Deutsche Sagen
Gesammelt durch die
Brüder Grimm
Zweiter Band
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München und Leipzt
bei Georg endo
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Deutsche Sagen
Neu herausgegeben und mit einem Nachwort
versehen von Hanns Floerke
Zweiter Band
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DeutscheSagen
Gesammell durch die
Bruͤder Grimm
Zweiter Teil
München und Leipzig bei Georg Müller
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183
M 365, 1
Druck der Spamerschen Buchdruckerei in Leipzig
Vorrede.
Eine Zusammenstellung der deutschen Sagen, welche
vorliegenden Band ausmachen, und sich unmittelbar an
die wirkliche Geschichte schließen, ist unseres Wissens noch
nicht unternommen worden, und deswegen vielleicht ver⸗
dienstlicher, aber auch mühsamer. Nicht allein haben die
hauptsächlichsten gedruckten Geschichtsbücher und Chro—
niken durchlesen werden müssen, sondern es ist uns noch viel
angelegener gewesen, handschriftliche Hilfsmittel, so viel
wir deren habhaft werden können, sorgfältig zu gebrauchen.
Die wenigsten der hier mitgeteilten Erzählungen waren
aus mündlicher Uberlieferung zu schöpfen; auch darin
unterscheiden sie sich von den örtlichen, welche in umge⸗
kehrtem Verhältnisse gerade ihrer lebendigen Fortpflanzung
unter dem Volke zu verdanken sind. Nur zuweilen be—
rührt sich noch das, was die Lokalsage bedingt, mit der
historischen Anknüpfung; für sich betrachtet, gibt ihr jenes
einen stärkeren Hält, und um die seltsame Bildung eines
Felsens sammelt sich die Sage dauernder, als um den
Ruhm selbst der edelsten Geschlechter. UÜber das Ver—
hältnis der Geschichte zur Sage haben wir uns bereits
im allgemeinen erklärt, so gut es, ohne in die noch vor—
behaltene Untersuchung und Ausführung des Einzelnen
einzugehen, geschehen konnte. In bezug auf das Eigen⸗
tümliche der gegenwärtigen, die man Skamm und
VI
Vorrede.
Geschlechtssagen nennen könnte, läßt sich hinzufügen,
daß sie wenig wirkliche und urkundliche Begebenheiten
enthalten mögen. Man kann der gewöhnlichen Behand—
lung unserer Geschichte zwei, und auf den ersten Schein sich
widersprechende Vorwürfe machen: daß sie zu viel und
zu wenig non der Sage gehalten habe. Während gewisse
Umstände, die dem reinen Elemente der letzteren ange—
hören, in die Reihe wirklicher Ereignisse eingelassen
wurden, pflegte man andere ganz gleichartige schnöde zu
verwerfen, als fade Mönchserdichtungen und Gespinnste
müßiger Leute. Man verkannte also die eigenen Gesetze
der Sage, indem man ihr bald eine irdische Wahrheit
gab, die sie nicht hat, bald die geistige Wahrheit, worin
ihr Wesen besteht, ableugnete und sich, gleich jenen
Herulern, als sie durch blaublühenden Lein schwimmen
wollten, etwas zu widerlegen anschickte, was in ganz
verschiedenem Sinn behauptet werden mußte. Denn die
Sage geht mit andern Schritten und sieht mit andern
Augen, als die Geschichte tut; es fehlt ihr ein gewisser
Beischmack des Leiblichen, oder, wenn man lieber will,
des Menschlichen, wodurch diese so mächtig und ergreifend
auf uns wirkt*); vielmehr weiß sie alle Verhältnisse zu
einer epischen Lauterkeit zu sammeln und wieder zu ge—
bären. Es ist aber sicher jedem Volke zu gönnen und
*) Nur wenigen Schriftstellern des Mittelalters ist die Aus—
führlichkeit, wonach in der Geschichte unser Herz begehrt, eigen,
wie dem Eckhart von S. Gallen oder dem, der uns die rührende
Stelle von Kaiser Otto und den Tränen seiner Mutter auf—
behalten (vita Mathildis bei Leibnitz I, 205). Dergleichen steht
jede Sage nach, wie der Tugend des wirklichen Lebens jede
Tugend der Poesie.
Vorrede.
VII
als edle Eigenschaft anzurechnen, wenn der Tag seiner
Geschichte eine Morgen- und Abenddämmerung der
Sage hat; oder wenn die menschlicher Augenschwäche
doch nie ganz ersehbare Gewißheit der vergangenen
Dinge, statt der schroffen, farblosen und sich oft ber⸗
wischenden Mühe der Wissenschaft, sie zu erreichen, in den
einfachen und klaren Bildern der Sage — wer sagt er
aus, durch welches Wunder? — gebrochen, widerscheinen
kann. Alles, was dazwischen liegt, den unschuldigen
Begriff der dem Volke gemütlichen Sage verschmäht,
zu der strengen und trockenen Erforschung der Wahrheit
aber doch keinen rechten Mut faßt, das ist der Welt
jederzeit am unnützesten gewesen.
Was unsere Sammlung jetzt noch enthalten kann,
kündigt sich deutlich als bloße, oft ganz magere und
bröckelhafte Überbleibsel von dem großen Schatze uralter
deutscher Volksdichtung an; wie die ungleich zahlreichere
und besser gepflegte Menge schriftlicher und mündlicher
Überlieferungen des nordischen Stammes beweist. Die
Unstätigkeit der meisten übrigen Völkerschaften, Kriege,
teilweiser Untergang und Vermengung mit Fremden
haben die Lieder und Sagen der Vorzeit gefährdet und
nach und nach untergraben. Wieviel aber muß ein Volk
besessen haben, das immer noch solche Spuren und
Trümmer aufzuweisen vermag! Die Anordnung der—⸗
selben hat diesmal weniger zufällig sein dürfen, sondern
sie ist beides nach den Zeiten und Stämmen eingerichtet.
Wenige Erzählungen gehen voran, die wir der Auszeich⸗
nung der Römer danken, und andere Sammler vielleicht
ausgelassen oder vermehrt haben würden. Inzwischen
VIII
Vorrede.
schienen uns keine anderen Züge sagenhaft, namentlich
die Taten des Arminius rein historisch. Von der Herr—
lichkeit gotischer Sage ist auf eine nie genug zu bekla—
gende Weise das meiste untergegangen; den Verlust
der älteren und reicheren Quellen kann man nach dem
wenigen schätzen, was sich aus ihnen bei Jornandes
noch übrig zeigt. Die Geschichte hat dem gotischen und
den mit ihm verwandten Stämmen große Ungunst be—
wiesen; wäre der Arianismus nicht, dem sie ergeben
gewesen, und der mit dadurch begründete Gegensatz zu
den Rechtgläubigen, so würde vieles in anderm Lichte
stehn. Jetzt läßt uns nur einiges hin und wieder Zer—
streutes ahnen, daß diese Goten milder, gebildeter und
edler begabt gewesen als ihre Feinde, die aufstrebenden,
arglistigen Franken. Von den Longobarden, die gleich—
falls unterliegen mußten, gilt fast dasselbe in schwächerem
Maße; außer daß sie noch kriegerischer und wilder als
die Goten waren. Ein besserer Stern hat über ihren
Sagen gewaltet, die ein aneinander hangendes Stück
der schönsten Dichtung, von wahrem epischen Wesen
durchzogen, bilden. Weniger ist die fränkische Sage zu
loben, der doch die meisten Erhaltungsmittel zu Gebot
gestanden; sie hat etwas von dem düsteren, tobenden
Geiste dieses Volkes, bei welchem sich kaum Poesie ge—
stalten mochte. Erst nach dem Erlöschen der Merovinger
zieht sich um Karl den Großen die Fülle des edelsten
Sagengewächses. Stammüberlieferungen der Völker,
welche den Norden Deutschlands bewohnen, namentlich
der Sachsen, Westphalen und Friesen, sind beinahe ganz
verloren und wie mit einem Schlage zu Boden gedrückt;
Vorrede.
IX
einiges haben die Angelsachsen behalten. Jene Ver—
tilgung wäre kaum begreiflich, fände sie nicht in der
grausamen Bezwingung dieser Völker unter Karl dem
Großen Erklärung; das Christentum wurde mit der
Zerstörung aller Altertümer der Vorzeit zu ihnen geführt
und das Geringhalten heidnischer Sitten und Sagen
eingeschärft. Schon unter den sächsischen Kaisern mögen
die Denkmäler früherer Volksdichtung so verklungen
gewesen sein, daß sie sich nicht mehr an dem Glanze
und unter dem Schutze ihrer für uns Deutsche so wohl—
tätigen Regierung aufzurichten imstande waren. Merk-
würdig bleibt, daß die eigentlichen Kaisersagen, die mit
Karl anheben, schon nach den Ottonen ausgehen, und
selbst die Staufenzeit erscheint unmytisch; bloß an Fried—
rich Rotbart, wie unter den späteren an Rudolf von
Habsburg und Marximilian, flammen noch einzelne Lichter.
Dieser Zeitabschnitt bindet andere Sagenkreise so wenig,
daß sie noch während des zwölften und dreizehnten
Jahrhunderts eben in ihrer Blüte stehn. Unter allen
einzelnen Geschlechtern aber, die in der Sage gefeiert
worden, ragen früher die Amaler, Gunginger und Agi—
lolfinger, später die Welfen und Thüringer *) weit hervor.
Es bleibt überhaupt bei der Frage: auf welchem Boden
die epische Poesie eines Volkes gedeihe und fortlebe,
von Gewicht, daß sie sich in urdeutschen Geschlechtsfolgen
Kein deutscher Landstrich hat auch so viel Chroniken als
Thüringen und Hessen für die alte Zeit ihrer Vereinigung.
Es gibt deren gewiß über zwanzig gedruckte und ungedruckte
von verschiedenen Verfassern, wiewohl sie auf ähnlicher Grund⸗
lage ruhen.
x
Vorrede.
am liebsten zeigt, hingegen auszugehen und zu verkommen
pflegt da, wo Unterbrechungen und Vermischungen mit
fremden Völkern, selbst mit andern deutschen Stämmen
vorgegangen sind“). Dies ist der Grund, warum die in
Deutschland eingezogenen und allmählig deutsch geworde—
nen ssavischen Stämme keine Geschlechtssagen aufzuweisen
haben, ja auch an örtlichen gegen die ursprünglichen
Länder entblößt dastehen. Die Wurzeln greifen in das
ungewohnte Erdreich nicht gerne ein, ihren Keimen und
Blättern schlägt die fremde Luft nimmer an?
Die äußere Gestalt, in der diese Sagen hier mitgeteilt
werden müssen, scheint uns manchem gegründeten Tadel
ausgestellt, der indessen, wo es so überwiegend auf Stoff
und Inhalt ankam, schwer zu vermeiden war. Sollten
letztere als Hauptsache betrachtet und gewissenhaft ge—
schont werden, so mußte wohl aus der Übersetzung
lateinischer, der Auflösung gereimter und der Vergleichung
mehrfacher Quellen ein gemischter, unebener Stil her—
vorgehen. Eine noch strengere Behandlungsart des
Ganzen — so daß man aus dem kritisch genauen, bloßen
Abdruck aller, sei es lateinischen oder deutschen Quellen,
mit Beifügung wichtiger späterer Rezensionen, einen
förmlich diplomatischen Koder für die Sagendichtung
gebildet hätte — würde mancherlei Reiz neben unleug—
barem Gewinn für die gründliche Forschung gehabt
haben, allein doch jetzt nicht gut auszuführen gewesen
*) Wie die Liebe zum Vaterlande und das wahre Heim—
weh auf einheimischen Sagen hafte, hat lebhaft gefühlt:
Brandes, Vom Einfluß des Zeitgeistes, erste Abt. Hannover
1810. S. 163-168.
Vorrede.
