetzes gegen die Sozialdemokratie einzubringen, womit auch die Gewerk—
schaften getroffen werden sollten. Der Reichstag beschäftigte sich damit
am 23. und 24. Mai. Er lehnte den Entwurf ab, munterte aber die
Regierung auf, gegen die Arbeiterbewegung „die vorhandenen Mittel bis
Bringmann, Geschichte der Zimmerer.
242
an die äußerste Grenze der Möglichkeit“ anzuwenden. Das ließ sich die
Regierung nicht zweimal sagen. Gleich nach Beendigung dieser Reichs—
tagsverhandlungen ging den preußischen Landräten der folgende
Erlaß zu:
Berlin, den 1. Juni 1878.
Bereits in dem Zirkularerlasse vom 15. Juli 1876 ist darauf hingewiesen
worden, daß den Ausschreitungen der Sozialdemokratie gegenüber die
Vorschriften des Vereinsgesetzes vom 11. März 1850 konsequent und mit
vollein Nachdrucke zur Anwendung zu bringen seien. Inzwischen haben die ver—
derblichen Lehren und Tendenzen der Sozialdemokratie sich immer mehr verbreitet
und sind in Kreise gedrungen, welche für dieselbe früher unzugänglich waren.
Die sozialdemokratische Agitation in der Presse, in Vereinen und in Versammlungen
wird von Tag zu Tag heftiger und dreister und droht, die Achtung vor Gesetz
— König und Vaterland und die Grundlage
der Gesittung, die Religion, zu untergraben. Durch unablässige Angriffe
auf die bestehende Eigentumsordnung, auf die Gesellschaft und die
besitzenden Klassen werden die Rechtsbegriffe verwirrt, Unzufrieden⸗
heit und Beunruhigung in immer weitere Kreise getragen und eine gedeihliche
Entwicklung auf wirtschaftlichem Gebiete, nicht am wenigsten zum Nachteile der
arbeitenden Klassen, beeinträchtigt. Es ist Pflicht, derartigen Agitationen
entschieden entgegenzutreten und zu diesem Zwecke von den zu Gebote stehenden
gesetzlichen Mitteln, unter sorgfältiger Einhaltung der durch die Gesetze gezogenen
Schranken, innerhalb derselben aber bis an die Grenze des Zulässigen, Gebrauch
zu machen. Der Minister des Innern.
gez. Graf zu Eulenburg.
Die Unterdrückung des allgemeinen Gewerkschaftskongresses war bereits
eine Folge der drakonischen Polizeimaßregeln, die nun Platz griffen.
Am 2. Juni 1878 verübte ein 80 Jahre alter Dr. Nobiling,
der mit der Arbeiterbewegung ebenfalls nichts zu tun hatte, ein
Schrotkörner⸗Attentat auf Wilhelm I., und nun inszenierte Bismarck
eine Hetze gegen die Arbeiterbewegung, die keine Grenzen kannte.
Der ganze Regierungsapparat war gegen die Arbeiterbewegung in
Tätigkeit. Bismarck legte dem · Reichstage wiederum den Entwurf
eines Ausnahmegesetzes gegen die Sozialdemokratie vor. Der Reichs⸗
tag ging nun darauf ein. Bei der Beratung dieses Gesetzes wurden
vom Bundesratstische aus und von den ausschlaggebenden Parteien die
dündigsten Erklärungen abgegeben, daß mit diesem Gesetz die Gewerk⸗
schaften nicht getroffen werden sollten. Bismarck führte in der Reichstags⸗
sitzung am 9. Oktober 1878 aus, daß er eine jede Bestrebung fördern
werde, welche positiv auf die Verbesserung der Lage der Arbeiter gerichtet
sei, also auch einen Verein, der sich den Zweck gesetzt habe, die Lage der
Arbeiter zu verbessern, den Arbeitern einen höheren Anteil an den
Erträgnissen der Industrie zu gewähren und die Arbeitszeit zu verkürzen,
243
soweit die Grenzen, die durch die Konkurrenz und die absetzbare Fabrikation
gegeben seien, beide Bestrebungen noch gestatten. Der Führer der National—
liberalen, Bennigsen, fand ebenfalls Worte für die Gewerkschaftsbewegung.
Der einzelne Arbeiter, welcher seine Arbeitskraft täglich verwerten müsse,
um mit seiner Familie zu leben, der keinen Aufschub in der Verwertung
seiner Arbeitskraft vertragen könne, sei für sich allein gestellt zu schwach,
wenn es sich darum handele, gegenüber den Kapitalisten einen größeren
Anteil an den Arbeitsprodukten der Nation zu erlangen, so führte er aus.
Bebel reagierte darauf in der Reichstagssitzung am 11. Oktober 1878:
Wenn zugegeben werde, wie es der Herr Reichskanzler getan, und wie
es auch in gleichen Fällen seitens des Herrn Abgeordneten Bennigsen
geschehen sei, daß es nämlich als eine berechtigte Bestrebung für die Ver—
besserung der Lage der Arbeiter angesehen werden solle, die Frage zu er—
örtern, welchen Anteil die Arbeiter an dem Arbeitsprodukt haben müssen,
welchen Lohn sie beziehen sollen, unter welchen Voraussetzungen sie ihre
Arbeitsbedingungen zu stellen haben, dann müsse auch notwendig das
Recht des Streiks, also das Koalitionsrecht, im vollsten Umfange darunter
verstanden werden. Es könne sich aber auch keine Nation mehr auf sich
selbst zurückziehen und für sich leben. Durch die moderne Entwicklung
würden die internationalen Beziehungen immer inniger, wofür die Handels-,
Schiffahrts-, Zolltarife usw. sprächen. Da sei es denn ganz naturgemäß,
daß auch die Arbeiter der verschiedenen Länder das sehr lebhafte Be—
streben hätten, sich in solchen Fällen untereinander zu verständigen, wo
Fragen des Arbeitsmarktes, die Frage des Lohnes, der Arbeitszeit, der
Konkurrenz usw. ins Spiel kämen. Bei den Arbeiterschutzgesetzen beriefen
sich die Fabrikanten immer auf die internationale Konkurrenz, und er hoffe,
wenn im Laufe der weiteren Entwicklung der Dinge die Arbeiter sowohl
innerhalb wie außerhalb Deutschlands auf die Idee kämen, ihre gewerk—
schaftliche Organisation im weiteren Umfange auszudehnen zum Zweck der
Verbesserung ihrer Lage innerhalb der heutigen Gesellschaft, daß alsdann
die Anschauungen, welche der Herr Reichskanzler und der Herr v. Bennigsen
über die Frage des Arbeitslohnes, der Berechtigung des Streiks usw. aus—
gesprochen hätten, auch wenigstens in diesem Falle voll und ganz ihre An—
erkennung fänden und man eben nicht nach einer willkürlichen Auslegung,
nach Märchen, die von kbeliebigen Schriftstellern, sei es absichtlich oder weil
sie selbst irregeführt seien, in die Welt gesetzt würden, daß man da nicht
mit brüsken oder absoluten Verboten gegen solche Organisationen vorgehe.
Diese Ausführungen erfuhren von keiner Seite Anfechtungen. Als
Hasselmann darauf hinwies, daß nur, um dieses Klassengesetz den Arbeitern
nicht allzu gehässig erscheinen zu lassen, die schönsten Reden über die
442*
244
Linderung des Arbeiterelends vom Bundesratstische aus gehalten würden,
erregte das den Unwillen der Befürworter des Sozialistengesetzes.
Uebrigens führte noch ein andrer Wortführer der Nationalliberalen,
Lasker, aus: Es gäbe in der Tat zwei Methoden, die Sozialdemokratie
unterdrücken zu wollen. Die eine Methode bestehe darin, die Sozial⸗
demokratie in allen ihren Erscheinungsformen, Personen, Agitation und
Vereinen zurückzudrängen, sie zu verhindern in ihrer Bewegung, und auf
diese Weise gewaltsam die Agitation zu beenden. Eine zweite Methode
wolle der Sozialdemokrätie nicht verwehren, daß auch sie ihre Ansicht
geltend mache, daß auch sie Luft und Licht unter dem Schutze des Staates
genieße, wie jeder andre Bürger, wolle ihr aber abschneiden, daß sie
eine Art Agitation verfolge, welche den Staat und den öffentlichen
Frieden in Gefahr bringe. Diese zweite Methode habe der Regierungs⸗
entwurf sich zugrunde gelegt. Die Regierung selbst habe erklärt, sie wolle
nicht den Kampf gegen die Personen beginnen, sondern sie wolle die
Kreise, welche sich von jeder Gemeinsamkeit des Staates abgewendet hätten,
wieder in das Staatsleben hineinführen, sie wolle das Krankhafte ent⸗
fernen und für das Gesunde wieder Platz und Raum schaffen. Die
Nationalliberalen wollten die Regierung beim Wort nehmen, daß es
nicht beim bloßen Wortbekenntnis bleibe, sondern danach gehandelt werde.
Im Reichstage hatte man vom Bundesratstische aus aber nur
deshalb viel versprochen, um nichts zu halten, und die Hoffnung auf eine
gelinde Handhabung des Sozialistengesetzes hatte man nur zu dem Zweck
inwidersprochen gelassen, um desto rücksichtsloser und brutaler auftreten
zu können. Außerhalb des Reichstages pfiff ein ganz andrer Wind,
da wetzten die Raubtiere und Hyänen die Zähne. Wie der Regierungs—
apparat gegen die Arbeiterbewegung spielte. Mag ein Schreiben des
damaligen preußischen Handelministers an die Vorstände der Handels—
kammern andeuten, in welchem er ausführte:
Die traurigen Ereignisse der jüngsten Zeit haben mit erschütternder Deutlich⸗
keit gezeigt, welche Früchte durch die sozialdemokratis che Agitation der letzten
Jahre gezeitigt sind, und welche Gefahren dem Vaterlande aus dem ungehin—
derten Fortgange derselben drohen würden. Sie stellen daher nicht nur an die
Gesetzgebung und Verwaltung des Staates, sondern auch für alle Klassen der
bürgerlichen Gesellschaft die dringende Aufgabe, jenen Agitationen mit allen
ihnen zu Gebote stehenden Mitteln entgegenzutreten. Insonderheit
werden auch die Vertreter der Industrie sich aufgefordert fühlen müssen,
durch eine energische, vereinigte und planmäßige Selbsttätigkeit dafür zu sorgen,
daß jene Agitationen von dem in ihren Unternehmungen beschäftigten Personal
ferngehalten und, wo sie bereits Boden gefunden haben, wieder beseitigt werden.
Aus öffentlichen Kundgebungen habe ich zu meiner Befriedigung ersehen, daß die
Industrie in einzelnen Kreisen sich dieser Aufgabe bereits bewußt geworden
245
ist. Es wird aber Pflicht aller Handelskammern und kaufmännischen Korporationen
sein, in ihrem Kreise die Erkenntnis zu verbreiten und zu befestigen, daß der
Stand der Arbeitgeber nicht nur eine dringende patriotische Anforderung
erfüllt, sondern auch seinem eigensten Lebensinteresse dient, wenn er den
natürlichen Einfluß, welchen er auf die Arbeiter auszuüben vermag, in ent—
schiedenerer und planmäßigerer Weise dazu benutzt, um selbst unter Hintansetzung
augenblicklicher Geschäftsinteressen die sozialdemokratische Agitation zu bekämpfen.
Ohne auf die mancherlei Mittel einzugehen, welche eine wohlwollende und ver—
ständige gemeinsame Tätigkeit zur heilsamen Einwirkung auf die arbeitenden
Klassen den Arbeitgebern darbietet, will ich namentlich darauf aufmerksam machen,
daß jeder unter ihnen imstande ist, nicht nur im persönlichen Verkehr mit seinen
Arbeitern durch Belehrung und Ermahnung auf diese einzuwirken, sondern auch
durch aufmerksame und kräftige Beaufsichtigung dafür Sorge zu tragen,
daß das Zusammensein der Arbeiter in den Arbeitsräumen nicht zu sozial—
demokratischen Agitationen, zum Verteilen von sozialdemokratischen
Zeitungen und Schriften — wie es seither mitunter geschehen sein soll —
gemißbraucht werde, und daß solche Elemente, welche den Mahnungen
des Arbeitgebers kein Gehör schenken, oder sogar die sozialdemokratischen Lehren
unter ihren Mitarbeitern zu verbreiten suchen, aus den Fabriken und Werk—
stätten entfernt werden. Zu dem patriotischen Sinne der Herren Aeltesten
vertraue ich gern, daß dieselben sich angelegen sein lassen werden, in dem von
Ihnen vertretenen Kreise des Handelsstandes die Erkenntnis von dem, was unter
den gegenwärtigen Umständen not tut, kräftigst zu fördern.
In Mecklenburg-Schwerin leistete sich das Ministerium an
die Amtsvorsteher die nachstehende Anweisung:
Sie werden hierdurch aufgefordert, innerhalb Ihres Gemeindebezirks sorg⸗
fältig nachzuforschen, ob darin sozialdemokratische Vereine oder so—
genannte Gewerkschaften oder Mitglieder derselben vorhanden sind,
oder ob sich daselbst Personen befinden, welche sich Blätter wie „Der Pionier“,
„Der Grundstein“ oder andre sozialdemokratische Schriften halten. Zunächst
haben Sie vor allem unausgesetzt darauf zu achten, ob Personen, namentlich
Ortsfremde, in Ihrer Gemeinde sozialdemokratische Anschauungen
vortragen, verbreiten, Anhänger zu erlangen suchen, sozialistische Blätter vor—
lesen, verteilen oder dergleichen mehr. Bei den unmittelbar bevorstehenden Neu—
wahlen zum Reichstage steht letzteres zu erwarten.
Was Sie in allen vorerwähnten Richtungen ermitteln, haben Sie unver—
züglich hierher zu berichten, unter Benennung der Personen, Vereine,
Blätter u. a. — Es wird Ihnen zu diesem Zweck angeraten, diejenigen Orte,
wo Fremde oder wo Handwerker und Arbeiter, besonders die Zimmer- und
Maurergesellen, verkehren, häufig aufzusuchen und sich über das Treiben da—
selbst stets in Kenntnis zu halten.
Sie haben diese Aufgabe mit der größtmöglichsten Gewissenhaftigkeit und
Strenge zu befolgen. Falls sich ergeben sollte, daß Sie es in irgendeinem Punkte an
Wachsamkeit und Aufmerksamkeit oder sonstwie fehlen lassen, so werden Sie unnach—
sichtlich zur Rechenschaft gezogen und mit der strengsten Strafe belegt werden.
Schwerin, den 11. Juni 1878. Großherzogliches Amt.
v. Oertzken.
246
Diese infame Hetze trug ihre Früchte, so daß der „Pionier“ klagte:
„Der Klass enkampf tritt in aller Schärfe auf. Tausende von Arbeitern
unter werfen sich, solche Brutalität verfluchend, knirschend dem
Befehle, keine sozialdemokratischen Zeitungen zu halten. Die
Hungerpeitsche, von der sie und ihre Familie bedroht sind, zwingt sie,
äußerlich ihre Gesinnung zu verleugnen, äußerlich ihre Ueberzeugung
preiszugeben.“ Genug, nachdem alle Versammlungen verboten wurden
und die schamlosen Maßregelungen nicht mehr abrissen, waren auch die
Gewerkschaften still geworden; die im Vordergrunde stehenden
vegetierten nur noch einige Wochen kümmerlich dahin, bis das am
20 Oktober 1878 erlassene Schandgesetz ihnen das Lebenslicht völlig
ausblies. Von den 26 gewerkschaftlichen Zentralverbänden mit ihren
rund 50 000 Mitgliedern blieben nur wenige verschont. Einige kamen
der gewaltsamen Unterdrückung, die wie das Damoklesschwert über ihnen
schwebte, durch freiwillige Auflssung zuvor. Bald bestanden nur noch vier
unbedeutende Organisationen: der Verband der Glacéhandschuhmacher,
der Verband der Weißgerber, der deutsche Senefelderbund und der
deutsche Xylographenverband. Brutal und rücksichtslos wurde auch die
gewerkschaftliche Presse unterdrückt.
—*
0
Anlagen.
J.
Urkunden aus der Zunstzeit.
Auszug aus der
Polizey⸗hochꝛeit·Rleider⸗Gesĩnde.Tagelðhner und handwerksordnung
Churf. Joh. Ceorgens II. zu Sachsen den 22. Junii Anno I6bbl.
Von G. G. Wir Johann Georg der Andere Hertzog zu Sachsen ꝛc. ꝛc. Thuen
kundt und bekennen:
ꝛe. ꝛec.
Ditulus XXI.
Von Handwergken insgemein.
Wir wollen zwar, daß die Handwerkere, so bestätigte Innungen vorzulegen
haben, darbey geschützet und die unzunfftmäßige Stöhrer abgeschaffet werden
sollen.
Nachdeme aber etliche Handwerker solche Innungen nicht wenig mißbranchen,
auch dafür halten, daß niemand dergleichen Meister, welche doch die Arbeit so
gut als sie, und offtmahls umb einen viel leichtern Lohn verfertigen, von
frembden Orten zu erfordern und ihnen Arbeit zu geben befugt wäre, So
ist Unser Befehlich, die Räthe in Städten und andere Gerichte sollen die
Handwerker vor solchen Beginnen ernstlichen abmahnen.
Ingleichen: lassen Wir die Handwerker, so nach Landes⸗Gebrauch, Ab⸗
schieden und anderm beständigen Herkommen, in einem oder dem andern
Dorffe sitzen, und nur denen Inwohnern zur Haus⸗Nothdurfft bey ihrem
Befugniß verbleiben.
Was der Leinweber, Barbierer, Schäffer, Müller, Zöllner, Pfeiffer und
Bader, wie auch derer Ambtsfrohnen, Stadt- und Land⸗Knechte Kinder
betrifft, dieselben sollen, zufolge des heil. Reichs verbesserter Polieey⸗
Ordnung de anno 1577. (die Wir dißfalls hiermit allerdings wiederhohlen)
bey allen und jeden Handwerken, wenn sie eheliche Geburt darthun können,
und sich sonsten ehrlich verhalten, unweigerlich auf- und angenommen,
am allerwenigsten aber die Richter und Gerichtspersonen, die bey denen
von Adel und Rittergüthern auf dem Lande, das Beistehen verrichten
müssen, oder ihre Kinder von ehrlichen Handwerks-Zünfften deswegen
ausgeschlossen, auch, da ein oder das andere Handwerk dergleichen sich
unterstehen würde, Sie unter diesem Vorwande von denen Innungen aus—
zustoßen oder darein nicht zu recipiren, wider dieselben als nicht minder
wie diejenigen, die sie deshalb vor unehrlich halten wollen, von dem
Magistrat jeden Orts mit Geld— oder Gefängnüß-Straffe, nach Befindung,
unnachläßlich verfahren werden.
8. 1.
8. 2.
8. 3.
8. 4.
250
8. 5.
Weil auch öffters unziemliches Aufding-⸗ Geld und allzu hohe Zehrung, bey
deren Lehriungen Aufnehmung, aufgewendet, und ihrer viele von denen
Handwerken dadurch abgeschrecket werden, So sollen die Beambten und
Räthe in Städten fleißige Aufsicht haben, daß die Meistere und Handwerke
hierinnen Niemanden zur Ungebühr beschwehren, sondern vielmehr alles
unordentliche Wesen, welches bey Aufnehmung, mit etwan also genannten
Täuffen, oder üppigen Hänseln vorzugehen pfleget, gäntzlich abschaffen
oder deswegen ernstlich bestraffet werden.
Niemand soll auch eher nicht zur Meisterschafft gelangen, Er habe denn
zuvor, sowohl in seiner Wanderschafft, als bey einem oder mehr Meistern
desselben Orts, wo er Meister werden will, die in jedes Handwerks Ord⸗
nung bestimmbte Zeit erfüllet, Jedoch, daß solches in kleinen Städten oder
—XD —— gesuchet, sondern vornehmlich dahin gesehen
werde, Ob Er sein Handwerk ehrlich gelernet und vor einen Meister be⸗
stehen könne.
Denen Handwerks-Gesellen soll kein guter Montag zugelassen, vielweniger
Ihnen Umbgänge und andere Zusammenkünffte, welche auf Fressen und
Sauffen hinauslauffen, und sonderlich zur Fastenzeit eingeführet werden
wollen, verstattet werden.
Es ist ihnen auch keineswegs nachzulassen, aus eigenem Muthwillen, in
dem Handwerke aufzustehen, und ihren Meistern weiter nicht, es werde
denn in dem, was sie fürnehmen, nach ihrem Begehren, gewillfahret, zu
arbeiten, und also ihre selbst Richtere zu feyn, sondern, es sollen die An⸗
hängere und Urhebere, nach Gestalt ihrer Verschuldung, mit Gefängniß
oder sonsten, und die andere Handwerks⸗Gesellen, ihren Meistern weiter
zu arbeiten, angehalten; welche aber solches nicht thun und darinnen
widersetzlich seyn, auch mit Gefängniß und sonst ernstlich gestraffet werden.
Die Handwerks⸗Meister sollen sich, an billichem, in Unserer Tax⸗Ordnung
verordneten Lohn begnügen lassen, und sich in geringstem nicht mit einander
vereinigen, daß einer seine Arbeit oder Werk nicht in geringerem Werthe
verkauffen, dingen oder machen soll, denn der andere, bei Vermeidung un⸗
nachlässiger Straffe.
Derer Straffen sollen sich die Handwerker anderer Gestalt nicht anmassen,
als nur soviel und ferne es ihnen in ihren Innungen erlaubt ist.
Kein geschmäheter Meister oder Geselle, ehe er dann der Beschuldigung
überwiesen, soll aufgetrieben, oder sein Handwerk zu treiben von dem
Handwerke deswegen gehindert, sondern diejenigen, so andere beschuldigen
und es nicht erweisen können, selbst für unredlich gehalten und ihnen das
Handwerk ferner zu treiben nicht mehr gelassen werden.
Wiewohl dasjenige, was in Handwerken geredet und geschlossen wird,
sonsten billig in Geheim zu halten, Daferne es aber wider Uns, oder
Unsere Brüderliche und andere Obrigkeitliche Verordnung, oder auch wider
die Rechte und Gesetze lieffe, Soll es pflichtmäßig eröffnet und angezeiget
werden.
Nachdem auch öffters die Handwerks⸗Leute diejenigen, so ihrer Arbeit be—
dürffen, übersetzen, untüchtige Arbeit verfertigen, unter dem Schein des
Trinkgeldes vor die Gesellen, absonderlich Lohn fordern, in kurzen und
langen Tagen keinen Unterschied halten, neben dem Tagelohn, auch Bier,
8. 6.
8.7.
8.8.
8.9.
8. 10.
8. 11.
8. 12.
8. 18.
251
Branttwein und dergleichen fordern, die Arbeit ganz nachlässig und un—
treulich verrichten, langsam an dieselbe kommen, sich gegen die Bau⸗Herren
trotziglich erweisen, theils nur auf die Gedinge dringen, die Bau⸗Herren
bevortheilen, und was dergleichen unfertige Händel mehr; So thun Wir
alle diese Mißbräuche hiermit gäntzlichen verbiethen, und jedes Orts
Obrigkeiten darbey nochmahls anbefehlen, eine, nach jetzigen Zustande ein⸗
gerichtete, billichmnäßige Tax-Ordnung denen Handwerkern vorzuschreiben,
vestiglich darüber zu halten, da es die Nothdurfft erfordert, solche zu revi⸗
diren und zu verbessern, auch die Verbrechere ernstlichen zu bestraffen.
Was hierüber, in Erledigung derer Landes-Gebrechen, derer
Handwerks-Leute halben, angeordnet und deecidiret, das wollen Wir gleich⸗
falls anhero wiederholet und solchem allenthalben nachzukommen, krafft
dieses, nochmahls anbefohlen haben.
Die handwerksordnungen der Zimmerleute in Wien von 1043 bis 1752.
Handwerksordnung von 1643.
Wir Ferdinand der dritte von Gottes Gnaden Erwöhlter Römischer Kaiser,
zu allen Zeitten Mehrer des Reichs in Germanien zu Hungern Böhaimb Dalmatien
Croatien und Sclavonien König, Ertzherzog zu Oesterreich, Herzog zu Burgund zu
Würtemberg zu Braband zu Steyer zu Kärnten, zu berain, zu Luxenburg, Ober⸗ und
Nider Schlesien, Fürst zu Schwaben, Marggraf des H. Römischen Reichs zu Burgau
zu Mähren Ob und Nieder Lausnitz, Gefürster Graff zu Habsburg zu Tyrol, zu
Pfirdt zu Kyburg und zu Görtz, Landgraff in Ellsaß, Herr auf der Windischen
March zu Portenau und zu Salins ꝛꝛ.
Bekhennen öffentlich mit dießem Brieff und thun khundt allermeniglich, daß
für Uns kommen sein N. ain ganzes Handtwerkh der Zimmerleut Unserer Stadt
Wienn, und Uns unterthänigst zuvernehmen geben, waßgestalten Sy noch Anno
Sechzehenhundert fünffzehen, von Weilandt Kaiser Mathia Christseeligsten an⸗
gedenkens mit einer Handtwerkhs Ordnung versehen worden, dieselbe aber zu er⸗
haltung der Ehren Gottes, beßerer mannßzucht und Erbarkeit von neuem wiederumb
ersehen gemecht und verbeßert, maßen solche von wort zu wort wie hernach folgt,
also lautet:
Erstlich.
Sollen die Meister und Gesellen alle vier Wochen fleißig zu der Zöchtäding
kommen umb zwölf Uhr biß auf ain Uhr, welcher aber nit kombt noch erscheint,
So ist ain Meister schuldig zway Pfundt und ain Gesell ain Pfundt Wax, es sey
dann Ursach, daß er ligerhaftig oder außer Landt ist.
Zum Anderten.
Sollen weder die Maister noch Gesellen keiner den andern Lugen straffen
oder Scheltwort wider einander außgießen, vor offener Ladt oder sonst so einer
sich ungebührlich halt vor einem Handwerkh, welcher solches thuet der soll umb
fünff Pfund War gestrafft werden, und ob sy sich in der Handwerkhsstraff nit
begnügen lassen wollen, so solte derselbig nach erkhantnuß der Obrigkeit in den
gehorsamb gebracht werden.
Zum Dritten.
Sollen die Maister und Gesellen vleißig zu den Opfer kommen, alß alle
vier Quatember Sonntag, Nemblichen am Tag St. Joseph, welcher felt den
252
Neunzehenten Marty, dann auch den Sonntag, welcher den sybenzehenden dits Marty
kombt, desgleichen auch aller Christglaubigen Seelen Tag, wie auch alle Unsere
lieben Frauen Fest, so in den ganzen Jahr fallen werden darbey zu erscheinen,
welcher aber nicht kombt, der solle bey obgemelter Straff der fünff Pfundt Warx
gestrafft werden, außer es sey dan Sach, daß er krankh sey oder außer Landts,
sonsten kein Außredt beschehen wird.
Zum Vierten.
Sollen Maister und Gesellen, wann der Zöchmaister zu ainem Handtwerchs
Extraordinary ansagen laßt, vleißig darzu kommen und welcher, es sey Maister
oder Gesell, ausbleibt, der soll auch zu obgemelter Straff gehalten werden. Item
solle der Zöchmaister denen Extraordinary zusambenkhunften denen Maistern und
Gesellen, die zu Zeiten etwas weit entlegen oder nit gleich zur stell wären, zu
verhütung der Straff, zeitlich ansagen lassen, da aber über solches ainer ohne
erhebliche Ursachen außenbleibe, Er nit weniger umb fünff Pfundt Warx solle
gestrafft werden.
Zum Fünften.
Welcher allhier begehrt ain Meister zu werden, auch seine Jahr gewandert,
und allhier in der Statt vorhin ainem Meister zweijahr einen Pallier hat abgeben,
alßdann solle er auch nach Fleiß und erkhantnuß des Handwerkhs für ainen Maister
gefürdert, und ihm ain Maisterstukh ertheilt werden.
Zum Sechsten.
So ainer sein Maisterstukh gemacht hat, undt dem Handtwerkh auch zu recht
ist, solle derselbe in ainen halben Jahr für ainen Burger fürgestellt werden, welcher
aber nit will und sich dessen waigert, der soll umb drey Pfundt Warxr gestrafft werden.
Zum Siebenten.
So ainer Maister worden ist, so soll er keinen Jungen aufnehmen inner
aines halben Jahr und biß er Burger worden ist, welcher aber solches thuet, der
soll umb drey Pfundt Wax gestrafft werden und zwar dergestalt, daß die Obrigkeit
auf erzaigende widersäßigkeit, und mehreres einsehen ersucht werde.
Fürs Achte.
So ein Glockhenstreich beschehen würde von der Feyer Glockhen in oder
außer der Statt und in dem Burgfriedt, so soll ein jdwederer Maister Pallier
oder Gesell, es sey bey Tag oder Nacht, alßbaldt Er dessen innen wird, bey dem
Feyer erscheinen, sovern aber ainer solches muetwillig versaumbet, so soll ain
Maister umb zwainzig und ein Gesell umb fünffzehen Pfundt gestrafft werden.
Zum Neunten.
Welcher Maister seine Gesellen, daß Sy umb den von der Obrigkeit be—
stimbten Taglohn nit arbeiten und ein mehrers fordern sollten, anraitzen und
sterkhen wurde, der oder dieselben sollen fünffzig Pfundt War zu der Ladt ver⸗
tallen sein, da er aber noch darüber truzig erschine, soll Ihm alsdan das Handt⸗
werkh auf ein zimbliche Zeit niedergelegt werden.
Item welcher Gesell umb den gesetzten Taglohn nit arbeiten wolte und
destwegen sich aufmachn, und allein umb des Taglohns willen von der Statt oder
von dem Ort, an welchem Er sonsten ein Zeit zubringen wollen, verraißen würde,
dem soll kain Abschiet von dem Maister bey oben angemelter Straff der fünffzig
253
Pfundt War noch, da der Gesell ichtes bey dem Maister zusuchen, vil oder wenig
herausgegeben werden, sondern der Maister soll daßjenige, waß er dem Gesellen
noch zu thuen noch schuldig, zu dem Handwerkh erlegen. Es sollen auch der⸗
gleichen Gesellen nirgents befürdert sondern allenthalben alß Ungehorsambe aus—
getrieben und nit anderst als für Störer gehalten, noch bey dem Handwerkh
semahlen für guet geachtet und eingenohmen werden.
Zum Zehenten.
Soll kein Maister dem andern in seine Arbeit einstehen, oder einem Pau⸗
herrn arbeiten.
Wofer auch der Pauherr dem andern Maister schuldig ist, soll ihm kein
Maister in solche Arbeit einstehen, und welcher darüber einstehet, derselb soll dem
andern Maister an statt des Pauherns, seine Schuldt bezahlen und solang sein
Handtwerkh niedergelegt werden, biß er den andern Maister bezahlt hat.
Wenn aber der Pauherr den ersten Maister bezahlt mag er wol ein andern
zu seiner Arbeit annehmen und ihme den Pau endigen.
Zum Ailften.
So ain Maister oder Gesell in dem Burgfried ainen Störer weiß, so soll
er ihn alßbaldt denen Zöchmaistern anzeigen, Sofern aber die Zöchmaister der⸗
selbigen Sachen nicht nachkomen, so sollen sy umb zwainzig Pfundt Wax gestrafft
werden.
Auch wann die Zöchmaister aines andern Maister oder Gesellen Hülff
begerten, so sollen sy alßbalt mit Ihm gehen, und so er das nit thuet so soll er
bei obgemelter Straff gestrafft werden.
Zwölften.
So ain Maister ainem Gesellen ain Arbeit verdingt bey dem Maister oder
Pauherrn und nit mit Consens des Maisters bewilligt wurde, es sey viel oder
wenig, so soll der Maister umb zwainzig Pfundt Wax und der Gesell sovel die
arbeil betrifft und Ihm auf ein Zeit das Handtwerch niedergelegt werden.
Fürs Dreyzehente.
Soll kein Maister der Zimmerleuth, keinen Maurer kein Geben machen
oder verrichten, das der Maurer ohne Vorwissen der Maister Zimmerleuth, von
einem Pauherrn überhaubt annimmt, Wovern aber ein Maister solche Arbeit,
ohne Vorwissen eines Handwerchs annehmen wurde, derselbig soll umb fünffzig
Pfundt Warx gestrafft werden, und den Pauherrn nach Erkanntnus der Obrigkeit.
Vierzehenten.
Sollen auch die Zöchmaister, nach alten gebrauch und herkommen, die
negsten Zechtäding so nach dem heiligen Gotts Leichnambs Tag beschicht die
Raittung vor ainem Handwerch alle Jahr vleißig thuen, und schuldig sein andere
Zöchmaister und Zöchgesellen zusetzen.
Zum Fünffzehenten.
Wover ain Maister mit ainem Gesellen und ain Gesell mit ainem Maister
händl haben, und scheltwort wider ain ander ausgießen, so sollen sy solches nit
in haimblichen und stillen Orten vergleichen, sondern sy sollen inner vierzehen
Tagen sich vor die Zöchmaister stellen und ain Handtwerkh fordern, und welcher
254 —
wider daßselbig handlet, es sey Maister oder Gesell, der soll umb zwainzig Pfundt
Wax gestrafft werden, und hierinnen kein außredt beschehen; die Erkantnuß aber
nit allein bei dem Handwerch, sondern auch nach gestalt der sachen bei der
Obrigkeit stehen solle.
Zum Sechzehenten.
So ain Gesell seine vierzehen Tag gearbeitet hat und nit weiter zubleiben
willens, so solle er zuvor an ainem Freytag dem Maister umb zwölf Uhr in sein
Haus oder Losament komben, umd Ihme umb die Arbeit dankhen und aufsagen,
und alßdan den Sonntag hernach wandern.
Sibenzehenten.
So ain Maister oder Gesell vor dem Handtwerch gestrafft worden und die
Straff nit alßbaldt zu erlegen hat, so soll der Maister für ihm einsprechen auf
die nägste Zöchtäding, wann aber selbigs nit beschicht, soll er zum erstenmal umb
zway Pfundt und zum andern mal umb vier Pfundt Wax gestrafft werden, und
Hrittens auf nit erlegende Straff die Obrigkeit ersucht werden.
Zum Achzehenten.
So ain Maister ainen Jungen hat, der von redlichen Eltern gebohren,
und solches durch Zeugnuß oder Pürgen versichern kan, auch lust zu dem Hand⸗
werch hat, der solle nach Catholischen gebrauch, den Zöchmaister sein Beichtzettl
fürbringen, und wann solches beschehen, sein Maister schuldig sein, ihm in ainen
halben Jahr aufzudingen, bey Straff zwainzig Pfundt Wax, auch wann man den
Jungen wird aufdingen, so soll er zween Maister in dem Handwerch oder sonst
zween Ehrliche Burger mit Vorwissen Ihrer Obrigkeit, für Pürgen fürstellen,
die auch für ihme einsprechen per Zway und dreißig Gulden, daß er Gehorsamb
und vleißig sein will, und so er seine Lehrjahr der Zway Jahr völlig erstrekt,
und ehrlich und redlich außgelehrnet hat und der Maister ohne Clag ist, so ist
ihm der Maister schuldig für fünff Stukh Zeug fünft Guldn, dann auch, so der
Jung frei gesagt ist und zu ainem Gesellen erkhenet ist, so soll er seinen Lehr⸗
meister ansprechen vierzehen Tag umb Fürderung und alßdann nach Handtwerchs
brauch Zwey Jahr wandern.
Wan aber derselbig solches nit thuen und sich verhäschpeln oder ver⸗
heyraten würdt, und seine zway Jahr nit wandern thet, dem soll nach Erkanntnus
der Obrigkeit die Straff vorbehalten werden.
Zum Neunzehenten.
So ain Gesell zu der Statt khombt, der inner oder außer der Statt bey
ainem Stimpler oder Störer sich aufgehalten oder gearbeitet hat über vierzehen
Tag lang, und kumbt zu ainem bürgerlichen Maister, der in Handtwerkh ist, so
soll er nach erkhantnuß des Handwerchs abgestrafft werden, andern Gesellen zu
ainem Exempl, auch daran sich andere spieglen, und das Handtwerkh bei Ehren
und Ruhmb erhalten wird.
Zum Zwainzigisten.
So der Maister oder Maisterin oder Gesell sterben und mit Todt abgehen,
so foll der Zöchmaister vleißig zu der Leich ansagen laßen den Maistern und
Gesellen, auch jedweder Maister soll es seinen Gesellen wißen lassen, und welcher
Maister und Gesell, dem Ers sagen last, nit erscheint, und nit guetwillig mit der
Leich gehet, so soll der Maister umb zway Pfundt und der Gesell umb ain Pfundt
255
Wax gestrafft werden, jedoch daß dergleichen Conduct ohne Versaumbnus des
Pauherrn beschehen und an ainem andern Tag mit der Arbeit wider herein
gebracht werden solle.
Und Uns darauf obgedachte Burgerliche Zimmerleuth Unserer Statt Wien
allergehorsambist gebetten, daß Wir Ihnen solch Ihre auffgesetzte gemehrt und
verbesserte Handtwerchs Ordnung allergnedigist zu confirmiren und zu bestätten,
auch dabei in allen Punkten und Clausuln Handt zu haben allergnedigist ge⸗
ruhen wollten.
Haben Wir angesehen, solch Ihr demuetig vleißige Bitt, und darumben
mit wohlbedachten mueth guetem zeitigem rath und rechten wissen, auch über
deßwegen von Unserer N. Oest. Regierung und Cammer auch sonst gehöriger
Orthen einkomene bericht und guetachten mehrgemelten Bürgerlichen Zimmerleuthen
zu Wienn obbegriffene Ihr gemehrt und verbesserle Handwerchs Ordnung in
allen ihren Puncten und Articuln gnedigist confirmiret und bestattet.
Thuen das auch confirmiren und bestatten solche aus Kaiser und Landts⸗
fürstlicher Machtvollkommenheit wißentlich in eraft diß Brieffs und mainen sezen
und wollen, daß berührte Handtwerchs Ordnung alles Ihres Inhalts bei erefften
bleiben und Sy die Zimmerleuth und Ire Nachkommen sich derselben freyen
gebrauchen und genüeßen sollen und mögen, von aller meniglich unverhindert.
Gebietten darauf N. allen und jeden Unsern Geist- und Weltlichen Obrig⸗
keiten Statthaltern Landmarschalchen Landts-Haubtleuthen Graffen Freyen Herrn
Rittern Knechten Verwesern Vitzdomben Pflegern Burggrafen Gemainden und
sonst allen andern Unterthanen und Getreuen was würden stands oder Weesens
die seint, Insonderheit aber N. Bürgermeister Richter und Rath Unserer Statt
Wien ernstlich und wollen, daß Sy die obgemelte Zimmerleuth und Ihre Nach⸗
kommen bey obinserirter ihrer Handtwerchs Ordnung und dißer Unserer gnedigisten
eonfirmation und Bestättigung nit allein gentzlich bleiben lassen, sondern auch
vestiglich manutemiren schüzen und Handthaben, daran kein irrung abbruch oder
Hindernuß thuen noch das jemands anderen zu thuen gestatten in kain weiß noch
weeg als lieb ainem jeden seye Unser schwäre Ungnadt und Straff zu vermeiden.
Mit Urkhunt diß Briffs besigelt mit Unserm Kaiserlichen anhangenden Insigl.
Geben auf Unsern Schloß Eberstorf den Syben und zwainzigisten Monatstag
Septembris, Nach Christi Unsers lieben Herrn und Seeligmachers gnadenreichen
Geburth im Sechzehenhundert drei und Vierzigsten. Unserer Reiche des Römischen
im Sibenten des Hungarischen im Achtzehenden und des Böhemischen im
Sechzehenten Jahre.
Handwerksordnung von 1704.
Die Handwerksordnung war in vorstehender Fassung bereits 1665 wieder
bestätigt worden, nun war „aber der fünfte Artikel besagter Freiheit nicht klar
genug, sondern also beschaffen, daß dessen Inhalt disputirt und auf einen ganzen
Handwerk ... etwas nachtheiligen verstand interpretirt und ausgelegt werden
möchte, woraus mittlerweil unter den bürgerlichen und anderen auswendigten
oder fremden Meistern allerhand Confusion, schädlicher stritt und irrungen ein⸗
folglich kostbar und langwährige procehs dem Handwerkh zu verfechten erwachsen
könnten“. Der fünfte Artikel erhielt daher den nachstehenden Zusatz: „Desgleich
auch der Jenige so Vorhin ein Statt-Maister und allhiesiger Zunft einverleibt
256 —
gewesen und etwa bey dieser Krigszeiten vertriben oder ruinirt wurde zu seiner
Zurückkunft für einen Mitmaister da er anders in Zeit seiner abwesenheit sich
ehrlich verhalten Unwaigerlich erkent werden.“
Handwerksordnung von 1710.
Die Handwerksordnung scheint nach der erwähnten Neuredaktion nochmals
verändert worden zu sein, denn sie enthielt 1710 mehr als 20 Artikel, nun wurde
sie von Joseph J. bestätigt und noch um einige Artikel vermehrt, so daß sie
27 Artikel umfaßte. Neu hinzu kamen folgende Bestimmungen: „Vierzehentens
welcher Maister seine Gesellen, daß sie umb den von der Obrigkeit bestimbten
Taglohn nicht arbeythen und ein mehrers fordern solten anraizen und Stärkhen
würde, der oder dieselbe sollen Fünfzig Pfundt Wachs zu der Laad verfallen
seyn, da er aber noch darzu widerspänstig erschine, soll Ihm alsdann das Hand—⸗
werkh auf eine Zimbliche Zeit nach Erkanntnus nider gelegt werden, Hingegen
soll ein jeder Maister den Gesellen besolden nach seiner Arbeith und Fleiß, da
Er aber nit Zufrieden solches zu Erkantnus des Handtwerkhs oder Zöchmaister
gestellt und da der gesell noch nit darmit zufrieden wäre, solle er nach guet
befinden gestrafft werden.
„Sibenzehentens soll kein Pallier oder anderer Gesell, wer der ist, seinem
Maister die arbeit und das Werkh tadln oder gegen den Bauherrn verkleinern
oder untergrüplen, bey vermeidung gewisser Straf wie dan ein Jeder Pallier
und Gesell sich seines dem Maister gethanen Zuesagens zu erindern und seinen
geluebt gemäß sich zuverhalten wissen solle.
„Neunzehendens sol auch kein Gesell jemands andern umb Arbait zusprechen
als allein dem Maister selbst oder in dessen Abwesenheit dem Pallier, der ihn
dan bis auf des Maisters Aneunft zu fürdern und Arbeit zugebn solle, auch
keinem einigen Gesellen ohne Vorwissen und Bewilligung seines Maisters in der
Wochen einen Feyertag oder wie Sie es nenen blauen Montag zu machen und
dadurch den Bauherrn und Maister in der Arbeit zu hindern hinführo mehr
gestattet werden, der aber fräventlich hierwider thätte derselb solle für jeden
halben Tag so er gefeyert, ein halbes und für jeden ganzen Tag ein ganzes
Wocherlohn verwürkht haben, davon der Maister nach abzug der versaumbten
Zeit den überrest in die Laad zu legen, der Gesell aber in der Arbeith forth
— sich widersetzen oder gahr ausstehen wolte,
von der obrigkeit durch den Rumor Haubtmann, oder Profosen und auf dem
Landt durch die Gerichtsdiener in band und Eysen zu außdienung der Zeit an⸗
gehalten oder da er entlaufen würde, von keinen Maister im Landt mehr auf⸗
genomen, und weiter befürdert werde.
Handwerksordnung von 1713.
Kaiser Karl VI. bestätigte am 21. März dieses Jahres den Zimmerleuten
„ihre von Alters wohl hergebrachte, theils erneuert theils bestätigte Ordnung
und Freyheit“, ohne sie wesentlich zu ändern.
Handwerksordnung von 1752.
Wir, Maria Theresia von Gottes Gnaden, römische Kaiserin, in Germanien,
zu Hungarn, Böheim, Dalmatien, Kroatien, Slavonien, Königin, Erzherzogin zu
Oesterreich, Herzogin zu Burgund, Ober-⸗ und Niederschlesien, Steyer, zu Kärnten,
257
zu Krain, Margrafin, des heiligen römischen Reichs, zu Mähren, zu Burgau, zu
Ober⸗- und Nieder-Laußnitz gefürstete Gräfin zu Habsburg, zu Flandern, zu Tyrol
und zu Görtz, Herzogin zu Lothringen und Uurr, Großherzogin zu Toskana ꝛc. ꝛc.
Bekennen Oeffentlich mit diesem Brief und thuen kund allermänniglich, daß Uns
Unsere Getreue, die Gesammte der allhiesigen Wiennerischen Haupt Zunft ein⸗
verleibte Meisterschaft des Handwerks deren Zimerleuthen allerunterthänigst
gebetten. Wir geruheten als jetzt Regierende Kayserin, Königin, Frau, und
Erblandes Fürstin, ihre von Alters wohl hergebrachte, und letzmahlich von
Weyland Unsers in Gott Christseeligt ruhend, Hochgeehrtesten Herrn und Vatters
Kayser Karls des Sechsten Majestät und Liebden glorwürdigster Gedächtniß
unterm einundzwanzigsten Marty Siebenzehenhundert dreyzehen bestättigte Hand⸗
werks Ordnung und Freyheit nicht allein von neuen allergnädigst zu bestättigen,
sondern auch den ersten Punkt dergestalten zu verbessern, daß sie auch ihr Profehsion
auf den Land gleich denen allhiesigen Steinmetz und Maurermeistern aller Orthen
unangefochten zu treiben befugt sein sollen.
Wann Wir dann gnädiglich angesehen solche deren Supplikanten aller⸗
gehorsamste Bitte und daß derley Satz und Ordnungen anforderst zu Beförderung
der Ehre Gottes auch zu Fortpflanz und Erhaltung ehrbarer Mannszucht und
Einigkeit gereichen.
Als haben wir den von Unserer N. Oest. Repräsentation und Kammer derent⸗
willen abgefordert auch erstatteten gutächtlichen Bericht mit wohlbedachten Muth,
guten Rath und rechten Wissen, ihnen Eingangsernannten Zimmermeistern vor⸗
erwehnte Handwerks Ordnung und Freyheit, soweit selbe der Anno 1732 ausge⸗
gangenen General-Handwerks Ordnung nicht entgegen, anbey Sie Supplikanten in
deren ruhigen Besitz und Uebung auch ohne Anspruch seynd, nicht allein von neuen
gnädigist confirmiret und bestättet, sondern auch den ersten Articul derenselben
allerunterthänigst angesuchtermaßen vermehret und verbessert, wie solche hiernach
geschrieben stehen und also lauten:
Handwerks Ordnung der Zimmermeister Gesellen und Lehrjung
in Wien.
Erstlichen sollen denen bürgerlichen Meistern des Zimmer-Handwerk weilen
allhier in der Kayser-Königlichen Residenz Stadt Wien von unstürdenktlichen Jahren
die Haupt Stadt ist und vor jedermänniglich dafür anerkennet wird, allerdings
unverwehret seyn, aller Orthen in Städten Clöstern Märkten Schlössern und sonsten
hin und wieder auf dem Land, wo sie begehret werden, ohngehindert, daß ein
einheimischer Meister sich daselbst befindet oder die Arbeit pratendiroeteo, allerhand
Gebäu so viel ihr Handwerk betrifft anzunehmen und zu dingen.
Andertens. Weilen verstandener massen allhier die Haupt-Laad der
Zimmerleuth von Altersher jedezeit gewesen, also solle auch hinführo solche allhier
bleiben und darfür gehalten werden, also daß alle diejenigen Zimmer Handwerks—
Zunften, welche mit Kayserlichen freyheiten selbsten nicht versehen und von dieser
Haupt-⸗Laad dependiren, gegen leydentliche Tax vidimirto Abschriften nehmen, ihn⸗
selben sich gemäß verhalten, jeden Orts ordentliche Zöchmeister erwählen, alle
redliche Meister und Gesellen jeder seiner Laad und Zöch wo er einverleibet,
gehorsam sein, dieser Freyheit Satz und Ordnung gemäß leben, dabeinebens an⸗
geloben und versprechen, auch dieser Wiennerischen Hauptlaad Treulich und ohne
Gefahrid allen schuldigen Respekt zu leisten, welcher Meister Pallier oder Gesell
Bringmann, Geschichte der Zimmerer.
258
wieder solche Ordnung thätte, der solle von dem Handwerk fürgenohmen, und
nach Befund gestraffet werden, da aber einer den Handwerk nicht gehorsamen
wollte, oder sich des Handwerks Erkanntnus streventlich wiedersetzete, der solle
der Obrigkeit angezeugt und von derselben nach Gestalt der Sache, neben gebührender
Abfindung mit den Handwerk, absonderlich gestrafft werden.
Deßgleichen alle und jeder von dieser Haupt Laad dependireond BZöchen
auf dem Land, so mit eigenen Kaiser und Landesfürstlichen Privilegien nicht selbst
sonder mit vidimirten Abschriften von der Haupt Laad persehen seynd, dieser
Wiennerischen Zunft (doch allein in Handwerksachen) den Gehorsam leisten und
die jährliche Gebühr oder sogenannten Jahresschilling, allermassen sie sich derent⸗
wegen mit der Haupt Laad zu vergleichen haben werden, zu Erhaltung des
Hottesdienstes dahin zu erlegen schuldig.
Bei den allen aber denen Meistern auf den Land, in Städt und Märkten,
jederzeit unverwehret seyn, sich s elbsten mit Kayser und Landesfürstlichen freyheiten
versehen zu dörfen.
Dritten sollen bei der Haupt Laad in Wienn zwey taugliche Zöchmeister
geordnet, von denen selben durch ihren Zöch Schreiber Handwerks oder Meister
Protokol geführt und denselben Zöchmeister, welche jährlich ihres Einnehmens und
Ausgäbens ordentliche Quittung zu thuen haben, bey jedesmahliger Veränderung
übergeben werden, diesen auch nach der gnädigst ertheilten Ordnung, ohne An—
sehen einiger Persohn, wie sie solches vor Gott und der Welt zu verantworten
getrauen, Ehrlich, aufrichtig und gewissenhaft handeln.
Viertens follen die Verordnete Zöch Meister alle diejenigen, so in diese
Bruderschaft oder Zöch würdig eingenohmen zu werden, fleißig einschreiben, auch
die Ordnung zu Männiglich Wissen und Verhalt wenigist einmahl im Jahr in
aller Gegenwart verlesen lassen.
Fünftens solle kein Meister, der nicht der allein seelig machenden Catho⸗
lischen Religion zugethann, weder hier noch auf den Land in Stadt und Märkten
pasiret oder in eine Zunft auf und angenohmen werden bey Straff und Erkannt
hoher Landesfürstlicher Obrigkeit.
Sechtens sollen die Meister und Gesellen alle vier Wochen, von Zwölf
bis Ein Uhr Nachmittags, fleissig zur Laad erscheinen und ihre Schuldigkeit zu
Erhaltung des Goͤttesdienstes und Bestreitung anderer Nothwendigen Vorfallen⸗
heiten gebührend abrichten, der ohne erhebliche Ursach ausbleibt, solle der Meister
umb zwey der Gesell umb ein Pfund Wachs gestrafft werden.
Siebendens sollen die Meister und Gesellen alle vier Quatember Sonntag,
bevorderist am Fest des heiligen Patriarchen Josephs, dann alle Frauen Fest des
ganzen Jahres und an alle Christ glaubigen Seelen Tag, fleissig zum Gottesdienst
und Opfer erscheinen, welcher außer Gottes Gewalt Herrn Geschäft oder andere
erheblichen Ursach ausbleibet, solle der Meister vor jedesmal um fünf und der
Gesell um drei Pfund Wachs gestraft werden.
Achtens da es sich zutragete, dass die Zöchmeister vorfallender Nothdurft
halber zur Extraordinari Zusammenkunft ansagen ließen, sollen Meister und
Gesellen bey vorstehender Straff da einer ohne genugsame Ursach ausbliebe darbey
erscheinen, jedoch solle die Ansag also veranstaltet werden, daß die weit entlegenen
darwieder sich zu beschwären und auszubleiben nicht Ursach haben.
Neuntens. Welcher allhier bei der Haupt Zunft begehrt Meister zu werden,
der solle, wann er seine Jahr gewandert uͤnd allhier in der Stadt bei einen der
259 —
Haupt Zunft einverleibten Meister vorhero zwey Jahr einen Pallier abgegeben,
vor allen seinen Lehr und Geburts oder Legitimationsbrief vorweisen, alsdann
nach Fleiß und Erkanntnuß des Handwerks zu einen Meister beförderet zu dem
Ende auch denselben ein Meister Stukh aufgegeben werden, desgleichen soll der⸗
jenige, so vorhin ein Stadt Meister und allhiesiger Zunft einverleibt gewesen und
etwa durch Kriegs Lauf ruiniret und vertrieben worden, zu seiner Zuruckkunft
wie vorhin für eine Mitmeister da er anders in Zeit seiner Abwesenheit Ehrlich
sich verhalten, ohnweigerlich erkennet werden.
Zehendens. Einer mit den aufgegebenen Meister Stukh bestanden, soll
derselbe durch die Zöch Meister längist einer halben Jahreszeit dem Magistrat
für einen Bürger vorgestellet und solang solches nicht beschehen, einigen Lehr⸗
jungen aufzunehmen nicht gestättet, da er sich aber dessen weigerte, nach Erkannt⸗
nuß der Obrigkeit gestrafft werden.
Eilftens. So ein Meister einen Lehrjungen aufnehmen will, der solle
seiner Ehrlichen Geburth halber seinen Geburts oder Legitimations Brief, sodann
Catholischen Gebrauch nach seinen Beichtzettel denen Zöch Meistern fürbringen
und wann solches beschehen, sein Meister alsdann schuldig sein, selben nach einen
halben Jahr aufzudingen, bey Straff zwanzig Pfund Wachs. Bey den Aufdingen
folle der Jung zweien Meister dieses Handwerks, oder sonst zwey andere Ehrliche
Bürger, mit Vorwissen ihr Obrigkeit zu Burgen vorstellen, die auch für ihn
pr. Zwey und dreysig Gulden und dass er gehorsam und fleissig sein wolle
einsprechen.
Wann er in der zwey ganze Jahr erstrebt und also redlich und ehrlich
ausgelernet, der Meister auch keine Klag hat, so ist ihme der Meister schuldig,
für fünf Stuck Zeug fünf Gulden dann auch, so der Jung frey gesagt, mit Lehr
Brief versehen, und (wenn der Lehrjunge) zu einen Gesellen erkannt ist, so soll
er seinen Lehrmeister Vierzehn Tag um Fürderung ansprechen und alsdann nach
Handwerks Brauch zwey Jahr wandern; Wann aber derselb solches nicht thuen,
sich vor der Zeit verhäspeln oder verheiraten und seine zwei Wanderjahr nicht
erstreben würde, der soll nach Erkanntnuß der Obrigkeit gestraffet werden, da
aber ein Lehrjung gegen Meister Gesellen oder andere sich ungebührlich verhielte,
so mag derselbe von denen Zöchmeistern und ganzen Handwerk, da des Meisters
Ermahnung nichts mehr fruchten wollten, in gebräuchige Sorg Zucht und Straff
—DD eine Infamiam
und dahero die Entsetzung des Handwerks nach sich ziehete, solle solches der
Obrigkeit gebührend angezeugt, und nach derselben Erkanntnuß, ungeacht dass er
seine Lehr Jahr erstrebt hätte, des Handwerks gar entsezt werden, wie dann
kein Lehrjung von seinen Lehrmeister ohne genugsam und erhebliche Ursach außer
Vorwissen der Zöch Meister aufgehalten noch von einigen Meister befördert
werden solle.
Zwölftens. Da ein Meister sein Handwerk nicht wohl verstunde und
recht gelehrnet hatte oder einen Handwerk nicht pariret oder gescholten
wäre, und der Lehr Jung, welcher sich sonst wohlverhielte, aus Unwissen⸗
heit eine Zeit lang oder gar bei solchen ausgelehrnet hätte, solle dieses, ob
der Jung zu pabsiren oder die Zeit zur Lehr von neuen erstreben müsse, zu
des Handwerks Erkanntnuß gesezet seyn; Darbey aber in Allweeg die Bescheiden⸗
heit gebrauchen und beobachten, dass ein solcher Lehr Jung, welcher um des
Meisters Untüchtigkeit nichts gewußt, ohne gar erhebliche Ursach zu einer
260
Erstrebung seiner Lehr Zeit nicht angehalten, solches auch vorhero der Obrig⸗
keit angezeugt, und allda besagte Erkanntnuß geschöpft oder ratificiret werden.
Dreyzehendens. So bald man mit der gewohnlichen Feuersglocken
anschlagen thätte, es beschehe solches in oder außerhalb der Stadt und im
Wiennerischen Burgfried, bei Tag oder Nacht, so soll jedweder Meister, Pallier
und Gesell auf das eylfertigste es immer seyn kann mit seiner Hacken erscheinen,
wer solches ohne genugsame Ursach versäumete, soll ein Meister um zwanzig
und ein Gesell um fünfzehn Pfund Wachs gestrafft werden.
Vierzehendens. Welcher Meister seine Gesellen daß sie um den von der
Obrigkeit bestimmten Taglohn nicht arbeiten und ein mehrers fordern sollten
anraitzen und stärken würde, der oder dieselbe sollen fünfzig Pfund Wachs zu
der Laad verfallen sein, da er aber noch dazu wiederspenstig erscheinen, soll ihm
alsdann das Handwerk auf eine Zimliche Zeit nach Erkanntnuß niedergelegt
werden, hingegen soll ein jeder Meister den Gesellen besolden nach seiner Arbeit
und Fleiß, da er aber nicht zufrieden, solches zu Erkanntnuß des Handwerks
oder der Zöch Meister gestellt und da der Gesell noch nicht darmit zu frieden
wäre, solle er nach Gutbefünden bestrafft werden.
Fünfzehendens. Soll kein Meister dem andern in seine Arbeit stehen
oder dieselbe verachten, tadeln oder verkleinern noch sonsten heimlich nachgrübeln,
hei Straff nach Erkanntnuß des Handwerk, da aber ein Bau Herr selbst den
vorigen Meister, freywillig entlassen und sich mit ihm ordentlich verraithet, so
mag denselben Herrn ein anderer Meister auf sein Begehren wohl einstehen, und
arbeiten, dahingegen aber, wenn ein Bau Herr dem Meister muthwillig und
fürsazlich mit der Bezahlung aufziehen ihn von der Arbeit verstossen und einen
andern Meister die Arbeit übergeben thätte und nun erweißlich vorkäme, daß
dieser letztere Meister den Bau Herrn boßhafter Weiß durch heimliche Anstiftung
Tadl oder Schändungen, der vorigen Arbeit darzu überredet oder bewogen hätte,
so solle alsdann derselbige Meister, wie oben vermelt, nach Erkanntnuß des
Handwerks und noch absonderlich auf gebührendes Anzeugen von der Obrigkeit
neben billig mäßiger Abfündung des zugefügten Schaden wohl empfindlich
gestrafft werden.
Sechzehendens. Welcher Meister einen Pallier an seiner statt das
Werk zu verrichten stellt und das Vertrauen zu ihm hat, das er ihm Werk und
Arbeit fördersam Ehrbar Treu und fleißig seye, auch die ihm untergebenen Ge⸗
sellen und Leuth zu Treu Fleiß und Arbeit anhaltet, keine Ungebühr gestattet,
so seynd ihm alle untergebenen Leuth in seines Meisters Abwesenheit bei Straff
gebührenden Gehorsam zu leisten schuldig. Item soll hinfüro keinen Gesellen
diel oder wenig Arbeit für sich selbst anzunehmen oder zu dingen pahsiret werden,
da aber einer darwider thätte, soll so wohl der Meister, wann er darvon Wissen⸗
schaft hat, alß der Gesell ohnnachsichtig gestrafft werden.
Siebenzehendens. Soll auch kein Pallier oder anderer Gesell, wer der
ist, seinen Meister die Arbeit und das Werk tadlen oder gegen den Bau Herrn
verkleinern oder untergrieblen bei Vermeydung gewisser Straff, wie dann ein
jeder Pallier und Gesell sich seines dem Meister gethannen Zusagens erinnern
und seinen Gelübd gemäß sich zu verhalten wissen sollte.
Achtzehendens soll kein Gesell fürderung haben, er gelobe dann dieser
Ordnung in allen Punkten nachzuleben, wie dann auch ein Gesell, so wissentlich
bei einen von der Obrigkeit oder Gericht aus würklich erkennten unehrlichen
261
Meister fürderung gesucht, und würklich gearbeitet hatte, in diese Zunft und
Bruderschaft, viel weniger befürdert oder für gut erkennt werden solle, er habe
dann vorhero mit dem Handwerk, billigen Dingen nach, sich wiederum abgefunden.
Neunzehendens. Soll auch kein Gesell jemands andern um Arbeit zu—
sprechen als allein den Meister selbst oder in dessen Abwesenheit den Pallier, der
ihn dann bis auf des Meisters Ankunft zu fürdern und Arbeit zu geben, solle
auch keinen einzigen Gesellen ohn Vorwissen und Bewilligung seines Meisters in
der Wochen einen Feyertag oder, wie sie es nennen, blauen Montag zu machen
und dadurch den Bauhern und Meister in der Arbeit zu hintern, hinführo mehr
gestattet werden, der aber streventlich hinwieder thätte, derselb solle für jeden
halben Tag so er gefeyert, ein Halbes und für jeden ganzen Tag Ein ganzes
Wochenlohn verwürkt haben, darvon der Meister nach Abzug der versäumten
Zeit den Ueberest in die Laad zu legen, der Gesell aber in der Arbeit fortzu⸗
fahren schuldig seye und da er sich wiedersetzen oder gar ausstehen wolte, von
der Obigkeit durch den Rumor Hauptmann oder Profosen und auf den Land
durch die Gerichts Diener in Band und Eysen zu Ausdienung der Zeit ange—
halten, oder da er entlaufen würde, von keinen Meister in Land mehr aufgenohmen
und weiter befördert werden.
Zwainzigisten. Da ein Gesell über den Meister oder der Meister über
den Gesellen eine Klag oder sonst was unehrbares wüßte, solle es nicht in Heimlich
oder stillen Orthen vergliechen, weder anderwerts offenbar gemacht und ausge⸗
schrien, sonder längist inner Vierzehn Tagen den Zöchmeister in Geheim vorge—
bracht, und bei dem Handwerk verglichen werden;
Es solle auch kein Gesell den andern in der Arbeit was ungebührliches
zufügen, verleumden, verkleinern oder an seinen Ehren verlezen, da es aber beschehe,
soll solches am nächsten Sonntag oder Feyertag dem Meister angezeugt, und vor
dem Zöchmeister der verlustigte Theil gestraft werden, unter dessen und bis dahin
weder ein noch anderer Gesell aus der Arbeit ausstehen soll, damit dem Bau
Herrn sein Arbeit nicht verhindert und dieß Orts auch ein jeder Ehrlicher Gesell
dannoch unter acht gehaltet wirdet, da es sich aber begäbe, daß auf den Land
zween oder mehr Gesellen strittig, oder mit einander uneins wurden, die in dieser
Bruderschaft seynd und das Handwerk berühret, sollen sie doch einander nirgends
anderstwo fürnehmen dann bei dem Handwerk, da aber allda die Sach nicht aus—
getragen werden möchte, so sollen sie sich bei der Wiennerischen Haupt Laad
angeben, alwo die Sach verhören und nach Ordnung des Handwerks abhandlen
kann, wer hierwieder thätte, solle nach Erkanntnuß der Haupt Zunft gestraft
werden.
Ein und Zwainzigisten sollen alle und jede Gesellen, so dieser Zöch oder
Bruderschaft zugethan, zu ihren Abzug und Urlaub von ihren Meistern und
Männiglich ehrbahrlich abscheiden und jedermann ohne Klag und Beschwär halten,
da aber einer oder der ander hierwieder thätte und dessen an den Orth, wo er
Arbeit suchet, ordentlich bei dem Handwerk überwiesen wurde, solle ein solcher
Gesell in der Arbeit solang nicht befürdet werden, bis er nicht die gebührende
Richtigkeit geflogen und alles bezahlt hat.
Z3wei und Zwainzigisten so ein Meister oder Gesell in den Burgfried
einen Stöhrer wüßte, so solle er ihm alsobald denen Zöch Meistern anzeugen,
sofern aber die Zöchmeister der Sach nicht nachkommen, sollen sie um zwanzig
Pfund Wachs gestrafft werden, wann auch die Zöch Meister eines andern Meister
262
oder Gesellen Hilf begehrten, sollen sie also bald mit ihnen gehen, widrigens mit
obiger Straff und zwar der Meister völlig, der Gesell aber auf die Helfte ange—
sehen werden.
Drey und Zwainzigstens so ein Meister bey ihm selbst, oder bey den
Bau Herrn ohn Consens des Handwerks seinen Gesellen ein Arbeit verdingt, es
seye viel oder wenig, so soll der Meister um zwanzig und der Gesell um Zehen
Pfund Wachs gestraft werden.
Vier und Zwainzigistens solle kein Meister der Zimmerleuth einen
Maurer Meister ein Gebäu weder dingen noch machen oder über sich nehmen und
verrichten, welches der Maurer Meister ohne Vorwissen des Zimmermeister mit
einen Bau Herrn überhaupt gedungen und angenohmen; Wofern aber ein Meister
solche Arbeit ohne Vorwissen eines Handwerks annehmen würde, der solle um
fünfzig Pfund Wachs gestrafft und darzu nach Befund und Beschaffenheit der
Sach samt den Bau Herrn, welcher solche Verdingung mit dem Maurer Meister
gemacht, der Obrigkeit nach Erkanntnuß zu weiterer Bestrafung angezeugt werden.
Fünf und Zwainzigistens. So ein Gesell seine Vierzehn Täg bey einen
Meister gearbeitet, und nit weiter zu bleiben Willens hat, so solle er zuvor am
Freytag um Zwölf Uhr zum Meister in sein Hauß oder Wohnung, um die Arbeit
danken aufsagen und alsdann am Sonntag hernach wandern.
Sechs und Zwainzigistens. So ein Meister oder Gesell vor dem
Handwerk gestrafft worden, und der Gesell die Straff nicht gleich zu erlegen hat,
so soll der Meister für ihn einstehen auf die nächste Zöch Raittung.
Wann aber solches nicht geschiehet, soll er zum ersten Zwey Pfund zum
andertenmal um vier Pfund Wachs gestrafft und drittens auf nicht erlegende
Straff die Obrigkeit ersucht werden.
Sieben und Zwainzigistens so ein Gesell zu einen bürgerlichen Meister
in die Stadt kommt, der in oder außerhalb der Stadt bei einen Stimpfer oder
Stöhrer sich wissentlich über vierzehn Täg lang aufgehalten oder gearbeitet hat,
der soll vorhero nach Erkanntnuß des Handwerks andern Gesellen zu einen
Exempel um sich daran abgestrafft, der aber nicht ehrlicher Geburth oder legiti⸗
miret oder in Unehren lebt gar nit befördret und also das Handwerk bei Ehren
und Ruhm erhalten werden.
Acht und Zwainzigistens solle sich jeder einverleibte Meister ehrlich ver—
halten, und keiner eins Bau sich unternehmen, so er nit verstehet, zum Fall sich
üIber ein Meister unehrlich verhalten, iner Jahr und Tag nit zum Gottesdienst,
Predig oder Gottes Tisch erscheinen thätte, oder sonst verschwenderisch oder ver⸗
thunlich wäre, der soll Anfangs durch die Zöchmeister treu und Christlich ver⸗
mahnet, zum anderten durch sie gestraft; Zum drittenmall aber, da kein Besserung
erfolget, noch die Straff des Handwerks verfangen würde, solle dergleichen Wieder⸗
sezlichleit jedes Orths Magistrat oder Obrigkeit zu weiteren Bestraffung angezeugt
werden.
Neun und Zwainzigistens. Da ein Meister oder Gesell, die sich wohl
gehalten, wieder Verschulden in Armuth oder Verderben geriethe, dem kann und
mag von der Bruderschafts Laad etwas fürgestreckt werden; Da Er aber wieder
zu Mittel kämme, solle jeder schuldig sein s olches wiederum zu ersetzen. Desgleichen
solle zum
Dreysigsten von der Bruderschaft aus, wann ein Meister oder Gesell
wissentlich und erweißlich ohne Mittel dieses Zeitliche seegnet, der Oondukts Unkosten
263
bestritten; hingegen aber zu Wieder Ersetzung dergleichen Unkosten von jeden
Meister oder Gesellen, wann sie begraben werden, für das kleine Paar Tuch
fünfzehen, für das größere aber dreysig Kreuzer in die Laad zu erlegen einge—
fordert und unweigerlich bezahlt werden.
Ein und Dreysigistens so ein Meister, Meisterin oder Gesell mit dem
Todt abginge, so sollen die Zöchmeister denen andern Meistern und Gesellen
fleißig zur Leich ansagen darbey auch jedesmal wegen des Paar Tuch obver—
standene Gebühr deren fünfzehn oder dreyssig Kreuzer durch die Zöchgesellen ein⸗
fordern lassen, der ausser erhöblichen Ursachen bey den Conduect nit erscheinen,
solle der Meister um zwey Pfund und der Gesell um ein Pfund Wachs gestrafft
werden, jedoch daß dergleichen Condukt solchergestalt angestellet seyn, daß da⸗
durch dem Bauherrn zu schaden nichts versäumet oder aber solches mit der Arbeit
in anderweg durch Fleiß wieder herein gebracht werde.
Zwei und Dreysigisten sollen sich alle obbemelde Straffen, so nach des
Handwerk Erkantnuß aufzulegen bewilligt, allein auf diejenige Verbrechen und
Uebertrettungen verstehen, so den Handwerk anhängig, und demselben von Alters
her zu bestraffen zuständig, die andere größere Verbrechen aber, so dem Handwerk
nicht zuständig, und eine mehrere Straff oder gar Infamiam nach sich ziehen, Item
da einer oder der andere sich gegen dem Handwerk fürsätzlich ungehorsam und
wieder sässig erzeugte, jedesmahl der Vorgesezten Obrigkeit gebührend angezeugt,
und von derselben nach Befund und Beschaffenheit der Sachen bestrafft werden sollen.
Thuen das auch Confirmiren verbessern und bestätten ihnen solche Hand—
werks Ordnung und Freiheit, wie vorstehet und so viel Wir daran von Rechts
und Billigkeitswegen zu bestätten haben, aus Königlicher und Erzherzoglicher
Machts Vollkommenheit hiemit wissentlich in Kraft dieses Briefs, Ordnen setzen
und wollen, dass die der Zunft einverleibte Zimmer Meistere gegenwärtig und
künftige (solang sie bey der wahren allein seeligmachenden Römisch Katholischen
Religion und dem schuldigen Gottes Dienst, danebenst in ihren unterthänigsten
Gehorsam verbleiben) sich derenselben in billigen Dingen nutzlichen freuen und
gebrauchen sollen, können, und mögen; von allmäniglich ohnverhindert, mit dem
ausdrücklichen Vorbehalt jedoch, solche Handwerks Ordnung und Freiheit nach
Unseren gnädigsten Wohlgefallen auch Erfordernuß deren Zeit und Umständen,
zu mehren, zu mindern, oder gar aufzuheben.
Gebiethen darauf allen und jeden Unsern nachgesezten Geist und Welt⸗
lichen Obrigkeiten, Inwohnern, Unterthanen und Getreuen, was Würde Standes
Amts oder Weesens die immer seynd, hiemit so gnöädig als ernstlich, und wollen,
dass sie offternannte gesammte Meister des allhiesigen Zimmer Handwerks, wie
auch ihre Nachkommen, bey dieser ihnen gehörtermassen gnädigst bestättigt und
verbesserten Handwerks Ordnung und Freyheit richtig verbleiben, derselben wie
gemeldet, nuzlich freuen, und gebrauchen lassen, sie darbei Obrigkeitlich schützen,
schürmen, und Handhaben, darwieder nicht beschweren, oder anfechten, noch das
anderen zuthun gestatten, in kein Weiß noch Weg als lieb einen jeden seye Unsere
schwere Ungnad und Straffe, darzu ein Pöen nehmlichen zehn Mark löthigen
Golds zu vermeiden, da ein jeder, so oft er streventlich hierwieder thätte, Uns
halb in Unsere Kammer, und den andern halben Theil oft gemelten Meistern in
die Haupt Laad unnachlässig zu bezahlen verfallen sein solle.
Das meynen wir ernstlich mit Urkund dies Briefs besiegelt mit Unserm
Kayser König und Erzherzoglichen anhangenden großeren Insiegl, der geben ist
264
in Unserer Haupt und Residenz Stadt Wien den neun und zwainzigsten Monatstag
Juli nach Christi Unseres lieben Herrn und seeligmachers gnadenreichen Geburt
im Siebenzehenhundert zwey und fünfzigsten, Unserer Reiche im zwölften Jahre.
Königliche Conceßion der Ambts-⸗Gerechtigkeit und Confirmation der von
Bürgermeistern und Raht der Stadt Altona revidirten und approbirten
neuen Ambts-Articulen für die säubtliche Meister des Hauß-Zimmer⸗
Handwerks daselbst.
Sub dato Friederichsberg, den 28. April Anno 1782.
product. et cum debita observantig
loct. in Senat: Alten: dio 26. Juny Ao. 1732.
Wir, Christian der Sechste, von Gottes Gnaden, König zu Dännemarck,
Norwegen, der Wenden und Gohten, Hertzog zu Schleswig⸗Holstein, Stormarn
und der Ditmarschen, Graff zu Oldenburg und Delmenhorst, p. p. Thun kund
hiemit: daß Uns die Ehrsahme, Unsere Liebe getreue, Bürgermeister⸗ und Raht
Unserer Stadt Altona allerunterthänigst Vortragen lassen, welcher gestalt Sie
allergehorsamster Folge unsers an Sie ergangenen allergnädigsten Befehls, die
von uns Ihnen, Bürgermeistern und Raht, zur Revision zugesandte von den
sämbtlichen Meistern des dortigen Hauß⸗ Zimmer⸗Handwerks entworffene, in
29 Articulen für die Amts⸗-Meistern und in 41 Articulen für die Gesellen Bestehende
neue Gerechtigkeit. Ambts-⸗Ordnung und Rolle, in Beyseyn der Aeltesten Meistern
in allen Puncten und Clausulen reiflich erwogen, mit denen in andern Städten
uüͤblichen Ambts⸗Articulen conferiret, in einige wenige Puneten allwo es nöhtig
befunden, geändert und solcher gestalt wie die mit ihrem, des Stadts-Magistrats,
Deereto Bezeignete Ambts⸗Artieule eingerichtet wären, denen Rechten und der
Billigkeit nicht zu wieder besunden, welche Ambts⸗Articulen von Wort zu Worte
lauten, wie folget:
Artieule der Ambts-Meister
der
Hauß⸗Zimmerleute.
