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3803 (23
Sèlle und Fegfeuer
in Volksglaube,
Dichtung und Kirchenlehre
04n
Dr. Marcus Landau
Heidelberg 1909
Carl Winter's Universitatsbuchhandlung
ODerlags⸗Archiv Nr. 345.
Alle Rechte, besonders das Recht der Übersetzung in fremde Sprachen,
werden vorbehalten.
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*
Vorwort.
Zu keiner Zeit seit den Glaubenskämpfen des 16. und 17. Jahr—
hunderts haben sich die Völker Mitteleuropas für Religionsgeschichte
und religiöse Fragen so lebhaft interessiert, zu keiner Zeit sind die
Ertreme von starrem, unnachgiebigem Festhalten an altem Glauben
oder Aberglauben und entschiedener Verwerfung alles Metaphysi-
schen, nicht sinnlich Wahrnehmbaren oder durch Experiment zu Be—
weisenden einander so schroff und eifrig entgegengetreten wie in der
Gegenwart.
Ein FSriedensschluß in diesem Kampfe, eine Ausgleichung der
Gegensätze ist vielleicht einer fernen Zukunft vorbehalten, aber eine
Milderung, eine Art Waffenstillstand würde wohl durch eine bessere
Kenntnis von Entstehung und Wachstum aller Religionen, wie sie
eine vollständige Geschichte derselben bieten sollte, herbeigeführt wer⸗
den können.
Um ein solches Riesenwerk zu schaffen, bedarf es, wie Hermann
Usener von einer allgemeingültigen Philosophie der Religion sagte,
„einer Kenntnis des ungeheuren Stoffes, den das geschichtliche Leben
der Menschheit aufgespeichert hat, einer Ausdehnung in der Breite
der Erdbevölkerung und in die Tiefe der Geschichte“.'
Und für dieses allumfassende Werk ist mein Wissen nicht genü—
gend, mein Alter zu weit vorgeschritten. Deshalb habe ich mich auf
ein Kapitel daraus beschränken müssen, auf das Kapitel vom Glauben
an den Zustand des Menschen nach dem Tode, der vielleicht den
Grund und Kernpunkt aller Religion enthält. Aber auch da mußte
ich eine weitere Ausscheidung vornehmen und mich auf die Vor—
tellungen und Schilderungen der Strafen, der Straf- und Reinigungsorte
im Jenseits, und was damit zusammenhängt, beschränken, einesteils
um mein Werk nicht zu umfangreich werden zu lassen, andernteils
weil die Schilderungen der Belohnungsorte zu einförmig sind und
Vorträge und Aufsätze, Leipzig-Berlin 1907, 8. 60.
V
Dorwort.
zur Kenntnis von Wesen und Eigentümlichkeit der verschiedenen KRe⸗
ligionen zu wenig beitragen.
Nnur wo es sich um das Verhältnis der Seligen zu den Ver—
dammten handelt, oder wo die Quellen eine vollständige Ausscheidung
des auf Paradies oder Elysium Bezüglichen nicht gestatteten, habe ich
auch dieses in meine Darstellung einbezogen.
Uber das hier behandelte Thema sind in neuerer Seit ziemlich
biele Werke erschienen, aber sie sind vorzüglich für Fachleute bestimmt
und beschränken sich meistens auf ein Volk oder eine Keligion, auf
die theologischen oder auf die ethnologischen Clemente und haben die
Dichtung, mit Ausnahme der antik-klassischen, fast ganz vernachlässigt.
Ich gebe dagegen eine zusammenhängende, vergleichende Darstellung
des ganzen von mir abgegrenzten Teilgebiets nach allen seinen Be⸗
ziehungen, von den Wilden, die dem Toten Waffen und Nahrungs⸗
nmittel ins Grab legen, bis zu den Predigern, die in Ländern mo—
dernster Kultur ihren Gläubigen die Schrecken und Qualen der
Hölle schildern. Zu diesem Zwecke bin ich hauptsächlich auf die ältest⸗
oorhandenen, zum Teil erst in neuerer Zeit zugänglich gewordenen
Quellen zurückgegangen, habe aber nicht das aus jeder derselben
Zeschöpfte für sich behandelt, sondern den Stoff nach den einzelnen Pro⸗
oinzen dieses Glaubensgebiets sachlich und vergleichend geordnet und
die Zusammenhänge der verschiedenen Keligionen tunlichst berücksich⸗
tigt. Von jedem vVolke und jeder Religion gebe ich nur die wich—⸗
ligsten charakteristischen Details, denn eine vollständige Wiedergabe
aller Mythen, Legenden, Sagen, Kirchenlehren und Dichtungen hätte
den Umfang meines Werkes zur Ermüdung der Leser ungebührlich
ausgedehnt und die Übersicht erschwert.
Cine bestimmte Tendenz habe ich mir beim Beginne meiner Arbeit
nicht vorgesetzt, ich bin aber im Laufe derselben zu der Unsicht ge⸗
langt und hoffe auch der Leser werde sie sich aneignen, daß alle Re⸗
ligionen und Glaubensformen, bei aller Verschiedenheit von Rasse,
Aulturzustand und Dogma, doch wieder in einzelnen Vorstellungen
und Bräuchen so viele ähnlichkeit haben, daß sie mit Entlehnung oder
gemeinsamer Abstammung nicht erklärt werden kann. Da scheint
doch eine den Menschen angeborene gleiche Geistesanlage zugrunde
zu liegen.
Landau.
Inhalt.
Vorwort.......
CLite raturverzeichnis ..
Seite
.. .. IIITIV-
. . XII-XIX
J. Die Quellen unseres Wissens vom Jenseits.. 122
Cinleitung S. 1. Midrasch. Die Entstehung der
Disionen 3. Tendenziöse Visionen. Poetische Visionen 4.
Plato und Plutarch, Cicero und Plinius 5. Arda Wiraf,
Mohammed 6. Das Buch henoch 7. Der arme LCazarus,
Testament Abrahams, Petrus⸗Apokalypse 8. Visionen des
Paulus. Des Antonius 9. Des Dryhthelm 10. Des Surseus.
Tines lüderlichen Mönchs. Des Mönchs von Venlo 11.
Wettis und einer armen Frau 12. Euchars. Des Ber—
nold 13. Raiser Karls des Dichen 14. Des Mönchs von
Ensham. Thurcills, Alberichs, Godeskalks 15. Von Cãäsarius
Heisterbach mitgeteilte VDisionen. Vision Tnugdals (Tun⸗
dals) 16. Die Höhle des h. Patricius 17. Swedenborgs
pisionen. Satirische und humoristische Visionen 19. Um⸗
bildung und Ausschmückung der Visionen 21. Unsicherheit
der Chronologie 21. Kirchenlehre und theologische Werke.
Moderner Volksglaube 22.
II. dDie Entstehung von Bölle und Paradies....
Dantes Angabe 22. Das vierte Buch Esras. Runzes
vierfache Wurzel. Das Rätsel des Codes 25. Träume. Ge⸗
rechtigkeitsbedürfnis. Einteilung nach Stand im Jenseits 24.
Babylonischer Glaube 25. Chinesischer und arabischer Glaube.
Uaste und Samilie im Jenseits. Verschiedene Begriffe von Gut
und Böse 26. Mexikanischer Glaube 27. Ethische Wertung,
Egoismus. Materielle Genüsse im Jenseits 28. Sreuden
und Leiden 29. Cohn und Strafe im irdischen Leben bei
Juden und Indern 30. Bei Griechen 31. Melis Don
Chisciotti 32. Verschiebung auf Nachkommen bei Griechen 33.
Desgl. im Alten Testament. Opposition im Judentum 34.
22-38
T
Inhalt.
Seite
Wendung zum Jenseitsglauben 35. Theorie der Un—
rigennützigkeit. Provisorische Abrechnung 36. Gleichzeitig⸗
zeit verschiedenen Glaubens 37. Unglauben 38.
II. Wege und Führer zur Unterwelt.....
Viele, aber schwierige Wege. Aeneas und Gilgamesch 38.
Melanesische höllenreise. Markandeya Purana 39. Bra-⸗
silianer und Samoaner. Mitgabe von Schuhen. Todes—⸗
engel und Thanatos 40. Widerstand gegen den Todesengel.
Der Patriarch Abraham und der Todesengel 41. Unter⸗
haltung mit dem Todesengel. Puschan als Totenführer.
Der chinesische Drachenkönig 42. Thanatos. Das Abschnei⸗
den des haares. Schlaf und Tod 43. hermes (Merkur)
als Totenführer 44. Walküren, Jungfrauen der Parsen 45.
Engelscharen des Talmud 46. Etruskische Seelenschlepper 47.
Wasserfahrt der Malayen 49. Der Germanen und Grie⸗
chen, der Agypter 49. Charon 51. Dantes Engel-Fähr—
mann. Sährmann des Properz. Der Fährlohn 54. Der
heil. Clias und Nikolaus als Totenfährmänner. Ostfriesische
zage bei Hheine 56.
IV. Die Urteilsbrücke.
Brücke statt Fährmann 56. Rückerts Beschreibung. Orien⸗
talischer Ursprung der Brücke 57. Chinesische Brücken.
Persische Brüchen. Mohammedanische Brücke 5. KRauka—⸗
sische Bergijuden. Brücke bei Naturvölkern 59. Die Brücken
in christlichen Visionen 61. Gottschalk und Ramayana 63.
V.
Unterweltstore und Pförtner.
Der Eingang nach griechischen Schilderungen. Vulkane 65.
ingang nach indischer Mythologie. Desgl. nach
P. Rusca. Deutsche Mythologie, Talmud und Evangelien 67.
John Mandeville und Bischof Johannes. Pförtner:
Engel, Cöwen, Abraham, Cato, Die Sünde 68. Virgils
Allegorien 69. KRerberos (Cerberus) 70. Griechische und
römische Türhüter 74. Germanische hHöllenhunde 75. In⸗
dische Höllenhunde 77.
I. Topographie und Regierung der Unterwelt ...
Cinfachheit bei Naturvölkern 77. Die Agyptische Unter⸗
welt 78. Die Babylanische Unterwelt 79. Brahmanische
Unterwelt. Die Höllen der Buddhisten 80. Die keltische
Unterwelt. Die persische Unterwelt 83. Die altjüdische
Unterwelt 85. Die nachbiblische Unterwelt der Juden 87.
33 —56
56 - 64
64—2 77
77— 108
Inhalt.
VII
Seite
Die hölle der Mohammedaner 90. Die griechisch-römische
Unterwelt 91. Pluto 93. Hades und Tartarus 94. Virgils
schilderung 95. Bildliche Darstellungen. Die christliche
Unterwelt 96. Die Unterwelt nach katholischer Kirchen⸗
lehre 97. Größe und Vergrößerung der Hölle, in der Sonne
oder in einem Kometen 98. Die Monarchie des Teufels 99.
Darstellung des Theologen Rusca, Delepierre und Professors
Bautz 100. Die Unterwelt nach der Vision Tundals und
Hiacominos. Dies. nach Dante 101, nach Tasso 102,
nach Milton, nach Mopstock 103, nach Swedenborg 104.
Gewässer der Unterwelt 105. Lethe 107.
II. Gericht und Buchführung im Jenseits.6
Mängel der „Brücke“ 108. Gericht bei Negern. Ge⸗
richt bei Indern 109. Gericht bei Japanern 110. Agyp⸗
lisches Totengericht 110. Die Gerichtswage bei Indern,
Persern und Juden 113. Dies. in christlichen Volksliedern,
in Thurcills und Turpins Vision. Die Bücher beim
jüngsten Gericht 114. Die himmlische Buchführung nach
Bibel, Apokryphen und Talmud 115. Die Buchführung
nach einer Vision eines Kriegers bei Beda und nach der
eines englischen Presbyters 117. Die Bücher des Höllen⸗
fürsten 118. Das Gericht der kaukasischen Bergjuden 119.
Desgl. nach der mohammed. Tradition. Vision des Mönches
Isaak 119. Die Zeugen und Begleitengel 120. Der Schatten
als Zeuge. Das Unterweltsgericht der Griechen 122. Die
griechischen RKichter 123. Das Gericht nach Plato 124,
aach Homer und Lukian 125, nach Virgil und Plutarch 127,
aach Seneca 128, nach späteren Römern und nach Dante 129,
nach Marcellus Palingenius 130.
VIII. Die Verdammten und ihre Strafen..
Mannigfaltigkeit der Strafen 130. Verhältnis der
irdischen zu den Unterwelisstrafen 131. Sunahme und
Derschärfung der Strafen 152. Strafen für Vergehen gegen
Hötter und Priester 133. Bei ügyptern und bei Indern
134, bei Persern und bei Juden 135, bei Mohammeda—
nern 136, bei Christen 137. Das Seuer der Hölle 139.
s5trafen nach Jus talionis 141, Strafen bei Naturvölkern,
Babyloniern und Germanen 142, bei Slaven. Sündengat⸗
tungen 143. Die sieben Todsünden. Ekelhafte Kost als
ztrafe. Strafen nach Claudian und englischer Ballade,
nach Dante 144, für Ehebruch und für andere sexuelle
dergehen 145, für Mörder und Käuber 148, für Selbst—
108 - 130
30 - 172
VIII
Inhalt.
Seite
nörder und Diebe, für falsche Seugen, Meineidige, Lügner
und Verleumder 149, für Fälscher und Betrüger, für unge—
rechte Richter, Heuchler und Scheinheilige 150, für Stolze
und Hochmütige 151, für Verräter, unehrliche Ratgeber
und Zwietrachtstifter 151, Strafen für Grausame und
Tyrannen, Rebellen, schlechte Kinder und schlechte Eltern 152,
für Tierquäler, für habsüchtige und Geizige 155, für
Wucherer und Mitleidlose, für Unreinlichkeit 157, für
5chlemmer und Fresser 158. Strafen der Prétas. Chinesische
5trafen 159. Aügyptische und mohammedanische Strafen 160.
hitze und Kälte, Feuer und Sinsternis. Strafen bei Griechen
und Römern 161. Die Danaiden. Oknos. Irxion 163.
Salmoneus 164. Tityus, Sisyphus, Tantalus 165. Alle—⸗
gorisierende Erklärungen. Moderne Hypothesen 167. Die
berühmten Männer in der Unterwelt nach Cukian und
Kabelais 169. Die Teufel und Höllenschergen 170. Keine
Teufel im Fegfeuer 171.
IX. Die Ewigkeit der Höllenpein.. .
Ueine Ewigkeit bei Agyptern. Enorme Strafzeit bei
Buddhisten 172. Begrenzte Dauer bei Persern und Mo—
hammedanern. Ewigkeit nach Plato und Plutarch 173.
strafdauer nach Talmud und Apokryphen 174. Ewigkeit
nach christlicher Lehre 175. Die Unbarmherzigkeit in der
Ewigkeit 176. Verteidiger der Ewigkeit 177. CLeibnizens
und CLessings Meinung 178. Macrobius, Origenes und
die Gnostiker. Das Gewissen 179.
X. Ferien und Unterbrechung der Höllenqualen....
Motive einer mildern Behandlung bei Agyptern und
Buddhisten 181. Orpheus' Musik. Sabbatruhe nach dem
Midrasch 182. Ruhezeit nach Apokryphen und christlichen
Tegenden. Höllenfahrt der h. Jungfrau 183. Francesca
oon Rimini bei Dante. Ansicht des h. Thomas von Aquino
und des Kardinals Newman 184. Shakespeare und moderne
hVisionäre 185.
XI. Die Verdammten und die Seligen..
Mangel an Mitleid. Blutrache und Verfolgung durch
Beschädigte 186. Plato und Plutarch 187. Cazarus und
der Reiche. Jüdische Legenden und Esrabuch. Gräßliche
Schilderung Tertullians 188. Schadenfreude der Seligen 189.
DVerkehr der Engel mit den armen Seelen im Fegfeuer.
Motive der Schadenfreude der Seligen 190. Dialog des
1722 180
180 185
186 - 193
Inhalt.
IX
Seite
Honorius Augustodunensis 191. Angelsächsischer „Christ“.
Hebet bei der Totenmesse. Der Koran und die moham—
nedanische Tradition 192.
XII. Fegfeuer und Limbus.. **
Unterweltsräume bei Naturvölkern 193, bei Griechen
und Römern, nach Plato und Virgil 194. Fegfeuer
hei Parsen und Mohammedanern 195. Evangelien
und Kirchenväter. Papst Gregor der Große 195. UNa⸗
tholisches Dogma und römischer Katechismus. Fegfeuer
aach griechischer Konfession 197. Irdischer Zweck des Feg⸗
feuers und furchteinjagende Schilderungen 198. Limbus und
5choß Abrahams 199. Limbus der Kinder 200. Kinder
nach Virgil und Talmud. Kinder und Eltern 201. Marter
der Rinder 202. Die Geduld der Büßer im Fegfeuer 203.
XIII. Der Verkehr zwischen Toten und Lebenden....
Entstehung des Glaubens an diesen Verkehr. Dessen
dreifache Art 204. 1. Die Toten als Seinde. Bedroher
und Schädiger der Lebenden. Malaien und Naturvölker 205.
Babnlonischer Glaube und Totenbeschwörung. Rach—
süchtige Geister bei den Griechen 200. Eumeniden und
kächer des Mordes 207. Hamlets Vater und Banquo.
Die Geister bei Voltaire, Plautus und Plinius. Chinesischer
Hlaube 208. Schutzmaßregeln der Lebenden. Verbrennung,
gesselung, Verstümmlung, Täuschung der Toten 209. ügyp⸗
tischer Glaube 210. Menschenopfer bei unzivilisierten Völ—
zern 211, bei Mexikanern und Peruanern, bei Goten,
Ferulern und Galliern, bei Japanern 212. Menschen⸗
opfer bei den alten Griechen. Tieropfer, Sündenbock
213. Surrogate und Papiergeld. Briefe der Gallier 215.
Mmitgabe an Tote bei Slaven, Giljaken, Indianern
und Juden 216. Desgl. bei Tonkinesen, Peruanern und
GBriechen; Perianders Gattin, CLukians Spott 217. Die
Mutter des h. Augustinus. Erstlinge bei Juden, Malaien
und Abchasen 218. Totenfeste bei Mexikanern und Ja—⸗
panern, bei Slaven 219, bei Bulgaren und Kamtscha⸗
kalen, bei den alten Griechen 220, bei Römern; Lemu⸗
ria; der Mundus 221. Carven, Laren, Manes und
Cemuren 222. Ahnenbewirtung bei Indern, Ostjaken
und Mordwinen 223. Allerseelentag 224. 2. Die Toten
als Hhelfer, Schützer und Ratgeber. Chinesischer
Blauben 225. Totengespräche bei Juden. Die Toten als
Protektoren 226. Bei Naturvölkern, Indern und Baby—
193 - 203
204 273
Inhalt.
Seite
loniern 227, bei Griechen und Römern 228, bei Juden 229,
bei Christen; Heiligenverehrung 230. Heraufbeschwörung
der Toten. Odnsseus, Atossa 231. Desgl. bei Virgil,
Tucan, Seneca; Canidia 232. König Saul, Titus, Nero,
Taracalla. Gewerbsmäßige Totenbeschwörer 235. Besuche
in der Unterwelt 234. Irrtümer des Todesboten 235. Die
beiden Mirjam, Dante 236. 3. Die Toten als Hilfsbe—
dürftige und ihre Erlösung durchLebende. Budd hi⸗
stische Legende 236. Semele. Persephone 257. Orpheus und
Eurndike und die orphischen Geheimlehren 239. Ein indiani—
scher Krieger. Ein japanisches Götterpaar 242. Ein hawaischer
häuptling. Alkestis 245. Caodamia, Sisyphus 244. Istar und
Dumuzi 245. Venus und Adonis. Esklepios, Theseus und
Pirithous 247. Baldur. Burjätische Schamanen 248. Er⸗
lösung durch Gutmachung des Schadens. Der LCandgraf
oon Thüringen 249. Der feurige Kitter und Raiserin
Theophania. Moderne Erscheinungen aus dem Fegfeuer.
Das Totenhemdchen 250. Jüdische Erlösungen 251. Ab⸗
alom, Rischlakisch und die Räuber. Jüdische Erlösungs⸗
bedingungen 252. Gebet des Sohnes bei Brahmanen und
Hriechen, bei Juden 253. Erlösung durch Rabbi Akiba 254.
Das jüdische Raddisch-Gebet 2568. Bedeutung des
Amen bei Juden 256. Das Gastmahl im Paradiese. Das
Amen bei Mohammedanern 257. Verdammte außerhalb
der Hölle. Der Sünder im Eisblock. Erlösung des Kaisers
Trajan 258. Erlösung des Kaisers Antoninus. Prahlerei
des Simon b. Jochai 259. Ausräumung der Hölle. Das
gest im Paradiese 260. Würfelspiel des h. Petrus und
des Königs Khampsinit 2601. 4. Die höllenfahrt Christi.
Thristus und Orpheus. Andeutungen im Evangelium 262.
Erlösung der Gläubigen aus dem CLimbus 263. Angaben
der Kirchenväter. Angaben der Apokryphen 264. Agyp⸗
tischer Sinfluß. Das Nikodemus-CEvangelium 2685. Motiv
zur Bildung der Legende 267. Der bekehrte Übeltäter,
das „heute“ und die drei Tage. Erklärung der Gnostiker.
Ddie Höllenfahrt als Dogma 268. Protestantische Lehre 269.
Angelsächsisches Höllenfahrtsgedicht 270. Englische Höllen⸗
fahrtsdramen 271. Zweite Höllenfahrt Christi. Dante und
Frezzi über die Höllenfahrt. Höllenfahrt bei Kopstock
und Goethe 272.
XIV. Gewerbsmäßige Erlösung und Versicherung gegen
Unterweltspein.....22734288
Hratiserlösungen, Vermittlung der Priester 273. Ten⸗
Inhalt.
Xl
Seite
denziöse Schilderungen der Peinigungen und deren Nutzen.
Brahmanische und buddhistische Priester und Erlöser 274.
Malayen und Polynesier 276. Agyptische Priester. Ver⸗
icherung während des Cebens 277. Versicherung bei
Agyptern und Persern. Versicherung bei Mandäern 278.
Hriechische Mysterien 279. Ihr ethischer Wert 280. Dra—⸗
natisches bei den Mysterien 281. Reisepässe für die Unter—
welt 282. Christliche Mysterien 283. Begräbnis bei
Märtyrern und in Mönchskleidung 284. Bezahlte Er—
lösung und Sürbitte 285. Erscheinungen Toter. Der Wein
bei der Totenmesse 286. Der ungetreue Tempeldiener.
Furchteinjagende Schilderungen 287. Chinesische Seremonien.
Mittelalterliche Mirakelspiele und moderne Darstellungen
des Fegfeuers. Tolstoi in der Hölle 288.
OHersonenregister
289 296
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Einige bei der Korrektur übersehene Fehler:
5. 83. 8v. oben statt Memorian l. Memoriam.
27 15 „entsprachen J. entsprechen.
„12, 7v. u. st. Dümler l. Dümmler.
„50, 18 v. o. zwischen „ein“ und „Spielzeug“ ist einzuschalten: kleines
oder.
—A
I*
—
—
7
XB
α
— —
— — —
—— —
—
—
J. Die Guellen unseres Wissens vom Jenseits.
Die Vorstellungen, welche die Menschen sich von der Unterwelt,
dem „Jenseits“, und dem Zustande der Seelen Verstorbener gemacht
haben und noch machen, die Schilderungen, welche Verkünder und
Lehrer von Religionen, Dichter, Philosophen und Mythologen davon
entworfen haben, sind in zahlreichen theologischen, philosophischen und
poetischen Werken, in den heiligen Büchern der verschiedenen Reli—
gionen, in den Legenden von heiligen und Propheten, in Predigten
und Erbauungsbüchern enthalten. Soweit solche Vorstellungen bei
unzivilisierten Völkern oder im Volksglauben der zivilisierten fort—
leben, haben Reisende, Ethnologen und Solkloristen uns von ihnen
Kunde verschafft.
Eine Bibliographie aller Werke, welche Jenseits und Fortleben
der Seelen als hauptthema oder gelegentlich behandeln, kann hier,
wegen ihrer großen Zahl, nicht gegeben werden. Huch eine Chara—
kterisierung der verschiedenen Klassen dieser Quellenwerke ist nicht
erforderlich. Was Bibel und Veden, was Talmud, Koran, Avesta,
heiligenlegenden und Predigten sind, wer homer und Sophokles,
Pindar, Plato, Virgil und Cicero, Origenes, Papst Gregor der Große
und Thomas von Aquino waren, braucht dem Leser nicht gesagt zu
werden. Nur zwei AUrten der das Jenseitsleben hauptsächlich oder
gelegentlich behandelnden Werke — die Disionen und die Midra—
schim — sind so eigentümlich an Inhalt und Form und außerhalb
der Fachkreise so wenig bekannt, daß hier einige Aufklärung über
sie nicht überflüssig erscheint. Und dies um so mehr, als gerade sie
ausführlichere und mannigfaltigere Kunde vom Leben nach dem Tode
geben als die für inspiriert und heilig angesehenen kanonischen
vchriften mancher Religionen. Sind diese die ofsiziellen VPerkündigungen
und Urkunden, so kann man die zwei obengenannten Arten als die
offiziösen, Niemand verpflichtenden und von den Theologen häufig
Landau, Hölle und Fegfeuer.
Die Quellen unseres Wissens vom Jenseits.
nicht anerkannten Kundgebungen betrachten. Aber sie bringen mit—
unter die religiösen Tendenzen und Anschauungen des Volkes und
der Priester ihrer Zeit deutlicher zum Ausdruck als theologische Ab⸗
handlungen und kirchliche Vorschriften. Sie sind Dichtung und —
Hlauben.
Der Midrasch (plur. Midraschim), teils in hebräischer, teils in
aramäischer Sprache geschrieben, mit Beimengung oft entstellter grie—
chhischer und lateinischer Worte, enthält Legenden, traditionelle Er—⸗
zählungen und Anekdoten, Sentenzen und Gleichnisse, Schilderungen
des Jenseits, moralische Lehren, allegorische und erbauliche Aus—
legungen des Alten Testaments. Eigentliche Bibelexegese bietet er
kaum; sein Hauptzweck ist vielmehr Erbauung, Tröstung, Belebung
und Stärkung des religiösen und nationalen Gefühls. Er ist mit
den hagadischen (erzählenden) Teilen des Talmud verwandt, deren
Fortsetzung er gewissermaßen bildet. Auch er ist, wie Heine singt,
Keich an schönen alten Sagen.
Engelmärchen und Legenden,
stille Märtyrerhistorien,
Festgesänge, Weisheitsprüche,
Auch Hyperbeln, gar possierlich,
Alles aber glaubenskräftig,
Hlaubensglühend —
Aber der Midrasch ist europäischer als der Calmud. Er wurde
größtenteils im byzantinischen Reiche und in Unteritalien, in dem
langen Seitraum vom 6. bis zum 12. Jahrhundert verfaßt; doch
läßt sich für manche Midraschim nicht einmal das Jahrhundert ihrer
Tntstehung bestimmt angeben. Die inhaltreichsten Midraschim sind
nach den Büchern des EAlten Testaments betitelt. So 3. B. Midrasch
Bereschith (rabba) zu Genesis, Midrasch Samuel, Esther usw. zu den
gleichnamigen Bibelteilen. Ein Midrasch aus dem 8. Jahrhundert
für die Festtage führt den Titel Pesikta, ein anderer aus dem
9. Jahrhundert den Tanchuma oder Jelamdenu; die Midraschim
zum Pentateuch und den „fünf Rollen“ (Hoheslied, Ruth, Esther,
Prediger Salomo, Klagelieder) werden gewöhnlich rabbath (die großen)
genannt. Midraschartiges enthalten auch die Werke Sifra, Sifri und
Mechilta, die nicht jünger als das 4. Jahrhundert sein dürften.
sAndere jüngere kleine Midraschim lehnen sich weniger an die
Bibel an und haben einheitlichern Inhalt, als: Messiasprophezeiungen,
5childerungen des Weltgerichts, der Engel usw.
Rusgaben der Midraschim. Die Entstehung der Visionen. 3
In manchen Midraschim werden ausführliche Schilderungen des
Jenseits, seiner Cinrichtungen und Bewohner, der Freuden des Para⸗
dieses und der Qualen der Hölle gegeben, in anderen diese Orte und
ihre Bewohner nur gelegentlich in Legenden und Gesprächen anderen
Inhalts erwähnt. Visionen kommen fast nie vor, eigentliche höllen⸗
besuche werden selten als Quellen des Wissens vom Jenseits angegeben.
Es wird meistens ohne besondere Einleitung erzählt. Die ausführ—
lichen Cinleitungen und die persönlichen Erfahrungen des Erzählenden,
wie sie manche der antiken und christlichen Jenseitsvisionen enthalten,
fehlen im Midrasch.
Eine reichhaltige Susammenstellung älterer Midraschim, diese zum
CTeil ersetzend, bietet der Jalkut Schimeoni aus der ersten Hälfte des
13. Jahrhunderts, der 1687 und 1709 in Frankfurt a. O. gedruckt
wurde. Der Druck einzelner Midraschim hat aber schon am Anfange
des 16. Jahrhunderts begonnen. Viele kleinere hat der Wiener
Kabbiner Dr. Adolf Jellinek um die Mitte des 19. Jahrhunderts
unter dem Titel Beth-ha-Midrasch herausgegeben; gute HAusgaben
der Pesikta und mancher Midraschim hat man Salomon Buber und
M. Friedmann, eine gute, jedoch nicht vollständige deutsche Übersetzung
des Midrasch rabbath Dr. August Wünsche zu verdanken.“
Von den Apokalypsen, welche die Schicksale der Lebenden sowohl
als der Verstorbenen nach dem Jüngsten Gericht, dem letzten end—
zültigen Urteil Gottes prophetisch verkünden und beschreiben, und
meistens auch die Form von visionen haben, unterscheiden sich die
uns hier beschäftigenden mit dem Namen Visionen Gesichte) bezeich⸗
neten Schilderungen des Jenseits u. a. vorzüglich dadurch, daß sie den
gegenwärtigen Sustand der Toten in hölle, Fegfeuer und Paradies
beschreiben. Sie sind angeblich Berichte Lebender über ihre Besuche
im Jenseits oder über das im Traume davon gesehene. Gewöhnlich
werden die Besucher oder Träumer von einem Führer (Engel) durch
die über- und unterirdischen Räume geleitet. Es sind oft Priester,
Mönche, Wahrsager, welche von solchen Besuchen, seien es traumhafte,
seien es rein erfundene, ihren Gläubigen erzählen. Für ihre Berichte
benutzen sie mitunter auch die Jenseitsschilderungen römischer Dichter
und Mythographen.
Vergl. Zunz, Die gottesdienstlichen Vorträge der Juden, 2. Aufl.
Frankfurt a. M. 1892; A. Jellinek, Einleitungen zu Bet her-Midrasch
Teil J II III IV, Leipzig 1853 —57, Teil V VI, Wien 1873— 77 und
Dr. A. Wünsche, Einleitungen zu seiner Übersetzung, Leipzig 1880 ff.
1*
Die Quellen unseres Wissens vom Jenseits.
Die Visionen beruhen manchmal auf wirklichen lebhaften Träumen,
ekstatischen Zuständen, Erzeugnissen einer überhitzten, durch Lektüre
angeregten, durch Fasten und andere Kasteiungen krankhaft ge—
steigerten Cinbildungskraft. Und solche Zustände wurden häufig mit
Absicht hervorgerufen: Nordamerikanische Indianer bereiteten sich
durch längeres Fasten dazu vor. „Cin Lied des Kigveda“, sagt
Oldenberg, „schildert lebendig das orgiastische Treiben der alten
»edischen Welt, noch ganz in die rohen Formen des wilden Medizin—
männertums gebannt.“ Auch „die buddhistischen Texte geben ein
anschauliches Bild davon, wie man im Zeitalter des Buddha, fastend
und schwitzend, unter Kasteiungen, die den Körper aufs äußerste er—
chöpften, visionäre Erleuchtungen erwartete“.“
ühnlich trieben es die christlichen Mönche, besonders die in der
hebanischen Wüste, wo sie oft Dämonen sahen und in Verzückung
gerieten. Mitunter sind aber diese angeblichen Visionen ganz vom
Erzähler erfunden oder älteren Schilderungen nachgeahmt, zur
Besserung der Sitten, Erbauung und Belehrung, ja sogar zur bloßen
Unterhaltung bestimmt oder mit einer speziellen, leicht wahrnehm⸗
baren politischen, klerikalen oder auch antiklerikalen Tendenz. Stark
tendenziös ist ja auch die vollendetste, poetisch am höchsten stehende
Jenseitsvision — Dantes Göttliche Komödie.
„Man hat durch alle Jahrhunderte hindurch Gegner, Ketzer,
Bischöfe oder Könige im Jenseits leiden und anderseits Freunde und
berehrte Personen drüben in herrlichkeit gesehen. Es wurden der—
artige politische und kirchenpolitische Visionen geradezu ein beliebtes
Mitlel der Polemik, das häusig auch seine Wirkung erreichte.“?
Man sah in solchen Visionen manchmal lebende Personen Höllen—
trafen leiden. Da man Mächtigen nicht anders beikommen konnte,
suchte man sie durch die Höllenangst zur Zurücknahme von der Geist—
ichkeit schädlichen Maßregeln zu bewegen. Und „auch Mönche haben
Gesichte, deren Bedeutung sich gegen die Bischöfe kehrt oder mit denen
sie andere Ordensgenossenschaften bekriegen“. Besonders häufig waren
Rigveda X 136; Oldenberg, Keligion des Veda 405, 406; Maury,
La magie et l'astrologie S. 18.
von brahmanischen und buddhistischen Visionen und Berichten aus
der hölle gaben Lucian Scherman in seinen „Materialien zur Geschichte
der indischen Visionsliteratur“, Leipzig 1892 und Leon Feer, L'enfer
indien im Journal asiatique (5. VIII, T. 20, 5. IX, T. 1, 1892 - 93)
dankenswerte Nachrichten und Ruszüge.
Arnold Meyer, Die Auferstehung Christi; Tübingen 1905 8. 227.
Plato und Plutarch hermotimus).
derartige Visionen, als Appell an die öffentliche Meinung, die moderne
Presse ersetzend, im fränkischen Reiche.“
Anderer Art sind wieder die zum Teil auf altem Volksglauben
beruhenden, mit reicher Phantasie ausgeschmückten, Glauben nicht be—
anspruchenden poetischen Schilderungen des Jenseits von griechischen
und römischen Dichtern, wie sie sich am ausführlichsten im sechsten
Hesange der Aeneis und im elften der Odyssee finden.
Nächst der homerischen ist wohl die älteste erhaltene Jenseits-
schilderung die Platos. Er erzählt im zehnten Buche des „Staat“
(614-616) von dem Pamphnlier Er, Sohn des Armenios, der, in
einer Schlacht gefallen, zur Bestattung in die Heimat gebracht wurde.
zwölf Tage nach seinem Tode, gerade als er auf den Scheiterhaufen
gelegt wurde, erwachte er wieder zum Leben und erzählte, wie es
ihm die Richter in der Unterwelt befohlen hatten, alles, was er dort
gesehen und gehört hatte. Wir haben es jedoch hier wohl eher mit
einer Erdichtung Platos als mit der Vision eines Scheintoten zu tun.
Plutarch hatte nicht die Phantasie des genialen Philosophen und
wir können daher seinen Bericht von dem Cilicier Aridäus, in dem
er zum Teil Plato folgte, nicht als ganz erdichtet betrachten. Auch
gibt er an, ein Freund des Uridäus habe ihm erzählt, was dieser
ihm mitgeteilt hatte und scheint er selbst daran geglaubt zu haben
(un povq uödocç bpuv). Nach dieser Erzählung ist Aridäus, der ein
lasterhaftes Leben geführt hatte, nach dem Sturz von einer Anhöhe
drei Tage im Scheintod gelegen. Nach seinem Erwachen begann er
ein ganz frommes musterhaftes Leben zu führen und nahm den
Namen Thespesios an. Nach der Ursache dieser Bekehrung gefragt,
erzählte er, was er während seines Scheintodes, als er die Gesilde
der Seligen und den Ort der Strafe besuchte, vom Zustande der Seelen
nach dem Tode und der Bestrafung der Sünder erfahren und wie er
Adrastea, die Bestraferin der Frevler mit ihren drei Helferinnen
Poine, Dike und Erinnns gesehen habe. Die Erzählung hat, wie die
ganze Abhandlung „Von der späten Bestrafung durch die Gottheit“,
in der sie enthalten ist, eine moralische Tendenz.
Wie Plato die Erzählung von Er seinem „Staat“, so hat Cicero,
ihm folgend, den Traum (oder die Vision) des Scipio dem sechsten
Buche seiner „Kepublik“ eingefügt. Auch er verfolgt damit eine
moralische Tendenz, scheint aber, soweit aus den erhaltenen Frag-⸗
1 J
85. 263.
bß Die Quellen unseres Wissens vom Jenseits.
menten und dem Kommentar des Macrobius zu dieser Schrift sich
entnehmen läßt, nur die Belohnung der Guten und Gerechten im
Jenseits geschildert zu haben. Auch hat er die Schilderung eben nur
als erfundenen Traum angegeben.
Den Körper zu Hause zurücklassend, pflegte die Seele des Philo—
sophen hermotimus von Klazomene weite Keisen zu unternehmen,
bon denen sie nach der heimkehr allerlei Wunderbares zu erzählen
wußte. Einmal aber verbrannten seine Seinde während einer solchen
keise den Körper, und die arme heimgekehrte Seele fand keine Unter⸗
kunft mehr. Von ihren Keiseberichten scheint sich nichts erhalten zu
haben.“
VDirgils, Senecas und Lucians Unterweltsschilderungen bean—
spruchen nicht für wahr oder geträumt gehalten zu werden.
solchen Anspruch erhebt dagegen die jetzt noch von Parsen viel⸗
gelesene und für wahr gehaltene Schilderung der Unterwelt in dem
bdielleicht erst im 9. Jahrhundert von parsischen Priestern verfaßten
Buche des Arda Wiraf?. Es gibt sich zwar für den Bericht des
zur Lösung religiöser Sweifel seiner Gemeinde ins Totenreich ge—
sendeten frommen Parsi Arda Wiraf aus; da diesem aber vorher ein
narkotisches Getränk gegeben wurde, wodurch er in einen sieben⸗
tägigen Schlaf verfiel, so kann man den nach seinem Erwachen ab—
gestatteten Bericht über das während dieser Zeit in Himmel und Hölle
unter Führung des Feuerengels Gesehene, wenn nicht als bloße Er—⸗
findung der Priester, nur als Inhalt eines Traumes oder einer Vision
betrachten.
Ob Mohammeds in der 17. Sure des Koran erwähnte nächt⸗
liche Reise auf dem Wundertier El Borak eine Vision war oder
wirklich stattgefunden hat, worüber mohammedanische Theologen nicht
einig sind, haben wir hier nicht zu untersuchen. Auch hat sein Ritt
für uns kein Interesse, da er nach der Tradition wohl Jerusalem
und die sieben Himmel besucht hat, aber wenn überhaupt, jedenfalls
nicht damals in die hölle gekommen ist. Dante will ihn ja dort in
der neunten Abteilung des achten Kreises (Canto 28) gesehen haben.
UÜberaus reich an Visionen war das christliche Mittelalter, wie
ja auch schon früher jüdische Autoren das Jenseits in Visionen zu
Plinius, Hist. nat. VII 53.
The book of Arda Viraf. The Pahlavi text. ... with an english
translation and introduction by Martin Haug, assisted by E. W. West,
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ist 1887 erschienen.
Das Buch henoch.
schildern begonnen hatten. Mitunter sind solche von Christen um—
gearbeitet oder interpoliert worden. Als die älteste jüdische Vision
vom Jenseits erscheint uns das wahrscheinlich noch vor der Zerstörung
des Tempels zu Jerusalem von einem Juden in hebräischer oder
griechischer Sprache geschriebene Buch Henoch!, dessen Original aber
verloren gegangen ist. Nur einige Bruchstücke davon finden sich in
jüngeren hebräischen Schriften und vollständig erhalten ist es in einer
äthiopischen Übertragung einer griechischen in äügypten gemachten
Übersetzung aus dem Hebräischen. Sie wurde erst im 19. Jahrhundert
wieder aufgefunden und 1851- 53 von Dillmann mit Übersetzung und
Kommentar herausgegeben, ist aber schon früher von R. Laurence
ins Englische übersetzt worden. Eine deutsche Übersetzung des eng⸗
lischen Textes mit Kommentar gab A. G. hoffmann 1833438, eine
direkte aus dem äthiopischen wieder G. Beer in den von E. Rautzsch
herausgegebenen Apokryphen und Pseudoepigraphen des Alten Testa—
ments, Tübingen 1900. Jünger als die äthiopische aber unvoll⸗
ständiger und vielleicht schon christlich interpoliert ist die altslavische
bersetzung, welche 1896 von Morfill und Charles ins Englische über⸗
tragen wurde. Eine deutsche Übersetzung von zwei Versionen der—⸗
jselben hat N. Bonwetsch, unter Mitbenutzung der Morfillschen Über⸗
setzung, in den Abhandlungen der K. Gesellschaft der Wissenschaften
zu Göttingen (Neue Folge 1896 Bd. I S. 1-857) gegeben. Die slavischen
Texte sind 1880 von Popos, 1884 von Novakovpic herausgegeben
worden.?
henoch, Vater des Methusalem, dessen Tod im ersten Buche des
Pentateuch (vV22- 24) in rätselhafter Weise berichtet wird, blieb stets
eine geheimnisvolle Persönlichkeit, mit der sich die jüdische Sage be—
schäftigte und deren Prophezeiungen zur Zeit Christi unter den Juden
zirkulierten.“ Er scheint zu den vorzeitig Gestorbenen gerechnet
worden zu sein, denen auch Plato und Virgil einen besonderen Raum
im Jenseits zuweisen. Das ihm zugeschriebene Buch enthält eine
Schilderung seines Besuches im Jenseits unter Führung eines Engels
und eine Prophezeiung über das Jüngste Gericht, widmet aber der
In der Osterreichischen Wochenschrift, Wien 21. April 1905 hat
herr s. Spinner zu beweisen versucht, daß es erst im dritten Jahrhundert
in der Gegend des Don () geschrieben wurde.
Bonwetsch Einleitung S. 1-8; The Jewish Quarterly Review V
325-26, 493; Beers Cinleitung zu seiner Übersetzung II 217-18. Jellinek
Bet ha Midr. II sS. XXX.
s Epistel Judae J 14.
Die Quellen unseres Wissens vom Jenseits.
Geschichte der gefallenen Engel, allerlei astronomischen Spekulationen
und der Beschreibung des Paradieses mehr Raum als der der hölle.
Einen Bericht über die Unterwelt hätte man wohl von dem vom
Tode auferweckten armen Lazarus erwarten können, aber merk—
würdigerweise hat ihn die älteste christliche Mythologie nicht geliefert,
worüber sich schon Tennyson gewundert hat:
He told it not; or something sealed
The lips of that Evangelist.
(In Memorian XXXI.)
Erst gegen Ende des 15. Jahrhunderts erschien in dem in jenem
Jahrhundert oft gedruckten Calendrier des Bergiers der vielleicht
auf älterer Legende in Erweiterung von CLukas XVI 22 beruhende
Zericht, den der Auferstandene über das, was er in der hölle gesehen
hatte, auf Befehl Christi im Hhause Simons erstattet hat.“
In dem griechischen „Cestament Abrahams“, einer wahr—
scheinlich von Christen im zweiten Jahrhundert interpolierten älteren
jüdischen Schrift (derausgegeben von J. Armitage Robinson, Cam⸗
bridge 1892), wird erzählt, wie Abraham kurz vor dem Tode auf
jeine Bitte vom Erzengel Michael durch die Hhimmel geführt wurde,
oon wo er die ganze Welt überblickte. Diese Vision enthält auch eine
schilderung des göttlichen Gerichtshofs, aber keine der hölle.“
Die älteste ganz christliche Jenseitsvision dürfte die sogenannte
Apokalypse des Apostels Petrus aus der zweiten hHälfte des
zweiten Jahrhunderts sein, von der erst in neuester Zeit ein unvoll⸗
ständiger griechischer Pergamentkoder in einem Grabe zu Akhmim
in Oberägypten wieder aufgefunden wurde. Er scheint ein Bruchstück
aus einem größeren Werk zu sein und anstatt des bei den heidnischen
Agyptern gebräuchlichen Totenbuchs zum Schutze gegen böse Geister
und Unterweltsgefahren dem Toten ins Grab mitgegeben worden zu
sein. Christus läßt danach auf Bitten der Apostel zwei Selige von
wunderbarer unbeschreiblicher Schönheit erscheinen und zeigt jenen
dann das Paradies und den „Ort der Strafe“. In letzterem werden
die Sünder von Engeln (also nicht von Teufeln oder Dämonen) in
dunklen Gewändern gezüchtigt. Die Beschreibung des Straforts mit
seinen Qualen, die viel ausführlicher als die des Paradieses ist, wird
oon Petrus selbst gegeben und es ist nicht klar, ob letzteres nur von
1J. Mew, Traditional aspects of Hell 259; Th. Wright St. Patricks
Purgatory 167.
2 Jewish Quarterly Review VII 584 ff.
Dision des Paulus und des heiligen Antonius. 9
ihm allein gesehen wurde. Die beste Ausgabe dieses Visionstertes
hat O. v. Gebhardt (CLeipzig 1893) gegeben, Übersetzung und Kom⸗—
mentar Albrecht Dieterich, Tert und Übersetzung E. Preuschen.“
zchon im vierten Jahrhundert erwähnen Sozomenus in seiner
Kirchengeschichte und der heilige Augustinus eine Apokalypse oder
Dision des Apostels Paulus, die angeblich in dessen Hause zu
Tarsus gefunden wurde. Deren griechische Version hat Tischendorf
wieder aufgefunden und 1866 in Leipzig unter den Apocalypses
apocryphae herausgegeben. Eine syrische Version ist von Singerle
ins Deutsche übertragen worden. Im Mittelalter sind Übersetzungen
und Bearbeitungen in lateinischer, mittelenglischer und altfranzösischer
Sprache gemacht worden. Unter letzteren ist die des anglonormännischen
Mönchs Adam de Ros aus dem 12. Jahrhundert, Histoire de la
descente de Saint Pol aux enfers, besonders hervorzuheben.“
Obwohl im zweiten Korintherbriefe des Apostels (XlII 1-4)
nur seine Verzückung in den dritten Himmel erwähnt wird, gibt uns
diese Vision auch eine Schilderung seines Besuches der hölle, von dem
auch Dante (Inferno II 28) spricht. Führer des Paulus in der hölle
war der Erzengel Michael.
vielleicht aus derselben Zeit wie das Original der Paulus-Dision
stammt die des Patriarchen der Cinsiedler, des heiligen Antonius, der
in der zweiten Hälfte des dritten und ersten des vierten Jahrhunderts
lebte. Sie wurde von Bischof Palladius im Ansang des fünften Jahr⸗
hunderts in seiner, wegen der Widmung an den Hofbeamten Lausus,
Lausiakon genannten Sammlung von heiligen⸗ und Cinsiedler⸗
biographien aufgezeichnet.
Der heilige hat, nachdem er manche Kämpfe mit den Dämonen
glücklich bestanden hatte, ein ganzes Jahr lang zu Gott gebetet, er
möge ihm die Aufenthaltsorte der Gerechten und der Sünder offen⸗
baren. Aber sein Gebet wurde nur zum geringsten Teile erhört.
denn das Innere von hölle und Paradies hat er nicht zu sehen be—
kommen. Er sah nur einen großen schwarzen, bis zu den Wolken
reichenden Riesen mit bis zum himmel ausgestreckten händen, unter
dem sich ein ungeheurer See ausdehnte. Von den wie Vögel auf—⸗
wärts fliegenden Seelen wurden die, welche über Haupt und Arme
Nekyia, Beiträge zur Erklärung der neuentdeckten Petrusapokalypse,
Teipzig 1893. Erwin Preuschen, Antilegomena Gießen 1901.
2 B. Brandes, Über die Quellen der mittelenglischen Version der
Paulus-⸗Dision, in Englische Studien VII (1884) 8. 34 ff.
10 Die Quellen unseres Wissens vom Jenseits.
des Riesen hinaufgelangten, von Engeln gerettet, die, welche von
seinen händen getroffen wurden, stürzten in den See. Und eine
Sztimme rief: „Die über den Riesen fliegenden sind die Seelen der
Herechten, die von den Engeln fürs Paradies gerettet werden, die
von den händen des Riesen getroffenen versinken in die Hölle, weil
sie fleischlichen Genüssen frönten, rachsüchtig und nachtragend waren“.
Eine Sammlung visionen hat Othloh, ein bayerischer Mönch des
elften Jahrhunderts, verfaßt. Dieses Liber Visionum hat P. Wilmans
in den Monumenta germaniae historica Scriptores T. Xl heraus-
zegeben.
Die, wie erwähnt, im Mittelalter häufig gewordenen Visionen
wurden vom zwölften Jahrhundert an in ihren Schilderungen aus—
führlicher und phantasiereicher. Siemlich einfach sind noch einige in
Zedas „Kirchengeschichte der Cngländer“, aus dem Anfang des achten
Jahrhunderts.“
Im zwölsften Kapitel des fünften Buches erzählt er, wie der
fromme Dryhthelm in Northumbrien während einer schweren Krank⸗
heit in Scheintod verfiel, so daß man ihn für tot hielt. Als er dar—
aus erwachte, entflohen alle Anwesenden voll Schrecken, nur seine
Frau blieb mutvoll bei ihm. Er erzählte nun, wie er während des
scheintodes durch Hölle und Fegfeuer von einem Engel geführt worden
sei, wie er, von diesem für kurze ZSeit allein gelassen, höllische Angst
pürte, da er von Dämonen bedroht wurde. Die Vision machte auf
Dryhthelm so starken Eindruck, daß er nach seiner Genesung in das
Kloster Mailroß eintrat. Beda scheint von ihr durch den Eremiten
haemgils erfahren zu haben, dem sie Dryhthelm erzählt haben soll.
Wenn er schildert, wie die Teufel ihn mit ihren glühenden eisernen
Gabeln greifen wollen, wie das Rlagegeschrei der Verdammten und
das hohnlachen der Teufel verwirrend an sein Ohr schlagen und wie
er aufatmend den von fern wie ein Stern im Sinstern leuchtenden
rückkehrenden Geleitengel erblicht, der die Teufel davonjagt,
- apparuit quasi fulgor stellae meantis inter tenebras, qui paulatim
crescens et ad me ocius festinans, ubi appropinquavit dispersi sunt
et aufugerunt omnes — so erinnert man sich an zwei ähnliche Stellen
in Dantes Göttlicher Romödie: hölle XXI 70- 105, Purgatorium II
14-18.
Historia Lausiaca XXVII, Migne Patrologia, series graeca 34 58. 1076 —8.
Historia ecclesiasstice gentis Anglorum, Husgabe der English
historical society, Condon 1841.
Dision des Furseus und eines lüderlichen Mönchs. ii
Zum Jahre 653 berichtet Beda (IIl 19) wieder von der Vision
des sehr frommen vornehmen Irländers Furseus (Sursey), der in
diesen Jahre zu KRönig Sigbert nach Ostangeln gekommen ist.
Während einer Krankheit wurde seine Seele in einer von der Vesper
bis zum Tagesanbruch dauernden Ohnmacht von Engeln im Jenseits
herumgeführt und vor Teufeln und Flammen geschützt. Aber ganz
unverletzt ist er dabei nicht geblieben, denn er hatte etwas abzubüßen.
Er hatte sich nämlich einst das Kleidungsstück eines sterbenden Sün⸗
ders angeeignet — beileibe nicht aus Habsucht, sondern um dessen
Seele zu retten. Dafür traf ihn ein von den Teufeln geworfener
höllenbrand an Wange und Schulter, und so lange er lebte, hat er
die Brandmale davon nicht loswerden können.
Dazu bemerkt Beda, es sei doch wunderbar, daß man am VRörper
die Zeichen von dem wahrnahm, was nur die Seele erlitten hatte.
Recht lebhaft und anschaulich sind Kampf und Disput der Engel
mit den Teufeln in dieser Vision geschildert. Wenn aber Surseus
davon erzählte, pflegte er, selbst im strengsten Winter und leicht ge—
kleidet, in der Erinnerung an alles, was er gesehen, in Angstschweiß
zu geraten.
Endlich berichtet Beda (V14) auch von einem lüderlichen Mönch,
der, schwer krank, den anderen Mönchen erzählte, er habe die Ver—
dammten in der Hölle, im Seuer brennen und den dort für ihn selbst
bestimmten Platz gesehen. Trotz der Crmahnungen der Brüder wollte
er vor dem Tode keine Buße tun, denn, sagte er, es wäre für ihn
schon zu spät und seine Verdammung nicht mehr rückgängig zu machen.
In den Briefen des heiligen Bonifazius aus dem UAnfang des
achten Jahrhunderts und in seiner Biographie von Willibald wird
nach der Vision eines Mönchs im Kloster Venlo eine kurze Be—⸗
schreibung des Fegfeuers gegeben. Die hölle hat der glückliche Visionär
nicht zu sehen bekommen, nur das Klagen der Verdammten hat er
oon ferne gehört.“
In einer anderen, von Bonifazius mitgeteilten Vision erscheinen
—X Königs Osred von Northumbrien, und
eine Königin Wiala im Fegfeuer bis an die Achseln in Flammen
gehüllt.?
zehr interessant ist die in zahlreichen handschriften erhaltene,
von Abt haito in Prosa aufgezeichnete, von Walafried Strabo in
C. Fritzsche, Die lateinischen Visionen II- 275, Delpierre, L'enfer S. 41.
J. M. Cappenberg, Geschichte von England, Hhamburg 1834, 1 206.
Die Quellen unseres Wissens vom Jenseits.
Verse umgearbeitete Vision des Mönchs Wetti aus dem Kloster
Keichenau.“ J
—
Nach dieser hat Wetti kurz vor seinem am 3. Oktober 824 er⸗
folgten Tode, von einem Engel geleitet, Himmel, Fegfeuer und hölle
durchwandert und auch gesehen, wie arg Karl der Große und viele
Heistliche für ihre geschlechtlichen Sünden gepeinigt wurden. Zu
unserer Beruhigung teilt uns jedoch der gute Mönch mit, daß der
Kaiser, in Berücksichtigung seiner sonstigen Frömmigkeit und seiner,
der heiligen Kirche geleisteten Dienste, später ins Paradies ge—
langen wird.
Diese Vision hat wegen der Keckheit, mit der darin der große
Kaiser behandelt wurde, einen außerordentlichen Eindruck auf die
zeitgenossen gemacht.
Minder interessant, aber als vielleicht älteste Vision mit politisch
klerikaler Cendenz aus der Karolingerzeit bemerkenswert, ist die in
mehreren Handschriften mit der gleichzeitigen Wettis verbundene Vision
einer armen Frau. KHuch sie hat im Fegfeuer Karl den Großen
und ferner die unter der Last von drei Mühlsteinen jammernde
Kaiserin Irmgard (f 818) gesehen. Von dieser wurde sie beauftragt,
zu ihrem Gatten, Kaiser CLudwig, zu gehen und ihn zu bitten, doch
etwas für ihre Erlösung zu tun. Auch wie dem Raiser Karl durch
reichliches Almosen geholfen werden könnte, gibt der „armen Frau“
der sie begleitende Engel an.“
Ob der Irmgard geholfen wurde, wissen wir nicht, aber
Kaiser Karl ist nicht lange in der Pein geblieben. In einer dem
krzbischof Turpin zugeschriebenen Dision erscheinen schon die
heiligen Jakob von Compostella und Dionysius von Paris und legen
alles Material, das der Kaiser zum Bau und zur Verzierung von
Kirchen gewidmet und was er sonst „zur Ehre Gottes“ getan hat,
in die Wagschale und dies überwiegt so sehr alle seine Sünden, daß
die Teufel, die ihn schon in ihren Krallen zu haben glaubten, beschämt
abziehen müssen, während seine Seele von Engeln in den himmel
getragen wird.“
Beide Texte sind abgedruckt in Dümlers Poetae latini aevi Carolini,
Berlin 1884, I1 2608 - 75, 308 - 33.
Wattenbach, Deutschlands Geschichtsquellen im Mittelalter 52 1 260.
Wattenbach a. a. O.
J. Collin de Plancy, Dictionnaire infernal, Brũssel 1847 s5. 5301 -4,
nach Mspt. der Pariser Nat.⸗Bibl. Ur. 2147; Delpierre, L'enfer S. 43 nach
Acta Sanctorutn Ord. st. Benedictũ I 263.
Oision Bernolds.
13
Ob sein Großvater Karl Martel, der viel Kirchengut säkularisiert
hat, aus dem Fegfeuer, wo ihn Bischof Eucher in einer vision ge—
sehen haben will, schon herausgekommen ist, weiß man nicht. Da
aber dieser Bischof drei Jahre vor Martel gestorben ist, hält man
diese Vision für ein Machwerk des Erzbischofs Hinkmar (f 882),
der unter den Nachfolgern Kaiser Cudwigs des Frommen eine so
große politische Rolle gespielt hat und der mit dieser Vision sie durch
das Beispiel ihres Ahnen von Beraubung der Kirche abschrecken
wollte.“
Angeblich von hinkmar aufgezeichnet, aber wahrscheinlich auch
don ihm verfaßt, ist die dem Bernold oder Berthold, einem Bürger
oon Reims, zugeschriebene, höchst sonderbare pision, die dieser gehabt
haben soll, als er während einer Krankheit vier Cage wie tot dalag.
Er sieht zuerst den Erzbischof Ebo von Reims und vierzig Bischöfe
in zerlumpten, schmutzigen, angebrannten Kleidern, bald vor Kälte
mit den Zähnen klappernd, bald vor Hitze schwitzend und gebräunt.
Tbo bittet ihn, zu seinen Klerikern und zu Laien zu gehen und sie
aufzufordern, für ihn und seine Genossen Almosen zu geben, Gebet
und Opfer darzubringen. Bernold richtet den Auftrag aus (in der
pision!) und kehrt dann zu den Bischöfen zurück, die er mit leuch⸗
lenden Augen, frisch rasiert und gebadet in langen weißen Kleidern
nit Sandalen an den Füßen findet. Dann sieht Bernold an einem
finsteren Ort König Karl den Kahlen in Schmutz und Fäulnis liegen.
Die Würmer haben ihn so zerfressen, daß nur Nerven und Knochen
von ihm geblieben sind. „Bitte den Erzbischof hinkmar, sich für mich
zu verwenden“, sagt ihm Karl, „ich leide so, weil ich seine und
anderer Wohlmeinenden Ratschläge nicht befolgt habe.“ Bernold
richtet auch diesen Auftrag aus und findet bei seiner Rückkehr den
Aönig an einem glänzenden Orte mit gesundem Körper und prächtig
gekleidet.?
Cigentümlich ist es, daß dieser Visionär auch als Kleiderlieferant
erscheint.
Ahnliche Botschaften verrichtet Bernold für andere Verdammte
und findet sie bei seiner Rückkehr von den Qualen befreit, geheilt,
zereinigt und weiß gekleidet.
Das alles, sagt Hinkmar, hat er von Bernolds Beichtvater gehört
und er glaube ihm um so mehr, weil er äühnliches in den Dialogen
Dict. infernal S. 139; Fritzsche IIIS. 340.
Sritzsche III 341, Dict. infernal 93, Epistolae Hincmari archiep. II 806, bei
Migne Patrologia lat. CXXV Bd. J von hinkmars Werken S. 1115 - 1119.
1
14
Die Quellen unseres Wissens vom Jenseits.
des heiligen Gregor, in Bedas Historia Anglorum, in den Schriften
des heiligen Bonifazius und in den Offenbarungen des Mönches
Witino (Wetti?) gelesen habe.
zum Teil mit mönchischer, aber mehr noch mit politischer Ten—
denz ist die von Wilhelm von Malmesburny! in seiner Geschichte der
englischen Könige mitgeteilte, Kaiser Karl dem Dicken zugeschriebene,
im Dictionnaire infernal eine politische Broschüre genannte vision.
Der Kaiser wird, wie in der angeblich von ihm selbst verfaßten
schilderung berichtet wird, von einem glänzend weiß gekleideten
Engel wie in einem Traum durch die Reiche des Jenseits geführt;
im Cabyrinth der Straforte leitet ihn ein von einem wie ein Komet
helleuchtenden glänzenden Knäuel sich abwickelnder Ariadnefaden.
Er sieht im Fegfeuer seinen Vater Cudwig den Deutschen, sowie die
Prälaten und Räte, die ihm schlechten Kat gaben und Zwietracht in
einer Samilie stifteten. Sie stehen, wohl nach dem Grad ihrer Sünd—
haftigkeit, bis zum Nabel, zum Kinn oder zum Scheitel im Strome
glühenden Metalls, Ludwig selbst steht abwechselnd einen Tag in
iedendem, den anderen in lauwarmem Wasser. Diese Vergünstigung
hat er der Fürsprache der Familienpatrone, Apostel Paulus und
sankt Remigius, zu verdanken. Die vollständige Erlösung könnte
er nur durch Gebete der Geistlichkeit und Almosen Karls erlangen.
Im Paradiese sieht dieser seinen Oheim Cothar (f 855) auf einem
riesigen Topas sitzen, die Krone auf dem Hhaupte, und ebenso ge—
schmückt dessen Sohn CLudwig. Lothar verkündet ihm, daß er nicht
nehr lange regieren und leben werde und befiehlt ihm, seinen Tochter⸗
sohn CLudwig durch Belohnung mit dem glänzenden Knäuel zum Nach⸗
folger einzusetzen. Karl tut, wie ihm geheißen, worauf er sofort sehr
müde und voll Angst erwacht. Dann schließt er seinen Bericht mit
der Verkündigung, daß Gott diesem Enkel LCothars das ganze
römische Reich gegeben und Jedermann sich diesem göttlichen Befehle
zu fügen habe. Und diese Verkündigung ist der Zweck des ganzen,
dem Kaiser zugeschriebenen Visionsberichts, wie Fritzsche meint, „das
Machwerk einer Partei, welche die Nachfolge Ludwigs von Burgund,
des späteren Kaisers Cudwig III., wünschte“.
Matthäus Paris, Mönch im Rloster St. Albans, erzählt in seiner
distoria major genannten Chronik zum Jahre 1196 von einem
Mönch von Evesham (richtiger Ensham), der fünfzehn Monate
Ex gestis regum Anglorum, in Monumenta Germ. historica,
Scriptores T. X B. II 458 ff.; Dict. infernal 139 40, Fritʒsche S. 344 - 45.
Dision des Mönchs von Ensham, Vision Thurcills, Alberichs ꝛc. 15
schwer krank lag und eines Morgens ohnmächtig und aus der Nase
blutend aufgefunden wurde. Nach zwei Tagen kam er vollständig
genesen zum Bewußtsein und erzählte den anderen Mönchen auf ihr
dringendes Bitten, wie er nach langem heißen Beten, Buße und CLeiden
— Auspeitschung durch einen Engel — gewürdigt wurde, unter dessen
Führung das Jenseits zu durchwandern, und was er in Hölle, Seg⸗
feuer und Paradies gesehen hat.
zum Jahre 1206 erzählt wieder Matthäus die Pision des eng—
lischen Landmanns Thurcill aus der Grasschaft Esser, der zum Dank
für seine Gastfreundschaft von dem heiligen Julian, dem Beschützer
der Reisenden, aus dem Schlafe geweckt und körperlos durch Hölle,
Fgegseuer und Paradies geführt wurde. Erst nach 48 Stunden kehrte
die Seele in den Körper zurück, Thurcill erwachte und erzählte, was
er alles gesehen hatte.“
Von besonderem Interesse für uns ist eine Vision, die Alberich,
der Sohn eines Barons in der römischen Campagna, als Knabe von
neun Jahren gehabt haben soll, weil Dante unzweifelhaft manches
aus ihr für seine Göttliche KRomödie entnommen hat. Alberich, der
neun Tage und neun Nächte in Verzückung gelegen ist, fühlte sich in
die höhe gehoben und von St. Petrus und zwei Engeln durch die
Unterwelt geführt. Er ist später ins Kloster von Monte Cassino ge⸗
treten und hat seine Vision dem Mönche Guido, der sie aufzeichnete,
erzählt. Gedruckt wurde sie erst 1814 und seitdem hat sie die Dante⸗
forscher viel beschäftigt.“
Aus einer von dem Pfarrer zu Neumünster gegen Ende des
zwölften Jahrhunderts aufgezeichneten Vision eines gewissen Godes⸗
kalk (Gottschalk), der fünf Tage scheintot gelegen ist, hat Leibniz
in seinen Scriptores rerum Brunsvic. J. 870ff. Kapitelüberschriften und
Auszüge mitgeteilt, wovon gelegentlich der Brücke später die Rede
ein wird.
40
F
An die Hision des Furseus (oben S. 1)) erinnert die vom Seit⸗
genossen des Matthaus Paris, dem wundergläubigen Cäsarius,
zisterzienserprior von heisterbach (f 1244), in seinem Dialogus mira-
culorum erzählte Vision eines Priesters. Auch dieser hatte es unter⸗
lassen, für die Seele eines Pilgers zu beten, der ihm vor dem Tode
als Entlohnung dafür seinen Mantel geschenkt hatte. Den Mantel
holten nun, wie er in seiner Vision sah, die Teufel aus einem Winkel
Delpierre 88, 96; Thomas Wright St. Patricks Purgatory 41.
Wright 118, Delpierre 55, 62; Urauß, Dante 426, 433.
6 Die Quellen unseres Wissens vom Jenseits.
der Hölle hervor, tauchten ihn in siedende Jauche und bearbeiteten
damit Gesicht und hals des nachlässigen Priesters. a
Eine andere von Cäsarius erzählte Vision scheint eigentlich ein
Katzenjammer gewesen zu sein. Ein Pilger hatte sich so betrunken,
daß man ihn für tot hielt. Nachdem er seinen Rausch ausgeschlafen
hatte, behauptete er, in der Hhölle gewesen zu sein und gesehen zu
haben, wie man den Abt von Corvey dahin brachte, dem „der Fürst
der Finsternis“ in einem feurigen Kelch heißen Schwefel zu trinken
gab. Er notierte sich Tag und Stunde seines Kausches und erfuhr
dann, in seine Heimat zurückgekehrt, daß der Abt gerade zu dieser
Stunde gestorben sei.“
Was (äsarius vom Abt von Morimund erzählt, wird von ihm
nicht als Vision, sondern als wirklicher Höllenbesuch aufgefaßt. Es
wird daher davon weiter unten bei den Besuchen die Rede sein.
Eine der umfangreichsten und vielleicht die am weitesten in zahl⸗
reichen Bearbeitungen und Übersetzungen verbreitete Vision ist die,
welche der irländische Edelmann Tundal, in den ältesten Texten
Tnugdal genannt, angeblich 1149 gehabt haben soll. Dieses Datum
gibt Dincenz von Beauvais im 27. Buche seines Speculum historiale
an, wo er der Vision 17 Kapitel — sieben Großfolioseiten im Druck
von 1624 — widmet. Sie scheint aber älter, als Vincenz angibt, zu
jein und ist der lateinische Text wahrscheinlich auf einen älteren irischen
zurückzuführen. Endgültig fixiert wurde die lateinische Version zwischen
148 und 1160 in Süddeutschland.
Als Hutor nennt sich ein Frater Marcus, der angibt, die Vision
jsei ihm von Tundal selbst erzählt worden. Dieser vornehme und
wohlhabende Mann, der aber hartherzig und habsüchtig war und
ein ziemlich leichtfertiges Leben führte, bekam einmal von einem nicht
zahlungsfähigen Schuldner einen Schlag mit der Axt, der ihn be—
sinnungslos machte. Erst nach drei Tagen erwachte er aus seiner
Ohnmacht, bekehrt und bereuend. Er beichtete, verteilte sein Ver—
mögen an Arme und erzählte dann, was mit ihm während seiner
Ohnmacht vorgegangen sei. Zuerst hätten ihn Teufel angegriffen,
dann sei ihm ein Engel, der Schutzgeist, der ihn im Leben begleitet
Dialogus, Dist. XII 42, 40.
silbrecht Wagner, Visio Tnugdali, Erlangen 1882 8. XXIL-XXIII.
Adolfo Mussafia, Sulla visione di Tundalo, in Sitzungsberichte der kais.
fkademie der Wissenschaften, philos.-hist. Klasse, Bd. 67 s. 157— 206,
Wien 1871.
2
Die Höhle des heiligen Patricius.
17
und vergebens gewarnt hatte, als schöner junger Mann erschienen,
habe ihn vor den Teufeln geschützt und durch die Käume des Jenseits
geführt. Zeitweilig wurde er aber vom Führer allein gelassen, und
da konnten die Teufel ihn ungehindert plagen. Der Engel belehrte
ihn dann bei seiner Rückkehr, daß Gott zwar barmherzig sei, der
Sünder aber seiner Strase nicht entgehen könne, ermahnte ihn, sich
das Gesehene zur Lehre dienen zu lassen und verließ ihn. Im selben
Moment fuhr seine Seele wieder in den Körper hinein.
Die Episode von König Cormarcus (Kap. 99 bei Vincenz), der
täglich eine Stunde qualfrei ist und 23 Stunden bis zum Nabel im
Feuer sitzen muß, weil er seine Ehe und einen Eid gebrochen hat,
aber auf goldenem Throne in einem prachtvollen Gebäude sitzt, weil
er sehr wohltätig war, scheint mir mit bestimmter persönlicher Ten—
denz eingeschoben zu sein.
Delpierre meint, daß, wenn man Benützung von Visionen durch
Dante annehme, eher an die Tundals als an Alberichs oder andere
Disionen zu denken sei. Ich finde im Gegenteil in der Göttlichen
Komödie mehr Reminiszenzen an die Alberichs.
Tine eigentümliche unklare Stellung zwischen den Schilderungen
von Visionen und von angeblich wirklichen Besuchen von hölle und
Fegfeuer nimmt die Legende vom Fegfeuer oder von der höhle des
heiligen Patricius ein, welche im Mittelalter vielen Glauben und
weite Verbreitung gefunden hat, in mehrere Sprachen übersetzt wurde.
Die höhle wurde als wirklich in Irland existierender Bußort
für Lebende dargestellt, in die sie nach besonderen Vorbereitungen
und Kasteiungen hinabstiegen. Dort erfahren und erleiden sie Ver—
schiedenes und kommen dann zurück oder verschwinden in der höhle.
Der, welcher den Abstieg wagen wollte, mußte vom Bischof der Diö—
zöse Erlaubnis haben und wurde von ihm und dem Prior der bei
der Höhle befindlichen Abtei Rigles vor den damit verbundenen
großen Gefahren gewarnt. Nachdem er 14 Tage gefastet und gebetet
hatte, wurde Messe gelesen, ihm das Abendmahl gereicht und er von
den Mönchen unter Gebeten zum Eingang geleitet. Nach Eintritt
des Büßers wurde hinter ihm das Tor dieses irdischen Surrogats des
Fegfeuers geschlossen. Am nächsten Tage wurde es geöffnet, und
wenn der Besucher lebend gefunden wurde, war er von seinen Sünden
gereinigt. Er verblieb dann noch zwei Wochen betend und wachend
in der Abteikirche. Der Besucher der Höhle ist also kein Visionär,
auch kein wissensdurstiger Reisender und Beobachter, sondern ein
armer heilsbedürftiger Sünder.
Landau, Hölle und Segfeuer.
J
18 Die Quellen unseres Wissens vom Jenseits.
Der erste, welcher über den Abstieg und die höhlenabenteuer
eines Ritters Owen im Jahre 1153 berichtete, war der Benediktiner
heinrich aus dem Kloster Saltrey. Dann hat sie Matthäus Paris in
seine Chronik und der Erzbischof Jakob von Genua um die Mitte
des 13. Jahrhunderts in seine „Goldene CLegende“ aufgenommen, wo
—D
Die Vorbereitungen und Zeremonien vor und nach dem Besuch
der Patrikshöhle haben auffallende ähnlichkeit mit den beim Besuch
der höhle des Trophonius, wie sie Pausanias, der sie selbst besucht
hat, in seiner Beschreibung von hellas (X 37-309) und Plutarch im
Genius des Sokrates“ geschildert haben.“ In dieser höhle wurden
freilich keine Sünden gebüßt, nur Orakel erteilt, obwohl sie, nach
Plutarch, in irgendeinem Zusammenhang mit dem Hhades stand.
Wohl infolge irgendeiner Kenntnis der antiken Berichte über
diese Höhle und vielleicht auch von der der griechischen Geheimkulte
scheint der mittelalterliche Mönch die Geschichte von den Abenteuern
in einer nach dem heiligen Patrik genannten Höhle, an die sich viel—
leicht alte Sagen knüpften, erdichtet zu haben. Und er hat viele
Ceichtgläubige gefunden, denn noch im 14. Jahrhundert fanden Ab⸗
stiege in die höhle statt und die Mönche der dabei befindlichen Abtei
scheinen gute Geschäfte gemacht zu haben. Im Jahre 1397 hat
önig KRichard II. dem Johanniter Raimund de Perilhos Erlaubnis
zum Besuche der Höhle mit 20 Begleitern erteilt. Als sich der fran⸗
zösische Chronist Froissart 1394 in England befand, teilte ihm Sir
William Lisle auf seine Frage mit, er habe mit einem englischen
Kitter die Patrikshöhle besucht, in der ihnen betäubende Dämpfe zu
Kopf stiegen, dort eine Nacht zugebracht und wunderbare Träume
gehabt, die er aber gleich nach Verlassen der Höhle vergessen
habe.?
Obwohl schon Papst Alexander VI. die Wallfahrten zur höhle
verboten hatte, da darin nichts zu sehen oder zu hören war, und der
Bischof der Diözese den Cintritt nur gegen Bezahlung gestatten wollte,
uind obwohl der Eingang nach der Reformation verschüttet wurde,
Legendae- Sanctorum quas compilavit frater sacobus sanuensis,
Ulm J. Zainer s. a. cap. 182 fol. 91; Wright 8. 60-69.
Etwas Ahnliches ging im Heiligtum der Isis bei Tithorea vor
Pausanias X 32, 9. Auch in der höhle des Seus im Berge Ida pflegten
Fläubige dreimal neun Tage zu verweilen. Kohde, Psyche 1 120.)
3 J. Froissart, Chroniques L. IVsch. 40.
Swedenborgs Visionen.
19
dauerten die Wallfahrten zur höhle von Gläubigen, die ihre Sünden
auf einmal loswerden wollten, noch im 19. Jahrhundert fort.
Sschon in der ersten hälfte des 13. Jahrhunderts hat die anglo—
französische Dichterin Marie de France eine poetische Bearbeitung der
Patriciuslegende verfaßt. In dem italienischen Ritterroman Guerino
l Meschino aus dem 15. Jahrhundert wird der Besuch des helden
in der Höhle ausführlich beschrieben. Aus diesem Roman hat um
die Mitte des folgenden Jahrhunderts die Italienerin Tullia d'Ara—
gona ein romantisch erbauliches Cpos gemacht, von dem sie zwei Ge⸗
sänge, 36 und 37, der Patrikshöhle widmete. Dann hat sie Calderon
in seinem El Purgatorio de San Patricio dramatisiert. Zum Teil unter
Benutzung seines Dramas sind noch um die Mitte des 18. Jahr⸗
hunderts in Spanien und Frankreich den Aberglauben befördernde
populäre Beschreibungen der Wunder der Patrikshöhle erschienen.
Und in demselben Jahrhundert ist auch des Schweden Emanuel
Swedenborg (168821772) wunderliches Werk Arcana coelestia
(1749-56) erschienen, dem sein Buch über Himmel und Hölle und Schriften
derwandten Inhalts folgten. Er hat nicht bloß das Jenseits, den Mond
und die Planeten besucht und beschrieben, mit Engeln, Verstorbenen
und Planetenbewohnern verkehrt, sondern auch irdische, viele hundert
Meilen entfernte Vorgänge gesehen. Welchen Anteil Selbsttäuschung,
krankhafte Anlage, zügellose Phantasie und Originalitätssucht an
seinem ganzen Gebaren hatten, läßt sich nicht bestimmen. Von seinen
Jenseitsschilderungen mag es genügen, hier zu sagen, daß sie zum
Teil den Vorstellungen der Naturvölker ähnlich sind. Wie in diesen
ist auch in den Schilderungen Swedenborgs der Zustand der Verstor⸗
benen dem der Lebenden sehr ähnlich. Er ist so ähnlich, sagt er, daß
nanche gar nicht glauben, daß sie schon tot sind.
Unnf die in vielen mittelalterlichen Dramen vorkommenden Dar⸗
stellungen aus der Hölle kann hier nicht eingegangen werden. Da⸗
degen sind noch einige humoristische und satyrische, zum Teil die ernst⸗
zemeinten parodierende, Visionen zu betrachten.
Wright S. 1, 135236, 160 -62; Delpierre 80; Poésies de Marie de
France II 406 ed. B. de Roquefort Paris 1820.
Wriaht 156-59.
Emanuel Swedenborg. His life, teachings and influence, by George,
Trobridge, London 1907; Kobert Zimmermann, Kant und der Spiritismus,
Wien 1879; mein Aufsatz: „Ein Spiritist im 18. Jahrhundert“ in der
Frankfurter Seitung vom 29. Oktober 1907.
20 Die Quellen unseres Wissens vom Jenseits.
Einige solche griechische Parodien, zum Teil in dramatischer Sorm,
wurden von Rohde angeführt.“ Auch die unter dem Namen Virgils
gehende Beschreibung der Unterweltsfahrt einer unschuldig getöteten
Mmücke (Culex) wird von manchen für eine Parodie des sechsten Ge—
janges der Aeneis gehalten, vielleicht angeregt vom Prediger Salomo
RoheletheIII 19- 21).
wWiederholt hat Cukian die Schilderung von Unterweltsfahrtien
parodiert und auch zur literarischen Satire benutzt. Scharf satirisch
ist Senecas Schilderung der Behandlung des Kaisers Claudius im
Jenseits, von der unten im Kapitel vom Unterweltsgericht die Rede
ein wird. humoristische Schilderungen des Jenseits finden sich auch
in einigen mittelalterlichen französischen Dichtungen. Auch Boccaccio
hat sich in der 28. und 70. Novelle des Dekameron über die tenden—
ziösen Unterweltsfahrten und Visionen lustig gemacht. Ebenso Rabe—
lais in der Schilderung der Unterwelt durch den von Panurge wieder—⸗
belebten Epistemon.“ Eine Vision von einer Reise durch himmel und
hölle, die angeblich von einem „Propheten“ dem Erzbischof heriger
von Mainz (7 927) vorgetragen wurde, nimmt sich, nach Ebert, wie
ein Lügenmärchen und Satire auf die Jenseitsvisionen aus:
Aber auch bei den ernstgemeinten oder sich als solche ausgebenden
Jenseitsschilderungen ist es sehr schwierig, ja oft unmöglich, die ein—
zelnen Elemente, aus denen sie zusammengesetzt sind — Volksglaube,
Priesterlehre und Dichterphantasie —, zu unterscheiden und den An—⸗
deil eines jeden am Gesamtbilde zu bestimmen, gewissermaßen eine
quantitative Analyse vorzunehmen: Ein einfaches Erzeugnis des
naiven Volksglaubens oder der Priestererfindung wird mitunter von
der Dichterphantasie oder von philosophischer Spekulation weiter aus-
gestaltet und ausgeschmückt, oder ein Werk der Dichterphantasie dringt
in den Volksglauben ein und wird dort materialisiert und vergröbert,
don den Priestern und Tempelvorstehern aufgenommen und ihren
zwecken angepaßt.
Und das, was der Dichter oder der Philosoph modernisierte, um—
bildete und ausschmückte, wie z. B. Plato und Spätere, oder neben dem
Dolksglauben auch die orphischen Geheimlehren, das erhielt wieder
ein individuelles Gepräge, so daß selbst zwischen Zeitgenossen Unter⸗
schiede in ihrem Verhältnis zum Glauben wahrnehmbar sind.
Der griechische Roman S. 260-61.
Pantagruel II. Kap 30.
Allgemeine Geschichte der Literatur des Mittelalters III 345.
Unsicherheit der Chronologie.
*
Zu unserer Kenntnis gelangte aber manchmal nur die letzt⸗
gebildete Gestalt oder Vorstellung.
So sagt Oldenberg in bezug auf die indischen Veden, daß in
diesen „unübersehbar großen Vorstellungsmassen, das was dem
Blauben des Volkes als fester Bestand zugehört, mit den künstlichen
Erzeugnissen priesterlicher Spekulation und namentlich auch mit den
momentanen Einfällen der einzelnen Dichter oft ununterscheidbar durch⸗
einandergemischt ist“.
Und dasselbe gilt von den griechisch-römischen Jenseitsvorstellungen.
In dem langen Zeitraum seit Jahrhunderten vor Hhomer und Hesiod
bis Virgil und Statius, Seneca und Plutarch, auf dem weiten Raume
bon Kleinasien bis Gallien und Afrika hat sich der Glaube zum min⸗
desten ebenso verändert als der christliche von den Evangelien bis
zur Dogmatisierung der päpstlichen Unfehlbarkeit, auf dem Wege von
Palästina bis nach Südamerika.
Von manchen griechischen Visionsgeschichten sagt Cobeck (314),
man könne darüber streiten, ob sie zur Unterhaltung oder zur Ver⸗
mehrung des Aberglaubens erfunden wurden.
Einige Kenntnis vom Volksglauben und den Geheimlehren des
Altertums bieten uns Grabschriften und bildliche Darstellungen, deren
Entstehungszeit sich manchmal einigermaßen feststellen läßt. Aber
selbst Forscher, die tief in die Kenntnis des Altertums eingedrungen
sind, haben keine chronologische Darstellung der Entwicklung der
antiken Mythologie geben können, und die, welche es versucht haben,
stimmen miteinander nicht überein. Um so weniger kann ich es,
selbst auf dem beschränkten Gebiete des Jenseitsglaubens, tun. Nur
einen Durchschnitt durch den Wandel der Zeiten will ich geben und
nur von den deutlich wahrnehmbaren Wandlungen und Veränderungen
Notiz nehmen.
Festeren Boden betreten wir, wenn wir zu den christlichen Jen—
seitsschilderungen gelangen, deren Verfasser oder Entstehungszeiten
uns in vielen Fällen bekannt sind. Was die verschiedenen Kirchen
lehren und lehrten, liegt in Konzilsbeschlüssen, Katechismen, Predigten
und in den Werken der Theologen und Kirchenhistoriker vor, und
——
Die Religion des Veda S. 13. S. auch Lobeck 269, 314, 687.
In den vier Jahrhunderten von Homer bis zu den Perserkriegen
sagt Cobeck (S. 5316217) maxima rerum omnium quae ad Deorum cultum
bertinent mutatio facta est; haec solemnium lustralium, mysteriorum me-
dicinae hieraticae et poesis sanaticae ortum et incrementa continent.
22 Die Entstehung von Hölle und Paradies.
von dem alten Volksglauben hat sich vieles bis auf unsere Tage im
Volke lebend erhalten.
Was Dichtern wie Dante, Tasso, Milton, Klopstock usw. von
Kirchenlehren, Volksglauben, älteren Dichtungen, Überlieferungen des
sltertums und Visionsliteratur bekannt sein konnte, wissen wir un—
gefähr, und wenn wir all dieses aus ihren Dichtungen ausscheiden,
zönnen wir, was ihrer eigenen Phantasie entsprang, was sie zur Aus—
schmückung hinzufügten, ziemlich deutlich unterscheiden.
Manches, was sie darstellten, haben sie selbst geglaubt und für
das andere verlangten sie von ihren Lesern keinen Glauben. Selbst
die Prediger und Verfasser von erbaulichen oder den hörern und
Lesern FSurcht einjagenden Unterweltsschilderungen haben nicht immer
auf den blinden Glauben ihres Publikums gerechnet. Sie konnten
erwarten, daß dessen verständiger Teil manches als Parabel oder
Allegorie auffassen werde.
C
II. Die Entstehung von Hölle und Paradies.
Wann und warum ist die Hölle entstanden? Bei Gebäuden und
Monumenten gibt oft eine Inschrift das Jahr der Erbauung oder
Trrichtung an, und wenn wir Dante glauben sollen, hat er eine
solche auch „in dunkler Schrift“ über dem Eingang zur hölle gelesen.
llach dieser gehörte sie zu den allerältesten Dingen der Welt, nichts
Erschaffenes hat vor ihr existiert. Man kann daher auch nicht mit
dem Kommentator Dantes annehmen, daß die Engel früher vorhanden
waren und daß die Hölle erst als Kerker für die Empörer unter
ihnen erschaffen wurde.
In der Tat hätte der Dichter der Göttlichen Komödie aus dem
CTalmud erfahren können, daß die hölle eines von den sieben Dingen
ist, die Gott vor der ganzen übrigen Welt erschaffen hat. Die anderen
sechs sind: Pentateuch, Paradies, Keue, Thron Gottes, Tempel und
llame des Messias. Nach Meinung mancher Rabbinen wurde die
hölle am zweiten Schöpfungstage erschaffen, denn bei diesem fehlt im
ersten Kapitel der Genesis die zu anderen Tagen gemachte Bemerkung:
„Und Gott sah, daß es gut war“.
Talmud bab. Traktat Pesachim 544. Nedarim 39b.
Runzes vierfache Wurzel. Das Rätsel des Todes. 23
Nach dem apokryphen vierten Buche CEsra, das vielleicht schon
im ersten, jedenfalls nicht später als am Anfange des dritten nach—
christlichen Jahrhunderts geschrieben wurde, hat Gott das Gericht
und was dazu gehört, vor Erschaffung der Welt vorbereitet.
ehren wir aus der Mythenwelt in die der Wissenschaft zurück,
so finden wir, daß Dr. Georg Runze als „vierfache Wurzel des
außerchristlichen Unsterblichkeitsglaubens“, wozu ja die hölle auch
gehört, angibt: Todesfurcht, Phantasietätigkeit, namentlich des Traum⸗
lebens, intellektueller Horror vor dem „was wird nachher sein 79,
Bedürfnisse des verletzten sittlichen Selbstgefühls und das Streben nach
idealer Vollkommenheit. Daß auch die geoffenbarte Unsterblichkeit
dieser Wurzel entstammt, kann freilich der christliche Theolog nicht
zugeben. Übrigens ist ja, wenn man sich an das hält, was heilige
schriften über Unsterblichkeit und Lohn und Strafe im Jenseits offen⸗
baren, jede weitere Untersuchung darüber überflüssig und mit der
Gefahr an Ketzerei zu streifen verbunden.
Aber die Offenbarung ist nichtsdestoweniger neben dem Streben
nach Befriedigung des Gerechtigkeitsbedürfnisses und der Neugier in
bezug auf das Schicksal der Verstorbenen, auch eine der Wurzeln des
Glaubens, daß die Seelen im Jenseits für das, was sie im Diesseits
getan oder gelitten haben, Strafe oder Cohn empfangen werden.
Das Rätsel des Todes ist mit dem Tode des ersten Menschen in die
Welt getreten, die Frage nach dem, was mit dem Verstorbenen ge⸗
schieht, wohl von den ersten Überlebenden gestellt worden. Und so⸗
bald sich die Menschheit aus dem rohesten tierähnlichen Zustande
emporgearbeitet hatte, begann sie sich den Tod als Entweichen des
unsichtbaren Cebenselements zu erklären, als eine Trennung des
Geistes oder der Seele von dem leblos zurückbleibenden Körper.
Diesen sah man zerfallen und verwesen, aber das Unsichtbare dachte
man sich als irgendwo fortexistierend, in der Nähe des Grabes, um
die Wohnungen der hinterbliebenen, um den Aufenthaltsort des Ver⸗—
storbenen während seines Lebens herumirrend, oft von Begierde und
Bedarf von Nahrung und Genuß nicht frei, oder in fernen, schwer
zugänglichen Räumen weilend.
Auf der untersten Stufe des Unsterblichkeitsglaubens, die manche
unzivilisierte Pölker noch jetzt nicht überschritten haben, ist er noch
ganz von ethischen Motiven unabhängig; die Vorstellungen vom Zu—
stande der Toten sind da oft von Träumen und von Empfindungen
4
Theologische Studien und Kritiken, 1889 8. 682 -83.
24
Die Entstehung von Hölle und Paradies.
bei Ohnmacht oder Scheintod beeinflußt. — „Der Traum ist der
schlüssel zu den Geheimnissen der Religionen“, sagt Ludwig Feuerbach.
Und herder: „Unter allen Nationen der Erde sind die Begriffe vom
Tode und dem Totenreiche vorzüglich aus Bildern der Nacht, des
schlafes und Traumes zusammengedichtet worden“.
Die Träume sind aber gewöhnlich Abbilder des irdischen CLebens
und daher stellen sich viele unzivilisierte Pölker das CLeben im Jen—
seits als dem irdischen ähnlich vor. Nach dem Glauben der Giljaken
zibt es dort ebensolche Meere, Flüsse, Wälder usw. wie auf Erden,
und die Toten setzen ihre gewohnte Lebensweise fort, fangen Fische,
zehen auf die Jagd, heiraten und zeugen Kinder, bis sie endlich voll—
ständig tot sind und in Staub verwandelt werden.
Don CLeuten, welche bei einem Besuche der Unterwelt dort alles
ungesfähr so wie in der Welt der Lebenden gefunden haben, wissen
auch die Zulukaffern und die Cingeborenen von Neu-Seeland zu er—
zählen.“ Spuren solchen Glaubens finden wir noch in der Odyssee
7ö, 601- 7): Orion setʒt seine Beschäftigung als Jäger fort,
herakles spannt den gewaltigen Bogen. In der Unterwelt der Aeneis
(VI 485) führt der Kutscher Idäus noch Pferde und Wagen.
fuf solchem Glauben beruhen auch die Mitgaben an die Toten,
oon denen weiter unten die Rede sein wird.
Auf einer höheren Stufe der Sivilisation trat das Motipv der
Befriedigung des Gerechtigkeitsbedürfnisses hinzu, so daß es, wie
Wilhelm Wundt meint, leicht erscheinen konnte, als habe in diesem
der Gedanke des Fortlebens nach dem Tode seine einzige Trieb⸗
feder.?
sAber dieser Glaube an eine ausgleichende Gerechtigkeit nach dem
Code ist auch erst aus einem älteren Glauben entstanden, und ebenso
haben sich die Begriffe von Gut und Schlecht, von dem, was beloh⸗
nungswert und dem, was Strafe verdient, erst im Laufe der Zeit
entwickelt und modifiziert.
Manchmal gleichzeitig, manchmal durch Jahrhunderte getrennt,
bald voneinander ganz geschieden, bald miteinander verschlungen,
brachten diese Wurzeln den Glauben an ein mit Lohn und Strafe
oerbundenes Sortleben in einem Jenseits hervor, bis endlich der das
Berechtigkeitsstreben befriedigende oder beruhigende Glauben in den
geoffenbarten Religionen der herrschende ward.
C. Sternberg, Die Religion der Giljaken S. 471, Tylor II 49.
Ethik II Kap. 340 Die Vorstellungen vom Leben nach dem Tode, S. 86.
Babnlonischer Glaube.
25
Ob es noch Völker gibt, die keine Keligion haben, Götter und
Unsterblichkeitsglauben nicht kennen, haben wir hier nicht zu unter—
suchen; aber wo ein Glaube an Götter vorhanden ist, findet sich ge—
wöhnlich auch schon der an eine besondere, kurze, lange oder ewige
Fortdauer der Seelen nach dem Tode und oft schon der an eine
Differenzierung in deren Zustand. Bei manchen Naturvölkern, wilden
und halbwilden, entscheidet für die Art der posthumen Crxistenz nicht
die Sittlichkeit oder Tugend des Verstorbenen, sondern dessen Stand:
Nach hawaischen Unterweltsmythen hausen im Reiche des Gottes Milu
die Seelen aus niederem Stande, die sich mit Spiel und Geschrei ver—
gznügen, während in Wakeas Reich RKuhe und Würde herrschen, dem
Stande der häuptlinge entsprechend, deren Seelen hier wohnen.
Die Arawak glauben, daß die Tapferen und die guten Trinker
nach ihrem Tode die Luft um ihre hütten bewohnen, Feiglinge aber
und schlechte Trinker in öder Gegend umherirren. Nach dem Glauben
der Tonga⸗Insulaner fallen die Seelen des eingeborenen niederen
Volkes nach dem Tode der Vernichtung anheim, während die der
eingewanderten Edlen und häuptlinge in einem Zustand ätherischer
Böttlichkeit fortleben und mit den lebenden Priestern in Verkehr
bleiben. Man nimmt an, daß den Seelen der Häuptlinge schon im
Ceben höhere Kräfte innegewohnt hatten und daß sie ohne Rörper⸗
hülle wohl noch kräftiger wirken können.!
Nach samojedischem Glauben macht der Tod dem ganzen Dasein
des Menschen ein Ende, nur die Tabides (Sauberer, Schamanen)
haben das Vorrecht der Unsterblichkeit.?
Einen abgesonderten Aufenthalt scheint auch babylonischer Jenseits⸗
glaube den heroen und Priestern angewiesen zu haben. Damit
darf man aber die Entrückung einzelner lebender Bevorzugter zu
den Göttern, wovon wir auch bei den Griechen und Juden Beispiele
finden, nicht zusammenbringen. Die Srage, ob die Babylonier an
eine auf ethischen Motiven begründete Verschiedenheit im Geschicke der
Verstorbenen glaubten, ist noch nicht spruchreif. Und allen Glauben
an hölle und Paradies, wie Delitzsch, von den Babyloniern abzu—
leiten, geht schon gar nicht an.
In China haben Konfucius und Mencius sich nie klar über das
Jenseitsleben ausgesprochen. Doch glaubten die Chinesen schon in
Ratzel, Völkerkunde J 45, 260, 279; Cylor II 21, 85; Steinmetz
375.
A. Castren, Reiseerinnerungen S. 264.
Jeremias 24, 25; D. Bassi Mitologia babilonese-assira 168.
26
Die Entstehung von Hölle und Paradies.
alter Zeit an ein künftiges Leben und verehrten die Ahnen, was
auch Konfucius billigte und förderte. Glauben an hölle und Paradies
haben sich erst unter Einfluß der Taoisten und Buddhisten aus—
gebildet. Erstere glaubten an ein Elysium weit im Westen in den
Kwun⸗lan Bergen unter der großen Rönigin des Westens.“
Die heidnischen Araber vor Mohammed wußten nichts von
Paradies und hölle, und ihre Dichter sagten, daß der Mensch nach
dem Tode nichts zu hoffen oder zu fürchten habe. Erst der Prophet
verkündete, jüdischem oder christlichem Glauben folgend, die Auf—
erstehung, und damit im Zusammenhange das letzte Gericht, sowie
Cohn und Strafe nach dem Tode, was dann von der Tradition
weiter ausgebildet wurde. Manche Sektirer behaupteten aber,
daß hölle und Paradies erst nach dem großen Gerichtstag geschaffen
werden sollen.“
Die Mordwinen glauben, daß die Toten im Jenseits familien⸗
weise untergebracht sind; jeder neue Ankömmling schließt sich da
seinen Ahnen und Urahnen an. Es erinnert dies an den biblischen
Ausdruck „zu seinen Vätern versammelt werden“. Mehr scherz⸗- als
ernsthaft heißt es bei Lukian, daß die Seelen in der Unterwelt
nach Stämmen und Zünften geordnet auf den Asphodeloswiesen und
acherusischen Feldern ruhen, ungefähr wie die Athener bei ihren
Festmahlen.?
Merkwürdigerweise finden wir solchen Rastengeist in bezug auf
das Jenseits, in dem wohl auch etwas Gelehrtenhochmut steckt, ein⸗
mal auch im mittelalterlichen Judentum: Im Midrasch zu Prediger
Salomo III 9 wird erzählt, ein Töpfer habe einmal von Rabbi Simon
b. Levi verlangt, er möge beten, daß ihm ein ähnliches Cos im
Jenseits wie dem Kabbi zuteil werden möge. Da antwortete dieser:
„Ich kann für dich nur beten, daß du dort zu den andern Töpfern
kommst, denn es bleibt jeder bei seinen handwerksgenossen“.
Bevorzugung der Tapfern, der im Kampfe Gefallenen im
Jenseits finden wir bei den Einwohnern der horninsel, bei den von
Mangaio im hervey-Archipel, bei den Wilden von Nikaragua“ und
18;
noises
De Groot, in Actes du 6e Congrès intern. des Orient. S. 3, 52-7,
The religions sysstem of China J S. XIII.
Bevan, Journal of theological ssstudies VI 20-22, 35.
Cügenfreund 24, Menippus 15. Smirnov, Les populations fin-
372.
Marillier, La survivance de l'ame, 8, 17, 21, 22.
2
Ethische Motive.
27
am entschiedensten bei den alten Germanen. Damit nähern wir uns
aber schon der ethischen Begründung von Lohn und Strafe, wenn
auch der Wilde oder Barbar mit dem Begriffe von gut und schlecht,
von dem was zu belohnen und dem was zu bestrafen ist, nicht die—
jelben Handlungen wie der zivilisierte Mensch, wie der Bekenner
einer geoffenbarten Religion verbindet. Tapferkeit, Geschicklichkeit,
Nützlichkeit für den Stamm oder das Gemeinwesen bestimmen bei
Jenen oft die Schätzung in der öffentlichen Meinung und dem ent—
sprechend glaubt man, daß der Verstorbene den Vorzug, den er dafür
im Leben genossen hat, auch im Jenseits fortgenieße. häufig wurden
aber auch, selbst bei den verhältnismäßig schon zivilisierten Griechen,
Verdienst und Vergehen nach dem Gehorsam und der Verehrung, die
man den Göttern zollte, nach der Befolgung ihrer Wünsche und
Befehle, die nicht immer unsern Ansichten von Sittlichkeit und
GBerechtigkeit entsprachen, bestimmt. Andererseits muß man aber,
selbst da wo die Ethik der Unzivilisierten und Wilden schon der
unserigen ähnlich ist, nicht, wie manche Systemmacher tun, stets an Ent⸗
lehnung aus geoffenbarten KReligionen, an Einfluß christlicher Missionäre
denken. Diese „Barbaren“ können ihre Moralbegriffe ebensogut
wie Chinesen und Griechen ohne Bibel, Avesta und Koran ge⸗
bildet haben.
Noch vor der Entdeckung Amerikas glaubten die Mexikaner an
eine Teilung der Abgeschiedenen in drei Klassen. Die Gottlosen kamen
in einen ewig finsteren Raum, ohne weiteres Leiden, die im Kampfe
gefallenen Helden kamen ins Paradies, die, welche weder das Eine
noch das Andere waren, gerieten in eine Art von behaglichem
Schlaraffenland. Die Peruaner wiesen den Gottlosen einen Aufenthalt
im Innern der Erde mit schwerer Arbeit, den Frommen einen
luxuriösen behaglichen Aufenthaltsort zu.“
Die Mintiras auf Malakka wissen, nach Bericht eines Reisenden,
don einer hölle für Mörder und Leute, welche Frauen und Mädchen
notzüchtigen.?
Erst als die Begriffe von Kecht und Unrecht, von gut und böse
zu reinerer Fassung und Klarheit sich entwickelten, als schon irdische
Kichter und Strafvollzieher walteten, begann sich auch der Glauben
an Gericht und Strafe im Jenseits zu bilden. Und eben in den
Fällen, wo das Schicksal der ethischen Wertung der menschlichen
Prescott, Mexico I ch. III; Peru ch. III 40, 53.
R. Steinmetz in Archiv f. Anthr. XXIV 582.
28 Die Entstehung von Hölle und Paradies.
Taten nicht entsprach, wo die irdische Gerechtigkeit versagte, der
Kichter machtlos oder parteiisch war, erwartete man die Gerechtigkeit
unmittelbar von der Gottheit. Auf Strafe und Lohn, Peitsche und
zuckerbrot haben alle Keligionsgründer und Lehrer ihre Systeme
gegründet, durch sie ihren Lehren, wie verschieden sie auch sonst
waren, stärkeren Einfluß verschafft. Sie haben den Egoismus in den
Dienst der Religion gestellt, selbst dort wo sie größeren Nachdruck
auf Liebe und Verehrung der Gottheit als auf gute Werke legten.
schilderungen der höchst materiellen Genüsse im indischen Reiche
der Seligkeit finden sich im Atharveda, im Satapata-Brahmana und
im Caittirina-Brahmana.“
Und selbst bei den jetzt auf höherer Stufe der Sivilisation
tehenden Völkern war der Glaube ursprünglich auf eine Vergeltung
im irdischen Leben beschränkt oder ganz materielle Belohnungen und
Strafen in einem zukünftigen Leben in Aussicht stellend. Ob Jesus
die Genüsse des armen Lazarus und die Höllenqualen des Reichen
schildert, ob er denen, welche an ihn glauben das himmelreich,
hundertsachen Lohn, das Essen und Trinken an seinem Lische, auf
Chronen sitzend und richtend die Stämme Israels verspricht, den
bösen Weltkindern heulen und Zähneklappern androht; ob Mohammed
seine Gläubigen auf die stets jungfräulich blühenden huris seines
Paradieses, der Priester Wodans auf die unerschöpflichen Methkrüge
und den fetten Eber Sährimnir in Walhalla, der täglich gebraten
und verzehrt und am Übend wieder ganz wird, lüstern macht; ob
der Calmud den wohlschmeckenden Leviathan, der an goldenen Tischen
genossen wird, verspricht — stets wurden die Menschen an ihrem
igennutz und ihrer Genußsucht am schnellsten und kräftigsten
gepackt.
Vergessen wir nicht“, sagt Origenes in seiner „Ermunterung
zum Märtyrertum“, „die Belohnungen, welche die Heilige Schrift ver—
Ppricht. Wer würde nicht die zahllosen (irdischen) Plagen gern
erdulden, um dann den Lohn, die ewige Seligkeit, zu erlangen?
Machen wir uns nichts aus der kurzen Prüfungszeit, sondern denken
wir an die sichere Belohnung, welche die Uämpfer für Jesus Christus
erwartet.“
Senelon sagt in seiner Explicati on des maximes des saints sur
la vie interieure, daß die mit persönlichem Interesse verbundene un—
vollkommene Liebe zu Gott in allen Jahrhunderten Heilige hervor—
Simmer 413, Oldenberg 535236.
Lohn und Strafe.
29
gebracht habe und daß die meisten heiligen in ihrem irdischen Leben
nie zur reinsten, von jedem persönlichen Interesse freien, Gottesliebe
gelangt seien.
Den Egoismus der heiligen gesteht auch der fromme und
scharfsinnige Pascal ein. „Das Leben der Menschen“, sagt er in seinen
pensées chretiennes, „gleicht dem der Heiligen. Sie suchen alle ihre
Selbstbefriedigung und unterscheiden sich nur durch den Gegenstand,
in dem sie diese finden.“
Und dieser Gegenstand ist, wie der Professor der Theologie
Dr. Jos. Bautz versichert, auch für die Seligen im Paradiese ein
materieller. „Der Leib“, sagt er, „der zu den guten Werken mit—
gewirkt, ist nicht bloß dadurch selig, daß die mit ihm verbundene
Seele in der Glorie ist, sondern er genießt außerdem ganz spezielle
sinnliche Freuden, die seiner Natur entsprechend sind.““
Eigentlich sind also diejenigen, welche für ihre Tugend und
Frömmigkeit eine Cwigkeit von Paradieseswonne als Lohn erwarten,
viel größere Egoisten als die, welche sich mit ein paar Dutzend Jahren
irdischen Glücks und Wohlseins begnügen. Und diese Genügsamkeit,
diese Beschränkung auf irdische Strafen und Belohnungen ist meistens
älter als die entsprechenden Anweisungen auf das Jenseits des
Hrabes. Dabei ist noch zu bemerken, daß gerade in den ältesten
Zeiten die Schilderungen der Jenseitsbelohnungen häufiger sind als
die der Strafen. Man möchte fast an eine Zunahme menschlicher
Sschlechtigkeit glauben, wenn man bemerkt, wie im Laufe der Zeiten
die Schilderungen des Paradieses immer kürzer und einförmiger,
die der Strafen und Straforte raffinierter und ausführlicher werden.
Freilich sind auch im wirklichen irdischen Leben die Leiden und
Kümmernisse häufiger und mannigfaltiger als die Freuden und
Genüsse. Die Phantasie braucht nur, was in Wirklichkeit vorhanden
ist, weiter auszumalen und zu vergrößern, um sich ein Bild der
höllenqualen zu schaffen. Die Paradiesesfreuden lassen sich, wenn
man sie sich nicht ganz physisch denkt, gar nicht schildern. Und von
dem, was die Theologen als die höchste Seligkeit auffassen, von der
Anschauung Gottes, kann man sich gar keine Vorstellung machen.
Selbst die reiche Phantasie Dantes erschlafft, wo er das Paradies
schildert, und das Interesse der Leser nimmt ab. Es hat deren auch
weniger als die ersten zwei Teile der Göttlichen Komödie.
Die Hölle. Im Anschluß an die Scholastik dargestellt von Joseph
Bautz. Mainz 1905 8. 110.
30
Die Entstehung von Hölle und Paradies.
Mit wunderbarer Kühnheit verspricht noch das Alte Testament
seine irdischen, in kürzester Frist zu vollstreckenden Urteile, Cohn und
Strafe als sichtbare Folgen guter und schlechter Taten, ohne Furcht,
von den Tatsachen dementiert zu werden. Els Lohn für die
Befolgung der göttlichen Gebote, für alle guten und gottgefälligen
handlungen wird nicht ein ewiges seliges Leben, sondern langes
irdisches Leben und Wohlsein versprochen. Als Strafen werden
früher Tod, Mißwachs, Seuchen, Niederlagen und andere irdische
Ceiden angedroht. Doch kommen als Ergänzung auch schon die
Folgen für die Nachkommen hinzu. Steht dies vielleicht in bewußtem
Hhegensatz zum ägyptischen Glauben, wie die Bibel überhaupt den
Juden die Nachahmung der Sitten und Rulte anderer Völker aufs
strengste verbot? Sprach das Alte Testament so wenig vom Jen⸗
jeits, weil die ügypter sich gar so viel mit ihm beschäftigten, sich
um die Fortdauer von Seele und Körper nach dem Tode so sehr
hümmerten?
Wie in den ältesten Zeiten der Israelit, so erbittet der fromme
hindu und erwartet von seinen Göttern als LCohn nur irdische
Güter — Keichtum, Macht, Sieg über die Feinde. In den hymnen
des Rigveda und des Samavpeda finden sich Dutzende von Bitten um
reichliche Nahrung, große Viehherden, Tausende von Schätzen,
Überschüttung mit RKeichtümern, Sieg über die Feinde, um Kinder
und langes Leben. Sehr naiv wird einmal dem Gotte Indra vor—
gestellt, daß eine Gabe von einer Million für ihn eine Kleinigkeit
väre, „eine Gabe von tausend Goldstücken, von zehntausend, ja das
hundertfache davon würde dich nicht arm machen“. — „Wo immer
in Schrank oder Höhle ein ansehnlicher Schatz vorhanden ist, bringe
hn zu uns.“ — „Ich komme zu dir, um Reichtum zu bitten, dafür
hringe ich dir reichliche Opfer.“
„Eine große Anzahl vedischer Hymnen“, sagt Max Müller, „sind
kindisch im höchsten Grade, langweilig, gewöhnlich, nichtssagend.