X
sein, schon der einmal im Zweck liegenden gleichmäßigen
Übersicht des Ganzen halber. Am meisten geschmerzt
hat es uns, die selbst ihren Worten nach wichtigen, aus
dem Heidelberger Kod. 361 geschöpften Sagen von Karl
und Adalger von Bayern in einem geschwächten Prosa—
auszug liefern zu müssen; ohne Zweifel hatten sie, zum
wenigsten teilweise, ältere deutsche Gesänge zur Unterlage.
So stehen andere Stellen dieser merkwürdigen Reim—
chronik in unverkennbarem Bezug auf das Lied von
Bischof Anno, und es bleibt ihr vollständiger, wörtlicher
Abdruck in aller Rücksicht zu wünschen.
Eine solche Grundlage von Liedern haben gewiß noch
andere Stammsagen gehabt. Bekannt sind die Ver—
weisungen auf altgotische Lieder, für die longobardische
Sage läßt es sich denken . Einzelne Überlieferungen
gehen in der Gestalt späterer Volkslieder umher, wie die
von Heinrich dem Löwen, dem Mann im Pflug usw.;
merkwürdiger ist schon das Westfriesenlied der Schweizer.
Andere sind im dreizehnten Jahrhundert gedichtet worden,
wie Otto mit dem Bart, und der Schwanritter, Ulrich
von Würtenberg usw. Möchten die damaligen Dichter
nur öfter die vaterländische Sage der ausländischen vor—
gezogen haben! Auf eigentliche Volks- und Bänkel—
gesänge verweisen die Geschichtschreiber bei den Sagen
*) Man beschränkt sich hier auf das Zeugnis von Alboin,
bei Paulus Diaconus 1, 27: „Alboini ita praeclarum longe
lateque nomen percrebuit, ut hactenus etiam tam apud Bajo-
ariorum gentem quam et Saxonum, sed et alios ejusdem
linguae homines, ejus liberalitas et gloria, bellorumque
felicitas et virtus in eorum carmimnibus celebretur.“
XII
Vorrede.
von Hattos Verrat und Kurzbolds Heldentaten*). Andere
Sagen sind mit den Liedern verschollen, wie die bayrische
von Erbos Wisentjagd, die sächsische von Bemno, und
was der blinde Friess Bernlef besungen. **)
Es ist hier der Ort, ausdrücklich zu bemerken, welche
deutsche Sagen aus unserer Sammlung ausgeschlossen
bleiben mußten, weil sie in dem eigenen und lebendigeren
*) Eckehardus jun. de casibus S. Galli (ap. Goldast I,
15). „Hattonem franci illi saepe perdere moliti sunt, sed
astutia hominis in falsam regis gratiam suasi; qualiter ad
alpes (I. Adalpertus) fraude ejus de arbe Pabinberk detractus
capite sit plexus, quoniam vulgo concinnatur et canmitur,
scribere supersedeo.“
Otto Frising. VI, 15. „itaque ut non solum in regum
gestis invenitur, seâ etiam in vulgari traditione in compitis
et curiis hactenus auditur, praefatus Hatto Albertum in
castro suo Babenberg adiit“ ete.
Eckeéhardus jun. L. c. pag. 29. Chuono quidam regii
generis Churzibolt à brevitate cognominatus — de quo
multa concinnantur et canuntur.“
x*Chron. ursperg. Erbo et Boto. illius famosi Erbonis
posteri, quem in venatu a bisonte (die Ausg. 1540, p. 256
und 1609, p. 185 lesen: ab insonte) bestia confossum vι
gares adhuc cantilenae resonant. “
Norbertivita Bennonis, ap. Eccard. C. Hist. II. S. 2168:
„quantae utilitati, quanto honori, quanto denique vitae tuta-
mini et praesidio fuerit, populares etiam nunc adhuc notae
fabulae attestari solent. et cantilenae vulgares.“ Vaꝗl. Mösers
osnab. Gesch. I, 32.
Vita Lud geri (mehrmals gedruckt hier nach einer alten
Kasseler Handschrift) „is, Bexrnlef cognomento, vicinis suis
admodum carus erat, quia antiquorum actus regumque certa-
mina, more gentis suae, non inurbane cantare noverat, sed
per triennium ita erat continua caecitate depressus ete. eête.“
Vorrede.
XM
Umfang ihrer Dichtung auf unsere Zeit gekommen sind.
Dahin gehören die Sagen 1. von den Nibelungen,
Amalungen, Wolfungen, Harlungen und allem, was
diesen großen Kreis von ursprünglich gotischen, burgun—
dischen und austrasischen Dichtungen bildet, in deren
Mitte das Nibelungenlied und das Heldenbuch stehen.
2. Von den Kerlingern, namentlich Karl, Roland, den
Haimonskindern und andern Helden, meistens austrasischen
Ursprungs, doch auch in französischen, italienischen und
spanischen Gedichten eigentümlich erhalten. Einige be—
sondere Sagen von Karl dem Großen haben indessen,
der Verbindung wegen, aufgenommen werden müssen,
und weil sie einigermaßen außerhalb des Bezirks jenes
Hauptkreises liegen. Mit der schönen (bayrischen) Er—
zählung von Karls Geburt und Jugend war dies nicht
völlig der Fall. 3. Die spätern fränkischen und schon
mehr französischen Sagen von Lother und Maller, Hug—
schapler und Wilhelm dem Heiligen. 4. Die westgotischen
von Rodrigo*). 5. Die bayrische Sage von Herzog Ernst
und Wetzel. 6. Die schwäbischen von Friedrich von Schwa—
ben und von dem armen Heinrich. 7. Die austrasischen von
Drendel und Breite, desgleichen Margareta von Limburg.
8. Die niedersächsische von Thedel von Wallmoden. **)
*) Silva de romances viejos, p. 286 - 298.
*x) Eine besondere Sammlung dessen, was aus der
Heiligenlegende zur deutschen Sage gerechnet werden muß,
schickt sich besser für ein eigenes Werk. Dahin gehört z. B.
die Geschichte von Zeno (lombardisch), von Meinrad und Ottilie
(alemannisch), von Elisabeth (thüringisch-hessisch) und vorzüg⸗
lich viel altfränkische: von Martin, Hubert, Gregor vom Stein.
Gangolff usw.
XV
Vorrede
Sind auf solche Weise die Grenzen unserer Unter—
nehmung gehörig abgesteckt, so glauben wir nicht, daß
sich dem Inhalt des gegenwärtigen Bandes bedeutende
Zusätze ergeben können, es müßten denn unverhofft ganz
neue Quellen eröffnet werden. Desto mehr wird sich
aber für die Vervollständigung der örtlichen Sagen tun
lassen.
Kassel, den 24. Februar 1818
Inhalt.
Seite
363. Der heilige Salzfluß....
364. Der heilige See der Nerthus
365. Der heilige Wald der Semnonen
366. Die Wanderung der Ansivaren
367. Die Seefahrt der Usipier
368. Wanderung der Goten
369. Die eingefallene Brücke XE
370. Warum die Goten in Griechenland eingebrochen
371. Fridigen
372. Des Königs Grab
373. Athaulfs Tod
374. Die Trullen
375. Sage von Gelimer
376. Gelimer in silberner Kette
377. Ursprung der Hunnen.
378. Die Einwanderung der Hunnen
379. Sage von den Hunnen
380. Das Kriegsschwert
381. Die Störche... ...
382. Der Fisch auf der Tafel
383. Theoderichs Seele.
384. Urajas und Ildibad...
385. Totila versucht den Heiligen
386. Der blinde Sabinus
387. Der Ausgang der Longobarden
388. Der Longobarden Ausgang........
389. Sage von Gambara und den Langbärten
390. Die Longobarden und Aßipiter...
391. Die sieben schlafenden Manner in der Höhle
392. Der Knabe im Fischteich...
392 b. Lamissio und die Amazonen
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XVI
Inhalt.
393. Sage von Rodulf und Rumetrud
394. Alboin wird dem Audoin tischfähig
395. Ankunft der Longobarden in Italien
396. Alboin gewinnt Ticium
396b. Alboin betrachtet sich Italien
397. Alboin und Rosimund
398. Rosimund, Helmichis und Peredeo
399. Sage von König Authari
399 b. Autharis Säule F
400. Agilulf und Theudelindd
401. Theodelind und das Meerwunder
402. Romhild und Grimoald der Knabe
403. Leupichis entflieh
404. Die Fliege vor dem Fenster
405. Köbnig Liutprands Füße
406. Der Vogel auf dem Speer
406 b. Aistulfs Geburt.
407. Walter im Kloster
408. Ursprung der Sachsen
409. Abkunft der Sachfen
410. Herkunft der Sachsen
411. Die Sachsen und Thüringer
412. Ankunft der Angeln und Sachsen
413. Ankunft der Picten
414. Die Sachsen erbauen Ochsenburg
415. Haß zwischen den Sachsen und Schwaben
416. Herkunft der Schwaben
417. Abkunft der Bayern
418. Herkunft der Franken
419. Die Merovinge
420. Childerich und Basina
421. Der Kirchenkuug
422. Remig umgeht sein Lan
423. Remig verjagt die Feuersbrunst
424. Des Remigs Teil vom Wasichenwald
425. Crothilds Verlobung
426. Die Schere und das Schwert ...
427. Sage von Attalus dem Pferdeknecht und Leo dem
Küchenjungen
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Inhalt.
XVII
Seite
428. Der schlafende König.... ....73
429. Der kommende Wald und die klingenden Schellen 7
430. Chlotars Sieg über die Sachsen 74
431. Das Grab der Heilige 77
432. Sankt Arbogast 78
433. Dagobert und Sankt Florentius 79
434. Dagoberts Seele im Schiff 81
435. Dagobert und seine Hunde 82
436. Die zwei gleichen Söhne 82
437. Hildegard.... 83
438. Der Hahnenkampf. . 85
439. Karls Heimkehr aus Ungerland 85
4q00. Der Hirsch zu Magdeburg 89
441. Der lombardische Spielmann 90
402. Der eiserne Karl. 91
443. Karl belagert Pavia —*
444. Adelgis W 93
405. Von König Karl und den Friesen 95
446. Radbot läßt sich nicht taufen 98
447. Des Teufels goldnes Haus 98
448. Wittekinds Taufe 100
448 b. Wittekinds Flucht.. 309
449. Erbauung Frankfurrt... 101
450. Warum die Schwaben dem Reich vorfechten 101
451. Eginhart und Emma... 102
452. Der Ring im See bei Aachen 104
453. Der Kaiser und die Schlange 106
454. König Kar.. 107
455. Der schlafende Landsknecht 115
456. Kaiser Ludwig baut Hildesheim 116
457. Der Rosenstrauch zu Hildesheim 117
458. König Ludwigs Rippe klappt 118
459. Die Königin im Wachshemd 118
460. Königin Adelheid ...... .... 180
461. König Karl sieht seine Vorfahren in der Holle
und im Paradiesßs
462. Adalbert von Babenbeeg
463. Herzog Heinrich und die goldne Halskette
464. Kaiser Heinrich der Vogeler.
120
122
124
125
Grimm, Sagen II.