Hierauf folget nun der Gesellen Ordnung
die Sie sich allhier in der Stadt Altona
oerhalten sollen nach Handwercksgewohnheit.
Vor das erste sollen alle Fastnacht neue Alt und Jung⸗Gesellen erwehlet werden,
und die alten abdanken, ist ein Fremb⸗ der Alt- oder Jung-Gesell, und wolte
reisen, soll Er einen andern tüchtigen an seiner stete Verschaffen, und solches vier
Wochen vorher bey der Gesellschaft anmelden, es finden sich solche Ehrhaften,
damit Er gehöret werden könnte, so soll Er eine halbe Tonne Bier zur Straffe
geben und sechs Schilling an den Armen.
Wann ein Junge seine drey Jahren richtig ausgehalten, soll Er von den
sämbtlichen Gesellen, die in der Stadt Altona seyn, auff der Gesellen⸗Herberge
Behauet werden, wenn Er zuvor von seinen Lehrmeister Vor offener Lade ist
Loß gesprochen worden.
2.
285
3.
Soll der Meister und Alt-Geselle dieselben dazu erwehlen, Einem jedem
sein Stück Werkzeug an zu weisen, damit dem Jungen der zum Gesellen gemacht
werden soll, Recht widerfahre. Findet sich aber ein Gesell, der seine anbefohlene
Arbeit nicht recht machte, und etwa einen Schimpf einleget, der soll Eine Mark
der Gesellschaft, und den Armen Vier Schilling geben.
Soll der Junge, welcher zum Gesellen gemacht wird der Gesellschaft eine
Tonne Bier geben, mit dem Essen stehet es aber in seinen Vermögen und Willkühr,
am Willkommen giebt Er aber ein Silbern Schildt von Drey loth.
5.
Wenn das Bier angesteckt wird, soll der Alt-Geselle mit dem Regiment
auftlopfen und sagen: Mit Verlaub Meister und Gesellen. Es lasse sich keiner
finden, der böse Händel anfängt, bey Straffe, die Tonne wieder voll zu schaffen,
worauß getrunken wird, ohne Gnad, thut es der Altgeselle nicht, und geschieht
Schaden dadurch, so soll der Alt-Geselle eine halbe Tonne Bier geben und Acht
Schilling den Armen.
65.
Wenn ein Junge aus der Lehre ist, so soll Er noch sechs oder acht Wochen
bey seinem Meister Arbeiten, alßdann soll Er wegreisen, und zwey Jahr ausbleiben,
ehe Er zu Arbeiten in der Stadt wieder kömmbt. Kommt Er abeer unter zwey
Jahren wieder, So soll Er Von neuen wieder anfangen zu wandern.
So soll Er auch auf der Reise bey keinen Böhnhasen Arbeiten, bey einer
Tonnen Bier Straffe, es wäre denn Sache, daß Er keinen Ohrt könnte antreffen,
da Handwerks Gewohnheit sey, und Ihn die Noht dazu zwinget, so mag er drey
biß vier Wochen auff daß längste bei ihm Arbeiten.
8.
Wann etwa Feuer oder sonst eine Noht-Arbeit allhier entstünde, daß die
Sturm Klocke geläutet würde, so sollen die Gesellen ein jeder nach seines Meisters
Hauße eilen, und mit dem Meister nach solcher Noht-Arbeit gehen, damit mann
wiße, ob Sie alle sich anfinden, und solh sich Keiner keine Mühe verdrießen lassen,
sondern fleißig soviel steuern und wehren, soviel möglich ist; wer davon bleibet
und es versäumet, der soll Eine Tonne Bier und Acht Schilling Strafe den
Armen ohne Gnad verfallen seyn.
9.
Wo ein Gesell hinläuft, wo Feuers-Noht ist, und bringet nicht die Ert mit
sich, sondern gedenket, Er könne doch wohl helfen, der soll eine halbe Tonne Bier
geben und Sechs Schilling den Armen. Gleich Er denn auch sonsten den hiesigen
General⸗-Feuerordnung-Articulen sich in allen gemäß zu verhalten.
—10.
Wann Fremde Gesellen allhier in Arbeit stehen, sollen dieselben ebenfalß
sich dahin verfügen; Wenn einige dabey wachen, so muß Ihnen davor gegeben
werden, wie es nach hiesigen Feuer-Ordnungs-Articulen gebräuchlich ist.
266
II.
Es soll auch bei Feuers-Noht kein Gesell die Ext auf der Seite legen und
Waßertragen, bey Straffe eines Tag⸗Lohnes, es sey denn Sache, daß anders nichts
zu thun wäre und es befohlen würde, sonsten soll Er mit der Ext bereit seyn,
nieder zuschlagen und zu hauen, wenn es nöthig thut, gleichwohl einhalts der
Generahl⸗Feuer-⸗Ordnung den Befehlshabern in allen billigen Ordnungen, mit
Leiter anbringen und dergleichen, gehöhr und willig Folge Leisten, bey will—⸗
kührlicher Straffe.
12.
Soll sich kein Gesell unterstehen, eine Arbeit bei einem Bürger, sie sey so
geringe sie will, anzunehmen, ohne des Meisters Wißen und Willen, will es der
Meister ihm nicht erlauben und gehet gleichwohl hin und machet solche Arbeit,
so soll Er sein Werkzeug Verlohren haben. Es soll Ihm weggenommen werden
uind der Aeltermann soll Ihm Straffen nach Laut der Meister⸗Artieulen.
13.
Soll sich auch kein Gesell unterstehen, einig Holtz mit Von der Arbeit zu—⸗
nehmen, das noch etwa zu Nagel-Holtz oder einem Bande dienlich sey; Ein
wenig Spöhn unterm Arm oder einen kleinen Block der sonsten nichts nutzet als
ins Feuer, ist nicht Verbohten. Tritt einer darüber und nimmbt mehr alß ihm
gebühret, der soll eine halbe Tonne Bier an die Gesellschaft Verfallen seyn und
Acht Schilling an die Armen Bürse.
14.
Es soll alle vier Wochen Krugtag gehalten werden und der Alt-Gesell soll
den Eltesten Lehrjungen umbschicken und allen Gesellen ansagen laßen, sodann
Einer außenbleibt, der nicht wichtige entschuldigung hat, derselbe soll Ein Mark
Straffe geben. Kommt Er aber, und nicht auf den gewißen Glockenschlag, der⸗
selbe soll Vier Schilling Straffe geben.
15.
Wenn Krugtag gehalten wird, soll ein jeder Gesell Zwey Schilling in der
Lade geben und Sechs Pfennig in die Armen-Bürxse, und jeder Gesell soll nach
geschloßener Lade Zwei Schilling auf den Krug vertrinken, es ist sonsten frey Bier
oder nicht. Wenn frembde Gesellen sein, soll Ihnen der Altgesell mit guten
Bestande fragen: wo Er gelernt? Wie lange. Hat er nicht wenigstens zwey
völlige Jahre gelernet, so wird Er nicht angenommen; ist aber seine Lehre richtig,
so muß Er Zwölf Schilling in die Lade geben und Ein Schilling in die Armen⸗
Büxse und Zwey Schilling dem Schreiber.
16.
Wenn die Lade geschlossen, soll der Altgeselle denen Frembden, die sich
haben einschreiben lassen, den Willkommen überreichen, dafür der frembde Geselle
Drey Schilling in die Gesellenlade zu erlegen gehalten.
17.
Wenn etwa frey Bier Vorhanden ist, irgend von ausschenken oder Straff⸗
geldern, oder sonsten aus der Lahde, wie es Nahmen haben mag, so soll bei
solchen frey Bier keiner keine Schlägerey anfangen, auch keinen Zank züchtigen
Wortstreit haben, bey einer Tonne Bier Straffe und Acht Schilling in die Armen⸗
Bürxse. Bei solchen frey Bier soll kein Mißbrauch geschehen, nicht mehr auf den
267
Tisch vorstillen, als Einer mit der Handt bedecken kann bey Zween Schilling
Straffe; auch nicht mehr unterm Tische, als mit einem Fuß kann bedecket werden,
bey Vier Schilling Straffe, auch kein Bier über den Rinnstein, noch weniger aus
der Haußthür tragen, ohne des Alt- und Junggesellen Wißen und Bewilligung,
bei Acht Schilling Straffe.
18.
Wenn es spät auf dem Abend kömmt nach Acht Uhren und etwas Bier
überbleibet, so soll der Alt-Gesell ansagen, daß Sie präcise umb 9 Uhr Feyer—
abend machen, die Geschirr soll der Alt⸗Gesell laßen vollzapfen, und die Tonne
soll der Jung-Gesell zuschlagen. Thut es Alt— und Jung-Gesell nicht, so soll ein
jeder ein Taglohn Straff geben und Zwee Schilling in die Armen-VBüchse.
19.
Soll alle Fastnacht ein Meister zum Beysitzer bei der Gesellenlade erwehlet
werden, und Ein Jahr bey Ihnen verbleiben, Welcher ein Schlüßel von der
Gesellenlade hat, und alle Quartal Bei der Lade und deren Eröffnung sein muß.
Der Alt- und Jung-Gesell soll sich nicht unterstehen, die Lade zu öffnen, ohne
des Beysitzers Wißen und Willen, bey Straffe Ein Reichsthaler und Sechs Schilling
in die Armen-Büchse, so oft dawieder gehandelt wird.
20.
Wenn sich zweene Gesellen unter einander gescholten haben, und Sie können
nicht vor der Gesellen Lade Vertragen werden, so sollen Sie sich vor den Meister
Vertragen. Können Sie noch nicht, so müßen Meister und Gesellen sambt dem
Morgen Herrn, darüber zusammen kommen, auf deßen Gesellen Unkosten, wer
unrecht hat.
21.
Ist einer, der den andern einen Schelm heißt, der giebt ohne Gnade Ein
Reichsthaler in die Lade und Sechs Schilling in die Armenbüchse, fänget Er aber
noch dazu an zu schlagen, so soll Er eine halbe Tonne Bier geben und Acht
Schilling den Armen.
22.
Wann frembde Gesellen gewandert kommen, sollen Sie auf der Herberge
gehen, und sich anmelden, wenn Sie Arbeiten wollen. Er kriegt nun Arbeit oder
nicht, so hat er nicht mehr, als ein frey Nacht-Lager. Solches wird aus der
Gesellen-Lade bezahlt.
23.
Es soll sich kein Gesell unterstehen der in des Meisters Arbeit stehet, davon
abzugehen und in eine Andere Arbeit, ohne Vorhergehende Anmeldung zu treten,
bei ein Wochlohn Strafe, so an die Meister Lade verfallen.
Wann ein Gesell krank wird und wenig zu verzehren hat, so soll Ihm aus
der Gesellen Lade Vorgestrecket werden, biß Er wieder bezahlen kann, stirbet er
aber, und sind keine Freunde, so ist sein Werkzeug und Kleider an die Lade ver—
fallen, biß deßen Freunde kommen und solches abfordern und die Schuld bezahlen.
25.
Wenn ein Gesell krank wird, und wenig zu verzehren hat, so soll ihm auf—
wartung geschehen, durch einen oder zwey Gefellen, auf der Reihe nur alle Nacht
24.
268
bey ihm zu wachen, der Alt-Gesell ist schuldig, solches durch den Jung-Gesell zu
befodern, wer solches nicht thun will, und solches sich wägert, soll Ein Mark
Strafe geben und Zwee Schilling den Armen.
26.
Wann ein Gesell oder deßen Frau und Kinder sterben, sollen Sie von den
Gesellen zum Kirchhoff getragen werden. Ist nicht viel übrig, daß es die Lade
bezahlen muß, so sollen die, so solchen Todten tragen, keine Unkosten machen,
Gehen Sie in den Krug, sollen Sie vor ihr eigen Geldt zehren, oder es soll zum
Höchsten ein jeder zwee Schilling zu vertrinken haben aus der Laden, die übrigen
Gesellen sollen den Todten noch zum Kirchhof folgen, bey zwey Mark Strafe und
vier Schilling in die Armenbüchse.
27.
Wenn ein Gesell auf seinen Meister schimpfet, oder hinter seinen Rücken
schmähet, davor soll Er Ein Mark geben. Es soll auch keiner auff das Zimmer⸗
handwerk schimpfen, oder dasselbe Verachten bey Vier Mark Strafe und Acht
Schilling den Armen.
28.
Wenn ein Gesell muß abtreten von dem Handwerk, und ein ander Gesell
kommt Befehl van dem Alt-Gesellen, daß Er Ihn soll wieder hereinrufen, kommt
der, der Ihn fodern soll, voran wieder in die Stube oder Sahl, oder bleibet in
der Thüre bestehen, der soll zwee Schilling Straffe geben.
99.
Ein Gesell soll des Sommers auf der Arbeit gehen umb Fünf Uhr und von
z bis 9 Frühsftück halten, und von 12 biß 1 Uhr Mittag und des Abends um
7 Uhr Feyer Abendt machen, davor hat Ein Gesell von Peter Stuhlfeyers-Tag
biß Michaelis zu Taglohn Ein Mark. Des Winters von Michgaelis biß Peter
Stuhlfeyerstag gehet Er auff der Arbeit, sobald Er sehen kann, und Arbeitet
solang, biß daß es Finster wird, davor hat er zu Taglohn Zwölff Schilling, dahin—
gegen verspricht die Gesellschaft, daß Sich Keiner unterstehen soll, auf den Meister
oder Gesellen zu schimpssen, oder schmähen, wann einen Meister gefällig wäre,
einen minder oder mehr zu geben.
30.
Ist einer, der zu allerhand Bauren-⸗Arbeit greiffen wollte und gehet dann
wieder an die Zimmer-Ext, der soll Zwee Mark und Acht Schilling den Armen geben.
31.
Wenn ein Gesell vor einen Dieb gescholten wird, und kann ihm überwiesen
werden, der soll vom Handwerk gar verstoßen werden. Kann derjenige, so Ihm
davor gescholten hat, solches nicht überweisen, so soll Er im Beysein Meister und
Besellen von dem Ambte, oder auch dem Befinden nach von der Obrigkeit dafür
gestraffet werden, und den Beleidigten Abbitte thun, daß Er nichts als alles
Gutes von Ihm zu sagen wiße.
32.
Wenn Ein Geselle das Handwerk zusammen haben will, muß er einen Reichs⸗
thaler Fodergeldt geben, alsdann müßen alle Gesellen sambt den Beysitzer er⸗
scheinen bey Strafe Acht Schilling.
J
2*
33.
Es soll allemahl die halbe Straffe in die Lade und die andere Helfte den
Gesellen zu vertrinken kommen.
34.
Wenn Ihrer Zween, Drey oder mehr auf einer Werkstedte stehen, und ein
Werk-Gesell Tüchtig ist, den der Meister gut davor erkennet, so sollen die andern
Gesellen Gehör geben, und machen es so, wie Ers haben will, bei Zwee Mark
Straffe und Vier Schilling den Armen.
35.
Es soll kein Gesell Abschied in der Wochen nehmen, sondern auff den
Sonnabend oder Sonntag, bey Strafe Zwey Mark und Vier Schilling in die
Armenbüchse, und was Er die Woche über verdienet, ist an die Gesellen Lade
verfallen. Es soll auch kein Gesell ohne Uhrlaub und Abschied von seinem Meister
weggehen, bey Einer Tonne Bier Straffe und Acht Schilling den Armen.
36.
Wenn ein Gesell von seinem Meister Abschied nimbt, der soll aus Altona
ziehen und anderwärts bey einen Ehrlichen Meister Viertzehn Tage arbeiten, ehe
und bevor Er wieder bey einen anderen Meister allhie in Arbeit kommt; gehet
Er aber bey einen Böhnhasen, so soll Er eine Tonne Bier Straffe geben ohne
Gnad und Acht Schilling in die Armenbüchse.
37.
Wenn ein Geselle von seinem Meister gut davor erkennet wird, und Er ihm
auf seine Werkstädte zum Werk-Gesellen stellet, Er sich auch darzu gebrauchen läßt,
so muß Er dabey bleiben, biß daß Stück Arbeit verfertiget ist, so lange es währet,
bey Willkührlicher Straffe der Aelterleute.
38.
Wenn Krugtag ist, und die Lade auff dem Tische offenstehet, soll kein
Junge, der in der Lehre ist, oder sonsten zum Handwerk nicht gehöret, in der
Stube oder Sahl bleiben und zuhören, bei Straffe der Pritsche, höret Er aber
zu an einem heimblichen Ohrte, so soll er ein Roß-Kamm haben.
39.
Wenn ein Gesell will Meister werden, und danket ab von seinen Gesellen—
Standt, der soll den Gesellen Eine Tonne Bier geben und ein Silbern Schildt von
Vierloht an ihrem Willkommen.
40.
Wenn ein Justiz oder Gericht gebaut wird, und der Alt-Gesell Befehl be—
kommt von dem Alt-Meister, so soll Er ungesäumet alle Gesellen ansagen lassen,
an Einen gewißen Ohrt zu erscheinen, findet sich ein Gesell, der etwa gescholten
wäre, der muß davon bleiben, welcher Gesell sich davon ausschleußt, der soll eine
Tonne Bier Straffe geben und Acht Schilling den Armen. Will Ers nicht geben,
so soll ihm die Arbeit geleget werden, biß Er sich gebührendt abfindet.“*
* Zimmerleute, welche einen Galgen bauten, wurden von den Zunftgenossen für unehr—⸗
lich erachtet. Obwohl schon die peinliche Halsgerichtsordnung Kaiser Karls V. in Art. 218 fest⸗
setzte, daß der alte, in vielen Orten vorkommende und einen unnötigen Aufwand veranlassende
Mißbrauch abgeschafft werde, bei Anfertigung eines neuen oder Ausbesserung eines alten
Galgens aͤlle Zimmerleute, welche im Bezxiirke des betreffenden peinlichen Gerichts wohnen, zu
270
41.
Es sollen die Gesellen eine rechte Ordnung machen, hinaus zu ziehen nach
dem Ohrt, wo das Gericht stehen soll, keine unordentliche Gaukeley auff der
Straßen haben, sondern den Meistern sittsam nachfolgen, biß an den Ohrt, wo
das dazu destinirte Holtz lieget. Es soll keiner etwas anrühren, biß ein Gevoll⸗
mächtiger im Nahmen der Obrigkeit den ersten Spohn hat abgehauet, bei will—⸗
kührlicher Straffe.
Deeretum.
Anno 1782 den 17. Martii sind die an Ihro Königl. Majestät von denen
Meistern des hiesigen Hauß⸗Zimmer⸗Handwerks zur allergnädigsten Königl. Confir⸗—
mation eingesandte, und von Allerhöchst gedachter Ihro Königl. Majestät zur
allerunterthänigsten Erklährung remittierte neue Ambts⸗Articul von Bürgermeister
und Raht der Stadt Altona revidiret, in einigen Wenigen Punkten, in Beyseyn,
und mit Genehmigung derer ältesten Ambts-Meister geändert und solchergestalt
wie Sie anitzo lauten, den Rechten und der Billigkeit, wie auch in andern
Städten üblicher Ambts-Gerechtigkeit nicht zu wieder befunden, sondern vielmehr
in allen Punkten und Clausuln approbiret, darauf an Ihro Königl. Maiestät zur
allergnädigsten Königl. Confirmation allerunterthänigst zurückgesandt worden.
Dekretum in Senat Alten ut supra.
in fidem Protoxkolli
Jubscribsit
J. M. Esmarech
Civ: Alten: Secrotair.
Mit aller gehorsamster Bitte werde die Concesheion einer Ambts⸗Gerechtigkeit
und Confirmation der neuen Ambtsrolle und Articulen denen Ambts-Hauß⸗Zimmer
Meistern Höchstnöhtig und Gemeiner Stadt ersprießlich und dienlich; Wir geruheten
Ihnen darüber Unsere allergnädigste Confirmation zu ertheilen. Wann wir dann
solchem allerunterthänigsten Gesuch in Königl. Gnaden statt gegeben; Als Confir⸗
mieren und Bestätigen wir obinserirte Ambts-⸗Gerechtigkeit, Rolle und Articulen
Wortlichen Inhalts in allen Puncten und Clausulen kraft dieses Allergnädigst,
und wollen, daß die jetzige und künftige Ambts-Meister des Hauß⸗Zimmer⸗
Handwerks zu Altona dabey biß an Uns kräftigst geschützet und gehandthabet,
und dawieder bey Niemanden Beeinträchtiget, noch etwas gehandelt werden
solle noch möge. Wir reserviren Uns jedoch hiebey, diese Ambts⸗Gerechtigkeit,
Rolle und Articulen über kurtz oder lang, Wann Wir es gemeiner Stadt und
Bürgerschaft nützlich zu sein befinden werden, zu verändern, zu verbeßern oder
gar wieder aufzuheben, auch einen oder den andern mit dem Privilegio auf die
dieser Arbeit hinzuzuziehen, damit nicht der eine den andern wegen solcher Arbeit für unehr⸗
lich zu achten sich bewogen sehe, so wurden dennoch im Jahre 17785 bei dem auf Befehl des
lübeckischen Rates in dem zum Besitze des Heil. Geisi⸗Hospitals gehörigen holsteinischen Dorfe
Pölitz neu zu erbauenden Galgen alle zum Zimmeramte in Oldesloe gehörigen Meister, Ge⸗
sellen und Lehrburschen, 46 an der Zahl, zu der Arbeit hinzugezogen. Die neun Meister erhielten
jeder 3.M, jeder der 82 Gesellen 148 Zund die fünf Lehrburschen jeder 1 A; ferner wurden an
eine bei dieser Gelegenheit gebrauchte Musikbande 12 bezahlt, und die Verzehrungskosten bei
dem Bauervogt in Pölitz sfowie in der Herberge zu Oldesloe betrugen 80 M, so daß dieser
Galgen allein an Arbeitslohn dem Spitale 131 zu stehen kam. Die Einwendung des Spital⸗
vogtes Bueck, daß im Jahre 1730 bei einer ähnlichen Veranlassung nur 64 bezahlt wären⸗
wurde von dem Bürgermeister zu Oldesloe, welcher die Besorgung dieser Goalgen Angelegenheit
übernommen hatte, durch die Erklärung beseitigt, daß seit jener Zeit das Oldesloer gimmeramt
viel stärker geworden sei.
(Vaterlandische Blätter“ Nr. 48, Beiblatt der „Lübeckischen Anzeigen“ vom 4. Dezember 1898.)
271
Freymeisterschaft des Hauß-Zimmer-Handwerks zu begnadigen. Wir wollen in
übrigen auch, allergnädigst, daß es bey der in dem Von Unsers in Gott glor—⸗
würdigst Ruhenden Herrn Vaters Majestät, den 18. Marty Anno 1718, Unserer
Stadt Altona ertheilten allergnädigsten Privilegio Sphe üto enthaltenen Restriction,
Biß zu Unserer weitern Verordnung, sein ungeändertes Verbleiben haben soll.
Wornach Unsere zum Altonaischen Ober-Appellations-Gericht s ämbtliche Verordnete
Rähte, der p. t. Präsident, Bürgermeister und Raht, wie auch daß Hauß⸗Zimmer⸗
Ambt zu Altona und sonsten Männiglich sich allerunterthänigst zu Achten. Uhr⸗
tundlich unserm Königlichen Handzeichen und fürgedruckten Insiegel. Gegeben
auf Unserm Schloß Friederichsberg, den 28. Aprilis Anno 17382.
Ohristian R. v. Hagen.
Extractus protocolli praesidialis Altonensis
den 6. December 1742.
— Gesellen
des löbl. Zimmer-Amts, wegen der in Arbeit zu nehmenden frömden Gesellen,
nachfolgende Verabredung und Vergleich getroffen worden. Und zwar:
l. Muß es ein vor allemahl bei dem wegen der frömden Gesellen, daß
nemlich die einheimischen Gesellen vor den frömden bey denen Meistern
in Arbeit gesetzt werden sollen, ertheilten gerichtlichen Bescheid sein
unverändertes Bewenden haben und behalten. Demnechst soll
Wenn ein Meister nicht mehr genug Arbeit hat, und die Gesellen daher
zu feyern sich genöthigt sehen, derjenige Gesell, so da feyert, die Freyheit
haben, von seinem Meister, wenn Er 8 Tage gefeyert, Abschied zu
nehmen, und bey einem anderen hinwiederum zu arbeiten.
Wenn ein Meister viele einheimische Gesellen, und vor selbige keine
Arbeit hat, so soll Er solches denen andern Meistern, welche frömde
Gesellen in Arbeit haben, anzeigen, damit dieselben die frömden Gesellen
zehen laßen, und die einheimischen dagegen in Arbeit nehmen können,
zleich die Meisters solches zu thun schuldig und gehalten sind: hin⸗
gegen soll
auch keinem einheimischen Gesellen erlaubt seyn, Ursache an seinen
Meister, um von demselben zu kommen, so lange Er Arbeit hat, suchen
oder etwa deswegen von seinen Meister weggehen, weil er auf dem
Lande arbeiten sollte, gleich dann derjenige Geselle, der solchergestalt
von seinem Meister Abschied genommen, und ihm überführet werden
kann, von denen Meistern nach Befinden gestraffet werden soll.
Würde auch ein frömder Geselle, so Frau und Kinder hat oder getrauet
ist, sich alhier niederzulassen gesonnen seyn, so ist demselben dennoch
nicht erlaubet, sich alhier eher zu wohnen zu begeben, Er habe dann
vorher denen hiesigen Gesellen seinen richtigen Trauschein produciret,
das Bürgerrecht gewonnen, und an die Gesellen Lade 4 Reichs bank⸗
thaler erleget, ihm wiedrigenfalls kein Meister sich unterstehen darf,
einem solchen Gesellen länger als 14 Tage Arbeit zu geben.
Werden von denen obigen 4 Reichsbankthaler, so an die Lade von
denen ankommenden Gesellen erzahlet werden sollen, wann eines ein⸗
heimischen Gesellens Frau mit Tod abgehet, 2 Reichsbankthaler an den
nachgebliebenen Mann bezahlet.
3
272 —
7.
Wollen alle Gesellen aus ihrer Lade die Meister Schilder an die Meister
herausgeben, gleich auch in Zukunft kein angehender Meister mehr
schuldig, ein Schild an die Gesellen Lade zu geben, weil dieses praestandum
und Abgabe hiermit gäntzlich aufgehoben seyn soll. Urkundlich und zu
mehrer Festgelobung dieses alles haben die resp. Aelterleute der Meister
und Gesellen dieses protocoll eigenhändig unterschrieben.
Michel Röhls, Aeltermann.
Meister Nicolaus Ditrich Siling.
Johann Conrad Stock. Anthon Hellwig.
In fidem protocolli
und als Amts-Patron
B. von Schomburg.
Plakat gegen das Schimpfen der Handwerkszünfte.
Obschon der 2te 8 der allgemeinen Reichs-Constitution vom Jahre 1731 den
Handwerksgesellen, bey entstehendem Zwist zwischen ihnen und den Meistern, das
Schimpfen des Amts, um sich an demselben zu rächen, bey Gefängnis, Zucht—
Haus⸗- oder Festungs-Bau-⸗Strafe verbietet: so hat doch die Erfahrung ohnlängst
noch gezeiget, daß diese gesetzliche Vorschrift bey vielen, wo nicht ganz in Ver⸗
gessenheit gerathen ist, doch so angesehen wird, als wenn es mit deren Beachtung
jetzt nicht mehr so genau genommen werde.
Wie indessen dergleichen Gesetz, und Ordnungswidrige Auftritte auf keine
Weise ohne Nachtheil des Landes-Obrigkeitlichen Ansehens zugegeben werden
können, und es vielmehr nothwendig ist, denselben mit dem erforderlichen Ernst
und Nachdruck zuvorzukommen; so wird, Namens Sr. Königl. Majestät und nach
Maaßgabe eines von Allerhöchst Denenselben unterm Aten dieses Monats mir
ertheilten Auftrages, hiermit verordnet:
daß, da die Handwerks-Gesellen, wenn sie auf irgend eine Weise durch die
Zunft oder durch die Obrigkeit beschweret zu seyn vermeinen, zu jeder Zeit
höheren Orts ihre Klagen anbringen und gerechte und billige Verfügung er—
warten können, und mithin die Selbsthülfe des Schimpfens der Zunft, mit der
sie in Streit gerathen sind, eine eben so entbehrliche als an sich vermessene
und unleidliche Hintenansetzung aller guten Ordnung und übereinstimmender
Reichs⸗ und Landes⸗gesetze ist, auf die Unterschreibung eines Schimpf-Briefes,
sobald sie zur Gewißheit gebracht worden, die unverzügliche Abführung zum
Zuchthause erfolgen solle, und diese Strafe an solchen Frevlern, sie seyn Aus⸗
läänder oder Landesunterthanen, unabbittlich zu vollziehen sei, sie auch nicht
nur bis zum Austrag der Sache im Zuchthause bleiben, sondern außerdem der
Gewinnung des Amtes in den Herzogthümern usw. auf immer unfähig
sein sollen.
Und damit die Handwerksgesellen sich in Zukunft um desto weniger mit
der Unwissenheit entschuldigen können, ist der Inhalt dieses Placats ihnen von
den Zünften gehörig bekannt zu machen und in Erinnerung zu bringen, auch ein
Exemplar davon sowohl in der Amts-als Gesellen-Lade jeder Zunft aufzubewahren.
Wornach ein jeder sich zu achten und vor Schaden zu hüten hat.
Altona, im Ober-Präsidio, den 9. August 1792.
C. L. von Stemann.
273
Neuregelung der Krugtage und Einsetzung des „Kleinen Autes“ 1802.
Mit hoher Bewilligung des Herrn Canzeley-Secretair, v. Aspern als Patron
unsers Hauß-Zimmer-Amts, und mit Vereinbahrung Meister und Gesellen, haben
wir eine Veränderung, in den bisherigen Krugtagen, bey unßer Gesellenlade ge—
troffen. Es ist von Alten Zeiten bis jetzt, alle Vier Wochen Krugtag gehalten
worden, und ein Jeder Gesell fünf Schilling erlegte, wovon zwey Schilling in die
Lade und zwey Schilling die Gesellen nach dem Krugtag auf der Herberge zu
vertrinken hatten, und der fünfte Schilling zur Hälfte mit sechs Pfennigen in die
Krankenbüchse, und zur andern Hälfte mit sechs Pfennigen in die Armenbüchse
gelegt wurden.
2. So soll ins Künftige, von Fastnacht, alle Vierteljahr, nehmlich zwölf
Wochen im Vierteljahr Quartal gehalten werden, und ein Jeder Gesell funfzehn
Schilling erlegen muß, und an Statt, da vor dießen, von den eingekommenen
Kruggeldern, die Hälfte verzehrt wurde, so soll von nun an diese Verzehrung,
oder die Hälfte von den eingekommenen Quartalgeldern, unßer Krankenbüchse
zu fallen, damit unßere Noth leidente Kranke mehr Unterstützung bekommen, und
da vor diesen ein kranker Gesell, die Woche Ein Mark und Acht Schilling erhielt,
wovon zwölf Schilling aus der Armenbüchse und zwölf Schilling aus der Kranken⸗
büchse bezahlt wurden, so soll hinführo von Fastnacht dieses jetzt laufenden Jahres,
ein kranker Gesell die Woche Zwei Mark und Acht Schilling bekommen, wovon
Eine Mark und Zwölf Schilling aus der Krankenbüchse und Zwölf Schillinge aus
der Armenbüchse bezahlt werden.
3. Es soll ein Kleines Amt errichtet werden und dieses soll außer den
Wortführenden Laden Meister, aus zwantzig Mann bestehn, nehmlich Zehn Mann
Verheyrathe, und Zehn Mann Fremde, nach der reihe, wie die Gesellen im
Buche stehn, und dieses Kleine Amt soll die Klagsachen nach Billigkeit richten,
und der Klagbahre, der das Kleine Amt verlangt, muß Dreißig Schilling Forder⸗
geld erlegen, davon bekommt der Junggesell, der das Kleine Amt zusammen⸗
fordert, Zwölf Schilling und Sechzehn Schilling soll das Kleine Amt zu ver⸗
zehren haben.
1. Es sollen diese zwantzig Mann, benebst den Wortführenden Ladenmeister,
ein Gantzes Jahr dabey verbleiben und daß künftige Jahr, sollen andre zwantzig
Mann zu dem Kleinen Amt bestimmt werden, wäre aber der fall, daß ein Gesell
der Klagesache hätte, und daß Gantze Amt verlangte, so muß er Drey Mark und
Zwölf Schilling Fordergeld erlegen, wie es jeder Zeit gewesen.
55. Wenn alle Vierteljahr Quartal gehalten wird, so sollen alle Gesellen er—
scheinen bey Ein Mark Strafe; es soll jedes Mal, wenn Quartal gehalten wird,
eine Tonne Bier der Gesellschaft zum besten zu vertrinken auf der Herberge auf⸗
gelegt werden.
6. Da von langen Zeiten, bis jetzt, wenn ein Verheyrather Geselle gestorben
war, die Hinterlaßenen des Verstorbenen Gesellen Vier Reichsthaler aus der
Gesellenlade bezahlt wurden, hingegen, wenn die Frau des Gesellen gestorben
war, so bekam der Mann Zwei Reichsthaler aus der Lade.
7. Hinführo wenn ein Gesell mit Tode abgeht, soll den Hinterlaßenen des
Gesellen Zehn Reichsthaler bezahlt werden, wie denn auch, wenn ein fremder
Gesell mit Tode sollte abgehn, ebenfalls Zehn Reichsthalexr, zu seiner Beerdigung
bezahlt werden. Es soll aber ein jeder Gesell Verheyrather und Fremder zwei
Schilling zu einem jeden Toden erlegen, und daß übrige was fehlt an die Zehn
Bringmann, Geschichte der Zimmerer.
18
— 274 —
Reichsthaler soll aus der Krankenbüchse genommen werden. Hingegen wenn eine
Frau stirbt, so sollen den Mann vier Reichsthaler aus der Lade bezahlt werden.
8. Wenn aber hinführo ein fremder Gesell, sollte mit Tode abgehen, so
werden zwar Zehn Reichsthaler zu seiner Beerdigung bezahlt, diese Zehn Reichs⸗
thaler aber bey Weitem nicht hinreichend sind, mancher Gesell aber nichts hinter⸗
läßt, wie wir schon öfters den Vorfall gehabt haben, und die Begräbniß Kosten,
aus der Lade mußten bezahlt werden, oder auch jeder Gesell eine gewisse Zulage
geben mußte, damit die Begräbniß Kosten, des fremden Gesellen bezahlt wurden.
9. Wenn nun Künftig, von dieser bestimmten Zeit, ein fremder Gesell
sterben sollte, so soll nach seinen Freunden geschrieben werden, ob sie die Beerdigung
Kosten bezahlen wollen, wollen sie solche nicht bezahlen, so sollen die Sachen des
Verstorbenen, als Kleidungsstücke, benebst Zimmergeräthe, an den Meistbietenden
verkauft werden, und die Begräbniß Kosten davon bezahlt werden, wie auch dieser
Punkt in unßere Confirmirten Amts⸗Articel stattfind, wäre denn also noch ein
Ueberschuß, so soll solcher unßerer Krankenbüchse zufallen.
Diese von der Löblichen Zimmer⸗Gesellschaft entworfene Vereinbahrung
als die vorstehenden Punkte sind von den hier unter Schriebenen Aelterleuten
genehmiget, in so ferne sie den übrigen Confirmirten Ampts Articeln nicht auf
feine weiße zu wiederseyn.
Altona, den 24. April 1802.
Johann Andreas Höfer, Aeltermann
Johann Anthon Kreße, Aeltermann
NRicolaus von Peinn, Ladenmeister
Christian Friederich Schultz, Altgesell
Christian Friederich Groß, Junggesell
im Nahmen sämtlicher Mitgesellen.
Aus dem Leben der zünstigen Zimmerleute.
No.4 Siempel) Vier Schilling.
—
1797. m
Sander.
Ertraet des Altonaischen Obergerichts⸗Protocolls
vom 27ten April 1797.
Auf Anhalten des Hauszimmer⸗Gesellen Hinrich Stamm und da eitati
die Altgesellen besagter Zunft es eingestanden, daß sie bemeldeten Stamm aus
dem Gesellen⸗Verzeichniß ausgestrichen und ihn aus ihrer Versammlung wes—
gewiesen hätten, wird besagten Altgesellen imgleichen den übrigen Mitgesellen
injungiret, den Citanten Stamm sofort und bey Vermeidung zehn Rthlr. Strafe
in das Gesellenbuch wieder einzuschreiben, ihn bei ihren Zusammenlünften zuzu⸗
lassen, auch demselben die Arbeit und seinen Verdienst nicht zu stöhren.
Welches Deeret den Altgesellen gehörig zu insinuiren, mit dem Befehl,
solches ihren übrigen Mitgesellen bekannt zu machen.
* in fidem
Ertraet 128. — G. Waitzz.
275
Diefer Bescheid fruchtete aber nicht, so daß die zwei nachstehenden.folgten:
— 8801
No. a. Stempel) Vier Schilling.
— —
1797.
Sander.
Ertract des Altonaischen Obergerichts-Protocolls
vom 29ten May 1797.
Auf Anhalten des Hn. Advocaten Rahtgen namens des Zimmergesellen
Hinrich Stamm und da Citati die Altgesellen des Zimmeramts dem decreto
vom 27ten April d. J. kein Genüge geleistet, wird à senatu deeretiret, daß
nunmehr besagte Altgesellen imgleichen die übrigen Mitgesellen in die eomminirte
Strafe von zehn Rthlr. zu verurtheilen; übrigens wird denselben bey Vermeidung
einer Strafe von 20 Rthlr. injungiret, nunmehr binnen 14 Tagen dem vor—⸗
erwähnten Deeret Folge zu leisten.
Welches Deeret den Altgesellen gehörig zu insinuiren, mit dem Befehl,
solches ihren übrigen Mitgesellen bekannt zu machen
in fidem
Extract 12 ,6. G. Waitz.
— — No. 1I140.
No. a. Stempel) Vier Schilling.
—7
1797.
Sander.
Extract des Altonaischen Obergerichts-Protocolls
vom 19ten Juny 1797.
Da der Hauszimmergeselle Hinrich Stamm angezeiget, daß eitati die
Altgesellen des bemeldeten Amts dem Decret vom 27ten April d. J. bis jetzt
keine Folge geleistet und sie eitati dieses nicht ableugnen können und auch noch
heute declariret, daß sie dasselbe nicht befolgen würden, so ward auf des Citanten
Anhalten a Senatu deecretiret, daß besagte Altgesellen, imgleichen die übrigen
Mitgesellen in die anderweitig eomminirte Strafe von 20 Rthlr. zu verurtheilen
und ihnen anbefohlen, nunmehr besagtem Decret binnen acht Tagen Folge zu
leisten, widrigenfalls sie zu gewärtigen, daß unter Vorbehalt der erkannten Brüche
ihre Lade versiegelt und so lange in sichere Verwahrung gebracht werden solle,
bis sie dem Deeret gebührende Folge geleistet. Welches den Altgesellen gehörig
zu insinuiren, mit dem Befehl solches ihren übrigen Mitgesellen bekannt zu machen.
in fidem
G. Waitz.
Extract 12 6.
— — 20975
No. 4. Stempelf Vier Schilling.
1798.
Sander.
Mittelst eines an mich erlassenen allerhöchsten Reseripts vom 28ten d. M.
haben Se. Königl. Majestät auf das Gesuch der Alt- und Mitgesellen des hiesigen
Haus⸗Zimmer⸗Amts, um Vorschonung mit der ihnen vom Magistrats⸗-Gerichte
Que⸗
276 —
zuerkannten Brüche von 80 Rthlr., wegen Nichtbefolgung des Befehls, den aus
dem Gesellenbuch ausgestrichenen Zimmergesellen Hinrich Stamm wieder in
dasselbe einzuschreiben, zu resolviren geruht:
daß obzwar die Supplicanten die erkannte Geldstrafe durch ihren bewiesenen
Ungehorsam wohl verdienet hätten, dennoch, in der Erwartung, daß sie sich
dergleichen nicht wieder würden zu Schulden kommen lassen, sie für diesmal
aus besonderen Gnaden damit verschonet, und die Geldstrafe erlassen seyn
sollte
welche allerhöchste Resolution den Supplieanten hierdurch bekannt gemacht wird.
Altona im Ober-Präsidio, den 29. März 1798.
Stemann.
Anzeige
für die Alt- und Mitgesellen
des Haus Zimmer Amts.
Geb. 12
St. P. 4
Nr. 8 — u498
Echecl. Stempel) Zwölf Schilling.
— —
1801
Auf die am 14. d. M. mit obrigkeitlichem Bericht eingegangene allerunter⸗
thänigste Supplication und Bitte abseiten der Altgesellen des Hauszimmereramtes
Christian Zimmermann und Christian Friderich Schütz, um Aufhebung zweier
Deerete des Altonaischen Magistrats⸗Gericht:
Wird von den Königl. Dänemarckischen zum Altonaischen Oberappellations⸗
Gericht verordneten Statthalter, Canzler, Vice-Canzler und Räthen, unter
abschriftlicher Mittheilung der supplicatischen Erklärung, den Supplicanten ein
abschlägiger Bescheid ertheilet. Arkundlich unterm vorgedruckten Königl. Insiegel.
Gegeben in Glückstadt, den 16. October 1801.
Witzendorff. V. Gr. Rantzau.
Sprehn.
Hochwohl⸗ Wohl⸗ und HochEdelgeborne,
Höchst⸗ und hochzuehrende Herren!
Ew.: Hochwohl- Wohl⸗ und Hochedelgeborene haben wir das von den
Altgesellen des hiesigen Zimmeramtes für sich und Namens der übrigen Gesellen,
an Sr. Königl. May, allerunterthänigst eingesandten Memorial, um Aufhebung
zweier gerichtlichen Deecrete, zu meiner Erklärung communieirt, und ich verfehle
nicht, solche hiedurch ganz gehorsamst einzureichen. Ich habe es nie geläugnet,
sowie ich es auch jetzt nicht verneinen will, daß ich vor ein Paar Jahren ein,
sonst ihres guten Rufs wegen wohl bekanntes Medchen, das aber von einem
andern unter ausdrücklicher Angelobung der mit ihr zu vollziehenden Ehe,
geschwecht worden, geheirathet habe.
Nachdem das von ihr geborene Kind gestorben war und sie ihre Klage
wider den Schwengerer aufgegeben hatte; so ward ich mit derselben bekannt, und
ich fand, daß sie dieses Fehltritts ungeachtet, eine gute Person und eine bekanntlich
gute Haushälterin sey, mithin ich mit derselben wohl eine glückliche Ehe würde
— 277 —
führen können. Hierin habe ich mich auch nicht betrogen, vielmehr lebe ich mit
derselben in einer guten ehelichen Vereinigung, so daß mich dieser Schritt noch
nicht gereuet hat. Ob es gleich bei meinen damaligen Mitgesellen bekannt genug
und alle gantz kein Geheimniß war, daß ich diese Person geheirathet hatte; so
ließen mich auch die damaligen Altgesellen desfalls in Ruhe und ich ward in
dem Gesellenbuche, als ein Mitgeselle, eingetragen. Ich wohnte ihren Zusammen⸗
künften als ein anderer Geselle mit bei, erlegte die gewöhnlichen Abgaben,
arbeitete wie andere bei den hiesigen Amtsmeistern, und es fiel niemand ein,
mir desfalls einen Vorwurf zu machen. Allein vor einiger Zeit bekam ich unter
meinen Mitgesellen einige Feinde, und diese wußten es dahin wider mich einzu—
brocken, daß die auf jene gefolgten Altgesellen, welche bekanntlich alle halbe Jahr
abwechseln, mich nicht nur in der Versammlung der Gesellen in ihrem Register
ausstreichen, sondern auch von den Altgesellen, den sämtlichen Meistern des Amts,
der eigenmächtige Befehl ertheilet ward, daß letztere mir keine Arbeit geben sollten,
weil ich aus den Gesellen-Register ausgeschloßen wäre. Ich arbeitete damals
bei dem Aeltermann und Meister des Zimmeramts Johann Andreas Höfer, der
mit mir und meiner Arbeit wohl zufrieden war und mich gerne behalten wolte,
aber er mußte dem eigenmächtigen Befehl der Zimmeraltgesellen gehorchen und
mir meinen Abschied geben. Ich war also genötiget wider die jetzigen Altgesellen
bei diesem Hochlöbl.Gerichte klagbar zu werden und als letztere nichts erheb⸗
liches wider meinen Antrag vorzubringen im Stande waren, so ward am 283. April
das von Supplicanten angelegte Decret abgegeben, daß sie mich binnen acht
Tagen in ihr Gesellenbuch einschreiben sollten. Ich meldete mich hierauf in
dieser Zeit bei der Gesellenlade und erwartete wie die Gesellen dem erhaltenen
Obrigkeitlichen Befehl die schuldigste Folge leisten würden. Aber ich ward von
ihnen auf die schnödeste Weise zurückegewiesen. Dieses muste mir nothwendig
veranlassung geben, auf ein Mandatum acctus anzutragen und es ward ihnen
hierauf von neuen anbefohlen, dem vorigen Deerete bei 10Rthlr. Strafe Folge
zu leisten und mich binnen 8 Tagen wieder in ihr Gesellenbuch einzuschreiben.
Hiewider haben sie das remedium Supplicationis eingewandt, welches ihnen
auch meines Widerspruchs ungeachtet, verstattet ward. Ich wende mich nun zur
Widerlegung der von den Citaten und jetzigen Supplicanten zur Unterstützung
ihrer Supplication, vermeintlich vorgebrachten Gründe. Es ist in der That ein
ganz verwegenes Unternehmen, wenn die Supplicanten sich unterstehen, zu sagen,
daß sie schlechterdings außer Stande wären, mir wiederum in ihr Gesellenbuch
einzuschreiben. Dieses ist eine sehr unerlaubte und strafbare Aeußerung, die kein
Unterthan, geschweige denn eine Anzahl fremder und hier nicht gehörigen
Handwercksbursche sich bedienen muß. Das Pactum, nemlich meine Wiederein⸗
schreibung ist möglich, und wenn daher eine Obrigkeit eine solche mögliche
Handlung gebietet; so muß der Unterthan gehorsam seyn. Denn, wenn die
Supplicanten sagen, daß sie schlechterdings außer Stande sind, diesen zu bewerk⸗
stelligen, so ist das bloßer Handwercks-Trotz, der nicht weiter um sich greiffen,
sondern auf alle Weise obrigkeitlich gestöhret werden muß. Ferner ist es eine
wahre Grille, wenn ein Handwercksgeselle, der ein guter Handwercker ist und
der mit der Zeit ein guter Bürger und erfahrener Handwercker werden kann,
aus dieser geringen Ursache verstoßen und sein Talent unterdrückt werden soll.
Was hat denn die Frau eines solchen Menschen mit dem Amte zu thun? Sie
kommt ja nicht in ihren Versammlungen, sondern ihr Mann, und wenn dieser
278 —
mit seiner Frau zufrieden ist, was geht es denn den Handwerckburschen ferner
an, und es wird doch auch kein vernünftiger Mensch sich einfallen lassen, daß
die Heirathung einer solchen Person eine Infamie mit sich führe. Wir haben
hier mehrere Beispiele von ähnlicher Art. So haben sich zu mehreren Seiten
die hiesigen sogenannten Todtenladen-Brüderschaften einfallen lassen, die hiesigen
Gerichtsdiener aus ihrer Gesellschaft stoßen zu wollen, weil sie Gerichtsbediente
sind. Ferner wollte eine dieser Brüderschaft, einen Bürger verunehren, weil er
in einem Wirthshause einen Krug Bier in Gesellschaft des Scharfrichter Knechts
getruncken hatte. Allein unsere erleuchtende und aufgeklärte Zeiten und unsere
beste denkende Obrigkeit wußte diesem Unternehmen die passenden Grenzen zu
setzen und diesen unruhigen Leuten zum schuldigen Gehorsam anzuweisen; welche
Verfügungen auch von der allerhöchsten Landesobrigkeit durch treffende Ver⸗
fügungen allerhöchst und allergerechtest bestätigt worden sind. Unser allergerechtester
Monarch hat dergleichen Handwercksmisbräuche schon längst durch triftige Ver—
ordnungen und noch neulich desfällige Verfügungen in Dännemarck abgeholfen
und eine besondere Königl. Allerhöchste Verordnung d. d. Christiansburg, vom
9. Febr. 1756, welche in dem von Callisen ausgegebenen promptuario pag. 88
enthalten ist, bestimmt wegen dieses Punets in 88 folgendes:
„Diejenigen, welche etwa eine von ihnen selbst oder von einem andern
geschwächte Person heirathen, sollen um deswillen keineswegs für Handwercks⸗
unfähig gehalten, noch ihnen, wenn sie die Meisterschaft zu gewinnen gedenken,
deshalben von den Zünften einiger Einwurf oder Hinderniß gemachet werden.“
Was kann wohl klarer und deutlicher sein, als diese allerhöchste Verfügung
ist, wogegen sich die unruhigen Supplicanten aufzulehnen unterstehen.
Die Einwendungen einer seit Jahrhunderte eingeführten Observantz kann
also hier in keine Betrachtung gezogen werden, indem das Reichsgutachten oder
die Reichsgesetze im Herzogthum Schleswig und Hollstein durch die neuen Königl.
Verordnungen von Sr. Königl. May. aus Landesherrlicher Macht, wie der vorhin
allegirte und angezogene 8 deutlich zu erkennen gibt, in verschiedenen Punkten
aufgehoben sind. Ob ich mich bei Verhandlung der Sache auf den Gesellen
Lüders bezogen habe, daß er in einem ähnlichen Falle mit mir gewesen sey oder
nicht; und ob ich mich in der Person geirrt habe: dieses thut zur Sache nichts,
da das Gesetz für mich spricht und die Billigkeit mir das Wort redet. Hier tritt
von meiner Seite keine Caprice ein, sondern meine zeitliche Glückseligkeit, die Er⸗
haltung meiner Frau und Kinder, die ich ohne meiner Hände⸗Arbeit als ein recht⸗
schaffener Bürger dieser Stadt nicht ernähren kann, hänget davon ab. Es ist ein
frecher Ausdruck, der mit einer höchststrafbaren Drohung verbunden ist, wenn die
Supplicanten sagen, daß es nicht in ihrer Macht stehe, meine Einschreibung zu
bewercken und daß die etwaingen von Obrigkeitswegen zu gebrauchenden Zwangs⸗
mittel eine Zerrüttung des gantzen Amts zum größeren Nachteil des hiesigen
Publicums nach sich ziehen würde und daß dadurch, daß ich meine Gerechtsame
zu behaupten suche, der Stadt ein Nachteil zugefüget würde, dessen schädliche
Folgen, wie ähnliche Beispiele bewiesen hätten, sich vielleicht auf eine lange Reihe
von Jahren erstrecken würde, kaun diesem Hochlöbl. Gerichte keine Furcht ein⸗
jagen, jemanden Unrecht zu thun. Die Supplicanten wollen mit dieser Drohung
wohl wahrscheinlich zu erkennen geben, daß sie nach dem alten Handwercksgebrauch
und worcuf vorzüglich der Wandernden und sich nur eine kurze Zeit hier auf⸗
haltenden Bursche zu trotzen pflegen, sie und ihre Cammeraden die Arbeit nieder⸗
279
legen und als unruhige Köpfe einen Tumult erregen wollen. Allein, die hiesige
Obrigkeit sowohl, als die Hamburgische und der in mehreren Städten Teutsch⸗
landes, ist zu aufgeklärt, als daß sie sich für eine Anzahl solcher unruhigen Leute
fürchten und ihnen in unbilligen und Gesetzwidrigen und blos aus ihrem Gehirn
und vorgefaßten Amtsgrillen nachgeben sollte, vielmehr beweisen alle in den
geitungen bekannt gemachten und in solchen Fällen beobachteten Beschlüße, sowohl
der Reichs- als andern Städten, wie man gewußt hat, solche unruhigen Hand⸗
wercksgesellen zu Paaren zu treiben und sie durch Zwangsmittel zur Ordnung
anzuhalten. Da nun Euer Hochwohl- Wohl⸗ und HochEdelgeborenen die beiden
Deerete, worüber sich die Supplicanten beschweren, nicht ohne genügsame Ueber⸗
legung, vielmehr mit geschärfter Klugheit, werden abgegeben haben, so bin ich
auch vollkommen versichert, daß Höchst und Hochdieselben solche zu maintiniren
und in Kraft zu erhalten, mithin zu bewirken suchen werde, daß die unruhigen
Supplicanten die von ihnen bewirckte Königl. Brüche erlegen und im ferneren
Weigerungsfall zur Gelobung derselben, entweder unter einer zu erhöhenden Muldt
oder andern zweckmäßigen Zwangsmittel, zu meiner Einschreibung in das Gesellen⸗
Register angehalten und zugleich zur Erstattung aller mir, als einem armen Mann
so äußerst muthwillig verursachten Kosten, werden condemniret werden. Als
warum ich hiermittelst mit dem schuldigsten Respect und der vollkommensten
Hochachtung unterthänigst gehorsamst bitte und solchergestalt verharre
Euer Hochwohl- Wohl-⸗ und HochEdelgeborenen
unterthänigster und gehorsamer Bürger
Johann Christian Hildenbrandt.
Altona
den 17. Sept. 1801.
An
E. Hochlöbliches Magistrats-Collegium dieser Stadt, einzureichende unterthänige
und gehorsamste Erklärung, auf die von den Altgesellen des Hauszimmeramts
Christian Zimmermann und Christian Friederich Schütz an Sr. Königl. May.
aller unterthänigst eingesandte Supplication
abseiten
des Bürgers und Zimmergesellen Johann Christian Hildenbrandt, Supplicanten
wider
die obenbenannte Altgesellen des Altonaischen Hauszimmeramts, Supplicanten.
Niemann.
Frtract des Altonaischen Policey-Protocolls vom Hten März 1836.
Auf die Vorstellung der Altgesellen des Hauszimmeramts, daß es seit
langer Zeit Amtsgebrauch gewesen, daß ein Gesell, welcher das Amt eines Alt⸗
gesellen nicht habe übernehmen wollen, 2 Marck an die Lade habe, erlegen müssen,
ist, nachdem die Aelterleute solches bestätigt haben, dieser Gebrauch, obgleich in
den Gesellenartikeln darüber nichts enthalten ist, vom Amtspatron für zweck—⸗
mäßig befunden, und einstweilen bis zu etwaniger anderweitiger gerichtlicher oder
obrigkeitlicher Entscheidung ein Ablösungsgeld von1 RbuR für Denjenigen, welcher
das Altgesellenamt nicht übernehmen will, genehmigt worden.
in ßdem
Mame unleserlich.).
280
Gehorsamte Vorstellung von Seiten der Zimmergilde zu Walsrode,
wider den Zimmergesellen Schnabel zu Sieverdingen, auch den
Zimmeramtsmeister Hans Heinrich Petersen zu Soltau, J
wegen unerlaubter Pfuscherei und desfallsiger Wegnahme des Handwerkszeugs.
Entw. u. abgeschr. d. 16. April 1808. D
Anl. A u. B. Amt Rethem.
Mittelst Bescheides vom 9. d. M. April haben Eure p. das in dieser Sache
ergriffene remedium leuterationis verworfen und dabei erkannt, daß es bei dem
ertheilten Befehle bis zu anders ausgemachter Sache sein Bewenden behalte.
Dieselben werden uns daher erlauben, dieserhalb folgendes vorstellen zu dürfen.
Als Eure p. unterm 15. März nach Ausweisung der Anlage
A
ein ordnungsmäßiges Jagen nach unzünftigen Arbeiten im Gericht Fulda ver—⸗
stattet hatten, verfügten wir uns am 16. dess. M. nach Idsingen, und trafen den
Zimmergesellen Schnabel aus Sieverdingen dort an, welcher an einem neuen
Vorderhause für Stork dafelbst zimmerte. Auf die Frage des Gohgräfen Ruschen⸗
busch, unter welchem Meister er arbeite? — war seine Antwort: bei Meister
Schardt in Fallingbostel! — Da wir uns aber keineswegs vorstellen konnten,
daß ein rechtlicher Meister einen ohne Kundschaft von uns abgegangenen Gesellen
aufgenommen haben würde: so wurde ihm dennoch sein Handwerkszeug genommen.
An eben dem Tage schickten wir zu gedachtem Meister Schardt in Falling⸗
bostel, und exhielten die hier unter 8
im Original angeschlossene Bescheinigung, woraus erhellet, daß jener Schnabel
ganz und gar nicht unter seiner Direetion gearbeitet habe. Er war daher an
diesem Tage offenbar sachfällig. 8
Am 831. März wurde abermals gejagt. Wir trafen den Zimmergesellen Schnabel
nebst einem Pfuscher aus Fallingbostel, namens Benke, wiederum beijener Arbeit
an. Jetzt behauptete Schnabel, daß er unter Meister Petersen aus Soltau arbeite.
Einem Menschen aber, der uns schon einmal hintergangen, konnten wir nicht trauen.
Das Handwerkszeug wurde ihm und dem Pfuscher Benke folglich abgenommen.
Wenn nun in der Folge der Zimmergeselle Schnabel —XXVO
diesen Meister Petersen aus Soltau gewendet und unter seiner Leitung gearbeitet
hat, so konnte doch des Letztern Bitte, dem von ihm angenommenen Gesellen
Schnabel das Geschirr zurückzugeben, in Ansehung desjenigen Handwerkszeugs
nicht stattfinden, was wir diesem am 16. März abgenommen, indem er in Gegen⸗
wart des Gohgräfen Ruschenbusch behauptete: daß er unter Meister Schardt
arbeite, welches jedoch gezeigtermaßen völlig unwahr war.
Petersen selbst ist aber deshalb sachfällig, weil er — wie wir uns am 81. März
in Gegenwart des Gohgräfen Ruschenbusch überzeugt haben — einen Pfuscher auf
die Arbeit gestellet hat. Der Befehl v. 6. April enthält überdem die Anweisung
an den Gohgräfen Ruschenbusch: „Das keine Störungen der Arbeit eines unter
Autorität eines anderen Meisters arbeitenden Zimmergesellen zu gestatten.“ Voraus⸗
gesetzt wird also, daß Petersen Zimmergesellen auf die Arbeit stelle, und kein Pfuscher.
Wir durfen also mit Recht annehmen, daß Eurer p. Befehl v. 6. d. M.
erschlichen sei; denn bei der ersten Nachsuchung, am 16. März, arbeitete Schnabel
unter Autorität eines Meisters garnicht, und bei der zweiten Visitation am
31. hatte Petersen zugleich einen Pfuscher auf die Arbeit gestellet.
281 —
Unser gehorsamstes Gesuch geht also dahin, daß dieselben geruhen wollen:
1. dem Zimmergesellen Schnabel und Meister Petersen aufzugeben: daß
sie nach Handwerksgebrauch das abgenommene Handwerkszeug gegen
Erstattung der, durch die, ihrer unerlaubten Arbeiten halber, angestellten
Nachsuchungen verursachten Kosten, nämlich
1. d. 16. März 1808 an den Gohgr. Ruschenbusch. — Thlr. 24 Mgr.
2. An 3 Meister ......... .... 1138
3. Für den Befehl zum Nachjagen.... .......... 4132
4. Für 2 desfallsige Wege nach Rethem. ..... .. J —
5. d. 31. dess. M. an Ruschenbusch ... . .........5. 24,„
ß. An 8 Meister .......... ........ 1 18 ,„
7. An den Ladegesellen.... .. . . .. 12
6 Thlr. — Mygr.
V—
einlösen müssen.
dem Meister Petersen in Soltau anzubefehlen: keinen Pfuscher weiter
auf die Arbeit zu stellen; und
sie in die uns nachher verursachten Kosten, die wir der Eile halber nicht
sofort liquidiren können, gerechtest zu verurtheilen.
Da übrigens Schnabel sowohl als Petersen, gar kein Vermögen besitzen, am
wenigsten aber angesessen sind: so dürfen wir unsere Bitte dahin ausdehnen, daß die⸗
selben genügen wollen, dem Gohgräfen Ruschenbusch sofort den Befehl zu ertheilen:
bis auf weitere Verfügung das in Frage befangene Handwerkszeug zu unserer
Sicherheit in Verwahrsam zu behalten.
Wir hoffen, keine Fehlbitte hierin zu thun, indem dies das einzige Mittel
ist, uns wegen der nach Handwerksgebrauch uns zu erstattenden Kosten des Nach—
jagens in Sicherheit zu stellen, weil, wie wir soeben angeführt haben, Schnabel
und Petersen nicht das mindeste Vermögen besitzen. J
Exp. 8. August 1808 nach Visselhöwede.
Einwendungen von Seiten der Zimmergilde zu Walsrode, Beklagte,
wider den Zimmermeister Hans Heinrich Petersen zu Soltau, jetzt zu Dushorn,
Kläger,
wegen Wegnahme des Handwerkzeuges, modo Kostenerstattung.
Amt Rethem, Wohl- und Hochwohlgeboren
Die Schadens⸗- und Kostenberechnung ad 838 Thlr. 81 Mgr. 4 Pf., welche
Euro Wohlgeboh. uns mittelst des am 15. d. Monats insinuirten Decrets vom
IIten ejusd. immunicirt haben, wird einer ziemlichen Moderation unterworfen
werden müssen, wozu wir denn innerhalb der vorgesetzten 8wöchigen Frist den
Maasstab liefern wollen.
ad 1) Kl. war zu dieser Zeit, den sten April selbst zu Itzingen und hat von
dort aus einen Boten nach Rethem abfertigen können. Er mag nun aber selbst
nach Rethem gewesen seyn, oder einen Bothen gebraucht haben. So kann er doch
nichts weiter, als ordinaires Bothenlohn verlangen. Da die Entfernung nur
3 Stunden beträgt, der Bote in einem Tage hin und her bequem gehen konnte,
so kann dafür nicht mehr, als höchstens 15 Mgr. passiren, und dieselben werden
gewiß selbst nie mehr Bothenlohn für einen ähnlichen Weg, hin und her bezahlt haben.
Für die Rückkehr kann also gar kein Ansatz Statt finden. Hat Kl. wirklich 2Thlr.
24 Mgr. bezahlt, so ist er auf seine eigene Rechnung übertrieben freygebig gewesen.
282 —
Was er an Amtsgebühren für den Bericht bezahlt hat, wissen dieselben besser
als wir, und überlassen es der richterlichen Bestimmung.
ad 9) Auch die Mitnahme des Bauherrn Störch war zu voreilig. Er war
nach Maasgabe der Aeten noch garnicht vor Gericht gefordert, und aus dem
Befehle vom 6ten April d. J. geht noch nicht einmal hervor, daß er in Rethem
mit erschienen sey. Wir glauben also auch zu keiner Entschuldigung verbunden
zu seyn. Sollten wir aber dennoch dadurch erkannt werden, so verweisen wir
auf die ad Nro 1l vorgebrachten Einreden.
ad 83) Die Gebühren der Citation nebst Porto werden denenselben ebenfalls
besser, als uns bekannt seyn.
ad 4) Von Soltau nach Itzingen sind nur 2 Meilen, und es ist sehr zu be⸗
zweifeln, daß Kl. einen expressen Boten erhalten habe. Ist unter der Citation
das Vermerk vom 2oten April verstanden, so widerlegt sich die Angabe von selbst,
denn dieses ist laut des Insinuations⸗Documents dem Gesellen Schnabel in Sievern
am 283ten insinuirt. Sollte Meister und Geselle sich bis zum 6bten May gar nicht
gesehn, und sollte es wohl eines Boten bedurft haben? Dies ist schwerlich zu
glauben, und war Kl. auf eine besondere Citation ....
Kostenspecification und unterthänig-gehorsamste Bitte des Zimmergesellen
Johann Heinrich Schnabel in Sievern, Kläger
wider die Zimmer-Amts⸗Meister Christoph Meyer, Heinrich Bock
und Wilhelm Petersen in Walsrode, Beklagte,
in peto. Mißhandlung.
Hat Anl. sub Lit. A in duplo. Copia.
Zum pp.
Vermittelst Erkenntnisses vom 25. October v. J. sind Beklagte schuldig
verurtheilt, mir
1. für die verursachten Schmerzen und Kurkosten 10 Thlr. zu bezahlen,
au
2. Wdaussrhon Kosten zu erstatten.
Indem ich nun letztere in der Anlage sub
Lit. A
hiermit specifieire, bitte ich Ew. pp. unterthänigst⸗gehorsamst
den Beklagten die Bezahlung der 10 Thlr. so wie des Kostenbetrags sub
omminatione éxecutiones hoch und rechts geneigtest injungiren zu wollen.
Desuper pp.
Anlage Lit. A.
Kosten⸗-Speeifikation.
abseiten des Zimmergesellen Johann Heinrich Schnabel in Sievern,
modo in Wehnsen, Klägers,
wider den Zimmeramts-⸗Meister Christoph Meyer und Consorten, Beklagte
in peto. Mißhandlung.
1808
1. Ausgelegte Gebühren für Abhörung dreyer Zeugen.. 3Thlr. — Mor.
2. An jeden Zeugen habe ich für dessen weiten Weg be⸗
zahlen müssen 12 Sgr., beträgt in triplo ............ —
283 —
3. An Citations- und Terminsgebühren, die ich zu speci—
fieiren nicht vermag —: deren berechneter Betrag sich
inzwischen ex actis als richtig ergeben wird, habe ich
überhaupt ausgegeben .....
Für 8 Wege von Sievern nach Rethem werde ich be—
rechnen dürfen für jeden Weg einschließlich der Ver
säumniß 12 Sgr., beträgt ...
Ferner:
2Thlr. 11Mgr.
2
Mn
24
1809 Septbr.
Pro exhibito Kostenspecification . .. . ...
Copial. in duplo ..
Copis dieser Anl. A. in duplo .. ..
kuturo decreto, Bothenlohn und Insinuation
ni fallor) . . . . ..
.
.2
0
—
18
3,
3
. 6
— 10 Thlr. 29 Mgr.
Pxp. I. II. oũ.
Anzeige und Bitte pp.
Amt Rethem.
Euer Wohlgeb., dem Herrn Amtmann schemt es entfallen zu seyn, daß wir
in termino vom 25ten Oct. v. J. durch unseren Consorten Christoph Meyer,
viva voce gegen den Protocollarbescheid gericht. Rechtsmittel intervenirt, um
das Protocoll gebeten, solches auch sofort mit 1 Thlr. 1 Mgr. oder 87 Mgr.
bezahlt haben. Da wir es bislang nicht erhielten, ohngeachtet es eo post wieder⸗
holt durch mich den Mitbeklagten Petersen vom Hausvoigt gefordert worden ist,
so haben wir, der Rechte unkundig, dafür gehalten, daß uns aus dieser von uns
nicht verschuldeten Verzögerung kein Nachtheil erwachfen könne, und deswegen
geschwiegen.
Unter diesen Umständen werden wir auf die hiermit erbetene restitutio in i.
Anspruch machen und leut. arigendo gehorsamst bitten dürfen:
den am 26ten v. M. insinuirten Bescheid vom 14ten episd. vorerst in suspenso
zu lassen, uns dietum protocollum mitzutheilen und zur Rechtfertigung der
Crut. term. ord. geneigt zu verstatten, salvis oxpensis.
Des.
Nicht diese „Bitte“, sondern ein andrer Umstand bewahrte die „Ehrbarkeit“
davor, dem verhaßten Schnabel Gelder auszuhändigen, sie erhielt endlich den
nachstehenden Bescheid:
Da in Sachen des Tagelöhners Claus Wichers hierselbst, wider den Zimmer⸗
gesellen Schnabel zu Wensen Amts Rothenburg letzterer por decretum vom
heutigen Tage verurtheilt worden, dem Kläger wegen einer verkauften Uhr 5 Thlr.
in Cassen-Gelde zu vergüten, so wird dem hiesigen Zimmer⸗-Amte aufgegeben:
von denen dem Beklagten auszuzahlenden Geldern diese Summe inne zu behalten
und solche gegen Auslieferung dieses Scheines an Klägern zubezahlen. Zugleich
hat das Zimmer-Amt an Gerichtsgebühren pro Termine vom 16ten März, 17ten
ejusdem und vom heutigen Tage s9 Ggr. ingleichen für die gegenwärtige An—
weisung 6 Ggr. und für den erlittenen Arrest an den Bürger-Diener Bremer
11 Ggr. zurückzubehalten und an die Behörde zu entrichten.
Walsrode, den 24ten März 1810.
284
tekanntmachung in betreff des Wanderns der Gewerbe⸗Gehulsen.
Da ungeachtet der durch die Allerhöchste Kabinetsordre vom 1. August 1831
erfolgten allgemeinen Aufhebung der bisher in einigen Landesteilen noch bestandenen
Zwangspflicht zünftiger Handwerksgesellen, vor Erlangung des Meisterrechts eine
bestimmte Zeit auf der Wanderschaft zuzubringen, und der gegen die Mißbräuche, zu
welchen das Wandern Veranlassung giebt, wiederholentlich erlassenen Verordnungen,
noch immer eine große Anzahl von wandernden Handwerksgesellen zwecklos im
Lande herumschweift, die Gewerksgenossen und das ganze Publikum belästigt und
die öffentliche Sicherheit gefährdet, so sind zur Beseitigung dieses Uebelstandes
nachstehende Bestimmungen für nötig erachtet:
1. Wanderpässe, d. h. Pässe, in welchen weder ein bestimmtes Reiseziel,
noch ein andrer Reisezweck, als der, Arbeit zu suchen, angegeben ist, oder Wander⸗
hbücher, wo solche überhaupt hergebracht sind, dürfen nur solchen Inländern
erteilt werden, welche
a) eine Kunst oder ein Handwerk betreiben, bei welchem das Wandern
allgemein üblich und behufs der Vervollkommnung darin angemessen ist;
völlig unbescholten und körperlich gesund sind, welches letztere, sofern es
irgend zweifelhaft ist, durch ein ärztliches Attest dargetan werden muß;
das 80. Lebensjahr noch nicht überschritten, auch nicht schon vorher fünf
Jahre mit oder ohne Unterbrechung auf der Wanderschaft zugebracht haben;
I außer den erforderlichen Kleidungsstücken nebst Wäsche ein bares Reise⸗
geld von mindestens fünf Taler beim Antritt der Wanderschaft besitzen.
Personen, bei welchen nicht alle diese Erfordernisse vereinigt. sind, können,
auch wenn sonst kein Bedenken obwaltet, nur gewöhnliche Reisepässe erhalten, bei
deren Ausstellung übrigens die bestehenden Vorschriften, namentlich auch hinsichtlich
der Reisemittel, sorgfältig zu beobachten sind.
In den Wanderpässen und Wanderbüchern ist die Dauer ihrer Gültigkeit,
welche einen Zeitraum von fünf Jahren nicht überschreiten darf, auszudrücken.
2. Ausländischen Handwerksgesellen ist der Eintritt in die diesseitigen
Staaten und die Fortsetzung ihrer Wanderschaft innerhalb derselben nur dann
zu gestatten, wenn sie mit einem von einer kompetenten Behörde ihrer Heimath
ausgestellten Wanderbuche oder Wanderpasse versehen sind, nach Ausweis des⸗
selben in den letzten acht Wochen wenigstens vier Wochen gearbeitet haben, auch
alle vorstehend unter Nr. 1 a, b, c und d vorgeschriebene Eigenschaften besitzen,
welche ein Inländer zur Erlangung eines Wanderpasses bedarf, und sich darüber
gegen die erste zur Erteilung von Pässen befugte diesseitige Behörde an der
Grenze, welche das Erforderliche in dem Wanderbuche oder Passe zu vermerken
hat, vollständig auszuweisen.
3. Kann ein ausländischer, übrigens gehörig legitimierter Handwerksgesell
durch unverdächtige schriftliche Beweismittel darthun, daß er von einem das be⸗
treffende Gewerbe selbständig betreibenden Inländer ausdrücklich verschrieben
worden, so ist er zuzulassen, wenn er nur körperlich gesund ist und die erforder—
lichen Reisemittel besitzt, um nach dem pflichtmäßigen Ermessen der Grenz⸗Behörde
ohne Unterstützung an den Bestimmungsort gelangen zu können; doch ist das
Wanderbuch oder der Paß alsdann auch nur nach dem Ort seiner Bestimmung
zu visiren und, sofern die sonstigen Bedingungen nicht vorhanden, die weitere
Fortsetzung der, Wanderschaft im diesseitigen Staate nicht zu gestatten.
)
285 —
4. Der Wandernde, welcher nach obigen Bestimmungen hinlänglich legitimiert
ist, kann zwar die Orte, in welchen er Arbeit suchen will, beliebig selbst wählen,
er ist indes verbunden, der Behörde, welche das Wanderbuch oder den Wanderpaß
ausstellt, oder bei dem Eintritt vom Auslande her, oder auch nach Publikation
dieser Verordnung, im Inlande zuerst visirt, den nächsten Bestimmungsort, von
welchem es bekannt sein muß, daß daselbst das betreffende Gewerbe betrieben
werde, anzugeben, damit sowohl der Bestimmungsort, als auch, wenn dieser über
eine Tagereise entfernt ist, die Route und die wahrscheinliche Zahl der Tagereisen
dahin in dem Wanderbuche oder Passe bemerkt werden.
5. Gleichmäßig muß er bei weiterer Fortsetzung der Wanderschaft der
Polizeibehörde des ersten und jedes folgenden Beftimmungsortes den nächstfolgenden
namhaft machen, und diese hat bei der jedenfalls nöthigen Visirung den von ihm
angegebenen anderweitigen Bestimmungsort, sowie die Route und die wahr—
scheinliche Zahl der Tagereisen zu vermerken.
Von der selbstgewählten Route, welche hiernach aus dem Wanderbuche
oder Passe stets hervorgehen muß, darf der Wandernde nicht abweichen. Will
er den gewählten Bestimmungsort verändern oder eine andre Route einschlagen,
so muß er einer zur Ausstellung von Pässen befugten Polizei⸗Behörde auf dem zuerst
gewählten Wege davon Anzeige machen, damit selbige den Paß unter Angabe der
Route und der wahrscheinlichen Reisezeit nach dem neuen Bestimmungsorte visire.