Die Götter werden beständig angefleht, ihre Verehrer zu beschützen,
denselben Speise, große herden, große Familien und ein langes
Ceben zu gewähren. Und für alle diese Wohltaten sollen sie hinter⸗
her durch Coblieder und Opfer entschädigt werden, welche man
ihnen Tag für Tag oder zu gewissen Monden und Jahreszeiten
darbringt.““
Sama Veda, Prapathaka III, Dasati 2, 10.
Essays J 23.
Cohn und Strafe bei den Griechen.
33
„Wer würde denn die Götter verehren, wenn man nichts von
ihnen hätte“, heißt es an einer Stelle.“
Doch finden sich auch einige Hymnen, wahrscheinlich jüngeren
Ursprungs, in denen von Unsterblichkeit und persönlicher Verant⸗
wortung nach dem Tode die Rede ist. In den noch jüngeren
Brahmanas wird Unsterblichkeit oder wenigstens langes Leben dem—
jenigen verheißen, der die richtige Kenntnis des Opferzeremoniells
besitzt und sie anwendet, wem diese aber fehlt, der stirbt jung.
Auch beginnt hier schon die Idee von CLohn und Strafe nach dem
Tode mit ethischer Motivierung aufzutauchen.“
Auch Zarathustra läßt Ahura-Mazda und Mithra ihren Anbetern
Keichtum, zahlreiche Nachkommenschaft, Gesundheit, Sieg über Feinde
und dergl. versprechen.
Bei den Griechen preist Hesiod als Belohnung gerechter Kegierung
das Gedeihen des Staats, Keichtum und glückliches sorgloses Leben
—RDDD
Götterstrafen als Folge ungerechter frevelhafter Regierung.“ Unter
gerechtem König, heißt es in der Odyssee, trägt die Erde Weizen
und Gerste, voll sind die Bäume von Früchten, das Vieh gebiert
häufig und das Meer spendet reichlich Sische (CCIx 100-14). In
den homerischen Gedichten, sagt Wundt, „ist das irdische Leben der
schauplatz der göttlichen Gerechtigkeit .... die Strafe folgt dem
Frevel entweder auf dem Fuße nach oder sie erreicht ihn später,
wenn die Gelegenheit günstig ist . . .. Die Idee der strafenden
Gerechtigkeit steht so nicht nur außer aller Beziehung zu einem Leben
nach dem Tode, sondern es waltet auch noch durchgängig die
Borstellung, daß die Vergeltung den Schuldigen selbst früher oder
päter während seines Lebens ereile.“
höllenstrafen werden wohl in der Odyssee geschildert, aber an
einer Stelle, die für spätere Einschiebung gehalten wird.
selbst wo bei den griechischen Tragikern von einer Existenz nach
dem Tode die Rede ist, wird diese als schmerz⸗ und freudelos, der
Tod als Ende aller Freuden und Leiden aufgefaßt.“ Nur in der
1 C. Schoebel, Recherches S. 106, 110-13.
A. Weber, Indische Streifen 221.
Vendidad Fargard 2. Korda Ap. 26, 11.
Werke und Tage V. 225-48. — 5 Ethik S. 91.
Sophokles, König ödipus 1371, Gdip. auf Kolonos 1220, 1578,
Trachinerinnen 1173, ARjax 865, Electra 355, 1170, Euripides, Hekuba
erste Scene.
*
32 Die Entstehung von Hölle und Paradies.
Antigone“ (V. 72- 76) könnte man eine Andeutung von posthumer
ztrafe finden.
Platot, der sonst gern von der Bestrafung der Übeltäter nach
dem Tode spricht, sagt, die Glückseligkeitsversprechungen der orphischen
Priester verspottend: „angenehmer ist das Gute, das Musäus und
ein Sohn den Gerechten seitens der Götter versprechen. Sie führen
sie nämlich in den hades, wo sie ihnen ein Gastmahl veranstalten
Dort verbringen sie, bekränzt um die Tafel gelagert, ihre ganze
zeit, als schönsten Lohn ihrer Tugend einen ewigen Rausch ge—
nießend.“
Mehrere Jahrhunderte später betrachtet Pausanias das Verschieben
⸗on Cohn und Strafe ins Jenseits gewissermaßen schon als Rückschritt,
als üble Folge der menschlichen Verderbnis: „Sur Zeit des Cykaeon“,
sagt er (VIII 2, 2), „waren die Menschen Gastfreunde und TLisch—
genossen der Götter wegen ihrer Gerechtigkeit und Frömmigkeit und
ganz sichtbar erhielten sie von den Göttern Lohn für ihre guten,
5trafe für ihre schlechten Caten. Zu unserer Seit, da überall die
Schlechtigkeit aufs höchste gestiegen ist, alle Länder und Städte ein—
genommen hat, wird den Ungerechten die Strafe verspätet, erst nach
dem Tode, von den Göttern erteilt.“
Und noch am Anfange des neunzehnten Jahrhunderts eiferte
der sizilische Dichter Giovanni Meli, freilich mehr scherz- als ernst—
haft, gegen die Verschiebung der Strafen ins Jenseits. Im sechsten
Hesange seines Don Chisciotti läßt er seinen helden in einer Rede
an Jupiter die Bestrafung der Bösen im irdischen Leben fordern.
„Was hilft es, wenn die Frevler in der hölle gebraten und gesotten
werden, die Lebenden sehen es ja nicht und werden dadurch nicht
gebessert.“
Die Übertragung der Strafe auf die Nachkommen der Schuldigen,
wie sie sich in der Ilias als Ergänzung der direkten und bei
Hherodot findet und als eines der hauptmotive bei den griechischen
Tragikern erscheint, bildet die Zwischenstufe vom Glauben an un—
mittelbare Bestrafung des Frevlers im irdischen Leben zu dem an
solche im Jenseits. Da man sah, wie oft der Bösewicht oder Sünder
traflos ausging, tröstete man sich und rechtfertigte die Gottheit, indem
man die Bestrafung seiner Nachkommen erwartete. In der Ilias
(IV 160) hofft Agamemnon auf die spätere Bestrafung des Eid- und
DVertragsbruches:
Staat, II F. 363 c. d.
Verschiebung auf Nachkommen bei Griechen.
33
„Wenn auch jetzo sogleich der Olnmpier nicht es vollendet;
Doch vollendet er spät, und hoch einst werden sie büßen,
Selbst mit eigenem Haupt, mit den Gattinnen und mit den Kindern.“
Im „Agamemnon“ des AUeschylos heißt es:
„Die Tat des Frevlers gebiert wuchernde Frucht.....
Doch ewig enkelbeglückt
Blüht der Stamm der Gerechten!“ (V. 759- 62)
und in dessen „Eumeniden“
„Ein Mensch, der nichts
zündhaftes getan, fragt staunend, woher
Ihn treffen die Schläge des Daseins.
Denn ihn treibt Schuld, von den Vätern geerbt.“ (D. 845 -48)
Das Orakel von Delphi antwortet dem KUrösus: Er büße für
die Sünde seines Ahnherrn (Gyges) .... Apollo habe zwar versucht,
die Strafe noch weiter zu verschieben, aber er könne gegen das
Schicksal nichts ausrichten. Und dem Glaukus: die göttliche Gerechtig—
keit ruhe nicht, bis sie nicht das ganze Geschlecht des Meineidigen
zugrunde gerichtet. „Aber glücklich sind die Kinder des Mannes,
der den Schwur hält.““
Nnach Pausanias mußten die Megareer stets den Sorn der
Göttinnen (Demeter und Persephone) leiden, weil ihre Ahnen einst
einen Herold getötet hatten, und die Arkadier wurden bei Chäronea
von den Römern niedergemacht, weil ihre Ahnen, zwei Jahrhunderte
früher, an derselben Stelle, die andern Griechen im Kriege gegen
KAönig Philipp von Mazedonien im Stiche gelassen hatten.
Zolon findet es noch ganz in der Ordnung, wenn der Bösewicht
spät oder gar nicht von der Strafe getroffen wird und dessen
unschuldige Nachkommen für ihn gestraft werden?. Aber ein Jahr⸗
hundert später bittet Theognis, die Götter möchten doch künftig die
Frevler und die sie nicht achtenden Übeltäter selbst bestrafen und die
Sünden der Väter nicht an den Kindern heimsuchen. Rechtlich
denkende und handelnde Kinder schlechter Eltern mögen nicht mehr
für diese gestraft werden, und nicht, wie es jetzt geschieht, der Übel—
läter der Strafe entgehen und andere für ihn leiden. Und ist es
denn recht, fragt er den Zeus, daß ein Gerechter, der nichts Böses
Herodot J 91, VI 86.
Frgit. 5, in Poetae minores graeci, Ceipzig 1825, Bd. III 5. 136.
Landau, Hölle,und Fegfeuer.
34 Die Entstehung von Hölle und Paradies.
in seinem CLeben getan hat, leide, während es den Frevlern
gut geht??“
Plutarch findet, in seiner Schrift „Von der späten Kache der
Gottheit“, wo er Bestrafung und Belohnung im Jenseits schildert,
doch als gerechteste und zweckmäßigste Strafe für Sünde und Frevel
die, welche die Nachkommen trifft. „Denn“, sagt er, „was der Tote
an Lohn und Strafe bekommt, sieht, weiß und glaubt man nicht,
aber die Bestrafung der Nachkommen ist sichtbar und wirkt ab—
schreckend vom Bösen.“ Fast ganz modern klingt es, wenn er hinzu—
setzt, daß auch Unsittlichkeit und Neigung zu Verbrechen erblich
wären. Die so „erblich belasteten“ werden von der Gottheit mit
Leiden heimgesucht, nicht als Strafe, sondern um weitere Frevel zu
verhüten. Und da die Götter wissen, wer solche schlechte Anlagen
geerbt hat und wer nicht, so gehen letztere frei aus.
Am häufigsten und eindringlichsten wird die Lehre von Belohnung
und Bestrafung der Nachkommen für die Taten der Ahnen im Alten
Testament verkündet. Aber während bei den Griechen nur die Strafe
erblich zu sein scheint, die Vererbung des CLohnes nur selten erwähnt
wird, ist letztere bei den Juden fast die Kegel. Gott bestraft nicht bloß
die Sünden der Väter an den Kindern bis ins dritte und vierte
Heschlecht, sondern bewahrt auch seine Gnade denen, welche ihn lieben
„bis ins tausendste Geschlecht“.“
Cicero läßt den Aurelius Cotta die Bestrafung der Nachkommen
höchst ungerecht und lächerlich finden: „O, wunderliche Gerechtigkeit
der Götter“, sagt er, „würde je ein Staat einen Gesetzgeber dulden,
der den Sohn oder Enkel für die Verbrechen des Vaters oder des
Großvaters strafbar macht!“?
Aber auch bei den Juden zeigte sich Opposition gegen die
Bestrafung und Belohnung der Nachkommen: „nNicht retten werden
so fromme Männer wie Noa, Daniel und hiob ihre sündigen Söhne
und Töchter“ verkündet der Prophet Czechiel (x1v 14-20). Er
verkündet auch, daß in Zukunft nur der Sünder selbst gestraft
werden wird. „Ein Sohn soll nicht mittragen die Schuld des Vaters
und der Vater nicht die Schuld des Sohnes“ (XVIII 2-20). Und
Pausanias J 360 VII. 156. Theognidis reliquiae ed. Friedr.
Th. Welcker, Frankfurt a. M. 1826, V. 160 ff.
»CExodus XX S, XXXIV 7, Numeri XIV IS8, Deuteron. VII 9,
Jesus Sirach XI 2z20..
8De natura Deorum III 383.
Wendung zum Jenseitsglauben.
35
Jeremias:! „In selbigen Tagen wird man nicht mehr sagen: Die
bäter haben herlinge gegessen und die Zähne der Kinder sind stumpf
geworden. Sondern ein Jeglicher wird um seine Schuld sterben, der
Mensch, der Herlinge gegessen, dem werden die Zähne stumpf
werden.“
Freilich heißt es schon im fünften Buche Mose's (XXIV 16):
„Väter sollen nicht für ihre Kinder und Kinder nicht für ihre Väter
getötet werden“; aber dies bezieht sich wie aus I1 Könige XIV G6 erhellt,
auf die irdische Kechtspflege. Überdies sind manche Kommentatoren
der Ansicht, es werde damit nur gesagt, daß das Zeugnis der Kinder
nicht zur Verurteilung der Eltern, das der Eltern nicht zur Ver—
urteilung der Kinder dienen solle.
zur Zeit des genannten Propheten erwarte ten die vom Jehova⸗
glauben abgefallenen Juden in ägypten Cohn und Strafe nur im
Diesseits. „Wir werden fortfahren der himmelskönigin zu räuchern
und ihr Spenden auszugießen, wie wir und unsere Väter getan ...
da hatten wir satt zu essen, sahen kein Unglück und es ging uns
wohl. Seitdem wir aber unterließen der himmelskönigin zu opfern
und Spenden auszugießen, haben wir Mangel an Allem und gehen
unter durch Schwert und hunger“, erklärten sie. Und den Spieß
umkehrend antwortete ihnen der Prophet Jeremias: „Weil ihr
geräuchert habt und gesündigt gegen den Ewigen und habt nicht
gehorcht seiner Stimme, nicht gewandelt nach seiner Lehre und seinen
datzungen, darum hat euch dieses Unglück getroffen“ (XLIV 172-28).
Endlich genügten aber alle Erklärungsversuche der Unvoll⸗
kommenheit der göttlichen Justiz nicht mehr, und da man schon an
eine mit Empfindung von Schmerz und Lust begabte Fortdauer der
deelen nach dem Tode zu glauben angefangen hatte, verlegte man
die Strafe ins Jenseits. Nach Renan haben die Juden dies erst zur
szeit der Verfolgungen unter Antiochus, welche der Gerechtigkeit
Gottes zu widersprechen schienen, getan. Aber wir können eine so
päte Entstehung dieses Glaubens nicht annehmen, besonders, da auch
schon manche Stellen des Alten Testaments den KAufenthalt der Seelen
in einer Unterwelt und einen besonderen Ort für die Frevler an—
deuten. Wenn nordamerikanische Indianer und manche andere
wilde Völker an künftige Bestrafung der Bösen glaubten, so kann
an eine so späte Entstehung dieses Glaubens bei den Juden, die auf
einer höheren Rulturstufe standen, nicht gedacht werden. Und dies
Kap. XXXI 20, 30.
36 Die Entstehung von Hölle und Paradies.
um so weniger als manche von ihnen um jene Seit schon einen viel
höheren Begriff von Cohn und Strafe hatten. Im zweiten vorchrist⸗
lichen Jahrhundert lehrte (nach Sprüche der Väter Abschnitt l) Rabbi
Simon der Gerechte: Seit nicht wie die Knechte, die ihrem Herrn des
Cohnes wegen dienen, sondern dient nur aus Gottesfurcht.
Ssolchen edlern Anschauungen begegnen wir auch hin und wieder
in spätern Seiten: Ein Gesandter eines französischen Königs im
dreizehnten Jahrhundert erzählte, er habe in Damaskus ein Weib
gesehen, das in der einen hand Feuer, in der andern Wasser trug.
Auf Befragen antwortete sie: mit dem Feuer will ich das Paradies
verbrennen, mit dem Wasser das Feuer der hölle auslöschen, damit
die Menschen Gott um seinetwillen und nicht wie Taglöhner ver⸗
ehren sollten. Auch die heilige Therese soll gesagt haben, sie möchte
wünschen, es gebe weder himmel noch hölle, damit man Gott seinet⸗
wegen allein lieben sollte.
Den nach strenger Gerechtigkeit Hungernden genügte aber die
Anweisung auf Gericht, Strafe und Cohn im Jenseits auch nicht.
Warum, fragten sie, soll es dem Frommen nicht auch in diesem
irdischen Leben gut, dem Gottlosen und Bösen schlecht gehen? Diesen
mußte mit einer andern Erklärung gedient werden. Gott wolle,
antwortete man ihnen, reinen Tisch machen: Es gibt keinen voll⸗
kommenen Sünder und keinen vollkommenen Tugendhaften in diesem
irdischen Jammertal, lehrten der Talmud und spätere jüdische Theologen:
wenn es dem Frommen und Gerechten im Leben schlecht geht, so ist
es, weil Gott ihn für seine kleinen Sünden hier abstraft, um ihn
dann die Freuden des Paradieses ohne Abzug genießen zu lassen,
und ebenso zahlt er dem Frevler und Sünder den Lohn für seine
wenigen guten Taten bar aus, um ihn dann ganz der Hölle über⸗
liefern zu können.
Ahnlich meinte der heilige Augustinus, es entspreche wohl der
zöttlichen Gerechtigkeit, daß die, denen die ewige Seligkeit versagt ist,
mit irdischen Freuden abgespeist werden, während die, welche keine
ewigen Höllenstrafen zu erleiden haben werden, für ihre kleinen
zsünden auf Erden bestraft werden.“ Also eine Art oberirdisches
Fegefeuer.
F. M. Klinger, Reisen vor der Sündflut, Werke VI 288-809.
Talmud bab. Taanith 110; Talmud jer. Synedr. Abschnitt 10 f.
270; Jalkut Schimeoni zu Joel II und Psalm XXXVI.
8 De civitate Dei lib. 20 cap. 2.
—
Gleichzeitigkeit verschiedenen Glaubens. 37
Indessen wurde der Glaube an LCohn und Strafe im Jenseits
von den Juden erst am Unfange des fünfzehnten Jahrhunderts
durch Joseph Albo zum Glaubensartikel gemacht.“
In den im zwölften Jahrhundert von Maimonides als ver—⸗
bindlich aufgestellten dreizehn Grundartikeln des Judentums lautet
der zwölfte: „Ich habe den festen Glauben, daß Gott die, welche
seine Gebote befolgen, belohnt und die Übertreter bestraft“. — Wie
und wann wird nicht gesagt. Da aber der dreizehnte Artikel den
Glauben an die Auferstehung der Toten ausdrückt, so könnte man
annehmen, daß Lohn und Strafe erst zu jener Zeit zur Austeilung
gelangen werden. Im jüdischen Volksglauben sind aber Hölle und
Haradies jetzt noch recht lebendig.
Es ist überhaupt höchst wahrscheinlich, daß die drei Stufen des
Glaubens an Lohn und Strafe — direkt irdische, die Nachkommen
treffende, für das Jenseits aufgesparte — nicht immer zeitlich von⸗
einander geschieden waren, eher wohl räumlich, nach den Volksklassen.
do finden wir bei den Griechen und Römern späterer Zeit, gleichzeitig
mit dem Eindringen orientalischer Kulte, mit dem Glauben an
Jenseitsstrafen und an die Mittel sich vor ihnen durch Reinigungen
und geheimnisvolle Zeremonien zu schützen, bei den philosophisch und
literarisch gebildeten Männern — ich nenne nur Cicero, Lucretius
Juvenal, Seneca, Cucian — die CLeugnung von Strafe und Belohnung
im Jenseits, den Zweifel an die Cristenz der Götter, ja deren voll⸗
ständige Leugnung und Verspottung. Die Höllenstrafen der Dichter,
sagt Seneca (ad Martiam de Consolatione XIX), sind Spiele der
—XED
von solchen Vorstellungen in seinen Tragödien Gebrauch gemacht.
So hat vielleicht auch Virgil, trotz des sechsten Buches der Aeneis,
an die Unterwelt und ihre Strafen nicht geglaubt und nur den zu
poetischer Behandlung so geeigneten Volksglauben für seinen Zweck
benutzt. Und die Existenz eines solchen Volksglaubens bei Griechen
and Römern wollen wir trotz Rohde (Psyche J 312) für höchst
wahrscheinlich halten.
UÜbrigens hat sich auch manches aus der ersten Stufse des
Blaubens bis in die neueste Zeit erhalten. So z. B. wenn der
Pfarrer in seiner Predigt Dürre, Mißwachs und Epidemien als
Folgen der Vernachlässigung des Kirchenbesuches oder der sexuellen
dergehen seiner Gemeinde erklärt, während der gläubige Jude sie
3 Graetz, Geschichte der Juden VIII 156 fg.
38
Wege und Sührer zur Unterwelt.
für Folgen der Übertretung der Speise— oder Sabbatvorschriften
hält.
Aber der Glaube an diese zeitlichen irdischen Strafen hat den an
die ewigen unterirdischen nicht verdrängt. Ja dieser ist auch jetzt
der verbreitetste, in fast allen Religionen der offiziell kirchliche. Nur
die Sünden und Wege, die zur Hölle führen, sind verschieden.
—F
III. Wege und Führer zur Unterwelt.
Wir haben gesehen, wie der Glaube an die hölle entstanden
und wie diese zu einem integrierenden Bestandteil des Weltbildes
geworden ist. Aber, wie gelangt man in die hölle und über—
haupt in das Reich der Abgeschiedenen? — Durch den Tod
oder richtiger durch das Sterben. Das ist wohl die nächstliegende,
fast selbstverständliche Antwort. Aber die Sache ist nicht so einfach,
wie man glaubt.
Der Weg zur Hölle, der nach dem Sprichwort mit guten Vor—
sätzen gepflastert ist, und der Abstieg, der nach Virgil so leicht sein
soll — facilis descensus Averni —, sind beide im Gegenteil sehr
rauh, mit Schwierigkeiten und Gefahren verbunden. Sagt doch auch
wieder ein deutsches Sprichwort: „In die Hölle kommt man mit
größerer Mühe denn in den himmel“. Und wenn man auch auf
mehreren Wegen zur Unterwelt hinabsteigen kann, so übertreibt
Sschiller doch sehr, wenn er die Ceres klagen läßt
Nieder führen tausend Steige“.
Virgil selbst schildert an andern Stellen seines Cpos den Weg als
grausig und beschwerlich. Nebenbei bemerkt, hat seine Schilderung
des Weges, den er den Aeneas gehen läßt, auffallende ähnlichkeit
mit manchen Stellen des babylonischen Gilgamesch-Epos. Dieser zieht
aus seinen Ahnen Utnapischtim, Aeneas um seinen Vater Anchises
aufzusuchen; Gilgamesch wandert vierundzwanzig Stunden in der
Finsternis, Aeneas „umdunkelt von einsamer Nacht durch den Schatten“.
Dem Baum mit den goldnen 3weigen, von denen Keneas einen
pflückt, entspricht der Edelsteine tragende Baum des Babnloniers,
der Sibylle von Cumae, die dem Keneas weissagt, die Prinzessin
Sabitum, die in einem Schloß am Meere lebt, und den Gilgamesch
Melanesische Höllenreise. Markandeya Purana. 39
über den Weg, den er zu gehen hat, belehrt, und für die, nach
Jastrow, noch keine befriedigende Erklärung gefunden wurde. Einen
Fortschritt zeigt es beim römischen Dichter, daß Aeneas im Nachen
des Charon den Acheron überschifft, während Gilgamesch erst einen
Baum umhaut und ein Ruder anfertigt, um das Totenwasser
überschiffen zu können.!
Von dem Wasser und dem Fährmann wird noch später die Kede
sein; gibt es doch noch genug Strapatzen und Gefahren zu bestehen,
bis man zu ihnen gelangt, wie es so viele Mythen und Sagen zu
erzählen wissen: „Die Phantasie der Melanesier“, sagt Ratzele,
„stattete den Weg zum Jenseit smit vielen und mannigfaltigen Hinder⸗
nissen aus .... Die Seelen müssen an einem KRiesen vorbeigehen,
der mit seinem großen Steinbeil alle zu treffen sucht, die VPerwundeten
müssen ewig als Geister im Gebirge umherirren, die ihm Ent—⸗
kommenen erhalten nach ihrer Freisprechung durch Ndengei Erlaub⸗
nis sich am Geruch der Menschenopfer zu ergötzen. Am schlimmsten
geht es den Seelen der Unverheirateten. UAuf sie lauert Nangga—⸗
Nangga, und sobald er eine erfaßt hat, hebt er sie mit beiden händen
empor und wirft sie auf einen Felsen nieder, so daß sie enzweibricht .....
Am Eingang des Hades der Vatu⸗Insulaner sucht Salatau die
Tintretenden mit Keulen auf den Ropf zu schlagen.“
Nach dem brahmanischen Markandeya-Purana leidet der Tote
auf dem zwölftägigen Wege zu Namas Unterweltreich durch spitze
Steine, Feuer und Sonnenglut; er wird von Schakalen gebissen
u. dergl. Dann ergreift ihn ein Bote Yamas, bindet ihn mit Stricken
und schleppt ihn unter Stockschlägen in die Unterwelt·
Die Indianer Brasiliens wissen von einem beschwerlichen Weg
durch Wälder, über Berge und Flüsse, die Mexikos von einem durch
acht Wüsten, über fünf hügel, über die der Totengott selbst die
deelen in sein Keich befördert, zu erzählen.
Auf den Samoainseln muß ein Geist, der auf der östlichsten
Insel seinen Körper verläßt, die ganze Inselreihe durchwandern und
die Meeresarme an bestimmten Punkten überschreiten, bis er am
westlichsten Punkt der westlichsten Insel in das Meer springt,
vVergl. Aeneis V 732 ff., VI 679 ff., 267, 135, 186, 294 mit der
Inhaltsangabe des babyl. Epos bei M. Jastrow, The religion of Babylonia
and Assyria S. 467-517.
Völkerkunde 1 293.
Scherman, Indische Visionsliteratur S. 29, 30.
3
Wege und Führer zur Unterwelt.
um in die Unterwelt zu schwimmen oder direkt in dieselbe hinab—
zusteigen.
Die Tscheremissen pflegten dem Toten einen Stock mitzugeben,
um die Geister, die ihn auf dem Wege angreifen, zu bekämpfen,
oder Geld, um sich von ihnen loszukaufen.“
Bei manchen Völkern werden dem Toten Schuhe mitgegeben,
— D0
arkophagen in ägypten aus dem vierten vorchristlichen Jahrhundert
sind Schuhe, in südrussischen Gräbern aus derselben und aus späterer
Zeit sind lederne Stiefel gefunden worden.
In der Vision des Gottschalk wird erzählt, daß man auf dem Wege
zur hölle eine Gegend voll Dornen und Disteln barfuß zu passieren
hat, weshalb ihm ein mitleidiger Engel ein Paar Schuhe gab.
Der Brauch, dem Verstorbenen einen „Totenschuh“ ins Grab zu
legen, herrschte auch bei manchen germanischen Völkern und in
Irland noch im neunzehnten Jahrhundert. An manchen Orten
wurden sogar Gummischuhe und Regenschirme ins Grab gelegt.
Manche südamerikanische Indianerstämme glauben, daß der Weg ins
Jenseits so lang sei, daß die Toten ermüden würden, wenn sie nicht
ritten, und vor hunger stürben, wenn sie nichts zu essen hätten; des⸗
halb werden manchmal Pferde, hunde und andere Tiere am Grabe
getötet.“
10
Den langen beschwerlichen Weg in die Unterwelt treten freiwillig
nur die Selbstmörder an. Sonst sträuben sich die Menschen dagegen
und müssen gewöhnlich von einem Boten der Gottheit, des Unterwelt⸗
herrschers oder vom Tode selbst, bei den Griechen als Thanatos, bei
den Juden als furchtbarer Todesengel mit Schwert und Flügeln
personifiziert, in den Totentänzen des Mittelalters als schreckliches
Knochengerippe dargestellt, geholt werden. Der christliche Volksglaube
weiß aber auch von vielen Sündern, die vom Teufel selbst oder
dessen Dienern direkt in die hölle geschleppt oder getragen wurden.
In KAeschylos Eumeniden will die Furie den Muttermörder in die
Unterwelt hinabschleppen.
Semmrich, Todteninseln und verwandte geogr. Mythen, Leiden 1891
S5. 7, 21. N. Smirnov, Les populations finnoises S. 141.
2 E. Samter in Neue Jahrbücher für das klass. Altertum Bd. 19
(1907) s. 137.
s Wutke, Der deutsche Volksaberglaube der Gegenwart 734 8. 434;
Ciebrecht, Zur Volkskunde S. 493; Grimm, Deutsche Mythologie? II 795.
Ratzel Völkerkunde J 587.
Widerstand gegen den Todesengel. 41
Der Todesengel wird zuerst in der Bibel (I1I Samuel Kap. 20)
bei Schilderung der Pest unter König David erwähnt, jedoch nur
Engel Gottes genannt. Es ist bemerkenswert, daß sein Schwert an
dieser Stelle nicht erwähnt wird und sich erst in der viel jüngeren
Erzählung des ersten Chronikbuches (Rap. 21, 16- 17) findet. Das
Wunder hat sich bekanntlich während der Pest in RKom auf Bitten
Papst Gregor J. wiederholt, und der sein Schwert einsteckende
Engel auf der nach ihm benannten Engelsburg erinnert noch
jetzt daran.
Dem Todesengel ist aber manchmal seine Aufgabe schwer gemacht
worden. Nach einer jüdischen Legende hat sich der Prophet Moses
geweigert, ihm seine Seele auszuliefern und ihn so einzuschüchtern
gewußt, daß er zu Gott zurückkehrte und ihm sagte: „befiehl mir,
in der Hölle das Unterste zum Obersten zu kehren und ich führe es
in einem Augenblick aus, aber gegen den Sohn Amrams kann ich
nichts ausrichten, denn er gleicht dem Feuerengel an deinem Throne
und Blitze schießen aus seinem Munde, wenn er spricht“. Darauf
schickte Gott den Engel Samiel, um den Moses zu holen. Aber als
er sein Schwert zückte, erhob Moses gegen ihn seinen Stab mit dem
eingegrabenen Namen Gottes und jagte ihn fort. Da stieg Gott
der herr selbst hinab, bewog den Propheten mit freundlichen Worten,
sich seinem unabänderlichen Urteil zu fügen und nahm ihm die
deele mit einem Ruß.
Nicht durch den Todesengel, sondern durch göttlichen Kuß sollen
nach dem Talmud? auch die Seelen von Abraham, Isaak, Jakob,
Ahron und Mirjam vom KRörper gelöst worden sein. Nach dem in
griechischer Sprache erhaltenen, wahrscheinlich von Juden herrührenden
apokryphen Testament Abrahams stellten sich auch der Abholung
der Seele dieses Patriarchen Schwierigkeiten entgegen. Der damit
betraute Erzengel Michael wagte nicht den Abholungsbefehl auszu—
führen. Da verkleidete sich der Todesengel als Erzengel und fand
als solcher Zutritt bei Abraham, der sich endlich bereit erklärte, dem
wirklichen Erzengel zu folgen. Michael stieg nun, von vielen
Engeln begleitet, herunter und führte die Seele des Patriarchen ins
Paradies.
Nicht fromme Männer, wie die Patriarchen, sondern die be—⸗
gehrlichen, am Röorperlichen hängenden sind dagegen nach Plato (Phädon
Jellinek, Bet-ha⸗Midrasch VI 71.
2 Traktat Baba bathra 178.
X. Kohler in Jewish quarterly Review VII (1895) s. 581 ff.
— —
12
Wege und Sührer zur Unterwelt.
f. 108) diejenigen, welche sich gegen den Tod sträuben und von Dämonen
gewaltsam abgeführt werden. Die, welche ein reines und mäßiges
CLeben geführt haben, bekommen Götter zu Führern und KReise—
begleitern bis zu dem ihnen gebührenden Platz.
Nach dem Vendidad, Fargad 19, schreckt, quält und schlägt der
Dämon Vizarescha (der Schlepper) die Seelen der Sünder in den
ersten drei Nächten nach dem Tode und führt sie am vierten Tage
in Ketten fort.
Der Todesengel konnte aber manchmal ganz gemütlich werden.
So hat er sich einmal mit dem Kabbi Schimon ben Chalafta unter⸗
halten und sich über einen Menschen lustig gemacht, der Pläne auf
Jahre hinaus entwarf, während er dessen Todesurteil schon zur
Dollziehung erhalten hatte.!“ Andere jüdische Sagen beziehen sich
auf die Prozedur, mit der der Todesengel die Seele vom Körper löst.
Ein sanfterer Seelenführer als dieser ist Puschan, der vedische
Gott der Wege, der auch Reisende vor dem Verirren bewahrt.
Man bittet ihn den Toten von seiner irdischen Heimat aufbrechen zu
lassen, auf dem Wege schützend vor ihm herzugehen und ihn den
Ahnen zu übergeben. Später scheint (wegen der Leichenverbrennung)
auch Agni als zum himmel führender Seelengeleiter gegolten zu
haben, und gelegentlich erscheint auch Savitar als Seelenbegleiter.?
Bei den Trauerzeremonien der Chinesen beten die Priester zu
dem Drachenkönig und Gebieter des Ozeans, daß er die herum—
irrende Seele des Verstorbenen, die;, um zu den Geistern der Vorväter
im Familienhause zu gelangen, einen so weiten und gefährlichen
Weg über das Meer zurückzulegen habe, schützen und behüten möge.“
ODon den hunden als Todesboten des indischen Höllenfürsten
Hhama sowie von den Führern, welche Lebende ins Jenseits geleiten
und dort gleichsam als Ciceroni herumführen, wird später die
Kede sein.
Die Griechen und Römer hatten verschiedene Bezeichnungen von
schwankender Bedeutung für den Tod, manchmal die Idee des
Sterbens, manchmal die der Unterwelt mehr hervorhebend. Hades
und Oreus bezeichnen den Herrscher der Unterwelt und diese selbst,
dann aber auch den das Leben wegnehmenden Gott. So erscheint
Jalkut Schimeoni zu Sprüche Sal. X 8 947.
Rigveda X 17, 3; Oldenberg, Religion des Veda 76, 230, 585, 588;
Zimmer, Altindisches Leben aæ4—4.
3De Groot S. 51.
Thanatos. Das Abschneiden des Haares, Schlaf und Tod. 43
hades bei Pindar (Olymp. Ode IX 33) gegen Herakles mit dem
Stabe kämpfend, womit er die Toten in die Unterwelt hinabtreibt.
Nach Preller scheint Orcus mehr dem vollziehenden Todesgotte, Dis
Pater dem Unterweltsherrscher Pluto entsprochen zu haben!; nach
Steuding (in Roschers Lexikon II 1 5. 246) dürfte Orcus die das
Leben zerstörende Macht des Todes selbst darstellen. Nuch der von
Polygnotos in der Lesche zu Delphi dargestellte zähnefletschende, auf
einem Geierfelle sitzende Unhold Eurynomos dürfte ein Bild des
grausigen Todes und der Verwesung vorstellen.
Der eigentlich tötende Gott der Griechen ist aber nicht ein die
Fackel senkender Genius, der „mit einem Ruß ——— —
Nahm das ietzte Leben von der Lippheeeeee
sondern der Thanatos, wie ihn die Alkestis des Curipides am Grabe
Opferblut trinkend gesehen hat. Nur im goldenen Seitalter, als
Kronos noch herrschte und die Menschen die Leiden des Alters nicht
kannten, verschieden sie auch sanft, wie in den Schlaf versinkend,
sagt Hesiod.“ Der Thanatos aber hat mehr äühnlichkeit mit dem
jüdischen Todesengel und trägt wie dieser ein Schwert, mit dem er
dem zu Tötenden doch nur das haar abschneidtee.
Nach Virgil ist es Proserpine, welche dieses Hhaarabschneiden
besorgt, was nach Macrobius den Unterweltsgöttern weihen bedeutet.“
Das Wachsenlassen des haares und dann dessen feierliches Abschneiden
hatten auch im jüdischen Glauben ihre religiöse Bedeutung.“
Die ausführlichste Zusammenstellung der darauf bezüglichen
Bräuche bei allen Völkern und deren Sinn gibt J. G. Frazer in
seinem inhaltsreichen Werke The golden bough J S. 368 — 89,
III S. 390 - 91.
Der Tod ist also auch den Griechen in schrecklicher Gestalt
erschienen, wenn er auch als Sohn der Nacht der Bruder des
Sschlafes ist. Aber sie sind gar ungleiche Brüder. Schon Hesiod hebt
in der Theogonie (V. 755 ff.) den Unterschied hervor zwischen dem
Sschlaf, „der ruhig einhergeht, freundlich den Menschen“ und dem
Tode, „dem starrt von Eisen der Sinn und des' ehern herz mitleid⸗
los ist, der ein Entsetzen sogar den unsterblichen Göttern ist.. Hhomer
KRöm. Myuthologies II 31, 64.
Werke und Tage 117.
Aeneis IV 698; Saturnalia V, 19, 8. auch Ilias XXIII 140 ff.
IV Buch Mosis VI 5, 9, Richter XVI 17-19.
14
Wege und Führer zur Unterwelt.
läßt in der Ilias (Ges. XVI) diese Zwillinge, fast wie die Diener
einer von Phöbus geleiteten Bestattungsanstalt, den toten Sar⸗
pedon wegtragen. ANuffallend bleibt es auch, wozu man diese
Brüder noch braucht, da Phöbus schon früher den Leichnam reingewaschen
in die Totengewänder gehüllt und fortgetragen hat. Und was hat
der Schlaf bei Wegschaffung einer Leiche zu tun?
Freilich hat man sich schon seit CLessings „Wie die Elten den
Tod gebildet“ daran gewöhnt, in den Darstellungen von zwei Genien
an Grabmälern und auf Urnen Tod und Schlaf zu sehen, aber schon
herder hat in seiner Abhandlung mit demselben Titel diese Aus—
legung bestritten, auf die Auffassung des Todes bei den Griechen als
grausigen Wesens hingewiesen und eine richtigere Erklärung der
zwei Genien gegeben. Ausführlicher hat dies in neuester Zeit
Dr. hermann Ubell in seiner Abhandlung „Vier Kapitel vom
Thanatos“ (Wien 1903) begründet. Doch scheinen manche EAb⸗
bildungen dieser Genien aus späterer Zeit Schlaf und Tod dar⸗
zustellen.
Im orphischen Hymnus auf Hermes heißt es:
„Der du am Strand des Kocytus, des unerbittlichen Stromes,
Weilest und führest die Schatten hinab in die Tiefen der Erde,
Wandelst im heiligen Hause der Herrscherin Persephoneia,
Lenkest der Seelen Schar, die hinab das Schicksal gesendet,
hermes, Geleiter im Tode! du zauberst mit göttlichem Stabe
Alle in nächtlichen Schlummer und weckest aus dem Schlummer sie
wieder,
Wenn ihnen nahet die Frist; denn durch des Tartarus Räume
Führer der Toten zu sein, der ewig lebenden Seelen,
Bist von Persephone du, der Göttin des Dunkels, bestellt.“n
Der Götterbote wird also hier in Beziehung zu Schlaf und Tod
gebracht, und auch am Anfang des letzten Gesanges der Odyssee, wo
er die toten Freier in die Unterwelt geleitet, führt er den Stab,
womit er einschlafen macht und wieder erweckt. Sollte hier nicht
Ichlaf mit Tod und Erweckung mit Auferstehung identisch sein?
horaz preist den Merkur in der ihm gewidmeten hymne
(Carm. 110) als bei obern und untern Göttern beliebten Seelenführer.
sAls solcher wird er von Zeus abgeschickt, um Persephone aus der
Unterwelt heraufzuholen. Sahlreiche Bildwerke stellen ihn als
UÜbersetzung nach V. W. Furtwängler „Die Idee des Todes in den
Mmythen und Uunstdenkmälern der Griechen“, Freiburg i. B. 1885.
Seelenführer, Hermes und Walküren.
45
Geleiter der Seelen in den Hades dar. Von einer Beziehung des
hermes zu den Seelen in der Unterwelt sprechen auch Aeschylos und
Sophokles!. Bei Aristophanes (im FSrieden) erscheint er mehr als
unterirdische Gottheit; wie Cukian sich über ihn lustig macht, werden
wir noch sehen.
Man könnte aber auch glauben, daß er nicht alle Tote sondern
nur bevorzugte oder besonders vornehme in die Unterwelt geleitete.
Jedenfalls war er ein milderer und angesehenerer Seelenführer als
Todesengel und Thanatos. Ungewöhnlich erscheint es, wenn er auf
einer Vase aus Athen (in der Münchner Sammlung) als dem im
Nachen sitzenden Charon eine Frau zuführend dargestellt ist, und ganz
gegen olympischen Brauch ist es, wenn Tibull (El. J. 3, 57) Anspruch
erhebt, von Venus ins Elysium geleitet zu werden. Doch wird in
griechischen Grabschriften aus späterer Zeit manchmal die Sührung
eines Gottes, wie Rohde meint, wohl des vom Verstorbenen besonders
verehrten, in die Unterwelt oder ins selige Leben erbeten.
Nach altgermanischem Glauben entsendet Odin die Walküren,
um alle im Kampf gefallenen Helden zu empfangen und in seinen
Himmel zu geleiten. Der Unterschied zwischen ihnen und Hermes ist
aber nicht, wie Grimm meint, daß er, wie der etruskische Charon,
zum Hades und nicht ins Elysium geleitet, während die Walküren
nach Walhalla, nicht zur Hel, führen?, denn hermes geleitet auch
ins Elysium.
Die Walküren erinnern uns an die schöne, strahlende, süßduftende
Jungfrau mit glänzenden Armen, von schlanker entzückender Gestalt,
mit schwellendem Busen, im Alter von fünfzehn Jahren, mit einem
Wort, wie das schönste aller geschaffenen Wesen, welche dem fsrommen
reinen Parsen in der dritten Nacht nach seinem Tode entgegentritt
und ihn ins Paradies einführt. Dem Sünder aber kommt ein
garstiges, häßliches, stinkendes Weib entgegen, das ihn in die
ewige Finsternis führt.
Die schöne Jungfrau antwortet auf die Frage des Toten: Ich
bin alles Gute, was du gedacht, geredet und getan hast. Das
häßliche, stinkende Weib ist dagegen alles Böse, was der Sünder in
seinem Leben gedacht, geredet und getan hat.
Totenspenderinnen 126, Perser 628, Ajax 332, Oedipus Kol. 1548.
Eine merkwürdige Notiz über Merkurs Benehmen gegen Proserpine findet
sich bei Cicero De natura Deorum III 22.
Pfyche II 387.
b Deutsche Mythol. s. 701.
4
16
Wege und Sührer zur Unterwelt.
Nach Tiele ist nicht das häßliche Weib (das sich erst im viel
jüngeren Arda Viraf⸗-Buche sindet), sondern der die Seele des Sünders
wegschleppende Dämon Vizaresa das wahre Gegenstück der schönen
Jungfrau, die den Frommen zum himmel führt.“
Es ist übrigens sehr wahrscheinlich, daß beide weibliche Wesen
ursprünglich nur böse und gute Geister waren, deren Umwandlung
in Sinnbilder schlechter und guter Gesinnungen und Handlungen erst
in späterer Zeit erfolgte.
Und diese Geister finden wir im Talmud. Dort heißt es im
Traktat Kethuboth 1044: Rabbi Eleazar sagt, wenn ein Frommer
stirbt, kommen ihm drei Engelscharen entgegen und rufen ihm zu:
„Willkommen, ruhe in Frieden!“ Dem Sünder kommen drei Scharen
Teufel entgegen und rufen ihm zu: „Keine Ruhe dem Frevler, er
liege in Qualen!“
Bedenkt man, daß der Avesta seine definitive Redaktion zwischen
dem ersten vorchristlichen und dem vierten nachchristlichen Jahrhundert
erhalten hat, und daß manche Orientalisten, wie Spiegel, Darmestetter,
Bréal, schon in dessen ältesten Teilen griechische, namentlich neu—
platonische und jüdisch-biblische, wie überhaupt semitische Einflüsse
wahrnahmen, und daß selbst die, welche den Avesta für eines der
ältesten Denkmäler der arischen Rasse erklären, die Möglichkeit
päterer Entlehnungen aus semitischem Glauben wohl nicht bestreiten
können; ferner daß das Arda Viraf-Buch vielleicht erst im neunten
Jahrhundert abgefaßt wurde, so wird man die Entlehnung aus
jüdischem oder allgemein semitischem Glauben nicht ganz verwerfen
können.“ Andererseits lassen wieder die Walküren uralten, allgemein
arischen Glauben vermuten. Mohammed dürfte jedenfalls die huris
seines Paradieses der altpersischen wunderschönen Jungfrau, deren
wahre Bedeutung er verkannte oder nicht kennen wollte, nach—
gebildet haben.
Der von Grimm erwähnte „etruskische Charon“ ist wohl der
gräulichste Seelenführer, aber kein Fährmann wie der griechische.
In Schilderung gräßlicher, scheußlicher Totenbegleiter und Toten—
1S. oben s. 42 und C. P. Tiele, Geschichte der Keligionen im Alter⸗
tum II 302- 04, 142-28.
» VDergl. Darmestetter Avesta Jasht. 22, 9-15; Vendidad 19, 2844,
Bd. II 260, 590 657558, III S. VI, LVII— LXII; Maspero, Histoire
ancienne des peuples de l'Orient classique IIJ 590; Arda Viraf 17,
122 27.
Etruskische Seelenschlepper.
47
abholer, die wir freilich nur aus bildlichen Darstellungen von
geringem Runstwert, nicht aus muthographischen oder poetischen
Werken kennen, haben sich die Etrusker besonders ausgezeichnet.
haben sie ihre Kunde der Unterwelt von den Griechen entlehnt, so
waren es die finstersten und gräßlichsten Vorstellungen die sie ent—
lehnten und zu vielfacher Potenz steigerten. Der Totenführer erscheint
bei ihnen als eine wilde, halb tierische Greisengestalt, mit vorstehenden
Zzähnen, wildrollenden Augen, tierisch spitzen Ohren, mit Sporen, wie
bei hühnern, an den Füßen.“
So kostümiert erschien später bei den Kampfspielen in Kom der
Mann, der die Leichen der Getöteten aus der Krena wegschaffte. Auf
Wandgemälden in Grabkammern, auf Aschenkisten, Vasen, Urnen,
in plastischen Darstellungen finden wir diesen etruskischen Totenführer
und Schergen der Unterwelt, manchmal mit einem Flügelpaar am
küchen und von Schlangen begleitet. In einer hand trägt
er gewöhnlich ein Gerät, das neuere Forscher, die in ihm den
Fährmann Charon der Griechen finden wollten, ein Kuder nennen.
Es könnte aber ebenso gut einen Stock, einen hammer, eine Fackel
oder irgendein Marterinstrument vorstellen. Nie aber sindet sich
dieser häßliche Geselle in oder mit einem Nachen!
Ausdrücklich sagt Martha: Charun, einer der Dämonen, welche
den Toten fortschleppen, ist nicht der Fährmann Charon der antiken,
sondern der scheußliche Greis Charundas der modernen Griechen, der
dem Thanatos des Euripides ähnlich ist.“
Auf einer Totenkiste des Museums zu Volterra ist dargestellt,
wie der etruskische Todesdämon mit dem hHammer in seiner Rechten
beim Muttermord des Orestes zugleich mit einer fackeltragenden
Furie dem Erdboden entsteigt. „Beigeschrieben ist sein hauptsächlich
auf diesem Kelief beruhender Name Charun.““
Das etruskische caru entspricht aber nach Dr. S. Bugge dem
driechischen calu. und dieses übersetzt er mit Orcusẽ, einem Worte,
huühnerfüße haben böse Geister auch nach jüdischem Aberglauben.
» Preller, Röm. Muithol. 11 72; Mommsen, Römische Gesch. 401 183;
Berhard, über die Gottheiten der Etrusker, in Abhandlg. der k. Rkademie
der Wiss. Berlin 1845 8. 532; O. Waser, Charon s5. 74, 76. 178.
Jules Martha, L'art étrusque, Paris 1889, 5. 179.
Gerhard a. a. O., Tafel VI 6 und 579.
Bei Deecke, Etruskische Forschungen, Heft IV, 31, 133. Die Schrift
von Ambrosch, De Charunte etrusco habe ich mir nicht verschaffen können.
3
18
Wege und Führer zur Unterwelt.
das im Italienischen (orco) noch für Ungeheuer und schreckliches
Märchenwesen gebraucht wird.
Manchmal erscheint dieser höllenscherge mit seinem wo möglich
noch häßlichern und gräßlichern Genossen oder Gehilfen Tuchulcha,
der geflügelt ist, weit aufgerissenen Mund, ungleich große Augen
und tierische Ohren hat, zuweilen auch hammer, hacken oder Sichel,
zwei Schlangen in den händen und zwei auf der Stirn trägt.
häufiger als mit dem angeblichen Kuder finden wir diesen Charun
als Begleiter oder Führer eines reitenden Toten, ihn fortzerrend,
manchmal auch von einem Sklaven gefolgt, der Mundvorrat nach⸗
trägt oder in einem Wagen gefahren. Der CEtrusker scheint also
sein Schifflein verkauft und sich Koß und Wagen angeschafft zu
haben — vielleicht aus den Ersparnissen von seinem Fährlohn.
Die Fresken im Grabe „del Cardinale“ in Corneto stellen
geflügelte Genien dar, einen Karren schleppend, auf dem eine Frau
sitzt; andere Tote reiten und werden von Dämonen mit hämmern
angetrieben; aber auch die Toten tragen allerlei Stäbe, Schaufeln,
Dreizacke. Im Grabe „del Tifoné“ in Corneto faßt Charun mit seiner
ralle einen der Schreitenden an der Schulter. Auf einem Mischkrug
von Vulci, welcher den Abschied der Alkestis von Admet darstellt,
steht hinter ihr Charun mit dem hammer auf geflügelten Sohlen, ein
anderer Schlangen tragender Dämon folgt ihm.
Den Charun oder Charu, sagt Waser (a. a. O. S. 73), haben
die Etrusker den Griechen entlehnt, „wie kein Einsichtiger bezweifeln
kann“. Aber einige Seiten später sagt er wieder: „Charon ist ohne
das Schiff schlechterdings nicht denkbar“ (5. 121).
Wie mir herr Dr. Gustav herbig, k. Sekretär an der k. Hof—
und Staatsbibliothek in München, auf meine Anfrage freundlichst
mitteilte, ist das Pferd der etruskischen Darstellungen „kein unter—
irdisches Beförderungsmittel, sondern gehört dem Toten und mußte
diesem in die Unterwelt folgen“. Es scheint also zu den am Grabe
gebrachten, als Mitgabe für den Toten gemeinten, Opfern zu gehören.
Dazu würde auch der Mundvorrat nachtragende Sklave passen, der
vielleicht mit geopfert wurde. — Tierknochen sind in etruskischen
Gräbern gefunden worden.?
Cuigi Milano in Rendiconti della Accademia dei Lincei V. 3 (1894)
5. 271 - 73.
Martha 393, 415 - 16, 487.
sEbenda 85. 182.
Germanen und Griechen.
49
Wie bereits erwähnt wurde, führt manchmal der Weg ins
Jenseits über Wasser, das man sich meistens im Westen, wo die
donne ins Meer versinkt, denkt. So glauben die Malayen, daß der
Weg dahin über das Meer führt, machen Särge in Kahnform und
stellen Miniaturkähne neben das Grab. In Neuseeland bringt man
einen Kahn, manchmal mit Ruder und Segel, bei oder im Grabe an.
Die Melanesier wissen von einem See zu erzählen, in den die Toten
hinabgestürzt werden und den sie durchschwimmen oder durchschiffen
müssen.
Germanische Völker ließen die Toten nach dem Totenlande
Britannien schaffen. Von einem Totenlande in oder bei Britannien
pricht auch Claudian.“ Und die Fahrt geschah nicht umsonst. Der
schiffer mußte seinen Fährlohn bekommen, der mitunter in einem
körperteil des Toten bestand, weshalb diesem auch manchmal hölzerne
hände und Füße in den Sarg gelegt wurden, damit er mit diesen
bezahlen könnte. Oder man legte den Leichnam auf ein Schiff, mit
oder auf dem man ihn verbrannte, damit er auf seiner Reise ins
Jenseits, wenn er an ein Wasser käme, das Fahrzeug zur hand
hätte.“ Aeschylos (Sieben vor Theben 866 ff.) läßt die Leichen von
kteokles und Polynikes auf schwarzbeflaggtem Schiff durch den
kicheron zu dem finstern allverschlingenden Eiland führen. Hier ist
bdon einem nicht menschlichen Schiffer und seinem Fährlohn noch nicht
die Rede, was aber die Möglichkeit nicht ausschließt, daß der
Volksglaube an einen solchen zur Zeit des Tragikers schon existierte,
denn dieser Glaube ist, wie wir gesehen, uralt und weitverbreitet. Wie
Sruppe dazu kommt, in Nessus den ersten Totenfährmann zu sehen,
ist mir nicht recht verständlich. Nesfus hat doch die iebende
Dejaneira über den Fluß getragen.
In ägypten war das Schiff das bequemste Verkehrsmittel, und
so mußte auch der Tote mit einem solchen versehen werden, da er
auf seinem Wege ins Jenseits Wasserläufe und Seen zu passieren
hatte. Man ließ daher manchmal, wenn der Tote zur Grabstätte
in einem Boot gebracht wurde, dieses dort zurück. Vor einigen
Jahren hat man bei der Grabstätte des Königs Horus, der um
—
Ratzel J. 8, 293, 439; Spencer Principles, Part. J. 15, T. J. 226.
2 Prokopius, Gotischer Krieg XIV. 20; Claudianus In Rufinum IJ.
32 132.
Grimm, Deutsche Mythol. 40, 8. 693; Simrock, Deutsche Mythol. 249.
Griech. Mythol. 8 165, J. 404.
Tandau, ZHölle und Segfeuer.
0
Wege und Sührer zur Unterwelt.
2500 v. Chr. gestorben ist, im Wüstensande die acht großen Boote,
welche bei Überführung der Leiche benutzt worden waren, entdeckt.
Untertanen, die sich solch königlichen Luxus nicht gönnen konnten,
legten ihren Toten neben den sonst üblichen Mitgaben auch kleine
schiffchen in plastischen Modellen oder (in späterer Zeit fast aus—
schließlich) im Relief oder gemaltem Bilde ins Grab.
Aus der ältesten Seit (vor 3000 v. Chr.) finden sich auf den
erhaltenen, bemalten Grabwänden Schiffe dargestellt; ungemein
häufig sind solche auf bemalten Töpfen. Daneben sinden sich auch
Nachbildungen von Fahrzeugen in Ton ausgeführt. In späterer
zeit, bis gegen 2000 v. Chr. wurde die Beigabe von holzmodellen
wohlbemannter Schiffe üblich. Aber auch die Rönige mußten sich
mitunter mit derartigen Modellen begnügen. So hat man vor etwa
zwei Jahren beim Eingange in das Grab eines Rönigs in Theben
zahlreiche hölzerne Matrosenfiguren gefunden.“
Wie Epiphanias in seiner Schrift Ancoratus (109 D, bei Migne
patrologia gr. Bd. 43 s. 209) berichtet, hat Kaiser hadrian seinem
oergötterten Liebling Antinous ein Spielzeug-Schiff ((ouoopiov m)oov)
ins Grab legen lassen. Weder bei Gregorovius (Hhadrian 2 8. 172)
noch sonstwo habe ich eine Erwähnung davon gefunden.
Hon einer Schiffahrt der Toten innerhalb der Unterwelt (Tuat)
ist auch in den ägyptischen Totenbüchern wiederholt die Rede. Nach
Diodor von Sizilien (I. 92, 960) ist sowohl die griechische Mythe vom
Fährmann als der Name Charon, ja der größte Teil der Unterwelts—
oorstellungen, wie die Agypter behaupteten, von ihnen zu den Griechen
gekommen. Und eigentlich sei der Fährmann keine mythische Person,
sondern es wäre ägyptischer Brauch gewesen, die Toten in einem
Kahn übers Wasser zum Begräbnis zu führen, der Fährmann, ein
Mensch von Sleisch und Blut, hätte als Cohn eine Charon genannte
Münze bekommen, von der er auch den Namen habe. Diodor
scheint nicht gewußt zu haben, daß es im ältesten ägypten keine
Münzen gab.
Der Virgil⸗Erklärer Servius (zu Heneis VI. 300) leitet den
Namen von xoipew, sich freuen, ab, per Antiphrasin, wie lucus à non
Totenbarken im Alten Agypten von A. Wiedemann, in „Globus“
vom 27. August, 1908 8. 119- 123. Nach John Garstang, The burial cusstoms
of Ancient Egypt as illusstrated by tombs of the Middle Kingdom, being a
report of excavations made in the Necropolis of Beni Hassan. during
1902 - 1904.
Charon.
51
lucendo. Aber man braucht gar nicht den Gegensinn zu Hilfe zu
nehmen, denn man kann sich denken, daß der Schiffer sich über seinen
Fährlohn freute, oder der Tote, daß er endlich eine Gelegenheit zum
hinüberkommen gefunden habe. Moderne Erklärer häben andere
Ableitung des Namens gesucht und den Fährmann für ursprünglich
echten Griechen erklärt. Waser leitet ihn von xdoop und den
feurig funkelnden Augen ab, die ihm auch Virgil: stant lumina flamma
D zuschreibt. Übrigens ist es wohl nicht zufällig, daß Charon die
Toten über den Acheron führt.
Während Pluto, äakos Minos, Rhadamantis Personen der
griechischen Mythe sind, die auch außerhalb der Unterwelt vorkommen,
finden wir den Charon nur in dieser als fest angestellten Seelen⸗
fährmann und wissen von seiner Verwandtschaft fast gar nichts,
während doch selbst Kerberus seinen Stammbaum hat.
Man könnte diese ähnlichkeit mit Melchisedek als Beweis für
seine herkunft aus äügypten anführen. Boccaccio nennt in seiner
Genealogiae Deorum IL. 33, unter Berufung auf Chrysippus, Erebus
und Nox als Eltern des Charon; aber bei Hyginus (fabularum praesatio)
und Cicero (De natura Deorum III. 17) wird Charon unter den Kindern
dieses düstern Chepaars nicht genannt. Der von Boccaccio zitierte,
aber von ihm nur indirekt gekannte Chrysippus ist wohl der von
Diogenes Caertius (VII. 7) und Cicero (a. a. O. J. 15) erwähnte
Stoiker aus Soli, dessen große Menge von Schriften fast ganz
derloren gegangen ist. Unter den wenigen erhaltenen Fragmenten
findet sich nichts über Charon.
Von Homer wird er nicht erwähnt und finden wir auch sonst
nichts über ihn in den erhaltenen UÜberresten der ältern griechischen
Literatur, bis auf die von Pausanias (X. 28, 1) aus der Minyas
zitierten zwei Verse:
„Aber den Nachen, den Tote umfassenden, welchen der alte
Fährmann Charon gelenkt, den fanden sie nicht an dem Ufer“.
Uber den sonstigen Inhalt dieser verloren gegangenen epischen
Dichtung, die vielleicht noch manches andere über Charon und die
Unterwelt enthielt, ist uns aber nichts bekannt. Ebensowenig wissen
wir, ob die Minyas die erste Dichtung war, die den Charon erwähnte,
ob ihr Verfasser ihn aus dem Volksglauben genommen oder gar,
wie Wilamowitz Möllendorf meint, geradezu erfunden hat. Cher
als an Erfindung wäre doch an Entlehnung aus ãgypten zu denken.
Näheres über Charon erfahren wir erst aus den jüngeren
Dramatikern des fünften Jahrhunderts, Euripides und Aristophanes,
32
Wege und Führer zur Unterwelt.
und aus bildlichen Darstellungen derselben Zeit. Zu letztern gehört
das, nach Pausanias, von der Minyas beeinflußte Gemälde des
Polygnotos in des Lesche zu Delphi, das wir aber auch nur aus
der um sechs Jahrhunderte jüngern Beschreibung des Pausanias
kennen. Doch schreibt Furtwängler auch die Darstellung des Charon
auf einem vor kurzem vor den Toren Athens gefundenen Tongefäß
dem Ende des sechsten Jahrhunderts zu.“ Curipides schildert nur,
wie die dem Tode nahe, geängstigte Alkestis den greisen Fährmann
schon zu sehen glaubt, wie er in seinem Kahne, die hand am
zteuer, mit funkelnden Augen die zögernden Toten zum Einsteigen
antreibt.
Mehrmals und eingehender beschäftigt sich der ungezogene Liebling
der Grazien mit dem Unterweltsfährmann. Spricht in Euripides
der Dichter, so hören wir in Aristophanes den Ungläubigen, der den
naiven Volksglauben karikierend verspottet. So läßt er in den
„Fröschen“ den Charon nach Passagieren rufen und dann die in den
Kahn CEingestiegenen recht unsanft behandeln. In einem Fragment
des „Gertyades“ erscheinen drei halbverhungerte arme Dichter als
Passagiere im Todeskahn. Auch in der CLusistrate und im Pluton
wird Charon erwähnt.
Noch kecker und mutwilliger macht sich der um ein halbes
Jahrtausend jüngere Lukian über Charon lustig und bekennt sich
offen als Verspotter des ihn und die ganze Unterwelt betreffenden
Volksglaubens. „Sobald jemand gestorben ist“, sagt er in der
„Trauer um die Verstorbenen“, „stechen ihm die Verwandten einen
Dbolus in den Mund, damit er den Fährmann bei seiner Überfahrt
bezahlen könne, ohne sich vorher zu erkundigen, was für Münzen
in der Unterwelt gelten.“ In der „Überfahrt“ verspottet er nicht bloß
den Glauben an Charon, sondern auch die Götter und besonders den
als Seelenführer fungierenden Hermes: „Mein Nachen“, sagt Charon
der Klotho, „ist schon lange zurechtgemacht und zur Überfahrt im
besten Stande, das Wasser ist ausgepumpt, der Mast aufgerichtet
und die Kuder hängen fest in ihren Riemen. Ich kann jeden Augen⸗
blick abfahren. Nur hermes läßt auf sich warten und bringt keine
Passagiere. Wir hätten schon dreimal hinüberschiffen können, und
jetzt naht der Abend heran, ohne daß wir einen Pfennig verdient
hätten.“ Dann äußert er den Verdacht, daß Hermes sich betrunken
BA. Furtwängler, Charon, eine altattische Malerei. Im Archiv für
Keligionswissenschaft VIII. (1905) 191 -202.
Charon.
53
habe, sich herumbalge und allerlei Allotria treibe oder gar auf
Diebeswegen gehe. Einen armen Toten läßt Charon dann durch
Mitrudern des vollgepfropften Nachens den Fährlohn abverdienen,
und bei den anderen Passagieren zieht er ihn vor dem Landen,
wie ein Omnibusschaffner herumgehend, ein.
Aber einmal (im zehnten Totengespräch) bekommt sein Nachen
ein CLeck und die Toten müssen vor dem Einsteigen Gepäck und
Kleidung am Ufer zurücklassen, um das Schifflein nicht zu überladen.
Sar köstlich wird im vierten Totengespräch geschildert, wie Charon
mit seinem KRompagnon hermes über die Reparatur des Nachens
abrechnet und schließlich dessen Schuldner bleibt.
Ernsthafter und mit dem Anschein voller Gläubigkeit hat zwei
Jahrhunderte vor Lukian der Römer Vvirgil (Aeneis VI. 305-28)
den schrecklichen, aber trotz seines hohen Alters noch ganz rüstigen
Fährmann geschildert. Um ihn drängt sich, der Überfahrt gierig, die
Schaar der Toten. Aber nur die Begrabenen nimmt er auf, die
kein Grab gefunden haben, jagt er unerbittlich davon. Sein Schiff⸗
lein wird nicht leck, wie das bei Lukian, aber da der lebende Aeneas
einsteigt, sinkt es tief ein, gelangt aber doch glücklich ans jenseitige
Ufer. wo Kerberus die Landenden anbellt.
Fur dieses Überführen eines Cebenden, zu dem er doch durch
den goldenen Zweig der Sibylle ermächtigt wurde, hat, wie der
birgilkommentator Servius erzählt, Charon zur Strafe ein ganzes
Jahr an der Kette liegen müssen. Ob die Toten so lange auf die Über⸗
fahrt warten mußten oder ob inzwischen ein Anderer sein Amt
versah, wissen wir nicht. Auch bei Seneca, der im Hercules furens
die Virgilsche Schilderung des Charon nachahmt, sinkt das Schifflein
unter der Last des lebenden herkules tief in die letheische Slut
und das Wasser fließt von beiden Seiten herein.
wie wir gesehen haben, wird Charon gewöhnlich als furchtein⸗
lagender, oft häßlicher Greis von den Dichtern geschildert, und in
ähnlicher Weise erscheint er mit Schiffermütze und Kuder im oder
beim Nachen auf griechischen und römischen bildlichen Darstellungen.
Doch erwähnt Furtwängler einen jugendlichen bartlosen Charon auf
einigen römischen Sarkophagen. Kuch im erwähnten Münchener Vasen⸗
bild erscheint er mit kurzem Bart und nicht sehr alt.
Als weißhaariger Greis waltet er seines Amtes am Ufer des
Grenzflusses in Dantes Hölle (III. 82 ff.), weigert den Lebenden die
flufnahme in sein Boot und jagt den Toten Angst ein. Aber damit
ist die Schiffahrt nicht beendet, denn am stygischen Sumpf wartet
54
Wege und Sührer zur Unterwelt.
ihrer der ebenso boshafte Phlegyas mit seiner Barke. Wohl von
Dante inspiriert hat Michelangelo den Charon mit Nachen und
Kuder auf dem Gemälde des Jüngsten Gerichts in der sirtinischen
lapelle dargestellt, aber ihm auch die ungriechischen Teufel zu—
gesellt. Einen freundlichern Fährmann findet Dante in dem Engel,
dem celestial nocchiero, der in schnellem und leichtem Schifflein die
Seelen zum Cingang des Segfeuers bringt. Sie kommen dahin über
die Tibermündung und den Ozean, während der Weg zur Hölle
über den Acheron führt.
Welchen Weg Properz die Toten gehen läßt, ist nicht klar;
denn über den Sinn seiner Verse
At tibi, nauta, pias hominum qui trajicis umbras,
Hoc animae portent corpus inane suae,
Qua Siculae victor telluris Claudius et qua
Caesar, ab humana cessit in astra via. IV. 17, 51- 54.)
ind die Philologen nicht einig. Doch hat der Dichter damit jeden⸗
falls nicht sagen wollen, daß Charon die Seelen zu den Sternen führt.
Was nun seinen Fährlohn betrifft, so betrug er gewöhnlich
einen Obolus (ungefähr 12 Pfennig). Wenn Aristophanes einmal
von zwei Obolen spricht (Frösche 139, 270), so steckt darin wohl
eine satirische Anspielung auf das Eintrittsgeld in das athenische
Theater, und wenn Psyche zu ihrer Wanderung in die Unterwelt
zwei mitnimmt, so geschieht es, um auch für die Rückfahrt zu
bezahlen, denn der Fährmann tut nichts umsonst, heißt es bei
Apulejus. In römischer Zeit scheint er seinen Tarif sehr erhöht zu
haben, denn nach Juvenal (Sat. III. 267) kostete die Fahrt gar
einen Triens.
Die Idee eines Fährlohns hat sich folgerichtig aus der Vorstellung
von einer Wasserfahrt der Seelen entwickelt. Wie die Volks- oder
Dichterphantasie zu dem höllentor einen Hund als Wächter schuf und
diesen durch Honigkuchen beschwichtigen ließ, so schuf sie zum Höllen—
gewässer ein Schiff und zu diesem einen Schiffer, der seinen Fährlohn
bekommen mußte. Der Brauch, dem Toten eine Münze zu diesem
zweck mitzugeben, konnte freilich erst zu einer Zeit entstehen, in der
schon Münzen im Umlauf waren.
Dieser Brauch hat sich bis in die neueste Zeit erhalten, und
über seine weite Verbreitung haben Ciebrecht, Maury, Waser, Wuttke,
Metamorphosen VI. 121.
5-5A.?r7”si—î—gmlgaAn--2gay-Aß- -odÇ,a hodsogaÛ ᷑nà m m—, —, S T7 , O.S O O-
die heil. Elias und Nikolaus als Fährmänner. Sage bei Heine. 55
ndree, Sartori und Andere Nachweise gegeben. Wie Camera!
erzählt, hat man im Jahr 1161 eine Goldmünze im Munde eines
bor längerer Zeit Begrabenen gefunden; in China ist die gewöhnliche
Grabmitgabe nur eine Rupfermünze; in Japan, wo ein altes
Weib den Dienst des Charon versieht, legt man ein Geldstück in
den Sarg.⸗
Der Erklärung Rohdes?, der Obolus sei der kleinste symbolische
kest der dem Toten mitzugebenden Gesammthabe, kann ich nicht zu⸗
stimmen. Freilich sagte man im harz noch in neuerer Seit beim
Tinlegen eines Geldstücks in den Mund des Toten: „Ich geb' dir
einen Zehrpfennig, nun laß mir einen Nährpfennig“, und die
Masuren drücken dem Toten ein Geldstück in die Hand mit den
Worten: „Jetzt hast du deinen Lohn erhalten, darfst also nicht mehr
kommen“*; aber mit Recht sagt Wuttke (8. 434), „bestimmt neuern
Ursprungs ist die Deutung, daß durch die Münze dem Toten sein
Tigentum rechtlich abgekauft werde oder er seinen Cohn empfange,
damit er nicht wiederkehre“.
In einem serbischen Volksliede übernehmen die heiligen Elias
und Nikolaus das Geschäft des Charon und rüsten Kähne aus zur
Beförderung der Seelen ins Jenseits.“ Da sie aber gewissen schweren
sündern die Überfahrt verweigern, so kann es sich nur um eine
Fahrt zum Fegfeuer oder Paradies handeln.
heine erzählt in „Die Götter im Exil“ eine schöne ostfriesische
Sage von einem gespenstischen Holländer, der einen Schiffer mietet,
um eine Ladung Seelen von der Rüste nach der weißen Insel Albion)
um Mitternacht hinüberzuführen. Der Schiffer sieht die in die Barke
einsteigenden Seelen nicht, merkt aber an dem Schwererwerden und
liefern Cinsinken derselben, daß die Ladung schon vollständig an Bord
ist. Er sieht aber Nebelstreifen und hört leises Knistern. Im Gegen⸗
jatz zu den sonstigen Vorstellungen, z. B. bei Virgil und Dante, sind
also die friesischen Toten gewichtige Persönlichkeiten. Nach der
Landung an der weißen Insel liest der Holländer die Passagierliste
ab und der Schiffer hört da auch Namen von Personen, die im
—
iqAnnali delle due Sicilie I. 64.
Ratzel II. 728; Richard Andree, Ethnographische Parallelen und
bergleiche, Neue Folge, S. 28, „Die Totenmünze“.
Psfyche J. 25.
E. Samter, in Neue Jahrbücher für das klassische Altertum 1907,
.134.
s Fr. S. Krauß, Sitte und Brauch der Südslaven 191.
36
Die Urteilsbrücke.
selben Jahre gestorben sind. Er hört das Aussteigen ebensowenig,
als er das Einsteigen gehört hat, aber er merkt, wie sein Schifflein
immer leichter wird, und nachdem die Liste zu Ende gelesen ist,
erkennt er an dessen Emportauchen aus der Flut, daß es ganz leer
ist. Der vereinbarte Fährlohn wird ihm in kleinen Pfennigstücken
ausgezahlt, worauf er zufrieden nach Hause kehrt.
Eine ähnliche viel düsterere Sage aus der Bretagne teilt Dr. Otto
henne⸗Am Rhyn in „Die deutsche Volkssage“ (S8. 450) mit.
CD
IV. Die Urteilsbrücke.
Auf der Landreise ins Totenreich treffen die Seelen oft auf einen
Fluß oder einen Abgrund, der überschritten werden muß. Einen
Fährmann findet man da gewöhnlich nicht, dagegen eine Brücke,
deren Beschreiten aber eine sehr gefährliche Sache ist. Denn sie dient
gewissermaßen als automatisches Gericht. Uralt, bedeutet sie doch
einen Sortschritt gegenüber den Griechen, deren menschliche und gött⸗
liche höllenrichter hier durch einen selbsttätig wirkenden Mechanismus
ersetzt sind. Die Sünder können die Brücke nicht passieren und
türzen in den höllischen Abgrund hinunter, die Frommen und
Gerechten gelangen unversehrt hinüber — ins Paradies.
„Swischen Zeit und Ewigkeit
Steht die Scheidungsbrücke,
Füllend mit dem Schreckensglanz
Die furchtbare Lücke.
Weißt du wohl, wie scharf und fein
Ist der Brüche Bogen?
Wie ein Schwert ist sie gezückt,
Wie ein Haar gezogen.
soll ein Fuß des Menschen gehn
Auf der schmalen Brücke,
Wo nicht aufzufußen hat
kaum ein Fuß der Mücke?
Wer nicht fest darüber hin
Sich zu schreiten trauet,
hoffe nicht, daß drüben ihm
Edenwonne tauet.
KRückerts Beschreibung. Orientalischer Ursprung der Brückhe. 57
Wenn der Frevler angelangt,
steht die Brück' und funkelt,
Daß sich die Besinnung ganz
schwindelnd ihm verdunkelt.
Ihn verwirrend, tritt heran
Mit des Todes Schrecken
Das Gedächtnis seiner Schuld,
Grau'n ihm zu erwecken.
Drunten gähnt der Abgrund auf,
Und der Seele Beben
Treibet ihn dem eignen Sturz
Sselber zuzustreben.
Doch wo ein Gerechter geht,
schwebt um ihn Vertrauen,
Das den Abgrund ihm entrückt
Und ihn läßt nicht grauen.
(Fr. Rückert, Die Scheidungsbrücke.)
Solche Brücken, von denen die alten Griechen und Römer nichts
gewußt haben, wenn man nicht etwa in der Benennung der Priester
als Brüchenmacher (Pontifices) eine Spur davon finden will, sind in
den Jenseitsschilderungen fast aller andern Völker, vom äußersten
Orient bis zum Westen Nordamerikas zu sinden. Man kann an
pontane Enistehung dieser Vorstellung aus der überall in ähnlicher
Weise wirkenden menschlichen Phantasie, bei den Amerikanern auch an
den Cinfluß christlicher Missionäre denken. Zu Christen und Mohamme—
danern scheint aber doch die Idee zu dieser Brücke durch jüdische
Dermittlung aus dem Orient gekommen zu sein.
Ich werde, ohne damit eine Genealogie oder Chronologie der
mothe zu beabsichtigen, meine Darstellung vom Osten ausgehen
assen.
In chinesischen buddhistischen Tempeln findet man Abbildungen
der Brücke, die von frommen Buddhisten glücklich überschritten wird,
während die Sünder durch Dämonen herabgestürzt werden. Es
werden auch solche Brücken plastisch dargestellt, Priester ziehen dar—⸗
über und ihr Anführer schwingt den Höllenschlüssel um sein Haupt,
am die Dämonen zu verjagen, so daß die Seelen unbehelligt passieren
können. hnliche Zeremonien finden bei Codesfällen im Hause des
berstorbenen statt, wobei die Seele mehrere Brücken von Gold, Silber,
holz, Stein usw. zu überschreiten hat. Die Seele, welche noch nicht
buße getan hat und nicht mit hilfe der Priester sündenrein geworden
38
Die Urteilsbrücke.
ist, stürzt von einer dieser Brücken in einen Abgrund voll von
schlangen und anderm Gewürm. Den Gereinigten stellen die Priester
einen Keisepaß aus, demzufolge kein Dämon sie am Überschreiten
der Brücken hindern darf. Nach dem chinesischen Buche „Göttliches
Panorama“ des Nü-Ti befinden sich die Brücken in der zehnten
hölle.
Die Buddhisten in Tonkin verlegen in die zweite Haupthölle
eine von unsichtbaren Fallgruben durchlöcherte Brücke, durch die die
ärgsten Sünder hinabstürzen, um von den Schlangen im Strom
gefressen zu werden. Der Kaiser Tai-Csang sah bei seinem Aufenthalt
in der Hölle eine Brücke über von eisigen Winden aufgepeitschte
Blutwogen, aus denen unaufhörlich Wehgeschrei erschallte. Die
äußerst schmale, tausend Fuß über dem Blutmeer liegende Brücke
war viele Meilen lang und ohne Geländer. Dazu lauerten noch
Dämonen auf die Sünder, um sie herabzustürzen.“
Die Bewohner der Insel Sormosa glauben, daß die Toten einen
scheußlichen Abgrund über eine Brücke von Bambusstäben zu über—
schreiten haben, die unter den Sündern einstürzt.
Im KRamayana wird erzählt, der Ozean habe dem Rama den
Bau einer Brücke nach Lanka (Ceylon) nur unter der Bedingung
gestattet, daß nur Gerechte sie überschreiten sollten.“
fusführliche Brückenschilderungen finden wir in den altpersischen
Keligionsbüchern. Nach diesen erfolgt am Morgen des vierten Cages
nach dem Tode die strenge Sonderung der Guten und Bösen an der
Tinvat⸗(Tschinvat⸗Brücke, am Berg des Gerichts in Mitte der Welt,
jedoch erst nachdem die drei Totenrichter — Mithra, Kaschen und
Sravscha — entschieden haben, ob der Tote sie glücklich überschreiten
soll oder nicht. Die Brücke, die von zwei Hunden bewacht wird, ist
neun Speere breit und erscheint dem Frommen, unter dem sie fest
bleibt, eine Parasange breit. Vom Engel Serosch geleitet gelangt er
über sie ins Paradies. Der Sünder, dem sie schmal wie ein KRasier⸗
messer erscheint, wird vom Teufel Vizarscha (Fortschlepper) gebunden
und in die Hölle geschleppt oder stürzt herab“
J. J. M. de Groot, Buddhist masses for the dead at Amoy, in
Actes du 6e Congrès internationale des Orientalistes 40 partie, Lenden 1885,
5. 94 -99; Mew S. 57, 87.
2 Scherman, Materialien, S. 100, 104. Über andere Brücken, ebenda,
5. 105 - 110.
3 Gubernatis, Su le orme di Dante S. 600.
Zend Avesta, Jasna XIX. 6, Jascht XXIV. 12; Arda Viraf UNap. 5;
Kaukasische Bergjuden. Brücke bei Naturvölkern. 59
Söderblom glaubt, aber beweist nicht, daß ursprünglich nicht
Frömmigkeit, sondern Kraft und Stärke zum glücklichen Passieren
der Brücke erforderlich waren.
Den persischen Schilderungen am ähnlichsten sind die mohamme—
danischen. Nach diesen verbindet die Brücke Al Sirat den himmel
mit der Erde, geht aber mitten über die Hölle, ist schmäler als ein
haar und schärfer als ein Rasiermesser. Der Tugendhafte gleitet
schnell und sicher über sie hinüber, der Sünder stürzt in das Feuer⸗
meer, das unter ihm brennt.! Nach einer anderen mohammedanischen
Legende wird eine aus einem eisernen Faden bestehende, über das
Tal Josaphat gespannte Brücke beim jüngsten Gericht fungieren. Die
von Engeln geleiteten Frommen werden glücklich mit Blitzesschnelle
hinüberkommen, die Sünder in den höllenabgrund stürzen.“
Die kaukasischen Bergjuden sagen, daß Hölle und Paradies
durch einen dicken glühenden Draht verbunden sind, über den die
deele, um sich ganz zu reinigen, gehen muß. Mehrere Male
versucht sie den gefährlichen Gang, gelangt bis zur Mitte, stolpert
und fällt, von Sünden beschwert, auf den Draht, welcher ihren Leib
zerschneidet, der dann in das Höllenfeuer stürzt. Diese Prozedur
wird mehrmals wiederholt, bis die von Sünden ganz gereinigte Seele
den Draht unversehrt überschreiten kann.“ Die Brücke ist aber nicht
bloß den Juden im Kaukasus bekannt, sondern auch den Oseten und
weiter im russischen Reiche den Esten und Avaren. Die Tscheremissen
glauben, daß der unterirdische Kichter die Toten über einen Kessel
mit siedendem Schwefel gehen läßt, die Tugendhaften gelangen
glücklich hinüber, die Sünder stürzen in den Kessel.“ Und in Nord⸗
amerika glauben die huronen, daß die Seelen den Totenfluß auf
Spiegel, Eranische Altertumskunde II. 82, 90, 150; Rohut, in 5tschft. d.
deutschen Morgenl. Ges. XXI. 557. Die Maße der Brücke sind nur in dem
im neunten Jahrhundert in Pehlwi verfaßten Dinkart (IX. 20, 3) an⸗
zegeben.
Tanlor, Gesch. des Mohammedanismus 98. Tradition Al Bukhari
bei Bevon in Journal of Theological studies, Oktober 1904, VI. s. 35.
Gubernatis a. a. O. 523.
3 C. hahn, Die Juden in den kaukasischen Bergen, in Beilage zur
Allgem. ztg. 1. Oktober 1889, 5. 4.
1Fr. Justi, in Allgem. Stg. München, 11. November 1888, 5. 4626.
Jean N. sSmirnow, Les populations finnoises de la Volga et de la
Kama, in Publications de l'kchcole des langues orientales vivantes, Serie
IV. vol. VIII. 140.
50
Die Urteilsbrücke.
einem Baumstamm überschreiten müssen. Dabei werden manche von
dem ihn bewachenden hunde angegriffen und stürzen hinab. Bei den
Sse-Nel in Kalifornien ist es ein wütender Stier, der die Bösen
hinabwirft, während die Guten glücklich hinüberkommen. Die
deelen der Tschoktaws gelangen auf ihrem Wege in das Totenreich
an den Fluß des Schreckens, den ein langer, abgeschälter, schlüpfriger
Fichtenstamm überbrückt. Die Guten kommen ohne Schaden hinüber
und gelangen in einen herrlichen Aufenthaltsort, die Bösen stürzen
in den Fluß und gelangen in das düstere Land des Hungers und
Elends. Manchmal dient ein erstarrter Schlangenleib als Brücke.
Nach dem Glauben der Toda (im Nilgherrygebirge) führt der
Weg zum himmel durch eine Art von Fegfeuer, das aus einem
sumpf voll Blutegel besteht. Die bereits im himmel befindlichen
seelen bauen für die Neuankömmlinge eine Brücke aus einem
einfachen Faden, der den Frommen ganz gut trägt, von dem aber
der Sünder in den Sumpf hinabstürzt, wo er so lange bleibt, bis er
seine Sünden abgebüßt hat.
Die Idaans auf der Insel Borneo glauben, daß der Weg ins
Paradies über einen langen Baumstamm führe, den man nur mit
hilfe eines Sklaven überschreiten könne. Nach dem Glauben der
Thippeways (in Nordamerika) dient eine große Schlange als Brücke
auf dem Wege zum Jenseits. Bei andern wilden Völkern bedarf es
der Beobachtung gewisser religiöser Vorschriften und SZeremonien, um
die gefährliche Brücke überschreiten zu können !!..
Die ausführlichsten und mannigfaltigsten Brückenschilderungen
finden wir in der christlichen Literatur des Mittelalters, wie ja auch
der rechtgläubige, allein seligmachende Katholizismus gewissermaßen
eine solche schmale Brücke bildet. Bei jeder Abweichung vom Glauben
der Kirche, bei jedem Tritte mehr rechts oder mehr links stürzt man
in den Abgrund der Ketzerei, von der ja der direkteste Weg zum
höllenfeuer führt. J
Wie Papst Gregor in seinen Dialogen (IV. 36) erzählt, hatte
der durch Irrtum des Todesengels in die hölle gebrachte und von
dort wieder zurückgekehrte Presbyter Stephanus Gelegenheit zu
sehen, wie fromme Seelen leicht und sicher die ins Paradies führende
Brücke überschritten während ein Sünder in den darunter fließenden
Marillier, La survivance S. 11, 18, 26, 28, 29, 34, 41; Tnlor II. 92;
Katzel J. 582.
Die Brücken in christlichen Visionen.
61
düstern, stinkenden Fluß hinabstürzte. Dieser hatte im Leben sexuelle
zünden begangen, und deshalb griffen gierige Teufel nach ihm,
während er noch in der Luft schwebte. Da er aber viel Almosen
zu geben pflegte, eilten fromme Seelen herbei, um den Teufeln ihre
Beute zu entreißen. Den KUusgang dieses Kampfes hat aber
schnell ins Ceben zurückgerufene Stephan nicht mehr sehen
önnen.
In der Vision des Apostel Paulus erscheint eine schmale, schlüpfrige
—ã
bevölkerten Fluß, von der die Sünder beim Passieren herabstürzen
und je nach dem Grade ihrer Verschuldung mehr oder weniger tief
einsinken. Unten werden sie von den Ungeheuern mit ihren stacheligen
Schuppen gepeinigt.
wie Gregor von Tours in seiner Historia Francorum (V. 33 a.
371) erzählt, hat der Abt Sunnialfus von Randan berichtet, er habe
in einer Vision eine Brücke über einen feurigen Fluß gesehen, die so
schmal war, daß kaum ein Mensch Platz hatte. Von den zum
Überschreiten sich Drängenden stürzten viele in den Fluß. Es waren,
wie man ihm erklärte, die schlaffen nachlässigen Priester; die
tüchtigen gelangten glücklich hinüber und kamen in ein am andern
Ufer befindliches großes Haus.
In der bision des Mönchs von Venlo erscheint eine hölzerne
Brücke über einen feurigen Pechfluß. Fromme überschreiten sie, ohne
zu wanken, die Andern stürzen herab und sinken mehr oder minder
tief hinein, die einen nur bis zum Knie, andere zur Mitte des
Körpers oder bis zu den Schultern. Alle aber steigen reiner, als sie
vorher waren, am andern Ufer heraus. Ein Engel erklärt dem
bisionär, es seien diese Seelen vor dem Tode nur mit geringen
Fehlern behaftet gewesen und wären durch das Feuer des Slusses
gereinigt worden.?
In der irischen Vision des Adamnan (aus dem neunten Jahr⸗
hundert) ist die Brücke für die Frommen breit, für die Reuigen zuerst
schmal und hernach breit, für die Verstockten anfangs breit und
wird dann schmal.s Auch in der Vision des Alberich wird die über
1 Delpierre S. 129. dierte lat. Redaktion bei Brandes, Engl.
Studien VII. a8.
C. Fritzsche, Die lateinischen Visionen, S. 275.
3 G. Baist, Die Totenbrücke, in Stschft. für romanische Philologie
XIV. (1890) 8. 1592 60.
52
Die Urteilsbrücke.
einen glühenden Pechfluß führende eiserne Brücke für die Sünder
immer schmäler. Sie stürzen hinab, werden von Dämonen herauf—
geholt und stürzen wieder hinab. Und dies wiederholt sich, wie bei
den kaukasischen Juden, so lange, bis sie von ihren Sünden
gereinigt sind.“
In der Vision des Thurcill fsinden wir einen eiskalten See,
über den eine mit eisernen Nägeln und Stacheln bestreute Brücke
führt, welche den einzigen Weg zum Paradiese bildet.
Nach der Patriciuslegende fand der zum Abbüßen seiner Sünden
in die höhle des Heiligen hinabgestiegene Ritter Nikolaus eine
schlüpfrige, schmale, eisglatte Brüche, die über einen Strom von
brennendem Schwefel zum Paradiese führte. Er wäre unsehlbar
in diesen Fluß gestürzt, wenn er nicht bei jedem Schritt „Jesus
Thristus, Sohn des lebendigen Gottes, habe Mitleid mit mir, dem
Sünder!“ gerufen hätte.“
Auch in Calderons Drama El Purgatorio de San Patricio
findet sich die schmale gebrechliche Brücke über den höllischen, von
schrecklichen Ungeheuern bevölkerten, glühenden Schwefelstrom.
Von einer Brücke über einen glühenden Schwefel- und Pechfluß,
die zum himmlischen Jerusalem führte, erzählt Willibald in seiner
CLebensgeschichte des heiligen Bonifatius, nach dem Berichte eines
Mönches, der sie während seines Scheintodes gesehen hatte. Nur
wenige, sagt er, gelangten glücklich hinüber, die meisten stürzten in
den schrecklichen Fluß.
In der Tundalvision wird eine schon in der Hhölle befindliche
Brücke beschrieben. Sie ist einen Fuß breit und tausend lang und
führt über ein tiefes, stinkendes Feuertal. Der von seinem Schutz—
engel geleitete Scheintote sieht dort viele der Sünde des Stolzes
Schuldige hinabstürzen, während nur ein frommer Presbnter sie
glücklich überschreitet. Er selbst gelangt, vom Engel geführt, glücklich
hinüber. Schlimm ergeht es ihm aber bei einer zweiten noch längern
und schmalern Brücke. Diese führt über einen von wilden Tieren
gefüllten ungeheuern Sumpf, in dem Diebe und Räuber gepeinigt
werden. Sie ist überdies mit scharfen eisernen Nägeln bestreut, die
dem darüber Schreitenden die Füße zerfleischen, während die Tiere
bis zur Brücke hinaufspringen, um die Sünder zu zerreißen. Über
diesen gefährlichen Steg muß Tundal hinüberkommen, eine (lebende
Delpierre, S. 54, 55, 60.
Legenda aurea cap 49 F. 91.
Die Brücken in christlichen Visionen.
63
oder tote?) Uuh tragend, die er im irdischen Leben gestohlen hatte.
Das ist ein Runststück, das der berühmte Seiltänzer Blondin kaum
hätte ausführen können. Und dazu stößt er in Mitte der Brücke
auf einen Sünder, der eine Menge im Leben gestohlener Getreide—
garben trägt. Keiner will, oder vielmehr kann, ausweichen, und so
stehen sie lange einander gegenüber, während die eisernen Nägel
ihre Füße zerfleischen und die schrecklichen Tiere sie bedrohen. Aber
endlich gelangt Tundal doch hinüber — wie es geschah, erklärt er
selbst nicht zu wissen.
Täsarius von heisterbach erzählt wieder von „einem ehrbaren
Kitter“, den in der hölle eine Kuh, die er einer armen Witwe
geraubt hatte, immerfort auf die hHörner nimmt, durchbohrt und
dinunterwirft.
Wir können die Bestrasung des Räubers nur billigen, aber
was hat die arme Ruh verschuldet, daß sie in die Hölle kam?
In einer handschrift des Stiftes Heiligenkreuz bei Wien findet
sich eine mit den apokryphen Esrabüchern keinen Zusammenhang
habende lateinische Visio Esdrae.“ hier sieht der Visionär eine bequeme,
breite Brücke über einen Feuerstrom, die von den Frommen leicht
überschritten wird, kommen aber die Sünder heran, so wird die
Brücke schmal wie ein Saden und sie stürzen, ihre Sünden bekennend,
ins Feuer. Andere Sünder — Habsüchtige, Verleumder, Unbarmherzige
und die, welche sich fremdes Gut angeeignet haben — werden beim
Passieren eines Feuersees von Teufeln hineingestoßen, bis sie ver—
sinken. Beim Eingang zum Paradies sind wieder um ein großes
Feuer Kameele und Löwen gelagert, über die Fromme und Gerechte
ohne Schaden hinübersteigen.
Gottschalk hat in seiner Vision einen Fluß voll scharfer eiserner
Messer zu überschreiten, in dem die herabstürzenden Sünder zer⸗
schnitten und geschunden werden. Für die Frommen aber stellen sich
von selbst Holzstämme ein, die ihnen als Floß zum hinüberschiffen
dienen. Dieses merkwürdige Floß hält Dietrich für einen echt
deutschen Zug.es Er findet sich aber schon im Kamayana. Dort
Dialogus mirac. II. 7.
Berausgeg. von Mussafia in Sitzungsber. der k. Nkad. der Wissensch.
zu Wien, phil.-hist. Klasse, Bd. 67 (1871), 8. 157 -206. Auszug davon
bei Gubernatis, Orme di Dante 603-00..
3 Dietrich, Die deutsche Wasserhölle, in Zeitschrift für deutsches Altertum
IX. (1853) 5s. 181.
54
Unterweltstore und Pförtner.
wird erzählt, wie die Sittlichvollendeten über den Fluß (Cailoda mit
hilfe des am Ufer wachsenden Kisakarohrs, das sich für sie zu einer
Brücke vereinigt, gelangen. Jeder andere, der das Wasser berührt,
wird zu Stein.!
In Arachoba am Parnaß glaubt man, daß über den Totenfluß
eine äußerst schmale, beständig zitternde Haarbrücke führe, weshalb
man dem Toten eine kleine Münze zur Bezahlung des Brückenzolls
mitgibt.“ Wir haben es hier vielleicht mit einer Derquickung der
Tharonsmythe mit einer orientalischen zu tun.
—F
V. Unterweltstore und Pfortner.
Nicht alle Seelen gelangen durch hinabstürzen von der gefähr—
lichen Brücke gleich mitten in die Hölle hinein, viele kommen auf
beschwerlichen Landwegen oder auf Charons Kahn zur Unterwelt.
sAber wo ist der Cingang? Bescheiden sagen uns die Giljaken der
Insel Sachalin, es gebe irgendwo auf der Erde eine den Sterblichen
unbekannte Offnung, durch die die Seelen in die Unterwelt hinab—
steigen⸗ Aber andere Völker wissen über den CEingang, oder
vielmehr die Eingänge und ihre Wächter, Genaueres zu berichten.
Manches davon läßt sich freilich mit den Schilderungen der Seelen—
reise und der Wasserfahrt nicht gut vereinigen. Auch scheinen mit⸗
unter die Eingänge für lebende Besucher andere als die für
verstorbene gewesen zu sein.
Nach der Odyssee (XI. 13) befand sich ein Cingang am äußersten
Gestade des Ozeans, im finstern Lande der Kimmerier. Aber der
kluge Sohn des LCaertes ist nicht selbst hinabgestiegen, sondern hat
die Schatten, wie König Saul den Propheten Samuel, zu sich
heraufkommen lassen.
Scherman, Materialien, s. 119. 8. auch Grimm, Deutsche Mythologie 4,
5. 696- 97.
2 R. Andree, Cthnographische Parallelen und Vergleiche. N. S.
1889, 5. 29.
3C. Sternberg, Die Religion der Giljaken, in Archiv für Religions⸗
wissenschaft VIII. 470.
Der Eingang nach griechischen Schilderungen. Vulkane. 65
Nach dem Roman „Die Wunder jenseits Thule“ des Antonius
Diogenes, aus dem ersten Jahrhundert n. Chr., befand sich aber
der Hadeseingang bei den italischen Kimmeriern.“ Einen Eingang
im Tale Amsanctus in der Mitte Italiens erwähnt Virgil.“
Nach einer vom Geographen Strabo (VIII. 6) mitgeteilten Sage
befand sich bei Hermione in Argolis ein kurzer direkter Weg in die
Unterwelt, Pausanias erwähnt (II. 367, 3709) z3wei Eingänge im
Bebiete von Argolis: Durch den einen beim Bache Cheimarrhos sei
Pluto mit der geraubten Persephone hinabgefahren, den andern,
durch den überaus tiefen See Alkyonia, habe Polymeos oder
Ipolynus dem Dionysus gezeigt, als er hinabstieg, um seine Mutter
Semele heraufzuholen. heraufgestiegen ist er mit ihr bei Trözen
oder durch den lernäischen Sumpf. Dabei muß man sich nur
wundern, daß der Gott der Führung eines Sterblichen bedurfte, um
den Weg zu seinem Onkel Pluto zu finden. ÜUbrigens muß der
von diesem benutzte Cingang sehr weit gewesen sein, da der Unter⸗
weltsherr vierspännig gefahren ist.
Nach Diodor von Sizilien (V. 3) ist Persephone von Pluto bei
Enna in Sizilien entführt worden. Der historiker beschreibt genau
die dortige Gegend und die Höhle, durch die der Unterweltsherr
heraufgekommen ist. Und die Beschreibung könnte zum Teil auch auf
birgils Amsanctus passen.
Es gab auch einen Weg durch die Schlucht bei Tänaros in
Cakonien, auf dem Herakles, Psyche und Orpheus hinabgestiegen
ind. Andere nennen wieder das pontische Heraklea als den Ort, bei
dem Herakles in die Unterwelt hinabstieg.
Virgil läßt den Aeneas durch den giftigen Qualm aushauchenden
ochlund des Avernus zur Unterwelt gelangen.?
‚Es ist leicht begreiflich, daß, wie Preller sagt, zum Glauben an
ortlichen Zusammenhang der Unterwelt mit der Oberwelt besonders
solche Gegenden Anlaß gaben, wo höhlenartige Schluchten, die in die
Unterwelt hinabzuführen schienen, Ströme und andere Gewässer von
düsterem Ansehen oder bodenloser Tiefe, heiße Quellen, mephntische
Kohde, Der griechische Roman 259, 2600.
fAeneis VII. 563-67.
Apollodorus II. 512; Euripides, Herakles 23; Apulejus Metamorph.
VI. 120; Seneca Hercules furens 813, hippolytus 1201; Orpheus Argonautika
1042, Cobeck 619d. Diodor von Sizilien XIV. 31, Plinius Naturg.
Ru 2, Strabo VIII. 8; Aeneis VI. 237 - 41, Pomponius Mela IJ, 19,
— 55.
Landau, Hölle und Fegfeuer.
6
Unterweltstore und Pförtner.
Ausdünstungen und andere derartige Naturerscheinungen auf den Tod
und das Reich der Schatten hinwiesen.!
Pythagoras soll gesagt haben, daß die Erdbeben von der
Zusammenkunft der Toten entstehen.
In Lukians „Lügenfreund“ (c. 22) erzählt Eukrates, er habe
gesehen, wie die 150 Ellen große schlangenhaarige hekate mit ihrem
Fuße in den Erdboden ein Loch bohrte, durch das sie in die Unter⸗
welt hinabfuhr, und daß er, da hineinschauend, alles, was im
Tartarus vorging, wahrnahm.
Es ist auch nicht unwahrscheinlich, daß der Glaube an ein im
Innern der Erde befindliches Höllenfeuer durch Ausbrüche von
HYulkanen gefördert wurde. Papst Gregor J. meint sogar, Gott lasse
sie beständig Feuer auswerfen, um die ungläubigen Menschen von
der Cxistenz der Hölle zu überzeugen. Ja er berichtet auch, ein
heiliger Einsiedler auf der Insel Lipari habe gesehen, wie König
Theodorich gleich nach seinem Tode von Symmachus und Papst
Johann, die er hatte töten lassen, in den Vulkan geworfen wurde.?
Auch Caesarius von heisterbach weiß von vielen Sündern zu
erzählen, die durch Vulkane in die Hölle gelangt sind.“
Während der große Papst beklagt, daß die Menschen auch
durch die Vulkane nicht vom Sündigen abgeschreckt werden, meint
Professor Bautz (8. 49), daß „das Bewußtsein, daß die Hölle uns so
nahe ist, daß ihre grausigen Flammen hart unter unsern Füßen
drohend lodern, daß es der hölle Schloten sind, die vor unsern
Augen giftig qualmen, daß die Riesenwogen ihres ewigen Feuer⸗
meers aus der Tiefe herauf die Erde, die uns trägt, in banger Angst
erzittern machen, das alles dürfte wohl geeignet sein, den er—⸗
schütternden Eindruck (des Gedankens an die Hölle) nicht wenig zu
herschärfen“.
Das Unterweltstor, manchmal das schwarze genannt, wird mehr⸗
mals von griechischen und römischen Dichtern ewähnt.“
Nach Plato (Axiochus 371 b) ist sie mit eisernen Riegeln und
zchlüsseln verwahrt. Silius Italicus (Punica XIII. 571) spricht von
zehn Pforten oder vielmehr Schranken.
Griech. Mythol. 810.
Aelianus, Mannigfaltige Geschichten IV. 17.
Dialog. IV. 30, 35.
Dist. XII. c. 7, 8, 98, 13.
Ilias V. 646, VIII. 15, IX. 312, XXIII. 71, Theokrit, Die hexe 160,
Properz V. (IV.) 11, 2.
J
Deutsche Mythologie. Talmud und CEvangelien. 67
Von vier Eingängen weiß die indische Mythologie: Nach dem
Garuda Purana steht nämlich den Sündern nur der füdliche Zugang
zu Hamas Wohnsitz offen, während die Frommen durch die andern
drei Seiten eintreten.“
Eine solche, die überwiegende Zahl der Gottgefälligen berück⸗
ichtigende Cinrichtung ließ sich bei der Konstruktion der indischen
Unterwelt unschwer durchführen, schwieriger wird die Sache bei
der, nach Doktor Rusca, aus vier übereinanderliegenden Abteilungen
bestehenden christlichen Unterwelt. Sollen, fragt der italienische
Theolog, die zur tiefsten Hölle Verdammten einen besondern direkten
kingang von der Oberwelt haben oder durch die drei oberen
Abteilungen hinuntergeführt werden? Ersteres, meint er, wäre
untunlich, denn manche Verdammte müßten ja die ganze Erde durch⸗
wandern, bis sie zu ihrem Eingang gelangten, so z. B. die Orientalen,
wenn der Eingang im Westen der Welt sich befände, oder ebenso
die Occidentalen, wenn er im Orient läge. Er glaubt daher, daß
die zur untersten Abteilung Verdammten die drei obern passieren.
Und dies, fügt er hinzu, hat noch den Vorteil, daß ihre Strafe nicht
wenig verschärft wird, wenn sie sehen, wie sie am meisten zu leiden
haben, während die im Fegfeuer besindlichen Seelen auf Erlösung
hoffen, die im Limbus und in Abrahams Schoß sich gar nicht un—
behaglich fühlen.“
zwei übereinanderliegende Abteilungen der Unterwelt könnte
nan auch aus Keschylos Gefesselten Prometheus V. 152- 54 heraus-
esen. Dagegen bezieht sich Senecas utras sedes, im Anfang seines
Agamemnon, wohl nur auf Ober⸗ und Unterwelt.
Cin höllentor nächst dem Höllenfluß Giöll nennt die jüngere
X (Gylfaginning 4). Die babnylonische Unterwelt hat sieben
konzentrische Tore, welche nacheinander passiert werden müssen.
Nach der freien Ruslegung des Talmud (Erubin 194) von drei
X — Viertes Buch Moses XVI. 33, Jonas II. 3,4, Jesaias
—— gibt es drei Eingänge zur Hölle: in der Wüste, im
Meere und bei Jerusalem. Sonst ist im Alten Testament noch an
mnehreren Stellen — Jesaias XXXVIII. 10, psalm IX. 14, CVII. 18,
ILI. 7, hiob XXXVIII. 17 - von Pforten der Unterwelt oder des
Scherman 158.
Antonius Rusca, mediolanensi Collegii Ambrosiani Doctor, De
inferno et statn daemonum ante mundi exitium libri quinque, Mailand
1621, Lib. L57.
J.
58
Unterweltstore und Pfoͤrtner.
Todes, in hiob XVII. 7 von Kiegeln der hölle die Rede. Der Alphabet-
midrasch des Rabbi Akiba spricht gar von 40000 Höllentoren. Nach
dem Voran Gure 15) hat die Hölle sieben Tore.
Nach dem Ev. Matthäus XVI. 18 können die Pforten der Hoͤlle der
Gewalt der Kirche nicht widerstehen. Die „weite“ und die „schmale“
Pforte in Matth. VII. 13, 14 und Cukas XIII. 24 haben wohl nur
ymbolische Bedeutung. Nach der Offenbarung Johannes J. 18 hat der
Menschensohn die Schlüssel von Hölle und Tod. Von den eisernen
Toren, Riegeln und Schlössern der Hölle sprechen auch Eusebius,
Johann Chrysostomus und andere Kirchenväter.
Nach der Keisebeschreibung des John Mandeville, aus dem
14. Jahrhundert, befindet sich der hölleneingang im LCande des
Priesters Johannes in einem tiefen, von Teufeln bewohnten Tale
Kap. 28).
Nach Gervasius von Tilbury (Otia Imperialia 18) hat ein Bischof
Johannes am Grunde eines durch Ausgießen von Ol durchsichtig
gemachten Sees in der Gegend von Pozzuoli die zerbrochenen
eisernen Torflügel und Kiegel der Hölle erblickt.
Eine Inschrift hat das Höllentor nur bei Dante (Inferno III. 1),
der es, wie es scheint, offen fand. Auch das zweite Tor, vor dem
sechsten Höllenkreise, wird ihm ohne Mühe von einem Engel mit
einem Stäbchen geöffnet.
Am Eingange des Fegefeuers findet er eine Peterspforte, deren
pförtner aber trotz des Namens (Purgatorio IX. 76 - 84, Inferno I. 134)
nicht der Apostel, sondern ein Engel ist. Es ist wohl der Erzengel
Michael gemeint, von dem es in einem italienischen Nachtgebete heißt:
L'anima a Dio la do,
La do a San Michele,
Ch'ha le chiavi d'aprire il cielo*
Das aus der Scheide gezogene blendende und funkelnde Schwert des
Engels hat Dante wohl aus dem dritten Kapitel der Genesis entlehnt.
lach der Esdravision halten vor dem Hhöllentor zwei feuer—
speiende Löwen Wache. Nach jüdischer Mythe sitzt der Patriarch
Abraham an der höllenpforte und läßt die Frommen und Guten
uinter seinen Nachkommen nicht eintreten. In einer Version heißt es
Jellinek, Bet-ha⸗Midrasch III. 28.
Maury, Croyances et legendes 304, 309- 11.
R. KRöhler, im Jahrbuch für romanische und englische Literatur
VIII. 409.
2
Virgils Allegorien.
69
sogar, daß er den ärgsten der Hölle verfallenen Sündern die Vorhäute
unbeschnitten gestorbener Kinder anheftet.“ (Damit man in der hölle
nicht erkennen soll, daß sie Juden sind?) An einer andern Stelle
wird Isaak als Höllenpförtner genannt.“
Dante findet EPurg. J. 31 sq.) den Römer Cato als hüter des
Cingangs zum Fegfeuer. Warum gerade ihn, der doch als Selbst⸗
mörder in den siebenten höllenkreis gehörte? Die Rommentatoren
wissen uns keine befriedigende Antwort auf diese FSrage zu geben.
Aber vielleicht hat Virgils „unter den abgesonderten Frommen rich⸗
tender Cato“ (Aen. VIII. 670) dem Dichter der Göttlichen Komödie dazu
Anlaß gegeben.
Milton macht die Sünde, von heulenden höllenhunden umgeben,
die hin und wieder in ihren Bauch hineinkriechen, zur Pförtnerin
der hölle. Nur sie allein kann deren schwere Riegel von massivem
Zisen und hartem Fels öffnen, nur sie das ungeheure schwere Fall⸗
gitter aufziehen. Aber nachdem sie das Riesentor mit gewaltigem,
den tiefsten höllengrund erschütterndem Krachen geöffnet hat, kann
sie es nicht mehr schließen. Es bleibt weit offen, so daß ein ganzes
heer mit Rossen und Wagen leicht einziehen kann.*
In Klopstocks Messias (II. 262- 66) bewachen zwei der helden⸗
mütigsten Engel, von Gott mit mächtiger Rüstung umgeben, die
hölle, damit die gefallenen Engel nicht, aus dem „Ort der dunkeln
Derdammnis“ ausbrechend, seine schöne Schöpfung bestürmen sollen.
Der christliche Volks glaube kennt keinen Wächter des höllen⸗
tors, dagegen ist der schlüsselbesitzende Apostel Petrus als Pförtner
des Paradieses eine volkstümliche Figur geworden.
Krankheit, hohes Alter, Furcht, Krieg, hunger, Not und Sorgen,
die Aeneas gleich am Eingang des Orkus findet, sind keine Pförtner,
sondern Allegorien der Ursachen des Todes.“ Und am Hadeseingang
werden die dem Nachen Charons Entsteigenden nicht von Engeln,
deligen oder Teufeln empfangen. Nur der schreckliche Höllenhund,
der fast schon zum Gattungsnamen gewordene Cerberus (Kerberos),
tritt ihnen entgegen. Von ihm wissen die griechisch⸗römischen Dichter
und Mythologen viel zu erzählen.
Talmud bab. Erubin 194; Midrasch Bereschith rabba c. 48 Jalkut
Schimeoni zu Psalm LV. 21 fol. 10806. Beer, Ceben Abrahams 89, 204.
Beresch. rabba VIII. 10.
Derlorenes Paradies II. 870 -88. 650.
Aeneis VI. 273 ff. Ahnlich Silius Italicus XIII. 525 ff.
2
70
Unterweltstore und Pförtner.