I]
XVII
465.
466.
467.
468.
469.
470.
471.
472.
473.
474.
4785.
476.
477.
478.
479.
480.
481.
482.
83.
53
485.
486.
487.
468.
489.
490.
401,
402.
493.
494.
498.
496.
497.
498.
499.
500.
501.
502.
503.
Inhalt.
Der kühne Kurzbold
Otto mit dem, Bart
Der Schuster zu Lauingen.
Das Rad im Mainzer Wappen
Der Rammelsberg.
Die Grafen von Eberstein
Otto läßt sich nicht schlagen
König Otto in Lamparten
Der unschuldige Riteer.
Kaiser Otto hält Witwen- und Waisengericht
Otto II. in Karls Grabe
Die heilige Kunigund
Der Dom zu Bamberg
Taube sagt den Feind an
Der Kelch mit der Scharte
Sage von Kaiser Heinrich II.
Die Weiber zu Weinsperg..
Der Teufelsthurn am Donaustrudel
Quedl das Hündlein..
Sage vom Schüler Hildebrand
Der Knoblauchsköngg
Kaiser Heinrich versucht die Kaiserin
Graf Hoyer von Mansfeld...
Der verlorene Kaiser Friedrihch.
Albertus Magnus und Kaiser Wilhelm...
Kaiser Maximilian und Maria von Burgund.
Sage von Adelger zu Bayern
Die treulose Störchinn.......
Herzog Heinrich in Bayern hält reine Straße
Diez Schwinburg
Der geschundene Wolf
Die Gretlmühtl......
Herzog Friedrich und Leopold von Osterreich
Der Markgräfin Schleier ..
Der Brennberger (erste Sage)
Der Brennberger (zweite Sage)
Schreckenwalds Rosengarten
Margareta Maultasch
Dieterichstein in Kärnthen
Seite
126
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504.
505.
506.
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508.
509.
510.
S5II.
512.
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514.
515.
516.
517.
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523.
524.
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533.
534.
535.
536.
537.
538.
539.
540.
541.
Inhalt.
Die Maultasch⸗Schutt
Radbod von Habsburge
Rudolf von Strättlingen
Idda von Tokenburg..
Auswanderung der Schweizer..
Die Ochsen auf dem Acker zu Melchtal
Der Landvogt im Bad. .
Der Bund in Rütlie
Wilhelm Tell.
Der Knabe erzählt's dem Ofen
Die Luzerner Harschhörner
Ursprung der Welfen.
Welfen und Giblinge
Herzog Bundus, genannt der Wolf
Heinrich mit dem güldenen Wagen
Heinrich mit dem güldenen Pfluge
Heinrich der Löwe..
Ursprung der Zäühringer...
Herr Peter Dimringer von Staufenberg
Des edlen Möringers Wallfahrt
Graf Hubert von Calß..
Udalrich und Wendelgart und der ungeborene
Burkard.. .... ..... *
Stiftung des Klosters Wettenhausenn
Ritter Ulrich, Dienstmann zu Wirtenberg
Freiherr Albrecht von Simmern... 3
Andreas von Sangerwitz, Comthur auf Christburg
Der Virdunger Bürger
Der Mann im Pflug
Siegfried und Genofea..
Karl Ynach, Salvius Brabon und Frau Schwan
Der Ritter mit dem Schwan
Das Schwanschiff am Rhein
Lohengrin zu Brabant
Loherangrins Ende in Lothringen
Der Schwanritter.
Der gute Gerhard Schwan
Die Schwanringe zu Plesse
Das oldenburger Horne.
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258
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Inhalt.
542. Friedrich von Oldenburg
543. Die neun Kinder.
544. Amalaberga von Thüringen ————
545. Sage von Irmenfried, Iring und Dieterich
546. Das Jagen im fremden Walde..
547. Wie Ludwig Wartburg überkommen
548. Ludwig der Springe
549. Reinhartsbrunn....
550. Der hart geschmiedete Landgraf
551. Ludwig ackert mit seinen Adligen
552. Ludwig baut eine Mauer
553. Ludwigs Leichnam wird getragen
554. Wie es um Ludwigs Seele geschaffen war
555. Der Wartburger Krieg.
556. Doktor Luther zu Wartburg....
557. Die Vermählung der Kinder Ludwig und Elisabeth
558. Heinrich das Kind von Brabant
559. Frau Sophiens Handschuh... ..
560. Friedrich mit dem gebissenen Backen
561. Markgraf Friedrich läßt seine Tochter säugen
562. Otto der Schütze..
563. Landgraf Philips und die Bauersfrau
564. In Ketten aufhängen..
565. Landgraf Moritz von Hessen
566. Brot und Salz segnet Gott
567. Nidda.....
568. Ursprung der von Malsburg..
569. Ursprung der Grafen von Mannsfeld
570. Henneberg... ..
571. Die acht Brunos
572. Die Eselswiese..
573. Thalmann von Lunderstedt
574. Hermann von Treffurt.
575. Der Graf von Gleichen
576. Hungersnot im Grabfeld
577. Der Croppenstädter Vorrat.
578. So viel Kinder, als Tag' im Jahr
579. Die Gräfin von Orlamünde
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363. Der heilige Salzfluß.
Tacitus ann. XIII. 57.
Bgl. Pli ni us hist. nai. XXXI. 39.
Die Germanen gewannen auf diese Art ihr Salz, daß
sie das salzhaltige Wasser auf glühende Bäume gossen.
Zwischen den Hermunduren und Chatten strömte ein salz—
reicher Fluß, (die Saale*) um dessen Besitz Krieg aus⸗
brach. Denn die Germanen glaubten, eine solche Gegend
liege dem Himmel nahe, und die Gebete der Menschen
könnten von den Göttern nirgends besser vernommen
werden. Durch die Gnade der Götter komme das Salz
in diesen Fluß und diese Wälder; nicht wie bei andern
Völkern trockne es an dem Erdreich, von dem die wilde
Meeresflut zurückgewichen sei: sondern das Flußwasser
werde auf glühende Baumschichten gegossen, und aus
der Vermischung zweier feindlicher Urstoffe, Wassers und
Feuers, gehe das Salz hervor. Der Krieg aber schlug den
Hermunduren glücklich, den Chatten unselig aus, und die
Sieger opferten nach ihrem Gelübde alle eroberten Männer
und Pferde.
364. Der heilige See der Hertha.
Tac. Germ. c. 40.
Die Reudigner, Avionen, Angeln, Wariner, Eudosen,
Suarthonen und NRuithonen, deutsche Völker, zwischen
— —
*) Nach Wenk hess. Landesgesch. die fränkische Saale, die
bei Gemünden in den Main fließt.
Grimm, Sagen II.
⁊
Der heilige Wald der Semnonen.
Flüssen wohnend, verehren insgesamt die Hertha, d. i.
Mutter Erde, und glauben, daß sie sich in die mensch—
lichen Dinge mischt und zu den Völkern gefahren kommt.
Auf einem Eiland des Meers liegt ein unentweihter, ihr
geheiligter Wald, da stehet ihr Wagen, mit Decken um—
hüllt, nur ein einziger Priester darf ihm nahen. Dieser
weiß es, wann die Göttin im heiligen Wagen erscheint;
zwei weibliche Rinder ziehen sie fort, und jener folgt ehr—
erbietig nach. Wohin sie zu kommen und zu herbergen
würdigt, da ist froher Tag und Hochzeit, da wird kein Krieg
gestritten, keine Waffe ergriffen, das Eisen verschlossen.
Nur Friede und Ruhe ist dann bekannt und gewünscht;
das währt so lange, bis die Göttin genug unter den
Menschen gewohnt hat, und der Priester sie wieder ins
Heiligtum zurückführt. In einem abgelegenen See wird
Wagen, Decke und Göttin selbst gewaschen; die Knechte
aber, die dabei dienen, verschlingt der See alsbald.
Ein heimlicher Schrecken und eine heilige Unwissenheit
sind daher stets über das gebreitet, was nur diejenigen
anschauen, die gleich darauf sterben.
365. Der heilige Wald der Semnonen.
Tacitus Germ. cap. 390.
Unter den Sueven waren die Semnonen das älteste
und edelste Volk. Zu gewissen Zeiten hielten sie in einem
Wald, heilig durch den Gottesdienst der Vorfahren und
durch alten Schauer, Zusammenkünfte, wozu alle aus dem—
selben Blute entsprungene Stämme Abgesandte schickten,
und brachten ein öffentliches Menschenopfer. Vor dem
Haine tragen sie solche Ehrfurcht, daß niemand hinein—
tritt, der sich nicht vorher in Bande hätte binden lassen,
zur Anerkennung seiner Schwäche und der göttlichen
Die Wanderung der Ansivaren.
2
Allmacht. Fällt er von ungefähr zur Erde, so ist ihm nicht
erlaubt aufzustehn oder aufgehoben zu werden, sondern
er wird auf dem Erdboden hinausgeschleift. Dieser Ge—
brauch weist dahin, wie aus dem Heiligtum das Volk
entsprungen, und der allwaltende Gott da gegenwärtig
sei, dem alles andere unterwürfig und gehorsam sein
müsse.
366. Die Wanderung der Ansivaren.
Tacitus ann. XIII, 54-56.
Die Friesen waren in einen leeren Landstrich unweit
des Rheines vorgedrungen, hatten schomn ihre Stätte ge—
nommen und die Äücker besät, da wurden sie von den
Römern mit Gewalt wieder ausgetrieben. Das Erdreich
stand von neuem leer, die Ansivaren rückten hinein, ein
nicht zahlreiches Volk, aber stark durch den Beistand, den
ihm die umliegenden Stämme milleidig leisteten, weil es
heimatlos und von den Chauken aus seinem Sitz verjagt
worden war. Bojokal, der Ansivaren Führer, wollte sich
und sein Volk unter den Schutz der Römer stellen, wenn
sie diesen leeren und öden Platz ihnen für Menschen und
Viehherden lassen würden. Das Land habe vorzeiten den
Chamaven, dann den Tubanten und hierauf den Usipiern
gehört; und weil den Göttern der Himmel, den Menschen
die Erde zustehe, so dürfe jedes Volk ein leeres Land be—
setzen. Darauf wandte Bojokal (die Abneigung der Römer
poraussehend) seine Augen zur Sonne, rief die übrigen
Gestirne an und stellte sie öffentlich zur Rede: „ob sie den
leeren Grund und Boden bescheinen wollten? sie möchten
lieber das Meer wider diejenigen ausschütten, welche also
den Menschen das Land entzögen.“ Die Römer aber
schlugen das Gesuch ab, und wollten keinen andern Richter
72*
4
Die Seefahrt der Usipier.
anerkennen, über das was sie zu geben oder zu nehmen
hätten, als sich selbst. Das antworteten sie den Ansivaren
öffentlich und boten doch zugleich dem Bojokal ein Grund—
stück für ihn selbst, als ihrem guten Freund an (den sie sich
durch ein solches Geschenk geneigt zu erhalten trachteten).
Bojokal verachtete das, um dessentwillen er sein Volk
hätte verraten sollen und sagte: „Haben wir gleich keine
Erde, auf der wir leben können, so soll uns doch keine
gebrechen, auf der wir sterben.“ Darauf zogen sie feind⸗
lich ab und riefen ihre Bundesgenossen, die Brukterer,
Tenkterer und noch andere zum Kriege auf. Der Römer—
Feldherr überzog schnell die Tenkterer, daß sie abstehen
mußten, und wie diese sich lossagten, befiel auch die
Brukterer und die andern Furcht. Da wichen die ver—
lassenen Ansivaren in das Gebiet der Usipier und Tu—
banten; die wollten sie nicht leiden. Von da vertrieben,
kamen sie zu den Chatten und dann zu den Cherustern.