6. Auch muß der Wandernde, wenn er etwa auf dem Wege Arbeit findet
oder erkrankt — in welchem Falle die Fortsetzung der Wanderschaft vor erfolgter
Genesung gar nicht zu gestatten ist — oder sonst durch besondere Umstände abge⸗
halten wird, die Reise nach dem Bestimmungsorte in der angegebenen Zeit zurück⸗
zulegen, sich bei der betreffenden Orts⸗Polizei⸗Behörde melden, damit diese das
Wanderbuch oder den Paß visire und die Veranlassung sowie die Dauer des
Aufenthalts bescheinige.
7. Wenn der Wandernde im Bestimmungsorte keine Arbeit findet, oder
dergleichen nicht annehmen will, so darf er daselbst nicht über die von der Polizei⸗
Behörde festzusetzende Zeit verweilen, deren Dauer alsdann in seinem Passe oder
Wanderbuche zu bemerken ist. Findet er Arbeit, so ist, wenn er demnächst die
Wanderschaft fortsetzt, bei Visirung des Passes zugleich zu bemerken, wie lange
und bei wem er gearbeitet und wie er sich betragen habe.
8. In folgenden Fällen ist die Fortsetzung der Wanders chaft nicht zu gestatten,
sondern der Wandernde, nach vorgängiger summarischer Erörterung, mittelst be⸗
schränkten Passes und vorgeschriebener Reise-Route, wenn er ein Ausländer ist,
üüber die Grenze, sonst aber an den Ort der Ausstellung des Wanderpasses —
wohin auch der dem Wandernden abzunehmende Paß zu senden ist — zurückzuweisen:
a) wenn er von der aus dem Wanderbuche oder Paß hervorgehenden Route
abgewichen, auf dem Wege oder am Bestimmungsorte über die vor⸗
geschriebene Zeit verweilt hat und den dadurch begründeten Verdacht
eines zwecklosen Umhertreibens nicht zu widerlegen vermag;
wenn er, außer dem Fall einer unverfchuldeten Krankheit, acht Wochen
lang ohne Arbeit gewesen ist, mag die Arbeitslosigkeit übrigens ver—
schuldet oder unverschuldet gewesen sein;
wenn er seine Gewerbsgenossen oder andre Perfonen um eine Unter⸗
stützung angesprochen hat, ohne Rücksicht darauf, ob eine sonstige Be—
strafung stattfindet oder nicht;
286
d) wenn er sich eines Verbrechens schuldig gemacht hat, in welchem Fall
es sich jedoch von selbst versteht, daß er deswegen zuvörderst zur Unter⸗
suchung und Bestrafung zu ziehen ist.
9. Handwerksgesellen, die keine zureichende Legitimations-Documente bei sich
führen, ist das Wandern gar nicht zu gestatten. Wenn sie indes behaupten,
selbige verloren zu haben und solches glaubhaft nachweisen, so sind sie mit einem
beschränkten Passe und vorgeschriebener Reise-Route nach dem Orte zu versehen,
wo das Wanderbuch oder der frühere Paß zuletzt visirt worden, und dort kann
ihnen, wenn sie daselbst gearbeitet haben und sich übrigens vollständig zu
legitimiren vermögen, ein neuer Wanderpaß statt des verlorenen ertheilt werden.
In demselben ist aber der Verlust und die Beschaffenheit des früheren Legitimations—
Documents zu erwähnen, auch das letztere durch das Amtsblatt und wo ein Kreis⸗
blatt erscheint, auch durch dieses für ungültig zu erklären, und die inländische
Behörde, welche dasselbe ausstellt, davon zu benachrichtigen. Ist der Fall aber
nach vorstehender Vorschrift zur Ausstellung eines neuen Wanderpasses nicht
geeignet, so sind dergleichen Handwerksgesellen resp. über die Grenze oder an
den Ort der Ausstellung des verlorenen Wanderpasses zurückzuweisen.
10. Handwerksgesellen, die mit beschränkter Reise-Route zurückgewiesen
werden, dürfen zwar mit Genehmigung der Orts-Polizei-Behörde in den auf ihrem
Wege belegenen Orten in Arbeit treten, sonst aber von der Route nicht ab⸗
weichen, widrigenfalls sie nach den allgemeinen Bestimmungen zu verhaften und
nach dem Ort der Ausstellung des früher besessenen Wanderpasses, sonst aber
nach der Heimath, sofern diese durch Korrespondenz mit den betreffenden Behörden
festgestellt worden, auf den Transport zu geben sind.
11. Handwerksgesellen, welche einmal an den Ort der Ausstellung des
Wanderpasses zurückgewiesen worden, darf erst nach Ablauf von mindestens sechs
Monaten ein neuer Wanderpaß unter den ade1 gedachten Bedingungen erteilt
werden; muß ein solcher Handwerksgesell alsdann wiederum aus irgend einem
Grund zurückgewiesen werden, so ist ihm ein neuer Wanderpaß gänzlich azu ver⸗
sagen und auch ein gewöhnlicher Reisepaß nur mit besonderer Vorsicht, unter
strenger Beobachtung der allgemeinen Vorschriften, namentlich auch hinsichtlich
der Reisemittel, zu bewilligen.
12. Bei dem Antritt der Wanderschaft oder dem Eintritt in das Land ist
jeder Handwerksgesell mit vorstehenden Bestimmungen durch Einhändigung eines
Abdrucks, welcher dem Wanderpaß oder Wanderbuch, wenn er nicht schon damit
verbunden, anzuheften und anzusiegeln ist, bekannt zu machen.
13. Sämtliche Polizei-Behörden haben sich nach vorstehenden Bestimmungen
bei Vermeidung nachdrücklicher Ordnungsstrafen, sowie des Ersatzes der Transport⸗
Kosten für den Fall, daß der Inhaber eines zur Ungebühr ausgestellten oder
visirten Wanderbuchs oder Passes auf den Transport gegeben werden muß, auf
das Genaueste zu achten, auch die Gast- und Herbergs-Wirte, Gewerksmeister usw.
auf dieselben aufmerksam zu machen und mit näherer Anweisung über ihre Mit—
wirkung zur Erreichung des Zwecks zu versehen.
Berlin, den 24. April 1838.
Der Minister des Innern und der Polizei.
(gez.) v. Brenn.
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298
—
Statuten der fremden Zimmergesellen.
Entworfen auf dem Kongreß zu Bremen 1896.
Einleitung: Der Verein soll den Zweck haben, das Reisen der fremden
Zimmergesellen soviel wie möglich zu erleichtern, zu unterstützen, zu fördern und
in handwerklicher Beziehung auszubilden.
81.
Ein jeder fremde Zimmergeselle, welcher hier in Arbeit tritt, ist verpflichtet,
sich binnen 14 Tagen schreiben zu lassen, unterläßt er dieses, so verfällt er in der
dritten Woche in eine Strafe von M. 1,50.
82.
Ein jeder fremde Zimmergeselle bezahlt Einschreibegeld, in Deutschland 308,
in der Schweiz 80 Cts., in Oesterreich-Angarn 25 kr. Dann hat jeder seinen
Geburtsort sowie seine Wohnung genau beim Altgesellen anzugeben. Auch die
Wohnung der Eltern muß angegeben worden, zum Zweck, damit bei einem
Unfall die Angehörigen gleich benachrichtigt werden können.
Der wöchentliche Beitrag beträgt:
Krankengeld Unterstützungsgeld
In Deutschland . .. ........... 20 16
Schweiz ..................... 25 Cts. 20Cts.
ODesterreich-⸗Ungarn .. . . . . . . . . .. 12 kr. 10 kr.
kann jedoch nach dem Stand der Kasse erhöht oder am Krankenbuche erniedrigt
werden.
294
83.
Ein jeder fremde Zimmergeselle ist verpflichtet, binnen 14 Tagen sein Logis
anzumelden, unterläßt er dieses, so verfällt er in eine Strafe von M. 1,50.
84.
Ein jeder fremde Zimmergeselle, der zureist oder in Arbeit steht, hat sich
bei ansteckenden, sowie bei jeder andern Krankheit den ersten Tag sofort beim
Altgesellen zu melden und erhält alsdann vom ersten Tage an sein Krankengeld.
Unterläßt er die Anmeldung, so verliert er jeden Anspruch auf Krankengeld.
Das Krankengeld beträgt: In Deutschland 50 /3 den Tag, in der Schweiz
70 CEts., in Oesterreich-Ungarn 30 kr., und wird auf die Dauer vonn!/ Jahr
ausbezahlt.
Jeder fremde Zimmergeselle hat das Recht, in der siebenten Woche seiner
Krankheit bei der Gesellschaft eine freiwillige Sammlung für sich zu beanspruchen.
Zugereiste, deren Zettel noch nicht über n2 Jahr alt ist, haben dasselbe Recht
wie jeder, der bei der betreffenden Gesellschaft geschrieben ist. Selbstzugezogene
Krankheiten werden auch voll bezahlt.
85.
Ein jeder Fremde ist verpflichtet, alle 14 Tage seine Auflage selbst zu ent⸗
richten. Ueber Land arbeitende haben alle 4 Wochen zu kommen.
Wer seinen Namen in der Fremdenliste streichen läßt und sich nachher
wieder schreiben lassen will, ist verpflichtet, sich von frischem abzufinden, jedoch
ohne Band aufzuhängen. Meldet sich einer einheimisch und will sich wieder
als Fremder schreiben lassen, so bezahlt er M. 1,50 Strafe. Meldet sich einer
einheimisch, so muß er seine drei Jahre voll ausgewandert haben und schulden⸗
frei sein. Jedoch ist zu beachten, daß keiner, der seine Zeit abgereist hat
und länger als ein Jahr in der betreffenden Stadt arbeitet, gezwungen werden
kann, sich einheimisch zu melden oder abzureisen und soll ein jeder, der in einer
betreffenden Stadt zureist und auf dem Dorf Arbeit bekommt, sich soviel wie
möglich in der betreffenden Stadt schreiben lassen.
86.
87.
Jeder fremde Zimmergeselle, der nachweisen kann, daß er das Handwerk
xichtig erlernt hat, kann sich bei jeder Gesellschaft abfinden. Das Abfinden beträgt
Ms, und ist binnen vier Wochen ein Band aufzuhängen an das ehrbare Stuben⸗
— wird. Der Abfindende hat drei Freiklagen.
88.
Die Alt⸗, Buch- und Dosengesellen werden von der Gesellschaft gewählt und
beträgt die Amtsdauer für Altgesellen ein Jahr, Buch- und Dosengesellen je vier
Wochen. Will einer den Posten als Altgeselle annehmen, so muß er sieben Zettel
von verschiedenen Städten vorzeigen, welche von drei aufeinander folgenden
Jahren sind, und muß mindestens ein Zettel vom Ausland dabei sein. Alt⸗ und
Buchgeselle dürfen keine Schulden haben.
89.
Alt- und Buchgeselle müssen jeden Mittwoch und Sonnabend zu einer von
der Gesellschaft bestimmten Zeit auf der Herberge sein.
295
810.
Reist ein fremder Zimmergeselle ab, so muß er einen Zettel vom Logis⸗
wirt, einen vom Herbergsvater und einen vom Geschirrverleiher vorzeigen, sowie
seinen Fremdzettel oder Invalidenkarte, und erhält darauf seinen gedruckten Zettel.
Reist einer mit Schulden ab, so bekommt er einen geschriebenen Zettel, wo seine
Schulden auf bemerkt sind.
8 11.
Ein jeder fremde Zimmergeselle muß einen unsrer Verbindung ent—⸗
sprechenden Anzug tragen. Im Sonntagsanzug ist es erlaubt, daß jeder einen
Schlips nach seinem Geschmack tragen kann, farbige Hüte sind jedoch ausgeschlossen.
812.
Stirb in einer Stadt ein Fremder, so ist ein jeder fremde Zimmergeselle
verpflichtet, dem verstorbenen Kameraden das letzte Geleit zu geben. Hat eine
Stadt nicht die nötigen Mittel, um die Kosten des Begräbnisses zu tragen, so hat
sie das Recht, in andern Städten Sammelbögen zirkulieren zu lassen.
8 183.
Jeder fremde Zimmergeselle sowie auch jeder Junggeselle darf von dem
Gebrauch und Tun der fremden Zimmergesellen nichts ausplaudern zu unbeteiligten
Personen; wird ihm solches nachgewiesen, verfällt er in M. 1,80 Strafe.
814.
Jeder Fremde ist verpflichtet, die erste Nacht auf der Herberge zu schlafen,
und hat der Altgeselle dafür zu sorgen, daß der Herbergsvater die Betten rein
und sauber zu halten hat.
8 15.
Wer auf der Herberge Krach macht, verfällt in eine Strafe von M.8. Ist
der Altgeselle anwesend, so hat er fiür Ruhe und Ordnung zu sorgen. Ist der⸗
selbe nicht da, so hat jeder dem Herbergsvater zu gehorchen.
816.
Jede Gesellschaft ist verpflichtet, bei jeder Abrechnung drei Revisoren zu
wählen, die sämtliche Bücher zu revidieren haben.
817.
Sämtliche Gelder, die auf dem Handwerksaal einkommen, sind vom Alt—
gesellen mit Tinte zu notieren und am Zahlabend in die Kasse zu legen.
818.
Jeder Verheiratete sowie einheimische Fremde können der Kasse ange—
hören. Jedoch bleibt es der Gesellschaft überlassen, diesen Paragraphen anzunehmen.
819.
Jeder Junggeselle, der sich in einer Stadt abfindet, darf binnen drei
Jahren nicht wieder zureisen, sowie auch seine Heimat nicht besuchen. Hamburg,
Altona und Wandsbek, sowie auch Berlin und Spandau sind als eine Stadt zu
betrachten, und muß dieses beim Abfinden dem Junggesellen besonders bekannt
gemacht werden.
820.
Ist ein Fremder nach Hause gereist, ohne seine Zeit abgereist zu haben, so
muß er sich von neuem abfinden, wenn er wieder als Fremder reisen will.
296
821.
Wenn ein fremder Zimmergeselle heimlich abreist und hat Schulden hinter⸗
lafsen, so ist sofort ein Rundreisebrief hinter ihm zu senden.
822.
Läßt sich einer in einer betreffenden Stadt schreiben oder seinen Zettel
ausschreiben, so hat er sich anständig vor dem Handwerkstisch zu bewegen, darf
auch keine Zigarre oder Pfeife dabei rauchen. Vergehen hiergegen wird mit
kleiner Kanne Bier geschlichtet.
823.
Reist ein fremder Zimmergeselle in einer Stadt zu, wo das Buch auf ist,
so hat er vor der Herberge den Rock zuzuknöpfen. Der Berliner ist mit einem
roten Taschentuch zu bedecken. Der Stock kann jedoch in der Hand getragen
werden.
824.
Das Buch in einer Stadt ist nur vom Altgesellen oder Stellvertreter auf⸗
zumachen, und ist dieses sofort den Schiedsstädten, der Revisorstadt und den vier
nächstliegenden Städten mitzuteilen, sowie auch wenn das Buch zugemacht wird,
und sind diese Briefe von sieben Mann zu unterschreiben und zu stempeln.
825.
Jede Gesellschaft hat mit dem Herbergsvater einen Vertrag zu schließen: Im
Falle das Buch zugemacht wird, derselbe die Sachen in Verwahrung nimmt und
die Zugereisten gut beherbergt.
8 26.
Diese Statuten, welche vom Kongreß zu Bremen entworfen sind, müssen
von jeder Gesellschaft anerkannt werden und dürfen dieselben nicht verändert
werden. Sollte eine Gesellschaft oder mehrere die Statuten nicht anerkennen, so
sind die betreffenden Zettel ungültig. Wer sich auf einen solchen schreiben läßt,
verfällt in eine Strafse von M. 1,50, und sind die betreffenden Zettel zu vernichten.
Diese Statuten gelten bis zum nächsten Kongreß.
297
Legitimationszettel aus der Organisation der fremden Zimmergesellen.
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Urkunden aus der deutschen Gewerkssschaftsbewegung
vor Erlass des Soꝛialisstengesetzes.
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(Abgedruckt aus der „Neuen Zeit“ Nr. 1, XV. Jahrgang, 1. Band, 1886/97.)
Werter Herr! London, 13. Oktober 1868.
Wenn Sie keine Antwort auf Ihren Brief vom 185. September erhielten,
so lag die Schuld an einem Mißverständnis meinerseits. Ich verstand den Brief
so, daß Sie mir Ihre „Vorlagen“ zur Einsicht mitteilen wollten. Ich wartete
darauf. Dann kam Ihr Kongreß, und nun hielt ich Antwort — (being much
overworked) — nicht mehr für dringend. Bevor Ihr Schreiben vom 8. Oktober
eintraf, hatte ich bereits wiederholt, in meiner Eigenschaft als Sekretär der
Internationalen für Deutschland, zum Frieden gemahnt. Man hat mir geant⸗
wortet (und dazu Belegstellen aus dem „Sozialdemokrat“ geschickt), daß Sie selbst
den Krieg provozierten. Ich erklärte, daß meine Rolle sich notwendig auf die
des „Unparteiischen“ beim Duell beschränken müsse.
Ich glaube, das große Vertrauen, das Sie mir in Ihren Briefen aus—
sprechen, nicht besser erwidern zu können, als indem ich Ihnen offen, ohne alle
diplomatischen Umschweife, meine Ansicht über die Sachlage mitteile. Ich unter⸗
stelle dabei, daß es Ihnen wie mir nur um die Sache zu tun ist. Ich erkenne
unbedingt die Intelligenz und Energie an, womit Sie in der Arbeiterbewegung
wirken. Ich habe diese meine Ansicht keinem meiner Freunde verhehlt. Wo ich
mich öffentlich auszusprechen habe — im Generalrat der Internationalen Arbeiter—
assoziation und dem hiesigen deutschen Kommunistenverein —, habe ich Sie be—
ständig als einen Mann unsrer Partei behandelt und nie ein Wort über
Differenzpunkte fallen lassen.
Dennoch bestehen solche Differenzpunkte.
D'abord, was den Lassalleschen Verein betrifft, so war er gestiftet in einer
Zeit der Reaktion. Nach fünfzehnjährigem Schlummer rief Lassalle — und dies
bleibt sein unsterbliches Verdienst — die Arbeiterbewegung wieder wach in
Deutschland. Aber er beging große Fehler. Er ließ sich zu sehr durch die unmittel⸗
baren Zeitumstände beherrschen. Er machte den kleinen Ausgangspunkt — seinen
Gegensatz gegen einen Zwerg wie Schultze-Delitzsch — zum Zentralpunkt seiner
Agitation — Staatshilfe gegen Selbsthilfe. Er nahm damit nur die Parole wieder
auf, die Buchez, der Chef des französischen kath olischen Sozialismus, 1848 89q. gegen
die wirkliche Arbeiterbewegung in Frankreich ausgegeben hatte. Viel zu intelligent,
um diese Parole für etwas andres als ein transitorisches pis aller zu halten,
konnte er sie nur durch ihre unmittelbare (angebliche!) practicability rechtfertigen.
— 299
Zu diesem Behufe mußte er ihre Ausführbarkeit für die nächste Zeit behaupten.
Der „Staat“ verwandelte sich daher in den preußischen Staat. So wurde er zu
Konzessionen an das pr. Königtum, die pr. Reaktion (Feudalpartei) und selbst die
Klerikalen gezwungen.
Mit der Buchezschen Staatshilfe für Assoziationen verband er den
Chartistenruf des allgemeinen Wahlrechts. Er übersah, daß die Bedingungen in
Deutschland und England verschiedene. Er übersah die Lektionen des bas empire
über das allgemeine Wahlrecht. Er gab ferner von vornherein — wie jeder
Mann, der behauptet, eine Panaceeé für die Leiden der Masse in der Tasche zu
haben — seiner Agitation einen religiösen Sektencharakter. In der Tat, jede
Sekte ist religiös. Er verleugnete ferner, eben weil Sektenstifter, allen natürlichen
Zusammenhang mit der früheren Bewegung. Er fiel in den Fehler Proudhons,
die reelle Basis seiner Agitation nicht aus den wirklichen Elementen der Klassen⸗
bewegung zu suchen, sondern letzterer nach einem gewissen doktrinären Rezept
ihren Verlauf vorschreiben zu wollen.
Was ich hier post festum sage, habe ich größtenteils dem Lassalle vor⸗
hergesagt, als er 1862 nach London kam und mich aufforderte, mich mit ihm an
die Spitze der neuen Bewegung zu stellen.
Sie selbst haben den Gegensatz zwischen Sektenbewegung und Klassen⸗
bewegung in eigner Person erfahren. Die Sekte sucht ihre raison d'ôtre in
ihrem point d'honneur, nicht in dem, was sie mit der Klassenbewegung gemein
hat, sondern in dem besonderen Schiboleth, das sie von ihr unterscheidet.
Als Sie daher zu Hamburg den Kongreß zur Trade-Unions-Stiftung vor—⸗
schlugen, konnten Sie den Sektenwiderstand nur niederschlagen durch Drohung, die
Präsidentenwürde niederzulegen. Sie waren außerdem gezwungen, Ihre Person
zu verdoppeln, zu erklären, das eine Mal als Sektenhaupt und das andre Mal
als Organ der Klassenbewegung zu handeln.
Die Auflösung der A. D. A. gab Ihnen den (historischen) Anlaß, einen
großen Fortschritt zu vollziehen und zu erklären, zu beweisen, s'il le fallait, daß
nun ein neues Entwicklungsstadium eingetreten und der Augenblick für die Sekten⸗
bewegung reif sei, in die Klassenbewegung aufzugehen und allem „Anerthum“
ein Ende zu machen. Was den wahren Inhalt der Sekte betraf, würde sie ihn,
wie alle früheren Arbeitersekten, als bereicherndes Element in die allgemeine Be⸗
wegung tragen. Statt dessen haben Sie in der Tat die Forderung an die Klassen⸗
bewegung gestellt, sich einer besonderen Sektenbewegung unterzuordnen. Ihre
Nichtfreunde haben daraus geschlossen, daß Sie unter allen Umständen Ihre
„eigne Arbeiterbewegung“ konservieren wollen.
Was den Berliner Kongreß betrifft, so war d'abord die Zeit nicht drängend,
da das Koalitionsgesetz noch nicht votiert ist. Sie mußten sich also mit den
Führern außerhalb des Lassalleschen Kreises verständigen, gemeinsam mit ihnen
den Plan ausarbeiten und den Kongreß berufen. Statt dessen ließen Sie nur die
Alternative offen, sich Ihnen anzuschließen, oder Front gegen Sie zu machen.
Der Kongreß selbst erschien nur als erweiterte Auflage des Hamburger Kongresses.
Was den Statutenentwurf betrifft, so halte ich ihn für prinzipiell ver⸗—
fehlt, und ich glaube, soviel Erfahrung als irgend ein Zeitgenosse auf dem
Gebiete der Trade-AUnions zu haben. Ohne hier weiter auf Details ein—
zugehen, bemerke ich nur, daß die Organisation, so sehr sie für geheime Gesell⸗
schaften und Sektenbewegungen taugt, dem Wesen der Trade-Unions widerspricht.
300 —
Wäre sie möglich — ich erkläre sie tout. bonnement für unmöglich —, so wäre
sie nicht wünschenswert, am wenigsten in Deutschland. Hier, wo der Arbeiter
von Kindesbeinen an bureaukratisch gemaßregelt wird und an die Autorität, an
die vorgesetzte Behörde glaubt, gilt es vor allem, ihn selbständig gehen
zu lehren.
Ihr Plan ist auch sonst unpraktisch. Im „Verband“ drei unabhängige
Mächte verschiedenen Ursprungs: 1. der Ausschuß, gewählt von den Gewerken;
2. der Präsident (eine hier ganz überflüssige Person), gewählt durch allgemeines
Stimmrecht. (In den Statuten der Internationalen Arbeiterassoziation figuriert
auch ein Präsident der Assoziation. Er hatte jedoch in Wirklichkeit nie eine
andre Funktion, als den Sitzungen des Generalrats zu präsidieren. Auf meinen
Vorschlag fchaffte man 1867 die Würde, die ich 1866 ausschlug, ganz ab und
ersetzte ste durch einen Vorsitzenden lehairman], der in jeder Wochensitzung des
Generalrats gewählt wird. Der London Trades Couneil hat ebenfalls nur einen
ehairman. Sein stehender Beamter ist nur sein Sekretär, weil dieser eine
kontinuierliche Geschäftsfunktion verrichtet. INB. Dieser Passus folgt in der
Abschrift des Briefes an Schweitzer nach Beendigung des nächsten Satzes. D. H.);
z. der Kongreß, gewählt durch die Lokalitäten. Also überall Kollisionen, und
das soll „rasche Aktion“ befördern! (Hier nun der Zwischensatz. D. H.) Lassalle
beging großen Mißgriff, als er den „éolu du suffrage universel“ der französischen
Konstitution von 1852 entlehnte. Nun gar in einer Trade⸗Unionsbewegung!
Diese dreht sich großenteils um Geldfragen, und Sie werden bald entdecken, daß
hier alles Diktatortum aufhört.
Indes, welches immer die Fehler der Organisation, sie können vielleicht
durch rationelle Praxis mehr oder minder ausgemerzt werden. Ich bin bereit,
als Sekretär der Internationale den Vermittler zwischen Ihnen und der Nürnberger
Majorität, die sich direkt der Internationale angeschlossen hat, zu spielen — auf
rationeller Grundlage, versteht sich. Ich habe dasselbe nach Leipzig geschrieben.
Ich verkenne die Schwierigkeiten Ihrer Stellung nicht und vergesse nie, daß jeder
von uns mehr von den Umständen als fseinem Wollen abhängt.
Ich verspreche Ihnen unter allen Umständen die Unparteilichkeit (im
Manuskript Unparteiischkeit. D. H.), die meine Pflicht ist. Andrerseits kann ich
aber nicht versprechen, daß ich nicht eines Tages als Privatschriftsteller
— sobald ich es für absolut durch das Interesse der Arbeiterbewegung diktiert
halte — offene Kritik an dem Lassalleschen Aberglauben üben werde, wie ich es
seinerzeit an dem Proudhonschen getan habe.
Indem ich Sie persönlich meines besten Willens für Sie verfichere
Ihr ergebener K. Marrx.
Denkschrift des Zentralkomitees der Sektionsgruppe deutscher Sprache
der Internationalen Arbeiter⸗Assoziation
an den sozialdemokratischen Rongress 2u Eisenach 1869.
(Abgedruckt aus „Der Vorbote“ Nr. 7 von 1860.)
In Erwägung:
daß die Gewerkschaften allein die richtige Form für die Arbeitervereine und
die künftige Gesellschaft überhaupt bieten, und auch die in ihren Kreisen herrschende
Fachkenntnis festen Grund zu einer exakten Sozialwissenschaft legen helfen;
— 301
—&
daß in dem gleichen Maße, als sich die Organisation der Gewerkschaften
vollendet, die gemischten Vereine (wie z. B. der Allgemeine deutsche Arbeiter- und
der Arbeiter-⸗Bildungsverein) ihre Existenzbedingung, und, weil ihre initiative
Mission erfüllt habend, ihre Existenzberechtigung verlieren;
daß aber den tatsächlichen Verhältnissen nicht vorgegriffen werden darf, die
beiden Vereinsarten noch zeitweilig nebeneinander zu bestehen und zu gehen haben, bei
einer gemeinsamen Organisation jedoch den gemischten Arbeitervereinen durchaus keine
Anhaltspunkte zu starrem Festhalten ihrer Stellung geboten werden dürfen, dagegen
der Entwicklung der Gewerkschaften alle Erleichterungen verschafft werden müssen;
daß man es bei bevorstehender Parteiorganisation überdies mit verschieden⸗
artigen, sowohl in politischer als in sozialistischer Beziehung, sehr ungleichmäßig
entwickelten Arbeiterelementen und zwar je nachdem in dem einen und andern
Lande mehr politische Freiheit geboten und das Kleingewerbe noch vorherrschend
ist, zu tun hat;
daß ferner gewissenlose, selbstsüchtige Führer die Arbeiter verschiedener Kreise
auf schlechten Wegen in die Lügen- und Verleumdungsschule geführt und den Haupt⸗
feind vergessen lehrend, gegen ihre Genossen und natürlichen Freunde gehetzt haben
und daß nur die Zeit die übliche Frucht solcher Unkrautssaat völlig ausmerzen kann;
daß, abgesehen von den hierdurch hervorgerufenen gegenseitigen Gehässig⸗
keiten, die leider durch ihre längere Dauer gleichsam die Heiligkeit der Tradition
und Gewohnheit erhielten, die beiden größten Arbeitervereinsgruppen, in politisch-
demokratischer und sozial-ͤkonomischer Beziehung, eine einseitig prinzipiell nicht
ganz übereinstimmende Schulung und Erziehung genaßen und daher durch keinerlei
Organisationsform von heute auf morgen eine gründliche innere Verschmelzung
zu erwarten steht;
daß die ungleichmäßigen und dabei noch sehr beschränkenden Vereinsgesetze
der verschiedenen Staaten Deutschlands der Einheitlichkeit und Gleichmäßigkeit
und somit einer einfachen und gründlichen Organisation noch arg im Wege stehen;
daß die Arbeiterbewegung, als Produkt der sozialökonomischen Zustände,
vermöge ihrer Organisation befähigt sein muß, mit der Entwicklung und Um⸗
gestaltung dieser Zustände immer und überall gleichen Schritt zu halten;
daß die Organisation vorläufig hauptsächlich auf systematische Propaganda
sozialistischdemokratischer Grundsätze abzuzielen und die Volksmassen durch allgemeine
Erkenntnis der Sache zum gemeinsamen Verständnis des Handelns zu bringen hat, und
daß endlich in Erwägung all dieser Gründe die beabsichtigte Partei—
organisation keine definitive Form annehmen darf, sondern einen transitorischen,
stets entwicklungsfähigen Charakter bewahren und vor allem möglichst der Aus⸗
druck der Meinung und des Willens der Gesamtheit der zu vereinigenden Arbeiter⸗
gruppen sein muß, stellt das Zentralkomitee der Sektionsgruppe deutscher Sprache
folgende Anträge:
1. Der Kongreß möge eine Verfassungskommission von etwa 15 Mitgliedern
aus dem Schoße der Gesamtpartei ernennen und dieser Kommission bei ihrer
Arbeit die nähere Prüfung der untenstehenden Sätze zur Annahme in den Ver—⸗
fassungsentwurf empfehlen:
a) Die gemischten, d. h. aus Leuten der verschiedensten Gewerkszweige und
Lebensstellungen zusammengesetzter Vereine, behalten, solange es die
gemeinsamen und besonderen Interessen erheischen und die Umstände
es ermöglichen, ihre bisherige Organisation.
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Die Gewerkschaften, die Grundbestandteile der Parteiorganisation bildend,
haben stetsfort, indem sie sich mit ihren Fachgenossen aller Länder über
ihre speziellen Berufsinteressen verständigen, besondere Zentralsitze gründen,
eine internationale Tendenz zu befolgen, dabei jedoch stets ihre
Bestrebungen mit den Zwecken der allgemeinen internationalen
Regenerationspartei in Uebereinstimmung zu bringen.
Zur Herstellung eines organischen, alle einseitigen Richtungen verhütenden
Wechselverkehrs, zur Wahrung und Förderung der gemeinsamen
Interessen, bilden die Gewerkschaften der verschiedensten Art in Ver⸗
bindung mit den gemischten Arbeitervereinen der einen und selben Stadt
eine gemeinschaftliche, aus Delegierten aller Vereine und Gewerk—
schaften zusammengesetzte Behörde, die sich ihrerseits nach einem besonderen
Reglement, in Kommissionen teilend, geschäftsmäßig konstituiert.
Diese Lokalbehörden sind einer, von den Gewerkschaften und gemischten
Vereinen aller Orte in Urversammlungen gewählten nationalen Zentral⸗
behörde, welcher die intellektuelle und materielle Gesamtleitung und ⸗over⸗
waltung politischer und ökonomischer Art anvertraut ist, untergeordnet.
Die internationalen Zentralsitze (sub b) der respektiven Gewerkschaften,
welchen vornehmlich die Besorgung gewerkssachlicher Geschäfte über—
tragen ist, hat sich in allen politischen und allgemeinen sozialökonomischen
Angelegenheiten an die allein damit beauftragten nationalen Zentral⸗
behörden zu wenden.
Der Wirkungskreis einer nationalen Zentralbehörde wird nicht durch
Staatsgrenzen beschränkt, sondern dehnt sich nach dem Gebrauch der
respektiven Sprache aus.
Jede nationale Zentralbehörde hat (um die sozialistisch-demokratische
partei in ein organisch Ganzes zu verschmelzen) mit dem betreffenden
Zentralkomitee der Internationalen Arbeiterassoziation ihrer Sprache
zu verkehren und wird letzteres Zentralkomitee seinerseits den Geschäfts⸗
verkehr mit dem Generalrate besagter Assoziation, als dem Mittelpunkt
und der obersten Behörde der Arbeiterklasse aller Länder, vermitteln
ind den Gewerkschaften zu ihren Verbindungen nach außen behilflich sein.
Die Feststellung von Rechten und Pflichten der Gewerlschaften und
zemischten Vereine in ihrer Beziehung zur Internationalen Arbeiter⸗
assoziation bleibt einer besonderen gegenseitigen Uebereinkunft verbehalten.
Die Vereinsverfassung kann (vorzusehender Bestimmungen gemäß) jeder⸗
zeit abgeändert und mit neuen Zusätzen vermehrt werden. Im übrigen
ist der Verfassungskommission zu empfehlen, auf die von Karl Hirsch
vorgeschlagene Vereinsorganisation möglichst Bedacht zu nehmen.
Der Kongreß möge einen Ausschuß von fünf bis sieben Mitgliedern er⸗
wählen, dem provisorisch, bis zur Annahme der Verfassung und förmlichen
Konstituierung des Parteivereins die Funktionen sub b bezeichneten nationalen
Zentralbehörde übertragen werden.
3. Der Kongreß möge der im Antrag 1 erwähnten Verfassungskommission
zur Vollendung ihrer Arbeit eine bestimmte Frist von spätestens zwei Monaten
stellen und dieselbe anweisen, alle Vorschläge zum Verfassungsentwurf, die ihr
von den hierzu öffentlich aufgeforderten Arbeiterkreisen eingehen, angemessen in
Betracht zu ziehen.
*
2)
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4. Der Kongreß möge beschließen, den Verfassungsentwurf in besonderem
Drucke zu veröffentlichen und ihn allen bis dahin beigetretenen Vereinen zur
Prüfung vorzulegen und dieselben aufzufordern, etwaige Abänderungsvorschläge
im Verlaufe von weiteren sechs Wochen der Verfassungskommission einzusenden.
Ferner die Verfassungskommission zu beauftragen, diese Vorschläge ebenfalls zu
veröffentlichen und dann nach zwei Wochen auf einem bestimmten Tage allerorts
den Urversammlungen das Ganze zur Annahme oder Verwerfung zu unterbreiten.
5. Vierzehn Tage nach Annahme und Proklamierung der Verfassung eben⸗
falls in Urversammlungen die Behördewahlen vorzunehmen und die Konstituierung
des Vereins zu vollenden.
6. Im Falle der Verwerfung der Verfassung in eben diesen Urversammlungen
die Wahl einer neuen Verfassungskommission anzuordnen und dann wiederum
nach den obigen Anträgen 83, 4 und 53 zu verfahren.
7. Den Verein „Allgemeiner deutscher sozialistisch-demokratischer
Arbeiterverein“ „Bestandteil der internationalen Arbeiter-Assoziation“ zu nennen.
8. Sofort zur Gründung eines, vorerst jede Woche erscheinenden Zeitungs⸗
organs zu schreiten, ihm den Titel: „Der Volksstaat, Organ der sozialistisch⸗
demokratischen Partei“ zu geben und es als Gemeingut des Vereins erklären.
9. Der Kongreß möge eine Redaktionskommission mit dem Auftrage er—⸗
nennen, zwei Proklamationen zu verfassen: die eine an das Proletariat wesentlicher
Schriftarbeit, besonders die Lehrer, und die andre an das landwirtschaftliche
Proletariat, um beiden Klassenteilen in brüderlicher Weise einen guten Anstoß zu
geben, sich in Fachabteilungen zu gruppieren und tatsächlich und förmlich den
allgemeinen Regenerationsbestrebungen anzuschließen.
Genf, den 20. Juli 1869.
Das Zentralkomitee der Sektionsgruppe deutscher Sprache:
Joh. Ph. Becker, Präsident. Th. Remy, Sekretär. Kannenberg, Kassierer.
W. Rau. L. Weiß. E. Jährig. Balz. Fries. Kiem. J. Berger.
Marx über Gewerksgenossenschalten.
(Abgedruckt aus dem „Volksstaat“ Nr. 17 von 18609.)
In einem Aufruf J. Hamanns, des Hauptkassierers der Allgemeinen deutschen
Metallarbeiterschaft, findet sich folgendes: Die Gewerkschaften können und dürfen
nie von einem politischen Vereine abhängig gemacht werden; dies beweist uns zu
deutlich der jetzige Verfall unsrer Gewerkschaft. Dieses ist auch das Urteil des
jetzt noch lebenden größten Nationalökonomen und Schriftstellers Dr. Karl Marr,
des Lehrers von Lassalle, welcher vor kurzer Zeit in Hannover weilte. Auch ich
konnte mich nicht enthalten, den Mann der Wissenschaft persönlich kennen zu lernen
und suchte um eine Unterredung bei ihm nach, um den Rat des großen Forschers
auf sozialem Gebiete und sein Urteil in betreff der Gewerkschaften zu hören. Sie
wurde mir freundlichst gewährt, und Tags darauf begab ich mich mit noch vier
Freunden zu ihm, wo wir dann eine anderthalbstündige Unterredung hatten. Ich
hebe hier nur die Hauptpunkte der Unterredung hervor und halte mich streng
an die Wahrheit.
Meine erste Frage an Dr. Karl Marx war die: Müssen die Gewerkschaften
vorwiegend von einem politischen Verein abhängig sein, wenn sie lebensfähig sein
sollen? Die Antwort war: „Niemals dürfen die Gewerkschaften mit einem politischen
Verein in Zusammenhang gebracht oder von einem solchen abhängig gemacht
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werden, wenn sie ihre Aufgabe erfüllen sollen; geschieht dieses, so heißt das, ihnen
den Todesstoß geben. Die Gewerkschaften sind die Schulen für den Sozialismus.
In den Gewerkschaften werden die Arbeiter zu Sozialisten herangebildet, weil
ihnen da tagtäglich der Kampf mit dem Kapital vor Augen geführt wird. Alle
politischen Parteien, mögen sie sein, welche sie wollen, ohne Ausnahme, begeistern
die Massen der Arbeiter nur eine Zeitlang vorübergehend, die Gewerkschaften hin⸗
gegen fesseln die Masse der Arbeiter auf die Dauer, nur sie sind imstande, eine
wirkliche Arbeiterpartei zu repräsentieren und der Kapitalmacht ein Bollwerk ent⸗
gegenzusetzen. Zu der Einsicht ist die größere Masse der Arbeiter gelangt, daß
ihre materielle Lage gebessert werden muß, mögen sie einer Partei angehören,
welcher sie wollen. Wird nun aber die materielle Lage des Arbeiters gebessert,
dann kann er sich mehr der Erziehung seiner Kinder widmen, Frau und Kinder
hrauchen nicht in die Fabrik zu wandern, er selbst kann seinen Geist mehr bilden,
seinen Körper mehr pflegen, er wird dann Sozialist, ohne daß er es ahnt.“
Die zweite Frage, welche ich vorlegte, war die: Ist es zweckmäßig, wenn
die Gewerkschaft ihr eignes Organ besitzt? Ich führte dann aus, daß wir
allmonatlich unsre Abrechnungen durch Zirkulare veröffentlicht und spezielle An⸗
gelegenheiten, welche das Interesse der Gewerkschaft berührt, zur Verhandlung
gebracht und erörtert hätten, es sei uns aber von verschiedenen Seiten der Vorwurf
gemacht, daß es Ueberhebung, Dünkel sei, ein Verstoß gegen die Organisation und
dergleichen mehr. Die Antwort war folgende: „Es wundert mich nicht, so etwas
zu hören; aber an solche Phrasen müssen Sie sich nicht kehren, gerade das Gewerkschafts⸗
organ ist das Bindemittel, da müssen die verschiedenen Ansichten für und gegen
zur Sprache gebracht werden, es müssen die Lohnverhältnisse in den verschiedenen
Gegenden besprochen, womöglich Arbeitsnachweis in den verschiedenen Branchen
geliefert werden, aber niemals darf es Eigentum einer einzelnen Person sein,
sondern, wenn es seinen Zweck erfüllen soll, muß es Eigentum der Gesamtheit
sein. Die Gründe hierfür brauche ich Ihnen wohl nicht weiter zu erörtern, denn
sie treten so klar zutage, daß es jeder begreifen muß, daß dieses eine der ersten
Grundbedingungen ist, wenn die Gewerkschaften zur Blüte gelangen sollen.“
So das Urteil dieses Mannes, welcher allgemein als die größte Autorität
in der Wissenschaft der Nationalbkonomie anerkannt wird. Sollte jemand diese
Aussage in Zweifel ziehen, so kann er sich direkt an Dr. Karl Marrx, 1. Modena
Villas Maitland Park, London, wenden, indem derselbe erklärte, gern bereit zu
sein, diese seine Aussage zu bestätigen. Schließlich erteilte er uns noch den Rat,
uns niemals an Personen zu ketten, sondern die Sache stets im Auge zu behalten
und danach unser Urteil zu bilden. „Was geht Sie Liebknecht, was Dr. Schweitzer,
was meine Person an, nur die Sache — das ist das Wahre.“
Und dieser Aussage kann ich nur völlig beipflichten. J. Hamann.
Der Allgemeine deutsche Arbeiterkongress.
(Aus dem „Socialdemokrat“ Nr. 103, 104, 105, 106, 107, 108 und 109
vom 4., 6., 9., 11., 13., 16. und 18. September 1868.)
Von den Reichstagsabgeordneten v. Schweitzer und Fritzsche ist bekanntlich
am 27. l. M. nach Berlin ein Allgemeiner deutscher Arbeiterkongreß einberufen
worden, um eine gründliche umfassende Organisation der Arbeiterschaft zum gwecke
der Arbeitseinstellungen oder Streiks ins Leben zu rufen.
J.
305
Dies gibt zu einer ganzen Reihe von Fragen Veranlassung, die wir zu—
sammenhängend nacheinander behandeln wollen. Es ist dies um so mehr nötig,
als auf der Generalversammlung des Allgemeinen deutschen Arbeitervereins (in
den geschlossenen Sitzungen) erhebliche Meinungsverschiedenheiten in betreff mancher
damit zusammenhängenden Fragen aufgetaucht sind.
Die erste Frage, die sich angesichts des erwähnten Aufrufs aufdrängt, ist
wohl diese: „Liegt eine solche Organisation des Streikwesens im Geiste des
sozialistischen Prinzips und insbesondere des Lassalleschen Vorschlages?“
Diese Frage werden wir zunächst behandeln. Bevor wir jedoch zur Er—⸗
ledigung der einzelnen Fragen überhaupt schreiten, müssen wir einen Vorgang
aus der erwähnten Generalversammlung mitteilen, da sonst — besonders bei der
verzögerten Veröffentlichung des Protokolls und des Berichts — irrige Dar—
stellungen in den Kreisen der Vereinsmitglieder in Umlauf kommen könnten.
Als auf Antrag der Braunschweiger Mitglieder die Frage der Streiks zur
Verhandlung kam, ohne daß von Braunschweig ein bestimmter Antrag gestellt
war, brachte Fritzsche folgenden Antrag ein, dessen erster Teil die theoretische,
dessen zweiter Teil die praktische Seite der Sache behandelt:
1. Die Generalversammlung erklärt: Die Streiks sind kein Mittel, die
Grundlage der heutigen Produktion zu ändern und somit die Lage der Arbeiter—
klasse durchgreifend zu verbessern; allein sie sind ein Mittel, das Klassenbewußt⸗
sein der Arbeiter zu fördern, die Polizeibevormundung zu durchbrechen und unter
Voraussetzung richtiger Organisation einzelne soziale Mißstände drückender Art,
wie z. B. übermäßig lange Arbeitszeit, Kinderarbeit und dergl., aus der heutigen
Gesellschaft zu entfernen.
2. Die Generalversammlung beauftragt den Vereinspräsidenten, einen All⸗
gemeinen deutschen Arbeiterkongreß zur Begründung von allgemeinen Gewerk—
schaften zu berufen, die in diesem Sinne wirken.
Ueber den ersten Teil dieses Antrages wurde weniger debattiert; desto
heftiger und andauernder war die Debatte über den zweiten Teil. Das Ergebnis
war, daß der erste Teil ohne Widerspruch angenommen, der zweite Teil mit sehr
schwacher Mehrheit verworfen wurde. Nachdem der Vereinspräsident, der den
Vorsitz führte, daß Ergebnis der Abstimmung verkündet hatte, fügte er die Mit—
teilung hinzu, daß er und Fritzsche beabsichtigen, als Reichstagsabgeordnete einen
Kongreß der gedachten Art zu berufen. Diese Mitteilung führte jedoch abermals
eine heftige Debatte herbei, indem behauptet wurde, diese Erklärung verstoße gegen
den Geist des Beschlusses, durch welchen ein derartiger Kongreß überhaupt ver—
worfen sei. Die Parteidisziplin verbiete dem Präsidenten und jedem Mitglied
die Einberufung eines solchen Kongresses. Von andrer Seite wurde behauptet,
die Generalversammlung habe dem Vereinspräsidenten und den Mitgliedern nur
in dieser Eigenschaft etwas zu verbieten; hingegen könne dieselbe den Genannten
nicht verbieten, in andrer Eigenschaft (z. B. als Reichstagsmitglieder) etwas zu
tun. Hierauf der Vereinspräsident: Dies sei keine richtige Auffassung von Partei—
disziplin. Allerdings könne die Partei jedem ihrer Mitglieder, also auch dem
Vereinspräsidenten, alles untersagen, was sie für die Partei verderblich erachte.
Wer sich solchen Verboten nicht fügen wolle, habe aus der Partei auszutreten;
solange aber einer zur Partei gehöre, habe er sich zu fügen. Allein seine (des
Vereinspräsidenten) Behauptung gehe dahin, daß in dem Beschluß der General—
versammlung kein Verbot liege; dieselbe habe es abgelehnt, von Vereins wegen
Bringmann, Geschichte der Zimmerer.
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diese Sache in die Hand zu nehmen, und daran habe sie vielleicht wohlgetan; sie
habe also dem Präsidenten keine Verpflichtung auferlegen wollen; allein andrer⸗
seits — wie aus dem angenommenen ersten Teil des Antrages hervorgehe —
habe sie durchaus nicht der Streikbewegung sich feindlich entgegenstellen, somit
auch kein Verbot erlassen wollen. Jedenfalls müsse die Frage, ob die General⸗
versammlung durch die Ablehnung des zweiten Teiles des Fritzscheschen Antrages
ein Verbot beabsichtigt habe, zur Debatte gestellt und zur Abstimmung gebracht
werden. Er erkläre aber im voraus, daß, wenn die Generalversammlung ihm
die Einberufung des Kongresses verbiete, er sofort sein Amt niederlegen und aus
dem Verein ausscheiden müsse. Denn er halte es für durchaus nötig, daß die
sozialdemokratische Partei, als das vorgeschrittenste Element unter den Arbeitern,
die Streikbewegung in die Hand nehme. Er stehe an der Spitze der Agitation,
auf gefahrvollem Posten, allen Angriffen ausgesetzt; er könne auf diesem Posten
nicht stehen, wenn er das Bewußtsein habe, daß infolge einer wesentlichen Ver⸗
äumnis die Agitation innerlich lebensunfähig werden könne. Diese Erklärung
führte abermals eine Debatte herbei, indem behauptet wurde, der Präsident übe
einen unstatthaften Druck auf die Generalversammlung aus, wogegen dieser er⸗
klärte, es sei ihm mit dem Rücktritt voller Ernst und es sei sonnenklar, daß es
seine Pflicht sei, dies vorher zu sagen, damit bei der Debatte und Abstimmung
dieser Umstand mit in Berücksichtigung gezogen werden könne. Im Laufe
der nun folgenden Debatte wurde von vielen Seiten bedauert, daß der Vereins⸗
präsident nicht bei der Debatte über den Fritzscheschen Antrag sich beteiligt und
seine Gründe für denselben entwickelt habe; alsdann würde vielleicht das Ergebnis
der Abstimmung ein andres gewesen sein. Der Vereinspräsident gab vollständig
zu, daß hierin allerdings ein Fehler liege; allerdings hätte er, obschon man dann
hielleicht auch über den Druck sich beschwert haben würde, seine Ansicht vorher
entwickeln sollen. Allein wenn er auch zugeben müsse, hierin gefehlt zu haben,
— aufrecht erhalten, daß er jetzt einen beabsichtigten
Rücktritt vor entscheidendem Beschluß der Versammlung mitteilen müsse, damit
nachher keine Unordnung entstehe. Dies wurde denn auch im Laufe der Debatte
von den meisten Rednern als richtig anerkannt. Die ganze Diskussion endete
schließlich damit, daß die Generalversammlung fast einstimmig (nur zwei oder drei
Delegierte stimmten dagegen) ausdrücklich erklärte, mit ihrer Verwerfung des
zweiten Teiles des Fritzscheschen Antrags kein Verbot beabsichtigt zu haben; daß
es somit den Herren v. Schweitzer und Fritzsche freistehe, in ihrer Eigenschaft als
Reichstagsmitglieder oder in sonstiger Eigenschaft den Kongreß zu berufen.
Nachdem die Generalversammlung sich in dieser Weise ausgesprochen, erklärten
privatim sämtliche Anwesenden, die genannten Beiden in Sachen des Kongresses
aufs kräftigste unterstützen zu wollen.
Dies in Kürze der Hergang der Sache.
II.
Ist die beabsichtigte Organisation der Streiks dem sozialistischen Prinzip
und im besondern dem Geiste des Lassalleschen Vorschlages gemäß? Das ist die
erste Frage, die uns entgegentritt.
Fassen wir zunächst den Lassalleschen Vorschlag ins Auge.
Man bezeichnet denselben, wenn man sich kurz ausdrücken will, gewöhnlich
mit den Worten: „Lassalle hat vom Staate Kredit zur Begründung von
Produktiv⸗Assoziationen verlangt.“
Ganz gut! Aber von welchem Staate? Von dem heutigen reakltionären
Staate? Niemals! Vergessen wir nicht, daß Lassalle ausdrücklich erklärt hat, daß
dieser Staatskredit, diese „Staatshilfe“, nur vom demokratischen Volksstaate ver⸗
langt werden kann; von einem Staate, der insbesondere gänzlich auf dem
allgemeinen gleichen und direkten Stimmrecht (selbstverständlich mit Diätenbezahlung)
beruht; von einem Staate, der auf demjenigen allgemeinen Stimmrecht beruht,
welches nicht ein Schein, sondern eine Wahrheit ist, d. h. welchem die andern
Staatseinrichtungen im demokratischen Geiste entsprechen.
Und in der Tat — von einem andern Staate „Staatshilfe“ zu verlangen,
hieße die Reaktion gegen das liberale Bürgertum unterstützen, die Arbeitersache
der Reaktion preisgeben.
Wenn man also in diesem richtigen Sinne den Lassalleschen Vorschlag auf⸗
faßt, so ergibt sich, daß derselbe auf zwei Hauptabteilungen der Agitation
hinweist.
Erstens soll der Staat demokratisiert werden; zweitens soll alsdann von
dem demokratisierten Staate die „Staatshilfe“ erlangt werden.
Man hat sich also zunächst — um im Geiste des Lassalleschen Vorschlages
zu handeln — nach denjenigen Mitteln umzusehen, die geeignet sind, den Staat
zu demokratisieren.
Worin bestehen diese Mittel? Sicherlich nicht in den liberalen Bourgeois—
phrasen, sondern in einer Agitation, durch welche das Volk seine Interessen
erkennen und für dieselben einzustehen lernt; insbesondere aber in Einrichtungen,
durch welche die Masse des Volkes sich gewöhnt, selbständig für die eignen
Interessen aufzutreten.
Kein geeigneteres Mittel aber hierzu gibt es als die Streiks. In den
Streiks steht tatkräftig und in voller Selbständigkeit das arbeitende Volk zu⸗
sammen, um seine berechtigten Forderungen durchzusetzen. Hier wird die wahre
Selbständigkeit begründet. Und hat das Volk sich einmal gewöhnt, im wichtigsten
Punkte der unmittelbaren materiellen Interessen selbständig aufzutreten, so wird
es dies bald in allen Punkten tun; der reaktionäre Bevormundungsdruck und
das Polizeiwesen werden gründlich gebrochen.
Wenn die Streiks keinen andern Nutzen hätten als diesen — selbst dann
müßte man zugeben, daß sie im Geiste des Lassalleschen Vorschlages liegen, es sei
denn, daß man diesen Vorschlag reaktionär statt demokratisch auffaßte.
Allein, es sind noch andre erhebliche Vorteile, und zwar unmittelbar
sozialer Art, welche durch die Streiks errungen werden. Stellen wir auch diese
Vorteile fest.
III.
Einen unmittelbar sozialen Vorteil bringen die Streiks durch Förderung
des Klassenbewußtseins unter den Arbeitern hervor. Wenn der Untergang der
heutigen ungerechten Produktionsweise zugunsten einer gerechten auf agitatorischem
Wege beschleunigt werden soll, so ist vor allem nötig, daß die Arbeiter ihre
Klassenlage erkennen, d. h. daß sie deutlich sehen, wie ihre Interessen denen der
Besitzenden schnurstracks entgegengesetzt sind, woraus dann der feste und ernste
Wille erwächst, dem heutigen Zustande ein Ende zu machen. Die Intelligenz der
Arbeiterklasse kann diese Einsicht zwar auf wissenschaftlichem Wege gewinnen, die
große Masse aber erhält diese Erkenntnis in der Regel nur dadurch, daß sie
praktisch aufgerüttelt wird
308
Zu solcher praktischen Aufrüttlung aber ist nichts geeigneter als die Streiks.
Hier sieht jeder aufs deutlichste, wie der Kampf daraus hervorgeht, daß die
Kapitalisten das Interesse haben, möglichst kleine Löhne zu zahlen und möglichst
lange arbeiten zu lassen, während die Arbeiter umgekehrt das Interesse haben,
möglichst hohe Löhne zu bekommen und möglichst kurze Zeit zu arbeiten. Denn
sie arbeiten ja nur teilweife für sich, insoweit sie durch ihre wertschaffende Arbeit
dem Kapitalisten den Lohn ersetzen: zum andern Teil aber arbeiten sie nicht für
sich, sondern für den Kapitalisten, indem sie den Kapitalgewinn für denselben
erzeugen. Der Kapitalist ist bestrebt, dem Arbeiter vom Lohne möglichst viel ab—
zuzwacken und zugleich den Arbeiter möglichst lange zur Erzeugung von Kapital—
gewinn arbeiten zu lassen. Dies alles wird der Masse der Arbeiter bei Gelegen⸗
heit der Streiks praktisch klar und sie erkennen, daß ihr Interesse dem der
Kapitalisten durchaus entgegengesetzt ist.
Bei den Streiks sieht die Arbeiterschaft zugleich die ganze Verbissenheit,
die ganze Wut und den ganzen Ingrimm, womit die Kapitalisten an ihrem
sozialen Privilegium festhalten und selbst der geringsten, selbst der billigsten
Forderung der Arbeiter sich aufs äußerste entgegenstemmen. Bei den Streiks
wird es der großen Masse der Arbeiter klar, daß der Gegensatz zwischen Kapital
und Arbeit nie auf gemütlichem Wege, sondern nur durch den hartnäckigsten, bis
aufs äußerste geführten Kampf zur Lösung gelangen kann. Dieser Kampf soll
ein gesetzlicher sein; aber auch auf gesetzlichem Wege läßt sich ein Kampf mit
Hartnäckigkeit und Entschiedenheit führen.
Die Streiks sind also ein vorzügliches Agitationsmittel zur Klarstellung
der Sachlage, zur Aufklärung der Masse und dadurch zur Förderung der
Arbeitersache. Unser Ziel ist die Aufhebung der Klassengegensätze; allein das Ziel
kann nur erreicht werden durch einen erbitterten Klassenkampf.
Ein weiterer sozialer Vorteil der Streiks liegt darin, daß die Folgen der
freien Konkurrenz, in welcher die Arbeiter der Willkür des Kapitals hingegeben
find, einigermaßen durch planmäßiges Entgegenwirken der Gesamtheit gemildert
werden. Ist die Arbeiterschaft ohne allen Zusammenhang in sich selbst der freien
Konkurrenz, d. h. der Uebermacht des Kapitals, hingegeben, so sind Einrichtungen,
wie regelmäßige Sonntags- und Nachtarbeit, Kinderarbeit u. dgl., die notwendige
Folge. Durch festes gemeinsames Vorgehen der Gesamtarbeiterklasse läßt sich
zwar nicht das Haupt- und Grundübel, der Gegensatz zwischen Kapital und Arbeit,
und daher die Abhängigkeit der letzteren von dem ersteren aus der Welt schaffen,
läßt sich also nicht der Produktionszustand im großen und ganzen ändern, wohl
aber läßt sich mehr oder minder erfolgreich wenigstens den äußersten Uebelständen
und Auswüchsen entgegenwirken. Dies ist wenigstens dann der Fall, wenn mit
zweckmäßig angelegten und geleiteten Streiks ebenso wie in England eine
Agitation zur Erringung von Gesetzen zum Schutze der Arbeit gegen das
Kapital verbunden wird (z. B. zur Einführung von Gesetzen, welche in allen
Großbetriebswerkstätten und Fabriken nur zehn Stunden wirkliche Arbeit räglich
gestatten, welche die Kinderarbeit verbieten und welche für die ernsthafte Durch⸗
führung solcher Verbote Vorsorge treffen). Kurz, die Organisation der Arbeiter⸗
schaft zum Zweck der Streiks ist geeignet, eine Reihe schreiender Mißbräuche aus
der heutigen Gesellschaft zu entfernen oder wenigstens erheblich zu mindern.
Wir haben uns in den vorstehenden Ausführungen auf das Notwendigste
beschränkt. Wichtig ist, daß man von den Streiks nicht zu viel erwarte; aber
309
gerade wenn die sozialistische Partei bei der Organisation der Streiks wesentlich
beteiligt ist, wird immer dafür gesorgt sein, daß die Arbeiter nicht in den Irrtum
verfallen, von den Streiks mehr zu erwarten als sie leisten können. Das Haupt-—
bestreben der Arbeiter muß immer die Verwirklichung des sozialistischen Prinzips sein.
Wir haben uns in diesem mehr theoretischen Teil unsrer Artikel möglichst
eingeschränkt, um nunmehr zum praktischen Teil derselben überzugehen, indem wir
einige der wesentlichen Gesichtspunkte entwickeln wollen, die nach der Meinung
der Einberufer des Kongresses der ins Leben zu rufenden Organisation zugrunde
gelegt werden sollten.
IV.
Wenn man bei uns die Streiks und was damit zusammenhängt, organisieren
will, liegt die Annahme nahe, man werde im wesentlichen die englischen Trade⸗
Unions nachahmen. Wir sind jedoch der Ansicht, daß man durch solche Nach—
ahmung nicht vollständig den richtigen Weg einschlagen würde.
Die englischen Trade-UAnions sind in langsamer historischer Entwicklung
so geworden, wie sie heute sind. Und dies ist natürlich, weil die englischen
Arbeiter kein Vorbild hatten. In demjenigen Lande, in welchem die Entwicklung
der Produktion allen andern Ländern voraus war, mußte der Gegensatz zwischen
Kapital und Arbeit zuerst in schroffer Gestaltung hervortreten und mußten zuerst
die aus diesem Gegensatz herauswachsenden Bestrebungen und Kämpfe praktische
Gestalt annehmen. Gerade dies aber erklärt alle jene Unvollkommenheiten, die
notwendig einem jeden Stande anhängen, welcher nicht den Schatz vielseitiger
Erfahrungen zu seiner Verfügung vorfindet, sondern diesen Schatz selbst erst
mühsam erringen und zusammentragen muß. Bei solcher langsamer allmählicher
Entwicklung ist es natürlich, daß manches, was von Anfang an nicht ganz
richtig gegriffen war, doch, bevor man dies eingesehen, sich eingelebt und festgesetzt
hat. Die englischen Trade-Unions tragen daher ein Stück jener Unbeholfenheit
und Schwerfälligkeit an sich, welche allen historisch langsam erwachsenen Gemein⸗
wesen eigen ist.
Sicherlich können wir von den englischen Trade-Unions sehr viel zur
Nachahmung lernen; aber in mancher Beziehung können wir auch von ihnen lernen,
welche Einrichtungen man nicht einführen soll. Wir sind in der günstigen Lage,
daß wir unsre Verfassung nach den Grundsätzen der Vernunft und mit allseitigem
Ueberblick der Verhältnisse auf einmal in vollkommener Zweckmäßigkeit hinstellen
können, während man sich in England mit allerlei überbrachten Rücksichten und
Hindernissen hinschleppen muß. Wir sind den englischen Arbeitern gegenüber in
ähnlicher Lage, wie es in betreff der politischen Verfassung die Nordamerikaner
den Engländern gegenüber waren. Ihnen waren durch keine historisch vor—
handenen Einrichtungen die Hände gebunden; sie konnten ganz frei, den Grund—
sätzen der Vernunft und der Gerechtigkeit gemäß und auf Grund der Erfahrungen
andrer, mit einem Male ihre ganze politische Verfassung entwerfen.
Das Hauptsächlichste, was wir von den Trade-Unions lernen können,
besteht in der Erkenntnis, daß die Organisation der Streiks dann gut und richtig
sich vollziehen läßt, wenn zunächst die Arbeiter ein und desselben Geschäftszweiges
oder verwandter Geschäftszweige zu Gewerkschaften zusammentreten, welche
Gewerkschaften dann in einem Gesamtoerbande vereinigt sind. Wir müssen also
zunächst dahin streben, daß diese Gewerkschaften ins Leben treten.
310 —
Hingegen scheint es uns, als ob die Gesamtorganisation und insbesondere
die Einrichtungen der Zentralbehörden des Verbandes in einer einfacheren und
wirksameren Weise hergestellt werden müßten, als dies in England der Fall ist.
Es ist von höchster Wichtigkeit, daß die Entscheidung darüber, ob ein Streik,
bei welchem auf die Unterstützung des Gesamtverbandes gerechnet wird, in einem
gegebenen Falle wirklich stattfinden soll oder nicht — es ist durchaus nötig, daß
die Entscheidung hierüber nicht nur eine auf genaue Sachkenntnis gegründete,
sondern auch eine schnelle ist. Es muß daher einerseits dafür gesorgt werden,
daß in der Körperschaft, welcher die Entscheidung zusteht, alle bedeutenderen
Gewerbszweige vertreten sind und daß zwischen dem Zentralplatz und den ein⸗
zelnen Gegenden Deutschlands die erforderliche Verbindung bestehe; es ist aber
andrerseits nicht minder notwendig, daß diese Verbindung nicht im schleppenden
Geschäftsgange, sondern in jedem einzelnen Falle rasch sich vollziehe und daß ins⸗
besondere auch die Beschlüsse der entscheidenden Zentralkörperschaft mit Schnellig⸗
keit herbeigeführt werden. Die Einberufer des Kongresses werden bestrebt sein,
in ihrer Vorlage Einrichtungen vorzuschlagen, welche die beiden verzeichneten
Erfordernisse in sich vereinigen.
V.
Der Kongreß hat die Aufgabe, in die bisher gänzlich plan- und regellose
Bewegung der Arbeitseinstellungen überlegte Voraussicht und Ordnung einzu⸗
führen. Dazu ist gar vielerlei nötig und das Werk ist verwickelt und schwierig;
möge man sich daher nicht wundern oder den Mut verlieren, wenn es anfangs
auf dem Kongreß und besonders bei den Vorberatungen zu demselben einige Ver⸗
wirrung geben sollte. Allmählich werden schon die Elemente sich gegenseitig ab⸗
klären und wenn es dem Kongreß nur gelingt, ein richtiges Grundgerüst zu er⸗
bauen, so wird sich das Weitere allmählich finden.
Das Wichtigste ist zunächst, in zweckmäßig eingerichteten Gewerkschaften die
erforderliche Grundlage für die Gesamtorganisation zu finden. Es muß dabei
auf Gründung großer Gewerkschaften abgezielt werden; kleine Gewerkschaften von
einigen Hundert Mann oder auch wenigen Tausenden können für die Arbeits⸗
einstellungen, wenn dieselben im großen betrieben werden sollen, gar keine Be⸗
deutung haben. Hieraus folgt, daß in einem einzelnen Gewerbszweig die Arbeiter
nur dann zu einer besonderen Gewerkschaft sich vereinigen sollen, wenn dieser
Gewerbszweig ein sehr umfassender und verbreiteter ist. Daher können z. B. die
Schriftsetzer und Drucker, die Schneider, die Schuhmacher, die Bäcker, die Zigarren—
arbeiter in eignen Gewerkschaften sich vereinigen. Auch die Buchbinder (im weiteren
Sinne) mögen hierher gehören. Hingegen abgesehen von diesen Fällen, wo ein
einzelner Gewerbszweig sehr ausgebreitet ist, müssen sich verwandte Gewerbs—
zweige zu einer einzigen Gewerkschaft vereinigen; so kann z. B. eine Gewerkschaft
der Eisenarbeiter, der Holzarbeiter, der Lederarbeiter usw. gegründet werden.
Sebstverständlich sind immer allgemein deutsche, d. h. über ganz Deutschland sich
erstreckende, nicht lokale Gewerkschaften gemeint.) Eine Hauptsache in den Vor⸗
beratungen zum Kongreß und auch während desselben wird sein, die zu gründenden
Gewerkschaften richtig und zweckmäßig gegeneinander abzugrenzen, was nicht leicht
ist. Sind indessen die Vertreter der verschiedenen Gewerbszweige einmal bei⸗
sammen, können sie sich sowohl untereinander wie mit der Gesamtheit beraten,
so wird auch diese Schwierigkeit glücklich überwunden werden. Jedenfalls wird
dafür Sorge getragen werden, daß während des Kongresses nicht nur allgemeine
311 —
Beratungen, sondern auch Beratungen der Vertreter der einzelnen Gewerbszweige
stattfinden können. Wir machen bei dieser Gelegenheit darauf aufmerksam, daß
die Abgeordneten, wenn sie vollständig an allen Vorberatungen teilnehmen wollen,
schon im Laufe des 25. September, unbedingt spätestens Sonnabend, den 26. Sep⸗
tember, in aller Frühe in Berlin eintreffen müssen. Die ersten Vorberatungen
in engerem Kreis finden bereits Sonnabend vormittag statt.
Den einzelnen Gewerlschaften bleibt es überlassen, ihre Satzungen und
Einrichtungen je nach ihrem Belieben und in Gemäßheit ihrer besonderen Ver⸗
hältnisse zu gestalten. Nur einige Bestimmungen, welche erforderlich sind, um
den Bestand und die rasche und kräftige Wirksamkeit des Gesamtverbandes zu
sichern, werden von dem Kongreß sämtlichen Gewerkschaften auferlegt, d. h. in
die Satzungen des Gesamtverbandes aufgenommen werden müssen, so daß alle
Gewerkschaften, die dem Verband zugehören wollen, diese Bestimmungen anzu⸗
nehmen haben. Da indessen eine möglichst gleichartige Gestaltung der einzelnen
Gewerkschaften, unbeschadet aller Besonderheiten der Einrichtungen, immerhin
wünschenswert ist, kann den Vertretern der einzelnen Gewerbszweige ein Normal⸗
statut (eine Mustersatzung) vorgelegt werden. Zwar kann und wird jede einzelne
Gewerkschaft ihren besonderen Verhältnissen gemäß Abänderungen oder Zusätze
an dieser Mustersatzung anbringen; allein nichtsdestoweniger wird sich, weil doch
die Grundlage, von der alle ausgehen, eine gemeinsame ist, dadurch die wünschens—
werte Gleichartigkeit in der Gestaltung und Einrichtung der einzelnen Gewerk⸗
schaften ergeben.
VI.
Mit der Gründung von allgemeinen deutschen Gewerkschaften kann sofort
vorgegangen werden; dem steht gesetzlich nichts entgegen. Diese Gewerkschaften
können und sollen also auf dem Kongreß endgültig ins Leben treten.
Einige allgemeine Gewerkschaften sind bereits gegründet (z. B. die der
Schriftsetzer und Buchdrucker, der Zigarrenarbeiter, Schneider, Bäcker). Was die
erst zu gründenden betrifft, so ist es zweckmäßig, mit der Gründung nicht schon
vor dem Kongreß an einzelnen Orten vorzugehen, sondern dies erst auf dem
Kongreß selbst zu tun, da bei dieser Gelegenheit Fachgenossen aus ganz Deutsch—
land vereinigt sind. Aber einstweilen können die Versammlungen von Fach⸗
genossen an den verschiedenen Orten sich in Resolutionen für die Gründung
allgemeiner Gewerkschaften aussprechen, wie dies z. B. gestern, Montag, abend
zu Berlin in einer Versammlung der Schuhmacher geschehen ist.
Der Gründung von allgemeinen Gewerkschaften also steht gesetzlich nichts
entgegen. Und auch dies ist gesetzlich erlaubt, daß die sämtlichen Gewerkschaften
sich in einen Gesamtverband vereinigen.
Anders in betreff der Organisation der Arbeitseinstellungen.
Das Koalitionsrecht ist noch nicht gesetzlich erteilt; die Organisation des
Streikwesens kann also vorbereitet und aufs Papier gebracht werden, aber sie
kann erst nach Erteilung des Koalitionsrechts tatsächlich ins Leben treten; es
können auch die einzelnen Einrichtungen geschaffen werden, allein sie können erst
später zu ihrem eigentlichen Zwecke verwandt werden.
Es ist also vollständig zulässig, daß der Gesamtverband einstweilen seine
Behörden und Organe einsetze, eine Kasse einrichte und Gelder ansammle, aber
es ist gesetzlich nicht zulässig, daß diese Behörden, Organe und Finanzkräfte zum
Zwecke von Streiks verwandt werden. Bei alledem ist es aber von hoher
— 312
Wichtigkeit, die ganze Grundlage der künftigen Organisation von Streiks fertig hin⸗
zustellen, denn die Arbeiter werden dadurch den doppelten Vorteil haben, daß sie,
sobald das Koalitionsrecht errungen ist, keine Zeit mit Vorbereitungen zu dessen
Anwendung zu verlieren brauchen und daß sie überdies sofort Geldmittel zur
wirksamen Anwendung des neuen Rechts zur Verfügung haben.
Eine ganz besondere Sorgfalt wird in den Vorlagen, welche die Ein—
berufer des Kongresses diesem vorzulegen gedenken, dem Kassenwesen zugewaudt
sein. Denn das wichtigste Erfordernis ist, daß die Arbeiterschaft allerwärts das
festeste Vertrauen zu der von ihr selbst beschlossenen und geschaffenen Organisation
habe. Dies aber ist nur dann möglich, wenn die Kassenverhältnisse so streng
geordnet und kontrolliert sind, daß jeder die feste Ueberzeugung von der richtigen
und pflichtgetreuen Verwendung der Gelder hat. Und diese Gelder werden
hoffentlich nicht unbedeutend sein. Denn wenn das ganze Unternehmen Lebens⸗
kraft haben soll, muß eine Massenbeteiligung daran stattfinden, so daß der Ver—
band jährlich über Hunderttausende, ja allmählich über Millionen von Talern
zu verfügen hat. Man kann also in betreff der Kassenverhältnisse nicht vorsichtig
und streng genug verfahren.
VII.
Zum Schluß wollen wir die Frage behandeln: warum nicht Lassalle schon
zu Beginn der Arbeiterbewegung auf die Streiks als Agitationsmittel hin⸗
zewiesen habe?
Aus einem zweifachen, sehr triftigen Grunde ist das nicht geschehen.
Man kann durch öffentliche Agitation jederzeit bestimmte Ideen und Prin—
zipien in das Volk hineinwerfen; man kann hierdurch, wenn diese Ideen und
Prinzien richtig begriffen sind, jederzeit die Klärung der Köpfe und dadurch das
Voranschreiten der Gesellschaft fördern; aber man kann nicht zu jeder Zeit
Erscheinungen hervorrufen, welche bestimmte soziale Bestimmungen zur Voraus-—
setzung haben. Man kann also wohl jederzeit, wenn die Gesetze nämlich über⸗
haupt eine öffentliche Agitation gestatten, soziale Fragen zur Verhandlung im
Volke bringen; aber man kann nicht Arbeitseinstellungen machen, wenn diese sich
nicht von selbst machen. Denn diese sind an gewisse soziale Bedingungen geknüpft
und verlangen einen äußeren Anstoß bestimmter Art (z. B. Erlaß beleidigender
Fabrikordnungen), sie gehen naturgemäß aus dem Innersten der Arbeiterklasse
selbst hervor.
Allein dies ist nur die untergeordnete Seite der Sache. Worauf es eigent—⸗
lich ankommt, ist dies:
Es wird einem Sozialdemokraten nie in den Sinn kommen, Arbeits⸗
einstellungen organisieren und als, Agitationsmittel benutzen zu wollen, wenn
diese Arbeitseinftellungen nicht von selbst da sind. Denn der Sozialist ist der
Ansicht, daß es besser wäre, ganz direkt aufs Ziel loszugehen — aufs Ziel: den
Staat unter die Bestimmung der Arbeiterklasse zu bringen, die ihrerseits nichts
andres tun könnte, als die Klassengegensätze aufzuheben.
Allein jedes Ding will seine allmähliche Entwicklung haben, die man zwar
beschleunigen, deren einzelne Stadien man aber nicht geradezu überspringen kann.
Mögen wir Sozialisten, die wir unser Prinzip bis zu Ende gedacht haben, zehn⸗
mal wissen, daß es darauf ankommt, die gesamten Grundlagen der heutigen
Gesellschaft umzuändern, mögen wir zehnmal wissen, daß die Streiks und über⸗
haupt jegliches auf Grundlage des heutigen ökonomischen Zustandes sich bewegende
313 —
Mittel nie geeignet sein kann, die heutige Gesamtproduktionsweise umzustoßen,
mögen wir dies alles zehnmal wissen, wir können nicht bewirken, daß die Arbeiter—
klasse in ihrer großen Masse das alles sofort ebenso einsieht. Vielmehr gewinnt
sie nur auf dem Wege der Streiks und der damit zusammenhängenden Organisation
allmählich das volle Klassenbewußtsein. Daß es so ist, mögen wir bedauern,
aber es ist so.