Homer sagt freilich nur, daß Herakles, von Athene und hermes
beschützt, auf Befehl des Curystheus den Hhund aus dem Hades herauf⸗
geholt habe, gibt aber weder seinen Namen noch eine Beschreibung
eines Aussehens. Namenlos ist auch bei Sophokles das riesige
Ungetüm, das an des Hades Cingang lang hingestreckt, rachsüchtig
bellend, das Tor bewacht. Er nennt es Sohn des Tartaros und der
Gäa; nach Hhesiod und Hyginus war Cerberus aber als Sohn des
Typhon sein Enkel.
Ttwas ausführlicher als Homer berichtet Apollodorus über diese
letzte Arbeit des Herakles: Auf dessen Bitten hatte ihm Pluto
gestattet, sich des Höllenhundes zu bemächtigen, wenn er es ohne
GHebrauch seiner Waffen bewerkstelligen könnte. Hherakles, nur mit
Brustharnisch und Löwenhaut bekleidet, packte seinen Kopf mit den
srmen und ließ ihn nicht los, obwohl er von der Schlange am
hinterteile des Hundes gebissen wurde. So trug er ihn zum Eurystheus,
zeigte ihn diesem und brachte ihn dann wieder in den Hades
zurück.?
Wir ersehen aus diesem Bericht, daß der hund Cerberus hieß,
nur einen Kopf, aber einen Schlangen⸗ oder Drachenschweif hatte.
Apollodor hat zwar erst im zweiten Jahrhundert v. Chr. gelebt,
aber er berichtete nur, was längst und allgemein bekannt war, da
schon Aristophanes in den „Fröschen“ sich über die Entführung des
höllenhundes lustig gemacht hatte. Und noch viel früher hatte hesiod
(a. a. O.) über seine Abstammung berichtet und ein gar nicht
schmeichelhaftes Bild von ihm entworfen. Danach war er ein Sohn
des Typhon und der Echidna, die halb Schlange, halb schöne Nymphe,
also eine Art von Melusine, war. Sein älterer Bruder war der
manchmal auch mehrköpfig dargestellte Orthros, Wachthund des drei—
köpfigen Geryon, und seine Schwester war die lernäische Schlange.
Hherakles hatte es also mit allen drei liebenswürdigen Geschwistern
zu tun.
Hesiod nennt hier den Cerberus ein greuliches, wütend bellendes,
fünfzigköpfiges Untier und an einer andern Stelle der Theogonie
D. 7601- 67) schildert er ihn als scheußlich, mitleidlos und tückisch,
der vor dem Cintretenden mit Schweif und beiden Ohren wedelt, den,
welcher herausgehen will, anpackt und hinunterschleppt. Bemerkens⸗
1Ilias VIII. 367 -69; Odyssee XI. 625-27; Sophokles, Odipus auf
Kolonos 1568273; hHyginus Fab. 151-82; Hesiod, Theogonie 289— 306.
; Mythologische Bibl. II. 6, 5.
Kerberos (Cerberus).
71
wert ist, daß Hesiod hier von beiden Ohren spricht, was für fünfzig
KRöpfe entschieden zu wenig ist. Ein Kommentator hHesiods meint, es
könnten zwei Ohren von jedem Ropfe gemeint sein. Das will mir
nicht recht einleuchten. Aber warum soll der gute Hesiod nicht auch
einmal wie Vater homer geschlummert haben? Nach Pindar, dem
auch Horaz folgte, soll der Hund gar 100 Köpfe gehabt haben. Ein
einer andern Stelle gibt ihm aber dieser Dichter einen von 100
ochlangen umwundenen Kopf mit drei geifernden Mäulern. Drei
Köpfe hat er bei Statius und bei Tibull.“ Auf Vasen und andern
Bildwerken ist Cerberus wie ein griechischer Schäferhund bissigster
Art dargestellt; in römischer Zeit wird der mittlere Kopf öfters als
der eines Cöwen gebildet.“ Manchmal sind die Röpfe verschieden—
farbig.? Auf unteritalischen Vasengemälden erscheint er manchmal
bon herakles an einer Kette fortgeschleppt, mit zwei rückwärts und
einem vorwärts gerichteten Kopfe oder mit einem nach vorn und
zwei zurückgewendeten KRöpfen.“
Warum herder ihm neun Rachen gibt?, weiß ich nicht.
An die Tücke und Arglist des Höllenhundes mag wohl Aristophanes
gedacht haben, als er in den „Kittern“ einen oberirdischen Kerberos
schilderte, der den an der Tafel Sitzenden schweifwedelnd belauert
und. wenn dieser nicht achtgibt, ihm den Bissen wegschnappt.
Auch als Bacchus, um seine Mutter Semele zu holen, in den
hades hinabstieg, hat, nach Horaz, Cerberus vor ihm mit dem Schweife
gewedelt und ihm demütig die Füße geleckt.“
Am ausführlichsten läßt Seneca von Theseus den Höllenhund und
seine Wegschleppung durch Herakles beschreiben.“ Wir glauben fast sein
lautschallendes, gräßliches Gebell und das Sischen der Schlangen
zu hören. Wir glauben zu sehen, wie er von herakles gebändigt
und furchtbar geprügelt wird, bis der erschrockene Höllengebieter
seine Fortschleppung und die Befreiung des Theseus gestattet.
Dann wird der Hhund gefesselt und, läßt, wie gezähmt, mit dem
—
horatius, Carm. II. 15, 34, III. 11, 16 -20: Statius, Thebais II. 31,
Tibullus Eleg. III. 488; Roscher cCexikon II. 1179, Hesiod, Theogonia comment.
instruxit D. J. van Lennep, Amsterdam 1893, 5. 336.
Preller, Griech. Mythol. 4, 5. 808.
Mew 133.
Conze⸗Benndorf, Vorlegeblätter, Serie E, Tafel 2, 3.
Fragmente zur deuitschen Literatur 3.
Carm. II. 19, 29.
Hercules furens 792 - 826.
12
Unterweltstore und Pförtner.
schlangenschweif wedelnd, sich forttragen. In die Oberwelt gelangt,
wird ihm vom ungewohnten Tageslicht neue Wut eingejagt; er
rüttelt mit gewaltiger Kraft an den Ketten, so daß Theseus dem
herakles helfen muß, ihn festzuhalten. Dann senkt er furchtsam die
Aöpfe zu Boden und schließt, von der Sonne geblendet, die Augen,
sich im Schatten des herakles verbergend. Andere erzählen, daß
ihm damals Geifer aus dem Kachen floß und daß daraus das giftige
Akonit entstanden sei.“
Groß ist die Gefräßigkeit und Genäschigkeit des Höllenhundes.
Man benutzte sie manchmal, um durch Viktualien oder Lecker⸗
hissen seine Gunst zu gewinnen oder seine Wachsamkeit einzuschläfern,
wie ja auch Diebe dem wachsamen Kettenhund ein Stück Brot oder
Fleisch hinzuwerfen pflegen. So besänftigt Psfyche, um zu Persephone
gelangen zu können, den gräßlichen Beller mit einem Ruchen, und
einen zweiten hält sie für ihn zu ihrer Rückkehr aus der Unter⸗
welt bereit.?
Als gierig über benagte Knochen in blutiger Höhle gelagert,
schildert ihn Virgil, und Aeneas wirft einen mit Honig und ein—
schläfernden Kräutern gefüllten Kuchen hin, den der hund, die drei
Mäuler weit aufsperrend, gierig verschluckt, sich dann zum Schlaf
hinlegend.“
Doch ist es nicht immer Eßbares, womit seine Wachsamkeit zu
nichte gemacht wird. Statius läßt ihn von Mercur mit letheischem
Keiß einschläfern und horaz durch Musik besänftigen.“ Bei Dante
begnügt er sich mit zwei handvoll Erde, die ihm Virgil in die auf⸗
gesperrten Mäuler wirft. Dagegen läßt ihn dieser Dichter die Seelen
beißen, schinden und vierteilen, was sonst nicht seine Aufgabe ist.“
Wegen der Genäschigkeit des Cerberus gab man den Toten
mitunter Hhonigkuchen ins Grab mit. Doch war diese Mitgabe seltener
als die des Obolus für Charon.
Nach malanschem Glauben steht mitten auf dem schmalen Pfade
zum Paradiese der große wilde Hund Maweang, weshalb dem Toten
eine kleine Telak-Perle zu dessen Besänftigung mitgegeben wird.
1Ovid, Metam. VII. 415-419, horaʒ Carm. III. 11, 19, Plinius H. n.
XXVII. 2.
Apulejus, Metam. VI. 122, 8. 418 -420.
Aeneis VIII. 296, VI. 417-422.
Thebais II. 30, Sylvae V. 1, 250, horaʒ Carm. II. 13, 33-34, III. 11, 15.
Inferno VI. 18, 25 -33.
Kerberos (Cerberus).
73
Auch den Besuchern der höhle des Trophonius gab man Honigkuchen
mit, zur Besänftigung der dort hausenden Schlangen.“
Und früh schon hat man aus Cerberus eine Schlange machen
wollen, wozu wohl auch seine anrüchige Verwandtschaft beigetragen
haben mag. So erklärte Hekatäos von Milet ganz rationalistisch,
daß „vielleicht auf dem Vorgebirge Tänaron eine Schlange auf⸗
zewachsen sei, die der höllenhund geheißen, weil jeder von ihr
Gebissene sofort gestorben sei, und diese Schlange habe herakles dem
Turystheus gebracht“.“ Und noch rationalistischer erklärt Plutarch,
Aidoneus, König der Molosser, habe den Pirithous von seinem hunde
Terberus zerreißen lassen.“ Dagegen verflüchtigt wieder Fulgentius
den Höllenhund zu einer Allegorie und erklärt seine drei Köpfe als
die dreifache Ursache menschlichen Hasses und Streits.“
Gruppe bringt den Cerberus auch in Beziehung zum ägyptischen
sAnubis, „dem herrn des Grabes, welcher mit einem Schakals⸗ oder,
wie die Griechen meinten, mit einem hundskopf dargestellt wurde“.“
Aber die ügypter kannten auch einen andern Fresser der Toten in
der Unterwelt, ein tierisches Ungeheuer mit Krokodilskopf, Löwen⸗
rumpf und hinterteil eines Flußpferdes.“ Es ist eben die Gefräßig⸗
keit und Unersättlichkeit des Todes gemeint, die auch in der Bibel
Sprüche Salom. XXX. 15/16) erwähnt wird. CEbenso spricht Sophokles
in der Electra von der Gier des Hhades. Und deshalb haben
manche den Namen des höllenhundes von xpοεαOα (Fleischfresser)
ableiten wollen, was ebenso unsicher ist als andere aus dem Alter⸗
tum vorliegende Etymologien.“
Obwohl Cerberus in der griechisch⸗römischen Mythologie als der
eigentliche Wächter des Hadeseingangs gilt, finden wir einigemal
auch einen Türhüter genannt, was manche zu der Annahme verleitete,
es sei Hermes gemeint oder des Cerberus Bruder Orthros. Underer—
seits wird der sonst als Hhöllenrichter bekannte Heakus von Apollo⸗
dorus (III. 12, 6) und in einem Fragment des Curipides als Bewahrer
des Badesschlüssels genannt. Manchmal ward er auch mit demselben
1 Suidas 8. v. Memrodrro; Philostrat, Apollonius von Tyana VIII. 19.
ristophanes, Cysistrate 590 -601, Ratzel J. 430.
Bei Pausanias III. 25, 3.
Ceben des Theseus 37.
Mythologicon I. 56.
Griech. Mythologie J. 405.
Strauß und Torney J. 485-486.
Servius zu äneis VIII. 297, Roschers Cexikon II.1 1130.
74
Unterweltstore und Pförtner.
abgebildet. Aus dem Vers Claudians: Pater Aeacus horret, intran-
emque etiam latratu Cerberus urget! läßt sich höchstens schließen,
daß Aeakus sich nahe dem Hadeseingang befand. Viel ist auch nicht
auf den Spötter Eristophanes zu geben, der ihn in den „Fröschen“
mehr wie einen hausknecht, als wie einem höllenrichter und Herrscher
geziemt, schimpfen läßt. Wohl ihm folgend nennt auch LCukian in
den Totengesprächen (XIII. 3, XX. 1) den Aeakus als Torhüter neben
Terberus. Da überdies dieser Pförtner bei Virgil an blutigen
Knochen nagt, während Statius hervorhebt, daß er einmal nicht bellt,
so kann doch nur ein hund gemeint sein.
Merkwürdig ist es, daß Virgil den Torhüter vom Throne des
höllenfürsten wegschleppen läßt, so daß man annehmen muß, Cerberus
habe sich zu diesem geflüchtet. Bei einer Statue des sitzenden Pluto
in der Villa Borghese befindet sich aber auch der hund neben ihm.
Auf einem Grabgemälde aus Ostia findet sich neben Cerberus
ein als Janitor bezeichneter Mann, der, nach Gruppe, Sklaventracht
—RD
Cerberus und dem Janitor. Es ist ja leicht begreiflich, daß man
sich neben dem hund auch einen Sklaven als Corwächter vorstellte.
Auffallend ist es dagegen, daß Pausanias in der Beschreibung der die
Unterwelt darstellenden Wandgemälde zu Delphi kein Wort von
CTerberus sagt.
UÜbrigens scheint Pluto ein mißtrauischer Hausherr gewesen zu
sein, der sich weder auf den hHund, noch auf den Pförtner verlassen
wollte. Denn, wie manche berichten, behielt er auch den Schlüssel,
mit dem er die Unterwelt verschloß, damit Niemand sie ohne sein
Wissen verlassen könnte. Nur der Persephone scheint er ihn manch⸗
mal anvertraut zu haben. Mit dem Schlüssel wurde aber auch eine
andere unterirdische Gottheit, die dreigestaltige hekate, abgebildet,
die also die Mitsperre gehabt zu haben scheint.?
Die hündinnen, welche nach E. Norden diese Göttin begleiten,
scheinen mir, nach den von ihm zitierten Stellen aus Theokrit und
horaz, eher von der Ankunft der Göttin aufgestörte oberirdische als
hadeshunde zu sein.?
In Rufinum II. 456.
Pausanias V. 201; Roschers Cexikon s. v. Kleiduchos; Conze, Heroen⸗
und Göttergestalten, S. 32 und Tafel 68.
E. Norden, Erklärung von Aeneis VI. CLeipzig 1903, 8. 199; Theokrit
Idylle II. 12, 35; horaz. Epod. V. 58. Ganz wertlos ist Maurice Bloom⸗
fields Cerberus, the dog of Hades, Chicago 1905.
2
GHermanische Höllenhunde.
75
Haben die Griechen den Höllenhund von anderswo entlehnt?
Ist er Geschöpf ihrer Phantasie oder gemeinsames arisches Ureigen—
tum? Von einem Hunde, der am Eingang des Hauses der ger—
nanischen Hel Odin entgegentritt und ihn anbellt, spricht auch die
ältere Edda:
„Blutbefleckt vorn an der Brust,
kiefer und Rachen klaffend zum Biß,
so ging er entgegen mit gähnendem Schlund
Dem Vater der Lieder und bellte laut.“
Näheres über diesen hund erfahren wir nicht.
Den Eingang der Feste, in der Simrock? die von Wafurlogi
umschlossene Unterwelt erkennt, hüten zwei abwechselnd schlafende
grimmige Hhunde Gifr und Geri. Da stets einer von ihnen wacht,
kann niemand hineinkommen. Aber, wie (erberus, können sie
lockender Speise nicht widerstehen, und während sie essen, kann man
ungehindert hineingehen. In Voluspa 39,48 ist von einem gräßlich
heulenden Garm die Kede und aus Grimnismal 411 erfahren wir,
daß Garm der erste der Hunde war, wie Odin der erste der Asen.
bon seinem höllenwächteramt ist aber hier gar keine RKede. Es
scheint daher eine mehr als kühne Annahme Bugge's, daß dieser
Garm oder Garmr einfach eine nordische Wiedergabe des Namens
kerberos sei.“
Indessen kann man, ohne an Ableitung aus dem Griechischen
zu denken, auf die Stelle in Wegtamskwidha gestützt, sich sehr wohl
einen bloß von nordischer Phantasie gebildeten Hund als höllentür—
stteher denken. Wo immer man sich die Unterwelt als abgeschlossenen
Kaum, mit Mauern, Toren und s«chlössern dachte, stellte sich in der
Phantasie gewissermaßen von selbst der hHund, des hauses treuer
Wächter, ein. Gab man ihm drei oder mehr VRöpfe, so wollte man
damit seine besondere Wachsamkeit symbolisieren, wie man ja auch
dem Argus hundert Augen gab, und, um die große Fruchtbarkeit der
Natur anzudeuten, die Isis und Artemis mit vielen Brüsten darstellte.
Auch in der Mythologie der Melanesier finden wir Symbolisierung
besonderer Eigenschaften oder Gaben durch Vervielfältigung der dazu
dienenden Rörperteile: mechanische Geschicklichkeit durch acht Arme,
Weisheit durch acht Augen usw.“
— —
Wegtamskwidha 3, bei Simrock, S. 38.
Altere Edda, Fiölswinnsmal, bei Simrock, sS. 117-118.
Irmisch in Roschers CLexikon II. 1129.
Ratzel IJ. 294.
16
Unterweltstore und Pförtner.
Besser als ein dreiköpfiger Hund hüten zwei Hunde, und wir
haben bereits bemerkt, daß man an den Bruder des Cerberus als
dessen Genossen im Wächteramt gedacht hat. Swei höllenhunde
finden wir denn auch in der indischen Mythologie als Diener oder
Zoten des Totenreichbeherrschers Yama, aber sie sind in den Veden
namenlos. Nur auf die Bezeichnung des einen derselben als dunklen
oder nächtlichen (sarvara) gestützt, vermutete Max Müller, aber
hehauptete nicht, die Namensverwandtschaft mit Cerberus und wollte
in ihnen als Abkömmlingen der Sarama wieder die düstere Dämmerung
des Morgens und Abends sehen.! Adalbert Kuhn fand wieder den
samen Sarameya mit Hermes (dem Seelenführer) identisch.?
Aber Hama ist, nach den Veden, nicht bloß Beherrscher der Hölle,
sondern des ganzen Reiches der Toten, oder gar nur der Gründer
eines paradiesischen Reichs und König der Seligen?, und seine hunde
sind nicht bloß Wächter am Höllentor, sondern haben auch noch eine
ganz andere Aufgabe: Sie haben nicht die Flucht der Verdammten
aus der hölle, sondern deren Eintritt in das Keich Namas zu ver—⸗
hindern. Nur wenn sie den Toten passieren lassen, gelangt er in das
Keich der seligen Väter, wo er bei Hama ewige Freude genießt. Der
Hottlose, der den richtigen Weg nicht kennt, wird von den hunden
zerrissen oder stürzt in den Schlund des Naraka.“
Yama schickt aber auch seine Boten zur Abholung der Menschen,
vor allem die Sarameya-hunde, außerdem aber auch Tauben
und Geier.“
So heißt es im Rigreda: „Die beiden Hunde, die breitnasigen,
die unersättlichen, des Yama dunkle Boten, gehen die Menschen hin⸗
durch, die sollen uns, daß wir die Sonne schauen, weiterhin geben
freundliches Leben hier“. Und an einer anderen Stelle ruft man
den Toten bei der Bestattung zu: „Entlauf den beiden hHunden der
Sarama, den vieräugigen, flechigen, auf glücklichem Pfade und nahe
den Pitar, den engverwandten, die mit Yama zusammen ihr
Gelage halten.“
Cin Toter, der, an der Behausung Yamas angekommen, von
einem der beiden hunde angehalten wird, fordert diesen auf, ihn in
Essans II. 163 Bellerophon; Wissenschaft der Sprache II. 509.
Ztschft. für vergl. Sprachforschung II. (1853) S. 314.
Ad. hillebrandt, Vedische Mythologie J. 5301 -505. Rigveda X. 142, 7.
Ad. Nuhn, S. 313-314 nach Rigveda VII. 61s.
hillebrandt a. a. O. 510.
Indische Höllenhunde. Einfachheit bei Naturvölkern. 77
kuhe zu lassen, Diebe möge er anbellen, Räuber anpacken, nicht aber
ihn, einen Verehrer Indras.“
zcherman glaubt, daß die abholenden hunde, welche im Athar⸗
veda (VIII. 193 Cabala und Cyama genannt werden, mit den Wacht⸗
hunden nicht identisch sind. Man müßte also annehmen, daß Yama
eine ganze hundemeute besitzt. Dagegen belehrt uns der indische
delehrte Rajendralala Mitra, daß die ganze Mythe von den Toten⸗
hunden aus der altarischen Sitte (ollte es nicht Unsitte heißen 7), die
Teichen von hHunden verzehren zu lassen, entstanden sei und daß sie
nit der Dämmerung in Verbindung gebracht wurden, weil die Fort⸗
chaffung der Leichen in primitiven Zeiten am frühen Morgen bewerk⸗
stelligt wurde.
Sollte damit nicht die noch jetzt übliche Bestattungsweise der
Parsen, welche die Leichen auf den „TCürmen des Schweigens“ den
Raubvögeln aussetzen, zusammenhängen?
—F
VI. Topographie und Regierung.
So wie es mehr als einen Weg und mehr als einen Eingang
zur Unterwelt gibt, so besteht sie auch bei den meisten Völkern aus
nehr als einem Kaum, hat sogar manchmal eine große Zahl ver—
chiedenartiger Räume und Abteilungen. Cage, Umfang, Zahl und
zweck derselben werden zwar bei den verschiedenen Völkern und
Keligionen sehr verschieden geschildert, erscheinen aber manchmal in
kinzelheiten einander auffallend ähnlich.
wbeilde Völker, die noch keine Idee von Lohn und Strafe nach
dem Tode haben, stellen sich den Zustand der Verstorbenen nicht
wesentlich verschieden von dem der auf Erden Cebenden vor. Wenn
sie manchmal eine Unterscheidung machen, so gründen sie solche, wie
bereits erwähnt wurde, auf die Standesverschiedenheit im irdischen
Teben. häuptlinge und Vornehme haben es auch nach dem Tode
besser als die „Untertanen“. Und deshalb haben auch bei diesen
Rigveda VIII. 18, X. 14, 10- 12, VII. 552-5, nach A. Cudwigs
übersetzung und H. Zimmer, Altindisches Ceben 421.
2 Scherman 128.
78
Topographie und Regierung.
Oölkern die Schilderungen des Jenseits nichts Originelles. Ihre
Phantasie reicht nicht über ihr alltägliches Leben hinaus.
Die alten gypter stellten sich die Unterwelt — Ament, das
verborgene Land, Am Tuat, das Land des Dunkels — als jenseits
der Berge oder der Wüste gelegen, geschieden von Sonne, Mond und
Sternen, aber doch in ihrer Gestaltung der Oberwelt ähnlich, vor. Sie
wurde täglich von dem Hauptgotte (Amon Ra oder Osiris) und seinem
Gefolge durchzogen und bestand, den zwölf Stunden des Tages ent⸗
prechend, aus zwölf Abteilungen. Man könnte demnach die in die
Hräber gelegten Totenbücher die livres d'heures der Toten nennen.
Es scheint indessen, daß der Zustand der Toten in allen
Abteilungen ziemlich gleich war. Sie hatten alle ungefähr dasselbe
zu leiden oder zu genießen. In allen diesen Abteilungen befanden
sich allerlei Götter, Dämonen und Schlangen als Wächter, Türhüter
oder Peiniger. Von manchen AÄbteilungen wird auch der Umfang
angegeben. So hatte die dritte eine Länge von 480 Atru (Mmeilen)
und eine Breite von 120. Dort lag eine 450 Ellen lange Schlange.
In der siebenten Abteilung befand sich ein besonderer Bezirk, Tschau
genannt, der 400 Ellen lang und 440 breit war usw.
Trotz aller Beschreibungen und Abbildungen kann man sich keine
rechte Vorstellung vom ägyptischen Jenseits bilden, und ganz unklar
bleibt die Lage des Reiches des Gottes Seker, das in der fünften
and sechsten Abteilung enthalten ist und doch wieder eine besondere
Cokalität bildet. Nach Wallis Budge liegt es „unmittelbar unter
einem Erdhügel und bildet eine ovale Insel“ in dem Strom
des Tuat.
Einen besonderen herrscher der Unterwelt scheinen die ãgypter
nicht gekannt zu haben. Die dort befindlichen Untergötter, Göttinnen
und sonstigen nichtmenschlichen Wesen sind mehr Wächter, Aufseher
und Diener als Herrscher, und Ra oder Osiris ist nur durchreisender
Obergott.
Auf ägyptischen, christlich-modifizierten Vorstellungen beruht, nach
Wallis Budge, auch die Unterweltsschilderung der koptischen Gnostiker.
lach ihrer Version der Pistis Sophia besteht die Unterwelt, wie das
Tuat, aus zwölf Strafabteilungen, deren jede unter einem Aufseher
Strauß und Tornen J. 296, 375, II. 243; Wallis Budge, Heaven and
Hell III. 89, 94, 121, 152, I. 12- 143. G. Maspero, Htudes de Mythologie et
d' Archéologie égyptiennes, Paris 1892, J. 342 343.
2 Wallis Budge J. 62115.
Die babylonische Unterwelt.
79
oder Regenten steht.! Wir werden diese Aufseher in einer jüdischen
höllenschilderung wiedersinden.
Eine etwas klarer, wenn auch minder ausführlich vorgestellte
Unterwelt finden wir dagegen bei den Babyloniern. Ihr Toten⸗
land, Aralu oder Kigallu, CLand ohne heimkehr, fernes CLand, Cand
der Toten, vielleicht auch Schualo, genannt, befindet sich unter der
Erdoberfläche. Man steigt durch einen Eingang im Westen zu ihm
hinab und findet es wie eine von sieben Mauern eingefaßte Stadt,
in die sieben (oder vierzehn) Tore führen. Innerhalb dieser Mauern
befindet sich der Palast, in dem die Herrscherin der Unterwelt
Trischkigal (die herrin des großen Ortes), auch Allatu (die Mächtige)
genannt, residiert. Sie wird als löwenköpfiges Ungeheuer, an dessen
Brüsten Tiere saugen, auf einem Pferde knieend, mit Schlangen an
den händen dargestellt. Ihr dienen die sieben Torwächter, eine
Schreiberin, der auch im Alten Testament (II. Könige XVII. 30) erwähnte
Nergal, der Pestgott (wohl Todesengel) und andere Wesen. Nergal
ist aber auch der Gatte Erischkigals, der aus dem Götterwohnsitz
heruntergestiegen war, um ihr den Kopf abzuschlagen, aber sich von
ihr bereden ließ, sie zu heiraten. Als „Prinzgemahl“ führt er den
Titel: „herr der Gräber, König des Totenflusses, Gott des Krieges
und der Pest“ und hat ein Gefolge von bösen Geistern und Dämonen,
welche die Menschen aus der Oberwelt wegschleppen. Man kann
sie als Personifikationen todbringender Krankheiten auffassen.
W. King glaubt, daß die Babylonier an keinen Unterschied in
der Behandlung von Guten und Schlechten im Jenseits glaubten.
Nach Jeremias (24, 32) ist die Frage, ob die Babnlonier die Vor⸗
stellung eines solchen Unterschieds hatten, noch nicht spruchreif. Mir
aber scheint, daß man in betracht des Kulturzustandes der Babylonier
diese Frage mit einem Ja beantworten könnte. Die Finsternis, die
in ihrer Unterwelt herrschte, das Füttern der Eingeschlossenen mit
dtaub und Rot sprechen doch für einen Strafort. Übrigens meint
Jeremias, daß die babnlonische Priesterreligion sich wenig mit dem
Jenseits beschäftigte und das, was sich von solchen Vorstellungen
erhalten hat, Produkt der Volksphantasie sei.?
The Gods of the Egyptians 2606-267.
2 C. W. King, Babylonian religion and mythology, LCondon 1899,
S. 352 37; Jastrowo 66— 68, 580, 5884585, 594 -595; Jeremias, Hölle und
Paradies bei den Babyloniern 18222.
s Jeremias 3.
30
Topographie und Regierung.
Noch deutlicher und klarer als bei ägyptern und Babnloniern
tritt uns der Unterweltsherrscher der Inder entgegen. Yama, der
sSohn des Wivaswant (NYima, Sohn des Wivanhant im Avesta, Jan lo
bei den chinesischen, Erlik Khan bei den mongolischen Buddhisten),
ist nach den Veden der erste Mensch, welcher gestorben ist, der erste,
der in die Jenseitswelt einging und den Nachfolgenden den Weg wies.
so heißt es in Rigveda X. 14:
„Yama hat den Weg zuerst uns gefunden, diese Weideflur kann
uns nicht genommen werden, wohin unsere Väter vor alters
gegangen“.
„Mama,) der hingegangen nach den weiten Höhen, der vielen
nach ihm einen Weg gezeigt hat. Er ging voran und fand uns eine
Wohnstatt auf grüner Flur, die niemand uns entfremdet. Wohin
der Vorzeit Väter heimgegangen, sein Weg führt dorthin jeden Erd⸗
geborenen.“
Hama hat seine hohe Stellung sich wohl damit verdient, daß er
auch der erste Opferer war, und ihm wurden wieder Opfer gebracht,
um langes Leben oder Seligkeit zu erlangen.“ Ursprünglich scheint
er aber als herrscher über alle Toten, ja vielleicht nur als der Toten⸗
gott der Seligen gedacht worden zu sein: „Vereinige dich mit den
Pitar (VGäter) und mit Yama .... nahe den Pitar, den eng⸗
derwandten, die mit Yama zusammen ihr Gelage halten“, ruft man
dem Verstorbenen zu.“ J
Auch nach dem Abvesta scheint Yima in einem weltentrückten
Wunderlande, umgeben von den seligen Geistern seiner Zeitgenossen,
zu thronen.
Wie sich dieser im Lichte thronende, mehr dem Zeus als dem
Pluto ähnliche Gott in den finstern, strengen Totenrichter, den rot—
haarigen, großzähnigen, ungeheuren Herrn des schwarzen, finstern
höllenreichs und Bändiger der Toten, der mit dickem Seil die Seelen
fesselt, des späteren indischen Glaubens verwandelte, erscheint mir,
trotz der Auseinandersetzungen von Simmer und Schermans, um so
Nach A. Cudwig II. 560
2Nach H. Zimmer 415.
Rigveda X. 1414,
Rigveda X. 14, 8, 10.
Oldenberg 555.
s Scherman 151 — 155, Zimmer 420, Mew 17, Atharva Veda IX.
2, X. 17.
—n —
Die brahmanische Unterwelt. Die Hölle der Buddhisten. 81
unklarer, als er keinen Nachfolger im himmel gefunden zu haben
scheint. Aber da wir uns hier nicht mit dem Reiche der Seligen zu
beschäftigen haben, wollen wir nach diesem Nachfolger nicht weiter
forschen und wenden uns gleich zur Betrachtung von NYamas finsterm
Totenreich. Und dieses erscheint um so schrecklicher, je jünger unsere
Beschreibungen sind. Es scheint, als ob jeder später kommende
Sjchilderer seine Porgänger in häufung unermeßlicher Höllenräume
und gräßlicher Strafen übertreffen wollte. Die Brahmanen bewahren
noch ein gewisses Maß, während die Buddhisten die schrankenloseste
Phantasie walten lassen, dabei aber mit Zahlen, die sie immerfort
multiplizieren, sich den Anschein der größten Genauigkeit geben. So
dauert z. B. der Aufenthalt in der siebzehnten Hölle nicht Millionen
oder Billionen, sondern so viele Jahre, als nur durch eine Zahl von
120 Stellen ausgedrückt werden kann und wofür in unserm Zahlen—⸗
ystem der Name fehlt.
Nach brahmanischen Angaben ist das Reich YJamas im Süden der
Menschenwelt, 86000 Nojanas von dieser entfernt, gelegen.“ Es
besteht aus sieben Höllen (Naraka in Sanskrit, Niraya in Pali, Ti No
auf chinesisch)j, in denen die Verdammten nach ihren verschiedenen
dünden in mannigfacher Weise gepeinigt werden. Die brüllende
hölle ist 2000 Yojanas groß — ob lang oder im Quadrat ist mir
nicht kKlar —, die starkbrüllende mißt nur 35 NYojana. Dann folgen
die finstere, die zerschneidende, die grundlose, die schwertblätterige
und die der glühenden Töpfe oder Pfannen. Manus Gesetzbuch
spricht gar von 21 höllenabteilungen: die finstere, die lärmende, die
glühende, die des stinkenden Lehms, der Raben und Schlangen, der
Lisenpfeile, der Bratpfannen, der Schwertblätter usp. Einundzwanzig
höllen, teilweise mit anderen Namen, geben auch das Gesetzbuch
Haynavalkyas und das Agni Purana an. Andere sprechen noch von
sieben Nebenhöllen.
Vaon den Brahmanen haben die Buddhisten das ganze höllen⸗
system übernommen und weiter ausgebildet, woraus dann wieder die
Brahmanen manches entlehnt haben. Mit Recht sagt Feer, daß
Brahmanen und Buddhisten von hunderten und Tausenden von Höllen,
—
Ein Nojana ist nach Scherman ungefähr einer deutschen Meile gleich,
nach anderen Angaben mehr als zweimal so lang.
2 G. Bühler, The laws of Manu IV. 87-590, 5. 142; Gubernatis,
Dante 571575, Scherman 33—38; Feer in sournal asiatique 1803.
S. 1212 124, 112 147; 1802, 8. 189, 231- 232.
andau, HBölle und Fegfeuer.
32
Topographie und Regierung.
deren Namen man nicht kennt, sprechen. Und das Garuda Purana
gelangt gar bis zu 83400000 höllen. Wir können sie hier nicht alle
aufzählen, und der Leser wird uns hoffentlich diese Unterlassung nicht
übelnehmen. Näheres wissen wir überhaupt nur von 16 großen
höllen, wovon acht feurig und acht eisig sind. Von letzteren sollen
aber nur die nördlichen Buddhisten berichten und scheinen sie auch
süngeren Ursprungs zu sein. Überhaupt stimmen die Buddhisten der
verschiedenen Länder in bezug auf Zahl und Beschaffenheit der Höllen
nicht überein und vieles bleibt uns unklar.“
Bei den Buddhisten der Insel Ceylon hat die Hölle, wie bei
Dante, eine trichterförmige Gestalt und eine Tiefe von 40000 (engl.)
Meilen. Sie besteht aus acht großen höllen, deren jede vier Tore
hat, die zu je vier kleinen höllen führen, also zusammen 136 große
und kleine Höllenabteilungen. Die Burmesen geben dagegen die
Tristenz von 40000 kleinen höllen an. Doch dies sind nur die unter⸗
irdischen, es gibt aber auch solche im Meer und in der Luft! In
einer Insel oder auf dem Meeresgrunde, in einem Baum, einem
Felsen, einem haus oder Gefäß ist manchmal ein Verdammter ein⸗
geschlossen. Am schrecklichsten sind die zwischenweltlichen Höllen
Cokantarika), welche für die ärgsten unverbesserlichen Sünder und
Ungläubigen bestimmt sind. Sie befinden sich zwischen unserm Weltall
(Tschakravala) oder Sonnensustem und dem ihm nächsten, also im
leeren Raum, wo ewige Nacht und Kälte herrschen, außer wenn ein
Buddha aus dem haarkreise zwischen seinen Augenbrauen einen Licht⸗
blick dahin sendet.⸗
Die chinesischen Buddhisten zählen sechzehn große Höllen nebst
den entsprechenden je sechzehn kleinen. Ihre Namen — Hölle der
schwarzen Ketten, des hungers usw. — deuten zum Teil schon die
strafen an, welche die Verdammten dort erleiden. Die großen liegen
eine unter der andern, die oberste 500 Yojanas unter der Oberfläche
der Erde. Manche Sünder müssen in mehreren dieser Höllen nach⸗
einander leiden.*
Über die Art, wie Yama sein Reich regiert, ob er Gouverneure
die einzelnen Höllen eingesetzt hat u. dergl., wissen wir fast gar
Scherman 32; Seer sournal asiatique XX. (1892) 189, 231 - 232;
1893, J. 113, 147.
Köppen, Die Keligion des Buddha 241 -244; Mew 32-34.
Foe Koueki, ou rélation des ropaumes bouddhiques 290- 300; Mew
58
ff.
Die Höllen der Buddhisten.
83
nichts. Ja, es ist in allen diesen Höllenschilderungen von ihm fast
dar nicht die Rede. Nur chinesische Buddhisten kennen einen Ti—
Tsang⸗Wang als Obersten der zehn unterirdischen herrscher und man
bittet ihn, den Toten in das Reich der Seligkeit eingehen zu lassen.“
Wie Eleanor hull sagt, haben John Rhys und d'Erbois
de Jubainville den Uelten den Glauben an einen Aufenthalt der
Toten in einem finstern Hades unter der herrschaft der Götter des
Todes und der Nacht zugeschrieben. Dem widerspricht sie ganz ent⸗
schieden, behauptend, daß die irischen Kelten jedenfalls, und wahr—
scheinlich auch die von Wales und Gallien, an keinen Wohnort der
Toten und am allerwenigsten an einen düstern und traurigen unter⸗
irdischen geglaubt haben. Ihr Argument, daß das unsichtbare,
unbekannte Land kein Hades sein konnte, weil auch Lebende es
besuchten und zurückkamen, ist nicht entscheidend, da Berichte von
solchen Besuchen auch bei Völkern vorkommen, von denen wir sicher
wissen, daß sie an einen unterirdischen Aufenthaltsort der Toten
glaubten.
Auf die Ausführungen der Frau hull erklärte wieder Jubain—
bdille, er habe das keltische Jenseits gar nicht als Hölle dargestellt,
sondern als eine Art von Elnysium.
Und damit scheinen auch manche Schilderungen übereinzustimmen,
owie die Angaben antiker Autoren. Höchst wahrscheinlich haben die
kKelten, sowie viele Naturvölker, an eine dem irdischen Leben ähnliche
kristenz der Toten geglaubt und sich deren Schauplatz im Westen,
lenseits des Meeres oder auf einer Insel gedacht.“ Dafür sprechen
auch die Angaben Julius Caesars über die Mitgaben bei den
Leichenfeiern.
Nach Cucans Pharsalia (I. 454-57) haben die Druiden ein
Fortleben in einer andern Welt (orbe alio) gelehrt und die Gallier
deshalb den Tod nicht gefürchtet.
‚Nach der Glaubenslehre der Parsen Gundehusch, Kap. 3) befindet
sich die Hhölle im Innern der Erde, dort wo Ahriman sie einst durch—
De Groot, Religious system J. 7TI -73.
Eleanor Hull, The development of the idea of Hades in Celtic
nerature und D'Arbois de Jubainville's Erklärung in Folk Lore 1907
Bd. 18), 8. 126, 1600 und 339340; Georges Dottin, Manuel pour servir
bétude de PAmiquité celtique, Paris 1906, 8. 259- 261. Diodor von
Sizilien V. 28, Valerius Maximus II. 6, 19; Julius Caesar, Bellum gall. VI.
i4, 19; Claudiar. I Rufinum J. 123.
34
Topographie und KRegierung.
bohrte und in sie eindrang. ähnlich sagt Dante im letzten Gesange
der Hölle von Cucifer:
DVom Himmel fiel herab auf diese Seit' er,
Und jenes Land, das hier empor erst ragte,
Umhüllt' aus Furcht vor ihm sich mit der Meerflut,
Und kam auf unsere Hemisphär', und wohl ließ
Das, was sich diesseits zeigt, hier leer die Stätte,
Ihm zu entfliehen, und entwich nach oben.
Um das Tor der Hölle dreht sich, nach dem Mainyo⸗i-Khard, das
Hestirn des großen Bären mit 99 999 Geistern der Gerechten, um die
zahlreichen Teufel in der hölle zurückzuhalten. Im Innern ist sie
steinig und finster, an einer Stelle eiskalt, an anderer glutheiß. Die
zinsternis kann mit händen gefaßt, der Gestank mit dem Messer
geschnitten werden.
Diese persischen Schilderungen stammen aus der Sassanidenzeit,
sollen aber, nach Hübschmann, mit Andeutungen des Avesta überein⸗
stimmen oder auf verloren gegangenen altpersischen Schriften beruhen.
Ausführlicher, aber doch noch recht unklar sind die Höllenschilderungen
in dem viel jüngeren Arda Viraf-Buche, aber von einem in der
Unterwelt residierenden Herrscher erfahren wir auch da nichts.
Die Frage, welchen Einfluß altpersische Vorstellungen vom Jen⸗
seits auf die jüdischen hatten und ob nicht letztere wieder den jüngeren
persischen Schriften als Vorbild dienten, kann hier nicht behandelt
verden und liegt auch nicht in meiner Kompetenz. Pentateuch und
indere ältere Teile der Bibel sind wohl von persischem Einfluß
unberührt geblieben. Überdies findet sich im Alten Testament über⸗
haupt keine genaue Beschreibung des Aufenthaltsortes der Verstorbenen.
Das Wort Scheol, das gewöhnlich mit Hölle übersetzt wird, das die
griechische Übersetzung der Septuaginta mit Hades, die koptische mit
dem Amenti der altägyptischen Mythologie wiedergibt, bezeichnet
einen düsteren, traurigen Ort unter der Erdoberfläche, im Gegensatz
zum hohen über die Erde gespannten himmel. Die Toten steigen
zinunter in Scheol oder in die Gruft, Gott stürzt in Scheol hinunter
und führt wieder hinauf. Sie sinken wie Schafe in Scheol.“
H. Bübschmann, in Jahrbücher für protestant. Theologie V. (1879)
232 -236; N. Söderblom, La vie future d'après le Mazdeisme, Musée
Guimet II. 9, 8. 105.
2 Jesaias VII. 11, XIV. 135-415, LVII. 9, Psalm XXVIII. 1, XXX. 4,
XLI. 15, LXXXVI. 13, Sprüche Sal. VII. 27, IX. 18, hiob X. 21, XI. 8, XXI. 13,
Amos IX. 2; J. Samuel II. 6.
Die altjüdische Unterwelt.
85
Da unten gibt es aber noch keine Scheidung zwischen Frommen
und Sündern, denn auch der Prophet Samuel weilt bei den anderen
Toten. Dort weilen die Schatten der Ahnen, und wer stirbt, wird
„mit seinen Vätern, seinen Volksgenossen vereinigt“ (wörtlich: „ver⸗
sammelt“) oder „zu seinen Vätern gelegt“. Merkwürdigerweise wird
dieser Ausdruck beim Tode von Frauen nicht gebraucht. Es ließe
ich vielleicht damit erklären, daß die neben ihrem Gatten begrabene
Frau sich nicht im Grabe ihrer Ahnen befand. An Ahnenkultus, von
dem die Frauen ausgeschlossen sind, wie Lippert anzunehmen scheint!,
ist da wohl kaum zu denken. Abraham erwirbt eine Grabstätte für
sich und seine Frau, und der Gileadite Barsilai sagt dem König
David: Lasse mich in meiner Stadt und beim Grabe meines Vaters
und meiner Mutter bleiben.“
Der Ketzer und Empörer Korah wird mit allen seinen Anhängern,
mit all seinem Hab und Gut lebend von Scheol verschlungen. HAuch
sonst wird manchmal das lebend in die Unterwelt Versinken im Alten
Testament als besonders schwere Todesart bezeichnet. Und einmal
vird auch der ewige Schlaf ohne Erwachen als Strafe verkündet.
Andererseits weiß die jüdische Legende von Frommen, die zur
Belohnung lebend ins Paradies entrückt wurden. Manche haben
sogar die griechischen Entrückungssagen von den semitischen ableiten
wollen, was Rohde kaum gelten lassen wollte.“
Von einer Feuerhölle sagt das Alte Testament nichts. Ja, im
fünften Buche Mose (XXXII. 22) heißt es sogar, daß ein Feuer aus—
dehen wird von Gott, das bis zur tiefsten Scheol brennen wird.
Also gab es früher dort keins.
Die Scheol wird auch manchmal personifiziert. Sie umfaßt mit
hren Banden, sperrt gierig ihren ungeheuren KRachen auf, ist unersätt⸗
ich und sagt immer gib! gib! Kein Lob Gottes, kein Kuf, keine
Bitte ertönt aus der Unterwelt; sie ist stumm und still. Die Toten,
manchmal Rephaim genannt, was gewöhnlich mit Schatten übersetzt
wird, „wissen nichts mehr, denken und tun nichts“, sagt der Prediger
koheleth. Und wenn er einmal sagt, der Körper kehrt zur Erde
zurück, der Geist zu Gott, der ihn gegeben, so zweifelt er doch wieder,
J. Cippert, Der Seelenkult.... Berlin 1881, 8.132.
Genesis XXIII. und XXV. 9, II. Samuel XIX. 38.
*Numeri XVI.Zz 2, Jeremias LI. 39, 57; Psalm LV. 16; Sprüche Sal. I. 12;
kohde, psuche J. 2273
36
Topographie und Regierung.
ob der Geist des Menschen in die höhe steigt, während der des Viehes
in die Tiefe sinkt.! ähnlich sagt Cucretius:
sgnoratur enim quae sit natura animal:
Nata sit, an contra nascentibus insinuatur,
Et simul intereat nobiscum morte dirempta.?
Doch spricht auch wieder der Prophet Jesaias von einer Auf—
regung unter den in der Unterwelt weilenden Fürsten bei Ankunft
des Rönigs von Babel, und auch Czechiel spricht von Helden, die in
der Unterwelt reden. In diesen Stellen findet Jeremias, nicht der
Prophet, sondern der Leipziger Professor, Verwandtschaft mit baby⸗
lonischen Vorstellungen. Wenn aber der Prophet von einem hinab⸗
sinken der Stadt Tyrus in die Unterwelt zu uralten Trümmern spricht,
so dachte er vielleicht nur an den materiellen Untergang, wie uns
Ahnliches aus den HRusgrabungen übereinandergeschichteter Ruinen
zerstörter Städte bekannt ist. Georg Beer liest aus diesem Kapitel
des Czechiel und Sprichw. Sal. (VII. 27) einen Unterschied heraus
zwischen „Kecken der Vorzeit, für die ehrenvolle Plätze reserviert
sind, wie für die germanischen helden in Wallhall und den unbeschnittenen
heiden, die in besonders schäbigen Winkeln, wie die Selbstmörder und
andere arme Teufel auf christlichen Friedhöfen, liegen“.“ Die Stelle
aus den Sprichwörtern dürfte sich meines Erachtens eher auf die
physischen Folgen der Ausschweifung beziehen.
Auf die nachbiblischen jüdischen Vorstellungen von der Unterwelt
dürften wohl babylonische, persische und ägyptische Cinflüsse wirksam
gewesen sein, doch scheint mir Wallis Budge* in bezug auf die Größe
des letzteren zu weit zu gehen. Auch wo sich ähnlichkeit mit Baby⸗
lonischem findet, ist vielleicht weniger an Entlehnung als an gemein⸗
sames ursemitisches Cigentum zu denken.
Anstatt des nur im allgemeinen die Unterwelt als Aufenthalts—
ort der Abgeschiedenen auffassenden Glaubens tritt in späterer Zeit
das „Gehenom“ als scharf begrenzter Strafort, als Hölle in jetzt üb⸗
Jesaias V. I4, XIV.9, XXXVIII. 18, Psalm XXXI. 18, VI. 6, LXXXVIII.
II, CXV. 17, Sprüche Sal. XXVII. 20, XXX. 15, 16, Prediger Sal. IX. 5, 10,
XII. 7. III. 21, I. 18, XXI. 16.
De rerum natura I. 113.
s Jesaias XIV. 9, 10; Ezechiel XXVI. 20, XXXII. 1732; Dr. Alfred
Jeremias, Hölle und Paradies 18; Georg Beer, Der biblische Hades, in
Festgabe für h. J. Holtzmann zum 17. Mai 1902, Tübingen 1902.
The Gods of the Egyptianes 269 - 76.
Die nachbiblische Unterwelt der Juden. 87
lichem Sinne des Wortes ein. Der Name ist von dem südlich von
Jerusalem gelegenen Tale (Ge) hinnom entlehnt, wo vom Mono—
theismus abgefallene Juden dem Baal oder Moloch ihre Kinder zu
opfern pflegten und das auch Tophet genannt wurde. In einem
Tophet (Grube oder Pfuhl) wird nach dem Propheten Jesaias der
Scheiterhaufen für den König von Assur bereitet, mit einer Menge
don Hholz, das der feurige hauch Gottes wie ein Schwefelstrom ent—
zündet.“ So fand sich gleichsam von selbst der Ubergang von dem
irdischen Götzenaltar und Scheiterhaufen zum höllischen Feuer. Und
trotz des Feuers ist die Hölle finster wie die NKacht.“
Manche haben in Daniel XII, 2 den Übergang von der alttesta—
mentlichen unterschiedlosen Unterwelt zu einer nach Tugend und Sünde
abgeteilten finden wollen. Aber an dieser Stelle ist nur von der Be—
handlung der Auferstandenen nach dem jüngsten Gericht die Rede.
Erst in späterer Zeit, als die Erwartung von Lohn und Strafe nach
dem Tode im Volksglauben und in der CTheologie sich festgesetzt hatte,
wurde auch der Name Gehinom der üblichste für den Strafort der
deelen, den man nun genau zu beschreiben anfing, während sich für
das himmlische Paradies der vom Garten Eden der Genesis ent⸗
lehnte Namen einbürgerte.
SZwischen den jüngsten Teilen des Alten Testaments und den
talmudischen, midraschischen und frühchristlichen Schriften liegt ein
Zeitraum von einigen Jahrhunderten, aus dem wir von dem Geistes—
eben des jüdischen Volkes nicht viel wissen. Wenn nun in dieser
pätern Zeit viele einander ähnliche Detailschilderungen der Hölle auf—
lauchen, so können wir wohl annehmen, daß sie sich in der Zwischen—
zeit nach und nach ausgebildet haben. In welchem Maße, durch
welche Vermittlung und in welcher Zeitfolge fremder Einfluß mit
wirksam war, läßt sich nicht mit Sicherheit feststellen. Wir müssen
uns begnügen, das Bild der Hölle, wie es etwa nach vollständigem
Abschluß des Talmud sich darstellte, in den allgemeinen Umrissen, unter
Berücksichtigung jüngerer Zusätze wiederzugeben, nur hie und da auf
etwa entlehnte Cinzelzüge hinweisend. Finden wir da neben ägyp⸗
lischem, persischem oder babylonischem manchmal auch griechischen
kinfluß, so zeigt sich doch in der ganzen Auffassung ein gewaltiger
Unterschied —
12. Könige XXIII. 10; 2. Chronik XXVIII. 3; Jesaias XXX. 33;
Jeremias XIX. 5, 6.
hiob X. 22; Talmud bab. Jebuwoth 1096.
38
Topographie und Regierung.
Nach griechischer Mythe ist die Unterwelt älter als ihr Herrscher,
älter selbst als seine Ahnen Kronos und Uranos. Sie ist bei Teilung
der Welt unter den drei Brüdern dem Pluto zugefallen, der dort
mitten zwischen den gestorbenen Menschen mit seiner Gattin thront.
Nach jüdischer Lehre residiert Gott hoch im himmel, fern von der
hölle, in der seine untergeordneten Diener nach seinen Befehlen walten.
Aur an einer Stelle (Sabbath 104 0) spricht der Talmud von einem
Fürsten der Hölle, der Gott um Seelen bittet.
Die Griechen und Römer kennen nur einen ungeteilten eigent⸗
lichen Höllenraum oder höchstens zwei Räume. Die Juden, wie andere
drientalische Völker und die Christen des Mittelalters, wissen von
allerlei Abteilungen und Rlassenräumen zu berichten, in denen öfters
—
artig bestraft werden.
Neben dem Talmud sind das apokryphe Henochbuch und der
„Craktat von der hölle“ (Masecheth Gehenem), der bei den Kabbalisten
in großem Ansehen stand, für die Topographie der jüdischen Hölle
die ältesten und reichhaltigsten Quellen. Der Traktat ist die aus—
geschmückte Umarbeitung einer dem schon früh zur mythischen Person
gewordenen Rabbi Josua ben Levn zugeschriebenen Beschreibung seines
Zesuches von hölle und Paradies.! Es gibt von ihm hebräische und
aramäische Versionen, deren eine von Jellinek im ersten Bande seines
Bet-⸗ha⸗Midrasch herausgegeben wurde.
Über die Lage der hölle sind die Meinungen geteilt. Nach einer
soll sie sich uber dem himmel, nach einer andern jenseits der Berge
der Finsternis befinden.“ Überwiegend ist aber der Glaube, daß sie
sich im Innern der Erde befindet.
Das Henochbuch berichtet von einem Raum im Jenseits, in dem
die Toten das letzte Gericht erwarten und wo die Frommen von den
Qualen leidenden Sündern getrennt sind. Doch nennt es noch zwei
andere Räume, deren Bestimmung mir nicht ganz klar ist. Rabbi
Ismael schloß aus dem siebenmaligen Rufen des Königs David nach
seinem Sohne Absalom, daß er ihn damit aus den sieben Abteilungen
der hölle erlöste. Und wenn Rabbi Josua ben Levn von sieben
Namen der hölle — Scheol, Abadon, Grube des Verderbens, des
griechischen Schlammes, des Todesschattens, Tophet und Abgrund —
spricht, so wird er wohl diese Abteilungen gemeint haben.“ Übrigens
Sunz, Gottesdienstliche Vorträge?, S. 148 -149.
Talmud, Tr. Tamud 32 b. Abschn. 4.
3 Talmud bab. Sotah 10b, Erubim 19 a zu II. Sam. 18.
Die nachbiblische Unterwelt der Juden. 89
ist nach dem Midrasch Konen Absalom nicht befreit worden und
präsidiert ohne Qualen zu leiden in der „Grube des Verderbens“.
Nach dem Traktat Masecheth Gehenem und dem Orchath Chajim
hat jede höllenabteilung 6000 Räume mit je 6000 Sensternischen, in
eder Fensternische stehen 6000 Gefäße voll Gift für Verfasser von
Tibellen (Denunzianten?) und ungerechte Richter.“
Diie Größe der hölle läßt sich nach dem Talmud leicht berechnen.
äügypten, gibt er an, ist 400 Parasangen lang und ebenso breit, hat
also einen Flächenraum von 160000 Quadratparasangen (was zirka
Millionen Quadratkilometer ausmacht). ügypten ist aber nur
— von äthiopien, dieses a0 der ganzen Erde, welche nur Uso des
irdischen Paradieses groß ist, welches wieder nur had des himmlischen
Paradieses ist, und die Hölle ist 60mal so groß.“ Das ergibt einen
Flächenraum von 124 Billionen und 416000 Millionen Parasangen,
also ungefähr 3110 Billionen Quadratkilometer. Nach dem Alphabet—
Midrasch des Rabbi Akiba (aus dem 8. oder 9. Jahrhundert) ist
sede höllenabteilung 300 Parasangen lang, ebenso breit und 1000
tief. Nach dem Midrasch Aba Gorion (aus dem 10. oder 11. Jahr—
hundert) ist jede Abteilung eine Million Parasangen lang und
70000 breit.“
Die Masechet Gehenem berechnet den Umfang der hölle nach der
zur Durchwanderung jeder Abteilung erforderlichen Zeit von je 300,
nach anderer CLesart 500 Jahrenẽ, ohne jedoch anzugeben, ob die
Keise zu Fuß, zu Pferd oder gar mit Automobil ersolgt.
Im Norden und Süden der hölle befinden sich, nach dem
Midrasch Ronen, die Vorratskammern von Feuer, Schnee, hagel,
Kälte und Sturmwind.
Die nördlichen sind 1000705 Jahre, die südlichen nur 34000
Jahre vom Hölleneingang entfernt.
AUber diese enormen Zahlen erscheinen noch mäßig, wenn man
sie mit den buddhistischen Höllenberechnungen vergleicht, von denen
weiter unten im Kapitel von der Ewigkeit der Höllenstrafen die Kede
ein wird.
Bei Jellinek II. 30, 48 -51.
2 Jellinek J. 149, M. Gaster, in Journal of the royal aslatic Society
i8o03, S. 606.
3 Talm. bab. Tanith 10a, Pesachim 944.
iBei Jellinek III. 28, J. 13.
»Jellinek II. 35.
0
Topographie und Regierung.
In der jüdischen Hölle befinden sich die Abteilungen eine unter
der andern und die hitze versechzigfacht sich, wenn man von einer in
die andere hinuntersteigt. Die dadurch entstehende hohe Temperatur
begreift sich leicht, wenn man bedenkt, daß mit Rohlen geheizt wird,
von denen jedes Stück so groß ist wie das Tote Meer.“ Nach dem Tal—⸗
mud (sabbath 39) haben die heißen Wasser von Tiberias ihre
Temperatur dem Umstande zu verdanken, daß sie beim hölleneingang
oorbeifließen.
Nach der gnostischen Pistis Sophias ist das Feuer im Orkus
neunmal so heiß als das irdische, das in der nächsten höllenabteilung
wieder neunmal heißer, und so geht es, stets sich vermehrend, je
tiefer man hinabsteigt.
Nach mohammedanischer Tradition ist das Höllenfeuer siebzigmal
so stark als das irdische und vereinigt die brennendste Hitze mit dem
höchsten Grad der schneidendsten Kälte.“
Der Koran selbst enthält keine näheren Angaben über die
Beschaffenheit der Hölle. Erst die Tradition und die Kommentatoren
teilen sie, zum Teil jüdischen Schilderungen folgend, in sieben Stock⸗
werke ein: Im obersten (Johannan) befinden sich die mohammedanischen
Sünder, die größtenteils dem weiblichen Geschlecht angehören. Unter
diesem befinden sich im zweiten die Christen, im dritten die Juden,
im vierten die Sabäer, im fünften die Perser, im sechsten die Götzen⸗
diener und im allertiefsten die Heuchler. Nach einer andern Version
hbefinden sich die Götzendiener im zweiten Stockwerk, von oben
gerechnet, Gog und Magog im dritten, die Teufel im vierten,
Moslim, die weder beteten, noch Almosen gaben, im fünften, Juden,
Christen und Perser im sechsten, oder Götzendiener und Manichäer
im zweiten, Brahmanen im dritten, Juden im vierten, Christen im
fünften und Perser im sechsten Stockwerk. Wieder Andere benennen
die Hhöllenabteilungen nach den sieben Todsünden. Die Abteilungen
werden die Flammende, Zerschmetternde, Codernde, Versengende,
schindende, Brennende und der Abgrund genannt. Buchari nennt
den Engel Malek als den hüter der hölle.“ Von einer anderen
scheidung nach Ronfessionen hat der Schädel eines toten Heiden dem
Gaster a. a. O. 607, Jellinek J. 147, II. 36.
g 324 -325 ed. Petermann, S. 203.
Mohammed el Buchari Trad. 370, 372, bei J. v. hammer, Fundgruben
Orients J. 188. 277.
Mew 378 -379, Taylor 99; Gubernatis, Dante 573; Bochari, bei
hammer, Fundgruben J. 187.
3—
Die griechisch-römische Unterwelt.
91
kremiten Makarius mitgeteilt. Danach befand er selbst sich tief unten
in der Hölle, noch tiefer steckten die Juden und am tiefsten die
—X—
Die ältesten Erwähnungen der Unterwelt und ihres Beherrschers
bei den Griechen finden wir in Homers Ilias, in der Hymne auf
Demeter und in Hesiods Theogonie, also in Dichtungen aus einer
Seit schon höherer Kultur. Läßt sich auch mit Wahrscheinlichkeit
annehmen, daß diese Schilderungen der Dichter zum Teil auf dem
Dolksglauben und älteren Mythen beruhen und daß die Griechen
schon viel früher, so wie andere prähistorische Völker, irgendwelche
borstellungen vom Jenseits und vom Zustande der Seelen Verstorbener
hatten, so können wir uns doch hier nicht in Vermutungen über die
Beschaffenheit dieser Vorstellungen einlassen.
Vreller meint, daß die Griechen in älterer ZSeit sich den Zustand
der Verstorbenen als einen von wesenlosen Schein- oder Traumbildern,
ohne Tätigkeit und ohne Leiden, ohne Freude und ohne Schmerz
vorstellten; erst in späterer Zeit habe man sich ihr Dasein als
Wiederholung und Fortsetzung des irdischen gedacht. Mir scheint,
daß gerade das Umgekehrte hier der Fall war. Auch muß man
wobl. mit Gruppe, den Einfluß orientalischen Glaubens annehmen.
Und wieder von den Römern meint Wyssowa, wohl zu weit⸗
gehend, sie hatten „eine mit lebendiger Phantasie ausgestattete Vor⸗
tellung von einem Fortleben und einer Vergeltung nach dem Tode
und dem Treiben im Schattenreiche nicht besessen . . . was wir aber
bei römischen Dichtern von der Unterwelt und ihren Schrecken lesen,
beruht ebenso auf griechischen Vorstellungen wie die Darstellungen
etruskischer Wandgemälde.“
Aber jedenfalls müssen wir bei unserer Darstellung mit den
griechischen Dichtern beginnen, und diese deuten auf eine Unterwelt
hin, die schon bestand, bevor Zeus der oberste Gott ward, während sie
ioch keinen besonderen herrscher hatte. Schon der alte Uranos hatte
die Titanen in den Tartarus geschleudert und sein Enkel Zeus die
päter Befreiten wieder dort eingesperrt. Nach dem Sturz des Kronos
erst haben seine drei Söhne durch das Los die drei Reiche der Welt
geteilt, und die Unterwelt ist dem Pluto zugefallen. Dort regiert er
Legenda aurea St. Macarius.
Preller, Griech. Mythol. 820, Gruppe, Griech. Mythol. J. 402.
Religion und Kultus der Römer 191 - 192.
2
Topographie und Regierung.
als finsterer, schrecklicher, erbarmungsloser Totenbeherrscher.! Aber
er ist auch der Keichtum spendende Pluto, ein wohltätiger Gott, der
im Verein mit seiner Schwiegermutter Demeter (Ceres) aus dem in
die Erde gesäeten Korn die reiche Ernte aufsprießen läßt. Dies wurde
dann später in den Misterienkulten auf das Seelenleben und die
Unsterblichkeit umgedeutet.
Neben Pluto thront seine von der Oberwelt geholte Gattin
Persephone, die in der Unterwelt denselben Rang hat wie hera im
himmel, aber ohne soviel Ursache zur Eifersucht zu haben wie die
Hattin des SZeus. Der Unterirdische scheint ein treuerer Gatte gewesen
zu sein. Nur von einer Liebelei mit einer gewissen Minthe, die dann
don Persephone oder ihrer Mutter in die gleichnamige Pflanze ver⸗
wandelt worden sein soll, weiß eine CLokalsage zu berichten. Anderer⸗
seits soll aber nach der Chronique scandaleuse des hades Persephone
den Corybas, Vater der Korybanten, ohne Mitwirkung des Pluto
sine patre) geboren haben und Zagreus (Dionnsos) ihr Sohn von
Zeus gewesen sein. Vielleicht deshalb hat ihr Pluto die Daneira,
Tochter des Okeanos, zur Bewachung beigegeben.“ Plutos und Per⸗
sephones Töchter sollen die Furien gewesen sein. Bei Tibull erscheint
sie einmal als die Lebenden zu sich abrufend.?
Ihre Sehnsucht nach der Oberwelt, ihr Mitleid mit den Ver—⸗
dammten schildert Goethe im „Triumph der Empfindsamkeit“. Wie
sie hier durch den Genuß des Granatapfels auf ewig der Unterwelt
verfällt und fragt: „Warum sind die Früchte schön, wenn sie ver—⸗
dammen?“ erinnert sie an die wegen Genuß eines andern Apfels
aus dem Paradiese vertriebene, ihren nNachkommen ewige Mühen und
Ceiden auf Erden als Erbe hinterlassende Eva.
Dem Pluto sagt Hesiod (758):
„Starrt von Eisen der Sinn und das eherne herz ist
Mitleidlos in der Brust; und welchen er hascht von den Menschen,
hält er fest; ein Entsetzen sogar unsterblichen Göttern“.
Hesiod, Theogonie 155—2158, 446 - 451, 495, 610 - 616, 710 725;
Apollodorus J. 1. 2, Ilias XV. 188 - 192.
2 Rohde J. 283, II. 117. Hesiod (Theogonie 349) nennt unter den
oielen Töchtern des Okeanos nur eine Janeira.
s Homerische hymne auf Demeter 31, 79-87, Apollodorus J. 51,
Dpid Fast. IV. 417- 618, Servius zu Aeneis III. 111, Cobeck 547, 1140, 833,
Hvid Metamorph. X. 730, Strabo, Geogr. VIII. 3, Tibull Eleg. III. 5.
Über die Art, wie Persephone in die Unterwelt gelangt ist, s. weiter
unten.
Pluto.
93
Indessen zeigt seine Entführung der Persephone, daß er nicht
allen sanfteren Gefühlen unzugänglich und nicht stets der furchtbare
Todesgott war. Und er hat besonders, wie auch Preller zugibt, in
den jüngeren Vorstellungen und Schilderungen, viel von seiner früheren
Furchtbarkeit und Strenge verloren. Dagegen scheint derselbe Gelehrte
zu übertreiben, wenn er ihn und Persephone ein schreckliches Paar,
die unversöhnlichen Feinde alles frischen Lebens, in das sie immer
Tod und Verderben hineinsenden, verhaßt den Göttern und Menschen,
nennt. Pluto hat weder getötet, noch etwas auf Erden zerstört;
auch nicht gerichtet und verurteilt. Unabhängige Kichter fällten, wie
wir noch sehen werden, in seinem Keiche das Urteil über die Toten.
Aber er konnte, wie z. B. der Fall Euridike beweist, auch begnadigen
und freilassen. Er war halb Monarch, halb Gefängnisdirektor oder
Festungskommandant. Die Griechen nannten ihn Zeus Katachthonius,
die Römer Jupiter Infernus, Jupiter Stygius?; aber seine Macht und
sein Machtgefühl waren doch beschränkter als das seines Bruders im
himmel. Wenn dieser oben donnert oder der andere Bruder Poseidon
die Erde erbeben macht, dann erschrickt der Herrscher der Unterwelt,
pringt mit Geschrei von seinem Throne auf, den Zusammensturz seines
Keiches befürchtend. Er und Persephone erschrecken, wenn Licht in
die Unterwelt eindringt. Da er von Hherakles mit einem Pfeil ver—
wundet wird, eilt er, von Schmerz gequält, zum Olymp hinauf, um
sich von Paeon die Wunde verbinden zu lassen.“ Und diese ist nicht
brandig geworden trotz des weiten Weges, den er zurückzulegen hatte.
Tiegt doch, nach hesiod, sein Reich so tief unter der Erdoberfläche,
daß ein von dieser abstürzender eherner Ambos neun Tage und neun
lächte brauchen würde, um in den Tartarus zu gelangen, und eben
0 lange würde der Sturz vom himmel zur Erde dauern. Ja, nach
birgil ist die Entfernung vom Tartarus zur Erdoberfläche zweimal
so groß als von dieser zum Himmel.“
Eherne Mauer und dreifache Nacht umschließen den Tartarus
und eine unendliche, selbst den Göttern Grauen einflößende Rluft
erstreckt sich tief unten.
Griech. Mythol. 799, 800, 802.
Andere Namen des Unterweltherrschers gibt Rohde (Psyche
192- 193) an.
3 Ilias XX. 55-65, IX. 457, V. 394-401; Ovid Metamorph. II. 261;
ausführlicher bei Statius, Thebais VIII. 30 -46.
Theogonie 713 -718, Aeneis VI. 576578.
34
Topographie und Regierung.
. .. Selbst nicht am Ende des Jahres
Käm' auf den Grund, wer einmal hinein in die Pforte gedrungen;
Sondern ihn stürmte von hier und von dort ein Orkan dem Orkane
Wütend daher.
In diesem allertiefsten Raume stecken die Titanen, ungefähr wie
Dantes Cucifer im tiefsten Abgrund der hölle. Plutos Palast scheint
oor diesem, in minder greulicher Gegend sich zu befinden. Der
Aufenthalt der verstorbenen Menschen ist eine düstere, traurige Cand⸗
schaft, in der nur Asphodyll und andere feuchte Niederungen liebende
Hewächse gedeihen. Und selbst die großen Hheroen führen dort ein
trauriges CLeben. Achilles, der einst im Leben glänzende Held,
klagt dort:
cieber ja wollt' ich das Feld als Taglöhner bestellen
inem Mann, der ohn' eigenes Erb' in Dürftigkeit lebte,
Als die sämtliche Schar der geschwundenen Toten beherrschen.?
Die Unterwelt ist gewissermaßen die Finsternis selbst, die
personifizierte Unsichtbarkeit, weshalb auch ihr herrscher der Unsicht⸗
bare CAiduvebc) genannt wurde.“ Unerwartet hereinbrechendes Licht
der Oberwelt kontrastiert mit der dort wie im ägyptischen Am Tuat
herrschenden Finsternis“, und die Unterwelt wird vielleicht deshalb,
vie ihr Herrscher, auch Hades genannt.
Ctwas ausführlicher als die griechischen Dichter schildert Virgil
im sechsten Buche der Aeneis die Unterwelt: Nachdem Aeneas, von
der cumaeischen Sibylle geleitet, beim Averner See hinabgestiegen ist,
in Charons Barke den Acheron überschifft, den Kerberus mit betäubender
Tockspeise unschädlich gemacht hat, gelangt er in einen Vorraum der
Unterwelt, in dem sich die Seelen der in früher Jugend verstorbenen
inder, der ungerecht zum Tode Verurteilten und der Selbstmörder
befinden. Nicht weit davon halten sich in einem „Gefilde des
Grams“ (lugentes campi) genannten Myrthenhain in Schwermut ver⸗
senkt die auf, denen unglückliche Liebe den Tod gebracht hat. Weiter
schreitend findet er die im Kriege gefallenen Tapferen und gelangt
zu dem Scheidewege vor den Mauern von Plutos Palast. Rechts
führt der Weg zum Reiche der Seligen (Elysium), links zum
Tartaros, dem Strafort der bösen Verdammten. Dieser ist von drei⸗
3
Hesiod Theogonie 719 735.
2 Gruppe J. 402, Odyssee XI. 489 -491. ähnlich Tibull J. 10, 336 -40.
Preller, Gr. Myth. 798.
Statius, Theb. VIII. 33 - 35.
Virgils Schilderung.
95
jachen Mauern umgeben und von dem tosenden, Steine rollenden
Feuerstrome Phlegethon umflossen. Säulen von festestem Diamant
tützen die Pforte, die weder Sterbliche noch Götter zu durchbrechen
wagen. Auf dem eisernen Turme daneben sitzt, in blutigem Mantel
gehüllt, als Wächterin, Tag und Nacht, die nie einschlafende Tisiphone.
In diesen tiefsten und innersten Raum der Unterwelt, dem Tartarus,
und zum Sitze des Pluto gelangt Keneas selbst nicht, denn diesen
Strafort ist dem Reinen zu betreten nicht gestattet. Welche Sünder
sich dort befinden und wie sie gestraft werden, wird ihm nur von
der Sibylle erzählt. Dann tritt er den Weg zum Elysium an, wohin
wir ihn nicht zu begleiten haben.
Wir bekommen von Virgils Erzählung“' keinen klaren Begriff
von der CLage und Anordnung der eigentlichen Hölle, wie überhaupt
eine Schilderung der örtlichkeiten der Unterwelt eine mehr phantastisch
poetische als geometrisch und topographisch genaue ist. So bleibt es
auch unklar, was er unter dem vestibulum an der vordersten
Mündung des Orkus (D. 293) versteht.“ In bezug auf Genauigkeit
und Anschaulichkeit der Cokalschilderung wird er von Dante weit
übertroffen.
Auch Pausanias gibt in seiner Beschreibung der Gemälde in der
Lesche zu Delphi nur eine Schilderung der höllenstrafen, nicht der
Ortlichkeit. Freilich erklärt es derselbe Pausanias an einer anderen
Stelle (II. 2590) seines Werkes für unglaublich, daß sich im Innern
der Erde ein Wohnsitz von Göttern und Abgeschiedenen befinde.
Darstellungen der Unterwelt auf unteritalischen Vasengemälden
zeigen gewöhnlich in der Mitte die palastähnliche Wohnung des Pluto
und der Persephone, beide prächtig gekleidet, Pluto mit Szepter,
Persephone mit Diadem und Fackel, umgeben von Totenrichtern (7),
rinnyen und Seelen Abgeschiedener. Mitunter sind auch Hhermes,
herakles und häufig Orpheus dargestellt.
In der etruskischen Unterwelt herrscht, nach Gerhard und den
Abbildungen, Furcht und Schrecken erregend, Mantus, ein strahlen⸗
bekränzter, geflügelter Mann in würdevoller Haltung.“
Das Christentum hat bei seiner Entstehung wie manches andere
so auch sehr vieles auf das Fortleben im Jenseits Bezügliche zuerst
Vergl. Macrobius, Saturnalia VI. 8, und E. Nordens Kommentar zu
den. VI. s. 207.
Preller, Griech. Myth. 832.
über die Gottheiten der Etrusker 532.
2
2
F
Topographie und Regierung.
dem jüdischen und dann auch dem griechischen Glauben jener Zeit
entnommen. Es gilt dies besonders von der Topographie der Unter⸗
welt und den Strafen, welche die Sünder dort erleiden. Bei manchen
Jenseits⸗-Schilderungen aus den ersten Jahrhunderten des Christentums
ist man in Zweifel, ob man ein jüdisches, ein christliches oder ein
in christlichem Sinne umgearbeitetes jüdisches Werk vor sich hat.
Andeutungen auf Aufenthaltsorte der Seelen Verstorbener, auf
deren Belohnung und Bestrafung finden sich in mehreren Stellen
des Neuen Testaments. Von einem Aufenthaltsort im Innern der
Erde oder in der „äußern Finsternis“, wo heulen und Zähneklappern,
im Seuer oder im Schoße Abrahams sprechen die Evangelien.
Matthäus und Markus nennen den Strafort ganz jüdisch „Gehenna
des Feuers“.“ Auf einen Ort, aus dem die Toten wiederkehren
können, läßt sich aus andern Stellen schließen.
Hehen wir zu den nichtkanonischen Schriften über, so finden wir
in der vor mehreren Jahren in Akhmin gefundenen sogenannten
Petrusapokalypse schon Bestrafung der Sünder in 14 Abteilungen
der Hölle, jedoch ohne nähere Beschreibung dieser Räume. Uuf ver—⸗
schiedene Abteilungen der hölle hat man sogar aus den Worten
Jesu „in meines Vaters Hause sind viele Wohnungen“s schließen
wollen.
Keichlicher, systematischer und zum Teil in anderer Kichtung als
bei den Juden haben sich die christlichen Jenseitsvorstellungen im
Mittelalter entwickelt.
Es lassen sich da drei Klassen der Fortbildner unterscheiden:
1. Die Visionäre, welche Schilderungen der hölle für Selbstgeschautes
ausgaben, das sie für wahr gehalten zu werden wünschten, mitunter
auch selbst für wahr hielten. 2. Die Dichter, welche mit gläubigem
Heiste, nicht strikt nach der Kirchenlehre, aber nicht gegen diese, zum
Teil nach dem Volksglauben das Jenseits schilderten, aber nicht ver⸗
hehlten, daß ihre so genaue Schilderung nur Dichtung sei. 3. Die
Theologen, welche auf Grund der von der Kirche festgesetzten CLehren
durch Auslegung und Erweiterung, mit Hilfe kühner Phantasie, auch
den Volksglauben und nichtchristliche Tradition nicht verschmähend,
eine genaue Schilderung zustande brachten, an die sie, wie an mit
Sicherheit Ermitteltem zu glauben empfahlen.
1. Matthäus V. 22, 29, VIII. 12, XII. 40, XIII. A2, XVIII. 8, XXII. 13,
XXV. 30, 41, Markus IX. 43-47, Cukas XVI. 22.
» Epistel Petri III. 19, IV. 6, Markus VIII. 31.
3 Ev. Johannes XIV. 2.
Die Unterwelt nach katholischer Kirchenlehre. 97
3Zu dieser dritten Klasse gehören einige der ältesten Kirchenväter,
die schon von einer hölle mit wirklichem Feuer sprechen. Der
hl. Augustinus bemüht sich mit Beispielen aus der damaligen Natur—
kenntnis zu beweisen, daß die Sünder ewig in der hölle brennen
können, ohne verzehrt oder vollständig vernichtet zu werden, wie
solches auch bei Vulkanen, Pfauenfleisch (Phönix?) und gebranntem
Kalk der Fall sei.! Papst Gregor der Große erklärt, mit hesiod
übereinstimmend, daß die Hölle so tief unter der Erde ist als diese
unter dem himmel. Sie besteht nach ihm aus zwei Abteilungen,
deren untere, für die Sünder bestimmte, ein seit Erschaffung der Welt
existierender Abgrund voll wirklichen Feuers ist. In der oberen
Abteilung hätten sich die an den kommenden Christus glaubenden
Frommen, ohne Pein, bis sie durch ihn erlöst wurden, befunden.“
fuch die Scholastiker behaupteten, daß die Hölle sich, wenn nicht
ganz sicher, doch höchst wahrscheinlich im Innern unserer Erde befinde.
Mit Recht sagt Edm. Spieß, von dem Glauben der Griechen an einen
hades im Mittelpunkt der Erde sprechend: „In dieser hinsicht ist
auch durch das Christentum gar nichts geändert worden und trotz
der Entdeckungen eines Ropernikus und Galilei suchen auch unzählige
Christen den Aufenthaltsort der Verstorbenen, soweit sie nicht zum himmel
aufgestiegen sind, ganz in dem nämlichen Orte, wo die alten Germanen
dkandinaviens ihr Niflheim, wo die ägypter ihr Amenta, die Juden
ihren Scheol, die Griechen ihren Hades sich dachten“.
And warum sollten sie es denn, trotz Galilei, nicht tun? Rann
iich denn die Erde mit der hölle im Bauche nicht auch um die Sonne
bewegen?
Nach der später ausgebildeten Lehre der katholischen Kirche ist
die Hölle das Gefängnis, in dem die gefallenen Engel und die ver—
dammten Menschen eingeschlossen sind, ewige unaussprechliche Qualen
leidend. Und liegt auch keine dogmatische Entscheidung über den
Ort der hölle vor, so muß es doch als allgemeine Annahme der Kirchen-—
däter und späteren Theologen gelten, daß die Hölle ein abgeschlossener
X innerhalb der Erde ist, in welchem sich alle möglichen Peinen,
zunächst für die Leiber der Verstorbenen, zusammendrängen.“
De civitate Dei XXI. 2-4.
g Moralia XIII. 43, XV. 35, XVI. 68; Dialog IV. 56, 42, XII. 13, XIII.
54.
Entwicklungsgeschichte 205; Bautz, Die hölle 374538.
Wetzer und Welte, Kirchenlexikon V. 284 ff.
Landau, Hölle und Fegfeuer.
8
Topographie und Regierung.
Klipp und klar heißt es im römischen Katechismus, in der
Erläuterung zu Teil J Kap. 6: „Die Seelen der Herdammten werden
in einem furchtbar grausenhaften und überaus finsteren Kerker in
ewigem und unauslöschlichem Feuer zugleich mit den unreinen Geistern
gequält“.“
Allen diesen Zeugnissen gegenüber behauptete jedoch der Mathe⸗—
matiker und Theologe William Whiston (1667-1752), die Hölle
befinde sich in einem Kometen und dessen größere oder geringere
Entfernung von der Sonne verursache die in manchen höllen⸗
schilderungen erwähnte Abwechslung von schrecklicher Kälte und hitze.
Dagegen nahm wieder der englische Theologe Swinden, Pfarrer
von Cuxton, an, daß die Hölle sich in der Sonne befinde, weil es
keinen andern Ort, der genügenden Raum für die unendliche Zahl
von Teufeln und sonstigen Verdammten böte, gebe und weil die
Sonne das Zentrum des Universums sei. Diese Hölle, in der die
Verdammten ewig in einem wirklichen materiellen Feuer brennen,
ist aber erst nach dem Abfall der bösen Engel erschaffen worden,
denn diese würden sich nicht empört haben, wenn sie von dem Bestehen
einer Hhölle gewußt hätten.“
Bei der ungeheuren Größe der Kometen und der Sonne kann
man wohl annehmen, daß sich dort genügender Platz für alle gewesenen
und künftigen Sünder findet, anders verhält es sich aber, wenn
die hölle auf den Innenraum unserer Erde beschränkt ist. Wie der
Jesuit Drexel (1381-1638) in seinem Werke: De inferorum dam-
natorum carcere et rogo sagt, hat sie Raum für 100 Millionen Seelen,
und da müßte sie ja schon längst voll sein. Auch klagt Pluto im
Zodiacus vitae des Peter Aug. Manzoli, daß es bei ihm schon über⸗
voll sei und doch CTürken, Juden und die Mehrzahl der Christen,
Priester, Mönche und andere Kirchendiener in Menge tagtäglich hinzu⸗
zommen, während die wenigen Seligen den unermeßlichen himmel
zum Wohnsitz haben; Jupiter möge doch seiner Bitte willfahren und
einen Teil der Verdammten entlassen oder den Tartarus erweitern.“
zur Beruhigung aller derjenigen, welche schon Mietzinssteigerung
oder Wohnungsmangel in der Unterwelt befürchten, sagte schon vor drei
Catechismus romanus ex decreto Concilii Tridentini, Bielefeld und
Teipzig 1867, 5. 56.
Bei Mew, S. 324 - 325.
3 Recherches sur la nature du feu de l'enfer et du lieu ou il est
zitué par M. Swinden, traduit de Langlais par M. Bion, Amsterdam 1757.
aMarcelli Palingenii Stellati Zodiacus vitae L. X. I-57 erste Ausgꝗ. 1651.
Die Monarchie des Teufels.
99
Jahrhunderten der Jesuit Leonhard Leß (15541 - 1623), daß ein ver—
hwindend kleiner Teil des Erdinnern hinreicht, um eine geradezu
sabelhafte Anzahl von Menschen aufzunehmen, denn die Hölle, setzt
bautz hinzu, wird ja nur von Geistern bewohnt; „sollten ihre
Dimensionen nach der Auferstehung der Leiber unzulänglich sein, so
wird der Schöpfer der neuen Erde Sorge tragen“
Aber schon früher hat sich, nach Angabe eines schottischen Geist⸗
lichen, die Hölle von selbst ausgedehnt.“ Und anderthalb Jahrtausende
dorher hat schon der Rabbi Josua ben Levi gesagt: Nach dem Gericht
ührt Gott die Sünder zum Paradiese und sagt ihnen: es sind hier
soch freie Plätze, damit ihr nicht sagt, daß ihr, wenn ihr Buße
etan, keinen Platz gefunden hättet. Ebenso wird den Frommen
die hölle gezeigt, damit sie sehen, daß noch freie Plätze da sind, und
hnen gesagt: Ihr sollt nicht glauben, daß ihr im Falle einer Ver—
chuldung keinen Platz mehr darin gefunden hättet.?
. Andere Theologen stellten das ganze Höllenreich als eine in
hren Ordnungen, Würdenträgern und Beamten dem himmlischen
keiche nachgeahmte, ihm feindliche Monarchie des Teufels dar. So
chrieb Johannes Wier um die Mitte des sechzehnten Jahrhunderts,
angeblich zur Bekämpfung des Glaubens an Hexen und Zauberer
und zur Widerlegung des Buches Officium spirituum, mittelst
dessen die höllischen Geister zur Dienstleistung gezwungen werden
önnen, seine PSeudomonarchia Daemonum. Wir erfahren daraus,
daß der Teufel, als Kaiser Belzebub, über sieben Könige — Baal,
bursan, Byleth, Paymon, Belial, Asmodai und Zapan — regiert.
ünter diesen stehen 23 herzoge, 13 Markgrafen, 10 Grafen, 11 Prä⸗
denten, viele Ritter usw., im ganzen 6666 Legionen, deren jede aus
bbb Teufeln besteht. Von manchen dieser höllischen Tschinowmins
vird auch das Ausfehen beschrieben, z. B. Byleth reitet auf einem
alben Pferde, dem eine Menge Musiker mit allerlei Instrumenten
anziehen, Sytry, auch Bitru genannt, erscheint als CLeopard mit
cierslügeln, wenn er aber menschliche Gestalt annimmt, ist er sehr
ön. Stolas, der Culengestalt hat, kommandiert 26 Legionen. Nach
indern Kennern des höllischen Reiches heißen seine höchsten Würden—
Täger Satan, Moloch, Pluto, Baalberith, Astaroth, Leviathan usw.
uzifer ist dort obersier Kichter.
Bautz, 8. 40, 42.
H. T. Buckle, Hist. of Civilisation Ch. 19, V. 116.
Dr. W. Bacher, Die Agada der Palästinensischen Amoräer, J. 186.
100
Topographie und Regierung.
— —
Wenn aber ein solcher gothaischer Kalender der hölle die Namen
der Gesandten des Unterweltsmonarchen bei seinen Rollegen auf der
Hberwelt angibt!, so vermuten wir in ihm eher den Satyriker als
den Gläubigen.
Mit vollem ernsten Glauben und gründlichster Ausführlichkeit hat
der Doktor des ambrosianischen theologischen Instituts in Mailand,
Anton Rusca, in seinem dort 1621 erschienenen, mit Plänen und
Grundrissen ausgestatteten „dem Erlöser und der Menschheit“ gewid⸗
meten Werke „Fünf Bücher von der Hölle und dem Zustande der
Ddämonen vor dem Ende der Welt“ die Hölle geschildert. Wie ver—
läßlich nnd gründlich dies Werk ist, kann man daraus schließen, daß
der Verfasser ihm ein Verzeichnis von ungefähr 300 dazu benutzten
heidnischen, jüdischen und christlichen Autoren beigab und daß die
zirchliche Zensurbehörde es als sehr gelehrtes und gründliches Werk,
in dem sich nichts gegen den rechten Glauben und die guten Sitten
finde, bezeichnet hat.
Nach seiner Darstellung besteht die im tiefsten Innern der Erde
befindliche Unterwelt aus vier übereinanderliegenden Abteilungen:
zchoß Abrahams, Limbus, SFegfeuer und hölle. Letztere, die unterste,
ist auch die größte. Im Vergleich mit den zahllosen indischen Höllen
erscheint die christliche Rusca's noch bescheidener als ein einstöckiges
Wohnhaus gegenüber einem amerikanischen Wolkenkratzer. Er
hehauptet auch, daß die Hölle nicht, wie manche annehmen, nach den
sieben Todsünden oder nach den neun Engelklassen, aus deren jeder
ich Cinzelne empört haben, eingeteilt sei, sondern daß sie ein ungeheuret
Raum, eine Art von feurigem Chaos ist. Nur die Strafen seien nach
Art und Grad der Sünden verschieden.
Vom freisinnigen oder ungläubigen Standpunkte, aber weder
erschöpfend noch gründlich, haben Octave Delepierre und James Mew
die Höllenschilderungen der verschiedenen Völker und Religionen
behandelt. Die Entstehung und Bedeutung des Glaubens an Cohn
und Strafe im Jenseits haben sie fast gar nicht berücksichtigt.
Interessant und von Wert sind die dem Werke Mews beigegebenen
Illustrationen nach alten und nach außereuropäischen bildlichen Dar⸗
stellungen der Hölle.
Als jüngste Schilderung der hölle nach streng katholischer An—
schauung verdient das von Dr. Joseph Bautz 1882 in erster, 1905 in
Johannis Wieri, Opera omnia, Amsterdam 1660, 8. 650 663; Dictiop.
infernal 551, 472, 364 - 365, 114, 477, 166, 89 3. T. nach A. W. X. Berbiguier
Les farfadets.
Die Unterwelt nach Dante.
101
weiter, verbesserter und vermehrter Auflage in Mainz mit kirchlicher
Approbation erschienene Werk „Die Hölle. Im Anschluß an die
vcholastik dargestellt“ um so mehr unsere Aufmerksamkeit, als der
derfasser Professor der Theologie an der Rgl. Universität zu
Münster ist.
In den mittelalterlichen Visionen, deren Charakter wir bereits
gekennzeichnet haben, wird der größte Raum der Sschilderung der
Teiden und Qualen der Sünder gewidmet, aus der wir nur
gelegentlich etwas über Topographie und Regierung der Hölle erfahren.
do gibt die sehr ausführliche, kunstvoll gearbeitete Vision des Tundal
nur vom höllenfürsten eine genaue Beschreibung. Wir erfahren aus
ihr, daß Luzifer 1000 je 100 Ellen lange hände mit je 100 Saust
langen Fingern und Nägeln so lang wie Canzen hat. Er liegt mit
seurigen Ketten gefesselt auf glühendem Rost, unter dem Tausende
don Dämonen beständig das Feuer schüren.
Nach den visionen des Minoriten Giacomino von Verona hat
die Hölle eiserne und bronzene Tore, die von Triphon, Mohammed,
datan und BParachino bewacht werden. Der eigentliche Herrscher der
Unterwelt ist der König des Todes, vor den die Verdammten mit
gefesselten Händen und Füßen gebracht werden. Im tiefsten höllen⸗
Arunde finden sich glühendes Harz und Schwefel, so heiß, daß sie in
einem Augenblick alles Wasser des Ozeans zum Sieden bringeůͤ
könnten.“
Andere visionäre schildern vorzüglich das Fegfeuer, worauf wir
noch zurückkommen werden, oder das Paradies, mit dem wir uns
hier nicht zu beschäftigen haben.
Wenden wir uns von den Theologen und Visionären zu den
Dichtern, so finden wir in Dante's Göttlicher Romödie, die ja auch
als vision betrachtet werden kann, die vollkommenste und detaillierteste,
don keinem nach ihm erreichte Beschreibung der drei Reiche des Jen⸗
seits. Auch er hat vieles von seinen Vorgängern — antiken Dichtern,
kirchenlehrern, Scholastikern und christlichen Visionären — entlehnt,
aber er läßt alle weit hinter sich zurück. Er beschreibt die hölle mit
einer gewaltigen Dichterphantasie, aber auch mit der Genauigkeit
eines Ingenieurs, so daß man nach seinen Angaben Grundrisse ihrer
scchrecklichen Räume zeichnen konnte.
Nach seiner Darstellung befindet sich die hölle im Innern der
krde und ihr tiefster Punkt ist auf der Jerusalem entgegengesetzten
— —
Gubernatis, Dante 595.
92
Topographie und Regierung.
Sseite. Er gelangt durch einen dichten Wald, von virgil geleitet, zu
ihrer Pforte mit der schrecklichen alle Hoffnung vernichtenden Inschrift.
Nachdem er den traurigen Aufenthaltsort der Lauen und Parteilosen
durchschritten, wird er von Charon über den Acheron geschifft und
steigt dann durch die neun Kreisterrassen hinunter, die an Durchmesser
immer abnehmen, während die Schwere der Sünden, die in ihnen
gestraft werden, immer zunimmt. Das Ganze hat demnach die Form
eines Trichters, in dessen tiefster, engster Offnung, als ärgster aller
sünder, Lucifer, der Engel, der sich gegen Gott empörte, im Eise
steckt. Ein Gegenstück zu dem am Rost bratenden Lucifer der Vision
Tundals. Er ist riesengroß, hat Flügel wie eine Fledermaus und
drei Köpfe. Mit je einem der drei Mäuler zermalmt er einen der nach
des Dichters Urteil größten Sünder und Verräter — Judas, Brutus
und Cassius.
Charon und Kerberos haben wir bereits erwähnt; außerdem
finden wir in der Danteschen Hölle, neben den Teufeln und Dämonen
der christlichen Mythologie, von den antiken mythologischen Personen
und Fabelwesen — Pluto, mit dem aber hier (Canto VII) der Gott
des Reichtums gemeint zu sein scheint, Phlegyas, der den Tempel des
Apollo verbrannt hat und dafür als Fährmann in der hölle dient;
dann, als Wächter innerhalb der Mauer, die den sechsten und die
folgenden tieferen Kreise gegen die oberen abschließt, die drei Furien
und als Wächter des siebenten Kreises den Minotaurus; ferner die
harpyen und Centauren und Geryon als Personifikation des Betrugs,
der Dante und seinen Führer Virgil vom siebenten in den achten Kreis
hinunterträgt. Endlich Ulysses und Diomed, den Räuber Cacus, den
Dante einen Centaur nennt, und die Kiesen Briareus, Antäus,
Tphialtes und Nimrod, deren Größe genau angegeben wird.
Der Abstieg bis zum tiefsten höllenraume ist nicht leicht, ja mit
schwierigkeiten und Gefahren verbunden, über Felsenriffe muß
geklettert werden, Abgründe werden passiert und scheußliche Gewässer
überschifft. Drei Kreise — VII, VIII, IX — sind wieder in drei bezw.
zehn und vier Fächer (Bolgie) geteilt, nach der Verschiedenheit der
ssünden, für die in ihnen bestraft wird, wovon später die Rede
ein wird.
In den wuchtig dahinrollenden ersten acht Stanzen des vierten
Gesanges des Befreiten Jerusalem schildert Tasso eine Ratsversamm⸗
lung der höllendämonen, ohne jedoch eine Beschreibung der Cokalität
zu geben. Noch mehr als Dante nimmt er seine unterirdischen
Gestalten aus der antiken Mythologie: harpyen, Centauren, Sphynre,
Die Unterwelt nach Milton und Kloplstock. 103
Gorgonen, Chimären u. dergl. sind um den herrscher Pluto geschart,
der in der Rechten das gewaltige Szepter hält. Er ist von Statur
wie einer der größten Berge, gehörnt, mit dichtem, borstigem Bart,
feurigen, giftsprühenden Augen. Wenn er den gewaltigen Mund
öffnet, stößt er feurigen Schwefel und stinkenden Kauch aus. Wenn
er seine furchtbare Stimme erschallen läßt, stellt Kerberos sein Bellen
ein, die hydra verstummt und die Abgründe der hölle erzittern.
Wie Dante's Ugolino im Hungerturm sich vor Schmerz in beide hände
beißt, so beißt der Pluto Tasso's, „der große Seind des Menschen⸗
geschlechts“, vor Wut die Lippen. Er hat nicht wie CLuciser drei
Derräter zu kauen.
Auch in Miltons „Verlorenem Paradies“ versammelt Satan
das Parlament seiner Vasallen oder vielmehr nur das Oberhaus
(the grand infernal peers) und hält ihnen eine lange Kede. Die
Opposition läßt er aber nicht zu Wort kommen und schließt gleich
nach Beendigung seiner Rede die Sitzung, worauf er die einstimmige
Annahme seines Antrags durch vier (Höllenreporter) Cherubim der
Welt verkünden läßt. In hurrastimmung jubelt das ganze Volk
der Hhöllengeister ihm zu. Als er dann nach Verführung des ersten
Menschenpaares wieder vor versammeltem Parlament seine Thronrede
hält und über die Erfolge seiner Diplomatie berichtet, tönt ihm von
allen Seiten, statt des von uns erwarteten Beifallklatschens, nur Sischen
entgegen. Es ist dies aber kein Zeichen des Tadels, sondern nur die
einzig mögliche üußerungsart seiner treuen Untertanen. Sie sind
nämlich alle, Cords und Gemeine — dort „Throne, hHerzoge, Prinzen,
Mächte und Gewalten“ genannt — in Schlangen, Skorpione und
anderes ekelhaftes Gewürm verwandelt worden. Und derselben
Mmetamorphose unterliegt dann das ganze höllische Heer. Im übrigen
ist nach dem frommen englischen Dichter der Aufenthaltsort der ver—
dammten rebellischen Engel ein bodenloser Abgrund, so tief unter
dem himmel gelegen, daß ihr Sturz von diesem neun Tage dauerte,
bis sie den für sie bestimmten ewigen Kerker hoffnungslos erreichten.
Blühende schreckliche Schwefelflammen erfüllen ihn, aber trotzdem
herrscht dort tiefes Dunkel.
Eine Beratung Satans mit seinem höllischen Parlament schildert
auch Klopstock im zweiten Gesange seines „Messias“. Doch scheint
bei diesem allgemeines Wahlrecht zu herrschen, denn neben den Fürsten
erscheint auch der unzählbare „Pöbel der Geister“ (I. 401— 4).
Nach dem Talmud bab. (Erubin 190) ist einer der Namen der
hölle Abadon, während nach der Offenbarung Johanni IX. 11 der
104
Topographie und Regierung.
König des höllischen Abgrunds diesen Namen führt, der dort ganz
richtig mit dem griechischen Apollyon (der Verderber) wiedergegeben
wird. Klopstock macht im siebenten Gesange den Abaddon zum Todes⸗
engel. Dagegen ist im zweiten Gesange Abbadona der einzige unter
den gefallenen Engeln, der dem Satan Opposition macht. Dieser,
anstatt ihn zu widerlegen oder zur Ordnung zu rufen, will einen
Felsblock auf ihn schleudern,
.. „allein die schreckliche Kechte,
Ssank ihm zitternd im Zorne dahin“
und der Opponierende konnte glücklich entwischen und zur Erde
gelangen.
Dies ist nicht die geringste und nicht die einzige Abweichung
lopstocks von der Orthodoxie und Tradition. Und Edgar hennecke!
tadelt ziemlich scharf seine „Anklänge an gnostische Spekulationen,
seine starke Willkür in der Beilegung selbsterfundener Namen an
Geister und biblische Personen, sowie in deren näherer Charakteri⸗—
sierung“.
Über die Lage der Hölle sagt Klopstock nur, daß sie fern von
allen Geschöpfen in der unendlichen Leere, in ewige Dunkelheit von
der Gottheit eingeschlossen wurde;
„Denn in unserer Welt, dem Schauplatz ihrer Erbarmung,
War kein Raum für Orte der Qual.⸗
Was die Dichtungen Tassos, Miltons und Klopstocks von andern
höllenschilderungen unterscheidet, ist, daß sie nicht ihren beständigen
zustand beschreiben, sondern in einem die ganze Welt umfassenden
Tpos eine Episode im Reiche der Verdammten vor sich gehen lassen.
Auf die wunderlichen Schilderungen des Lebens im Jenseits, die
der fromme Schwede Emanuel Swedenborg in seinen Werken
-Arcana coelestia, himmel und hölle usw. — gibt, brauche ich,
dem Titel dieses Werkes gemäß, nicht einzugehen. Er ist weder
Dichter noch Theolog und mit dem Volksglauben hängt er nur inso⸗
weit zusammen, als er auch, wie manche Naturvölker, die Toten im
Jenseits ungefähr dasselbe Leben wie im Diesseits fortführen läßt.
In mehreren Unterweltsschilderungen ist auch von Gewässern die
Kede. Nach der Odyssee (KR. 500- 11) muß der held den Ozean
CEinleitung zu seiner Ausgabe der Neutestamentlichen Apokryphen 16.
Gesang II. 252 -258.
Gewässer der Unterwelt.
105
durchschiffen, um zum CEingang des hades zu gelangen, wo der
Kokytus, ein Arm des Styr, und der Pyriphlegethon zusammen in
den Acheron stürzen. Dieser Fluß oder der acherusische See soll, nach
Preller, das eigentliche Haupt- und Grenzwasser der Unterwelt sein.
der Styr ist nach Hesiods Theogonie ein Arm des Okeanos, der tief
ins unterirdische Dunkel eindringend, dort aus dem Sels hervorquillt.
In der Ilias (VIII. 369, XV. 36) wird er der entsetzliche Fluß
genannt, bei dem zu schwören den Göttern das furchtbarste ist. Wer
von ihnen bei seinem Wasser einen Meineid schwört, liegt ein Jahr
krank und ist für weitere neun Jahre aus der Versammlung der
ötter verbannt.
Nach Plato, im Phädon, fällt der Acheron in den acherusischen
dee, durch den auch der Pyriphlegethon (oder Phlegethon) fließt.
Dieser ist schlammig, siedend heiß, schlängelt sich lange unter der Erde
hin und fällt endlich in einen weiten glühenden Abgrund, wo er ein
großes Wasser- und Schlamm-Meer bildet. Ihm gegenüber stürzt
auch ein anderer höllenfluß, nachdem er den stygischen See durch⸗
flossen, in den acherusischen See.
Nach Gruppe ist Acheron phönizischen Ursprungs und bedeutet
der Westliche (7).
In der Vision des Tundal heißt ein schreckliches Ungeheuer,
—D Mißverständ⸗
nis). Acheron.
Nach Silius Italicus (Pun. XIII. 423-6) befindet sich der Kocytus
anmittelbar beim Eingang zur stygischen Grotte. In der „Trauer
um Verstorbene“ macht sich Cukian über die Beschreibungen der
höllenflüsse lustig.
Drei der Höllenflüsse haben ihre Namen von oberirdischen
Gewässern: Rocytus hieß ein Fluß in Epirus, im Gebiete von Thes⸗
protis, der sich in den Acheron oder in den acherusischen See, dem
man im Altertum verpestende Ausdünstungen zuschrieb, ergoß. Styr
var ein Bach in Arkadien, dessen Wasser für giftig gehalten wurde
und der auch andere merkwürdige CEigenschaften hatte. Man pflegte
bei ihm zu schwören, vielleicht weil man glaubte, er käme aus der
Unterwell.e
hHesiod Theogonie 775—- 797, Apollodorus J. 2, 2.
Strabo VIII. 8, Pausanias J. 17, 5, VIII. 18, 2, Herodot VI. 74,
dinius XXXI. 19. Preller, Griech. Mythologie 811. Gruppe, Griech.
Nythol. J. 102.
100
Topographie und Regierung.
Allegorisierende Auslegungen der Bedeutung der Höllengewässer
geben Macrobius und Servius.“*
In Suidas' Lexikon wird auch der Alibas (s. v.) als Strom der
Unterwelt genannt.
Auch in andern Religionen fehlt es nicht an Gewässern im Jen⸗
seits, welche giftiges Wasser, Feuer, glühendes Pech oder Schwefel
statt reinen Wassers führen. So spricht das Religionsbuch der
Mandäer von Flüssen und einem „großen Meer des Endes“ in der
Unterwelt.
Die deutsche Mythologie weiß von Schlangen, die so viel Gift
speien, daß Ströme davon im höllensaal fließen. Aus dem Brunnen
hwergelmir, wo Nidhöggr die Leichen saugt, entspringen zwölf
Flüsse mit Namen Swöll, Gunathra, Fiorn usw., deren letzter, Giöll,
dem Höllentore am nächsten ist. Noch merkwürdiger ist der Hirsch
Tikthyrnir, der in Walhall steht, von dessen Gehörn so viele Tropfen
herabfallen, daß sie 25 Ströme bilden, die nach hwergelmir fließen.
Ferner findet sich im Jenseits der Deutschen der Strom Slidher, der
durch Gifttäler fließend, Schlamm und Schwerter führt.?
Dietrich nimmt daher als Strafort eine „deutsche Wasserhölle“
an, da ja bei den alten Deutschen auf der Oberwelt die Sumpftaufen
und andere ausgesuchte Strafen im Wasser, nach Tacitus (Germania
xI), vorzukommen pflegten. Simrock, der ihm zustimmt, schließt
aus dem Vorherrschen des Wassers anstatt des Feuers als Strafmittel,
auf den rein nordischen Ursprung dieser Mythen.“ Dagegen ist
die Hhöllenschilderung im Solarlied wohl schon nach christlichen Vor⸗
bildern gedichtet.
In altchristlichen Höllenschilderungen finden wir wieder manch—⸗
mal die aus der antiken Mythologie genommenen, dazu von greu—
lichen Ungeheuern bewohnten höllenflüsse Styr, Phlegethon, Acheron
und Rocytus.
Dante hat für die Flüsse seiner Hölle ebenfalls die antiken
Namen Rocytus, Acheron, Phlegethon und Styx entlehnt, aber sie in
ganz anderer Weise, wie es scheint, zum Teil unter biblischem Cinfluß,
Jeschildert. Im Buche Daniel (VII. 9,10) heißt es: „Ich sah endlich
In Somnium Scipionis J. 10, Servius zu Aeneis VI. 295.
Brandt, Die mandäische Religion 63.
Wöluspa 40, 42, 43, Gylfaginning 4, 39, 52, bei Simrock, Die Edda
S. 9, 279, 304, 325.
CEdda S. 398; Zeitschrift für deutsches Altertum IX. 175 ff.
Gewässer der Unterwelt.
107
einen an Jahren Alten .... sein Stuhl war Feuerflammen und die
käder daran brennende Glut. Und ein Strom von Feuer ergoß sich
bon ihm.“ Dazu wird im Talmud, unter Bezugnahme auf einen
Ders in Jeremias: „Das Wetter des Ewigen bricht grimmig hervor
und wirbelnder Sturm; auf das haupt der Frevler fährt es her—
nieder“, bemerkt, dies sei der Feuerstrom, der aus dem Schweiß der
himmlischen Feuergeschöpfe entstehe und auf die Köpfe der Sünder
in die Hölle hinabfließe.
Der Greis der Danielschen Vision ist der Urahn von Dantes
„hohem Greise“ im Berg von Kreta, aus dessen Poren Tränen fließen,
welche die vier Höllenflüsse Acheron, Styr, Phlegethon und Kocytus
bilden.“ Über den Acheron führt Charon die Toten hinüber, den
düstern, einen Sumpf bildenden Styr sieht Dante am Ende des vierten
höllenkreises und wird von Phlegyas hinübergeschifft. Der Fluß von
siedendem Blut im siebenten Kreise ist der Phlegethon und den eis—
kalten, festgefrorenen Kocytus findet er im tiefsten Höllengrunde.
Milton nennt im ,Verlorenen Paradies“ (II. 375, - 81) die bekannten
dier Unterweltsströme der antiken Mythologie, die sich bei ihm in einen
seurigen See ergießen, gibt aber keine Beschreibung derselben. Etwas
ausführlicher spricht er vom Lethestrom, über den er die Sünder zur
Derschärfung ihrer Qual wiederholt schiffen läßt. Sie strengen sich
an, um einen Tropfen der Flüssigkeit, die alles Weh und Leid aus
dem Gedächtnis tilgt, zu erhaschen, aber Medusa schreckt sie zurück
und das Wasser selbst flieht vor ihnen, „wie einst vor Tantalus“.
Seneca läßt den Charon mit seinem Nachen die Toten über den
Tethefluß führen, während dieser doch gewöhnlich in der Nähe des
tlysiums oder des Paradieses gedacht wird. So läßt auch Dante
nach einem Trunk aus ihm die Sünden vergessen und neben ihm die
Quelle Cunoe entspringen, welche alle guten Werke in Crinnerung
bringt. Damit entfernt er sich aber von der antiken Anschauung,
sach der nicht nur die Seelen der eben Verstorbenen aus Lethe
trinken, sondern die nach langjähriger Keinigung zur Wiedergeburt
im neuen Vörper bestimmten, damit sie, den himmel vergessend, willig
in irdische Leiber zurückkehren. So heißt es auch bei Macrobius,
„der Fluß des Vergessens sei nichts anderes als die Täuschung der
i Jeremias XXIII. 19, Talmud bab. Chagiga 13 b., Dante Hhölle XIV.
—-119.
Hölle Gesang III. 78 ff, VIII. 18230, XII. 101, XIV. 134, XXXI.
t23, XXXIII. 156, XXXIV. 52.
08 Gericht und Buchführung im Jenseits.
deele, welche, die Herrlichkeit ihrer früheren Cristenz ohne Rörper
vergessend, glaube, nur im Körper sei das Ceben“.
Herwandte Anschauung finden wir in einem mittelalterlichen, aus
Talmudstellen und andern ältern Bestandteilen gebildeten, hebräischen
Traktat ,Von der Erschaffung des Kindes“: „Gleich nach der Empfängnis
wird der Seele befohlen, in den Mutterleib zu fahren, sie bittet, sie
davon zu dispensieren, muß sich aber dem Willen Gottes unterwerfen.