Über dem langen unstäten Herumziehen auf fremdem
Boden, bald als Gäste, bald als Dürftige, bald als Feinde,
wurde ihre Mannschaft und mannbare Jugend aufge—
rieben. Die Unmündigen fielen als Beute andern zuteil.
267. Die Seefahrt der Usipier.
Tacitus, Agricola cap. 28.
Eine Schar Usipier, von den Römern in Deutschland
geworben und nach Britannien gebracht, beging ein
großes und bewundernswürdiges Wagstück. Nachdem
sie den Hauptmann und die Soldaten der Römer, welche
unter ihren Haufen, um sie zum Dienst abzurichten, ge—
mischt worden waren, getötet hatten, bestiegen sie drei
leichte Schiffe, deren Steuerleute sie mit Gewalt dazu
nötigten. Zwei.derselben, die ihnen verdächtig wurden,
Wanderung der Goten.
5
brachten sie gleichfalls um, und stachen mit dem einen
Ruderer in die hohe See, ein wahres Wunder! Bald
hier, bald dahin getrieben, hatten sie mit den britannischen
Küstenbewohnern, die ihre Habe verteidigten, um Lebens—
mittel zu kämpfen! meistens siegten, einige Mal unter—
lagen fie. Zuletzt stieg die Hungersnot so weit auf ihren
Schiffen, daß sie erst ihre Schwachen und Kranken ver—
zehrten, bald aber Lose darum zogen, wer den andern
zur Speise dienen mußte. Als sie endlich Britannien um—
fahren und aus Unkunde der Schiffahrt ihre Schiffe ein—
gebüßt hatten, wurden sie für Räuber angesehen und
bon den Sueven, dann von den Friesen aufgefangen.
Einige darunter kamen verhandelt und verkauft hernach—
mals wieder in die Hände der Römer nach Italien, wo
sie ihre merkwürdige Begebenheit selbst erzählten.
368. Wanderung der Goten.
IPornandes edit. Lindenbros p. 83. 08.
Aus der Insel Schanze (Scanzia) brachen die Völker
wie ein Schwarm Bienen hervor. Die Goten nämlich
fuhren von da unter Berich ihrem Könige; dem Ort,
wo sie aus den Schiffen zuerst landeten, legten sie den
Namen Gotenschanze bei. Darauf zogen sie zu den
Ulmrügern, die am Meerufer wohnten und besiegten
sie. Dann schlugen sie die Wandalen, deren Nachbarn.
Als aber ihres Volkes Menge mächtig wuchs und schon
seit Berich ihr fünfter König, namens Filimer herrschte,
wurde beschlossen, daß er mit den Goten weiter ziehen
moͤchte. Da nun diese sich eine gute Niederlassung aus—
suchen wollten, kamen sie nach Scythien, ins Land
Dbin, wo ein Teil des Heeres durch eine gebrochene
Brücke abgeschnitten wurde. Die, welche den Fluß
D
Die eingefallene Brücke.
glücklich hinübergegangen waren, zogen weiter bis an
das äußerste Ende Scithiens an das schwarze Meer.
Sie waren anfangs aus Scranzien unter Berich bloß
mit dreien Schiffen ausgefahren. Von diesen Schiffen
fuhr eins langsamer wie die andern, darum wurde es
Gepanta (das gaffende*) geheißen, und davon bekam
der Stamm den Unnamen der Gepiden. Denn sie sind
auch groß von Leib und träg an Geist. Diese Gepiden
blieben auf einer Insel der Weichsel wohnen, die Ost—
goten und Westgoten zogen weiter fort, ließen sich aber
auch eine Weile nieder. Dann führten sie Krieg mit den
Gepiden, schlugen sie und teilten sich nachher selbst
voneinander ab; jeder Stamm wanderte seine eigenen
Wege.
369. Die eingefallene Brücke.
Jornandes p. 83.
Die Goten kamen auf ihren Wanderungen auch in
das Land Sceythien und fanden einen fruchtbaren Strich,
bequem und zur Niederlassung einladend. Ihr Zug mußte
aber über einen breiten Fluß setzen, und als die Hälfte
des Heers hinüber war, geht die Sage, sei die Brücke
gebrochen; so daß kein Mann zurückkehren, der hinüber
war, und keiner mehr übersetzen konnte. Die ganze
Gegend ist durch Moor und Sumpf, den niemand zu
*) Die gewöhnliche Ableitung von beiten (got. beidan)
warten, ist unzulässig, die hier gegebene von Gapan, Gepan,
unserm Gaffen, dagegen natürlich; das Wort bedeutet: das
Maul aufsperren, stutzen, gähnen, und hat gleich dem latein.
hiare den Nebensinn von harren, faul und unentschlossen sein.
Diese ganze Erklärung des Namens ist indessen sagenmäßig,
und, wie in solchen Fällen insgemein, nie die eigentliche.
Warum die Goten in Griechenland eingebrochen. 7
betreten wagt, eingeschlossen. Man soll aber noch)
heutzutag, wie Reisende versichern, von jenseits aus weiter
Ferne Vieh brüllen hören und andere Anzeigen daselbst
wohnender Menschen finden.
370. Warum die Goten in Griechenland
eingebrochen.
OIympiodorus. ausgezogen bei Strĩâ tter mem. pop. J. 73, 74. Bgl. 476.
Folgende Sage hat man von den silbernen Bildsäulen,
die zur Abhaltung der Barbaren eingeweiht worden
waren. Zur Zeit der Herrschaft Kaiser Konstantins ge⸗
schah dem Valerius, Präfekten in Thracien, Anzeige von
einem zu hebenden Schatz. Valerius begab sich an Ort
und Stelle und erfuhr von den Einwohnern, daß es ein
altes, feierlich geweihtes Heiligtum wäre. Dieses meldete
er dem Kaiser, empfing aber Weisung, die Kostbarkeiten
zu heben. Man grub daher in die Erde und fand drei
aus gediegenem Silber gearbeitete Bildsäulen, nach bar—
barischer Weise mit gehenkelten (eingestämmten) Armen,
in bunten Gewändern und Haaren auf dem Haupt; sie
lagen mit den Gesichtern gen Norden, wo der Barbaren
Land ist, gewendet. Sobald diese Bildsäulen gehoben
und weggenommen waren, brachen wenig Tage darauf
die Goten zuerst in Thracien ein und ihnen folgten
andere Barbaren, von welchen ganz Thracien und Illy—
rien überschwemmt wurde. Jene geheiligte Stätte lag
zwischen Thracien und Illyrien, und die drei Bildsäulen
schienen gegen alle barbarischen Völker eingeweiht ge—
wesen zu sein.
*) D. h. zu Jornandes Lebzeiten.
Fridigern.
371. Fridigern.
Jornandes p. 106, 107. cap. 35.
Vgl. Ammianus Marcdellinus zr, 5, und Zosimus 4, 34.
Fridigerns Taten priesen die Goten in Liedern. Von
ihm ist folgende Sage aufbehalten worden: Als die West—
goten noch keinen festen Wohnsitz hatten, brach Hungers—
not über sie ein. Fridigern, Alatheus und Safrach, ihre
Vorsteher und Anführer, von dieser Plage bedrängt,
wandten sich an die Anführer des römischen Heers, Lupi⸗
cinus und Marximus, und handelten um Lebensmittel.
Die Römer aus schändlichem Geiz feilschten ihnen Schaf⸗
und Ochsenfleisch, ja selbst das Aas von Hunden und
andern unreinen Tieren zu teurem Preis: so daß sie für
ein Brot einen Knecht, für ein Fleisch zehn Pfund (Geld)
erhandelten. Die Gothen gaben, was sie hatten; als die
Knechte und ihre Habe ausgingen, handelte der grau—
same Käufer um die Söhne der Eltern. Die Goten er—
wägten, es sei besser die Freiheit aufzugeben als das
Leben, und barmherziger, einen durch Verkauf zu er—
halten, als durch Behalten zu töten. Unterdessen ersann
Lupicinus, der Römer Anführer, einen Verrat, und ließ
Fridigern zum Gastmahl laden. Dieser kam arglos mit
kleinem Gefolge; als er inwendig speiste, drang das Ge⸗
schrei von Sterbenden zu seinem Ohr. In einer andern
Abteilung der Wohnung, wo Alatheus und Safrach
speisten, waren Römer über sie gefallen und wollten sie
morden. Da erkannte Fridigern sogleich den Verrat, zog
das Schwert mitten am Gastmahl, und verwegen und
schnell eilte er seinen Gesellen zur Hilfe. Glücklich rettete
er noch ihr Leben, und nun rief er alle Goten zur Ver⸗
nichtung der Römer auf, denen es erwünscht war, lieber
in der Schlacht als vor Hunger zu fallen. Dieser Tag
Des Königs Grab. Athaulfs Tod. 9
machte dem Hunger der Goten und der ruhigen Herr—
schaft der Römer ein Ende, und die Goten walteten in
dem Lande, das sie besetzt hatten, nicht wie Ankömm—
linge und Fremde, sondern wie Herren und Herrscher.
372. Des Königs Grab.
Jornandes P. III. cap. 20.
Die Westgoten wollten durch Italien nach Afrika
wandern, unterwegs starb plötzlich Alarich, ihr König,
den sie über die Maße liebten. Da huben sie an und
leiteten den Fluß Barent, der neben der Stadt Consen—
tina vom Fuße des Berges fließt, aus seinem Bette ab.
Mitten in dem Bett ließen sie nun durch einen Haufen
Gefangener ein Grab graben, und in den Schoß der
Grube bestatteten sie, nebst vielen Kostbarkeiten, ihren
König Alarich. Wie das geschehen war, leiteten sie das
Wasser wieder ins alte Bett zurück und töteten, damit
die Stätte von niemand verraten würde, alle die, welche
das Grab gegraben hatten.
373. Athaulfs Tod.
Iornandes p. 112. cap. 31.
Olympiodorus, ap. Stritter I. 72.
Den Tod Königs Athaulfs, der mit seinen Westgoten
Spanien eingenommen hatte, erzählt die Sage verschieden.
Nach einigen nämlich soll ihn Wernulf, über dessen lächer—
liche Gestalt der König gespottet hatte, mit dem Schwert
erstochen haben. Nach andern stand Athaulf im Stalle
und betrachtete seine Pferde, als ihn Dobbius, einer seiner
Hausleute, ermordete. Dieser hatte früher bei einem andern
von Athaulf aus dem Wege geräumten Gotenkönig in
10
Die Trullen. Sage von Gelimer.
Dienst gestanden und war hernach in Athaulfs Haus—
gesinde aufgenommen worden.
So rächte Dobbius seinen ersten Herrn an dem zweiten.
374. Die Trullen.
Olympiodor bei Stritter I. p. 74.
Vgl. Varro: trulla, vasculi genus.
Biörn Haldorson J. 155, drilla, vas angustum.
Goslarische Gesetze bei Lei bniz ser. rer. brunsv. III. 507. Trülle, Wein⸗
kanne.
Stalder J. 312. Trülle, Käfich, Schachtel.