Darum steht die Frage nicht also: Sollen wir Streiks hervorrufen und
organisieren? Sondern sie steht so: Da Streiks da sind und unfehlbar auch fürder
kommen werden, sollen wir die Organisation derselben andern überlassen oder
dieselbe selbst in die Hand nehmen?
Es bedarf keiner Ausführung, daß die Streiks, wie alles, was die Arbeiter
machen, nur dann wirklich vorwärts führen können, wenn das fortgeschrittenste
Arbeiterelement, die sozialistische Partei, alles, was geschieht, mit ihrem Geiste
durchdringt.
Zu Lassalles Zeit gab es in Deutschland keine Arbeitseinstellungen (von
ganz vereinzelten Fällen abgesehen); warum hätte er sie hervorzurufen bestrebt
sein sollen?
Heute aber haben wir die Streiks überall und werden sie noch stärker
haben. Soll diese Bewegung regellos sich verlaufen oder soll sie vernünftig
organisiert werden? Und wenn letzteres, sollen die Herren von der Selbsthilfe
oder Halbsozialisten diese Organisation begründen, um sie ihren Zwecken oder
ihren unklaren Vorstellungen dienstbar zu machen?
Nein! Unsre Pflicht ist es, diese Organisation zu begründen. Dann wissen
wir wenigstens, daß sie im Geiste der Arbeitersache eingerichtet sein werde.
Unsre Ziele sind klar und fest und unsre Mittel zum Ziele — jeder kennt
sie. Die Streiks sind in erster Linie nicht unter diesen Mitteln.
Wenn wir trotzdem uns mit denselben befassen, so sind wir dazu genötigt,
weil die tatsächlich vorhandenen Streiks, falsch geleitet, ein Mittel würden, die
Arbeiterbewegung aufzuhalten, während sie, richtig geleitet, dieselbe fördern
können — nicht zwar so zu fördern, wie die Agitation des Allgemeinen deutschen
Arbeitervereins es tut, aber doch immerhin fördern.
Die englischen Arbeiter wären unendlich weiter gekommen, wenn ihre
Gewerkschaften (Trade-Unions) von Anfang an vom sozialistischen Geiste durch—
drungen gewesen wären, während dieser Geist sich erst allmählich entwickelt hat.
Bei uns werden die Gewerkschaften von Anfang an sozialistisch sein und gerade
dadurch den sozialistischen Geist in der Gesamtarbeiterschaft mächtig fördern.
Bei dieser Gelegenheit wollen wir nicht verfehlen, vor einem großen Miß⸗
verständnis zu warnen. Diejenigen verstehen Lassalle falsch, die da meinen, es
könne und dürfe nichts gemacht werden, was er nicht selbst bereits gemacht habe.
Die so denken, vergessen, daß Lassalle mitten aus seiner Agitation durch jähen
Tod abgerufen wurde und daß, hätte er diese letzten Jahre erlebt, er noch manches
Neue gemacht haben würde, wovor den Gegnern gegraut hätte. Jede praktische
Agitation ist an die obwaltenden Verhältnisse gebunden und so auch die unsre.
Wenn Lassalle selbst nicht mehr die begonnene Agitation durch neue Einrichtungen
weiter fördern kann, so haben wir es in seinem Geiste zu tun.
Der Geist Lassalles aber, so hoffen wir, wird über dem bevorstehenden
Kongreß schweben. Nur wenn dieser Geist in ihm waltet, wird er zum guten
führen — dann aber auch gewiß.
314 —
Die burgerliche Presse ũber die Gewerkschaftsbewegung 1868.
(Abgedruckt aus dem „Sozialdemokrat“.)
Erster Artikel der „Norddeutschen Allgemeinen Zeitung“.“
Berlin, den 83. September 1868.
Die Organisation der Arbeiterpartei nach dem Vorbilde der englischen
Trade-Unions, wie sie die Reichstagsabgeordneten Herren Schweitzer und
Fritzsche als Aufgabe des von ihnen für den laufenden Monat nach Berlin
berufenen Arbeiterkongresses in Aussicht genommen haben, dürfte vielleicht, da—
fern die Organisation zustande kommt, den permanenten Ableugnern der Existenz
einer sozialen Frage die Augen öffnen, oder doch wenigstens in weiteren Kreisen
den Glaͤuben an dies negative Dogma einer wirtschaftlichen Doktrin einiger⸗
maßen erschüttern.
Denn die Arbeitseinstellungen an sich, ganz abgesehen von ihren etwaigen
Resultaten, sind die deutlichsten und erkennbarsten Symptome der sozialen Krank⸗
heit, und man wird aus dem häufigeren und intensiveren Auftreten dieser
Symptome einen ziemlich sicheren Rückschluß auf den Grad der sie veranlassenden
Krankheit ziehen können, sobald man erwägt, daß die streikenden Arbeiter ihre
gesamte wirtschaftliche Existenz durch die Beteiligung an einer Arbeitseinstellung
auf das Spiel setzen, im allgemeinen also nicht ohne wirkliche Ursache zu einem
derartigen Mittel greifen werden.
Nun sind in Deutschland die Streiks bislang zwar ohne wesentliche Erfolge,
im allgemeinen sozusagen im Sande verlaufen, da sie einesteils vereinzelt in
einem einzelnen Etablissement aufgetreten sind, andernteils aber es den Arbeitgebern
im allgemeinen nicht schwer fiel, die ausscheidenden Arbeiter durch neu gewonnene
zu ersetzen. Eine eigentliche Geschäftsstockung in größerem Umfange ist bislang
bei uns nicht die Folge der Streiks gewesen.
Man wird aber bezweifeln müssen, daß der bisherige gelinde Verlauf der
Streiks auch dann der regelmäßige bleiben werde, wenn die von dem bevor⸗
stehenden Kongreß in Aussicht genommene Organisation der Streiks zustande
kommt und wenn überhaupt erst die Arbeiter die volle Tragweite des ihnen
gegenwärtig noch neuen Koalitionsgesetzes begriffen haben werden.
Zuvörderst sollen nämlich nach der Ansicht der den Kongreß berufenden
Herren die Arbeiter der einzelnen Geschäftszweige nach dem Vorbilde der Trade—
Unions sich zu Gewerkschaften vereinigen.
Diese Gewerkschaften werden, wie wir annehmen, durch einen gewählten
Ausschuß von verhältnismäßig wenigen Personen geleitet und diesem Ausschusse
wird es nicht schwer fallen, eine bedeutende Autorität sich zu erwerben.
Glauben nun die der Gewerkschaft an irgend einem Orte angehörenden
Arbeiter Grund zur Unzufriedenheit zu haben und möchten sie zur Hebung der⸗
selben einen Streik versuchen, so werden sie das nunmehr nicht, wie früher, allein,
sondern nur unter Zustimmung des die Gewerkschaft leitenden Ausschusses tun,
welcher, wenn er den Beginn des Streiks für nützlich oder notwendig hält, auch
in sämtlichen benachbarten Ortschaften von den der Gewerkschaft angehörenden
Arbeitern die Arbeit einstellen lassen wird.
* Offiztöses Blatt, das von der Regierung als Ablagerungsstelle für solche Meinungs⸗
außerungen benutzt wird, für welche die Regterung selbst die Verantwortung nicht übernehmen mag ˖
—— 315 —
Wahrscheinlich werden auch die einzelnen Gewerkschaften wieder unter⸗
einander in einer gewissen Verbindung stehen, vielleicht findet sogar eine Art von
Oberleitung statt, so daß es, mag nur das letztere der Fall sein, mwöglich ist, nach
einem bestimmten Plane die Arbeitseinstellung auch auf andre Arbeitszweige
auszudehnen und daher mit einem Schlage in einem größeren Distrikte plötzlich
einen mehr oder weniger vollständigen Stillstand der Arbeit hervorzurufen.
Teils die Verbindung der einzelnen Gewerkschaften untereinander, teils
der Anschluß an die Internationale Arbeiter-Assoziation sichern den streikenden
Arbeitern mutmaßlich für eine nicht unbedeutende Zeit Zuschüsse, welche genügend
sind, während des Streiks ihre Existenz zu erhalten.
Was wird nun der Erfolg einer derartig organisierten Arbeitseinstellung
sein, der Erfolg, welcher sozusagen auf der Hand liegt? Nun, ohne Zweifel
wird der Industrie des betreffenden Bezirks ein empfindlicher Schlag zugefügt;
denn wenn die industriellen Etablissements desselben auch nur für einen Monat
zu feiern gezwungen sein sollten, so wird das bei der lebhaften Konkurrenz, die
überall stattfindet, ein Schaden sein, den vielleicht die erfolgreiche Arbeit eines
ganzen Jahres kaum wieder ausgleicht, und der industriellen Entwicklung des
Bezirks werden die Folgen des allgemeinen Streiks daher noch lange in empfind⸗
licher Weise sich bemerkbar machen.
Ob dabei der Streik den Arbeitern Vorteile gebracht hat, ist in dieser
Beziehung ganz einerlei, die Beschädigung der Industrie liegt jedenfalls vor.
Aber die Folgen solcher organisierten Streiks beschränken sich nicht auf
diesen einzelnen Umstand, der vielleicht Privatsache der Beteiligten, der Arbeitgeber
und Arbeitnehmer, genannt wird.
Erster Artikel der „National-Zeitung“.“
Auch der deutschen Industrie werden die schweren Nachteile nicht erspart
bleiben, welche die natürlichen Vereinigungen und die künstlich angeregten Arbeits—
einstellungen in Aussicht stellen. Die jetzigen Versuche der Arbeiter an einzelnen
Hauptsitzen der Fabrikation sind wohl nur Vorspiele zu den Bewegungen, welche
wir zu erwarten haben, sobald dieselben nicht mehr bloß geduldet, sondern ge—
—
länger zögern, die letzte Schranke niederzureißen, und die Industrie selbst muß,
gerade weil sie unmittelbar und mit ihren materiellen Interessen bei dem Verlauf
der Krise beteiligt ist, auf das eifrigste dahin wirken, daß den allseitig andrängenden
Kräften freie Bahn verschafft werde. Statt in müßigen Besorgnissen sich zu ergehen,
muß Hand angelegt werden, um den Abschluß der bevorstehenden Periode zu
befördern, und wenn die Krise nicht ohne erheblichen Schaden durchgemacht
werden kann, so darf man vor dem Schaden nicht zurückschrecken. Es ist viel
darüber gestritten worden, ob in irgend einem Falle die massenhaften und an⸗
dauernden Arbeitseinstellungen den Arbeitern zugute kommen oder ob sie nicht
vielmehr mit den größten Rachteilen für diese selbst verbunden seien. Es hilft
durchaus nicht, diesen Streit theoretisch auszutragen, die Arbeiter werden um den
Ausgang der wissenschaftlichen Forschung sich wenig kümmern. Sie wollen an
sich selbst erfahren, wie weit ihre Kräfte reichen, und am leichtesten schmeichelt sich
bei ihnen der Rat derjenigen ein, welche versichern, daß sie bloß zu wollen
brauchen, um ihre Lage nach ihrem Wunsche zu gestalten.
*Damals das Hauptorgan der Nationalliberalen Partei.
— 316 —
Die Versuche lassen sich nicht aufhalten, auch die unberechtigten nicht, aber
wir sind weit entfernt, an diese unvermeidlichen Vorgänge irgend eine ernste
Besorgnis zu knüpfen; auch hoffen wir nicht, daß auf diesem Wege die allgemein
gestellte Frage über das Verhältnis zwischen Kapital und Arbeit auf eine be—
friedigende Weise werde gelöst werden. Wir erblicken in den Arbeitseinstellungen
nur ein Stadium der gesellschaftlichen Entwicklung, welches naturgemäß verlaufen,
seinen Höhepunkt erreichen und sodann für immer, oder doch für eine geraume
Zeit, abgeschlossen sein wird. In England, dem Lande der altbewährten Freiheit
des Vereinswesens, hat die Drangperiode früher begonnen, hat dort die mannig⸗
fachsten Erscheinungen zutage gefördert, viel Unheil angestiftet, aber die Industrie
ist darüber nicht zugrunde gegangen. Keine Methode ist denkbar, welche nicht
in England bereits angewendet worden wäre und kaum irgend eine Verirrung
ist umgangen worden. Die roheste Gewalt ist zum offnen Ausbruch gekommen;
das Verbrechen hat jahrelang heimlich gewütet; auf der andern Seite haben
die englischen Arbeiter in den schweren Kämpfen mit den Arbeitgebern auch
Zeugnisse eines wahrhaft edeln und großartigen Sinnes abgelegt. Es ist erhebend,
wahrzunehmen, zu welchen Opfern die Beschäftigten sich bereit finden ließen, um
ihren feiernden Gefährten zu Hilfe zu kommen und die Gemeinsamkeit des Interesses
aufrechtzuerhalten. Oft bis zum vierten Teil des Lohnes wurde in die gemein⸗
same Kasse eingeschossen, aus welcher die andern Tausende den notdürftigsten
— eigentümlichen Zähigkeit
wurden die Beisteuern und Entbehrungen in einzelnen Branchen monatelang
gleichmäßig ertragen. Nach allen diesen Mühen und Anstrengungen beginnt dort
soeben der Rückschlag: An den Tatsachen selbst belehrt, kommt die Masse der
Arbeiter selbst zur Einsicht, daß der Krieg zwischen den sonst gemeinsamen
Interessen ein unnatürlicher ist, daß auf dem Wege der Gewalt keine unwögliche
Leistung sich abtrotzen, das Erreichbare aber müheloser auf dem Wege der
friedlichen Ausgleichung sich erreichen läßt.
Dort, wo die großartigsten Experimente mit den großartigsten Mitteln
gemacht wurden, sind die Tage der Streiks gezählt, wenn nicht ganz vorüber.
die englische Industrie hat unter den Experimenten viel gelitten, aber sie ist nicht
unheilbar beschädigt worden. Auf gleiches müssen wir uns auch in Deutschland
gefaßt machen. So wenig, wie wir in der Politik die Fehler vermeiden, deren
Folgen das Nachbarland schwer gebüßt hat, ebensowenig werden wir auch auf
dem sozialen Gebiete an fremdem Schaden klug werden. Das liegt einmal in der
menschlichen Natur, daß jeder an seiner eignen Haut die Erfahrung machen
will, und wie den einzelnen Menschen, so geht es den Nationen. Nur das eine
dürfen wir hoffen, daß das im fremden Lande gegebene Beispiel nicht ganz ver⸗
loren gehen und eben um deswillen eine Krise bei uns schneller verlaufen wird.
Auch ist die Verschiedenheit des Nationalcharakters nicht außer acht zu lassen.
Wir haben keine Akte barbarischer Gewalt zu fürchten, und werden auch einzelne
Ausschreitungen nicht ausbleiben, so werden sie doch nicht auch nur annähernd
bis zu der wilden Roheit ausarten, welche von England aus die zivilisierte Welt
mit Entsetzen erfüllt hat. Auf der andern Seite trauen wir dem deutschen
Arbeiter auch nicht zu, daß er zu gleich großen Opfern, wie der englische, sich
entschließen werde, ohne über den Zweck derselben reiflich nachzudenken und das
kostspielige Experiment allseitig zu prüfen. Dann aber wird die allgemeiner ver⸗
hreitete Schulbildung zu Hilfe kommen, und der deutsche Arbeiter wird, sobald er
— 317
zum Bezahlen und Dulden aufgerufen wird, nicht lange im blinden Glauben
verharren. So dürfen wir erwarten, daß man bei uns zu Lande schneller den
Weg der gütlichen Verständigung finden werde; aber gänzlich vermeiden läßt sich
die Periode der Arbeitseinstellungen nicht.
Zweiter Artikel der „Norddeutschen Allgemeinen Zeitung“.
Berlin, den 4. September.
Wir haben im gestrigen Artikel als die erste unmittelbare Folge, welche
aus der von den Herren Schweitzer und Fritzsche in Aussicht genommenen Organisation
der Arbeitseinstellungen hervorgehen werde, die Schädigung der Industrie in den
von Streiks betroffenen Distrikten bezeichnet.
In dieser Anschauung befinden wir uns in voller Uebereinstimmung mit
der hiesigen „National-Zeitung“, welche sagt: auch wir müssen uns darauf gefaßt
machen, daß unsre Industrie unter den organisierten Streiks viel leidet. Weil
aber die englische Industrie nicht „unheilbar geschädigt worden ist“ durch die
großartigen mit den großartigsten Mitteln gemachten Anstrengungen der Trade⸗
Unions, so glaubt das Blatt an dem alten Wahlspruch des „laissor fairo“ fest⸗
halten zu dürfen und fordert nach wie vor die Niederreißung der letzten Schranke,
welche den Arbeitseinstellungen noch entgegenstehe.
Wir stehen nicht an, dieser fast katonischen Konsequenz der „Nat.⸗Ztg.“
beinahe eine gewisse Bewunderung zu zollen, um so mehr, da das Blatt im
Hinblick auf das vorliegende englische Beispiel über die jetzt auch bei uns zum
Muster genommenen dortigen Organisation der Streiks selbst sagt:
„Keine Methode ist denkbar, welche nicht in England bereits angewendet worden
wäre, und kaum irgend eine mögliche Verirrung ist umgangen worden. Die roheste
Gewalt ist zum Ausbruch gekommen, das Verbrechen hat jahrelang heimlich gewütet.“
Damit ist zugleich die zweite weit schwerere Folge dieser organisierten
Streiks bezeichnet, welche in England tatsächlich zur Erscheinung gekommen ist
und daher auch bei uns zur Erscheinung jedenfalls kommen kann.
Vor dieser Möglichkeit schwindet allerdings unsre Bewunderung der
Konsequenz und verwandelt sich unwillkürlich in das Gefühl, diese ganze Doktrin,
wesche in den Worten „laisser aller“ ihren Ausdruck findet, sei im Grunde
genommen nichts andres als die in eine wissenschaftliche Formel gebrachte
Gleichgültigkeit gegen die Lebensinteressen einer bestimmten Klasse von Mitbürgern.
Oder mit welchem andern Worte würde man es bezeichnen, wenn man,
einen blutigen Krieg und seine Opfer vor Augen, statt mit allen Kräften der
Erhaltung des Friedens sich zu widmen, kühl bis ins Herz hinein gelassen sagen
wollte: „laisser aller“ — auch England hat viel durch Kriege gelitten, eine
unheilbare Beschädigung aber hat nicht stattgefunden.
Oder wäre diese Vergleichung etwa eine falsche? „Die Ausbrüche rohester
Gewalt, das jahrelang heimliche Wüten des Verbrechens“ sind das — und wir
gebrauchen die eignen Worte der „Nat.Ztg.“ — sind das etwa Dinge, die mit
den Drangsalen eines Krieges nicht verglichen werden dürfen? Ja, selbst die
Kehrseite der Medaille, welche der „Nat.Ztg.“ gleichfalls nicht entgangen ist,
die Opfer, welche die beschäftigten Arbeiter zugunsten der Streikenden sich auf⸗
erlegt haben, diese Opfer, so groß, daß, wie wiederum die „Nat.⸗Ztg.“ selbst sagt:
„oft der vierte Teil des Lohnes in die gemeinsame Kasse eingeschossen wurde,
aus der Tausende den notdürftigen Unterhalt während des Streils bezogen“ —
318
diese fast bis zur Hungersnot sich steigernden Entbehrungen, welche durch die
Organisation der Streiks sowohl die in Arbeit bleibenden als die streikenden
Arbeiter betreffen, sind sie, ethisch betrachtet, so gleichgültig und in praktischer
Beziehung so gefahrlos, daß man sagen darf: „laisser faire“?! Auch in England
sind Arbeitgeber und dem Streik sich nicht anschließende Arbeiter totgeschlagen,
auch in England hat der Arbeiterstand diese Entbehrungen ertragen, „es liegt
einmal in der menschlichen Natur, daß jeder an seiner eignen Haut die Erfahrung
machen will, und wie den einzelnen Menschen, so geht es den Nationen“!
Freilich sucht der Bourgeois sich einzureden, bei uns werde es nicht so
schlimm werden wie in England.
„Wir haben (schreibt die „Nat.“Ztg.“ zur Beruhigung ihrer Leser, denen
doch schließlich bei den Konsequenzen dieser Doktrin des „laisser aller“ etwas
ängstlich werden möchte), keine Akte barbarischer Gewalt zu fürchten, und
werden auch einzelne Ausschreitungen nicht ausbleiben, so werden sie doch
nicht auch nur annähernd bis zu der wilden Roheit entarten, welche von
England aus die zivilisierte Welt mit Entsetzen erfüllt hat.
Und warum haben wir keine Akte der Gewalt zu fürchten? Wegen der
Verschiedenheit des Nationalcharakters!“
So die „Nat.-Ztg.“, und hier können wir unsrer Bewunderung freien
Lauf lassen, denn noch niemals, glauben wir, dürfte eine allgemeine nichtssagende
Redensart wie die von der Verschiedenheit des Nationalcharakters als ausreichende
Beruhigung der durch die Tatsachen in England begründeten Befürchtung von
Mord, Totschlag oder Hungersnot geboten sein.
Weiß denn die „Nat.-Ztg.“ nicht, daß die Verschiedenheit des National⸗
charakters völlig verschwindet, wenn der Fanatismus, vielleicht gar durch leibliche
Not gesteigert, sich der Massen bemächtigt? In solchen Zuständen — und wir
können uns auf das Beispiel aller Revolutionen bei den verschiedenen Nationalitäten
berufen — verschwindet das Nationale; was uns entgegentritt, das ist der Mensch
unter der Herrschaft der Leidenschaft. Nicht wir, der Kreisrichter außer Dienst,
Herr Schulze, hat einmal, wie wir in das Gedächtnis der „Nat.Ztg.“ zurück—⸗
rufen möchten, den Ausspruch getan: „Entfesseln Sie die Bestie nicht!“
Schließlich hofft die „Nat.-Ztg.“ auf die bei uns allgemein verbreitete
Schulbildung! Du lieber Gott, als ob nicht selbst hochgebildete Männer, für
eine Idee phantasiert, die Welt mit Greueltaten erfüllt hätten — und diese Schul⸗
bildung, die bei uns der Arbeiter als Knabe erhalten hat, die soll der Zügel
sein, welcher die Leidenschaft lenkt, wenn Hungernde nach Brot schreien.
Nein, die Arbeitseinstellungen im Zustande der Organisation, mit ihren
Verbrechen und mit ihrer Not, sie sind der Spiegel, welchen die Tatsachen der
Bourgeois-Oekonomie entgegenhalten. Die wirtschaftliche Welt steht unter dem
Gesetze dieser Doktrin, die freie Konkurrenz regelt nach Herzenslust; Arbeits⸗
einstellungen mit Mord, Brandstiftung und Hungersnot sind die Resultate dieser
Regelung — aber eine soziale Frage gibt es trotz alledem nicht!
Zweiter Artikel der „National-Zeitung“.
Die „Nordd. Allg. Ztg.“, Erfinderin der streikenden Arbeiter, der preußischen
Zeitungswriter (sprich: Zeitungsreiter und denke Dir Zeitungsschreiber) hebet also an:
„Die Organisation der Arbeiterpartei nach dem Vorbilde der englischen
Trade-Unions, wie sie die Reichssstagsabgeordneten Herren Schweitzer und
319
Fritzsche als Aufgabe des von ihnen für den laufenden Monat nach Berlin be—
rufenen Arbeiterkongresses in Aussicht genommen haben, dürfte vielleicht, dafern
die Organisation zustande kommt, den permanenten Ableugnern der Existenz
einer sozialen Frage die Augen öffnen oder doch wenigstens in weiteren Kreisen
den Glauben an dies negative Dogma einer wirtschaftlichen Doktrin einigermaßen
erschüttern.“
Gegen Leute also wird hier zu Felde gezogen, welche das negative Dogma
angenommen haben, die existence der sozial Frage permamently ableugnen. Indeed,
es gibt odd fellows in der Welt. Sozial Frage, ist sie erst nach der Geburt des
editor der „Nordd. Allg. Ztg.“ zur Welt gekommen?“ O nein, sie war schon
den alten Griechen und Römern bekannt; vgl. Aristoteles und Platon nebst den
Gebrüdern Gracchus. Von jeher hat es Personen und Volksklassen gegeben,
welche weniger besaßen und weniger zu verzehren hatten als ihre wohlhabenden
Landsleute und welche ihre Lage zu verbessern wünschten, so daß die soziale Frage
seit Adam schwebt und brennt. Darüber zu reden und zu streiten, ob es heute
eine solche Frage gibt, wäre gerade so klug, wie ein Streit darüber, ob es in
diesem Sommer Wetter gegeben hat, oder es wäre so drollig, wie jenes Mannes
Klage gegen den Thorschließer in Ehrenbreitenstein, daß an den bergigen Rhein⸗
ufern keine Gegend sei, Gegend sei bloß in der Mark Brandenburg. Könnte man
die ganze Weltgeschichte durchblättern, so würde man finden, daß der einzige
Unterschied aller Vorzeit von unsrer Gegenwart darin besteht, daß es früher
nicht so viele Großsprecher und Flunkerer zu geben pflegte, welche sich mit ihrem
„Herz für das Volk“ brüsteten, welche eine neue Wissenschaft erfunden haben
wollten und sich über selbige in jener Art Kauderwelsch verbreiteten, mit dem es
heute Sitte ist, alle Leser und Hörer, voran die Arbeiter, zu äffen. Das Kauder⸗
welsch aber beiseite, so hat z. B. Kaiser Karl der Große sich die Verarmung
des kleinen freien Mannes zu Herzen genommen, ja es möchte schwer sein, einen
einzigen Zeitraum nachzuweisen, in welchem jemals der Streit zwischen Besitz
und Nichtbesitz, sei es auf dem Boden des vormaligen Frankenreiches, sei es
außerhalb desselben in einem andern Teile Europas, geruht hätte. Es ist stets
und überall, vor und nach der Völkerwanderung, um die Verteilung des Grund—
besitzes und um sonstige Unterhaltungsmittel zwischen den verschiedenen Gesellschafts⸗
klassen gehadert worden. Greift man z. B. das vierzehnte Jahrhundert heraus,
das der Jacquerie, so zeigt sich nicht nur der Westen, sondern auch der Süden
und der Osten des Erdteils von diesem Feuer ergriffen. Nicht allein in Frankreich,
in den Niederlanden, in England empören sich die Leibeigenen gegen den Grund⸗
adel und die arme städtische Bevölkerung gegen die Reichen: nicht bloß dort ist
viele Jahre und Jahrzehnte lang das im Zuge, was heute eine soziale Revolution
heißen würde. Es erheben sich auch die Arbeiter gegen die Lohnherren oder die
Fabrikanten in Florenz, und die ungarischen Geschichtsschreiber melden, daß
neben der Schwäche des Wahlkönigtums und den Parteiungen der Magnaten
auch die entsetzlichsten Aufstände der Besitzlosen das Land an den Rand des
Unterganges gebracht hätten. Jeder Deutsche hat wohl ferner von dem großen
Bauernkriege gehört, der zu Luthers Zeiten besonders in Mittel- und Ober—⸗
deutschland tobte, nachdem schon viele Jahre vorher zahlreiche Ausbrüche von
* Die englischen Brocken beziehen sich auf einen weggelassenen, in der Einleitung der
„Nordd. Allg. Ztg.“ gemachten sprachlichen Vorwurf. Red. d. „Soz.⸗Dem.“
320
geringerer Gewalt und Ausdehnung stattgefunden hatten. In den folgenden
Jahrhunderten bemerkt man in Frankreich und in andern westlichen Ländern
eine Kette von verwandten Zwistigkeiten, alle durch die Not der unteren Gesell—⸗
schaftsklassen hervorgerufen; und wenn man dazu in der slawischen Welt nur noch
der heftigen Eigentumskämpfe in Rußland vor und nach dem Eintritt des jetzigen
Herrscherhauses gedenkt, so kann sich jedermann überzeugen, daß Unzufriedenheit
der Besitzlosen mit ihrer Lage und daraus entspringende Kämpfe um Besitz und
Erwerb weder einem einzelnen Zeitalter, wie etwa dem unsrigen, noch auch einer
einzelnen Bildungsstufe, sei es einer höheren oder einer niederen, eigen gewesen
oder eigen sind, sondern es haben solche Reibungen zu allen Zeiten und bei allen
Bildungsgraden den Völkern Not bereitet.
Es ist daher nichts anderes als ein unwissendes Geträtsche, wenn heute von
einer sozialen Frage geredet wird, die in unsrer Zeit aufgetaucht und noch so
neu sein soll, daß manche sie noch nicht sehen wollen und noch leugnen. Es
leugnet niemand, daß es auch gegenwärtig noch Volksklassen gibt, welche weniger
Einkommen haben als sie sich wünschen und ihnen zu gönnen wäre. Es kann
sein, daß die „Nordd. Allg. Ztg.“ der Meinung ist, erst unter der Regierung des
Königs Ludwig Philipp wäre von Frau G. Sand, von den Herren Cabet,
Proudhon u. a. die mehrerwähnte „Frage erfunden oder entdeckt worden“ und
daß sie sich mit besonderer Geschwindigkeit von diesem Ereignis Kunde verschafft
zu haben glaubt. Das wäre denn ihre Sache, die ihr überlassen bleiben kann.
Wenn sie nun aber weitergehend und den Franzosen um dreißig Jahre nach—
hinkend sich mehr und mehr daran gewöhnen will, mit Schlagwörtern aus Ludwig
Philipps Zeit, wie „Bourgeois“, „Bourgeois-Oekonomie“, um sich zu werfen, so
werden wir sie, wenn sie sich an uns vergreift, abzuschütteln wissen. Ob es
überhaupt passend ist, daß in einem, wie man annimmt, den Ansichten und
Winken der preußischen Regierung nicht fern stehenden Blatte eine Hetzerei gegen
den deutschen Bürgerstand betrieben wird, das haben sich seit einiger Zeit schon
manche Leser desselben gefragt. Die königliche Regierung von Preußen will doch
die Regierung ihres gesamten Volkes sein und nimmt jetzt eine gewisse Stellung
ein zu der ganzen deutschen Nation; ohne Zweifel wünscht Preußens König oder
Ministerpräsident, für den Anführer der Arbeiter gegen den Mittel- oder Bürger⸗
stand nicht gehalten zu werden. Wenn aber das nicht, was soll dann in einem
Blatte von der eigentümlichen Stellung der „Nordd. Allg. Ztg.“ die Uebertragung
eines unseligen französischen Gegensatzes auf deutschen Boden? Sind etwa die
Franzosen so froh darüber, daß dieser Gegensatz die Ursache davon war, daß ihr
Versuch, sich eine freie Staatsregierung einzurichten, scheiterte? Ist Frankreich
vielleicht glücklicher, ist es beneidens- oder etwa gar nachahmungswert geworden,
seit jener Klassenkampf ihm das Joch eines Despoten zubereitet hat? Es will doch
scheinen, Deutschland darf sich Glück dazu wünschen, daß es bis jetzt von ver—⸗
blendeten Klassenkämpfern verschont geblieben ist, und daß in seinen Grenzen keine
nur an sich denkende „Bourgeois“ gibt, sondern Bürger, welche die Verirrungen
der französischen Bourgeois wohl beobachtet haben und kennen. Auch hat unser
städtischer Mittelstand nur ein sehr bescheidenes Maß von staatsbürgerlichen
Rechten und Einflüssen in seinem Besitze und regiert nicht den Staat, wie die
französischen Bourgeois taten; er kann daher mit diesen ganz und gar nicht auf
eine Stufe gestellt werden. Um so mehr leuchtet aber ein, daß die den Parisern
nachgeäffte Hetzerei der „Nordd. Allg. Ztg.“ durch und durch unwahr ist, und
321
man sieht auch, warum sie ihre Künste und Redensarten alle aus der Fremde
holt, bald aus England, bald aus Frankreich. Sie sucht aufzustacheln und zu
hetzen nach ausländischen Vorbildern, während wir in Deutschland ganz andre
Verhältnisse haben.
Das Schulgeld aber, welches sie ihren französischen und englischen Lehr⸗
meistern hat zahlen müssen, will sie nun wieder einbringen. Sie selbst legt eine
Schule an für die deutschen Arbeiter oder, wie sie sagt, für die Herren Reichs—
tagsabgeordneten Schweitzer und Fritzsche und trichtert ihnen wie schwerfassenden
Kindern geduldig ein, wie man einen richtigen „Streik“ von Anfang bis zu Ende
durchzuführen hat. Das ist ihre Weisheit: mit Arbeitseinstellungen wird sie die
soziale Frage lösen. Uns redet ste nach, daß wir das „laisser aller“ empfohlen
hätten, was wir weder dem Worte noch dem Sinne nach getan haben. Wir
haben vielmehr geäußert, es sei gut, daß die Gesetzgeber den Arbeitern das volle
Vereinigungsrecht gewähren, damit sie ihr Heil versuchen können; zugleich aber
drücken wir die Hoffnung aus, daß die deutschen Arbeiter gebildet und besonnen
genug sein würden, um bald zu erkennen, daß es nicht angeht, den Lohnherren
„im Wege der Gewalt unmögliche Leistungen abzutrotzen“. Das heißt, wir warnen
ganz einfach die Arbeiter, sich von einem unzulänglichen Mittel nicht zu viel zu
versprechen und sich nicht unnützerweise in Kosten und andre Unannehmlichkeiten
zu stürzen; wir empfehlen ihnen bei der Anwendung jenes Mittels Vorsicht. Und
seitdem die beschränkte und zweifelhafte Kraft der Arbeitseinstellungen sowohl von
den meisten Denkern anerkannt worden ist, wie auch sich tatsächlich an vielen
Orten herausgestellt hat, ist unsre Sache, wenn wir nicht irren, berechtigt, für
die Sache der Redlichkeit gehalten zu werden. Bei künftigen Gelegenheiten werden
wir nicht verfehlen, das Wohl dieses so großen Volksteiles stets zu bedenken, für
den wir ein schlichtes landmännisches Wohlwollen haben, mit dem wir weiter
nicht prahlen. Das Liebäugeln, ebenso das Verführen und das Verhetzen über⸗
lassen wir andern.
Dritter Artikel der „Norddeutschen Allgemeinen Zeitung“.
Berlin, den 12. September 1868.
Wie man aus der vorgestrigen Brüsseler Korrespondenz ersehen haben
wird, hat nun auch der Kongreß der Internationalen Arbeiter-Assoziation hin⸗
sichtlich der Streiks jene Grundsätze zu den seinigen gemacht, welche von den
englischen Trade-Anions bislang befolgt sind und welche auch, wie bekannt, von
den Reichstagsabgeordneten Herren Schweitzer und Fritzsche — wie wir die
Herren zu bezeichnen trotz der hierüber ausgedrückten Mißbilligung der „Nat.⸗Ztg.“
doch wohl fortfahren werden — für den nach Berlin berufenen Arbeiterkongreß
in Aussicht genommen sind.
Die Grundsätze der Trade-Unions werden also in Zukunft auch auf dem
europäischen Kontinent zur Anwendung gelangen; ob man hier überall, beispiels⸗
weise in Frankreich, sich auch mit der allgemein verbreiteten Schulbildung oder
mit der Verschiedenheit des Nationalcharakters nach dem Vorgange unsrer
„National⸗Zeitung“ beruhigen wird, möchten wir einigermaßen bezweifeln. Was
wenigstens die Franzosen betrifft, so führt die Geschichte ihrer ganzen Revolution
den unwiderleglichen Beweis, daß man dort in der Wahl der Mittel niemals
besonders heikel gewesen ist. Für die Nachbarstaaten würde also, sollten sie selbst
durch die Verschiedenheit des Nationalcharakters usw. gegen starke Ausschreitungen
Bringmann, Geschichte der Zimmerer.
322 —
mehr gesichert sein, jedenfalls die Frage auftreten, ob die Sicherheit durch schlimm
geartete Beispiele im Nachbarlande von wegen des der menschlichen Natur eigen⸗
tümlichen Nachahmungstriebes nicht einigermaßen erschüttert werden könnte.
Doch lassen wir die Erwägungen beiseite liegen! Wir möchten heute die
Aufmerksamkeit auf einen andern Punkt lenken.
Erinnert man sich noch der Behauptungen, welche von der Manchester⸗
schule fort und fort aufgestellt worden sind, daß die immer allgemeiner werdende
Einführung des Maschinenwesens das Los der arbeitenden Klasse wesentlich ver⸗
bessert habe?
Diese Organisation der Streiks, welche jetzt überall unternommen werden,
sind die Antworten der Tatsachen auf jene Phrase der Manchestermänner.
Und um diese Antwort in das hellste Licht zu stellen, vergesse man das
eine nicht: Alle diese Arbeiter, die sich jetzt zu organisieren anfangen in der Ab⸗
sicht, zu gelegener Zeit mit einem allgemeinen Streik vorzugehen — alle diese
Arbeiter wissen und sprechen es offen aus, daß sie weit entfernt seien von der
Annahme, die Lösung der sozialen Frage ließe sich auf dem Wege der Streiks
herbeiführen.
Und trotzdem, daß sie dieses wissen, rüsten sie sich zum gemeinsamen Kampfe
gegen die Arbeitgeber, trotzdem stehen sie nicht an, sich alle jene schweren Ent⸗
behrungen aufzuerlegen, welche mit Notwendigkeit Folgen der Arbeitsein⸗
stellungen sind!
Wie reimt sich mit der Verbesserung des Loses der arbeitenden Klassen
durch Einführung des Maschinenwesens diese Tatsache, daß unter der Herrschaft
dieses Maschinenwesens gerade dieselben arbeitenden Klassen alle Kräfte in Be⸗
wegung setzen, um der auf dem Maschinenwesen beruhenden Großindustrie die
empfindlichsten Schläge zu versetzen.
In der Tat, der Gegensatz, in welchem die Tatsachen zu jener Wissenschaft
der Manchesterschule stehen, darf ein schreiender genannt werden, und er ist
—EVV— jenes Satzes (Dr. Rob. Jaunasch jun.:
Die Streiks; Berlin bei Duncker) sich zu folgender Konzession herbeiläßt, die
allerdings den Satz vollständig aufhebt:
„Das“, so sagt Herr Jaunasch, „bleibt immer außer Frage gestellt und
wird durch das tägliche Beispiel gelehrt, daß jede billigere Arbeit der Natur⸗
kräfte in sehr hohem Maße das Kapital unterstützt, durch ihre Hilfe und ihre
Konkurrenz den Wert der persönlichen Arbeit auf das möglichst geringste Maß
zurückzuschrauben. Anstatt daß, wie früher, die produktiven Kräfte resp. die Arbeit
der Sklaven und Hörigen und deren Herren monopolisiert war, so hat sich jetzt
das Kapital dieses Monopol vermittels der Maschinenarbeit angeeignet und ist
bestrebt, durch die von derselben ausgeübte Konkurrenz die persönliche Tätigkeit
des Arbeiters für denselben zu entwerten, indem es mit Zuhilfenahme der Maschinen
die Menge der Arbeitskräfte erhöht, auf diese Weise den Arbeitslohn herunter⸗
drückt und die so erlangten Vorteile durch die Verringerung der Produktions⸗
kosten für sich allein ausbeutet.“
Dieses Zugeständnis ist von besonderer Wichtigkeit; denn gerade diese not⸗
wendigen Folgen des Maschinenwesens, wie sie hier dargestellt werden, sind die
Ursache, weshalb unsre Zeit es mit einer besonderen sozialen Frage zu tun hat,
die nicht identisch ist mit jener allgemeinen Tatsache, daß es überall und zu jeden
Zeiten Arme und Reiche gegeben hat.
323 —
Artikel der Berliner „Volkszeitung.“*
Wir haben in unsern Nummern vom 7., 11. und 12. August einen Brief
unsres Korrespondenten, des Herrn Dr. Max Hirsch, aus London veröffentlicht,
worin die Organisation, die Ziele und die Erfolge der englischen Trade-Unions
oder Gewerkvereine in anerkennendster Weise geschildert wurden. Schon in diesem
Briefe wurden die englischen Gewerkvereine als ein Muster für Deutschland hin⸗
gestellt, und wir beabsichtigten, binnen Kurzem eine Reihe von Artikeln über diesen
hochwichtigen Gegenstand zu bringen und die Gründung von Gewerkvereinen
nach englischem Vorbild den Arbeitern Deutschlands dringend zu empfehlen.
Inzwischen haben sich die Herren Schweitzer und Fritzsche, die Lenker eines
Teiles der sogenannten Lassalleaner, mit ihrer gewohnten Behändigkeit des Ge⸗—
dankens bemächtigt. Dieselben erließen unterm 27. August einen Aufruf an die
Arbeiter Deutschlands, worin zur Besprechung und Einrichtung alles dessen, was
mit den Arbeitseinstellungen zusammenhängt, ein Allgemeiner deutscher Arbeiter⸗
kongreß zum 27. September nach Berlin berufen wurde. Auf diesem Kongreß sollten
Gewerkvereine, womöglich für alle Geschäftszweige, mit gleichartigen Statuten
gegründet und dieselben sofort unter einer Zentralbehörde zusammengefaßt werden.
In der Tat haben bereits an manchen Orten Deutschlands Delegierten⸗
wahlen zu dem bevorstehenden Arbeiterkongreß stattgefunden und derselbe wird
ohne Zweifel am nächsten Sonntag in ansehnlicher Zahl zusammentreten. Der
einleuchtende Nutzen der Gewerkvereine scheint selbst manche Arbeiter, welche
durchaus keine Lassalleaner und Sozialisten sind, zum Anschluß an den Kongreß
veranlaßt zu haben; es ist daher wohl an der Zeit, diesem Versuche gegenüber
den Standpunkt der Wahrheit und Vernunft zu betonen.
Gerade weil wir die Gewerkvereine für eine ebenso zweckmäßige wie
bedeutsame soziale Einrichtung halten, müssen wir uns mit aller Entschiedenheit
gegen den Plan der Herren Schweitzer und Fritzsche erklären, in der festen
Ueberzeugung, daß derselbe die zu gründenden Gewerkvereine von vornherein auf
eine grundfalsche Bahn lenken, sie zum Mißbrauch und zur Ohnmacht verdammen
würde. Schon ein kurzer Hinblick auf die englischen Trade-Unions wird das
genugsam begründen.
Die Unternehmer des Kongresses stellen in ihrem Aufruf mit uns die eng⸗
lischen Gewerkvereine als bewährtes Vorbild für Deutschland auf. Nun wohl,
wir behaupten, daß es keinen größeren Gegensatz gibt, als die Trade⸗-⸗Unions
in ihrer jetzigen Gestalt und das System und Projekt der Herren Schweitzer und
Fritzsche.
Diese Herren wollen die Gewerkvereine ausdrücklich und ausschließlich zum
Zweck der Arbeitseinstellungen begründen; der soziale Krieg ist ihr Endziel, für
welchen die Bataillone und Regimenter formiert und feldmäßig ausgerüstet werden
sollen. Dies haben sie in dem Aufruf mit anerkennenswerter Klarheit verkündet.
„Es muß möglich gemacht werden“, so heißt es an einer Stelle, „daß,
wenn die Kapitalisten und Fabrikanten in unberechtigtem Uebermut und scham⸗
loser Habsucht verharren, die Industrie einer ganzen Stadt, einer ganzen Gegend
lahmgelegt werde; es muß dafür gesorgt sein mit einem Wort, daß der Kampf
unerbittlich bis aufs äußerste geführt werden kann.“ Das also ist die Parole
der neuen deutschen Gewerkvereine. Ist es auch die der Trade-Unions?
* Hauptorgan der Fortschrittspartei. Dieselbe wurde gegründet 1861 und hat 1884 zu
existieren aufgehört; ihre Trümmer sind in die Freifinnige Partei aufgegangen.
3 2 2*e
324
Der größte und bestorganisierte der englischen Gewerkvereine, der Verein
der Maschinenbauer, welcher über 83 000 Mitglieder zählt, sagt in seinem Statut
in wörtlicher Uebersetzung: „Der Gegenstand dieser Gesellschaft ist, von Zeit zu
geit durch Beiträge ihrer Mitglieder Gelder zu erheben zu dem Zweck der
gegenseitgen Unterstützung in Krankheit, Unfall, hohem Alter, Auswanderung,
für das Begräbnis der Mitglieder und ihrer Frauen und auch zum Beistand von
Mitgliedern, welche außer Arbeit sind.“ Hier ist also der Zweck der Arbeits⸗
einstellung nicht einmal ausdrücklich genannt; und ähnlich lauten die Statuten
aller größeren Trade-Anions. Was aber den Geist betrifft, welcher die mächtigen
Gewerlkvereine erfüllt, so führen wir unter hundert Zeugnissen, die uns zu
Gebote ständen, nur den letzten Jahresbericht des großen Zimmergesellen⸗ und
Tischlervereins an, worin es am Schluß heißt:
„Aber es bedarf einer höheren „Union“ als dieser (die Trade⸗Unions)
einer Union der Arbeitgeber und Arbeitnehmer, ohne irgend welche fremde
Einmischer zwischen ihnen. Die Politik der Arbeitgeber ist, sich zu verbinden,
nicht gegen uns, sondern mit uns; und mit dem Beistand von Männern wie
Mr. Rupert Kettle und My. Mundella (zweier großer Fabrikanten) haben
wir alle Ursache, zu glauben, daß, wenn auch Meister und Arbeiter ihre beider⸗
seitigen Vereine aufrecht erhalten, doch das Schiedsgericht als Verbindungs⸗
mitglied der Union zwischen ihnen bestehen wird. So gebe es denn einen
Schiedsgerichtshof in jeder Stadt des vereinigten Königreiches, die Arbeiter sind
bereit dazu.“
Das ist die Sprache, das ist die Gesinnung der englischen Unionisten bei
einer Anzahl von 700 000 Mitgliedern und nach langjähriger praktischer Erfahrung.
Sie wissen, daß trotz der festesten Vereinigung der Arbeitnehmer der Streik stets
eine zweischneidige Waffe ist, den Angreifern ebenso gefährlich wie den Ange⸗
griffenen. Sie glauben, daß auf sozialem Gebiete der Krieg eine gemeinschädliche
Barbarei ist, welche je eher, je lieber in einen auf Billigkeit begründeten Frieden
verwandelt werden müsse. Bei ihnen existiert kein blinder Haß gegen das Kapital
und die Kapitalisten als solche; und sie sind deshalb so groß und mächtig geworden,
weil sie sich nie in den Dienst einer politischen oder sozialen Partei begeben
haben. Es ist ein bezeichnendes, durchaus verbürgtes Faltum, daß die haupt⸗
—XE Gewerkvereine noch vor Kurzem den Anschluß an die
Internationale Arbeiterassoziation bestimmt zurückgewiesen haben.
Und diesem Verhalten gegenüber wagen die Herren Schweitzer und Fritzs che,
das Beispiel Englands für ihren durch und durch parteisüchtigen Plan anzurufen?
Endweder sind ihnen die englischen Trade⸗Anions in ihrem ganzen Wesen un—⸗
bekannt — oder sie sprechen oder handeln wider besseres Wissen. In beiden
Fällen ist ihr Unterfangen verurteilt.
Wie kommen die Lassalleaner überhaupt dazu, sich an die Spitze von
Vereinen zu stellen, welche nichts andres sind als die organisierte Selbsthilfe.
Die englischen Trade-Unions haben vom Staate niemals die geringste Unter—⸗
stützung weder gefordert noch erhalten — ja, sie sind noch heutzutage vollkommen
rechtlos und können ungestraft von ihren Beamten betrogen und bestohlen werden.
— Und in Deutschland maßen sich gerade diejenigen die Führerschaft der Gewerk⸗
vereine an, welche tausendmal die Ohnmacht der Selbsthilfe verhöhnt haben und
alles Heil des Arbeiterstandes allein vom Staate erwarten? Ein kolossaler
Widerspruch, der von der ehrlichen Masse der Lassalleaner selbst anerkannt wurde,
325
indem ihre Generalversammlung zu Hamburg den Antrag des Herrn Fritzsche,
von Vereins wegen den Arbeiterkongreß zu berufen, nach heftiger Debatte ablehnte.
Warum die Führer trotzdem die Sache nicht fallen Ließen, ist Einsichtigen
leicht erklärlich. Der „Allgemeine deutsche Arbeiterverein“ — von Lassalle
gegründet mit der ausgesprochenen Absicht, die gesamte deutsche Arbeiterschaft,
Hunderttausende, ja Millionen zu umfassen — ist kläglich gescheitert. Unter den
unfähigen Nachfolgern Lassalles zerrissen, mißbraucht und seinen ursprünglichen
Ideen entfremdet, hat der Verein es nur auf wenige Tausend Mitglieder in ganz
Deutschland gebracht, und die kürzlich erfolgte polizeiliche Auflösung — die wir
selbstverständlich beklagen und mißbilligen — dürfte den Führern selbst nicht un⸗
willkommen gewesen sein. Der „Allgemeine deutsche Arbeiterverein“ und das
angebetete allgemeine Wahlrecht als Agitationsmittel hatten sich überlebt — den
Führern mußte zur Erhaltung ihres Einflusses alles daran liegen, sich einen neuen
Wirkungskreis zu eröffnen.
Das Mittel fand sich, wenn auch mit Hintansetzung aller Prinzipien, in
den Gewerkvereinen. In den sozialistisch verbitterten und eäsaristisch organisierten
und zentralisierten Gewerksvereinen soll der „Allgemeine deutsche Arbeiterverein“
mit hundertfacher Anzahl und Stärke auferstehen, die Herren Schweitzer und
Fritzsche natürlich an der Spitze!
Der Plan ist in seiner Kühnheit fast genial. Wird sich die große Mehrzahl
der deutschen Arbeiter dazu mißbrauchen lassen?
Artikel der „Zukunft“.“
Die „Spen. Ztg.“ geriet kürzlich schon in ein gelindes Frostschütteln, als
sie die Beschlüsse der Bezirksvereine betreffs der kommunalen Steuerreform ver⸗
nahm. Was fuür wunderbar verworrenes Zeug fuhr ihr da nicht schon durch
den Kopf? Nun aber erst gar die Arbeiterbewegung! Aus „ganz heiler Haut“,
meint die „Spen. Ztg.“ hätte sich vor etwa vier Jahren, ohne daß irgendwie eine
dringende Veranlassung dazu vorlag, ein fortschrittliches Sturmlaufen gegen die
88 181 bis 184 der Gewerbeordnung von 1845 erhoben. Nur die fortschrittlichen
Volkswirte hätten die Sache an die große Glocke geschlagen, und nur jene Debatte
darüber im Abgeordnetenhause hätte die Arbeiterbewegung in Deutschland ver⸗
anlaßt! Welche Einblicke in den Zusammenhang wirtschaftlicher Vorgänge muß
der Leitartikelschreiber getan haben, in dessen Kopfe sich so die gegenwärtige
Arbeiterbewegung abspiegelt! Wer dieser Bewegung auch noch äußerlich gefolgt
ist, weiß, daß sie schon angefangen hatte, in höheren Wogen zu gehen, als die
Fortschrittspartei ihre Anträge bezüglich der 88 181 bis 184 stellte. Unabhängig
von der Fortschrittspartei trat sie in Berlin hervor und erst als sie schon da war,
suchte sich die Fortschrittspartei ihrer zu bemächtigen. Die Initiative war der
Fortschrittspartei damals aufgezwungen, und wie sie damals hinter der Bewegung
herhinkte, so hat sie sich auch jetzt wieder die Koalitionsbewegung der Arbeiter
aus der Hand nehmen lassen. Die Herren Schweitzer und Fritzsche haben be⸗
kanntlich einen Kongreß von Arbeitern aus ganz Deutschland berufen, um durch
ihn eine Organisation für etwa vorzunehmende Arbeitseinstellungen zustande zu
bringen. In der kürzlich abgehaltenen Maschinenbau⸗Arbeiterversammlung gaben
nun zwar die Herren Dr. Max Hirsch und Franz Duncker ihr Einverständnis mit
*Eine von Dr. Johann Zacobi begründete demokratische Zeitung, die schon lange nicht
mehr erscheint.
— 326 —
diesem Plane zu erkennen, wollten aber eine Teilnahme an demselben abgelehnt
wissen, weil das Projekt von den sozialdemokratischen Arbeiterführern ins Leben
gerufen ist. Herr Dr. Max Hirsch beantragte eine Resolution, nach welcher die
Maschinenbauarbeiter Berlins eine solche Organisation der Arbeiter nach englischem
Muster zwar für erstrebenswert halten, den Schweitzerschen Plan aber verwerfen
sollen, weil er von einer Partei ausgeht, welche jede Selbsthilfe verwirft und die
Bewegung von vornherein vergiftet. Wir sind keine Freunde des Herrn von
Schweitzer, aber wir müssen ihm das Verdienst lassen, daß er die Initiative zu
der Organisation, welche die Herren Dr. Max Hirsch und Duncker billigen, er—
griffen hat, und dann heißt es doch auch, der Leichtgläubigkeit zu viel zuzumuten,
wenn man von einer Partei spricht, die jede Selbsthilfe verwirft. Daß der Arbeiter
nur durch Arbeit und im Schweiße seines Angesichts sein Brot verdienen kann,
wissen und behaupten die Anhänger des Sozialismus ebensogut wie Herr
Dr. Max Hirsch, und andrerseits ist ja auch von Führern der Fortschrittspartei,
z. B. von Löwe-Calbe, in einer Arbeiterversammlung ausgeführt worden, daß es
eine Verkehrtheit sei, die Staatshilfe zu perhorreszieren. Den Phrasen von Staats⸗
hilfe und Selbsthilfe sollte man endlich ein Ende machen; es kann keiner weder der
einen noch der andern entraten. Man hat nur ehrlich zu suchen, wo die Grenze
zu ziehen ist, wo die Möglichkeit der Selbsthilfe aufhört und der Staat einzutreten
hat. Wie wenig auch die Sozialisten die Selbsthilfe von der Hand weisen können
und wollen, geht ja gerade aus dieser Koalitionsagitation hervor, in welcher die
Herren Schweitzer und Fritzsche selbst eine Art der Selbsthilfe und nicht der
Staatshilfe sehen.
Wenn nun die Fortschrittspartei eine Organisation, wie die beabsichtigte,
für erstrebenswert hält, so meinen wir, daß es das Verkehrteste ist, zu dem man
raten kann, wenn man den Arbeitern von der Teilnahme am Kongreß abraten
will, weil die Herren Schweitzer und Fritzsche sich an die Spitze gestellt haben.
Oder soll mit diesem „erstrebenswert“ vielleicht bloß nach Art der sonstigen
Resolutionen ein theoretischer Satz ausgesprochen werden, den man aufstellt, um
ihn dann seinem Schicksal oder der höheren Macht der Idee zu überlassen? Wenn
dies nicht die Absicht sein sollte, wenn man nicht dieser „erstrebenswerten“
Organisation bloß einen Stein in den Weg legen will, dann wäre es nach unsrer
Ansicht besser getan, wenn jene Herren von der Fortschrittspartei in den Arbeiter⸗
kreisen ihr ganzes Gewicht in die Wagschale legten, um eine recht lebendige und
zahlreiche Teilnahme an jenem Kongreß zu veranlassen. Denn nur so können sie
schädlichen Einflüssen und Persönlichkeiten entgegenwirken, nur so können sie, wenn
sie die Kraft und die Fähigkeit dazu haben, dafür sorgen, daß die Agitation nicht
in Bahnen gerät, auf denen ihnen,Vergiftung“ droht.
Man hat sich einfach die Frage vorzulegen, ob eine Organisation wie die
von den Herren Schweitzer und Fritzsche oder von Herrn Max Hirsch projektierte,
einem inneren Bedürfnis, einer inneren Notwendigkeit der gegenwärtigen Arbeiter—
und Produktionsverhältnisse entspricht. Ist das der Fall, ist eine solche Organisation
wirklich erstrebenswert und wollen jene Herren doch davon abraten, oder nur eine
bloß doktrinäre Resolution vorschlagen, dann wird jetzt wie früher die Arbeiter⸗
bewegung über ihre Köpfe weggehen und gerade denjenigen Personen in die Hände
fallen, denen sie dieselbe entzogen sehen möchten.
Was bei dem Abseitsstehen und bloßen Zusehen herauskommt, sollten die
Herren in den letzten Jahren genugsam gesehen und an sich selbst erfahren haben.
—8
Verzeichnis der auf dem Allgemeinen deutschen Arbeiterkongress 1868
anwesenden Delegierten.
Namen
der 1—
Vertreter
Diedr. Ackermann ..
Adolph Ahr .......
Jakob Ambrosius ..
Altrath ...........
do. ...........
do. ...........
Andersen . .... . . ...
Friedrich Arndt....
Otto Armborst ....
Christian Bahne ...
W. Bauer .........
do. .........
Julius Böttenfeld ..
Heinrich Batz......
H. Bammann ......
do. —
Theodor Becker ....
E. Bentsch. ........
Carl Börner ......
Carl Broßmann ...
Böck..............
J. Bremer .P.......
C. Clausing........
do. α
Christian ..........
Anton Deppel .....
do. .....
August Dreier .....
do. .....
Louis Degering ....
Franz Dörmann ...
Bernh. Even .......
Heinr. Ehlers......
do. ......
do. ......
do. 9J—&
do. ......
Wohnort
der
Vertreter
Wiesbaden
Breslau
Hamburg
Newiges
do.
do.
Berlin
do.
do.
Barmen
Linden b. Han.
do.
Kassel
Brandenburg
damburg
do.
Düsseldorf
Magdeburg
Dessau
Brandenburg
Berlin
Magdeburg
Hannover
do.
Brandenburg
Essen
do.
Celle
do.
Braunschweig
Barmen
do.
Braunschweig
do.
do. —
do.
do.
Ort der
Vertretung
Wiesbaden
Breslau
Hamburg
Velbert
do.
Newiges
Berlin
do.
do.
Barmen
Linden
Hannover
Kassel
Brandenburg
Hamburg
Zwickau
Düsseldorf
Magdeburg
Dessau
Brandenburg
Berlin
Magdeburg
Hannover
do.
Brandenburg
Essen
do.
Celle
do.
Braunschweig
Barmen
do.
Braunschweig
do.
do.
Bechelde
Braunschweig
Vertretener
Berufszweig
Arbeiter .........
Sämtliche Gewerbe.
Malergehilfen .....
Weber ............
Eisenindustriearbeit.
Arbeiterschaft ......
Zimmergesellen ....
Schuhmacher ......
do. —R
Weber u. Bandwirker
Mechanische Weber.
Bauarbeiter .......
Bäcker .............
Tuchscherergesellen .
Tischlergesellen.. . ..
do. .....
Bäcker, Brauer und
freie Arbeiter ....
Arbeiter ..........
Zimmergesellen ....
Schmiedegewerk ...
Tischlerverein ......
Arbeiter ..........
Fabrikarbeiter .....
Zeitungs⸗ u. Bücher⸗
träger u. Lohndiener
Schlossergesellen ...
Maureru.Bauarbeit.
Bauhandwerker ....
Drechsler u. Schirm⸗
macher ..........
Tischler ...........
do. ... .......
Bandwirker. . .. ....
Zimmerleute.......
Freie Handarbeiter.
Tuchmacher .......
Geistesarbeiter .....
Arbeiter ——
Fabrikarbeiter .....
Zahl
300
338
200
b00
600
500
200
133
133
2000
160
6000
96
50
1000
100
240
soo
170
24
200
500
596
40
40
6000
2000
74
68
508
1500
55
561
46
2
48
67
328
Namen
der
Vertreter
Heinr. Ehlers ......
do. —X
Fechner ...........
Ernst Förster ......
Wilh. Frick ........
do. —R
Friedr. Fleck ......
Franz Findling ....
Günther ..........
Großkopf .........
Ernst Geißler .....
A. Georg .........
Gille .. . . .. ... ....
H. Gralle .........
Geitner ...........
Gerstemann .......
Glasmann .. ....
W. Grüwel .......
do. .......
Hammerich ........
W. Heine .........
Hanke ............
Hinsdorf ..........
Louis Hartimg ....
Otto Hansche ......
do. ......
H. Haustein.. ......
do. —E—
do. ........
d.
Hasselmann .......
M. Heuser ........
H. Heidtbrink ......
do. α
do. ......
G. Herbst .........
Carl Henkel .......
Herhold...........
Hellmigk . . . . ......
C. Hockenmeier.....
H. W. Hoffmann ...
do. ...
Wohnort
der
Vertreter
Braunschweig
do.
Berlin
Dresden
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do.
do.
Berlin
Altona
Berlin
Brandenburg
Leipzig
Bielefeld
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Altenburg
Berlin
do.
Altona
do.
Berlin
do.
Ddüsseldorf
Brandenburg
do.
Offenbach
do.
do.
do.
Berlin
Hannover
Bielefeld
do.
do.
do.
Brandenburg
Ottensen
Frankfrt. a.O.
Hamburg
Leipzig
do.
Ort der
Vertretung
Braunschweig
Zorge
Berlin
Dresden
Barmen
do.
do.
Berlin
Altona
Reichelsheim
Brandenburg
Leipzig
Bielefeld
Braunschweig
Potsdam
Hamburg
Altenburg
Celle
Halle
Hamburg
Altona
Berlin
do.
Düsseldorf
Brandenburg
Dessau
Offenbach
do.
do.
do.
Dreißighuben
Hannover
Werther
ODerlinghaus.
Bielefeld
do.
Brandenburg
Ottensen
Frankfrt. a.O.
Hamburg
Leipzig
Rochlitz
Vertretener
Berufszweig
Zahl
Stellmacher ....... 53
Arbeiter .......... 25
Bäckergesellen...... 500
do. ......“ 300
Fabrikarbeiter ..... 8000
Schreiner .........“ 500
Riemendreher...... 3000
Koloristenverein . .. 26
Schuhmacher ...... 650
Zigarrenarbeiter ... 20
Vergolder ......... 30
Maurer⸗ u. Zimmer⸗
gaeuen 337 800
Tischlergesellen. . . . 885
Zimmerleute....... 200
Zäckergesellen.....“ 90
Buchbinder ........ 58
Handwerker ....... 140
Zimmergesellen .... 200
do. .... 55
Arbeit. a. d. Schlachte 200
Schmiede ......... 90
Bäckergesellen...... 500
do. ...... 600
Zigarrenarbeiter ... 170
Tuchmacher ....... 250
do. .. . . . .“ 26
Bauhandwerker ....
VBacker
Handarbeiter ......
Metallarbeiter .....
Weber ....... ..... 658
Schuhmachergesellen 250
Gewerke .......... 465
Zigarrenarbeiter ... 166
do. . 55
Eisenarbeiter ...... 280
Seidenwirker ...... 280
Arbeiter .......... 1896
Zigarrenarbeiter .. 60
Haus⸗ u. Handarbeit. 4500
Zigarrenarbeiter ... 600
Verschiedene Gewerke 400
320
Namen
der
Vertreter
J. M. Hirsch ......
do. ......
do. —XRX
do. ...8
do. —R
H. Hernbogen .....
J. Huber....
Hüttenberger ......
Jakobs ...........
J. Johanning......
do. ......
do. —RE
do. ......
do. ......
do.. ......
do. ......
Heinrich Junge ....
L. Junge .... .....
J. Illers .. .......
Kahlbaum. . .......
do. —V
do. F
do. .........
K. Kaiser..........
do. ..........
Dr. Kirchner .......
do. —RE
do. ......
do. ....
do. —R&
d.
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do. .......
Christian Kaufmann
Kappell ...........
K. Kiesel ..........
F. Kirchner ........
Carl Klein .. .
do.
do.
do.
H. Koch .... .
C. Koch ...........
Wohnort
der
Vertreter
Erfurt
do.
do.
do.
do.
Burg
Berlin
Elberfeld
Brandenburg
Berlin
do.
do.
do.
do.
do.
do.
Altona
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Braunschweig
Berlin
do.
do.
do.
Erfurt
do.
Hildesheim
do.
do.
do.
do.
do.
do.
do.
Barmen
Berlin
Brandenburg
Braunschweig
Elberfeld
do.
do.
do.
Brandenburg
Hannover
Ort der
Vertretung
Erfurt
do.
do.
Salzungen
Apolda
Burg
Koblenz
Elberfeld
Brandenburg
Bockenem
Blückstadt
Hagen
Elberfeld
Soest
Neheim
Hildesheim
Altona
Hastadt u. Heml.
Braunschweig
Charlottenbg.
Brandenburg
Berlin
Stralsund
Erfurt
do.
Hildesheim
Speier
Hildesheim
Großlobke
Brakenem
Vreden
Hildesheim
do.
Barmen
Berlin
Brandenburg
Braunschweig
Elberfeld
do.
Sonborn
Elberfeld
Brandenburg
Hannover
Vertretener
Berufszweig
Zahl
Weber ............
Metall⸗ u. Feuerarb.
Arbeiter ..........
do...
Strumpfwirker.....
Zigarrenarbeiter ...
do. ...
Schneider .........
Zigarrenarbeiter ...
do. ..
do. ...
do.
do.
do.
do. .
do. *.*
do. ...
do. ..
Schuhmacher ......
Bäcker............
d.
do. ............
do. ............
Holzarbeiter .......
Zimmerleute.. .....
Handarbeiter ......
Arbeiter ..........
Weber
Arbeiter ..........
do. ...... ...
Zigarrenarbeiter ...
Verschied. Gewerbe.
Arbeiter ..........
Maurergesellen ....
Zimmergesellen ....
Schuhmacher ......
Arbeiter .........
Fabrikarbeiter .....
Schuhmacher ......
Arbeiter .........
Bauhandwerker . ...
Töpfergesellen ..... p
A
50
750
1300
100
500
13
150
500
48
15
28
15
11
80
30
60
000
500
230
30
27
85
45
390
190
100
30
300
30
80
—10
190
100
1500
200
42
486
4200
350
48
2000
19
460
330
Namen
der
Vertreter
Wilh. Kölsch.. ...
Herm. Kretschmar ..
Aug. Korn ........
Gottf. Kronert .....
Carl Kurz .........
Carl Kühn ........
Laskowsky ........
H. Lauterbach ......
Franz Leib ... .. ...
do. —R
do. ........
F. Lienig
F. Link ...........
Lippe .............
C. Lübkert. .. ......
F. S. Liebisch ......
do. .
do. ......
Leutemeier .. ....
do. —R
H. Lichters ........
Lüdecke ...........
Mackert ..........
do. ..........
C. F. Mann .......
do. ...41
do. .......
Merkel............
F. Metzner .......
do. ........
Meier ............
A Meyer .....
H. Meier .P.........
A. Mewes .......
F. Meschke ........
de Weschter 1
do. ...4
Wohnort
der
Vertreter
Mainz
Frankfrt.a. M.
Berlin
Zeitz
Kassel
Lüneburg
Essen
Kassel
Berlin
do.
do.
do.
Frankfrt. a. O.
Berlin
do.
Hamburg
do.
do.
Berlin
do.
do.
Duisburg
Berlin
Offenbach
do.
Kassel
do.
do.
Berlin
Bielefeld
do.
Altona
Hamburg
Achim
Potsdam
Wurzen
Bautzen
do.
Ort der
Vertretung
Mainz
Frankfrt. a. M.
Rehda
Zeitz
Kassel
Lüneburg
Essen
Kassel
Celle
Speier
Stuttgart
Berlin
Frankfrt. a. O.
Berlin
do.
Hamburg
Memel
Pinneberg
Hanau
do.
Hannover
Duisburg
Berlin
Offenbach
do.
Kassel
do.
do.
Berlin
do.
Verden
Altona
Hamburg
Achim
Potsdam
Wurzen
Bautzen
Seidau
Vertretener
Berufszweig
Zahl
Verschied. Gewerbe.
Portefeuillearbeiter,
Tischler u. Schreiner
Zigarrenarbeiter ...
Bergarbeiter.......
Klempner. *
Arbeiter ..........
Bergleute usw...... —
Zimmerleute.......
Zigarrenarbeiter ...
do. ...
do. 2
Märk. Buchdr.Verb.
Zimmergesellen ....
do. ....
do. ....“
Schneidergesellen ...
do. ...
Handwerk. u. Arbeit.
Zigarrenarbeiter ...
Schreiner .........
Tischler ...........
Fisenarbeiter, Schiff⸗
bauer u. Zigarren⸗
arbeiter .........
Schneider⸗Fortbild.⸗
Verein..........
Buchbind., Graveure
Portefeuillearbeiter.
Elfenbeinarbeiter ...
Zattler, Tapezierer. 207
Färber, Drucker und“
Gerber..........
Bäcker ............
Schuhmacher .....
Schuhmachergehilfen
Schneider .........
Former AMM
Sämtliche Gewerke.
Zimmerleute.......
Arbeiter ..........
Zigarrenarbeiter ...
do. ...
850
66
,
sis
80
61
20
240
200
140
260
300
40
20
331
Namen
der
Vertreter
Mitzel ....... ...
Mischke ...........
Mismann .........
A. Müller.........
E. Müller .........
do. .....
G. Müller.........
Muitke............
Neidel ............
do. ... .....
do. ............
do. ............
do. ............
do. ............
A. Osterberg.......
do. .......
do. ...........
do. ...........
do. ...........
Pasemann .........
Pfannkuch .........
H. Peter ..........
do. ..........
F. Pöllnitz ........
R. Praast .........
G. H. Prause ......
Pulmann ..........
F. Pulk .... .......
do. ... ......
do. ...........
do. ...........
do. ...........
O. Petzold .........
F. W. Raspe.......
G. Radke..........
Rabe .............
do. .............
D. Ries ...........
Wohnort
der
Vertreter
Berlin
Brandenburg
Berlin
Leipzig
Berlin
do.
Essen
Halberstadt
Braunschweig
do.
do.
do.
do.
do.
Würzburg
do.
Berlin
do.
do.
do.
Magdeburg
Kassel
Berlin
do.
Erfurt
Hamburg
do.
Brandenburg
Neumünster
do.
do.
do.
do.
Glauchau
Essen
Brandenburg
Hannover
do.
Elberfeld
Ort der
Vertretung
Freiburg i. B.
Brandenburg
Berlin
Leipzig
Berlin
Krefeld
Essen
Halberstadt
Helmstedt
Osterode
Einbeck
Braunschweig
Seesen
Goslar
Würzburg
Heidingsfeld
Dessau
Hess. Oldendf.
Lorsch
Freiburg i. S.
Magdeburg
Kassel
Hannover
Berlin
Erfurt
Hamburg
do.
Brandenburg
Neumünster
do.
do.
do.
do.
Glauchau
Essen
Brandenburg
Hannover
do.
Elberfeld
Vertretener
Berufszweig
Zahl
Zimmerleute.......
Arbeiter ..........
Tischler ...........
Maler, Vergolder,
Buchbind., Lackierer
Zigarrenarbeiter ..
do. ...
Bergleute .........
Arbeiter ..........
Zigarrenarbeiter ...
do. ..
do.
do. ...
do. ...
do. ...
Arbeiter ..........
do. ..........
Zigarrenarbeiter ..
do. ...
do. —*
do. .
Tischlergesellen.. ...
Schreinergesellen ...
Buchbinder .... ....
do. 4
Metall- und Feuer⸗
Arbeiter ........
Schuhmacher ......
Instrumentenmacher
Zimmerleute.......
Tuchmacher .......
Schneider .........
Weber ............
Zigarrenarbeiter ...
Tischler ..........
Weber ............
Bergleute .........
Tischler u. Maurer.
Maurer, Schreiner
und Dachdecker...
Tuschler
Weber, Wirker und
Riemendreher. . .. 4500
74
250
200
36
12
120
25
100
222
27
1100
750
450
200
98
250
18
100
15
30
500
3000
206
120
700
232
Namen
der
Vertreter
Rettig ..... ...4
H. Reupke.......
H. F. Rickers ......
do. ......
do. —E
do. .....
A. Rosa ..........
Rodenberg ........
do. ......
Rotbauer .........
Rückert ...........
F. Schumann ......
L. Schumann ......
do. .. ....
do. ......
Schmalz ..........
do. ..........
N. Sauerborn .....
A. Schaar.........
do. α
do.. .........
do. mnr
d. ..
do. —.........
F. W. Schütter ....
E. Schmidt ........
M. Seyfried .......
Scholz
H. Schob..........
do. .. ..
do..
do.
do.
do...
d..
F. Schur ..........
C. Strodel ........
J. Schlüter......
NSteffen.......
C. äö—
Wohnort
der
Vertreter
Potsdam
Braunschweig
Altona
do.
do.
do.
Brandenburg
Hamburg
do.
Brandenburg
Wittenberg
Dessau
Berlin
do.
do.
Altona
do.
Essen
Berlin
do.
do.
do.
do.
do.
Lemgo
Lübbecke
Berlin
do.
Köln
do.
do.
do.
do.
do.
do.
Elberfeld
Mannheim
Preetz
Bielefeld
Breslau
Ort der
Vertretung
Potsdam
Braunschweig
Altona
do.
do.
do.
Brandenburg
Hhamburg
Altona
Brandenburg
Wittenberg
Dessau J
Berlin
Dresden
Zwickau
Altona
Leipzig
Essen
Pirna
Dresden
Mannheim
Heidelberg
Herford
Pyrmont
Lemgo
Lübbecke
Berlin
do.
Köln
do.
Flensburg
Koblenz
Frankenthal
Köln
do.
Elberfeld
Mannheim
Preetz
Bielefeld
Breslau
Vertretener
Berufszweig
gahl
Zigarrenarbeiter ...
Dachdecker, Maurer
und Steinhauer..
Drechsler .........,
Glaser 5
Holzpantoffelarbeiter!
ehgerber 5:7771
Zigarrenarbeiter ...
Stellmacher ... —9*
do.. ......
Maurergesellen ....
36 Gewerke .....
Schuhmacher ......
do. —RE
do. ......
do. ........
Eisenarbeiter ......“
do. .....
Schneider .........
Zigarrenarbeiter ...
do. .. .“
do. ...
do.
do. *
do. ...
do.
—
Sattlerverein ......
do. e
Zigarrenarbeiter .
Schneider .........
do.
d.
do. .......6.
Schreiner —ee
BGoldleistenarbeiter..
Weber, Wirker und
Riemendreher. ...
Buchdr., Schneider u.