Engel zeigen ihr die herrlichkeiten des Paradieses und die Qualen
des Gehenem und teilen ihr mit, durch welche Taten man in das eine
oder das andere gelangt. Aber unmittelbar vor der Geburt gibt
ihr wieder ein Engel einen Nasenstüber, infolgedessen sie alles, was
sie gesehen und gehört hat, vergißt.“
—F
VII. Gericht und Buchführung im Jenseits.
Wenn die ewige Gerechtigkeit festsetzt, daß die Sünder und
Frevler bestraft, die Frommen und Tugendhaften belohnt werden
sollen, und wenn auch die meisten Keligionslehrer zu wissen behaupten,
was Sünde und was Tugend ist und manche sogar die für jede
sünde gebührende Strafe angeben, so bleibt immer noch die Frage:
wie wird die strafbare Handlung oder Gesinnung entdeckt, der Sünder
einer Schuld überführt?
Wir haben freilich schon von einer Brücke gesprochen, welche
gewissermaßen die Kufgaben des Untersuchungs- und Strafrichters
ibernimmt. Und im irdischen Leben wird ja auch der Ersatz der
nenschlichen Handarbeit, ja selbst der geistigen, durch eine Maschine,
deren Leistungen schneller, regelmäßiger und pünktlicher als die
nenschlichen sind, stets als großer nützlicher Sortschritt betrachtet.
Anders ist es aber im Jenseits, wo das summarische, maschinenartige
Urteil der Brücke nur den Cintritt des Sünders in die Hölle bewirkt,
Seneca Hercules furens 777, Tibull III. 5, 24; Dante Purgatorium
XXVIII. 127- 130, XXXIII. 90; Macrobius, Somn. Scip. J. 10; s8. auch Plato,
5taat X. 621, Phädon c. 20, f. 75—-76; Virgil Aeneis VI. 749 - 751.
Aristophanes, Frösche 186.
Jellinek Bet ha Midr. J. S. XXVII. 153.
2
Gericht bei Negern und Indern.
109
ihm aber, nach der Mehrzahl der Berichte, nicht den ihm nach seiner
—X
einer Strafzeit bestimmt. So ist sie denn aus vielen Jenseits-
schilderungen ganz verschwunden, in den meisten durch einen förm—
lichen Gerichtshof, mit Kichtern, Anklägern, Zeugen, Protokollen und
dergl., der dem Toten den ihm nach seinem Verhalten im Leben
gebührenden Platz nebst der Strafe bestimmt, ersetzt oder vervoll—
ständigt werden.
Das einzige mir bekannte Beispiel eines Totengerichts bei einem
Naturvolke bieten die Neger in Guinea. Bei diesen wird der Ver—
storbene am Ufer des Totenflusses von dem Stammesgott gerichtet.
Diejenigen, welche die Feiertage beobachtet, ihre Schwüre gehalten
und keine verbotenen Speisen genossen haben, läßt der Gott gleich
ins Paradies eintreten, die andern wirst er in den Sluß, wo sie
ertrinken und vernichtet werden.! Es scheint aber, daß da schon
hristlicher Cinfluß wirksam gewesen ist.
Ob in den indischen Veden schon ein Totengericht vorkommt,
bleibt zweifelhaft, möglich ist es aber, daß die im Atharveda (II. 29,1)
genannten Beisitzer Yama's Richter waren. Scherman vermutet
S. 152) in Rigveda X. 14, 11 Hindeutung auf einen Kichterspruch,
und selbst der dies bestreitende Oldenberg muß zugeben, daß Rig⸗
beda X. 12 auf ein Totengericht gedeutet werden könnte.
Nach dem Markandeya Purana erscheint der Tote vor dem von
krankheiten und Tod umgebenen herrscher der Unterwelt, dem rot—
äugigen, finsterblickenden Yama, nach dessen Urteilspruch er seine
Wanderung durch die sieben Abteilungen der Hölle antritt.
In einem vedischen Ritualwerke, dem Taittiriya Samhita, heißt
es: Beim Rönig Nama scheiden sich die Menschen, die der Wahrheit
auf Erden treu waren und die Unwahres redeten. Auch hier, meint
Oldenberg, sei von keinem Gerichtsverfahren die Rede, da man in
jener Zeit annahm, daß die Götter Schuldige und Unschuldige (ohne
berichtsverfahren) erkennen. Von dem Verhör eines Verstorbenen
durch Yama ist im buddhistischen Anguttara-Nikana die Rede.s
höllenrichter, die auf goldenen Thronen sitzen, werden in einem
babylonischen Text erwähnt.“
Marillier, 8S. 31 -32.
Religion d. Veda 541 -542.
5cherman, S. 60, Oldenberg, S. 541.
S. P. Dehorme, Le séjour des morts chez les Babyloniens, in Revue
ibl. intern. Paris 1907, 5. 66.
4
110
Gericht und Buchführung im Jenseits.
In einer japanischen Darstellung des Totengerichts sitzt der riesige
Kichter in prachtvoller Kleidung über eine Tafel gebückt, neben ihm
befinden sich zwei Räte und ein Schriftführer. Auf einer Säule neben
letzterem sieht man zwei Köpfe, welche der Verhandlung aufmerksam
folgen und die etwa mangelhaften HAussagen des Toten ergänzen.“
KReichlicher, authentischer und aus früherer ZSeit als die indischen
stammend sind die uns erhaltenen Nachrichten über das Totengericht
der ägypter, sowie über deren ganzen Jenseitsglauben. Und sie sind
für uns um so wichtiger und belehrender, als sie von mehr oder
minder großem Einfluß auf den Glauben anderer Völker waren,
zum Teil noch jetzt sind.
Der Gedanke, daß wir hier im irdischen Leben eigentlich nur
Häste sind, wahre, für immer seßhafte Bürger erst im Jenseits nach
dem Tode werden, scheint den Glauben keines Volkes so beherrscht
zu haben wie den des ägyptischen. Daher die beständige Sorge um
das Schicksal von Seele und Körper nach dem Tode, die riesigen, für
die Ewigkeit bestimmten Grabgebäude, die CEinbalsamierung der
Ceichname, das reich ausgebildete Begräbnisritual, die umfangreichen
den Toten mitgegebenen Gebetsformeln und Wegweiser, man könnte
beinahe sagen Reisehandbücher und Keisepässe für die Unterwelt.
Und diese Schriften, die sogenannten Totenbücher (Buch von Am Tuat
für Verehrer des Amon-Ra, Buch der Tore für Verehrer des Osiris),
die Inschriften und Abbildungen in Grabkammern bieten uns das
reiche, durch neue Entdeckungen stets zunehmende Material zur
Uenntnis des ägyptischen Jenseits- und Götterglaubens. Dieser Glaube
ist wohl in den vielen Jahrhunderten seiner herrschaft nicht unverändert
geblieben, aber wir können hier seinen Wandlungen nicht folgen und
müssen uns begnügen, die erhaltene Schilderung des Totengerichts
in aller Kürze wiederzugeben. Auch auf die von Strauß und Torney
(II. 227) gestellte Frage: ist das ganze Totengericht, mit allen seinen
zugaben und Umständlichkeiten, das sich in den ältesten auf die
Könige bezüglichen Pyramidenterten nicht findet, jüungeren Ursprungs?
kann hier nicht eingegangen werden. Strauß selbst neigt sich zur
Bejahung dieser Frage, wenn er sagt: „Der Gedanke an ein Toten⸗
gericht ... wird aber nicht eher aufgekommen sein, als man auch im
Volke ordentliche Gerichte und Rechtsprechung hatte“. Und ferner:
„Die ganze Vorstellung von der untern Welt wird (in der ältesten
Zeit) wohl noch sehr unbestimmt gewesen sein“.?
Mew, S. 95 -96.
I. 496, I. 142-143. 5. übrigens weiter unten S. 8, 112.
Agyptisches Totengericht.
111
Der Ort des Totengerichts in der Unterwelt ist eine hohe, recht⸗
echige, lange Halle im Palaste ihres herrn, des Usiri (Osiris). In
— halle gelangt der Tote durch das Tor Rostau bald nach seiner
X nach Überstehung von mancherlei Gefahren und Prüfungen.
dort sitzen auf einer Erhöhung an der Längsseite die 42 Toten-
richter, die manchmal mit Schwert und Federn dargestellt sind.
Gegenüber der an der Schmalseite befindlichen Eingangstür befindet
ich der prächtige Götterschrein und in ihm auf dem Thronsitze die
dunkle Gestalt des Usiri. Vor ihm stehen auf einer riesigen Cotos⸗
blume die vier Begräbnisgenien oder (nach Champollion)! Genien der
dier Weltgegenden.
In der Mitte der halle steht die große Wage, auf deren einer
dchale durch Gott Anubis das herz des Verstorbenen, auf die andere
als Gewicht ein Sinnbild der Maat, der Göttin der Gerechtigkeit
und Wahrheit, die sich aber selbst in der Halle befindet, oder eine
Feder gelegt wird. In der Nähe der Wage befindet sich ein tierisches
Ungeheuer, „der Verzehrer des Occidents“, mit Krokodilskopf,
dinterteil eines Flußpferdes und Rumpf eines Löwen, das seinen
Kachen weit aufsperrt. Der ibisköpfige Thot mit Tafel und Griffel
fungiert als Schriftführer und verkündet das Ergebnis des Wägens.
Wie es scheint, geht unabhängig davon das Verhör durch die
2 Richter vor sich, wenn von einem Verhör die Kede sein kann, wo
lur der Angeklagte spricht. Er legt, der Sahl der Richter ent—
prechend, in 42 Sätzen eine negative Beichte ab, er zählt nämlich
NSunden auf und erklärt von jeder, er habe sie nicht begangen.
do 3. B.: Ich habe mich nicht betrunken, ich habe mich nicht
derunreinigt, nicht gelogen, nicht die Güter der Götter geraubt, nicht
die Götter geschmäht, nicht gemordet, nicht Chebruch begangen usw.
eben solchen Handlungen, die auch nach unsern Begriffen als Laster
oder Sünden gelten, erklärt der Tote, auch manches nicht begangen
zu haben, was uns nicht sündhaft erscheint oder ganz unverständlich
ist. Es gehört dies wohl zu den in keiner Religion fehlenden, allein
don den Priestern als sündhaft erklärten Handlungen und Unter⸗
assungen.
Unlar bleibt auch, ob das Verhör oder das Wägen über das
sernere Schicksal der Seele entscheidet oder ob die Wage nur beweisen
holl, daß die Angaben des Toten der Wahrheit entsprechen. Oder
sollen wir mit Champollion annehmen, daß das Sinnbild der Maat
—
Lettres d'Egypte 266.
112
Gericht und Buchführung im Jenseits.
⸗
die guten, der herzförmige Gegenstand die schlechten Handlungen des
Derstorbenen vorstellt?!
Nach der Darstellung des Papyrus Ani scheint das Wägen für
den Toten entscheidend zu sein. Der dadurch fromm und gerecht
Befundene kann unter dem Schutze des Osiris frei und ungehindert
in dessen Reich ewiger Seligkeit eintreten. Es scheint aber, daß er
auch nach der Freisprechung, bevor er in die „göttliche Tiefe“ ein⸗
tritt, noch allerlei Hindernisse und Schwierigkeiten zu überwinden,
Kämpfe gegen feindliche Mächte zu bestehen hat, die ihm in Gestalt
von Schlangen, Krokodilen und andern wilden Tieren entgegentreten,
aber endlich von ihm besiegt werden. Jedenfalls bleibt uns noch
vieles unklar und zweifelhaft.
In den Inschriften der Grabpyramide des Königs Unas, des
letzten der fünften Dynastie, und in andern Grabpyramiden der
Koͤnige ist von einem Totengericht gar keine Kede. Die herrscher gelangen
ohne besondere Prüfungen und Schwierigkeiten mit hilfe der an den
Wänden geschriebenen Zaubersprüche, von Göttern geleitet, sofort
zu einem erneuerten und glückseligen Ceben, werden Genossen der
Götter.*
Wollten die Priester damit, als hoftheologen, die posthume Bevor⸗
zugung der Vönige darstellen oder drückte sich darin ein uralter
volksglaube aus, derselbe Glaube, der die herrscher von den Göttern
abstammen ließ und dessen Spuren sich bis auf unsere Tage in dem
„von Gottes Gnaden“ der Monarchen erhalten hat? mir scheint
letzteres der Fall zu sein, da wir ähnliche Bevorzugung von Hãupt⸗
lingen und Vornehmen im Jenseits noch jetzt im Glauben mancher
—
Andererseits berichtet Diodor von Sizilien (. 92) von einem ober⸗
irdischen Totengericht über Verstorbene, das aber auch nur über
Untertanen gerichtet zu haben scheint.
Aber die Totenwage, deren Funktion bei den äügyptern nicht
ganz klar ist, finden wir in den Mythen anderer Voölker deutlichere
Nachrichten.
Strauß und Torney J. 199, 254, 285, 480- 486, 460- 461, II. 366,
227, Wallis Budge, Haeven and Hell II. 144-146, III. 150-151, Maurni
(a Magie 172, Champollion Lettres 267, Tylor II. 96, Champollion Egypte
ancienne 129.
Woallis Budge II. 144; Strauß und Tornen J. 489, 492 493, 496- 497.
3 Strauß und Torney J. 476- 477.
S. oben Kap. Entstehung S. 25.
Die Gerichtswage bei Indern, Persern und Juden. 113
p Freilich, wenn in der Ilias (VIII. 69 ff) Seus mit goldener
88 die Geschicke der Griechen und Trojaner wägt, so geschieht es
um den Uusgang einer Schlacht zu bestimmen. Auch scheint
Bild seinen Ursprung eher in der Phantasie des Dichters als
ir olksglauben zu haben. Auch daß die Wage, mit der manchmal
* auch als Seelenführer fungierende Hermes abgebildet wurde, auf
Totengericht Bezug habe, läßt sich nicht mit Sicherheit sagen.
endern wir aber nach Osten, so finden wir die Totenwage recht
s. So erwähnt das Catapatha Brahmana (XI. 7) einer Wage
J— die guten und schlechten Taten, welche über Lohn und Strafe der
en entscheidet.“ Ebenso glaubten die Perser an eine die Taten
* berstorbenen prüfende goldene Wage des Rasnu Razista (die
teste Gerechtigkeit oder Wahrheit), auf der die Taten der Ver—
be enen mit vollkommenster Unparteilichkeit und ohne Unsehen der
m son gewogen werden. Diejenigen, deren Sünden und gute Taten
J Gleichgewicht sind, bleiben in einem besonderen Raume bis zur
ferstehung, leiden aber Hitze und Rälte.“
wu flus dem Parsismus haben die Mandäer vieles entlehnt, darunter
aun die Wage, welche in ihrer achten Matarta (Station) auf dem
—* der abgeschiedenen Seele zur Lichtwelt aufgestellt ist. Die
en des Verstorbenen werden auf ihr gewogen. Wer vollwichtig
unden wird, steigt auf ins himmlische Leben, die minderwertigen
rden (zur Hölle?) perurteilt.
xi Im jüdischen Glauben findet sich die Cotenwage selten. Hus—
— wie „du wurdest gewogen und zu leicht befunden“ (Daniel V. 27)
in wäge mich auf richtiger Wage und erkennen wird Gott meine
858 (hiob XXXI. 6) beziehen sich, wie die oben erwähnte Wage
ned lias, auf lebende Menschen. Dagegen werden nach moham—⸗
naecischem Glauben die Toten vom Erzengel Gabriel gewogen“,
ind nach christlichem Volksglauben dem Erzengel Michgel diese
intion anvertraut ist. Deshalb hat er auch eine Wage als
ad ut und ist Patron der Gewichtmacher. Kornwieger und Wagen—
ikanten.*
In einem portugiesischen religiösen Gedicht heißt es:
—
Alb. Weber, Indische Streifen J. 2122.
Arda Wiraf Kap. 6; Spiegel, Eranische Altertumskunde II. 82, 150.
W. Brandt, Die mandäische Religion 75, 195; Spiegel, J. c.
Koran Sure 101 P. 5, 6. Tanylor 98, Akg. 3.
D. h. Kerler, in Allgem. 8tg. vom 30. Januar 1906.
andau, Hölle und Fegfeuer.
114
Gericht und Buchführung im Jenseits.
Szan Miguel wiegt die Seelen,
Cegt Gewichte in die Wage,
zo viel sind der Sünden drin,
Daß sie mit zu Boden sinkt.
Legt unsere Liebe Frau den Mantel zu,
Die Gewichte bleiben schweben.“
und in einem toskanischen Nachtgebet:
L'anima mia a Dio la do
E la do a San Michele,
Che la guardi e pesi bene.?
Der Engländer Thurcill sah in seiner Vision am Eingange der
hölle eine riesige Wage zwischen dem Teufel und dem Apostel Paulu⸗
aufgehängt, auf der die Seelen gewogen wurden. Der Apostel ha
zwei schöne goldglänzende Gewichte, der Teufel zwei schmutzi⸗⸗
schwarze. Neigte sich die Schale gegen diesen, so ließ er die Seel
von seinen Rnechten ins höllenfeuer werfen, neigte sie sich gegen den
Apostel, so flog die Seele gen himmel. Dort ließ Sankt miche
die ganz Reinen gleich ins Paradies eintreten, die fleckigen wurde
oon Sankt Petrus ins Purgatorium befördert.“
In der Turpin-Pision wird Karl der Große gewogen. r
heiligen Jakob von Compostella und Dionysius von Paris legen in de
eine Wagschale alle guten Werke des Kaisers und Steine und hog
werk der von ihm erbauten Kirchen. Dagegen konnten freilich d
Teufel mit allen Sünden Karls, die sie in die andere Schale legten
richt aufkommen.“
Frau Anna Mayer-Bergwald berichtet, daß sie im Kirchhof w
Caatsch (Tirol) einen Glaskasten gesehen habe, in welchem bildlich
Jüngste Gericht durch eine auf- und niederziehende Wage 9
gedeutet war.“ —
Aber der allwissende Kichter kann auch das Wägen und
hören der Seelen entbehren. Er hat ja seine Bücher, in denen al
W. EAbeking in „Urquell“ 1898 8. 203. Über das Wägen des 7
engels in einem griechischen Volksliede S. B. Schmidt, Volkslieder
Neugriechen 247. zur
Keinhold Köhler, in Jahrbuch für romanische und englische Litera
VIII. (1807) 410.
Matthäus Paris Rist. major a. 1206, Th. Wright 41-42.
Diction. infern. 503.
Allgem. Ztg. München, 28. Oktober 1906.
Die himmlische Buchführung nach Bibel, Apokryphen und Talmud. 115
zingetragen ist und die beim Jüngsten Gericht aufgeschlagen werden,
wie es in der gewaltiegen Dias irae-Hhymne heißt:
„Da ein Buch wird aufgeleget,
All es eingeschrieben träget,
Um die Gott Gericht geheget,
Daß vom Thron er Urteil fälle,
Tritt das Heimlichste ins helle:
Ungerächt bleibt nichts zur Stelle.
Aber wie matt ist diese Übersetzung (von Ferd. Bäßler) gegen
die klangvollen Terzinen des Originals:
iber scriptus proferetur,
ln quo totum continetur.
Inde mundus judicetur,
sudex ergo cum sedebit,
Widquid latet, apparebit,
Nil inultum remanebit.
„Wozu ein letztes Gericht?“ wird in den Erläuterungen zum
zatholischen Katechismus gefragt, da doch „Jeder, der aus dem
Leben scheidet, sogleich vor den Kichterstuhl Gottes gebracht wird,
woselbst auf das schärfste untersucht wird, was er jemals entweder
getan oder geredet oder gedacht hat“.
Und die Antwort lautet: „Weil die göttliche Gerechtigkeit die
vollständigste öffentlichkeit erfordert, damit nicht etwa die Menschen
jagen möchten: Gott gehe an den Ccken des himmels herum und
bekümmere sich nicht um das Irdische“, wie es im Buche hiob XXII. 14
heißt. Papst Gregor J. meinte wieder, daß beim Jüngsten Gericht
nur das bereits feststehende Urteil Gottes verkündet werde.“
In der Bibel wird die Buchführung Gottes, sei es in bezug auf
das allgemeine letzte Gericht, sei es in bezug auf Separatconti einzelner
Menschen einige Male erwähnt. In Exodus XXXII. 32, Psalm
LXIX. 29, Apokalypse Joh. III. 5, XIII. 8, Ep. Pauli an die Philipper
V. 3 ist nur im allgemeinen von einem Buche des Lebens, in das
die Frommen eingeschrieben werden, die Kede. Deutlicher sprechen Daniel
VII. 12 und die Apokalypse XX. 12 von den am Gerichtstage vor Gott offen
liegenden Büchern. In dem vierten Esrabuche heißt es, daß vor dem
Weltgericht „werden Bücher geöffnet im Angesicht des Firmaments, da
Römischer Katechismus J. g 3,4 Bd. I. S. 180 - 182. Dudden, Gregory
che great 433.
116 Gericht und Buchführung im Jenseits,
—— — — — —
werden alle sehen Gottes Urteil und laut wird die Posaune ertönen“.!
In dem apokryphen Testament Abrahams, in dem er vom Hhimmel
aus die ganze Welt überblickt, sieht er dort, wo sich der weite und
der enge Weg (zu hölle und Paradies) scheiden, einen Riesen mit
leuchtenden Augen, wie ein Sohn Gottes, vor einem mit Edelsteinen
eingelegten Tische sitzen, mit einer zehn Ellen breiten und sechs langen
Kolle; zwei Engel halten Papier, Tinte und Federn, der eine schreibt
die Sünden, der andere die guten handlungen auf und der sitzende
Kiese (Abel) spricht das Urteil. Auf der einen Seite sitzt der Licht⸗
engel Dokiel mit der Wage, auf der andern der streng blickende
tngel Pyrael, der ein Gefäß mit Feuer hält, um die Seelen zu
orüfen und zu wägen. Halten sich Gut und Schlecht das Gleich—
gewicht, so bleibt das Urteil in suspenso bis zum Jüngsten Gericht.
Nach dem Talmud liegen am Neujahrs- und Versöhnungstage
die Schicksalsbücher vor Gott. Wie Rabbi Jochanan sagt, sind es drei
Bucher: in das des Lebens werden die Frommen, in das des Todes
die Sünder eingetragen, die, welche weder ganz gut noch ganz schlecht
sind, kommen in das dritte Buch, in das erst am Versöhnungstage
die Urteile, je nach dem Verhalten der zu richtenden in den dazwischen
liegenden Tagen eingetragen werden. KReue, Gebet und Almosen
zönnen eine Milderung des Urteils oder Begnadigung erwirken.“
kabbi Jose b. Chanina sagt, unter Bezugnahme auf Exodus XXXIV.7,
wenn Sünde und gute Werke sich das Gleichgewicht halten, nimmt
Hott einen Sündenzettel weg, damit die gute Seite überwiege.“
Nach persischem Glauben findet die Einteilung der Seelen in
Rlassen am Gerichtstage nach der UAuferstehung statt.“
Von einer Generalabrechnung der Götter unter Vorsitz Marduks
am Zagmukfeste (Neujahrstage) wußten schon die Babnlonier.“
Nach der Pesikta rabbati (F. 292) liegen vor Gott Tierhäute,
auf denen alle Taten der Menschen aufgezeichnet sind. Sie werden
heim Jüngsten Gericht den Menschen vorgelegt, worüber diese sich
sehr wundern. Aber die Seele selbst gesteht auch alles vor Gott,
„denn sie ist ja seine Tochter“. Nach einer jüngeren jüdischen CLegende
A. Hilgenfeld, Messias sudaeorum 224.
The Jewish Quarterly review VII. 586.
3 Talmud bab. Rosch-ha Schona 32 b, Erubin 10 b, Talmud Jer. Rosch-
ha Schona J. 3, Jalkut Schimeoni 86 d.
Talmud Jer. Pea L. 1J.
Rohut in S3tschft. der Deutschen morgenländ. Gesellsch. XXI. 566.
Bruno Meissner, in Archiv für Keligionswissenschaft V. (1902) 226.
Die Buchführung nach der Vision eines Kriegers, bei Beda. 117
muß der Mensch, wie er nach seinem Tode vor Gott erscheint, auf
dessen Befehl alles aufschreiben, was er in seinem Leben getan hat,
es unterschreiben und besiegeln. Beim Jüngsten Gericht werden
diese Bekenntnisse, gewissermaßen die Protokolle des Untersuchungs-
richters, den Auferstandenen wieder vorgezeigt.“
Nach dem apokryphen henochbuche läßt Gott alles aufschreiben,
was die Hirten von ihren Schafen (Könige von den Untertanen)
dertilgt haben. Am Gerichtstage sitzt er auf dem Thron, läßt sich
die Bücher vorlegen und verurteilt die Sünder zum Feuer. Im
himmel, heißt es da ferner, wird täglich alles aufgeschrieben, so daß
keine Sünde bis zum Tage des Gerichts vergessen wird. Die Engel
lesen diese Aufzeichnungen, damit sie das Schicksal der Sünder und
der Frommen kennen sollen.“ In der in einem ägyptischen christ⸗
lichen Grabe gefundenen Petrusapokalypse heißt es, daß die Engel
alles Tun der Menschen in ihre Bücher eintragen und dann Gott
dem herrn vorlegen. In einer fälschlich dem hl. Athanasius zu—
geschriebenen Schrift an den Dux Antiochus heißt es, daß uns viele
Engel umgeben, welche alle unsere Gedanken, Worte und handlungen,
selbst die unbedeutendsten, aufschreiben, um uns damit am Gerichts⸗
tage zu überführen.“ In der in syrischen und griechischen Texten
erhaltenen Vision des Apostels Paulus zeigt ein Engel einem leug⸗
nenden Menschen das Verzeichnis seiner Sünden, die er von dessen
GHeburt an aufgeschrieben hat, und wirft ihm vor, daß er seine
Warnungen und Ermahnungen nicht beachtet hat. Der Sünder liest,
bekennt sich schuldig und wird zum Strafort geschleppt.“
In einer von Beda in seiner Kirchengeschichte (V. Kap. 13) mit—⸗
geteilten Vision erzählt ein sündiger Kriegsmann, zwei Engel wären
ihm in seiner Krankheit erschienen und einer derselben habe ihm ein
ichönes kleines Buch vorgezeigt, in dem seine wenigen guten Taten
verzeichnet waren, dann brachten böse Geister ein schreckliches, ungeheuer
zroßes und schweres Buch, in dem alle seine schlechten Taten und
Sedanken eingetragen waren. Dazu bemerkt der ehrwürdige
historiker: Die Vorweisung dieser Bücher geschah auf Anordnung
Gottes, damit wir wissen sollen, daß unser Hhandeln und Denken nicht
aus der Welt verschwinden, sondern für das Urteil Gottes aufgezeichnet
und uns von Engeln oder Teufeln vorgewiesen werden.
Jalkut Schimeoni zu hiob. Kap. 37 F. 153 c.
Kap. 89, 90, 96, 105, 108.
3 Bei Migne, Patrologia gr. 28 5. 589.
Bei Tischendorf Apokal. apokr. 44 46.
2
118
Gericht und Buchführung im Jenseits.
In der von Prudentius (seit 846 Bischof) von Troyes mit—
geteilten Vision eines gottesfürchtigen englischen Presbyters sieht
dieser Knaben, welche in Büchern, die teils mit schwarzer, teils mit
blutroter Schrift geschrieben sind, lesen. Auf seine Fragen antwortet
ihm der Führer durch das Jenseits, mit der blutroten Tinte seien
die Verbrechen der Menschen aufgeschrieben, und die KUnaben
seien die Seelen der Heiligen, die für diese Menschen täglich bei Gott
Fürbitte einlegen.“
Aber auch der höllenfürst hat seine Bücher und auf der Ober⸗
welt seine Spione. Dem Trouvère Raoul de houdan hat er, als
dieser ihn besuchte, ein großes schwarzes Buch gezeigt, in dem die
sünden aller Menschen eingetragen waren.? Er schickt seine Teufel
aus, um für ihn auf Erden Notizen zu sammeln, und sie notieren
mit besonderem Fleiß auf Kuhhäuten die Leute, welche in der Kirche
schwatzen oder sich unanständig benehmen.“
Nach dem Miodrasch „Paradies und hölle“ wird der Tote von
den Patriarchen Abraham und Isaak verhört. Nach dem Talmud
bab. Sabbath 3220 treten Reue und gute Werke als seine Verteidiger
auf und diese erwirken seine Freisprechung, selbst wenn 999 Ankläger
gegen ihn auftreten, wie es geschrieben steht im Buche hiob (33,23):
„Wenn um ihn ist ein Engel, ein Fürsprech für Einen von Tausenden,
zu verkünden dem Menschen, was ihm recht sei, so begnadigt er
ihn ...“ Noch weiter geht der Jerus. Talmud (Kidduschim J. f. 61d),
demzufolge es genügt, wenn auch nur ein Tausendstel dieses einen
Engels den Toten verteidigt.
Kabbi Clieser b. Jakob lehrte: Für jede gute, gottgefällige Tat,
die ein Mensch verrichtet, entsteht ihm ein Verteidiger, und ein
Ankläger für jede Sünde.“
Nach der „Weisheit Salomos“ (IV. 20- 21) werden die Sünder
nach dem Tode von den Frommen gerichtet. Zitternd stehen sie vor
diesen, welche ihnen ihre Sünden vorhalten. Plato stellt in ähn⸗
licher Weise die Verbrecher den von ihnen Ermordeten oder Miß⸗
handelten gegenüber.?“
Annales Bertin. bei Fritzsche, Visionen 339.
Le songe d'enfer, bei Le Grand d'Aussy, Fabliaux II. 17.
3Sahlreiche Nachweise über „Der Teufel in der Kirche“ gibt Johannes
Bolte in der Seitschrift für vergleichende Cit.«Gesch. XI. (18097) 249 - 264.
Sprüche der Väter IV. 11.
5Kautzsch, Apokr. J. 486; Plato, Phädon 114b.
Das Gericht der kaukasischen Bergjuden. 119
Gar merbkwürdige, die verschiedensten Einflüsse wahrnehmen
assende Details wissen die kaukasischen Bergjuden von dem Gericht
erzählen, vor dem die Seele am siebenten Tage nach dem Tode
deint. Es findet in einem von Wachslichtern und dem Glanze
dottes erleuchteten Zelte statt. Gott sitzt auf dem Throne, aber ein
riger Vvorhang entzieht ihn den Blicken. In dem Selte sitzen die
rechten und Greise in weißen Gewändern, auf Bänken an langen
ischen mit weißseidenen Decken, an deren Enden feurige Troddel
uen. Zur Rechten des Chrones steht ein Engel mit einer Wage,
uns ein Schreiber mit einem Buch, in welchem alle guten und
en Werke des Verstorbenen verzeichnet sind. In dem Selte
befinden sich auch einige gerechte Vorfahren desselben, welche Fürbitte
uͤr ihn einlegen. Auf den Aufruf des Engels, welcher das Buch
. erscheinen die guten und bösen Geister, welche den Werken des
estorbenen entsprechen und besteigen auf Befehl des Engels die
ase. Überwiegen die Bösen, so fährt die Seele zur Hölle, im
ndern Falle kommt sie ins Paradies.“
In der von Otloh von St. Emmeran dem Mönch Isaak
lugeschriebenen vision sind es die seligen Gerechten selbst, welche, auf
benen Thronen auf einem Berge sitzend, die Klagen gegen die
Ander hören und Gericht halten. Die von andern Frommen
ngeklagten Sünder werden nach dem Spruch der Kichter mit Ketten
vfesselt und zu den Höllenqualen geschleppt. Die Gerechten kehren
n den himmel zurück. Der Gerichtshof scheint sich also mittwegs
wischen Himmel und hölle befunden zu haben.“
Im ,Koran (S. 83, V. 749) ist von einem Buche Sidschin die
e, in dem die Sünden der Menschen aufgezeichnet sind und aus
m am Gerichtstage vorgelesen wird.
Nach der Traditionssammlung des Buchari examinieren z3wei
Azo den ins Grab gelegten Toten in bezug auf seine Rechtgläubig⸗
antwortet er befriedigend, so kommt er ins Paradies und sie
en ihm den Platz, den er dort einnehmen wird. Den Ungläubigen
ugen sie mit einem eisernen Stab so stark, daß er laut aufschreit.
in Schreien hören alle Wesen in der Nähe, mit Ausnahme der
llenschen und der Geister. Andere zwei Engel stehen am Freitag
C. Hahn in Allgemeine Zeitung, München, 1. Oktober 1889.
atei Monumenta germ. hist. Scriptores XI. 383 und bei C. Fritzsche, Die
nishen visionen des Mittelalters, in Romanische Forschungen, Bd. III.
2351.
120 Gericht und Buchführung im Jenseits.
an den TCoren der Moscheen und schreiben den Namen desjenigen
auf, welcher am ersten hineingeht, dann die der Folgenden. deren Ver⸗
dienst immer geringer ist.“
Die Engel, welche die Bücher führen oder als Zeugen gegen den
Menschen dienen, nehmen manchmal den Charakter von Spionen oder
Aufsehern an. Nach der gnostischen Pistis Sophia hat jede Seele
von der Empfängnis an zwei Begleiter, welche Zeugnis über al⸗
hre Sünden ablegen, nach deren Anzahl ihre Strafe bemessen wird.
Nach dem Glauben mongolischer Buddhisten ist jeder Menschen⸗
seele ein guter und ein böser Geist beigegeben, die deren Tugenden
und Sünden durch Ausschütten weißer und schwarzer Steinchen vor
dem Fürsten der Unterwelt aufzählen, die dieser dann mit seinen
otizbüchern kontrolliert. Eine chinesische Legende weiß sogar von
einer Fälschung dieser Bücher durch den Sekretär des Fürsten.“
Der Koran spricht (S. 50, V. 16-26) von zwei Engeln, welche
den Menschen von rechts und links begleiten, seine Worte und Taten
aufzeichnen und dann darüber vor dem KRichterstuhl Gottes Zeugnis
ablegen. Andere Zeugen werden in der elften Sure erwähnt.
Nach dem Talmud sagte Kabbi Schilo, der im dritten Jahrhundert
lebte, die Engel, welche den Lebenden begleiten, sagen über ihn aus
beim letzten Gericht, denn es steht geschrieben (Psalm 91, 13): „er
hefiehlt seinen Engeln, dich auf allen Wegen zu behüten“. Andere
'agen, die Gliedmaßen des Menschen legen Zeugnis über ihn ab,
denn es steht geschrieben: „Ihr seid meine Zeugen, spricht Gott“
Oder, die Handlungen des Menschen, die guten wie die schlechten—
treten vor ihm auf und sagen: das und das hast du an dem und
dem Tage, an dem und dem Orte getan, was alles der Tote zugeben
muß. In der hölle vergießen dann die Sünder Tränenströme und
hekennen, daß sie mit Recht gestraft werden.“
Nach dem hebräischen Traktat vom Grabesleiden? wird der
Ssterbende vom Todesengel verhört. Dann zählt ihm Gott alle ihm
EI Bokhari, Les traditions islamiques, Publications des langues orien
xivantes IVe Serie T III, Titre 23 p. 444. hammer, Fundgruben de
Hrients Nr. 173, 136, 348, Bd. I. 167, 163, 186.
Ausg. M. G. Schwartze, Berlin 1851, 8 299, 349.
Schermann S. 89, 100. nek
Talmud bab. Taanith 114, Midrasch der Zehn Gebote, bei Jelline
3
J. 79.
Talmud bab. Erubin 194, Jalkut Schimeoni 116d.
Bei Jellinek J. 151.
Die Zeugen und Begleitengel.
121
erwiesenen Wohltaten vor und fragt ihn, ob er wohltätig gewesen
ei und die Thora stets fleißig studiert habe. Lautet seine Antwort
bejahend, so geht er frei aus (ins Paradies?), andernfalls wird er
fünf Dämonen übergeben, die ihn auf vielerlei Weise quälen. Man
sagt auch, daß es drei Totengerichte gebe: im Grabe, in der Hölle
und im himmel, und das strengste sei das im Grabe, dem selbst
Fromme und Säuglinge unterworfen seien. Nur vollkommen Gerechte,
welche alle Gebote beobachtet haben, wohltätig und gastfreundlich
waren, sowie die am Freitag abends im heiligen Lande Gestorbenen
und während des Hornblasens Begrabenen unterliegen nicht diesem
trengen Gericht. Aber eigentlich ist nach dieser Schilderung das Grab
schon ein Strafort.
Klopstock läßt den Judas durchs Leben vom Engel Ithuriel
begleiten, der sich erbietet, am Tage der Vergeltung vor dem
„richtenden Throne“ Gottes Zeugnis gegen ihn abzulegen. Aber am
Gerichtstage werden vor diesem Throne auch die ungeheuren Gerichts⸗
bücher aufgeschlagen, in die „tränenvoll schweigend“ eingegraben
wurde, „was nunmehr in dem Gericht laut tönt“:
„Am Thron rollt die Heerschar, als göß' sie ein Meer weit aus,
Des Gerichts Bücher voll Ernst auf und die Glanzschrift erschreckt fern her“.“
Nach den Erläuterungen zum katholischen Ratechismus (IV.9 8 4)
sind die Engel von Gott beauftragt, die Menschen zu schützen und
zu begleiten: „Er hat jedem von uns Engel zugegeben, welche uns
auf dem Wege, den wir in diesem Leben in das himmlische Vaterland
nachen, begleiten müssen“. Von Zeugnis ablegen wird aber da
nichts gesagt.
Geister und höhere Wesen als Aufseher und Uusspionierer der
Menschen waren auch den Griechen nicht unbekannt. Hesiod spricht
zar (Hauslehren 251ff.) von vielen Tausenden Dienern des Zeus,
welche die Welt durchstreifen, in Nebel gehüllt, und das rechte und
unrechte Tun der Menschen beobachten und zur Kenntnis von
Zeus' Gericht bringen. Nach Plato wird der Tote von dem Dämon,
der ihn im Leben begleitete, nach dem Hades zum Gericht geführt,
nach Apulejus sind es zwei Dämone, denen dies obliegt.“ Ob sie
auch als Zeugen dienen, wird nicht gesagt.
Messias IV. 987 ff. XX. 1200.
Plato, Phädon 108 a, Apulejus, De deo Socr. II. 156.
*
22
Gericht und Buchführung im Jenseits.
Nach Servius (zu Aeneis VI. 743) bekommt der Mensch bei seiner
Heburt zwei Genien zu Begleitern, deren einer zum Guten rät, der
andere zum Bösen verführt. Nach dem Tode wirken sie beim
Jenseitsgericht mit.
Wenn Plautus im Prolog zum Rudens sagt, daß die Sterne am
CTage unter den Menschen herumwandeln und im Auftrage Jupiters
die guten und schlechten handlungen der Menschen aufzeichnen, so hat
er wohl den Einfall aus den Versen hesiods, wenn nicht aus einem
andern griechischen Dichter entlehnt. Freilich nicht aus Euripides, der
in der Melanippe (Fragment) den Glauben, daß die Frevel zum
Olymp hinauffliegen, wo sie ein Schreiber auf eine Tafel schreibt,
die Zeus liest, um danach zu richten, verlacht. Denn, meint er, das
zganze Firmament reiche nicht hin, um alle Frevel der Menschen auf—
zuschreiben.
Nach Cukian (Menippus 15) ist es des Menschen eigener Schatten,
der stets seinen Körper begleitet und der ihm auch im Tode folgt,
um Zeugnis gegen ihn abzulegen. Dies ist kein „barockischer Einfall“
des Spötters von Samosata, wie Wieland meinte, sondern beruht
auf uraltem Volksglauben. So betrachten manche Naturvölker den
schatten des Menschen als seine zweite Seele oder als einen Begleiter,
welcher nach dem Tode Zeugnis gegen ihn ablegt.! Bei manchen
derselben ist Schatten gleichbedeutend mit Seele. Die Basutos nennen
nicht nur den nach dem Tode übrig bleibenden Geist „Seriti“ oder
Sschatten, sondern sie glauben, wenn ein Mensch am Slußufer einher⸗
gehe, könne ein Krokodil seinen Schatten im Wasser ergreifen und
hineinziehen. In Alt-Calaber hält man den Verlust des Schattens
für die Menschen sehr gefährlich.?
Der Schatten hat aber auch seine heilende Kraft: Wie die
Apostelgeschichte berichtet (V. 15) legte man in Jerusalem die Kranken
in ihren Betten auf die Straße, damit der Schatten des vorbei—
zehenden Petrus auf sie falle und sie heile.
Von einer göttlichen Buchführung zu Gerichtszwecken scheinen die
Griechen erst viel später erfahren zu haben. Denn des Aeschylos
(Eumeniden 291) „der Hadesherrscher gräbt alles ins herz mit dem
Griffel ein“ scheint nur eine poetische Redensart zu sein, die der
Dichter der Furie in den Mund legte.
In einer Fabel des Babrius zeichnen sich Pluto und Persephone
die Ärzte auf, welche die Menschen vor dem Tode bewahren und
H. Spencer, Principles J. ch. 8, Bo.I. 131 32. - 2 Tylor I. 223424.
Die griechischen Richter.
123
daher gestraft zu werden verdienen, weil sie die Sunahme der Hades—
—R verhindern. In einer andern Fabel desselben ist hermes
nit der Buchführung über die Menschen von Seus betraut. Es
könnte aber auch damit nur Bestrafung Lebender gemeint sein.
Deutlicher spricht in späterer Seit, vielleicht schon unter jüdisch⸗
hristlichem Cinfluß, Zenobius in seiner Erklärung eines Sprichwortes
bon Tierhäuten, auf denen die Taten der Menschen aufgezeichnet
sind. in die Zeus Einsicht nimmt, um danach gerecht zu richten.“
So wenig uns die Griechen von Buchführung und Wage im
Jenseits zu sagen wissen, um so reichhaltiger sind ihre Mitteilungen
über das dortige Gericht. Doch scheint die Vorstellung eines solchen
uch bei ihnen, sowie bei andern Völkern, jünger zu sein als die
eines posthumen Fortlebens überhaupt. Hesiod spricht in der Theo—
Jonie vom hund des hades, ohne ein Wort von einem Gericht zu
agen. In der Ilias (XIII. 450) wird Minos nur herrscher von
kreta, aber noch nicht höllenrichter genannt. Daß aber die Vor⸗
tellung von Lohn und Strafe im Jenseits, sowie besonders eines
dortigen Gerichts nicht volkstümlich, sondern nur geheime oder
—R war, wie Rohde meint?, bezweifle ich. Auch die
Sehauptung der ägyptischen Priester?, die Griechen hätten alle ihre
dorsteilungen von der Unterwelt, die Gebräuche bei den Musterien,
die Strafen der Gottlosen und die Seligkeit der Frommen von den
ägyptern entlehnt, ist nur zum kleinen Teile richtig.
Nach jüdischem und christlichem Glauben richtet Gott selbst über
die verstorbenen, und der Fürst der Unterwelt mit seinen Gehilfen
hat nur das Urteil zu vollziehen. Ja diese selbst sind auch Ver—
dammte und Strafe leidend. Der höllenfürst schickt zwar seine Boten
r Oberwelt, um die Menschen zu verführen und die Zahl seiner
Untertanen zu vermehren, aber auch das gelingt ihm nur, wenn
dott es nicht hindert.
Aber sollte nicht einmal ein solches Verhältnis bei den Griechen
bestanden haben, Zeus allein der Kichter gewesen sein? Und ging
ücht erst mit Ausbildung der Mythe von der LTeilung der Welt
unter die drei Brüdergötter, als Pluto herrscher der Unterwelt ward,
auch das Kichteramt auf ihn über? Spuren eines solchen Kichteramts
des Zeus oder Pluto über die Verstorbenen finden wir schon in den
Babrius Fab. 75, 127. Zenobius IV. 11, nach Ruhl s. 102- 103.
psfyches J. 312, II. 127.
Bei Diodor von Sizilien J. 96.
24 Gericht und Buchführung im Jenseits.
„Schutzflehenden“ des Aeschylos (V. 230, 402-4), aber dann erst
wieder bei römischen Dichtern: Valerius Flaccus, Argon. III. 383-65,
Silius Italicus XIII. 601, Statius. Thebais VIII. 22.
ODon einem einzigen unterweltlichen Kichter spricht Pindar in der
zweiten olympischen Ode, aber er scheint damit nicht den einige Verse
päter genannten Khadamanthys gemeint zu haben, den er ja als
Genossen des Kronos im Elysium unter den Seligen weilen läßt.
Dort besindet er sich auch nach der Odnssee IV. 504. Doch werden
die Verse 561-68 von manchen für eine spätere Einschaltung gehalten,
oielleicht von einem patriotischen Spartaner. — Nach allgemeinem
Glauben sind aber bei den Griechen die Unterweltsrichter frühert
sterbliche Menschen gewesen. Die Idee, einen Verstorbenen zum
herrscher oder Kichter im Jenseits einzusetzen, ist nicht speziell griechisch!
llach den Veden (RKig. X. 14, Atharv XVIII. 313) ist Yama, der erste
Mensch, welcher gestorben ist, Herrscher der Unterwelt geworden,
aber als Richter fungiert er, wie es scheint, nicht. Nach mongolischer
Sage hat aber Erlik Khan einst auf der Oberwelt regiert und neben
bielen guten Taten auch viel Schlechtes getan. Deshalb wurde er
auf Buddhas Befehl abgesetzt, aber, nachdem er Buße getan hatte,
zum Unterweltsrichter eingesetzt. Er scheint aber nur eine Art von
Purgatorium zu beherrschen, denn, nachdem er die Sünderseelen in
Kesseln mit siedendem Pech gereinigt hat, schicht er sie in den
himmel hinauf.“
Auch die Tscheremissen, deren Unterweltsglauben sonst christlichen
und türkischen Einfluß wahrnehmen läßt, halten die Unterweltsrichter
für verstorbene Menschen, und zwar ist in jedem Friedhof der dort
zuerst Begrabene der Richter oder Herrscher.“
Die aus führ lichsten Mitteilungen über die Jenseitsrichter,
sowie über die Unterwelt überhaupt finden wir unter Griechen zuerst
bei Plato, unter den Römern zuerst bei Virgil. Alle späteren
griechischen und römischen Schilderungen sind fast nur Erweiterungen
und Ausschmückungen dieser Darstellungen, soweit sie nicht Erzeugnisse
des nie unverändert bleibenden Volksglaubens sind.
Plato hat die Lehren der Orphiker benutzt, sie bald bestritten,
bald weiter ausgebildet. Und auch Virgil stand unter dem Einflusse
der Orphiker und Pythagoräer. Es sind aber wahrscheinlich auch,
direkt oder indirekt, ägyptische Einflüsse wirksam gewesen. Sagt
Scherman s. 88; Mew S. 445.
Jean N. Smirnov, Les populations finnoises 139.
Das Gericht nach Homer und Cukian.
125
doch auch Plato, vielleicht an die lebenden ägyptischen Totenrichter
denkend, zuerst hätten CLebende über die Sterbenden am Todestage
—J aber sich als unfähig erwiesen. Deshalb gingen Pluto und
die Vorsteher der Inseln der Seligen zu Seus und sagten ihm, wie
ich unwürdige Personen bei ihnen anhäuften. Das geschieht, ant⸗
dortete er, weil Lebende abgeurteilt werden; da sind viele, die eine
shlechte Seele haben, in schöne Körper eingehüllt; sie haben Ver—
wandte und Reichtümer, und wenn über sie gerichtet wird, stellen
ich viele Zeugen ein, nur um zu bezeugen, daß sie gerecht gelebt
haben. Die Kichter, deren Seelen ja auch in Körper eingehüllt sind,
zönnen durch die hülle der vor ihnen Stehenden nicht hindurchsehen
ind richten daher fehlerhaft. Zeus verfügte daher, daß fortan die
Menschen erst nach dem Tote, von allem entblößt, gerichtet werden
ollten, und auch die Kichter sollten tot und körperlos sein, um in
die Seele des von allen Verhüllungen und Verwandtschaften entblößten
Toten hineinschauen zu können.
Zu toten Kichtern der Toten hat Zeus hierauf seine Söhne Minos,
khadamanthys und Aeakos ernannt. Sie halten Gericht auf einer
Wiese, wo sich die Wege nach den Inseln der Seligen und dem Tartarus
cheiden. Rhadamanthns richtet die Toten aus Assien, Aeakos die aus
kuropa wenn sie sich in schwierigen Fällen nicht zu entscheiden trauen,
ällt Minos, als der älteste, das Urteil.“
In der Erzählung von der Unterweltsfahrt des Er im Staat?
Aibt Plato die HKamen der Kichter nicht an. Deren Unparteilichkeit
beruht darauf, daß sie die körperlos vor ihnen erscheinenden Seelen
ucht kennen, die Ürkeilsfähigkeit darauf, daß sie an ihnen Merk—
nale finden, um sie gerecht richten zu können, nämlich die Schwielen,
kntsteilungen und häßlichkeiten als Folgen von Meineid, Ungerech—
iigkeit, Cͤge, Hhochmut, Gewalttätigkeit und anderer Sünden.
Nach der Odnssee (XI. 567) richtet Minos die Toten, aber die
ihn betreffende Stelle scheint später eingeschoben worden zu sein. Bei
herodot (VII. 169 erscheint er schon als schrecklicher Unterweltsbe⸗
vohner, der die Kretenser mit Plagen heimsucht, weil sie den Griechen,
die seine Ermordung nicht gerächt hatten, Hilfe gegen Troja leisteten.
huch sein Ruf als Gesehgeder, der wohl schon Plato bekannt war,
nag zu seiner Ernennung zum höllenrichter beigetragen haben.?
Gorgias 523-525.
Buch X. 614 de.
Diodor von Sicilien V. 79.
26
Gericht und Buchführung im Jenseits.
Kecht hübsch schildert Lukian in dem Totengespräch (RXRXX. ) zwischen
Minos und dem Straßenräuber Sostrates, wie dieser, unter Berufung
auf die eiserne Notwendigkeit, den Unterweltsrichter zu seiner Frei⸗
sprechung bewegt. Minos hätte ihm freilich antworten können, daß
er durch dieselbe Schicksalsgöttin gezwungen sei, ihn zum Feuerstrome
zu verurteilen.
Im neunzehnten Totengespräche will Protesilaus an helena seine
Wut auslassen, weil sie durch Verursachung des trojanischen Krieges
an seinem Tode schuld sei. Der Hadesrichter Aeakos verweist ihn
an Menelaus als den Schuldigen, dieser an den Entführer Paris—
welcher sich auf Amor ausredet. Dieser wird wieder von Heakos
oerteidigt, so daß schließlich das Schicksal, an dem selbst ein Toter
sich nicht rächen kann, mit der Schuld an Protesilaus Tod belastet
hleibt.
uch Rhadamanthys, dessen Namen Jemand sonderbarerweise
aus dem ägyptischen (Ka d'Amenthes) ableiten wollte!, hat viele
Inseln und einen Teil der kleinasiatischen Küste beherrscht und den
Kuf eines gerechten und strengen Kichters genossen.
In der Odyssee (IV. 564) wird er als hervorragender Bewohner
des Elysiums, aber noch nicht als Richter genannt. Von dem dritten
Kichter, Aeakos, dem Sohne des Zeus und der ägina, also halbbruder
der andern Unterweltsrichter, der sehr fromm und ein Liebling der
Hötter gewesen sein soll, wird viel Wunderbares erzählt. Der Redner
Isokrates sagte, daß er nach seinem Tode sehr geehrt und zum Bei—
sitzer Plutos ernannt worden sein soll.s Aristophanes macht sich in
den „Fröschen“ (470 ff.) über ihn lustig und degradiert ihn zum Pfoört⸗
ner der Unterwelt. Man könnte also annehmen, daß er erst durch
die attische Dichtung vom Türhüter zum Kichter befördert worden sei.“
In der Verteidigung des Sokrates (41a) nennt Plato, dem
Cicero in den Tusculanen (J. 41, 98) folgte, den Triptolemos als
vierten Totenrichter, und als solcher findet er sich auch auf taren⸗
tinischen Unterweltsvasen dargestellt.“ Es ließe sich dies mit den
7The Jewish Quarterly Review VII. 601.
» Diodor von Sizilien V. 79; Apollodorus II. 4 9, III. 1, 2; plato
Hesetze XII. 948 b.
Pausanias II. 29, 2; Plutarch, Theseus 16, Diodor von Sizilien IV-
51; Grote J. 135- 156; Nägelsbach 414.
Preller, Griech. Mythol. 825.
Er sitzt den Szepter haltend auf schön geschmücktem Stuhl, neben
ihm, ebenfalls mit Szepter in der linken Hand, Minos, die Rechte drohend
Das Gericht nach Virgil und Plutarch. 127
Beziehungen der eleusinischen Mysterien zu ihm erklären, auffallend
bleibt es aber, daß sich sonst in der antiken Literatur nichts von
seinem Richteramt im hades findet. horaz nennt einmal nur den
Aeakos als Unterweltsrichter, der seinen unsterblichen Kuhm den
Dichtern zu verdanken habe, ein anderes Mal scheint er nur den
Minos als Kichter zu kennen und dann nennt er ihn wieder nur
als einen, der, trotz seiner Vertrautheit mit Jupiter, wie alle andern
Menschen gestorben ist.'
Nach Virgil (Aen. VI. 431) sitzt Minos gleich am Eingange des
hades, wo er die Ankommenden einem Verhör unterzieht und im
Beisein durch das Cos bestimmter schweigender, als Schöffen dienender
Schatten das Urteil spricht. ühnliches tut KReakos nach Properz, wo
er als Mitrichter neben Minos fungiert.“ Wie es scheint, werden
bei diesem ersten Gerichtshofe, der etwa der Voruntersuchung unserer
Gerichte entspricht, nur die Unschuldigen von den Schuldigen geschieden.
Cinen viel strengern Richter finden die Seelen weiter unten, jenseits
der von der schlangenhaarigen Furie Tisiphone bewachten dreifachen
Mauer. Da verhört sie Rhadamynth, zwingt sie zum Bekennen
berheimlichter, nicht gebüßter Schuld, verurteilt und übergibt sie der
Furie. Diese geißelt sie und läßt sie von ihren Genossinnen in den
tiefern Tartarus schleppen, wo sie von der gräßlichen fünfzigköpfigen
hydra übernommen werden.? Der Schilderung Virgils entspricht die
Darstellung auf unteritalischen Vasen, wo von Furien in Jägertracht
disyphus gegeißelt, Herakles als Räuber des Kerberus mit Fackeln
zeschreckt wird.“
Mit Rohdes Annahme, daß die in Platos Sokrates-Apologie
genannten drei Richter über Streitigkeiten zwischen den Toten
zu urteilen haben, was er selbst eine an sich seltsame Sache nennt,
kann ich mich nicht einverstanden erklären, obwohl auch Grote der—
erhoben, Kakos steht auf seinem Stab gestützt. (Wiener Vorlegeblätter
Serie E Tafel 2; Preller, Gr. Myth. 825.) Auf anderen Darstellungen erscheint
anstatt des Minos neben Aakos Rhadamanthys (Rohde J. 311).
Carnmi. II. 13, 22, IV. 8, 25; 7, 23, J. 28, 9.
Nec vero hae sine sorte datae, und: Aeacus mea sortita vindicet ossa
dila (IV. 11, 20). Verꝗgl. Ruhl 83-84 und C. Lersch, Antiquitates virgiliana,
813 De quaesitore et judice.
s3 Ovid. Metam. IV. 450 - 453, 481 - 483; virgil Aen. VI. 548 - 556,
565 - 576, Culex 375 - 377.
Roschers Lexikon s. v. Cumeniden. Auch Martial (X. 5) läßt die
Toten durch Geißelhiebe zum Geständnis zwingen.
128
Gericht und Buchführung im Jenseits.
selben Ansicht zu sein scheint. Platos Worte lassen auch eine andere
Trklärung zu und Grotes Berufung auf Odyssee XI. 484 würde
zu dem Schluß führen, daß auch Achilles Totenrichter ist.!
An Platos Allegorie von den Flecken und Entstellungen der
Seele anknüpfend, läßt Plutarch in seiner Schrift „Von der spätern
bestrafung durch die Gottheit“ die Sünder mit Wunden und Narben
bvon verschiedener Größe und Farbe erscheinen. Sie sind schmutzig
und trübe bei Geizigen und habsüchtigen, blutig und feuerrot bei
Grausamen, blau bei Wollüstigen, sepiafarbig bei Neidischen und
Boshaften.
Am Eingange von Dantes Fegfeuer schreibt der Engel-Pförtner
mit der Spitze seines Schwertes dem Dichter sieben P auf die Stirne.
sie bedeuten die sieben Todsünden, und von diesen Flecken wird er,
düßend oder bereuend, die ihnen entsprechenden Terrassen durchwan⸗
dernd, nach und nach gereinigt.?
Die jüdischen Jenseitsallegorien geben, wie wir gesehen haben,
den Toten allerlei Verteidiger vor dem posthumen Gericht, aber
die Cornelia des Properz (IX. 11,99) muß sich selbst verteidigen.
Denn schon Cicero hat gesagt, daß es in der Unterwelt keine Ver—
teidiger gebe, da helfe kein Marcus Antonius, kein Crassus, kein
Demosthenes.
Ssonst haben die römischen das Jenseitsgericht schildernden Dichter
sich gern das römische Gerichtsverfahren zum Muster genommen.
Besonders ist dies in Senecas Apokolokyntosis (VWerkürbißung) des
Kaisers Claudius der Fall. Da kommen dem Kaiser, wie er nur den
hades betritt, alle auf seinen Befehl Getöteten entgegen und werfen
ihm seine Mordbefehle vor. Pedo Pompejus führt ihn vor den
Kichterstuhl des Aeakos und klagt ihn auf Grund der Lex cornelia
de sicariis der Ermordung von dreißig Senatoren, 315 Rittern und
pon unzähligen Anderen an. Erschrocken sucht Claudius einen Ver—
teidiger, findet aber keinen, P. Petronius, der sich endlich bereit
erklärt ihn zu verteidigen, wird nicht angenommen, und als er dennoch
pprechen will, verbietet es ihm Aeakos. Dann verurteilt er den
Angeklagten dasselbe zu erleiden, was er Andern angetan hat, und
da man sich nach diesem Urteil nicht darüber einigen kann, welche
1Rohde Psyche J. 309, II. 208; Plato Apologie 414; Grote, History
of Greece ch. 12, T. J. 183-184. Vergl. Ruhl 35, 41.
2 Purgatorio IX. 112-114, XII. 117-126.
Tuscul. Quaest. J. 5, 10.
—
Das Gericht nach spätern RKömern und nach Dante. 129
dtrafe ihn endlich zu treffen habe, entscheidet Aeakos, er solle mit
einem zerbrochenen Becher Würfel spielen. Die Würfel fallen immer⸗
ort heraus, und der tote Kaiser muß sie stets wieder zusammen⸗
suchen. Schließlich wird er dem C. Cäsar als Sklave übergeben.
Nero ist, nach Plutarchs „Von der späten Kache der Götter“, in
der Unterwelt mit goldenen Nägeln angenagelt und zur Umwandlung
in eine Viper verurteilt, wird aber zum Froschkörper begnadigt, weil
er schon genug gelitten und den Griechen die Freiheit zurück—
gegeben hat.
Spätere römische Dichter, wie Statius, Cucan, Silius Italicus,
Tlaudian, haben meistens Virgil nachgeahmt, manchmal fast wörtlich,
manchmal aber auch Cinzelheiten anderswoher genommen oder aus
kigenem hinzugetan. So läßt 3. B. Statius (Thebais VIII. 27) den
Minos die Strenge der Strafe mildern. Auch bei Claudian EIn
Rufinum II. 476) erscheint er als der mildere Kichter.
Ganz entstellt erscheint Minos in Dantes Hölle (V. 4-13) als
gräßliches brüllendes Ungeheuer, das nicht zu richten, sondern nur
als roher Kerkermeister den Verdammten den ihren Sünden entspre—
henden Höllenkreis anzuweisen hat. Er tut dies, indem er sich den
ochweif, mit dem ihn der Dichter der Göttlichen Komödie beschenkte,
so viele mal umwindet als der Sünder Stiegen hinabzusteigen hat.
cinmal beißt er sich, als ein Teufel ihm einen Verdammten bringt,
bor Wut in den achtmal um sich gewundenen Schweif! (Inf. XXVII.
12126.) Dante mußte der christlichen Lehre folgen, nach der Gott
allein der Richter aller Kreatur ist, wollte sich aber den antiken
doͤllenrichter nicht ganz entgehen lassen und degradierte ihn zum
kerkermeister.
Der Schilderung Dantes folgend hat Michelangelo auf seinem
Jüngsten Gericht in der sixtinischen Kapelle den Minos dargestellt,
ihm aber das Gesicht des päpstlichen Zeremonienmeisters Biagio
degeben und eine ihn umschlingende beißende Schlange hinzugefügt.“
Marcellus Palingenius Stellatus (P.A. Manzoli), ein lateinischer
antiklerikaler Satiriker, gibt im neunten Buche seines um 1530 ge—
hriebenen Zodiacus vitae die Schilderung einer Hhimmelsreise, auf der
er drei Richter — Telscopus, Dorophonus und Philorthus — im
Monde über die Verstorbenen Gericht halten sah. Sie schickten die
Guten und Reinen in höhere Hhimmelsräume, die Lasterhaften in die
—
1G. Pasari, Vite de' piu eccellenti pittori, scultori e architetti, Denedig
828, XIV. 426 427.
Landau, Hölle und Fegfeuer.
130
Die Verdammten und ihre Strafen.
unterste Tiefe, die Mittelmäßigen blieben vier Jahre zur Prüfung
im Monde, worauf sie, je nach ihrer Aufführung, nach oben befördert
oder zur Erde zurückgeschickt wurden.
Fragt man nun, ob das Volk und die Erzähler an solche Vor—⸗
gänge im Jenseits geglaubt haben, so läßt sich eine allgemein gültige
Antwort nicht geben. Gewiß, bei Plato, den Dichtern und Theologen
ist vieles allegorisch gemeint, aber das naive Volk, seine uralten
vorstellungen bewahrend, faßte und faßt zum Teil noch jetzt vieles
als buchstäblich wahr auf, und manche Dichter und Prediger, die
auf dem Grunde des alten Volksglaubens ihre allegorischen Gebäude
aufrichteten und ausschmückten, sind manchmal selbst in diesen Glauben
zurückgefallen. Denn stets hat der Gläubige gestrebt, sich die Gottheit
menschlich näher zu bringen, und fast nie hat er sich vom Anthro⸗
pomorphismus ganz befreien können.
E
VIII. Die Verdammten und ihre Strafen.
An ein Jenseits ohne Cohn und Strafe, an eine fast unver⸗
änderte Fortsetzung des irdischen Lebens nach dem Tode haben wohl
Völker niedern Kulturstandes geglaubt, glauben vielleicht manche noch
jetzt; aber sobald der Glaube an Lohn und Strafe nach dem Tode
Wurzel faßte, begannen sich auch die Vorstellungen bestimmter Straf⸗
und Belohnungsarten aus ihm zu entwickeln. Eine Schilderung der⸗
selben, besonders der Höllenstrafen, ward zu einem der wichtigsten,
an Details reichsten Teile der Jenseitsbeschreibungen.
Und wenn wir solche Schilderungen lesen, müssen wir ob der Mannig⸗
faltigkeit der Qualen und Strafen erstaunen, besonders wenn wil
sie mit der Cinförmigkeit in den Schilderungen und der geringen
Zahl der Freuden und Genüsse des Paradieses vergleichen. Fast nur
CLicht und Musik erfreuen die Seligen im Paradiese Dantes, und die
vom Koran und manchen jüdischen Legenden versprochenen materiellen
Genüsse sowie die Unterhaltung in Walhalla, nach den Schilderungen
der Edda, sind ziemlich einförmig.
Freilich sind auch die Tugenden und gottgefälligen handlungen
der Menschen sowie die ir dischen Genüsse nicht so zahlreich und
Derhältnis der irdischen zu den unterweltlichen Strafen. 131
mannigfaltig wie die Sünden und Laster, die Leiden und Plagen im
Menschenleben.“ Und dazu haben die Menschen, als ob es solcher
wirklicher Leiden und Qualen im irdischen Leben nicht genug gäbe,
noch ihre Phantasie angestrengt, um entsetzliche Höllenqualen zu erfinden
und zu schildern.
Aber die menschliche Phantasie kann nicht aus dem Nichts
erschaffen, sie muß stets ein Moment aus der Wirklichkeit haben, von
dem sie ausgeht, um sich dann in oft unermeßliche Weiten zu verlieren.
fuch die Träume haben stets ihre Grundlage in irgend etwas, im
wachen Zustande Erlebtes oder Gedachtes. Vergleichen wir nun von
diesem Gesichtspunkte aus die irdischen Strafen mit den höllischen in
ihrer Entwicklung, so finden wir einen interessanten Gegensatz:
Trstere werden immer einfacher und an Zahl geringer und auch
milder, letztere mannigfaltiger und grausamer. Jetzt verfügt die irdische
Gerechtigkeit in zivilisierten Ländern eigentlich nur über zwei Strafen
— Tötung und Freiheitsentziehung. Erstere wird gewöhnlich durch
hängen, Erschießen oder Enthaupten, sehr selten durch Elektrizitäts—
trom vollzogen, und stets in der Weise, daß der Schmerz des Ver⸗
—
Turopa fast überall abgeschafft. Etwas größere Mannigfaltigkeit und
etwas geringere humanität finden wir bei den FSreiheitsstrafen —
Zuchthaus, Arbeitshaus, Gefängnis, Festungshaft, selten durch Fast—⸗
tage oder Fesselung verschärft. Wie mannigfaltig und wie grausam
waren dagegen die Strafen und ihre Verschärfungen in früheren
Zeiten: hängen, Erschießen, Enthaupten, Erdrosseln, Pfählen, Kreu—
zigen, Verbrennen, Rädern (von oben oder von unten), von wilden
Tieren, Pferden oder Baumästen Zerreißen, Vierteilen. Dazu kamen
noch: Auspeitschen, Stockprügel, Spießrutenlaufen, Nasenaufschlitzen,
Dhrenabschneiden, Blenden, händeabhauen, Zungenausreißen, mit
zlühenden Zangen Zwicken, Brandmarken, zum Kichtplatze Schleppen
und die grausamen Strafen für Wilddiebe; von den verschiedenen
krten der Folterung gar nicht zu reden. Dann die Mitbestrafung
und Peinigung der ganz unschuldigen Familie des Verurteilten.
Die höllenstrafen haben die entgegengesetzte Richtung verfolgt.
die bestanden ursprünglich wohl nur in der traurigen, düstern Ode
iS. oben „Entstehung von Hölle und Paradies“, S. 29.
Über Bestrafung von Wilddieben s. Jakob Grimm, Weistümer J.
198 -503, 395- 401. Auch die Verse 175 ff. in den Cumeniden des Aeschylos
halte ich mit Rohde (II. 310) als auf irdische Strafen bezüglich.
132
Die Verdammten und ihre Strafen.
der Unterwelt allein, dann in übermäßiger hitze oder Kälte, wurden
aber mit der Zeit immer zahlreicher und gräßlicher. Die Schilderer
der Hölle suchten sich, besonders wo sie mit religiöser oder moralischer
Tendenz arbeiteten, in Erfindung neuer oder Verschärfung alter Strafen
zu überbieten. Als Grundlagen mögen ihnen wohl die irdischen
5trafen gedient haben, wie sie ja auch das Gerichtswesen im Jenseits
dem irdischen nachbildeten. Aber manche der Höllenstrafen sind so
zräßlich oder erscheinen so schwer vollziehbar, daß man kaum glauben
kann, sie seien je wirklich auf Erden vorgekommen und sie nur als
schöpfungen der überhitzten Phantasie religiöser Fanatiker oder wohl⸗
berechnender, ihre egoistischen Zwecke verfolgender Priester begreifen
kann. Zudem scheinen Höllenschilderungen bei manchen Völkern schon
zu einer Zeit, als sie noch kein irdisches Strafgesetz besaßen, existiert zu
haben. Ja, es mögen manche dieser gräßlichen Phantasiegeschöpfe
mit der Seit zu Vorbildern für an Lebende vollzogene Strafe ge⸗
worden sein: In einer buddhistischen Keisebeschreibung aus dem Ende
des vierten Jahrhunderts wird erzählt, wie ein indischer König in
Nachahmung der unterirdischen Hölle ein Zuchthaus in seinem Reiche
errichtete.“
Was nun die geschilderten Höllenstrafen betrifft, so sind sie wohl
bei den verschiedenen Völkern und Religionen verschieden, und inner⸗
halb derselben Religionsgesellschaft unterscheiden sie sich wieder oft
nach den begangenen Sünden und Verbrechen, sie zeigen aber doch
manchmal eine bei den großen Unterschieden in Glauben und Volks⸗
harakter auffallende ähnlichkeit, sowohl in der Art der Strafe als
in ihrem Verhältnis zur bestraften Handlung oder Gesinnung. In
der chinesisch⸗buddhistischen Hhölle wird manches als Sünde bestraft,
was nach unsern Begriffen gar kein Vergehen ist, wie z. B. verspätete
Ablieferung eines Briefes oder Schuldenmachen. Und die härtesten
Strafen treffen manchen für handlungen, die nach unseren modernen
Gesetzen ganz straflos sind oder höchstens mit einer kleinen Geldstrafe
belegt werden.
Dieses uns groß und ungerecht erscheinende Mißverhältnis von
Sschuld zu Strafe ist angesichts der Verschiedenheit von Religion und
Volkscharakter leicht begreiflich. Andererseits werden aber auch
gewisse Sünden und Verbrechen stets in gleicher oder ähnlicher Weise
behandelt, und eine solche ähnlichkeit, wenn auch nicht in der beson—
deren Art, doch in der Schwere der Strafe, zeigt sich am häufigsten
Foë Rouski, traduit par A. Remusat ch. 32 p. 293 - 294.
Strafen für Vergehen gegen Götter und Priester. 133
bei den Religionsverbrechen, den Vergehen gegen die Gottheit oder
ihre Priester. Sobald man die Götter als KRichter und Bestrafer der
Menschen anerkannte, war es natürliche Folge, daß man vor allem
und am schärfsten die Auflehnung gegen ihre herrschaft, die Belei—
digung ihrer Personen und die Übertretung ihrer Gebote bestrafen
ließ. Und die Priester, welche ihre Gebote verkündeten, die Ver—
mittler zwischen ihnen und den Menschen machten, ließen sie selbst—
derständlich auch den Ungehorsam gegen die priesterlichen Gebote und
Anordnungen, die ihnen selbst zugefügten Beleidigungen und Schädi—
gungen, selbst die Verletzungen des religiösen Zeremoniells oder der
briesterlichen Reinigungsvorschriften in gleich schwerer Weise bestrafen.
Jupiter hat die Giganten, Titanen und Aloiden in den Tartarus
geschleudert, weil sie sich gegen ihn empörten und ihn bekämpften,
Phlegnas wird in den Tartarus gestürzt, weil er den Tempel des
Apollo zu Delphi verbrannte, Tityus, Tantalus, Sisyphus, Irxion
werden in der Unterwelt für Beleidigungen oder Verletzungen der
Götter bestraft. Ebenso werden in der Unterwelt der Aeneis größten—
teils Vergehen gegen die Götter gestraft. „Sie haben“, wie Rohde
sagt, „nicht ein Sitten gesetz, nur den Willen und das Interesse einzelner
dötter, der übermächtigen Herren des Lebens verletzt, sie erfahren
an sich .... die Macht der herren, deren Sorn sie gereizt haben.“
... „Wenn nach der Ilias der Meineid im Jenseits bestraft wird,
so geschieht es nicht für die sittliche Verfehlung, sondern weil der
Meineidige sich selbst Peinigung im Reiche des Hades angewünscht
hat. wenn er falsch schwöre.“
Nach den ägyptischen Totenbüchern werden die Feinde des Ra
oder des Osiris in der Unterwelt von schrecklichem Feuer verzehrt,
manche vorher zerstückelt und in flüssiges Feuer oder siedendes Wasser
geworfen. Den Göttern der Unterwelt wird befohlen, die Feinde
des Gottes täglich mit Feuer aus ihren Mäulern zu verzehren, Rache
für Osiris zu nehmen. Den Seinden und Beleidigern Ra's wird
zugerufen: eure elenden Körper werden in Stücke zerhauen, eure
deelen vernichtet werden, so daß ihr Kasnie mehr sehen werdet. In
den Abbildungen mehrerer Abteilungen des Tuat sieht man Schlangen,
die auf Befehl Ra's gegen seine mit auf den Rücken gebundenen
händen dargestellten Feinde Flammen schleudern. Oder diese stehen
n mit Feuer gefüllten Gruben auf den Röpfen, ungefähr wie die
RKleine Schriften II. 286, Psyches, J. 65.
134
Die Verdammten und ihre Strafen.
Simonisten in Dantes hölle, während Göttinnen mit Messern in den
händen auf sie Feuer speien.“
Nach dem Atharva Veda sitzen die, welche einen Brahmanen an⸗
pien oder RKot auf ihn schleuderten, in einem Blutbache und fressen
haare, verletzer von Brahmanen trinken die Tränen der von ihnen
berletzten, oder das Wasser, mit dem die Toten gewaschen wurden.
Nach einem jüngern vedischen Text soll, wer eines Brahmanen Blut
oergießt, so viele Jahre, wie das Blut Sandkörner benetzte, den
Aufenthalt der seligen Ahnen nicht zu sehen bekommen.e CLästerern
der Götter, Priester und CLehrer werden in der indischen Hölle von
Vögeln mit diamantharten Schnäbeln die Zungen ausgerissen. Nach
buddhistischer Lehre werden dort Zerstörer des Eigentums der Götter
oder ihrer Priester, Apostaten und Leugner der Götter schrecklich ge⸗
brannt oder in feurigem See gebadet. In dem schmutzigen Slusse
Daitarani, der die Hölle umfließt, werden Könige und Fürsten, welche
die Ketzerei beschirmten, von Fischen gefressen.?
Priestergeist, Herrschsucht und Intoleranz der Brahmanen gegen
die niedern Kasten sind mit erstaunlicher Rücksichtslosigkeit in dem
unter Manus Namen bebkannten Gesetzbuch kodifiziert. Was darin
—D
uns hier nichts an, wir haben es nur mit der grausamen Klassen⸗
uustiz für das Jenseits zu tun, aus der hier einige Beispiele angeführt
werden mögen:
Wer einem Brahmanen mit körperlicher Verletzung droht, wan⸗
dert hundert Jahre in der eiskalten, finstern Tamas-Hölle herum,
bergießt er aber dessen Blut, so erleidet er dort die allergrößte Strafe.
So viel Staubteilchen, als das Blut aufsaugt, so viele Jahre wird er
m Jenseits von Tieren gefressen werden, oder so viele Jahrtausende
zoll er in der hölle verbleiben. Wer sich aus habsucht das Cigentum
der Götter oder der Brahmanen aneignet, frißt im Jenseits das, was
die Geier übriglassen. So viele Bissen, als ein Unwissender bei
einem Opfermahl für die Götter oder Ahnen verschluckt, so viele
rotglühende, eiserne Kugeln, Speere und Nägel muß der Bewirter
nach dem Tote verschlucken.
1Wallis Budge, The Gods J. 2419 - 255, Heaven and Hell IJ. 138,
109- 110, II. 48-49, III. 137, 143.
Atharva Veda V. 19, 3, 4; Zimmer 420; Oldenberg 558.
Scherman 42, Fehr in As. Journal XX. 194-195. Serie IX. Bd. IJ.
131, Köppen J. 242.
Vergehen gegen Priester und Götter bei den Persern und Juden. 135
Wer einen Sudra (mann aus der niedersten Kaste) in den hei—
ligen Gesetzen unterrichtet, kommt mit ihm in die hHölle.'
Zhnlicher Glaubensfanatismus, jedoch ohne Rastengeist, herrscht
n den Religionsbüchern der Perser:
Nach Hasna 3120 kommen die Retzer auf lange Seit in die
Finsternis, wo sie ekelhafte Nahrung erhalten. Beinahe ein Drittel
der im Arda viraf-Buche geschilderten Höllenstrafen sind für Vergehen
gegen die Vorschriften der persischen Religion oder die Weisungen
—X verhängt. Auf Apostaten und solche, welche andere
zum Unglauben verleiten, kriechen ekelhafte Tiere herum, während
die, welche Gott und die Priester bestahlen, von Schlangen gebissen
und gestochen werden. Ein Rechtgläubiger wird gestraft, weil er seine
Frau, die eine Götzendienerin war, nicht zum wahren Glauben be—
zehrte. Die, welche kein Tischgebet gesprochen und während des
kssens geredet haben, leiden Hunger in der Unterwelt. Ein Apostat
wird in eine Schlange verwandelt, nur der Kopf bleibt menschlich.
Atheisten, Zweifler und Ungläubige verschlucken beständig Speisen
und erbrechen sich usw. Als EArda Viraf das Jenseits verläßt, trägt
ihm Ahura Mazda auf, die Menschen zur Srömmigkeit und zum Fest⸗
halten an den Lehren Zarathustras zu ermahnen.
Nach dem jerus. Talmud hing der Hohepriester Simon b. Schetach
längere Zeit mit dem Ohr an einer Türangel der Hölle, weil er,
seinem Versprechen entgegen, die Hinrichtung von Hexen verzögert
hatte und erst später deren achtzig an einem Tage hatte aufhängen
lassen. Nach der Weltbeschreibung im Buche Kasiel werden in der
weiten Abteilung der Hölle zehn Millionen Sünder, welche den Ge⸗
boten des Pentateuch sich nicht unterwerfen wollten, zweimal täglich
don Feuerstrahlen getroffen. ähnliche Strafen erleiden in der sie—
benten Abteilung die Ketzer, Gottesleugner und Leugner der Unsterb—
iichkeit der Seele. Nach der in arabischer Sprache geschriebenen
Chronik des Propheten Moses“ werden auch das Plaudern in der
dmnagoge während der Thoravorlesung, des Priestersegens und der
Kezitierung des „Hhöre Israel, Gott ist einzig“ sowie der Mißbrauch
des Gottesnamens zu Amuletten in der hölle bestraft. Nach der
höllenschilderung des Aba Gorion werden die Gottesleugner und
— —
1 The laws of Manu translated.... by G. Bühler, Orford 1886, III.
133, IV. 81, 165—167, 168, XI. 207 -208, 26.
Arda Viraf Kap. 57, 57, 68, 36, 61, 100.
3 Talm. Jer. Chagiga II. 1 Sol. 77 d.
36
Die Verdammten und ihre Strafen.
Götzendiener in der Orkus genannten untersten Abteilung beständig
vom Seuer ins Eis und vom Eis ins Feuer geworfen. Auch haust
dort ein Skorpion, der 999 Glieder hat, deren jedes 999 Cog faßt,
in denen diese Sünder ebenfalls gereinigt werden.!
Nach einer andern jüdischen Höllenschilderung liegen Leugner der
Welterschaffung durch Gott und Uuslieferer von Juden an heiden
auf ihren Gesichtern und werden von 2000 Skorpionen gequält.
Jedes dieser Tiere hat 70000 Mäuler, jedes Maul 70000 Zähne
und jeder Sahn 70000 mit Gift gefüllte Blasen. Gottesleugner,
herletzer der Speisegesetze und diejenigen, welche am Versöhnungstage
nicht gefastet haben, werden mit feurigen Geißeln gepeitscht; mit
feurigen Steinen werden ihnen läglich die Zähne ausgebrochen, die
hnen in jeder Nacht wieder anwachsen.“
Nach dem Koran wird den, welche nicht an Mohammed glauben,
die haut verbrannt, dann eine andere geschaffen und so die Qual
stets erneuert, „denn Gott ist allmächtig und allweise“, und die Feinde
Hottes werden ewig im Feuer brennen. Die Ungläubigen und 3weifler,
heißt es an einer andern Stelle, müssen die Früchte des Höllenbaums
essen und dazu siedend heißes Wasser trinken; oder es wird solches
Wasser auf ihre Köpfe gegossen, während die Früchte wie glühendes
Metall in ihren Eingeweiden kochen. Wenn die Frevler im Höllen⸗
feuer um hilfe rufen, dann soll ihnen geholfen werden mit Wasser,
das geschmolzenem Erze gleicht und ihre Gesichter verbrennt.
Nach der Traditionssammlung des Bochari hat Mohammed ge⸗
sagt: „Ich schaute in das höllische Feuer und fand, daß die meisten
bewohner Weiber waren, die es durch ihren Unglauben verdienten
und weil sie Gott verleugneten“.*
Das Christentum läßt seine Ketzer und Ungläubigen im Jenseits
nicht minder schreckliche Pein leiden: Die Hhölle, sagt Justin Martyr
in seiner Apologie, ist der Ort, wo alle Ungerechten, alle, welche
nicht das glauben, was Gott durch Christus lehrte, bestraft werden
jollen.“ Nach der sog. Petrus-Apokalypse (Nap. 12, 13) werden
herfertiger von Götzenbildern und Apostaten in schrecklichen Flammen
1Jellinek Bet-ha-Midrasch II. S. XIX. XX. 30, J. Nr. 1. Ein Log hat
den Fassungsraum von 6 hühnereiern.
»Nach M. Gaster in Journal of the r. Asiatic Soc. XV. (1893) 581.
3 Sure XXXVII. 62-65, XLI. 28, IV. 59, XVIII. 28; Sundgruben 1.
15, 361, 528.
Apolog. J. 18-19, bei Ceckn History of Europ. morals J. 447.
Strafen für Vergehen gegen Gott und Priester bei den Christen. 137
gebrannt und gebraten. Nach der Vision des Paulus stecken die
deelen der Ungläubigen in einer unendlich tiefen Blutgrube, in der
sie immer tiefer einsinken, ohne je zum Grund gelangen zu können,
und flehen vergebens um Erbarmen.! Nach der vVision des Alberich
müssen Eheleute, die an Sonn- oder Seiertagen fleischlich miteinander
verkehrten, eine 300 Ellen hohe glühende, eiserne Leiter hinaufsteigen,
von der sie in einen Kessel mit siedendem Ol, Pech und harz hinab—
stürzen.?
In der irischen Dichtung „Keisen der Söhne O'Corra's“ muß ein
Mann beständig mit einem Spaten, dessen Handhabe aus Feuer be—
steht, graben, weil er im Leben seine Felder am Sonntag gepflügt
hat.s
Nach einer altslavischen Schilderung der Hhöllenfahrt der hl.
Jungfrau liegen Männer und Frauen, welche Sonntags nicht in die
kKirche gingen, auf Feuerbetten; auf glühenden Stühlen sitzen die
Männer, welche in der Kirche nicht vor dem Priester aufstanden,
irend Heiden, Juden und Apostaten in einem siedend heißen Strome
ecken.“
Bei Dante liegen die Ketzer und Ungläubigen in glühenden
därgen, die Gotteslästerer und Empörer gegen Gott auf glühendem
dand, während Seuerflocken auf sie fallen.“
So haben die Menschen stets die Götter für rachsüchtig und
grausam gehalten und, was noch schlimmer ist, sie glaubten sich auch
oerpflichtet, schon im Diesseits sich ihrer anzunehmen und die ihnen
zugefügte Unbill zu bestrafen. Und doch hat schon Kaiser Tiberius
gesagt: um Beleidigungen der Götter haben nur diese sich zu
zümmern.?
Viberius war freilich ein heide, aber selbst dem sonst ganz
frommen Doktor Thomas Browne ( 1682) erschien die Verdammung
der vorchristlichen Heiden nicht ganz gerecht. „Wie müssen sich
diese wundern“, sagte er in seiner Religio medici, „wenn sie in der
hölle erfahren, daß sie wegen der Sünde eines gewissen Adam, von
dem sie nie etwas gehört haben. leiden müssen!“
Bei H. Brandes, in Engl. Studien VII. (1884) s. 40.
Bei Wright S. 119.
eCleanor hull, The development of the idea of. Hades in celtic
iterature, in Folk-Lore, Juni 1907, 5. 159.
Gaster, Ilchester Lectures, 1883, 5. 60.
Inferno, Canto 9, 10, 11, 14.
söTacitus Ann. L. 73.
4
38
Die Verdammten und ihre Strafen.
Wie die Brahmanen so haben auch die christlichen Priester jede
Derletzung ihrer Autorität oder ihrer Interessen als höchst strafwür—
dige Sünde dargestellt. Jedes an einem Priester begangene Unrecht,
sede Schmälerung des Kirchenvermögens, ja selbst die Verhinderung
seiner Zunahme unterlag schwerer Strafe in der Unterwelt. Ebenso
die Säumigkeit im Entrichten des Zehnten, ja sogar die inkorrekte
5timmenabgabe bei einer Papstwahl. So erzählt Papst Gregor der
Hroße, daß der sonst sehr fromme und tugendhafte Diakonus Pas-
hasius mit einem Bade in siedendem Wasser bestraft wurde, weil er
hei der Papstwahl gegen den legitimen Symmachus gestimmt hatte
und nur dessen Gegner als Papst anerkennen wollte.“
Nach dem vierten Esrabuche leiden die Sünder in der Hölle
siebenfältige Pein: die Reue über ihre Verachtung von Gottes Gesetz,
die Unmöglichkeit Buße zu tun, Neid vierfacher Art auf den glück—
lichen Zustand der Seligen im Vergleich mit ihrer elenden Lage,
Angst und Scham.“ ähnlich sagt Papst Gregor der Große: Die
Ceiden der Sünder bestehen in dem unauslöschlichen ewigen Feuer,
der Sehnsucht nach Gott, Neid auf die Seligen, Furcht, Verzweiflung
und Mitleid mit den Qualen ihrer Angehörigen. In Widerspruch
damit sagt aber der hl. Augustinus, daß die Sünder in der hHölle
nichts von dem, was im Paradiese vorgeht, wissen.“
Ursprünglich war wohl das Feuer, dieses dem Naturmenschen
unbegreifliche, schreckliche, verzehrende, aber auch reinigende Element,
die allgemeine Höllenstrafe. Ebenso wurde die den Körper von
schmutz reinigende Wirksamkeit des Wassers schon früh auf seelischen
schmutz und Sünde ausgedehnt. Der Glaube an die sündenreinigende
Kraft des Wassers ist von den Griechen zu den Römern gekommen,
sagt Ovid. So wurde Peleus von Akastus mit dem hämonischen
Hewässer, Alkmäon von dem Slußgott Achelaus, Orest mit dem
Wasser der hippokrene entsühnt und schon in historischer Zeit hat
sich Kaiser Heliogabal von drei Flüssen reinigen lassen.“
Aber bald erscheint das Feuer als wirksameres Entsündigungsmittel.
„Ich taufe euch mit Wasser zur Buße“, sagt Johannes der Cäufer,
„der aber nach mir kommt, ist stärker . .. .. der wird euch mit
Dialog. IV. 40.
Kautzsch, Apokryphen II. 374.
3 Dudden, Gregor the great 4355— 436. Augustinus De civitate Dei
XX. 22.
4Apollodorus III.7 5, Ovid, Fasti III. 37--40; Pausanias II. 31 12,
Aelius Campridius, Heliogabalus VII.
Das Feuer der hölle.
139
dem Heiligen Geist und mit Feuer taufen“. Cbenso kennt Servius
Wasser, Feuer und Luft als Reinigungsmittel.“
Aus dem zur Reinigung auf Erden einmaligen, im Purgatorium
durch lange Zeit angewendeten Keinigungsfeuer ist das ewige Straf⸗
feuer der hölle geworden, besonders im jüdischen und christlichen
Slauben. Und es ist, erklärt Dr. Rusca, unter Berufung auf die
Kirchenväter, ein wirkliches, materielles Feuer, das sich nach dem
hl. Anselmus mit seiner Hitze zum irdischen so verhalte wie dieses
zu gemaltem Seuer. Es besteht hauptsächlich aus sehr stinkendem
ochwefel und zähem, schwerflüssigem Pech.
Mit naturwissenschaftlichen und Vernunftgründen beweist er
dann, daß es in der Hölle, trotz des starken Feuers, stockfinster ist.
Nur hie und da dringe etwas Cicht hinein, damit die Verdammten
hre Pein nicht bloß fühlen, sondern auch sehen sollen.
Fast gleichlautend heißt es bei Professor Bautz, der ebenfalls
mit naturwissenschaftlichen Gründen die Existenz und Qualität des
hoöllenfeuers beweisen will: „Nach der einstimmigen Erklärung der
Wirchen⸗) Väter gibt es in der Hölle ein ewiges unauslöõöschliches
Feuer“ ..... „die mittelalterliche und neuere Scholastik vertritt
und verteidigt diese Lehre mit einer solchen Einmütigkeit, daß wir,
ohne Widerspruch befürchten zu müssen, von einem communis con-
Sensus scholasticorum sprechen dürfen. Der heilige Thomas verteidigt
dieselbe beinahe in allen seinen Schriften. Er nennt das höllenfeuer
ein ignis corporalis und erörtert an einer Stelle noch genauer die
Idenlität desselben mit dem irdischen Feuer“. ...... „Dom Stand⸗
punkt der Naturwissenschaft erhebt sich gegen die vorgetragene Lehre
zeine Schwierigkeit, denn das Innere unseres Erdkörpers ist ja der
ditz gewaltiger Feuermassen.“ .... „Auch dürfte nichts im Wege
tehen, das höllenfeuer einfach als ein Gas, vielleicht als ein Gemenge
derschiedener Gase uns vorzustellen, die ohne begleitenden chemischen
Prozeß durch Gottes Macht in entsprechende Bewegung und so in
den Zustand ewiger Glut versetzt sind.“
Doch gibt Bautz zu, daß „eine metaphysische Auffassung des höl⸗
lischen Feuers noch nicht gerade häretisch sein würde“, und fügt zu
unserm Troste hinzu: „Wie immer die Entwicklung unseres Erdballs
in den Jahrtausenden, die ihm vor dem Weltende noch beschieden
Omnis enim purgatio aut per aerem fit, aut per ignem aut per
aquam. (su Georgica II. 389, und ähnlich zu Aeneis VI. 741.) Sapiens
ignis membra urit et reficit, sagt Minutius Selix (Octavius 35).
140 Die Verdammten und ihre Strafen.
sind, verlaufen mag, für den Fortbestand des Höllenfeuers wird die
Weisheit und Allmacht des strafenden Gottes Sorge tragen“. Auch
wird die Strafe des Feuers nach Wiedervereinigung mit dem Körper
beim Jüngsten Gericht) fortdauern.“
Das FSeuer ist eine mehr südlichen Ländern angepaßte Strafart.
Dem nordischen Klima entsprechend galten Kälte, Sümpfe und schwer
zu durchwatende Gewässer als große Leiden verursachend, und so
schufen die Germanen sich auch eine Wasserhölle. Ob die am Anfange
bon Grimnismal erwähnten zwei Seuer zu einer Feuerhölle gehörten,
wie Simrock meint, mag man wohl bezweifeln. Als ein Missionär
den Grönländern die Slammen der hölle recht fürchterlich ausmalte
und viel von ihrer hitze sprach, begannen sich alle nach der Hölle
zu sehnen.?
eben den von der Natur gelieferten Strafmitteln Feuer, Cis
und Wind wurden aber schon früh auch andere Höllenstrafen ein—
geführt. Neben einer Art von Jus talionis erscheint auch eine nur
die Körperteile, mit denen auf Erden gesündigt wurde, treffende Strafe—
So haben 3. Benach der Petrusapokalypse falsche Zeugen brennendes
Feuer im Munde und zerbeißen sich die Zunge, Lästerer der Gerech⸗
tigkeit sind über Feuerflammen an den Zungen aufgehängt. Nach dem
Markandeya Purana reißen Vögel mit diamantharten Schnäbeln die
Augen derjenigen aus, welche mit lüsternen Blicken nach den Frauen
oder Besitztümern Anderer Begierde gezeigt haben, und stets wachsen
die Augen zu gleicher Qual wieder nach. Diese Strafe dauert so viele
Jahrtausende als die Sünde Augenblicke. In derselben Weise werden
die Sungen derjenigen behandelt, welche falsche Lehren erteilten. Mit
scharfen Messern werden die Zungen der Verleumder zerschnitten.
Nach dem Bhagavata Purana werden die Übeltäter von den in schreck—
liche, grausame Tiere verwandelten, von ihnen auf Erden Geschädigten
in derselben Weise, wie sie von ihnen gelitten haben, gequält.“
fuch die Seelenwanderung, die manchmal als FSortsetzung viel—
jähriger höllenpein erscheint, hat nach Manus Gesetzen einen Einschlag
von Jus talionis: So werden hausherren, welche auf Rosten Anderer
lebten, nach dem Tode Hausvieh desjenigen, der sie ernährte. Die
Die Hölle, s. 143, 1416-148, 150, 114 Ankg.
Simrock, Deutsche Mythol. 142, 302; Dietrich, Die Deutsche Wasser—
hölle, in Haupts Stschft. für Deutsches Altertum IX. 175 - 186; G. Ch. Lichten⸗
bergs vermischte Schriften II. 419, Göttingen 1801.
3 Scherman S. 41, 42, 6.
Strafen nach dem Jjus talionis.
141
ärgsten Sünder werden Insekten, Fische, wilde Tiere und unbeweg—
liche Dinge, die von etwas besserer Lebensführung werden Elefanten,
Pferde, Löwen, Tiger, verächtliche Barbaren oder Sudras (Menschen
der niedrigsten Raste).“
Cin rationelles Verhältnis zwischen Sünde und Strafe, eine Art
sus talionis in höherem Sinne suchte bei Dante J. Al. Scartazzini in
seiner Abhandlung „Uber die Kongruenz der Sünden und Strafen in
Dantes hölle“ nachzuweisen.? Es ist ihm dies aber nur zum Teil gelungen
und manche Auslegung ist bei den haaren herbeigezogen.
In Plutarchs Schrift „Von der späten Rache der Gottheit“ (c. 22)
wird geschildert, wie Habgierige von Dämonen abwechselnd in siedendes
Gold und eiskaltes Blei getaucht werden. Zornige müssen einander
auch in der Unterwelt beißen. Lucian läßt in der „Wahren Ge⸗
schichte“ den eigentlich am Incest unschuldigen Vater der Myrrha
an dem Geschlechtsgliede über einem Feuer hängend geräuchert
werden.
Auch in der persischen Hölle wird, nach Arda Viraf, manchmal
nach dem Jus talionis gestraft. Sonst läßt sich in allen Unterwelts⸗
childerungen nur selten ein rationelles Verhältnis zwischen Sünde
and Strafart finden. Manche Sünden und Verbrechen, wie Mord,
Kaub, Blutschande, Chebruch, Betrug u. dgl., die im Diesseits bestraft
verden, unterliegen nach den meisten Schilderungen der Hölle auch
dort der verdienten Strafe. Daneben schafft aber auch jede Religion
ihre besonderen Gesetze und Pflichten, deren Übertretung oder Ver⸗
etzung in der Unterwelt bestraft wird, manchmal sogar härter als
e allgemein als Verbrechen oder Sünden geltenden schlechten Hand⸗
ungen.
Bei den Naturvölkern, wo der Begriff Sünde gegen Gott ge⸗—
wöhnlich fehlt, findet sich dafür auch keine Strafe im Jenseits, und
danz andere Umstände und Verhältnisse entscheiden über die lirt des
Fortlebens daselbst. Doch werden, nach dem Glauben der Einge—
borenen von Borneo, ohne Buße gestorbene RKäuber und Mörder
im Jenseits durch Durchbohrung mit einer Lanze bestraft, Diebe müssen
dort das Gestohlene immer auf dem Rücken tragen und Selbstmörder
durch Ertränken bis zur halben Leibeshöhe im Wasser stehen. häupt-⸗
inge, welche ungerecht urteilten, sind im Jenseits halb Mensch und
halb hirsch. Nach dem Glauben der Eingeborenen von Milbank
—
Laws of Manu III. 104, XII. 40- 43, 54.
Im vierten Bande des Jahrbuchs der deutschen Dante-Gesellschaft.
142 Die Verdammten und ihre Strafen.
Sund finden sich im Jenseits zwei Flüsse mit riesigen Toren. Die
Guten geraten in den rechten Fluß, wo sie Überfluß an Lachs finden,
die Schlechten in den linken, wo sie Hunger und Kälte leiden. Bei
den Salisch-Indianern wird diese Strafe noch durch Tantalusqualen
berschärft: die Hungrigen und Durstigen sehen beständig Wild und
frisches Wasser, das sie nicht erreichen können. Nach der Schilderung
eines nordamerikanischen Indianers sah er die Seelen der Bösen in
einen See versinken, die Guten in eine Art von Paradies gelangen,
wo ewige Jugend herrscht und alles eitel Freude und Schönheit ist.
Manche dieser Schilderungen machen schon den Eindruck, daß sie
unter christlichem Einfluß entstanden sind; doch behaupteten die ersten
französischen Missionäre, daß sie bei den Natchez schon den Glauben
an Strafe (hunger und Moskitobisse) und Lohn im Jenseits vor⸗
gefunden haben. Dagegen glauben die Cinwohner der Fidschiünseln,
daß Männer, welche noch Niemanden getötet haben. im Jenseits ge⸗
zwungen werden, mit im Diesseits nicht benutzten Streitkolben Schmutz
zu schlagen und daß nicht tätuierte Frauen von andern immerfort
herumgejagt und mit Muscheln gekratzt werden.“
Die alten Babylonier scheinen von Lohn und Strafe im Jenseits
nichts gewußt und die Belohnung für gute Taten im Diesseits erwartet
zu haben. Staub und Rot scheint in der Unterwelt die gewöhnliche
Kost aller Toten gewesen zu sein. Davon wurden sie nicht satt,
und wenn sich Niemand um sie kümmerte, litten sie Hunger und
Durst. Nach Valerius Flaccus reicht Tisiphone den Verdammten
in der finstern Unterwelt schreckliche Speisen und Getränke.“
Nach Wöluspa 42, 43 fallen Gifttropfen durch die Fenster in
zinen aus Schlangenrücken gebildeten Saal, wo Meuchelmörder und
Meineidige im Giftstrome oder im Schlamm waten.
Der wenig verläßliche J. J. Hanusch spricht zwar in seiner „Wissen⸗
schaft des slavischen Mythus“ (S. 415) von einem Gericht über die
Toten, Lohn und Strafe im Jenseits, aber der verläßliche A. —ãR
Ratzel J. 439; S. R. Steinmetz, Ethnologische Studien, S. 368 -369
379; Marillier s. 40; Spieß S. 166.
Ssteinmetz s. 373, 378.
s Jastrow S. 578; Sr. P. Dehorme, Le séjour des morts chesz les
Zabiloniens et les Hébreux, in Revue biblique internationale Januar 1907,
5. 66, 75.
Saevasque dapes et pocula libat, tormenti genus (Argonauticon II.
194). Das ist nicht römisch.
s Im Archiv für slavische Philologie XIV. (1892) s. 163.
Strafen bei Slaven. Die Sündengattungen. 143
der auch manche Götter aus der Mythologie der Slaven hinauswies,
behauptet, daß die slavischen Quellen von einer Belohnung der Guten
und Bestrafung der Bösen nichts sagen. Sie glaubten, wie die meisten
Naturvölker, an eine dem irdischen ähnliche Sortsetzung des Lebens
im Jenseits.
Diel reichlichere Nachrichten haben wir über die Höllenstrafen
bei andern Völkern. Eine Aufzählung derselben ist aber mit großen
Schwierigkeiten verbunden, da es ihrer, nach der Paulus-Pision, bei
144 000 geben soll. „Wenn hundert redegewandte Leute von Anfang
der Welt an sie zu schildern begonnen hätten, so wären sie kaum
fertig geworden“, sagt dem Paulus der ihm als Cicerone dienende
tngel in einer lateinischen Aufzeichnung dieser Vision.“
Für unsern Zweck wird es genügen, nur einen kleinen Teil dieser
Strafen aufzuzählen und sie, der bessern Üübersicht wegen, nach den
von ihnen getroffenen Sünderklassen zu ordnen. Es wird sich dabei
auch die ühnlichkeit sowie die Verschiedenheit der Jenseitsjustiz bei
den verschiedenen Religionen deutlicher zeigen.
Im allgemeinen sind die Strafen nach der Größe der Sünden
abgestuft. So sagt der hl. Augustinus, es sei ganz zweifellos, daß die
ztrafen der Verdammten nach dem Grade ihrer Bosheit verschiedene
GBrade haben und beruft sich dabei auf Ev. Matthäus X. 15, XI. 22,
cukas XII. 46- 48. Auch lehren einige Scholastiker, daß der Sünder
um so tiefer in den ewigen Abgrund stürze, je tiefer er auf Erden
durch seine Schuld gefallen ist.“
häufiger als nach der Schwere, richten sich die Strafen nach der
Gattung der Sünde. Wie Dante im Segfeuer die Strafen nach den
sieben Todsünden verteilt, so werden nach dem Calendrier des Bergiers
die viel schwereren in der Hölle angewendet.
Wenn, wie Rabbi Samuel in freier Auslegung von Prediger
Salomo XI. 10 sagt, die Zornigen alle möglichen Höllenqualen er⸗
leidenẽ, so liegen sie nach dem Calendrier nur im Sinstern und werden
beständig mit Schwertern und spitzigen Messern gestochen und zerhackt.
Die Stolzen sind auf ein sich beständig drehendes Rad geflochten;
die Neidischen stehen bis zum Nabel im Eis; die Trägen werden von
s„chlangen in allen Größen gebissen; die Habsüchtigen stecken in
Kesseln voll siedenden ls und Bleis, die Wollüstigen liegen auf
Bei Brandes S. 47.
Bei Bautz S. 121, 229.
Talmud bab. Nedarim 2234.
144
Die Verdammten und ihre Strafen.
einem Felde von Feuer und Schwefel, aus dem ein stinkender Rauch
aufsteigt; die der Völlerei Ergebenen werden an einem Tische mit
schmutzigem Tischtuch mit Kröten und anderm giftigen Getier gespeist
und mit ekelhaftem Wasser getränkt.“
Nach Giacomino von Verona werden manche Sünder von den
Dienern Beelzebubs mit Sauce und Gift für seine Tafel zubereitet.
Da er sie aber nicht gut durchgebraten findet, werden sie ins Feuer
gelegt, von den Teufelsköchen wiederholt umgewendet und mit
eisernen Schlägeln geklopft.
Unappetitliche Kost finden wir auch in manchen mittelalterlichen
französischen, humoristisch-satirischen Höllenschilderungen, wo ebenfalls
die Verdammten diejenigen sind, welche verspeist werden. So werden
in dem Fabliau Le songe d'enfer gebratene feiste Mönche und
Wucherer, nach dem Salut d'enfer gebratene Falschmünzer, gesottene
Wucherer und in pikanter Sauce eingemachte, ungerechte Kichter auf⸗
getischt.
Der spätrömische Dichter Claudian läßt die Sünder, je nach Art
ihrer Schuld, wilden Tieren vorwerfen: die Grausamen den Bären,
die Räuber den Wölfen, die Betrüger den Füchsen, die Fresser und
Wollüstigen den Schweinen, die Schwätzer den Fischen, nur den haupt⸗
schuldigen Rufinus, den ärgsten der Sünder, läßt er alle Strafen des
sisypphus, Tantalus, Ixion und Prometheus erleiden.?
Nach der englischen Ballade The dead mans song, die »noch im
17. Jahrhundert populär war, wird in der Hölle den Habsüchtigen
geschmolzenes Blei in die Kehlen gegossen, Unmäßige werden mit
Kröten gefüttert, Unzüchtige liegen in feurigen Betten, Mörder müssen
verdorbenes Blut trinken, Meineidige sind an den Zungen aufgehängt.
Der schottische Dichter Dunbar schildert wieder die Höllenstrafen nach
Ordnung der sieben Todsünden.“
So sehen wir Anklänge an das Jus talionis mit der Anordnung
der Todsünden nach Petrus Combardus abwechseln. Dante hat diese
Anordnung erst im Fegfeuer angenommen, in der Hölle ein anderes
syftem befolgt. Da zeigt er uns weder Stolze noch Neidische, dagegen
die im Purgatorio nicht vorkommenden Betrüger, Gewalttätige und
Mew S. 260 - 64; Wright S. 167- 69.
» Cegrand, Fabliaux II. 17; Wright, Purgatory 110; Gubernatis,
Dante 596.
3In Rufinum 480-511.
Wright 174 - 76, 169 - 70.
—
Strafen für Ehebruch und andere sexuelle Vergehen. 145
derräter, die sich unter die sieben Todsünden nicht leicht einreihen
ließen. Und gerade die wegen dieser Sünden Verdammten nehmen
den größten Raum in seiner Höllenschilderung ein. Kuch ist seine
ßegründung und Entwicklung der Sündenkategorien im elften Gesange
der hölle eine andere als im siebzehnten des Fegfeuers.
Eine besondere Kategorie der Wollustsünden bildet der Ehe—
rusch.
Schon im Rigveda (IV. 50) werden Ehebrecherinnen und Schänder
don Jungfrauen zu einem nicht genau angegebenen Strafort bestimmt.
Nach jüngern brahmanischen Höllenschilderungen wird EChebruch im
höllenbezirk Taptasurmi mit KAuspeitschung und Umarmung durch
glühende Metallstatuen verschiedenen Geschlechts bestraft. Nach
buddhistischer Schilderung werden Ehebrecher von Dornen zerrissen,
dchänder von Ehefrauen von riesigen Weibern mit glühenden, eisernen
Zähnen zermalmt und verzehrt.⸗
Nach Manus Gesetzen werden fleischliche Sünder überhaupt in
den höllen herumgeworfen, im Wald der schwertblättrigen Bäume
zerschnitten und verstümmelt, auf glühenden Sand gelegt, in Töpfen
gesotten, von Eulen verzehrt und dann als ekelhafte Tiere wieder—
geboren.?
Am häufigsten aber kommt die Bestrafung sexueller Sünden in
den persischen und christlichen Hhöllenschilderungen vor. Arda Viraf
sah eine Chebrecherin mit eisernem Kamm ihren Busen zerreißen,
andere sind an den Brüsten aufgehängt, Holzpflöcke werden ihnen
in die Augen getrieben, Frösche, Schlangen und Ungeziefer dringen
nn die innersten Teile ihres Körpers ein; wieder andere sind an den
düßen aufgehängt und werden von Tieren gebissen; Frauen, die
hren Gatten die eheliche Pflicht nicht leisteten und die ihnen davon—⸗
liefen, stehen auf den Köpfen, während Igel mit eisernen Stacheln
m ihre Körper ein- und ausgehen und Unrat in ihre Nasen dringt.
kine Chebrecherin und Kindesmörderin geht, vom Hagel geschlagen,
auf glühendem Metall, zerschneidet sich das Gesicht und ruft beständig
ach ihrem Kinde. Eine andere Kindesmörderin trägt einen Mühl—
tein auf dem Kopfe und gräbt die Erde mit ihren Brüsten. Eine
t Ausführlich und gründlich handelt über „Dantes Sündensystem“
ge Witte im 4. Bande des Jahrbuchs der deutschen Dante-Gesellschaft,
873403.
* Seer in Journal asiat. XX. 130, 207; Zimmer 419; Oldenberg 539.
Laws of Manu XII. 75, 76, 77; trans. Bühler.
Landau, Hölle und Fegfeuer.
46 Die Verdammten und ihre Strafen.
die ihr Kind verhungern ließ, frißt ihr eigenes Fleisch. Frauen, die
als Ammen dienten, während sie ihre eigenen Kinder verhungern
ließen, werden auf einer Bratpfanne geröstet und immerfort umge⸗
wendet. Einer Chebrecherin, die auch hexe gewesen ist, wird die
zunge abgeschnitten, die Augen werden ihr ausgerissen, während
zchlangen und Würmer ihr Gehirn fressen. Ein Frauenverführer wird
in einem eisernen Kessel gekocht, nur sein rechter Fuß steckt heraus,
weil er mit ihm Ungeziefer und schädliches Gewürm zertreten hat.