Die Wandalen nannten die Goten Truller, aus
dieser Ursache: Einst litten die Goten Hungersnot, und
mußten sich Getreide von den Wandalen kaufen. Sie
bekamen aber für ein Goldstück nur eine Trulle voll
Korn. Eine Trulle hält noch nicht einmal den dritten
Teil eines Sechters.
375. Sage von Gelimer.
Historia miscella lib. 16.
Val. Stritter mem. pop. L. p. 346.
Zur Zeit da die Wandalen Afrika besetzt hatten, war
in Carthago ein altes Sprichwort unter den Leuten: daß
G. das B. hernach aber das B. das G. verfolgen würde.
Dieses legte man von Genserich aus, der den Bonifacius,
und Belisarius, der den Gelimer überwunden hatte. Dieser
Gelimer wäre sogleich gefangen genommen worden, wo
sich nicht folgender Umstand zugetragen hätte: Belisarius
beauftragte damit den Johannes, in dessen Gefolge sich
Uliares, ein Waffenträger befand. Uliares ersah ein Vög⸗
lein auf einem Baume sitzen und spannte den Bogen;
weil er aber in Wein berauscht und seiner Sinne nicht
recht mächtig war, fehlte er den Vogel und traf seinen
Gelimer in silberner Kette.
11
Herrn in den Nacken. Johannes starb an der Wunde,
und Gelimer hatte Zeit zu fliehen. Gelimer entrann und
langte noch denselben Tag bei den Maurusiern an. Beli⸗
sarius folgte ihm nach und schloß ihn ganz hinten in
Numidien auf einem kleinen Berge ein. So wurde nun
Gelimer mitten im Winter hart belagert und litt an allem
Lebensunterhalt Mangel, denn Brot backen die Mauru—
sier nicht, sie haben keinen Wein und kein Ol, sondern
essen, unvernünftigen Tieren gleich, unreifes Korn und
Gerste. Da schrieb der Wandalenkönig einen Brief an
Pharas, Hüter des griechischen Heeres, und bat um drei
Dinge: eine Laute, ein Brot und einen Schwamm.
Pharas fragte den Boten: warum das?
Der Bote antwortete: „Das Brot will Gelimer essen,
weil er keines gesehen, seit er auf dieses Gebirge stieg;
mit dem Schwamm will er seine roten Augen waschen,
die er die Zeit über nicht gewaschen hat; auf der Laute
will er ein Lied spielen und seinen Jammer beweinen.“
Pharas aber erbarmte sich des Königs und sandte ihm
die Bedürfnisse.
376. Gelimer in silberner Kette.
Aimoinus II. 6.
Gelimer (Childemer) nach verlorener Schlacht rettete
sich nur mit zwölf Wandalen in eine sehr befestigte Burg,
worin er von Belisarius belagert wurde.
Als er nun keinen weiteren Ausweg sah, wollte er
sich auf die Bedingung ergeben, daß er frei und ohne
Fesseln vor das Angesicht des Kaisers geführt würde.
Belisarius sagte ihm zu, weder mit Seilen noch Stricken
noch eisernen Ketten sollte er gebunden werden. Gelimer
verließ sich auf dieses Wort, aber Belisarius ließ ihn mit
12 Ursprung der Hunnen. Die Einwanderung der Hunnen.
einer silbernen Kette binden, und führte ihn im Triumphe
nach Konstantinopel. Hier wurde der unglückliche König
von den Höflingen gehöhnt und beschimpft; er flehte
zum Kaiser: man möge ihm das Pferd geben, das er
vorher gehabt, so wolle er es auf einmal mit zwölfen von
denen aufnehmen, die ihn angespien und ihm Ohrschläge
gegeben hatten, „dann soll ihre Feigheit und mein Mut
kund werden“. Der Kaiser ließ es geschehen, und Gelimer
besiegte zwölf Jünglinge, die es mit ihm aufnahmen.
377. Ursprung der Hunnen.
Jornandes p. 103, 104.
Die Entstehung der Hunnen wird von Alters her so
erzählt: Filimer, Gandarichs Sohn, der fünfte König der
Goten seit ihrer Auswanderung aus Schanzien, fand
unter seinem Volke gewisse wahrsagende Weiber, die in
gotischer Sprache Alirunen hießen. Diese wollte er
nicht länger dulden, sondern verjagte sie aus der Mitte
des Volks weit weg in die Wildnis. Als die Alirunen
eine Zeitlang in der Wüste herumirrten, wurden sie von
den Waldleuten, die man Faune und Feigenblattmänner
nennt, gesehen, und sie vermischten sich zusammen.
Das Geschlecht, welches von den Waldleuten und Ali—
runen ausging, war klein, häßlich und wild, es hauste
anfangs in den mäotischen Sümpfen. Bald aber rückten
sie aus und kamen an die Grenze der Goten.
378. Die Einwanderung der Hunnen.
Jornandes p. 104.
Vgl. Hrabanus Maurus bei Joh. Müller Schw. Gesch. J. 2485. not. 78.
Die Hunnen lebten von Raub und Jagd. Eines Tages
kamen Jäger von ihnen an das Ufer des mädotischen
Sage von den Hunnen.
13
Sees, und unvermutet zeigte sich ihren Augen eine Hin—
din. Diese Hindin trat in das Gewässer und ging bald
vorwärts, bald stand sie still; so zeigte sie ihnen den
Weg. Die Jäger folgten nach und kamen zu Fuß durch
den See, den sie undurchwandelbar, wie das Meer, früher
geglaubt hatten. Sobald sie nun das noch nie gesehene
scytische Land erblickten, verschwand die Hindin. Er—
staunt von dem Wunder kehrten sie heim und verkündigten
ihren Leuten das schöne Land und den Weg, den die
Hirschkuh gewiesen hatte. Darauf sammelten sich die
Hunnen und brachen mit unwiderstehlicher Macht in
Sceythien ein.
379. Sage von den Hunnen.
Jornandes cap. 5. p. 85.
Zu Jornandes Zeit ging eine mündliche Sage um,
die er zwar verwirft, wonach die Hunnen nicht aus
Scythien gekommen wären, sondern anderswoher. In
Britannien oder auf irgendeinem andern Eilande seien
sie (auf ihrer Wanderung) vormalen in Knechtschaft ge—
raten, aber durch das Lösegeld eines einzigen Pferdes
wieder in Freiheit gesetzt worden.
Im Mittelalter glaubte man hernach, die Hunnen
und Türken, die für ein Volk galten, wären Ungetüme,
bon einem Zauberer mit einer Wölfin zusammen erzeugt.
Sie selbst scheinen diesen Aberglauben, um die Furcht
vor ihnen zu mehren, geflissentlich ausgebreitet zu haben.
Noch heutzutage hat er sich an der türkischen Grenze
unter den östreichischen Christen erhalten. (Sismondi I.
P. 54.)
14
Das Kriegsschwert. Die Störche
380. Das Kriegsschwert
Jornandes cap. 35. p. 116.
Vgl. Altd. Wälder J. S. 212. Anmerk. i0 und S. 319.
Ein Hirt weidete seine Herde und sah, wie ein Vieh
am Fuße hinkte. Als er nun die Ursache der scharfen
Wunde nicht erklären konnte, folgte er den Blutspuren
und fand endlich das Schwert, worauf die grasende Kuh
unvorsichtig getreten hatte. Der Hirt grub das Schwert
aus und brachte es dem König Attila. Attila aber freute
sich und sah, daß er zum Herrn der Welt bestimmt war,
weil ihm das Kriegsschwert, das die Seythen stets heilig
hielten, in die Hände geliefert worden sei.
381. Die Störche.
Jornandes p. 123, 124.
Als Attila schon lange die Stadt Aquileja belagerte,
und die Römer hartnäckig widerstanden, fing sein Heer
an zu murren und wollte von dannen ziehen. Da ge—
schah es, daß der König im Zweifel, ob er das Lager
aufheben, oder noch länger harren sollte, um die Mauern
der Stadt her wandelte und sah, wie die weißen Vögel,
nämlich die Störche, welche in den Giebeln der Häuser
nisteten, ihre Jungen aus der Stadt trugen, und gegen
ihre Gewohnheit auswärts ins Land schleppten. Attila,
als ein weiser Mann, rief seinen Leuten und sprach:
„Seht, diese Vögel, die der Zukunft kündig sind, ver—
lassen die bald untergehende Stadt und die einstürzenden
Häuser!“ Da schöpfte das Heer neuen Mut, und sie
bauten Werkzeuge und Mauerbrecher; Aquileja fiel im
Sturm und ging in den Flammen auf! diese Stadt wurde
so verheert, daß kaum die Spuren übrig blieben, wo sie
gestanden hatte.
Der Fisch auf der Tafel. Theoderichs Seele. 15
382. Der Fisch auf der Tafel.
Procopius Iàb. I. c. I.
Theoderich, der Ostgoten König, nachdem er lange
Jahre in Ruhm und Glanz geherrscht hatte, befleckte sich
mit einer Grausamkeit am Ende seines Lebens. Er ließ
seine treuen Diener Symmachus und den weisen Boethius,
auf die Verleumdung von Neidern, hinrichten und ihre
Güter einziehen.
Als nun Theoderich wenige Tage darauf zu Mittag
aß, geschah es, daß seine Leute den Kopf eines großen
Fisches zur Speise auftrugen. Kaum erblickte ihn der
König auf der Schüssel liegen, so schien ihm der Kopf
der des enthaupteten Symmachus zu sein, wie er die
Zähne in die Unterlippe biß und mit verdrehten Augen
drohend schaute. Erschrocken und von Fieberfrost ergriffen
eilte der König ins Bett, beweinte seine Untat, und ver—
schied in kurzer Zeit. Dies war die erste und letzte Un—
gerechtigteit, die er begangen hatte, daß er den Sym⸗
machus und Boethius verurteilte, ohne wider seine Ge⸗
wohnheit die Sache vorher untersucht zu haben.
383. Theoderichs Seele.
Dialogi Gregorii M. Lib. IV. cap. 30 und daraus die Reimchronik. Altd.
Waäld. III. 283. Val. J. 228
Zu den Zeiten Theoderichs, Königs der Ostgoten, kehrte
ein Mann von einer nach Sizilien getanen Reise wieder
nach Italien zurück; sein Schiff vom Sturm verschlagen,
trieb zu der Insel Liparis. Daselbst wohnte ein frommer
Einsiedel, und während seine Schiffsleute das zerbrochene
Gerät wieder einrichteten, beschloß der Mann hin zu dem
Heiligen zu gehen und sich dessen Gebet zu empfehlen.
106
Urajas und Ildibad.
Sobald der Einsiedel ihn und die andern Begleitenden
kommen sah, sagte er im Gespräch: „Wißt ihr schon, daß
König Theoderich gestorben ist?ꝰ“ Sie antworteten schnell:
„Unmöglich, denn wir verließen ihn lebendig und haben
nichts dergleichen von ihm gehört.“ Der Diener Gottes ver⸗
setzte: „Er ist aber gestorben, denn gestern am Tage um die
neunte Stunde sah ich, daß er entgürtet und entschuht)
mit gebundenen Händen, zwischen Johannes dem Papst
und Symmachus dem Patrizier hergeführt, und in den
Schlund des benachbarten Vulkans gestürzt wurde. Die
Leute schrieben sich Tag und Stunde genau, wie sie ge—
hört hatten, auf, reisten heim nach Italien und vernahmen,
das Theoderich gerade zu jener Zeit gestorben war. Und
weil er den Papst Johannes im Gefängnisse totgemartert,
und den Patrizier Symmachus mit dem Schwert ent—
hauptet hatte, so wurde er gerecht von denen ins Feuer
geleitet, die er ungerecht in seinem Leben gerichtet hatte.