Arb.Verein usw.. 300
Sämtliche Gewerke. 171
Maurer, Steinhauer 124
Alle Gewerbe ..... 338
68
600
—18
14
25
48
18
92
27
150
90
74
138
1100
50
300
1000
250
20
400
300
20
100
47
70
75
75
180
140
30
50
56
400
300
333
Namen
der
Vertreter
Wohnort
der
Vertreter
Ort der
Vertretung
C. Sänder.........
Altenburg
Altenburg
R. Schulz .........
O. Schwarzer ......
F. Schulz .........
J. Schmitz ........
Frankfrt. a. O.
Leipzig
Wriezen a. O.
Lennep
Frankfrt. a.O.
Leipzig
Wriezen a. O.
Frielinghaus.⸗
Beyenburg
Augsburg
Altenburg
Hamburg
do.
do.
Zwickau
Wittenberg
Altona
Berlin
do.
Bautzen
do.
Berlin
G. Stollberg ......
C. Stölzer........
Schwenker......
Seidel .. ..........
C. Schallmeyer.....
do. —W
Seubert...........
H. Somann .P......
Schaefer ..........
Schmitz ...........
G. Styrills .......
do. —R&&
H. Smalian .......
Augsburg
Altenburg
Hamburg
do.
do. *
do.
Wittenberg
Altona
Berlin
do.
Bautzen
do.
Berlin
J. Schmalz ........
Leipzig
Leipzig
Bremen
do.
Wolfenbüttel
Sarbach .........
Stammeier ........
Spier .............
do. ...... .....
do. .. .....
do. —E
do.
do.
do. . .....
do. .............
do. ....... ....
D.4
Steinkamp ........
Schulze ...........
R. Schumacher ....
Wilh. Taute .......
Erfurt
Bremen
Wolfenbüttel
do.
do.
do.
do.
do.
do.
do.
do.
do.
Bielefeld
Hannover
Breslau
Leipzig
do.
do.
do.
Halchter
do.
Wolfenbüttel
do.
do.
Groß⸗Denke
Bielefeld
Hannover
Breslau
Leipzig
do. .......
Tölcke ... .........
do. do.
Iserlohn — Iferlohn
Vertretener
Berufszweig
Zimmerleute u. ver⸗
schiedene Handwerke
Zimmerleute.......
Schneider u. Kürschn.
Zimmerleute.......
Sämtliche Gewerbe.
Arbeiter ..........
Vereinigte Arbeiter.
Schmiede..........
Schlosser, Mechaniker
Maschinenbauer....
Arbeiter ..........
Tischler ...........
Zimmergesellen ....
Tischler ...........
Schneider .........
Schuhmacher ......
Allg. Deutscher Buch⸗
drucker⸗Verband..
Schlosser und
Maschinenbauer..
Maurer u.Steinsetzer“
Bäcker ............
Maler ....... 531
Zigarrenarbeiter ...
Zimmerleute.......
Maurer...........
Tagelöhner .......
Maurer ...........
Schuhmacher ......
Dhne Gewerbe ....
Weber .P...... aaber
Arbeiter ........
Weber .......2
Feuerarbeiter ......
Maschinen⸗ usw. Arb.
Drechsler, Instru⸗
mentenm., Glaser,
Tischler, Schuhm.
Arbeiter ..........
Schuhmacher ..... J
Zahl
105
130
1000
61
650
1000
164
600
75
1100
2000
200
300
200
200
20
20
3000
1000
368
120
30
30
41
60
30
24
25
77
40
125
39
200
333
1000
500
60
234
Namen
der
Vertreter
Tölcke ... ....
do. ... ..
do. ...... .....
do. ...
do. ...
do. 2
do. . ...........
do. .... ......
A. C. Uhle ... .....
R. Vogler .... .....
do. .........
Vogel .... .......
do. ............
do. ............
do. ............
Wahl .. . . . . .......
C. Weber .........
Windhövel . . . . . ...
Weiner ...........
Wunderlich .. . ......
do. e
H. Wustroh........
G. Wenzel........
H. H. Wrage ......
Wolf .............
Wurzel ...........
Zapp . ...... ....
Zwiener ..........
B. Zöhler .. . . . . . ..
Nachträglich angem.:
Wilh. Grunert .....
Eckdahler .........
Bahne ILI. . . . ......
Bahne III.....
Wolter ...........
Salzwedel . . . . . . . ..
Milbrath .........
Schma ............
Buche ............
—WVVVV
Wohnort
der
Vertreter
Iserlohn
do.
do.
do.
do.
do.
do.
do.
Linden b. Han.
Brandenburg
do.
Minden
do.
do.
do.
Leipzig
Kassel
Essen
Offenbach
Krefeld
do.
Wriezen
Kassel
Hamburg
do.
Berlin
do.
Bielefelddd
Braunschweig
Etzoldsheim
Spandau
do.
do.
do.
Stettin
do.
Kuüstrin
do.
Harburg
Ort der
Vertretung
Vertretener
Berufszweig
Zahl
Iserlohn
do.
do.
do.
do.
Schneider .........
Bergleute
Fabrikarbeiter .....
Drahtzieher .......
Zinngießer u. Löffel⸗
arbeiter .........
Bauhandwerker ....
Kettenschmiede .....
Wirker............
Weber ............
Tuchmacher .......
Tuchmachergewerk..
Buch⸗- u. Steindrucker
Scheider ..........
Fabrik⸗ u. Eisenbahn⸗
arbeiter .........
Zigarren⸗u. Handarb.
Maurer...........
Zigarrenarbeiter ...
Drechsler u. Schlosser
Schuhm., Schneider
u. Zigarrenarbeiter
Weber, Wirker.....
Arbeiter ..........
Zimmerleute ... . ...
Schuhmacher ......
Drechsler. . .. ......
Zigarrenarbeiter ...
Koloristenverein....
Zimmergesellen ....
Schneider .........
Fabrikarbeiter .....
60
400
b00
100
do.
do.
Ronsdorf
Linden b. Han.
Brandenburg
do.
Minden
do.
do.
15
150
160
1000
225
250
250
20
36
Rehme
Leipzig
Kassel
Essen
Offenbach
200
57
200
98
400
Krefeld
do.
Wriezen
Kassel
Hamburg
do.
Berlin
do.
Bielefeld
Braunschweig
295
200
400
61
170
300
1600
26
200
56
712
Etzoldsheim Berg- u. Hüttenarb.“
Spandau Zimmerleute.......
do. do.
do. do.
do. do.
Stettin do.
do. do. ..
Küstrin do. ...h,
do. do. .......
Harburg Schneidergesellen...
300
260
b
500
60
25
335
Namen l
der
Vertreter
Wohnort
der —
Vertreter
Ort der
Vertretung
Vertretener
Berufszweig
Zahl
VYork .............
do. ...... ..
do. .. .....
do. ..... . . ...
do. .....
do. ....... .....
D. Schunck II. .....
Beneke ..........
Stieber ...........
F. Wartmann...
Jaec. Scheer ..
Harburg
Harburg
do.
do.
do.
do.
do.
Berlin
do.
do.
do.
do.
do.
do.
Berlin
do.
Drechslergesellen ...
Delfabrikarbeiter ...
Eisenarbeiter ......
Bäcker ............
Del⸗ u. sonst. Arbeiter
Gummiwarenarb...
Bauhandwerker ....
do. .... s
12
46
57
40
550
500
31
Köthen
Breslau
Köthen
Breslau
Zimmerleute....... 250
Zigarrenarbeiter ... 150
Berichtigung im „Sozial⸗
Außer den Vorbenannten waren nach einer
demokrat“ Nr. 119 von 1868 noch vertreten:
Großkopf-Berlin als Vertreter von 140 Zigarrenarbeitern in Rinteln.
Woldt als Vertreter der Magdeburger Zimmergesellen.
Ehlers-Braunschweig als Vertreter von weiteren b0 Gewerks⸗ und Landarbeitern
in Bettmar, Liedingen und Sierse bei Braunschweig.
Bastian und Schilling aus Zerbst.
Reinicke aus Köthen.
York vertrat nicht 350 freie Handarbeiter und 500 Gummiarbeiter, sondern
550 freie Handarbeiter, unter welchen sich 30 Gummiarbeiter befanden.
Lentemeier war Vertreter von 600 Zigarrenarbeitern aus Hanau und
110 Zigarrenarbeitern aus Hannover.
Mmustersatzung fũr die einꝛelnen Arbeiterschaften.
Beschlossen vom ersten deutschen Arbeiterkongreß 1868.
(Abgedruckt aus dem „Sozialdemokrat“ Nr. 118 vom 9. Oktober 1868.)
Z 1. Der Verein führt den Namen „Allgemeine deutsche Arbeiterschaft
der .....“ und hat seinen Sitz in Berlin. Zweck der Arbeiterschaft ist, die Ehre
und die materiellen Interessen der Beteiligten zu wahren und zu fördern.
g 2. Mitglied kann jeder Arbeiter, jede Arbeiterin, jeder Kleinmeister, jede
Kleinmeisterin aus nachfolgenden Gewerben sein ........
Melden sich andre Personen zum Eintritt, so sind sie nur mit Genehmigung
des Präsidiums und des Ausschusses aufnahmefähig. Entstehen Zweifel darüber,
ob jemand als Arbeiter oder Kleinmeister zu betrachten ist, so entscheiden gleich⸗
falls das Präsidium und der Ausschuß.
Solche Vereinsgenossen, welche eines entehrenden Verbrechens wegen be⸗
straft worden sind, haben nachzuweisen, daß sie sich nach verbüßter Strafe ein
halbes Jahr lang untadelhaft aufgeführt haben. Es ist ferner zu ihrer Auf⸗
nahme nötig, daß sich die Mehrheit der Mitglieder am Orte der Aufnahme mit
dieser einverstanden erklärt. Ueber die Frage, ob ein Verbrechen als entehrend
zu betrachten ist, entscheiden Präsidium und Ausschuß.
336
8 8. Beim Eintritt in die Arbeiterschaft sind 5 Sgr. als Einstandsgeld zu
zahlen. Der laufende Beitrag ist wöchentlich 1 Sgr. Machen vermehrte Aus—
gaben eine Erhöhung der Beiträge erforderlich, so kann das Präsidium unter
Zustimmung des Ausschusses einen höheren Beitrag ansetzen.
8 4. Der Mitgliedschaft wird, außer in Fällen von Krankheit und
Arbeitslosigkeit, selbst verlustig, wer mit mehr als sechs Beiträgen im Rückstande
ist. Durch ausdrückliche Erklärung des Präsidiums und des Ausschusses wird der
Mitgliedschaft verlustig, wer die Kasse in betrügerischer Weise benutzt oder über—
haupt wissentlich gegen den Zweck der Gewerkschaft handelt.
Mit der getroffenen Entscheidung behält es bis zur nächsten General⸗
versammlung sein Bewenden.
8 5. Mitglieder, die zum Militär eingezogen werden, sind während ihrer
aktiven Dienstzeit von ihren Pflichten und von ihren Rechten — mit Ausnahme
des im 8 7 Angeführten — suspendiert.
8 6. Mitglieder, welche sich auf der Reise befinden, erhalten in allen den
Orten, wo sich ein Ortsvorsteher des Vereins befindet, Reisegeld. Die Reise⸗
unterstützung beträgt für jede in gerader Richtung zurückgelegte Meile im Sommer
14 Sgr., im Winter 2 Sgr., jedoch ist der Reisende verpflichtet, wenn er das
Reisegeld erheben will, dies alle zehn Meilen mindestens einmal zu tun; befindet
sich auf der zurückgelegten Strecke kein Ort, welcher dem Verein angehört, so
werden dennoch unter allen Umständen nur bis zu 15 Meilen vergütet, selbst wenn
die Entfernung eine weitere ist. Wiederholt an einem Orte wird diese Unterstützung
nur an Arbeitsuchende und nur, wenn ein Zeitraum von sechs Monaten seit der
vorigen Reiseunterstützung verflossen ist, gewährt. Im Falle der Reisende an einem
Orte in Arbeit tritt, hat er doch das Reisegeld nicht zurückzugeben.
3 7. Stirbt die Ehefrau beziehentlich der Ehemann eines Mitgliedes, so
erhält dasselbe 12 Taler Beerdigungsgeld; die Witwen und Witwer der Mitglieder
haben auf dieses Geld keinen Anspruch. Wenn bei Aufnahme verheirateter Mit⸗
glieder der Ortsvorsteher oder die Mitglieder Bedenken über den Gesundheits—
zustand der Ehefrau beziehentlich des Ehemannes haben, so hat der Betreffende
ein ärztliches Zeugnis beizubringen, welches die Gesundheit feststellt.
8 8. Wenn ein Mitglied infolge seines Auftretens für die Arbeitersache
brotlos geworden ist, so ist es berechtigt, vom Tage der Arbeitslosigkeit an seinen
Unterhalt aus der Kasse zu beziehen, vorausgesetzt, daß ihm nicht annehmbare
Arbeit nachgewiesen wird. Ueber Streitigkeiten in solchen Fällen entscheidet eine
vom Präsidium sofort zu ernennende Kommission.
In Fällen, wo über zehn oder sämtliche Mitglieder eines Ortes ihre Be⸗
schäftigung verlieren, haben dieselben sofort, womöglich vorher, Anzeige an das
Präsidium zu machen und genügend Bericht über die Sachlage zu erstatten.
Dieses setzt binnen drei Tagen eine Kommission zur Prüfung der Verhältnisse ein.
Die Kommission hat binnen drei Tagen die Untersuchung und Berichterstattung
vorzunehmen.
Bei Arbeitseinstellungen wird dasselbe Verfahren beobachtet mit der Maß⸗
gabe, daß die Anzeige unbedingt vor Beginn der Einstellung an das Präsidium
zu richten ist. Das Präsidium hat, sobald die Kommission Bericht erstattet hat,
die Sache sofort dem Ausschuß vorzulegen. Dieser entscheidet binnen drei Tagen,
ob die Einstellung nicht genehmigt, oder ob sie genehmigt und als Sache der
Arbeiterschaft betrachtet, oder endlich, ob beim Verband der Antrag auf Erklärung
337
zur Verbandssache gestellt werden soll. In den beiden letzten Fällen hat das
Präsidium sofort die erforderlichen Anordnungen zu treffen, im ersten Falle sofort
Nachricht an die Betreffenden zu geben.
Die Arbeitslosen haben in den vorgedachten Fällen, wenn sie verheiratet
sind, täglich.. . wenn sie unverheiratet sind täglich.. . zu beanspruchen. Die
Auszahlung erfolgt täglich.
g 9. Das Präsidium besteht aus dem Präsidenten, einem ersten und einem
zweiten Vizepräsidenten und Ersatzmännern, die je nach Bedürfnis in die betreffende
Stelle einrücken. Der Sitz des Präsidiums ist zu Berlin.
8 10. Das Präsidium ist beschlußfähig, wenn in einer ordnungsmäßig
angesetzten Sitzung zwei Mitglieder desselben anwesend sind. Im Falle der
Uebereinstimmung beider können alsdann Beschlüsse gefaßt werden.
8 11. Sacheé des Präsidiums, als der ausführenden Behörde, ist es:
a) Die Verwaltung der Arbeiterschaft zu leiten und die erforderlichen
Beamten anzustellen;
b) den Vorsitz auf den Generalversammlungen zu führen;
e) die Bevollmächtigten zu bestätigen und zu kontrollieren.
Zum Abschluß von Verträgen ist die Unterschrift zweier Mitglieder des
Präsidiums erforderlich.
8 12. Sache insbesondere des Präsidenten ist es:
a) Die Arbeiterschaft nach außen zu vertreten;
b) mit unbedingter Vollmacht dieselbe im Ausschuß des Arbeiterschafts⸗
verbandes zu vertreten.
z 18. Die Einsammlung der Mitgliederbeiträge und die Auszahlung der
auf Gegenseitigkeit beruhenden Unterstützungen zu ermöglichen, ist überall da, wo
sich mindestens zehn Mitglieder befinden, von denselben aus ihrer Mitte ein
Bevollmächtigter vermittels des allgemeinen direkten Stimmrechtes zu wählen
und dem Präsidium zur Bestätigung anzuzeigen. Wird die Bestätigung abgelehnt,
so haben die betreffenden Wähler entweder ein andres Mitglied zu wählen oder
sich zu erklären, daß sie bei der früheren Wahl beharren. In letzterem Falle ist
die Entscheidung dem Ausschuß, welchem das Präsidium alsdann auch die Gründe
der Nichtbestätigung vorzulegen hat, anheimgegeben.
g 14. Der bestätigte Bevollmächtigte hat für die Wahl eines Orts—
kassierers zu sorgen.
Der Bevollmächtigte besorgt nach Anleitung des Präsidiums die Angelegen⸗
heiten der Arbeiterschaft an seinem Orte. Er führt in den Mitgliederversammlungen
daselbst den Vorsitz.
g 15. Der Ausschuß besteht aus elf Personen. Die Wahl derselben geschieht
durch die Mitglieder des von der Generalversammlung bestimmten Vororts und
ist innerhalb 14 Tagen nach der Generalversammlung vorzunehmen. Am Tage nach
der Wahl ist dem Präsidium die Anzeige vom Ergebnis derselben zu machen,
worauf dasselbe die Ueberführung der Geschäfte vom alten auf den neuen Aus⸗
schuß binnen 14 Tagen vermittelt.
8 16. Der Ausschuß ist beschlußfähig, wenn in einer ordnungsmäßig
angesetzten Sitzung mindestens sieben Mitglieder desselben anwesend sind.
8 17. Sache des Ausschusses, als der beschließenden Behörde, ist es, in
allen Angelegenheiten zu entscheiden, die nicht ausdrücklich der Generalversammlung
vorbehalten sind. In allen Fällen kann über die Anordnungen des Präsidiums,
Bringmann, Geschichte der Zimmerer.
338
welche dieses innerhalb seines Wirkungskreises trifft, beim Ausschuß Beschwerde
eingelegt werden. Der Ausschuß kann, jedoch nur mit einer Mehrheit von zwei
Dritteilen aller Anwesenden, die Anordnungen des Präsidiums aufheben und
dann nach der Sachlage Verfügungen treffen. Ebenso kann mit einer Mehrheit
von zwei Dritteilen der Ausschuß jedes Mitglied des Präsidiums vom Amt
suspendieren, muß aber binnen acht Tagen Anklage und Verteidigung an alle
Bevollmächtigten senden, um durch die von demselben sofort einzuberufenden
Mitgliederversammlungen die endgültige Entscheidung durch die Gesamtheit der
Mitglieder herbeizuführen. Diese Mitgliederversammlungen haben binnen acht
Tagen nach Zustellung der Schriftstücke an die Bevollmächtigten zu erfolgen,
widrigenfalls sie nicht mehr stimmberechtigt sind. Die Bevollmächtigten haben
binnen drei Tagen über den Ausfall der Abstimmung an den Ausschuß zu
berichten, widrigenfalls dieselbe nicht berücksichtigt wird. Der Ausschuß hat
binnen acht Tagen das Endergebnis bekannt zu machen.
8 18. Der Ausschuß wählt aus sich heraus einen Geschäftsführer, an
welchen alle Anträge und Zuschriften für den Ausschuß zu richten sind und
welcher die Ersatzmänner beim Ausscheiden von Ausschußmitgliedern einzu—
berufen hat.
Alle Anträge, welche vom Präsidium ausgehen, hat der Ausschuß, wenn
nicht in den Satzungen eine kürzere Frist vorgeschrieben ist, binnen 14 Tagen
zu erledigen, widrigenfalls die Anträge vom Präsidium als angenommen betrachtet
werden können.
8 19. Die Generalversammlung ist die oberste Behörde der Arbeiterschaft.
Zu ihren Befugnissen gehört:
a) Die Gesetzgebung für die Arbeiterschaft;
d) die Prüfung beziehentlich die Bestätigung der Rechnungsberichte;
) die Wahl der Mitglieder des Präsidiums und der Ersatzmänner zu
demselben sowie die Bestimmung des Vororts;
19 die Bestimmung der Beamtengehälter.
8 20. Die ordentliche Generalversammlung wird unmittelbar nach der
ordentlichen Generalversammlung des Allgemeinen deutschen Arbeiterschafts—
verbandes in derselben Stadt wie diese abgehalten. Es bedarf hierzu keiner
besonderen Einberufung.
Außerordentliche Generalversammlungen können vom Präsidium, jedoch
nur in Uebereinstimmung mit der Mehrheit des Ausschusses, jederzeit berufen
werden. Sie müssen einberufen werden, wenn der Ausschuß einstimmig oder
wenn ein Sechstel der Mitglieder es verlangt.
8 21. Die Generalversammlung besteht aus den gewählten Vertretern
der Mitglieder. Die Mitglieder jedes Ortes entsenden einen Vertreter, welcher
so viele Stimmen hat, als Mitglieder am betreffenden Orte sind.
8 22. Anträge, welche auf die Tagesordnung kommen sollen, müssen drei
Wochen vor der Generalversammlung beim Präsidenten eingereicht werden.
Dieser hat dieselben 14 Tage vor derselben bekannt zu machen. Jedoch steht es
der Generalversammlung frei, auch nachträglich eingegangene Anträge mit einer
Mehrheit von zwei Dritteilen für zulässig zu erklären.
g 28. Das Vermögen der Arbeiterschaft ist in sicheren Wertpapieren an⸗
und in einer sicheren Bank niederzulegen, für die Tageskasse aber ein laufendes
Konto zu eröffnen. Sobald die Tageskasse 300 Taler erreicht, müssen sofort
339
wieder 100 Taler bezw. soviel, daß höchstens 200 Taler in der Kasse bleiben,
zinsbar angelegt und der Bank zur Aufbewahrung übergeben werden. Gelder
von der Bank können nur vom Hauptkassierer im Beisein der vom Vorort zu
wählenden Revisoren gekündigt und erhoben werden. Die vierteljährlichen
Rechnungsabschlüsse sind im Arbeiterschaftsorgan zu veröffentlichen. Der Haupt-—
kassierer hat eine Kaution von 100 Talern zu hinterlegen oder sichere Bürgen zu stellen.
Die Revisoren können jederzeit revidieren und sollen mindestens einmal
monatlich unvermutet eine Revision vornehmen.
Der Hauptkassierer hat den für jedes Mitglied pro Woche vom Arbeiter⸗
schaftsverbande bestimmten Betrag vierteljährlich nebst Abrechnung an das
Verbandspräsidium einzusenden. Die Einsendung für jedes Quartal hat im ersten
Monat des nächsten Quartals zu erfolgen.
8 24. Das Vermögen der Arbeiterschaft ist während ihres Bestehens
unteilbar. Ausscheidende Mitglieder haben keinen Anspruch an das Arbeiterschafts⸗
vermögen. Die Auflösung der Arbeiterschaft kann nur dann erfolgen, wenn drei
Viertel der Mitglieder dafür sind oder über das Vermögen der Arbeiterschaft der
Konkurs eröffnet wird, in welchem Falle das Präsidium eine Hauptversammlung
einzuberufen hat; diese wählt eine Kommission, die von da ab die Angelegenheit
zum Austrage bringt.
8 25. Die Arbeiterschaft unterwirft sich den Beschlüssen des Arbeiterschafts⸗
verbandes, welche dieser durch seine Organe in Gemäßheit seiner Satzungen faßt.
8 26. Die Arbeiterschaft erkennt den aktiven Mitgliedern des Verbands⸗
präsidiums das Recht zu, mit beratender Stimme allen Sitzungen der General⸗
versammlung des Präsidiums, des Ausschusses und der Mitgliederversammlung
der Arbeiterschaft beizuwohnen.
Satzung für den Arbeiterschaftsverband.
(Beschlossen auf dem ersten deutschen Arbeiterkongreß 1868.)
8 1. Der Allgemeine deutsche Arbeiterschaftsverband besteht aus all⸗
gemeinen deutschen Arbeiterschaften und hat seinen Sitz in Berlin. Zweck des
Verbandes ist: die Wahrung und Förderung der Ehre und der materiellen
Interessen der Arbeiterklasse.
z 2. Jeder einzelnen zum Verband gehörigen deutschen Arbeiterschaft bleibt
es vorbehalten, ihre Satzungen und Einrichtungen beliebig zu regeln. Nur an
folgende Bestimmungen sind die zum Verband gehörigen Arbeiterschaften gebunden:
a) Jede derselben hat ihrem Präsidenten oder einer sonstigen einzelnen
Person unbedingte Vollmacht zu erteilen, im Namen der Arbeiterschaft
bei den Verhandlungen und Beschlüssen des Zentralausschusses des
deutschen Arbeiterschaftsverbandes mitzuwirken.
Jede Arbeiterschaft hat derart Bestimmungen über die Abhaltung ihrer
ordentlichen Generalversammlungen zu treffen, daß dieselben unmittelbar
nach den ordentlichen Generalversammlungen des Verbandes in der—
selben Stadt wie diese abgehalten werden.
Jede Arbeiterschaft hat für jedes ihr angehörige Mitglied pro Woche
einen von der Generalversammlung des Verbandes zu bestimmenden
Beitrag an die Verbandskasse zu entrichten.
Jede Arbeiterschaft hat dem Verband gegenüber vierteljährlich Rechnung
abzulegen und den nach 8 1e fälligen Beitrag an die Verbandskasse
90
340
abzuführen. Eine Arbeiterschaft, welche die Abrechnung und die Beiträge
für ein Vierteljahr nicht im Laufe des ersten Monats des nachfolgenden
Vierteljahres an die Verbandskasse einsendet, wird als ausgetreten be⸗
trachtet.
Jede Arbeiterschaft hat sich den in Gemäßheit der Verbandssatzungen
erfolgten Beschlüssen und Anordnungen der Generalversammlung und
der Behörden des Verbandes zu fügen. Geschieht dies seitens einer
Arbeiterschaft nicht, so wird sie als ausgetreten betrachtet.
Jede Arbeiterschaft erkennt den aktiven Mitgliedern des Verbands⸗
präsidiums das Recht zu, mit beratender Stimme den Sitzungen der
Generalversammlung, der Behörden und der Mitgliederversammlungen
der Arbeiterschaft beizuwohnen.
Nur solche Arbeiterschaften, welche mindestens 500 Mitglieder zählen,
können in den Verband aufgenommen werden. Eine Arbeiterschaft,
welche demselben bereits zugehört, wird dann als ausgetreten betrachtet,
wenn sie über ein halbes Jahr lang unter 500 Mitglieder zählt.
3 8. Diejenigen Arbeiterschaften, welche durch ausdrückliche Erklärung
aus dem Verbande austreten, oder die in Gemäßheit der Bestimmungen des
vorstehenden Paragraphen als ausgetreten betrachtet werden, verlieren mit ihren
Mitgliedsrechten auch alle Ansprüche an die Verbandskasse.
8 4. Der Zentralausschuß des deutschen Arbeiterschaftsverbandes besteht
aus dem Präsidenten der einzelnen Arbeiterschaften. Hat eine einzelne Arbeiter⸗
schaft nicht ihrem Präsidenten, sondern einer andern Person Vollmacht zu ihrer
Vertretung im Gesamtausschuß gegeben, so hat diese Sitz und Stimme in dem—
selben. Immer kann eine Arbeiterschaft nur durch eine einzelne Person im Ausschuß
vertreten sein. Jedoch ist es dem Ausschuß gestattet, zu einzelnen Sitzungen
Vertrauensmänner mit beratender Stimme aus den einzelnen Arbeiterschaften
zuzuziehen.
8 3. Jedes Mitglied des Ausschusses hat für jede volle Anzahl von
300 Mitgliedern, welche die von ihm vertretene Arbeiterschaft zählt, eine Stimme.
Jedes Mitglied des Ausschusses hat mindestens eine Stimme. (Vergl. 828.)
8 6. Der Ausschuß ist beschlußfähig, wenn in einer ordnungsmäßig ange⸗
setzten Sitzung zwei Drittel der Mitglieder anwesend sind.
g 7. Der Ausschuß hält seine Sitzungen in der Regel zu Berlin ab.
Derselbe beschließt, wie oft im Monat er ordentliche Sitzungen abhalten will und
bestimmt seine Geschäftsordnung. Auf schriftlichen Antrag des vierten Teils der
Ausschußmitglieder muß eine außerordentliche Sitzung binnen drei Tagen berufen
werden.
8 8. Der Zentralausschuß des deutschen Arbeiterschaftsverbandes beschließt
darüber, ob eine Arbeitseinstellung auf Kosten des Verbandes begonnen werden
oder eine bereits begonnene auf Kosten des Verbandes unterstützt werden soll,
und bewilligt aus der Verbandskasse die nötigen Geldmittel. In diesen Be—
ziehungen ist der Ausschuß eine beschließende (nicht ausführende) Behörde.
Außerdem steht dem Ausschuß die oberste Ueberwachung des Kassenwesens
— — Gemäßheit der 88 22 bis ss inklusive
und die Ernennung und Absetzung der Kassenrevisoren zu.
Auch hat derselbe das im 812 ihm zugesprochene Recht in betreff der
Verbandsbeamten.
341
g 9. In betreff der Arbeitseinstellungen gelten folgende Bestimmungen:
1. In betreff solcher Einstellungen, die erst beabsichtigt werden, aber noch
nicht im Gange sind:
a) Wenn irgendwo Arbeiter eine Einstellung beabsichtigen, so stellt
der Vertreter der betreffenden Arbeiterschaft im Ausschuß auf Grund
einer eingehenden und genauen Berichterstattung entweder den Antrag,
die Einstellung nicht zu genehmigen, oder aber den Antrag: „Der
Ausschuß möge die beabsichtigte Einstellung genehmigen und für
Verbandssache erklären, sowie auch die erforderlichen Geldmittel
bewilligen.“ Durch welche Mittel und Einrichtungen die einzelnen
Arbeiterschaften ihren Vertretern eine genügende Berichterstattung
ermöglichen, bleibt ihnen überlassen. Die Berichterstattung nebst Antrag
hat binnen drei Tagen, nachdem der Vertreter der betreffenden
Arbeiterschaft nach den Einrichtungen derselben für vollständig von
der Sachlage unterrichtet gelten muß, in einer Sitzung des Aus⸗
schusses zu erfolgen. Zur Herbeiführung einer solchen hat der
betreffende Vertreter dem Verbandspräsidium ohne alle Verzögerung
die erforderliche Anzeige zu machen.
Der Ausschuß hat in der Sitzung, in welcher der Antrag gestellt
wird, oder in einer binnen zwei Tagen stattfindenden weiteren
Sitzung über den Antrag zu entscheiden. Gleichviel was der Ver⸗
treter der betreffenden Arbeiterschaft beantragt hat, kann beschlossen
werden, entweder die Genehmigung zur Einstellung endgültig oder
vorläufig zu versagen, oder dieselbe zu erteilen usw., oder endlich bessere
Berichterstattung aufzuerlegen.
Ist die Genehmigung der Einstellung versagt worden, so hat das
Präsidium die Betreffenden binnen zwei Tagen zu benachrichtigen.
Ist hingegen die Einstellung für Verbandssache erklärt worden, so
hat der Ausschuß sofort zu bestimmen, welche Beiträge den Feiernden
entrichtet werden sollen, und hat das Präsidium binnen drei Tagen
die erforderlichen Anordnungen zu treffen.
Nur solche Arbeiter, welche Mitglieder einer zum Verband ge⸗
hörigen Arbeiterschaft sind, erhalten bei Einstellung Geldmittel aus
der Verbandskasse.
Bei Einstellungen, die Verbandssache sind, hat betreffende Arbeiter⸗
schaft die Hälfte der in Gemäßheit der Ansätze des Ausschusses
erforderlichen Summen aufzubringen. Die andre Hälfte wird aus
der Verbandskasse entrichtet.
Bei Einstellungen, wobei unter fünf Prozent der Mitglieder der
betreffenden Arbeiterschaft beteiligt sind, kann erst nach Ablauf von
vier Wochen, wenn alsdann die Einstellung noch nicht zu Ende
gelangt ist, vom Vertreter der Arbeiterschaft der Antrag, die Ein—
stellung für Verbandssache zu erklären, gestellt werden. Sind über
fünf, aber unter zehn Prozent beteiligt, so gilt dasselbe nach Ablauf
einer Woche.
Der Ausschuß soll, wenn er eine Einstellung für Verbandssache
erklärt hat, zugleich die Forderungen der Arbeiter nur insoweit
genehmigen, als sie den Verbhältnissen entsprechen. Die Feiernden
J3
342
und die betreffende Arbeiterschaft haben sich den Aussprüchen des
Ausschusses und den hierauf begründeten Anordnungen des Präsidiums,
ebenso den vom letzteren in betreff der Einstellung überhaupt ge⸗
troffenen Anordnungen unbedingt zu fügen. Geschieht dies von
seiten der Feiernden nicht, so erklärt der Ausschuß, daß die Ein—
stellung aufhört, Verbandssache zu sein; geschieht es von seiten der
Arbeiterschaft nicht, so wird diese als aus dem Verband ausgetreten
betrachtet.
Der Ausschuß kann in einzelnen Fällen von allen vorstehenden Be—
stimmungen abgehen, wenn ein desfallsiger Antrag von mindestens
fünf Ausschußmitgliedern eine Mehrheit von zwei Dritteilen der
Stimmen im Ausschuß auf sich vereinigt.
Einstellungen, welche bereits im Gange sind, ohne daß das in der be—
treffenden Arbeiterschaft und im Verband vorgeschriebene Verfahren
beobachtet worden wäre, können nur ausnahmsweise Verbandssache
werden. Es ist hierzu nötig, daß ein desfallsiger Antrag von mindestens
fünf Ausschußmitgliedern eine Mehrheit von zwei Dritteilen der Stimmen
auf sich vereinige.
Den Wunsch, eine bereits im Gange befindliche Einstellung zur
Verbandssache erklärt zu sehen, können die Feiernden direkt an das
Verbandspräsidium richten, welches hiervon den Ausschuß binnen acht
Tagen in Kenntnis setzt.
Für Ausschließungen (Verbindungen von Lohnherren zur Aussetzung
der Arbeit) gelten — mit den selbstverständlichen Aenderungen — die—
selben Bestimmungen wie für Einstellungen.
8 10. An der Spitze des Verbandes steht das Verbandspräsidium, welches
aus dem Verbandspräsidenten, einem ersten und zweiten Vizepräsidenten besteht.
Außerdem sind ein erster und zweiter Ersatzmann zu bestimmen, welche
erforderlichenfalls der Reihe nach in die erledigten Stellen einzurücken haben,
auch im Falle vorübergehender Verhinderungen von Mitgliedern des Präsidiums
mit beratender und beschließender Stimme zur Komplettierung der Dreizahl zu⸗
zuziehen sind.
8 11. Sache des Präsidiums ist es:
a) Die Beschlüsse des Gesamtausschusses, die dieser in Gemäßheit seiner
satzungsmäßigen Wirksamkeit gefaßt hat, zur Ausführung zu bringen.
Ausführende Behörde.)
Die Agitation für die Verbandsinteressen zu bestimmen und zu leiten,
auch bei denjenigen Arbeitseinstellungen, welche nach Beschluß des
Ausschusses Verbandssache sind, die erforderlichenfalls unterstützenden
Maßnahmen zu treffen. (Beschließende und ausführende Behörde.)
Die Verwaltung und den Geschäftsgang im Verband zu bestimmen und
zu leiten, auch die Beamten außer den Kassenrevisoren anzustellen.
Die Sitzungen des Ausschusses anzuberaumen, die Generalversammlung
einzuberufen und in den Sitzungen beider den Vorsitz zu führen.
Hingegen steht den Mitgliedern des Präsidiums in den Sitzungen
der Generalversammlungen und des Ausschusses zwar beratende, nicht
aber beschließende Stimme zu.
1
34.
8 12. Das Präsidium stellt folgende besoldete Beamte an:
1. Einen Verbandskassierer,
2. einen Verbandssekretär,
3. erforderlichenfalls Vizesekretär.
Außerdem kann das Präsidium je nach Erfordernis unbesoldete Verbands⸗
beamte ernennen und den Wirkungskreis derselben bestimmen.
Das Präsidium kann die von ihm ernannten Beamten jederzeit ab—
setzen; doch steht diesen, wenn sie die Absetzung für willkürlich und ungerecht—
fertigt halten, die Beschwerde an den Ausschuß zu. Dieser hat endgültig zu
entscheiden.
8 18. Der Verbandssekretär ist lediglich Verwaltungsbeamter und hat in
Gemäßheit der Anordnungen des Präsidiums zu verfahren, außer soweit ihm in
den Satzungen bestimmte Pflichten vorgeschrieben sind. GVergl. 8 17.)
Die etwa erforderlichen Vizesekretäre werden je nach Ermessen des Präsidiums
dem Verbandssekretär unterstellt oder erhalten einen abgetrennten Wirkungskreis.
Im ersten Falle haben sie nach den Weisungen des Sekretärs, im zweiten nach
denen des Präsidiums zu verfahren.
8 14. Nach außen wird der Verband durch den Verbandspräsidenten ver—
treten, der aber hierbei in Gemäßheit der Beschlüsse des Ausschusses bezw. des
Präsidiums zu verfahren hat. Bei Verhinderung desselben tritt an seine Stelle
der erste Vizepräsident, an die Stelle des letzteren bei dessen Verhinderung der
zweite Vizepräsident.
8 15. Das Präsidium ist beschlußfähig, wenn in einer ordnungs⸗
mäßig angesetzten Sitzung zwei aktive Mitglieder erschienen sind. Durch
Uebereinstimmung der Anwesenden wird in diesem Falle ein gültiger Be—
schluß gefaßt.
8 16. Das Präsidium hält seine Sitzungen in der Regel in Berlin und
bestimmt seine Geschäftsordnung.
8 17. Die Wahl der Mitglieder des Präsidiums erfolgt in nachstehender
Weise: In allen einzelnen Arbeiterschaften treten die Mitglieder in eigens zu
diesem Zweck anberaumten Ortsversammlungen zusammen und wählen in fünf
voneinander gesonderten einzelnen Wahlgängen vermittels Stimmzettel in geheimer
Weise erst den Präsidenten, dann den ersten Vizepräsidenten, dann den zweiten
Vizepräsidenten, hierauf den ersten und endlich den zweiten Ersatzmann. Es steht
an jedem Orte den Ortsvorstehern der verschiedenen zum Verband gehörigen
Arbeiterschaften frei, sich dahin zu vereinbaren, daß alle Mitglieder der Arbeiter⸗
schaften, die zum Verband gehören, ohne Unterschied der Arbeiterschaften in einer
einzigen Wahlversammlung zusammentreten sollen. Derjenige, der in einem der
fünf Wahlgänge die meisten Stimmen für sich hat, wenn das Ergebnis sämtlicher
Versammlungen in ganz Deutschland zusammengerechnet wird, ist für die betreffende
Stelle gewählt. Ueber die Wahlverhandlung und deren Ergebnis in den einzelnen
Versammlungen ist ein genaues Protokoll aufzunehmen, welches insbesondere die
Stimmenzahl angibt, welche in den einzelnen Wahlgängen auf die verschiedenen
Personen gefallen ist. Sämtliche Protokolle werden binnen einer bestimmten Frist
an den Verbandssekretär eingesandt, welcher in einer eigens hierzu anberaumten
Sitzung des Ausschusses, die gleichfalls innerhalb bestimmter Frist stattzufinden
hat, dieselben vorlegt. Der Ausschuß ermittelt das Ergebnis und proklamiert das
neue Präsidium.
— 344
Die Wahlen haben im ersten Quartal jedes Kalenderjahres stattzufinden.
Die erforderliche Anberaumung der Wahl nebst Ansetzung der Fristen erfolgt
durch das bestehende Präsidium.
Hat eine Wahl keine absolute Mehrheit ergeben, so kann das Präsidium
unter Zustimmung des Ausschusses eine engere Wahl zwischen den beiden Meist—
bestimmten für den betreffenden Posten binnen acht Tagen beschließen. Diese
engere Wahl hat dann binnen vier Wochen nach gefaßtem Beschluß zu erfolgen.
Ist eine engere Wahl nicht binnen acht Tagen beschlossen worden, so ist derjenige
endgültig gewählt, der die größte relative Stimmenzahl hatte.
8 18. Die Generalversammlung des Verbandes besteht aus den eigens
hierzu gewählten Vertretern der einzelnen Arbeiterschaften. Die Wahl dieser
Vertreter geschieht unmittelbar durch die Mitglieder jeder einzelnen Arbeiterschaft,
welche an den verschiedenen Orten zum Zweck der Wahl in einer genügend be—
kannt zu machenden Versammlung zusammentreten. Die Abgeordneten haben so
viele Stimmen, als die Arbeiterschaft an den von ihnen vertretenen Orten Mit—
glieder zählt. Ueber die Wahlhandlung ist ein genaues Protokoll aufzunehmen
und außer von dem Vorsitzenden und Schriftführer der Versammlung noch von
mindestens fünf Teilnehmern an derselben zu unterzeichnen. Dieses Protokoll
dient als Vollmacht. In demselben muß angegeben sein, wie viele Mitglieder
die Arbeiterschaft im betreffenden Orte zählt. Jeder einzelne kann nicht nur die
Mitglieder ein und derselben Arbeiterschaft an verschiedenen Orten, sondern auch
Mitglieder verschiedener Arbeiterschaften vertreten.
8 19. Jedes Mitglied jeder Arbeiterschaft hat das Recht, der General⸗
versammlung mit beratender Stimme beizuwohnen.
8 20. Sache der Generalversammlung, als der obersten Verbands—
behörde, ist es:
a) Verbandsgesetze zu beschließen. Für Abänderung der Satzungen ist jedoch
eine Mehrheit von zwei Dritteilen der Anwesenden erforderlich.
Die Amtsführung des Präsidiums, des Ausschusses und aller Beamten,
insbesondere des Kassierers und der Kassenbeamten, zu prüfen und je
nach Ergebnis Entscheidung zu treffen.
Das Gehalt derjenigen Beamten, die besoldet werden, zu bestimmen.
Vergl. 8 12.)
8 21. Das Präsidium hat die Generalversammlung immer innerhalb des
ersten Kalenderjahres seit dem letzten Zusammentritt derselben zu berufen.
Eine außerordentliche Generalversammlung kann vom Präsidium, wenn die
drei aktiven Mitglieder desselben einig sind, jederzeit berufen werden und muß
von demselben berufen werden, wenn zwei Dritteile der sämtlichen Mitglieder
des Ausschusses (hier nach Köpfen gerechnet) es verlangen. Die Berufung hat
in der Art zu erfolgen, daß spätestens drei Monate nach erfolgtem Verlangen die
Generalversammlung stattfinden kann.
Jede ordentliche Generalversammlung ist mindestens sechs Wochen, jede
außerordentliche wenigstens drei Wochen vor ihrem Zusammentritt zu berufen.
8 22. Die Kasse des Verbandes wird von einem Kassierer verwaltet und
von drei Revisoren kontrolliert. Alle Beiträge und überhaupt alle Zahlungen für
den Verband sind an den Kassierer zu entrichten. Dieser hat sofort von den
eingehenden Geldern sichere Wertpapiere, die ihm vom Präsidium bezeichnet
werden, anzukaufen und bei einer sicheren Bank, die ihm vom Präsidium
9
2
345 —
bezeichnet wird, zu deponieren. Sobald nämlich die Tageskasse 800 Taler
erreicht, müssen sofort 100 Taler, bezw. so viel, daß höchstens 200 Taler in Kasse
bleiben, zinsbar angelegt und die betreffenden Papiere bei der Bank des Vereins
deponiert werden. Es ist dem Kassierer hierfür eine Frist von drei Tagen
gestattet.
Der Kassierer hat eine Kaution von 200 Talern bar zu hinterlegen oder
sichere Bürgen zu stellen.
g 28. Das Vermögen des Verbandes ist während des Bestehens desselben
unteilbar. Keine einzelne Arbeiterschaft hat Ansprüche auf dasselbe; es dient
lediglich den in den Verbandssatzungen ausgesprochenen Gesamtzwecken.
g 24. Die drei Revisoren haben das Recht, jederzeit zu untersuchen, ob
der Kassierer seinen Verpflichtungen nachkommt; jedoch müssen zu diesem Zweck
zwei von ihnen zusammentreten. Sie sind verbunden, mindestens einmal in jedem
Kalendermonat unvermutet eine Untersuchung vorzunehmen.
Das Recht der Untersuchung steht ferner dem Verbandspräsidenten sowie
den Ausschußmitgliedern zu; jedoch ist der Kassierer letzteren gegenüber nur dann
zu Auskunft und Nachweis verbunden, wenn drei Mitglieder des Ausschusses
gleichzeitig persönlich erscheinen. Der Untersuchung von seiten des Präsidenten
und der Ausschußmitglieder braucht sich der Kassierer in jedem Kalendermonat
nur einmal zu unterwerfen.
g 28. Der Präsident ist berechtigt, außer den laufenden Anweisungen auf
Grund ausdrücklicher Beschlüsse der Generalversammlung, wöchentlich bis zum
Betrage von 25 Talern Anweisungen auf die Kasse zu geben. Höhere Beträge
dürfen nur auf Anweisungen verabfolgt werden, die von mindestens zwei Mit—
gliedern des Präsidiums unterzeichnet sind. Die bei der Bank niedergelegten Papiere
können nur von dem Präsidenten bezw. den ihn zeitweilig vertretenden Vizepräsidenten
in Begleitung eines weiteren Mitgliedes des Präsidiums und eines Revisors
zurückgezogen werden. Der Präsident hat binnen drei Tagen den Revisoren den
Beweis zu liefern, daß das für die Papiere erlöste Geld seiner Bestimmung gemäß
verwandt wurde.
8 26. Die Revisoren sind verpflichtet, über jede Ungehörigkeit, die sie im
Kassenwesen wahrnehmen, binnen drei Tagen an den Ausschuß zu berichten.
Dieselbe Verpflichtung liegt im gleichen Falle dem Präsidenten ob, wenn er
eine Revision vorgenommen hat, und den Ausschußmitgliedern, welche dies
getan haben.
Dem Ausschuß steht das Recht zu, das Erforderliche zu verfügen. Mit
einfacher Mehrheit kann der Ausschuß den Kassierer vom Amt suspendieren, wo⸗
rauf das Präsidium provisorisch einen Kassierer ernennt; mit einer Mehrheit von
zwei Dritteilen kann der Ausschuß jedes Mitglied des Präsidiums wegen erheb—
licher Ungehörigkeit im Kassenwesen vom Amte suspendieren.
Dem Präsidenten steht es, wenn dies geschehen ist, zu, entweder einen der
Ersatzmänner einzuberufen, oder zur Erledigung der Sache eine außerordentliche
Generalversammlung anzusetzen. Ist mehr als ein Mitglied des Präsidiums
suspendiert, so tritt an Stelle des Präsidiums ein binnen drei Tagen vom Aus⸗
schuß zu wählendes Direktorium von drei Personen, welches vorübergehend als
außerordentliche Behörde an die Stelle des Präsidiums tritt, während seiner
Amtsdauer alle Rechte desselben ausübt und verpflichtet ist, eine außerordentliche
Generalversammlung in der Art einzuberufen, daß dieselbe binnen vier Wochen
346
nach Einsetzung des Direktoriums zusammentreten kann. Dieser General—⸗
versammlung liegt es ob, die regelmäßige Ordnung im Verbande wieder her—
zustellen.
8 27. Das Präsidium ist berechtigt, zur Durchführung der mit den Arbeits-
einstellungen und der Tätigkeit des Verbandes überhaupt zusammenhängenden
Agitation wie folgt über Gelder aus der Kasse zu verfügen:
a) Solange die vierteljährlichen Einnahmen des Verbandes unter 1000 Taler
betragen, über vierteljährlich 250 Taler;
wenn die vierteljährlichen Einnahmen zwischen 1000 und 2000 Taler
betragen, über vierteljährlich 380 Taler;
wenn die vierteljährlichen Einnahmen zwischen 8000 und 5000 Taler
betragen, über vierteljährlich 600 Taler;
wenn die vierteljährlichen Einnahmen zwischen 5000 und 25000 Taler
betragen, über vierteljährlich 1000 Taler;
wenn die vierteljährlichen Einnahmen über 28000 Taler betragen, über
vierteljährlich 8000 Taler.
8 28. Der Kassierer, der Präsident und das Präsidium legen vierteljährlich
dem Ausschuß Rechnung ab.
8 29. Der Verband hat in der Presse ein eignes Organ. Die Redaktion
desselben hat in allen Verbandsangelegenheiten nach der Weisung des Präsidiums
zu verfahren.
8 30. In wichtigen und dringlichen Fällen kann das Präsidium, wenn es
die ausdrückliche Zustimmung des Ausschusses erlangt, vorübergehend unter
Außerkraftsetzung von Beschlüssen früherer Generalversammlungen alle Anord—
nungen treffen. Der nächsten Generalversammlung steht die endgültige Entschei⸗
dung zu.
2)
J—
Uebergangsbestimmungen.
8 1. Der Kongreß begründet den Verband. Er übt alle Rechte aus,
welche der Generalversammlung zustehen.
8 2. Der Ausschuß konstituiert sich noch während des Kongresses. Das
Präsidium wird auf dem Kongreß eingesetzt. Die Wahl des Präsidiums im ersten
Quartal 1869 fällt aus.
8 8. Im Laufe des Jahres 1868 können auch allgemeine deutsche Arbeiter⸗
schaften mit weniger als 1300 Mitgliedern, wenn sie nur deren mindestens 250
zählen, in den Verband aufgenommen werden. Wenn die also eingetretenen
Arbeiterschaften nicht zu Ende des ersten Quartals 1869 mindestens 100 Mit⸗
glieder zählen, werden sie als ausgeschieden betrachtet.
8 4. Alle Bestimmungen, welche die Arbeitseinstellungen betreffen, treten
erst in Kraft, wenn im Norddeutschen Bunde die Arbeitseinstellungen gesetzlich
erlaubt sind.
8 53. Die Kassenbestimmungen treten erst mit dem 1. Januar 1869 in
Kraft. Der Kongreß fordert die einzelnen Arbeiterschaften auf, während des
Restes des Jahres 1868 angemessene freiwillige Sendungen an die Verbands⸗
kasse zu machen.
86. Während des Restes 1868 werden die zu ernennenden besoldeten
Beamten nach dem Ermessen des Ausschusses für ihre Mühewaltung entschädigt.
8 7. Die erste ordentliche Generalversammlung findet womöglich im ersten
Quartal des Jahres 1869 statt.
347
prãsenzlissste der 2weiten Generalversammlung
des Allgemeinen deutschen Arbeiterschaftsverbandes.
(Abgehalten in Kassel vom 28. bis 26. Mai 1860.)
Außer den Mitgliedern des Verbandspräsidiums waren anwesend:
Herr Fritzsche (Berlin), Präsident des Allgemeinen deutschen Zigarren—
arbeitervereins.
Herr Lübkert Gerlin), Präsident des Allgemeinen deutschen Zimmerer—
vereins.
Derselbe als Präsident des Allgemeinen deutschen Maurervereins.
Herr Schob (Köln), Präsident des Allgemeinen deutschen Schneidervereins.
Herr Zielowsky Gerlin), Vizepräsident des Allgemeinen deutschen Schuh—
machervereins.
Herr Schulz (Hannover), Präsident der Allgemeinen deutschen vereinigten
Metallarbeiterschaft.
Herr NYork (Harburg), Präsident des Gewerkvereins deutscher Holzarbeiter.
Herr Klein (Elberfeld), Präsident der Allgemeinen deutschen Genossenschaft
der Hand- und Fabrikarbeiter.
Herr Tölcke Gerlin), Präsident der Allgemeinen Genossenschaft der Berg-,
Hütten- und Salinenarbeiter.
Herr Dörmann Garmen), Vizepräsident der Allgemeinen deutschen Manu—⸗
fakturarbeiterschaft.
Herr Peter Gerlin), Präsident der Arbeiterschaft der Buchbinder, Leder⸗
arbeiter, Sattler, Riemer, Handschuhmacher usw.
Zum Verbande gehören ferner:
12. Der Allgemeine deutsche Bäckerverein (Präsident Herr Merkel in Berlin).
13. Das deutsche Maler-, Lackierer- und Vergoldergewerk (Präsident Herr
Ambrosius in Hamburg).
Nachstehend ist das von der gewählten Kommission festgestellte Verzeichnis
der Delegierten abgedruckt.
348
Name
R. Praast ............
do. ............
F. Klimm .. ..........
do. ............
do. .........
Scheuck .............
do. .... ....
C. L. Schulz ..........
O. Lehder ... .........
Heinemann .. ........
M. Köhler .... . . . ....
do. ...........
Dittmar .... . ........
d. .
Schallmeyer u. Münch
do.
do.
Raspe ....
do. ..... ........
F. Lindecke ........
Haustein .. .....
do.
do.
do.
Pieper, ....
do. .. —
W. Knöllner .. ......
do.
H. Peter.
do. ..
Viewig
do..
do.
do.
do.
do.
do.
Bolle
do.
do...
do.....
do. .... ...........
do. ................
do. . .. .......
Rr
Hamburg
Altona
Hanau
Offenbach
Wiesbaden
do.
Würzburg
do.
Mainz
Hamburg
Linden b. Hannover
Kassel
Münden
Barmen
Ronsdorf
Altona
Hamburg
Brandenburg
Essen
Wattenscheid
Genthin
Offenbach
do.
Mülheim
Hanau
Hamburg
Lübeck
Brandenburg a. d. H.
Dessau
Berlin
do.
Wolfenbüttel
Braunschweig
Neustadt-⸗-Magdeburg
Buckau/
Brandenburg
Frankfurt a. d. O.
Berlin
Buckau b. Magdeburg
Groß⸗Ottersleben
do.
Klein⸗Ottersleben
Neustadt-Magdeburg
do.
do.
Gewerkschaft
do. .. .
do. ...
Zimmerer... —*
Holzarbeiter. ..........
Maurer .... ..........
Holzarbeiter. ..........
Bewerkschaften ........
Holzarbeiter. ..........
Manufakturarbeiter ....
Schneider . . . . . . . . . ....
do. .............
Maurer ..............
do. ...... .......
Metallarbeiter.........
do. —RE
do. .........
Berg- u. Hüttenarbeiter.
do.
Maurer ..............
Hand u. Fabrikarbeiter.
Metallarbeiter.........
do. .........
do. .........
Buchbinder ...........
do. α
Manufakturarbeiter ....
do. ....
Metallarbeiter. ........
ee5111
Holzarbeiter...........
do. ...........
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Schuhmacher ...
Metallarbeiter.. ........
Maurer ..............
Hand- u. Fabrikarbeiter.
do.
Zimmerer............
Metallarbeiter.........
Hand- u. Fabrikarbeiter.
Zahl
30
176
27
162
59
104
40
150
220
190
70
9
860
40
60
216
80
224
35
—
150
124
28
20
42
38
150
30
18
42
—
—
—
82
20
76
60
349
Name
Lübkert ....
do.
26
do.
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do.
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Hurlemann
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do. .. ...............
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Bielefeld
Hildesheim
Kochstädt
Hannover
Schneidemühl
Königsberg
Brandenburg
Heppens a. J.
Sangerhausen
74 Orte
Halberstadt
do.
Breslau
do.
do.
Bielefeld
Hannover
Dessau
Naumburg
Hhalberstadt
Koblenz
Frankfurt a. M.
Münden b. Göttingen
do.
do.
do.
München
do.
do.
do.
do.
Mainz
Augsburg
Mannheim
Heidelberg
Würzburg
Mainz
Botha
do.
Frankfurt a. M.
hannover
Hildesheim
Celle
Lüneburg
Harburg
Gewerkschaft
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Maurer (12Orte)......
Maurer ... .......
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do.
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Zimmerer .............
Hand- u. Fabrikarbeiter.
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Zimmerer . . . . . . . . . . . ..
Maurer ..............
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Hand- u. Fabrikarbeiter.
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Metallarbeiter.........
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Hand⸗ u. Fabrikarbeiter.
Holzarbeiter ..........
Maurer ..............
Schneider .............
Maler u. Lackierer.....
Holzarbeiter...........
Metallarbeiter.........
Schuhmacher ..........
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Hand⸗ u. Fabrikarbeiter.
Schuhmacher ..........
Schneider.............
Holzarbeiter ....... ...
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Zahl
40
40
118
40
23
100
80
80
60
3624
28
100
200
95
80
104
—190
56
18
20
31
25
16
40
2
70
57
31
196
6!
64
0
48
32
90
18
30
144
80
4
62
12
29
350
Name
C. Klein .. ...........
do. ......... ....
do. . . ...... .....
F. Kirchner .. . . . . . . ...
do. ..... . .....
Sauthoff . . . . . . . . . . ...
Schneider . . . . . . . . . . ..
do. . ...............
Windhövel . . . . . . . . ...
do. —V — —— —
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do. ...........
Windsheimer .........
do. ......
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Frenzel .. .....
do. .... ....
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do. .... .......
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Capell ...
Zollinger ............
Orbe .. . . . . ..........
do. . . . . . ...........
Trettin . . . . . . . . . . ....
Thiemann . . . . . . . . . ...
Herrler ..............
do. αα
Winkelmann . . . . . .....
Luckhardt . . . . . . . .. ...
Schaper .............
Mahn .. ... ..........
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Wilcke ...
Or
Elberfeld
do.
Kochstedt
Braunschweig
Wolfenbüttel
Harburg
Frankfurt a. M.
Ober⸗Barmen
do.
Essen
Altstaden
Sterkrade
Mülheim a. d. R.
Augsburg
do.
do.
do.
do.
do.
do.
Frankfurt a. d. O.
Bielefeld
Berlin
Aschersleben
Königsau
Staßfurt
Schneidlingen
Seederburg
Berlin
Offenbach für
Frankfurt a. M.
Elberfeld
Barmen
Lüneburg
Hannover
Leipzig
Eulenburg
Bielefeld
Kassel
Celle
döchst
Bockenheim
Harburg
Gewerkschaft
Zahl
Maurer ..............l
Schneider .. . . . . . . . ....
Hand- u. Fabrikarbeiter.
do.
do.
do.
Schuhmacher . . . . . . ....
Manufakturarbeiter ....
Hand- u. Fabrikarbeiter.
Metallarbeiter.........
Berg⸗, Hütt.⸗ u. Sal.⸗Arb.
do.
do.
Schneider.............
Schuhmacher ..........
Zimmerer .............
Sattler, Buchbinder und
Lederarbeiter ........
Hand- u. Fabrikarbeiter.
Metallarbeiter.........
Holzarbeiter...........
Metallarbeiter.........
Manufakturarbeiter ....
do.
Berg⸗, Hütten⸗ u. Salinen⸗
arbeiter .....
do.
do.
do.
do.
122
25
460
120
17
175
160
292
90
76
367
22
395
42
30
53
22
107
340
61
135
18
104
102
46
2834
68
65
535
Zimmerer...
Holzarbeiter ........
Metallarbeiter. . . . . . ...
do. .........
do. .........
do. .........
Maurer .......
do. .......
Metallarbeiter.. . . . . ...
do. .. .
Maurer ..............
Metallarbeiter . . . . . . ...
do. UV —
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150
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17
103
608
275
54
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60
40
84
351
Name
Somann .............
Kellner ..............
do. ...
Müller ...
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Jahn ...
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Tauscher . . . . . . . . . . ...
Häusch. . . . . .........
Berthold .. . . .......
Ziegler .. .. . . ... ...
Kölsch .. . . ... *
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Thieme .. ...
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Meißner.
Liebisch.
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Hammer. .......
do. ....
Jakobi . . . . . . . . . . . . ..
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Hockemeyer . . . . . . . . . ..
Ort
Altona
Aschersleben
Staßfurt
Köln
Höhr
Koblenz
Barmen
Kassel
do. (A Städte s.Wahlkr.)
Augsburg
Koblenz
Kassel
Holzhausen
Mainz
Hamburg
Altona
Osnabrück
Minden
Bielefeld
Witten
Dortmund
Düsseldorf
do.
do.
Koblenz
Hilden
Hildesheim
Schlebusch
Dünnwald
Glogau
Lüneburg
Barmen
Dessau
Hamburg
Harburg
Altona
Memel
Barmen
Hannover
kKassel
Leipzig
Halle
Erfurt
Gotha
Hamburg
Gewerkschaft
Holzarbeiter. . . . . ......
Maurer ..............
Maurer ..............
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Manufakturarbeiter ....
Schuhmacher ..........
Manufakturarbeiter ....
Metallarbeiter.........
Schuhmacher . . . . .. ....
Maurer ..............
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Holzarbeiter.... ......
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Schneider ...... .....
Metallarbeiter. . . ......
Holzarbeiter...........
Schuhmacher . . . . . . ....
Manufakturarbeiter. ..
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Maurer ... .........
Schneider . . . . . . . ......
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Schneider . . . . . . . ......
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Hand- u. Fabrikarbeiter.
Zahl
160
118
72
78
158
72
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119
—111
405
30
20
35
34
308
78
11
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20
81
31
30
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58
76
19
40
28
22
30
451
70
830
34
38
22
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9
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240
86
352
Name
Düchting . . . . . . .......
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Schmohl . . . . . ........
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Bechluft . .......
Pieper.. ....
Müller ... ....
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E. Montowk ..........
F. Buhle ...... .......
24
Ort
Solingen
Köln
Hattingen
Lüneburg
Auswärts
Berlin
do.
do.
Braunschweig
Remscheid
Pollhausen
b. Wermelskirchen
Frankfurt a. M.
Offenbach
Heusenstamm
Eisleben
Worms
do.
do.
Kassel
Stettin
Berlin
Köln
Pinneberg
Staßfurt
do.
do.
do.
do.
Aschersleben
do.
Kochstedt
do.
Königsau
Schneidlingen
Löderburg
Wiesbaden
Köslin
Bonn
Magdeburg
Berlin
Braunschweig
Kassel
Gewerkschaft
Metallarbeiter.........
do. ..... ....
Berg⸗, Hütten⸗ u. Salinen⸗
arbeiter . . . . . . . . ....
Maurer ..............
do. ... ...
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do. (I/3) ... .......
do. (3) ... .......
Metallarbeiter.. . ......
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Lederarbeiter und Buch—
hinder .....
do.
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Maurer ..............
Zimmerer .............
Hand⸗- u. Fabrikarbeiter.
Maurer ..............
Schuhmacher ..........
do. α
do. ..........
do.
Holzarbeiter ...........
Hand⸗ u. Fabrikarbeiter.
Zimmerer.............
Metallarbeiter .........
Schneider .. . . ...... ..
SE
Hand⸗ u. Fabrikarbeiter.
Zimmerer. . ...........
Hand⸗ u. Fabrikarbeiter.
Maurer .P.............
Hand- u. Fabrikarbeiter.
do.
do.
Schneider ...... .......
Maurer ......... ....
Buchbinder . . ... . . ....
Metallarbeiter.........
Bertreter dee ¶ngemeinen
deutschen
Zigarrenarbeitervereins
BSahl
38
265
256
32
41
364
363
363
220
57
62
71
91
30
100
45
108
104
60
87
43
31
20
112
33
20
16
20
100
36
500
108
200
150
62
85
80
32
29
10000
353
Statut des Allgemeinen deutschen Arbeiter⸗Unterstützungsverbandes.
(Beschlossen auf der dritten Generalversammlung des Allgemeinen deutschen Arbeiterschafts⸗
verbandes 1870 in Berlin.)
a) Zweck des Verbandes und Mitgliedschaft.
8 1. Der Verband führt den Namen Allgemeiner deutscher Unterstützungs⸗
verband und hat seinen Sitz in Berlin.
8 2. Zweck desselben ist: durch festes Zusammenhalten, insbesondere,
wenn nötig, durch organisierte Arbeitseinstellungen die Ehre und die materiellen
Interessen der Beteiligten zu wahren und zu fördern.
g 8. Mitglied kann jeder Arbeiter, jede Arbeiterin, jeder Kleinmeister und
jede Kleinmeisterin sein.
Melden sich andre Personen zum Eintritt, so sind sie nur mit Genehmigung
des Präsidiums und der nächsten ständigen Verbandskommission aufnahmefähig.
Entstehen Zweifel darüber, ob jemand als Arbeiter oder Kleinmeister zu betrachten
ist, so entscheiden gleichfalls das Präsidium und gedachte Kommission.
Solche Personen, welche eines entehrenden Verbrechens wegen bestraft
worden sind, haben nachzuweisen, daß sie sich nach verbüßter Strafe ein halbes
Jahr lang untadelhaft aufgeführt haben. Es ist ferner zu ihrer Aufnahme nötig,
daß sich die Mehrheit am Orte der Aufnahme mit dieser einverstanden erklärt.
Ueber die Frage, ob ein Verbrechen als entehrend zu betrachten ist, entscheiden
Präsidium und Kommission.
8 4. Beim Eintritt in den Verband sind 8 Sgr. als Einstandsgeld zu
zahlen. Der laufende Beitrag wird alljährlich durch die ordentliche General⸗
versammlung bestimmt. Für das nächste Jahr ist derselbe auf 1Sgr. pro Woche
festgesetzt. Machen vermehrte Ausgaben eine Erhöhung der von der General⸗
versammlung festgesetzten Beiträge erforderlich, so kann das Präsidium unter
Zustimmung der Mehrzahl der ständigen Verbandskommission einen höheren
Beitrag ansetzen. Nur diejenigen Kommissionen, die sich bei der ausgeschriebenen
Abstimmung beteiligen, werden gezählt.
8 5. Der Mitgliedschaft verlustig wird:
a) von selbst, wer mit mehr als sechs Beiträgen im Rückstande ist (während
der Krankheit ist das Mitglied von Zahlung der Beiträge suspendiert;
über Streitigkeiten in diesen Fällen entscheidet die nächste Verbands⸗
kommission);
durch ausdrückliche Erklärung des Ausschusses und des Präsidiums
wird der Mitgliedschaft verlustig, wer die Kasse in betrügerischer Weise
benutzt, wissentlich gegen den Zweck der Gewerkschaft handelt oder
überhaupt sich als Feind der Arbeitersache erweist.
Bei der getroffenen Entscheidung behält es bis zur nächsten
Generalversammlung sein Bewenden.
8 6. Mitglieder, die zum Militär eingezogen werden, sind während ihrer
Dienstzeit von ihren Pflichten und von ihren Rechten suspendiert.
8 7. Ueberall da, wo sich mindestens zehn Mitglieder befinden, ist vvn
denselben aus ihrer Mitte ein Bevollmächtigter vermittels des allgemeinen direkten
Stimmrechts zu wählen und dem Präsidium zur Bestätigung anzuzeigen. Wird
die Bestätigung abgelehnt, so haben die betreffenden Mitglieder entweder ein
andres Mitglied zu wählen oder sich zu erklären, daß sie bei der früheren Wahl
beharren. Im letzteren Falle ist die Entscheidung der nächsten ständigen Verbands⸗
Bringmann, Geschichte der Zimmerer.
354
kommission, welcher das Präsidium denn auch die Gründe der Nichtbestätigung
vorzulegen hat, anheimgegeben. Wird die Bestätigung innerhalb acht Tagen nicht
versagt, so gilt dieselbe für erteilt.
8 8. Der Bevollmächtigte besorgt nach Anleitung des Präsidiums die
Angelegenheiten des Verbandes an seinem Orte. Er führt in den Mitglieder—
versammlungen daselbst den Vorsitz. Er hat für die Wahl eines Ortskassierers,
Schriftführers und dreier Revisoren zu sorgen.
g 9. In großen Städten ist es dem Bevollmächtigten gestattet, die Mit⸗
glieder in Bezirke einzuteilen und in betreff der Verwaltung unter Zustimmung
der Mitglieder die nötigen Anordnungen zu treffen. Die von ihm vorzuschlagenden
und von den Mitgliedern zu ernennenden Bezirksbeamten haben seinen Anord⸗
nungen Folge zu leisten.
Der Bevollmächtigte in einer solchen Stadt ist, wenn eine gemein⸗
same Versammlung aller Mitglieder unmöglich ist, in der Art zu wählen, daß
die Abstimmung zwar in den getrennten Bezirksversammlungen stattfindet,
die in denselben abgegebenen Stimmen aber einheitlich zusammengerechnet
werden.
Den Bäckern und denjenigen Arbeitern, welche durch ihre Beschäftigung
verhindert sind, abends an Versammlungen teilzunehmen, ist es gestattet, besondere
Versammlungen abzuhalten.
b) Die Generalversammlung.
8 10. Die Generalversammlung besteht aus den eigens hierzu gewählten
Vertretern. Die Wahl dieser Vertreter geschieht unmittelbar durch die Mitglieder,
welche an den verschiedenen Orten zum Zweck der Wahl in einer genügend be—
kannt zu machenden Versammlung zusammentreten. Die Abgeordneten haben so viele
Stimmen, als der Verband an den von ihnen vertretenen Orten Mitglieder zählt.
Ueber die Wahlhandlung ist ein genaues Protokoll aufzunehmen und von dem
Bevollmächtigten und dem Schriftführer zu unterzeichnen. Dieses Protokoll kann
als Vollmacht dienen. Es muß angegeben sein, wieviel Mitglieder der Verband
am betreffenden Orte zählt.
8 11. Jedes Mitglied hat das Recht, der Generalversammlung mit be—
ratender Stimme beizuwohnen.
3 12. Sache der Generalversammlung ist es:
) Verbandsgesetze zu beschließen (für Abänderungen der Satzungen ist
jedoch eine Mehrheit von zwei Dritteilen der Stimmen der Anwesenden
erforderlich);
die Amtsführung des Präsidiums, des Ausschusses und aller Beamten,
insbesondere des Kassierers und der Kassenbeamten, zu prüfen und je
nach Ergebnis Entscheidung zu treffen;
) das Gehalt derjenigen Beamten, die besoldet werden, zu bestimmen;:
q) den Sekretär und Kassierer zu wählen.
3 18. Das Präsidium hat die ordentliche Generalversammlung immer
innerhalb des ersten Kalenderjahres seit dem letzten Zusammentritt derselben
zu berufen.
Eine außerordentliche Generalversammlung kann vom Präsidium, wenn die
drei aktiven Mitglieder desselben einstimmig sind, jederzeit berufen werden,
und muß von demselben berufen werden, wenn zwei Dritteile der ständigen
9
— 355
Verbandskommissionen oder ein Sechstel der Mitglieder es verlangen. Die Be—
rufung hat in der Art zu erfolgen, daß spätestens drei Monate nach erfolgtem
Verlangen die Generalversammlung stattfindet.
Jede ordentliche Generalversammlung ist mindestens sechs Wochen, jede
außerordentliche wenigstens drei Wochen vor ihrem Zusammentritt zu berufen.
e) Präsident und Präsidium.
8 14. An der Spitze des Verbandes steht das Präsidium, welches aus dem
Präsidenten, einem ersten und zweiten Vizepräsidenten besteht.
Außerdem sind ein erster uund zweiter Ersatzmann zu bestimmen, welche
erforderlichenfalls in die erledigten Stellen einzurücken haben, auch im Falle
vorübergehender Verhinderung von Mitgliedern des Präsidiums zur Komplettierung
der Dreizahl zuzuziehen sind.
Dieselben haben das Recht, den Sitzungen des Präsidiums mit beratender
Stimme beizuwohnen.
8 15. Sache des Präsidiums ist es:
a) die Verwaltung und den Geschäftsgang im Verbande zu bestimmen und
zu leiten, auch die Beamten, außer dem Sekretär, dem Kassierer und
den Kassenrevisoren, anzustellen;
die Sitzungen des Ausschusses anzuberaumen, die Generalversammlung
einzuberufen und in den Sitzungen beider den Vorsitz zu führen.
Hingegen steht den Mitgliedern des Präsidiums in den Sitzungen
der Generalversammlung und des Ausschusses zwar beratende, nicht
aber beschließende Stimme zu;
die Beschlüsse des Zentralausschusses, die dieser in Gemäßheit seiner
satzungsmäßigen Wirksamkeit gefaßt hat, zur Ausführung zu bringen;
die Agitation für die Verbandsinteressen zu bestimmen und zu leiten,
insbesondere bei den Arbeitseinstellungen, welche nach Beschluß des
Ausschusses Verbandssache sind, die erforderlichen unterstützenden Maß⸗
nahmen zu treffen.
Das Präsidium ist berechtigt, zur Durchführung der mit den
Arbeitseinstellungen und der Tätigkeit des Verbandes überhaupt zu—
sammenhängenden Agitation wie folgt über Gelder aus der Kasse zu
verfügen:
Solange die vierteljährlichen Einnahmen des Verbandes unter
1000 Taler betragen, über vierteljährlich 260 Taler. Wenn die
vierteljährlichen Einnahmen über 1000 bis 2000 Taler betragen, über
vierteljährlich 330 Taler. Wenn die vierteljährlichen Einnahmen
zwischen 2000 und 5000 Taler betragen, über vierteljährlich
z00 Taler. Wenn die vierteljährlichen Einnahmen zwischen 5000 und
25 000 Taler betragen, über vierteljährlich 1000 Taler. Wenn die viertel⸗
jährlichen Einnahmen über 25 000 Taler betragen, über vierteljährlich
5000 Taler;
dem Präsidium stehen außerdem die in den 88 21 und 238 bestimmten
Rechte zu.
8 16. Der Verbandssekretär ist lediglich Verwaltungsbeamter und hat in
Gemäßheit der Anordnungen des Präsidiums zu verfahren, außer soweit ihm in
8 20 bestimmte Pflichten vorgeschrieben sind.
2
356 —
Die etwa erforderlichen Vizesekretäre werden je nach Ermessen des Präsi⸗
diums dem Verbandssekretär unterstellt oder erhalten einen abgetrennten Wirkungs⸗
kreis. Im ersten Falle haben sie nach den Weisungen des Sekretärs, im zweiten
nach denen des Präsidiums zu verfahren.
8 17. Das Präsidium ist beschlußfähig, wenn in einer ordnungsmäßig an⸗
gesetzten Sitzung zwei aktive Mitglieder erschienen sind. Durch Uebereinstimmung
der Anwesenden wird in diesem Falle ein gültiger Beschluß gefaßt.
8 18. Sache des Präsidenten ist es, den Verband nach außen zu vertreten,
wobei in Gemäßheit der Beschlüsse der zuständigen Verbandsbehörden zu ver—
fahren ist. In Verhinderungsfällen tritt der erste Vizepräsident ein, und so fort.
Außerdem hat der Präsident die ihm in den 88 29 und 80 zugesprochenen
Kassenrechte.