Frauenverführer, die auch Sodomiten waren, haben ekelhafte Urank⸗
heiten, Würmer in den Uugen, einen eisernen Dorn in der Zunge
und werden von Schlangen gebissen, oder eine Schlange dringt in
den After ein und kommt durch den Mund wieder heraus.
Nach dem Talmud werden Verführer von Frauen sowie die,
welche Andere beschimpfen, mit den schärfsten höllenqualen bestraft.
Nach jüngern jüdischen Höllenschilderungen sind Ehebrecher an ihren
Geschlechtsteilen aufgehängt, Frauen, die sich auf offenem Markt ent⸗
blößten, um, ihren Kindern die Brust reichend, Männer anzulocken
und zu verführen, sind an den haaren und Brüsten aufgehängt.“
Nach der Petrusapokalypse sitzen Chebrecherinnen und die, welche
ihre Frucht abgetrieben haben, in einem See von Blut und Unrat.
zodomiten und andere Unzüchtige werden von Felsen herabgestürzt.⸗
wieder heraufgetrieben und dann wieder herabgestürzt, ohne Rast
und ohne Ende. Chebrecher sind an den Füßen aufgehängt, mit den
Röpfen im Schlamm steckend.
Tötung des Embryo galt auch bei den Brahmanen als schwere
Sünde. Solche Wesen, glaubte man, wurden zu Vampyren, und wer
ihre verderbliche Tätigkeit verursachte, war besonders strenger sStrafe
wert.
Nach einer mittelalterlichen Esra⸗Pision werden Kindesmörderinnen
in einem Ofen gebraten oder hängen im Seuer, während Schlangen
an ihren Brüsten saugen. Nach einer mittelalterlichen version der
Paulus⸗Pision stehen sie, sowie ungetreue Frauen und unkeusche
Mädchen auf Feuersäulen, in feurigem Schwefel und Pech gehüllt
und werden von Schlangen, Drachen und Teufeln mit feurigen Hhörnern
2
Arda viraf Kap. 69, 24, 70, 64, 44, 50, 87, 90, 95, 81, 71, 19
Talmud bab. Baba Mezia 58b; Hölle und Paradies, bei Jelline
V. 51.
3 Oldenberg 569.
Strafen für sexuelle Vergehen.
147
gepeinigt.“ Der Mönch von CEvesham sah in der dritten und ärgsten
Abteilung des Purgatoriums die Sodomiten, ähnlich wie in der
brahmanischen Hölle, von schrecklichen, feurigen Ungeheuern in der—
selben Weise, wie sie im Leben den Rnaben es taten, mißbraucht,
bis sie ohnmächtig werden. Aus der Ohnmacht erwacht, erleiden sie
wieder dieselbe Mißhandlung, und so weiter.“
Sehr ausführlich und gräßlich wird in der Tundal-pision die
Bestrafung der sexuellen Sünden beschriebens: Sowohl Männer als
Frauen werden von Teufeln geschwängert und gebären unter furcht—
bdaren Qualen, durch Brust und Arme, Scheusale mit glühenden Köpfen,
charfen eisernen Schnäbeln und nach rückwärts gekrümmten Stacheln
an den Schweifen, mit denen sie die Gebärenden durchbohren und
zerreißen. Diese Qualen, „die selbst die Dämonen rühren müßten,
wenn sie einen Funken Mitleid hätten“, sagt der Schilderer, „treffen
borzüglich Mönche, Nonnen und andere Pfaffen, die Gott mit dem
geistlichen Habit zu täuschen vermeinten“.
Geistliche und die von ihnen geschändeten Weiber im Feuerflusse
an pfähle gebunden und von Dämonen an den Geschlechtsteilen mit
Kuten gezüchtigt, sieht auch der Mönch Wetti in seiner vVision.
Unter ihnen auch einen Kaiser — Karl den Großen, zehn Jahre
nach seinem Tode —, den Tiere an den schuldigen Gliedern beißen.
lach der Pision des Alberich stecken Chebrecher im Eise mehr oder
minder tief, je nach dem Grade ihrer Versündigung, Ehebrecherinnen
hängen an den Haaren über heftigem Feuer.
Bei Dante ist die Bestrafung der Liebessünder eine verhältnis-
mäßig milde. Sie werden im Finstern vom Sturme ewig, aber nicht
ununterbrochen herumgetrieben. Schlechter ergeht es den Sodomiten,
welche im Feuer herumlaufen müssen, den Kupplern und Verführern,
die von Daͤmonen gepeitscht werden.“
Sehr ausführlich werden in einem mohammedanischen Werke
nach dem Imam Taki die Leiden der Frauen in der hölle geschildert.
da ist jede Art von Unsittlichkeit oder Koketterie, jeder Ungehorsam
und jeder Leichtsinn mit besonderer Strafe bedacht.“
—
Bei Mussafia, in Sitzungsberichte Bd. 67, 5. 205; Brandes in Engl.
studien VII. 41. Dieterich Nekyia Kap. 5, 11.
Matthäus Paris, Historia major ad a. 1196, Condon 1684, 5. 156.
Bei Vincenz von Beauvais, Speculum hist. L. 27 c. 91.
hölle, Gesang V. XV. XVI.
3Mew S. 402 - 403.
148 Die Verdammten und ihre Strafen.
mörder und Räuber werden in der buddhistischen Hölle
Sangiva geprügelt und zerreißen einander mit eisernen nägeln. Doch
ist in bezug auf diese und andere Sünder zu bemerken, daß die
oerschiedenen buddhistischen Schriften nicht stets miteinander über⸗
einstimmen.
In der persischen Hölle fressen Hunde die heraushängenden Ein⸗
geweide einer Giftmischerin. Plutarchs Thespesios sah seinen eigenen
hater, welcher aus Habsucht seine Gastfreunde vergiftet hatte, mit
Narben und Wunden bedeckt, aus einem Abgrund der Hölle auf⸗
tauchen. Nach dem zweiten Sibnllenbuche werden die Giftmischer in
einem Feuerstrom von Dienern Gottes mit feurigen Geißeln gepeitscht
und im finstern Tartarus schrecklichen Tieren vorgeworfen, wo furcht⸗
barer Durst sie quälen wird.! Auch nach der Petrusapokalypse werden
die Mörder von wilden Tieren gebissen. Nach der Vision Tundals
werden sie in stinkendem Kohlenfeuer geschmolzen, so daß sie wie
Wachs triefen.
Die Cingeborenen der Pfingstinsel (Mmelanesier) lassen die Mörder
im Jenseits von den Ermordeten bestrafen.“
Nach Rabbi Josua müssen Räuber in harte Kiesel beißen, wobei
sie ihre Zähne zerbrechen, mit denen sie geraubtes Gut gekaut haben.
Denn es steht geschrieben, Psalm III. 8, „die Zähne der Frevler zer⸗
brichst du, Ewiger!““ Nach dem Midrasch Konen müssen Räuber,
diebe und Ausbeuter von Urbeitern eine Ert von Danaidenarbeit
berrichten: Ohne Unterlaß graben sie in der dritten Abteilung Gruben
aus und füllen sie wieder zu.“
Aeneas findet in der Unterwelt auch Selbstmörder, die aber
keine besondere Strafe erleiden. Nur die mohammedanische Tradition
weist ihnen eine, der von ihnen gewählten Todesart entsprechende
Höllenstrafe zu: Wer sich durch herabstürzen von einem Felsen
tötete, brennt im ewigen Feuer, wo er immerfort gestürzt wird⸗
wer sich vergiftete, muß im höllenfeuer das Giftfläschchen in der Hand
haben und daraus schlürfen; wer sich erstach, muß sich immer und
zwig mit dem Stahl den Bauch aufreißen.
In Dantes hölle (Ges. 13) sind die Selbstmörder in Dorngesträuche
berwandelt, von deren Blättern harpyen. sich nähren.
hHennecke, Neutestamentliche Apokryphen 342.
Steinmetz S. 603.
Traktat vom Gehinom, bei Jellinek II. 148.
Jellinek, Bet-ha⸗Midr. II. 30.
Aeneis VI. 435 ff.; Bochari in Fundgruben J. S. 306, Nr. 609.
2
Strafen für Selbstmörder, Diebe, falsche Seugen, Meineidige, Lügner. 149
neroe — ——
Von Bestrafung der Diebe ist selten die Rede. Arda Viraf sah
zwar eine Frau, die ihren eigenen Unrat fraß, weil sie ihren Mann
—XD
das Gestohlene ihrem Liebhaber gab. Wenn Vanni Succi im 24. Ge—
ange von Dantes hölle von einer Schlange gebissen zu Asche wird,
dann seine frühere Gestalt wiedergewinnt, um aufs neue gebissen zu
verden, so wird er härter als seine Höllengenossen bestraft, weil er
Kirchen dieb war.
Nach dem Solarlied (V. 63) müssen Diebe schwere Lasten von
blei schleppen, nach der Vision Tundals das gestohlene Gut über die
chmale, gefährliche Höllenbrücke tragen.
Nach Manus Gesetz (XII. 60) wird der, welcher Edelsteine, Perlen,
kKorallen u. dergl. stiehlt, als Vogel wiedergeboren.
Den Dieben nahe stehen Fälscher, falsche Seugen,
dügner, Verleumder und Meineidige. Verleumdern
wird nach dem Markandeya Purana der Rücken von Wölfen zer—
rissen.1
Nach Arda Viraf werden Meineidige von Würmern benagt;
nach jüdischen Höllenschilderungen sind falsche Zeugen und Verleumder
mit feurigen Ketten an Zungen, Ohren und andern Körperteilen
aufgehängt und werden von riesigen Würmern gebissen.?
Nach Arda Viraf werden Verleumder und falsche Seugen abwech—
selnd mit hitze und Rälte, hagel und Kegen geplagt, ihre Zungen
von Schlangen gebissen. CLügnern wird die Zunge von Würmern
zernagt oder ausgeschnitten. In der „brüllenden hölle“ der Inder
werden die Lügner auf glühenden Kohlen geröstet, oder, nach dem
Kandschur, mit Messern und ürxten zerhauen und trinken ihr eigenes
Blut. Nach der Höllenfahrt der hl. Jungfrau sind Lügnerinnen und
horcherinnen an den Zähnen aufgehängt; nach dem Solarlied hacken
ihnen Raben die Augen aus.“
Nach Sure 104 des Koran werden Verleumder in den höllen—
abgrund gestürzt, wo sie verbrannt und zerstückelt werden.
Wenn uns die Strafe, beständig Staub und Asche zu messen, die
Arda Viraf in Kap. 27 die Fälscher von Maß und Gewicht leiden
Scherman S. 43, Seer, Journal as. XX. 192.
Midrasch Konen, bei Jellinek a. a. O., Gaster a. a. O. 581, EArda
diraf Kap. 46.
3 Arda Viraf KRap. 55, 66, 33, 90, 91; Scherman s. 33; Edda V. 67,
bei Simrock 8. 364; Gaster, Ilchester lectures S. 61.
150
Die Verdammten und ihre Strafen.
läßt, zu gering erscheint, so beruhigt er in Kap. 80 unser verletztes
Berechtigkeitsgefühl, indem er einen dieser Gilde, an den Füßen auf⸗
gehängt, Unrat und Blut trinkend darstellt. Exkremente und Has
fressen dagegen, nach Kap. 49, betrügerische Candvermesser, während
sie von Dämonen mit Steinen beworfen werden. Ein Mann, der
Grenzsteine verrückte, muß immerfort graben, während Dämonen
schlangen auf ihn werfen. Fälscher und Brecher von Verträgen
verden mit spitzigen Pfeilen gestochen oder verzehren ihr eigenes
Fleisch, das ihnen mit eisernen Hacken entrissen wird.
Mohammed verdammt wohl in Sure 80 die Fälscher zur Hölle,
zibt aber keine bestimmte Strafe an. Nach der Vision des Mönchs
von Cvesham steckt ein betrügerischer Goldschmied in einem Haufen
glühender Münzen, die er verschlucken muß.
Dante läßt (in Gesang 29 und 30) Salschmünzer und andere
Betrüger an ekelhaften Hautkrankheiten leiden und einander beständig
kratzen oder von Wassersucht und beständigem Durst geplagt werden.
Nach der Pision des hl. Franziskus von Rom (t 1440) stecken
Weinpantscher in Fässern voll Cis und trinken brennenden Alkohol.“
Ein ungerechter, bestechlicher Kichter frißt, nach Arda Viraf, das
GHehirn seines eigenen Kindes, ein zweiter hängt ohne Augen und
zunge auf einem Baum und wird mit eisernen Gabeln gestochen.
Hach Virgil wird auch der an einem Schutzbefohlenen verübte
Betrug in der Unterwelt bestraft, was fast wörtlich dem Zwölftafel⸗
gesetz entspricht.“
Amtsmißbrauch und ämterverkauf werden im 21. und 22. Gesang
von Dantes Hölle mit Stecken in heißem Pech und hin- und Herwerfen
durch Teufel bestraft.
Heuchler und Scheinheilige, besonders Brahmanen, „die
wie Katzen handeln“, sich äußerlich demütig zeigen und im herzen
grausam sind, verdammt Manu (IV. 196/7) zur Hölle, ohne nähere
ängabe der Strafe. Sonst finden wir Bestrafung dieser Sünde fast
zur im Talmud und in der Göttlichen Komödie. Nach Talmud Jerus.
Chagiga II. 1 ist Mirjam, die Tochter des Eli, in der hölle an den
Brüsten aufgehängt, weil sie sich ihres Fastens rühmte, angab zwei
Mew S. 267.
⁊ Praus innexa clienti (Aeneis VI. 609) und Patronus si clienti fraudem
æcerit Sacer essto oder Diti patri sacer esto (Tab. VIII. 21). In diesem
Gesetz liegt doch wohl mehr als eine Androhung der Todesstrafe. s.
C. G. Bruns Fontes juris romani antiqui, 1879, 5. 71; Mommsen, Römische
Forschungen, Berlin 1864, J. 384.
Strafen für Stolze und hochmütige, Verräter, unehrliche Ratgeber. 151
Tage gefastet zu haben und sich nur einen der Nahrung enthalten
hatte. Wie Rabbi Jose b. Chanina sagte, waren die Türangeln der
hölle an ihren Ohren befestigt. Kabbi Eleasar sagte: Jeder Schmeichler
kommt in die Hölle, denn es steht geschrieben (Jesaias V. 20): „Wehe
denen, die das Böse gut nennen und das Gute bös“ und darauf
folgt: „Wie des Feuers Zunge die Stoppeln frißt und die Slamme
das heu wegrafft“. Nach dem Midrasch Ronen stecken die heuchler
in der tiefsten Hölle, in vollständiger Finsternis.“ Zu den Schein⸗
heiligen gehören vielleicht auch die sich die Zungen zerbeißenden
Pseudomärtyrer der Petrusapokalypse (c. 8), wenn sie nicht falsche
zeugen sind.
Bei Plutarch GWersp. Rache) werden die heuchler gezwungen, ihr
Inneres bloßzulegen, wobei sie sich wie geangelte Fische winden und
sich die Haut abreißen.
Bei Dante stecken die Schmeichler in stinkendem Vot und zer—
kratzen sich das Gesicht mit ihren dreckigen Nägeln. Die Heuchler
tragen schwere Kutten und Kaputzen von vergoldetem Blei und
schleichen weinend einher, noch in der hölle das scheinheilige Gebaren
fortsetzend.
Eine Art von heuchelei ist auch das Schminken, und daher sieht
Arda Viraf in der hölle Frauen, die Schminke gebrauchten und
falsches Haar trugen, Blut aus ihren Singern saugen, während Würmer
in ihren Augen nisten.
Den Gegensatz zu den Schmeichlern bilden die Stolzen und
hochmütigen. Bei Dante finden sie sich nur im zehnten Gesange
des Fegfeuers unter gewaltigen Lasten gebückt einherschleichend. Im
Calendrier des bergers sind sie an Rädern befestigt und werden be—
ständig herumgewirbelt. Nach Thurcills Vision müssen sie zur Unter⸗
haltung der Teufel tanzen und werden von ihnen dabei schrecklich
gequält. Nach William Stauntons Vision in der Patrikshöhle (1409)
werden ihnen ihre schönen Kleider vom Leibe gerissen, ihre Juwelen
und Stickereien in Kröten, Nattern und Vipern, von denen sie ge—
stochen und gebissen werden, verwandelt, Schmuck und Cdelsteine
werden ihnen in den Schädel hineingetrieben.“
Hach dem Markandeya Purana wird Störung der Cintracht
inter Verwandten durch Aufschlitzen mittelst einer Säge bestraft.“
— —
Talmud bab. Sotah 41b. Jellinek II. S. 30.
hölle XVIII. und XXIII.
Wright 8. 183, Mew S. 256. — * Scherman S. 43.
152
Die Verdammten und ihre Strafen.
vVerräter, ZSwietrachtstifter und unehrliche Rat—
geber stecken nach der Tnugdal-Pision in einer Schlucht zwischen
stinkendem Schwefelfeuer, Hagel, Cis und Sturmwind und werden
von Teufeln mit glühenden Gabeln vom Feuer ins Cis und vom Eis
ins Feuer geworfen. In der von Wilhelm von Malmesbury mit—⸗
geteilten Vision Kaiser Karls erscheinen Bischöfe, welche zwischen
Monarchen 3wietracht stifteten, in Gruben voll von feurigem Schwefel,
Blei, Pech und siedendem Äl; Magnaten, welche dem Rönige absicht⸗
lich schlechten Rat gaben, stecken in Kesseln mit siedendem Pech,
Sschwefel, Drachen und Skorpionen.! In der Höllenfahrt der hl.
Jungfrau hängen Männer, welche zwischen andern Feindschaft stifteten,
mit den Zungen auf Baumzweigen.
Im 28. Gesange von Dantes Hölle sind die S3wietrachtstifter in
Familie, Staat und Kirche in scheußlicher Weise verstümmelt. Die
ingeweide hängen ihnen heraus und sie werden fortwährend von
Teufeln gehauen und gestochen. Einer der Verdammten Gertrand
de Born) trägt seinen abgehauenen Kopf an den Haaren „wie eine
Caterne“.
Die schwersten Strafen treffen in Dantes hölle (Gesang 32 und
33) die Verräter. Im untersten Kreise stecken Judas, Brutus,
Cassius, sowie Politiker und Parteimänner, Seitgenossen des Dichters,
in ewigem Eis, so daß ihnen die Tränen an den Augenliedern er⸗
frieren. Und der mit seinen Kindern im Gefängnis verhungerte Graf
Ugolino nagt am Schädel seines Feindes, des Erzbischofs Roger. Es
erinnert dies an die Sornigen, die in Plutarchs „später Rache der
Gottheit“ einander fressen. Und auch im siebenten Gesange von
Dantes Hölle, wo sie im schmutzigen Sumpfe stecken, schlagen sie
einander mit Köpfen und Füßen, zerfleischen sich mit den Zähnen,
zewissermaßen ihr irdisches Tun fortsetzend.
Auch Grausamkeit und Ungerechtigkeit der
herrscher werden in der Hhölle bestraft: Der boshafte, unehrliche
houverneur einer Stadt ist, nach Arda Viraf 67. an den Beinen auf⸗
zehängt und zerschneidet sich selbst Brust und Arme, während ein
eiserner Stachel ihm ins Auge gestoßen wird. Ein grausamer Tyrann
wird (Kap. 28) von 50 Dämonen gegeißelt.
Nach dem henochbuche werden nach dem Jüngsten Gericht
Engel die Könige, mit schweren Eisenketten gefesselt, in den Abgrund,
dann in den brennenden Feuerofen werfen, zur Strafe für ihre Un⸗
Wright S. 20, 21; Wagner, Visio Tnugdali s. 14.
Strafen für Grausame und Tyrannen, Rebellen. 153
gerechtigkeit, weil sie dem Satan dienten, die Kinder und Auserwählten
Gottes mißhandelten. Die Petrus-Apokalypse läßt die, welche die
Berechtigkeit verdrehten, in einem See von brennendem Schlamm
von Engeln gefoltert werden; die, welche die Gerechten verfolgt
oder sie verraten haben, stehen bis zur Mitte des Leibes in Flammen,
werden von Dämonen gegeißelt, während Würmer ihre Eingeweide
derzehren.“
Nach einer mittelalterlichen Esra-Pision sitzt Hherodes auf einem
feurigen Thron und um ihn stehen seine Minister in Feuer gehüllt.
Die ungerechten Kichter werden mit glühendem Cisen und Blei be—
gossen, Tyrannen, welche freie Menschen zu Sklaven machten,. in
einem Ofen gebraten.“
Geistliche und weltliche Potentaten, welche ihre Macht miß⸗
brauchten, werden, nach der Tundal-Dision, vom Höllenfürsten selbst
zermalmt und verschluckt, Schädiger von Witwen und Waisen stehen,
nach der lateinischen Paulus-Pision, zwischen Eis und Feuer, so daß
ihre eine Seite brennt, während die andere erfriert. Nach der Al—
berich-Dision stechen die Protektoren gottloser Priester in einem Kessel
mit siedendem Blei, Eisen, Schwefel und Zinn. Thurcill sah bei seinem
höllenbesuche einen Reiter auf schwarzem Pferde, der, als er lebte,
ein Cord war und auf Anstiften seiner bösen Frau seine Untertanen
arg geplagt und ausgebeutet hatte und ohne Beichte gestorben ist.
Und das schwarze Pferd war eben seine Frau.
Dante läßt im 12. Gesange Tyrannen und Grausame in einem
Blutsee waten und von Centauren mit Pfeilen beschossen werden.
Dies erinnert an die Sünder, welche nach der Alberich-Pision auf
einer weiten, dornigen heide von einem auf einem Drachen reitenden
Teufel gejagt werden, wobei ihre Glieder von Dornen zerrissen
werden.
CEin König, der Steuern, Zölle und Geldbußen einhebt, aber seine
Untertanen nicht beschützt, kommt nach Manu (VIII. 307) in die hölle.
An Empörung der Untertanen scheint der indische Gesetzgeber
nicht gedacht zu haben. Dagegen berichtet Arda Viraf (Kap. 99), daß
Kebellen mit hölzernen Pflöcken durchbohrt und mit eisernem
‚triegel bearbeitet werden. Sonst berichtet nur eine jüdische Höllen⸗
schilderung von der Bestafung solcher Sünder:
Kautzsch II. 2060, 272; Dieterich Nekyia Kap. 2 und 6, S. 5, 7.
Mussafia a. a. O. 205. S. auch Virgil, Aeneis VI. 620 ff.
z Bei A. Wagner S. 38, Brandes S. 45, Wright s. 42—43, 119.
154
Die Verdammten und ihre Strafen.
Nach dem Midrasch Konen wird Korah mit seiner Rotte „wie
Fleisch in einem Topf“ gekocht, dann eine Seitlang mit Feuerstäben
geschlagen, schließlich aber milder behandelt. Absalom steckt zwar
in der Hhölle und fungiert sogar als Aufseher einer Abteilung, be⸗
zommt aber, aus Rücksicht auf seinen Vater, keine Schläge und wird
später ganz erlöst.
Söhne, die ihre Eltern schlecht behandeln, werden in der Hölle
der Buddhisten zersägt und ihre Wunden werden von einem giftigen
Wind schmerzhafter gemacht. Beleidigern von Eltern oder Lehrern
bersten die Knochen von der hitze des Höllenfeuers. In der Hölle
der Perser stecken Kinder, die ihre Eltern gequält haben, im Kote,
werden mit Sicheln geschnitten und rufen beständig nach ihren
Eltern.?
Nach der Esra⸗Pision werden Kinder, die ihre Eltern geschlagen
haben, in feurigem Ofen gebraten. Nach dem hebräischen Traktat
von der hölle werden Eltern, die ihre Kinder schlecht erzogen haben,
dort von diesen geschlagen, die Kinder, welche die guten Lehren ihrer
Eltern nicht befolgt haben, bekommen in deren Beisein auch die ver⸗
dienten Prügel.“
Auch in William Stauntons Schilderung seines Besuches der
Patrikshöhle werden Eltern, die ihre Kinder schlecht erzogen haben,
von diesen mit Feuerbränden geschlagen.“
Gräßlich schildert ein schottischer Geistlicher, wie sich die Folgen
schlechter Erziehung in der hölle zeigen: „Kinder und Dienstboten,
die schaarenweis in den Abgrund sinken, fluchen ihren Eltern und
ihren Herren, die sie dazu gebracht haben“. Und diese Eltern und
hausherren stürzen ebenfalls kopfüber in die ewige Pein, weil sie
nicht bloß ihre eigene Seele getötet haben, sondern auch an der Ver—
dammung ihrer Kinder und ihres Gesindes mitschuldig sind. „Wie
schrecklich werden sie miteinander Abrechnung halten! Kinder und
Diener werden den Eltern und herren zurufen: Ihr seid schuldig,
euer böses Beispiel und eure Nachlässigkeit haben uns zum höllischen
Abgrund gebracht. Und wie herzzerreißend wird das Klagegeschrei
der Eltern ertönen! Wir verschuldeten euere Verdammung, wir
haben unsere Kinder, unsere Diener zur Verdammung gebracht. wir
4
tBei Jellinek II. S. 30.
Feer a. a. O. 192, 195; Arda Viraf Kap. 65.
Bei Jellinek J. 152; Mussafia S. 205.
Mew S. 257.
Strafen für Tierquäler und Habsüchtige.
155
haben sie gekleidet und gespeist, aber ihre Seelen ruiniert, und uns selbst
zweifache Verdammnis geschaffen.““
Nach Alberichs Vision sind Frauen, die gegen Kinder unbarm⸗
herzig waren, an ihren Brüsten auf spitzigen Zweigen aufgespießt und
werden von giftigen Schlangen gebissen.
Unbarmherzigkeit gegen Tiere wird nur nach indischem
und persischem Glauben und schwerer noch nach letzterm in der Hölle
bestraft. Nach dem Markandeya Puräana verbringt ein Brahmanen⸗
sohn, der einmal Kühe am Trinken gehindert hat, hundert Jahre in
Feuer und Schlamm, wo die Sünder von brennendem Durst gequält, von
Dögeln mit eisernen Schnäbeln gehackt werden. In der buddhistischen
hölle werden Jagdliebhaber von hunden mit eisernen Zähnen zerrissen.“
Der hund wird im persischen Glauben sehr hoch geschätzt. Ven—
didad enthält eine Menge Verordnungen zum Schutze der hunde, be⸗
stimmt sehr hohe irdische Strafen für Tötung oder Verletzung von
hunden und schildert die Bestrafung eines Hundemörders im Jen—
seits.“ Arda vViraf sieht Tierquäler unaufhörlich von hunden gebissen,
Glieder werden ihnen gebrochen, sie hängen, ein Messer ins Herz ge—
steckt, mit den Köpfen nach unten. An den Süßen aufgehängt, den
Kopf in geschmolzenem Erz, den übrigen Körper voll Wunden sind
die, welche ihr Vieh überarbeiteten und Hunger leiden ließen. Wer
dem vieh beim Pflügen (soll wohl heißen Dreschen) das Maul ver—⸗
bunden und kein Wasser gegeben hat, wird von Rindvieh getreten,
mit den Hörnern gespießt und die Unochen werden ihm gebrochen.
Dagegen ist der rechte Fuß eines für andere Sünden von Würmern
Gebissenen unversehrt, weil er mit ihm einem Ochsen ein Bündel
heu zugeschoben hat.“
Wer seinen Arbeitern ihren Lohn vorenthielt, muß in der Hölle
Menschenfleisch essen oder leidet Durst, Hunger und Kälte und wird
don Würmern gebissen. Habsüchtige werden von tausend Dämonen
getreten und herumgeschleudert. Wer ungastfreundlich war, leidet
von Rauch, hitze und kaltem Wind.
—
1Haliburton, Das große Werk des Heils, bei H. T. Buckle, History
of civilisation in England ch. 19 V. s. 117.
»Scherman 8. 38; Feer s. 192. Doch heißt es auch im slavischen
henochbuche, daß die Seele jedes Tieres den Menschen, der es schlecht
gefüttert hat, verklagen wird.
Oendidad Fargad XIII., bei Darmesteter II. 192 ff.
Arda viraf Rap. 48, 30, 74, 75, 77, 32.
»ihb. Kap. 89, 93, 31, 39.
156 Die Verdammten und ihre Strafen.
Wer Angehörige, Diener und Gäste darben ließ, muß nach brah—⸗
manischem Glauben glühende Rohlen oder das eigene Fleisch, das ihm
die höllenschergen aus dem Leib reißen und in den Mund stecken,
verzehren.“
Nach Plutarchs „Späte Kache der Götter“ gibt es in der Unter⸗
welt drei Seen, einen von glühendem Gold, einen von eiskaltem Blei
und einen von hartem Eisen, in denen die unehrlichen Geizigen
schrecklich gepeinigt werden. Sie werden von Dämonen, wie von
Sschmieden, bearbeitet, von dem glühenden See in den eiskalten ge⸗
worfen, leiden äußerste Hitze und Rälte, werden im Eisensee zer⸗
schmettert und zerrieben. Am schlimmsten ergeht es Jenen, welche,
glaubend ihre Strafe schon überstanden zu haben, zu entfliehen suchen,
sie werden von den Dämonen ergriffen und ihre Pein beginnt von
neuem.“ Andere Sünder werden wie von einem Bienenschwarm von
denjenigen verfolgt, die durch sie gelitten haben, oder zu Tieren um⸗
gearbeitet, von Dämonen dazu hergerichtet, verstümmelt, ihre Glieder
verrenkt, um sie dem Tierkörper anzupassen.
Nach der höllenfahrt der hl. Jungfrau sind die Habsüchtigen an
den Füßen aufgehängt und werden von Würmern benagt. Nach der
Petrus⸗Apokalypse wälzen sich Keiche, welche mit den Armen kein
Mitleid hatten, in schmutzigen Lumpen gehüllt, auf scharfspitzigen, glü⸗
henden Steinen, und Wucherer stecken in einem See von Eiter, Blut
und heißem Schlamm.
Etwas besser geht es, nach der Tundal-Pision, denen, welche keine
Almosen gaben. Sie leiden nur ein paar Jahre hunger und Durst,
werden von Regen und Wind geplagt, gelangen aber dann, wenn
sie sonst brave Leute waren, in den Himmel. Dagegen werden die
Geizigen in den Bauch eines schrecklichen Ungeheuers hineingestoßen,
wo sie von Schlangen und Gewürm, von Dämonen, KRälte, Hitze und
Hestank viel zu leiden haben.
Nach mohammedanischer Tradition werden den Reichen, welche
keine Almosen gaben, glühende Gold- und Silberplatten auf Stirn
und Rücken gelegt und bei der Auferstehung werden ihre Reich—
tümer in Gestalt einer Schlange sie umschlingen und beißen. Denen,
welche sich das Vermögen von Waisen angeeignet haben, wird von
Engeln Feuer in den Mund gegossen. Wucherer tragen schwer an der
Tast ihres Bauches und werden morgens und abends dem Feuer aus⸗
J
scherman S. 43.
äühnlich Dante, Hölle XXI. 46 -56.
Strafen für Wucherer, Mitleidlose und Unreinliche. 157
gesetzt! Dante läßt die Wucherer im siebenten Höllenkreise mit
ihren, wohl schon leeren, aber mit ihren Wappen gezierten, Geld⸗
beuteln auf glühendem Boden sitzen und von heißen Dämpfen geplagt
werden. Etwas leidlicher ergeht es bei ihm im vierten Kreise den
Heizigen und den in andern höllenschilderungen nicht vorkommenden
herschwendern. Sie beschimpfen sich gegenseitig, während sie mit den
Brüsten schwere Lasten vor sich herschieben.
Einen großen RKaum nehmen in den indischen, einen noch grö⸗
zeren in den persischen Höllenschilderungen die mitunter furchtbaren
Strafen für Unreinlichkeit und für Verunreinigung heiliger Personen
und Sachen ein. Damit ist aber nicht Unreinlichkeit im modernen euro⸗
päischen Sinne gemeint, sondern was von religiösen Vorschriften als
solche erklärt wird. Und sie treffen hauptsächlich die Frauen: Wer
mit seinen Händen, ohne nach dem Essen die vorgeschriebene Reinigung
bollzogen zu haben, die (den Indern besonders heilige) Kuh, einen
Brahmanen oder das Seuer berührt, dessen hände werden, nach brah⸗
manischer Lehre, in feurige Töpfe gesteckt. Wer mit derselben Re⸗
pektlosigkeit Sonne, Mond und Sterne absichtlich anschaut, dem wird
Feuer ins Auge gelegt. Wer Personen, denen er CEhrerbietung
schuldet, Feuer oder Kühe mit dem Suße berührt hat, wird mit
glühenden Ketten gefesselt in einen brennenden Rohlenhaufen gestellt.
wie bei Ausstraliern, nordamerikanischen Indianern und anderen
Naturvölkern die Frau nach Menstruation und Rindbett als unrein
gilt, so gilt auch bei den chinesischen Buddhisten eine während der
ochwangerschaft oder im Kindbett gestorbene Frau als unrein und
bleibt so eine gewisse Seit lang. Maudgalyayayana, ein Schüler
Buddhas, fand bei seinem Besuche der Hölle seine Mutter mit zer⸗
zaustem haar in einem Blutteich; sie wurde mit eisernen Prügeln
geschlagen und gezwungen, dreimal täglich Blut zu trinken. Frauen,
erklärte ihm der Höllenfürst, verlieren bei der MNiederkunft viel Blut,
was die Erdgeister beleidigt und erzürnt. Auch tragen sie schmutzige
Kleider und verunreinigen die Flüsse, wenn sie selbe waschen; fromme
qute Menschen, die mit diesem Flußwasser ihren Tee kochen, verun⸗
reinigen sich durch Schuld der Frauen.
ühnlichen Glauben in bezug auf die Frauen finden wir bei den
Hersern. Arda Viraf sah bei seinem Höllenbesuche eine Frau, welche
Mew S. 389, 401. — 2 Scherman S. 42.
3 De Groot, in Actes du sixiéème Congrès internat. des Orientalistes,
dection IV. S. 108 -112, Cenden 1885.
58 Die Verdammten und ihre Strafen.
mit Rot gefüttert wurde, weil sie die Reinigungsvorschriften verletzt
hatte, eine andere wurde von Würmern gebissen, weil sie beim
Kämmen des Kopfes das Feuer durch hereinwerfen von haaren ver⸗
unreinigt hatte. Andere sah er ihr eigenes Blut trinken, ihre Brüste
mit den Zähnen zerreißen, auf glühendem Metall stehend von hunden
gebissen werden, weil sie frommen Männern Brot zu essen gaben,
das sie zur Zeit ihrer Unreinigkeit gebacken hatten, oder weil sie
mit ihrem Menstrualblut Wasser, Feuer, Tiere und Menschen verun⸗
reinigt hatten. Männer, welche andere oder Quellen und Ströme
berunreinigt hatten, mußten Abfälle und Exkremente essen und wurden
von Dämonen mit ärten und Steinen geschlagen. Andere, an den
Füßen aufgehängt, wurden von Schlangen und Skorpionen gebissen,
weil sie Feuer und Wasser verächtlich behandelt oder verunreinigt
hatten. Ein Mann, der mit einer unreinen Frau geschlechtlich ver—
kehrt hatte, mußte Exkremente und Menstrualblut verschlucken.“
Minutiöse Vorschriften über Reinheit und Unreinheit, besonders
der Frauen, finden sich auch im Alten Testament und im Talmud,
aber die jüdischen Höllenschilderungen sagen nichts von Strafen für
deren Verletzung.
In nichtchristlichen Höllenschilderungen kommt die Bestrafung von
5chlemmern und Fressern nicht vor, und auch in christlichen ist
sie sehr selten. Nach der Tundal-Pision stecken sie in einem glühenden
Hfen und leiden Hunger oder werden von den höllenschergen mit
glühenden Zangen gefaßt, ins Feuer geworfen und mit eisernen
hämmern geschmiedet, bis aus einigen hundert Seelen eine einzige
Masse wird.? In Dantes hölle (Ges. VI.) liegen die, welche die Tod—
sünde der Völlerei begangen haben, auf schlammigem Boden, dem
Regen, hagel und Schnee ausgesetzt, und werden, gegen alle mytho⸗
logische Tradition, von Cerberus gekratzt, geschunden und in Stücke
zerrissen. Auf der sechsten Terrasse des Purgatoriums wandern solche
Zünder, bleich und abgemagert, mit tiefliegenden Augen, Hunger und
Durst leidend, herum.
Bei unserer Aneinanderreihung der Strafen nach den Sünder⸗
gattungen konnte der Stoff nicht ganz erschöpft werden, da die
Quellen manchmal die Schilderung von Strafen enthalten, ohne die
zsünden oder Vergehungen anzugeben, deren Folge sie sind. Und es
sind manchmal gerade die raffiniertesten Peinigungen, deren Ursache
Arda Viraf Kap. 34, 74, 76, 41, 58, 98, 22, 37.
Bei Wagner S. 23, 31.
Strafen der Prétas und chinesische Strafen. 159
uns unbekannt bleibt. So ist z3. B. nicht klar, wofür die bei den
nördlichen Buddhisten Prétas genannten abgeschiedenen Seelen, deren
gewöhnlichen Strafort man nicht einmal genau kennt, so hart bestraft
werden. Doch glauben manche, daß ihre Sünde in Mangel an Frei⸗
gebigkeit gegen die Geistlichkeit bestand. Sie erscheinen als Unge⸗
heuer von riesigem Wuchse mit dichem VKopfe, ungeheurem Bauche,
verdorrten, skelettartigen Gliedern, behaartem Gesicht, struppigem
haar, mit Mund und Schlund so eng wie ein Nadelöhr, bald schwarz,
bald totengelb oder blau, von Schmutz und Aussatz starrend, und
werden unaufhörlich von wütendem hunger und Durst herumgetrieben.
Das Wort Wasser hören sie in hunderttausend Jahren kaum einmal,
und finden sie es endlich, so verwandelt es sich in Jauche oder Urin.
Tinige verschlingen Feuerfunken, andere versuchen Leichname oder ihr
eigenes Fleisch zu essen, können aber wegen der Enge von Mund
und Schlund nichts herunterbringen.“
benso unbekannt ist mir die Sünde, welche in der Maha Raurava
genannten Abteilung der indischen hölle gebüßt wird. Da werden
die Verdammten auf glühendem Boden herumgewälzt, von Raben,
Wölfen, Skorpionen und anderm Getier gebissen und gehackt. In
einer andern Abteilung bringen Kälte und Schnee die Knochen zum
zerspringen, so daß Mark und Blut herausfließen und die Gepei—⸗
nigten vor hunger einander die Wunden lecken, oder schreckliche Hunde
reißen ihnen Fleischstücke heraus.
Nach einem chinesisch-buddhistischen mit Abbildungen gezierten
Trbauungsbuche finden sich in der hölle auch die um den hals ge⸗
legten schweren holzringe, wie sie in der irdischen Justiz der Chinesen
verwendet werden; ferner das Abreißen der Nägel an Fingern und
Zehen, Zerschneiden der Muskeln usw. In andern chinesischen Höllen⸗
schilderungen finden wir: Annageln des ganzen Körpers mit 500
Nägeln, Wälder von Schwertern und Lanzen, welche die Sünder durch⸗
laufen müssen, Absägen der Köpfe, Frierende, die weder Zunge noch
Tippen bewegen können, mit glühendem Kot gefüllte eiserne Kugeln,
welche verschluckt werden müssen. ähnliches findet sich auch in der
an schrecklichen Höllenstrafen reichen Vision des Eremiten —X
ãgyptische Höllenschilderungen berichten von Toten, die ohne
Kopf einherschreiten und das Herz auf dem Boden nachschleppen, oder
Köppen I. S. 245.
Feer, S. 114115; Scherman s. 35; Gubernatis, Dante S. 546.
3Mew S. 57, 67; Foe-Kueki s. 2960- 300, Edelestand du Meril
sS. 2172230.
2
160
Die Verdammten und ihre Strafen.
einander die Vöpfe einschlagen, jüdische von solchen, die ihr eigenes
Fleisch oder glühende Kohlen essen.!
agyptischen Ursprungs ist auch eine in Hyvernats Les actes des
nartyrs de l'Egypte enthaltene Schilderung von höllenqualen?: Dä⸗
monen mit Köpfen von Löwen, Schlangen und Krokodilen reißen
die Seele aus dem Leibe und werfen sie in den 400 Ellen tiefen
Feuerabgrund, dann wird sie in den Ort der Sinsternis geworfen,
wo dem Wurm mit Krokodilskopf, „der nie schläft“, von Schlangen
die Seelen vorgeworfen werden.s Wenn sein Mund voll wird, läßt
er auch diesen Lieferanten einige Bissen zukommen.
Nach der von Vincenz von Beauvais mitgeteilten Vision eines
gewissen Wilhelm werden Sünder in Kesseln gekocht, bis sie zur
Hröße neugeborener Kinder zusammenschrumpfen, herausgenommen
erlangen sie wieder ihre frühere Größe, um dann wieder klein⸗
zekocht zu werden. Und diese Qual wiederholt sich ohne Ende.“
Nach Abdallah ibn Hharith hat Mohammed gesagt, es gebe in der
hölle Schlangen so groß wie Kamele und Skorpione wie Maultiere.
Wer von einem solchen Tiere gebissen wird, fühlt den Schmerz vierzig
Jahre.*
Auch kommt, was leicht begreiflich ist, den hHöllenbewohnern
überhaupt die dort verbrachte Zeit sehr lang vor. Arda Viraf sagt:
wer einen Tag in der hölle zubringt, glaubt, er befindet sich dort
ichon 9000 Jahre. Ein vom Märtyrer Georg von Kappadozien Auf—⸗
erweckter sagte, er habe in sechs Stunden in der Hölle mehr gelitten
als in seinem ganzen Leben.
Eine oft vorkommende Strafe ist das Abwechseln von sehr großer
hitze und Kälte. Einige Beispiele sind schon davon gegeben worden.
Wir finden sie noch, ohne nähere Angabe der davon getroffenen
sünder, in dem Traktat vom Gehinom und im Jalkut Schimeoni zu
Psalm 40, bei Cäsarius von heisterbach (Dist. XII. Kap. 23), in den
Disionen des Mönchs von Ensham, des Othlo von Friesingen und
des Tundal.
In bezug hierauf sind, wie Bautz mitteilt, die Theologen nicht
einig. Denn manche glauben, daß keine Abwechslung stattfindet und
Egypte ancienne par Champollion Figeac 132, Wallis Budge, The
gods 2655; Jellinek J. 148.
Bei Wallis Budge, The Gods 268.
Vergl. Ev. Markus IX. 45.
Speculum historiale L. 27, c. 85.
Taylor S. 104.
Hitze und Kälte. Strafen bei Griechen und Römern. 161
„daß die Verdammten je nach Beschaffenheit ihrer Sünden entweder
ausschließlich durch Hitze oder ausschließlich durch Kälte gepeinigt
werden“. Er selbst schließt sich der Meinung der letztern an, da
„die gleichzeitige Anwesenheit grimmiger Kälte am Orte des ewigen
Feuers doch gar zu wunderbar und unbegreiflich erscheinen
will“.
Größere Schwierigkeit macht ihm die Finsternis in der Hölle,
trotz des beständig dort brennenden ungeheuren Feuers, aber er findet
die beste Erklärung in Papst Gregors Kommentar zu hiob: Das
höllenfeuer brennt und glüht, leuchtet aber nicht oder nur sehr
schwach.
Bei Hiob (X. 22) wird die Unterwelt geschildert als „ein Land,
verschleiert wie das Dunkel; Todesschatten ohne Ordnung, wo es
wie das Dunkel leuchtet“. Und auch bei Milton heißt es: No light
but rather darkness visible.
Gräßliche Schilderungen der höllenqualen aus den Schriften und
Predigten schottischer Geistlicher teilt H. Th. Buckle im 19. Rapitel
seiner „Geschichte der Sivilisation in England“ mit.
Nach dem Talmud bab. (Sabbath 152b.) hat Kabbi Eleasar ge—
sagt, daß an beiden Enden der Welt zwei Engel stehen, die einander
die Sünderseelen zuwerfen. Merkwürdig ist es aber, daß wir in
jüdischen Höllenschilderungen auch die anscheinend der griechischen
Mythologie angehörenden Spezialstrafen finden. So müssen Neidische
nach dem Traktat vom Grabe des Rabbi Eleasar? in Krüge Wasser
schöpfen und in eine Zisterne gießen, die nie voll wird. Im Jerus.
Talmud (Chagiga II. 1) wird ein Sünder (Söllner!) erwähnt, der
aach der Vision eines frommen Mannes aus einem Slusse trinken
will und das Wasser nicht erreichen kann.
Auch in den griechischen und römischen Unterweltsschilderungen
fehlt es nicht an gräßlichen, mitunter recht sonderbaren Strafen. Und
wenn Virgil die Sibylle sagen läßt: „hätte ich auch hundert Sungen,
hundert Münde und eiserne Stimmen, ich könnte doch nie alle Strafen
(der Unterwelt) aufzählen“, so waren ihm solche wohl aus dem Volks⸗
glauben oder älteren schriftlichen Quellen bekannt. Aber er hat
sie, wahrscheinlich aus ästhetischen Rücksichten, in sein Epos nicht auf—
genommen. So besitzen wir denn auch keine vollständige Kenntnis
des klassisch-antiken unterweltlichen Strafsystems, und noch weniger
—
Die Hõölle S. 230, 234 - 236.
2 Bei Jellinek V. S. 50.
Landau, Hölle und Fegfeuer.
162 Die Verdammten und ihre Strafen.
läßt sich eine chronologische Darstellung desselben geben. Im allge⸗
meinen läßt sich sagen, daß das Verhältnis der Strafen zu den
ssünden und Vergehen hier weniger klar und bestimmt wahrzu—
nehmen ist als bei manchen andern Völkern. Die Griechen und
Kömer kennen keine genau abgegrenzte Gattungen von Sünden und
keine Höllenabteilungen. Selbst die Strafe Leidenden sind von den
Seligen und Heroen nicht scharf geschieden, bei Virgil mehr nach
der Todesart und dem Stande im Leben als nach moralischen Qua—
litäten.
Die Strafen sind im allgemeinen milder als in den Jenseits
schilderungen anderer Völker. Wenn aber Cukian, in der „höllen⸗
fahrt“, den Menippus erzählen läßt vom Klatschen der Geißeln, dem
Gewinsel der Unglücklichen, die im Feuer geröstet werden, vom Klirren
der Ketten und Räder, wenn er die Toten von Kerberos und der
Chimära zerreißen läßt, so kann er damit wohl nur zu seiner Zeit
weitverbreitete Höllenschilderungen persifliert haben.
Auch der Aufenthaltsort der heroen und der Frommen ist ein
trauriger, düsterer. „Lieber ja wollt' ich das Feld als Taglöhner
bestellen einem Manne, der ohne eigenes Erbe in Dürftigkeit lebte,
als die sämtliche Schar der Toten beherrschen“, sagt Achilles in
der Odyssee. Und „da unten gibt es keine Ernte, keine Weinlese,
nur der schreckliche Cerberus und der häßliche Fährmann des Stix“
zeißt es bei Tibull (s. 10 V. 35). Grausame Strafen finden wir aber
schon bei Plato und später bei Plutarch.
Heiterer, vornehmer und schärfer von den Schlechten geschieden
als bei Homer erscheint der Zustand der Seligen — helden, fromme
Priester, Dichter und Sivilisatoren — im sechsten Gesange von Vir⸗
gils Aeneis und in dem unter seinem Namen gehenden humoristischen
Hedicht „Die Mücke“, in geringerm Grade auch schon bei den grie⸗
hischen Tragikern.
Aber abweichend von den Jenseitsschilderungen anderer Völker
erscheint in den griechisch-römischen eine RKeihe besonderer Versündi⸗
gungen einzelner Personen, hauptsächlich gegen die Götter, welche in
ganz eigentümlicher Weise bestraft werden.
Die 49 Töchter des Danaos, welche ihre Gatten in der
Brautnacht ermordet haben, müssen unaufhörlich mit löcherigen Ge⸗
fäßen Wasser schöpfen, so daß sie nie fertig werden. Sie kommen
in den homerischen Gedichten nicht vor und werden zuerst in dem
—EDD—
auch im Gorgias (493b.) gemeint. Etwas älter ist vielleicht deren
Die Danaiden, Oknos und Jrion.
iss
Darstellung auf tarentinischen Unterweltsvasen.“ Die „Schutzflehenden“
des Aeschylos haben nur ihre Vorgeschichte zum Inhalt, enthalten
aber nichts von Gattenmord und Strafe. Auch Apollodorus weiß
uchts vom Gattenmord, bringt aber doch die Töchter des Danaos
nit dem Wasserschöpfen aus einer Quelle in Verbindung. Und Hhy⸗
zinus gibt noch dazu die Namen der 50 Brautpaare an··..—
Pausanias erzählt (Il. 24, 3) den Mord, ohne die Strafe zu er⸗
wähnen, und scheint es auch, daß die Danaiden auf den von ihm ˖be⸗
chriebenen Unterweltsgemälde des Polygnotus zu Delphi nicht dar⸗
gestellt waren. Sonst werden sie noch von Tibull, Ovid, horaz und
deneca erwähnt.* F
Diodor von Sizilien (1. 97) will die Danaidenmythe von ägypten
herleiten, wo sich in Acanthus ein durchlöchertes Faß findet, in das
360 Priester jeden Tag Wasser aus dem nil tragen. —
Auf dem Gemälde des Polygnotus finden wir dagegen den
ORnos dargestellt, wie er ein Seil aus Binsen flechtet, das eine
sieben ihm stehende Cselin beständig auffrißt, wie Pausanias (X. 29, 1)
agt, weil er eine verschwenderische Frau hatte, die alles durchbrachte,
vas er mühsam erwarb. Dabei ist freilich nicht zu begreifen, warum
ur er gestraft wird, da doch die Frau die Schuldige war, wie schon
höfer bemerkte. Ohne die Frau zu erwähnen, nennen ihn Properz
V. 321) und Diodor von Sizilien (I. 97). Letzterer läßt den Strick
bon Menschen auflösen. Manche bringen die Oknossage in Verbin⸗
dung mit den Volksmärchen von Menschen, die verdammt sind, eine
ewisse Arbeit so lange zu verrichten, bis sich ein Unerfahrener findet,
der sich herbeiläßt ihnen zu helfen, sie dadurch erlöst und dann an
deren Stelle die arbeit ohne Ende fortsetzen muß.“ —
Neben dem unschuldigen Oknos erscheint Irion, Rönig von
Thessalien, in der Unterwelt, mit Schlangen an einem feurigen Kade
kefesselt, das ewig herumgetrieben wird, zur Strafe dafür, daß er der
Jund Gewalt antun oder sie verführen wollte. In der Nekyia der
Dorssee und auf dem Gemälde des Polygnotus kommt er nicht vor.
woüonius Rhodius (Argonaut. III. 62) ist der erste, der ihn als im
artarus steckend erwähnt. Nach spätern Angaben befindet er sich
—
Preller, Griech. Mythol. 824.
Mythol. Bibl. II. 13. Hyginus Fab. 169.
»Tibull Eleg. J. 3, 793 Opid Metamorph. IV. 463, Heroid. XIV;
oraz Carm. III. I1, 25; Seneca Hercules furens 757, Oetaeus 948.
Höfer, in Roschers Cexikon III. 1 5. 821 ff.
64 Die Verdammten und ihre Strafen
nicht dort, sondern wird von einem Wirbelsturm in der Luft herum—
getrieben.“ Die zeitweilige Unterbrechung seiner Qual, worin manche
eine Verschärfung sehen wollten, ist bei ihm, wie bei andern Hades⸗
gefangenen, Folge von Orpheus' Musik.
Nach Prellers Vermutung hat erst das mißverstandene Bild des
Sonnenrades zu dem Glauben an Frevel und Strafe des JIrion ge⸗
führt, und neuere Erklärer fassen ihn auch als Symbol der Sonne
auf?, von der man freilich nicht weiß, wie und warum sie in die
Unterwelt gekommen ist. Es darf auch nicht übersehen werden, daß
nach brahmanischen Höllenschilderungen in einer „die zerschneidende“
genannten Abteilung die Verdammten auf Töpferscheiben, welche in
heständiger Drehung sind, herumgetrieben werden. In einer andern
Abteilung müssen sie ohne Ruhe und Rast Jahrtausende auf Rädern
herumfahren.s Ihre Sünde wird nicht angegeben, und man möchte
fast vermuten, daß es Bicyclisten waren, die harmlose Fußgänger
rücksichtslos niederstießen, wie ich es einmal am eigenen Leibe erfahren
habe.
Jalmoneus, der Donner und Blitz, freilich mehr wie ein
Theatermaschinist, nachahmte, sich dem Zeus gleichstellte und verlangte,
daß man ihm Opfer bringe, wurde vom Gotte mit dem Blitze getöter
und dann, nach Virgil, in der Unterwelt grausam gestraft.“ Merk⸗
würdigerweise hat Polygnotus nicht ihn, sondern seine unschuldige
Tochter Tyro auf seinem Unterweltsgemälde dargestellt. Auch Apollo⸗
dorus (I. 9, 72-8) weiß nichts von seinen Leiden in der Unterwelt,
erzählt dagegen ausführlich von CTyro und ihren Kindern.
Gleich neben Salmoneus findet Aeneas den riesigen, neun Morgen
Candes bedechenden Cit us, des Zeus eigenen Sohn, dem ein Geier
ewig die stets nachwachsende Leber frißt.“
cucretiuss meint, selbst wenn Tityus nicht bloß neun Morgen
bedechken würde, sondern so groß wie die ganze Erde wäre, der Geier
Hyginus Fabel 62, Diodor von Sizilien IV. 69; Virgil, Georgica IIl
38, IV. 484; geneis VI. 616, Ovid Metamorph. IV. 460, Seneca Hercules
furens 750, Oetaeus 946; Tibull IJ. 3, 73.
Weizsäcker in Roschers Lexikon II. 766- 771.
Scherman s5. 36, Feer S. 115.
crudeles poenas nach Heneis VI. 585.
»Apollodorus J. 5, 1; hygin 55; Aeneis VI. 595 ff. Tibull J. 3. 16
Properz in. ie, gi, IV. 4 A Gvid Metam. 1V. 257, horas Carm. Il
1, 47; Statius Thebais J. 710, XI. 12-15.
s De rérum natura III. 998.
3
Tityus, Sisyphus, Tantalus.
165
doch einmal mit ihm fertig werden müßte. Er scheint übersehen zu
haben, daß die Leber stets nachwächst.
Virgil gibt die Schuld des Tityus nicht an; nach Hhyginus hat
er der Catona Gewalt antun wollen, ist aber, wie Salmoneus, von
zeus mit dem Blitze getötet worden und seine Leber wird nicht von
einem Geier, sondern von einer Schlange gefressen, nach der Odyssee
XI. 576) von 3zwei Geiern. Im Gemälde des Polygnotus ist er ohne
die fressenden Tiere dargestellt. Nach Pausanias!, der sein Grabmal
dei Panopeus gesehen haben will, ist er von Apollo und Artemis
erschossen worden. Auch er läßt sich in eine Untersuchung über die
—
Zeus bestrafte nicht bloß die, welche seiner Frau oder Geliebten
nachstellten, sondern auch den, der seine eigenen Liebesabenteuer ver—
riet. Weil Sisyphus ihn als Entführer der ügina ihrem Vater
anzeigte, stieß er ihn in den Hades, wo er unter harter Anstrengung
immerfort mit händen und Süßen einen Felsblock bergauf wälzen
nuß. Aber nahe dem Gipfel entwischt er ihm und rollt mit Donner⸗
gepolter wieder herunter, so daß Sisyphus schweißbedeckt die schwere
Arbeit wieder beginnen muß. Nach Hyginus schiebt er den Stein
nit dem Nacken. Nach andern Angaben ist er ein Räuber gewesen,
der die Überfallenen mit Steinen, die er auf sie warf, tötete. Uuch
oll er sich gegen Pluto vergangen, den Tod gefesselt und andere
Untaten begangen, also die Strafe in vollem Maße verdient haben.?
König Cantalus hat, nach Pindar (Olymp. J. 60), an der
Tafel der Götter gespeist und soll dabei Nektar und Ambrosia ge—
tohlen haben, die er unter seine sterblichen Genossen verteilte. Dafür
hing Zeus einen Stein, der beständig herabzustürzen droht, über sein
haupt. virgil, der diese Strafe in der Aeneis (VI. 607) erwähnt,
ohne den Namen des Bestraften zu nennen, scheint Pindar gefolgt zu
ein. Nach Hhyginus und Servius hat er seinen Sohn Pelops ge⸗
chlachtet und den Göttern als Speise vorgesetzt, nach Pausanias einen
salschen Cid geschworen. Ebenso verschieden sind die Angaben über
eine Bestrafung in der Unterwelt. Die bekannteste ist die in der
Paus. X. 29, 2, III. 18, 9, X. 11, 1; 4, 4.
» Odnssee XI. 595 -600; Cicero Tusc. J. 5. Seneca Hercules furens
52; Apollodarus J. 9, 3, III. 126, Hyginus Sab. 60; Scholiast zu Statius
Theb. II. 3800. Pirgil (Aen. VI. 615) spricht von solchen, die große Steine
vwälzen, ohne einen Namen zu nennen. Ovid und Properz widmen dem
dispphus nur je eine Zeile.
166
Die Verdammten und ihre Strafen.
Odyssee angegebene, die ja zur stehenden Metapher geworden ist:
Er steht im Wasser, das ihm bis zum Kinn reicht und leidet schreck⸗
lichen Durst, aber wie er sich bückt, um zu trinken, entweicht und ver⸗
siegt das Wasser. Er leidet Hunger und
„Kagende Bäum' auch neigten ihm fruchtbare Äüst' um die Scheitel,
Doll der balsamischen Birne, der süßen Feig' und Granate,
Auch voll grüner Oliven und rotgesprenkelter Äüpfel.
Aber sobald aufstrebte der Greis, mit den Händen sie haschend,
Schwang ein stürmender Wind sie empor zu den schattigen Wolken.
Dieser Schilderung folgten Tibull, Seneca und Hyginus. CLetzterer
läßt aber auch den Steinblock über seinem haupte schweben und
ersterer spricht nur von der Qual des Durstes. Beide Strafen waren,
nach Pausanias, in dem Gemälde zu Delphi von Polygnotus dar⸗
gestellt, der einem Gedichte des Archilochus gefolgt sein soll.“
Die Strafe des drohenden Steins scheint Dionysius von Syrakus
nachgeahmt zu haben, als er ein Schwert an einem dünnen Faden über
das haupt des Damokles aufhängen ließ. Und auch dies ist zur
stehenden Phrase geworden.
Daß in diesen Spezialstrafen eine gewisse ähnlichkeit herrscht, ist
leicht wahrnehmbar, und so hat man auch schon früh einen allen ge⸗
meinsamen tiefern Sinn in ihnen zu finden gesucht. Lucretius hat
sie für Allegorien erklärt: Sie stellen nicht Unterweltsleiden dar,
sondern sind Bilder irdischer Bestrebungen und Leiden. Sisyphus ist
der stets kandidierende und durchfallende ämterjäger, Tantalus mit
dem drohenden Steinblock der stets Unglücksfälle befürchtende ängstliche
Mensch; Tityus, der stets von seinen Leidenschaften verzehrte; die
Danaiden sind die unaufhörliche, unersättliche Gier nach Erwerb und
Genuß. „Denn alles, was angeblich in der Unterwelt vorgeht, ist nur
ein Bild oberirdischer Leiden und der Furcht der Verbrecher vor
der Strafe.“⸗
Nach Simpliciuss ist Ixion das Bild des Ehrgeizigen, nach Un⸗
erreichbarem Strebenden. Und auch Goethe (in „Polygnots Gemälde
in der Lesche zu Delphi“) findet, daß die Strafen von Tantalus, Si—
syphus und der Danaiden auf unerreichte Zwecke hindeuten: „hier
ist nicht etwa eine dem Verbrechen angemessene Wiedervergeltung
Odnssee XI. 5383-592; Tibull J. 3, 77; Seneca Herc. fur. 752; Oetaeus
943; Iyginus Sab. 82; Pausanias X. 31, 4.
De rerum natura III. 991 ff.
3 De coelo II 9b, bei Cobeck, Aglaoph. 798.
Allegorisierende Erklärungen. Moderne Hypothesen. 167
oder spezifische Strafe. Nein, die Unglücklichen werden sämtlich
mit dem schrecklichsten der menschlichen Schicksale belegt, den Sweck
eines ernsten, anhaltenden Bestrebens vereitelt zu sehen.“
Beschränkter vermutet Rohde, daß die Wasserschöpferinnen ur—
Pprünglich nur die unverheiratet Gestorbenen repräsentierten, welche
ihren Cebenszweck nicht erfüllt haben.“
Preller vermutet in den Strafen von Sisyphus, Tantalus und
Genossen Allegorien von Naturvorgängen oder Reste von Cokalmythen,
die dann in ethischem und didaktischem Sinne zu der Gestalt, die sie
in den Schilderungen der Odyssee und der Aeneis haben, umgearbeitet
wurden.? Noch weiter geht Salomon Reinachs, der in diesen Straf—⸗
schilderungen nur Mißverständnis bildlicher Darstellungen gewöhn⸗
licher irdischer Handlungen sehen will, zu denen man später die Sünden
hinzuerfand, als man in ihnen Darstellungen von Unterweltsstrafen
zu sehen glaubte: Titqus war auf einem Bilde dargestellt, wie sein
Teichnam (neun Morgen des Landes bedeckend?) von Geiern verzehrt
wurde. Ein anderes Bild stellte den Sisyphus dar, wie er Steine
zur Erbauung seiner Burg auf Akrokorinth hinaufwälzte, aber den
Gipfel nicht erreichen konnte; denn die Burg befand sich nicht auf
der höchsten Spitze. — Wunderlich ist dabei nur, daß der herrscher
selbst die Bausteine den Berg hinaufschleppte und sich in dieser Tä⸗
tigkeit malen ließ.
Die Stadt Tantalis ist bei einem Erdbeben in einen See ver—
sunken und Tantalus wurde auf einem Gemälde dargestellt, im Wasser
bis zum Kinn, vergebens sich an einem Baume festzuhalten bemühend
oder wie die Felsblöcke infolge des Erdbebens auf ihn stürzten usw.
Allso der Dichter der Homerischen Neknia, die selbst, wenn später
in die Odyssee eingeschoben, nicht jünger als das sechste vorchristliche
Jahrhundert ist und alle Dichter und Mythologen, die ihm folgten,
haben sich von Bildern täuschen lassen, historische und Genrebilder
für Darstellungen der Unterwelt gehalten. Und wie alt müssen diese
Bemälde gewesen sein, wenn man sie, schon als die Nekyia gedichtet
wurde, nicht mehr verstand?
Weir stehen doch hier ganz auf mythischem Boden. Warum
sollen gerade einige Höllenstrafen mißverstandene Darstellungen irdischer
Dorgänge sein? Cher könnte man Wallis Budge zustimmen, der in
Piyche J. 328 - 329.
Griech. Mythologie 821.
Cultes, mythes II. 189 ff.
168
Die Verdammten und ihre Strafen.
den Feinden die Rasauf seiner Reise in der Unterwelt trifft und von
seinen Dienerinnen zerhacken und verbrennen läßt, schädliche Natur⸗
gewalten personifiziert sieht, die der Sonnengott besiegt. Seine Speere
sind die Sonnenstrahlen, die Messer, welche sie zerhacken, die Feuer⸗
lammen und die Feuerseen sind der feurig rote Glanz des Sonnen⸗
aufgangs. Nur das ungebildete Volk hielt diese Poesie für Dar⸗
stellung von Höllenstrafen.
Neben diesen Gestalten, welche ihre Entstehung der Mythe, der
Allegorie oder gar dem Mißverständnis zu verdanken haben, findet
manchmal der Besucher der Unterwelt dort auch berühmte historische
oder nur seinem Kreise von Bekannten, Freunden und Feinden an⸗
gehörige Personen, deren Strafe nicht angegeben ist oder die gar keine
erleiden.
Sschon in der Bibel (Jesaias Kap. 14) wird der Sturz eines be⸗
stimmten Tyrannen in die hölle und die Aufnahme, die er dort bei
den andern Vönigen findet, geschildert. Nach dem Talmud bab.
(Sabbath 149 b.) ist es der gestürzte König Nebuchadnezar von Babylon.
In einer jüngern jüdischen Höllenschilderung? werden Korah, Absalon,
Jerobeam, Ahab und Ben Abuja als in der Hölle befindlich genannt.
Ausgebildeter erscheint das Persönliche in den griechischen und
römischen Schilderungen der Unterwelt, wo sich die Besucher oft mit
hren ständigen Bewohnern unterhalten. So im elften Gesang der
Odyssee, im sechsten der Aeneis, wo das Persönliche beinahe der
hauptzweck der ganzen Schilderung zu sein scheint, und in dem Virgil
zugeschriebenen Culex. Nach Rohde hat die Hadesfahrt der Odyssee
nicht den Zweck, eine Schilderung der Unterwelt zu geben, sondern den
Doysseus in Unterredung mit solchen Verstorbenen zu bringen, zu
denen er in enger persönlicher Beziehung gestanden ist.?
In Platos Staat sieht der Pamphylier Er den vor einem Jahr⸗
tausend verstorbenen Tyrannen Urdiaios und in der Verteidigung
des Sokrates läßt Plato diesen, obwohl die Unsterblichkeit nicht ganz
—DO——
kehr mit Orpheus, Musäus, hesiod und homer erkaufen, und welch'
ein Glück wäre es, im Jenseits mit Palamedes, Ajax, Agamemnon,
Odysseus, Sispphus und andern berühmten Männern umzugehen und
sie auszufragen“.“
The gods of the Egyptians, S. 2065.
Maase Bereschith, bei Jellinek III. 30 ff.
Psyches J. 50.
Staat, Buch X. F. 615, Apologie F. 41.
3
die berühmten Männer in der Unterwelt, nach Cukian und Rabelais. 169
Im 13. Buche der Punica des Silius Italicus unterhält sich
Scipio mit seinen Eltern, sieht ümilius Paulus, Gracchus, Brutus,
Achilles, Alexrander den Großen und viele andere Berühmtheiten der
alten Geschichte und Sage. Nach Lucretius (. 118-27) soll sich der
Dichter Ennius mit Homer am Acheron unterhalten haben.
Cukian läßt in der „Wahren Geschichte“ den Reisenden Ujax,
Theseus, Menelaus, Cyrus, Cykurg, Sokrates, Alexander den Großen
und andere längst verstorbene berühmte Menschen kennen lernen.
deine Totengespräche sind oft, besonders im 18. Jahrhundert, nachge—
ahmt worden. In humoristischer Weise schildert Rabelais im Panta-—
gruel die Gesellschaft in der Unterwelt, wo Aeneas als Tischler, Demo⸗
sthenes als Winzer, Kaiser Trajan als Fischer, Achilles als heubinder,
Papst Julius als Pastetenverkäufer, Papst Alexander als Rattenfänger,
dido als Verkäuferin von Schwämmen usw. sich fortbringen. Cukians und
kabelais' Schilderung hat henry Fielding in seiner Keise von dieser Welt
in die andere“ zum Teil nachgeahmt, aber mit wenig Witz. Auch wird
don seinen Toten, besonders von Kaiser Julian, zuviel geschwatzt.
historische Personen finden sich auch häufig Strafen leidend in
den mittelalterlichen Tendenzvisionen. Die größte Zahl von in der
hölle gepeinigten historischen Personen, unter denen sich viele von
einen Zeitgenossen finden, hat uns jedoch Dante im ersten Teile seiner
döttlichen Komödie vorgeführt und mit unübertrefflicher Lebendigkeit
fast hörbar und greifbar vor Rugen gestellt. Und die Nachkommen
dieser Verdammten schämten sich ihrer gar nicht, betrachteten ihre
Trwähnung durch den Dichter gewissermaßen als Adelsdiplom. Wie
Isidoro del CLungo! erzählt, sollen im 16. Jahrhundert manche Flo⸗
rentiner Patrizier gesagt haben, sie hätten sich, gern ein gutes Stück
Geld kosten lassen, um einen ihrer Ahnen in der Göttlichen Komödie,
ei es auch im tiefsten Höllenkreise, zu finden.
Ohne das Genie Dantes hat sein Zeitgenosse und Nachahmer,
kmanuele von Rom, in seiner Makame 28 einen langen Katalog
don Personen, die er in hölle und Paradies angetroffen hat, gegeben
und deren Laster und Tugenden aufgezählt.
Als jüngste Nachahmung der Göttlichen Komödie erschien vor
kurzem Arturo Colautti's Il terzo peccato, Poema degli amori. Der
utor wird von Dante in der Unterwelt geführt und sieht dort Ver—
torbene aus neuerer Zeit ihre Sünden büßen.
Nuova Antologia 1 Febbrajo 1907. 2
2 6. Sacerdote in Jewish Quarterly Review VII. 727- 728. Hh. Groß
in Monatsschrift für Geschichte und Wissensch. d. Judentums 1908 s. 259.
170
Die Verdammten und ihre Strafen.
Außer den Verdammten, den zu ihrer Peinigung von einer höhern
Macht bestimmten Elementen — Feuer, Wasser, Kälte usw. und den
berschiedenen gräulichen Untieren, Schlangen, Würmern usw. die blind⸗
lings ihren Trieben folgend, den Willen der strafenden Gottheit ohne
Mitleid und ohne Schadenfreude vollziehen, gibt es in der Hölle —
oorzüglich in der christlichen — unsterbliche böse Geister, die, selbst
verdammt, die Strafe an den Menschenkindern vollziehen. Sie leiden
oft auch selbst, aber sie haben kein Erbarmen mit den andern Strafe
Ceidenden. Sie peinigen mit Behagen und Schadenfreude, ja manchmal
mit einem gewissen Humor, den man wohl Galgenhumor nennen
könnte. So heißt es in der Tundal-Pision, bei Vinzenz von Beau⸗
vais: Luzifer schlägt und wird selbst geschlagen, er peinigt, wird aber
selbst mehr als alle andern gepeinigt. Und gerade in diesen von den
Dämonen erlittenen Qualen sieht Chateaubriand einen „poetischen Vor⸗
zug“ der christlichen Hölle.“
Es ist leicht begreiflich, daß der Glaube an Tote, welche als
Plagegeister zu den Lebenden zurückkommen, an böse Geister, welche
lebende Menschen plagen, auch den an ebensolche nicht menschliche
Wesen, welche die Toten in boshafter Weise quälen und martern, ent—
stehen ließ. Und dies um so mehr, wenn man sie sich, trotz ihrer
Bosheit der höchsten Gottheit unterworfen, als Vollzieher seiner Be⸗
tehle dachte.
Pluto und Hama, die selbst in der Unterwelt ihren Aufenhalt
haben, bedienen sich ihrer so gut wie Jehovah, Allah und der drei⸗
einige Gott im Himmel.
Die Tätigkeit der „Engel des Verderbens“ beginnt, nach dem
Midrasch Konen, gleich nach dem Tote des Sünders. Sie ergreifen
seine Seele und werfen sie dem Engel des Zornes zu, der sie in die
hölle schleudert. Dort fungieren die SItrafengel Schepetiel, Mathniel,
Aniel, Kapsiel usp., während Verdammte, wie Ahab, Jerobeam,
Absalon und ihresgleichen, in den einzelnen Abteilungen den Vorsitz
führen.?
Von den grimmigen und furchtbaren Engeln, die in der Hhölle
walten, spricht auch der Koran in Sure 66, V. 6.
In der brahmanischen hölle Taptakumbha werden die siedenden
Kessel, in denen die Verdammten stecken, von den Dienern Yamas be⸗
ständig umgerührt, und Dämonen stechen den Gesottenen die Augen
J
Speculum hist. cap. 97; Génie du Christianisme V. 13.
Jellinek II. 32.
Die Teufel und Höllenschergen.
171
aus. Manche sagen, daß die Préètas, von denen bereits oben
159) die Rede war, dem Hama als Kerkermeister und Solterknechte
ienen.
Nach der Schilderung des Giacomino von Verona dienen die
schwarzen Teufel als höllenköche für Beelzebub. Der Mönch von
Ensham sah in seiner Vision Sünder, welche aus der höllenglut zu
entwischen suchten; sie wurden aber von den Teufeln mit glühenden
Habeln erfaßt, gepeitscht und wieder ins Feuer geworfen.“
Dasselbe geschieht den unredlichen und bestechlichen Beamten im
21. Gesange von Dantes Hhölle, wo Malebranche, Malacoda und Ge—
nossen ihres Amtes walten und noch dazu ihre grausame Tätigkeit
mit boshaften Spässen begleiten. In einem andern höllenkreise
Gesang 18) fungieren gehörnte Teufel als Auspeitscher. Ihrer finden
sich mehr als tausend schon am Hölleneingange. Andere streiten mit
den Engeln um die Seelen, wie, nach der Epistel Juda, Michael mit
dem Teufel um die Leiche des Propheten Moses. Aber Dante läßt
auch Verdammte, wie Phlegyas und Nimrod, ihre besondern Aufgaben
in der Hölle verrichten, wie ja auch in irdischen Zuchthäusern manche
Sträflinge gewisse Arbeiten verrichten oder als Aufseher dienen.“
„Cegionen Teufel umringen und umwohnen den Verdammten und
bieten alles auf, ihn zu schrecken und zu quälen. Sie spotten seiner,
verhöhnen ihn und peinigen ihn wohl auch mit roher physischer Ge—
walt“, sagt Bautz.“ Und Pater Rusca meint, die in der Hölle hau—
senden wilden Tiere seien nur verkleidete Teufel, denn sie sind ja
unsterblich!“ Auch für hitze und Kälte sind sie unempfindlich. Gott
will es so, damit sie nicht die Lust verlieren, die Menschen in Ver—
suchung zu führen, hat Kardinal Franz Ximenes in seiner Schrift
De natura angelica (um 1400) gesagt.'
Soolche Plagegeister sind nach den Angaben vieler Mustiker auch
im Segfeuer tätig, was aber von den Theologen entschieden be—⸗
ttritten wird, da die Teufel kein Interesse dabei haben können. Auch
wird Gott, meint Bautz, „die Teufel zu solchem Dienst nicht zwingen,
Feer S. 115, Scherman S. 38.
De Grote, in Actes S. 21.
Bei Matth. Paris a. 1196.
Hõlle VIII, XXXI, Segfeuer V. 104 - 109.
»Die Hõölle S. 240.
Kap. 31, 32.
Bei Mew S. 306.
172
Die Ewigkeit der Höllenpein.
denn die armen Seelen sind ja seine Kinder“. Indessen bleibt es
jedermann frei, sich für die eine oder die andere Meinung zu ent—⸗
scheiden.“
EWVC
IX. Die Ewigkeit der Höllenpein.
Grausen und Entsetzen, die uns die Schilderung der gräßlichen
höllenqualen einflößt, werden noch durch den von vielen Religions⸗
lehrern verkündeten Glauben an ihre Ewigkeit ins Unermeßliche
zesteigert. Es fällt uns schwer zu glauben, daß eine allgütig ge—⸗
nannte Gottheit solche furchtbare Qualen verhängt und noch schwerer,
daß sie solche ewig dauern läßt.
Die alten ägypter scheinen allein eine Ausnahme in bezug auf
die Dauer der Höllenstrafen gemacht zu haben. Sie glaubten den
Herehrern des Gottes Ra, denen er Licht und Nahrung lieferte, die
ewige Seligkeit vorbehalten oder suchten sie ihnen auf alle Weise zu
sichern. Andere Seelen existierten in der Unterwelt nur so lange, als
ihre Angehörigen auf Erden die vorgeschriebenen Totenopfer dar⸗
brachten. Die Seelen, welchekeine Nahrung erhielten, sowie die Feinde
des Gottes — böse Geister und Ungeheuer — wurden täglich vom
Feuer vernichtet.“ Ob Wiederherstellung und Vernichtung sich täglich
wiederholten, ist mir nicht ganz klar. Jedenfalls kam täglich neues
Brennmaterial an Verstorbenen und Götterfeinden hinzu.
Die Buddhisten setzten für alle Sünder eine bestimmte Dauer der
höllenstrafen fest, aber die Zahlen, die sie dafür angaben, sind solche,
die nach menschlichen Begriffen kaum von Ewigkeit zu unterscheiden
sind. So dauert der HAufenthalt eines Verdammten in der ersten der
21 höllen so lange, bis ein Gefäß mit 20 Pek Hanfsamen, von dem
man alle hundert Jahre ein Körnchen herausnimmt, geleert wird—
Der Aufenthalt in der nächsten Hölle dauert zwanzigmal so lange als
in der ersten, und so geht es weiter, stets mit 20 multipliziert. Nach
einer andern Berechnung dauert der Aufenhalt in der ersten Hölle
zehn Millionen Jahre und steigt dann immer weiter, bis in der
iz
2
Das Fegfeuer S. 149- 151.
Wallis Budge, The egyptian heaven and hell III. 199.
Begrenzte Dauer bei Persern und Mohammedanern. Plato, Plutarch. 173
siebzehnten Hölle eine Zahl erreicht ist, die mit 120 Siffern geschrieben
wird. Wieder eine andere Berechnung beginnt nur mit 500 Jahren
und erreicht, stets verdoppelnd, in der achten hölle 64000 Jahre,
was sehr mäßig wäre, wenn es sich nicht um Götterjahre handelte,
bon denen ein Tag die Länge von 1620 irdischen Jahren hat.“
Die Ewigkeit selbst haben die Buddhisten nur den nach der Lehre
ihrer Priester allerärgsten Sündern, den Ungläubigen und 3weiflern,
den Verächtern von Rirche und Priestertum, den Leugnern der Cristenz
Buddhas, der Seelenwanderung und Erlösung vorbehalten. „Für sie
allein währt die Pein ewig, ewig, ganz im wWiderspruch mit dem
Hrundgedanken der buddhistischen Weltanschauung, nach der es schlechter⸗
dings nichts Festes und Cwiges gibt, sondern Alles im ewigen Wechsel
kreist.“2
Die Perser, welche, wie Juden und Christen, ein letztes Welt⸗
gericht erwarten, glauben, daß nach demselben die hölle geleert und
gereinigt werden wird.s Die Maanjan⸗Malayen glauben an eine
Kückkehr der Seelen nach sieben Geschlechtern.“ GSeelenwanderung 7)
Der Roran spricht an drei Stellen (VI. 128, XI. 109, XXIII. 105)
bon der Ewigkeit der Höllenstrafen, tröstet aber doch an zweien mit
der Möglichkeit einer Begnadigung durch Gott. Von einer solchen
Begnadigung nach mohammedanischer Tradition wird weiter unten
berichtet.
Von zu ewiger Pein verdammten Verbrechern spricht schon Plato
im Gorgias und im Phädon, und Cessing macht auf das aei xoovον
im Sinne wirklicher Ewigkeit besonders aufmerksam. Es heißt, sagt
er, im Gorgias nicht auby sondern sci xoovov.“ Auch Plutarch GWon
der späten Rache) nennt als Strafen für sündige Seelen neben Ver—
setzung in Tierkörper auch ewiges Quälen durch grausame Dämonen.
Wenn jedoch Properz (C. V. 11) sagt, daß Niemand aus der
Unterwelt zurückkehrt, daß keine Bitten und Tränen ihre schwarze
Pforte zu öffnen vermögen, so meint er damit wohl keine ewige
höllenqual, sondern ganz einfach, daß, wer einmal gestorben ist, nicht
wieder ins Leben zurückgerufen werden kann.
C. SFeer, Journal of the Asiatic Society XX. (1892) 212-227.
Uöppen, Die Keligion des Buddha 242.
hübschmann a. a. O. 251, nach dem Bundehusch.
Katzel J. 439.
Gorgias 525 d; Phädon 114 4; Cessing, Von den ewigen Strafen, in
„Zur Geschichte und Literatur“, Braunschweig 1773, 1. 239.
5
174
Die Ewigkeit der Höllenpein.
Andeutungen auf die Ewigkeit der Höllenstrafen hat man auch
bei den Propheten des Alten Testaments finden wollen. Doch sind
nach späterm jüdischen Glauben nur gewisse große Sünder zu ewiger
höllenqual verdammt: So, nach Talmud bab.:, Ketzer, Ungläubige,
Denuntianten, Leugner der Auferstehung der Toten und heresiarchen,
nach dem Traktat von der hölle auch Ehebrecher, Meineidige und
Verleumder. Doch spricht ein Midrasch auch von einer vollständigen
fusleerung und Reinigung der Hölle nach Ankunst des Messias und
ein anderer prophezeit sogar die Wiedererbauung von Sodom und
Homorra.? Im Buche Judith heißt es (XVI. 21): Gott wird den
Teib der Verfolger der Juden plagen mit Feuer und mit Würmern
und sie werden ewig im Feuer brennen und heulen.
In dem schon von Christen interpolierten vierten Buche Esra
wird, nach der armenischen Version, die Ewigkeit der höllenstrafen
verkündet. Doch scheint in der Behandlung der Sünder vor und der
nach dem Endgericht ein Unterschied vorausgesehen zu werden. Noch
unbestimmter heißt es im Buche henoch: „Da wo das große Gericht
tattfindet, wird der Sünder Geist hinkommen und ein großes Gericht
wird für alle Geschlechter bis in Ewigkeit sein“.“ Nach Josephus (Jüd.
rieg II. 819) glaubten nur die Pharisäer an die Ewigkeit der Höllen—
trafen, während die Sadduzäer die Unsterblichkeit der Seele ganz
leugneten.
Im Neuen Testament ist an mehreren Stellen von dem ewigen
höllenfeuer die Rede.“ Doch kann cbvocç aibvwv auch eine überaus
lange Seit bedeuten. Bestimmter tritt der Glaube an die CEwigkeit
der höllenstrafen bei den Kirchenvätern hervor, bis er endlich zum
hristlichen Dogma wird. So sagt schon Minucius Felix in seinem im
zweiten Jahrhundert zur Verteidigung des Christentums geschriebenen
Dctavius, daß es für die Qualen der hölle weder Maß noch Ende
gebe, das Seuer verbrenne und füge mit Verständnis die Glieder
wieder zusammen, wie die Vulkane brenne es immerfort, ohne sich
zu erschöpfen. Für diesen Glauben beruft er sich auch auf heidnische
Gelehrte und Dichter (Kap. 35). Aber er folgt darin wohl dem
Rosch ha Schona 17 a, Pesachim 544, Berachoth 28b.
Jellinek Bet ha Midr. J. 148; Jalkut Rubeni 2, Midr. Rabb. zu
Exrodus XII. 12.
henoch Rap. 103, bei Kautzsch S. 307, hilgenfeld, Messias Judaeorum
103 - 404.
Matth. XVIII. 8, XXV. 41, Apok. Joh. XIV. 11, XX. 10, II. Ep. Thess.
l. 9. In Markus IX. 42 ist nur von unauslöschlichem Feuer die Rede.
l
Die Ewigkeit nach christlicher Lehre. 175
Certullianus, der in seinem Apologeticus (Kap. 48) die Ewigkeit des
höllenfeuers in ähnlicher Weise beweist und zu dem unwiderleglichen
X gelangt, daß, wenn die Vulkane ewig brennen, ohne verzehrt
zu werden, dies auch mit den Sündern und Feinden Gottes geschehen
nüsse.
Weil die Menschen mit ihren Körpern gesündigt haben, sagt am
Anfange des vierten Jahrhunderts Lactantius!, gibt Gott der Seele
des Abgeschiedenen einen neuen unzerstörbaren Körper, der die Höllen⸗
Jualen und das ewige Feuer aushalten kann. Dieses göttliche Feuer
derbrennt die Körper der Sünder und stellt sie wieder her, was es
dom Rörper wegnimmt, gibt es ihm wieder zurück, schafft sich selbst
ewiges Brennmaterial, brennt und schmerzt, verzehrt aber nicht.
Tatian, Arnobius und Irenäus sollen der Ansicht gewesen sein,
daß die Sünder gänzlich vernichtet werden, wogegen wieder Gregor
bon Nyssa und Gregor von Nazianz ein endliches Aufhören der Höllen⸗
itrafen und Besserung aller Sünder erwarteten.“ Der hl. Augustinus
iannte die Hölle ein ewiges Sterben: der erste Tod reißt die Seele
aus dem Vörper, der zweite zwingt sie wieder in den Rörper hinein,
damit sie ewigen Schmerz leide.“ Und selbst die mildere Lehre, daß
in fernster Zukunft die Qualen aller Sünder, selbst die der Teufel,
ein Ende nehmen und daß die Dämonen und Gottlosen in ihren Ur—⸗
justand zurückversetzt werden würden, ist vom siebenten Konstantinopler
Konzil verworfen worden. KRaiser Justinian J. hat wegen dieser und an⸗
derer „Irrlehren“ vom Patriarchen Mennas und dem ganzen Klerus die
derdammung des Origenes verlangt, und das zweite Konzil von
—RD
einer Anhänger verurteilt “
Sehr bestimmt sagt Papst Gregor der Große und nach ihm
Thomas von Aquino, daß, sowie die Freuden der Seligen ohne Ende
siind. so auch die Qualen der Sünder kein Ende haben.
„Gott hat“, sagt das katholische Kirchenlexikon, „wie den Guten
ewigen Lohn, so den Bösen ewige Strafe verkündet. Wenn die Drohung
nicht ernstlich gemeint war, so wird es auch die Verheißung nicht
sein. Gott aber ist die ewige Wahrheit.“
tDivin. instit. VII. 21.
A. Graf, Miti J. 244.
De civitate Dei XXI. I.
Fleury, Hist. écclesiastique L. 33 ch. 4, 51, Bayle Diction. II. 699.
76 Die Ewigkeit der Höllenpein.
So ist denn schließlich die Cwigkeit der Höllenstrafen zum christ⸗
lichen Dogma geworden, wie es im Athanasischen Glaubensbekenntnis
heißt: „Die Gutes getan haben, werden gehen in das ewige Leben,
die aber Böses in das ewige Feuer“. 1 Und die Kirche hat, wie Bautz
(S. 72) sagt, „sich nicht nur in ihren lehramtlichen Entscheidungen,
ondern auch bei zahlreichen andern Gelegenheiten, wo sie ex officio
— VD
der Hölle erklärt“.
Noch im Jahre 1902 ist der Abbé Hebert, der in einem Sei⸗
tungsaufsatze die Unverträglichkeit der ewigen Strafen mit der Allgüte
Gottes behauptete, mit dem Interdikt belegt worden.“
Man könnte noch das Fegfeuer als eine UArt von Besserungs⸗
anstalt betrachten und sich zur Not mit ein paar tausend Jahren der
Qual zufrieden geben; aber ewig in hoffnungsloser Pein?
Für diese Ewigkeit der Pein beruft sich auch der reformierte
Pastor Charles Drelincourt auf das 25. RKapitel des CEv. Matthöäi
Nur weil sie die Armen nicht gespeist, nicht beherbergt und nicht
bekleidet haben, soll die Pein der Verdammten ewig dauern.*
Aber heißt es nicht in der Bergpredigt: „Liebet eure Feinde,
segnet, die euch fluchen; tut wohl denen, die euch hassen; bittet für
die, so euch beleidigen und verfolgen“? Und lautet nicht die vierte
Bitte im Vaterunser: „Und vergib uns unsere Schuld, wie wir unsern
schuldigern vergeben“? Wenn Gott seinen Feinden in Ewigkeit nicht
derzeiht, soll der Mensch barmherziger sein als Er, sich nie an seinen
Feinden rächen dürfen?
Solche Fragen haben sich natürlich die Theologen schon früh ge⸗
stellt und sie haben allen ihren Scharfsinn, alle ihre Spitzfindigkeit
zu deren Beantwortung aufgewendet. Und das Resultat war, daß
sie alle Schuld den — Verdammten zuschoben: Sie fahren fort zu
sündigen und können deshalb von Gott nicht begnadigt werden, lehrt
Thomas von Aquino. Und Ursache dieses Beharrens im Bösen ist
die Trennung der Seele vom Leibe, weshalb sie, ebensowenig als die
Dämonen, infolge ihrer bloß geistigen Natur und Erkenntnisweise,
ihre einmal getroffene Wahl des Bösen ändern können. Wegen
Gregor Dialog IV. 44; Th. v. Aquino, Summa Suppl. IX. 9, 1; Wetzer
Nirchenlexikon V. 287.
S. Reinach, Cultes, Mythes J. 167.
BLes consolations de l'ame fidèéle contre les frayeurs de la mort-
Amsterdam 1660.
2
Verteidiger der Ewigkeit.
177
dieser Unbeweglichkeit des Willens, der Unfähigkeit sich zu bessern,
des Verharrens in der Sünde gebührt ihnen ewige Strafe.
Auch Erzbischof King von Dublin erklärte die Ewigkeit mit der
halsstarrigkeit der Sünder, die den einmal eingeschlagenen bösen Weg
nicht verlassen wollen. Die Verdammten lieben ihren Zustand und
wollen die Hölle nicht verlassen. Sie setzen ihre Ehre darin und es
macht ihnen Vergnügen Gott zu trotzen und ihn zu hassen.! Gott
könnte ja, argumentiert der Jesuit Johann Stefler, unter Berufung
auf den großen Aquinaten, „durch außerordentliches und wunderbares
kingreifen die Verdammten noch zur Sinnesänderung bewegen, aber
er will ihnen aus gerechten Gründen eine so außergewöhnliche Gnade
nicht mehr gewähren: Wären sie einer Willensänderung fähig, könnten
sie mit der Gnade mitwirken und die göttliche Barmherzigkeit, welche
keinen verstößt, der noch der Buße fähig ist, würde ihnen die Gnade
zgewiß nicht versagen. Die Folge davon wäre, daß sie wirklich Buße
täten und Gott dürfte sie dann billigerweise nicht ewig strafen.“⸗
Ferner meint der hl. Thomas: Wie der Hochverräter vom irdischen
kichter mit Tod oder ewiger Verbannung bestraft wird, so muß auch
der, welcher gegen die Zwecke Gottes und den Staat der Seligen
sündigt, ewig gestraft werden, wenn er auch nur kurze Seit gesündigt
hat. Auch wird ja die Strafe nach dem Stande des Verletzten be—
messen, und da die Majestät Gottes unendlich ist, so muß auch der,
welcher gegen ihn sündigt, unendliche Strafe leiden.“
Nach der Analogie mit dem Hochverräter sollte, wie mir scheint,
der Sünder nur mit Verbannung aus dem Paradiese oder gänzlicher
bernichtung bestraft werden. Aber dies wäre, nach Bautz, eine zu
geringe Strafe. Denn die ewige Strafe, meint er, „ist für den
zweck Gottes, die Menschen vom Sündigen abzuhalten, die angemessenste,
weit angemessener als irgendeine zeitliche Strafe. Lehrt uns ja die
Erfahrung von Jahrtausenden, daß Millionen Menschen an die ewige
dtrafe glauben und nichtsdestoweniger fortfahren gegen Gott und
eein Gesetz zu freveln. Gäbe es nur eine zeitliche Strafe, so würde
das Gebäude der sittlichen Ordnung im Sturme der Gottlosigkeit wohl
danz und gar in Trümmer gehen.“
Wie lustig würden die Menschen darauf lossündigen, wenn sie
keine höhere Strafe als etwa hunderttausend Jahre des Gebrannt—⸗
werdens zu befürchten hätten.
Basnage, Histoire des juiss VI. 205, Amsterdam 1711.
» Ztschft. für katholische Theologie, Bd. 31, S. 171 - 176, Innsbruck 1906.
Bei Bautz S. 83.
Landau, Hölle und Fegfeuer.
178
Die Ewigkeit der Höllenpein.
Merkwürdig ist es, daß auch Leibniz in der Vorrede zu des Sozi⸗
aianers E. Soner (f 1612) Schrift gegen die Ewigkeit der Höllen⸗
trafen ungefähr wie der hl. Thomas argumentiert: Die Strafen
iind ewig, weil die Verdammten ewig im Sündigen verharren.
Lessings Verteidigung Leibnizens und der Ewigkeit der Höllenstrafen
läuft eigentlich auf eine Leugnung der materiellen Strafen hinaus.
Aber er nimmt auch eine bessernde Wirkung der Hölle als möglich
an und hält, daß die Ewigkeit nur den Ungeheuern, welche nie auf⸗
hören können zu sündigen, mit Recht gebühre.“
Dazu bemerkt Erich Schmidt: „in diesen üußerungen konnten
aur blöde Augen Lessings Glauben an hölle und Teufel nach dem
zroben Sinn etwa des 16. Jahrhunderts lesen, denn es bedarf gar
nicht seiner brieflichen Ausfälle gegen die abgeschmackten sinnlichen
Begriffe von der Beschaffenheit der hölle, sondern bloß eines etwas
chärfern Zusehens, um Lessings Hölle nur in der Sphäre des Ge⸗
wissens zu finden“.*
Wenn aber die Seele unsterblich ist, dann ist es auch das Ge⸗
vissen mit seinen Qualen.
Das Gewissen der Lebenden, das man, wenn es seine stärkste
Wirkung ausübt, eine Hölle auf Erden nennen könnte, ist, auch nach
der Anschauung nicht religiöser Menschen, das wirkliche, qualenreiche
straforgan der Sünder und Frevler. Das sind die Furien, welche
Orest verfolgen und quälen.“ Die Furien, sagt Cicero, sind nicht die
den Mörder und Verbrecher mit brennenden Fackeln verfolgenden
rabelwesen, sondern seine Untaten, das zum Wahnsinn treibende Be⸗
wußtsein seiner Schuld.?
Vvon einem alten, dem der Gnostiker ähnlichen Glauben, daß die
hölle nichts anderes sei als der menschliche Körper, in dem die Seele
zur Strafe wie in einem Kerker eingeschlossen ist, und der alle Höllen⸗
qualen und Höllenflüsse für Allegorien der Reue und Gewissensbisse,
der menschlichen Leidenschaften und Bosheit erklärte, spricht Macro⸗
hius in seinem Kommentar zum „Traum des Scipio“ (I. 10).
Von einer solchen Gewissenspein, von einer inneren brennenden
NQual im Gegensatz zu einem außerhalb des Sünders wirkenden Feuer
1 Quare sSi aeterna sunt peccata, justum est ut aeternae etiam sint
poenae. GBei CLessing „Leibniz von den ewigen Strafen“ a. a. O. J. 209.)
2 A. a. O. 239 - 240.
Cessing, von Erich Schmidt, Berlin 1899, II. 215.
Aeschylos, Cumeniden 233 -256; Curipides, Orestes, 240 - 249.
Oratio pro Roscio 67.
Macrobius und Origenes. Das Gewissen. 179
spricht auch, auf die Worte des Propheten Jesaias (L. 1)) gestützt,
Oriqgenes.
Wenn er aber von Seelen spricht, die eine volle Weltzeit in der
Pein verharren müssen, so scheint der Unterschied für die Betroffenen
nicht gar so groß zu sein.
Er nimmt übrigens auch eine Reinigung der Seele durch Seuer
an. „Jeder Sünder“, sagt er, „entzündet sich selbst die Flamme eigenen
Feuers und wird nicht in ein vor ihm und außer ihm bestehendes
Feuer geworfen. Die Selbsterkenntnis wird zur brennenden Pein
und Strafe.“
Ahnlich sagte Rabbi Ilai, unter Berufung auf Jesaias XXXIII. 11,
es gebe keine Hölle, sondern ein Feuer werde aus dem Körper des
dünders hervorgehen und ihn verzehren.“
Auch Johannes Scotus Erigena soll die Existenz einer hölle ge—
leugnet und sich über den Glauben an eine solche entsetzt haben.
kr wollte die Strafe der Sünder nur in den Gewissensqualen, in der
Unmöglichkeit zu bereuen und Buße zu tun, sehen.“
Dagegen meinte der Verfasser der Religio medici, der englische
Arzt Thomas Browne (1605- 1682), die Gewissensbisse seien nur die
vorläufer der höllenqualen. Wenn aber sein älterer CLandsmann
Thristoph Marlowe in seinem „Faust“ den Mephistopheles sagen
äßzt: „Wo wir sind, ist die Hölle, und wo die Hölle ist, sind auch
zwig wir“, so bezieht sich dies eben nur auf die Teufel.
Viel schöner heißt es beim persischen Dichter Omar Chajam:
Erkunden wollt' ich, wo der Garten Eden
Und wo die Hölle sei, der Marterort;
da hört' ich meinen Meister also reden:
„In dir sind beide, such' sie dort““
Nach buddhistischer Seelenwanderungslehre hängen Zustand und
Schicksal der Lebenden von ihrem Verhalten in einer frühern Cristenz
ab. Der Rörper, in welchen die Seele wieder einquartiert wird, hängt
don ihrem Verdienst oder ihrer Verschuldung in ihren frühern Lebens⸗
läufen ab.s Das irdische Leben ist Hölle oder Fegefeuer.
De princ. II. 10*, bei Anrich 8. 112, 117. s5. auch die ihm zuge⸗
chriebene Homilie IX.
Bereschith rabba Kap. VI. 2.
Delpierre S. 124.
Übers. von Graf Schack.
5Köppen J. 35, 289-290. 294 - 296; Oldenberg, Buddha 113.
12*
—
180 Serien und Unterbrechung der Qualen in der hölle.
Diese Lehre hat aber, wie wir gesehen haben, die Inder nicht
gehindert, an zahllose Höllen mit schrecklichen Strafen zu glauben.
WV
X. Serien und Unterbrechung der Oualen
in der Bölle.
Der schreckliche Cindruck, den die Schilderung der Höllenstrafen,
verstärkt durch deren von unbarmherzigen Theologen verkündete
Ewigkeit, macht, hat schon früh in mitleidigen Gemütern die Idee
hervorgerufen, den unerlösbar auf ewig Verdammten wenigstens eine
kurzdauernde Unterbrechung oder Erleichterung ihrer Pein zu ver⸗
schaffen. Naiver Glaube und Dichterphantasie, selbst manche weich⸗
herzigere Theologen wirkten zusammen, um Schilderungen solcher Er⸗
leichterungen und Erholungspausen hervorzurufen und deren Ent—⸗
stehung infolge des Mitleids und der Fürsprache von Göttern und
heiligen zu erklären.
In einem Lobgesange auf den Gott Ra, aus der ZSeit der 19.
ägyptischen Dynastie, heißt es, nach der Übersetzung von Brugsch:
„Du bringst Licht denen, die da sind im Tode; es schauen ihre Augen
deine Herrlichkeit. Und die da wohnen drunten in ihren Schlüften,
ihre Arme erheben sich zum Preise für dich. Die Unterweltlichen sind
in Jubel, nachdem du erleuchtet ihnen allen die Tiefe.“
Es bezieht sich dies auf den Durchzug des Ra und der ihn be—
gleitenden Götter, welche vorübergehend das Düster der Unterwelt
erleuchten und damit den dort Eingeschlossenen eine kurze Erholungs⸗
pause gewähren.“
Im Avadana Tschataka, einer Legendensammlung singhalesischer
Buddhisten, heißt es: „Wenn ein Buddha lächelt, dringen Strahlen
seiner Heiterkeit in die Hölle, wo sie den im Seuer Gepeinigten an—⸗
genehme Rühlung, den im ewigen Eis Frierenden einige Erwärmung
hringen“.
Nach Wieland dient freilich ein solcher „in den nachtvollen Ab⸗
grund einfallender himmlischer Cichtstrahl, der den verdammten Seelen
einen flüchtigen Blick in die ewigen Wohnungen der Liebe und der
1 sStrauß und Torney J. 322; Wallis Budge III. 193-199.
Motive einer mildern Behandlung bei ügyptern und Buddhisten. 181
Wonne gestatten würde, nur um die Qual ihrer Verzweiflung voll⸗
kommen zu machen“.“
Nach einer chinesischen Erzählung befreit einmal die Göttin
Awan⸗Jin alle Höllenbewohner von ihren Qualen. Und das gleiche
bewirkt nach der buddhistischen Legende des Rarandavyuha der Ein⸗
tritt des Bodhisattwa Avalakitecvara in die hölle: An Stelle der
brennenden Glut treten milde Lüfte, der mit siedendem Wasser an⸗
gefüllte Topf, in welchem Millionen von Menschen wie hülsenfrüchte
kochen, berstet; ein Teich mit süßem Naß und Cotosblüten ersetzt das
Feuermeer usw.
Im letzten Buche des Mahabhärata wird erzählt, daß Hudhishthira
bei einem Besuche der Hölle durch seine bloße Anwesenheit den Ge⸗
deinigten Linderung verschaffte. Er ruft, von ihren Schmerzensschreien
gerührt, die Götter herbei, bei deren Ankunft die Qualen ganz auf—⸗
hören und die Marterinstrumente verschwinden.
Rührend ist die Legende von Vipacit, wie sie im Markandeya
Purana erzählt wird. Dieser fromme König war, wegen einer kleinen
Untreue gegen seine Gattin, zu einem kurzen Aufenthalt in der Hölle
berdammt worden. Als er sie verlassen sollte, riefen alle BPerdammten:
„Erweise uns die Gnade und bleibe noch einen Augenblick hier;
denn der von deinem Körper ausgehende Hauch bereitet uns Er—⸗
quickung und entfernt Schmerz und Qualen“. Als Vipacit diese
Wirkung seiner Anwesenheit erfährt, will er sich opfern und für
immer in der hölle bleiben. Da die Götter ihn aber nicht entbehren
wollen, kehrt er zu ihnen unter der Bedingung zurück, daß die ge⸗
—
Aber nicht immer sind die Götter so gnädig: Als einmal ein
Brahmane mit einem Amulett, das alle Qualen aufhören machte, in
die hölle eintrat, wurde er vom herrscher Yama hinausgejagt. Doch
entläßt dieser bisweilen freiwillig seine Gefangenen, wenn die Sonne im
Zeichen der Jungfrau steht. Sie begeben sich zu ihren Nachkommen in die
Welt der Lebenden, wo sie gespeist und getränkt werden. Sobald
die Sonne in das Zeichen des Skorpions tritt, müssen sie in die Unter—
welt zurückkehren. Sie haben also zwei Monate Serien.“
Auch nach dem Glauben der UEscheremissen gibt der Unterwelts⸗
herrscher den Toten hin und wieder Urlaub zum Besuche der Ober—
welt.ẽ
2
Der goldene Spiegel 5, Leipzig 1856, VII. 85.
Schermann, S. 32, 44251, 62, 63, 67. — * Smirnow S. 141.
182 Ferien und Unterbrechung der Qualen in der hHölle.
Nach dem chinesisch-buddhistischen Werke „Das göttliche Pano⸗
rama“ gratulieren die Verdammten dem Unterweltsherrscher an seinem
Beburtstage. Dankend erklärt er ihnen, er möchte allen die Freiheit
geben, aber es seien leider nur sehr wenige unter den vielen Sündern
hrer würdig. Doch gewährt er denjenigen, welche aufrichtige Reue
zeigen und noch je zwei Genossen zur Keue bewegen, manche Erleich⸗
terungen und Andern, die nicht ganz verdorben sind, einen gewissen
S5trafaufschub.
hnlich wie die Strahlen eines Buddha wirken nach Ovid (Me—
tamorph. X. 41) Gesang und Saitenspiel des Orpheus auf die im
hades leidenden berühmten Verdammten: „Nach dem flüchtenden
Wasser hascht nicht mehr der durstige Tantalus, die Dangaiden unter⸗
lassen das zwecklose Wasserschöpfen, Sisyphus ruht auf seinem Steine
aus, die Geier verschonen die Leber des Tityus“. Man könnte in⸗
dessen hier eher als an göttliche Gnade an ein Vergessen der Qualen
unter dem Einfluß der bezaubernden Musik denken. Und dieses
überschwängliche Kühmen der Macht orpheischer Musik läßt sich viel—⸗
leicht auf die Heilslehren der orphischen Muysterien zurückführen.
Ovid nachahmend schildert Claudian eine gleiche Unterbrechung
der Qualen bei Ankunft der von Pluto geraubten Proserpine im
hades und läßt dazu noch den vom gefräßigen Geier befreiten Tityus
seine riesigen Glieder recken.“
Nach dem „Midrasch der zehn Gebote“ ruft der die Hölle beauf⸗
ichtigende Engel am Eingange des Sabbat den Verdammten zu:
„Verlasset die Hölle“ und führt sie heraus. Am Ausgange des Sabbat
müssen sie wieder zurückkehren. Nach dem „Traktat vom Gehinom“
berbringen die Verdammten den ganzen Sabbat im KRühlen, zwischen
zwei Schneebergen. Wenn der Engel sie am Abend in die Hölle
zurücktreibt, verstecken manche, um auch da einige Abkühlung zu ge—
nießen, Schneeballen in den Uchselhöhlen. Gott bemerkt es aber und
cuft ihnen zu: „Ihr Bösewichte! selbst in der hölle könnt ihr das
Stehlen nicht lassen“. Wie es geschrieben steht im Buche hiob
XXIV. 19: „In Dürre und Glut rauben sie, im Schneegewässer, in
der Unterwelt sündigen sie“. Nach dem Jalkut Rubeni genießen die
Verdammten auch an Wochentagen, während die Juden ihre Gebete
verrichten, Ruhe von aller Pein, so daß sie außer den 24 Stunden
des Sabbat noch eben so viele im CLaufe der Woche straffrei sind.“
Mew S. 57.
De raptu Proserpinae II. 325 - 339.
Jellinek, Bet ha⸗Midrasch. J. 74, 148.
Höllenfahrt der heil. Jungfrau. 183
Während die hl. Franziska von den fünf Wunden für eine arme
deele betete, sah sie, wie diese von ihrem Schutzengel an einen leuch⸗
tenden, anmutigen Ort gebracht wurde, so daß sie im Paradiese zu
sein glaubte. Sobald aber die heilige zu beten aufhörte, kehrte die
deele in ihre Pein zurück.“
In den christlichen Apokryphen und Legenden finden wir ver⸗
schiedene Angaben über die Kuhezeit der Verdammten. Nach der
dision des Paulus, aus dem vierten Jahrhundert, hat Christus auf
eifriges Bitten dieses Apostels, des Erzengels Michael oder Gabriel
und vieler anderer Engel den Verdammten, nachdem er ihnen eine
Strafpredigt gehalten hat, eine Kuhezeit von 36 Stunden, von Samstag
abends bis Montag früh bewilligt.“
Cbenfalls im vierten Jahrhundert spricht Aurelius Prudentius
in der fünften Hymne seines Kathemerinon von einer Unterbrechung
der Qualen der Verdammten und Verlöschen der Höllenfeuer am
fluferstehungstage.“
Es ist mir aber nicht klar, ob diese Erleichterung an allen Sonn⸗
tagen oder nur am Ostersonntag genossen wird.
Nach der griechischen Version der Höllenfahrt der hl. Jungfrau
berichtet ihr der Erzengel Michael auf ihre Frage, daß er und die
andern Engel schon seit langem siebenmal an jedem Tage und jeder
Nacht Gott um Gnade für die Sünder bitten, aber nicht erhört
werden. Sie läßt sich dadurch nicht abhalten und begibt sich vor
Hottes Thron, an dem sie, vom Täufer Johannes, von Propheten,
Patriarchen, Märtyrern und Eremiten unterstützt, um Gnade bittet.
Dadurch besiegt, antwortet der Gottessohn: „Ich gewähre die Er—
lassung (äveow) der Sünden“. Es ist aus diesen Worten nicht klar
zu ersehen, ob volle Erlösung oder nur vorübergehendes Nachlassen
der Pein gemeint ist. Nach der jüngern altslavischen Version steigt
Bautz, Das Fegfeuer S. 238.
Bei Brandes, Engl. Studien VII. 42.
Sunt et spiritibus saepe nocentibus
poenarum celebres sub Styge feriae.