334. Urajas und Ildibad H.
Procop. de bello gothb. III. r.
Urajas der Gote hatte eine Ehefrau, reich an Ver—
mögen und schön an Gestalt. Diese ging einmal ins
Bad, angetan in herrlichem Schmuck und begleitet von
einer Menge Dienstfrauen. Da sah sie im Bade sitzen
Ildibads des Königs Gemahlin in schlechten Kleidern,
grüßte sie nicht demütig, wie es sich vor einer Königin
ziemt, sondern sprach höhnende Reden aus stolzem Mut.
) Discinctus et discalceatus, in der
freien Verbannten. Lex salica. Tit. 61.
*x) Bei Marcellinus, p. 70, 71. (ed. Sirmond 1618. 8.
Orajus und Heldebadus genannt.
Weise eines vogel—
Totila versucht den Heiligen.
17
Denn es war Ildebads Einkommen noch gering und
seine Macht noch nicht königlich.
Allein diesen Schimpf ertrug die Königin nicht, ent—
brannte vor Schmerz und ging zu ihrem Gemahl, den
bat sie mit Tränen, daß er das von Urajas Frau ihr
zugefügte Unrecht räche. Bald darauf schuldigte Ildibad
den Urajas bei den Goten an, daß er zum Feinde über—
gehen wollte, und nicht lange darauf brachte er ihn
hinterlistig ums Leben. Darüber fingen die Goten an,
sich in Haß und Zwietracht zu spalten, und Wilas, ein
Gepide, beschloß den König zu morden. Als Ildebad eben
am Gastmahl saß und aß, hieb ihm Wilas unversehens
mit dem Schwert in den Nacken, so daß seine Finger
noch die Speise hielten, während sein abgeschnittenes
Haupt auf den Tisch fiel, und alle Gäste sich entsetzten.
385. Totila versucht den Heiligen.
Dialogi Gregorii M. Lib. 2. cap. 14. 15.
Als Totila, König der Goten, vernommen hatte, daß
auf dem heiligen Benediktus ein Geist der Weissagung
ruhe, brach er auf und ließ seinen Besuch in dem Kloster
ankündigen. Er wollte aber versuchen, ob der Mann
Gottes die Gabe der Weissagung wirklich hätte. Einem
seiner Waffenträger, namens Riggo, gab er seine Schuhe
und ließ ihm königliche Kleider antun; so sollte er sich in Ge—
stalt des Königs dem Heiligen nahen. Drei andere Herren
aus dem Gefolge, Wulderich, Ruderich und Blindin“),
mußten ihn begleiten, seine Waffen tragen und sich nicht
anders anstellen, als ob er der wahre König wäre. Riggo
——
x) Bei Marcellinus p. 72. heißen die drei Herzöge des
Totila: Ruderit, Viliarid, Bleda.
Srimm, Sagen II.
28
Der blinde Sabinus.
begab sich nun in seinem prächtigen Gewande unter dem
Zulaufen vieler Leute in das Münster, wo der Mann
Gottes in der Ferne saß. Sobald Benediktus den Kom—
menden in der Nähe, daß er von ihm gehört werden
konnte, sah, rief er aus: „Lege ab, mein Sohn, lege ab,
was du trägst, ist nicht dein!“ Riggo sank zu Boden vor
Schrecken, daß er sogleich entdeckt worden war, und alle
seine Begleitung beugte sich mit ihm. Darauf erhuben
sie sich wieder, wagten aber nicht dem Heiligen näher
zu gehen, sondern kehrten zitternd zu ihrem König zurück
mit der Nachricht, wie ihnen geschehen wäre. Nunmehr
machte sich Totila selbst auf und beugte sich vor dem
in der Weite sitzenden Benediktus nieder. Dieser trat
hinzu, hob den König auf, tadelte ihn über seinen grau—
samen Heereszug und verkündete ihm in wenig Worten
die Zukunft: „Du tust viel Böses und hast viel Böses
getan, jetzt laß ab vom Unrecht! Du wirst in Rom ein—
ziehen, über das Meer gehen, neun Jahre herrschen und
im zehnten sterben.“ Totila erschrak heftig, beurlaubte
sich von dem Heiligen und war seitdem nicht so grausam
mehr.
386. Der blinde Sabinus.
Dialogi Gregorii Lib. 3. cap. 5.
Der Bischof Sabinus hatte vor hohem Alter das Licht
der Augen verloren und war ganz blind. Da nun Totila
von diesem Mann hörte, daß er weissagen könne, wollte
er's nicht glauben, sondern selbst prüfen. Bei seiner An—
kunft in jener Gegend lud der Mann Gottes den König
zum Gastmahl ein. Totila wollte nicht speisen, sondern
setzte sich zur Rechten des Greises. Als darauf ein Diener
dem Sabinus den Weinbecher reichen wollte, streckte der
Der Ausgang der Longobarden. 19
König seine Hand stillschweigend aus, nahm den Kelch und
teichte ihn mit seiner eignen Hand, statt des Knaben,
dem Bischof hin. Dieser empfing ihn, sagte aber: „Heil
dieser Hand!“ Totila, errötend über seine Entdeckung,
freute sich, gefunden zu haben, was er suchte.
Dieser Sabinus brachte sein Leben weit hinauf, so daß
endlich sein Archidiakonus, aus Begierde ihm als Bischof
zu folgen, den frommen Mann zu vergiften trachtete. Er
gewann den Weinschenken, daß er ihm Gift in den Kelch
mischte, und bestach den Knaben, der dem Sabinus bei dem
Mittagsmahl den Trank zu reichen pflegte. Der Bischof
sprach auf der Stelle zum Knaben: „Trinke du selbst, was
du mir reichst.“ Zitternd wollte der Knabe doch lieber trinken
und sterben, als die Qualen leiden, die auf einem solchen
Menschenmord standen. Wie er aber den Becher eben an den
Mund setzte, hielt ihn Sabinus zurück und sprach: „Trinke
nicht, sondern reiche mir, ich will trinken; geh' aber hin
und sage dem, der dir's gab: daß ich tränke, und er doch
nicht Bischof werden würde.“ Hierauf machte der Bischof
das Zeichen des Kreuzes und trank ohne Gefahr. Zur
selben Stunde sank der Archidiakonus an einem andern
Orte, wo er sich eben aufhielt, tot zu Boden, als ob
das Gift in seine Eingeweide durch des Bischofs Mund
gelaufen wäre.
387. Der Ausgang der Longobarden.
P. Diaconus IJ. 2
Die Winiler, hernachmals Longobarden genannt,
als sie sich in dem Eiland Skandinavien so vermehrt
hatten, daß sie nicht länger zusammen wohnen konnten,
teilten sich in drei Haufen ab und losten. Wer nun
das Los zog, der Haufen sollte das Vaterland verlassen,
o*
20
Der Longobarden Ausgang.
und sich eine fremde Heimat suchen. Als nun das Los
auf einen Teil gefallen war, so zog dieser unter zwei
Heerführern, den Brüdern Ibor und Ayo (oder Agio),
samt ihrer weisen Mutter Gambara aus. Sie langten
zuerst in Skoringen an, schlugen die Wandalen und
deren Könige Ambry und Aßy; zogen sodann nach
Moringen, und dann nach Goland. Nachdem sie da
eine Zeitlang verweilt, besetzten sie die Striche: Anthaib,
Banthaib und Wurgenthaib, wo sie auch noch nicht
blieben, sondern durch Rugiland zogen, eine Zeit über
im offenen Feld wohnten, mit den Herulern, Gepiden
und Goten Händel hatten und zuletzt in Italien festen
Sitz nahmen.
388. Der Longobarden Ausgang.
Nach der alten Chronik und dem dänischen Volkslied vgl. Suhm Fabel—
zeit I. 40-42, nach Saxo Gramm. Lib. 8. p. 158, 159, wo Aggo, Ebbo
und Gambaruc, und eine merkwürdige Nach-Sage, Suhm II. 84,
von Snio und Magge.
In Dänemark herrschte König Snio Echnee), da
brach ini Land Hunger und Not aus; der König gab
ein Gesetz, welches Gastereien und Trinkgelage verbot;
aber das wollte micht helfen, sondern die Teurung nahm
immer zu. Der König ließ seinen Rat versammeln und
beschloß, den dritten Teil des Volkes töten zu lassen.
Ebbe und Aage, zwei mannliche Helden, saßen zu oberst
im Rat; ihre Mutter hieß Gambaruk, wohnte in Jüt—
land und war eine weise Frau. Als sie dieset den Ent—
schluß des Königs meldeten, mißfiel es ihr höchlich, daß
so viel unschuldig Volk umkommen sollte: „Ich weiß
bessern Rat, der uns frommt; laßt Alte und Junge
losen, auf welche unter diesen das Los fällt, die müssen
aus Dänemark fahren und ihr Heil zur See versuchen.“
Sage von Gambara und den Langbärten. 21
Dieser Ratschlag wurde allgemein beliebt, und das Los
geworfen. Es fiel auf die Jungen, und alsbald wurden
die Schiffe ausgerüstet. Ebbe und Aage waren nicht
träg dazu und ließen ihre Wimpel wehen; Ebbe führte
die Jüten, und Aage die Gundinger aus.
389. Sage von Gambara“) und den Langbärten.
Paulus Diac. I. c. 8.
Greg. tur. hist. epitomata cap. 65, cf. Gotfrid. viterb. p. 299, ef. 304.
Als das Los geworfen war und der dritte Teil der
Winiler aus der Heimat in die Fremde ziehen mußte,
führten den Haufen zwei Brüder an, Ibor und Aior)
mit Namen, junge und frische Männer. Ihre Mutter
aber hieß Gambara, eine schlaue und kluge Frau, auf
deren weisen Rat in Nöten sie ihr Vertrauen setzten.
Wie sie sich nun auf ihrem Zug ein anderes Land suchten,
das ihnen zur Niederlassung gefiele, langten sie in die
Gegend, die Schoringen hieß, da weilten sie einige Jahre.
Nah dabei wohnten die Wandalen, ein rauhes und sieg—
stolzes Volk, die hörten ihrer Ankunft und sandten Boten
an sie: daß die Winiler entweder den Wandalen Zoll
gäben, oder sich zum Streit rüsteten. Da ratschlagten
Ibor und Aio mit Gambara, ihrer Mutter, und wurden
eins: daß es besser sei, die Freiheit zu verfechten, als sie
mit dem Zoll zu beflecken; und ließen das den Wan—
dalen sagen. Es waren die Winiler zwar mutige und
kräftige Helden, an Zahl aber gering. Nun traten die
Wandalen vor Wodan und flehten um Sieg über die
Winiler. Der Gott antwortete: „Denen will ich Sieg
—
*) Diese Gambara ist merkwürdig die Cambra des
Hunibald
*x) Bei Gotfr. viterb. Hibor et Hangio.
22
Die Longobarden und Aßipiter.
verleihen, die ich bei Sonnenaufgang zuerst sehe.“ Gam—
bara aber trat vor Frea, Wodans Gemahlin, und flehte
um Sieg für die Winiler. Da gab Frea den Rat: „Die
Winiler Frauen sollten ihre Haare auflösen, und um
das Gesicht in Bartes Weise zurichten, dann aber früh—
morgens mit ihren Männern sich dem Wodan zu Gesicht
stellen, vor das Fenster gen Morgen hin, aus dem er
zu schauen pflegte. Sie stellten sich also dahin, und als
Wodan ausschaute bei Sonnenaufgang, rief er: „Was
sind das für Langbärte?“ Frea fügte hinzu: „Wem du
Namen gabst, dem mußt du auch Sieg geben.“*) Auf
diese Art verlieh Wodan den Winilern den Sieg, und seit der
Zeit nannten sich die Winiler Langbärte (Congobarden).