8 19. Die Wahl der Mitglieder des Präsidiums erfolgt in nachstehender
Weise: An allen einzelnen Orten treten die Mitglieder in eigens zu diesem Zweck
anberaumten Ortsversammlungen zusammen und wählen in fünf voneinander
gesonderten, einzelnen Wahlgängen vermittels Stimmzettel in geheimer Wahl erst
den Präsidenten, dann den ersten Vizepräsidenten, dann den zweiten Vizepräsidenten,
hierauf den ersten und endlich den zweiten Ersatzmann. Derjenige, der in einem
der fünf Wahlgänge die meisten Stimmen für sich hat, wenn das Ergebnis sämt⸗
licher Versammlungen in ganz Deutschland zusammengerechnet wird, ist für die
betreffende Stelle gewählt. Ueber die Wahlverhandlung und deren Ergebnis in
den einzelnen Versammlungen ist ein genaues Protokoll aufzunehmen, welches
insbesondere die Stimmenzahl angibt, welche in den einzelnen Wahlgängen auf
die verschiedenen Personen gefallen ist. Sämtliche Protokolle werden binnen einer
bestimmten Frist an den Verbandssekretär eingesandt, welcher in einer eigens
hierzu anzuberaumenden Sitzung des Ausschusses, die gleichfalls innerhalb be—
stimmter Frist stattzufinden hat, dieselben vorlegt. Der Ausschuß ermittelt das
Ergebnis und proklamiert das neue Präsidium.
Die Wahlen haben immer binnen acht Wochen nach der Generalversammlung
stattzufinden. Die erforderliche Anberaumung der Wahl nebst Ansetzung der Fristen
erfolgt durch das bestehende Präsidium.
Hat eine Wahl keine absolute Mehrheit ergeben, so kann das Präsidium
unter Zustimmung des Ausschusses eine engere Wahl zwischen den beiden Meist⸗
bestimmten für den betreffenden Posten binnen acht Tagen beschließen. Diese
engere Wahl hat dann binnen vier Wochen nach dem gefaßten Beschluß zu erfolgen.
Ist eine engere Wahl nicht binnen acht Tagen beschlossen worden, so ist derjenige
—FV —
d) Zentralausschuß.
8 20. Der Zentralausschuß des Verbandes besteht aus zwölf Mitgliedern,
welche von jeder ordentlichen Generalversammlung gewählt werden und bis zur
nächsten im Amte bleiben. Zugleich werden sechs Ersatzmänner gewählt.
g 21. Der Ausschuß ist beschlußfähig, wenn in einer ordnungsmäßig an⸗
gesetzten Sitzung zwei Dritteile der Mitglieder anwesend sind. Es genügt zur
ordnungsmäßigen Einberufung, wenn die Einladungen zur Sitzung 24 Stunden
vor Beginn derselben zur Post gegeben sind. Es ist dem Ausschuß gestattet, zu
einzelnen Sitzungen Vertrauensmänner mit beratender Stimme zuzuziehen. Wenn
ein Ausschußmitglied ohne triftige Entschuldigung dreimal in den Ausschußsitzungen
357 —
fehlt, dann soll dasselbe als aus dem Ausschuß ausgeschieden betrachtet werden
Das Verbandspräsidium kann auf Antrag des Ausschusses für einzelne Sitzungen
den Ausschußmitgliedern eine angemessene Entschädigung bewilligen.
g 22. Die Rechte des Ausschusses sind folgende:
) Derselbe beschließt bei Arbeitseinstellungen und Ausschlüssen nach Maß-
gabe der 88 24 bis 26.
Demselben steht die oberste Neberwachung des Kassenwesens in Gemäß—
heit der 88 30 und 82 sowie die Ernennung und Absetzung der
Revisoren zu.
Derselbe übt die in 8 20 bestimmten Rechte bei der Wahl des Präsidiums
aus.
d) Ebenso das in 85 bestimmte Recht bei Ausstoßungen von Mitgliedern.
5) Derselbe beschließt, wie oft im Monat, wann und wo seine ordentlichen
Sitzungen stattfinden sollen und kann außerordentliche Sitzungen bean—
tragen. Auf schriftlichen Antrag von vier Ausschußmitgliedern muß
rine solche binnen drei Tagen berufen werden.
Arbeitseinstellungen und Arbeitsausschlüsse.
8 28. In betreff derjenigen Arbeitseinstellungen, die erst beabsichtigt werden,
aber noch nicht im Gange sind, gilt folgendes Verfahren:
) Weun irgendwo Arbeiter eine Einstellung beabsichtigen, die sie für
Verbandssache erklärt zu sehen wünschen, so haben sie eine Streik⸗
kommission zu ernennen, deren Vorsitzender auf Grund einer eingehenden
und genauen Berichterstattung dem Präsidium den Antrag einschickt:
„Der Ausschuß möge die beabsichtigte Einstellung genehmigen und für
Verbandssache erklären.“ Das Präsidium kann binnen 48 Stunden
einen oder mehrere Kommissäre zur Untersuchung der Sache an Ort
und Stelle entsenden, um von diesen binnen weiteren 48 Stunden
schriftlichen oder mündlichen Bericht zu erlangen. In dem Falle, daß
Kommissäre nicht entsandt werden, hat das Präsidium binnen fünf
Tagen nach Einlaufen des Antrages eine Ausschußsitzung zu veranstalten;
in dem Falle, daß Kommissäre abgesandt wurden, hat die Ausschuß⸗
sitzung binnen drei Tagen nach Einlaufen des Berichtes der Kommissäre
stattzufinden. Ist der Ausschuß der Ansicht, daß der Sachverhalt nicht
hinlänglich aufgeklärt ist, so kann er mit Zweidrittelmehrheit der An⸗
wesenden weitere Untersuchung beschließen.
Sobald der Ausschuß über eine Einstellung hinlänglich unterrichtet ist,
was immer angenommen wird, wenn nicht zwei Dritteile der Anwesenden
weitere Untersuchung beschließen, hat derselbe sofort in der laufenden
Sitzung Beschluß zu fassen.
Wird die Einstellung für Verbandssache erklärt, so hat der Ausschuß
zugleich zu bestimmen, ob der Verband in unbegrenzter Weise und,
soweit seine Kräfte überhaupt reichen, die Einstellung unterstützt oder
ob nur eine gewisse Summe und welche zur Verfügung gestellt wird.
Ist die Genehmigung der Einstellung versagt worden, so hat das
Präsidium die Betreffenden binnen 24 Stunden hiervon zu benach⸗
richtigen. Ist hingegen die Einstellung für Verbandssache erklärt
worden, so hat das Präsidium binnen 24 Stunden den Betreffenden
— 358
den näheren Inhalt des Beschlusses mitzuteilen und binnen drei Tagen
diejenigen Anordnungen zu treffen, welche zur Förderung der Sache
zweckmäßig erscheinen.
Nur solche Arbeiter, welche Mitglieder des Verbandes sind, erhalten
bei Einstellungen Geld aus der Verbandskasse. Der Ausschuß kann
mit Zweidrittelmehrheit der Anwesenden eine Ausnahme hiervon be—
schließen.
Der Ausschuß soll, wenn er eine Einstellung für Verbandssache erklärt,
zugleich die Forderungen der Arbeiter nur insoweit genehmigen als
sie den Verhältnissen entsprechen und vernünftig begründet sind. Die
Feiernden haben sich den Aussprüchen des Ausschusses und den hierauf
begründeten Anordnungen des Präsidiums, ebenso den von letzteren
in betreff der Einstellung überhaupt getroffenen Anordnungen zu fügen.
Geschieht dies von seiten der Feiernden nicht, so erklärt der Ausschuß
auf Antrag des Präsidiums, daß die Einstellung aufhört Verbands—
sache zu sein.
Hat das Präsidium in einer Streikangelegenheit zweimal vergeblich den
Versuch gemacht, den Ausschuß beschlußfähig zusammenzubringen, so
kann das Präsidium an Stelle des Ausschusses Beschluß fassen.
Z 24. Einstellungen, welche bereits im Gange sind, ohne daß das im 823
vorgeschriebene Verfahren, insbesondere der vor Beginn der Einstellung ein—⸗
zureichende Antrag stattgefunden hat, können nur ausnahmsweise für Verbands⸗
sache erklärt werden. Zweidrittelmehrheit der in der Ausschußsitzung Anwesenden
ist erforderlich.
Der Wunsch, eine bereits im Gange besindliche Einstellung für Verbands—
— hat in Gemäßheit
des 8 28 vorzugehen, doch sind alle daselbst bestimmten Fristen bei solchen · nach⸗
träglichen Gesuchen doppelt so lang. Wo dort 24 Stunden bestimmt sind, gelten
hier 48 Stunden und so fort.
8 28. Bei Ausschlüfssen (Aussetzung der Arbeit seitens des Lohnherrn)
infolge des Auftretens der Arbeiter für die Arbeitersache gelten mit selbstver⸗
ständlichen Aenderungen dieselben Bestimmungen wie bei Einstellungen. Es wird,
wenn der Antrag unmittelbar nach Ausbruch der Ausschließung von den Be⸗
treffenden gestellt wird, in Gemäßheit des 8 28 verfahren.
e) Ständige Verbandskommissionen.
g 26. Die Generalversammlung bezeichnet zwölf wichtige Städte in den
verschiedenen Teilen Deutschlands, in denen binnen vier Wochen nach Schluß der
Generalversammlung von den Mitgliedern in direkter und geheimer Wahl stän⸗
dige Verbandskommissionen, aus je sieben Mitgliedern bestehend, gewählt werden.
Diese Kommissionen bleiben im Amte, bis die nächste Generalversammlung
wieder zwölf Städte bezeichnet und in diesen Neuwahl stattgefunden hat. Die
Kommissionen sind beschlußfähig, wenn fünf Mitglieder anwesend sind.
8 27. Die ständigen Kommissionen haben folgende Aufgabe:
a) Dieselben haben in den ersten 14 Tagen jedes Monats an das Präsidium
einen Bericht einzuschicken, welcher einen Ueberblick über die Arbeiter⸗
verhältnisse ihres Kreises im vorangegangenen Monat gibt. Das Resultat
ist vom Präsidium von Zeit zu Zeit im Verbandsorgan zu veröffentlichen.
— 859 —
b) Bei größeren Arbeitseinstellungen können dieselben zu Rate gezogen
werden. Sie haben in diesem Falle auf Anordnung des Präsidiums
sich sofort zu versammeln und über das Ergebnis ihrer Beratung
sofort Bericht zu erstatten. In eiligen Fällen ist die Mitwirkung der
Kommission nicht erforderlich.
Die Kommissionen werden vom Präsidium überhaupt als ausführende
Unterbehörden verwandt.
Dieselben können nach 8 4 in Vereinigung mit dem Präsidium eine
vorübergehende Erhöhung des Verbandsbeitrages beschließen.
Dieselben haben nach 8 18 das Recht, eine außerordentliche General⸗
versammlung zu beantragen.
Die örtlich nächste Kommission hat das Recht, nach 87 über die seitens
des Präsidiums erfolgende Beanstandung erwählter Bevollmächtigter zu
entscheiden.
Die örtlich nächste Kommission entscheidet nach 88 in Verbindung mit
dem Präsidium über zweifelhafte Fälle bei Aufnahme neuer Mitglieder.
Die Kommissionen haben das Recht, über Streitigkeiten in Fällen des
8 5 zu entscheiden.
) Kasse.
g 28. Die Kasse des Verbandes wird von einem Kassierer verwaltet und
von drei Revisoren kontrolliert. Alle Beiträge und überhaupt alle Zahlungen
für den Verband sind an den Kassierer zu entrichten. Dieser hat von den ein⸗
gehenden Geldern sichere Wertpapiere, die ihm vom Präsidium bezeichnet werden,
anzukaufen und bei einem sicheren Bankgeschäft, das ihm vom Präsidium bezeichnet
wird, zu deponieren oder nach Ermessen des Präsidiums die baren Gelder
selbst bei dem Bankgeschäft niederzulegen. Sobald die Tageskasse 600 Taler
erreicht, muß sofort so viel, daß 500 Taler in der Kasse bleiben, bei der Bank des
Verbandes deponiert werden. Es ist dem Kassierer hierfür eine Frist von drei
Tagen gestattet.
Der Kassierer hat eine Kaution von 250 Taler bar zu hinterlegen oder
sichere Bürgen für diesen Betrag zu stellen.
g 29. Die drei Revisoren haben das Recht, jederzeit zu untersuchen, ob
der Kassierer seinen Verpflichtungen nachkommt. Jedoch müssen sie zu diesem
Zweck mindestens einmal in jedem Kalendermonat unvermutet eine Untersuchung
vornehmen.
Das Recht der Untersuchung steht ferner dem Verbandspräsidenten sowie
den Ausschußmitgliedern zu. Jedoch ist der Kassierer letzteren gegenüber nur
dann zu Auskunft und Nachweis verbunden, wenn drei Mitglieder des Ausschusses
gleichzeitig persönlich erscheinen. Der Untersuchung von seiten des Präsidenten
und der Ausschußmitglieder braucht sich der Kassierer in jedem Kalendermonat
nur einmal zu unterwerfen.
8 30. Der Präsident ist berechtigt, außer den Anweisungen auf Grund
ausdrücklicher Beschlüsse der Generalversammlung oder des Ausschusses wöchentlich
bis zum Betrage von zehn Talern Anweisungen auf die Kasse zu geben. Höhere
Beträge dürfen nur auf Anweisungen verabfolgt werden, die von mindestens
zwei Mitgliedern des Präsidiums unterzeichnet sind. Die bei der Bank nieder⸗
gelegten Papiere und Gelder können nur von dem Präsidenten bezw. dem ihn
zeitweilig vertretenden Vizepräsidenten in Begleitung eines Revisors zurückgezogen
)
360
werden. Der Präsident hat binnen drei Tagen den Revisoren auf Verlangen
den Beweis zu liefern, daß das Geld seiner Bestimmung gemäß verwandt wurde.
8 31. Die Revisoren sind verpflichtet, über jede Ungehörigkeit, die sie im
Kassenwesen wahrnehmen, sofort an den Ausschuß zu berichten. Dieselbe Ver—
pflichtung liegt im gleichen Falle dem Präsidenten ob, wenn er eine Revision
vorgenommen hat, und den Ausschußmitgliedern, welche dies getan haben.
Dem Ausschuß steht das Recht zu, das Erforderliche zu verfügen. Mit
einfacher Mehrheit kann der Ausschuß den Kassierer vom Amte suspendieren,
worauf das Präsidium provisorisch einen Kassierer ernennt; mit einer Mehrheit
von zwei Dritteilen kann der Ausschuß auch jedes Mitglied des Präsidiums
wegen erheblicher Ungehörigkeit im Kassenwesen vom Amte suspendieren.
Dem Präsidium steht es, wenn dies geschehen ist, zu, entweder einen der
Ersatzmänner einzuberufen oder zur Erledigung der Sache eine außerordentliche
Generalversammlung anzusetzen. Ist mehr als ein Mitglied des Präsidiums
suspendiert, so tritt an Stelle des Präsidiums ein binnen drei Tagen vom Aus—⸗
schuß zu wählendes Direktorium von drei Personen, welches vorübergehend als
außerordentliche Behörde an die Stelle des Präsidiums tritt, während seiner
Amtsdauer alle Rechte desselben ausübt und verpflichtet ist, eine außerordentliche
Generalversammlung in der Art einzuberufen, daß dieselbe binnen vier Wochen
nach Einsetzung des Direktoriums zusammentreten kann. Dieser Generalversammlung
liegt es ob, die regelmäßige Ordnung im Verbande wieder herzustellen.
8 32. Der Kassierer, der Präsident und das Präsidium legen vierteljähr—
lich dem Ausschuß Rechnung ab.
8) Verbandsorgan.
8 38. Der Verband hat in der Presse ein offizielles Organ. Die Redaktion
desselben hat in allen Verbandsangelegenheiten nach den Weisungen des Präsidiums
zu verfahren.
h) Allgemeine Bestimmung.
8 34. In wichtigen und dringlichen Fällen kann das Präsidium, wenn es
die ausdrückliche Zustimmung des Ausschusses erlangt, vorübergehend unter
Außerkraftsetzung von Beschlüssen früherer Generalversammlungen alle Anordnungen
treffen. Der nächsten Generalversammlung steht die endgültige Entscheidung zu.
Instruktion für die Bevollmächtigten und Ortskassierer
des Allgemeinen deutschen Arbeiter⸗Unterstützungsverbandes.
Der Allgemeine deutsche Unterstützungsverband ist ein einheitlicher und hat
seinen Sitz in Berlin. An seiner Spitze stehen nach der Generalversammlung als
oberste Behörden das Präsidium und der Ausschuß.
8 1. Da der Verein an verschiedenen Orten Mitglieder zählt, so ist es
notwendig, daß ein Stellvertreter des Präsidiums, gleichfalls ein Stellvertreter
des Verbandskassierers an den einzelnen Orten vorhanden sei. Es sind dieses
der Bevollmächtigte respektive der Ortskassierer, welche beide Personen von der
betreffenden Mitgliedschaft gewählt werden. Außer diesen beiden Personen
werden noch zur Kontrolle des Ortskassierers drei Revisoren gewählt.
Das Resultat dieser Wahlen muß dem Präsidium angezeigt werden.
Geschieht binnen acht Tagen seitens des Präsidiums gegen diese Wahlen
kein Widerspruch, so sind die gewählten Personen als gewählt zu betrachten.
361
8 2. Der Bevollmächtigte als Stellvertreter des Präsidiums hat wenigstens
alle 14 Tage eine geschlossene Mitgliederversammlung abzuhalten, in welcher alle
die betreffende Mitgliedschaft berührenden Angelegenheiten zu erledigen und alle
Bekanntmachungen des Präsidiums und Ausschusses zu verlesen sind. (Jede
Versammlung muß 24 Stunden vorher bei der Ortspolizei, wo und wann sie
stattfindet, angezeigt werden.)
g 8. Die Bekanntmachungen sind, soweit sie veröffentlicht werden können,
im „Sozialdemokrat“ enthalten und ist daher jede Mitgliedschaft verpflichtet,
wenigstens ein Exemplar dieser in Berlin, Gitschinerstraße 17, erscheinenden
Zeitung zu halten.
Diese Zeitung erscheint wöchentlich dreimal, kostet vierteljährlich in ganz.
Deutschland 16 Silbergroschen und kann nur auf dem Vostamt in jedem Orte
bestellt werden.
8 4. Nach Gründung einer neuen Mitgliedschaft hat der Bevollmächtigte
sofort eine Mitgliederliste an das Präsidium des Verbandes einzusenden, des—
gleichen eine Mitgliederliste und ein Statut an die jeweilige Ortspolizei. Die
Ueberschrift der Liste würde lauten: Allgemeiner deutscher Arbeiter⸗Unterstützungs⸗
verband in Berlin, Liste der Mitglieder zu ......
Die Namen neu hinzutretender Mitglieder müssen dem Präsidium jedesmal
beim Einsenden der Abrechnungen mit eingereicht werden.
8 8. Der Ortskassierer hat alle Einnahmen und Ausgaben zu besorgen,
allmonatlich drei gleichlautende Abrechnungen anzufertigen, dieselben vom Bevoll⸗
mächtigten und den Revisoren revidieren und unterzeichnen zu lassen. Eine Ab—
rechnung ist an das Präsidium (Gitschinerstraße 17), eine an die Hauptkasse per
Adresse M. v. Mietzel, Nostitzstraße 61, zu senden und die dritte als Belag zu
den Akten der Ortskasse zu legen.
8 6. Die Ausgaben bestehen in Inseratenkosten, Lokalmiete, Schreibmaterial,
Porto, Abonnement auf den „Sozialdemokrat“, Reiseunterstützung, Unterstützung
in einzelnen Maßregelungsfällen und Steuer an die Verbandshauptkasse.
8 7. Die Steuer an die Verbandshauptkasse besteht in der Hälfte aller
Mitgliederbeiträge. Diese Gelder müssen mit der Abrechnung zugleich allmonatlich
an die Verbandshauptkasse abgeliefert werden, und darf damit nicht länger als
bis den sechsten Tag im nächsten Monat gewartet werden.
g 8. Die Auszahlung der Reiseunterstützung hört auf, sobald die Ortskasse
erschöpft ist und darf unter keinen Umständen der Beitrag an die Hauptkasse zu
Reiseunterstützung oder zu Unterstützung für einzelne Maßregelungsfälle in An⸗
spruch genommen werden.
In den Fällen, wo die Ortskasse erschöpft ist, muß dieses bei dem Präsidium
angezeigt werden und die etwaigen Durchreisenden müssen nach andern Orten
hingewiesen werden.
8 9. Da viele Mitgliedschaften bedeutend mehr von durchreisenden Mit⸗
gliedern besucht werden als andre, nicht an einer frequenten Straße gelegenen,
also bei den einen die Kasse häufig erschöpft, bei den andern jedoch die Kassen⸗
bestände immer mehr und mehr anwachsen, so wird, um die Ausgaben für Reise⸗
unterstützung verhältnismäßig verteilen zu können, vierteljährlich vom Haupt⸗
kassierer aus den Berichten, die in den Abrechnungen enthalten sind, berechnet
werden, wieviel Reiseunterstützung im ganzen ausgegeben worden und wieviel
verhältnismäßig davon auf jede Oriskasse gefallen ist. Alsdann werden die
— 362 —
betreffenden Ortskassen, welche entweder keine oder doch nur geringere Reise—
unterstützung auszuzahlen hatten, durch Präsidialanweisung angehalten werden,
an diejenigen Orte, welche nicht in der Lage sind, aus eignen Mitteln die volle
Reiseunterstützung zu zahlen, eine entsprechende Summe direkt hinzusenden, damit
dadurch eine gegenseitige Aushilfe und Regelung entstehe.
8 10. Jeder Bevollmächtigte und jeder Ortskassierer hat ein Exemplar der
Nummer des „Sozialdemokrat“, in welcher diese Instruktion veröffentlicht ist, auf⸗
zubewahren. Legt er sein Amt nieder, so hat er das Exemplar an seinen Nach—
folger zu übergeben.
An die Mitglieder!
Das Präsidium hat beschlossen, daß von jetzt ab nur die Hälfte der Ein—
uahmen, welche die Mitgliedschaft eines Ortes hat, monatlich an die Verbands⸗
kasse zu senden ist, daß aber auf die Einhaltung dieser Vorschrift streng gehalten
werden soll.
Außerdem ist vorstehende Instruktion vereinbart worden, die hiermit zur
Kenntnisnahme und Befolgung veröffentlicht wird.
Berlin, 17. November 1870.
Für das Präsidium: Schweitzer.
Statut des Berliner Arbeiterbundes.
Beschlofsen von dem Kongreß zur Einigung der Arbeiter Berlins
am 19. und 20. November 1871.)
8 1. Der Bund hat den Zweck, durch gemeinsames Handeln der Berliner
Arbeiter die Lage derselben zu verbessern, und zwar durch allmähliche Verkürzung
der Arbeitszeit bis auf neun Stunden täglich, Abschaffung der Nacht- und Sonntags-
arbeit, Erhöhung der Löhne und Wahrung der persönlichen Ehre und Freiheit
der Arbeiter.
82. Die Erreichung dieses Zieles erstrebt der Bund durch planmäßiges
Vorgehen der Arbeiterkorporationen bei Stellung ihrer berechtigten Forderungen
und, falls die letzteren nicht auf gütlichem Wege durchgesetzt werden, durch
organisierte Streiks.
8 8. Bundesgenossen können alle Arbeiter und Arbeiterinnen von Berlin
und Umgegend werden, welche sich verpflichten, gemäß den Beschlüssen des Bundes
für die Arbeiterinteressen einzutreten.
8 4. Ausgeschlossen aus dem Bunde sind alle diejenigen, welche sich
unehrenhafter Handlungen gegen den Bund schuldig machen oder wissentlich die
Interessen des Bundes und der Arbeiter schädigen.
8 5. Zur Erreichung seiner Zwecke gründet der Bund eine Bundes—
streikkasse.
8 6. Kassenmitglied ist jeder Bundesgenosse, welcher einen Monatsbeitrag
von 2 Sgr. pränumerando zahlt. Hat ein Kassenmitglied diesen Beitrag zwei
Monate nicht gezahlt, so verliert es seine Mitgliedschaft an die Bundesstreikkasse.
Vereine, welche für jedes ihrer Mitglieder monatlich 1 Sgr. an die Bundes—
streikkasfse zahlen, gewinnen dadurch die Mitgliedschaft und verlieren sie durch
einmonatliches Restieren. Arbeiter solcher Korporationen, welche bereits einen
geschlossenen Verein besitzen, welcher der Bundesstreikkasse angehört, können
nicht als einzelne Mitglieder der Bundesstreikkasse beitreten. Als Legitimation
— 363 —
für die Mitglieder solcher Vereine dienen die Karten oder Bücher derselben. Die
übrigen Mitglieder erhalten eine Karte vom Bunde, bei deren Empfang sie 1 Sgr.
zu zahlen haben.
8 7. Die Bundesstreikkasse wird verwaltet von einem Bundesausschuß,
bestehend aus 80 Personen, welcher seine Geschäftsordnung selbst festsetzt und aus
sich heraus einen Vorsitzenden, Schriftführer, Kassierer, drei Revisoren nebst den
nötigen Stellvertretern wählt.
8 8. Der Bundesausschuß wird auf sechs Monate gewählt, und zwar das
erstemal vom Kongreß, später von einer ordentlichen Generalversammlung der
Kassenmitglieder.
g 9. Eine ordentliche Generalversammlung tritt alle Monat zusammen
und besteht aus sämtlichen Kassenmitgliedern, welche ihren Verpflichtungen nach⸗
gekommen sind. Eine außerordentliche Generalversammlung beruft in dringenden
Fällen der Bundesausschuß.
8 10. Die ordentliche Generalversammlung wählt durch einfache Mehrheit
die Mitglieder des Bundesausschusses und kann sie durch Zweidrittelmehrheit
vom Amt entfernen. Durch Beschluß einer Zweidrittelmehrheit können die
Statuten abgeändert werden. Alle Anträge müssen beim Bundesauss chuß schriftlich
eingebracht und von 100 Mitgliedern unterstützt werden, solche auf Statuten⸗
änderung vier Wochen vor ihrer Verhandlung.
811. Alle Ausgaben der Streikkasse werden durch die Generalversammlung
beschlossen und durch den Bundesausschuß ausgeführt. Für die laufenden Aus⸗
gaben bewilligt die Generalversammlung dem Bundesausschuß im voraus eine
bestimmte Summe, die nicht überschritten werden darf.
8 12. Streiks müssen acht Tage vor ihrem Ausbruch dem Bundesausschuß
schriftlich angezeigt werden; geschieht dies nicht, so geht das Recht auf Unterstützung
berloren. Bei Arbeitsausschlüssen und ganz außerordentlichen Maßregeln der
Arbeitgeber den Arbeitern gegenüber, welche einen Streik zur Folge haben, ist
eine Anmeldungsfrist nicht erforderlich, jedoch sind die Streikenden verflichtet, am
selbigen Tage den Bundesausschuß hiervon in Kenntnis zu setzen.
g 183. Der Bundesausschuß beschließt binnen 48 Stunden darüber, ob
Streiks gerechtfertigt und zeitgemäß sind und demnächst unterstützt werden können.
Der Bundesausschuß hat binnen 24 Stunden den Streikenden Kenntnis von seinen
Beschlüssen zu geben.
814. Wenn der Bundesausschuß diese Frage bejaht hat, stellt er dies⸗
bezüglich einen Antrag bei der nächsten ordentlichen oder bei einer außerordentlichen
Generalversammlung. Die Generalversammlung beschließt endgültig, ob und bis
zu welcher Höhe der Streik zu unterstützen ist. Der Bundesausschuß führt die
Unterstützung aus.
8 15. Alle in den 88 18 und 14 erwähnten Beschlüsse werden, wenn es
sich um streikende Kassenmitglieder handelt, mit einfacher Mehrheit gefaßt.
8 16. Unterstützung von streikenden Nichtmitgliedern aus der Bundes⸗
streikkasse kann nur ausnahmsweise und durch Zweidrittelmehrheit des Bundes⸗
ausschusses und der Generalversammlung beschlossen werden.
8 17. Werden Streikende aus der Kasse unterstützt, so hat der Bundes—
ausschuß das Recht und die Pflicht, die Kassenverwaltung der Streikenden zu prüfen.
8 18. Der Bundesausschuß leitet außer der Bundesstreikkasse die Geschäfte
des gesamten Bundes.
— 364 —
8 19. Ueber den Ausschluß von Bundesgenossen laut 8 4 befindet der
Bundesausschuß. Es steht den Ausgeschlossenen, wenn sie zahlende Mitglieder
der Bundesstreikkasse waren, frei, an die Generalversammlung zu appellieren.
8 20. Außer den Bundesstreikkassenmitgliedern können laut 88 alle
Korporationen, Vereine, Innungen sowie einzelne Arbeiter und Arbeiterinnen sich
als Bundesgenossen dem Bunde anschließen, ohne die Pflichten und Rechte der
Kassenmitglieder in bezug auf die Bundesstreikkasse zu haben. Pflichten solcher
Bundesgenossen sind die Befolgung der 88 1, 2 und 3 sowie freiwillige Beiträge
zur Unterstützung der vom Bunde gebilligten Streiks; ihre Rechte bestehen in der
Unterstützung, welche sie bei gerechtfertigten und zeitgemäßen Streiks aus frei—
willigen Beiträgen erhalten, deren Einziehung unter den Bundesgenossen der
Bundesausschuß leitet.
8 21. Die Frage, ob für einen Streik ein Aufruf zur Einziehung frei—
williger Beiträge erlassen werden soll, entscheidet, insofern die 88 12 und 18
beobachtet sind, der Bundesausschuß, welcher einen Delegiertenkongreß des ge—
famten Bundes zur Organisation derselben beruft.
8 22. Der Delegiertenkongreß besteht aus dem Bundesausschuß und
Delegierten, welche von je 100 Bundesgenossen, mögen es Kassenmitglieder sein
oder nicht, ernannt werden. Jedes Kongreßmitglied hat eine Stimme.
8 28. Wenn der Delegiertenkongreß einen Streik durch freiwillige Beiträge
unterstützt, so ist jeder Delegierte verpflichtet, seine Wähler oder die Korporation,
Innung, Vereinigung usw., welche ihn abgeordnet haben, zu einer General—⸗
versammlung einzuberufen, eine wöchentliche Selbstbesteuerung zu beantragen und
deren Einziehung zu organisieren; über dieselbe haben die Delegierten dem
Bundesausschuß Rechnung zu legen.
8 24. Werden Streikende durch freiwillige Beiträge der Bundesgenossen
unterstützt, so hat der Bundesausschuß das Recht und die Pflicht, die Kassen⸗
verwaltung der Streikenden zu prüfen.
8 25. Bei außerordentlichen Veranlassungen steht es dem Bundesausschuß
zu, einen Massenkongreß aller Bundesgenossen einzuberufen, um durch denselben
einen Druck auf die öffentliche Meinung auszuüben.
8 26. Pflicht des Ausschusses ist es, zur Erlangung der nächsten und End⸗
ziele der Arbeiterbewegung sich erforderlichenfalls mit Arbeitervereinen des In—
und Auslandes, welche einen nicht politischen Charakter haben. in Verbindung
zu setzen.
8 27. Der Bund hat in der Presse sein offizielles Organ, den „Neuen
Sozialdemokrat“. Die Redaktion desselben ist verpflichtet, die Interessen des
Bundes zu vertreten.
Die Rämpfe der Lassalleaner mit den Eisenachern in Röln a. Rh.
(Abgedruckt aus dem „Volksstaat“ Nr. 104 vom 28. Dezember 1872.)
Köln, im Dezember 1872.
Seit dem Tode Lassalles (1864) bis zum Jahre 1869 wurden von den Mit⸗
gliedern des Allgemeinen deutschen Arbeitervereins hierselbst höchstens zehn öffent⸗
liche Arbeiterversammlungen einberufen. Die meisten wußten von der Existenz eines
solchen Vereins kaum mehr, als daß er im Jahre 1867 bei der ersten Reichs⸗
tagswahl über 1100 Stimmen auf den damaligen Kandidaten der Arbeiter⸗
partei, Rittinghausen, vereinigt hatte. Die erste größere Arbeiterversammlung
365
war der im Jahre 1869 von den Mitgliedern des Allgemeinen deutschen
Arbeitervereins einberufene Westdeutsche Arbeitertag. Sodann kam der Streik
der hiesigen Zimmerer und der Kongreß in Eisenach. Von dieser Zeit an weiß
erst die Bevölkerung der getreuen Tochter Roms, daß es nicht bloß eine, sondern
zwei Parteifraktionen gibt. Seit dem Eisenacher Kongreß haben sich die Mit⸗
glieder der beiden Fraktionen zwei volle Jahre in allen öffentlichen Versammlungen
in ungeschwächter, hartnäckiger (wenn auch zur Klärung der Idee in mancher
Beziehung notwendiger) Weise zur allgemeinen Belustigung der gemeinsamen
Gegner bekämpft. Fast jeden Sonntag wurden Versammlungen abgehalten.
Von seiten des Allgemeinen deutschen Arbeitervereins wurde der Zimmererverein,
von unsrer Seite die Internationale Gewerkschaft der Holzarbeiter ins Feuer
geführt. So wurde denn auch unter anderm von seiten des Allgemeinen deutschen
Arbeitervereins mit Hilfe der keiner Partei angehörenden Arbeiter der rheinischen
Maschinenfabrik der zu Pfingsten des Jahres 1870 von unsern Parteigenossen
einberufene Rheinische Arbeitertag gesprengt. Fast in jeder Versammlung, wo die
Mitglieder des Allgemeinen deutschen Arbeitervereins den Vorsitz führten, wurde
uns das Wort entzogen, welches Verfahren wir den Mitgliedern des Allgemeinen
deutschen Arbeitervereins gegenüber niemals beobachtet haben. Da man sah, daß
es auf diese Art und Weise doch nicht fortgehen könne, wurde von unsrer Seite
auf eine Beilegung der Streitigkeiten hingearbeitet. Man wählte ein Komitee,
welches sich an die Mitglieder des Allgemeinen deutschen Arbeitervereins wandte
und die Notwendigkeit einer Einigung auseinandersetzte. Es wurde entgegnet,
wir seien vom Allgemeinen deutschen Arbeiterverein, mithin von den Prinzipien
Lassalles abgefallen, und es könne nur dann eine Einigung stattfinden, wenn wir
wieder zu ihnen zurückkehrten. Nun fand eine längere prinzipielle Diskussion
darüber statt, welches eigentlich die Ideen Lassalles seien und welche nicht. Als
man von seiten der Gegner sah, daß man unsfre Gründe nicht widerlegen konnte,
sagte ein damals tonangebendes, im vorigen Jahre gestorbenes Mitglied des
Allgemeinen deutschen Arbeitervereins, es sei erst dann eine Einigung zu erzielen,
wenn eine Partei die andre kaput gemacht habe, worauf denn der alte Streit in
den Versammlungen von neuem entbrannte und erst mit dem Kriege und das
durch denselben entstandene gänzliche Brachliegen der Arbeiterbewegung erlosch.
Vor dem Kriege war aber schon die Internationale Gewerkschaft der Buch⸗
binder (durch Einflüsse von außen — Affäre Werner usw.) der hiesige Dachdecker⸗
verein (durch Mißlingen des Streiks), sowie der Klempnerverein und ein von den
Mitgliedern des Allgemeinen deutschen Arbeitervereins gegründeter Goldleisten⸗
macherverein eingegangen. Während und durch den Krieg schmolz die an 300 Mit⸗
glieder starke Internationale Gewerkschaft der Holzarbeiter sowie die der Schuh—
macher auf wenige Mann zusammen; die der Maler und Lackierer sowie der
Allgemeine deutsche Schneiderverein lösten sich gänzlich auf.
Nach dem „glorrreichen“ Kriege kamen die Reichstagswahlen, und es wurde,
trotz des famosen „Reichstagswahlukas“ des Herrn v. Schweitzer, wiederum von
unsrer Seite auf ein Zusammengehen hingearbeitet. Einige Mitglieder des All—
gemeinen deutschen Arbeitervereins wollten von unserm Kandidaten Dr. Jacobi
nichts wissen; andre, welche durch die Haltung des „Sozialdemokrat“ während
des Krieges mit Herrn v. Schweitzer unzufrieden geworden waren, traten mit uns
in das Wahlkomitee. Weil wir aber teils durch die Anwesenheit vieler Partei⸗
genossen bei der Armee, teils auch durch den Rücktritt einiger Mitglieder des
366
Allgemeinen deutschen Arbeitervereins aus dem Wahlkomitee nicht geschlossen vor⸗
gehen konnten, vereinigten wir auf unsern Kandidaten nur zirka 400 Stimmen,
also 700 Stimmen weniger als im Jahre 1867. Ein der großen Masse der Be—
völkerung unverständliches und unmotiviertes Wahlmanifest trug nicht wenig zu
diesem Mißerfolge bei. Der Vorsitzende des Zimmerervereins sagte uns bei dieser
Gelegenheit, die Mitglieder des genannten Vereins würden sich zur Sprengung
von Versammlungen nicht mehr gebrauchen lassen, und man hat Wort gehalten.
Einige Monate später wurde wiederum von beiden Seiten eine Einigung an—
gestrebt und zu diesem Zwecke ein gemeinschaftliches Komitee gewählt, welches
den Frieden herbeiführen sollte und auch wirklich für drei Wochen auf folgende
Weise zustande brachte. Die öffentlichen Versammlungen wurden gemeinsam ein—
berufen, die Plakate zu diesen Versammlungen ebenfalls gemeinsam unterzeichnet
und dadurch die großartigste Beteiligung der Kölner Arbeiterbevölkerung an unsrer
gemeinsamen Sache, der Sache der Sozialdemokratie, erzielt. Es wurde auf—
gefordert, auf den „Sozialdemokrat“ und den „Volksstaat“ zu abonnieren und die
beiderseitigen Vereinsversammlungen zu besuchen. Durch unsre Einigung sowie
durch die dadurch erzielte Beteiligung der Arbeiter geriet die hochwohllöbliche
Polizei außer sich, und wir waren auf Schritt und Tritt, ja sogar in unsern
Privatzusammenkünften und bei unsern Spaziergängen von uniformierten und nicht—
uniformierten Polizisten umgeben. Die Wirte wurden instruiert, uns keine Lokale
zu überlassen, während zur selbigen Zeit sowie während des Krieges zwischen
zwei Verwundeten- und Pockenhospitälern von niedrigem Gesindel und verkommenen
Menschen getanzt und musiziert wurde. Diesen legte man keine Hindernisse in
den Weg. Wir waren nun auf das Witzdorffsche Lokal allein angewiesen. Dadurch,
daß nun die Hauptversammlungen, weil das Lokal des Allgemeinen deutschen
Arbeitervereins zu klein, in unserm Vereinslokale stattfanden, glaubten mehrere
Mitglieder des Allgemeinen deutschen Arbeitervereins, ste würden im Nachteil
sein und zogen sich zurück. Bei der nächstfolgenden Komiteesitzung, wo eine
Tagesordnung für die nächstfolgende öffentliche Versammlung festgesetzt werden
sollte, erklärte der damalige Bevollmächtigte des Allgemeinen deutschen Arbeiter⸗
vereins, Herr Lichters, nicht mehr mitmachen zu wollen, wodurch der kaum
geschlossene, solange ersehnte und unsre gemeinsamen Gegner in Angst und
Schrecken jagende Friede wieder in Kriegszustand verwandelt wurde. Die Ver—
sammlungen konnte man uns aber nicht mehr sprengen, weil wir die Majorität hatten.
Auf einmal brach im Oktober 1871 auf der Zentralwerkstätte der Rheinischen
Eisenbahn ein Streik aus, an dem über 1000 Arbeiter, worunter auch Mitglieder
des Allgemeinen deutschen Arbeitervereins, beteiligt waren. Es fanden mehrere
große von über 3000 Personen besuchte Arbeiterversammlungen statt. Wir
arbeiteten nun natürlich wieder zuscimmen; auch Fritz Mende hatte sich eingefunden,
und es kamen durch unser Zusammenwirken in der ersten Versammlung nicht
weniger als 78 Thaler 20 Ngr. an freiwilligen Beiträgen ein. Vor der zweiten
Versammlung hatten sich aber schon einige Mitglieder des Allgemeinen deutschen
Arbeitervereins ködern lassen. Anstatt die gemeinsamen Kräfte auf den Streik zu
konzentrieren, beschlossen die Herren Fritz Mende nebst höherem und niederem
Gefolge, die soziale Frage mit einem Schlage zu lösen und von der Regierung
200 Millionen Taler von den französischen Milliarden zur Gründung von
Produktivgenossenschaften nach den Prinzipien Lassalles zu verlangen. Der Streik
wurde nun als Nebensache behandelt Der bescheidene Mende befürwortete nun
367
in einer Versammlung die Millionenforderung und eine durch diese sowie durch
einen Kongreß zu erzielende Einigung der deutschen Arbeiter. Bei den glorreichen
Schlachten habe sein Herz immer höher geschlagen aus dem Grunde, weil es
immer für „sein Volk“ geglüht habe. Jetzt mußten die Gegensätze natürlich
wieder aufeinanderplatzen. Es wurde unsrerseits unter anderm geltend gemacht,
daß Lassalle niemals von dem heutigen Staate etwas verlangt hätte und daß die
heutigen Regierungen auf derartige Forderungen auch nicht eingehen würden.
Würden die Regierungen etwas tun, so könnten wir sie natürlich nicht daran
hindern. Die Resolution für die Millionenforderung wurde angenommen. Jetzt
glaubte Fritz sich gesichert und fiel über die Internationalen her. Als er ungefähr
eine Stunde lang tolles Zeug geschwatzt hatte, wurde die Redezeit auf fünf
Minuten beschränkt, um die Opposition abzuschneiden. Die Versammlung verlief
sich und die streikenden Arbeiter waren die Geprellten. .... Seit dieser Zeit
wurden uns nur von den einzelnen Mitgliedern des Allgemeinen deutschen Arbeiter⸗
vereins Schikanen bereitet. Dieselben konnten jedoch, da es ihnen an geistiger und
numerischer Kraft fehlte, nichts ausrichten. In den letzten zwei Monaten wurden
zwei Versammlungen mit fremden Rednern von ihnen einberufen. Man beobachtete
dabei wiederum die alte Taktik, den Gegner nicht zu Worte kommen zu lassen.
Es wurde nun vor einigen Monaten wieder eine Einigung von unsrer Seite
versucht, welche auch von dem jetzigen Bevollmächtigten und mehreren Mitgliedern
des Allgemeinen deutschen Arbeitervereins befürwortet, von den übrigen aber
verworfen wurde, weil man erst Instruktionen von Berlin einholen müsse. Im
Laufe dieses Jahres sind nun an Stelle der Gewerkschaften teilweise Fachvereine
gegründet worden. Die Tischler und die Seiler haben einen solchen gegründet;
der Ortsverein der Maurer schloß sich der Internationalen Gewerkschaft der
Maurer und Zimmerer in Dresden, die Weber der Internationalen Gewerkschaft
der Manufaktur- und Handarbeiter, die Sattler dem Allgemeinen deutschen Sattler⸗
verein an. Einige Tischler haben an ihrer alten Gewerkschaft festgehalten. Eben⸗
genannte sowie der Zigarrenarbeiterverein sind durch ein Zentralkomitee mitein—
ander verbunden, welches in der letzten Zeit seine Schuldigkeit nicht getan, jetzt
aber wieder in die Bewegung eingreifen wird, wie wir hoffen wollen. Außerdem
wurden noch ein Fachverein der Schuhmacher, der Bäcker und der Schneider
gegründet. Ferner bestehen hier in Köln der Buchdruckerverein, ein Musikverein
sowie der von seiten des Allgemeinen deutschen Arbeitervereins gegründete
Metallarbeiterverein und der Allgemeine deutsche Zimmererverein. Auf das
Gedeihen der einzelnen Vereine werden wir in unsern späteren Berichten zurück⸗
kommen. Wir haben 182 „Volksstaat“-Abonnenten. Der „Neue Sozialdemokrat“
hatte nach seiner eignen Angabe im vorigen Quartal 24, nach genau eingezogenen
Erkundigungen aber nur 7 Abonnenten. Ferner haben wir seit dem Frühjahr
auch den Schriftenverkauf unentgeltlich übernommen und bereits für 100 Taler
Schriften vertrieben.
J. Auer gegen die Beteiligung der Eisenacher an den Berusskongressen
der Lassalleaner.
(Abgedruckt aus dem „Volksstaat“ 1878 Nr. 26.)
Berlin, 22. März 18783.
Wieder soll ein Gewerkschaftskongreß in Berlin stattfinden, und zwar dies⸗
mal für die Gewerke der Maurer und Steinmetzen. Einberufen ist derselbe durch,
368
ein vor der Hand völlig namenloses Komitee. In dem Aufrufe zur Beschickung
des Kongresses wird auf die Notwendigkeit einer Vereinigung hingewiesen, wird
aufgefordert, jeden Fraktionshaß fallen zu lassen, nur das gemeinsame Wohl im
Auge zu behalten und dasselbe fördern zu helfen. Unterzeichneter ist nun, seit
er der sozialdemokratischen Bewegung angehört und die Feindseligkeiten inner—
halb der deutschen sozialdemokratischen Partei überhaupt kennt, ein entschiedener
Vertreter der Versöhnung und der Verständigung und hat er dies schon oft
durch die Tat bewiesen. Trotzdem ich nun so sehr für ein Verständigen bin, so
habe ich doch mein Mißtrauen gegen diesen neuen Vorschlag zur Güte. Zwar
zweifle ich nicht an der Ehrlichkeit und dem guten Willen der Einberufer, aber
ein gebranntes Kind fürchtet das Feuer, und wer wie ich Gelegenheit hatte, die
Gewerkschaftskongresse zu Berlin im Laufe des vorigen Jahres zu beobachten,
wer die Vorgänge auf dem Tischler-, Schuhmacher-, Stellmacherkongreß mit
erlebt, wer dort gesehen, wie von seiten der Mitglieder des Allgemeinen deutschen
Arbeitervereins alles aufgeboten wurde, um die sozialdemokratische Arbeiterpartei
zu verdächtigen, und wie man die künstlich geschaffenen Majoritäten einfach nur
dazu benutzte, um die „Internationalen“ niederzustimmen, wer gesehen, wie auf
dem Tischlerkongreß, als ein Delegierter aus Wien das einberufende Komitee
anklagte, daß mit der Kongreßeinberufung zu überstürzt vorgegangen und dadurch
eine große Anzahl von Delegierten aus der Schweiz und Oesterreich am Erscheinen
verhindert worden seien, ein Herr Reinders, Delegierter für Breslau und Mitglied
des Allgemeinen deutschen Arbeitervereins, unter dem Jubel seiner Vereins—
genossen die Erklärung abgeben konnte, gerade diese Ueberstürzung rechne er dem
einberufenden Komitee als Verdienst an, denn hätte man den Herren Inter—
nationalen Zeit gelassen, dann wären sie in größerer Zahl erschienen und das
hätte die gedeihliche Entwicklung gehindert, der erwartet nichts Gutes von diesem
neuen Kongreß. Den Schweckendick, Reinders und Genossen wäre dann freilich
das Majorisieren der anwesenden Vertreter der internationalen Holzarbeiter⸗
gewerkschaft nicht so leicht geworden. Bekannt ist der famose Beschluß, den
„Volksstaat“ nicht als Vereinsorgan zu betrachten, wodurch man die Mitglieder
der Holzarbeitergewerkschaft, der großen Mehrzahl nach Tischler, einfach aus—
schloß. Dieser Beschluß ist durch den in einer der letzten Nummern des „Volks—
staat“ von seiten des dem Allgemeinen deutschen Tischlerverein angehörenden
Streikkomitees erlassenen Aufruf, Zuzug nach Berlin fernzuhalten, weil bei der
Hartnäckigkeit der Tischlermeister ein Streik bevorsteht, treffend illustriert worden.
Wenn man sich in der Macht fühlt wie beim Kongreß, dann verspottet und
verachtet man die Internationalen, aber in Zeiten der Not, wie jetzt am Vor⸗
abend des Streiks, da sind auch selbst die Organe der „Ehrlichen“ gut. Dann
werden auch die Gelder der „Eisenacher Volkspartei“ willkommen angenommen.
Ich wäre sehr gespannt, wie sich der „Neue“ in einem analogen Falle benehmen
würde. Ich kenne einen Gewerkschaftsverband, dessen Bekanntmachungen vom
„Neuen Sozialdemokrat“ nicht aufgenommen werden, trotzdem derselbe als Ver—
einsorgan mit bestimmt ist — bloß deswegen, weil der Vorsitzende dieses Vereins
zufällig ein „Ehrlicher“ ist. Wer dieses alles erlebt hat, wer sieht, daß nur
blinder Haß entscheidet, der traut auch den schönsten Versprechungen nicht, wenn
sie von genannter Seite kommen.
Die Vorspiegelung in dem Aufruf zu dem Maurer- und Steinmetzen—
kongreß, daß vorerst eine Vereinigung auf gewerkschaftlichem Gebiete stattfinden
369
solle, dann finde sich dieselbe auch auf anderm Felde, ist die nämliche, welche
Herr Aurin vor dem Schuhmacherkongreß Unterzeichnetem gegenüber auch
gemacht hat. Nun, wie Herr Aurin und seine Freunde aus dem Allgemeinen
deutschen Arbeiterverein die Versöhnung auffassen, davon kann mein Freund
Metzner wohl ein Lied singen. Der Allgemeine deutsche Maurerverein bildet nun
laut seiner Generalversammlungsbeschlüsse einen treuen Bundesgenvssen des
Allgemeinen deutschen Arbeitervereins. Die sämtlichen hervorragenden Mitglieder
des Maurervereins sind Mitglieder und eifrige Agitatoren des Allgemeinen
deutschen Arbeitervereins. Ich bin sofort bereit, hundert Resolutionen, welche
von Mitgliedern des Maurervereins eingebracht und angenommen wurden, bei⸗
zubringen, in denen ausgesprochen ist, daß nur im Allgemeinen deutschen Arbeiter⸗
verein einzig Heil und Glückseligkeit zu erreichen ist ind daß jeder Gegner des
Allgemeinen deutschen Arbeitervereins und dessen Führer ein Feind der Arbeiter⸗
sache sei. Nun sind aber die Einberufer des Kongresses gerade Mitglieder des
Allgemeinen deutschen Maurer- und Allgemeinen deutschen Arbeitervereins, also
zweier Vereine, die laut ihrer offiziellen Beschlüsse mit uns sich nicht versöhnen
können, deren Aufgabe es im Gegenteil ist, unsre Partei und deren Organisation
zu vernichten. Was sollen da die Versicherungen nützen, daß die Herren Ver⸗
söhnung wollen, wenn dieselben die Vereinigung nur dann für möglich halten,
wenn laut der eignen Generalversammlungsbeschlüsse wir uns blindlings unter⸗
werfen? Wollen die Herren wirklich, daß Friede unter den deutschen Arbeitern
werde, gut, dann mögen sie feierlich und offiziell erklären, daß sie uns als
Sozialdemokraten anerkennen, wie sie das Gegenteil schon so oft getan; sie mögen
erklären, daß sie uns unrecht getan, als sie uns stets die Eigenschaften einer
sozialdemokratischen Partei absprachen. Wir wollen Garantien dafür haben, daß
Vorgänge, wie sie auf dem Tischlerkongreß vorkamen, nicht stattfinden werden.
Dann, aber auch nur dann, dürfte es unsrerseits geraten sein, daß wir für dieses
neue Projekt eintreten. J. Auer.
Praktische Emanzipationswinke.
(Abgedruckt aus dem „Volksstaat“ 1878 Nr. 40, 42, 44 und 413.).
1. Die geschichtliche und natürliche Notwendigkeit der Gewerksgenofseuschaften.
Karl Marx hatte im Jahre 1847 in seiner gegen Proudhon gerichteten
Schrift: „Misèro de la Philosophie“ usw. den exakten Beweis geliefert, daß
die englischen Gewerkvereine für die Organisation der Arbeiterklasse dieselbe
Bedeutung haben wie die Gemeindebildung des Mittelstandes für die Mittel—
klassen der bürgerlichen Gesellschaft. Seitdem haben auch andre Nationalökonomen,
wie z. B. Lujo Brentano in seinen „Arbeitergilden der Gegenwart“, mit großer
Ausführlichkeit nachgewiesen, daß die heutigen Organisationen der Arbeiter, die
Gewerkoereine oder Gewerksgenossenschaften, für die Lösung der sozialen Frage
dieselbe Wichtigkeit haben, wie die Handwerkergilden des Mittelalters für das
Emporkommen der bürgerlichen Gesellschaft. Wenngleich auch Brentano in seinen
Raisonnements sich heftig gegen Unterschiebungen sozialdemokratischer Tendenz
steift und sträubt, und wenngleich auch derselbe Nationalßkonom der gesamten
Sozialdemokratie und der „Internationale“ in die Schuhe schiebt, daß zwischen
den praktischen Bestrebungen der englischen Arbeiterklasse und der sozialdemokra—
tischen Bewegung weder ein geistiger innerer noch äußerer Zusammenhang bestehe,
Bringmann, Geschichte der Zimmerer.
— 370 —
bemerkenswert bleibt immerhin die Tatsache, daß die bedeutendste wissenschaftliche
Kapazität der Sozialdemokratie über die Gewerkvereine einig ist mit einem
Nationalökonomen, der als Lehrer an der Breslauer Hochschule fungiert. Auch
Brentano konstatiert, daß, wenngleich die Gewerkvereine in ihren Anfängen mit
den Handwerkergilden das Ausschließen rein politischer Zwecke gemeinsam haben,
dieselben dennoch auf die Politik der Regierungen und auf die Herrschaft der
Starken und Mächtigen einen heftigen Druck ausüben können. So waren also
die Handwerkergilden des Mittelalters unbewußt das Mittel zur Emanzipation
der bürgerlichen Gesellschaft. In gleicher Weise sind noch heute eine größere
Anzahl der englischen Gewerkvereine das Mittel zur Emanzipation der Arbeiter⸗
klasse. Es müssen beide Sätze von uns festgehalten werden, um so mehr, da nicht
nur die englischen Gewerkvereine oder Gewerksgenossenschaften, ebenso wie die
alten Handwerkergilden, alle politischen Reaktionsperioden, alle Gegenkombinationen
der Besitzenden und Herrschenden, alle Teurungen und Handelskrisen überlebt
haben, sondern auch, weil vorstehende Sätze uns den Beweis ein für allemal
liefern, daß trotz Verfolgung, Reaktion, Polizei und Militarismus es möglich
ist, die Organisation der Arbeiterklasse zu fördern und ihrer Emanzipation
entgegenzuführen.
Die internationale Arbeiterassoziation hatte dies schon bei ihrer Gründung
vollständig begriffen und mögen auch die Wogen der Verleumdung, der Lüge und
Verblendung heute über sie schäumend zusammenschlagen, auf einen Tag des
Sturmes folgen die Sonnentage der besseren Ueberzeugung und Anerkennung.
Nicht nur wurde schon im Jahre 1866 von den zu Sheffield tagenden Gewerk⸗
vereinen dem Bestreben der internationalen Arbeiterassoziation, die Arbeiter aller
Länder durch ein gemeinsames Band der Brüderlichkeit zu vereinigen, volle
Anerkennung gezollt, sondern man empfahl auch allen vertretenen Gesellschaften
auf das eindringlichste, sich mit dieser Körperschaft zu verbrüdern, in der Ueber—
zeugung, daß dies von äußerster Wichtigkeit für den Fortschritt und das Gedeihen
des gesamten Arbeiterstandes sei. Die internationale Arbeiterassoziation wurde
aber zugleich auch den englischen Gewerkvereinen gegenüber die Vermittlerin für
den historischen Satz, daß dieselben die natürlichen und aus historischen Tatsachen
entwachsenen Organisationen seien, mittels deren politische und soziale Forderungen
durchzusetzen die Möglichkeit gegeben sei, und dies brachte diesen Satz zur
bewußten Erkenntnis. In der Tat sind heute schon die vorgeschrittensten eng⸗
lischen Gewerkvereine angekommen bei dem Bewußtsein, daß sie bei ihren nächsten
Zwecken die politische und soziale Emanzipation der Arbeiterklasse nicht ver⸗
gessen dürften.
Auf dem Genfer Kongreß im Jahre 1866 wurde von der internationalen
Arbeiterassoziation folgendes zum Beschluß erhoben: „Die Errichtung und
Förderung von Gewerkvereinen muß und soll daher die Hauptaufgabe des
Arbeiterstandes für die Gegenwart und nächste Zukunft bleiben; abgesehen davon,
daß sie den Uebergriffen des Kapitals entgegenwirken, müssen sie lernen, bewußter⸗
weise als Brennpunkt der Organisation der Arbeiterklasse zu handeln, im Interesse
ihrer vollständigen Emanzipation; sie müssen jede soziale und politische Bewegung,
welche auf dieses Ziel lossteuert, unterstützen und sich selbst als die handelnden
Kämpfer und Vertreter der ganzen Klasse betrachten und sich sorgfältig um die
Interessen der am schlechtesten bezahlten Geschäfte bekümmern, z. B. um die
Ackerbauarbeiter, welche infolge von ausnahmsweise ungünstigen Umständen,
371
durch Zerstreuung und niederen Bildungsgrad nicht den geringsten organisierten
Widerstand leisten konnten. — Dies muß unfehlbar die außerhalb der Gewerks—
organisation Stehenden anziehen und der großen Masse der Arbeiterklasse die
Ueberzeugung aufdrücken, daß ihr Ziel, weit entfernt, ein begrenztes selbstsüchtiges
zu sein, die allgemeine Befreiung der niedergetretenen Millionen ist.“
Der Kongreß zu Basel 1869 beschloß, daß die Bildung von Gewerks⸗
genossenschaften (Gewerkvereinen) energisch angestrebt werden solle; die verschiedenen
Gewerksgruppen sollen sich zu nationalen Verbänden einigen und gemeinschaftlich
zu ergreifende Maßregeln beraten, um das heutige Lohnsystem zu beseitigen durch
die genossenschaftliche Arbeit. Der Generalrat soll die internationale Verbindung
vermitteln.
Auf der Delegiertenkonferenz zu London vom 17. bis 28. September 1871 ist der
Wichtigkeit der gewerkschaftlichen Bewegung abermals Ausdruck gegeben worden,
gleichwie der letzte Kongreß im Haag die Gewerksgenossenschaften aller Länder
auf den Generalrat als Vermittler von internationalen Beziehungen aufmerksam
macht. Anschließend hieran muß noch auf die offizielle Bekanntmachung des
Generalrats in New NYork vom 26. Januar 1878 aufmerksam gemacht werden.
Es erhellt aus vorstehenden geschichtlichen Daten, Beschlüssen und Zusammen⸗
stellungen zur Genüge, welche Tragweite die Gewerlvereine oder Gewerksgenossen⸗
schaften auf die gesamte Arbeiterbewegung haben müssen und wie verkehrt und
gehaltlos die Ansicht derjenigen sozialistischen und nichtsozialistischen Arbeiter ist,
welche glauben, die Aufgabe der Gewerkschaften erledige sich mit der Tätigkeit
in Widerstands-, Schutz- und andern Unterstützungszwecken und könne schließlich
als exekutive Organisation bei Verabredungen mit Unternehmerkoalitionen
angesehen werden.
Der Arbeiterkongreß zu Erfurt im Juni vorigen Jahres, welcher einberufen
worden war, um eine „Gewerkschafts-Anion“ zu gründen, welche unabhängig von
der rein politischen Parteibewegung dastehen sollte, ist weder von den meisten
unsrer Parteigenossen in seiner ganzen Tragweite begriffen, noch viel weniger aber
zur praktischen Durchführbarkeit gekommen. Wollen wir einmal sehen, worin
dieses seinen Grund hat. Haben wir die Ursache dieser Erscheinung gefunden,
dann werden wir suchen, in Zukunft es besser zu machen.
Lassalle sucht uns in seinen Schriften begreiflich zu machen, daß eine lebhafte,
energisch geleitete, rein politische Agitation dem Arbeiterstande schnell zu seinen
Rechten verhelfen müsse. Auch unter unsern Parteigenossen ist diese Ansicht deshalb
eine so weit verbreitete, weil nicht nur unsre Partei sich aus spezifischen Anhängern
Lassalles fortwährend rekrutiert, sondern auch, weil unser Parteiprogramm einen
hervorragend politischen Charakter trägt. In demselben sind die sozialen Forderungen
zwar scharf genug betont, allein die einzelnen Punkte für praktische Agitation nicht
speziell genug gegeben. Bedenke man wohl, daß der Mißbrauch, welcher mit den
Arbeitern getrieben wurde, dieselben vielfach politisch gleichgültig gemacht und
viele sogar dazu bewogen hat, ihre Forderungen entgegengesetzt, d. h. rein sozial
zu präzisieren. Einesteils ist es also der durch Lassalle hervorgerufene Satz
„politische Agitation“, welcher die Gewerkschaftsbewegung vielen unverständlich
macht, andrerseits ist es das Mißtrauen der Arbeiter vor politischen Parteien.
Erstere eilen der Bewegung, welche alle Elemente des Arbeiterstandes erfassen
und einigen sollte, zehn Jahre im Sturme voraus; letztere begreifen nicht, daß
die gewerksgenossenschaftliche Organisation mit einem rein sozialen Programm
— 372 —
schließlich doch auf die Gesetzgebung, also auf die Politik, von unendlicher Trag⸗
weite fein muß. Es sind zwei Wege, die zu einem Ziele gelangen, Und nachdem
wir dieses gefunden haben, nachdem wir zuerst aber erfuhren, daß die gewerk⸗
schaftliche Organisation die natürliche und historische Handhabe ist, um die Arbeiter
zur Abschaffung der Klassenherrschaft zu befähigen, warum sich dann überhaupt
noch um die Form, den Namen und die Aeußerlichkeit streiten? Der Geist, das
Wesen, der Inhalt einer Sache muß festgehalten werden. Darum ist es auch
unendlich schwer, mit Leuten zu streiten, welche den Wald vor lauter Bäumen
nicht sehen. Indem sie lächelnd und überlegen auf einen Streik oder auf eine
Arbeitsaussperrung herabsehen, freuen sie sich wohl über den ausgebrochenen Kampf,
der die Phrasen der Gegner und Schönredner vernichtet, aber das wollen sie
nimmermehr zugeben, daß die gewerkschaftliche Organisation dazu berufen ist,
allen Parteihader unter den Arbeitern zu beseitigen, sowie daß sie letztere zur
sozialen und politischen Emanzipation reif macht. Im Gegenteil, derartige rein
theoretische Plänkler halten die praktische und gesunde Gewerkschaftsbewegung
für etwas Fehlerhaftes, Reaktionäres und Rückbildendes, welche die gesamte
Arbeiterbewegung nur aufhalte, zersplittere und eine Masse Geld und Kräfte in
Anspruch nehme, welch letzteres viel besser in der politischen Agitation verwendet
werden könne. Es kommt leider dabei nicht selten vor, daß derartige Partei⸗
genossen täglich zwölf bis dreizehn Stunden in der Werkstatt arbeiten oder auch
sich einer widerlichen Hausordnung unterwerfen und womöglich noch Frau und
Kind mitarbeiten lassen. Ein mir bekannter Tischler, der sich einen guten Sozialisten
nannte, sagte eines Tags zu mir, er könne der Gewerkschaft nicht beitreten, denn
das ließe das eherne Lohngesetz nicht zu. Erst müsse man Staatshilfe (Kredit
oom Staate zu Assoziationen) haben, dann würde es schon anders werden. Traurig
genug, so etwas hören zu müssen von einem Manne, der alle Volksversammlungen
besucht und — seiner Meinung nach — Lassalles Antwortschreiben aus dem Kopfe
hersagen konnte. Diese Art Arbeiter ist das gerade Gegenteil von jenen, welche
Lassalle bei seinem ersten Auftreten ins Gesicht spien. Die Phraseologie der
Fortschrittspartei hatte das Gehirn der Arbeiter Berlins mit einem dicken Schleim
umgeben, der sie zum selbständigen Denken nur in Ausnahmefällen kommen ließ.
Das rein theoretische Bearbeiten von sozialpolitischen und ökonomischen Sätzen von
seiten der dogmatischen Anhänger Lassalles hat diese wieder aus einer Ecke in die
andre gejagt und leider mit dem Teufel hat man Beelzebub ausgetrieben.
Die Menge derer ist auch noch groß, welche die gewerkschaftliche Bewegung
als einen Schweif an der politischen angesehen wissen will, auch diese werden vor der
Wucht unabäanderlicher und schwerwiegender Tatsachen die Segel streichen müssen.
Es liegt klar auf der Hand, daß derjenige, welcher praktische Erfolge haben
und erreichen will, auch mit allen tatsächlichen Verhältnissen und Zuständen rechnen
muß, die sich der Ausführbarkeit praktischer Versuche zur Organisation der Arbeiter⸗
klasse entgegenstellen.
Es ist vorher schon bemerkt worden: Die bei weitem große Mehrzahl der
Arbeiter hat keinen Sinn für politische Bestrebungen, d. h. dieselben interessieren
sich nicht für Reichsstag und Gesetzgebung, für Zoll⸗, Steuer⸗, Verkehrs⸗, Landes⸗
und Fürstenfragen, für Republik oder Monarchie. Es ist auch schwer, dieselben
aufzuschütteln. Am besten sind dieselben zugänglich für Lohnerhöhung, kurze Arbeits⸗
zeit, Reise- und Krankenunterstützung. Dieser durchaus rein praktische Sinn des
Arbeiterstandes muß von denjenigen benutzt werden, welche erfahren und erkannt
373
haben, daß die gewerkschaftliche Organisation das natürlich und historisch gegebene
Mittel ist, um der Arbeit allmählich zur Herrschaft zu verhelfen. Es ist eine
Tatsache, daß diejenigen Gewerkschaften, wie z. B. die der Buchdrucker, Hutmacher
und Goldarbeiter, deshalb so rasche Fortschritte machen, weil sie keiner politischen
Parteirichtung angehören und allen politischen Hader grundsätzlich fernhalten,
ohne jedem Mitgliede das Recht zu nehmen, außerhalb der Gewerkschaft sich rein
politischen Parteien anzuschließen. Durch schlimme Erfahrungen in sozialen Kämpfen
gewitzigt, bricht sich bei solchen Arbeitern die Ueberzeugung selbständig politischer
Organisation und Vertretung Bahn, und derartige Elemente schützen nicht nur
vor Putschen und Revolten, sie drängen vielmehr zu ernsterer Arbeit, zum
pPflichtgefühl und zur Beschleunigung fester Organisationen der Arbeiterklasse.
Sie geben dem politischen Parteileben schon im heutigen Staate feste ökonomische
und soziale Unterlagen, ohne deren Ausbildung und mit deren, Verhinderung
blutige Dramen geschichtliche Notwendigkeit werden. Die Partei des vierten
Standes muß letzteres zu verhindern suchen, trotz der Provokation der Herrschenden
und Besitzenden.
Nach diesen Ausführungen soll nun bewiesen werden, daß es ein verhängnis⸗
voller Irrtum ist, die Gewerkschaftsbewegung der rein politischen Parteibewegung
unterzuordnen. Ich werde diesen Beweis zu liefern suchen, indem ich mich zugleich
bestrebe, das geistige und innere Wesen der Gewerksgenossenschaften mit Rücksicht
auf das Programm der sozialdemokratischen Arbeiterpartei klarzustellen, zum Schluß
aber Fingerzeige zur Ausbildung und Verbreitung der Gewerksorganisation zu geben.
2. Die reinpolitische Parteibewegung und die Gewerksgenossenschaften.
Man braucht sich nicht erst klar darüber zu werden, daß die politische Macht
es heute und immer sein muß, durch welche sich der Arbeiterstand die volle Gleich⸗
berechtigung und die Abschaffung der Klassenherrschaft zu erkämpfen hat. Wer
auch nur halb die Arbeiterbewegung sich angesehen und niemals mit dem Arbeiter⸗
stande im direkten Verkehr stand, der wird und der muß zugeben (in welcher Form
und Gestalt einem auch die Arbeiterbewegung entgegentreten mag), daß sie schon
in erster oder zweiter Linie eine politische Bewegung ist. Es braucht ferner nicht
nachgewiesen zu werden, daß weder die sofortige Beiseitesetzung des heutigen
wirtschaftlichen Systems (die kapitalistische Produktion), noch die schnellste Weg⸗
räumung der heutigen Staatsform (der monarchische Staat) imstande wären,
den Auferstehungs- und Befreiungsruf der arbeitenden Klasse zur Tatsache werden
zu lassen. Wir wissen, daß die ökonomische, soziale, politische und geistige Befreiung
des Arbeiterstandes und die Ueberwindung des Rassen- und Klassenhasses sowie
die vollendete Begründung des freien Volksstaates nicht das Werk eines Jahr—
zehntes sein kann. Es nützt auch nicht, daß wir die Massen auf soziale Revolution
vertrösten, die sich ja fortwährend von selbst durch die Uebermacht des Kapitals
vollzieht und die ohne die Alleinherrschaft der Besitzenden vollkommen unmöglich
würde. Vor allen Dingen muß das Bewußtsein des Volkes für die Emanzipation
des vierten Standes geweckt werden. Hierauf kommt es vor allem an.
Der Trieb des Arbeiterstandes nach Emanzipation schwebt nicht mehr in
der Luft, er ist keine Idee, nichts Erdachtes und Erzwungenes, er ist eine
Tatsache, die sich durch nichts mehr hinwegdiskutieren läßt. Mag sich dieses
Streben nun in rein politischer Agitation, mag es sich in dem Willen äußern,
widerliche Fabrikordnungen abzuschütteln, den Arbeitstag zu verkürzen, die
374 —
Bedürfnisse zu steigern, den Arbeitsmarkt zu regeln usw., ein für allemal geht das
Bestreben darauf hinaus, sich Unabhängigkeit zu erkämpfen. Hierin liegt der Kern,
der Knotenpunkt und der Gesamtinhalt des Wesens der sozialen Frage.
Zu allen Zeiten ist es das äußerliche Zeichen der Unterdrückten gewesen,
daß sie sich da zunächst am heftigsten schüttelten und wehrten, wo ihnen der
Schuh am meisten drückte. So z. B. kämpften die aufständischen Landbewohner
des Bauernkrieges zuerst mit unter der Reformbewegung Dr. Luthers, weil man
in dem Wahne befangen lebte, die Pfaffen und die Klerisei des Papstes seien an
ihrer Leibeigenschaft schuld, während doch der Feudaladel mit seinen Vorrechten
und seiner Alleinherrschaft über die Bauern es war, welcher Pfaffen und Religion
benutzte, um die Bauern in Knechtseligkeit und Dummheit zu erhalten. Der Klein—
hürgerstand sieht in der Konkurrenz und Gewerbefreiheit sowie in den Bestrebungen
des Arbeiterstandes die Ursache seines Verfalles, während es doch bewiesene Tat—
sache ist, daß das konzentrierte Kapital mit seinen Vorrechten und seiner Macht
über die Arbeitskraft es ist, welches den kleinbürgerlichen Mittelstand expropriiert
und den Arbeiterstand zur Verteidigung und Eroberung seiner Rechte zwingt.
Was braucht es uns also wunderzunehmen, wenn der Arbeiterstand zunächst
darauf sein Augenmerk richtet, widerliche Fabrikordnungen zu beseitigen, kurze
Arbeitszeit, geregelte Löhne und hohe Bewertung der Arbeitskraft zu erzielen?
Derartige Verteidigungsmittel sind nichts andres als die Vorschule und die
Exerzierübungen des Proletariats, welche es nicht nur an Erfahrung' bereichern
und von schlimmen Irrwegen ablenken, vielmehr entstehen hier noch die festen
Positionspunkte, von denen aus die Arbeiter endlich die wirkliche Ursache ihrer
Anechtseligkeit erkennen und zu beseitigen bestrebt sein werden. Es handelt sich
darum und nur allein darum, dieser Erkenntnis bei den Massen Vorschub zu
leisten, damit sie den Kampf mit dem Bewußtsein führen und üben lernen, die
—
ist aber zugleich die Unabhängigkeit erkämpft, um welche es sich bei der Lösung
der sozialen Frage für den Arbeiterstand handelt.
Es entsteht also die Frage: Durch welches Mittel wird der bewußte Unab⸗
hängigkeitskampf am ehesten erreicht, gefördert und verkürzt?
Die Antwort auf diese Frage ergibt sich nach den früheren und zuletzt
gemachten Andeutungen von selbst. Erfahren hatten wir:
1U. daß in gleicher Weise, wie die Handwerkergilden des Mittelalters un⸗
bewußt das Mittel zur Emanzipation der bürgerlichen Gesellschaft
waren, auch die heutigen Gewerksgenossenschaften das Mittel zur
Emanzipation der Arbeiterklasse sind;
daß die große Masse der Arbeiter einerseits Mißtrauen hegt gegen alle rein
politischen Parteien, weil sie von denselben oft mißbraucht und hinter⸗
gangen worden sind, und daß die Unkenntnis der sozialen Bewegung
andrerseits die Wichtigkeit der politischen Seite nicht erkennen läßt; im
übrigen zeigen die Arbeiter größeres Verständnis und praktischen Sinn
für näherliegende Interessenfragen, z. B. kurze Arbeitszeit, hohe Ver—
wertung der Arbeitskraft, Beseitigung widerlicher Fabrikordnungen usw.;
daß die rein gewerkschaftliche Organisation einen nachhaltigen Druck übt
auf die Gesetzgebung und die Regierenden, folglich die Arbeiterbewegung
in dieser Form ihrer Aeußerung ebenfalls politisch ist, wenn auch erst
in zweiter Linie;
375
4. daß die Erreichung des freien Volksstaates, d. h. die ökonomische, soziale,
politische und geistige Befreiung des Arbeiterstandes und die Begründung
der Unabhängigkeit des Arbeiters, der Vorentwicklung und Ausbildung
bedarf;
daß die tatsächlichen gewerksgenossenschaftlichen Organisationsbestrebungen
den Gedanken zur Emanzipation der Arbeiterklasse reifen und deshalb
diese natürlichen Organisationen der reinpolitischen Agitation gleichgestellt
werden müssen und weder als reaktionäre Bildung noch als ein Schweif
an der politischen Bewegung betrachtet werden dürfen.
Aus vorstehenden Sätzen ergibt sich zugleich das taktische Vorgehen und
das Verhalten, welches die sozialdemokratische Arbeiterpartei gegenüber der
Gewerksgenossenschaftsbewegung einzunehmen hat. Es muß folgerichtig dasselbe
sein, welches von der internationalen Arbeiterassoziation schon vor Jahren als
das Zweckentsprechendste anerkannt worden ist, und welches darauf hinausläuft,
daß das unabhängige Gewerksgenossenschaftswesen gefördert und das bewußte
Emanzipationsbestreben in ihnen und durch sie zum präzisen Ausdruck gebracht wird.