[Ila nocte, sacer qua rediit Deus
Stagnis ad superos ex Acheruntiis,
Marcent suppliciis Tartara mitibus
Exultatque sui carceris otio,
Umbrarum populus liber ab ignibus,
Nec fervent solito flumina sulphure.
184 Serien und Unterbrechung der Qualen in der Hölle.
auch Christus in die hölle hinab und bewilligt den um Gnade flehenden
Derdammten Ferien von Gründonnerstag bis Pfingsten.“
Die mildeste Strafe im Fegfeuer, sagt Honorius Augustodunensis
lim zwölften Jahrhundert), ist schlimmer als die allerhärteste irdische,
aber hin und wieder erscheinen dort Engel oder Heilige, zu deren
hre die Verdammten einmal etwas getan haben, und bringen ihnen
ein wenig frische Luft, angenehmen Geruch oder irgendeine andere
Erleichterung. Nach der Vision des Barontius wird denen, welche
im irdischen Leben etwas Gutes getan haben, zu gewissen Stunden
Manna aus dem Paradiese zur Stärkung gereicht.?.
ine kurze Ruhepause genießen auch Paolo Malatesta und Fran⸗
cesca Polenta während ihrer Unterredung mit Dante im fünften
Gesange seiner hölle, obwohl er kurz vorher gesagt hat, daß die
Herdammten keine Hoffnung auf Ruhe oder Erleichterung ihrer Pein
haben.
Professor Bautz sagt in seinem Werke über die hölle (8. 242),
es gebe dort keine Ruhepausen oder Feiertage, zitiert aber die An—
siicht des hl. Thomas von Aquino, daß die Verdammten bisweilen
auf kurze Zeit die Hölle verlassen dürfen, um die Lebenden zu be—⸗
lehren oder ihnen heilsame Furcht einzuflößzen. Eine Milderung der
höllenqualen will der große Scholastiker nicht zugeben. —
Obwohl auch Kardinal Bellarmino und viele andere Theologen
von einem Ruhetage der Verdammten nichts wissen wollen, hat sich
der Glaube daran doch erhalten, und noch im 19. Jahrhundert meinte
ardinal Newman, daß, wenn man auch die Endlosigkeit der Höllen⸗
strafen nicht bestreiten könne, sie doch eine zeitweilige Unterbrechung
haben dürften und daß dieses Refrigerium darin bestehe, daß die
Herdammten das Bewußtsein von der ewigen Dauer ihres Leidens
zeitweilig verlören.*
Ob die Mohammedaner an eine Unterbrechung der Höllenpein
zlauben, ist zweifelhaft. In der Traditionssammlung des Buchari
Cischendorf, Apocalypses apocryphae S. XXVII; Gaster, Ilchester
dectures S. 61. Vergdl. A. Graf, Il riposo dei dannati in Miti. Leggende
J. 248.
Elucidarium I. III. 3, bei Migne Patrologia lat. T. 172 p. 1158
Acta Sanctorum 25 März III. 509, bei C. Fritzsche, in Romanische Forschungen
II. 274.
Grammar oꝑ assent, bei Charlotte Cady Blennerhassett, J. Henri
Kardinal Newman, Berlin 1904.
Shakespeare und moderne visionäre. 185
heißt es nur, daß, wenn der Monat Ramazan beginnt, die Tore des
himmels eröffnet, die der Hölle geschlossen und die Teufel angekettet
verden.
Es bleibt auch noch die Frage, ob die Verdammten, wenn sie
außer den bestimmten Ferienzeiten die Welt der Lebenden besuchen,
frei von Schmerzen sind. Könnten wir Shakespeare als Theologen
anerkennen so hätten wir die Antwort darauf. Der Geist von hamlets
Vater sagt nämlich, er leide bei Tag die entsetzlichsten Qualen, deren
abgeschwächteste Schilderung das Haar des hörers sträuben machen
würde, aber während der Unterredung ist er frei von Schmerzen.
Übrigens ist sein Strafort nur das Fegfeuer: Doom'd for a certain
term ...., till the foul crimes, done in my days of nature, are
bdurnt and purged avway, sagt er. Dagegen klagt der Ritter, welcher
in der siebenten Vision des Othlo seinen Söhnen erscheint, er werde
überall, wo er auch sein möge, von unertäglichem Feuer gepeinigt
und verbrenne alles, was er berühre. Einer der Söhne, der es ver⸗
jucht, sein Schwert zu berühren, muß die Hand schnell zurückziehen,
da er die schreckliche Hitze zu spüren beginnt.
Der gottseligen Maria Anna Lindmanyr erschienen, wie J. Bautz
berichtet, ihre Freundin Maria Becher und deren Mutter und „ließen
an ihrem Suße Brandspuren zurück, die wochenlang sichtbar und
fühlbar blieben“. Am 16. November 1859 vormittags zehn Uhr
erschien im Kloster der Klarissen zu Soligno, von dichtem Rauch um—
geben, eine kurz zuvor gestorbene Schwester und bat die Schwester
Anna Felice flehentlich um Fürbitte. Sum Zeichen ihrer Anwesenheit
ließ die Erscheinung einen Abdruck ihrer Hand in der Türe eingebrannt
zurück. .... Der seligen Maria Franziska von den hl. fünf Wunden
erschien ein Verstorbener, schilderte seine Qualen, riß sich zum Beweise
dessen ein Haar aus und legte es der Schwester auf die Hand, in⸗
folgedessen ein langer, allen sichtbarer Streif eingebrannt zurück—
blieh ⸗
Die Verdammten standen aber nicht bloß mit den Lebenden in
rinen für diese nicht angenehmen Verkehr, sondern, wie wir sehen
werden, auch in für sie nicht erfreulicher Weise, mit den Seligen.
Fundgruben des Orients J. 173, Ur. 224.
Monumenta germ. hist. Scriptores T. XI. ex Othloni operibus S. 381.
3 Das Fegfeuer S. 143.
1
20
186
J Die Verdammten und die Seligen.
XI. Die Verdammten und die Seligen.
Wie bereits erwähnt wurde, gehörte das Betrachten der Seligkeit
der Bewohner des Paradieses zu den Verschärfungen der Sünder⸗
strafen, was nach der KRuffassung eifriger Theologen etwas sehr Ge⸗
rechtes und der Allweisheit Gottes entsprechend war. Schwer begreiflich
erscheint es uns aber, wenn als Seitenstück dazu die Betrachtung der
Ceiden der höllenbewohner zu den Seligkeiten der Frommen im
Paradiese gezählt wird, diese gewissermaßen als schadenfroh dargestellt
werden.
Nous avons tous assez de force pour supporter les maux d'autrui,
hat Rochefoucauld von den lebenden, sündigen Menschen gesagt; aber
die Seligen und Heiligen sollen nicht bloß Geduld, sondern sogar
Freude bei den Leiden Anderer haben. das behagliche Zusehen, wie
die Sünder in der hölle gemartert und gequält werden, soll ihnen so
biel Vergnügen machen wie den alten Römern die Tier- und Gla—
diatorenkämpfe im Amphitheater.
Bedenken wir aber, daß diese Kämpfe Überbleibsel alter Bar⸗
barei waren, so finden wir auch die Erklärung für die Schadenfreude
der Seligen.
szie ist ein Rest der Blutrache. Wie ursprünglich die Familie
eines Ermordeten den Tod ihres Angehörigen zu rächen hatte und
erst auf einer höhern Stufe der Zivilisation das Amt des Rächers auf
den Herrscher oder den Staat überging, so hat sich aus der Rache
des Toten an seinen Mörder oder sonstigen Schädiger die Bestrafung
durch die Gottheit entwickelt, während dem Beschädigten die Freude
und Genugtuung über die erlangte Gerechtigkeit, das Zuschauen bei
der Bestrafung verblieb. Dies wurde dann auch auf die, welche
Frevel gegen Andere oder gegen die Gottheit begangen hatten,
ausgedehnt.
Der ursprüngliche Glaube an die Kache im Jenseits hat sich noch
bei manchen Naturvölkern erhalten. „Die Tschippeways glauben,
daß die Seelen der Bösen im Jenseits von den Geistern der Personen,
denen sie Übles zugefügt haben, verfolgt werden. Die Seelen der
Dinge, die jemand zerstört hat, verstellen der seinigen den Weg; wer
gegen Hunde oder Pferde grausam gewesen ist, wird nach dem Tode
oon ihnen geplagt. ähnlicher Glaube herrscht in Melanesien. Wenn
ein Bewohner der Banks Inseln einen andern durch Verrat oder
Plato und Plutarch.
187
sauber getötet hat, verwehrt ihm dessen Geist den Eingang ins Jen—
seits. Wenn Mörder, Diebe und Chebrecher ins Land der Seligen
eingehen wollen, werden sie von den dort bereits befindlichen von
ihnen Geschädigten daran gehindert.“ . .. „In Aurora Meue he—
briden) stürzen sich die Seelen aller durch Verrat oder Sauber Getöteten
am Eingang zur Unterwelt auf den Mörder, schlagen, stechen und
zerreißen ihn in Ausübung ihrer Rache.“
Im Catapatha Brahmana wird erzählt, daß Bhrigu, der auf
Befehl seines Paters Varuna die Hölle besuchte, dort Männer sah, die
andere zerfleischten. Sie sagten ihm, daß sie es täten, weil sie im
Leben gleiches von jenen erlitten hätten.
Nach Plato (Phädon 1144) haben die Beschädigten nur das
Kecht, Gnade zu gewähren oder zu verweigern: Es bleiben nämlich
die, welche gegen Vater und Mutter im Zorne Gewalttat ausgeübt
oder sonst Mord begangen haben, nur ein Jahr im Tartarus, dann
werden die Sünder gegen Vater und Mutter in den Pyriphlegethon,
die andern Mörder in den Kokytos geworfen, von wo sie in den
acherusischen See geschwemmt werden. Dort rufen sie die von ihnen
Trmordeten oder sonst frevelhaft Geschädigten an und bitten und
flehen, daß man sie aussteigen lasse. Findet ihre Bitte Gewährung,
so kKommen sie aus dem See heraus, sonst werden sie wieder in den
Tartarus getrieben.
Plutarch (Don der späten Rache der Gottheit 5654) läßt den
Chespesios nach der Kückkehr aus der Unterwelt erzählen, daß die
gepeinigten Sünder ihren redlichen Vätern vorgeführt werden, die
ich schweigend von ihnen abwenden. Waren aber auch die Väter
dünder, so sehen sie gegenseitig lange ihrer Bestrafung zu.
Seneca läßt, wie wir gesehen haben (oben S. 128), den Kaiser
Tlaudius durch die von ihm Gemordeten verklagen.
Im sechzehnten Kapitel des Cukas-Cvangeliums finden wir den
m höllenfeuer bratenden, vor Durst verschmachtenden Keichen, der sieht,
wie der bei Lebzeiten so arme und kranke Cazarus im Schoße Abra—
hams ruht. Er bittet ihn um einen Tropfen Wasser, kann ihn aber
nicht bekommen, denn zwischen der hölle und dem Schoße Abrahams
gähnt eine ungeheure RKluft, die niemand überschreiten kann.
1 C. Marillier, La survivance de l'ame et l'idéöc de justice chez les
beuples non civilises, S. Aß, 45.
Albrecht Weber, Indische Streifen J. S. 24.
188
Die Verdammten und die Seligen.
Indessen wird hier nicht ausdrücklich gesagt, daß Cazarus sich
über den Durst des Reichen, dessen Hunde einst seine Wunden leckten,
zefreut habe.
Im Pfalm 58 freut sich zwar der Fromme über die Bestrafung
des Gottlosen, in dessen Blut er seine Füße baden will; aber da es
am -schlusse heißt: „es ist ja noch Gott Kichter auf Erden“, so ist
zu schließen, daß von Bestrafung und Schadenfreude Lebender die
Kede ist.
In einer jüdischen Legende aus dem zehnten Jahrhundert (in
Jellineks Bet-ha-Midrasch J. 79) tritt ein Ermordeter vor Gott und
alagt den Mörder als Serstörer eines seiner Geschöpfe an. Gott läßt
hierauf den Mörder ins Höllenfeuer werfen, worüber der Ermordete
sich sehr freut.
Die Seligen werden neben andern Paradiesesfreuden auch, wie
im vierten Esrabuche berichtet wird, den Anblick der im Höllenfeuer
gebratenen Sünder als Extrabelohnung ewiglich genießen. Ebenso
wvird ihnen, im Buche henoch, zugesichert, daß „sie werden sehen die,
welche in Sinsternis hinabgeworfen werden, während erhöhet werden
die Gerechten. Während sie glänzen und ihren Lohn erhalten, werden
sie die schreienden Sünder sehen“. Diese werden für die Gerechten
und Auserwählten Gottes ein Schauspiel abgeben. Sie werden sich
freuen, weil der Zorn Gottes die Sünder trifft, sein Schwert sich an
hrem Blute berauscht.“
Ahnlich sagt Rabbi Jehuda, nach dem Jalkut Schimeoni zu
Pfalm XII, „wenn die Gerechten aus dem Paradiese heraustreten und
die Qualen der Sünder in der Hölle sehen, freuen sie sich und danken
für die Schmerzen, die sie im irdischen Leben erlitten haben. Die
sünder aber, wenn sie aus dem Gehenom herauskommen und die
Frommen im Paradiese erblicken, kränken sich“.
Auch im sogenannten zweiten Klemensbriefe R. 17 heißt es: Die
Gerechten werden beim Anblick der Qualen der Gottlosen im ewigen
Feuer Gottes gerechtes Gericht preisen.
Mit fast satanischem Hohn schildert der Kirchenlehrer Tertullianus
am Ende des zweiten Jahrhunderts in seiner Schrift „De spectaculis
die Leiden der Sünder und Verfolger der Christen beim Jüngsten
VKautzsch, Apokryphen II. 272. Das Buch Henoch, nebst Übersetzung
und Kommentar von A. G. Hoffmann 8 27; A. Hilgenfeld, Messias Judaeorum
ltes Esra⸗Buch von h. Gunkel II. 345.
Kap. 30, bei Migne Patrologia lat. T. I. 660 - 66.
2
Schadenfreude der Seligen.
189
Hericht und die Schadenfreude, die er und die Seligen dann genießen
werden: „Das wird“, sagt er, „ein großartigeres und für die Frommen
erfreulicheres Schauspiel sein als die Gladiatorenkämpfe und Tierhetzen.
O, wie werde ich jubeln, wie werde ich lachen, wie werde ich ent—
zückt sein, wenn ich so viele vergötterte Kaiser mit ihrem Jupiter in
der tiefsten Finsternis klagen hören werde, wenn ich die Philosophen
mit ihren Schülern brennen, die Schauspieler im Feuer herumtanzen,
die Wagenführer mit feurigen Kädern fahren sehen werde! ....
Welcher Ronsul, welcher Prätor könnte solche Spiele veranstalten!
Und in der vollen Gewißheit dieses Schauspiel einst zu genießen, freue
ich mich schon jetzt darauf.“
Wir finden es menschlich begreiflich, wenn selbst der ewigen
deligkeit teilhaft Gewordene sich über die Qualen der Sünder, von
denen sie beraubt, ermordet oder sonst geschädigt wurden, freuen,
besonders wenn diese der irdischen Gerechtigkeit entgangen sind, es
fällt uns jedoch schwer zu begreifen, wie sie sich über die Leiden und
Qualen aller Sünder freuen können. Aber den Theologen des
Mittelalters scheint dies nicht aufgefallen zu sein, und sie stellten sich
andere Fragen: Wie konnten die höllenbewohner die Vorgänge im
Paradiese, die Seligen die in der hölle wahrnehmen? und wurde
die Freude der letztern nicht etwa durch das bloße Anschauen der
Qualen der Verdammten getrübt? Daß die Leiden der letztern durch
das Betrachten der Genüsse im Paradiese vermehrt wurden, fand man
ganz in der Ordnung.
In bezug auf die Möglichkeit des Sehens scheint man sich in
ältester Zeit keine Gedanken gemacht zu haben. In der sogenannten
—
Mörder und sagen: O Gott, gerecht ist dein Gericht! Ganz über—
flüssig bemerkt dazu A. Dietrich (Nekyia S. 61), es sei dies griechische
hades⸗Porstellung. „Wie könnten sonst die Seelen der Ermordeten
in die hölle kommen ?“
Nach diesem Schluß müßte man annehmen, daß auch der arme
Cazarus und der Reiche im griechischen Hades weilten. Und könnten
nicht die Ermordeten auch Sünder gewesen sein? Nach dem Cvan—⸗
gelium scheint nur der Sünder den Lazarus zu sehen und ebenso sehen,
nach dem Markandeya Purana (aus dem 8-10. Jahrhundert), nur
die in den höllen gepeinigten, zur Verstärkung ihrer Qual, die im
himmel weilenden glücklichen Seelen, aber diese nicht jene. Dagegen
meint aber der am Anfang des fünften Jahrhunderts gestorbene
hhristliche Dichter Aurelius Prudentius in seiner Hamartigeneia, man
190
Die Verdammten und die Seligen.
dürfe die weitreichende Sehkraft der seligen Himmelsbewohner nicht
nach der unserer irdischen Augen abschätzen. Trotz der unermeßlichen
Entfernung des Paradieses von der Hölle sehen die Seligen (ohne
Fzernrohr) deutlich, was da unten vorgeht. ähnlich fragt der hl.
dugustinus (DDe civitate Dei L. XX. 22): „Wie werden denn die Se—⸗
ligen körperlich das Paradies verlassen und sich zu den Straforten
begeben, um die Qualen der Sünder anzuschauen?“ und antwortet
sich selbst: „Die Sünder draußen in der Finsternis, wo, nach Mat⸗
thäus XXV. 30, heulen und Sähnklappern ist, wissen freilich nichts
von dem, was im Paradiese vorgeht, aber die Seligen dort wissen
sohne das Paradies verlassen zu müssen) alles, was draußen in der
Finsternis geschieht“.
Dagegen sagt Vincenz von Beauvais, die Gerechten werden zum
Anschauen der höllenqualen geführt (ad videndum tamen ducuntur),
damit sie Gott, der sie davon befreit, um so heißer lieben sollen, und
die zu ewiger Qual Verdammten werden zum Anschauen des Triumphs
der heiligen geführt (ducuntur ad Sanctorum gloriam), damit sie um
o schmerzlicher fühlen, welches Lohns sie sich selbst beraubt haben.“
Statt dieser Informationsreisen denkt sich Bautz eine Art von
kngelpost, freilich nur für die armen Seelen im Fegfeuer: „Um etwas
bdon der Erde zu erfahren“, sagt er, „sind sie auf fremde Botschaft—
insbesondere auf die heiligen Engel angewiesen. Um vom Himmel,
nach dem sie trachten, etwas zu erfahren, sind sie ebenfalls auf die
heiligen Engel angewiesen. Wir dürfen annehmen, daß die heiligen
zchutzengel, die ihnen beistehen, mitunter liebende, tröstliche Botschaft
ruch vom himmel bringen, zumal von jenen seligen Geistern, die
hnen näher stehen.“?
In bezug auf die zweite Frage, den Eindruck des Wahrgenom⸗
menen auf Selige und Verdammte, meint Papst Gregor der Große
(Dialog IV. 44), daß die Sünder ewig leiden, damit die Seligen sich
ewig freuen und Gott danken sollen, daß sie den Höllenqualen ent⸗
zangen sind. Und da die Sünder unverbesserlich sind, beten sie nicht
für sie, wie sie ja auch nicht für die Teufel beten.
fus vier Motiven, lehrt der hl. Bernhard, freuen sich die Seligen
über die Qualen der Verdammten: 1. Weil sie selbst sie nicht erleiden.
2. Weil die Bösen durch diese Qualen an weitern Übeltaten gehindert
werden. Z3. Weil ihre eigene Herrlichkeit durch den Rontrast um so
1
2
Speculum historiale cap. 95 8. 11209.
Das Fegfeuer s. 119.
Scchadenfreude der Seligen.
191
zlänzender erscheint. 4. Weil, was Gott tut, von den SFrommen nur
zu loben ist.!
Thomas von Aquino lehrt, daß die Seligen die Qualen der
berdammten sehen werden, damit sie von ihrer eigenen Seligkeit
um so größeren Genuß haben sollen und daß sie mit den Gequälten
zein Mitleid haben werden.?
Petrus Combardus fragt (am Ende des vierten Buches seiner
Sentenzen), ob der Anblick der Qualen der Sünder die Seligen
betrüben oder erfreuen wird, und antwortet unter Berufung auf Papst
Gregor: „Wo kein Mitleid obwalten darf, kann keine Betrübnis
eintreten, und wenn die Seligen im Paradiese auch genug Freude ge—
nießen, so könne diese durch den Anblick der Qualen der Sünder
doch vermehrt werden. Sie werden sich nicht betrüben, sondern Gott
danken, daß sie von solchen Qualen befreit sind.“
In dem Elucidarium des Honorius Augustodunensiss sagt der
Meister, daß die Gerechten die Qualen der Sünder sehen und sich
freuen werden, daß sie ihnen entgangen sind. Die Sünder werden
schon vor dem letzten Gericht die Frommen in der Glorie sehen und
ich über ihren Verlust kränken. Nach dem Gericht werden die
Berechten auch ferner die Leiden der Bösen sehen, diese aber werden
die Seligen nie mehr zu sehen bekommen. Auf die Frage des Schülers,
ob die Seligen sich nicht beim Anschauen solcher Qualen kränken
werden, antwortet der Meister: Nein, selbst nicht der Vater über
den Sohn, nicht der Sohn über den Vater, nicht die Mutter über die
Tochter oder die Tochter über die Mutter, nicht der Mann über die
Gattin, nicht die Frau über den Gatten. Sie werden keine Kränkung
haben, die Qualen werden ihnen vielmehr ein vergnügliches Schau⸗
spiel sein, wie etwa uns das Spielen der Fische im Wasser; denn es
heißt im Psalm 57, 11: die Gerechten werden sich freuen, wenn sie
die Bestrafung der Sünder sehen werden. „Und werden sie für sie
nicht beten?“ fragt der Schüler. Nein, antwortet der Meister, sie
würden dadurch sich in Widerspruch mit Gott setzen, mit dem sie doch
eins sind und dessen Urteil ihnen Freude macht.
1 In quadragesima, sermones in psalmum XC sermo 8, bei A. Graf.
Miti leggende e superstizioni J. 257.
Summa, Suppl. quaest. 94 bei Delpierre, L'enfer 5s. 121.
3 Honorii Augustodunensis operum pars quarta Elucidarium sive
dialogus de summa totius christianae Theologiae, Liber III. 5, bei Migne
batrologia lat. T. 172 p. 1161.
2
192 Die Verdammten und die Seligen.
In dem angelsächsischen, dem Bischof Kynewulf aus der zweiten
hälfte des 8. Jahrhunderts zugeschriebenen Gedicht „Christ“ heißt es
bei Schilderung des Jüngsten Gerichts:
„Dann ist das dritte Seichen, wie in des Düsters Üübel
das selige Volk sieht die Verfluchten
zum Schuldwerklohne Schmerz erdulden,
wallende Lohe und der Würmer Fraß
mit bitteren Bissen, der brennenden Schar.
Daraus erwächst ihnen dann gar wonnesame Freude,
wenn sie das Übel sehn die Andern tragen,
daß sie durch Gottes milde Gabe genesen.
Um so gerner danken ihrem Gott sie dann
für Seligkeit und Freude, die sie da sehen beide,
daß er sie entnommen aus den Notqualen,
und ihnen auch verlieh den ewiglichen Jubel.“
ähnlich wie der hl. Bernhard erklärt der Jesuit Lessius im sech⸗
zehnten Jahrhundert den Zweck und Nutzen des Anschauens der
Qualen der Verdammten durch die Seligen.
Es bedarf keiner weitläufigen Erklärung, um darzulegen, wie
ehr solche Lehren zur Anfachung der Grausamkeit gegen Ketzer dienen
mußten.
Merkwürdig ist es, daß in der Totenmesse doch gebetet wird,
daß Gott auf die Fürbitte der hl. Jungfrau und der andern heiligen
—
den Verstorbenen die ewige Seligkeit verleihen wolle. Es scheint
sich dieses Gebet aber nur auf die Toten zu beziehen, von denen man
voraussetzt, daß sie nicht in die Hölle, sondern ius Fegfeuer ge⸗
kommen sind.
Mohammed läßt an der Grenzmauer zwischen Hölle und Paradies
die Verdammten eine recht lebhafte Unterhaltung mit den Seligen
Nach C. W. M. Grein, Dichtungen der Angelsachsen, J. s. 182
O. 1248 - 1259.
Beati intuitive et clare damnatorum poenas cernunt........
Multiplex etiam hinc fructus. Nam primo facit ad cumulum gaudi, quod
videant miserias aliorum, quas ipsi auxilio gratiae divinae evaserunt, easque
cum sua felicitate componant .... denique provocantur ad congratulandum
justitiae divinae, quae hoc modo ordinem justitiae a peccatoribus violatum
instaurat et sibi quodammodo satisfieri curat. (Lessius De perfect. div-
L. XIII. 29, bei Dr. J. Bautz, Die hölle 17.)
s Bautz, Das Fegfeuer S. 233.
Unterweltsräume bei Naturvölkern.
193
führen. Wie der KReiche des Cukasevangeliums bitten die im Höllen⸗
feuer bratenden die Seligen: „O gießet doch etwas Wasser auf uns,
oder von den sonstigen Erfrischungen, mit welchen euch Gott ver—
sehen“. Die Paradiesbewohner aber antworten: „Gott hat dies für
die Ungläubigen, Verblendeten, für die, welche mit der Keligion nur
Spott und Scherz getrieben haben, verboten“
Nach mohammedanischer Tradition verdoppeln sich beim gegen⸗
seitigen Anblick die Freude der Seligen und die Qual der Verdammten.
Diese erblicken eine Türe, welche sich ins Paradies öffnet, aber sobald
sich einer von ihnen ihr nähert, wird sie plötzlich geschlossen, unter
dem lauten Gelächter der Seligen über die vergeblichen Anstrengungen
der Verdammten Eingang zu finden.?
—F—
XII. Fegfeuer und Limbus.
Von den vier Räumen des Jenseits nach katholischer CLehre sind
bereits Hölle und Paradies, deren 3weck klar und bestimmt ist, ge⸗
nannt, erstere auch eingehend geschildert worden. Auch die zwei
andern — Fegfeuer und Vorhalle — Limbus — sind nicht erst mit
dem christlichen Glauben entstanden. Spuren eines Raumes für
borübergehenden läuternden Aufenthalt der Abgeschiedenen finden
sich sogar bei manchen Naturvölkern. Einige nordamerikanische
Indianerstämme glauben, daß die Schlechten nach Abbüßung ihrer
dünden durch kürzern oder längern Aufenthalt im Cande der Ver—
zweiflung in das Reich der Seligkeit gelangen. Bei den Irokesen
ist aber in dieser Beziehung der Einfluß christlicher Lehren wahr⸗
scheinlich⸗ Die Einwohner von hawai kennen außer zwei Reichen
des Jenseits, in denen die Seelen je nach ihrem Stande Unterkunft
finden, auch eine Grenzregion, wo sie einige Zeit verweilen und von
wo sie auf die Oberwelt zurückkehren können, wenn sie nur schein⸗
tot waren.“ Ungefähr denselben Glauben hatten, nach Oldenberg,
Koran, Sure VII. 48-49.
2 E. Spieß, Entwicklungsgeschichte der Vorstellungen vom Sustande
nach dem Tode, 5. 502.
Steinmetz a. a. O. 369 - 370.
Ratzel J. 292.
Tandau, Hölle und FSegfeuer.
83
194
Fegfeuer und Limbus.
die alten Inder. Er schließt daraus, daß man den Verstorbenen die
regelmäßigen, monatlichen Totenopfer erst ein Jahr nach dem Tode
zu bringen anfing, daß man annahm, der Tote erlange den ihm ge⸗
hührenden Platz im Jenseits erst nach Ablauf einer gewissen Zeit.“
dach Manus Gesetzen (XII. 16, 17. 22) scheint die Seele nach
dem Tode einen zur Erleidung der Strafe bestimmten Körper zu be⸗
kommen, der nach Überstehung derselben wieder in die fünf Elemente,
die ihn bildeten, aufgelöst wird.
Zei den Griechen und Römern herrschte der Glaube, daß die
Seele nicht zur Ruhe und zu einem ständigen Wohnsitz gelangen könne,
so lange der Körper nicht begraben oder verbrannt worden sei.
Tote erscheinen manchmal, um von Verwandten oder Freunden diesen
letzten Dienst zu verlangen, und es galt als verdienstlich ihn zu leisten.ꝰ
Ebenso bei den Juden, obwohl er nicht als erforderlich galt, damit
die Seele zur Ruhe gelange. Der Patriarch Jakob erwartet den
sohn Joseph im Scheol wiederzusehen, obwohl er ihn von einem
wilden Tiere zerrissen glaubt.⸗
Bei den Griechen unterscheidet schon Plato (Ende von Gorgias)
zwischen den zum 3wecke der Besserung in der Unterwelt gestraften
und den zu ewiger Qual verurteilten Seelen, welche den Lebenden
zur Warnung dienen sollen. ähnlich spricht er im Phädon (113/19)
bon der Sonderung der Verstorbenen: Die, welche einen mittelmäßigen
Tebenswandel geführt haben, gelangen in den acherusischen See, wo sie
büßen und sich reinigen, bis sie ihre Vergehungen abgebüßt haben; die
chweren Verbrecher, Tempelräuber, Mörder und ihresgleichen, werden
in den Tartarus geworfen, aus dem sie nie mehr herauskommen.
Andere werden immerfort in den Höllenflüssen herumgetrieben, bis
sie von denjenigen, die sie ermordet oder sonst geschädigt haben, Ver—
zeihung erlangt haben. Im Phädros und im Staat (21829, 615- 16)
ist die Buße und Reinigung mit der Seelenwanderung verbunden:
Nach dem Urteilsspruch des Gerichts gelangen die Cinen in den unter⸗
irdischen Strafort, die Andern in einen gewissen Ort des himmels
wo es ihnen dem von ihnen geführten Leben gemäß ergeht. Nach
tausend Jahren steht Beiden die Wahl des neuen Lebens frei. Da
kann eine menschliche Seele in ein Tier, ein Tier, das schon einmal
Mensch gewesen, wieder in einen Menschen verwandelt werden. zu
KReligion des Veda, S. 554.
Dergl. Ilias XXIII. 7o ff.; Odnssee XI. sOff.; Aeneis VI. 328 ff.; Silius
Italicus XIII. 465;
s3 Genesis XXXVII. 33 - 35; Buch Tobias IJ. 20, 21.
Fegfeuer bei Parsen und Mohammedanern. 195
diesem Termin treffen die Guten und die Gebesserten auf einer Wiese
zusammen; die aus der Unterwelt, mit Schmutz und Staub bedeckt,
heraufkommenden erzählen jammernd, was sie in diesen tausend
Jahren erlitten haben, die vom himmel Gekommenen, wie gut es
ihnen dort ergangen ist und wieviel Schönes und Wunderbares sie
dort gesehen haben.
Die tausendjährige Reinigungszeit finden wir auch bei Virgil
Aeneis VI. 7360- 48); aber wie es scheint, müssen sie nach ihm alle
Derstorbene durchmachen. Deutlicher heißt es bei Plutarch, daß nicht
bloß die bösen und sündigen Seelen für ihre Freveltaten zu leiden
haben, sondern daß auch die guten, um die ihnen vom Körper an⸗
haftenden Miasmen durch Reinigung zu entfernen, im mildesten Teile
der Cuft, der Hadeswiese (die aeris campi Virgils 7), eine bestimmte
zeit verweilen, um dann ins Elysium zu gelangen.“
Tine Art von Fegfeuer scheint auch das Hhaméstagan der Perser
zwischen Erde und Sternenbahn zu sein, wo die Seelen, deren gute
und schlechte Taten sich das Gleichgewicht halten, bis zur Auferstehung
bleiben und wo sie außer der natürlichen Hitze und Kälte keine be—
sondere Leiden zu ertragen haben. Nach dem Theologen Manuschar
hat das hamèstagan zwei Abteilungen und in der für die minder
zuten Seelen bestimmten haben diese schon manche Qualen zu erleiden.“
Dem hamäéstagan ähnlich und wohl dem persischen Glauben ent⸗
lehnt scheint der Zwischenraum (UAraf) zwischen Paradies und
hölle der Mohammedaner zu sein. Doch können die auf der einen
deite Befindlichen sich mit den auf der andern unterhalten.“
Daß die schon in vorchristlicher Seit vorhandene Idee eines
Keinigungsortes für die Seele, eines Zwischenzustandes oder Zwischen⸗
raumes zwischen Paradies und hölle, schon sehr früh vom Christentum
aufgenommen und weitergebildet wurde, ist leicht begreiflich. So
finden wir denn schon in der dritten Vision des um die Mitte des
zweiten Jahrhunderts, wahrscheinlich von einem Judenchristen, ver⸗
saßten „Pastor“, des hermas die Erwähnung eines Ortes, wo Sünder
zepeinigt werden, bis sie ihre Sünden bereut und abgebüßt haben.
Wohin sie dann gelangen, ist nicht ganz klar.“
1VPom Gesicht im Monde 28, bei Ed. Norden, Kommentar zu Aen.
VI. s. 23.
2 Hübschmann in Jahrbücher für prot. Theol. V. S. 224; Söderblom,
S. 1252 130. — 3 Tanlor, s. 100.
F Hhennecke, Neutest. Apokr. S. 221 - 223; Chaßang, Hist. du Roman,
6.
—
43*
196
Fegfeuer und Limbus.
Aus einigen Stellen der Cvangelien! hat die katholische Kirche
die Hinweisung auf ein Fegfeuer herauslesen wollen. Aber es wird
da doch nur gesagt, daß alle Sünden, mit Ausnahme der gegen den
heiligen Geist, vergeben werden. Von Erlangung der Vergebung
durch Peinigungen und von einem dafür bestimmten besondern Ort
ist keine Rede. Auch die ältesten Kirchenväter, wenn sie auch von
einem reinigenden Feuer sprechen, wissen noch nichts von einem
Reinigungs ort. So sagt Gregor v. Nazianz: „Im künftigen Leben
wird durch das Feuer getauft; dieses ist die letzte Taufe, nicht bloß
eine härtere, sondern auch eine langwierigere, welche das Irdische
wie Gras verzehrt und die Frucht aller Schlechtigkeit austilgt“. —
Gregor von NUnssa unterscheidet drei Klassen der Gestorbenen: die
Gerechten, die Sünder und die Indifferenten; letztere erhalten weder
Tohn noch Strafe. Der hl. Augustinus spricht von einem Reinigungs⸗
feuer nur als möglich oder wahrscheinlich.?
ODrigenes lehrt wohl die Reinigung der Sünder durch Feuer,
erklärt aber, daß es, kein gewöhnliches materielles, sondern ein un⸗
sichtbares, die Seele durchdringendes Feuer von anderer Substanz sei.
Tigentümlich ist es, daß er die Dauer dieser Reinigung nach der
Dauer der Sünden bemißt. Er beruft sich darauf, daß Gott, was
die Juden in vierzig Tagen gesündigt hatten, mit ihrer vierzigjäh—
rigen Wanderung durch die Wüste bestrafte.“ ähnlich heißt es bei
Dante (Purgatorium III. 133 ff.), daß, wer im Banne der Kirche
stirbt, dreißigmal so lange, als er die Buße verzögerte, im Vorpur⸗
gatorium verbringen muß.
Selbst Bautz gibt zu, daß die allgemeinen RKonzilien aus älterer
Zzeit und die Partikularsynoden keine feierliche Entscheidungen über
das Seufeuer enthalten, was, wie er meint, auch nicht nötig war:
„Denn der Glaube an das Fegfeuer war zu lebendig, er war ganz
allgemein, häretischer Widerspruch regte sich nirgendwo“.“
Da war also das Fegfeuer der einzige, ausnahmsweise schon in
ältester Zeit allgemein anerkannte Glaubensartikel.
Erst Papst Gregor der Große lehrte den bestimmten Glauben an
ein Fegfeuer für die, welche sich geringfügige Sünden zuschulden
Matthäus XII. 31, Markus III. 28, Cukas XII. 10.
Wetzer und Welte III. 931; Ad. Harnack, Dogmengesch. 2. II. 67
J. C. König, Die Cehre von Christi Höllenfahrt, S. 117119, 233 ff.
36G. Anrich in Sestgabe Holtzmann, s. 111, 116.
Das Fegfeuer, S. 105.
Katholisches Dogma. Fegfeuer nach griechischer Konfession. 197
kommen ließen, während die vollkommen Gerechten direkt in den
himmel, die vollkommenen Sünder in die hölle gelangen. So ward
es endlich zum Dogma der katholischen Kirche, daß es drei Orte für
die Toten gebe: Paradies, hölle und Fegfeuer, daß in letzterm die
deelen der Frommen eine bestimmte Zeit im Feuer gemartert werden
und ihre Sünden abbüßen, bevor ihnen der Eingang ins Paradies
gestattet werden kann. In den für die Seelsorger bestimmten Er—⸗
läuterungen zu der betreffenden Stelle des auf Grund der Tridentiner
Konzilbeschlüsse unter Autorisation Papst Pius V. herausgegebenen
Katechismus (Wien 1763) heißt es, daß die Seelen der Frommen
bis zur bestimmten Zeit geläutert werden, damit ihnen der Cingang
in das ewige Vaterland geöffnet werde. „Von der Wahrheit dieser
Lehre nun, welche nach Erklärung der hl. Kirchenversammlungen so⸗
wohl durch die Zeugnisse der Schrift als auch die apostolische Tradition
bekräftigt worden, soll der Seelsorger um so viel sorgfältiger und
ofter handeln, weil wir in solche Seiten geraten sind, in denen die
Menschen die gesunde Lehre nicht aufnehmen wollen.“
Der Passus von den für die gesunde Lehre unempfänglichen
Zeiten findet sich auch in der Ausgabe Bielefeld-Ceipzig 1867.* Die
Menschen sind also in den letzten hundert Jahren nicht frömmer
geworden.
Seltener als bei den lateinischen sind bei den griechischen Kirchen—
lehrern die Stellen, welche als Beweis für die CLehre vom Fegfeuer
angeführt werden können. Demgemäß ist auch das Dogma der grie—
hischen Kirche in bezug hierauf viel unbestimmter als das der katho⸗
lischen. Die Existenz eines besondern Ortes der Buße wird von ihr
nicht anerkannt. Doch weist sie den bereuend, aber ohne Leistung
der Buße Verstorbenen einen besondern Raum in der ewigen
hölle zu, wo sie eine gewisse Zeit Strafe, aber nicht durch Seuer,
leiden.
Nach dem größern Katechismus der russisch-griechischen Kirche
(EAntwort auf Frage 16 und 68) kommen die Sünder gleich nach
dem Tode in das ewige Feuer und die Sinsternis, „oder wie der
Ort der Verdammnis sonst genannt wird“, erleiden aber keine weitere
1Römischer Katechismus auf Befehl Sr. päpst. Heiligkeit Pius V. für
die Seelsorger herausgegeben ... aus dem Lateinischen ins Deutsche übersetzt,
Wien 1763 J. S. 140-141; Catechismus romanus ex decreto Concilii
Tridentini ad Parochos Pii V. pont. max. jussu editus, Bielefeld, Leipzig
1867, 8. 56.
198
Fegfeuer und Limbus.
Qualen. Erst nach dem Jüngsten Tag empfangen sie die völlige
Verdammnis, sowie die Frommen die volle Seligkeit.
Die protestantischen Kirchen erklären alles, was in bezug auf
Fegfeuer und Fürbitte gelehrt wird, für bloß menschliche Erfindung.
Die Hauptstrafe ist im Fegfeuer, wie in der hölle, das Feuer,
und viele Theologen sind mit dem hl. Thomas von Aquino der An⸗
sicht, daß ersteres sich in unmittelbarer Nähe der hölle befinden muß,
weil das Feuer in beiden identisch ist. Doch meint Prof. Bautz, daß
zwischen beiden Feuern eine durch Gottes Willen gezogene Grenze
bestehe, deren Überschreiten nicht gestattet ist, „eine Rücksicht, welche
den armen Seelen wegen ihrer Würde gebührt“.
„Im Abendlande“, sagt das katholische Rirchenlexikon, „ist es
ziemlich allgemeine Annahme der Theologen, daß die Strafe des
Fegfeuers in einem wirklichen Feuer bestehe. Aber die Virche hat
hierüber sich nicht ausgesprochen, sie lehrt über die Art der Strafe
aichts weiteres, da sie hierüber keine höheren HAufschlüsse empfangen
hat, und dieses Gebiet bleibt darum der freien Forschung überlassen.““
Doch berichten manche auch von verschiedenen andern Straf—⸗
mitteln, wie sie bereits bei Schilderung der Höllenstrafen bemerkt
wurden. Diese aufs gräßlichste auszumalen, haben sich manche Pre⸗
diger und Theologen eifrig bemüht. Und sie hatten ihre guten
Gründe dafür. „Es war“, sagt Harnack, „eine raffinierte Praxis
der Kirche, die sich allmählich herausgebildet hatte, die Menschen durch
die Gnade über die Hölle in bequemer Weise zu trösten, aber sie
andererseits durch das Fegfeuer zu schrechen. ... An die hölle
glauben die Menschen im Grunde nicht, daher schließt die Kirche durch
das Bußsakrament die Hölle. Aber, daß es ihnen einst eine lange
Zeit hindurch sehr schlecht gehen werde, und daß sie ihre Sünden
sämtlich einmal abbüßen müssen, das glauben sie. Darum eröffnet
die Kirche das Fegfeuer.““
„Alle Qualen dieser Welt sind Freuden im Vergleich mit einer
Sekunde im Fegfeuer“, sagte der hl. Bernhard in seiner Predigt
De obitu Humberti. Und ein Ppater Valladier predigte (1615):
„Stellen Sie sich vor, meine zarten Damen, ein Jahrhundert auf den
brennenden Scheitern in Ihren Kamin zu liegen, das ist nichts im
Dergleich mit einem Augenblick im Fegfeuer. Und haben Sie einmal
einen Menschen von vier Pferden zerreißen oder bei langsamem
Wetzer und Welte III. 934; Bautz, Hölle, S. 41, Fegfeuer, S. 71.
Dr. Adolf Hharnack, Lehrbuch der Dogmengeschichte III. 512.
Irdischer Zweck des Segfeuers und furchteinjagende Schilderungen. 199
Feuer verbrennen gesehen? Eine Stunde im FSegfeuer ist schlimmer als
das.“ Ein anderer Bußprediger sagte: „Alle Qualen, welche die
heiligen Märtyrer erlitten haben, finsteres Gefängnis, Zerreißen
durch wilde Tiere, Zwicken mit eisernen Zangen, Rösten auf glühenden
Tisenplatten und dergleichen sind nichts im Vergleich mit den Qualen
des Fegfeuers“.“
Die hl. Gertrud erblickte einzelne Seelen im Segfeuer in Gestalt
häßlicher Kröten und im Seuer glühend; Mechtilde von Magdeburg
sah sie in einem glühenden Bade, das aus Feuer und Pech gemischt
war.? Nach diesen Beispielen können wir wohl auf eine detaillierte
Schilderung der Qualen des Segfeuers verzichten. Wie lange sie
dort für jede einzelne Seele dauern werden zu bestimmen, das ist,
nach Bautz, sehr schwierig, ja unmöglich. Nach Angaben von Visio⸗
nären dauert für manche die Reinigung Jahrhunderte oder gar bis
zum Jüngsten Gericht. Denn „daß das Fegfeuer mit dem Jüngsten
Gericht endigt, ist eine ausgemachte Wahrheit“.“
wie bereits erwähnt wurde, befinden sich in der Unterwelt nach
(nicht allgemeinem) christlichem Glauben außer hölle und Fegfeuer
noch zwei Käume — Limbus“ der Kinder und (nach Ev. Cukas XVI. 25)
Schoß Abrahams —, welche, nach Rusca, übereinander gelegen sind.
Andere Theologen sind der Ansicht, daß der Limbus sich neben dem
Sschoß Abrahams in einiger Entfernung von der eigentlichen Hölle
befindet, weil diese zwei RKäume von den Slammen der hölle unbe—
rührt bleiben.
Johannes de Janua nennt statt des Schoßes Abrahams den
Cimbus patrum als vierten Teil der Unterwelt, in dem sich, nach
Papst Gregor d. G., ohne irgendeine Qual zu leiden, aber auch
ohne Freude zu genießen, die Frommen, welche vor Christi Geburt,
ihn erwartend, gestorben sind, befanden, bis er sie bei seiner höllen—
fahrt befreite. Nach dem offiziellen katholischen Katechismus (Erklä—
rung zu Teil J. Kap. 3) haben sie im Schoße Abrahams oder im
Limbus der Väter, „ohne irgendein Gefühl des Schmerzes, durch
die selige Hoffnung der Erlösung aufgerichtet, eines ruhigen Aufent⸗
halts genossen“.
W. E. Hartpole Cecky, History of european morals II. 138, 247.
Bautz, Das Fegfeuer, 5. 145.
Das Fegfeuer, S. 178, 180 -181.
Cimbus heißt eigentlich Saum, Randeinfassung und wird, nach Du
Cange's Glossarium s. v. Limbus, von diesem Kaum gebraucht, weil er sich
am Rande der hölle befindet.
2
200
Fegfeuer und Limbus.
In einem ähnlichen Vorraum, wo sich die Wege zum Elysium
und zum Tartarus scheiden, befinden sich nach Virgil (VI. 478 2547)
die im Kampfe gefallenen, berühmten Helden. Teils ihm, teils der
Kirchenlehre folgend, läßt Dante im vierten Gesange der Hölle die
tugendhaften und berühmten Heiden, die vor Christi Geburt gelebt
haben, in unstillbarer Sehnsucht schmachten.
Der Ausdruck Schoß oder Busen Abrahams, der einen Aufenthalt
im himmelreich bezeichnet (matthäus VIII. 1), ist ein ursprünglich
jüdischer. So heißt es in der Pesikta Rabbathi, die wohl im neunten
Jahrhundert geschrieben wurde, aber ältere Bestandteile enthält, von
den sieben Märtyrer-Brüdern: „sie werden in Zukunft im Busen
(2) Abrahams ruhen. Es finden sich christliche (7) Grabschriften
aus dem vierten Jahrhundert mit der Bitte, den Toten in den Busen
(ev xAroic) Abrahams, Isaaks und Jakobs ruhen zu lassen, was
Kaufmann für bemerkenswerte „neue Formel“ erklärt.“
Nach christlicher Kirchenlehre gibt es einen Limbus für die vor
der Taufe verstorbenen Kinder; aber auch hier ist nur die Bezeich⸗
nung als ungetauft speziell christlich. Das Schicksal der in der Kindheit
Derstorbenen hat schon Heiden und Juden beschäftigt. Aeneas hört
am Eingang des Hades (VI. 426) das Gewimmer von Kinderseelen:
Welche, da kaum sie erblühten mit Lust, von den Busen der Mütter
Kaubte der schreckliche Tag und unreif senkt' in die Grube.
Virgil folgte hier wohl orphischen CLehren, wie auch Plato, der
am Ende vom „Staat“ eine besondere Behandlung der vorzeitig ge⸗
storbenen Kinder andeutet. Daß die Magier lehrten, die vorzeitig
Gestorbenen müssen so lange umherschweifen, bis sie das Alter erreicht
haben, zu dem sie gelangt sein würden, wenn sie nicht vor der be⸗
stimmten Seit gestorben wären, berichtet Tertullian.
Es lag vielleicht der Gedanke zu grunde, daß die in früher
Kindheit Gestorbenen nichts getan haben konnten, was Lohn oder
Strafe verdiene, und Virgil hat dies verkennend ihnen die Selbst⸗
mörder, die sich selbst das Leben verkürzten, zu nächsten Nachbarn
gegeben.
Ein jüdischer Theolog weist wieder denen, die vorzeitig eines
gewaltsamen Todes gestorben sind, den Aufenthalt zwischen dem äußern
C. M. Raufmann, Die sepulkralen Jenseitsdenkmäler der Antike und
des Urchristentums, Mainz 1900, 8. 69. Pesikta Kap. 43 F. 180 b. ed.
M. Sriedmann. Schoß Abrahams vielleicht Vorplatz der Hölle, als deren
pförtner der Patriarch galt (s. oben 5. 68).
2 De anima 56, bei Rohde, Psyche II. 83.
Kinder nach Virgil und Talmud. Kinder und Eltern. 2017
und dem innern Tor der Hölle zu, bis sie die ihnen bestimmte Lebenszeit
erreichen.“
Ganz erträglich ist, nach dem Talmud, das Schicksal der Kinder
im Jenseits, das indessen manche von ihnen nicht als Seligkeit be—
trachten dürften. Sie müssen nämlich fleißig lernen: Drei Stunden
im Tage unterrichtet Gott die im schulpflichtigen Alter gestorbenen
Kinder, „denn es steht geschrieben (Jesaias 28, 9): Wen soll man
lehren CEinsicht, wem die Kunde erklären? Den Milchentwöhnten,
den Brustentnommenen“.“
Rabbi Gamaliel behauptete, daß die Kinder von Sündern nicht
in den himmel gelangen, denn es steht geschrieben (maleachi III. 19):
„es werden alle Frevler Stoppeln sein, und es wird sie entzünden
der kommende Tag, spricht der Ewige der heerscharen, der ihnen
nicht zur üchlassen wird Wurzel noch Ast“. Unter Be—
rufung auf Psalm 116, 6 — „es hütet die Cinfältigen der Ewige“
— erklärte dagegen Kabbi Akiba, daß diese Rinder doch in den
himmel kommen. In bezug auf die Kinder von Sternanbetern herrscht
dagegen Übereinstimmung, daß sie vom Himmel ausgeschlossen sind.
Strittig bleibt noch das Alter, von dem an die Kinder dort Zutritt
haben. Die Cinen öffnen den himmel schon den im Mutterleibe ge—
storbenen, Andere nur den schon geborenen oder den beschnittenen
oder gar erst denen, welche Amen sagen können.“
Nach dem Midrasch zu Prediger Salom. IV. 1 sterben die Kinder
so jung wegen der Sünden ihrer Eltern und gelangen dann (als
Erwachsene) in die Keihen der Seligen, während die Eltern unter die
zünder eingereiht werden. Die Kinder bitten Gott, da sie für die
Sünden der Eltern so früh gestorben sind, diese ihr Verdienst genießen,
und sie zu den Seligen gelangen zu lassen. Gott will anfangs darauf
nicht eingehen, da die Eltern auch nach dem Tode der Kinder ge—
sündigt haben, wird aber schließlich durch die Argumente des Propheten
Elias bewogen, Gnade walten zu lassen. Denn es steht geschrieben
Sacharia X. 99: „Sie bleiben am Leben mit ihren Kindern und
kehren zurück“.
Nach christlicher Lehre ist es nicht mehr die Jugend allein, sondern
das Fehlen der Taufe, welches den gestorbenen Kindern einen be—
sonderen Aufenthaltsort und besondere Behandlung verursacht; denn
Abba bar Rahane, bei Bacher, Agada der paläst. Amor. II. 496.
Talmud bab. Abodah Sarah 3b.
3 Talmud bab. Synedrion 110b.
2
202
Fegfeuer und Limbus.
es steht geschrieben (kv. Markus XVI. 16): „Wer glaubet und getauft
wird, der wird selig werden“.
Was nun die Behandlung dieser Kinder im Limbus infantium
oder infernus parvulorum betrifft, so sind die strengern Theologen
der Ansicht, daß sie von der fühlbaren Strafe der Verdammten be⸗
freit sind, während die mildern sich auf die verborgenen Führungen
Gottes zum heile berufen. Jedenfalls sind sie nach katholischer Glau⸗
benslehre von der ewigen Seligkeit für immer (7) ausgeschlossen. Ja
manche Kirchenlehrer, wie Gregor der Große, Isidor von Sevilla,
Fulgentius, sind der Meinung, daß sie auch eine gelinde Feuerstrafe
zu leiden haben.“
In der Vision des Alberich wird berichtet, er habe im Fegfeuer
eine Menge kleiner Kinder gesehen, welche mit rotglühender Asche
und siedenden Dämpfen gequält wurden. Der ihn führende Apostel
Petrus sagte ihm, es wären ungetaufte Kinder und deren Bestrafung
oder Reinigung dauere bei Einjährigen eine Woche, bei Zweijährigen
zwei Wochen usw. im Verhältnis zum Alter.
Frezzi findet bei seinem Besuch der Unterwelt die ungetauften
Kinder auf einer Wiese spielend, aber über ihren Ausschluß vom Para⸗
diese bitterlich weinend. Auf seine Frage erklären sie ihm wie
gelehrte Theologen, daß Grund dieser Ausschließung die Erbsünde ist.“
Nicht gar weit davon ist der Glaube der Fidschi- und Gilbert⸗
insulaner, daß es den Nichttätuierten, der Cingeborenen von AAura, daß
es denen, welche nicht Mitglieder der geheimen Gesellschaft „Suke“ sind,
im Jenseits schlecht ergehe.“
Diel härter ist die Behandlung der getauften, aber sündigen Kinder,
die, ohne Rücksicht auf ihr geringes Alter, so scharf wie Erwachsene
im Jenseits gezüchtigt werden. Das im Alter von sieben Jahren
gestorbene Brüderchen der hl. Perpetua, Märtyrerin in Karthago“,
leidet Tantalusqualen. Seine Schwester sieht ihn in einer Vision, blaß,—
abgemagert und vor Durst beinahe verschmachtend, aus einem finstern
Orte herauskommen und sich vergebens anstrengen, aus einer Zisterne
zu trinken, da der Kleine wegen der hohen Umfassungsmauer das
Wasser nicht erreichen kann. Die Schwester weint und betet für ihn
Wetzer und Welte V. 284, Rathol. Natechismus II.c. 2; Bautz 126-127.
Quadriregio L. II. C. 4.
Steinmetz a. a. O. 587.
Passio S. S. martyrum Perpetuae et Felicitatis, bei Migne Patrologia
Ser. latina III. 34-38. Auch in „Ausgewählte Märtyrerakten“, herausgeg.
von Rudolf RKnopf, Tübingen 1901, 8. 49.
3
Marter der Kinder.
203
mehrere Tage, bis er ihr endlich erfrischt und wohlgekleidet erscheint,
sich mit Behagen volltrinkend, da die Mauer niedriger geworden
var. Dann beginnt er nach Kinderart zu spielen. Was für eine
Jünde das Kind begangen hat und ob es dann wieder ins Fegfeuer
zurückkehren mußte, erfahren wir nicht.
biel schrecklicher werden die Qualen der Rinder von dem katho⸗
lischen Priester J. Furniss in seiner 1861 erschienenen Schrift „The
sight of Hell for children and young persons“ geschildert.
Unter anderm heißt es da: „Im vierten Kerker (dungeon) be⸗
findet sich ein siedender Kessel, darin steht ein Knabe, dessen Augen
wie feurige Kohlen glühen, zwei Flammen schießen aus seinen Ohren
heraus; Feuer fließt aus seinem Munde ; in seinen Adern siedet und
zischt das Blut wie in einem siedenden Kessel; sein Gehirn siedet und
sprudelt im Kopfe, das Mark in seinen Rnochen brennt. Im fünften
Kerker befindet sich ein rotglühender Ofen, dort schreit ein Kind und
windet sich in furchtbarer Qual, stößt mit dem Kopf an die Wände
des Ofens und zappelt mit den Füßchen. Gott war sehr gnädig
gegen dieses Kind, als er es in früher Jugend aus dem Leben rief,
denn er sah höchst wahrscheinlich voraus, daß es nie bereuen und
je älter desto schlimmer werden würde, so daß es dann der Hölle
hätte verfallen müssen.
Und was hatten diese Kinder gesündigt? Das eine verkehrte
in schlechter Gesellschaft, trank und ging nicht zur Messe, das andere
bekümmerte sich nur um Putz, besuchte eine Tanzschule und ging am
Sonntaq in den Park, anstatt in die VRirche! usw.“
Aber es scheint, daß nur die Kinder so jämmerlich klagen, die
Erwachsenen ertragen geduldiger ihre CLeiden im Fegfeuer. Ja manche
behaupten sogar, daß sie sich nach der Strafe sehnen. So lehrt auch
Thomas von Aquino, daß die Qualen im Fegfeuer gern ertragen
werden, weil sie von den Gemarterten als zu ihrer Erlösung notwendig
erkannt werden.“ So sagt auch Dante:
„Zufrieden sind sie, weil sie zu kommen hoffen,
Wann es auch sei, hin zu dem sel'gen Volke“.
Übrigens erscheint die Lage der Büßer im Reinigungsorte, nach
Dantes Schilderung, eine viel erträglichere zu sein, als sie im allge⸗
meinen von den Theologen dargestellt wird.
1 Ceckiy, European morals II. 257; J. Mew, Trad. aspects of Hell
321 -322.
2 N. Tommaseo, Kommentar zu Dante, Purgatorium XXI. Hölle J. 119.
204 Der Verkehr zwischen Toten und Lebenden.
XIII. Der Verkehr zwischen Toten
und Lebenden.
Aus dem Glauben an ein Sortleben der Seele nach dem körper⸗
lichen Tode hat sich logischerweise der an irgendeinen Verkehr der
Toten mit den Überlebenden, besonders mit den Verwandten und
lahestehenden, häufig auch an den mit ihren Feinden oder den von
hnen Benachteiligten entwickelt. Man konnte sich ein vollständiges
Fehlen jeder Beziehung zwischen Diesseits und Jenseits, eine völlige
Unkenntnis und Teilnahmlosigkeit der Toten in bezug auf alles ihre
Nachkommen, sonstige Verwandte, Genossen und Feinde Betreffende
gar nicht vorstellen.
lus diesem Glauben entwickelte sich weiter der an ein zeitwei—
liges Verweilen der Seele auf der Oberwelt nach dem Tode oder an
eine gelegentliche RKückkehr zu dieser. „Die Lehre, daß die Seelen
der Coten unter den Lebenden ihr Wesen treiben, findet sich schon
auf der untersten Kulturstufe, erstreckt sich fast ohne Ausnahme durch
das geistige Leben wilder Völker und lebt weit verbreitet und tief
eingewurzelt noch inmitten der Sivilisation fort. Aus den zahllosen
Berichten von Reisenden, Missionären, Geschichtsschreibern und Theo—
logen ergibt sich als allgemein anerkannt die Meinung, daß die
beiden haupttummelplätze der abgeschiedenen Seelen die Begräbnis—
stelle des Leibes und die Hufenthaltsorte während des fleischlichen
cebens sind.“ 1
Der Cote konnte aber auch, ohne das Jenseits zu verlassen, eine
Wirkung auf die Lebenden ausüben. Er konnte schaden, aber auch
helfen, konnte Seind, aber auch Freund und Helfer sein.
So mußte das Verhältnis der Toten zu den Lebenden sich in
dreifacher Weise gestalten: Der Tote wurde als feindliches, gefähr—
liches Wesen, dessen bösen Willen man zu beschwichtigen suchte, als
hilfsbedürftiger, dem man zu helfen hatte, oder als Gönner und
schützer, von dem man hilfe erwartete und erbat, betrachtet und
dem entsprechend behandelt. Und endlich mußte der Lebende, erwartend
auch einmal in das Reich der Toten zu gelangen, sich einen, wenn
aicht immer angenehmen, doch wenigstens erträglichen Zustand dort
im voraus zu sichern suchen.
1 Tylor II. S. 24.
Malaien und Naturvölker.
205
Wir haben nun diese Beziehungen in ihren verschiedenen Gestal⸗
ungen zu betrachten:
1. Die Toten als Feinde und Schädlinge, die Lebenden
gefährdend oder bedrohend.
Die Rückkehr des Toten in die Welt der Lebenden oder seine
schädigende Wirkung von der Unterwelt aus konnte Sehnsucht, Rache—
durst oder Mangel und Not zur Ursache haben.
Die Malaien auf den Philippinen halten die Verstorbenen für
dösartige Wesen, welche ihre Nachkommen ins Unglück zu bringen
juchen, Krankheiten und Tod verursachen, Schaden an Vieh und Ernte
anrichten, wenn man ihnen keine Verehrung erweist, sie vernachlässigt
oder beleidigt.“
Auf der Insel Engano (in der Sunda⸗-See) werden die Toten böse
Geister, welche die Lebenden, und vor allem ihre eigenen FSamilien,
quälen, sich an ihnen rächen, wenn nicht alle ihre Habseligkeiten mit
ihnen verbrannt werden. Auf den Timorlao- und Tamembarinseln
gilt jede Krankheit als Rache eines erzürnten Ahnengeistes.
Die Tscheremissen glauben, daß, wenn man dem Toten nicht alles,
was er braucht, mitgäbe, er zurückkommen und sich das Nötige, sowie
die Ceute, die er braucht, mitnehmen werde. Man legt ihm daher
Wäsche, Eßgeräte, Pfeife, Geld, Kindern auch Spielzeug ins Grab
und bittet ihn seine Verwandten in Kuhe und lang leben zu lassen.
Bei den Mordwinen erscheinen die vernachlässigten Toten, Nahrung
fordernd, im Traume den Verwandten und verlangen solche. Man
beeilt sich sie zu bereiten und schickt sie, oder wenigstens die KReste
der eigenen Mahlzeit, auf den Friedhof. Manchmal schicken die
Vernachlässigten, ohne vorher zu warnen, Krankheiten, wodann man
sie durch Zauberkünste am Friedhof versöhnen muß. Manche, die
ein schlechtes, sündhaftes Leben geführt haben, werden nach dem Tode
zu Vampyren oder kommen in Menschengestalt zurück, um ganze
Ddörfer mit Plagen heimzusuchen.
Die Galelaresen auf der Insel Halwah legen dem Toten einen
Baumstaum ins Grab, damit er sich nicht einsam fühle und dadurch
Dr. S. Blumentritt, Der Ahnenkultus und die religiösen Anschauungen
der Malaien des Philippinen-Archipels, in Mitteilungen der KM. u. K.
Beographischen Gesellsch. in Wien, Bd. 25 (1882), 8. 160- 68.
Steinmetz, Ethnolog. Studien, S. 356.
s Smirnow, S. 137, 149 - 151, 381- 382.
206 Der Verkehr zwischen Toten und Lebenden.
zur Rückkehr und Mitnahme eines lebenden Verwandten veranlaßt
finde.!
Nach babnlonischem Glauben konnte ein Ckimmu (Geist eines
Unbegrabenen 7) Lebende plagen, krank machen, verunreinigen u. dergl.
entweder um sich dadurch ein Begräbnis zu erzwingen, oder wenn
ein Zauberer ihn dazu beschworen hatte. Dagegen wurden wieder
zaubersprüche angewendet, Gebete an die Götter gerichtet und dem
Toten Opfer an Kleidern und Schuhen gebracht, Wasser und Lebens⸗
mittel gereicht, um ihn zum Abzug zu bewegen.
In einem babnlonischen Beschwörungstexte klagt ein Kranker,
ein Sauberer und eine Zauberin hätten ihn der Gewalt eines umher⸗
irrenden Totengeistes ausgeliefert. Ein andermal wird das Leiden
eines Schwerkranken darauf zurückgeführt, daß der böse Totengeist
herausgekommen ist. In der Gebetsammlung aus der Zeit des Rö⸗
nigs Asurbanipal befindet sich das Gebet eines Menschen, der von
einem Totengeist besessen ist. .... Er bittet den Sonnengott ihn von
diesem Dämon, möge es nun der Geist eines Familiengliedes oder
eines Ermordeten sein, zu befreien. Kleider, Schuhe, Wegzehrung
und anderes habe er ihm schon gegeben; nun möge er nach der
Unterwelt gehen und dort soll der Pförtner ihn festhalten, daß er
nicht mehr entrinnen kann.?
Die Einwohner von Temesa hatten den Polites, einen Gefährten
des Odysseus, der einer Jungfrau Gewalt angetan hatte, gesteinigt.
Um sich zu rächen, wütete dessen Geist plagend und mordend gegen
die Temesaner, so daß sie schon die Stadt ganz zu verlassen gedachten.
Auf den Spruch der Pythia gaben sie ihr Vorhaben auf, bauten dem
Polites einen Tempel und opferten alljährlich eine Jungfrau, um
ihn zu versöhnen. Erst als Cuthymos nach Temesa kam, sich in die
zum Opfer bestimmte Jungfrau verliebte und das Gespenst im
Kampfe besiegte, entfloh es und verschwand in der Tiefe des
Meeres.“
Einem Landmanne der attischen Gemeinde Anagyros, der den hei⸗
ligen Hain des Cokalheros umgehauen hatte, tötete dessen Geist die
Frau, flößte dann dessen zweiter Frau eine sträfliche Liebe zu ihrem
stiefsohne ein, den sie bei seinem Vater verleumdete, als er ihr nicht
zu Willen sein wollte. Dieser ließ den Sohn blenden und auf einer
Frazer, The golden bough III. 130.
2A. Jeremias, hölle und Paradies, S. 29. C. W. Ring, Babylonian
Religion and Mythology, S. 45. Jastrow, The Religion 602.
s Ppausanias VI. 6 3, Strabo VI. 1; Helian Versch. Gesch. VIII. 18.
Tumeniden und Rächer des Mordes. 207
einsamen Insel aussetzen, dann erhängte er sich selbst und die Frau
türzte sich in einen Brunnen.“
Kache heischend erscheint in den Cumeniden des Aeschylos (V. 97 ff.)
der Geist der ermordeten Klytämnestra, doch mehr die undankbaren
Götter als die Menschen anklagend, weil ihr Cod ungerächt geblieben.
Kache der Toten wird auch mehrmals in dessen „Totenspenderinnen“
D. 392 41, 323- 31, 283 ff.) erwähnt. Mit Kache aus dem Hades
droht Herakles seinem Sohne in den „Trachinerinnen“ des Sophokles
D. 1200). Plato erwähnt in den Gesetzen (X. 865 d. e. 866 4. b.)
einer alten Sage von einem sich rächenden Coten. Nach Aristophanes
DPögel 1483 ff.) erscheint der Geist des Orestes in der Nacht, dem
Begegnenden Verderben bringend.
In voller Kraft“, sagt Rohde, „lebte noch im fünften und
dierten Jahrhundert in Athen der Glaube, daß die Seele des ge⸗
waltsam Getöteten, bevor das ihm geschehene Unrecht an dem Täter
gerächt sei, unstät umirre, zürnend über den Frevel, zürnend auch
den zur Rache Berufenen, wenn sie ihre Pflicht versäumen. Sie selber
wird zum Kachegeist, ihr Groll kann auf ganze Generationen hinaus
furchtbar wirken.“?
Auch in Rom sollen die Toten es höchlich übel genommen haben,
als man die Darbringung der bescheidenen Opfer, mit denen sie sich
begnügten, vernachlässigte. Sie stiegen aus den Gräbern und zogen
in der Nacht heulend durch Stadt und Land, bis man ihnen die üb⸗
lichen Opfer wieder brachte. Der Geist der von ihrem Vater ge⸗
töteten Virginia (a. u. c. 300) drang in alle häuser Roms ein und ruhte
nicht. bis alle an ihrem Tode Schuldigen ihre Strafe erlitten hatten.
Nach Valerius Flaccus gestattet Jupiter den Ermordeten, auf
ihre Klagen in die Oberwelt, von einer Furie begleitet, zurückzu⸗
kehren, um ihre Mörder ausfindig zu machen, sie zu beunruhigen und
mit Gewissensbissen zu quälen.“
Rohde, Psyche 179. Nach Suidas s. v. Anagyrasius hat der Vater
den verleumdeten Sohn einmauern lassen. Mehrere andere solcher Phädra⸗
Beschichten, ohne Cinwirkung eines Geistes, habe ich in meinen „Quellen
des Dekameron“ 2, Ss. 65—69 angeführt.
Psyche 240.
Civius III. 58; Opid, Sast. II. 5347 -6555.
Ad solium venere Jovis quesstuque nefandam
edocuere necem, patet ollis janua leti
atque iterum remeare licet; comes una sororum
additur etpariter terras atque aequora lustrant etc. ...
(Argonauticon III. 385 54.)
3
208 Der Verkehr zwischen Toten und Lebenden.
—— — —
Hier zeigt sich schon der Ubergang zu einer minder materiellen
lluffassung: Der Quälgeist steckt nur im Gewissen und in der Phan—
tasie des Schuldigen. Huch in Shakespeares hamlet ist der zur
Kache antreibende Geist seines Vaters nur bei der ersten Erscheinung,
nach dem Dichter, als wirklicher aufzufassen; die spätere, während
der Unterredung Hamlets mit seiner Mutter, ist nur Hhallucination.
Ebenso ist es nur der von seinem Gewissen gequälte Macbeth allein,
der beim Bankett den Geist Banquos zu sehen glaubt, als hätte er
ihn unabsichtlich durch sein erlogenes Bedauern heraufbeschworen. Es
ist ja ein weitverbreiteter Aberglauben, daß man die Namen von
Toten nicht nennen darf, damit sie nicht unerwünscht zurückkommen
sollen.
Kache heischend erscheint auch der Geist des Ninus am hellichten
Cage vor einer großen Versammlung in Voltaires Semiramis.
Doch mag es genügen, hiefür auf Lessings Hamburgische Dramaturgie
St. 10. 11 zu verweisen.
Aber lange vor Shakespeare und Voltaire ist der Totengeist zur
Custspielfigur geworden. In Plautus' Mostellaria wird dem alten
Theuropides eingeredet, das Gespenst eines vor vielen Jahren Ermor⸗
deten spuke in seinem Hause.
Dagegen erzählt der jüngere Plinius in seinem Briefe an Sura
(VII. 27) ganz ernsthaft und gläubig von einem Gespenst, das ein
haus lange Zeit unbewohnbar machte und sich erst zur ewigen Kuhe
begab, nachdem man ihm ein anständiges Begräbnis nach üblichem
Kitus veranstaltet hatte.
fAuch der ermordete Caligula hörte erst zu spuken und die
Wächter zu beunruhigen auf, als man seinen Körper verbrannt und
anständig bestattet hatte.
In China kam einmal ein Toter des Nachts zu einem Bekannten
und teilte ihm mit, er sei von seiner Frau vergiftet worden. Die
Erscheinung wurde der Behörde angezeigt und die Frau erhielt die
verdiente Strafe. Dort kommen manchmal Selbstmörder zurück und
suchen Lebende zum Selbstmord zu verlocken oder zu zwingen. Ebenso
suchen Ertrunkene oder von Tigern Getötete, CLebende zu ähnlichem
Tode zu bringen.“
velbstverständlich war es besser, wenn man solchen Besuchen zu⸗
vorkommen, solche Plagen verhindern, den Toten jeden Vorwand
1Srazer, The golden bough J. 421 -430.
2 Suetonius, Caligula 59.
De Groot, Religious system V. sS. 525, 554, 714, 722, 757- 758.
Schutzmaßregeln der Lebenden. Verbrennung, Fesselung. 209
dazu benehmen konnte. So suchte man sich auf allerlei Weise gegen
seine Rückkehr zu schützen und, wenn man sie nicht verhindern konnte,
seinen Aufenthalt in der Welt der Lebenden zu verkürzen. Dies ge—
schah, indem man ihn entweder gewaltsam an der Rückkehr hinderte,
oder durch Opfer am Grabe zu versöhnen und zu beschwichtigen,
durch Mitgabe von Waffen, Sklaven, Lebensmitteln, Gerätschaften und
andern Gebrauchsgegenständen seine Bedürfnisse zu befriedigen, sein
Ceiden zu lindern oder abzukürzen oder auch ihn zu täuschen suchte.
Als vorzüglichstes Mittel die Rückkehr zu verhindern, diente
manchmal die Verbrennung des Leichnams, häufiger das Fesseln oder
Cinmauern. Schon im Atharvaveda (V. 19) ist von Fesseln, die man
dem Toten anlegte, die Rede. Die nordische Sage erzählt von
Mördern, die, fürchtend die Geister der von ihnen Crmordeten könnten
zurückkehren und sich rächen, nicht bloß Steine auf die Leichname
warfen, sondern ihnen auch die Füße zusammenbanden.
Vor vierzig Jahren soll noch im sächsischen Voigtlande die Sitte
geherrscht haben, dem Toten im Sarge die hände mit einem Tuche
zusammenzubinden, damit er nicht zurückkehre und jemanden aus der
Familie hole.
Auf den Banks-Inseln? legen die Eingeborenen einer im Kind—
bett verstorbenen Frau einen in Blätter gehüllten Bananenklotz ins
Grab, damit sie glauben soll, es sei ihr Kind. Kommt sie ins Toten—
land, wo solchen Nachahmungen kein Cinlaß gewährt wird, so erfährt
sie den Betrug und kehrt wütend zurück, um das Kind zu holen.
Dieses hat man aber inzwischen an einen andern Ort gebracht, und
sie kann es nicht mehr finden. In ähnlicher Weise wird die tote
Mutter auf den Pelew⸗Inseln, auf Timor und bei Negern im Niger—
delta betrogen. Battas, Botokuden und manche Wilde in Australien
schafften sich Kuhe vor den Toten, indem sie die Leichname aufaßen.?
In Griechenland zerstückelte manchmal der Mörder den Leichnam
des Ermordeten, damit er sich nicht rächen könne. Die Furcht vor mög—
lichem Wiederkommen, sagt Friedrich v. Duhn“, ist es gewesen, die zuerst
zu mechanischer Erschwerung desselben führte, indem man den Toten
kräftig einschnürte und fesselte oder mit Erdmassen und schweren Steinen
belastete, in Bauten, vor deren Cingang man große Steine wälzte, einschloß.
1Ciebrecht, SZur Volkskunde, S. 275. Vossische Seitung, Berlin,
19. April 1908, 12te Beilage. — Frazer, a. a. O., S. 345.
*A. Bros, La mort ches les peuples non civiliseͤs, Revue du Clergè
francçais, 1. Octobre 1908.
Kot und Tod, in Archiv für Religionswissenschaft IX. (1906), 5. 3.
andau, hHölle und Segfeuer.
210 Der Verkehr zwischen Toten und Lebenden.
Arnold Meyer meint sogar, der Brauch, Leichensteine zu setzen,
stamme von der Absicht her, die Toten in ihren Gräbern einzusperren,
damit sie nicht herauskommen, um die Lebenden zu schrecken.“
Doch war dabei zuweilen wohl auch der Wunsch mitbestimmend,
den Leichnam und seine Beigaben vor wilden Tieren und Räubern
zu schützen, wie ja diese Beigaben nicht stets aus Furcht, sondern
auch aus Mitleid mit den Toten gegeben wurden.
Die Agypter der neolithischen Zeit legten zwar Nahrungsmittel
in die Gräber, hieben aber auch den Toten Köpfe und Beine ab,
um von ihnen nicht im Besitze ihrer Frauen, Häuser und sonstigen
Dermögens beunruhigt zu werden.?
In späterer Zeit legten sie aber auch Möbel, Waffen, haus⸗
geräte und Thonstatuetten, die für den Toten im Jenseits arbeiten
jollten, ins Grab. Auch wurden in Inschriften auf Grabsteinen die
Vorübergehenden gebeten, sie möchten sich bei den Göttern verwenden,
damit sie der Totenseele (dem Ka) Lebensmittel reichen sollen. Osiris,
sagt Maspero, ward gewissermaßen der Vermittler, durch den man
den Toten Nahrung zukommen ließ.“
Kurios ist der in einem Leydener Papyrus aus dem zwölften
vorchristlichen Jahrhundert enthaltene Brief eines ügypters an seine
derstorbene Gattin, in dem er ihr droht, er werde vor dem Gericht in
der Unterwelt gegen sie Klage erheben, falls sie nicht aufhöre ihn
zu quälen.“
Auch die Totenklagen sollen den Zweck haben, den Toten zu
bewegen, sich je eher desto lieber ins Jenseits zu begeben. Sie wurden
zu gewissen Seiten wiederholt, um ihn von der Rückkehr abzuhalten.ꝰ
Gräßliche Mittel wurden auch angewendet, um das Ausbrechen
der Blutsauger, der sogenannten Vampyre, aus den Gräbern zu ver⸗
hindern. Doch hängt dieser noch nicht überall erloschene Aberglauben
mit dem eigentlichen Thema dieses Werkes nicht so eng zusammen,
um hier näher darauf eingehen zu müssen.
Wie bereits erwähnt wurde, mußte dem rachgierigen Geist des
Polites jährlich eine Jungfrau geopfert werden. Dies war aber kein
Ausnahmsfall. Auch ohne besondere Veranlassung wurden sehr oft
Die Auferstehung Christi, in „Cebensfragen“ Heft 5, S. 5.
Wallis Budge, The Gods IL. S. XIII.
G. Maspero, Etudes de Mythologie et d'Archéologie égyptienne —.
5. 10- 13.
A. Wiedemann, in Urquell V. (1894), 5. 42.
Ratzel J. 304.
Menschenopfer bei unzivilisierten Völkern. 211
bei Begräbnissen Menschenopfer dargebracht, um den Toten zu rächen
oder ihm im Jenseits zu dienen. Man stellte sich vor, daß der Tote
dieselben Bedürfnisse wie der Lebende habe und sie auf dieselbe Weise
befriedige. Hatte er im Leben Frauen, Sklaven und Pferde besessen
und benutzt, so sollte er sie auch als Toter besitzen und benutzen.
Manchmal wurden aber auch Menschen geopfert, um dem Toten als
Begleiter oder Stützen zu dienen. So wurde bei manchen Indianer—⸗
stämmen mitunter die Tante, Mutter oder Großmutter eines ver⸗
storbenen Kindes erdrosselt, damit sie es ins Jenseits begleite.
Bei den Dajaken auf Borneo wurden Sklaven eigens dazu ge—
kauft, um bei der Totenfeier in den Kleidern des Verstorbenen zu
Tode gemartert zu werden, und reiche Leute schickten manchmal vor
ihrem Tode Sklaven ins Jenseits voraus. In Nias wurde ein Sklave
genötigt, die Fäulnisflüssigkeit seines Häuptlings zu verschlucken, bis
er erstickte, dann wurde er ihm mittelst Enthauptung ins Jenseits
nachgeschickt. Bei den Milano auf Borneo ließ man einen Sklaven
an dem Pfahle des Grabmals verhungern, damit er im Jenseits seinem
herrn gleich zu Diensten sei. Bei den Battak auf Sumatra traten
zwei Sklaven als Spieler auf, während der Sarg beim Grabe stand,
und wurden mitten in ihrem Possenspiel ermordet, die Leichen ins
BSrab gelegt und der Sarg darüber gestellt. In Mobeka im Innern
Afrikas wurden einmal beim Tode eines Häuptlings 300 Menschen
geopfert, und bei besondern Gelegenheiten überbieten sich die Dörfer
in der Lieferung von Menschen zum Opfer des häuptlings. Bei den
horabans (in Afrika) werden beim Begräbnis eines Häuptlings nicht
bloß Sklaven geschlachtet, sondern auch manche seiner Freunde ver—
giften sich um mit ihm begraben zu werden. In Kongo pflegten
beim Tode eines Königs zwölf Mädchen freiwillig sich lebend mit
ihm begraben zu lassen.
Bei den alten Geten wurden die Witwen getötet und mit den
Männern begraben. Da bei ihnen Polygamie herrschte, wurde oft
zwischen den Frauen lebhaft um die Chre das erste Opfer zu sein
gestritten. Bei den herulern mußte eine Frau, die als tugendhaft
gelten und schönen RKuf erwerben wollte, sich am Grabe des Gatten
aufhängen. Wenn sie es nicht tat, wurde sie verachtet und von seinen
—XE gehaßt.“ In Indien ist die Witwenverbrennung erst
1 h. Spencer J. 14. Bd. J. 206; Ratzel J. 304, 442 - 445, MI. 312.
Weitere Beispiele von Menschenopfern bei Leichenfeiern unzivilisierter
dölker finden sich bei Tylor J. S. 451-465.
⁊ Pomponius Mela II. 2, 10. Prokopius, Gothischer Krieg II. 14.
144
212 Der Verkehr zwischen Toten und Lebenden.
in neuester Zeit von der englischen Regierung gänzlich abgeschafft
worden.
Die alten Gallier verbrannten, wie Julius Cäsar berichtet!, bei
einem Leichenbegängnis alles, was dem Verstorbenen lieb war, auch
Iklaven und Klienten. Von Frauen sagt er nichts.
Beim Begräbnis eines peruanischen Inkas wurden seine Diener
und Frauen, manchmal bei tausend Menschen geopfert. In Mexiko
wurden auch beim Tode reicher Privatleute viele Sklaven, mitunter
bis 200 geopfert.?
In Japan soll die Opferung von Menschen beim Tode eines
Kaisers oder Prinzen (nach einem Vortrag von Gowland im Anthro⸗
pologischen Institut von Großbritannien) schon in den ersten Jahren
der christlichen Zeitrechuung vom Kaiser Suinin abgeschafft worden
sein. Doch war es noch im siebzehnten Jahrhunderts üblich, daß
zeim Tode eines Adeligen zehn bis dreißig seiner Diener sich auch
den Tod gaben.
In China wurden mit dem Kaiser Mu Kong 621 v. Ch. 177
Personen lebend begraben, darunter, vielleicht freiwillig, drei Minister.
Konfuzius soll sich bemüht haben, den unmenschlichen Brauch abzu⸗
schaffen, aber er hat sich noch lange nach ihm erhalten. Bei der
Beerdigung der ersten Mandschukaiserin sind noch dreißig Menschen
geopfert worden, und erst Kaiser Kanghi hat am Ende des siebzehnten
Jahrhunderts diese Menschenopfer definitiv abgeschafft. Beim Tode
der Mutter dieses Kaisers (1718) wollten vier Mädchen sich
opfern, aber der Kaiser gestattete es nicht.“
Die Igorroten auf den Philippinen opferten Sklaven bei Be⸗
gräbnissen, ein Sklave wurde mit dem Toten begraben, um als
Zteuermann des bootförmigen Sarges zu dienen.“
Opfer am Grabe waren nach der Odyssee Sohnes- und Freundes⸗
pflicht, und Menschenopfer waren auch bei den alten Griechen und
Kömern nicht selten: Bei Bestattung des Patroklus opferte Achilles
zwölf troische Jünglinge und dessen Sohn Pyrrhus schlachtete wieder
zuf dem Grabe des Vaters die Polyrena, Tochter Priams, damit der
De bello gallico XIX.
Prescott, Peru R. J. Bd. J. 19, Merxico R. 3 Bd. J. 41; Spencer J.
4, s. 205.
» Tnylor J. 456-457; Ratzel II. 729; Chi-King, traduit par G. Pauthier⸗
Paris 1872, 8. 300. De Groot, The religious system of China II. ——
Allgem. Zeitung, München, Januar 1908, Beilage, S. 297.
4 Plumentritt, a. a. O.
Menschenopfer bei den alten Griechen. Tieropfer, Sündenbock. 213
Tote ihr Blut trinken solle — Ducitur ad tumulum, diroquè fit hostia
VuSIO.
wie es scheint, wurden auch bei Bestattung myijkenischer herrscher
Menschen geschlachtet, die ihnen in der Unterwelt dienen sollten.
Aeneas opferte bei Bestattung des Pallas acht Feinde, um mit ihrem
Slute dessen Scheiterhaufen zu begietzen.“ Der Kirchenvater Lactan⸗
tius ärgert sich darüber, daß Virgil diesen Menschenschlächter pius
—D Menschenschlächterei
Pietät. Auch wurden diese Opfer zu Kriegszeiten gebracht und
waren zum Teil Zeichen der Rache und des Triumphs über die
Feinde.
Aber schon Euripides läßt Iphigenia in Tauris dem totgeglaubten
Bruder nur Wein, honig und Milch opfern, die Menschenopfer als
barbarischen Brauch bezeichnen.
Jedenfalls bedeutete es schon einen Fortschritt der Sivilisation, als
man begann, an Stelle der Menschen Tiere oder andere Surrogate
für die Toten zu opfern. Tieropfer an Gräbern waren auch in
historischer Zeit bei den Griechen üblich. So schildert Plutarch (Ari⸗
ttides 21), wie bei der alljährlichen Seier der Schlacht bei Platäa ein
ztier geschlachtet wurde, und der Archon der Stadt die gefallenen
helden zum Blut⸗ und Weingenießen einlud. Am längsten scheinen
die hahnopfer Sitte geblieben zu sein, und Solon? scheint nur die
Tieropfer bei Bestattung von Privatleuten verboten zu haben. Nebenbei
gesagt, hat er auch, wie die Bibel (Ceviticus XIX. 28), Selbstver-
stümmlungen bei Begräbnissen verboten.
Der Sündenbock, der in die Wüste geschickt wurde (Cev. XVI. 21),
und das noch jetzt von frommen Juden am Vorabend des Versöh⸗
nungstages geschlachtete Huhn sollten als Sühne für die Lebenden
dienen.
Tier⸗ statt Menschenopfer für die Toten finden wir auch bei
wilden und halbzivilisierten Völkern: Samojeden pflegten von Zeit
zu Zeit ein Renntier am Grabe zu schlachten. Araber und Syrer
brachten noch in neuerer Zeit Schlachtopfer für die Toten, da sie
fürchteten, sonst von ihnen mit beunruhigenden Träumen heimgesucht
zu werden. Beim Leichenbegängnis Mehemed Alis (1849) opferte
1 Ilias XXIII. 175, Aeneis III. 322, X. 518-520; Odnssee J. 292,
II. 222, III. 285; Euripides, Hekuba 520; Ovid Metam. XIII. 452 ff.
Stengel, Griech. KRultusaltertümer, 5. 129.
Plutarch, Solon XXI.
Castréèn I. S. 264.
214 Der Verkehr zwischen Toten und Lebenden.
nan 80 Büffel für das heil seiner Seele und gab ihr Fleisch den
Armen.! Bei den Mongolen und Tibetanern werden bei Sterbefällen
fürstlicher Personen ganze Viehherden, daneben aber auch Tausende
von Silbermünzen, unter die Priester verteilt.“
Beim Feste der Compitalien in Rom hängte man an den Türen
aller häuser Brote in Menschen- oder Manengestalt auf oder wollene,
Männer und Frauen vorstellende Figuren. Man glaubte die Toten
gehen um und werden diese Figuren anstatt der lebenden Menschen
mit sich fortnehmen.?
ach Macrobius (Saturnalia J. 7) soll Junius Brutus nach
Vertreibung der Tarquinier statt der bis dahin den Unterirdischen
geopferten Kindesköpfe das Opfern von Mohn- oder Rnoblauchköpfen
eingeführt haben. Solche auf Wortspiele beruhende Surrogate sind
im Verkehr der Menschen mit Göttern und Totengeistern nicht selten.
schon die alten ägypter legten kleine Steinbilder von Ochsen, Gänsen,
Broten und Menschen in die Gräber, entweder um die Rosten zu
ersparen, welche die Opferung der wirklichen Dinge und Lebewesen
verursacht hätte, oder weil sie glaubten, vermittelst gewisser magischer
Formeln diese Abbilder im Jenseits in wirkliche Diener, Ochsen usw.
zu verwandeln.‘ Ebenso legen die Japaner statt wirklicher Menschen
und Tiere Bilder aus Stein, Ton oder holz neben den Leichnam.
sAm vollkommensten haben die Chinesen dieses System der Surro⸗
gate ausgebildet. In den ältesten Zeiten pflegten sie viele wertvolle
Dinge, Waffen, Pferde, Kleidungsstücke, Speisen und Krüge mit Ge⸗—
tränken ins Grab zu legen. Bei Bestattung des Kaisers Wu (87 v.
Th.) wurden ungeheure Summen in Goldbarren und Münzen, sowie
diele lebende Tiere ins Grab gelegt. Nach Bestattung des Kaisers
schi⸗-Wang wurden die Arbeiter, welche dabei und bei Erbauung des
Hrabmals beschäftigt waren, im Grabe lebend eingemauert, damit
sie die begrabenen Kostbarkeiten nicht stehlen sollten.
Später, etwa seit dem dritten Jahrhundert, begann man bei den
Grabopfern und Mitgaben sparsamer zu werden und wertlose Surro⸗
gate zu benutzen. Jetzt verbrennt man bei Bestattungen Diener aus
Papier oder Bambusrohr und heftet ihnen Zettel mit ihren Namen
an, damit der Tote sie rufen könne. Ebenso verbrennt man weib⸗
A. Cods, La croyance, S. 163.
Nöppen, Lamaische hier, S. 324.
Frazer II. 343, 362.
A. Wiedemann, in Urquell V. (1894), 85. 4.
»Tyulor IJ. 456.
Surrogate und Papiergeld. Briefe der Gallier. 215
liche Bildnisse, damit er Frauen und Sklavinnen, weißes und gelbes
Papier, damit er Geld haben soll. Manchmal bringen Nachbarn und
Bekannte der leidtragenden Familie solche Geldsurrogate in sorgfältig
bersiegelten Kisten oder Paketen, die im Trauerhause verbrannt
werden, damit der Tote sie im Jenseits ihren UAngehörigen ab⸗
liefern soll.
Die Gold⸗ und Silbergeld repräsentierenden gelben und weißen
Papierchen, deren zehntausend ein paar Pfennige kosten, stellen große
Summen, manchmal bis 300 000 Silbermünzen vor. Und der Tote
braucht das Geld, um Schulden im Jenseits zu bezahlen. Das Volk
schreibt nämlich jede Geburt der Befreiung einer Seele aus der
Unterwelt zu, die aber nur nach Bezahlung eines Lösegeldes an
Hhama erfolgen kann. Wer wiedergeboren werden will, muß das
nötige Geld von andern Toten leihen, das er dann, wenn er stirbt
und in die Unterwelt zurückkehrt, (mit Zinsen?) zurückzahlen muß.
hat er keins, so ergeht es ihm schlecht.
Es existieren Volkserzählungen von Toten, welche solches Geld
berlangten und für Geopfertes dankten. Wenn sie es auf der Ober⸗
welt ausgaben, verwandelte es sich in Asche. Der Maler Tschi⸗Wei
wollte einen Geist zum Modell haben und ließ einen solchen durch
einen Zauberer heraufbeschwören, erschrak aber sehr, als der Geist
eine ungeheure Summe verlangte. Erst als dieser ihm erklärte, daß
es sich nur um das in der Unterwelt kursierende Surrogatgeld handle,
beruhigte er sich und verbrannte die Papierchen in der ihm vom
Geist vorgeschriebenen Weise.!
Die Mordwinen geben dem Toten Geld mit, um Grundbesitz im
Jenseits zu erwerben, Branntwein, um die dort schon befindlichen
deelen zu bewirten, Hacke und Stock, um die hunde abzuwehren.“
Ein Seitenstück zu den chinesischen Geldsendungen ins Jenseits
bieten die alten Gallier, welche Gelder ausliehen, die in der Unter⸗
welt zurückzuzahlen waren. Bei Leichenbestattungen warfen sie an
verstorbene Verwandte gerichtete Briefe in den brennenden Scheiter⸗
haufen, in der Cwartung, daß die Toten sie erhalten und lesen werden.
Um mit diesen vereinigt zu werden, verbrannten sich auch manche auf
dem Scheiterhaufen.?“
—
1 De Groot in Actes du sixiéème Congrès intern., S. 42, 77, 105; The
religious sysstem of China J. 241-26, 78-81, 390- 417, 719.
smirnow, S. 360.
s Ppomponius Mela III. 229; Diodor von Sizilien V. 28; Valerius
Maximus VI. 10.
216 Der Verkehr zwischen Toten und Lebenden.
Bei den alten Slaven wurden Hausgeräte, Waffen u. orgl. dem
Toten ins Grab gelegt oder mit ihm verbrannt. Die Tschippeways
in Nordamerika zerschnitten beim Tode eines Verwandten ihre Rlei⸗
dungsstücke und Zelte, zerbrachen ihre Flinten und andere Waffen.“
Bei den Nadowessern aber hieß es, wie Schiller sang:
Alles sei mit ihm begraben,
Was ihn freuen mag.
zerreißen der Kleidung beim Tode eines nahen Anverwandten wird
schon im Alten Testament erwähnt und ist noch jetzt bei frommen
Juden üblich.
Bei den Giljaken auf der Insel Sachalin wird der Tote in die
schönsten Kleider gekleidet und dann mit Spießen, Bogen, Netzen usw.
berbrannt.“ Die Samojeden legen Messer, Axt und Speer, manchmal
auch Geld ins Grab. Die Ostjaken legen teils in teils neben das
GHrab einen Schinken, einen Speer, Messer, Axt, Feuerzeug und andere
Gerätschaften, mit denen der Tote sich Nahrung verschaffen und seine
Mahlzeit bereiten kann. Sowohl bei dem Leichenbegängnis als auch
einige Jahre danach opfern die Anverwandten Renntiere auf dem Grabe.“
Manche Indianer legten Lebensmittel und Waffen dem Manne,
Heräte der Frau, reichere Stämme wertvolle Gegenstände ins Grab.
delbst die ärmsten ließen es an solchen Mitgaben nicht fehlen, so daß
ihnen nur der Grund und Boden verblieb, oder daß sie mitunter
ganz verarmten und selbst Hunger litten.“ Wie der Geograph Strabo
(XI. 4) erzählt, pflegten auch die Albaner den Toten alle ihre Schätze
ins Grab zu legen, so daß sie selbst verarmten.
kKabbi Jeremia sagte vor seinem Tode: Sieht mir weiße Kleider
mit Unterärmeln und weiße Socken an, und gebt mir einen Stock in
die hand und meine Schuhe an die Füße und legt mich an den Weg—⸗
rand, damit, wenn ich (bei Auferstehung der Toten) gerufen werde,
ich gleich bereit sein solle.
Nach einer Beschreibung Taverniers trugen beim Begräbnis eines
Königs in Tonkin sechs Prinzessinnen Speisen und Getränke, die
houverneure von vier Prinzen Beutel voll Gold und Parfums, und
alles wurde ins Grab gelegt, damit der Tote davon Gebrauch mache.
h. Spencer J. 14, Bo. J. 213. J
C. Sternberg, in Archiv für R. W. VIII. 472.
Castreén J. S. 264, 296.
Ratzel J. 586; Spencer J. S. 203, 285.
Midrasch Bereschith rabba zu Rap. 49, V. 33.
Mitgaben an Tote bei Peruanern und Griechen. 217
Mit einem Raiser von China wurden einmal 150 Anzüge be—
graben.! Im 5. Jahrhundert begann man die Leichen christlicher Geist—
lichen mit Gewändern und Paramenten zu schmücken. Selbst die Kom—
munion gab man ihnen mit, legte sie auf die Zunge oder Brust.
In peruanischen Gräbern hat man schöne Gewebe, Rörbchen mit
Arbeitsgerät und Muscheln, in Brand gräbern in Karien vom Seuer
unberührtes, tönernes Geschirr, Canzenspitzen und Messer gefunden.
Diese konnten eben dem Feuer widerstehen, andere Beigaben, wie
zpeisen, Holzgeräte, Kleidungsstücke, sind wohl vom FSeuer ganz ver⸗
zehrt worden. W. Helbigẽ schließt daraus, daß Agamemnon dem
Achilles in der Unterwelt die der Verbrennung seiner Leiche gefolgten
S„piele beschreibt (Odyssee XXIV. 84 ff.), aber nichts von Mitgaben
sagt, daß der Dichter eine solche Ausstattung nicht voraussetzte. Aber
Agamemnon erzählt ja dem Achill von dem, was nach seinem Tode
auf der Oberwelt getan wurde und was dieser nicht wissen konnte;
von den Mitgaben brauchte er ihm nichts zu sagen, denn man nahm
ja an, daß der Tote sie in der Unterwelt besaß und benutzen konnte.
In den Dipylongräbern bei Athen aus dem 8.-7. vorchristlichen
Jahrhundert hat man keine Kostbarkeiten gefunden, aber sehr viele
Geräte, wie man sie im täglichen Leben braucht. Mit dem 6. oder
5. Jahrhundert scheinen auch diese Mitgaben. aufgehört zu haben.“*
KRostbarkeiten fanden sich dagegen in den von Schliemann in Mykenae
entdeckten Gräbern. Wie Josephus (Arch. XVI. 7, 1) angibt, hat
König hyrkanos, der hasmonäer, 3000 Silbertalente aus dem Grabe
des König David entnommen. Das scheint aber eher eine Art von
Zzchatzhaus gewesen zu sein.
Als Melissa, die Gattin Perianders, des Cyrannen von Korinth,
starb, hatte man es unterlassen, die mit ihr begrabenen Gewänder zu
verbrennen. Ihr Geist erschien daher dem Gatten und klagte, wie
noch heutzutage manche Frau, sie habe da unten „nichts anzuziehen“
und leide Kälte. Da lud Periander alle Frauen Korinths in den
Junotempel ein, und als sie wie zu einem Feste geschmückt, in ihren
besten Kleidern kamen, ließ er ihnen diese abnehmen und unter Ge⸗
beten an Melissa verbrennen. Sie konnte sich nun in modernster
h. Spencer IV. 4, Ratzel II. 728.
G. Grupp, Rulturgeschichte II. 554.
Zu den homerischen Bestattungsgebräuchen vom philologisch⸗ anti⸗
quarischen Standpunkt, in Sitzungsber. der U. Akademie der Wissensch. in
München, philol.-histor. Klasse 1900, 8. 207, 214, 236-238, 253.
4Stengel, Gr. K. 129-130.
3
218 Der Verkehr zwischen Toten und Lebenden.
Toilette in der Unterwelt sehen lassen, während die armen Korin⸗
therinnen nackt nach Hause gehen mußten.“
vechs Jahrhunderte nach Hherodot machte sich schon CLucian in der
„Trauer um die Verstorbenen“ darüber lustig, daß man Pferde und
Weiber am Grabe geschlachtet, Kleider und Geräte verbrannt hatte,
im Glauben, der Tote werde das alles bekommen und genießen.
su seiner Seit und wohl schon ein oder zwei Jahrhunderte
früher waren die Toten anspruchsloser, die Erben geiziger oder auf—
geklärter geworden. Einige Blumen und Früchte, etwas Mehl in
Wein, mit Liebe und gutem Willen dargebracht, genügten.
Dieser Brauch hat sich noch im Christentum erhalten; so hat
Monica, die fromme Mutter des hl. Augustinus, Opfer von Wein
und Brot am Grabe der Märtyrer gebracht, bis der Erzbischof Am⸗
brosius es ihr verbot.“ Daß die Toten davon genießen werden, hat
sie wohl nicht geglaubt, aber solche Bräuche und Zeremonien erhalten
sich oft lange, nachdem der Glauben, dem sie ihren Ursprung ver—
danken, und der Sinn, den man in sie hineinlegte, geschwunden sind.
Ebenso läßt sich oft nicht mehr unterscheiden, ob die Mitgaben
ins Grab aus Furcht vor den Toten oder aus Mitleid mit ihnen ge⸗
zeben wurden. Unmerklich ging ein Motiv ins andere über und die
Dpfernden werden manchmal selbst nicht mehr gewußt haben, welches
das bestimmende war.
Wenn im Alten Testament befohlen wird, die Erstlinge des Bo—
dens, die Erstgeborenen von Schafen und Kindern, Gott zu opfern“,
so ist das vielleicht die Umwandlung eines uralten Opfers für die
Ahnen. Diesen bringen, nach Frazerẽ, manche Malayenstämme auf
Cuzon, Sidschi-Insulaner und Eingeborene anderer ostindischer Inseln
die Erstlinge ihrer Ernten zum Opfer. In Saa, einer der Salomons⸗
inseln, gehen die Cinwohner, wenn die NYams reif werden, zu dem
Familienheiligtum, legen vor den Schädel eines jeden Ahnen eine
Wurzel und rufen: „Das ist mein Essen für euch!“ Ebenso werden
die Erstlinge der Nüsse und Fische den Ahnen geopfert. Wenn aber
die hirten bei den Abchasen im Frühjahr ihr gemeinsames Mahl,
eine Art Schlachtfest, mit gegürteten Lenden und Stäbe in den händen
hHerodot V. 92.
Ovid, Fasti II. 535 ff.
Augustinus Confessiones VI. 2, Diction hagiogr. II. 521.
Exodus XXIII. 19, Ceviticus XXIII. 10, 17, Deuteronom. XVIII. 4.
The golden bough II. 463-466, 438.
Totenfeste bei Mexikanern, Japanern und Slaven. 219
genießen, so folgen sie darin nur, was Frazer entgangen ist, der
Vorschrift in Cxodus XII. 11.
Cange hat sich der Brauch erhalten, die Toten an gewissen
Feiertagen und Jahrestagen zu bewirten. Die Mexikaner feierten
teils im August, teils im November ihre Totenfeste, an denen sie
Tiere, Speisen, Blumen u. dgl. auf die Gräber verstorbener Verwandten
legten. Die Peruaner öffneten zu gewissen Seiten die Gräber, um
die den Toten mitgegebenen Kleider und Nahrungsmittel zu er—
neuern.
Das japanische Mitte August gefeierte Seelenfest, an dem man
sich die Toten zum Schauplatz ihres Erdenwandels zurückgekehrt denkt,
dauert drei Tage und drei Nächte. In Miniaturschälchen werden
Speise und Trank nebst den Eßstäbchen für sie hineingestellt. Die
Türen werden weit geöffnet, damit sie ungehindert passieren können.
Zum Schluß werden leichte Boote aus Stroh und Papier auf das
Meer, auf Flüsse oder Bäche, je nach der Lage des Orts, hinaus—
gelassen, mit Speise, Trank und einem Zehrpfennig für die Gäste
verseben, deren Seelen nun ins Jenseits zurückschiffen.
Die alten Slaven pflegten jährlich eine Totenfeier zu halten, zu
deren Besuch die Seelen von den Göttern ausgebeten wurden. Nach—
dem man sie bewirtet hatte, wurden sie entlassen mit den Worten:
„Ihr aßet und tranket, Seelen, nun geht, wohin euch das Geschick
ruft, aber gebt acht, daß Ihr weder beim hinausgehen, noch beim
Fliegen über unsere Schwellen, Hausfluren, Gärten, Wiesen und Felder
Schaden anrichtet“.
In dem leider unvollendet gebliebenen dramatischen Gedicht
„Dziady“ (die Ahnen) schildert der polnische Dichter Mickiewicz eine
solche Feier in ergreifend, düsterer Weise. Der Leiter der Feier war
gewöhnlich ein Guslar GWolkssänger), der die ankommenden Seelen
mit den Worten:
ssage doch jede, was ihr fehle,
Durstet oder hungert eine Seele?
begrüßte. Und der Dichter läßt Eine antworten:
Ach, wie der Durst mich plagt
Und der arge hunger nagt.
Keichet für den Durst ein Tröpfchen,
Für den hunger mir Korn im Näpfchen.
1Vom 13. bis 15. des siebenten japanischen Monats. (Srazer, The
golden bough III. 86-87; Spencer J. K. 12, 19 Bd. J. S. 173, 281)
220 Der Verkehr zwischen Toten und Lebenden.
Wegen ihres noch halbheidnischen Charakters von geistlichen
und weltlichen Behörden verboten, fand die Feier doch noch Mitte
des neunzehnten Jahrhunderts in Litauen und Uurland, im Ver—⸗
borgenen, in einsamen Kapellen oder unbewohnten Gebäuden, des
Nachts statt.“
Die Bulgaren halten am Palmsonntag auf dem Virchhof ein
Festessen ab und lassen, nachdem sie viel gegessen und getrunken
haben, die Überbleibsel auf den Gräbern zurück, überzeugt, daß sie
die Toten in der Nacht verzehren werden. In Rußland kann man
solche Feiern noch jetzt an den dazu bestimmten, sogenannten Eltern⸗
tagen beobachten.
Aus einer Predigt des Michael Janowiec aus dem Ende des
15. Jahrhunderts erfahren wir, daß die Slaven zu gewissen Seiten
Totenfeuer anzuzünden pflegten, an denen die Ahnenseelen sich wärmen
ollten.*
Die Koraks in Kamtschatka feiern ein Totenfest ein Jahr nach
einem Todesfall auf der Stelle, wo der Tote verbrannt wurde,
schlachten zwei KRenntiere, und die Zauberer stoßen viele Kenntier⸗
hörner in die Erde, glaubend oder vorgebend, daß sie damit den
Toten eine ganze Heerde ins Jenseits schicken.“
Die Dajaken in Sarawak feiern alle drei bis vier Jahre ein
Totenfest. Die Toten werden eingeladen, Speisen und Getränke für
sie vorbereitet; aber nur außer dem Hause, damit sie nicht herein⸗
kommen und einen Lebenden mitnehmen.
Zehn Tage dauerte die Bewirtung der die Erde besuchenden
Ahnengeister bei den Persern.“
Im alten Athen und andern Orten Griechenlands wurde gegen
Ende des Winters eine Art von Allerseelenfest gefeiert, weil man
glaubte, daß mit dem Sunehmen der Tage und wenn die Keime in
der vom Winter durchnäßten Erde sich zu regen anfangen, auch die
seelen der Verstorbenen in Aufregung gerieten und auf die Ober⸗
welt drängten.
Mickiewicz, Vorrede zu Dziady.
*J. Hanusch, Die Wissenschaft des slavischen Mythus, S. 405, 413;
Tylor II. S. 36.
A. Brückner im Archiv für slavische Philologie XIV. S. 191.
Frazer, The golden bough III. 401, nach Krascheninikow, Beschreibung
des Candes Kamtschatka 268, 282.
Chi-King, S. 127, nach Khorda Avesta; Srazer, The golden bough
III. S. 89.
4
Totenfeste bei Griechen und Römern. 221
Dieses dreitägige Seelenfest im Monat Anthesterion (Februar)
hatte, trotz seines anmutigen, eher von den Blumen als vom Monat
entlehnten Namens, einen unheimlichen Charakter. Es wurden Stricke
um die Tempel gezogen, um die Toten fern zu halten und die Türen
der häuser mit Pech beschmiert, wahrscheinlich, damit die Geister,
welche hereindringen wollen, außen kleben bleiben. Doch hatte man
in den Straßen Speise für sie aufgestellt. Am Schlusse rief man
ihnen etwas unhöflich zu: Fort mit euch, die Anthesterien sind zu
Ende!
Auch am 30. eines jeden Monats, an Geburts⸗ oder Sterbetagen
trug man Spenden zu den Gräbern der Familienangehörigen.“
Auch die alten Römer hatten eine solche aus Furcht und Pietät
entsprungene Totenfeier. Opid (Fast. V. 419- 444) schildert ziemlich
ausführlich diese altübliche Opferzeremonie, mit der man zu seiner
Zeit den unwillkommenen Besuch der Ahnengeister abzuwehren oder
bielmehr abzukürzen suchte: An drei Nächten im Monat Mai stand
der Hausvater um Mitternacht auf und ging barfuß, leise und
schweigend, zu einem Brunnen, mit dem Finger Schnippchen schlagend,
damit ihm kein Geist in den Weg komme. Am Brunnen wusch er
sich dreimal die Hhände, ging wieder zurück, nahm schwarze Bohnen
und warf sie, ohne sich umzusehen, neunmal über den Kopf hinter
sich, jedesmal die Worte „dies schiche ich euch, mit diesen Bohnen
kaufe ich mich los“ wiederholend. Man glaubte, daß die Geister ihm
folgten und die Bohnen auflesen. Dann wusch er sich nochmals die
hände, schlug an ein kupfernes, hohles Gefäß und sagte wieder
seunmal: „Ahnengeister, geht fort!“ worauf er sich umsah und, da
er keine Geister sah, sie verschwunden glauben konnte. Diese Feier,
Cemuria genannt, soll, wie Ovid angibt, auf Befehl des Sühne
heischenden Geistes des von Romulus getöteten Remus eingeführt
worden sein und daher eigentlich Remuria heißen, ja die Lemuren
sollen erst davon ihren Namen erhalten haben (V. 478- 82).