390. Die Longobarden und Aßipiter.
Paul. Diacon. IJ. II, 12.
Bald nach Besiegung der Winiler mußten die Lang—
barten aus Hungersnot das Land Schoringen verlassen
und gedachten in Moringen zu ziehen. Die Aßipiter
(2Usipeter) aber widerstanden und wollten ihnen keinen
Durchzug durch ihre Grenzen verstatten. Da nun die
Langbarten die große Zahl der Feinde und ihre geringe
sahen, sprengten sie listig aus, daß sie Hundsköpfe im
Lager bei sich führten; das heißt: ungeheure Menschen
mit Hundsköpfen; die dürsteten nach Menschenblut und
tränken, wenn sie keinen Feind erreichen könnten, ihr
eigenes. Und um dies glaubhafter zu machen, stellten
sie ihre Zelte weit auseinander und zündeten viele Feuer
im Lager an. Die Aßipiter gerieten dadurch in Furcht
*) S. das Lied von Helge und Swawa in unserer Ausg.
der Edda. Str. 8. Anm. S. 33.
Die sieben schlafenden Männer in der Hoͤhle. 23
und wagten nun den Krieg, womit sie gedroht hatten,
nicht mehr zu führen. Doch hatten sie unter sich einen
starken Mann, auf dessen Kräfte sie vertrauten; mit
diesem boten sie den Langbarten einen Einkampf an. Die
Langbarten möchten nämlich auch einen aus ihren Leuten,
welchen sie wollten, wählen, und ihrem Fechter entgegen⸗
stellen. Siegte der Aßipiter, so sollten die Langbarten
auf dem Wege, den sie gekommen wären, wieder zurück⸗
wandern; würde er aber besiegt, so müßte ihnen der
freie Durchzug gestattet werden.
Als nun die Langbarten anstanden, wen sie von ihren
Männern dazu auswähleten: da bot sich einer aus der
Knechtschaft von freien Stücken zum Kampf an und
hielt sich aus, wo er den Feind besiegen würde, daß er
und seine Nachkommen in den Stand der Freien auf—⸗
genommen werden sollten. Dies wurde ihm verheißen,
er übernahm den Kampf und besiegte seinen Gegner.
Seinem Wunsche gemäß wurde er darauf freigesprochen
und erwarb den Langbarten freien Durchzug, worauf sie
glücklich in das Land Moringen einrückten.
391. Die sieben schlafenden Mäunner in der Hohle.
Paulus Diaconus Lib. J. cap. 3.
Bgl. die byzantinische Sage bei Gregor. turon. mirac. J. 95 und die
naheliegende Verwechslung der Wörter Germani (Brüder) und Germani
Deutsche). Dessenungeachtet solat Paulus offenbar einer andern Er—
zählung.
In ganz Deutschland weiß man folgende wunderbare
Begebenheit: An der äußersten Meeresküste liegt unter
einem ragenden Felsen eine Höhle, in der, man kann
nicht mehr sagen seit welcher Zeit, lange her sieben Män—
ner schlafen; ihre Leiber bleiben unverwest, ihre Kleider
verschleißen nicht, und das Volk verehrt sie hoch. Der
24
Der Knabe im Fischteich.
Tracht nach scheinen sie Römer zu sein. Einen reizte die
Begierde, daß er der Schläfer einem das Gewand ausziehen
wollte; alsbald erdorrten ihm die Arme, und die Leute
erschraken so, daß niemand näher zu treten wagte. Die
Vorsehung bewahrt sie zu einem heiligen Zweck auf,
und dereinst sollen sie vielleicht aufstehen und den heid⸗
nischen Völkern die heilige Lehre verkündigen.
392. Der Knabe im Fischteich.
Paulus Diac. Lib. IJ. c. 15.
Zu den Zeiten Agelmunds, des longobardischen Königs,
trug es sich zu, daß ein Weib dieses Volkes sieben Knaͤb—
lein auf einmal gebar, und um der Schande*) zu entgehn,
grausamer als wilde Tiere, sie sämtlich in einen Fisch⸗
teich warf. Bei diesem Teich ritt der König gerade vor⸗
über, sah die elenden Kinder liegen, hielt sein Pferd an
und wandte sie mit dem Spieß, den er in der Hand trug,
von einer auf die andere Seite um. Da griff eins der
Kindlein mit seinen Händchen den königlichen Spieß fest.
Der König sah darin ein Zeichen, daß aus diesem Kind
ein besonderer Mann werden würde, befahl, es aus dem
Fischbehälter zu ziehen, und übergab es einer Amme zum
Säugen. Und weil er ihn aus dem Fischteich, der in
ihrer Sprache Lama“) heißt, gezogen hatte, legte er dem
Kind den Namen Lamißio bei. Es erwuchs, wurde
ein streitbarer Held und nach Agelmunds Tode König
der Longobarden.
*) Als hätte sie mit sieben Männern Verkehr gepflogen.
A. d. 5
*) Aus keiner germanischen Sprache jetzt zu erläutern, aber
im Latein. ist lama Pfütze, Sumpf, Schlund, griech. Anuoç
Vgl. Schlamm.
Sage von Rodulf und Rumetrud.
25
393. Sage von Rodulf und Rumetrud.
Paulus Diac. Lib. J. cap. 20.
Als die Heruler und Longobarden ihren Krieg durch
ein Friedensbündnis aufheben wollten, sandte König
Rodulf seinen Bruder zu König Tato, daß er alles ab—
schließen sollte. Nach beendigtem Geschäfte kehrte der
Gesandte heim; da geschah es, daß er unterwegs vorbei⸗
ziehen mußte, wo Rumetrud wohnte, des longobardischen
Königs Tochter. Diese sah die Menge seines Gefolges,
fragte: wer das wohl sein möchte? und hörte, daß es
der herulische Gesandte, Rodulfs leiblicher Bruder wäre,
der in sein Land heimzöge. Da schickte sie einen zu ihm
und ließ ihn laden: ob er kommen wolle, einen Becher
Wein zu trinken? Ohne Arg folgte er der Ladung;
aber die Jungfrau spottete seiner aus Übermut, weil er
kleinlicher Gestalt war, und sprach höhnende Reden. Er
dagegen, übergossen von Scham und Zorn, stieß noch
härtere Worte aus, also daß die Königstochter viel mehr
beschämt wurde und innerlich von Wut entbrannte.
Allein sie verstellte ihre Rache und versuchte mit freund—
licher Miene ein angenehmes Gespräch zu führen, und
lud den Jüngling zu sitzen ein. Den Sitz aber wies sie
ihm da an, wo in der Wand eine Luke war, darüber
sie, gleichsam zu des Gastes Ehren, einen köstlichen Teppich
hängen lassen; eigentlich aber wollte sie damit allen Arg—
wohn entfernen. Nun hatte sie ihren Dienern befohlen,
sobald sie zu dem Schenken das Wort sprechen würde:
„Mische den Becher!“ daß sie durch die Luke des Gastes
Schulterblatt durchstoßen sollten, und so geschah auch.
Denn bald gab das grausame Weib jenes Zeichen,
und der unselige Gast sank mit Wunden durchbohrt
zur Erde.
26 Sage von Rodulf und Rumetrud.
Da König Rodulf von seines Bruders Mord Kund—
schaft bekam, klagte er schmerzlich und sehnte sich nach
Rache; alsbald brach er den neuen Bund und sagte den
Longobarden Krieg an. Wie nun der Schlachttag er—
schien, war Rodulf seiner Sache so gewiß, daß ihm der
Sieg unzweifelhaft deuchte, und während das Heer aus—
rückte, er ruhig im Lager blieb und Schachtafel spielte.
Denn die Heruler waren dazumal im Kampf wohl er—
fahren und durch viele Kriege berühmt. Um freier zu
fechten, oder als verachteten sie alle Wunden, pflegten sie
auch nackend zu streiten und nichts als die Scham zu
bedecken an ihrem Leibe.
Als nun der König, wie gesagt, fest auf die Tapfer—
keit der Heruler baute und ruhig Tafel spielte, hieß er
einen seiner Leute auf einen nahestehenden Baum steigen,
daß er ihm der Heruler Sieg desto schneller verkündige;
doch mit der zugefügten Drohung: „Meldest du mir
von ihrer Flucht, so ist dein Haupt verloren.“ Wie nun
der Knecht oben auf dem Baume stand, sah er, daß die
Schlacht übel ging; aber er wagte nicht zu sprechen,
und erst wie das ganze Heer dem Feinde den Rücken
kehrte, brach er in die Worte aus: „Weh dir Heruler—
land, der Zorn des Himmels hat dich betroffen!“ Das
hörte Rodulf und sprach: „Wie, fliehen meine Heruler?“
„Nicht ich,“ rief jener, „sondern du, König, hast dies
Wort gesprochen.“ Da traf den König Schrecken und
Verwirrung, daß er und seine umstehenden Leute keinen
Rat wußten, und bald die lombardischen Haufen ein—
brachen und alles erschlugen Da fiel Rodulf, ohne
männliche Tat. Und über der Heruler Macht, wie sie
hierhin und dorthin zerstreut wurde, waltete Gottes Zorn
schrecklich. Denn als die Fliehenden blühende Flachsfelder
vor sich sahen, meinten sie vor einem schwimmbaren
Alboin wird dem Audoin tischfähig. 27
Wasser zu stehen, breiteten die Arme aus, in der Meinung
zu schwimmen, und sanken grausam unter der Feinde
Schwert.) Die Lombarden aber trugen unermeßliche
Beute davon üund teilten sie im Lager; Rodulfs Fahne
und Helm, den er in den Schlachten immer getragen
hatte, bekam Tato, der König. Von der Zeit an war
alle Kraft der Heruler gebrochen, sie hatten keine Könige
mehr; die Longobarden aber wurden durch diesen Sieg
reicher und mächtiger als je vorher.
394. Alboin wird dem Audoin tischfähig
Paulus Diac. LJ. 23, 24.
Als Alboin, Audoins Sohn, siegreich vom Feldzug
gegen die Gepiden heimkehrte, wollten die Longobarden,
daß er auch seines Vaters Tischgenoß würde. Audoin aber
verwarf dies, weil nach der Gewohnheit des Volks der
Königssohn nicht eher mit dem Vater speisen dürfe, bis
er von einem auswärtigen König gewaffnet worden sei.
Sobald dies Alboin hörte, ritt er, nur von vierzig Jüng—
lingen begleitet, zu Thurisend, dem Gepidenkönig, dessen
Sohn Thurismod er eben erlegt hatte, und erzählte ihm,
aus welcher Ursache er käme. Thurisend nahm ihn freund—
lich auf, lud ihn zu Gast, und setzte ihn zu seiner Rechten
an der Mahlzeit, wo sonst sein Sohn zu sitzen pflegte.
Als nun Thurisend so saß und seines Sohnes Mörder
neben sich erblickte, seufzte er vor Schmerz und sprach:
„Der Platz ist mir lieb, aber der Mann leid, der jetzt
darauf sitzt.“ Durch diese Worte gereizt, hub der andere
Sohn Thurisends an, der Longobarden zu spotten, weil
*) Diesen poetischen und ganz sagenhaften Zug hat auch
Aimoin in seinen sonst kurzen Exzerpten aus Paulus (Lãb. 2.
cap. 13).