Der Anfang zu diesen Bestrebungen ist schon gemacht worden. Die älteren
Vereinigungen der Zigarren- und Tabalarbeiter, der Buchdrucker, der Hutmacher,
der Gold⸗ und Silberarbeiter müssen als Organisationen bezeichnet werden, die
unabhängig von der politischen Parteiorganisation ihre Kräfte schon in heftigen
Kämpfen probiert und ihren Gegnern Achtung abgenötigt haben. Es handelt
sich bei der Gewerksgenossenschaft nicht um trügerische Phrasen, sondern sie sind
eine feste Ringmauer und ein Wall der Verteidigung gegen noch weitere Ver⸗
schlechterungen und Entwürdigungen des Arbeiterstandes. Diese Aufgabe haben
sie nicht nur zu allernächst zu erfüllen, sondern sie können auch den Lohn wenigstens
auf die Höhe hinaufschrauben, durch welchen es möglich wird, die Bedürfnisse zu
erweitern und zu vergrößern, und da sich der Lohn nach dem ehernen Lohngesetz,
nach den gewohnheitsmäßigen Bedürfnissen eines Volkes richtet, so kann nichts
näher liegen, als die gewohnheitsmäßigen Bedürfnisse zu erweitern. Durch die
Erweiterung der Bedürfnisse arbeitet man nicht nur dem Hungertyphus entgegen,
sondern der Arbeiter lernt auch die Nützlichkeit der kurzen Arbeitszeit schätzen.
Er gibt der Arbeitskraft nicht nur einen höheren Wert, vielmehr noch schützt er
sich vor Ueberproduktionen und Handelskrisen, er vermehrt damit seine sozial⸗
politische und ökonomische Bildung und wird dem Familienleben nicht entfremdet,
sondern demselben näher geführt. Die Gewerkschaften sorgen endlich für die
furchtbarsten aller Waffen in den Händen des Proletariats — für die Statistik
und Massendisziplin, welche, gestützt durch die politische Agitation und
Organisation, das Reich der Bourgeoisiewelt in seinen Fugen erschüttern und die
neue Gesellschaft aus der Taufe heben werden.
Der Sinn, welcher durch die Gewerkschaften für die genossenschaftliche
Arbeit geweckt wird, ist von nicht minder großer Tragweite, und allein die Tat⸗
sache, daß in England und Deutschland die vorzüglichsten Produktionsgenossen⸗
schaften im Sinne der Gesamtbefreiung des Arbeiterstandes gegründet worden,
ist ein Beweis, welche Tragweite die Gewerksgenossenschaften für die Ab⸗
schaffung der kapitalistischen Produktion haben.
Man erwäge endlich, von welch unendlicher Tragweite die Gewerkvereins⸗
organisationen auf die Politik der Regierung Englands gewesen. Erinnert sei
hier an die großartigen —— der Fahne der „Anticorn-Liga“
5.
376
errangen gegenüber dem Großgrundbesitz Englands. Wenngleich auch die Arbeiter
für ihre Mitwirkung von der liberalen Partei schmählich hintergangen worden —
ihrer Energie und ihrer Politik, die korporative Partei für ihre Bestrebungen
und Zwecke geschickt zu benutzen, allein haben die englischen Arbeiter das Zehn—
stundengesetz und die Beschränkung der Frauen- und Kinderarbeit zu danken.
Als das kriegslustige Londoner Kabinett zur Zeit des amerikanischen Krieges
Miene machte, sich in den mörderischen Handel zu mischen, zwangen die Arbeiter
durch eine drohende Agitation das Kabinett zur Neutralität. Auf die großartigste
aller Demonstrationen der Neuzeit, welche zu Neweastle Mitte April d. J. unter
rinem Zulauf von mehr als 200000 Menschen zugunsten des allgemeinen Stimm—
rechts in Szene gesetzt wurde, braucht wohl kaum noch hingewiesen zu werden,
da dies im Gedächtnis aller ist.
Wie klein nehmen sich gegenüber diesen Erfolgen unsre Volksversammlungen
aus, in welchen noch immer über ausgeheckte sozialistische Systeme früherer Epochen,
autoritäre Dogmen und Glaubensartikel und über unfehlbare Mittel und Mittelchen
gestritten wird, um die soziale Frage zu lösen. Wie naiv und borniert klingt
der Einwand, daß die Gewerkvereine des politischen Fluidums entbehren und
nur als ein notwendiges Uebel zu betrachten seien! Und dennoch bringen die
Newcastler Arbeiter eine Demonstration zu Werke, die für deutsche Verhältnisse
unmöglich ist, weil es den Arbeitern an Organisationen gebricht, durch die allein
es möglich ist, den Regierungen, Gesetz- und Arbeitgebern Achtung abzugewinnen.
Bedenke man nebenbei: die englischen Arbeiter eröffneten ihre Kämpfe angesichts
des Konkurrenzkampfes der gesamten europäischen Bourgeoisie, angesichts des
Wutgeheuls einer einseitigen Klassenregierung, welcher Schritt für Schritt seit
50 Jahren jede Konzession abgerungen werden mußte.
Es ist deshalb von dem im Jahre 1872 im Juni in Erfurt tagenden
Gewerkschaftskongresse ein guter Gedanke gewesen, die Unabhängigkeit der Gewerk—
schaftsbewegung von dem politischen Parteigetriebe zu befürworten. Wer ein
Haus baut, muß dasselbe auf festem Grunde bauen. Die Gewerksgenossenschaften
sind der feste Untergrund und das starke Gemäuer, auf denen und mit denen
allein es möglich ist, der politischen Agitation feste Haltepunkte, Stetigkeit und
Nachdruck zu verleihen. Deshalb kann die gewerkschaftliche Bewegung der
politischen Erkenntnis des Arbeiterstandes keinen Schaden, sondern nur Nutzen
bringen und deshalb ist es ein unheilvoller und schwer zu büßender Irrtum,
wenn man den Gewerksgenossenschaften von vornherein einen äußerlichen politisch—
agitatorischen Anstrich gibt. Es ist ein Frevel, die rein natürlichen und den
tatsächlichen Verhältnissen entwachsenen Organisationen im Namen des Dogmas
„allgemeines gleiches und direktes Wahlrecht“ niederreißen zu wollen, und wie
die letzte Generalversammlung des Allgemeinen deutschen Arbeitervereins zu
Berlin Beschlüsse zu fassen, die darauf hinausgehen, die Gewerkschaften so bald
wie möglich in rein politische Vereine aufzulösen. Mögen die Arbeiter die
Augen aufbehalten! — Leider ist auch die sozialdemokratische Arbeiterpartei nicht
ganz frei von den Gewerksgenossenschaften negierenden und zerstörenden Elementen,
und deshalb hielt ich es für meine Pflicht, die durch die tatsächlichen Verhältnisse
gegebenen natürlich wachsenden Organisationen in ihrer Wichtigkeit klarzustellen,
um dieselben vor frevelnder Hand und vor fanatisierten Dogmatikern zu bewahren.
Lasse man sich von dem unglückseligen Irrtum endlich heilen, als würde
von der Bourgeoisie und den Gesetzgebern die gewerksgenossenschaftliche Bewegung
377
in ihrer Wichtigkeit für die Befreiung des Arbeiterstandes nicht erkannt, beobachtet
und studiert. Heute bekämpft man sie bis aufs Messer und bietet alles auf, sie
zu vernichten und zu zerstören, und morgen schließt man mit ihnen einen Pakt
in der Hoffnung, die schwachen Seiten gelegentlich kennen zu lernen und die
Arbeiter in Sicherheit einzulullen, um den Dolch der List und des Verrates von
neuem zu erproben. Auf die Unwissenheit und Zerfahrenheit der Massen bauend,
sucht man die jungen Organisationen in falsche Hände zu spielen, um sie hinter—
rücks zu ermorden. Die Gebilde und Organisationen des Kampfes werden dadurch
eine solche Zähigkeit und Festigkeit in ihrer Rinde erlangen, vor denen die
unnatürlichen Tyrannen in Uniformen und weißer Halsbinde zum dünnen Rohr
werden, das der Wind zerknickt!
3. Das Wesen der Gewerksgenossenschaften und das Prograum der
sozialdemokratischen Arbeiterpartei.
Zuerst einen Lorbeerkranz um das gesalbte Haupt des Wunderdoktors Max
Hirsch, der, weil er sich mit der Organisation des Arbeiterstandes und mit der
Errichtung von Gewerkvereinen abgibt, Freund der Emanzipation des Arbeiter—
standes und deshalb unser und mein Freund ist. Für diese Freundschaft, die wir
dem großen Wunderdoktor entgegentragen, werden wir zwar nicht selten mit
berufsmäßigen „Sozialdemagogen“ in einen Topf geworfen; aus dem Grunde
nämlich, weil uns der Herr Wunderdoktor die schöne Phrase von der Harmonie
zwischen Kapital und Arbeit noch nicht hat plausibel machen können. Bringt
uns auch der „Gewerkverein“ des Herrn Dr. Max Hirsch mit jeder Nummer den
Beweis von der Lächerlichkeit dieser Theorie — macht nichts, es wird weiter
harmoniert. Der Anwalt der deutschen Gewerkvereine, Herr Dr. Max Hirsch,
bestreitet nämlich im Verein mit noch mehreren gelehrten Herren ganz entschieden
die politische Tendenz der Gewerkvereine. Nun freilich, die Gewerkschaften sind
keine politischen Klubs in dem Sinne, um über Republik oder Monarchie, über
Reichsherrlichkeit und über Nützlichkeit oder Zwecklosigkeit der Kleinstaaterei oder
über großstaatlich-⸗militärische Heldentaten und schöne Reitergefechte zu streiten,
über den Gewerkvereinen die politische Tendenz abzustreiten, hat sich Herr
Dr. Max Hirsch selbst vorgelogen, und der zweite Verbandstag deutscher Gewerk⸗
vereine am 17. April hat den Beweis selbst dazu geliefert. Die 25 Delegierten
der harmonischen Gewerkvereine Deutschlands nahmen nämlich eine Resolution
für Beteiligung an den Reichs- und Landtagswahlen an. Die Resolution spricht
sich für Aufstellung eigner Kandidaten aus und verwirft jedes Kompromiß mit
gewerkvereinsfeindlichen Parteien. Zugleich aber hielt man an der Erklärung
fest, daß den Gewerkvereinen ein politischer Charakter nicht beiwohne. — Erst
also Harmonie zwischen Arbeit und Kapital und dann Verwerfung jedes Kom—
promisses mit gewerkvereinsfeindlichen Elementen, letzteres also gleichbedeutend
mit Kampf! Dann haben die Gewerkvereine keinen politischen Charakter und
Vertreter derselben lassen trotzdem ex officio eine Resolution für Beteiligung an
den Reichs- und Landtagswahlen los. Um aber nicht in den Verdacht der
„Sozialdemagogie“ zu geraten, gibt ein Schlußpassus die Erklärung ab, den
Gewerkvereinen wohne kein politischer Charakter bei. Man sieht, daß diejenigen
Gelehrten, welche sich bewußt oder unbewußt weigern, aus einer Sache logische
Konsequenzen und Nutzanwendungen zu ziehen, mit ihren eignen Handlungen
und geschichtlichen Tatsachen immer in Konflikt geraten werden.
378
Das Programm der sozialdemokratischen Arbeiterpartei läßt sich zusammen—
fassen in den Satz: „Gleiche Rechte, gleiche Pflichten!“ und deshalb betont unser
Programm unter Punkt II alinea 2: „Der Kampf für die Befreiung der arbeitenden
Klassen ist nicht der Kampf für Klassenprivilegien und vorrechte, sondern für gleiche
Rechte und gleiche Pflichten und für die Abschaffung der Klassenherrschaft.“ Halten
wir diesem Punkte entgegen das ideale Ziel der Gewerkvereine oder Gewerks—
genossenschaften, welches dahin geht, an Stelle der Desorganisation der Gewerkschaft
die Organisation zu setzen und — wie Karl Marx und Brentano dies ausein⸗
andergesetzt haben — halten wir weiter daran fest, daß, wie in gleicher Weise
die Handwerkergilden des Mittelalters unbewußt das Mittel zur Emanzipation
der bürgerlichen Gesellschaft waren, so sind auch die heutigen Gewerksgenossen-—
schaften das Mittel zur Emanzipation der Arbeiterklasse. Folglich wird und muß,
ebenso wie sich der feudale Staat dazu bequemen mußte, die Organisation der
Zünfte anzuerkennen und deren Gesetze und Bestimmungen auf das Gemeinde-⸗,
Staats- und Polizeiregime auszudehnen, auch die Organisation der Gewerkvereine
oder Gewerksgenossenschaften vom Staate über kurz oder lang anerkannt werden
müssen; anerkannt nicht allein nur, sondern auch die Form der Organisation der
Gewerkschaften wird vom Staate auf das ganze Staats- und Gemeindeleben aus—
gedehnt werden müssen. Nun weiß ja ein jeder, der einer Gewerkschaft angehört,
daß dieselben ebenfalls den Grundsatz: „Gleiche Rechte, gleiche Pflichten“ bis ins
kleinste durchführen, als da sind: „gleiche Steuern, keine Bevorrechtung einzelner,
möglichst gleiche Verwaltung, gleichen Genuß von Rechten“. Denken wir uns dieses
System ausgebildet, ausgewachsen und ausgedehnt auf den Staat und die Gemeinde;
in der ähnlichen Weise, wie die Ungleichheit zwischen Meister, Geselle und Lehrling
bei den Zünften maßgebend für die Vorrechte der Meister und für den Triumph des
Großbürgertums wurden, so haben wir vor uns das Ideal der Sozialdemokratie:
„den Staat mit gleichen Rechten und gleichen Pflichten, den freien Volksstaat“.
„Die ökonomische Abhängigkeit des Arbeiters von dem Kapitalisten bildet
die Grundlage der Knechtschaft in jeder Form, und es erstrebt deshalb die sozial⸗
demokratische Partei unter Abschaffung der jetzigen Produktionsweise (Lohnsystem)
durch genossenschaftliche Arbeit den vollen Arbeitsertrag für jeden Arbeiter.“
Die Gewerkvereine oder Gewerkschaften erstreben die materielle Besserstellung und
geistige Hebung ihrer Mitglieder, und da dieselben in ihrem engeren und weiteren
Ziele eintreten für die Unabhängigkeit des gesamten Arbeiterstandes, so kämpfen
sie gegen den Kapitalismus mit allen ihnen zu Gebote stehenden Mitteln, und
fast alle Statuten, die zur Bearbeitung dieser Artikel reiches Material und aus—
giebigen Stoff geben, sogar die Gewerkvereine Hirsch-Duncker, betonen nachdrücklich
die „genossenschaftliche Arbeit“ oder befürworten mindestens, die Gesetzgebung
der Gewerkschaften auf dieselbe auszudehnen, abgesehen davon, daß einzelne sogar
dieselben durch „alle Mittel“, also auch durch Staatssubvention, gefördert haben
wollen. — Von dem Tage an, sagt uns die einfache Logik, an welchem die
Organisationsbestimmungen der Gewerkschaften akzeptiert werden für die Gesetz—
gebung, ist die gewerkschaftliche Bewegung eine politische geworden. Beweis für
die Richtigkeit des ferneren Satzes in unserm Parteiprogramm, daß die soziale
Frage untrennbar ist von der politischen, und daß die Gewerkschaften, weil soziale
Organisationen, in zweiter Linie politische Zwecke haben. Also auch hier wieder
Uebereinstimmung des Wesens der Gewerkschaften mit dem politischen Partei⸗
programm.
379 —
Die Lösung der sozialen Frage ist nur möglich im demokratischen Staat,
sagt unser Parteiprogramm weiter. Betrachten wir uns das Wesen der Gewerks⸗
organisationen nochmals, so werden wir finden, daß dieselben eine solche ureigenste
volksherrschaftliche (demokratische) Organisation sind, wie sie besser nicht gedacht
werden kann. Die Verwaltungsbehörden derselben sind nur mit ausführender
und nicht mit gesetzgebender Gewalt bekleidet, ihre einzige Autorität ist der Wille
der Gesamtheit. Die gesetzgebenden Behörden sind die Generalversammlungen,
die Kongresse, in besonderen Fällen ein Ausschuß oder eine Kontrollkommission
und die Urabstimmung der Mitglieder. Dies sind zugleich die Grundzüge für
die direkte Gesetzgebung durch das Volk, die notwendige Vorschule, um das Vor⸗
schlags- und Verwerfungsrecht durch das Volk üben und ausbilden zu können.
Alle diejenigen Gewerkvereine oder Gewerksgenossenschaften, welche aus
dem Stadium des embryonischen Zustandes herausgetreten sind, haben aber ihrer
Organisation einen streng einheitlichen Charakter gegeben, welcher einesteils durch
den Kampf der Bourgeoisie, andernteils durch Sparung von Verwaltungskosten usw.
schließlich sich von selbst durch praktische Beweggründe entwickelt. Dies ist ein
weiteres Moment für die Richtigkeit des Satzes im Programm der sozialdemo—
kratischen Arbeiterpartei, nach welchem die politische und ökonomische Befreiung
des Arbeiterstandes nur möglich ist, wenn dieser gemeinsam und einheitlich den
Kampf führt und sich zu diesem Zwecke eine einheitliche Organisation gibt. Die
einheitliche Organisation der einzelnen Gewerke ist aber die Vorbedingung und
Grundlage zur Verwirklichung einer einheitlichen Gesamtorganisation, wie z. B.
dies in England schon der Fall ist und in Deutschland angestrebt und von vielen
im Sturme zu erreichen für möglich gehalten wird; ein Ding, das der natürlichen
Entwicklung der Gewerkschaftsbewegung widerstrebt. Die internationale Organi⸗
sation der Gewerkschaften ist nicht denkbar ohne einheitliche nationale Organisation.
Die erstere ist von der letzteren abhängig und die Arbeiter der verschiedenen
Nationalitäten werden sich durch kein Mittel der ganzen Welt abhalten lassen,
internationale Verbindungen anzuknüpfen, sobald nur erst einheitliche nationale
Organisationen sich herausgebildet haben. In der Tat sind die vorgeschrittensten
Gewerkschaften Deutschlands, welche keiner politischen Partei äußerlich angehören,
der internationalen Organisation, welche besonders auf Gegenseitigkeit in den
Vereinsstatuten in bezug auf Rechte und Pflichten der Mitglieder basiert ist, der
internationalen Organisation tatsächlich viel näher als diejenigen, welche das
unschuldige Wörtchen „international“ in ihrem Titel aufgenommen haben, welches
den Staats- und Polizeimännern fortwährend Gelegenheit gibt, Probierstückchen
von der Lebensfähigkeit der Gewerkschaftsbewegung zu erleben. Das Wesen der
Gewerkschaften und die Solidarität der Interessen der Arbeiter aller Länder treibt
nicht nur die Gewerkschaften, sondern auch die Koalitionen der Kapitalisten zur
internationalen Organisation. Ein weiterer Beweis für die Lebensfähigkeit der
internationalen Arbeiterassoziation, die sich ja weiter nichts zur Aufgabe macht,
als daß die Arbeiter bewußt und unabhängig diesem Ziele zustreben lernen.
Es ist kaum weiter nötig, die nächsten zehn Forderungen der Sozial—
demokratie vergleichend mit dem Wesen der Gewerksgenossenschaften nebenein—
anderzuhalten. Das Prinzip der Gewerksgenossenschaften, „gleiche Rechte,
gleiche Pflichten“, hat nicht nur die Vorrechte des Meister⸗ und Gesellenstandes
aufgehoben, sondern auch die Kapitalien und das Eigentum der Gewerkschaften
sind Gemeingut aller Mitglieder; Katholiken, Lutheraner, Juden und religiöse
380
sowohl als soziale Sektionen sind ohne Ausnahme und ohne Vorrechte in ihnen
vereinigt. — Das allgemeine gleiche direkte und geheime Wahlrecht ist ebenso
in ihnen durchgeführt wie die Gewährung von Diäten für Vertreter und Delegierte
sowie die direkte Gesetzgebung (Vorschlags- und Verwerfungsrecht) durch das Volk.
Die Errichtung der Volkswehr an Stelle der stehenden Heere ist zwar in keinem
Gewerkschaftsstatut ausgesprochen, ebensowenig wie die Trennung der Kirche
vom Staat und Trennung der Schule von der Kirche — aber alle organisierten
Gewerkschaftsmitglieder, gleichviel unter welcher Firma sie figurieren, schwärmen
so wenig für stehende Heere und Bibelstunden in der Schule, daß man sich von
allen Seiten Mühe gibt, diese althergebrachten Sitten den Arbeitern als Not—⸗
wendigkeit vorzudemonstrieren. Der obligatorische Unterricht in Volksschulen und
unentgeltlicher Unterricht in allen öffentlichen Bildungsanstalten ist in dem Zweck
der Gewerkschaften, geistige und materielle Hebung seiner Mitglieder, enthalten.
— Da ferner die Gewerkschaften für die Unabhängigkeit des Arbeiterstandes im
allgemeinen kämpfen, so kämpfen sie insbesondere mit für die Unabhängigkeit
Demokratisierung) der Gerichte, Einführung der Geschworenen- und Fachgewerbe⸗
gerichte, öffentliches und mündliches Gerichtsverfahren und unentgeltliche Rechts—
pflege und haben hierin die Vorbilder Englands schon viel Nachahmungswertes
in dieser Beziehung geleistet und die Einigungsämter insbesondere sind als Vor—
läufer für Fachgewerbegerichte und für Vereinfachung der Rechtspflege anzu—
sehen. — Die Verfolgung der selbständigen Arbeiterpresse von seiten der Polizei
und der Regierenden weckt endlich das Verlangen nach Abschaffung aller Preß-⸗
gesetze. Die Maßregelung und das Knebeln der Vereine und Koalitionen reift
den Gedanken nach Beseitigung der Vereins- und Koalitionsgesetze. Der Normal⸗
arbeitsstag, die Einschränkung der Frauen- und Kinderarbeit, Beseitigung der
durch die Zucht- und Arbeitshausarbeit den freien Arbeitern geschaffenen Kon—
kurrenz sind für die Gewerkschaften selbstverstandene Dinge und die sozialen
Forderungen der Gewerkschaften sind bei weitem noch spezialisierter und aus—
gebildeter, wie z. B. die Regelung der Arbeitspreise, der Arbeitszeit, der Sonntags—
und Nachtarbeit, das Lehrlings- und Unterstützungswesen, statistische Erhebungen
über Löhne, Arbeitszeit, Lebensmittelpreise, Krankheiten und Todesfälle usw.
— Auch in bezug auf die Steuern negieren die Gewerkschaften das indirekte
System und einige sogar haben progressive freiwillige Einkommensteuer ihren
Mitgliedern auferlegt (wie z. B. der Verein der Buchdruckergehilfen in Berlin
und Hamburg-Altona während der Zeit des Kampfes mit den deutschen Buch—
drucker⸗Prinzipalen). — Was endlich den letzten Punkt des Parteiprogramms,
taatliche Förderung des Genossenschaftswesens und Staatskredit für freie
Produktionsgenossenschaften unter demokratischen Garantien, anbelangt, so ist
darüber kein Wort zu verlieren, da dies im vorstehenden schon berührt wurde.
Drei wesentliche Punkte der Gewerkschaftsbewegung sind also hervorgehoben
worden: erst die natürliche und geschichtliche Notwendigkeit der Gewerkschaften,
dann ˖ der Beweis ihrer Unabhängigkeit und Gleichstellung mit der politischen
Agitation, endlich die Identifizierung des politischen Programms der sozial—
demokratischen Arbeiterpartei mit der Gewerkschaftsbewegung.
Es ist das, was jetzt hier darüber gesagt, nichts Neues. Nicht nur die
Bourgeoisie haßt und verfolgt die Gewerkschaftsbewegung und sucht dieselbe zu
unterdrücken, weil sie den politischen Charakter und die Bedeutung derselben
in praktischer und prinzipieller Hinsicht kennt, auch die Gelehrten und hohen
381
Staatsmänner verfolgen dieselbe mit Aufmerksamkeit und suchen die Arbeiter zu zer⸗
splittern, getreu dem Grundsatze des Jesuitismus, die Schwächen und Leidenschaften
der Personen und der Massen zugunsten der Herrschenden und zuungunsten der
Unterdrückten auszubeuten. Rückwärts kann der Weg nicht mehr gehen. Die
Rechte der Koalitions- und Versammlungsfreiheit kann man wohl den Arbeitern
schmälern, aber nicht mehr nehmen. Wollte das wirklich eine Klassenregierung
unternehmen, dann müßte, weil Druck Gegendruck erzeugt, der permanente Kriegs⸗
und Belagerungszustand erklärt und der Arbeiterstand auf die Barrikaden gelockt
werden. Solchen Verlockungen werden die Arbeiter durch Organisation wider⸗
stehen lernen; und da keine Regierung auf die Länge der Zeit sich mit dem Volke
in Belagerungszustand halten kann, so bleiben nur zwei Dinge übrig: Die Re⸗
gierungen müssen entweder das Volk zur Organisation selbst mit anleiten, um
Katastrophen zu entgehen und die demokhratisch-sozialen Prinzipien praktisch an⸗
wenden — oder: das Volk wird sich seine Rechte erkämpfen durch Organisationen,
wie sie die Welt noch nie gesehen! Beide Wege führen in ihrem Endziele zur
Lösung der sozialen Frage und somit zur Abschaffung der Klassenherrschaft, zum
Sieg der sozialdemokratischen oder Arbeiterbewegung, zum Untergang der über⸗
lieferten Traditionen, des persönlichen Autoritätenkultus und zur Beseitigung
der Ausbeutung der Volksmassen. Das sind keine Utopien!
4. Die Organisation der Gewerkschaften.
Nach den vorhergehenden Auseinandersetzungen braucht nicht mehr über
die Wichtigkeit oder Zwecklosigkeit der gewerkschaftlichen Organisation gestritten
zu werden. Dieselbe ist nicht nur von natürlicher und geschichtlicher Notwendigkeit
bedingt und kein Machwerk einzelner Hetzer und Wühler, sondern sie ist zugleich,
wenn auch erst in zweiter Linie, politischer Natur und das Wesen der Gewerk—⸗
schaften stimmt überein mit dem Programm der sozialdemokratischen Arbeiter⸗
partei. Es wurde schon vorher ausgesprochen, daß alle diese Gründe eine
Gleichberechtigung der gewerkschaftlichen Bewegung mit der rein politischen Partei⸗
bewegung nicht nur zweckmäßig, sondern sogar notwendig machen.
Es bleibt mir nun übrig, über die gewerkschaftliche Organisation selbst
noch einige Andeutungen zu geben, die man aber nicht als erschöpfend und allein
maßgebend betrachten und behandeln darf.
Jedem Beobachter der sozialen Bewegung wird die Tatsache bekannt sein,
daß es insbesondere gelernte und besser gestellte Arbeiter sind, welche die Be⸗
gründung der gewerkschaftlichen Organisation in die Hand nehmen. Trotz der
früheren schlechteren Gesetze und des beengenden Einflusses der Zünfte, welche
sich in Deutschland am längsten erhielten, waren es insbesondere die Hutmacher,
die Schiffbauer und Schriftgießer, die Maurer und Zimmerleute, die Maschinen⸗
bauer uͤnd Eisenarbeiter, welche noch innerhalb der früheren Zünfte sich von den
Meistern schon halb und halb losgesagt und unter sich Gesellenverbindungen,
Verbrüderungen usw. anknüpften, deren Zweck es war, den Bedrückungen der
zu Wohlstand und Reichtum gelangten Meister Widerstand zu leisten. Meist
waren dies nur lokale Verbände und sie erstreckten sich selten über die Grenz⸗
pfähle der Städte hinaus. Man verständigte sich gewöhnlich durch Stichworte
und ausgegebene Parolen bei Quartalsversammlungen, Kassenauflagen und
Herbergszusammenkünften. Wenn es galt, einem terroristischen Meister die Zähne
zu zeigen, so genügten einige Worte im Herbergszimmer, um dies allen verständlich
382
zu machen. Die Gesellen suchten das Haus eines solchen Tyrannen zu meiden. Die
Zuschiebung von schlechten Arbeitskräften, die Entziehung frisch zugereister Arbeiter
brachten einen solchen Meister schon damals zum besseren Verständnis für die
Ansprüche der lebendigen, denkenden, fühlenden und handelnden Ware. — Nach
der inneren Demoralisation und endlichen Auflösung der alten Zünfte durch
Gewerbefreiheit und Freizügigkeit bekamen die lokalen Vereinigungen der Gesellen
durch die Koalitionsfreiheit die Möglichkeit, die Fühler besser ausstrecken zu
können. Einer nicht geringen Zahl von Meistern, welche sich vom Innungsleben
zurückgezogen hatten und teils grollend und schmollend dem Zeitgeist die Tür
verschlossen, andernteils aber auch wieder im tausendjährigen Reich der Freiheit
und Konkurrenz zu schwelgen anfingen, wurden von denjenigen Gesellen, welche
die Wichtigkeit der Koalitionsfreiheit begriffen, das Unterstützungswesen, die
Kranken- und Sterbekassen entzogen und man fing an, diese Institutionen selb—
ständig zu verwalten. Leider haben die meisten Gewerke die Gelegenheit unbenutzt
vorübergehen lassen, um diese Kassen in die Hände der Arbeiter zu spielen, von
denen schon in früherer Zeit der bei weitem größte Kassenbeitrag geleistet wurde.
Es waren eben nur wenige Städte und wenige Gewerbe, welche hier die Vor—
mundschaft der Meister abschüttelten. — Diese Gesellenverbindungen mit der
Unterlage von Kranken- und Unterstützungskassen sind die Vorläufer und der
Untergrund für eine nationale Gewerksvereinigung. Diejenigen Gewerbe nun,
welche bis jetzt versäumten, auf diesen Grundlagen weiterzubauen, mögen vor allen
Dingen darauf bedacht sein, die örtlichen Organisationen in den einzelnen Städten
zu stärken und, wo sie nicht vorhanden, neue Vereinigungen zu bilden. Die
gebildeten und aufgeklärten Arbeiter haben hier aber die Pflicht, vor allem nicht
nach dem politischen oder religiösen Glaubensbekenntnis jener Leute zu fragen.
Sie sollen vor allen Dingen dafür sorgen, durch populäre Vorträge, Schriften
und belehrende Blätter die Mitglieder zu fesseln. Sie müssen sich bestreben, mit
ihren Fachgenossen in andern Städten Fühlung zu gewinnen und die in Lethargie
versunkenen aufzurütteln suchen. Ihr Zweck muß sein, womöglich alle Mitgenossen
eines Berufes durch alle Mittel, wie Arbeitsnachweis, Reiseunterstützung usw.,
an sich heranzuziehen. — Die schlimmen Erfahrungen haben gelehrt, wie
unklug es ist, derartige Vereine mit äußerlichen Namen zu umgeben, die für
uneingeweihte Arbeiter einen politisch klingenden Anstrich haben. Wie mißtrauisch
die Arbeiter gegen solche Aeußerlichkeiten sind, ist schon in früheren Andeutungen
erörtert worden. Nenne man sich einfach Schuhmacher-, Schneider-, Tischler-,
Zimmerer⸗, Böttcher-⸗, Klempner- usw. Verein oder Gewerkschaft. Da diese Vereine
in zweiter Linie immer politisch sein werden, und da das Soziale überhaupt vom
Politischen untrennbar ist, so kann ein Statutenparagraph gern ausdrücken:
Religion und Politik sind fernzuhalten. Die gemeinsamen Interessen führen die
Arbeiter zusammen. Diejenigen, welche gemeinsam ihre Interessen wahren und
verfolgen, treiben schon Politik. Keine eisernen Paragraphen sind dazu imstande,
diese Politik mit ihren Konsequenzen fernzuhalten und zu unterdrücken. Sobald
diese lokalen Vereinigungen sich zu einem nationalen Verbande einigen, tritt
die politische Tendenz mehr in den Vordergrund. Man beschäftigt sich dann schon
mit Gesetzen über kurze Arbeitszeit, Volksunterricht, Frauen-, Kinder⸗ und Zucht⸗
hausarbeit. Hier tritt ein Gewerkverein oder eine Gewerksgenossenschaft schon
aus dem natürlich-⸗embryonischen Zustande heraus und macht sich durch allerlei
Bewegungen fühlbar, die sich in heftigen Zuckungen durch Streiks und Aussperrungen
383 —
betätigen. Die Verfolgung, die ihnen von seiten der Polizei und der Regierenden
zuteil wird, die Schmähungen, mit denen sie die Tagespresse überhäuft, endlich
die Weisheit, mit welcher sie der Wein- und Bierphilister meistert, lassen sie mehr
als je die Abhängigkeit empfinden, worin sie der heutige Staat im Bunde mit
der Bourgeoisie zu erhalten trachtet; durch eine unabhängige Zeitung, durch eine
Volksversammlung, durch die Wahlen werden die Gewerkschaften inne, daß ihre
Bestrebungen mit denen der Sozialdemokraten sich identisch verhalten. Das Eis
des Mißtrauens weicht dem besseren Verständnis und der Ueberzeugungstreue,
daß die Organisationen des Volkes nur ausgebildet und kultiviert zu werden
brauchen, um den absterbenden Organismus des heutigen Staates durch einen
neuen zu ersetzen. Dieser neue Organismus aber enthält alle Vorbedingungen
zur gedeihlichen Entwicklung und Lösung der sozialen Frage. Je mehr der
Arbeiter sich in denselben hineinlebt, um so mehr erschließen sich ihm die Schätze
der Volkswirtschaft, des sozialen Zusammenhanges aller Menschen, die Gesetze von
der staatlichen Einheit aller öffentlichen Einrichtungen. Ueber das, was ihm einst
von den wohlgemeinten, aber träumerischen Vorschlägen eines Fourier und Cabet
in die Ohren geklungen, geht er zur Tagesordnung über; gewitzigt durch die
eignen Erfahrungen sowie durch die sichtbaren, fertigen und im Werden begriffenen
Ergebnisse der Arbeiterbewegung aller Kulturländer drängt sich ihm die Ueber—
zeugung auf, daß die Vergesellschaftung oder der Sozialismus eine geschichtliche
Notwendigkeit ist, die nur planmäßig gefördert zu werden braucht. Mit dieser
Ueberzeugung aber wird er sorgsam die jungen Gebilde schützen und hüten, um
deren Frühgeburt zu vermeiden und dann zu geeigneter Zeit die Geburt der
neuen Gesellschaft möglichst schmerzlos beschleunigen zu helfen.
Mit diesen freudigen Gedanken wird der Arbeiter zu seinen Brüdern eilen,
die durch die Teilung der Arbeit, durch Kapitalisten und Ausbeuter zu Parias
herabgewürdigt worden sind, deren Kinder und Frauen am Webstuhl, im Berg⸗
werk, auf dem Acker entmenscht und in früher Jugend vom Tod inmitten Seuchen,
Hunger und Krieg dahingerafft werden. Er wird sie auffordern, sich der großen
Kulturbewegung anzuschließen und hinzeigen auf die englischen Ackerbau⸗, Berg⸗
und Handarbeiter, welche in Sturmkolonnen ihren Brüdern auf dem Kontinent zum
großen Entscheidungstage voraneilen.
Der Groll, den man heute zwischen die Kämpfenden gestreut hat und die
Erbitterung, welche unnütze Schlagwörter und Wortfechtereien hervorgerufen,
werden der Erkenntnis von dem gemeinsamen Ziele aller weichen, das um so
schneller erreicht werden kann, je mehr man die geschichtlichen Tatsachen und
embryonischen Organisationen benutzt als Mittel, welche am besten geeignet sind,
in den Arbeitern das nach Befriedigung ringende Klassenbewußtsein zu wecken und
zu fördern. Und hierzu gehört als bewährtes Agitationsmittel auch der Hinweis,
daß die moderne Gesellschaft die Selbständigmachung der Gehilfen als Meister
täglich mehr verhindert und nur wenige Ausnahmen von der Regel: „Was Lohn⸗
arbeiter (Proletarier) ist, soll Proletarier bleiben“, ermöglicht.
Bei der Organisation von Gewerkschaften müssen besonders nachfolgende
Punkte betont werden:
1. Die lokalen Gesellenverbindungen müssen berücksichtigt und die fast
durchgehends durch Altgesellen diktatorisch und absolut kommandierten
Verbindungen aus früheren Zeiten demokratisch organisiert werden.
Der Grundsatz: „Gleiche Rechte, gleiche Pflichten“ ist unter allen
384
Umständen aufrecht zu erhalten. Auch dem Vorsitzenden darf man keine
Vorrechte einräumen. Er darf nur als ausführende, nicht als beschließende
Person angesehen werden. Der Vorstand muß dem Vorsitzenden zur
Seite stehen und ihm müssen Machtbefugnisse in untergeordneten und
verwaltenden Angelegenheiten bis zu einem gewissen Grade eingeräumt
werden. Eine Kranken-, Sterbe- und Reisekasse muß, wenn nicht schon
vorhanden aus früherer Zeit, mit der Gewerksgenossenschaft verbunden
werden; lege man bei allen diesen Sachen keinen Wert auf die Namen,
die Aeußerlichkeiten und die Formen, halte man immer den Geist und
den Inhalt eines Satzes bei Statutenberatungen fest. Eine Kontroll⸗
oder Revisionskommission muß bei lokalen Vereinigungen vorgesehen
werden, die unabhängig vom Vorstand die Mitglieder vertritt,
Beschwerden über Verwaltung entgegenzunehmen und Rechenschafts-
berichte usw. zu kontrollieren hat.
Bevor man zur nationalen Vereinigung eines Gewerkes übergeht, muß
vor allen Dingen Sorge für möglichst gleichartige Bestimmungen in den
lokalen Vereinigungen getragen werden; die lokalen Vereine müssen
deshalb Statuten austauschen, den ab- und zureisenden Mitgliedern
Legitimationen für geleistete Beiträge ausstellen und zugleich den Ort,
den Zeitraum und den Namen desjenigen Lokalvereins bezeichnen, wo
der Betreffende Mitglied gewesen. Wo an einem Orte nicht genügend
Gewerksgenossen zu einem Vereine vorhanden sind, da müssen die ver—
schiedenen Orte eines Kreises oder einer Landschaft zusammentreten.
Habe man sorgfältig acht auf die Unbescholtenheit der Mitglieder,
dulde man keine Ueberhebung, keine Anmaßungen, keine rohen Gewalt—⸗
streiche. Mit Schlichtung von Streitigkeiten unter den Mitgliedern
müssen Schiedsgerichte betraut werden. Aenderungen in der lokalen
Organisation dürfen nur mit Stimmenmehrheit vorgenommen und für
alle Handlungen müssen die Mitglieder der lokalen Organisation ver—⸗
antwortlich gemacht werden.
Sind diese geistigen Vorbedingungen für die nationale Organisation in
den lokalen Vereinen geschaffen, dann kann man auf diesem festen
Grunde in Formen weiter bauen. Ein Kongreß oder eine Versammlung
von Vertretern der verschiedenen lokalen Vereinigungen kann die ein⸗
zelnen Glieder durch ein Zentralstatut vereinigen, dem sich alle Vereine
unterzuordnen haben. Um die Gleichberechtigung und Unabhängigkeit
von politischen Parteien zu konstatieren und aufrecht zu erhalten, müssen
sich die größeren Korporqgtionen (wie dies z. B. die Zigarrenarbeiter,
die Buchdrucker, die Hutmacher, die Goldarbeiter schon getan) eigne
Organe und Blätter zu schaffen suchen. Kleinere und verwandte Ge—
werke können dabei Hand in Hand gehen. Haben erst alle Gewerke
ein Organ, dann wird ebenso, wie sich über der lokalen die nationale
und über der nationalen die internationale Organisation bildet, über die
Organe der einzelnen Gewerke sich ein Zentralorgan erheben. Der Be—
schluß des Gewerkschaftskongresses in Erfurt hat das Richtige in dieser Be—
ziehung getroffen. Leider aber fehlte es noch an guten lokalen und natio—
nalen Verbänden, um ein solches Unternehmen zu stützen. Auch hier muß
mmer erst die unabhängige gewerkschaftliche Organisation vorarbeiten.
2
3
385
Sind alle diese Vorbedingungen erfüllt, dann wird die gewerkschaftliche
Organisation in Fluß kommen und die internationalen Verträge und Gegen—
seitigkeitseinrichtungen werden Platz greifen. Wer ein Haus baut, muß von unten
anfangen und darf sich keine Mühe verdrießen lassen, den Grund tüchtig auszu—
graben. Wer dies nicht tut, wer entgegengesetzt die gewerkschaftliche Bewegung
als bloße Spielerei betrachtet, der darf sich auch nicht wundern, wenn trotz aller
Anstrengungen bei bester Gelegenheit alles wieder zusammenbricht.
Der Verfasser dieser Artikel ist ein jahrelanges Gewerkschaftsmitglied und
hat die Entwicklungsstadien der gewerkschaftlichen Organisation durchlebt, ohne
die politischen Bewegungen ignoriert zu haben. Zu der Ueberzeugung ist er
gekommen: Ohne soziale Vorarbeit keine nachhaltige politische Organisation und
Agitation und deshalb von vornherein keine politische Färberei junger Organi—
sationen, die, einmal herangereift, ihrer Natur und ihrem Wesen nach ohnehin
als beachtenswertes Gesellschaftsmitglied auf die Politik einwirken werden. Es
ist ein vergebliches Bemühen, eine Sisyphusarbeit, kulturgeschichtliche Entwicklungs⸗
stadien überspringen zu wollen. Wer es dennoch zu tun versucht, darf sich nicht
wundern, enttäuscht zu werden. Umwege bringen auch ihn zur Einsicht, daß
junge Gesellschaftskeime sorgsam gehegt und gepflegt werden müssen, um in ihrem
Wachstum und ihrer Ausbildung für verrottete und veraltete Zustände schließlich
ganz eintreten zu können.
Möge diese Einsicht unter den deutschen Arbeitern endlich lebendig werden!
Protokoll ũber die am 24. und 26. Februar 1878 2u Gotha stattgefundene
CGewerkschaftskonserenz.
Abgedruckt aus dem „Pionier“ Nr. 15 vom 18. April 1878.)
Erste Sitzung.
Sonntag, den 24. Februar, vormittags 11 Uhr.
A. Kapell eröffnet die Konferenz und beantragt, da die Aufgaben der⸗
selben allen anwesenden Delegierten bekannt seien, sofort in die Geschäftsordnungs⸗
debatte einzutreten und das Bureau (der Konferenz) aus zwei Vorsitzenden und drei
Protokollführern zu bilden. Weidemann ist dafür, daß außerdem noch ein
Schriftführer zur Führung der Rednerliste gewählt wird. Dies wird angenommen.
Zur Feststellung der Präsenzliste beantragt Söhler, ein jeder Delegierte möge
seinen Namen sowie die Gewerkschaft, die er vertritt, auf einen Zettel nieder—
schreiben und denselben abgeben. A. Kapell ersucht Härtel, die Präsenzliste
festzustellen. Weidemann stellt den Antrag, daß nur Gewerks- und Partei⸗
genossen der Zutritt zum Konferenzsaal zu gestatten sei, welcher Antrag ange⸗
Jommen wird. (Die anwesenden Nichtgewerksgenossen verlassen das Lokal.)
Härtel berichtet, daß 28 Delegierte anwesend sind, und zwar:
Päcke und Pollerich (Leipzig): Verband der Buchbinder.
Härtel Ceipzig): Buchdruckerverband.
Froehner (Leipzig): Bund der Böttcher.
Horn und Völkel (Dresden): Bund der Glasarbeiter.
Hurlemann (Hamburg): Maurer⸗ und Steinhauerbund.
Söhler Graunschweig) und Bremer Gerlin): Metallarbeiter-Gewerks—
genossenschaft.
Böttger und Brehm (Crimmitschau): Manufaktur- und Handarbeiter.
Bringmann, Geschichte der Zimmerer.
28
386
Fahrenkamm für die Mitglieder Erfurts.
Klerx (Gießen): Allgemeiner deutscher Schneiderverein.
Dunker für die Mitglieder Erfurts.
Giesicke und Porschen (Gotha): Schuhmachergewerkschaft.
Schulze (Hamburg): Stellmacherverein.
Weidemann (Mannheim): Tischlerbund.
Schüler für die Mitglieder Erfurts.
Klaws (Hamburg): Töpferverein.
A. Kapell und Pfeifer (Hamburg): Zimmerergewerk.
Weber für die Mitglieder aller Gewerkschaften Heidelbergs.
Kapell verliest ein Schreiben der Seiler und Reepschläger, worin
dieselben mitteilen, daß ihr Verein bereits 300 Mitglieder zähle, diese aber nur
auf einige Orte verteilt seien. Dieselben unterbreiten der Konferenz folgenden
zgefaßten Beschluß: Sie seien vollständig mit einer Zentralisation einver—
standen, da ihnen aber die nötigen Mittel fehlten, so hätten sie von einer Be⸗
schickung der Konferenz absehen müssen. — Sodann verliest Kapell ein Schreiben
des Schmiedeverbandes, daß auch sie von der Beschickung der Konferenz aus
obigen Gründen absehen müßten.
Zu Vorsitzenden werden nunmehr gewählt: Weidemann und Kapellz; zu
Protokollführern: Klerr, Bremer und Horn; zum Führen der Rednerliste
Weber.
Hierauf wird der Geschäftsgang der Konferenz wie folgt festgestellt:
1. Generaldiskussion.
2. Stellt sich bei derselben heraus, daß eine Zentralisation möglich ist,
so soll über diesen Punkt besonders abgestimmt werden.
Sollen die einzelnen Punkte, die eine Annäherung der vorhandenen
Gewerkschaften anbahnen, diskutiert werden.
Zur Geschäftsordnung wird beantragt, die Redezeit in der Generaldiskussion
auf 15 Minuten zu beschränken und jedem Redner nur zweimal das Wort zu er⸗
teilen. Dieser Antrag wird angenommen.
Hierauf tritt auf Antrag eine zweistündige Mittagspause ein.
Zweite Sitzung.
Eröffnung nachmittags 2 Uhr. Die Verlesung der Präsenzliste ergibt, daß
Härtel, Päcke und Pollerich nicht anwesend sind. Das Protokoll der ersten
Sitzung wird verlesen und mit unwesentlichen Abänderungen genehmigt. Ein
brieflicher Antrag von Gatzemeier (Hannover) dahingehend, das Protokoll der
Konferenz in Broschürenform herauszugeben, wird von Kapell verlesen. Weide—
mann und Klerrx erklären sich dagegen, da die Berichterstattung in den ver—
schiedenen Gewerkschaftsblättern erfolge. Hurl emann hält die Redaktion des
„Pionier“ für verpflichtet, das Protokoll als Beilage zu geben und jedem Dele⸗
zierten ein Exemplar zuzusenden. Kapell erklärt sich hiergegen, da dasselbe zu viel
Raum einnehme und zu große Kosten verursache. Weidemann ist dafür, daß
das Protokoll in gedrängter Kürze abgefaßt und von den einzelnen Organen
— D— Pollerich ein.) —
Weiter sprechen noch gegen diesen Punkt Klaws, Giesicke und Kapell.
Hurlemann wünscht das Protokoll eingehend abgefaßt. Bremer ist dafür, daß
das Protokoll ähnlich wie das des Unionkongresses herzustellen ist. Klerx spricht
— 387 —
dagegen, Horn dafür. Der Antrag von Gatzemeier (Hannover) wird abgelehnt,
dahingegen angenommen, das Protokoll als Beilage des „Pionier“ zu geben,
um so jeder Gewerkschaft Gelegenheit zu geben, nach Bedarf davon zu beziehen.
Hierauf werden verschiedene Briefe verlesen, die auf den Gang der Geschäfte
der Konferenz Bezug haben; ebenfalls ein Schreiben von Wißmann (Hamburg),
worin dieser seine Meinung in bezug auf die Organisation der ländlichen
Arbeiter klarlegt. — Klerx stellt den Antrag, den Satz des Protokolls nur dann
zu benutzen, wenn Bestellungen einlaufen. Derselbe wird abgelehnt. — Nunmehr
wird die Generaldiskussion durch A. Kapell eröffnet.
Derselbe verweist auf den seinerzeit in Gotha abgehaltenen Gewerk—
schaftskongreß, welcher zwar gut besucht gewesen, jedoch resultatlos verlaufen
sei, indem eine Kommission gewählt wurde, welche die Beschlüsse des Kongresses
zu regeln hatte, die aber ihre Aufgabe nicht erfüllt hat. Weiter verweist Redner
auf die Blattfrage, die zwischen dem Tischler-⸗ Maurer- und Zimmerer⸗
gewerk provisorisch abgemacht sei; dieser Plan wurde auf den betreffenden General⸗
versammlungen zur Sprache gebracht, das Projekt scheiterte aber. Eine Einigung
zwischen den Tischlern und Zimmerern sei in dieser Hinsicht dennoch zustande
gekommen. Im weiteren verweist Redner auf die in Nr. 4 des „Pionier“
erschienene Statistik; es sei dies überhaupt das erstemal, daß in dieser
Hinsicht etwas wirklich Tüchtiges geleistet sei. Die Konferenz stände vor der
Frage: Was wollen wir machen? Der Einwurf von verschiedenen Seiten,
die Vorstandsmitglieder seien nicht berechtigt, die Frage allein zu lösen, sei ja
begründet, immerhin sei es aber wichtig, daß sich diese erst klar über die Frage
würden; ehe dies nicht der Fall, sei an einen Ausbau der Gewerkschaften
nicht zu denken. Unbedingt notwendig sei es, daß eine Vorlage geschaffen würde,
mit der man vor die Mitglieder treten könne. Er ersucht die Delegierten,
leidenschaftslos und maßvoll diese Frage zu debattieren, damit das einmal in die
Hand genommene auch ausgeführt werde.
Sshler ist vollständig überzeugt, daß vor allem erst Klarheit geschaffen
werden müsse und daß man sich nicht Fesseln anlegen lasse. Der Vorwurf, die
einzelnen Branchenorganisationen entfremden die Arbeiter untereinander und
man schüre damit den Kastengeist, sei nicht richtig; letzterer sei nur dadurch zu
beseitigen, daß er bis auf die Spitze getrieben würde. Mit den andern Punkten
der Vorlage erklärt er sich einverstanden und hält dieselben für sehr leicht aus—
führbar, mit Ausnahme des Zentralorgans. Die Erfahrung habe ihn gelehrt,
daß die Leitung der Arbeiterbewegung nicht einzelnen in die Hände gelegt werden
dürfe; man müsse alle Lehren benutzen, nur kein neues Papsttum schaffen.
Härtel: Das oberste Prinzip der Gewerkschaften ist, einen bestimmten Einfluß
auf die Lohn- und Arbeitsverhältnisse auszuüben. Hiernach ist die erste Frage
für uns, ob die bestehenden Vereinigungen imstande sind, diese Bedingungen zu
erfüllen. Die Statistik zeigt, daß dies im großen und ganzen nicht der Fall.
Es ist allerdings der Versuch zu machen, durch eine Zentralis ation die Aus⸗
breitung der Gewerkschaften systematisch zu betreiben. In betreff der Kartell—⸗
kommission handle es sich nicht um eine Behörde, welche eine Diktatur ausüben
solle, sondern dieselbe solle nur den einzelnen Vereinigungen mit Rat und Tat
an die Hand gehen. Redner kritisiert schließlich die einzelnen Vorschläge und
hebt besonders hervor, daß die Fachorgane nicht beseitigt, sondern gehoben
werden müßten.
388
Weidemann: Er könne kein Feind der Zentralisation der Gewerkschaften
sein, weil er es besonders gewesen sei, der für Verschmelzung der Organe der
Zimmerer und des Bundes der Tischler eingetreten sei. Redner ist mit Härtel
in betreff des Prinzips der Gewerkschaften einverstandem.
Klerx betont, daß den heutigen Gewerkschaften noch sehr viel Mängel
anhaften, er erwähnt des Umstandes, daß die Gewerkschaften noch nicht das
seien, was sie sein sollten; vor allem müsse darauf hingewirkt werden, die uns
noch Fernstehenden heranzuziehen.
Päcke führt aus, daß selbst größere Gewerkschaften nicht imstande seien,
wirkliche Erfolge zu erzielen. Er ist der Meinung, daß man in erster Linie
eine Einigung in Arbeitsnachweisen und Verkehrslokalen herbeiführen
solle, dies müsse der Grundstein sein, auf dem die Zentralisation der Gewerk—
schaften aufgebaut werde. Die Verkehrslokale dürfe man nicht Privatunternehmern
überlassen, dieselben seien auf genossenschaftlichem Wege zu betreiben.
Pfeiffer sieht in der Errichtung von Verkehrslokalen und Arbeitsnach—
weisen untergeordnete Dinge; nur die Erhöhung der Löhne und Stärkung
der Gewerkschaften nach innen sei die Hauptsache; es müßten die Gewerk—
schaften zunächst entwicklungsfähig gemacht werden betreffs Agitation, Unterstützung
bei Streiks und in der Presse. Redner will die Zentralisation auf allen Gebieten.
Völkel erläutert den Standpunkt der Glasarbeiter bezüglich der Agitation,
der Unterstützung bei Streiks und der Presse. Er ist der Meinung, daß gerade
in betreff der Agitation sowohl wie der Presse bei dem Indifferentismus der
Arbeiter vorsichtig gehandelt werden müsse.
Hurlemann ist auch im großen und ganzen für die Zentralisation, jedoch
nicht in dem Sinne, wie die Vorlage lautet, sondern will dieselbe nur auf die
möglichen Punkte ausgedehnt, dahingegen von einem Zentralorgan gänzlich abge—
sehen wissen. Die einzelnen Gewerkschaftsorgane schüren nicht den Kastengeist,
sondern dieselben arbeiten darauf hin, denselben zu vernichten. Er warnt vor
Uebereilung und hält eine allgemeine Zentralisation für verfrüht.
Horn führt aus, daß er eine Zentralisation der Presse schon deshalb
nicht ratsam finde, weil dieselbe auf zu große Schwierigkeiten stoßen würde.
Er ist der Meinung, daß ein Zentralorgan den Kastengeist nicht beseitigen würde
und schlägt vor, die Vereinigung in der Presse für verwandte Berufszweige
anzustreben. Redner will die Unterstützung bei Arbeiterausschlüssen nicht durch
Extrasteuer, sondern durch gewisse Beiträge aus der Separatkasse jeder
einzelnen Gewerkschaft geregelt wissen; er hält den Arbeitsnachweis
für besonders wichtig und ist für Ernennung eines Komitees zur Ueberwachung
bei Arbeitsausschlüssen.
Giesicke behauptet, ähnlich wie Hurlemann, daß viele Punkte der Vorlage
verfrüht seien und empfiehlt gemeinschaftliche Agitation ohne Regelung derselben.
Böttger spricht sich entschieden gegen die Arbeitseinstellungeu aus,
er erläutert auf seine Weise, wie man den Arbeiter durch die Gewerkschaftsorgane
bilde und erklärt, daß die Gewerkschaften unter den heutigen Umständen nichts
Besonderes leisten.
Schüler ist gegen die Zentralisation. Betreffs Presse könne man mit
dem „Pionier“ zufrieden sein; würden alle Jahre neue Statuten angeschafft,
so verursache das große Kosten. Mit gemeinschaftlicher Agitation sei er ein—
verstanden.
389
Eine inzwischen eingelaufene Depesche wird von A. Kapell verlesen;
dieselbe lautet:
„An die Gewerkschaftskonferenz,
Hartmanns Restaurant am Dannenweg, Gotha.
Der Verein der Maler Hamburgs bedauert, die Konferenz nicht beschicken
zu können. Er erachtet die Zentralisation für notwendig, begrüßt die Konferenz
mit Freuden und hegt die Hoffnung, dieselbe möge gute Früchte tragen.
W. A. J. Heggels, Vorsitzender.“
Ein Antrag auf Schluß der Rednerliste wird angenommen.
Pollerich mißt die Schuld, daß wir noch nicht weiter sind, dem
Indifferentismus zu. Die Agitation müßte gemeinsam betrieben werden. Ein
Zentralorgan würde den Kastengeist nicht bannen, man möge die Fachorgane
nicht fallen lassen.
Fahrenkamm: Erst müssen tatkräftige Gewerkschaften vorhanden
sein, dann könne man an Zentralisation denken; er sei gegen ein Zentralorgan,
schon eher für zwei. Betreffs Agitation in den einzelnen Gewerkschaften müsse
mehr getan werden. Redner ist für Kartellverträge betreffs Reiseunterstützung
und Arbeitsnachweisbureaus.
Klaws ist für Zentralisation nach der Vorlage. Derselbe ist der Meinung,
daß nach den Ausführungen der Redner man alles für verfrüht halten könne;
durch eine Zentralisation sei es nur möglich, auch für die kleineren Gewerk—
schaften zu agitieren; er habe die Erfahrung, daß nur die gemeinsame Agitation
von Nutzen sein könne.
Weidemann verwahrt sich im Namen des Bureaus entschieden gegen
die Aeußerungen Böttgers, als hätten die Vorstände der Gewerkschaften Streiks
provoziert. Verschiedentlich sei auch das Wort „verfrüht“ gebraucht. Redner
weist an verschiedenen Beispielen nach, daß dies Wort früher bei ähnlichen
Gelegenheiten ebenfalls gebraucht sei, daß aber trotzdem entschieden Fortschritte
gemacht seien, wäre nicht zu leugnen. Er verweist auf die Errungenschaften
betreffs Verkürzung der Arbeitszeit.
Schul ze wendet sich gegen die Ausführungen Horns, die Artikel würden
aicht speziell für eine bestimmte Branche geschrieben und daher nicht gelesen. Er
müsse sich ganz entschieden für ein Zentralorgan aussprechen.
Pfeiffer meint, die Delegierten seien zu ängstlich, sie beriefen sich immer
darauf, daß sich ihre Mitglieder damit nicht einverstanden erklären; dies sei
durchaus falsch. Redner tritt entschieden für die Zentralisation ein. Eine Kon⸗
zentrierung der zersplitterten Kräfte sei durchaus notwendig; nicht die Steuern
sollen erhöht, sondern durch die Zentralisation sollten bei dem geringen Beitrag
die Unterstützungen und die Erfolge vergrößert werden. Die große Masse sei
nicht gegen die Zentralisation; die Bewegung würde, wenn die Führer nicht
einlenkten, über die Köpfe derselben hinwegwachsen. Man solle Fortschrittler,
nicht Rückschrittler sein.
Hierauf folgt eine Reihe persönlicher Bemerkungen.
Hurlemann fragt an, ob die Konferenz bindende Beschlüsse
fassen will.
Kapell und Weidemann berichtigen, daß es sich nur darum handle,
die Ansichten der Deputierten kennen zu lernen. Gleichfalls müsse eine Uebersicht
geschaffen werden.
390
Klerx erklärt, daß die Abstimmung nicht binde, sondern es sich hier nur
um Vorschläge handle.
Weidemann stellt den Antrag, namentliche Abstimmung vorzunehmen,
um zu sehen, ob Stimmung für Zentralisationsbestrebungen vorhanden sei.
Dieser Antrag wird angenommen. Die Abstimmung ergibt, daß sämtliche
Delegierte für Zentralisation sind. Hierauf tritt auf Antrag eine Pause von
15 Minuten ein.
Nach Wiedereröffnung macht Kapell den Vorschlag, die Vorlage in
folgender Reihenfolge zu debattieren:
1. Allgemeine Einrichtungen. 2. Presse. 8. Agitation. 4. Unterstützung bei
Arbeitseinstellungen. 5. Reiseunterstützung. 6. Arbeitsnachweis und Verkehrs⸗—
lokale. 7. Lokalvereine. 8. Generalversammlung und Kongreß. 9. Kranken⸗- und
Sterbekassen. 10. Kartellkommission. 11. Kongreß.
Wird angenommen. Die Redezeit in der Spezialdiskussion wird auf
zehn Minuten festgesetzt, beim zweiten Male wird das Sprechen auf fünf Minuten
beschränkt. Oefter als zweimal darf kein Redner das Wort ergreifen.
Spezialdiskussion.
Punkt 1.
Möglichst gleiche Einrichtungen.
„Die Kartellverträge haben den Zweck, die bestehenden oder — weil not—
wendig — noch zu gründenden Gewerkschaften bezüglich Durchführung ihrer
Bestrebungen zueinander in ein solidarisches Verhältnis zu bringen. Die beteiligten
Organisationen sollen dadurch gekräftigt werden, ohne daß ihre Unabhängigkeit
und Selbständigkeit gefährdet wird.“
Weidemann ist der Ansicht, daß gerade die ser Punkt geeignet sei, eine
Zentralisation anzubahnen. Durch die gleichen Einrichtungen könne besonders
in agitatorischer Hinsicht Bedeutendes geschaffen werden. Er beantragt, daß die
Regelung dieser Angelegenheit einer Kommission überwiesen werde, welche ein
Musterstatut auszuarbeiten und den verschiedenen Gewerkschaften zu unter—
breiten hätte.
Söhler verweist darauf, daß es nötig sei, eine ein heitliche Steuer zu
erheben; es sei zu wünschen, daß die niedrigen Steuerbeiträge erhöht würden,
um etwas Tatkräftiges zu leisten. Zum Beweis führt er an, daß die Gewerk—
schaften, die die wenigste Steuer erheben, auch die schwächsten seien.
Besonders müsse er Einführung einer einheitlichen Reiseunterstützung
empfehlen.
Pfeiffer führt aus, daß von einzelnen Gewerkschaften eine Steuer von
25 bis 80 4 pro Monat erhoben würde, wofür den Mitgliedern indes keine
Rechte eingeräumt werden könnten. Bei Arbeitseinstellungen würde sich
namentlich die Zentralisation als Schutz- und Trutzbündnis bewähren. Im übrigen
pflichtet er Söhler bei.
Klerx betrachtet es als selbstverständlich, daß gleiche Institutionen
geschaffen werden und hält die Reiseunterstützung für durchaus notwendig.
Fahrenkamm und Schulze sprechen ebenfalls für einheitliche Ein—
richtungen. Die Buchdrucker könne man nicht mit hineinziehen.
Kapell macht den Vorschlag, dem Normalstatut möglichst gleiche
Satzungen zu geben. Die Fragen betreffs Beitrag und Unterstützung sollen
391
offen bleiben. Durch Schaffung eines Normalstatuts werde es dem Agitator
möglich, das Statut zu erläutern, während es jetzt bei der Verschiedenheit der⸗
selben nicht möglich sei, darüber zu sprechen. Er spricht sich ebenfalls für eine
Kommission aus, die ein neues Statut auszuarbeiten habe.
Horn erklärt, die Agitation bei den Glasarbeitern könne nur durch Fach⸗
genossen betrieben werden; ebenso könnten sie ihren Beitrag nicht erniedrigen.
Sonst sei er für Kartellverträge mit andern Gewerkschaften.
Der Antrag Weidemann, diesen ersten Punkt einer Kommission zu über⸗
weisen, wird angenommen und mit ihm die Vorlage wie obenstehend.
Punkt 2.
Presse.
Kapell möchte vor allen Dingen die Zentralisation der Presse an—
streben; ein Zentralblatt, obligatorisch eingeführt, sei von ganz besonderem Wert.
Die Redaktion dieses Blattes müßte jemand übernehmen, der voll und ganz seine
Schuldigkeit tue. Er lese sämtliche Blätter, müsse aber eingestehen, daß ihm
keines gefiele.
Weidemann ist'gegen ein Zentralorgan, vielmehr dafür, daß die Fach—
blätter bestehen bleiben und neben diesen ein Zentralorgan geschaffen werde,
wenn man überhaupt noch Zirkulare zur Erörterung innerer Angelegenheiten
anwenden wolle. Besonders müsse, wolle man ein Zentralorgan schaffen, ein
akademisch gebildeter Mann für dasselbe gewonnen werden.
Pfeiffer will zwei Zentralorgane für die fachverwandten Genossen.
Bremer spricht sich entschieden gegen Gründung eines Zentralorgans
unter den heutigen Umständen aus. Er will die einzelnen Fachorgane noch
als solche bestehen lassen, weil diefelben weit eher geeignet seien, den
Kastengeist zu beseitigen, als ein Zentralorgan, und ist er der Meinung, daß man
gerade umgekehrt vorgehen müsse. Durch Zentralisation der Gewerkschaften müsse
das Bewußtsein der Zusammengehörigkeit sämtlicher Arbeiter hervorgerufen
werden; erst wenn dieses da sei, könne man an Gründung eines Zentralorgans,
das auch gleichfalls Eigentum sämtlicher daran beteiligten Gewerkschaften sein
müsse, denken. Im Prinzip sei er für ein Zentralorgan.
Päcke ist gegen ein Zentralorgan, weil sich die Buchbinder in ihrer
Gesamtheit — mit nur wenigen Ausnahmen — dagegen erklärt hätten. Er
wendet sich gegen den „Pionier“ und ist dafür, daß sich die Gewerkschafts⸗
organe jeder Sozialpolitik zu enthalten hätten.
Söhler macht, weil er persönlich bei dieser Frage beteiligt, nur auf die
Mängel aufmerksam, die gegen ein Zentralorgan sprechen. Er hebt besonders
den Kostenpunkt desselben hervor, im Vergleich zum „Panier“, Organ der
Metallarbeiter.
Härtel hält Fachorgane für wichtiger als ein Zentralorgan. Die
Kommission möge sich die Frage vorlegen, wie seien die einzelnen Gewerkschaften
zu gruppieren? Als Unterlage möge man die Staatsgewerbestatistik benutzen.
Wolle man Mitglieder für die einzelnen Gewerkschaften gewinnen, so möge man
es erst in dieser Weise versuchen. Die heutige Gewerkschaftspresse würde sich
vielleicht vereinigen lassen, wenn die Redaktion des „Pionier“ den einzelnen
Gewerkschaften Konkurrenz mache durch besondere Leistungen; einen andern
Ausweg gäbe es nicht.
392
Pfeiffer tritt nochmals für Gründung von zwei Organen ein.
Hierauf läuft ein Antrag auf Schluß der Debatte ein.
Klerx spricht gegen den Schluß.
Härtel dafür.
Der Schluß der Debatte wird angenommen.
Kapell schlägt vor, die Abstimmung so vorzunehmen, daß erstens über
Gründung eines Zentralorgans und zweitens über Gründung zweier Zentral-—
organe abgestimmt wird. Wird angenommen. Desgleichen ein Antrag, über
diese Punkte namentliche Abstimmung vorzunehmen.
Die Abstimmung über den ersten Punkt ergibt, daß 13 Stimmen dagegen
und 8 dafür sind.
Mit „Nein“ stimmten: Härtel, Päcke, Pollerich, Horn, Völkel,
Hurlemann, Söhler, Bremer, Fahrenkamm, Klerx, Duncker, Giesicke,
Porschen, Weidemann, Schüler.
Mit „Ja“ stimmten: Fröhner, Böttger, Brehm, Schulze, Klaws,
A. Kapell, Pfeiffer, Weber.
Der zweite Punkt wird ebenfalls mit 150 gegen 8 Stimmen abgelehnt.
Mit „Nein“ stimmten: Härtel, Fröhner, Päcke, Pollerich, Horn,
Völkel, Hurlemann, Söhler, Bremer, Klerrx, Giesicke, Vorschen,
Weidemann, Schüler, Klaws.
Mit „Ja“ stimmten: Böttger, Brehm, Fahrenkamm, Duncker,
Schulze, A. Kapell, Pfeiffer, Weber.
Dahingegen wird folgende von Härtel vorgeschlagene Resolution:
Die Konferenz erklärt, daß die Zentralisation in der Presse sich
in der Weise zu vollziehen hat, daß die verwandten Berufsgenossen nach
Maßgabe der staatlichen Gewerbestatistik sich in der Presse zu vereinigen
haben,
mit allen gegen drei Stimmen angenommen. Hurlemann, enthält sich der Ab⸗
stimmung. Schüler, Duncker und Fahrenkamm, Vertreter der Mitglieder
Erfurts, reisen ab. Hierauf vertagt sich die Konferenz bis zum 25. Februar,
morgens 9 Uhr.
Dritte Sitzung.
Montag, den 25. Februar, morgens 9 Uhr. Die Verlesung der Präsenzliste
ergibt die Abwesenheit Härtels, welcher aber gleich darauf erscheint. Zur
Diskussion gelangt
Punkt 3.
Agitation.
„Die zentralistisch organisierten Gewerkschaften vereinigen sich zuvörderst
zu dem Zweck der gemeinschaftlichen Agitation. Diese Agitation wird seitens
der dazu bestimmten Agitatoren für die betreffenden Gewerkschaften in öffentlichen
Arbeiter- oder Volksversammlungen oder in gemeinschaftlichen Gewerkschafts⸗
versammlungen betrieben. Diese gemeinschaftliche Agitation leitet und bestimmt
eine Kommission. (Kartellkommission, siehe Abschnitt 10.).
„Die zur Agitation zu verwendenden Agitatoren werden von den den
Kartellvertrag eingegangenen Gewerkschaften — oder deren Verwaltungsbehörden
— der Kartellkommission in Vorschlag gebracht und hat letztere abwechselnd
die Vorgeschlagenen zur Agitation zu berufen.
393
„Die Agitation soll für die zu gemeinschastlichem Zweck vereinigten
Gewerkschaften nicht nur eine fliegende sein, sondern, um besser das
gewonnene Feld beackern zu können, auch eine st abile.
„Die Kartellkommission hat Sorge zu tragen, daß für die einzelnen
Städte, Kreise und Provinzen Agitationskomitees eingesetzt werden, welche
ihre agitatorische Tätigkeit auf die nächste Umgegend zu richten haben und unab—⸗
lässig bemüht sein müssen, für alle zentralisierten Gewerkschaften Mitglieder zu
gewinnen, damit nach und nach in ieder Stadt auch jede Gewerkschaft Mit—
glieder hat.
„Ganz besonders soll die Kartellkommission ihr Augenmerk darauf richten,
daß die ländlichen Arbeiter agitatorisch gewonnen und ihrer Berufsorganisation
zugeführt werden.
„Die Mittel zur Agitation werden durch regelmäßige Beiträge — monatlich
oder vierteljährlich — von den beteiligten Gewerkschaften aufgebracht.
„Die Höhe derselben bestimmt der gemeinschaftliche Kongreß der
zentralisierten Gewerkschaften.“
Klerx hält die Agitation für den Kardinalpunkt der Vorlage und
empfiehlt, denselben besonders eingehend zu behandeln. Durch die gemeinschaftliche
Agitation ließen sich für die einzelnen Gewerkschaften besonders große Vorteile
erringen, dieselbe brauche durchaus nicht durch Fachgenossen betrieben zu werden.
Im übrigen verwahrt sich Redner entschieden gegen den gestern gebrauchten
Ausdruck, als hätten die Gewerkschaften Streiks provoziert, letztere seien den
Arbeitern zum meisten aufgedrungen.
Weidemann ist der Ansicht, daß sich die Agitatoren bei der gewerk—
schaftlichen Agitation nur auf sachliche Auslegung der Prinzipien der Gewerk⸗
schaften zu beschränken hätten. Er hebt hervor, daß die Agitatoren zu gering
besoldet würden, ist ein entschiedener Gegner von Tellersammlungen für die—
selben und sieht besonders in der Kartellkommission diejenigen Behörden, durch
die diese Mißstände am ersten beseitigt werden können. Ist für gemeinsame Agitation.
Päcke ist für gemeinsame Agitation. Innerhalb der betreffenden Branchen
müsse dieselbe ausschließlich durch Fachgenossen betrieben werden. Durch öffent⸗
liche Versammlungen, in denen die Hauptgrundzüge der Gewerkschaften zu erörtern
sind, solle die Bewegung in Fluß gebracht werden. Eine einheitliche Leitung
der Agitation sei innerhalb des betreffenden Gewerbes durch die Gewerkschafts⸗
vorstände zu besorgen. Die allgemeine Agitation, wünscht Redner, solle durch
ein Agitationskomitee betrieben werden (Kartellleitung). Dies Komitee solle
zugleich als Auskunftsbureau für Gewerkschaftsangelegenheiten dienen. Die
Agitationssteuer sei durch das Normalstatut zu bestimmen.
Redner bringt im Verein mit Pollerich einen diesbezüglichen Antrag ein.
Der Vorsitzende fragt an, ob das Protokoll der gestrigen Sitzung verlesen
werden solle, ehe in der Debatte weiter fortgefahren wird.
Bremer erklärt, da es ihm allein nicht möglich gewesen sei (der zweite
Protokollführer Horn war unwohl), dasselbe fertig zu stellen, die Verlesung des—
selben bis nachmittag zu vertagen.
Die Versammlung erklärt sich hiermit einverstanden.
Söhler spricht sich gegen Verwendung von Fachgenossen zur Agitation
in den einzelnen Gewerken aus, weist nach, wie man bei der Metallarbeiter⸗
gewerkschaft früher ebenso verfahren, aber bald davon zurückgekommen sei. Er
394
ist für Anstellung von stabilen Agitatoren. Im weiteren müsse das Agitations—
komitee berechtigt sein, zum Zweck der allgemeinen Agitation von jedem Mit—⸗
gliede eine Agitationssteuer zu erheben, oder es müsse demselben von den einzelnen
Gewerkschaften je ein Pauschquantum überwiesen werden. Beispielsweise habe
die Metallarbeitergewerkschaft im vorigen Jahre ein Pauschquantum von
M.600 für die Agitation bestimmt und dadurch mindestens 1000 Mitglieder
gewonnen und könne dieselbe, nach Redners Ansicht, vielleicht in diesem Jahre
M. 1000 dazu bestimmen.
Kapell spricht sich für Erhebung einer Agitationssteuer von 6
pro Kopf aus; auf diese Weise sei es möglich, mindestens drei beständige
Agitatoren anzustellen und ausreichend zu besolden. Redner empfiehlt als den
praktischsten Weg die Anstellung von stabilen Agitatoren in verschiedenen Pro⸗
vinzen, die dann von dort die Agitation planmäßig zu betreiben hätten. Redner
ist für die Vorlage.
Hurlemann ist ebenfalls für stabile Agitation und für Erhebung einer
bestimmten Agitationssteuer pro Kopf, hält 6 F aber für zu niedrig. Er ist
der Meinung, daß in jeder Provinz ein stabiler Agitator angestellt werde und
derselbe nur in dieser wirken müsse. Empfiehlt Annahme der Vorlage und tritt
besonders dafür ein, daß die stärkeren Gewerkschaften verpflichtet seien, die
schwächeren zu unterstützen.