Der verkehr mit den Abgeschiedenen scheint in Rom ein leb⸗
hafter gewesen zu sein, denn an drei Tagen im Jahre — 24. August,
3. Oktober und 8. November —, welche den Römern als Unglückstage
galten, stand der Cingang zur Unterwelt, der Mundus, offen und die
Heister (manes) stiegen empor. Dieser Mundus scheint ein tempel⸗
oder kellerartiger Bau in Rom gewesen zu sein, vielleicht als Dar⸗
n August Mommsen, Feste der Stadt Athen, 8. 173, 386, 390; Srazer
IVII. 88. Preller, Griechische Mythologie 4e J. s. 405; Stengel, Griech.
Rultus⸗Alt., S. 130.
222 Der Verkehr zwischen Toten und Lebenden.
stellung der natürlichen Höhlen, die man in manchen Gegenden für
tingänge zur Unterwelt hielt, gedient zu haben.'
Die aus der Unterwelt emporkommenden Geister hatten bei
den Römern verschiedene Namen, deren Bedeutung aber im Caufe der
Zeiten nicht gleich blieb. Auch scheinen nicht alle Menschenseelen
zewesen zu sein.
Bei Plautus (Aulularia 642, Captivi 598, Menaechmi 890) sind
Carvae“ Geister, welche auch lebende Menschen plagen, die von ihnen
wie von einem bösen Dämon besessen erscheinen. Bei Plinius GDor-
rede zur Naturgeschichte) greifen sie, wie es scheint, nur die Toten
an: Cum mortuis non nisi larvas luctari, läßt er den Plancus
scherzend sagen. Zur Zeit Ovids waren die Larven gleichbedeutend
mit den Lemuren; später faßte man diese als Gesamtbezeichnung
für alle abgeschiedenen Seelen auf, unter denen man Larven, Lares
und Manes unterschied. Die Laren, die nur in der römischen, nicht
in der griechischen Mythologie vorkommen, waren aber ursprünglich
schutzgeister des hauses, an den Ort, nicht an die Person haftend,
den germanischen Wichtelmännchen ähnlich. Im Prolog von Plautus
fulularia erscheint der seit Urväterzeiten das haus schützende CLar
als hüter des verborgenen Familienschatzes. Die Meinung, daß die
Caren mit den Manes identisch, also Ahnengeister seien, ist, wenn
auch schon früher vereinzelt aufgetaucht, erst seit Varro, im ersten
oorchristlichen Jahrhundert, zur herrschenden geworden.“ Bei Apu⸗
ejus, ein Jahrhundert später, scheinen Lemuren mit Manes identisch
zu sein. Unter den Lemuren, sagt er, gibt es gutmütige, den Nach⸗
kommen freundliche Hausgötter, die man Familienlaren nennt, die
feindlichen, herumschweifenden, den Bösen schädlichen Geister, die für
die Guten nur leere Schreckbilder sind, nennt man Larven. Da man
aber nicht weiß, welcher Klasse ein Geist angehört, nennt man sie
alle Manes.“ Virgil gebraucht zweimal im übertragenen Sinne das
Wort Manes für die Unterwelt.“ Wenn er aber in der Aeneis
(VI. 743) Quisque suos patimur manes sagt, so scheint er darunter
1Macrobius Saturn. J. 16; Creuzer, Siumbolik II. S. 865; Roscher II.
I, s. 249- 251. Preller, Röm. Mith. 3, II. 67.
2 Creuzer, Symbolik II. 8608; G. Wissowa, in Archiv f. R. W. VII.
12-57 und in Roschers Lexikon II. 2, 8. 1858 ff.; Steuding, ebenda II.
I. S. 247.
De Deo Socratis, ed. Oudendorp II. 152.
Georgiea I. 243, Aeneis IV. 387.
Ahnenbewirtung bei Indern, Ostjaken und Mordwinen. 223
die Höllenstrafen zu verstehen. Bei Statius (Thebais VIII. V. 3 und 84)
bedeutet das Wort wohl die Verstorbenen.
Auch die alten Inder pflegten zu festgesetzten Seiten oder bei
besonderen Gelegenheiten die toten Ahnen einzuladen und mit Speisen
zu bewirten, indem sie ihnen zuriefen: „Hier, ihr Väter, erfreuet
euch, stürzt euch gierig jeder auf seinen Teil“.“
Das Gesetzbuch Manus schreibt aber auch ein tägliches Opfer
oon Speisen oder Milch und Früchte für die verstorbenen Ahnen
oder die Bewirtung eines Brahmanen zu deren Ehren vor. Denn
„durch den Mund des Brahmanen verzehren die Ahnen das Toten⸗
opfer und die Götter die ihnen geopferten Speisen“. Am besten ist
es, wenn bei solchen Opfern zwei oder drei Brahmanen bewirtet
werden; man kann sich aber auch mit einem begnügen. Ein Para—
graph des Gesetzbuchs enthält Speisezettel für die Ahnen: Einen
Monat lang nur Vegetabilien, zwei Monate Fische, neun Monate
Fleischspeisen usw.
Wenn bei den Ostjaken eine ältere, höher geachtete Person stirbt,
verfertigen die nächsten Anverwandten sofort ein Bild, das in dem
Zelte des Verstorbenen aufbewahrt wird und dieselbe Ehre genießt,
die ihm bei Lebzeiten erwiesen wurde. Das Bild nimmt an jeder
Mahlzeit teil, wird abends zu Bett gebracht, jeden Morgen wieder
angekleidet und nimmt stets den Platz des Verstorbenen ein. Nach
Ablauf von drei Jahren wird es ins Grab gelegt.⸗
Bei den Mordwinen findet am vierzigsten Tage nach dem Be—
gräbnis ein Totenmahl statt, bei dem ein Verwandter den Toten in
dessen Kleidern vorstellt. Er ist angeblich durch die Familie vom
Friedhof abgeholt worden und erzählt bei Tische allerlei von der
Unterwelt und wie angenehm der Kufenthalt dort ist, gibt auch gute
Tehren. Eine ähnliche Feier findet ebenfalls am vierzigsten Tage
bei einem andern finnischen Stamme, den Tschean, statt. hier begibt
sich der älteste der Familie auf den Friedhof und ladet den Toten
feierlich ein. Den, welcher seine Rolle spielt, empfängt man mit
Freudenbezeugungen und dem Gruße: Komme herein, speise mit uns,
morgen wirst du zurückkehren! Die Witwe nennt ihn mein Gatte,
die Kinder Vater. Nach dem Mahl nimmt man heiter Abschied und
begleitet den Toten unter allerlei Seremonien zum Grabe.“
l
2
Oldenberg, Religion d. Veda, S. 549.
Laws of Manu III. 82, 83, 125, 267 - 271.
Castren, S. 296.
Smirnow, —S. 142- 147, 366- 369.
3
224 Der Verkehr zwischen Toten und Lebenden.
Man könnte beinahe glauben, daß in dieser Travestie eine Ver⸗
spottung der Trauergebräuche enthalten sei, aber es ist dem aber—
gläubischen Volke bitter Ernst, und die Toten werden bei der Ein⸗
ladung auch um Gesundheit, Reichtum, gute Ernten, Zunahme der
herden, Schutz vor Wasser, Feuer und bösen Geistern gebeten.
Die christliche Geistlichkeit hat einen jahrhundertelangen Kampf
gegen heidengötter und heidnische Bräuche geführt, aber sie hat nicht
immer und überall vollständigen Sieg errungen. Sie mußte manch—
mal dem Gegner Konzessionen machen, heidnische Zeremonien in ihren
Aultus aufnehmen, heidnische Feiertage christianisieren, indem sie sie
unter das Patronat eines heiligen stellte. Ein solcher christlich mas⸗
kierter, uralt heidnischer Feiertag ist auch der Allerseelentag, der am
2. November gefeiert wird. Im Anschluß an den schon seit vielen
Jahren üblichen, 835 von Papst Gregor IV. allgemein gemachten
Allerheiligentag am 1. November hat Abt Odilo des Benediktiner⸗
klosters in Clunn diese Feier mit bestimmtem Ritual eingeführt.
Wie in Odilos (f 1049) Cebensbeschreibung vom hl. Petrus
Damiani erzählt wird, wurde einmal ein von Jerusalem heimkeh⸗
render Pilger auf dem Meere „zwischen Sizilien und Thessalonica“
von einem furchtbaren Sturm überrascht und an eine Felseninsel, auf
der ein frommer Cremit lebte, getrieben. Dieser erzählte dem vom
Sturme Verschlagenen, daß sich in seiner Nähe ein feuerspeiender Berg
befinde, in dem die Verdammten ihre Strafe erleiden. Zur Voll⸗
ziehung derselben seien eine Menge Teufel angestellt, welche die
armen Seelen bis zur Erschöpfung peinigen und dann, nachdem sie
sich ein wenig erholt haben, von neuem zu quälen beginnen. Und
dazu hörte der Einsiedler noch, wie die Teufel sich beklagen, daß
fromme Leute mit Almosen und Gebeten ihnen durch Erlösungen
das Geschäft verderben; den meisten Abbruch täten ihnen der Abt
und die Mönche von Cluny, und wenn man sie weiter schalten lasse,
werde man keine Seele mehr zum Peinigen finden. Als dann der
Tinsiedler erfuhr, daß sein unfreiwilliger Gast ein Franzose sei, bat
er ihn, wenn er nach hause komme, sich nach Cluny zu begeben und
den Abt und die Mönche zu noch eifrigerm Beten und reichlichern
sAlmosen für die armen Seelen anzufeuern. Nach Aufhören des
Sturmes setzte der Pilger seine Reise fort und ging, wie er in Frank—
reich anlangte, gleich nach Cluny, wo er seinen Auftrag getreulich
ausrichtete.
Abt Odilo verfügte hierauf im Einverständnis mit seinen Mön⸗
hen, daß man einen Tag nach Allerheiligen einen Gottesdienst mit
Allerseelentag. Chinesischer Glauben.
Glockenläuten, Messelesen, Almosen und Bewirtung von Armen ab—
halten solle, „jum heile aller Seelen seit Erschaffung der Welt“. In
seinem Dekret vom Jahre 1030 sagte er noch: „nachdem das Fest
aller Heiligen in der ganzen Christenheit gefeiert wird, erscheint es
wünschenswert, daß die Clunyacenser auch die Erinnerung an alle
seit Erschaffung der Welt verstorbenen Gläubigen feiern“.
Das Dekret hatte selbstverständlich nur für die von Cluny ab—
hängigen Klöster Gültigkeit, wurde indessen auch bald von andern
Kirchen befolgt, bis nach und nach im Verlaufe von zwei Jahrhun⸗
derten der Allerseelentag als allgemeiner Feiertag anerkannt und
eingeführt wurde.
Das ernste Sest wird noch jetzt in allen katholischen Ländern
mit Besuchen der Kirchhöfe, Anzünden von Lampen und Niederlegen
von Blumenkränzen an den Gräbern gefeiert. In zurückgebliebenen
Gegenden hat sich dabei noch manches von den alten heidnischen
Bräuchen erhalten. In Irland wurde der Abend vor dem Aller—
seelentag noch am Ende des neunzehnten Jahrhunderts und wird
vielleicht noch jetzt als lustiges Fest (a general season for merry-
making) gefeiert. Uber Allerseelenfeiern mit Totenbewirtungen
in Bayern, Tirol, Böhmen, Galizien u. a. O. hat E. L. Rochholz im
11. Jahrgang von Franz Pfeiffers „Germania“ (1866) berichtet.“
2. Die Toten als helfer, Schützer und Ratgeber.
Bei den finnischen Totenfeiern zeigt sich schon der Ubergang von
den bösen, schadenden Toten zu den guten hilfreichen. Solche kommen
oft auch uneingeladen, ja manchmal ohne bestimmten Zweck, zum
Besuche der Oberwelt oder werden heraufbeschworen.
lNach chinesischem Glauben kann alle dreißig Jahre ein Toter ins
Leben zurückkehren, um die Menschen über die Leiden und Freuden
im Jenseits zu unterrichten. Wer zu diesem Zwecke in die Oberwelt
gelangen will, muß sich beim Sekretär des Unterweltsgouverneurs
melden, der ihm einen Führer zur Wohnung eines eben Gestorbenen,
dessen Körper seine Seele beleben soll, gibt. Manchmal kommen, wie
es sich ähnlich auch in deutschen Märchen findet, Mütter zurück, um
sich ihrer von einer bösen Stiefmutter mißhandelten Kinder anzu—
PFleury Hist. écclesiastique L. 7 ch. 49, L. 59 ch. 57; herbert Thurston
S. J. The feast of the dead in The Dublin Review, Juli 1907, 8. 115— 130,
hugh James Byrne, Allhallows ewe and other festivals in Connaught
in Folk Lore 1907, Bd. 18, 5. 437 ff.
Landau, Hölle und Fegfeuer.
226 Der Verkehr zwischen Toten und Lebenden.
nehmen. Ein Mädchen kehrt zurück, wie Goethes Braut von Ro⸗
rinth, heiratet ihren Geliebten und nimmt ihn in die Unterwelt mit.
Manche Verstorbene helfen den Studenten bei Prüfungen u. ogl.“
Die Tagalen glauben, daß die Toten zuweilen ihre frühere
Wohnung besuchen. Sie stellen daher Wasser vor die Türe, damit
ie sich waschen, und streuen Asche, damit ihre Fußtritte sich abdrücken
sollen.
Im Tälmud bab. (Sabbath 1526.) ist die Kede von einer vor⸗
übergehenden Rückkehr aller Seelen in dem ersten Jahre nach dem
Tode, so lange der Körper noch nicht verwest ist.
Wie ebenda (Kethuboth 103 a.) erzählt wird, hatte Rabbi Je⸗
huda⸗ha⸗Nassi vor dem Tode seinen Söhnen befohlen, daß in seinem
Zimmer stets Licht brennen, Tisch und Bett bereitet sein sollten. So
oflegte er nach seinem Tode jeden Freitag abends in sein Haus zu
zommen und über den Sabbat dazubleiben. Als aber seine Besuche
den Nachbarn bekannt wurden, stellte er sie ein. Ob man ihm auch
zpeisen vorbereitete und wo er sich an den Wochentagen befand. wird
nicht angegeben.
Im Buche der Frommen (Sefer Chassidim 8 452) wird erzählt,
daß in der vorletzten Nacht des Caubhüttenfestes die Coten aus den
Gräbern herauskommen und für die sittliche Besserung und das
Wohlergehen der Lebenden beten. Ein Lauscher hörte einmal, wie
ein junges Mädchen klagte, sie könne nicht herauskommen, weil ihr
vater sie ohne Kleidung hatte begraben lassen. Man brachte ihr
auf Mitteilung des LCauschers Totengewänder zum Grabe und be—⸗
kleidete sie damit. Die Toten haben aber, als sie merkten, daß sie
belauscht wurden, ihre nächtlichen Exkursionen eingestellt und beschlossen,
fortan jeder für sich im Grabe zu beten.
Diese Erzählung beruht vielleicht auf der im bab. Talmud Be⸗
rachoth 18 b.) von den Gesprächen zweier Seelen, deren eine stets in
der Oberwelt herumschweifte und dann ihrer am URusgehen verhin⸗
derten Nachbarin die im himmel erfahrenen Wetterprognosen mit⸗
teilte. Cin Mann, der sie belauschte, benutzte die so gewonnene
Kenntnis des Wetters in den nächsten Monaten bei Bestellung seines
Ackers und bereicherte sich dadurch. Durch einen Streit zwischen den
Müttern der zwei Seelen erfuhren diese, daß man sie belauscht hatte,
und stellten daher ihre nächtlichen Unterhaltungen ein.
De Groot, Religious system IV. S. 134, 418-427, 456- M6s, 461- 463.
Mittheil. der R. K. geogr. Gesellsch. Bd. 25, 5. 157.
Totengespräche bei Naturvölkern, Indern und Babnloniern. 227
Ubrigens hat schon der Prophet' Jesaias (IXV. 4), wie der
Kommentator Raschi ergänzt, das Übernachten bei Gräbern, um mit
unreinen Geistern zu verkehren, verdammt.“
Aus meiner Kindheit erinnere ich mich, daß einst nach einem
großzen Brande in meiner Vaterstadt die Frau des Friedhofwächters
erzählte, sie habe einige Nächte vorher die Toten darüber verhandeln
hören, ob die Stadt (wahrscheinlich wegen ihrer Sünden) mit einem
Brande oder einer Seuche heimgesucht werden solle. — „Warum hast
du es mir nicht früher gesagt“, warf ihr eine naiv gläubige Frau
vor, „da hätte ich wenigstens meine Wohnungseinrichtung und mein
zilbergeschirr in Sicherheit gebracht.“
Eine andere Frau erzählte, daß sie ihre Wertsachen in Sicherheit
bringen wollte, aber die Schlüssel der Schränke nicht finden konnte.
Doll Angst, denn das Dach des hauses hatte schon Seuer gefangen,
eilte sie suchend von einem Zimmer in das andere, da trat ihr die
längst verstorbene Mutter entgegen, reichte ihr einen Schlüsselbund
und verschwand. Waren es die verlorenen Schlüssel oder solche aus
dem Jenseits? Genug, daß sie alle Schlösser öffneten.
So zeigten sich die Abgeschiedenen mit Hilfereichung, Warnung,
Trmahnung und Verwendung bei Gott den Lebenden gütig und
dankbar. CEhrte man sie durch Gebete, Opfer und Seste, so konnte
man von ihnen Gegendienste erwarten. Waren sie keine furchtbaren
Heister mehr, die man abzuwehren suchte, so waren sie auch nicht
alle gepeinigte Sünderseelen, die zu ihrer Erlösung der Opfer und
hilfe der Lebenden bedürfen. Es fanden sich unter ihnen mächtige
zelige und heilige, deren guten Rat, hilfe und Verwendung für die
Tebenden bei der ihnen besonders günstigen Gottheit man zu erlangen
strebte, und die wohl auch selbst Wunder tun konnten.
So sagte ein häuptling der Neukaledonier zum Geiste seines
Ahnen: „Barmherziger Vater, da ist einige Nahrung für dich, esse
sie und sei uns gnädig“. Ein Veddah ruft einen verstorbenen Ver⸗
wandten an: „Genieße mit uns, gib uns Nahrung, wie du es im
Leben getan hast“.
Der Glaube an eine von den Toten besessene Macht, die sie, wie
die Götter, zugunsten der Lebenden verwerten, können, hat den
alten Indern nicht gefehlt. „Sum Heil sei uns der lichtantlitzige
Agni, zum Heile Mitra, Varuna, zum heile seien uns der Frommen
gute Werke“, heißt es im Rigveda (VII. 35. 4).
Vergl. Talmud bab. Chagiga 3b, Synedrion 65 b.
Spencer P. IV. M. 4, Bd. II. 92.
3
228 Der Verkehr zwischen Toten und Lebenden.
Man bittet die Ahnen, ganz wie die Götter, bald im allgemeinen
um Segen, bald um einzelne Gnadenerweisungen, z. B. um Regen,
um die Gabe erfolgreicher Kede, um hilfe zur Vernichtung der Feinde
u. dgl. In buddhistischen Erzählungen kommt es öfters vor, daß
eine „blutsverwandte Gottheit“ einem Menschen guten Rat zukommen
läßt, was auch auf den Glauben an eine hilfreiche Macht der Toten
chließen läßt.“
Das einzige, mir bekannte Beispiel einer Bestrafung der toten
Ahnen (mit vier Wochen in Unrat liegen) für die Sünde eines
lebenden Nachkommen finde ich in dem brahmanischen Gesetzbuch des
Hautama.?
Auch in den ältesten Zeiten der babnylonischen Religion fand sich
der Glaube, daß die Toten sich in der Nähe der Götter befinden,
Fragen der Lebenden beantworten und auf deren Schicksal Einfluß
ausüben können.*
Noch deutlichere Spuren eines solchen Glaubens finden wir bei
Griechen und Römern, deren zu heroen erhobene ausgezeichnete
Männer ungefähr den christlichen Heiligen entsprechen. Der heros
oder der tote Ahnherr kann helfen, aber auch strafen.
So schwört Orest in den „Eumeniden“ des KAeschylos, den Athe⸗
nern als herrscher von Mykenae ewigen Frieden, über dessen Be—⸗
wahrung er auch nach seinem Tode wachen will, Mißgeschick auf
Mißgeschick den Friedensbrechern schickend, den treuen Bundesgenossen
heil verleihend. So flehen in dessen „Totenspenderinnen“ Orest und
Flektra den toten Vater an:
„Erbarme meiner und Orestes dich .
Erhöre, Vater, mein Gebet ...
Dich ruf' ich, dich, Vater,
Sjteh den Deinen bei“.
Und der Chor stimmt ein:
„Erhöre, steige ans Licht, und sei
Gegen den Feind ein Beistand“.
Aber die Kinder verlangen die väterliche hilfe nicht umsonst.
Sie verheißen reiche Spenden, sagen auch dem Vater, auch er werde,
wenn er säumig ist, darben müssen, während andere fette Opfer
genießen.
Oldenberg, S. 566, 567.
Institutes of the sacred law XV. 22 in Sacred books of the east II. S. 256.
Jastrow, Rel. of Bab. 560.
Totenfürsprache bei Juden.
229
Anrufung der verstorbenen Ahnen wird auch im Briefe der
Tornelia, Mutter der Gracchen, als Brauch erwähnt, aber zugleich
angedeutet, daß die Toten von den Vorgängen auf der Oberwelt
nichts wissen.
Auf römischen Grabschriften findet man schon häufig, auf grie—
chischen seltener, Ausrufe wie: Schone meiner! Errette mich! hilf
mir! Wirke für mich bei den Göttern! an die Abgeschiedenen ge⸗
richtet. Der Dichter Statius läßt die gestorbene Priscilla für ihren
GHatten glückliches, langes Leben erbitten. Sie ist gewissermaßen eine
Selige, die Charon sanft ins Schattenreich hinüberführt, vor der
CTerberus verstummt, der Proserpina Fackelträger entgegenschickt, die
Bewohner des Elysiums Blumen streuen.“
Im Alten Testament wird keine Verwendung verstorbener Pro⸗
pheten für lebende Sünder, die deren unwürdig sind, gestattet —
„wenn Moses und Samuel vor mich treten, so wird mein herz diesem
Volke nicht zugewandt“, läßt der Prophet Jeremias (XV. 1) Gott
sagen. Und beispielsweise heißt es im Talmud: „Abraham wird nicht
den Ismael, Isaak nicht den Esau retten“.
In dem jüdischen, vielleicht noch aus dem ersten Jahrhundert
stammenden, später von Christen interpolierten, vierten Buche Esras
erwidert auf dessen Frage wegen Fürsprache der Frommen ein
Engel: „Wie schon jetzt kein Vater den Sohn, kein Sohn den Vater,
kein herr den Knecht, kein Freund den Genossen senden kann, daß
er für ihn krank sein, schlafen, essen oder sich heilen lassen soll, so
wird auch dann (am Tage des Gerichts) Niemand für einen andern
hitten oder Jemanden anklagen dürfen, dann trägt Jeder ganz
allein seine Gerechtigkeit oder Ungerechtigkeit'. ... Niemand wird
sich dessen erbarmen dürfen, der im Gerichte unterlegen ist.“ In
Midrasch Echa rabba wird zwar sehr schön geschildert, wie sich nach
der Zerstörung des Tempels von Jerusalem die Erzväter bei Gott
für die Juden verwenden, ein Erfolg hat sich aber davon bis jetzt
nicht gezeigt.
Doch wird wieder im Talmud (Sotah 34b.) erzählt, daß Kaleb
auf dem Grabe seiner Ahnen gekniet und sie um hilsfe angefleht
1E. Cucius, Die Anfänge des heiligenkultus in der christl. Kirche.
Tübingen 1904, 8. 19. Cornelius Nepos Fragm. Cap. 12.
Sylvae V. 1, V. 217-257.
Talmud bab. Synedrion 104 4.
E. Rautzsch, Die Apokryphen II. 375376; hilgenfeld, Messias
Judaeorum, S. 231 - 234, 286 - 288.
230 Der Verkehr zwischen Toten und Lebenden.
ææ— — —
habe. Huch der Brauch, Gräber zu besuchen und die Verstorbenen
um ihre Verwendung zu bitten, wird (Tanith 16a. 23b.) erwähnt.
Hebete an Gräbern von berühmten Frommen oder von Ahnen werden
noch jetzt manchmal von frommen Juden verrichtet.
Die alten Perser glaubten an ein Schatzhaus überzähliger, guter
Werke der Frommen, dem Micvana, aus dem in gewissen Fällen
den Sündern so viel zugelegt werden konnte, als erforderlich war, sie
vor der Verdammnis zu retten.!
Am weitesten ausgebildet wurde aber der Glaube an die Macht
der Seligen im Paradiese, durch die heiligen- und Märtyrerverehrung
der Christen, die schon in der Jugend ihrer Religion begonnen hat.
Freilich heißt es in der dem hl. Athanasius (f 373) zugeschrie⸗
benen Epistel an den Dux Antiochus: die Seelen der heiligen erinnern
sich wohl unser, aber nicht die Sünder im hades. Diese beschäftigt
nur die Erwartung der verdienten Strafe, so daß sie sich um anderes
nicht kümmern können. Und die Seligen, welche im Verein mit den
Engeln Gott hymnen singen, scheinen auch keine helfer zu sein.
Überhaupt könne die vom Körper getrennte Seele weder Gutes noch
Böses zufügen.?
Dagegen läßt schon Origenes in der ersten Hälfte des zweiten
Jahrhunderts in seiner Schrift „Ermunterung zum Märtyrertum“ die
getöteten Glaubenszeugen durch ihre Bitten Verzeihung von Gott für
lebende Sünder erlangen.
Die heiligenverehrung und der Glaube an ihre Wirksamkeit
sind dann vom Trienter Konzil wohl nicht zum Dogma gemacht, aber
als sehr gut und heilsam, die, welche den Glauben daran verwarfen,
als Schlechtgläubige erklärt worden. Ganz verworfen hat aber den
Hlauben an die Fürsprache der heiligen für die Kirche im allgemeinen
auch die Augsburger KRonfession nicht.
Man hat sich aber nicht begnügt, die im Jenseits weilenden
Seelen um hilfe und Schutz anzuflehen, sondern ist auch manchmal
zu ihnen herabgestiegen oder hat sie durch Beschwörungen zum herxauf—
kommen gezwungen, um von ihnen guten Rat und Vorhersagung der
zukunft zu erbitten oder zu erzwingen.
Daß priesterliche Zauberer Tote heraufbeschwören können, scheinen
auch die alten Inder geglaubt zu haben. So läßt im Mahabharata
Spiegel, Eran. Alt. II. 8. 17, 151; Söderblum, in Mus. Guimet II.
9, 5. 122.
* Migne Patrologia Series gr., Bd. 28, Spuria, S. 616- 617.
3Aubeé, Les Chrétiens, S. 448.
Hheraufbeschwörung der Toten. Odnsseus, Atossa. 231
—X—— gefallenen helden aus dem Wasser des Bag⸗
hirathi aufsteigen.“
In dem babnlonischen Cpos von Gilgamisch (Izdubar) erlangt
dieser vom Unterwelts⸗ oder Todesgott Nergal die Erlaubnis für
seinen verstorbenen Freund Eabani, aus dem Totenreich zu einer Be⸗
sprechung heraufzukommen. Die Erde wird von Nergal geöffnet,
Tabeni kommt „wie ein Wind“ herauf und gibt eine Schilderung der
traurigen Cage der Toten.“
homers Odysseus ist nicht in die Unterwelt hinabgestiegen, son⸗
dern hat sich, wie Goethe sagt, nur an sie herangewagt, um nach
dem Rat der Kirke den Teiresias zu befragen.“ Dieser kehrt auch
nach der Unterredung in den hades zurück, und auch den Minos
sieht Odysseus nur am Tore Gericht haltend. Am Eingang der
Unterwelt, am Zusammenfluß von Acheron und Phlegeton, gräbt er
eine Grube, opfert einen schwarzen Widder und zwei Schafe, daß
schwarz das Blut herausströmte. Bevor noch Teiresias erscheint,
kommen andere Tote, nach Blut gierig, heraus. Wie diese da mit
grauenvollem Geschrei, wie wilde Tiere sich zum Opferblut heran⸗
drängen, so daß Odnsseus sie, selbst seine eigene Mutter, mit gezo⸗
genem Schwert abwehren muß, um der Seele des Sehers den ersten
Schluck zu reichen, das gewährt uns einen tiefen Blick in uralten,
rohen, griechischen Volksglauben. „Es bestand offenbar der Glaube“,
sagt Stengel, „daß die Toten sich an nichts mehr erquickten als
an diesem ihnen selbst durch den Tod entzogenen Elemente des
Cebens.“
Ausführlich und mit seiner umfassenden Sachkenntnis untersucht
Kohde die einzelnen Teile der homerischen Nekyia und die ihnen zu⸗
grunde liegenden Tendenzen und Motiobe ihrer Verfasser. Doch er—
scheint mir seine Ansicht über die Bedeutung des Bluttrinkens der
Seelen unklar und schwankend.“
Aeschylos läßt in den „Persern“ die Rönigin Atossa und vor—
nehme Perser den Schatten des Darius mit ganz griechischen Sere—
monien und unter Anrufung griechischer Götter aus dem hades herauf⸗
—X gewährt ihnen Kat und Prophezeiung.
Wenn der griechische Dichter die Perser dem VRönige einen Opfertrank
Oldenberg, S. 568.
Jastrow, 5. 511, King, 5. 175.
Odnusssee X. 501-540, XI. 20 -98.
Im Kheinischen Museum 1896, wieder abgedruckt in Kleine Schriften
II. 255- 292.
3
232 Der Verkehr zwischen Toten und Lebenden.
— , e,e ——
von Milch, honig, Wein und Wasser reichen, Blumen und Oliven
darbringen läßt, so wird man kaum, wie Tiele! meint, daraus auf
eine Kenntnis des persischen Rituals und der Zusammensetzung des
homatrankes bei ihm schließen dürfen, denn auch Odnsseus bringt
ein Opfer von Honig, Milch, Wasser und Wein.
Doch zeigt der Dramatiker einen Sortschritt gegen den Epiker,
wenn er keine Tiere schlachten läßt und kein Blut zu trinken gibt.
Oder hat er nur den Persern solche blutige Opfer nicht zugetraut?
Wie Odnsseus, greift auch Virgils Aeneas in der Unterwelt zum
Sschwert, aber nicht gegen die blutdürstigen Toten, sondern gegen die
an ägyptische Schilderungen erinnernden, schrecklichen Ungeheuer der
Tiefe. Ebenso werden in hesiods „Argonaut“ nicht Tote, sondern
hekate und die Furien heraufbeschworen. Die den Aeneas beglei⸗
tende Sibylle, die Opfer und das Abwehren der Toten mit dem
schwerte finden wir auch bei Silius Italicus (Punica XIII. 395 ff.).
der den jungen Scipio in die Unterwelt hinabsteigen läßt, um die
Ahnen zu befragen. Doch ist es hier die Sibylle, welche ihn das
schwert ziehen heißt, während sie den Aeneas von dem nutzlosen
Hebrauche der Waffe abhält.
Sehr ausführlich schildert Lucan im sechsten Buche der Pharsalia
eine heraufbeschwörung von Toten durch die Hexe Erichtho.
seneca läßt im Prolog zum „CThyestes“ den Geist des Tantalus
von der Furie Megaera in die Oberwelt zurückbringen, um ihr bei
Anstiftung von Brudermord und andern Greueln zu helfen.
Eine trotz der greulichsten Zeremonien mißlungene Totenbeschwö⸗
rung beschreibt horaz in der Epode gegen Canidia, eine andere in
humoristischer Weise CLucian im Menippus.
Wie Atossa nach der verlorenen Schlacht den toten Gatten, so
läßt König Saul vor der Schlacht, die er verlieren wird, da ihm
Gott und die lebenden Propheten keine Antwort geben, durch die
here von Endor den verstorbenen Propheten Samuel heraufbeschwören.
Wie die griechischen heroen in blutbefleckter Rüstung erscheinen, so
kommt Samuel im Mantel gehüllt herauf, im Mantel, den ihm seine
Mutter gemacht hatte? und den er auch in der Unterwelt trug. Denn,
sagt Rabbi Nathan: in dem Gewand, mit dem der Tote begraben
wurde, kommt er bei der Auferstehung heraus.?
Geschichte d. Religionen J. S. 363
Samuel II. 2, 19; 28, 6- 20.
Jalkut Schimeoni 8 139 F. 20 b.
Nönig Saul, Titus, Nero, Caracalla. Gewerbsmäßige Totenbeschwörer. 233
„Ich sehe Götter heraufkommen“, sagt die hexe, denn Samuel
kam nicht allein: fürchtend er werde vor das göttliche Gericht ge—
laden, hat er den Propheten Moses als Beistand mitgenommen, sagt
der Talmud: Nach den Kapiteln des Rabbi Elieser (aus dem achten
Jahrhundert) glaubten auch andere Tote, der Tag der Auferstehung
sei angebrochen und ihrer elf schlossen sich dem Samuel an.
Der Talmud berichtet auch von einer heraufbeschwörung und
Ausfragung des Kaiser Titus und des Bileam durch einen Neffen des
ersternt, und Dio Cassius (XXVII. 15) erzählt, Caracalla habe, von
Hewissensbissen geplagt, seinen Vater Severus und den Raiser Com⸗
modus heraufbeschworen. Mit diesem kam ungerufen der auf Befehl
Taracallas ermordete Bruder Geta. Commodus drohte dem erstern
mit dem unterirdischen Richter und die andern zwei Geister gaben
ihm gar keine Antwort. Auch Nero hat, nach Suetonius Kap. 34,
Heister aus der Unterwelt zitiert, um Linderung seiner Gewissens—⸗
qualen zu erbitten, scheint aber keine Antwort erhalten zu haben.
In Virgils achter Ckloge (V. 95- 8) rühmt sich ein hirt, Kräuter
zu besitzen, mit denen er Tote aus den Gräbern herausziehen könne.
Nach Herodot (V. 92) befand sich bei den Thesprotern am Acheron
ein Totenorakel und nach Pausanias (III. 17, 8) scheint es zu Phi—
galia in Arkadien gewerbsmäßige Totenbeschwörer gegeben zu haben.
Und dieses Gewerbe oder diese Runst ist nicht ausgestorben, denn
Tote müssen noch jetzt auf Befehl von „Medien“ den Lebenden Rede
und Antwort stehen.
Wie Tote zu gewissen Zwecken der Lebenden heraufbeschworen
wurden, so konnte oder mußte man manchmal Lebende behufs einer
Erkundigung oder der Korrektion zu vorübergehendem Kufenthalt
in die Unterwelt entsenden. Andere sind wieder aus Irrtum in die
Unterwelt gelangt und, als man diesen bemerkte, zu den Lebenden
zurückgeschicktt worden. Von der Forschungsreise des Arda Viraf ist
bereits im RKapitel „Quellen“ die Rede gewesen. Mit den hades—
fahrern „des Schattenreichs gewohnten Gästen“ scheint Aristophanes,
im Fragment aus Gertyades, nur die Dichter gemeint zu haben,
welche Schilderungen der Unterwelt verfaßt haben.
Dagegen berichtet eine Sage der Maori von einer Frau, welche
die Unterwelt besuchte und sie nach Überstehung großer Gefahren
wieder verlassen hat.?
Talmud bab. Chagiga 4b; Jalkut J. c. S 140 f. 20 c.; Gittin 50b, 674.
J. Zemmich, Todteninseln, S. 22; Tylor II. 49.
234 Der Verkehr zwischen Toten und Lebenden.
Nach dem Jaiminia Brähmana schickte Gott Varuna seinen sich
gegen Götter und Menschen überhebenden Sohn Bhriga für einige
Zeit zur Besserung ins Jenseits. Nach dem Varäha Purana ver—⸗
fluchte Uddala im Zorne seinen Sohn zum Tode, worauf dieser in
Namas Reich gelangte. Aus der Unterwelt zurückgekehrt, wußten
dann die beiden jungen Leute vieles zu erzählen.“
von dort ist auch ein KRlosterschüler zurückgekommen, den die
Teufel schon mit ihren Krallen gepackt hatten und wie einen Spiel—
ball hin- und herwarfen. Da kam eine von Gott gesendete himm—
lische Persönlichkeit von ehrwürdigem Ansehen, die ihn aus ihren
klauen befreite und die Seele wieder in ihren Körper zurückführte.
Entsetzt flohen die andern Klosterschüler, als der Totgeglaubte Schein⸗
tote 7) sich plötzlich von seinem Lager erhob. Er ist dann in den
Cisterzienserorden getreten und Abt seines Klosters Morimund ge—
worden. Cäsarius von Heisterbach, der uns dieses Geschichtchen er⸗
zählte, stellt sich die Frage, ob die zurückgekehrte Seele in der Hölle
oder im Fegfeuer gewesen ist, und entscheidet sich für erstere; denn
er hat von seinem Lehrer, dem Rölner Scholastikus Rudolf, gehört,
daß die besseren Seelen nicht in die Tatzen der Teufel gelangen, son—
dern, wenn sie des Fegfeuers würdig sind, von Engeln dahin ge—
tragen werden. Und daß unter gewissen Umständen eine Seele auch
aus der Hhölle in den Körper zurückkehren könne, schließt er aus
dem Falle des Verwalters des Bischofs von Utrecht. Dieser ist, nach⸗
dem er einige Höllenqualen erlitten hat, ins irdische Leben zurück⸗
geschictt worden, um dort einige Sünden seiner letzten Lebensjahre
abzubüßen. Wenn Gott, meint er, manche aus den Freuden des
Paradieses ins Erdenleben zurückschickt, warum soll er nicht auch aus
der hölle manchmal zurückschicken?*
Wie Papst Gregor der Große in seinen Dialogen (VI. 36) er⸗
zählt, ist einmal der Presbyter Stephan durch Irrtum des Todes—
boten, der ihn anstatt seines Nachbars, des Schmiedes Stephan, holte,
in die Unterwelt gelangt. Er wurde gleich, als man dort den Irr⸗
tum bemerkte, zu den Lebenden zurückgeschickt, und in demselben
Momente, als er wieder auflebte, ist der Schmied Stephan gestorben.
Der ungeschickte Teufel, der ihn gebracht hatte, erhielt von seinem
Vorgesetzten den verdienten, scharfen Verweis.
J
2
Scherman, S. 5, 11
Dist. J. cap. 32.
Dist. XII. c. 23.
Irrtümer des Todesboten.
235
Diese Erzählung hat einen ziemlich langen Stammbaum. Wie
Plutarch (bei Cusebius Prep. evang. XI. 36) erzählt, hat ein gewisser
Antyllos nach seinem Erwachen aus dem Scheintode berichtet, er sei
wirklich tot gewesen, aber wieder ins Leben zurückgeschafft worden,
weil der Todesbote, der dafür tüchtig ausgescholten wurde, ihn irr—
tümlich statt des Gerbers Nikander gebracht hätte. Dieser ist dann
nach dem Erwachen des Antyllos gestorben.
Aridäus — Thespesius, von dem Plutarch ebenfalls in seiner
Schrift „Von der späten Rache der Gottheit“ erzählt, ist zwar nicht
aus Irrium in die Unterwelt gelangt, aber er hat sich dort während
seines drei Tage dauernden Scheintodes gut umgesehen und seine
Zeele ist gerade in dem Moment in den Lörper zurückgekehrt, als
man ihn begraben wollte. Von dem, was er da unten gesehen und
gehört hat, ist bereits oben die Rede gewesen.
In Lucians „CLügenfreund“ gelangt der kranke Kleodemos, ge⸗
rade so wie der Presbyter Stephan, durch einen Irrtum des Toten—
führers in den hades. Pluto bemerkte, wie er vor ihm erschien,
den Irrtum, schickte ihn sofort ins Leben zurück und ließ den rich⸗
tigen, zum Tode bestimmten Schmied Damnlus, der schon die ihm
festgesetzte Cebensgrenze überschritten hatte, holen. Dieser ist auch
richtig bald nach dem Wiederaufleben des Kleodemos gestorben.
Cinmal soll sich aber Nama, der herr der Unterwelt, selbst ge⸗
irrt haben und hat den schon bei ihn angelangten Menschen zurück⸗
geschickt. Dagegen erlangte der chinesische Kaiser Tai-Csang durch
Fälschung des „Schicksalsbuches“ die. Rückkehr aus dem Totenreich
nach einem UAufenthalt von drei Tagen und eine Verlängerung seines
Cebens um zwanzig Jahre.“
Durch einen Irrtum in diesem Schicksalsbuch ist aber einmal
ein gewisser Pung zu dem respektablen Alter von 800 Jahren ge⸗
langt, da beim Binden dieses Buches das Blatt, auf dem seine Lebens⸗
dauer notiert war, verlegt wurde. Seiner langen Lebenszeit ent—
sprechend, hat er 72 Gattinnen überlebt. Erst die letzte entdeckte, in
die Unterwelt gelangt, den Irrtum, von dem dann durch ihre Ge⸗
schwätzigkeit der Unterweltsherrscher erfuhr. Er korrigierte ihn so—
fort. was den Tod des armen Pung zur Folge hatte.?
Tinmal ist aber der begangene Irrtum nicht gutgemacht worden.
wie im Talmud bab. (Chagiga 4, 5) erzählt wird, hat der Todes⸗
sScherman, 5. 92, 98- 100.
Mew, S. A4, nach Du halde.
236 Der Verkehr zwischen Toten und Lebenden.
engel seinen Diener geschickt, um die hHaarflechterin Mirjam zu holen,
und dieser brachte irrtümlich die Erzieherin Mirjam. Der Engel tadelte
den Boten ob seines Irrtums, sagte aber dann: da sie schon da ist,
möge sie dableiben. Darauf frug ihn KRabbi Bibi bar Abaja, wie
er es denn wagen könne, sich eines Menschen vor der ihm bestimmten
szeit zu bemächtigen. Der Todesengel suchte sich durch allerlei Bibel—
prüche zu rechtfertigen, versprach aber schließlich der Seele der Mir⸗
jam bis zu dem ihr bestimmten Todestage einen besondern Warteraum
anzuweisen. Der Rabbi war aber noch immer nicht befriedigt.
„Was geschieht mit den ihr entzogenen Lebensjahren?“ fragte er
weiter. „Die schenke ich fleißigen Rabbinerschülern“, antwortete,
wohl mit einem spöttischen Tone, der Engel.
Von dieser Schenkung hat die arme Erzieherin nichts gehabt
und dem neugierigen Kabbi zu danken hatte sie keine Ursache.
Cine der Erzählung Papst Gregors vom Presbyter Stephanus
ähnliche — die Verwechslung des Hofmanns Curma mit dem Schmied
Turma — findet sich schon bei Augustinus.
Die Anekdote, welche Boccaccio in seiner Biographie Dantes
von den Veroneserinnen erzählt, die sein gebräuntes Gesicht und
gekraustes haar für Folgen seines Besuches der hölle hielten, beweist,
daß zu jener Zeit, wenigstens die Einfältigen, an die Möglichkeit von
höllenbesuchen durch Lebende glaubten.
z. Die Toten als hilfsbedürftige und ihre
Erlösung durch Lebende.
sahlreich sind die Erzählungen von Lebenden, welche, manchmal
mit Opfern und Gefahren, aus Liebe, Mitleid oder andern Motiven,
Tote aus der Unterwelt befreiten oder wenigstens den Versuch dazu
nachten.
Die Befreiung aus der Unterwelt kann, selbst bei solchen, die
nicht immer strebend sich bemühn, durch direkte Überführung ins
Paradies, durch Wiederbelebung — definitive oder vorübergehende,
behufs Besserung und Büßung — erfolgen. Stets aber ist die Für⸗
prache oder hilfe eines Dritten erforderlich.
Nach buddhistischer Legende ist Mandyalyayaina, ein berühmter
schüler Buddhas, in die hölle hinabgestiegen und hat seine Mutter
mit großer Mühe und erst nachdem sie Scham und Reue geäußert
hatte, befreit. Nach einer andern, wahrscheinlich pfäffischen, Version
— ———————
De cura pro mortuis 8 15, bei Rohde, Psyche J. 652.
Persephone.
237
ist ihm die Befreiung nicht gelungen, weil, wie Buddha erklärte,
Erlösung oder Milderung der Pein nur unter Mitwirkung aller
Priester gelingen könne. Er lehrte ihn aber die erforderlichen Zere⸗
monien, um den hunger seiner Mutter zu stillen und sie endlich ganz
zu erlösen.“
Glücklicher als der Buddhist hat Bacchus seine Mutter Semele
aus der Unterwelt ohne besondere Schwierigkeit herausgeholt und
ihr die Unsterblichkeit verliehen. Pausanias meint freilich, sie sei
gar nicht gestorben, da sie die Gattin des Zeus war. Der Urlaub
zum Besuche des trieterischen Sestes, dessen eine orphische (44.)
hymne erwähnt, hat sie sich wohl noch vor der vollständigen Frei⸗
lassung von Persephone erbeten.?
Persephone selbst ist nur zur hälfte erlöst worden, aber es ging
ihr in der Unterwelt nicht schlecht.
Cinzig von allen Beherrschern der Unterwelt besitzt der römisch⸗
griechische Pluto (Rlides oder hades) eine rechtmäßige Gattin, welche
neben ihm auf dem Throne sitzt, mit ihm die furchtbare Herrschaft
teilt — die reine oder heilige Persephone (Proserpine), des SZeus und
der Demeter (Ceres) Tochter. Freilich, auf ganz rechtmäßige Weise
ist er nicht zu ihrem Besitz gelangt. Als sie mit ihren Genossinnen
spielend auf einer Wiese bei Enna in Sizilien oder in der Gegend
von Nysa in Asien — es werden noch andere Orte als Schauplatz
der Entführung genannt — Blumen pflückte, ist er mit unterirdischen
Kossen und goldenem Wagen plötzlich emporgetaucht und hat sie nach
vorher eingeholter Erlaubnis seines Bruder Zeus in die Unterwelt
entführt. Lange irrte, sie suchend, ihre trostlose Mutter Demeter
herum, und als sie endlich ihren Aufenthaltsort entdeckte, konnte sie
ihre Befreiung nicht erlangen. Erst als sie mit Mißwachs und
hungersnot die Menschheit zu plagen begann und laut den Eid
schwur, nicht eher die Erde Frucht hervorbringen zu lassen, bis sie
die Tochter wiedergesehen, schickte Zeus den hermes zum hades, um
ihn zur herausgabe der Geraubten zu bewegen. Dieser willigte schein⸗
har ein, da aber Persephone inzwischen, sei es aus Genäschigkeit, sei
es von Pluto verleitet oder gezwungen, einen Apfel von einem unter—⸗
irdischen Granatenbaum gegessen hatte, konnte sie der Oberwelt nicht
mehr ganz zurückgegeben werden. Das wird auch in manchen euro⸗
päischen Volksmärchen als Folge des Genusses unterirdischer Speisen
5Icherman, S. 81; de Groot, S. 30.
Apollodorus III. 5, 3; hyginus Poet. astron. II. 5; Diodor von Sizilien
IV. 25; Pausanias II. 31, 2; Maas, Orpheus, s. 52; Cobeck 619.
238 Der Verkehr zwischen Toten und Lebenden.
bezeichnet. Dagegen müssen Adam und Eva das Paradies verlassen,
weil sie die verbotene Frucht gegessen haben.
Endlich kam ein Vergleich zustande zwischen Demeter und Pluto,
demzufolge Persephone in jedem Frühling der düstern Unterwelt
entsteigen und zwei Drittel (nach Ovid Fasti IV. 614 nur ß Jahr)
des Jahres auf der Oberwelt und bei den Göttern verweilen sollte.“
Von homer und hesiod bis zu Claudian, dessen Epos De raptu
Proserpinae aber unvollendet geblieben ist, haben viele Dichter und
Mythographen von Persephone gesungen und erzählt, manche den
Kaub und dann das Suchen der Mutter mit großer Ausführlichkeit
geschildert. Man ersieht daraus, sowie aus den Erklärungen moderner
Philologen, daß darin ein Naturmythus steckt. Persephone ist die
saat, welche in die Erde gelegt, im Frühling als nährende, Menschen
und Götter erfreuende Frucht aus der Unterwelt emporkommt:
„Keime, die dem HAuge starben
In der Erde kaltem Schoß.
In das heitre Reich der Farben
Kingen sie sich freudig los“.
Für das, was uns hier am meisten interessiert — Persephones
ztellung und Macht in der Unterwelt —, bieten uns die antiken
Quellen nicht viel: In der homerischen hymne verspricht ihr Pluto
unendlichen Ruhm unter den Göttern und schwere Bestrafung der⸗
jenigen, welche ihren Sorn nicht mit Opfern besänftigen. Eine ge⸗
wisse Macht schreibt ihr Sophokles zu (Antigone 894). Ihr muß,
nach Virgil, der Besucher der Unterwelt einen wunderbaren SZweig
mit goldenen Blättern darbringen, und Venus steigt hinab, um von
ihr den Adonis loszukaufen.
Nach Oduyssee XI. 385 scheint sie auch eine besondere Aufsicht
über die Weiber in der Unterwelt ausgeübt zu haben, und nach
Dirgils Georgica (IV. 487) ist sie es auch, welche die Eurndice frei⸗
zibt. Auch einigen erlauchten Männern hat sie, nach Pindar, die
Kückkehr in die Oberwelt gestattet. Und Euripides läßt an sie
die Bitte um Befreiung des Rhesus aus der Unterwelt richten.
Die Entführungsszene ist oft von Malern und Bildhauern dar⸗
gestellt worden. Sonst wurde Persephone gewöhnlich mit Szepter
und Krone, manchmal auch auf dem Throne sitzend, dargestellt.
Homerische hymne auf Demeter, Ovid Metam. V. 344538, Fasti
IV. 419 618; V. 341 -538; Apollodorus J. 6, 1; hesiod, Theogonie 906;
kuripides, Hhelena 171.
Pindar, bei Plato, Meno 81b. c.
——
Orpheus und Eurndike und die orphischen Geheimlehren. 239
Cajus Julius Hyginus, der Freigelassene des Kaisers Augustus,
widmet ein besonderes Rapitel (251) seiner mythologischen Erzählungen
denjenigen, welche mit Erlaubnis der Parzen aus der Unterwelt
zurückgekehrt sind. Er spricht darin sehr lakonisch, sowohl von
wiederbelebten Verstorbenen als von solchen, die lebend zu irgend⸗
einem bestimmten Zwecke die Unterwelt besucht haben. An elfter
Ztelle nennt er den, unserer Ansicht nach, in religionsgeschichtlicher
Beziehung unter ihnen wichtigsten Orpheus, Sohn des Oeagrus,
an dessen Hadesfahrt die ganze griechisch⸗römische Kunde vom Jenseits
anknüpft.
Orphische, meistens auf das Jenseitsleben bezügliche Schriften
und Formeln, Einweihungen und Reinigungen gehörten zu den ältesten
und weitwirkendsten Elementen der antik⸗klassischen Religion, und
als alte orphische Schriften wurden wieder viel jüngere fälschlich
ausgegeben.
Die ausführlichsten Darstellungen der Orpheus⸗Curydike⸗Mythe
finden wir im vierten Buche von vpirgils Georgica und im zehnten
bon Ovids Metamorphosen, denen wahrscheinlich das Gedicht eines
alexandrinischen Griechen aus der Ptolomäerzeit zugrunde liegt.!
Alter sind jedoch, sowie die mythe selbst, die unter dem Namen des
Orpheus gehenden Gedichte und Lehren, die im Altertum sehr ge—
schätzt und gewissermaßen als heilige Schriften betrachtet wurden,
dann aber größtenteils verloren gegangen sind. Manche derselben
tammten aus der Ptolomäerzeit und selbst die ältesten sind schwerlich
vor dem sechsten vorchristlichen Jahrhundert entstanden.? Sie scheinen,
wie herodot andeutet, ägyptischen Ursprungs zu sein, wie ja über—
haupt ein solcher für einen großen Teil der auf die Unterwelt und
das Jenseits bezüglichen Partien der griechischen Mythologie anzu⸗
nehmen ist. Nach Diodor von Sizilien (I. 96, IV. 25) ist Orpheus
selbst nach ügypten gegangen, um Religionsstudien zu machen. Und
nach hekatäus von Milet pflegten die bedeutendsten Geister unter
den hellenen nach äügypten zu reisen, um die hohe Kultur des Landes
zu studieren. Besonders habe Orpheus das religiöse Element zu
nutzen gewußt; das meiste in seinen Weihen, seine ganze Hhades⸗
beschreibung ist ägyptisch.“
Cbenso sind in späterer Zeit die meisten, auf das Jenseits be⸗
züglichen, jüdisch⸗christlichen Apokalypsen und Apokryphen in agypten
— — —
Maas, Orpheus, S. 293. — Grote, Rap. J. IJ. S. 19.
Vergl. Herodot II. 81, 123. —- 4 Maas, Orpheus, S. 114.
240 Der Verkehr zwischen Toten und Lebenden.
entstanden.“ Man hat sich von jeher nirgends so viel um das Schicksal
der Toten gekümmert wie im Nillande.
Wenn wir das auf die Unterwelt nicht Bezügliche, für uns hier
Nebensächliche, weglassen, reduziert sich das Abenteuer des Orpheus
darauf, daß dieser unübertreffliche Sänger und Musiker in die Unter⸗
welt hinabstieg, um seine innigstgeliebte, infolge eines Schlangen⸗
bisses gestorbene Gattin Curydike heraufzuholen und dem irdischen
CLeben wiederzugeben. Als Bittender stellte er sich dem Herrscherpaar
der Unterwelt vor und erklärte, er sei nicht aus Neugierde gekommen,
um sich den Tartarus anzusehen, noch um sich des dreiköpfigen Ker⸗
berus zu bemächtigen, sondern nur um seine geliebte Gattin zu be⸗
freien. Das Götterpaar, das ja selbst durch Liebe (wenigstens von
einer Seite) verbunden worden sei, möge auch seiner Liebe hold sein,
und dies könne es um so eher, als es sich ja eigentlich nur um eine
Fristerstrectung bis zum Greisenalter handle, denn dann werde er
mit seiner Gattin, wie alle Menschen, für immer in die Unterwelt
hinabsteigen. Wolle man seine heiße Bitte nicht erfüllen, dann werde
auch er nicht zur Oberwelt zurückkehren und hier bei seiner Gattin
bleiben.
So sprach, oder vielmehr sang, Orpheus, sich mit der Laute be—
gleitend, zum Entzücken aller Bewohner der Unterwelt. Die schlangen⸗
gelockten Furien hörten ihm bis zu Tränen gerührt zu?, was Pluto
als für sie höchst unpassend erklärte und gaffend sperrte der Höllen⸗
hund seine drei Mäuler auf. Selbst die Verdammten vergaßen ihre
Pein: Tantalus haschte nicht nach dem entweichenden Wasser, Ixions
Kad hörte auf sich zu drehen, die Danaiden unterbrachen das zweck⸗
lose Wasserschöpfen und Sisyphus ruhte auf dem lange vergebens ge⸗
wälzten Felsblock.
So ließ sich denn auch das Götterpaar der Unterwelt erweichen
und gewährte dem Orpheus die Rückkehr seiner unter den Jüngst⸗
verstorbenen befindlichen Gattin zum Leben, jedoch mit der Bedingung,
sich nach ihr nicht umzuschauen, bevor er die Unterwelt verlassen.
Aber die Liebe spielte ihm einen bösen Streich: Schon hatte er, von
Turndike gefolgt (warum ließ er sie nicht als höflicher Gatte voran⸗
gehen 7), den größten Teil des Weges im Schattenreich zurückgelegt,
schon war er dem Ausgange nahe und erblickte einen schwachen Licht⸗
schein der Oberwelt, als er, von Mißtrauen oder Sehnsucht getrieben,
Revue d'hist. écclesiastique 7e année (Cöõwen 1906), 5. 245.
Statius, Thebais VIII. 5759.
Orpheus und Eurndike und die orphischen Geheimlehren. 241
sich umwandte, um die Geliebte zu sehen; da durchscholl dreimal ein
Gekrach den avernischen Sumpf und klagend rief die Gattin, daß
sie wieder zurückgezwungen werde. Vergebens streckte sie die Hände
nach dem Gatten aus, schreckliches Dunkel umfaßte sie, und sie ent—⸗
schwand ihm, wie Rauch in die Lüfte sich verzieht. Vergebens klagte,
bat und weinte Orpheus, die Gattin blieb ihm verloren, er mußte
allein in die Oberwelt zurückkehren.! Die Toten aber sollen sich
sehr gefreut haben, als Curndike zurückkehrte, denn sie hofften wieder
den Gesang des Orpheus zu hören, wenn er zum zweitenmale
käme, sie zu befreien. Aber er ist nur als Toter wiedergekommen.
Gar wunderlich hat der angelsächsische König Alfred in seiner
freien Übersetzung des Boetius dessen Darstellung der Orpheusmythe
ausgeschmückt. Er läßt Kerberus vor Orpheus mit dem Schweif
wedeln, macht den Charon zum Torhüter und gibt auch ihm drei
RKöpfe.
„Orpheus verliert die Gattin“, sagt Maas, „da er sich gegen
das Gebot zweifelnd umschaut, das ist die dogmatische Glaubens-
formel: glaube, wenn du nicht siehst.“ Aber legte denn die Keligion
der Griechen solches Gewicht auf den Glauben? Das ist eher bei
dem Verbot des Zurückschauens in der Bibel, für dessen Übertretung
Cots Frau in eine Salzsäule verwandelt wurde, anzunehmen. Und
ist nicht Aeneas mit dem Verlust der Gattin gestraft worden, weil
er es unterließ, sich nach ihr umzuschauen?
Mit Recht bezeichnet Oldenberg? das Sich-nicht- umsehen, wenn
man die Stätte irgendwelcher unheimlicher Verrichtung verläßt, nach
Opfern oder sonstigen rituellen Handlungen, die es mit den Toten,
mit bösen Dämonen zu tun haben, als eine „überaus häufige, an
den verschiedensten Stellen des Erdkreises, in Kegionen höherer wie
tieferer Kultur begegnende Sitte“. Sehr viele Fälle von han—
tierungen und Zauberhandlungen, bei denen man sich nicht um—
sehen darf, und von bösen Folgen des Sich-um⸗sehens führt Adolf
Wuttke an.?
1 Ovid. Metam. X. 8-75; Virgil Georgica IV. 468 - 499; hygin,
Fab. 164; Apollodorus J. 3, 2; Seneca, Herc. furens, 571-588; Herc. Oet.
I035— 1080. Boetius, de consolatione Philosophiae, III. 12. Nach Cobeck
(Aglaophamus 374) scheint im Altertum von einer von Orpheus selbst
gegebenen Schilderung seiner Hadesfahrt gefabelt worden zu sein.
Religion d. Veda, S. 487.
Der deutsche Volksaberglaube der Gegenwart, Berlin 1864. 5. auch
oben, die römische Manesfeier, 5. 221.
Candau, Hölle und Segfeuer.
242 Der Verkehr zwischen Toten und Lebenden.
Übrigens meint Plato (im Gastmahl 179 c. d.), die Unterwelts⸗
götter hätten dem Orpheus, weil er nicht sein Leben für die Ver⸗
storbene opfern wollte (wie Alkestis), die Gattin gar nicht heraus⸗
gegeben und ihn mit einem Phantom getäuscht. Dann hätten wir eine,
man könnte sagen, natürliche Erklärung des Verschwindens. Jeden⸗
falls bleibt in der Orpheusmythe noch vieles rätselhaft und uner⸗
zlärt, was auch von modernen Forschern zugegeben wird. So sagt
3. B. Gruppe!: „Die Geschichte dieses berühmten Mythus gehört zu
den dunkelsten Partien der spätern griechischen Mythologie“. Ob
Orpheus, wie er meint, von haus aus zum Hades in Beziehung stand
oder nicht, läßt sich nicht entscheiden. In Virgils Georgica (IV.
544-6) erscheinen er und Eurndike als eine Art Unterweltsgötter,
denen Opfer gebracht werden, aber in der Aeneis (VI. 644-6) sindet
er sich singend und spielend unter den anderen Verstorbenen. Schwer
erklärlich bleibt es auch, warum man die Reinigungs- und Erlösungs⸗
geheimnisse gerade mit dem Namen desjenigen verband, der nicht
einmal seine eigene Frau aus der Unterwelt erlösen konnte.
Ebensowenig Erfolg als Orpheus hatte der junge indianische
Krieger, von dem Schoolcraft erzählt, der nach dem Tode seiner Ver⸗
sobten beschloß, ihr in das Land der Seelen zu folgen. Weit gegen
züden, jenseits der Schnee- und Eisregion, gelangte er zu einer
hütte, am Anfang einer weiten Ebene, wo er sich seines Körpers
entledigte und dann ein Boot bestieg, in dem er über einen See fuhr.
Aber er scheint die Verlobte im Jenseits gar nicht erblickt zu haben,
denn der herrscher des Totenlandes schickte ihn mit dem Versprechen
zurück, ihn auch bei sich zu behalten, wenn er einmal nach dem Tode
dahin kommen werde.“
Von einem mißglückten Versuch zur Befreiung einer Gattin aus
der Unterwelt weiß auch die Schinto-Mythologie der Japaner zu
erzählen.
Soweit sich aus den etwas verworrenen, voneinander abwei—⸗
chenden Erzählungen in dem Buche Ko-ji-ki aus dem 8. Jahr—⸗
hundert und dem etwas jüngern Nitrongi entnehmen läßt, ist der
hergang ungefähr folgender: Von dem Urgötterpaar Izanami und
Izanagi ist die Gattin Izanami im Kindbett gestorben. Der Gatte
Jzanagi steigt in die Unterwelt (das Land Yuni) hinab, um sie zurück⸗
zuholen und wird von ihr mit den Worten begrüßt: „Mein herr
tIn Roschers Lexikon, III. a. S. 1158, 1163.
Bei Spieß, S. 166.
Ein hawaischer Häuptling, Izanami, Alkestis. 243
und Gemahl, warum kommst du so spät? Ich habe nun schon von
Hunis Rüche gegessen.“ Sie bittet ihn, sie nicht anzusehen, wenn sie
sich schlafen legt, er aber macht aus einem Zahn seines Kammes
eine Fackel und sieht auf ihr eine eiterige Masse voll Maden. Dies
ekelt ihn so an, daß er die Slucht ergreift und, den von Izanami
zu seiner Verfolgung ausgeschickten acht scheußlichen Weibern glücklich
entgehend, an die Oberwelt gelangt. Dort spricht er die CEheschei⸗
dungsformel aus und reinigt sich von dem Schmutz der Unterwelt.
In einer von Dr. Pfizmaier mitgeteilten, etwas abweichenden
Dersion verfolgt auch Izanami selbst den Gatten, bis er ihr an der
Treppe der Unterwelt den Weg mit einem riesigen Felsstück versperrt.
Nach der Scheidung kommt Izanagi nochmals in die Unterwelt, steigt
dann wieder in den Himmel und verbleibt im Palaste der Sonne.!
Dieses Götterpaar benimmt sich so schlecht und roh, wie es selbst bei
einem menschlichen Chepaar sehr tadelnswert wäre.
Dagegen ist es einem über den Tod seiner Frau untröstlichen,
hawaischen Häuptlinge mit Mut und Schlauheit gelungen, sie aus dem
Totenlande, dem Reiche Milus, zurückzuholen. Er hatte durch seinen
Priester den „Gott der häuptlinge“ zum Führer erhalten und wan⸗
derte mit diesem bis an das Ende der Welt, wo sie in die Tiefe
hinabglitten. Dort gelang es dem Häuptling, durch CList sich der
Augen Milus zu bemächtigen und mit ihnen in das Reich Wakeas,
das Milus Scharen nicht betreten dürfen, zu entfliehen. So mußte
der Hherr des Totenlandes froh sein, als es ihm nach langen Ver—
—
lingsfrau wiederzubekommen. Der treue Gatte kehrte mit ihr in
die Oberwelt zurück, wo sie mit dem Rörper vereinigt wurde.?
Der treue, mutige hawaische Gatte hat sein Seitenstück in der
aufopferungsvollen griechischen Gattin. Eine der rührendsten Ge—
stalten des griechischen Theaters ist Alkestis im gleichnamigen Drama
des ECuripides. Obwohl am Leben hängend, opfert sie es doch, um
das ihres Gatten, des Rönigs Admetus, zu erhalten, denn das
Orakel hatte verkündet, der kranke König werde nur am Leben
bleiben, wenn jemand das eigene für ihn hingebe. Nach ihrem
Tode kommt herakles zum Besuch ins Trauerhaus, wo der Egoist
Japanische Mythologie von Dr. Karl Slorenz, in Mitteil. der
deutschen Gesellschaft für Natur- und Völkerkunde Ostasiens, Tokio 1901,
S. 35-59. Dr. Pfizmaier, in Sitzungsberichte der kais. Akademie der Wissen-—
schaften philosoph.-histor. Klasse, Bd. 47, S. 4533-458, Wien 1864.
2 Ratzel J. 38.
244 Der Verkehr zwischen Toten und Lebenden.
Admetus jammert, sich seiner Feigheit schämt und vorgibt, sich den
Tod zu wünschen. Dankbar für die gute Aufnahme und den Trau—
ernden bemitleidend, begibt sich Herakles zum Grabmal der Alkestis,
entreißt sie dem Tode und bringt sie dem Gatten zurück. Doch kann
man nach dieser dramatischen Version von einem wirklichen herauf—
holen aus der Unterwelt nicht reden, denn Herakles sagt, er werde
zum hades nur dann heruntersteigen, wenn es ihm nicht gelänge, die
Alkestis dem am Grabe vom Opferblut trinkenden Todesgott (Cha⸗
natos) zu entreißen. Dies ist freilich etwas unklar, und ganz richtig
bemerkt Carl Robert!: „Wo in der euripideischen Alkestis die Kom⸗
petenz des Thanatos aufhört, wo die des Hades beginnt, ist absolut
nicht auszumachen, und man verkennt die Absicht des Dichters, wenn
man überhaupt danach fragt“.
Nach Fulgentius hat Herakles, als er in die Unterwelt hinab—
stieg, um den Kerberos zu holen, die Alkestis gleich mit herauf—
gebracht?, während wieder Apollodorus (J. 9, 15) berichtet, Persephone
habe sie freiwillig zurückgeschickt. ühnlich sagt auch Plato im „Gast⸗
mahl“, ohne den herakles zu erwähnen, die Wiederbelebung der
Alkestis sei die Belohnung der (unterirdischen) Götter dafür, daß sie
aus CLiebe zu ihrem Gatten ihr Leben opfern wollte.
Eine so treue, liebende Gattin wie Alkestis war auch die schon
in der Ilias mitleidig erwähnte Caodamia, Gattin des Rönigssohns
von Phylake, Protesilaos, der vor Troja gleich bei der Landung der
Griechen getötet wurde. Die Gattin erwirkte ihm durch Gebet an
die Götter einen dreistündigen Urlaub zu einer Unterredung mit ihr.
Als er dann wieder als Toter in die Unterwelt zurückkehrte, folgte
ihm Caodamia bald nach. Ovid hat sie in der 13. heroide verherr⸗
licht. Auf dem berühmten Sarkophag in der Kirche Santa Chiara
zu Neapel (Grabmal des Herzogs v. Sanfelice) ist dargestellt, wie
Protesilaos von akos aus der Unterwelt entlassen wird.“
Anstatt durch Gebete und mit göttlicher Erlaubnis suchte der
schlaue Sispphus durch List aus der Unterwelt zu entkommen. Er
hatte nämlich vor dem Tode seiner Frau befohlen, ihn nicht zu be—
graben, und erwirkte gleich bei seiner Ankunft im hades die Erlaubnis,
für kurze Zeit in die Oberwelt zurückzukehren, um seine Frau für
Thanatos, Berlin 1879, 8. 32.
Mythologicon IJ. 27.
Ilias II. 700; hyginus Fab. 103, 104 251; Properz J. 19, 7-10;
Catull 68, 81; Dr. G. Krüger, Charon und Thanatos, s. 11. Über ihren
Prozeß in der Unterwelt s. oben, Gericht, S. 126.
3
Istar und Dumuzi.
245
ihre angebliche Nachlässigkeit zur Rechenschaft zu ziehen. Oben an⸗
gelangt, wollte er trotz seiner Zusage nicht zurückkehren und mußte
von Hhermes wieder in den Hades zurückgeholt werden.!
In einer dem Tobiasabenteuer ähnlichen Erzählung des Midrasch
Tanchuma (zu Deuteron. Kap. 32) macht eine Braut dem Todesengel,
der ihren Bräutigam holen will, seine Beute streitig und droht ihm
mit dem obersten Gerichte Gottes. Infolgedessen wird der Todes—
engel von Gott zurückgerufen und der erkämpfte Bräutigam bleibt
am Leben und wird glücklicher Gatte.
Vvon Befreiung aus der Unterwelt erzählt auch die babylonische
Mythe: Um ihren Geliebten, den gestorbenen Dumuzi (Tammuz), zu
befreien, steigt Istar, die Tochter des Mondgottes, hinab zum „Hause
der Finsternis“, dem Sitze Irkallas, nach dem Hause, dessen Betreter
nicht mehr herauskommen, nach dem Pfade, dessen Eingang nicht
zurückführt, nach dem Hause, dessen Bewohner dem CLichte entrückt
find, wo Staub und Kot ihre Nahrung sind. Da der Torwächter
der Unterwelt ihr nicht öffnen wollte, drohte ihm Istar die Türe zu
zerschmettern, die Riegel und Schwellen zu zerbrechen und alle Toten
hinauszuführen, so daß der Lebenden mehr sein soll als der Toten.
Der Wächter bittet sie zu warten und geht, um die Befehle der Herr⸗
scherin der Unterwelt Elllatu (auch Erischkigal genannt) einzuholen.
Diese gestattet der Istar den Eintritt unter gewissen Bedingungen,
doch nur, um sie gefangen zu halten und mit allerhand Krankheiten
und Schmerzen zu quälen. Bei jedem der sieben Höllentore wird ihr
ein Teil ihres Schmuckes und ihrer Kleidung abgenommen, so daß
sie zuletzt nackt vor Allatu erscheint.
Zum siebenstufigen Auskleiden der Istar bildet den Gegensatz im
Mazdeismus und Mithrasglauben das Aufsteigen der Seele durch
die sieben Sphären der Planeten, wobei sie sich aller Leidenschaften und
irdischen Schlacken entledigt: im Merkur der Habgier, in der Venus der
Wollust, im Mars der Kriegslust usw.“? Eine Kunde dieser Lehren und
nmbolischen handlungen, die mit den sieben Graden der Eingeweihten
des Mithraskultus zusammenhängen, scheint auch zu Dante gekommen
zu sein, der die Seelen sich auf den sieben Terrassen des Purgatoriums
reinigen läßt und in den Planeten die Tugendhaften die ewige Selig⸗
keit genießen läßt: im Merkur den ehrlichen uneigennützigen Romeo,
in der Venus die Liebenden, im Mars die Glaubenskämpfer usw.
J
Cübker Reallexikon, S. 1118.
Cumont, Textes et Monuments IJ. S. 39, 309.
246
Der Verkehr zwischen Toten und Lebenden.
Während Istar in der Hölle leidet, stockt in ihrer Abwesenheit
- sie ist ja die Göttin der Liebe — aller geschlechtliche VPerkehr und
alle Seugung auf Erden, erstirbt alles Leben der Natur. Dadurch
finden sich die obersten Götter veranlaßt, ihren Boten zur Unterwelt
zu senden, um die Befreiung Istars zu erzwingen. Bei den sieben
Toren wird ihr das früher abgenommene in derselben Reihenfolge
wieder zurückgegeben und sie kehrt triumphierend zur Oberwelt
zurück, gewiß mit ihrem Dumuzi, obwohl dies nicht ausdrücklich be—
richtet wird
Wie es scheint, bildet diese auf Tontäfelchen zur Zeit König
Sardanapals niedergeschriebene Mythe, deren Ursprung aber wahr—
scheinlich älter ist, den Kern einer Anleitung zur Totenerlösung, welche
in gewisser Beziehung zum Tammuzkultus stand. Ein Mann klagt
um den Tod seiner Schwester und geht zu einem Zauberer, um sich
Rats zu erholen, wie er den Geist der Verstorbenen aus dem Toten—
reiche erlösen könne. Der Zauberer (oder Priester) erzählt ihm die
GHeschichte der höllenfahrt der Istar, um ihn durch ein Beispiel zu
zeigen, daß die Pforten der Hölle nicht unüberwindlich sind, und gibt
ihm dann den Rat, er möge an Istar und ihren Gatten Tammuz
sich mit Opfer und Gebet wenden, um sich deren Beihilfe bei der
Totenbeschwörung zu sichern. Dann solle er bestimmte Zeremonien
am Grabe der Toten verrichten.“
Die Erlösung des Dumuzi wurde alljährlich gefeiert und machte
den Gedanken einer Befreiung aus der Unterwelt zu einer volks⸗
tümlichen Vorstellung der Babylonier. Es steckte aber in dieser Mythe
wohl auch ein Bezug auf den Wandel der Jahreszeiten, auf Saat
und Ernte, ohne ethische Tendenz.
Der Rultus des Tammuz gelangte, wahrscheinlich über Phönizien
und Judäa, nach Griechenland, wo er als Adonis (nach dem semi⸗
tischen Adon, Herr, gebildet) verehrt wurde. Der Prophet Czechiel
sah am Core des Tempels zu Jerusalem die götzendienerischen Weiber
den Tammuz beweinen (VIII. 14), also nur den ersten Teil dieses
Kultus. Auch Bion schildert in seinem Idyll nur die Todesfeier des
Adonis, wie sie in Griechenland am ersten Tage der Adonien statt⸗
fand, die Auferstehung des Adonis wurde am zweiten Tage ge—
feiert. Nach der griechischen Mythe ist er auf der Jagd von einem
NA. Jeremias, Die höllenfahrt der Istar; Derselbe, Hölle und Paradies;
E. Schrader, Die Höllenfahrt der Istar; D. Bassi, Mitologia bab. assira,
5. 95—96, 163 - 166; Jastrow, Religion, S. 564 -574. Ning, S. 181, 197 198.
Venus und Adonis.
247
Eber getötet worden und daher in die Unterwelt gelangt.“ Wie
hyginus erzählt, führte Venus um ihn einen Prozeß mit Persephone,
und die von Jupiter zum Kichter bestimmte Kalliope entschied, daß
jede der Göttinnen ihn je ein halbes Jahr besitzen sollte. Über diese
Teilung war Venus höchst erbittert und rächte sich an Orpheus, dem
Sohn Ralliopes.
Nach Apollodorus (III. 14, 4) hatte die Liebesgöttin den Adonis
noch als Kind zur Aufbewahrung der Persephone anvertraut, die ihn
dann nicht herausgeben wollte; der Ausspruch des Vaters der Götter
lautete, daß jede der Göttinnen ein Drittel des Jahres ihn bei sich
haben, während er das letzte Drittel frei sein sollte. Es ist aber
leicht begreiflich daß er auch dieses der Göttin der Liebe widmete.
Nach einer vom Apologeten Aristides mitgeteilten Version ist sie (wie
Istar) in die Unterwelt hinabgestiegen, um den Adonis von Perse⸗
phone loszukaufen.
Mir scheint diese Fassung die ursprünglichere und die Teilung
zwischen den Göttinen der Persephones zwischen Pluto und Demeter
nachgebildet und zugesetzt zu sein. Eine Teilung ähnlicher Art fand
mit Zustimmung des Zeus mit dem unsterblichen Pollurx und dem
sterblichen Kastor in der Weise statt, daß Tag um Tag abwechselnd
stets einer von ihnen in der Unterwelt. der andere in der Oberwelt
weilen sollte.
Ganz dem Leben zurückgegeben hat dagegen Asklepios den
hippolytus, Sohn des Theseus, den Capaneus und andere. Dafür
hat Zeus diesen ersten aller ürzte getötet, um die Überbevölkerung
auf Erden zu verhüten. Nach Plato ist er bestraft worden, weil er
sich mit einer hohen Summe zur Errettung eines zum Tode bestimmten
Menschen hatte erkaufen lassen.“
Hherakles hat nicht bloß den Kerberos aus der Unterwelt herauf⸗
geholt, sondern auch den Theseus, obwohl dieser die Erlösung gar
nicht verdient hat. Er ist ja mit seinem Freunde Pirithous hinab⸗
gestiegen, um dem Herrscher der Unterwelt seine Gattin Persephone
Cucian, Von der syrischen Göttin, Cinleitung; Creuzer II.S. 108 -100.
Theokrit, Die Syrakuserinnen am Adonisfeste, Der tote Adonis; Bion,
Todesfeier des Adonis; hyginus, Poet. Astr. I. T; J. G. Frazer, The golden
bough, ch. 3. vol. II. S. I13-130.
Bei Maas, Orpheus, S5. 151.
ODdyssee XI. 300- 304; Hyginus Sab. 251; Apollodorus III. 11, 2.
Plato, Staat III. 408 c. Pausanias II. 27, 4; Aeneis VII. 770 ff.;
Apollodorus III. 10, 3-4; Ovid. Metam. XV. 531-6536.
4
248 Der Verkehr zwischen Toten und Lebenden.
zu rauben. Dort wurde das saubere Paar freilich von den Furien
ergriffen und tüchtig durchgebläut und mußte dann noch vier Jahre
im Sinstern verbleiben, so daß Theseus bei seiner Befreiung das un⸗
gewohnte Tageslicht nicht ertragen konnte. Den Pirithous konnte
herakles nicht befreien, da die Erde erbebte, als er den Versuch dazu
machte. Wie der Dichter Panyasis berichtete, war er an den Stein⸗
block, auf dem er saß, mit der Haut angewachsen und als herakles
hn losriß, blieben einige Fleischstüche am Steine haften. Nach horaz
wurde er mit 300 Retten gefesselt, nach der Odyssee und der Aeneis
ist aber auch Theseus in der Unterwelt geblieben und dort wird er
ewig sitzen bleiben.“ Man könnte, um den Widerspruch aufzuheben,
annehmen, daß Theseus nach seinem wirklichen Tode in den hades
zurückgekommen ist und ihm dort sein alter Sitz für immer ange—
wiesen wurde.
Ihn und Pirithous in der Unterwelt sitzend, hat auch Poly⸗
gnotus auf seinem Gemälde in der Lesche zu Delphi dargestellt.
Plato will freilich an den Entführungsversuch nicht glauben,
denn, meint er, Theseus und Pirithous waren ja Göttersöhne, denen
man so schändlichen Raubversuch gar nicht zutrauen dürfe.s Aber,
„was Göttersöhne, was Unterwelt“. antwortet Plutarch in seiner
Biographie des Theseus. „Er und Pirithous waren irdische Liebhaber,
die dem König der Molosser Aidoneus (Hades) und seiner Gattin
Persephone die Tochter Kore entführen wollten. Dafür ließ der
König den Pirithous von seinem bösen hund Kerberos zerreißen und
den Theseus in den Kerker werfen, aus dem er ihn dann auf Bitten
des herakles entließ.“
Minder glücklich als dieser hat Hermodhr den Baldur nicht
erlösen können, obwohl er neun Nächte nach Hel geritten war. Denn
hel wollte ihn nur freigeben, wenn alle Dinge in der Welt, lebendige
owohl als tote, ihn beweinen würden. Und diese Bedingung konnte
wegen der Feindschaft eines einzigen Wesens nicht erfüllt werden.“
Burjätische Schamanen übernehmen manchmal die Aufgabe, Seelen
aus der Unterwelt zurückzuholen, was eine schwierige und gefährliche
Sache ist. Denn oft will der Unterweltsherrscher sie nur in Tausch
Hnginus Fab. 79; Apollod. II. 5, 12; Seneca, Hippol. 835- 843;
Diodor von Sizilien IV. 65. horaz, Carm. III. 4, 79; Odyssee XI. 631;
Aeneis VI. 618. Gruppe, Griech. Mythol. 608.
Pausanias X. 29, 4.
Staat III. 5F. 391 d.
Bilfaginning 49, bei Simrok, Die jüngere Edda, 5. 319.
2
Erlösung durch Gutmachung des Schadens. 249
gegen die des besten Freundes des Toten oder Todkranken heraus⸗
geben. Ist der Freund so opferwillig wie Alkestis, so macht der
schamane seinen hokuspokus, der Kranke genest und der Opfer⸗
willige, den kein Herakles rettet, stirbt. Auch bei den Twanaindi⸗
anern in Washington Territorn steigen die Medizinmänner in die
Unterwelt hinab, um Seelen herauszuholen, was ihnen nur nach
langer Wanderung und Kampf mit den Geistern gelingt.“
In der sechsten vVision des Othlo? bringt ein aus dem Schein⸗
tot erwachtes Mädchen dem Sohne des „Tribunen“ Ruotpold aus
der Hölle die Botschaft, sein PBater könne nur erlöst werden, wenn
der Sohn das von ihm unrechtmäßig erworbene Gut dem recht—⸗
mäßigen Cigentümer zurückgebe, sonst könnten ihm Almosen und
Gebete nicht helfen. Auch die Mutter im Paradiese, sagt die Botin,
bittet den Sohn darum.
Aber der Sohn will die Bitten der Eltern nicht erfüllen. „Mag
der Vater ewig in der Hölle brennen, wenn er nur sein Gütchen
behält“, fügt der Erzähler hinzu.
Tbensowenig kindliche Pietät zeigen die Söhne des Landgrafen
von Thüringen, von denen uns Cäsarius von Heisterbach erzählt,
obwohl sie über seine schlimme Lage in der Unterwelt gut unter⸗
richtet waren. Auf ihre Veranlassung hatte ein gelehrter Mann, der
einen Teufel zum Freund hatte, sich durch vieles Zureden und Ver—⸗
sprechen einer großen Belohnung bewegen lassen, die gefährliche Er—⸗
kundigungsfahrt unter dem Schutze seines höllischen Freundes zu
unternehmen. Er fand auch richtig die Seele des alten LCandgrafen
in brennendem Schwefel braten und erhielt von ihm den Uuftrag,
seine Söhne zur herausgabe einiger von ihm auf unrechtmäßige
Weise erworbener Güter zu bewegen, was ihm einige Linderung der
Pein verschaffen würde. Auf die Oberwelt zurückgekehrt, teilte der
Bote den jungen Landgrafen das Gesehene und Gehörte mit und
erhielt auch die versprochene Belohnung, das unrechtmäßig erworbene
Gut wollten sie aber nicht herausgeben. Sie dachten wohl, die herab⸗
setzung der Temperatur des höllischen Schwefelofens um einige Grade
sei nicht das Opfer so schöner Güter wert.?
Pietätvoller und freigebiger waren die söhne eines Kitters, von
denen in der siebenten Vision Othlos berichtet wird. Freilich haben
J1
Frazer, The golden bough, S. 269.
Monumenta germ. hist. XI. 379.
Caesarius, Dialogus mir. J. 34.
250 Der Verkehr zwischen Toten und Lebenden.
sie die traurige Lage ihres Vaters nicht aus einer Vision erfahren,
sondern der die Pein Leidende ist ihnen auf der Oberwelt in ritter⸗
licher Kleidung erschienen und hat sie gebeten, zu seiner Erlösung das
von ihm einem Kloster geraubte Gut zurückzugeben, damit nicht auch
sie und ihre Nachkommen der Hölle verfallen. Die Söhne weigerten
sich anfangs und wendeten ein, daß er so herrlich gekleidet sei und
also wohl nichts zu leiden habe. Ihr irrt euch, antwortete der
Vater, wo immer ich sein mag, leide ich unerträgliches Brennen und
verbrenne alles, was ich berühre. In der Tat konnten sie auch sein
Schwert vor hitze nicht berühren und beschlossen daher, nicht bloß
das geraubte Gut, sondern alle ihre Güter einem Kloster abzutreten
und Mönche zu werden. Daraufhin erklärte ihnen der Vater, er sei
schon erlöst und verschwand. Von diesen Mönchen erfuhr Papst
Ceo IX. (f 1054) die Geschichte und erzählte sie in einer Predigt.!
Da er ein Deutscher war und als Papst wieder nach Deutschland ge⸗
kommen ist, so kann Othlo seine Predigt gehört haben.
In der siebzehnten Vision des Othlo erscheint einer Nonne die
Kaiserin Theophania, Gattin Ottos II., sich ihrem Gebete empfehlend,
sie leide im Fegfeuer große Pein, weil sie griechischen Luxus und
griechische Moden nach Deutschland, wo sie früher unbekannt waren,
derpflanzt habe. Das Resultat der Fürbitte erfahren wir leider nicht.
In neuester Seit berichtete eine Frau ihrem Beichtvater, es sei
ihr ihre im Fegfeuer große Pein leidende Mutter erschienen und
habe von ihr verlangt, zu ihrer Erlösung Messen lesen zu lassen, an
bestimmten Tagen den Rosenkranz zu beten und andere Gebete und
zeremonien zu verrichten. Dazu bemerkt Dr. Josef Schweizer, ein
Tiroler Theolog, in der mit bischöflicher Genehmigung herausgegebenen
Theologisch-praktischen Quartalschriftzꝛ, daß die Möglichkeit solcher
Erscheinungen „nur solche Personen leugnen können, die das Dasein
Gottes und die Unsterblichkeit der Seele oder das Fegfeuer leugnen,
diese Grundwahrheiten wenigstens bezweifeln, oder die mehr oder
weniger vom Rationalismus angefressen sind“. Solche Erscheinungen
sind möglich und mehrere historisch bezeugt, erkblärt er. Auch haben
mehrere große, heilige Rirchenlehrer gelehrt, daß die bösen Geister
keine Tote aus Hölle oder Fegfeuer hervorrufen können. Es wäre
also nur zu befürchten, daß sie, um die Menschen zu täuschen, den
Schein annehmen könnten, als seien sie solche arme Seelen.
tMonum. germ. I. c. S. 380.
Jahrgang 61, Linz 1908, 5. 123 ff.
Jüdische Erlösungen.
251
VDereinzelt ist der Glaube, daß zu viele Sorgen und Klagen um
Tote ihnen schaden können, wie er im deutschen Volksmärchen „Das
Totenhemdchen“ vorkommt. Da erscheint das tote Kind seiner
Mutter und bittet sie: „höre doch auf zu weinen, sonst kann ich in
meinem Sarge nicht einschlafen, denn mein Totenhemdchen wird
nicht trocken von deinen Tränen, die alle darauffallen“. Als die
Mutter zu weinen aufhörte, erschien ihr in der folgenden Nacht das
ind wieder, hielt in der Hand ein Lichtchen und sagte: „Siehst du,
nun ist mein hemoͤchen bald trocken und ich habe RKuhe in meinem
Hrabe“ 1
Im Alten Testament ist von einer Erlösung aus der Unterwelt
nur selten und in unbestimmten Ausdrücken die Rede, wie z3. B. in
Jesaias XXVI. 19, hosea XIII. 14. Im Buche hiob (VII.9, XIV. 12)
wird sogar jede Wiederkehr der Toten bestimmt geleugnet. Noch
weniger ist da von einer Mithilfe der Lebenden die Kede. In dem
in den jüdischen Bibelkanon nicht aufgenommenen zweiten Makka—
bäerbuche wird zwar (XII. 45-6) erzählt, Judas Makkabäus habe
2000 Drachmen gesammelt und in den Tempel zum Sühnopfer für die
Erschlagenen geschickt. Aber man kann hier wohl mit Schwally? und
Israel Levy annehmen, daß diese Summe nicht für die Toten, sondern
nach alter jüdischer Anschauung für die ganze Gemeinde, zu der die
zünder gehörten, dargebracht wurde.
Im Talmud findet sich schon einiges über die Wirkung des Ge—
bets für die Toten. So heißt es, Moses und Chanah, die Mutter
des Propheten Samuel, hätten für die zur hölle verdammte Rotte
Korah Fürbitte eingelegt, wie es scheint aber nur eine Strafmilderung
erwirkt.
Nach dem Miodrasch Tillim standen sie schon am Eingange der
hölle, deren Flammen sie umloderten, so daß sie vor Angst kein Wort
hervorbringen konnten. Da erbarmte sich Gott der Söhne Korahs,
gab ihnen die Sprache wieder und nahm sie bei sich auf. Nach Origenes
haben drei von ihnen sich nicht an der Empörung des Vaters be—
leiligt und sind auf ihr Gebet von Gott begnadigt und mit der Gabe
der Prophezeiung begabt worden.
Grimm, Kinder⸗- und Hausmärchen Nr. 109 und Nachweise dazu; Göt⸗
tingen 1857, II. S. 120, III. 190.
»Schwally, Das Leben nach dem Tode, s. 189; Cevy, in Revue des
atudes juives, 1894, Bd. 28, S. 49.
s Origenes, Kommentar zum Brief an die Römer X.7 bei Migne XIV.
1262; Jewish Quarterly Rev. V. (1893) 5. 152.
252 Der Verkehr zwischen Toten und Lebenden.
Erfolg hatte auch König David, der mit seinem siebenmal wieder⸗
holten „Mein Sohn Absalom!“ den rebellischen Prinzen aus den
sieben Abteilungen der Hhölle erlöste.“
Sonst ist nach talmudischer Anschauung Befreiung von der hölle
ohne Reue und Buße während des Lebens nicht zu erwarten. So
erzählte Ben Asai, Kabbi Simon ben Lakisch (abgekürzt Rischlakisch
genannt) sei das haupt einer Räuberbande gewesen, habe sich aber
bekehrt und Buße getan, gefastet, Almosen gegeben usw. und sei daher
gleich nach seinem Tode ins Paradies gekommen. Gleichzeitig mit
ihm sind zwei Räuber von seiner Bande gestorben, die bis zum Tode
bei ihrem handwerk geblieben waren und daher in die hölle kamen.
Als sie Gott Parteilichkeit vorwarfen, da doch Rischlakisch ebensogut
ein Räuber wie sie gewesen war, erhielten sie zur Antwort: Hättet
ihr ebenfalls Buße getan, so wäre auch euch verziehen worden. Als
sie sich hierauf zur Buße bereit erklärten, antwortete ihnen Gott:
Jetzt ist es zu spät, bereuen und büßen muß man vor dem Tode.
In diesem Sinne sagte Jonathan b. Eleazar, fast wie Achilles in der
Ddyssee: „Ein lebender hHund hat es besser als ein toter Löwe; der
lebende Sünder kann Buße tun, während der mit einer ungebüßten
Ssünde aus dem Leben geschiedene Fromme gestraft wird“.?
Ebenso lehrte Kabbi hai Gaon im elften Jahrhundert, es sei
möglich, daß Gott auf das Gebet eines Frommen sich eines Toten
erbarme und ihm die Strafe erleichtere, aber es ist keinem Menschen
möglich, für einen Toten, der keine Verdienste hat, eine Belohnung
zu erflehen, denn im Jenseits wird der Mensch nur nach seinen hand⸗
lungen auf Erden gerichtet und alle Frommen der Welt und alle
Almosen wären nicht imstande dem Sünder zu helfen.“
Nach dem Sepher Chassidim Buch der Frommen, 8 170 SF. 34),
aus dem 13. Jahrhundert, können Gebete und Schadenersatz durch die
Nachkommen nur solchen Sündern helfen, die in ihrem Leben auch
etwas Gutes getan haben. Wer aber ganz und gar schlecht gewesen ist,
den kann alles, was für ihn getan wird, nicht aus der Hölle befreien.
Und im Jalkut chodesch heißt es, daß die Frommen nur die⸗
jenigen erlösen können, welche Buße tun wollten, aber vor dem Tode
nicht dazu gekommen sind.
Talmud Jer. Synedr. 28a, bab. Sota 10b. unter Bezugnahme auf
I. Samuel II. 6, II. Sam. XIX. 1-5.
2 Jalkut Schimeoni zu Jeremias 17 8 297; Pesikta rabb. zu Prediger
Salom. IX. 4; Bacher, Agada der Amoräer J. 86.
3Bei Jakob Obermeyer, Modernes Judentum, S. 63.
Gebet bei Brahmanen und Griechen. 253
Dagegen haben an die Notwendigkeit und Wirksamkeit des Ge⸗
bets eines Sohnes schon die äügypter geglaubt. Sie hielten es daher
für sehr notwendig, einen Sohn zu besitzen, der für die Opfer am
Hrabe des Vaters sorgen sollte. Aus demselben Grunde war im
Brahmanismus jedermann verpflichtet zu heiraten, um einen Sohn zu
erzeugen, der die Grabesopfer bringen sollte.“
geier der Sterbetage oder der Geburtstage der verstorbenen
Eltern war bei den Griechen von der ältesten Zeit an und auch in
späterer üblich. Wer keinen Sohn oder kein Zutrauen zu dessen
Pietät hatte, sorgte durch ein Legat für die Kosten dieser Seier. Selbst
Tpikur hat eine alljährliche Feier seines Geburtstages testamentarisch
angeordnet, und dazu gewisse Einkünfte bestimmt. Noch mehr als
drei Jahrhunderte nach seinem Tode, zur Seit des Kaisers Vespasian,
wurden für ihn die Opfer dargebracht. Cicero machte sich über diese
letztwillige Anordnung des Philosophen, der die Unsterblichkeit der
Seele leugnete, lustig.“ Rohde meint, daß selbst der Ungläubige sich
an den Rult, wie an anderes Herkömmliche hielt. Aber waren bei
Zpikur nicht vielleicht Jugenderinnerungen im Spiele? War doch seine
Mutter eine professionelle Cxorcistin, Wahrsagerin und Geisterbannerin!
Der ernste, fromme Virgil lacht über solchen Brauch nicht, aber
er läßt die Sibylle dem Palinurus sagen, daß Beschlüsse der Götter
nicht durch Gebete geändert werden können. Dies hat bei Dante,
für den Virgil eine beinahe so hohe Autorität wie ein Rirchenvater
war, einigen Zweifel an die Wirksamkeit der Gebete für die Toten
erregt.*
Auch bei den Juden ist das Gebet für die verstorbenen Eltern
zur religiösen Pflicht geworden. Am Versöhnungstage und an drei
indern Festtagen wird von Männern und Frauen, deren Eltern nicht
mehr am Leben sind, das kurze Maskir⸗Gebet: „Gott wolle gedenken
der Seele meines Vaters N. N. (oder „meiner Mutter N. N.“), weil
ich eine Spende dafür gelobe. Mögen sie zum CLohne mit Abraham,
Isaak und Jakob (bei Frauen „mit Sarah, Rebekka und Lea“) und
andern Frommen im Paradiese weilen“, leise gebetet. Bei den Juden
des Orients und Italiens ist dieses Gebet nicht üblich.“
Spencer, Principles P. VI. 8 598. Laws of Manu IX. 138, 139.
Herodot IV. 26; Plinius Hist. nat. xXXXV. 2; Diogenes Laertius X.
18; Cicero De fmibus II. 31, 101; Rohde, Psyche J. 2419-251, 257-258,
699; Roschers Cexikon, J. 2830- 2534.
3geneis VI. 376, Dante, Purg. VI. 26-33.
Obermeyer, a. a. O., S. 61.
2
254 Der Verkehr zwischen Toten und Lebenden.
Wichtiger und ausschließlich Sohnespflicht ist das sogenannte
Kaddisch-⸗Gebet. Es unterscheidet sich dadurch von der katholischen
Seelenmesse, daß darin keine spezielle Fürbitte für den Toten wie
das Requiem aeternam dona ei enthalten ist und daß keine Vermitt—⸗
lung eines Priesters, nur die Anwesenheit von wenigstens zehn reli—
zionspflichtigen (über 13 Jahre alten) männlichen Individuen zu
dessen wirksamer Hersagung erforderlich ist.
Nur wenn kein Sohn da ist oder dieser seiner Pflicht nicht nach⸗
kommt, kann dieses Kaddisch genannte Gebet von einem Fremden,
auch gegen Bezahlung, gesagt werden, weshalb auch manchmal Legate
zu diesem Zwecke hinterlassen werden. Andererseits nennen manch⸗
mal fromme Eltern einen einzigen Sohn per KAutonomasie ihren
„Kaddisch“.
Die erste Erwähnung einer mittelst des Kaddisch bewirkten Er⸗
lösung findet sich in dem aus dem 5. oder 6. Jahrhundert stammen⸗
den Talmudtraktat Kalla, aber nicht in allen Manuskripten und
lusgaben desselben. Die Legende ist wahrscheinlich erst lange nach
dem Tode des als Vermittler der Erlösung (und Verfasser des Ge—
bets7) genannten Rabbi Akiba, der unter Kaiser Hadrian den
Märtyrertod erlitten hat, entstanden.
Sie findet sich mit mancherlei Variationen im Midrasch Tanchuma
und in spätern Legendensammlungen. Im Tanna di be Elijahu aus
dem Ende des 10. Jahrhunderts ist statt Aliba Rabbi Johanan ben
Sakkai der Erlösende.
Der Inhalt der Akibalegende ist nun, ohne Rücksicht auf die
Hariationen in den verschiedenen Abfassungen derselben, ungefähr
folgender: Der Rabbi traf einst auf einem Friedhof einen Mann,
der eine schwere Last Holz tragend eifrig hinlief und erst auf drin—
genden Befehl Akibas stehen blieb. Dieser fragte ihn, wer ihn zu
dieser schweren Arbeit verhalte und erbot sich ihn aus der Sklaverei
zu befreien. Darauf antwortete der Mann, er sei ein Toter, der
täglich selbst zu seinem Brande (in der hölle) das Holz holen müsse,
weil er im Leben als Steuereinnehmer die Reichen begünstigt und
die Armen bedrückt habe, auch habe er am Versöhnungstage einer
verlobten Jungfrau Gewalt angetan. Auf die Frage, wie er erlöst
werden könne, antwortete der Verdammte, das könne nur geschehen,
wenn sein Sohn das mit „es werde erhoben und geheiligt der Name
des Herrn“ beginnende Kaddisch-Gebet für ihn sprechen werde.
J. Obermeyer, S. 106- 107.
Das jüdische Kaddisch-Gebet.
255
Von Mitleid ergriffen fragte ihn Akiba nach seinem Namen und
Wohnort im irdischen Leben und suchte dann, auf dessen Angaben
gestützt, so lange, bis er den Sohn fand. Der war aber ein un⸗—
beschnittener, unwissender und gottloser Mensch. Der Rabbi nahm
ihn ins Haus, betete und fastete für ihn, unterrichtete und lehrte ihn
die Gebete. Dann sprach der Sohn das Seelengebet für den Vater
und dieser erschien bald darauf dem Akiba im Traum, um ihm für
die Erlösung aus der Hölle zu danken.“
Es ist beachtenswert, wie die Legende die Sünden dieses Ver⸗
dammten häuft, um die Leistung des Rabbi und die Wirkung des
Gebets um so glänzender erscheinen zu lassen.
Wann das Raddisch⸗Gebet für die Toten bei den Juden eingeführt
wurde, läßt sich nicht mit Bestimmtheit angeben, aber jedenfalls geht
Sal. Reinach? zu weit, wenn er den Brauch für die Toten zu beten,
schon im ersten vorchristlichen Jahrhundert bei den Juden in ägypten
bestehen läßt.
Wie es scheint, wurde ursprünglich nur beim Begräbnis eines
Gelehrten, ein dem Kaddisch ähnliches Gebet hergesagt, das man in
späterer Zeit, um niemanden herabzusetzen, bei jedem Begräbnis
anwendete. Manche glauben sogar, daß der Brauch, für den Toten
„Kaddisch“ zu sagen und Almosen zu geben, sowie der Glaube an
die erlösende Wirkung dieses Gebets erst nach dem neunten Jahr—⸗
hundert unter christlichem Einfluß aufgekommen ist.
Allgemein üblich scheint aber der Brauch erst im 13. Jahrhundert
geworden zu sein und scheint er seinen Weg von den Kheinlanden
einerseits nach Osten, anderseits nach Frankreich genommen zu
haben.s Der Text des Gebets ist zum größern Teil aramäisch, ent⸗
hält aber auch einige hebräische Sätze und Worte und wird von dem
Verpflichteten beim Begräbnis und während elf Monaten nach dem
Todesfall täglich, sowie an jedem Jahrestage des Todesfalls beim
Morgen⸗ und Abendgottesdienst hergesagt. Es geschah dies ursprüng⸗
lich während des ganzen Trauerjahrs, wurde aber im 16. Jahr⸗
hundert auf elf Monate reduziert, weil es im Talmudtraktat Rosch-
haschana 17 heißt, die Sünder werden in der Hölle zwölf Monate
lang gepeinigt. Da sagte man nun, es wäre eine Beleidigung für
Traktat Ralla ed. Nathan Coronel Wien 1864 fol. 4b. 5 a; Jüdisch⸗
deutsches Maaße-Buch Uap. 156, hamburg; Sunz, Gottesdienstl. Vorträge,
S. 140, 152. Midrasch Tanchuma 1727 3u Noah.
2 Cultes, Mythes et Religions IJ. S. 325.
s Obermeyer, ss. 119- 120.
256 Der Verkehr zwischen Toten und Lebenden.
den Verstorbenen und gleichsam eine Gleichstellung desselben mit den
ärgsten Sündern, wenn man auch für ihn ein ganzes Jahr lang
beten würde.“
Merkwürdigerweise enthält das Gebet, wie es bei der großen
Mehrzahl der Juden üblich ist, nichts auf die Erlösung oder das
Seelenheil des Toten Bezügliches. Nur die aus Spanien stammenden
Juden, die sogenannten Sephardim, schieben einen Passus ein, in dem
für „reichlichen Frieden, Vergebung, Erlösung und Seelenheil aller
Derstorbenen“ gebeten wird.?
Bestimmter lautet das sogenannte „Maskir“-Gebet, welches am
Versöhnungstage und drei andern jüdischen Feiertagen, von Kindern
für die verstorbenen Eltern gebetet wird: „Möge Gott sich erinnern,
der Seele meines verstorbenen Vaters (beziehungsweise Mutter). Sum
Cohne dafür, daß ich Almosen spende, sei die Seele im Bunde des
Cebens eingebunden, mit den Seelen von Abraham, Isaak und Jakob,
Sarah, Rebekka und Lea, sowie mit den andern frommen Männern
und Frauen, die sich im Paradiese befinden.“
Dieser Brauch scheint erst im 12. Jahrhundert aufgekommen zu
sein und herrscht nur bei den europäischen Juden.
Manche jüdische Theologen wollen die Wahl dieses Textes zum
Gebet für die Toten damit erklären, daß die Lehre, man müsse auch
beim Eintreffen eines Unglücks, wie es der Tod einer geliebten
Person ist, Gott preisen und seine Gerechtigkeit anerkennen, darin
zum Ausdruck komme. So wird auch im Talmud (bab. Berachoth 60 b)
vorgeschrieben, man solle beim Empfang einer schlechten Nachricht
sagen: „gelobt sei der gerechte Richter“.
Das Raddisch⸗-Gebet schließt aber auch mit den Worten: Und
sprechet Amen! Und diesem Amen, das die Gemeinde auf die Lob—
preisung Gottes antwortet, scheint man eine gewisse, mystische Wir⸗
kung zugeschrieben zu haben. So heißt es im Talmud (GSabbath 119b):
Kabbi Schimeon ben Lakisch hat gesagt: „dem, welcher inbrünstig Amen
sagt, dem öffnet man die Tore des Paradieses“. Denn, erklärt er,
im Verse Jesaias XXVI. 2: „öffnet die Tore,. daß einziehe ein
1 Obermeyer, S. 92-93, 123, 127. Auf die Unterschiede zwischen
Ganz⸗, Halb⸗ und Gelehrtenkaddisch kann hier nicht eingegangen werden.
2 hamburger, Realenzyklopädie des Judentums II. 603-608; The
sewish Encyclopedia VII. 401; Isr. Cevn in Revue des études juives XXIX.
(1894) s. 47, 48, 59.
Obermeyer, S. 57, 61.
hamburger, a. a. O. S. 607.
Das Gastmahl im Paradiese. Das Amen bei Mohammedanern. 257
frommes Volk, Bewahrer des Glaubens“ (Schomer Amunim) ist zu
lesen Schomrin Amen — welche Amen sagen.
Weiter ausgeführt ist dies in einer viel spätern jüdischen Ce—
gende, dem Alphabet⸗Midrasch des RKabbi Akiba aus dem 8. oder
9. Jahrhundert: An der göttlichen Tafel im Paradiese speisen, von
Engeln bedient, die Frommen und Seligen, uralten Wein aus riesigen
humpen trinkend. Nach dem Tischgebet bringt Serubabel den Toast
auf Gott aus, „sein Namen sei gepriesen und geheiligt“! Darauf
ertönt als Antwort das Amen aus der ganzen Welt, und selbst aus
der Hölle. Der Herrgott fragt hierauf die Engel, wer dort Amen ge⸗
sagt habe, und sie antworten: die in der Hölle befindlichen jüdischen
zsünder und die frommen heiden. Da gibt er den Erzengeln Michael
und Gabriel die Schlüssel aller Höllentore und befiehlt ihnen, alle
Amensager hinauszuführen und ins Paradies zu bringen. Und dahin
gelangen sie auch, nachdem sie von den Engeln einer vollständigen
Kur und Reinigung unterzogen, ihre Wunden geheilt und sie mit
neuen, schönen Anzügen bekleidet worden sind.“
ahnliche Bedeutung hat das Amen auch nach mohammedanischer
Tradition. Nach Abu Horeira hat der Prophet gesagt: „Wenn der
Imam Amen sagt, antwortet Amen!“ Wer gleichzeitig mit den
Engeln Amen sagt, dem werden alle seine Sünden vergeben.? Aus—
führlich wird Bedeutung und Wirksamkeit des Amen in der Erklärung
des römischen Katechismus Th. IV. Kap. 17 84-6 dargelegt.
Nach einer andern jüdischen CLegende, die auf einer sehr freien
Auslegung von Jesais LXVI. 23 beruht, bleiben die Sünder nur ein
Jahr in der Hölle, dann bitten die Seligen für sie und Gott befreit,
der Bitte willfahrend, die Sünder und läßt sie die Seligkeit des Pa—
radieses genießen.?
Daß der durch Rabbi Akiba erlöste Verdammte außerhalb der
hölle angetroffen wird, ist ein merkwürdiger, aber nicht vereinzelter
Fall. Von einem ähnlichen erzählt der hl. Antonius von Florenz
im vierten Buche seiner Summa historialis tit. 14: Fischer hätten
einst in ihrem Netze einen Cisblock gefunden, welchen sie dem Bischof
Theobald schenkten, der ihn, um seine Füße kühl zu erhalten, brauchte.
Cines Tages ertönte daraus die Stimme des darin gebannten Sünders,
der um 900 Messen zu seiner Erlösung bat. Der Bischof begann die
Jellinek, Bet-ha⸗Midrasch III. 27.
El-Bokhari, Les traditions islamiques, traduites par O. Houdas X.
ch. 111 2 113.
Jalkut Schimeoni 8 593 fol. 88c.
Landau, Hölle und Segfeuer.
258 Der Verkehr zwischen Toten und Lebenden.
Messen zu lesen, wurde dabei aber vom bösen Seind wiederholt
unterbrochen und gestört. Als es ihm endlich gelungen war, die
neunhundertste Messe zu vollenden, schmolz das Eis und die befreite
zdeele entwischte.“
Über den Eisblock darf man sich nicht wundern, denn in der Hölle
gibt es bekanntlich auch Eis, und der Block kann von dort ins
Meer geschwemmt worden sein wie anderes Treibeis. Was für tiefe
Temperatur muß aber im Hause des Bischofs geherrscht haben, wenn
der Block wochenlang den heiligen Messen Widerstand leisten konnte?
Papst Gregor der Große erzählt in seinen Dialogen (V. 40)
von der Seele eines gewissen Pasdiahius, die in einer brühheißen
Huelle in den Abruzzen ihre Pein erlitt, und Cäsarius von Heister⸗
hach? berichtet von einer Mönchsseele, die ein ganzes Jahr lang unter
allen Stürmen und Wettern, auf einem Felsen bei Trier, ihre Sünden
abbüßen mußte.
Ist die Erlösung einer christlichen oder jüdischen Seele ein Wunder,
so erscheint die Erlösung einer Heidenseele durch Papst Gregor den
Großen als ein noch größeres. Diesem brachte man einmal als eine
besondere Merkwürdigkeit einen in einem Grabe gefundenen Kopf
mit ganz frisch erhaltener Sunge. Gregor beschwor den Kopf im
Namen Gottes, ihm zu sagen, wer er sei, und erhielt zur Antwort,
er sei der Kopf des Kaisers Trajan, dessen Seele sich in der Hölle
befinde. Der Papst zog nun Erkundigungen über ihn ein, und als
er erfuhr, was für ein guter und gerechter herrscher er gewesen und
wie er seinen eigenen Sohn einer armen Witwe zum Ersatz für ihren
ermordeten, einzigen abgetreten habe, da konnte er sich über sein
trauriges Schicksal nicht beruhigen und begann, Gott um die Erlösung
des guten Raisers anzuflehen, die er endlich durchsetzte. So wurde
Trajan begnadigt. Über den Umfang dieser Begnadigung sind jedoch
die Meinungen geteilt. Nach einigen wurde seine Strafe nur ge⸗
mildert, nach andern bis zum jüngsten Gericht aufgeschoben und wieder
nach andern, zu denen auch Thomas von Aquino und Dante gehören,
ist er ins Leben zurückgerufen worden und hat sich zum Christentum
dekehrt.
Dagegen hat der Papst seine Strafe für die übereifrige Verwen⸗
dung für einen Hheiden erhalten. Gott ließ ihm die Wahl zwischen
zwei Tage Fegfeuer nach dem Tode und lebenslänglicher Krankheit.
Bei Th. Wright, S. 98.
Dialogus mir. XII. 38.
Prahlerei des Simon b. Jochai.
259
Er wählte vernünftigerweise letztere und hat, wie aus seinen Briefen
ersichtlich ist, bis zum Tode an Fieber, Bauchweh und Rheumatismus
gelitten.
Nach einer jüdischen Legende hat der fromme Exilfürst Rabbi
Jehuda ein noch größeres Wunder als der Papst, ohne schädliche
Folgen für seine Gesundheit, vollbracht. Er hat nämlich einem heid—
nischen, römischen Kaiser einen Sitz im Paradiese noch bei dessen Leben
zugesichert. Von diesem Kaiser, der bald Antoninus, Sohn des
Severus, bald Severus, Sohsn des Antoninus, genannt wird und mit
dem wohl Mark Aurel oder Alexander Severus gemeint ist, wird
überhaupt im Talmud viel fabuliert.
Cin gar kühnes Wort berichtet aber Kabbi Jeremias von Rabbi
Simon ben Jochai. Er soll sich nämlich gerühmt haben, daß er alle
seit seiner Geburt zur Welt Gekommenen vom letzten Gericht frei⸗—
sprechen lassen könne, und wenn sein Sohn Eleasar sich ihm anschließe,
alle seit Erschaffung der Welt bis jetzt Geborenen mit hilfe des
Jotham, Sohn des Usiha, auch alle, die noch geboren werden sollen.?
Eine etwas abweichende Version dieser Prahlerei findet sich im
Jerus. Talmud Berachoth 153d. Warum aber W. Bacher, Raschi fol⸗
gend, den in Sukka genannten Jotham, Sohn des Usiha, mit dem
II. Kösnige XV. 5 genannten König Jotham identifiziert, ist mir
nicht verständlich. Gemeint ist doch wohl Jonathan, Sohn Usiels, der
vorzüglichste Schüler hillels, dem eine aramäische Übersetzung des
Pentateuch zugeschrieben wird. Er war fast ein Zeitgenosse Simons,
und der Talmud sagt von ihm: Wenn er saß und den Pentateuch
studierte, verbrannten alle Vögel, die über seinen Ropf hinflogen.
ine hyperbel, die an die feurigen Zungen der Apostelgeschichte erinnert.
Interessant ist es, wie der Talmud-Aommentator Raschi sich bemüht,
die Verdienste des recht unbedeutenden Königs Jotham, die ihm eine
solche überirdische Macht verliehen haben sollen, zusammenzusuchen.“
Legenda aurea cap. Ab fol. 83b; Die Kommentare zu Dantes Pur⸗
gatorium X. 741 -93, Paradies XX. 45; Petrarca, episstola ad Clementem
VI; Giacomo Boni in Nuova Antologia v. I. November 1906, 8. 3-39.
Talmud bab. Traktat Abodah Sarah 10b6b.
s Talmud bab. Sukka 45b. Huf diese und mehrere andere Talmud—
ttellen hat mich der gelehrte Dr. Bernhard Wachstein in Wien aufmerksam
gemacht.
Talmud bab. Sukka 28 a. Baba bathra 133b. Talmud Jer. Berachoth
13d. W. Bacher, Die Agada der Tanaiten II. 74. Direktor Dr. Bacher
ist so freundlich gewesen, mir in einem ausführlichen Schreiben die Gründe
17*
260 Der Verkehr zwischen Toten und Lebenden.
Erzählungen von der Befreiung aller Verdammten aus der hölle,
sei es durch die Gnade der Gottheit, sei es durch List, finden sich
nicht bloß bei den Juden. ähnlich wie ihr Amen wirkt nach einer
indischen in Tamilsprache geschriebenen Legende die Formel „Nama
Sivanyi“, welche der heilige Büßer Sananda bei seinem Besuch der
hölle ausspricht, als er die Qualen der Verdammten wahrnimmt.
Diese wiederholen die magische Formel, worauf sie alle in Siwas
himmel gelangen. Vergebens protestiert der Unterweltsherrscher
hama gegen diese Beraubung. Siwa will die Erlösungstat seines
treuen Verehrers nicht ungeschehen machen.
Nach dem chinesischen Werke „Göttliches Panorama“ will der
herrscher der Unterwelt an seinem Geburtstage eine allgemeine Am⸗
nestie erlassen. Da aber der Sünder gar zu viele sind, sollen nur
die, welche selbst bereuen und noch zwei andere zur Keue bewegen,
die Amnestie genießen.
Weiter abgeschwächt wird diese noch dadurch, daß die Begna—
digten nicht direkt ins Paradies kommen, sondern ins irdische Leben
zurückgeschickt werden. Führen sie da keinen guten Lebenswandel,
so werden sie wieder in die hölle geschleppt, wo sie die schrecklichsten
Qualen leiden.
Nach einer mohammedanischen Legende in der Traditionensammlung
des Bukhari, die wohl zum Teil der Unterredung Gottes mit Abraham
im 18. Kapitel der Genesis nachgeahmt ist, bitten die Seligen Gott
für die Sünder und Ungläubigen, und erhalten die Antwort: „Geht
ind suchet, wenn ihr einen findet, in dessen Herz Glauben im Ge⸗
wicht einer Goldmünze ist, so bringt ihn heraus“. Die Seligen gehen
nun in die Hölle und erlösen die, welche das geforderte Minimum
an Glauben besitzen. Dann wiederholen sie mehrmals ihre Bitte
und Gott vermindert jedesmal das Minimum, bis es zum Gewicht
eines Staubkörnchens herabsinkt. Endlich streckt er seine Hand aus
und befreit auch die, welche nicht einmal dieses Minimum an Glauben
besitzen. Dann werden sie im Wasser des Lebens gebadet und ins
Paradies gebracht, wo die Seligen die große Gnade Gottes preisen.ꝰ
Auffallende ähnlichkeit mit der jüdischen Legende vom Gastmahl
im Paradiese hat das mittelalterliche französische Gedicht La court
für seine und Raschis Auslegung anzugeben. Ich muß mich begnügen zu
sagen, daß sie mich, trotz Bachers hoher Autorität, nicht überzeugt haben,
für Weiteres ist hier nicht der Ort.
Mew, S. 21, 57.
2 A. A. Bevan, in The journal of theological studies VI. 36, Condon 1904.
J
Würfelspiel des h. Petrus und des Rönigs Rhampsinit. 261
de Paradis. Doch ist die Erzählung hier viel ausführlicher und in
manchen Details schon an Blasphemie streifend. Das Gastmahl, zu
dem Gott alle Engel und Seligen durch die Apostel Simon und Juda,
die am 28. Oktober gefeiert werden, einladen läßt, sindet am Tage
Allerheiligen statt. Es wird dabei gesungen und getanzt, der Erlöser
tanzt mit seiner Mutter, die ihren Kock schürzt —
Ca sainte vierge douce et pure
Prit les pans de sa vesture.,
und mit der hl. Magdalena. Als die Gepeinigten im Fegfeuer
diese Lustigkeit vernehmen, beginnen sie laut weinend um Erbarmen
zu flehen, so daß ihr Geheul bis zur Pforte des Paradieses dringt.
Da bitten die hl. Jungfrau, Petrus und andere heilige für sie, und
Christus bewilligt ihnen für den Allerheiligen- und den folgenden
Tag Freiheit von aller Qual.
HVon einer andern Art der Ausleerung der Hölle wird im
Fabliau De saint Pierre et du jouglor? erzählt: Der Höllenfürst Cu-
zifer verläßt mit allen seinen Teufeln die hölle, um auf der Oberwelt
Zeelen einzufangen und betraut mit der Bewachung der Verdammten
einen seit kurzem in die Hölle gelangten, als Kesselheizer dort be—
schäftigten Spielmann. Er verspricht ihm als Belohnung einen in
Wucherersauce eingemachten seisten Mönch, droht ihm aber mit der
strengsten Strafe, wenn er auch nur eine Seele entwischen lasse.
Uaum hat CLuzifer die Hölle verlassen, als sich schon der hl. Petrus
verkleidet einschleicht, den Kesselheizer und provisorischen Wächter zum
Würfelspiel verlockht und ihm nach und nach alle Verdammten ab—
gewinnt, die er flugs ins Paradies hinüberschafft. Als der Fürst
der hölle zurückkommt und sie ausgeleert findet, läßt er den Spiel—
mann tüchtig auspeitschen und jagt ihn dann fort. Der Ausge—
peitschte läuft ins Paradies, wo ihn der hl. Petrus mit Freuden
aufnimmt.
Nach Herodot (II. 122) hat auch König Rhampsinit bei seinem
Besuche der Unterwelt mit Persephone Würfel gespielt, wobei sich
Hewinn und Verlust ausgeglichen haben sollen. Er hat aber keine
Zeelen erlöst und nur ein goldgesticktes Tuch als Geschenk der hades-
königin heraufgebracht.
In Bechsteins Märchen „Der Teufel ist los“ stirbt seine Groß—
mutter, die Bewacherin der Verdammten. „Da packten alle die armen
I
Barbazan, Fabliaux J. 128 8q. Ce Grand, Contes deévots IV. 39.
Barbazan J. 282, Ce Grand II. 36.
2
262 Der Verkehr zwischen Toten und Lebenden.
seelen, die dazumal in der Hölle waren, auf und gingen alle mit—
einander in den Himmel.“
4. Die höllenfahrt Christi.
Sucht man im Urchristentum nach Einfluß griechischen Glaubens
und griechischer Mythen, so kann man bei Alkestis, die sich für ihren
Gatten opfert und dann doch ins Leben zurückkehrt, an Christus
denken, der sich für die Menschheit opfert und dann aus dem Grabe
— ohne hilfe eines herakles — aufersteht. Nahe liegt aber auch
die Analogie seiner höllenfahrt mit dem Besuche des Orpheus in
der Unterwelt, wie denn auch der Orphismus und die griechischen
Mysterienkulte überhaupt — wie wir noch sehen werden — die
ältesten christlichen Lehren und Anschauungen beeinflußt haben. Und
überhaupt war in vorchristlicher Zeit der Glauben an Besuche von
Höttern und bevorzugten Sterblichen in der Unterwelt und Erlösungen
aus ihr weit verbreitet, bis das Christentum aus der „höllenfahrt“
einer göttlichen Person ein religiöses Dogma machte. Übrigens ist
die Übersetzung von descensus ad inferos mit Höllenfahrt nicht richtig,
denn die von Christus Erlösten befanden sich nicht in der Hölle, dem
Ort der Qualen, sondern im Limbus.
Wieso ist nun der Glaube, daß der Sohn Gottes in die Unter—⸗
welt hinabgestiegen, um die vorchristlichen Frommen, die an den
kommenden Christus geglaubt und nach manchen seiner Gebote gelebt
haben, heraufzuholen und ins Paradies zu bringen, entstanden?
Hon einem Kufenthalt Jesu in der Unterwelt und Wiederauf—
steigen ist in einigen Stellen des Neuen Testaments unklar die Rede.
So im Epv. Markus VIII. 31, IX. 31, X. 34, Matthäus XII. 40. An
letzterer heißt es: „Gleichwie Jonas war drei Tage und drei Nächte
in des Walsisches Bauch, also wird des MenschenSohn drei Tage und
drei Nächte mitten in der Erde sein“. Auch die Worte Jesu „Ich
kann den Tempel Gottes abbrechen und ihn in drei Tagen erbauen
(Matth. XXVI. 61) sollen sich, nach Auslegung des katholischen Ka⸗
techismus, Pars J. c. b., nicht auf den wirklichen Tempel, sondern auf
den Leib Jesu, der nach drei Cagen auferstanden ist, beziehen. Auch
die Stelle in Hhosea VI. 2, „Er macht uns lebendig nach drei Tagen,
er wird uns am dritten Tage aufrichten, daß wir vor ihm leben
werden“, konnte man auf Jesus beziehen und zugleich die Himmel—⸗
fahrt hineinlesen.“
J
Arnold Mayer, Die Auferstehung Christi, s. 180.
Erlösung der Gläubigen aus dem Limbus. 263
Der Glaube, daß Gott die Frommen nie länger als drei Tage
in Not läßt, wird auch in der spätern jüdischen Erbauungsliteratur
auf die biblische Erzählung von Jonas, sowie auf die von Joseph
und von Esther begründet! und dürfte bei den Juden wohl schon
zur Zeit Christi verbreitet gewesen sein.
Uber den Zweck der Höllenfahrt unterrichtet uns die erste Epistel
Petri (II. 19 und IV. 6): „er hat gepredigt den Geistern im Ge⸗
fängnis“. .. „Dazu ist auch den Toten das Evangelium verkündet.“
Hhon einem Erlösen und heraufholen der Unterweltsbewohner ist aber
hier noch keine Spur. Cine Andeutung davon könnte man höchstens
in der Epistel Pauli an die Epheser (IV. 8) finden, welche wieder, den
psalm 68, 19 tendenziös auslegend, sagt, „er sei aufgestiegen in die
höhe und habe das Gefängnis gefangen geführt“. Dabei bleibt es
freilich unklar, wem Er eigentlich gepredigt hat und was unter Ge⸗
fängnis (putaxi) und Gefangenschaft (ahuoMνοid) zu verstehen ist.
Zahlreiche Details über die Höllenfahrt bieten uns die Rirchen⸗
väter und mit reichster Ausschmückung das apokryphe Cvangelium
des Nikodemus. Von den aus Erstern bei Joh. Ludw. König „Die
Cehre von Christi höllenfahrt“, S. 81- 122, in Hharnacks Dogmen⸗
geschichte und bei Maury Croyances et lé gendes de l'antiquité
8. 2962 311 mitgeteilten, darauf bezüglichen Stellen mag es genügen,
einige anzuführen, da sich fast alle einzelne Züge im erwähnten
nikodemus⸗Cvangelium vereinigt und zu einer zusammenhängenden
Erzählung ausgestaltet finden.
Justin Martyr zitiert noch eine Evangelienstelle, in der Kreuzi⸗
gung, Auferstehung und Himmelfahrt Jesu, aber keine Höllenfahrt
erwähnt werden.s Später werden, nach Harnack, die Zeugnisse für
letztere recht zahlreich. Die älteste, bestimmte Erwähnung scheint die
beim Rirchenlehrer Irenäus zu sein, der sich auf einen namenlosen
Presbyter beruft.“ Nach diesem ist Christus hinabgestiegen, um den
alttestamentlichen Gerechten die Vergebung der Sünden zu verkünden.
Der Kirchenlehrer Cactantius sagt GDivin. Instit. IV. 20), der Körper
Jesu sei von den Henkern nicht verstümmelt worden, damit er nicht
durch einen verletzten Körper an der Auferstehung verhindert werden
solle.
Jalkut Schimeoni zu Josua Kap. III. 8 12, II. Sol. 3b.
Dergl. Holtzmann, in Archiv für Religionswissenschaft XI. 289- 292.
3 E. Preuschen, Antilegomena, Gießen 1901, S. 132.
Harnack, Dogmengeschichte J. 194-195, 166.
264 Der Verkehr zwischen Toten und Lebenden.
Nach Tertullian (de anima 55) hat Christus die im Schoße Ab⸗
rahams ruhenden Seelen besucht und erquickt. Origenes läßt die in
der Unterwelt weilenden Propheten des Alten Bundes sein hinab⸗
steigen verkünden und ihn die Befreiten, als den besiegten Dämonen
abgenommene Beute, hinausführen. Nach Johann Chrysostomus und
Ambrosius wurde die bis dahin finstere Hölle vom eindringenden
Thristus erleuchtet. Epiphanius (Gegen die Ketzer 69) sagt: Christus
ging in Gestalt eines Menschen zur Unterwelt hinab und richtete
aus, was er dort zu erfüllen hatte; damit, wenn der Fürst der
Unterwelt und der Tod ihn, wie einen Menschen, fangen und fest—
halten wollten, ohne zu wissen, daß mit seiner Seele Göttlichkeit ver⸗
knüpft sei, sie vielmehr gefangen würden.“ Hhieronymus (In Daniel 3)
sagt, Christus stieg in den fornax inferni hinab, wo die Seelen,
owohl der Sünder als der Gerechten, eingeschlossen gehalten wurden.
Eusebius spricht in seiner Kirchengeschichte (Ende des ersten Buches)
von einer Predigt, die der Apostel Thaddäus, „einer von den Siebzig“,
in Edessa gehalten habe und in der er sagte, Jesus sei allein in die
Unterwelt hinabgestiegen und, nachdem er in das Gefängnis einge—
brochen, mit einer Schar Auferweckter wieder hinaufgestiegen. Diese
angebliche Predigt ist wohl ein Bruchstück einer verloren gegangenen
apokryphen Apostelgeschichte.
In dem Bruchstück einer koptischen Jesaias-Himmelfahrt, aus
dem vierten oder fünften Jahrhundert, heißt es, Gott gebot seinem
Ssohne: „Geh und steige hinab durch alle Himmel, bis zur Feste und
zu dieser Welt, bis zum Engel im Totenreich und du wirst von den
Engeln des Todes zu deinem Platz aufsteigen, in Herrlichkeit und zu
meiner Rechten sitzen“.
llach einem vor kurzem gefundenen Bruchstücke eines koptischen,
apokryphen Evangeliums des Bartholomäus befreit Jesus bei seinem
Besuch der Hölle alle dort Befindlichen, mit Ausnahme von Kain,
herodes und Judas. Dann steigt Abbadon (der Todesengel), da er
den Körper Jesu nicht im Grabe findet, in die Hölle hinab, um ihn
dort einzuschließen, findet aber nur die drei Erzsünder. Jesus aber
war, nachdem er die Hölle verlassen hatte, wieder in sein Grab zurück⸗
Dr. K. F. Borberg, Die apokr. Evangelien und Apostelgeschichten,
5. 372. So heißt es auch im Katechismus der russischen Kirche (Antwort
auf Frage 49): „Christi Seele, ob sie gleich von dem Leibe geschieden gewesen,
war allezeit mit der Gottheit vereinigt, und mit der Gottheit fuhr sie
hinunter in die Hölle“.
Bei A. Meyer, S5. 80.
Agyptischer ECinfluß. Das Nikodemus-Evangelium. 265
gekehrt, wo er die Engel lobsingend fand. Dann kamen seine
Mutter und noch neun Frauen, denen er in seiner ganzen herrlichkeit
erschien.“
Diese koptischen Schriften beruhen wahrscheinlich auf griechischen
oder syrischen, aber wir finden in der höllenfahrt Christi auch uralt
ägyptische Spuren. So heißt es in der Schilderung der ägnptischen
Unterwelt (Cuat): In der dritten Abteilung lautet die Inschrift:
„Man öffne diesen Torweg dem Ka, man öffne die Tore dem, der
im himmel ist“. Der Wächter des Tores öffnet dem Ra. Sa sagt
dem Akebi (eine stehende Schlange): „Offne das Tor dem Ra, öffne
das Tor dem Khuti! Er wird die Sinsternis erleuchten und dem
Cicht einen Weg bahnen in die Wohnung, welche verborgen ist.“
Nachdem der Gott durchgezogen, wird das Tor geschlossen und die
zurückgebliebenen im Torweg klagen laut. In der sechsten Abteilung
sagt Sa der den Eingang bewachenden Schlange: „Offne das Tor
dem Ra, öffne die Türe dem Rhuti, daß er Licht sende in die dichte
Finsternis und sein Glanz die verborgene Wohnung erleuchte!“ Nach
seinem Durchzug und Schluß des Tores klagen die Zurückgebliebenen.
ähnlich geht es auch in andern Abteilungen der Unterwelt zu.?
Auf den Einfluß ägyptischer Mythologie auf die Höllenfahrts⸗
Mythe und besonders auf manche 3üge derselben bei den Kirchen⸗
bätern hat schon Maurny hingewiesen.“
Mit ihm können wir auch annehmen, daß die zweite Hälfte des
Nikodemus-Evangeliums, von Kapitel 17 an — die erste, „Ecta
Ppilati“, die Passion und Auferstehung behandelnde, ist wohl von
einem andern Verfasser und interessiert uns hier weiter nicht — gegen
Ende des vierten Jahrhunderts verfaßt wurde. Sie sollte zur Polemik
gegen die Sekte der Apollinarier dienen, welche die zwei Naturen in
Jesus leugnete und behauptete, er habe außer der göttlichen Natur
keine Seele besessen. Nach Borberg und Thilo sollte die Schrift zur
Bekehrung der Juden dienen und ist frühestens im 5. Jahrhundert
abgefaßt worden. Tischendorf behauptet zwar in seiner Ausgabe der
Apokryphen (2. Aufl. S. LXVIII), sie sei schon im zweiten Jahrhundert
geschrieben worden, aber seine Gründe für diese Datierung sind nicht
überzeugend. Ich glaube auch nicht, daß Maury seine Erwartung,
P. Cadeuze, in Revue d'histoire éccles. VII. (1900), 8. 245- 262.
Wallis Budge, The egyptian Heaven and Hell II. 103, 168, nach
dem „Buch der Thore“.
8 A. a. O. S. 301- 304, 310 - 312.
266 Der Verkehr zwischen Toten und Lebenden.
er werde sich nach nochmaliger Prüfung zu seiner Ansicht bekehren,
erfüllt hat.
Auch über die Sprache des Originals, ob griechisch, lateinisch oder
gar hebräisch, sind die Meinungen geteilt.! Jedenfalls gibt sich die
Sschrift für den von zwei auferstandenen, zum Christentum bekehrten
jüdischen Brüdern, Charinus und Leuthius oder Leuxius, dem jüdischen
synedrium erteilten schriftlichen Bericht aus. Sie erzählen darin,
wie sie, in der Unterwelt als Tote weilend, die von den jüdischen
Patriarchen und Propheten, dem Täufer Johannes, Satan und seinen
Hehilfen über den erwarteten Erlöser geführten Gespräche gehört
haben, so genau und ausführlich, als ob sie solche stenographiert
hätten.
Dann hörten sie eine gewaltige Donnerstimme rufen: „Nehmet
weg eure Tore, ihr Fürsten, und erhebet euch, ihr ewigen Pforten,
daß einziehe der König der Ehre!“s, worauf sich der Höllenfürst
und seine Leute trotzig beeilten, die Pforten und Schlösser zu befestigen,
—
wurden zermalmt, die eisernen Riegel gebrochen, der herr zog ein
in Menschengestalt mit glänzendem CLicht die finstere Hölle erleuchtend.
Er ließ den Satan, den ersten Minister des Höllenfürsten, fesseln und
übergab ihn diesem zur Bewachung bis zu seiner Wiederkunft. Die
in der Unterwelt befindlichen, gefesselten Seelen aber, den Urvater
Adam und alle Gläubigen und Gerechten, befreite er und führte sie
ins Paradies. Die Namen der hinausgeführten werden in den Texten
verschieden angegeben. Wir finden außer Adam noch Abraham, Je—
saias, David, Seth, Eva, habakuk.
Der Täufer ist, wie wir gesehen, vor Christus, aber, wie es
scheint, nach der Kreuzigung in die Unterwelt gelangt. Nach dem
allegorischen, christlichen Roman „Der hirt Hermas“ sind auch die
Apostel in die Unterwelt hinabgestiegen, um zu predigen.
Nach dem Gnostiker Marcion (um 140) hat Christus nicht die
Frommen des Alten Bundes, sondern die größten Sünder, Rain, die
Sodomiten und die äügypter, aus der Hölle in den Himmel hinauf—⸗
geführt.?“
Maurny, S. 324 -327; Borberg, s. 293 - 295.
Nach Psalm 24, 7. Aber dort ist von Fürsten nicht die Rede.
Cas der Verfasser vielleicht Zuy statt 7
3 J. Matter, Hist. crit. du Gnosticisme II. 281, nach Tertullian,
Gegen Marcion J. 26.
Motipv zur Bildung der Legende.
267
Ein Motiv zur Bildung der Höllenfahrtslegende mag auch der
Wunsch gewesen sein, etwas über den AUufenthalt Jesu in der
Zeit zwischen der Kreuzigung und der Auferstehung aussagen zu
können. Man übersah dabei den Widerspruch zwischen der Prophe—
zeiung in Matthäus XI. 40, „drei Tage und drei Nächte“ und der
Zeitangabe von Freitag nachmittag für die Kreuzigung und Sonntag
früh für die Auferstehung. Und selbst dieser kürzere Zeitraum ist
im Widerspruch mit den Worten Jesu am Kreuze an den bereuenden
UÜbeltäter (acobproc: „du wirst heute mit mir im Paradiese sein“
(Cukas XXIII. 43). Diese Stelle wird im römischen KRatechismus
zitiert, aber der Widerspruch nicht erkblärt. Arnold Meyer in seinem
sehr gründlichen Werke „Die Auferstehung Christi“ berührt die Frage
nicht und erwähnt auch nicht die Worte an den Verbrecher. Auch
harnack, der an mehreren Stellen seiner Dogmengeschichte von der
höllenfahrt spricht, sagt kein Wort von dem diesem gemachten Ver—
sprechen.
A. Merx spricht ausführlich von der Lage des hier genannten
Paradieses, dem Aufenthalt der Seligen, den Vorstellungen der Pha—
risäer und Essener darüber usw., geht aber auf den Widerspruch
zwischen „heute“ und „Dritten Tag“ nicht ein.“
Bischof Cyrill von Jerusalem (im 4. Jahrhundert) läßt den Räuber
in die Unterwelt gelangen und von dort mit den alten Frommen
durch Christus befreit werden. Nach dem Nikodemus-Evangelium
Kap. 26 (10 bei Tischendorf) ist er aber vor diesem an der Pforte
des Paradieses erschienen, wo ihn der wachhabende Engel anfangs
nicht einlassen wollte. Erst als er sein Kreuz vorwies und erklärte,
Thristus habe ihn geschickt, wurde er eingelassen und der Engel sagte
ihm, er solle ein wenig warten, bis Adam und die andern Erlösten
kommen werden.
Die Worte Christi lauten hier nach dem alten lateinischen Text
dico tibi, hodie mecum eris in paradiso wie im Evangelium, aber
man schob den Beistrich vor und las dico tibi hodie, und ebenso im
griechischen Text ohucpov oor Aéyu (bei Tischendorf, S. 331 und S. 405).
Also: „Ich sage dir heute“, was gar keinen Sinn hat; denn wenn es
Die Evangelien des Markus und Cukas, Berlin 1905, 5. 497 ff.
Auch nicht H. Holtzmann, dessen reichhaltiger, aber zu keinem klar bestimmten
,Kesultat gelangender Aufsatz „höllenfahrt im Neuen Testament“ Erchiv
für Religionswissenschaft 1908,5. 2852297) mir erst bekannt wurde, als
borliegendes Werk bereits zum Druck gelangte. J. Turmels La descente
du Christ aux enfers (1905) war mir nicht zugänglich.
2608 Der Verkehr zwischen Toten und Lebenden.
heißt „ich sage“, so versteht es sich doch von selbst, daß es in der
Gegenwart gesagt wird, nicht gestern oder morgen, und der Zusatz
heute ist überflüssig. Dazu bemerkt Borberg (8. 384): „Man sieht,
daß die Kunst, an dem Texte des Neuen Testaments so lange zu
dehnen, bis dasjenige, was man eben sucht, zum Vorschein kommt,
eine alte ist“.
Auch wäre eine Zusage des Paradieses, ohne bestimmten Termin,
die ja gegen ein paar Jahrtausende Fegfeuer keine Garantie bietet,
eine gar zu geringe Belohnung für den gläubigen, bereuenden Ver—⸗
brecher gewesen.
Übrigens lautet die Cukasstelle in der Tischendorfschen Ausgabe
des Neuen Testaments (Ceipzig 1858): oot Méyu, onuepov, uer êuod ton
usw., also „du wirst heute“.
Merkwürdig ist es, daß die doketistischen Ketzer die Schwierigkeit
besser beheben können. Denn nach dem ihrem Glauben entsprechenden
apokryphen Petrus-Evangelium hat der himmlische Christus den
—V
während im Grabe nur der Scheinkörper blieb.“ Mit diesem himm⸗
lischen Wesen konnte der begnadigte Verbrecher am Tage der Kreu—
zigung im Paradiese zusammentreffen, während der Scheinkörper in
der Unterwelt war.
Wie dem auch sei, die Kirche hat die höllenfahrt Christi in das
Dogma aufgenommen. In den die Passion betreffenden Urtikel des
nizäanischen Glaubensbekenntnisses „Er hat gelitten, ist auferstanden
am dritten Tage und in den himmel hinaufgestiegen“ .... wurde
später, wahrscheinlich vom hl. Athanasius, das „stieg in den hades
hinab“ eingefügt. Der SZusatz findet sich im Abendlande zuerst im
symbole von Aquileja a. 381, im Morgenlande in der Formel der
—
Jahrhundert noch nicht überall angenommen worden.? Von höllen⸗
fahrt und Erlösung der Gläubigen als von etwas Feststehendem, all⸗
gemein Geglaubtem spricht zuerst, wie es scheint, Papst Gregor der
Große in seiner Epistel (VII. 15) an den Presbyter Georg.
In dem nach Beschluß des Ronzils von Trient auf Befehl Papst
Pius V. herausgegebenen Katechismus heißt es im 6. Kapitel des
ersten Abschnittes: descendit ad inferos, tertia die resurrexit a mor-
A. Meyer, S. 80, 83; Matter III. 29 -31.
Maurmyn, S. 326; Harnack, Dogmengeschichte II. S. 66; Wetzer und
Welte V. 295.
Protestantische Lehre.
269
tuis. Dazu wird in der deutschen, mit Genehmigung der geistlichen
Obern kommentierten Übersetzung (Ceipzig und Bielefeld 18607) be—
merkt: „es ist zu glauben vorgehalten, nach dem Tode Christi sei
seine Seele mit ihrer wirklichen Gegenwart (re et praesentia) zur
hölle hinabgestiegen und daselbst so lange geblieben, als sein Leib
imn Grabe war. Das Wort Hölle bedeutet hier jene verborgenen
Behausungen, in denen die Seelen aufgehalten wurden, welche die
himmlische Seligkeit noch nicht erlangt hatten“.
Unbestimmter, man möchte sagen vorsichtiger, drücken sich die
andern christlichen Kirchen über die Höllenfahrt aus. In dem vom
Metropoliten von Kiew, Peter Mogilas, 1642 verfaßten Glaubens⸗
bekenntnis der griechisch⸗russischen Kirche heißt es: „Aus dem hades
erlöste Er die Seelen der heiligen Vorväter und versetzte sie ins Pa⸗
radies, ebenso den Verbrecher, der am Kreuze an ihn glaubte.“!
Der dritte der 39 Artikel der englischen Hochkirche lautet: „So
wie, daß Christus für uns starb und begraben wurde, so ist auch zu
glauben, daß er in die Hölle hinabgestiegen ist“. Dazu bemerkt der
zelehrte und fromme Cambridger Theologe Dr. Westcott: „Unter
Hhölle oder Hades ist hier der gemeinsame Aufenthaltsort der abge⸗
schiedenen Geister und nicht der Strafort der Sünder zu verstehen“,
und es sei überhaupt das Ganze nicht im wörtlichen Sinne zu
nehmen.?
Im Lutherischen Katechismus, nach Herders Ausgabe, für die
ꝛvangelischen Schulen Augsburger Conf., in den Staaten des Kaiser⸗
tums Osterreich?, lautet der zweite Artikel des zweiten Hauptstücks:
„Und (glaube) an Jesum Christum, seinen einzigen Sohn, unsern
herrn .... gekreuzigt, gestorben und begraben, niedergefahren zur
hölle, am dritten Tage auferstanden von den Toten, aufgefahren gen
himmel“ usw. In CLuthers Erklärung dieser Stelle, sowie in der
katechetischen Erklärung wird über die Höllenfahrt nichts bemerkt.
herder selbst sagt in seinen Erläuterungen zum Neuen Testament,
Buch III. 1: „Die Höllenfahrt Jesu ist also wirklich ein Artikel, der
wert ist, daß er in unserm Glaubensbekenntnisse stehe. Da Jesus
vollbracht hatte, war keinen Augenblick sein Triumph müßig. Che
er auf der Erde bekannt werden konnte, fühlten ihn mit Schmerz
Rönig, Die CLehre von Christi höllenfahrt, s. 200.
S. die Entgegnung darauf vom RKeverend W. Manning im Hibbert
sournal Januar 1906, IV. S. 409.
s Zehnte Aufl. Brünn 1851.
270 Der Verkehr zwischen Toten und Lebenden.
und Freude die Gegenden der Nacht und der Schatten, und so ging
der Sug hinauf durch alle Himmel bis zum Trone der Gottheit.“
In dem Aufsatz „Von der Auferstehung“ (5ur Religion und
Theologie XVI. 243) gibt Herder zu, daß Jesus „nicht nach drei
Tagen und drei Nächten, aber in der Frühe des dritten Tages im
Hrabe erwachte und sich lebend zeigte“.
Der heidelberger Katechismus von 1562 gibt auf die 44. Frage
eine etwas unklare Antwort über die Höllenfahrt, die aber auch von
den Reformierten nicht ganz geleugnet wird.?
Die apokryphe Schilderung der Höllenfahrt Christi gab Anlaß
zur Sabrikation eines Briefes der Jungfrau Maria, in dem sie ihren
Besuch in der Hhölle beschreibt. M. Gaster hat einiges daraus, nach
einem altslavischen Manuskript aus dem 12. Jahrhundert, dem wahr⸗
scheinlich ein griechisches Werk zugrunde liegt, in seinem IUchester
Lectures mitgeteilt.s Erlösung scheint nicht der Zweck dieser Höllen—
fahrt gewesen zu sein, die aber doch den Verdammten einige Er—
leichterung verschaffte.
Auch sonst hat das Nikodemus-CEvangelium ziemlich großen Cinfluß
auf die bildende Kunst des Mittelalters und auf die Dichtung aus—
geübt.“
Schon in der angelsächsischen CLiteratur finden wir ein kleines
Epos „Höllenfahrt Christi“ von 137 Versen. Christus erscheint, nach⸗
dem ihn der Täufer angekündigt, in der hHölle und wird von dem
„ersten der Burgbewohner“ (Adam?), im Namen der seiner harrenden,
mit einer langen Rede begrüßt:
„Des sei dir hoher Dank, o herre unser,
Daß du uns selbst allhier besuchen wolltest,“
usw. Unter den Befreiten werden Adam, Abraham, Isaak, Jakob,
Moses, David, Sacharias und Johannes genannt.
Interessanter ist das sogenannte zweite Buch Uädmons, in dem
geschildert wird, wie die Unterweltsbewohner den Erlöser erwarten.
va sagt:
„Vor drei Nächten kam ein Dienstmann des Heilands
heim zu der Hölle, er ist in Haft nun fest,
Sur Religion und Theologie Th. XI. 160.
Rönig, S. 175.
Condon 1887, s8. 52- 61.
Über Erstere s. Maury, s. 328-331 und über
reiche CLiteratur der Höllenfahrt König, S. 2600-268.
die ziemlich umfang⸗
Englische Höllenfahrtsdramen.
271
In Wehßklagen elend, da ihm der Wart der Glorie
Ingrimmig ward für seinen übermut.
Der sagte uns versichernd, daß Gott selber wollte
Den höllenbürgern die Heimat erleuchten.“
Sollte mit diesem Dienstmann einer der zugleich mit Christus Ge⸗
kreuzigten gemeint sein?
Geringen poetischen Wert hat das kleine altenglische Spiel „The
narrowing of Hell“ aus dem Anfang des 14. Jahrhunderts, das der
herausgeber ein Drama nennt, weil er sich die Handlung hinzudenkt.
Es besteht nur aus einem Disput zwischen Jesus und Satan und
kurzen Reden von Adam, Eva, Abraham, David, Moses und Johannes,
denen Jesus ebenso kurz antwortet. Dann führt er die Gläubigen
heraus.
Mehr Handlung hat das vielleicht etwas jüngere 285. Stück der
Towneleyspiele „Extractio animarum“. Es beginnt mit einem Mo—
nolog Jesu, der seine höllenfahrt verkündigt und einen Lichtstrahl
borausschickt. Unter den zahlreichen Personen befindet sich auch ein
ibald (der Dienstmann Kädmons?), dann Satan, Belzebub, Asteroth
und viele andere Teufel, die sich dem Eintritt des Erlösers widersetzen
und schimpfen. Jesus droht und ruft Attolite portas usw., wie im
nikodemus⸗Cvangelium. Dann läßt er sich in einen Disput mit Sa⸗
tan ein, der behauptet, daß ihm durch diese Beraubung ein Unrecht
geschehe. Endlich legt er sich aufs Bitten und will auch mitgenommen
werden. Jesus verweigert dies und stellt ihm vor, daß er ihm ja
Judas, Achitophel, Dathan und Abiron zurücklasse. Damit und mit
der hoffnung, künftig noch viele andere Sünder zu bekommen, gibt
sich endlich der Teufel zufrieden und sinkt auf Jesu Besehl in die
hölle hinunter. Mit Reden und Danksagungen der Erlösten schließt
das Stück.
Cine eigentümliche, zweite Höllenfahrt Christi schildert der Scho—
lasticus Ansellus aus Reims in seiner Vision: Er wird vom Erlöser
selbst, vor dem die Dämonen und Höllenschergen mit angstvollem
1 C. W. M. Grein, Dichtungen der Angelsachsen stabreimend übersetzt,
Höttingen 1857-1859. J. s. 128, II. sS. 195-198. Stephan phillips
Poem. „Christ in Hades“ (1896) habe ich mir nicht verschaffen können.
The harrowing of Hell. Das altenglische Spiel von Christi höllen⸗
fahrt, neu herausgegeben von Dr. Eduard Mall, Breslau 1871. — The
Towneley plays reedited from the unique Mspt. by George England,
Early english text Society Extra series N. 71, Condon 1897.
272 Der Verkehr zwischen Toten und Lebenden.
Jammergeheul entfliehen, herumgeführt. Er sieht, wie Christus erlöste
Sseelen ins Paradies führt, wo sie von Engeln mit Jubelgesang be—
grüßt werden. Ansellus selbst wird aber nicht mitgenommen, sondern
einem schwarzen Teufel anvertraut, der ihn in sein Kloster nach
Keims zurückträgt.“ Wie dieser ihn gegen seine Genossen beschützt,
erinnert an das ähnliche Treiben der Teufel im 21. Gesange (D. 67-87)
von Dantes hHölle.
Im vierten Gesange derselben (V. 52261) wird kurz von der
höllenfahrt Christi berichtet und als Erlöste werden von Virgil Adam,
Abel, Noah, Moses, Abraham, Isaak, Jakob mit seinen Söhnen,
Kahel, David und „viele Andere“ genannt. Wenn Dante dann im
Paradiese noch den Täufer, die Könige Salomo und Ezechias, Josua,
Kebekka, Sarah, RKuth, Judith und die Makkabäer findet, so gehörten
diese wohl zu den „vielen Andern“.
Dante nachahmend, hat der Dominikaner Federigo Frezzi,
Bischof von Foligno (f 1416), in seinem Quadriregio (C. II. Kap. 4)
die Hölle geschildert. In ihrem untern finsteren Raum will er die
von Christus bei seinem Eindringen gebrochenen eisernen Flügel und
Kiegel der sieben höllenpforten gesehen haben. Von den Erlösten gibt
er die uns bereits bekannten Namen an.
Mit den Leser ermüdender Ausführlichkeit berichtet Klopstock im
„Messias“ die Erlösung der vorchristlichen Frommen. Aber nach seiner
HDorstellung ist es eigentlich keine Erlösung, denn sie befanden sich schon
vor der Kreuzigung auf einem Stern oder der Sonne in ätherischen
Ceibern, die nun mit den Körpern vereinigt werden. Sie werden
vom Erzengel Gabriel zur Erde herabgeführt und steigen dann wieder
zum himmel hinauf.
Bevor noch der „Messias“ vollständig erschienen war, dichtete der
sehr junge Goethe „Poetische Gedanken über die Höllenfahrt Jesu
Christi“. Ohne die Namen von Erlösten zu nennen, schildert er nur
die Angst des Satans, der vor dem „auf dem Siegeswagen von Feuer—⸗
rädern fortgetragen“ herannahenden Erlöser fliehen oder sich ver—⸗
nichten will, aber besiegt und niedergeschmettert wird. Besonderer
Nachdruck wird, wie im Nikodemus-Evangelium, auf den Gegensatz
des „schwarzen Höllensumpfes“, der von der Dunkelheit beherrschten
hölle zur „glänzenden Herrlichkeit“ des Gottessohnes gelegt. Wenn
es aber am S—schlusse heißt: „Der Gott-Mensch schließt der höllen
Edélestand du Meéril, Poésies populaires latines antérieures au 12⸗
siècle, S. 204.
Gratiserlösungen, Vermittlung der Priester. 273
Pforten“, so steht das im Widerspruch mit der anfangs als Zweck
seines Kommens angegebenen Serstörung der Hölle. Und da auch
nichts von Erlösten gesagt wird, erscheint die ganze Höllenfahrt mit
den furchtbaren Reden als überflüssige Rodomontade.
V—
XIV. Gewerbsmaͤßige Erloͤsung und
Versicherung geggen Unterweltsleiden.
Die meisten Erlösungen von Seelen aus der Unterwelt, von denen
bis jetzt berichtet wurde, betrafen Einzelfälle, waren besondere Gnaden⸗
erweisungen der Gottheit, Belohnungen für Verdienste der Verstorbe—
nen oder derjenigen, die sich für sie verwendeten; stets aber geschahen
sie kostenfrei, wie es in der Hymne vom Jüngsten Gericht heißt:
solvandos salvas gratis.
Manche der Erlösungsversuche sind, wie wir gesehen haben, miß—⸗
zlückt, aber stets haben wir den Ausgang des Unternehmens er—⸗
fahren. Wir kommen nun zu den mit einem bestimmten Ritual vor⸗
genommenen Erlösungen, bei denen wir meistens nur die Tätigkeit
des Erlösenden wahrnehmen, ohne ihr Resultat mit Gewißheit zu
erfahren. Sie unterscheiden sich von den Spezial⸗, man könnte bei⸗
nahe sagen dilettantischen Erlösungen auch dadurch, daß sie fast ge—
werbsmäßig und gewöhnlich gegen Entgelt betrieben werden. So
finden sich schon in vielen mittelalterlichen Berichten von Erlösungen
aus dem Fegfeuer oder Milderung der Pein als bestes Mittel dazu
Gaben an Kirchen und Klöster, besonders für das Messenlesen durch
Priester, bald von den Erzählern, bald von den Gepeinigten selbst
empfohlen. Die Wirksamkeit dieser Mittel ist nicht erst vom christ⸗
lichen Klerus erfunden oder zuerst verkündet worden. Sie sind ur—⸗
alt, heidnisch-menschlich. Nur haben die Priester, als Vertraute der
Gottheit, als Vermittler zwischen himmlischen Mächten und irdischen
Menschen, sich gewissermaßen das Monopol dieser Mittel angeeignet,
den Glauben an ihre Wirksamkeit zur Befestigung ihrer herrschaft,
zu Erwerbung von irdischem Gut benutzt. Es haben wohl viele von
ihnen nicht bloß an Lohn und Strafe im Jenseits, an Paradieses-
freuden und Höllenqualen, sondern auch an ihren eigenen Einfluß auf
die Gottheit ehrlich geglaubt; aber da sie von der inneren Einrichtung
Candanu, Hölle und Fegfeuer. 19
274 Gewerbsmäßige Erlösung und Versicherung gegen Unterweltsleiden.
des Jenseits, von Art und Maß der Strafen und Belohnungen nichts
wissen konnten, so waren alle Details, die sie davon mitteilten, alle
minutiösen Schilderungen ausgesuchter Peinigungen, wenn nicht Er—
zeugnisse böser Träume und Fieberphantasien, tendenziöse Erdichtung.
Der ostasiatische Schamane, gewöhnlich an irgendeine Form der
hysterie leidend, glaubt an eine besondere übernatürliche Kraft und
an seine Auserwählung.! Zahlreicher als die naiv Gläubigen und
Tkstatischen waren wohl die Priester, welche den Glauben des Volkes
an Lohn und Strafe im Jenseits zum Gelderwerb, zur HRusdehnung
und Befestigung ihrer Macht mißbrauchten.
Priester haben diesen Glauben“, sagt Tylor, „ohne Bedenken
für ihre Berufszwecke verwendet, um ihrer eigenen Raste Wohlstand
und Macht zu verschaffen und den geistigen wie sozialen Sortschritt
in die Schranken ihrer geheiligten Systeme zu fesseln. An den Ufern
des Todesflusses stand lange Zeit eine Schar von Priestern, um alle
diejenigen armen Seelen am Übergang zu hindern, welche ihre Sor⸗
derungen an Zeremonien, Sörmlichkeiten und Gebühren nicht er⸗
füllen konnten.“
Tylor findet aber auch eine gute Seite an den Schilderungen von
HZölle und Paradies, indem sie durch Erregung von Furcht und Hhoff⸗
aung zur Förderung des Guten und Unterdrückung des Bösen bei⸗—
trugen. Und ähnlich hat neunzehn Jahrhunderte früher der Geograph
ztrabo in allen Erzählungen von Überirdischem und von schrecklichen
ztrafen durch die Götter nur Erfindungen der Philosophen und Dichter,
nit dem löblichen Zweck, die Menschen zur Frömmigkeit, Tugend und
Kedlichkeit zu erziehen, sehen wollen.
Um das Bedürfnis der Gläubigen nach den Schutz⸗ und Rettungs⸗
mitteln der Priester zu schärfen, wurden die Leiden und Qualen des
sie entbehrenden Toten, das furchtbare Jenseitsgericht in der ausführ⸗
lichsten Weise mit den gräßlichsten Ausmalungen, in Bildern, Schriften
und Skulpturen geschildert, ungefähr wie ein Quacksalber sich in
schilderung der schrecklichen Krankheiten, die er mit seinen Pillen
und Salben zu kurieren verspricht, sich nicht genug tun kann.
Tine solche Ausnützung der Furcht und Gläubigkeit finden wir
schon früh bei Brahmanen und Buddhisten. Noch vorsichtig und
pärlich im Rigveda, aber schon kühner und häufiger im Atharvaveda,
1Ceon Sternberg, Die Religion der Giljaken, in Archiv für Religions⸗
wissenschaft VIII. 469; Fr. S. Uraus, Das Schamanentum der Jakuten,
Wien 1888, 8. 13-16.
Tylor, Kap. 13, Bd. II. 105, 10603 Strabo, Geographie J. 2.
Brahmanen und Buddhapriester. 275
wird die Lehre von der Verdienstlichkeit frommer, den Priestern dar⸗
gebotener Gaben vorgetragen, ja „man kann sagen, daß für die An—
schauung des Atharvaveda der Schwerpunkt verdienstlichen Tuns
sich geradezu vom Kultus der Götter auf die Beschenkung, Speisung
und Chrung der Brahmanen verschoben hat“, sagt Oldenberg. „Der
alte Mythus von der Kuhgewinnung durch Indra hat im Veda
den sehr irdischen Sinn angenommen, daß der Kuhbesitz dem Brah—
manen zukommt und daß der Geizige, welcher ihm die Kühe vorent—
hält, elend zugrunde geht.“
„Jeder soll nach seinem Vermögen die gelehrten Brahmanen be—
schenken, dadurch erwirbt er himmlische Seligkeit“, heißt es in Manus'
Gesetzen. „Für die Gabe an einen Brahmanen erhält man doppelten
Cohn wie für eine an einen andern Menschen, für die an einen ge—
lehrten Brahmanen hunderttausendfachen und für Gaben an einen, der
die Veden mit ihren Kommentaren kennt, ist der Cohn unendlich.“
... „Schon der Rigveda (X. 14, 8) läßt die Seligen droben ihre
Dpfer und Gaben wieder antreffen und der Atharvaveda ist voll von
Ausmalungen der Segensströme, in welche sich im Jenseits die den
Priestern gewährte Gabe für den Geber verwandeln wird“ .... Das
Motiv von dem himmelslohn dessen, der den Priestern reichlich spendet,
und von den höllenstrafen dessen, der den Priestern Böses tut, wird
in den Veden ganz bedenklich in den Vordergrund gestellt.!
„Die Lehre und Praxis der Beichte und Sündenvergebung hat
sich im Brahmanismus zu einem weitläufigen System von Reinigungen,
sühnen, Bußen und geistlichen Strafen entwickelt, durch welche an—
geblich die Schuld unfreiwilliger und freiwilliger Übertretung des
Hesetzes, eingebildeter Sünden und wirklicher Vergehen und Ver—
brechen ausgelöscht wird“ .... „Über die Mittel, durch welche die Be—
fleckung abgewaschen, die Sünde gebüßt und deren geistliche Folgen
getilgt werden, gebietet der Priester.““
Noch viel weiter gingen die buddhistischen Priester und Mönche,
welche mit Vorliebe die Leiden der Sünder im Jenseits beschrieben,
um die Freigebigkeit der Gläubigen zugunsten der frommen Männer,
die allein sie lindern, allein erlösen können, anzufeuern. Und zu
diesem Sweck wurden die Höllenqualen mit aller Uppigkeit indischer
Phantasie immer gräßlicher und ungeheuerlicher ausgemalt, so daß
sie damit wohl alle andern Religionen übertreffen.
1Die Religion des Veda, S. 17, 18, 535, 543; Laws of Manu XI. 6,
VII. 85.
2 C. F. Köppen, Die Religion des Buddha, S. 50.
276 Gewerbsmäßige Erlösung und Versicherung gegen Unterweltsleiden.
Weitläufige Zeremonien und Gebete werden zum Heile der Seele
und zum Vorteile der Priester bei Bestattung eines Chinesen ver⸗
richtet. Bei Armen fungiert nur ein Priester einige Tage, bei Keichen
fungieren mehrere buddhistische und taoistische Priester abwechselnd,
nanchmal während zwei Wochen.
Noch kompliziertere, länger dauernde und kostspieligere Bestattungs⸗
zeremonien finden bei den lamaistischen Buddhisten statt. Sie haben
hden Zweck, die Gottheiten und besonders den Unterweltsherrn Nama
zur Milde zu stimmen, die auf der Wanderung begriffene Seele aus
dem Zwischenzustande zwischen Tod und wiedergeburt zu erlösen und
in ein neues besseres Leben zu besördern. Sie dauern bei Reichen
sieben Wochen, als den Seitraum, den die Seele in diesem Zwischen—
zustande verbringt, bei SFürsten wohl ein ganzes Jahr.
„Da nun“, sagt Köppen, „die Wirksamkeit dieser Seelenmessen
durch die größere oder geringere Feierlichkeit, die größere oder
geringere Andacht und Inbrunst der fungierenden Priester und diese
vwiederum durch die mehr oder minder reichen Geschenke, die man
ihnen dafür gibt, bedingt wird, so läßt sich leicht denken, daß auch
der weniger bemittelte Gläubige von einiger Pietät alles aufbietet,
um bei den Seelenmessen für einen verstorbenen Angehörigen die
geistlichen herren vollständig zu befriedigen. Bei Sterbefällen fürst—
licher Personen sollen oft ganze herden Vieh und tausende von
Silberunzen unter sie verteilt werden.“
Bei den chinesischen Buddhisten in Amon stellen die Priester dem
Toten eine Art Reisepaß für die Seele aus, demzufolge kein Dämon
sie an dem Überschreiten der gefährlichen Jenseitsbrücke hindern
darf.“
Die Eingeborenen der Philippinen glauben, daß die Armen ewig
in der Hölle bleiben, da niemand für sie Opfer bringe. Auf Tahiti
lin Polynesien) gibt es einen dem mohammedanischen Paradiese ähn⸗
lichen Aufenthalt für die Verstorbenen, in den nur Angehörige einer
gewissen Gesellschaft und Häuptlinge, welche den Priestern reiche Gaben
zuwenden, gelangen können. Um den Höllenqualen, die vorzüglich
in langsamem Schinden beständen, zu entgehen, sucht man die Götter
zu versöhnen, indem man mitunter die ganze Habe ihren Priestern
opfert.
1 De Groot, Buddhist masses for the dead, S. 56, 57, 75, 94; C. F.
Köppen, Die lamaische Hierarchie und Rirche, S. 324.
2 Marillier, La survivance de l'me 9, 11; Mew, Traditional aspects 434.
Agyptische Priester. Versicherung während des Lebens. 277
Auch von den ägnptischen Priestern sagt Wallis Budge mit Recht,
sie hätten die Unterwelt mit erfundenen, den Seelen der Abgeschiedenen
feindlichen Wesen bevölkert und Schilderungen der verschiedenen Ab⸗
eilungen derselben erfunden. Sie lehrten, daß die Toten in der
Unterwelt auf das Boot des Gottes Raswarteten, und daß nur die,
welche im Besitz ihrer Zauberformeln waren, es besteigen und den
Bott auf seiner Fahrt ins Land der Seligkeit begleiten konnten. Die
Anfertigung der Schriften mit diesen Zauberformeln, welche man den
Toten ins Grab mitgab, gewährte den Priestern von Anu (helio⸗
polis) eine gute Cinnahmsquelle, weshalb sie die Urschriften wohl
nicht aus den Händen gaben, den Abschriften aber, wo es erforderlich
oder nützlich erschien, weitere Kapitel hinzufügten. Häufig finden sich
auch Formeln, die den Verstorbenen die Gabe verschaffen sollten, nach
Belieben Besuche in der Oberwelt zu machen.“
Man konnte aber auch vor dem Tode durch priesterliche Reini—
gung, Waschung und Besprengung mit heiligem Wasser, wahr⸗
scheinlich auch unter Darbringung eines besonderen Sühneopfers, sich
reinigen und dann vor den Totenrichtern sich mit gutem Gewissen (7)
als sündenrein erklären.?
Besser, als aus der Hölle erlöst zu werden, ist freilich gar nicht
hineinzukommen. Dieses Vorrecht genießen nach dem Talmud nur
drei Klassen von Personen: die ärmsten der Armen, die Magen⸗
kzranken und die von Gläubigern Bedrängten, nach der Meinung
einiger auch die Gatten böser Frauen. Gegen letztere wendete aber
ein Kabbi ein, daß man sich von einer bösen Fräu scheiden könne,
ja müsse.
Sonst gilt als bestes Schutzmittel gegen die Hölle ein frommes,
gottgefälliges, tugendhaftes Leben. Aber ein solches viele Jahre lang
zu führen, ist nicht jedermanns Sache und erfordert auch Verzicht
auf manche irdische Freuden und Genüsse. Da war es viel bequemer,
ich vor dem Tode mit den Priestern oder Vertretern Gottes abzu⸗
finden. Und diese waren, stets voll Mitleid, bereit, bei Empfang
einer angemessenen Prämie gegen die Höllenqualen zu versichern.
—A—
haben, Assekuranzgesellschaften, welche „Versicherungen für Todesfall“
abschlossen, nicht zugunsten der Erben, sondern des Toten selbst.
1Strauß und Tornen J. 498, II. 273 -274; Wallis Budge, The Gods
J. 201 - 265.
2 Strauß und Cornen J. 477.
3 Talmud bab. Erubin 41 b.
278 Gewerbsmäßige Erlösung und Versicherung gegen Unterweltsleiden.
Die ägyptischen Zauberformeln, man fühlt sich versucht zu sagen,
Assekuranzpolizzen, zwangen den Sonnengott, gewissermaßen den Toten
in sein Gefolge aufzunehmen, da ihm mitunter im Falle der Weigerung
mit Einstellung der Opfer gedroht wurde.
Versicherungen Lebender gegen die Leiden des Jenseits waren
auch nach den Lehren der persischen Religion nützlich und notwendig
nützlich vor allem den Priestern; denn die Vermengung der
Priesterinteressen mit der Keligion ist, wie Söderblom sagt, in jeder
zeile des Avesta zu bemerken. Nach Vendidad 13 und Saddur 37, 6
werden durch Geschenke (an die Priester) die Totengeister zugunsten
der Sterbenden gestimmt und sagen dann dem höchsten Richter: „Diese
haben uns nicht vergessen, als sie auf Erden lebten, mögen sie in
den für Gerechte bestimmten Ort eingehen“.
Nach Vendidad 19 billigt Ahura Mazda den Vorschlag Zara—
thustras, die Menschen zu bewegen, den Priestern Geschenke an Land,
Getreide und anderen Besitztümern zu geben. In jüngern Teilen des
Avesta, aus der Sassanidenzeit und in späteren religiösen Schriften
in Pehlvi finden sich schon Buß- und Reinigungsvorschriften für alle
sünden, unter Leitung der Priester. Selbst der größte Sünder kann
ins Paradies gelangen, wenn er sich in seiner ganzen Lebensführung
in bezug auf Leib und Vermögen den Anordnungen der Priester
unterwirft. Doch muß an Menschen begangenes Unrecht auch diesen
gegenüber gutgemacht werden, bevor der Priester an die Entsündigung
zgeht. Hat die Gutmachung nicht vor dem Tode stattgefunden, so wird die
deele vor der Tschinvatbrücke so lange gequält, bis der Beschädigte
eintrifft und die Buße annimmt.“
Nach den Lehren der Mithrasreligion steht an der Pforte jeder
Jenseitssphäre ein Engel des Orosmasdes, der nur die passieren läßt,
welche die geheimen Lösungsformeln kennen.?
Bei den Bekennern der mandäischen Religion ist die Zeremonie
der Masikta üblich, zum Besten der Seele des Verstorbenen, die drei
Tage nach dem Tode beginnt, gewöhnlich sieben Tage dauert und
je nach den Umständen der hinterbliebenen 80 bis 500 Mark kostet.
Die Leitung hat selbstverständlich ein Priester, der im Ornat auf—
tritt, Salbung und Kommunion erteilt. Außerdem haben sie noch ein
ssakrament der Sterbenden, mit Abwaschung und Anlequng von
1N. Söderblom, La vie future d'après le Mazdéisme, S. 15, 16, 89,
119-121, 124; s. auch Arnobius Adversus gentes II. 62.
2 Sr. Cumont, Textes et monuments figurés relatifs aux Mystères de
Mithra, S. 309.
Griechische Mysterien.
279
Priesterkleidung. Ohne diese Zeremonie bleibt die Seele bis zum
jüngsten Tage in der Unterwelt.“
In China ist es üblich, Amts- und Chrentitel zu kaufen. Ein
solcher vom Kaiser verliehener Titel bringt nicht bloß irdische Vor⸗
teile, sondern sichert auch dem Inhaber und seiner Familie einen
ehrenhaften Platz im Jenseits, weil der Kaiser Sohn des himmels ist
und, der zweite nächst dem höchsten Gotte, über alle anderen Götter
steht.
In Griechenland dienten zur Entsündigung Lebender und Schutz
vor den Gefahren der Unterwelt die Geheimkulte, vorzüglich die
orphischen Mysterien. Sie sind dahin, wie herodot (I. 81) und
Diodor von Sizilien (I. 96) angeben, aus Agypten gelangt. Aber
nicht erst aus dem ptolemäischen, wie Keinach annimmt, sondern aus
dem pharaonischen, wie ja auch die von ihm zitierten Kitualbücher
aus dieser früheren Zeit stammen.ẽ
In angeblich von Orpheus und Musäus stammenden Schriften
fanden sich Schilderungen der Freuden und Ceiden der Unterwelt, und
die Besitzer solcher Geheimlehren, die Plato Gaukler und Wahrsager
nennt, gaben vor, sie könnten durch Räucherungen, Weinlibationen,
Opfer und dergl. von Sünden reinigen, die Götter versöhnen, Tote
und Lebende von den Leiden des Jenseits befreien, denjenigen aber,
der von ihren Mitteln keinen Gebrauch mache, erwarte Schreckliches
in der Unterwelt.“
Nach der Homer zugeschriebenen Hymne an Demeter hat diese
die Sterblichen den Geheimkultus gelehrt (. 284-5, 477), dessen
heilsame Folgen der Dichter preist.
„Dreimal glücklich die Sterblichen, die, nachdem sie die Weihen
geschaut, in den hades gehen, denn ihnen allein wird dort zu leben,
den Üübrigen alles Übel zu teil“, heißt es in einem Fragment (719)
des Sophokles, und Aristophanes läßt den Chor in der Unterwelt
singen:
Nur uns allein bescheint der Tag,
Und heitere Sonnenhelle
NKNur uns Geweihten.“
W. Brandt, Die Mandäische Religion, 5. 81.
De Groot, Religious system J. 164, 220, 237.
3 Cultes, Mythes, S. 320-328.
Plato, Staat, Buch II. 364 -3656.
Frösche 455.
280 Gewerbsmäßige Erlösung und Versicherung gegen Unterweltsleiden.
Im Phädon billigt Sokrates die Angabe der Einweiher in die
Mysterien, daß, wer ungeweiht und ungereinigt in die Unterwelt
gelangt, in den Schlamm zu liegen komme, der Geweihte aber bei
den Göttern wohne.“
Sselbst Herakles hat sich in die Mysterien einweihen lassen, bevor
er es wagte, in die Unterwelt hinabzusteigen. J
Als Cinführer von Geheimkulten in Theben nennt Pausanias
(IV. 1, 5) den Athener Methapos. Und wahrscheinlich ist das ganze
Musterienwesen erst im sechsten vorchristlichen Jahrhundert dem griechi⸗
schen Volksglauben unter fremdländischem Einfluß aufgepropft worden.
Plato, der im Staat alle Schauder erregenden Schilderungen der
Unterweltschrecken durch die Orphiker als schädlich verwirft, spricht
von Wahrsagern und Gauklern. Ob darunter, wie Ernst Maas aus
dessen Worten schließt, staatlich anerkannte Priester zu verstehen sind
oder, wie andere meinen, nur freie Priester oder „Sachverständige
in religiösen Angelegenheiten“, ohne feste Stellung an einem staatlich
anerkannten Heiligtum, das ist für unser Thema von geringem Be—
lang. Übrigens bemerkt Grote? sehr richtig, daß das Ansehen dieser
Priester und der Zulauf zu den Musterien gewöhnlich in Seiten der
Not, von Epidemien und sonstigen allgemeinen Bedrängnissen, religiösen
Angsten und Befürchtungen entstehen oder zunehmen. ähnliches ge⸗—
chieht auch wohl jetzt nach dem Sprichwort: Not lehrt beten. Und
wo man mit dem anerkannten und staatlichen Glauben nicht aus—
reicht, aimmt man zum Aberglauben seine Suflucht.
Andererseits scheint mir Rohde zu weit zu gehen, wenn er den
Mysterien jede sittliche Wirkung, ja selbst den Versuch zu einer solchen
abspricht. Es ist auch nicht zu ersehen, woher er so sicher wußte,
daß man von ihnen „keine UAufforderung zu veränderter Lebens⸗
ührung, keine neue und eigene Bestimmung der Gesinnung davon—⸗
trug, keine von der herkömmlichen abweichende Schätzung der Werte
des Lebens lernte“. Die Scheidung in Selige und Verdammte, sagt
er, wurde nicht nach Gut und Böse gemacht, nicht das bürgerliche
oder moralische, das geistliche Verdienst allein entschied. Und ferner:
„Eleusis weiht, mit einziger Ausnahme der Mordbefleckten, Griechen
aller Arten, ohne ihre Taten, ihr Leben oder gar ihren Charakter
zu prüfen“.“ Aber galt nicht vielleicht auch für die Hierophanten
4
2
Plato, Phädon 69 d. e.
Apollodorus II. 5, 12, Plutarch Theseus 16.
History of Greece ch. J. Bd. I. 25.
Psiche J. 299 300, 312, II. 125.
3
4
Dramatisches bei den Myisterien.
281
das Wort des Evangeliums: „Die Gesunden bedürfen keines Arztes,
sondern die Kranken. Ich bin gekommen, den Sünder zur Buße zu
rufen, nicht den Gerechten“.
Nur die Abkehr von allem, was in die Sterblichkeit und das
CLeibesleben verstrickt, Abwendung vom irdischen Sein selbst, Hin—
wendung zum Gotte, Askese ist die Grundbedingung des frommen
„orphischen“ Cebens, nach der HRuffassung Rohdes.
Gewiß hat sich auch hier von der ursprünglich reineren Lehre
bieles verflüchtigt; wie in andern Religionen haben Zeremonien,
Außerlichkeiten und materieller Kultus den sittlichen Kern verhüllt
und verunstaltet, physischen Handlungen wurde geistige Wirkung zu—
geschrieben, aber ein solcher Kern muß doch einmal vorhanden ge—
wesen sein.“
Ob bei den Myisterienkulten auch die Schrecken der Unterwelt
sichtbar dargestellt wurden, wie Anrich annimmt (S. 42), bleibt un⸗
zewiß. Die von ihm angeführte Stelle aus Arnobius scheint sich nur
auf die dort vorgetragene Lehre von der Seelenwanderung zu be⸗
ziehen. Doch vergleicht Celsus in seiner von Origenes bekämpften
schrift gegen das Christentum die Strafen der christlichen Hölle mit
den Darstellungen bei den bacchischen Mysterien. Und ähnliche, wenn
auch minder furchtbare, Darstellungen waren wohl auch bei den
eleusinischen üblich.
Auf die Parodie in Lukians Alexander von Abonoteichos ge—
tützt, vermutet Mommsen, daß bei den großen eleusinischen Muysterien
zzenen aus der Göttergeschichte dargestellt, heilige Kleinodien und
Götterbilder vorgezeigt und Erklärungen davon vorgetragen wurden.
Und wenn, meint Lobeck, bei diesen Musterien auch keine bestimmten
Angaben über das Jenseits von den hierophanten gemacht wurden,
so konnten die Eingeweihten doch aus den Hymnen, Mythen und
zZeremonien vieles darüber entnehmen.
Wie von den ägyptern, so wurden manchmal auch von den
Griechen schriftliche Formeln und Verse auf Metalltäfelchen den Toten
ins Grab mitgegeben, um sie über die Gefahren, die sie zu vermeiden,
den Weg, den sie in der Unterwelt zu gehen und die Urt, wie sie
sich dort zu benehmen haben, zu belehren. Solche Goldtäfelchen, die
man im Vergleich mit den ägyptischen Totenbüchern Miniaturführer
S. auch G. Wobbermin, Religionsgesch. Studien, S. 35-37, 50.
2 August Mommsen, Die Feste der Stadt Athen, S. 234-236; Cobeck,
Aglaoph., S. 72, 121, 123. —
282 Gewerbsmäßige Erlösung und Versicherung gegen Unterweltsleiden.
für die Unterwelt nennen könnte, sind in neuerer Seit in unter⸗
italischen und kretischen Grabstätten gefunden worden. Cine bei ihnen
vorkommende Formel lautet: „Zur Linken wirst du im hades eine
Quelle finden und daneben eine weiße Sypresse. Von dieser Quelle
halte dich fern. Du wirst aber eine zweite treffen, den See der
Mnemosyne, aus dem das kühle Wasser fließt. Zu ihren Wächtern
Pprich: «Ich bin ein Kind der Erde und des gestirnten Himmels, aber
mein Geschlecht stammt vom himmel; das wißt ihr ja auch selber.
Ich vertrockne und vergehe vor Durst. So reicht mir denn rasch
das kühle Wasser, das aus dem See der Mnemosyne fließt. Dann
werden sie dir selbst den Trank aus dem göttlichen Quell reichen
und dann wirst du als herrscher thronen mit den andern Seligen“
(eigentlich Mächtigen aͤvdeic).
fAuf einem in Rom 1899 gefundenen Goldblättchen lautet die
Aufschrift: „Cine Reine aus der Gemeinde der Gereinigten nahet die
Seele euch, Götter der Schatten, Persephone, Cukles, ECubuleus. Schaut,
der Mnemosyne Gabe (eben das mitgegebene, die Zugehörigkeit zur
orphischen Gemeinde bezeugende Blättchen) der Menschenbesungenen
besitze ich usw.“!
Die Musterien bahnten dem Christentum den Weg und waren
auf dieses von großem Einfluß. Das Christentum war in seiner
Jugend zum Teil eine Arkandisziplin, die nur Eingeweihten mitge—
teilt wurde. „In welchem Umfange die altorphischen Typen aus
himmel und Hölle die altchristliche Jenseitsschilderung beeinflußt haben,
das beginnen wir an der hand neuer Funde, auch längsterhaltener,
nur zu lange ignorierter Schriften allmählich zu ermessen“, sagt Ernst
Maas.?
Besonders große Bedeutung für die Lehre vom Jenseits hatten
die Mysterien und Weihungen bei den gnostischen Sekten. „Ohne die
Mysterien wird niemand in das Lichtreich gelangen“, heißt es in der
Pistis Sophia.
Die Einweihung schützt die Seele gegen die feindlichen Mächte
Erchonten) bei der Wanderung von der Erde zum CLichtreich. Kuch
kann der Gnostiker mit hilfe der Mysterien auch sündhaften Ver⸗
storbenen Erleichterungen verschaffen. Solcher Glaube und Geheimnis-⸗
tuerei blieben nicht auf die Gnostiker beschränkt, zum Teil wohl wegen
der Furcht von Verfolgungen durch die Heiden. „Vom vierten Jahr⸗
Hermann Diels, Ein orphischer Totenpaß. (Philotesia, Paul Kleinert
zum 70. Geburtstag dargebracht. Berlin 1907, s8. 41 -48.)
2 Orpheus, 5. 172.
Christliche Mysterien.
283
hundert ab. wird die Betrachtung des Glaubens unter dem Gesichts⸗
punkt des Muysteriums allgemein, Taufe und Abendmahl werden als
zultische Mysterien aufgefaßt und ausgestaltet“, physischen Handlungen
wird geistige Wirkung zugeschrieben. „Spätestens seit dem Ende des
zweiten Jahrhunderts ist die Arkandisziplin, teils aus pädagogischen
Gründen, teils nach heidnischem Muster, über die Sakramente (Taufe
und Abendmahl) gezogen worden; sie machte dieselben noch wichtiger
und eindrucksvoller.““
Ein großer Teil der Erzählungen von Erlösungen scheint heid⸗
nischen Wundergeschichten nachgebildet zu sein. Für Unterwelts—
schilderungen entlehnte man Vorstellungen und Namen aus dem
heidentum. Christliche Schriftsteller des Mittelalters, und noch Dante,
sprachen von hades und Tartarus, Phlegethon und Siyr; bei einer
Schaustellung in Reims erschien Cerberus neben Satan und Luzifer.
Wenn die Christen ihren Toten keine Assekuranztäfelchen und
Amulette ins Grab legten, so suchte man sie manchmal vor den Höllen—
qualen zu bewahren, indem man sie neben Märtyrern begrub. So
heißt es z. B. in einer homilie des Bischofs Maximus von Turin,
aus dem fünften Jahrhundert:
„Die neben heiligen Märtyrern ruhen entgehen der Finsternis der
hölle; .. wer sich den Märtyrern anschließt, bleibt nicht im Tartarus“.s
Auch wenn sich ein Laie in Möncheskleidung begraben ließ, scheint
es nur geschehen zu sein, um die unterweltlichen Teufel irrezuführen.
Man sagte auch, der hig. Franz von Assisi käme einmal im Jahre
ins Fegfeuer, um die zu erlösen, welche das Kleid seines Ordens
trugen; die Karmeliter aber sagten, die hlg. Jungfrau käme jeden
Freitag dahin und befreie die Träger der kastanienbraunen Uutten
und weißen Mäntel.“
Tine andere Erklärung dafür, daß man bei flüchtigem Besuch
der Hölle keine Bettelmönche dort wahrnehme, gab freilich der Büttel
1 G. Anrich, Das antike Musterienwesen in seinem Einfluß auf das
Christentum, S. 87-91, 105, 129; A. Harnack, Mission und Ausbreitung
des Christentums, S. 170; Über den Einfluß des Gnostizismus auf das
orthodoxe Christentum s. noch Renan, Marc-Aurèle ch. 8, s. 144- 145,
und über den Einfluß heidnischer Mysterien auf das Christentum: „Sakra⸗
mentalisches im Neuen Testament“ von H. Holtzmann in Archiv für Religions⸗
wissenschaft VII. 538 -69.
A. Maury, La Magie et l'Astrologie 167 - 169.
Cucius, Die Anfänge des Heiligenkultus, S. 305.
Scheible, Das Kloster VI. 850.
284 Gewerbsmäßige Erlösung und Versicherung gegen Unterweltsleiden.
in Chaucers Canterburn⸗Crzählungen. Sie seien da, sagte er, aber
der Erzsatan halte ihrer Millionen unter seinem Schwanz verborgen,
hebt er diesen in die Höhe, so schwärmen sie mit Gesumme und Ge—
räusch wie die Bienen heraus.
Abrigens hilft auch die Mönchskleidung nicht immer. So er—
zählt Cäsarius von Heisterbach, der Landgraf Ludwig von Thüringen,
der ein großer Sünder war, sei, trotzdem er sich in einem Cisterzienser⸗
habit hatte begraben lassen, in die hölle geworfen worden, wo ihm
sofort die Flammen aus Augen, Ohren, Nase und Mund heraus⸗
schossen.
Andererseits wurde aber einmal einem sehr frommen Mönch der
Eintritt ins Paradies nicht gestattet, weil er, in seiner Krankheit von
Fieberhitze arg gequält, sich vom Wärter hatte die Kutte ausziehen
jassen. Er wurde zwar von Engeln herausgetragen, aber als er
am Paradiesestor anlangte, fragte ihn der gerade als Pförtner fun—
zierende hlg. Benedikt, wer er sei. Cisterzienser, antwortete der Tote.
Glaub's nicht“, versetzte der heilige, „wärest du ein Mönch, so hättest
zu die Rutte an, in weltlichem Arbeitskleid darf man hier nicht ein—
treten“, und schlug ihm die Pforte vor der Nase zu. Der Abge—
wiesene schlich nun um die Mauer des Paradieses herum, schaute
durch ein Fenster hinein und erblickte einige ehrwürdige Greise, denen
er sein Leid klagte. Auf ihre Verwendung wurde ihm die Rückkehr
zur Erde gestattet. Er ging in sein Kloster, legte das Ordenskleid
an, starb zum zweitenmal und konnte endlich ins Paradies gelangen.
Der eben erwähnte Cäsarius, der uns auch diese Geschichte erzählt,
nennt als seinen Gewährsmann den Abt von Kiddagshausen, dem sie
der Prior des Klosters, in dem das Wunder geschehen ist, erzählte.
Und dieser hat sie vom zweimal Gestorbenen gehört.
Die vollständigste Ausbildung der Erlösungslehre und Technik
findet sich im Katholizismus des Mittelalters. Die Lehre, daß man
durch Geld Verzeihung für alle Sünden erlangen könne, hat, wie
Planck? meint, bei den germanischen Völkern um so leichter Anklang
gefunden, als sie ja auch gewohnt waren, ihre irdischen Vergehen
mit Geldstrafen zu büßen, wovon der Beschädigte einen Teil, der
Kichter den seinigen bekam. „Sie zweifelten daher desto weniger,
daß es der liebe Gott ebenso mit sich halten lassen würde.“ Und
1Dialogus miraculorum Dist. XII. 2, XI. 36.
Dr. G. J. Planck, Geschichte der christlich-kirchlichen Gesellschafts—
Verfassung, Hannover 1804, II. 199.
Bezahlte Erlösung und Fürbitte. 285
Mably sagt, man glaubte in jenen rohen Zeiten, daß Geiz die haupt⸗
sächlichste Cigenschaft Gottes sei und daß die heiligen mit ihrem Ein—
fluß bei ihm Handel treiben.“
In der Tat war dies aber, wie wir gesehen haben, kein speziell
christlicher oder mittelalterlicher Glaube, wenn auch die christliche
Geistlichkeit schon sehr früh ihn zu lehren und in Praxis zu bringen
begonnen hat. Natürlich konnte, sobald die Ewigkeit der Höllen—
strafen und die Unmöglichkeit der Erlösung aus denselben zum festen
Glauben geworden waren, es sich nur um Bewahrung vor Ver—
dammung zur Hölle oder um EAbkürzung des Aufenthalts im Feg⸗
feuer handeln.
Schon Origenes spricht von der Wirksamkeit des Gebets und der
Gaben für die Toten und beruft sich dabei auf die erwähnte Stelle
des Makkabäerbuches (oben S. 251). Der hlg. Johann Chrnsostomus
sagt, daß den Verstorbenen ein Weg des Heils durch das Meßopfer,
Hebet und Almosen bereitet wird.“ Der hlg. Augustinus schließt das
neunte Buch seiner Bekenntnisse mit einem heißen Gebet für das
Seelenheil seiner Mutter und bittet Gott, er möge auch andere be⸗
wegen für sie zu beten, was doch eigentlich ein Umweg ist.
Auf Augustinus beruft sich auch der römische Ratechismus, wenn
er die Notwendigkeit der Fürsprache der Heiligen lehrt, „da Gott
biele Sachen nicht verwillige, es sei denn, daß ein Mittler und Für—
sprecher dazu komme und das Begehren mit seiner Hilfe unter⸗
stütze“.*
Das allerwirksamste Mittel zur Erlösung der armen Seelen aus
dem Fegfeuer ist aber das Meßopfer des Priesters, was auch von
dem Konzil von Trient als apostolische Tradition erklärt wurde.“
Pesonders gilt dies, nach Thomas von Aquino, von der Requiem—
Messe, „weil sie nicht bloß Opfer, sondern zugleich von Gebeten be⸗
gleitet ist, die von der Kirche eigens zum Troste der armen Seelen
bestimmt, spezielle Früchte für diese im Gefolge haben“.“
In der Erläuterung des römischen Katechismus“ wird auch den
Seelsorgern empfohlen zu lehren, „daß das Meßopfer so kräftig sei,
1 G. Mably, Observations sur l'histoire de la France I. 4.
Homilie 21, 41, 69 bei Wetzer und Welte III. 932.
Erklärung zu Kap. II. 13.
Pro defunctis in Christo nondum ad plenum purgatis rite juxta
Apostolorum traditionam offertur. (Sessio XXII. art. 2.)
Bautz, Fegfeuer, S. 211.
Teil II. Kap. 4 879.
4
286 Gewerbsmäßige Erlösung und Versicherung gegen Unterweltsleiden.
daß es nicht allein demjenigen nützlich ist, der es aufopfert und ge—
nießt, sondern auch allen Gläubigen, sie mögen nun noch mit uns
auf Erden leben oder bereits in dem herrn gestorben sein und etwa
sich noch nicht gänzlich ausgesöhnt haben“.
Ein katholischer Geistlicher empfiehlt, wenn Tote aus dem Feg-—
feuer Lebenden erscheinen und um Gebete für ihre Erlösung bitten,
ihren Wunsch schleunigst zu erfüllen, da sie ihnen sicherlich sehr nützlich
sein werden. Und selbst wenn die arme Seele in einer zweiten Er—
scheinung anzeigen sollte, daß sie schon erlöst sei, können die Gebete
mit der Meinung (Absicht) fortgesetzt werden: „wenn die Seele des
Hebets nicht mehr bedürfe, so möge Gott das Fürbittgebet für die—
selbe einer andern armen Seele oder den armen Seelen überhaupt
zuwenden“.
Der Wein beim Meßopfer für den Toten darf aber nicht sauer
ein, weil solcher dem Verstorbenen schadet. Wie nämlich Bischof
Gregor von Tours erzählt, hatte ein kinderloses Chepaar in CLyon
jein Vermögen der Kirche vermacht. Nach dem Tode des Mannes
ließ die Witwe ein ganzes Jahr lang täglich die Messe für ihn lesen,
wozu sie guten Wein lieferte. Der Subdiakonus behielt aber den
Wein für sich und tat Essig in den Abendmahlskelch. Da erschien
der Verstorbene der Witwe und klagte: „Habe ich darum mein ganzes
Leben schwer gearbeitet, um jetzt Essig zu trinken?“ — Die Frau begab
sich nun in die Kirche und kostete selbst vom Wein, „der so sauer
war, daß sie glaubte, er reiße ihr die Zähne heraus“. Der Sub⸗—
diakonus, von ihr zu Rede gestellt, gestand und leistete Ersatz.?
Wie man daraus ersieht, muß es dem Manne im Fegfeuer sonst
anicht schlecht ergangen sein, andernfalls hätte er über Schmerzlicheres
als sauren Wein geklagt.
Tinen ähnlichen Fall, der seinem Großvater Rabbi Daniel
Proßnitz in Preßburg vorgekommen, erzählt dessen Enkel R. Daniel
zteinschneider in seiner 1881 in Preßburg erschienenen Schrift Dan
Medaniel: Als eines Samstags der Rabbi sein Mittagsschläfchen hielt,
erschien ihm im Traum eine vor kurzer ZSeit gestorbene Frau, die
sich bitter darüber beklagte, daß der Tempeldiener, dem sie kurz vor
ihrem Ableben einen Geldbetrag übergeben hatte damit er dafür
während des Trauerjahrs täglich den Kaddisch für sie rezitiere, seine
P. J. Schweizer, in Theol. prakt. Quartalschrift, Jahrgang 61, 8. 126.
2In confessorum gloria cap. 64; Gregorii Turonensis Opera in
Monumenta Germ. hist. Scriptores rerum Meroving. J. p. 786.
Der ungetreue Tempeldiener. Furchteinjagende Schilderungen. 287
Pflicht nicht erfülle. Sie bitte daher den Kabbi, er möge den Schul—⸗
digen zur treuen Erfüllung seiner übernommenen Verpflichtung er—⸗
mahnen, was der fromme Mann ihr im Traume versprach. Und gerade
als er erwachte, stellte sich bei ihm der Tempeldiener ein, um ihn zum
Gebet in den Tempel zu rufen. Dem machte nun der Rabbi schwere
Vorwürfe über seine Gewissenlosigkeit und die Verletzung der gegen
die Verstorbene übernommenen Verpflichtung. Der bestürzte Tempel⸗
diener bekannte reumütig seine Schuld und versprach, fortan seine
pflicht zu erfüllen.“
Die russisch⸗griechische Kirche, welche keinen Mittelzustand zwischen
zeligen und Verdammten (Fegfeuer) annimmt, lehrt die Möglichkeit
einer Erlösung aus der Hölle, freilich nicht durch Buße und Reue
der Sünder, sondern „nur durch die hlg. Messengebete und Almosen,
die für sie von den Lebenden geschehen. Diese nützen ihnen am
meisten und befreien sie aus den Banden der hölle.“⸗
Wie bereits erwähnt wurde, haben die Priester mancher Reli—
gionen das Bedürfnis der Gläubigen nach ihren Schutz- und Erlösungs—
—
steigern sich bemüht. Dazu dienten auch Abbildungen und dramatische
Vorstellungen.
In ägypten findet man solche Darstellungen in Tempeln und
Grabkammern skulptiert und gemalt in den sogenannten Totenbüchern
Schat⸗ am⸗Tuat), einer Art von illustrierten Keisehandbüchern für die
Unterwelt, mit Gebeten, Hymnen und Saubersprüchen. In Griechen⸗
land haben vielleicht des Polygnotos die Unterwelt darstellenden
Gemälde in der Lesche zu Delphi und des Malers Nikias Dar—
stellung nach Homers Nekromantie zu Athen (nach Plinius XXXV. 40)
diesen Zweck gehabt.
Von vielen die Unterwelt darstellenden Gemälden ist auch in den
Captivi des Plautus (V. 4) die Rede, und eine theatralische Vor—
stellung der höllenqualen durch äügypter und äthiopier erwähnt
Suetonius in seiner Biographie des Caligula. Nach Spaͤrtianus ließ
Kaiser hadrian in seiner Villa zu Tibur eine Unterwelt malen.
Ein eigentümliches Mittel zur Erlösung der im blutigen Teich
der Hölle Schmachtenden wird von chinesischen Buddhisten durch Auf⸗
richtung eines die Hölle darstellenden Gerüstes angewendet. Unter
allerlei von den Leidtragenden und Priestern verrichteten Gebeten
Nach Mitteilung des Rabbiners Dr. A. Friedmann in Dr. Blochs
Hsterreichischer Wochenschrift vom 17. Juli 1908, 1. 519.
2 Liber symbolicus Russorum, Antwort auf Srage 64.
288 Gewerbsmäßige Erlösung und Versicherung gegen Unterweltsleiden.
und Zeremonien, wobei letztere eine vom Höllenfürsten selbst dem
Maudgalyayana gelehrte Sormel vielmals wiederholen, wird die
Feele aus dem Blutteich gerettet. Auch wird die Keise dieses Maud⸗
galyayana durch die hölle in Amony als Schauspiel aufgeführt, wobei
alle Hhöllenqualen zur Darstellung gelangen.“
In Siam malen vorzüglich Chinesen die buddhistischen Tempel
mit oft lasziven Darstellungen der Strafen und Belohnungen im
Jenseits aus.
Sehr häufig waren Darstellungen der Hölle in den mittelalter⸗
lichen Mirakelspielen. Eine derartige Vorstellung auf dem Arno in
Zarken und auf der Carrajabrücke zu Slorenz 1304 beschreibt Johann
billani in seiner Chronik. Sie hatte aber einen traurigen Ausgang,
da die Brücke einstürzte und viele Menschen ertranken. „llus dem
Spiel ward Ernst und viele konnten nun selbst genau erfahren, wie
es in der Unterwelt zugeht“, bemerkt dazu der Chronist.
Darstellungen von Hölle oder Segfeuer mit den in den Flammen
zappelnden „armen Seelen“ kann man auch jetzt in katholischen
Ländern nicht selten in Kirchen und an öffentlichen Straßen auf dem
Cande sehen. In einer Dorfkirche im russischen Gouvernement Kursk
findet sich ein Gemälde der Hölle, wo Graf Leo Tolstoi in einem
großen Kessel, unter dem ein lustiges Feuer brennt, gesotten wird,
während die greulichsten Teufel ihn umtanzen.“
Damit ist bewiesen, daß, wenn nicht die Hölle selbst, jedenfalls der
Glaube an sie noch recht heiß ist.
1 De Groot in Actes du Congrès 74-75, 111.
Ratzel II. 619.
Frankfurter Zeitung vom 2. Febr. 1906.
2
D
00
c
)
6
Personenregister.
A.
Abbadon 103, 104.
Abba Gorion 135.
Abraham, Patriarch 41, 68, 85, 116,
118.
Absalom 88, 154, 168, 252.
Abuja 168.
Achelaus 138.
Achilles 94, 162, 212.
Adam 137, 238.
Adamnan 61.
Admetus 243.
Adonis 246.
Aeakos 73, 125-29.
Aeneas 88, 65, 69, 72, 94, 95,
148, 164, 218, 232, 241.
Aeschylos 33, 40, 45, 49, 67, 122,
124, 163, 207, 228, 231.
Agni 42, 227.
Ahab 168.
Ahura Mazda 278.
Aidoneus 73, 248.
Akastus 138.
Akiba 201, 254, 257.
Alberich 15, 61, 137, 153, 156, 202.
Albo, Joseph 37.
Alexander VI. 18.
Alfred, König 241.
Alkestis 43, 48, 52, 243, 244.
Allatu 245.
Ambrosius, heil. 218, 264.
Anrich, G. 281.
Ansellus 271.
Candau, Hölle und FSegfeuer.
Antäus 102.
Antinous 50.
Antoninus, Kaiser 259.
Antonius Diogenes 63.
Antonius, heil. 9, 257.
Anubis 73, 111.
Apollodorus 70, 73, 163, 164,
244, 247.
Apollonius, Rhodius 163.
Apulejus 121, 122.
Arda Viraf 6, 46, 84, 185, 141,
145, 149 - 153, 155, 157, 160.
Aristides 247.
Aristophanes 45, 51, 52, 54, 70,
71, 74, 126, 207, 233, 279.
Arnobius 175, 281.
Asklepios 247.
Athanasius, heil. 230.
Athene 70.
Atossa 231, 232.
Augustinus, heil. 36, 97, 138, 1483,
175, 190, 196, 218, 233, 236, 285.
Avesta 46.
B.
Babrius 122.
Bacchus s. Dionysus.
Bacher, Dr. M. 259.
Baldur 248.
Bautz, Dr. Jos. 29, 66, 100, 139,
160, 171, 176, 177, 184, 1885,
190, 196, 198.
Personenregister.
Beauvais, Vincenz von, 16, 160,
170, 190.
Beda 10, 11, 117.
Beer, G. 7, 86.
Bellarmino, Kard. 184.
Bernold 18.
Bernhard, heil. 190, 198.
Bibi, Rabbi 236.
Bileam 233.
Bion 246.
Boccaccio, G. 20, 51, 236.
Bochari 119, 136, 184, 260.
Bonifatius, heil. 11.
Bonwetsch, N. 7.
Borberg, K. F. 265, 268.
Brandes, h. 9.
Briareus 10o2.
Browne, Th. 137, 179.
Brutus 102, 152, 214.
Brückner, A. 142.
Buber, S. 3.
Buckle, h. Th. 161.
Buddha 237.
Bugge, Dr. S. 47, 75.
290
Thrysippus 51.
Chrysostomus, heil. Johann 68,
264, 285.
Cicero 1, 5, 84, 37, 51, 126, 128,
178, 253.
Claudianus 49,74 129, 144, 182,238.
Claudius, Kaiser 128.
Colautti, A. 169.
Commodus, Kaiser 233.
Cornelia 229.
Tyrill, Bischof 267.
D.
Dahn, Fr. 209.
Damokles 166.
Danaiden 163, 166, 182, 240.
Dante 6, 9, 15, 17, 22, 29, 33, 55,
69, 82, 84, 95, 101, 103, 107,
128, 129, 137, 141, 143, 145,
147, 148, 150- 153, 157, 158,
169, 171, 184, 196, 200, 203,
245, 253, 258, 272, 283.
David, König 85, 88, 252.
Delepierre, Oct. 17, 100.
Delitzsch, Fr. 25.
Demeter 88, 237, 238.
Denis, heil. 114.
Dietrich, A. 63, 106.
Dillmann 7.
Diodor von Sizilien 50, 65, 112,
163, 239, 278.
Dio Cassius 233.
Diogenes Laertius 531.
Diomed 102.
Dionysus (Bacchus) 65, 71, 92, 287.
Drelincourt, Ch. 176.
Drexel, Jesuit 98.
Dryhthelm 10.
Dumuzi 245ff.
C.
Cabala und Cyama 77.
CTacus 102.
Täsar, Julius 83, 112.
Täsarius von Heisterbach 15, 16,
33, 160, 234, 249, 258, 284.
Calderon 19, 62.
Taligula 208, 287.
Tamera, M. 55.
Caracalla 233.
Tassius 102, 152.
Tato 69.
Terberus s. Kerberos.
Teres, s. Demeter.
Thampollion der Jüngere 111.
CTharon 45, 46, 54, 94, 102, 107, 229.
Thaucer, G. 284.
Thateaubriand 170.
E.
abani 231.
Ebert, Ad. 20.
Personenregister.
291
klektra 128.
Zlieser b. Jakob 118, 161, 168.
Elias, heil. 55.
Emanuele von Rom 169.
Sphialtes 102.
Tpikur 253.
Tpiphanius 50, 264.
Er 5, 168.
Erebus 51.
Erischkigal 79, 245.
Esra 23, 174.
Eteokles 49.
Cucher, Bischof 12.
Zuripides 51, 52, 73, 122, 2183,
238, 243.
Turnydike 93, 240.
Turynomos 43.
Tusebius 68, 264.
Eva 238.
Tzechiel 34, 86, 246.
Hebhardt, O. 9.
Herhard, E. 95.
Gertrude, heil. 199.
Hervasius v. Tilburn 68.
GHeryon 70, 102.
Geta 233.
Giacomino v.Verona 101, 144, 171.
Gilgamesch 38, 231.
Fodeskalk 15, 40, 63.
Boethe 92, 166, 226, 231, 272.
hregor, Papst 1, 41, 60, 66, 97,
138, 175, 190, 196, 199, 202,
234, 288, 268.
GHregor von Nazianz 196.
von Nussa 196.
„von Tours 6l, 286.
Gregorovius, G. 50.
Grimm, Jak. 45, 46.
Brote, h. 128, 280.
Gruppe, O. 49, 73, 91, 105, 242.
F.
Feer, Leon 4, 81.
Fenelon 28.
Feuerbach, L. 24.
Fielding, H. 169.
Franziska v. d. s Wunden 1883, 185.
Franz von Assisi 283.
Fraser, J. G. 43, 218.
Frezzi, F. 202, 272.
Friedmann, M. 3.
Froissart, J. 18.
Fulgentius 43, 202, 244.
Furniss, J. 203.
Furseus 11.
Furtwängler, W. 52, 53.
i
hades 42, 438.
hadrian, Kaiser 50, 287.
q̃ai Gaon 252.
haito 11.
Zanusch, J. 142.
Jarnack, A. 198, 267.
Hebert, Abbé 176.
heine, h. 2, 55.
Heisterbach s. Cäsarius.
hekatäus von Milet 73.
hekate 66.
Helbig, W. 217.
helena 126.
heliogabal 188.
Zenne am Riyn 56.
Hennecke, E. 104.
henoch 7.
herakles 65, 70, 71, 73, 93, 127,
244, 247, 280.
herbig, Dr. G. 48.
qerder, J. G. 24, 44, 71, 169, 270.
G.
Gabriel, Engel 113, 183, 257.
Galilei, G. 97.
Hamaliel, Rabbi 201.
Harm, hund 75.
Gaster, M. 270.
q*
292
Personenregister.
Heriger von Mainz 20.
hermas-Pastor 195, 266.
hermes 44, 45, 52, 53, 70, 78,
—113, 237.
herodes 1383.
herodot 125, 218, 233, 239, 261,
279.
hesiod 21, 31, 43, 70, 71, 91, 92,
121, 123, 232, 238.
hieronnmus, heil. 264.
hinkmar, Erzbischof 13.
Hoffmann, A. G. 7.
holtzmann, H. 267.
homer 1, 21, 31, 44, 51, 64, 70,
J1, 231, 238, 279.
Honorius, Augustod. 184.
horaz 44,71, 72, 127, 168, 282, 248.
hull, El. 83.
Iyginus 51, 163, 165, 166, 239.
Jesus Christus 28, 183, 262ff.
Jochanan, Rabbi 116.
Johannes de Janua 199.
d. Täufer 138, 183, 266.
Jose b. Chanina 116, 151.
Josephus Slavius 174, 217.
Josua b. Levn 88, 99, 148.
Jotham 259.
Jubainville, Arbois de 88.
Judas 102, 152.
Jupiter s. Seus.
Justinian, Kaiser 175.
Justin Martyr 136, 263.
Juvenal 37, 54.
K.
Kaleb 229.
Nanghi, Raiser 212.
Narl der Dicke 14.
„der Große 12, 114, 147, 152.
AMarl Martell 183.
Kerberos 69-274, 103, 158, 162,
229, 248, 2883.
ing, Erzbischof 177.
ding, W. 79.
lopstock 22, 69, 103, 104, 121, 272.
Konfuzius 25, 212.
König, J. C. 263.
ANöppen, C. S. 276.
Korah 85, 168, 251.
Aronos 43.
Kuhn, Adalbert 75.
J.
Ilai, Kabbi 179.
Irenäus, heil. 175, 263.
Irmgard, Raiserin 12.
Isaak, Patriarch 116.
Isidor v. Sevilla 202.
Is mail, Rabbi 88.
Isokrates 126.
Istar 245.
Ixion 133, 163, 166, 240.
JIzanami 242.
Jakob von Compostella 114.
von Genua 18.
„Patriarch 194.
Jastrow, M. 839.
Jehuda ha Nasi 226, 259.
Jellinek, Dr. A. 3.
Jeremias, Professor 79, 86.
F Prophet 35, 86, 107, 229.
Jerobeam 168.
Jesaias, Prophet 86, 87, 168, 227.
J.
L.
Cactantius 175, 213, 268.
Caodamia 244.
Caurence, R. 7.
Tazarus 8, 187, 189.
Leibniz, G. W. 178.
Cessing, G. E. 44, 173, 178, 208.
Teß, Leonhard 99, 192.
Cindmayr, M. A. 185.
Cobeck, Ch. A. 21, 281.
7
Personenregister.
293
Combardus, Petrus 193.
Cothar, Kaiser 12, 14.
Cucanus 74, 83, 129, 232.
cucretius 37, 86, 164, 166, 169.
Cudwig, Kaiser 12.
der Deutsche 14.
F von Thüringen 249, 284.
Cukian 6, 20, 25, 37, 45, 52, 66,
71, 105, 122, 126, 141, 162, 169,
218, 232, 235, 281.
cungo, Isidoro del 169.
Cuzifer 101, 102, 170, 261, 283.
Meyer, Arnold 4, 210, 267.
michael, Engel 41, 68, 118, 114, 183.
Michelangelo (Buonarotti) 54, 129.
Mickiewicz, Adam 219.
Milton, John 22, 69, 108, 107.
Milu 24, 243.
Minos 123, 125, 126, 127, 129.
Minotaurus 102.
Minutius Felix 174.
Mirjam 236.
Mithra 858, 227.
Mogilas, Metropolit 269.
Mohammed 6, 26, 28, 46, 101,
136, 150, 160, 192.
Moses 4, 251l.
Mu⸗Nong 212.
Müller, Max 30.
Mufäus 279.
M.
Maas, E. 241, 280, 282.
Macrobius 6, 48, 106, 107, 178, 214.
Maimonides 37.
Mmakkabäus, Judas 251.
Ma-Kong, Kaiser 212.
Mandeville, Joh. 68.
Mandgalyayana 236, 288.
Mantus 95.
Manu 8, 134, 140, 145, 153, 194, 223.
Manzoli, P. A. 98, 129.
Marcion 260.
Maria, h. Jungfrau 183, 261.
Marie de France 19.
Markus, Evang. 96.
Marlowe, Chr. 179.
Martha 47.
Matthäus, Evang. 96.
Maury, Alf. 263, 265.
Maximus, Bischof 283.
Manyer⸗Bergwald, Anna 114.
Mechthilde v. Magdeburg 199.
Mehemed Ali 218.
Meli, Giov. 32.
Melissa 217.
Mencius 25.
Menelaus 116.
Merkur s. Hermes.
Merx, A. 267.
Mew, J. 8, 100.
A.
Nathan, Rabbi 233.
slebuchadnezar 168.
Hergal 79, 231.
Nero, Kaiser 233.
Nessus a94.
Newman, Kardinal 184.
Nikias, Maler 287.
Nikodemus 263.
Nikolaus, heil. 55.
Nimrod 102, 171.
Norden, E. 74.
Novakovic 7.
M.
HPdilo, Abt 224.
Ddnsseus 64, 102, 231, 281.
Dknos 163.
Dldenberg, H. 4, 21, 109, 193, 241.
ODmar, Chajam 179.
Orcus 42, 48, 47.
Drestes 138, 178, 207, 228.
Hrigenes 1, 28, 175, 179, 196,
230, 285.
Personenregister.
Orpheus 65, 182,239, 240 - 42, 279. Pluto 65, 74, 88, 91-8, 101 -8,
Orthros 70, 73. 122-3, 125, 182, 235, 237 - 8.
Msiris 110- 112, 133. Polites 206, 210.
Othloh 10, 119, 160, 249, 250. Polngnotos 48, 52, 168, 164, 248, 287.
Hvid 163, 182, 221, 238, 239. Polynikes 49.
Polyxena 212.
Popos 7.
Preller, C. 43, 65, 91, 93, 164, 167.
Pretas 159, 171.
Properz 54, 127, 128, 173.
Proßnitz, D. 286.
Protesilaus 126, 244.
Prudentius, Aurelius 118, 189.
Psyche 65, 72.
Puschan 42.
Pythagoras 66.
294
Palingenius, s. Manzoli.
—XWl
dallas 213.
HDaris 126.
Daris, Matthäus 14, 15, 17.
Pascal, B. 29.
Paschasius 138.
Patricius, heil. 174 19, 62.
Patroklus 212.
Paulus, Apostel 9, 61, 114, 117, 137.
Pausanias 32, 33, 51, 532, 65, 74,
95, 163, 165, 166, 233, 237, 280.
Peleus 138.
Periander 217.
Perpetua 202.
Persephone 48, 44, 65, 72, 74,
)2-93, 122, 182, 229, 237 -8,
247, 261, 282.
Petrus, Apostel 8, 69, 202, 261.
pfizmaier, Dr. 2438.
Phlegyas 102, 133, 171.
Phöbus 44.
Pindar 1, 48, 71, 124, 165, 238.
Pirithous 73, 247.
Pius, Papst 197, 268.
Planck, G. J. 284.
Plato 1, 5, 20, 32, 41, 66, 108,
118, 121, 124- 126, 128, 130,
162, 163, 168, 173, 187, 194,
207, 242, 244, 247, 248, 279.
Plautus 122, 208, 222, 287.
Plinius d. J. 208.
„Secundus 222.
Plutarch 5, 17, 21, 34, 73, 128,
141, 148, 151, 152, 156, 162,
173, 187, 195, 218, 235, 248.
R.
Rà (Ammon) 78, 110, 133, 172, 180,
265, 277.
Kabelais, Fr. 20, 169.
kama 58.
Kaoul de houdan 118.
Kaschen 58.
Kaschi 259.
Katzel, Dr. Fr. 39.
kayendralala Mitra 77.
Reinach, Salomon 167, 255, 279.
Kenan, E. 35.
khadamanthys 124-127.
khampsinit 261.
Khys, John 83.
Kochefoucauld, Fr. de 186.
Kohde, Erwin 37, 45, 55, 128,
127, 133, 167, 168, 207, 231,
253, 280.
Kückert, Fr. 57.
Kunze, Dr. G. 23.
Rusca, Dr. 67, 100, 139, 171, 199.
5.
Salmoneus 164.
Ssamuel, Prophet 85, 232.
Personenregister.
295
Samuel, Rabbi 143.
Satan 103, 283.
Saul, König 232.,
Scartazzini, J. A. 141.
Scherman, Lucian 4, 77, 80, 109.
schiller, Fr. 38.
Schilo, Rabbi 120.
Schi⸗Wang, Kaiser 214.
Schliemann, Heinrich 217.
Schmidt, Erich 178.
Schweizer, Dr. Jos. 250.
Scipio 5, 169.
Scotus, J. Erigena 179.
Semele 65, 71, 237.
Seneca 6, 21, 37, 53, 67, 71, 107,
128, 163, 166, 187, 232.
Serasch 58.
Servius 51, 53, 106, 122.
Sshakespeare, W. 185, 208.
Ssilius Italicus 66, 105, 124, 129,
169, 232.
Simon ben Chalafta 42.
ben Jochai 259.
ben Lakisch 252.
„der Gerechte 36.
ssimrock, Karl 75, 106, 140.
ssisyphus 127, 133, 164 - 167, 182,
240, 244.
Siwa 260.
Söderblom, Nathan 59, 278.
Sokrates 168.
Solon 33, 2183.
Sophokles 1, 31, 32, 45, 73, 207,
288, 279.
Sostrates 126.
sSozomenus 9.
Spieß, Edw. 97.
jsrawscha 58.
statius, Publ. Pap. 21, 71, 72, 74,
124, 129, 223, 229.
Stefler, Johann 177.
Steinschneider, Daniel 286.
Stengel, Dr. P. 231.
ztephanus, Presbyter 234.
Strabo, Geograph 65, 216, 274.
„ Walafried 11.
strauß und Torney 110.
suetonius 233, 287.
swedenborg, Emanuel 19, 104.
zwinden, M. 98.
T.
Tacitus 106.
Tai⸗Tsang, Kaiser 58, 235.
Tantalus 183, 165, 166, 182, 282,240.
Tasso, Corquato 22, 102.
Tatian 175.
Tavernier, J. B. 216.
Tennyson, Alfred 8.
Tertullianus 175, 188, 864.
Thanatos 40, 48, 47.
Theodorich 66.
Theognis 33.
Theseus 71, 247.
Thespesios 5, 148, 187, 235.
Thomas von Aquino 1, 176, 177,
191, 198, 203, 258, 285.
Thot 111.
Thurcill 15, 62, 114, 153.
Tiberius, Kaiser 137.
Tibull 45, 71, 92, 162, 168, 166.
Tiele, C. P. 46, 232.
Tiresias 231.
Tischendorf, Konst. 9, 2685.
Tisiphone 95, 127, 142.
Titus, Kaiser 233.
Tityus 133, 164, 166, 167, 182.
Todesengel 40, 41, 42, 236.
Tolstoi, Graf CLeo 288.
Trajan, Kaiser 258.
Triptolemus 126.
Trophonius 72.
Tschi⸗Wei 215.
Tuchulcha 48.
Tullia d'Aragona 19.
Tundal 16, 62, 101, 105.
296
Hersonenregister.
Turpin, Erzbischof 12.
Tylor, E. B. 204, 274.
Wallis Budge 78, 86, 167, 277.
Waser, Otto 48, 51.
Westcott, Dr. 269.
Wetti 12.
Whiston, William 98.
Wieland, Ch. M. 122, 180.
Wier, Joh. 99.
Willibald 62.
Wissowa, G. 91.
Wu, Kaiser 214.
Wundt, Wilh. 31.
Wünsche, Dr. August 9.
Wuttke, K. Fr. 55, 241.
u.
UÜUbell, Dr. h. 44.
Ugolino 103, 152.
Unas, König 112.
Uener, H. in Vorwort.
D.
Valerius Flaccus 124, 142, 207.
Dalladier, Pater 198.
Oaruna 227, 234.
Villani, Johann 288.
Vipacit 181.
Virgil 1, 6, 20, 21, 87, 38, 43, 53,
55, 65, 72, 74, 94, 95, 102, 124,
127, 150, 161, 162, 168, 195,
200, 213, 222, 282, 233, 238,
289, 242, 253.
ODirginia 207.
Dizarescha 42, 46, 38.
Doltaire 208.
Oyasa 231.
.
HYama 39, 42, 76, 77, 80, 109, 124,
181, 285, 260, 276.
3.
Zagreus 92.
Zarathustra 31, 278.
Zenobius 123.
Seus 44, 91, 113, 123, 125, 132, 165.
zimmer, H. 80.
zunz, Dr. C. 3.
W.
Wakea 24, 243.
Walküren 45, 46.
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C. F. Wintersche Buchdruckerei.
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