Pfeiffer will durch die stabile Agitation mehr Leben in die Gewerkschafts⸗
bewegung bringen. Bei der allgemeinen Agitation sei es Pflicht der einzelnen
Bevollmächtigten der verschiedenen Gewerkschaften, sich von Zeit zu Zeit zu
versammeln, um sich über lokale Agitation zu einigen. Dadurch
würden unbedingt große Erfolge erzielt werden. Er ist ebenfalls für die Vorlage.
Poller ich hält diesen Punkt für den wichtigsten, spricht sich für Agitations⸗
komitees, die sich bei seiner Branche besonders bewährt hätten, aus und tritt
dafür ein, daß man die Kartellkommission ermächtige, die Höhe der Agitations⸗
steuer zu bestimmen.
Horn ist ebenfalls im großen und ganzen für Leitung der Agitation durch
die Kartellkommission. Im weiteren tritt er von seinem Standpunkt als Glas—
arbeiter dafür ein, daß die Agitation innerhalb dieser Branche durch Fach—
genossen betrieben werden müsse.
Völkel spricht sich für provinzielle Agitation aus, schließt sich dem Vor—
redner in betreff Schwierigkeiten bei der Agitation unter den Glasarbeitern an
und will, daß man dieselbe der betreffenden Verwaltung überlasse.
Hiermit wird die Diskussion über diesen Punkt geschlossen. Der Antrag
Päcke-Pollerich wird abgelehnt, dahingegen die Vorlage mit allen gegen zwei
Stimmen wie vorstehend angenommen.
Punkt 4.
Unterstützung bei Arbeitseinstellungen und Arbeitsausschlüsfen.
„Gewerkschaften, welche sich zu vorgenanntem Zweck vereinigen, haben
zunächst bei Arbeitseinstellungen folgendes Verfahren zu beobachten:
„Wenn die Mitglieder einer dieser Gewerkschaften an irgend einem Orte
die Arbeit behufs Erlangung besserer Lohn- und Arbeitsbedingungen niederlegen
wollen, so haben sich dieselben zunächst an ihre Gewerkschaftsverwaltung zu wenden,
von der es abhängt, ob sie die Arbeitseinstellung bewilligt oder nicht. Glaubt
395 —
die Verwaltung dieser Gewerkschaft durch die Einstellung etwas Vorteilhaftes für
die betreffenden Mitglieder zu erringen, ist aber augenblicklich außerstande, die
Einstellung durch ihre Gewerkschaftskasse zu unterstützen, so hat sie an die Kartell⸗
kommission den Antrag zu stellen: „Die Arbeitseinstellung zu genehmigen
und sie als Kartellvertragssache zu betrachten.“ Wird dieser Antrag ge⸗
nehmigt, so hat die Kartellkommission — um die Unterstützung der Streikenden
durchführen zu können — Exrtrasteuern auszuschreiben, welche von den
einzelnen Gewerkschaftsverwaltungen dem Kassierer der Kartellkommission ein⸗
gesandt werden müssen.
„Diese so ausgeschriebenen Extrasteuern sind bei Verlust des Mitglieds⸗
rechts von jedem Mitgliede zu zahlen. (Arbeitslose Mitglieder sind davon
befreit.)“
Horn will, daß der Unterstützungsbeitrag durch die Hauptkassen der ver⸗
schiedenen Gewerkschaften an die Kartellkommission zu leisten sei.
Pfeiffer ist für Annahme der Vorlage mit Berücksichtigung der Aus⸗
führungen des Vorredners.
Söhler schließt sich im allgemeinen den Vorrednern an, will aber die
Erhebung der Steuern durch Sammeln in den einzelnen Gewerkschaften
ermöglichen.
Schulze ist dafür, es den einzelnen Gewerkschaften zu überlassen, wie
sie die Steuern aufbringen wollen, ob durch Zahlung aus der Hauptkasse oder
durch Erhebung von Extrasteuern in bestimmten Normen.
Völkel schließt sich dem Vorredner an, nur will er das „Wie“ der Er⸗
hebung der Steuern durch Statut festgesetzt wissen.
Klerx ist gegen Erhebung einer Extrasteuer, im übrigen aber für die Vor⸗
lage. Kapell ist der Ansicht, daß eine Organisation, die kein Geld in der Haupt⸗
kasse habe, doch unbedingt auf Erhebung einer Extrasteuer angewiesen sei. Er
will die Vorlage dahin abändern, daß die Erhebung von Extrasteuern nur dann
stattfinde, wenn die Notwendigkeit dazu vorhanden sei.
Bremer will, daß jeder Streik als Kartellsache zu betrachten sei, und
daß sich die Streikenden direkt an die Kartellkommission zu wenden hätten. Er
spricht sich gegen Erhebung von Extrasteuern aus und ist der Meinung, daß von
jeder Gewerkschaft der Kartellkommission eine bestimmte Summe überwiesen werde,
um dadurch dieselbe in den Stand zu setzen, vorkommendenfalls sofort tatkräftig
einzugreifen.
Böttger hat ebenfalls Bedenken in bezug auf die Extrasteuer und will
nicht, daß die Kartellkommission darüber zu entscheiden habe, ob Arbeits⸗
einstellungen eintreten sollen oder nicht.
Hurlemann ist ebenfalls gegen die Befugnis der Kartellkommission, über
Arbeitseinstellungen endgültig zu entscheiden, da in den meisten Fällen die
Kommission mit den örtlichen Verhältnissen nicht bekannt sei. Er ist ebenfalls
gegen Extrasteuern und der Meinung, daß es ferner den einzelnen Gewerkschaften
nicht verwehrt sei, zugunsten der Ausgeschlossenen öffentliche Aufrufe zu
erlassen. Redner vermißt in der Vorlage die Bestimmung, daß die Kartell⸗
kommission aus Vertretern sämtlicher Gewerkschaften zusammengesetzt werde.
Weidemann verweist auf den in Aussicht genommenen Kongreß, auf dem
dann die Zusammensetzung der Kartellkommission geregelt werden müsse. Er ist
der Meinung, daß die Kartellkommission durch Einblick in die statistischen
396 —
Erhebungen über Angebot und Nachfrage unbedingt beurteilen könne, ob eine
Arbeitseinstellung mit Erfolg durchgeführt werden könne und ist ferner der Ansicht,
daß Extrasteuern unbedingt notwendig; es müsse Geld vorhanden sein. Redner
ist für die Vorlage.
Der Vorsitzende verliest eine inzwischen eingelaufene Resolution, gefaßt und
angenommen in der Mitgliederversammlung des Bundes der Tischler und fach—
oerwandten Berufsgenossen zu Elberfeld am 28. Februar 1878:
Eine Zentralisation hält die hiesige Mitgliedschaft nicht für zeitgemäß,
jedoch Zentralisation (Vertretung) verwandter Gewerkschaften in der Presse
und, wenn tunlich, in Reise- und sonstigen gewerblichen Unterstützungen.
Giesicke ist der Ansicht, daß Arbeitseinstellungen stets vorkommen werden.
Aufgabe der Gewerkschaften müsse es aber sein, dieselben so viel wie möglich zu
vermeiden. Extrasteuern seien notwendig und Sache der Verwaltung sei es, wie
dieselben aufzubringen sind. Er bezweifelt, daß es der Schuhmachergewerkschaft
möglich sei, Extrasteuern aufzubringen. Redner ist persönlich für die Vorlage.
Härtel verspricht sich wenig Erfolg von Annahme der Vorlage, Haupt-—
sache sei es, ein einheitliches Statut zu schaffen, die Sache würde sich nach und
nach entwickeln; man solle nicht einen Generalstab ohne Armee schaffen. Er
stellt folgenden Antrag:
Die Unterstützung in einzelnen Streikfällen seitens aller Gewerkschaften
ist anzustreben und zu diesem Zwecke seitens der Kartellkommission in vor—
kommenden Fällen eine solche Unterstützung, wo dies im allgemeinen Interesse
erforderlich erscheint, den einzelnen Gewerkschaften zu empfehlen.
Klerx empfiehlt Annahme der Vorlage, nur sollte die Extrasteuer gestrichen
werden, dahingegen es den einzelnen Gewerkschaften überlassen bleiben, wie sie
die Steuer aufbringen wollen. Er schlägt vor, statt Extrasteuer Beisteuer
zu setzen.
Söhler, Pfeiffer und Horn stellen Abänderungsanträge zur Vorlage.
Päcke ist gegen die Vorlage und spricht für gänzliche Ablehnung derselben.
Die Sache könne erst dann geregelt werden, wenn die vollständige Einigung voll⸗—
zogen sei; er will aber für den Härtelschen Antrag stimmen.
Klaws hält die Unterstützung bei Streiks für eine Hauptsache. Die An—
nahme der Vorlage würde ein großer Fortschritt für die Gewerkschaften sein.
Er ist für Extrasteuer.
Söhler: Die Zuschüsse, welche die Gewerkschaften zu leisten haben, sollen,
pro Kopf berechnet, festgestellt werden. Redner will nicht, daß die Kartell⸗
kommission die ausschließliche Behörde ist, die über Arbeitseinstellungen zu ent⸗
scheiden habe; das sei dann keine Kartellkommission, sondern eine Streik—
kommission.
Giesicke fragt an, wie die Kartellkommission zusammengesetzt sein soll.
Weidemann berichtigt, daß dies Sache der speziellen Debatte zu Punkt 10
der Vorlage — Kartellbehörde — sei. Verweist im weiteren auf den Buchbinder—⸗
streik in Hamburg; derselbe sei dadurch zugrunde gegangen, weil die nötigen
Mittel gefehlt hätten, um denselben mit Erfolg für die Streikenden durchzusetzen.
Die Steuer bei den einzelnen Gewerkschaften war unzulänglich, deshalb müsse
etwas Bestimmtes geschaffen werden.
Hurlemann ist gegen Ausschreiben von Extrasteuern durch die Kom—
mission ohne Zustimmung der Mitglieder.
397 —
Päcke berichtigt Weidemann in betreff des Buchbinderstreiks in Ham—⸗
burg 1873; derselbe sei ohne Bewilligung der Verwaltung und der Kontroll⸗
kommission in Szene gesetzt und darum nicht unterstützt worden. Dies würde
vermieden, wenn die Verwaltungen über Arbeitseinstellungen zu entscheiden
hätten.
Bremer wendet sich gegen die Ausführungen verschiedener Redner, als
sei er ein Freund von Streikkassen. Die Leitung der Streiks solle zur
Verbandssache gemacht werden.
Kapell berichtigt die Ausführungen Hurlemanns auf Grund der Vorlage
und schlägt vor, im zweiten Absatz die Worte „erhoben und“ zu streichen.
Pfeiffer beantragt namentliche Abstimmung. Wird abgelehnt.
Durch Annahme der Vorlage wie obenstehend werden sämtliche ein⸗
gebrachten Anträge abgelehnt.
Punkt 5.
Reiseunterstützung.
„Gewerkschaften, welche laut Statut ihre auf der Reise befindlichen Mit⸗
glieder zu unterstützen haben, verpflichten sich zur gegenseitigen Auszahlung der
Reiseunterstützung. Zu diesem Zweck führen diese Gewerkschaften ein möglichst
einheitliches Reisebuch mit Coupons und den Statuten der Gewerkschaft
ein. Der reisende Genosse hat das Recht, in jeder Stadt, wo sich eine Zahlstelle
der im Kartellvertrag stehenden Gewerkschaften befindet, Reiseunterstützung zu
erheben. Die mit der Auszahlung dieser Reiseunterstützung beauftragten Bevoll⸗
mächtigten haben sich genau über die in den einzelnen Gewerkschaften betreffs
Reiseunterstützung geltenden Bestimmungen zu informieren und nach diesen zu
verfahren. Besinden sich an einem Orte mehrere Zahlstellen der unter Kartell⸗
vertrag stehenden Gewerkschaften, so zahlt zunächst derjenige Bevollmächtigte
das Reisegeld aus, welcher der Korporation des Reisenden angehört. Ist eine
Zahlstelle der Korporation nicht am Orte, so wird der Auszahler der Reise⸗
unterstützung in Uebereinstimmung mit der Gewerkschaftsverwaltung durch die
Kartellkommission bestimmt.
„Am Monatsschluß werden sodann die dem Reisebuch entnommenen
Coupons vom Auszahler an die Hauptkasse der Gewerkschaft, welcher der Aus⸗
zahler angehört, gesandt. Die Hauptkassierer der Gewerkschaften tauschen die
Coupons dann gegenseitig aus. Bei Auszahlung der Reiseunterstützung ist genau
darauf zu achten, daß die Unterstützung nur an diejenigen gezahlt wird, welche
mit ihren Beiträgen nicht im Rückstande oder aber noch nicht die nötige Karenz⸗
zeit Mitglied sind.“
Ein Antrag, die Mittagspause vor Eröffnung der Diskussion eintreten zu
lassen, wird abgelehnt.
Härtel beantragt, es solle dahin gestrebt werden, an allen Orten
gemeinschaftliche Verkehrslokale einzurichten, in denen den Zureisenden
aͤller Branchen die Reiseunterstützung ausbezahlt werde.
Kapell bemerkt, daß er nicht der Ansicht Härtels sei, die Auszahlung
derselben in den in Aussicht genommenen Verkehrslokalen vornehmen zu lassen,
da die letzteren noch nicht überall vorhanden seien. Es sei die Vorlage über—
haupt nur ein Vorschlag der administrativen Einrichtung, weshalb darüber nicht
so eingehend debattiert zu werden brauche, indem das Reisegeldauszahlen doch
398
den Separatbestimmungen der einzelnen Gewerkschaften unterliege, und bleibe es
deshalb nach den Schlußbestimmungen jeder Gewerkschaft überlassen, auch nur
auf einzelne Punkte der Kartellverträge einzugehen.
Söhler glaubt, Härtel sei im Irrtum; es solle durch die Kartellverträge
ermöglicht werden, daß jeder, auch wenn seine Organisation an einem Orte nicht
vorhanden sei, doch seine Unterstützung erhalten könne. Er ist im übrigen der
Meinung, daß eine Einigung in betreff dieses Punktes unbedingt stattfinden
müsse. Die Angelegenheit ließe sich sehr leicht regeln.
Härtel wendet sich gegen die Ausführungen Söhlers. Er ist der Meinung,
daß das von Söhler Vorgeschlagene gerade das Gegenteil von dem sei, was mit
der Vorlage bezweckt werden solle. Bei den Buchdruckern habe man gefunden,
daß 50 Zahlstellen vollkommen genügen. Redner spricht sich im weiteren über die
Art und Weise aus, wie bei den Buchdruckern das Reisegeld ausgezahlt wird.
Horn stimmt mit den Ausführungen Kapells überein in betreff der Schluß⸗
bestimmung; es solle den einzelnen Gewerkschaften überlassen bleiben, sich in der
von Kapell vorgeschlagenen Weise der Gesamtheit anzuschließen.
Pollerich ist ebenfalls mit den Schlußbestimmungen einverstanden und
begrüßt die weitere Einrichtung von Zahlstellen mit Freuden.
Schulze spricht für die Vorlage.
Die Vorlage wird mit allen gegen die Stimme Hurlemanns wie vor—⸗
tehend angenommen.
Punkt 6.
Arbeitsnachweise und Verkehrslakale.
„Um für die Mitglieder der durch Kartellvertrag vereinigten Gewerk⸗—
schaften einen vorteilhaften Arbeitsnachweis zu errichten, sind die an den
einzelnen Orten befindlichen Mitglieder verpflichtet, diesen Nachweis nach Möglich—
keit einzurichten. Die einzelnen Gewerkschaftsverwaltungen müssen sie zu diesem
Unternehmen möglichst anspornen und unterstützen. In größeren Orten kann die
Einrichtung des Arbeitsnachweises entweder immer für eine oder mehrere Korpo—
rationen geschehen. In kleineren Orten genügt ein Nachweis für alle Korpo—
rationen.
„Die Gewerksgenossen verpflichten sich, den persönlichen Zuspruch um Arbeit
bei den Fabrikanten, Meistern und Arbeitgebern zu unterlassen und sich nur an
den Arbeitsnachweis zu wenden, überhaupt den Anordnungen des Arbeitsnachweises
zu folgen.
„Die Kartellkommission hat die Verpflichtung, von Zeit zu Zeit statistische
Erhebungen über Arbeitsangebot und -nachfrage in den einzelnen Orten zu ver—⸗
anstalten und die Resultate dieser Erhebungen in dem dazu bestimmten Organ
zu veröffentlichen.
„Die nötige Einrichtung für die einzelnen Arbeitsnachweise, betreffend die
statistischen Erhebungen, wird von der Kartellkommission getroffen.
„Da das heute noch in den meisten Städten bestehende Herbergswesen
oft in keiner Weise den Bedürfnissen der wandernden Genossen entspricht, auch
durch die gegnerische Stellung vieler Herbergswirte die gewerkschaftliche Bewegung
nicht gefördert wird, so beschließen die sich im Kartellvertrag befindlichen Gewerk—
schaften, die Errichtung von Verkehrslokalen kräftigst zu fördern und nament⸗
lich die Genossen des betreffenden Ortes mit Rat und Tat zu diesem Zweck zu
399 —
unterstützen. Die Errichtung von Verkehrslokalen soll durch die Kartellbehörde
systematisch in Angriff genommen und von den betreffenden Gewerksgenossen des
Ortes praktisch ausgeführt werden.
„Hauptbedingung bei Errichtung der Verkehrslokale ist, dieselben der Neu—
zeit entsprechend einzurichten und zur Stätte gemütlichen Umgangs zu machen,
so daß die Einkehr sowohl der am Ort ansässigen wie der wandernden Genossen
veranlaßt wird.“
Härtel führt aus, daß Arbeitsnachweise und gemeinschaftliche Verkehrs⸗
lokale unbedingt notwendig seien, beides hänge unmittelbar miteinander zu⸗
sammen, dürfe deshalb auch nicht voneinander getrennt werden. Härtel schlägt
vor, über diesen Punkt nicht weiter zu diskutieren.
Hierauf wird die Vorlage wie obenstehend einstimmig angenommen.
Punkt 7.
Gemischte Gewerkschaften.
„Da die einzelnen Gewerkschaften in vielen kleineren Orten nicht imstande
sind, Zahlstellen (Mitgliedschaften) zu errichten wegen der geringen Zahl der
dort lebenden Berufsgenossen, so beschließen die im Kartellvertrag stehenden
Gewerkschaften, an solchen Orten, wo nicht mind estens zehn Berufsgenossen sind,
gemischte Gewerkschaften zu errichten, zu welchem Zweck die Kartellkommission
ein Statut auszuarbeiten hat.
„Die Beiträge dieser gemischten Gewerkschaften fließen in die Kartellkasse.
Die Kartellkommission gilt für sie als Verwaltung. Wandernde Mitglieder solcher
gemischten Gewerkschaften haben das Recht, in Städten, wo ihre eigne Korporation
Mitgliedschaften hat, denselben ohne Einschreibegebühren beizutreten, sofern sie ihre
Beiträge bis zum letzten Monat an die Kasse ihrer Lokalvereinigung gezahlt haben.“
Därtel ist ein entschiedener Gegner gemischter Gewerkschaften und führt
an, wie die Buchdrucker sich in Gruppen vereinigt haben und in B ezirksvereine
—E gemischte Gewerk—⸗
schaften für Nebensache und wünscht Ablehnung dieses Punktes.
Weidemann spricht ebenfalls gegen diesen Punkt und führt aus, daß,
wenn möglichst gleiche Einrichtungen bei den einzelnen Gewerkschaften vorhanden
seien, es sich wohl von selbst verstehe, daß ein Mitglied, wenn es an einem Orte
keine Mitgliedschaft seiner Gewerkschaft vorfindet, sich mit gleichen Rechten und
Pflichten einer dort vorhandenen Mitgliedschaft anzuschließen habe. Redner
schlägt vor, an kleinen Orten solle von der am stärksten vertretenen Branche eine
Organisation geschaffen und dieselbe verpflichtet werden, alle ohne Unterschied der
Branche aufzunehmen.
Pfeiffer kann nicht so leicht über diesen Punkt hinweggehen wie Weide⸗
mann. Er führt aus, daß es jetzt vielleicht 80 Städte in Deutschland gebe, in
denen Mitgliedschaften der verschiedenen Gewerkschaften bestehen, dahingegen
mindestens 100 Städte, in denen erst Organisationen geschaffen werden müssen.
Redner ist der Meinung, daß durch Einführung der gemischten Gewerkschaften
besonders an kleineren Orten Organisationen geschaffen werden könnten. Viele
Mitglieder gingen den Gewerkschaften dadurch verloren, daß sie an kleineren
Orten keine Mitgliedschaften ihrer Branche vorfänden.
Kapell: Der Passus sei deshalb in die Vorlage gekommen, um auch in
kleineren Orten festen Fuß zu fassen. Die zerstreuten Mitglieder würden dadurch
100
gesammelt. Redner wendet sich sodann gegen die Ausführungen Weidemanns.
Die gemischten Gewerkschaften müßten für sich bleiben und ihre Beiträge, wie in
der Vorlage angegeben, an die Kartellkommission einsenden. Er will in der Vor—
lage statt „Lokalvereine“ setzen „Gemischte Gewerkschaften“.
Völkel ist ziemlich der Ansicht Weidemanns; er gibt im weiteren Aufschluß
über die Einrichtungen bei den Glasarbeitern.
Härtel erblickt in der Vorlage keine Zentralisation, sondern Dezentrali—
sation. Jede Gewerkschaft müsse ihre Mitglieder sammeln. Er verweist im
übrigen auf die Hirsch-Dunckerschen Gewerkvereine, bei denen das von Weidemann
Vorgeschlagene schon besteht.
Hurlemann ist gegen gemischte Gewerkschaften, aber mit Weidemann
einverstanden.
Böttger spricht gegen gemischte Gewertsschaften.
Bremer führt aus, daß über diesen Punkt unter den Anwesenden noch große
Unklarheit herrsche. Er empfiehlt die Errichtung von gemischten Gewerkschaften an
kleinen Orten, wo z. B. sieben Schuhmacher, acht Schneider, fünf Metallarbeiter,
sechs Zigarrenarbeiter usw. vorhanden seien, und verweist auf die Unzuträglichkeiten,
die entstehen, wenn jede dieser Branchen ihre Beiträge direkt an die Hauptkasse
der betreffenden Gewerkschaften abführe, daß für Porto, Lokalausgaben usw. mehr
verloren ginge, als die ganze Einnahme betrage;. deshalb sei es unbedingt nötig,
daß an solchen Orten alle vorhandenen Mitglieder ohne Unterschied der Branche
sich in einer gemeinschaftlich abzuhaltenden Versämmlung einen Bevollmächtigten
und Kassierer wählen, und daß von diesen die gezaählten Beiträge aller vor—
handenen Mitglieder an die Kartellkommission abgeführt werden.
Hierauf tritt eine Mittagspause von anderthalb Stunden ein.
Vierte Sitzung.
Montag, den 25. Februar, nachmittags 2/2 Uhr. Fortsetzung der Diskussion
über Punkt 7.
Horn ist der Meinung, daß durch gemischte Gewerkschaften nichts zu
erreichen sei, und hält es für besser, jeden seiner Branchenorganisation zuzuführen.
Päcke ist ebenfalls gegen jede Gründung von gemischten Gewerkschaften
und glaubt, daß durch die Errichtung derselben die einzelnen Mitglieder in den
betreffenden Orten aus ihrer Organisation gedrängt würden.
Weidemann stellt folgenden Antrag:
Ich ersuche, die kleineren Orte nach Maßgabe der örtlichen Verhältnisse
einer Zentralisation beizufügen, sobald sich jedoch zwölf Mitglieder einer
Branche an einem Orte gesammelt, haben sie die Verpflichtung, sich ihrer
Organisation anzuschließen. Abreisende haben an den ersten Orten, wo ihre
Branche vertreten, sich sofort derselben anzuschließen. Auf Eintrittsgeld und
fernere Rechte ist im Statut Bezug zu nehmen.
Pfeiffer spricht gegen den Antrag Weidemanns und für die Vorlage.
Päcke erklärt, daß er seinem Verband gegenüber der Vorlage nicht zu—
stimmen könne.
Weidemann führt aus, daß die Abstimmung so noch nicht bindend sei.
Bei der Abstimmung wird der Antrag Weidemann abgelehnt, dahingegen
die Vorlage mit den Abänderungen von A. Kapell wie vorstehend mit acht gegen
sechs Stimmen angenommen.
401
Punkt 8.
Generalversammlungen der Gewertschaften und Kongresse für sümtliche
Gewerkschaften. J
„Die zu dem unter J bis 6 (oder einigen der angeführten Zwecke) im Kartell⸗
vertrag stehenden Gewerkschaften bestimmen regelmäßig den Ort und die Zeit,
wo, wann und wie oft sie ihre Generalversammlungen abhalten wollen,
sowie ob sie im Anschluß daran für ihre Gewerkschaften einen allgemeinen
Gewerkschaftskongreß einberufen wollen, auf welchem selbstverständlich nur
die Delegierten der dem Kartellvertrag angehörenden Gewerkschaften Sitz und
Stimme haben.“
Die Vorlage wird nach unwesentlicher Debatte wie vorstehend angenommen.
Punkt .
Kranken- und Sterbekassen.
Söhler hält die Fassung der Vorlage für nicht verständlich und wünscht,
daß dieser Punkt dem Kongreß zu unterbreiten sei.
Weidemann ist für Streichung der Worte in der Vorlage: „Lokalvereine
verschiedener Gewerke“.
Päcke hält nach dem Hilfskassengesetz die Abschließung von Kartellver⸗
trägen auch in dieser Hinsicht für praktisch und ist für Streichung des ersten
Passus, dagegen für Annahme des zweiten.
Weidemann hegt Bedenken gegen die Ansicht Päckes in bezug auf den
zweiten Passus der Vorlage.
Pfeiffer empfiehlt Annahme der Vorlage und hebt hervor, daß eine
zentralisierte Krankenkasse für sämtliche Gewerkschaften ein bedeutender Fort⸗
schritt sei.
Horn ist der Meinung, daß die Zentralisation der Krankenkasse noch nicht
vorgenommen werden könne und wünscht im übrigen, daß durch die Statistik
festgestellt werde, inwieweit durch die Art und Weise der Beschäftigungen in den
verschiedenen Branchen Krankheiten hervorgerufen werden.
Kapell schwärmt nicht für eine zu feste Organisation in betreff der Kranken—
kassen und erklärt sich mit den Ausführungen in betreff Streichung des ersten
Passus einverstanden.
Hurlemann will es den Mitgliedschaften der verschiedenen Branchen an
den einzelnen Orten überlassen, eine Krankenkasse (Unterstützung, Arzt, Apotheke)
ins Leben zu rufen. Er ist für den ganzen Passus der Vorlage.
Härtel ist der Meinung, daß es sich bei dieser Vorlage nicht um Kleinig⸗
keiten handle, sondern um ein bestimmtes Prinzip; die Kassen seien ein Anhängsel,
durch welches den Mitgliedern etwas geboten werden solle. Man habe es hier
mit dem Versicherungswesen zu tun, und gerade hier sei es am Platze, zentra⸗
listisch vorzugehen.
Hurlemann ist gegen Zentralisation der ——
im weiteren speziell gegen die Ausführungen Härtelbs.
Härtel stellt folgenden Antrag:
In bezug auf die Kranken- und Sterbekassen beschließt die Konferenz,
eine allgemeine Zentral-, Kranken- und Sterbekasse für sämtliche
Gewerkschaften anzustreben.
Bringmann, Geschichte der Zimmerer.
402
—
Böttger empfiehlt Zentralisation der Krankenkassen, indem er ausführt,
daß in bezug auf die Krankenkassen die Agitation am leichtesten auszuführen sei.
Der Antrag Härtel wird mit 18 gegen 2 Stimmen angenommen und
dadurch die Vorlage abgelehnt.
Bremer will das Protokoll der gestrigen Sitzung verlesen.
Kapell schlägt vor, die Verlesung bis zum Schluß der Verhandlungen zu
vertagen. (Wird angenommen.)
Punkt 10.
Kartellkommission.
„Dieselbe besteht aus sieben Personen: zwei Vorsitzenden, vier Beisitzern,
einem Kassierer, der zugleich Sekretär ist. Ihre Wahl, die Bestimmung ihres
Sitzes und etwaiger Gehälter erfolgt durch den allgemeinen Gewerkschafts-
kongreß aller dem Kartellvertrag angehörenden Gewerkschaften.
„Die Dauer der Amtstätigkeit der Kartellkommission ist zwei Jahre.
„Sache der Kartellkomission ist:
1. In allen Angelegenheiten der Kartellverträge zu beraten und
zu beschließen;
2. die Agitation zu leiten;
3. die Presse zu überwachen;
4. alle Streitigkeiten zwischen den einzelnen Gewerkschaftsvorständen usw.
zu schlichten;
5. die Kasse zu überwachen und zu revidieren.
„Die Kartellkommission erhält eine Anzahl Ersatzmänner, welche in einer
allgemeinen Gewerkschaftsversammlung desjenigen Ortes, wo die Kommission ihren
Sitz hat, gewählt werden. Ihre Zahl bestimmt der Gewerkschaftskongreß.
„Die Ersatzmänner können den Kartellkommissionssitzungen mit beratender
Stimme beiwohnen, nötigenfalls rücken sie in die Stelle von ausgeschiedenen
Kommissionsmitgliedern ein.
„Die Kartellkommission gibt sich ihre Geschäftsordnung selbst.“
Hurlemann wünscht über Punkts der Vorlage Meberwachung der Presse
durch die Kartellkommission) Auskunft.
Kapell berichtet, daß sich dieser Punkt nur insofern darauf beziehen könne,
als eine Vereinigung der Organe der verschiedenen Gewerkschaften vorliege.
Päcke ist der Meinung, daß sich die Kartellkommission mit diesem Punkt
eingehend beschäftige und daß dieselbe sämtliche Organe der dem Kartellverbande
angehörenden Gewerkschaften kontrolliere.
Hurlemann ist mit den Ausführungen Päckes einverstanden.
Hierauf wird die Vorlage wie obenstehend unverändert angenommen.
Punkt 11.
songreß.
„Dieser hat mindestens alle zwei Jahre in der Zeit vom 15. Mai
bis 31. Juli stattzufinden.
„Seine Einberufung erfolgt seitens der Kartellkommission. Die Ein⸗
berufung ist den am Kartellvertrag beteiligten Zentralbehörden der einzelnen
Gewerkschaften drei Monate vorher, öffentlich jedoch mindestens acht Wochen
403
vorher, bekannt zu machen. Anträge, welche auf die Tagesordnung kommen sollen,
müssen mindestens fünf Wochen vorher der Kartellkommission zugehen, welche
dieselben mindestens drei Wochen vorher in dem dazu bestimmten Organ bekannt
zu machen hat.
„Sache des Kongresses ist: Die Kartellkommission zu wählen, die Zahl der
Ersatzmänner zu bestimmen und als endgültig maßgebende Bebörde über alle
Vertragsangelegenheiten zu beschließen.“
Hurlemann fragt an, ob außer dem allgemeinen Kongreß auch noch
separate Generalversammlungen der einzelnen Gewerkschaften stattfinden sollen.
Kapell ist der Ansicht, die Regelung dieser Sache den einzelnen Gewerk—
schaften zu überlassen.
Weidemann spricht im Sinne Kapells, hält aber die Frist von drei
Wochen zur Veröffentlichung der auf dem Kongreß zu verhandelnden Anträge für
zu kurz.
Kapell ist für die Vorlage; er hält die Zeit von drei Wochen für voll—
ständig genügend.
Die Vorlage wird unverändert angenommen.
Punkt 12.
Schlußbestimmungen.
„Gewerkschaften, welche den vorstehenden Kartellverträgen beige—
treten sind, können, wenn darüber bei den Mitgliedern die Urabstimmung
stattgefunden hat, den Vertrag nach einer vorherigen Aufkündigung von drei
Monaten ganz oder teilweise wieder aufheben.
„Ebenso steht es Gewerkschaften frei, wenn einzelne Kartellverträge für sie
unvorteilhaft sind, auch nur auf einzelne Teile derselben einzugehen.
„Gewerkschaften, welche ihre Verpflichtungen gegen die Kartell⸗
bestimmungen nicht erfüllen, sind von denselben ausgeschlossen.“
Die Vorlage wird ohne Debatte angenommen.
Sodann fragt Kapell an, ob noch jemand etwas zu erörtern habe.
Pfeiffer will bestimmt wissen, wann und wo der Kongreß stattfinden soll.
Weidemann ist derselben Ansicht, und betont, daß es sehr notwendig sei,
daß die Generalversammlungen der einzelnen Gewerkschaften an einem Orte,
wenn möglich an dem Orte, wo der Kongreß abgehalten wird, stattfinden.
Schulze schlägt vor, den Kongreß nicht zu schnell einzuberufen.
Kapell hält die Pfingstwoche zur Abhaltung des Kongresses für die
geeignetste Zeit.
Klerx ist gegen die Einberufung des Kongresses zu Pfingsten, da es den
Schneidern dann nicht möglich sei, an dem Kongresse teilzunehmen. Er beantragt,
den Kongreß Ende Juli einzuberufen.
Weidemann stellt den Antrag, den Kongreß am ersten Pfingstfeiertage
zu eröffnen.
Die Konferenz beschließt einstimmig:
1. daß ein Kongreß stattfinden soll und
2. dem Antrage Weidemanns gemäß, denselben am ersten Pfingstfeier—
tage zu eröffnen.
Als Ort des Kongresses wird Magdeburg angenommen.
404
Weidemann beantragt, daß, wenn die Abhaltung des Kongresses in
Magdeburg nicht möglich sei, denselben in Hamburg stattfinden zu lassen; die
Kommission solle sechs Wochen vorher davon benachrichtigt werden, ob die General⸗
versammlung der einzelnen Gewerkschaften in Magdeburg stattfinden und ob der
Abhaltung des Kongresses zur selben Zeit keine Schwierigkeiten in den Weg ge⸗
legt werden. (Wird angenommen.) Weiter schlägt er in bezug auf die Aus—⸗
arbeitung eines Normalstatuts vor, daß es gut sei, wenn die Mitglieder der zu
wählenden Kommission an verschiedenen Orten wohnen.
Pfeiffer hält die Bedeutung für nicht so groß und tritt dafür ein, daß
die Mitglieder der Kommission an einem Orte wohnen.
Kapell ist der Ansicht, daß eine Kommission von fünf Personen zur Aus⸗
arbeitung eines Normalstatuts vollständig genügt und stellt derselbe einen dies⸗
bezüglichen Antrag.
Weidemann ist der Ansicht, es solle das Statut gedruckt werden und
jeder Ort nur ein Exemplar erhalten.
Bremer will, daß die Kommission nicht bloß das Normalstatut aus—
arbeite, sondern dem Kongreß Vorlagen zu machen habe über sämtliche Punkte,
in denen eine Einigung auf der Konferenz erzielt sei.
Klerx tritt dem entgegen.
Die Anträge:
1. daß die Kommission aus fünf Personen besteht, und
2. daß dieselben an einem Orte wohnen sollen,
werden angenommen.
Als Sitz der Kommission wird Hamburg bestimmt.
Söhler stellt den Antrag, daß von den verschiedenen Gewerkschaften in
Hamburg je ein Delegierter zu entsenden sei und diese aus ihrer Mitte fünf
Personen zu wählen hätten.
Weidemann unterstützt den Antrag.
Kapell empfiehlt, von den auf der Konferenz anwesenden Hamburger
Genossen zwei zu wählen.
Der letzte Vorschlag wird angenommen und bei der nun vorgenommenen
Wahl werden Kapell und Schulze in die Kommission gewählt.
Weidemann beantragt, daß von jeder Gewerkschaft ein Mitglied Sitz
und Stimme in der Kommission habe. (Wird angenommen.)
Als Organ für die Kommission wird der „Pionier“ vorgeschlagen und an⸗
genommen.
Die in die Kommission zu entsendenden Delegierten sollen von den Vor⸗
ständen innerhalb zehn Tagen bekannt gemacht werden. Dieselben sollen sich bei
A. Kapell melden.
Kapell erklärt, daß die Beilage mit dem Protokoll innerhalb der ersten
vier Wochen nicht erscheinen könne.
Klerx beantragt, das Protokoll nebst Normalstatut bis spätestens zum
15. April zu veröffentlichen. (Wird angenommen.)
Weidemann wäünscht als Konferenzbestimmung aufgenommen:
Der Kongreß sämtlicher Gewerkschaften wird am ersten Pfingstfeiertag zu
Magdeburg eventuell Hamburg eröffnet und ist die rege Beteiligung sämtlicher
Gewerkschaften dringend notwendig.
405
Betreffs Beschickung der Pariser Weltausstellung durch Arbeiter⸗
delegationen nimmt die Konferenz folgende von A. Kapell vorgeschlagene
Resolution einstimmig an:
„Die am 24. und 25. Februar in Gotha tagende Konferenz der Gewerk—⸗
schaftsvorstände erklärt auf den in Nr. 44 der „Berliner Freien Presse“ gemachten
Vorschlag:
Die Konferenz möge sich mit der Frage der Beschickung der Pariser
Weltausstellung durch Arbeiterdeputationen befassen.
diese Angelegenheit als eine empfehlenswerte, überläßt es indes den einzelnen
zentralisierten Gewerkschaften, nach eignem Ermessen diesbezüglich zu
handeln.“
Nach einem Schlußwort von A. Kapell schließt derselbe um bisä Uhr die
Konferenz.
Das vom Unterzeichneten nunmehr verlesene Protokoll der gestrigen Sitzung
wird mit unwesentlichen Abänderungen genehmigt. A. Bremer.
Vdotlage zu dem am Montag, jo. Juni (zweiten pfingsttag), nachmittags
z Uhr, in magdeburg beginnenden allgemeinen Cewerkschaftskongress.
Vorbemerkung: Die Vorlage ist nach den Beschlüssen der Gewerkschafts⸗
konferenz zu Gotha formuliert und können Abänderungs-— und Zusatzanträge
hierzu bis Sonnabend, den 25. Mai, an die Adresse von A. Kapell, Hamburg,
Kraienkamp 22, eingesandt werden. Ob die Veröffentlichung derselben vor dem
Kongreß in diesem Blatte geschieht, kann heute noch nicht zugesagt werden.
J. Abteilung.
Normaualstatut.
Statut der deutschen .... ........ Vereinigung.
Vorbestimmung. Nachdem die früheren Verbote und Strafbestimmungen
über das gemeinsame Verabreden zum Zwecke der Erlangung günstigerer Arbeits⸗
bedingungen durch den 8 152 der Gewerbeordnung des Deutschen Reiches auf⸗
gehoben sind, mithin also jedem Gesellen und Gehilfen, überhaupt jedem Arbeiter
gefetzlich das Recht zusteht, sich mit Gewerksgenossen behufs günstigerer Arbeits—
bedingungen zu verbinden, gelten für die deutsche ......... Vereinigung folgende
Satzungen, sofern dieselben nicht statutengemäß umgeändert werden.
8 1. Die Vereinigung der deutschen ...... hat den Zweck, die materiellen
und geistigen Interessen ihrer Mitglieder zu wahren und zu fördern.
8 2. Dieser Zweck soll erreicht werden:
1. durch Beihilfe in der praktischen und technischen Ausbildung;
2. durch Regelung der Arbeitszeit, und zwar zunächst an den Orten, wo
dieselbe zur vorhandenen Arbeit unverhältnismäßig lang ist;
durch Verbesserung der Arbeitslöhne, und zwar zunächst an den Orten,
wo der Lohn im Verhältnis zu den Lebensbedürfnissen am niedrigsten ist;
durch Arbeitsvermittlung an den dazu bestimmten Orten, durch Ein⸗
richtung von Arbeitsnachweisstellen und Fremdenverkehre;
* Abgedruckt aus dem „Pionier“ Nr. 16 vom 20. April 1878.
— 406 —
5. durch Unterstützung bei Arbeitseinstellungen und Arbeitsausschlüssen,
nach Verhältnis der Kasse oder nach bestimmten, von der Verwaltungs⸗
behörde auszuschreibenden Beisteuern;
durch Unterstützung reisender Mitglieder mit Reisegeld nach den dies—
bezüglich getroffenen Einrichtungen;
durch Unterstützung bei Sterbefällen;
8. durch Einrichtung oder (soweit dieses schon geschehen) durch Förderung
einer Zentral-, Kranken- und Sterbekasse (eingeschriebene Hilfskasse) mit
besonderem Statut.
8 8. Mitglied kann jeder ....... werden, sofern sich nicht die Mitglieder
des Aufnahmeortes dagegen erklären.
8 4. Beim Eintritt in die Vereinigung sind 50 F Eintrittsgebühr zu
zahlen. Der Beitrag beträgt wöchentlich 10/58, welche nach Bestreitung der vom
Vorstand verordneten Ausgaben allmonatlich an die Gewerkskasse gesandt werden
müssen.
Jeder einzelne ist erst dann Mitglied, wenn sein vollständiger Name nebst
seinem Einschreibegeld dem Vereinskassierer eingeschickt ist.
Während der Krankheit und Invalidität ist das Mitglied von Zahlung
der Beiträge suspendiert. Ueber Streitigkeiten in diesen Fällen entscheidet der
Vorstand.
8 5. Seines Mitgliedsrechtes wird verlustig:
1. wer mit seinen Beiträgen länger als acht Wochen im Rückstande ist;
2. wer die Kasse in betrügerischer Weise benutzt oder wissentlich gegen den
Zweck der Vereinigung handelt.
Bei der getroffenen Entscheidung hat es bis zur nächsten Generalversammlung
sein Bewenden.
8 6. Die Leitung der Vereinigung geschieht durch einen Vorstand von fünf
Personen, und zwar aus einem ersten und einem zweiten Vorsitzenden, einem
Kassierer und zwei Beisitzern bestehend. J
8 7. Sache des Vorstandes ist:
l. Die Agitation für die Vereinigung zu leiten (der Vorstand ist berechtigt,
zu der für die Vereinsinteressen notwendigen Agitation die erforderlichen
Gelder aus der Kasse zu entnehmen);
2. die Einsammlung der Mitgliederbeiträge überall zu bewerklstelligen;
3. die Vereinigung nach innen und außen zu vertreten;
4. die ordentlichen und außerordentlichen Generalversammlungen des
Vereins und die ordentlichen Sitzungen des Ausschusses einzuberufen;
5. halbjährlich den Mitgliedern Abrechnung über Einnahme und Ausgabe
der Kasse zu geben;
3. die Beschlüsse des Ausschusses zur' Ausführung zu bringen;
7. bei den Ausschußsitzungen mit beraten, jedoch nicht mit beschließen zu
können.
88. Der Ausschuß der Vereinigung besteht aus neun Personen. Sache des
Ausschusses ist:
1. Bei Arbeitseinstellungen oder Arbeitsausschlüssen die Bestimmungen über
die nötige Unterstützung der Feiernden zu treffen;
2. alle Streitigkeiten, welche im Vorstande vorkommen, zu erledigen;
7.
407 —
3. alle Beschwerden, welche von den Mitgliedern über den Vorstand ein⸗
laufen, zu prüfen und zu erledigen;
bei vorkommenden Fällen nach 85 Abs.2 Entscheidung zu treffen
und alle erledigten Stellen im Vorstande bis auf weiteres zu besetzen;
die Kasse des Vereins zu überwachen, und zwar dadurch, daß aus
dem Ausschuß alle drei Monate zwei Ausschußmitglieder zu Revisoren
der Kasse gewählt werden, welche mindestens alle Monat einmal
unvermutet revidieren müssen.
Der Ausschuß ist.beschlußfähig, wenn in einer Sitzung, zu welcher mindestens
24 Stunden vorher die genügende Bekanntmachung erlassen ist, sechs von neun
erschienen sind.
Wer zweimal unentschuldigt ausbleibt, scheidet aus dem Ausschuß aus.
Hat der Vorstand zweimal vergeblich den Versuch gemacht, den Ausschuß
beschlußfähig zusammenzubringen, so ist er verpflichtet, selbst Entscheidung
zu treffen.
8 9. Der Sitz der Vereinigung befindet sich in ...... Die Wahl des
Vorstandes geschieht in der Weise, daß der erste Vorsitzende und der Kassierer
von der Generalversammlung, die drei übrigen Vorstandsmitglieder sowie der
gesamte Ausschuß von den Mitgliedern desjenigen Ortes gewählt werden, wo
die Verwaltung der Vereinigung sich befindet.
8 10. Alle zwei Jahre findet eine ordentliche Generalversammlung der
Mitglieder statt.
4
Außerordentliche Generalversammlungen müssen einberufen werden: wenn
der Vorstand einstimmig, sechs Mitglieder des Ausschusses oder ein Sechstel
sämtlicher Mitglieder es verlangen.
Sache der Generalversammlung ist:
1. Die Gesetzgebung der Vereinigung;
2. die Leitung und Verwaltung der verflossenen Vereinsjahre zu prüfen;
3. den Sitz der Vereinigung und der Verwaltung zu bestimmen;
4. die zwei Vorstandsmitglieder zu wählen und die Gehälter der besoldeten
Vorstandsmitglieder zu bestimmen; ——
3. als die oberste Behörde der Vereinigung über alles Entscheidung
zu treffen.
Die Generalversammlung besteht aus Delegierten der Mitglieder. Die
Kosten werden von den Mitgliedern nach Beschluß der Generalversammlung
getragen.
Fin auf der Generalversammlung anwesendes Mitglied darf jedoch nicht
mehr als 400 Mitglieder vertreten.
Die ordentliche Generalversammlung hat in der Zeit vom 15. Mai bis
zum 153. Juni stattzusinden und ist Zeit und Ort sowie Anträge, welche auf die
Tagesordnung kommen sollen, den Mitgliedern sechs Wochen vorher zur Kenntnis
zu bringen.
Anträge, welche vorher den Mitgliedern unterbreitet werden sollen,
sind spätestens vier Wochen vor der Generalversammlung beim Vorstande ein⸗
zureichen.
Letztere Bestimmungen haben auf außerordentliche Generalversammlungen
keine Anwendung. Die Generalversammlung gibt sich gleich bei ihrem Zusammentritt
ihre Geschäftsordnung selbst.
408
8 11. In den Generalversammlungen und den Vorstandssitzungen führt
der erste Vorsitzende den Vorsitz, in Behinderungsfällen der zweite Vorsitzende.
Nach jeder Generalversammlung hat der neugewählte Vorstand innerhalb
14 Tagen den Sitz der Vereinigung bekannt zu machen und die betreffende Wahl
des Ausschusses zu veranlassen.
Alle Beiträge sowie das Einschreibegeld sind an den Kassierer der Ver—
einigung zu senden, welcher die Kasse zu verwalten hat, alle andern Korrespondenzen
an den ersten Vorsitzenden. Beschwerden über den Vorstand sind an eine bekannt
zu machende Adresse eines Ausschußmitgliedes einzusenden.
8 12. Bei Arbeitseinstellungen, welche auf Unterstützung aus der Vereins—
kasse Ansprüche machen, muß folgendes Verfahren beobachtet werden: *FL
a) Soll eine Arbeitseinstellung als Sache der Vereinigung betrachtet
werden, so hat das vom Vorstande beauftragte Mitglied genau darauf
zu achten, daß alle (beteiligten) Mitglieder die Bestimmungen der
Gewerbeordnung des Deutschen Reiches beobachten, welche darin bestehen,
daß die Arbeitnehmer wie Arbeitgeber, insofern nichts andres ver—
abredet ist, nach 8110 der Reichsgewerbeordnung 14 Tage vorher die
beiderseitige Aufkündigung des Arbeitsverhältnisses zu vollziehen haben.
Es muß, ehe dies geschehen, ein genauer Bericht über die Lage der
Dinge im allgemeinen sowie über die Höhe des Lohnes, die Länge
der Arbeitszeit, die Menge der vorhandenen notwendigen Arbeiten,
sowie über die gestellten Forderungen der Gesellen und die Bedingungen
der Meister dem Vorstande eingesandt werden. Der Vorstand hat
diese Angelegenheit sofort dem Ausschuß zu unterbreiten; dieser ent—
scheidet, ob die Einstellung genehmigt ist oder nicht.
In den ersten sechs Tagen können keine Unterstützungen gezahlt werden.
Bei Arbeitseinstellungen sowohl wie bei Arbeitsausschlüssen hat das
vom Vorstand beauftragte Mitglied jede Woche einen genauen Bericht
über die Sachlage an den Vorstand zu senden.
Unterstützungen aus der Vereinskasse können nur dann beansprucht
werden, wenn die Betreffenden bereits drei Monate Mitglieder der
Vereinigung sind und ihre Beiträge pünktlich entrichtet haben.
Die Unterstützung aus der Vereinskasse erfolgt nach Maßgabe der ört—
lichen Verhältnisse und wird durch den Ausschuß nach Prüfung der
eingegangenen Berichte bestimmt.
Arbeitseinstellungen, welche nicht vorschriftsmäßig angemeldet oder aus
bestimmten Gründen vom Vorstand und Ausschuß abgelehnt sind und
dennoch unternommen werden, bleiben auf sich selbst angewiesen.
Der Ausschuß hat bei Unterstützungsbewilligungen sogleich zu bestimmen,
in welcher Weise durch eine Extrasteuer die nötigen Gelder zu erheben sind.
Den Anordnungen in betreff der ausgeschriebenen Extrasteuern hat jedes Mitglied
Folge zu leisten.
8 13. Zu allen Beschlüssen des Vorstandes, Ausschusses oder der General⸗
versammlung ist nur die einfache Majorität erforderlich.
Die Eimrichtung der für die Kasse und die Mitglieder notwendigen Uten⸗
silien ist Sache des Vorstandes.
8 14. Jedes Mitglied, welches drei Monate der Vereinigung angehört, hat
Anspruch auf Auszahlung von Reiseunterstützung und jedes Mitglied, welches
4109
ein Jahr derselben angehört, Anspruch auf Sterbegeld, deren Höhe die alle zwei
Jahre stattfindende Generalversammlung bestimmt“ und welche, soweit dies möglich
ist, an allen Orten, wo sich Mitglieder befinden, verabreicht wird.
g 15. Die Auflösung der Vereinigung kann nur mit drei Viertel sämtlicher
durch Urabstimmung abgegebener Stimmen erfolgen.
Allgemeine Bestimmungen. In wichtigen und dringenden Fällen
kann der Vorstand, wenn er die Zustimmung des Ausschusses erlangt, vorüber⸗
gehend unter Außerkraftsetzung von Beschlüssen früherer Generalversammlungen
alle Anordnungen treffen, welche sonst der Generalversammlung obliegen.
Der nächsten Generalversammlnng steht die endgültige Entscheidung
darüber zu.
Schlußbestimmungen. Die Vereinigung der deutschen............
hat sich in den Kapiteln............ den Kartellverträgen der deutschen Gewerk⸗
schaften angeschlossen.
II. Abteilung.
Kartellverträge der deutschen Gewerkschaften. J
Zweck. Die Kartellverträge haben den Zweck, die bestehenden oder —
weil notwendig — noch zu gründenden Gewerkschaften bezüglich Durchführung
ihrer Bestrebungen zueinander in ein solidarisches Verhältnis zu bringen. Die
beteiligten Organisationen sollen dadurch gekräftigt werden, ohne daß ihre Unab⸗
hängigkeit und Selbständigkeit gefährdet wird.
Kapitel 1. Die Presse. Die Zentralisation in der Presse ist in der
Weise zu vollziehen, daß die verwandten Berufsgenossen nach Maßgabe der
staatlichen Gewerbestatistik sich in der Presse zu vereinigen haben.
Kapitel 2: Die Agitation. Die zentralistisch organisierten Gewerk⸗
schaften vereinigen sich zuvörderst zu dem Zweck der gemeinschaftlichen Agitation.
Diese Agitation wird seitens der dazu bestimmten Agitatoren für die betreffenden
Gewerkschaften in öffentlichen Arbeiter- oder Vollsversammlungen oder in gemein⸗
schaftlichen Gewerkschaftsversammlungen betrieben. Diese gemeins chaftliche Agitation
leitet und bestimmt eine Kommission Kartellkommission).
Die zur Agitation zu verwendenden Agitatoren werden von den den
Kartellvertrag eingegangenen Gewerkschaften — oder deren Verwaltungsbehörden
— der Kartellkommission in Vorschlag gebracht und hat letztere abwechselnd die
Vorgeschlagenen zur Agitation zu berufen.
Die Agitation soll für die zu gemeinschaftlichem Zweck vereinigten Gewerk—
schaften nicht nur eine fliegende sein, sondern, um besser das gewonnene Feld
beackern zu können, auch eine stabile.
Die Kartellkommission hat Sorge zu tragen, daß für die einzelnen Städte,
Kreise und Provinzen Agitationskomitees eingesetzt werden, welche ihre agita⸗
torische Tätigkeit auf die nächste Umgegend zu richten haben und unablässig
bemüht sein müssen, für alle zentralisierten Gewerkschaften Mitglieder zu gewinnen,
damit nach und nach in jeder Stadt auch jede Gewerkschaft Mitglieder hat.
*Beschluß der Generalversammlung zu ...... über die Auszahlung der Reise- und
Sterbegelder:
a) An Reisegeld wird pro Meile 10 gezahlt, jedoch nur für eine zurückgelegte Strecke
von 18 Meilen. Innerhalb sechs Monaten wird an ein und dasselbe Mitglied nur
einmal Reiseunterstützung gezahlt. I
b) Das Sterbegeld beträgt bis zur nächsten Generalversammlung M. 36.
410
Ganz besonders soll die Kartellkommission ihr Augenmerk darauf richten,
daß die ländlichen Arbeiter gewonnen und ihrer Berufsorganisation zugeführt
werden.
Die Mittel zur Agitation werden durch regelmäßige Beiträge — monatlich
oder vierteljährlich — von den beteiligten Gewerkschaften aufgebracht.
Die Höhe derselben bestimmt der gemeinschaftliche Kongreß der zentralisierten
Gewerkschaften.
Kapitel 8: Unterstützung bei Arbeitseinstellungen und Arbeits—
ausschlüssen. Gewerkschaften, welche sich zu vorgenanntem Zweck vereinigen,
haben zunächst bei Arbeitseinstellungen folgendes Verfahren zu beobachten:
Wenn die Mitglieder einer dieser Gewerkschaften an irgend einem Orte
die Arbeit behufs Erlangung besserer Lohn- und Arbeitsbedingungen niederlegen
wollen, so haben sich dieselben zunächst an ihre Gewerkschaftsverwaltung zu
wenden, von der es abhängt, ob sie die Arbeitseinstellung bewilligt oder nicht.
Glaubt die Verwaltung dieser Gewerkschaft durch die Einstellung etwas Vorteil—
haftes für die betreffenden Mitglieder zu erringen, ist aber augenblicklich außer—
stande, die Einstellung durch ihre Gewerkschaftskasse zu unterstützen, so hat sie an
die Kartellkommission den Antrag zu stellen: „Die Arbeitseinstellung zu genehmigen
und sie als Kartellvertragssache zu betrachten“. Wird dieser Antrag genehmigt,
so hat die Kartellkommission — um die Unterstützung der Streikenden durchführen
zu können — Beisteuern auszuschreiben, welche von den einzelnen Gewerkschafts—
verwaltungen dem Kassierer der Kartellkommission eingesandt werden müssen.
Die so ausgeschriebenen Extrasteuern sind bei Verlust des Mitgliedsrechtes
von jedem Mitgliede zu zahlen. (Arbeitslose Mitglieder sind davon befreit.)
Kapitel 4: Reiseunterstützung. Gewerkschaften, welche laut Statut ihre
auf der Reise befindlichen Mitglieder zu unterstützen haben, verpflichten sich zur
gegenseitigen Auszahlung der Reiseunterstützung. Zu diesem Zweck führen diese
Gewerkschaften ein möglichst einheitliches Reisebuch mit Coupons und den Statuten
der Gewerkschaft ein. Der reisende Genosse hat das Recht, in jeder Stadt, wo
sich eine Zahlstelle der im Kartellvertrag stehenden Gewerkschaften befindet, Reise—
unterstützung zu erheben. Die mit der Auszahlung dieser Reiseunterstützung be⸗
auftragten Bevollmächtigten haben sich genau über die in den einzelnen Gewerk—
schaften betreffs Reiseunterstützung geltenden Bestimmungen zu informieren und
nach diesen zu verfahren. Befinden sich an einem Orte mehrere Zahlstellen der
unter Kartellvertrag stehenden Gewerkschaften, so zahlt zunächst derjenige Bevoll⸗
mächtigte das Reisegeld aus, welcher der Korporation des Reisenden angehört ˖
Ist eine Zahlstelle der Korporation, nicht am Orte, so wird der Auszahler der
Reiseunterstützung in Uebereinstimmung mit der Gewerkschaftsverwaltung durch
die Kartellkommission bestimmt.
Am Monatsschluß werden sodann die dem Reisebuch entnommenen Coupons
vom Auszahler an die Hauptkasse der Gewerkschaft, welcher der Auszahler an⸗
gehört, gesandt. Die Hauptkassierer der Gewerkschaften tauschen die Coupons
dann gegenseitig aus. Bei Auszahlung der Reiseunterstützung ist genau darauf
zu achten, daß die Unterstützung nur an diejenigen gezahlt wird, welche mit ihren
Beiträgen nicht im Rückstande oder aber noch nicht die nötige Karenzzeit Mit—⸗
glied sind.
Kapitel 53: Arbeitsnachweise und Verkehrslokale. Um für die Mit—
glieder der durch Kartellvertrag vereinigten Gewerkschaften einen vorteilhaften
411
Arbeitsnachweis zu errichten, sind die an den einzelnen Orten befindlichen
Mitglieder verpflichtet, diesen Nachweis nach Möglichkeit einzurichten. Die
einzelnen Gewerkschaftsverwaltungen müssen sie zu diesem Unternehmen anspornen
und unterstützen. In größeren Orten kann die Einrichtung des Arbeitsnachweises
entweder für eine oder mehrere Korporationen geschehen. In kleineren Orten
genügt ein Nachweis für alle Korporationen.
Die Gewerksgenossen verpflichten sich, den persönlichen Zuspruch um Arbeit
bei den Fabrikanten, Meistern und Arbeitgebern zu unterlassen und sich nur an
den Arbeitsnachweis zu wenden, überhaupt den Anordnungen der Verwalter des
Arbeitsnachweises zu folgen.
Die Kartellkommission hat die Verpflichtung, von Zeit zu Zeit statistische
Erhebungen über Arbeitsangebot und -⸗nachfrage in den einzelnen Orten zu ver—
anstalten und die Resultate dieser Erhebungen in dem dazu bestimmten Organ
zu veröffentlichen.
Die nötige Einrichtung für die einzelnen Arbeitsnachweisstellen wird von
der Kartellkommission getroffen.
Da das heute noch in den meisten Orten bestehende Herbergswesen oft in
keiner Weise den Bedürfnissen der wandernden Genossen entspricht, auch durch
die gegnerische Stellung vieler Herbergswirte die gewerlschaftliche Bewegung
nicht gefördert wird, so beschließen die sich im Kartellvertrag befindlichen Gewerk⸗
schaften, die Errichtung von Verkehrslokalen kräftigst zu fördern und namentlich
die Genossen des betreffenden Ortes mit Rat und Tat zu diesem Zweck zu unter⸗
stützen. Die Errichtung von Verkehrslokalen soll durch die Kartellbehörde
systematisch in Angriff genommen und von den betreffenden Gewerksgenossen
des Ortes praktisch ausgeführt werden.
Hauptbedingung bei Exrrichtung der Verkehrslokale ist, dieselben der Neuzeit
entsprechend einzurichten und zur Stätte gemütlichen Umganges zu machen, so
daß die Einkehr der am Orte ansässigen wie die der wandernden Genossen
veranlaßt wird.
Kapitel 6: Gemischte Gewerkschaften. Da die einzelnen Gewerk⸗
schaften in vielen kleineren Orten nicht imstande sind, Zahlstellen zu errichten
wegen der geringen Zahl der dort lebenden Berufsgenossen, so beschließen die
im Kartellvertrag stehenden Gewerkschaften an solchen Orten, wo nicht mindestens
zehn Berufsgenossen sind, gemischte Gewerkschaften zu errichten, zu welchem Zweck
die Kartellkommission ein Statut auszuarbeiten hat. (Siehe Normalstatut.)
Die Beiträge dieser gemischten Gewerkschaften fließen in die Kartellkasse.
Die Kartellkommission gilt für sie als Verwaltung. Wandernde Mitglieder solcher
gemischten Gewerkschaften haben das Recht, in Orten, wo ihre eigne Korporation
Mitglieder hat, denselben ohne Einschreibegebühren beizutreten, sofern sie ihre
Beiträge bis zum letzten Monat an die Kasse ihrer Lokalvereinigung gezahlt haben.
Kapitel7? Die Generalversammlungen der Gewerkschaften
und der Kongreß für sämtliche Gewerkschaften. Die zu dem unter
Kapitel 1 bis 6 (oder einigen der angeführten Kapitel) im Kartellvertrag stehenden
Gewerkschaften bestimmen regelmäßig den Ort und die Zeit, wo, wann und wie
oft sie ihre Generalversammlungen abhalten wollen, sowie ob sie im Anschluß
daran für ihre Gewerkschaften einen allgemeinen Gewerkschaftskongreß einberufen
wollen, auf welchem selbstverständlich nur die Delegierten der dem Kartellvertrag
angehörenden Gewerkschaften Sitz und Stimme haben.
— 412
Kapitel 8: Kranken- und Sterbekassen. Da die bestehenden Kranken⸗
und Sterbekassen größtenteils den gegenwärtigen Verhältnissen nicht mehr ent—
sprechen, auch auf Grund des Gesetzes über die Hilfskassen bei den meisten eine
Umänderung vorgenommen werden muß, so erklären die verbündeten Gewerk—
schaften es für das zweckmäßigste, eine allgemeine Zentralkranken- und Sterbekasse
für sämtliche Gewerkschaften einzurichten.
Kapitel 9: Kartellkommission. Dieselbe besteht aus sieben Personen:
zwei Vorsitzenden, vier Beisitzern, einem Kassierer, der zugleich Sekretär ist. Ihre
Wahl, die Bestimmung ihres Sitzes und etwaiger Gehälter erfolgt durch den
allgemeinen Gewerkschaftskongreß aller dem Kartellvertrag angehörenden Gewerk⸗
schaften. Die Dauer der Amtstätigkeit der Kartellkommission ist zwei Jahre.
Sache der Kartellkommission ist:
In allen Angelegenheiten der Kartellverträge zu beraten und zu
beschließen;
2. die Agitation zu leiten;
3. die Presse zu überwachen;
1. alle Streitigkeiten zwischen den einzelnen Gewerkschaftsvorständen usw.
zu schlichten
die Kasse zu überwachen und zu revidieren.
Die Kartellkommission erhält eine Anzahl Ersatzmänner, welche in einer
allgemeinen Gewerkschaftsversammlung desjenigen Ortes, wo die Kommission
ihren Sitz hat, gewählt werden. Ihre Zahl bestimmt der Gewerkschaftskongreß.
Die Ersatzmänner können den Kartellkommissionssitzungen mit beratender
Stimme beiwohnen, nötigenfalls rücken sie in die Stelle von ausgeschiedenen
Kommissionsmitgliedern ein.
Die Kartellkommission gibt sich ihre Geschäftsordnung selbst.
Kapitel 10: Kongreß. Dieser hat mindestens alle zwei Jahre in der Zeit
vom 15. Mai bis 31. Juli stattzufinden.
Seine Einberufung erfolgt seitens der Kartellkommission. Die Einberufung
ist den am Kartellvertrag beteiligten Zentralbehörden der einzelnen Gewerkschaften
drei Monate vorher, öffentlich jedoch mindestens acht Wochen vorher, bekannt zu
machen. Anträge, welche auf die Tagesordnung kommen sollen, müssen mindestens
fünf Wochen vorher der Kartellkommission zugehen, welche dieselben mindestens
drei Wochen vorher in dem dazu bestimmten Organ bekannt zu machen hat.
Sache des Kongresses ist: die Kartellkommission zu wählen, die Zahl der
Ersatzmänner zu bestimmen und als endgültig maßgebende Behörde über alle
Vertragsangelegenheiten zu beschließen.
Kapitel 11: Schlußbestimmungen. Gewerkschaften, welche den vor—
stehenden Kartellverträgen beigetreten sind, können, wenn darüber bei den Mit⸗
gliedern die Urabstimmung stattgefunden hat, den Vertrag nach einer vorherigen
Aufkündigung von drei Monaten ganz oder teilweise wieder aufheben.
Ebenso steht es Gewerkschaften frei, wenn einzelne Kartellverträge für sie
unvorteilhaft sind, auch nur auf einzelne Teile derselben einzugehen.
Gewerkschaften, welche ihre Verpflichtungen gegen die Kartellbestimmungen
nicht erfüllen, sind von denselben ausgeschlossen.
Verzeichnis der benutzten Citeratur.
Als Quellen für den ersten Teil unsrer Geschichte wurden neben
den als „Anlagen“ abgedruckten Urkunden nachstehend aufgeführte Werke
benutzt:
Friedrich Eugels: „Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des
Staates.“ Vierte Auflage. Stuttgart 1892.
Georg Ludwig v. Maurer: „Geschichte der Markenverfassung in Deutschland.“
Erlangen 1856.
Von demselben: „Geschichte der Fronhöfe, der Bauernhöfe und der Hofverfassung
in Deutschland.“ Vier Bände. Erlangen 1862.
Von demselben: „Geschichte der Dorfverfassung in Deutschland.“ Zwei Bände.
Erlangen 1865.
Vom demselben: „Geschichte der Städteverfassung in Deutschland.“ Vier Bände.
Erlangen 1869.
Ernst Mummenhoff: „Der Handwerker in der deutschen Vergangenheit.“ Leipzig 1901.
Hermann Duncker: „Das mittelalterliche Dorfgewerbe nach den Weistumsüber⸗
lieferungen.“ Leipzig 1908.
Karl Kautsky: „Die Vorläufer des neueren Sozialismus.“ Stuttgart 1895.
Bruno Schoenlank: „Soziale Kämpfe vor dreihundert Jahren.“ Leipzig 1894.
Georg Schanz: „Zur Geschichte der deutschen Gesellenverbände im Mittelalter.“
Leipzig 1876.
C. Wehrmann: „dDie älteren lübeckischen Zunftrollen.“ Zweite verbesserte Auflage.
Lübeck 1872.
„Festschrift und Urkundenbuch zum 800jährigen Gedenkfeste der Zimmerer⸗Innung
zu Breslau.“ Breslau 1894. Ist im Buchhandel nicht erschienen.
Dr. Otto Zwiedineck-Südenhorst: „Lohnpolitik und Lohntheorie, mit besonderer
Berücksichtigung des Minimallohnes.“ Leipzig 1900.
Gustav Schmoller: „Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert.“
Halle a. d. S. 1870.
Dr. Moritz Meyer: „Geschichte der preußischen Handwerkerpolitik.“ Zwei Bände.
Minden i. W. 1884 und 1888.
Georg Eduard Herold: „Die Rechte der Handwerker und ihrer Innungen. Nach
den im Koönigreiche Sachsen gültigen Gesetzen zusammengestellt.“ Leipzig 1835.
Als Quellen für den zweiten Teil unsrer Geschichte wurden neben
einigen der vorstehend registrierten Werke noch die nachfolgend verzeichneten
benutzt:
Paul Kampffmeher: „Geschichte der modernen Gesellschaftklassen in Deutschland.“
Berlin 1896.
Franz Mehring: „Geschichte der deutschen Sozialdemokratie.“ Zwei Teile.
Stuttgart 1897 und 1898.
— 414 —
Dr. Herm. Zwick: „Jahrbuch über die Leistungen und Fortschritte auf dem Gebiete
der praktischen Baugewerbe.“ Leipzig 1870 bis 1876.
Werner Sombart: „Der moderne Kapitalismus.“ Zwei Bände. Leipzig 1902.
Otto Wiedfeldt: „Statistische Studien zur Entwicklungsgeschichte der Berliner
Industrie von 1720 bis 1890.“ Leipzig 1898.
Außerdem ist bei diesem Teile die Zeitungsliteratur unsrer Tage
herangezogen; insbesondere hat mir ein Artikel von Hermann Duncker in
Leipzig sehr gut getan, den derselbe 1899 für den „Zimmerer“ geliefert hat.
Als Quellen für den dritten Teil unsrer Geschichte wurden einige
der vorstehend registrierten Werke benutzt, daneben aber auch die nach—
stehend verzeichneten:
Max Quarck: „Die Arbeiterverbrüderung 1848 /49. Grinnerungen an die Klassen—
kämpfe der ersten deutschen Revolution.“ Frankfurt a. M. 1900.
Dr. Georg Adler: „Die Geschichte der ersten sozialpolitischen Arbeiterbewegung
in Deutschland.“ Breslau 1885.
Fduard Bernstein: „Die Geschichte der Berliner Arbeiterbewegung.“ Erster
Teil. Berlin 1907.
Gustav Jaeckh: „Die Internationale.“ Leipzig 1904.
„Briefe und Auszüge aus Briefen von Joh. Phil. Becker, Josef Dietzgen, Friedrich
Engels, Karl Marx u. a. an F. A. Sorge u. a.“ Stuttgart 1906.
„Das Kommunistische Manifest.“ Siebte autorisierte deutsche Ausgabe. Mit
Vorreden von Karl Marx und Friedrich Engels und einem Vorwort von Karl
Kautsky. Berlin 1906.
„Der Hochverrats-Prozeß wider Liebknecht, Bebel, Hepner.“ Berlin 1894.
Friedrich Engels: „Die Lage der arbeitenden Klasse in England.“ Stuttgart 1892.
Karl Mary: „Das Elend der Philosophie.“ Stuttgart 1892.
Karl Wilh. Tölcke: „Zweck, Mittel und Organisation des Allgemeinen deutschen
Arbeitervereins.“ Berlin 1878.
August Bebel: „Gewerkschaftsbewegung und politische Parteien.“ Stuttgart 1900.
Dr. Max Hirsch: „Die Arbeiterbewegung und Organisation in Deutschland.“
Berlin 1892.
Josef Dietzgen: „Erkenntnis und Wahrheit.“ Stuttgart 1908.
Heinrich Bürger: „Die Hamburger Gewerkschaften und deren Kämpfe von 1865
bis 1890.“ Hamburg 1899.
In der Hauptsache haben bei dem dritten Teile jedoch die Arbeiter—
zeitungen der Jahre 1868 bis 1878 als Quellen gedient; insbesondere
der „Sozialdemokrat“ und sein Nachfolger „Der neue Sozialdemokrat“,
„Demokratisches Wochenblatt“ und sein Nachfolger „Volksstaat“, sowie
„Der Vorbote“. Daneben „Der Pionier“ und einige neuere Artikel von
Franz Mehring und Eduard Bernstein in der „Neuen Zeit“.
415
Cine Sammlung
von Cehrbriefen und stundschaften (Arbeitsbescheinigungen)—
In den zünftigen Zeiten hatten die Lehrbriefe und Kundschaften
eine große Bedeutung, sie bildeten die Legitimation der Zimmergesellen,
selbst den Behörden gegenüber. Die Wanderbücher, welche im 19. Jahr—
hundert aufkamen, sollten die Lehrbriefe und Kundschaften ersetzen, wie
das weiter vorn abgedruckte Wanderbuch dartut (Seite 287), allein die
Zünfte kehrten sich nicht daran; sie gaben nach wie vor Lehrbriefe und
Kundschaften aus, und als rechtschaffener Zimmergeselle wurde von ihnen
nur derjenige betrachtet, der sich durch Lehrbrief und Kundschaft legitimierte.
Der Inhalt dieser Arbeitsbescheinigungen war allerwärts annähernd über—
einstimmend, die Ausstattung derselben war jedoch verschieden. Arme
Zünfte begnügten sich mit schlichten Handschriften, hingegen gestatteten
sich reichere Zünfte einigen Luxus. Hier folgen nacheinander:
1. Lehrbrief des Zimmergesellen Johann Ohlsen, ausgestellt am 15. März 1842
zu Flensburg. Das Original ist im Besitze desselben.
Lehrbrief des Zimmergesellen Heinr. Nürnberg, ausgestellt am 22. August
1865 zu Lübeck. Das Original befindet sich im Besitze desselben.
Kundschaft des Zimmergesellen Johann Laemmerhirt, ausgestellt am 10. März
1764 zu Salzungen. Das Original befindet sich bei den Urkunden der
Zimmergesellenschaft zu Altona a. d. E.
Kundschafts-Formular aus Speyer. Die Platte, wovon der angeschlossene
Abzug genommen ist, stammt aus der Zeit vor dem großen Speyerer Brande
im Jahre 1689; sie befindet sich in dem Besitze der Zimmergesellen zu Speyer.
Aelteres Kundschafts-Formular aus Kiel.
Neueres Knundschafts-Formular aus Kiel. Beide Druckplatten nebst
Gewerkschaftssiegel sind laut Protokoll über die außerordentliche Versammlung
der Mitglieder des Zimmervereins zu Kiel am 53. Oktober 1870 dem Alter⸗
tumsmuseum dortselbst geschenkt worden.
Kundschaft des Zimmergesellen Johann Pettzuig, ausgestellt am 27. Januar
1806 zu Bremen. Das Original befindet sich in dem Besitze der fremden
Zimmergesellenschaft zu Bremen.
Kundschaft des Zimmergesellen Johann Ohlsen, ausgestellt am 12. Juli 1842
zu Hamburg. Das Original befindet sich in dem Besitze desselben.
Kundschaft des Zimmergesellen Holst, ausgestellt am 12. Oktober 1863 zu Berlin.
Gezeichnet ist dieselbe von dem bekannten Kunstmaler Adolf Menzel im Jahre 1844.
Kundschaft desselben Zimmergesellen, ausgestellt am 18. März 1864 zu München.
Beide Originale befinden sich in dem Besitze von Johann Friedrich Holst.
Kundschaft des Zimmergesellen Johann Ohlsen, ausgestellt 1847 zu Kopen—
hagen (Dänemark). Das Original befindet sich in dem Besitze desselben.
12. Knudschaft des Zimmergesellen Johann Friedrich Holst, ausgestellt am
24. September 1864 zu Basel (Schweiz). Das Original befindet sich in dem
Besitze desselben.
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II. Rundschaft. ausqgestellt zu Kopenhaqen.
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12. Rundschaft. ausgestellt zu Basel.
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