23
Ankunft der Longobarden in Italien.
sie unterhalb der Waden weiße Binden trügen, und ver—
glich sie Pferden, deren Füße bis an die Schenkel weiß
sind: „Das sind ekelhafte Mähren, denen ihr gleicht.“
Einer der Longobarden versetzte hierauf: „Komm mit ins
Asfeld, da kannst du sehen, wie gut die, welche du
Mähren nennst, mit den Hufen schlagen; da liegen deines
Bruders Gebeine, wie die eines elenden Gauls, mitten
auf der Wiese.“ Die Gepiden gerieten dadurch in Wut
und wollten sich rächen, augenblicklich faßten alle Longo⸗
barden ihre Degengriffe. Der König aber stand vom
Tische auf, warf sich in ihre Mitte und bedrohte den,
welcher zuerst den Streit anheben würde: der Sieg miß⸗
falle Gott, wenn man in seinem eignen Hause den Feind
erlege. So beschwichtigte er den Zank, nahm nach voll—
brachtem Mahl die Waffen seines Sohnes Thurismod
und übergab sie dem Alboin. Dieser kehrte in Frieden
zu seinem Vater heim und wurde nun dessen Tischgenoß.
Er erzählte alles, was ihm bei den Gepiden begegnet
war, und die Longobarden lobten mit Bewunderung so—
wohl Alboins Wagstück, als Thurisends große Treue.
395. Ankunft der Longobarden in Italien.
P. Diaconus II. 5.
Greg. tur. hist. epitom. c. 65.
Vgl. Altd. Wälder III. S. 282.
— Strittoàr mem. pop. L. 406. 407
Narses, weil er seiner Mannheit beraubt worden war,
wurde von der Kaiserin verhöhnt, indem sie ihm ein
goldenes Spinnrad sandte: mit den Weibern solle er
spinnen, aber nicht unter den Männern befehlen. Da
antwortete Narses: „So will ich ihr ein solches Ge—
webe spinnen, aus dem sie zeitlebens ihren Hals nicht
wieder wird loswickeln können.“ Darauf lockte er die
Alboin gewinnt Ticinum. Alboin und Rosimund. 29
Longobarden und leitete sie mit ihrem König Alboin
aus Pannonien nach Italien.
Die altdeutsche Weltchronik erzählt dieses nicht von
Narses, sondern von Aetius, dem die Königin spottweise
entbieten ließ, in ihrer Frauenstube Wolle zu zeisen.
396. Alboin gewinnt Ticinum“ꝰ).
P. Diac. II. 27
Drei Jahre und etliche Monate hatte Alboin Ticinum
belagert, eh' es sich ergab. Als nun der König durch
die Johannespforte an der Ostseite der Stadt eimitt,
fiel sein Pferd mitten unter dem Tor hin und konnte
durch keine Streiche dahingebracht werden, wieder auf—
zustehen. Da sagte ein Longobarde: „Gedenk, o König,
deines Gelübdes, und brich es, so wirst du in die Stadt
eingehen, denn es wohnt auch Christenvolk darin.“ Alboin
hatte nämlich gelobt, das ganze Volk, weil es sich nicht
ergeben wollte, über die Klinge springen zu lassen. Hier—
auf brach er nun das harte Gelübde und verhieß den
Bürgern Gnade; alsbald hob sich sein Pferd auf, und
er hielt ruhig den Einzug.
Alboin und Rosimund.
P. Diaconus I. 27. II. 28.
Gotfridus viterb. p. 308, 309.
DVal. Theophylactus hei Stritter I. p. 386.
Nach Thurisends Tod brach dessen Sohn und Nach—
folger Cunimund aufs neue den Frieden mit den Longo—
barden. Alboin aber schlug die Feinde, erlegte den Cu—
nimund selber und machte sich aus dessen Schädel eine
*) Pavia.
30
Alboin und Rosimund.
Trinkschale. Cunimunds Tochter Rosimund führte er
mit vielen andern in die Gefangenschaft und nahm sie
darauf zu seiner Gemahlin. Alboins Taten erschollen
überall, und sein Ruhm wurde nicht bloß bei den Longo—
barden, sondern auch bei den Bayern, Sachsen und an—
dern Völkern der deutschen Zunge in Liedern besungen.
Auch erzählen viele, daß zu seiner Zeit ganz vorzügliche
Waffen geschmiedet worden seien.
Eines Tages saß Alboin zu Verona fröhlich am Mahl
und befahl der Königin, in jene Schale Wein zu schenken,
die er aus ihres Vaters Haupt gemacht hatte, und sprach
zu ihr: „Trinke fröhlich mit deinem Vater!“ Rosimund
empfand tiefen Schmerz, bezwang sich gleichwohl und
sann auf Rache. Sie wandte sich aber an Helmichis,
des Königs Waffenträger (Schilpor) und Milchbruder,
und bat ihn, daß er den Alboin umbringe. Dieser riet
ihr, den Peredeo, einen tapfern Helden, ins Verständnis
zu ziehen. Peredeo wollte aber mit dieser Untat nichts
gemein haben. Da barg sich Rosimund heimlich in ihrer
Kammermagd Bett, mit welcher Peredeo vertrauten Um—
gang hatte; und so geschah's, daß er unwissend dahin
kam und bei der Königin schlief. Nach vollbrachter
Sünde frug sie ihn: für wen er sie wohl halte? und als
er den Namen seiner Freundin nannte, sagte sie: „Du irrst
dich sehr, ich, Rosimund, bin's, und nun du einmal dieses
begangen hast, geb' ich dir Wahl, entweder den Alboin
zu ermorden, oder zu gewarten, daß er dir das Schwert
in den Leib stoße.“ Da sah Peredeo das unausweichliche
Übel ein und bewilligte gezwungen des Königs Mord.
Eines Mittags also, wie Alboin eingeschlafen war,
gebot Rosimund Stille im ganzen Schlosse, schaffte alle
Waffen beiseite und band Alboins Schwert an die
Bettstelle stark fest, daß es nicht weggenommen noch aus
Rosimund, Helmichis und Peredeo. 31
der Scheide gezogen werden mochte. Dann führte sie,
nach Helmichis Rat, Peredeo herein. Alboin, aus dem
Schlaf erwachend, sah die Gefahr, worin er schwebte, und
wollte schnell sein Schwert ergreifen; da er's nicht los—
bringen konnte, griff er den Fußschemel und wehrte sich
eine gute Weile tapfer damit. Endlich aber mußte dieser
kühne und gewaltige Mann, der so viele Feinde besiegt
hatte, durch die List seiner Frau wehrlos unterliegen.
Seinen Leichnam bestatteten die Longobarden weinend
und klagend unter den Aufstieg einer Treppe, nah beim
königlichen Schloß. Später öffnete Herzog Gisilbert das
Grab und nahm das Schwert zusamt anderm Schmuck her—
aus. Er berühmte sich auch, den Alboin gesehen zu haben.
398. Rosimund, Helmichis und Peredeo.
P. Diaconus II. 29, 30.
Nach Alboins Tode dachte Helmichis das Reich zu
bekommen, allein die Longobarden hinderten das und
stellten ihm, vor tiefem Schmerz über ihres Herrschers
Ermordung, nach dem Leben. Also entflohen Helmichis
und Rosimund, jetzt seine Gemahlin, auf einem Schiffe,
das ihnen Longinus, Vorsteher zu Ravenna, gesandt
hatte, nachts aus Verona, entwandten Albsuind, Alboins
Tochter erster Ehe, und den ganzen longobardischen Schatz.
Wie sie zu Ravenna angelangt waren, nahm Rosimundens
Schönheit auch den Longinus ein, und er beredete sie,
den Helmichis zu töten, und sich hernach ihm zu ver—
mählen. Zum Bösen aufgelegt und wünschend, Ravennas
Herrin zu werden, reichte sie dem Helmichis, als er aus
dem Bad kam, einen Becher Gift; er aber, sobald er
merkte, daß er den Tod getrunken, zog das Schwert
über sie und zwang sie, was im Becher geblieben war,
J
32
GSage von König Authari.
auszuleeren. So starben diese beiden Moörder durch Gottes
Gericht zu einer Stunde. Longinus schickte Albsuind und
die lombardischen Schätze nach Konstantinopel zum Kaiser
Tiberius. Einige erzählen: auch Peredeo sei mit Hel—
michis und Rosimund nach Ravenna gekommen, und eben—
falls mit Albsuinden nachher zu Tiberius gesandt worden.
Er soll zu Konstantinopel Beweise seiner großen
Stärke gegeben und einmal im Schauspiel vor dem Kaiser
und allem Volk einen ungeheuern Löwen erlegt haben.
Aus Furcht, daß er kein Unheil stifte, ließ ihm der Kaiser
die Augen ausstechen. Peredeo schaffte sich zwei kleine
Messer, barg sie in seinen ürmeln und ging in den
Palast unter dem Vorwand, er habe dem Kaiser etwas
Wichtiges zu offenbaren. Dieser sandte zwei seiner ver—
trauten Diener, daß sie ihn anhörten; alsbald nahte er
sich ihnen, als wolle er etwas Heimliches entdecken, und
schlug ihnen mit seinen beiden kleinen Schwertern solche
Wunden, daß sie zur Stelle hinsanken und ihren Geist
aufgaben. So rächte dieser tapfere Mann, dem Samson
(Simson) nicht ungleich, seiner beiden Augen Verlust an
dem Kaiser durch den Tod zweier wichtiger Hofmänner.
399. Sage von König Authari.
Paulus Diaconus III. 30.
Authari, König der Lamparten, sandte nach Bayern
zu König Garibald und ließ um dessen Tochter Theodelind
(Dietlind) freien. Garibald nahm die Boten freundlich
auf und sagte die Braut zu. Auf diese Botschaft hatte
Authari Lust, seine Verlobte selbst zu sehen, nahm wenige,
aber geprüfte Leute mit, und darunter seinen Getreuesten,
der als Ältester den ganzen Zug anführen sollte. So
langten sie ohne Verzug in Bayern an und wurden
Sage von König Authari.
33
dem König Garibald in der Weise anderer Gesandten
vorgestellt; der Älteste sprach den üblichen Gruß, hernach
trat Authari selbst, der von keinem Bayer erkannt wurde,
vor und sprach: „Authari, mein Herr und König, hat
mich deshalb hierher gesandt, daß ich seine bestimmte
Braut, die unsere Herrin werden soll, schaue, und ihm
ihre Gestalt genau berichten könne.“ Auf diese Worte
hieß der König seine Tochter kommen, und als sie Authari
stillschweigend betrachtet hatte, auch gesehen, daß sie
schön war und seinen Augen gefiel, redete er weiter:
„Weil ich, o König, deine Tochter so gestaltet sehe, daß
sie wert ist, unsere Königin zu werden, möge es dir be—
lieben, daß ich aus ihrer Hand den Weinbecher empfange.“
Der König gab seinen Willen dazu, Dietlind stand auf,
nahm den Becher und reichte zuerst dem zu trinken, der
unter ihnen der älteste zu sein schien; hernach schenkte
sie Authari ein, von dem sie nicht wußte, daß er ihr
Bräutigam war. Authari trank, und beim Zurückgeben
des Bechers rührte er leise mit dem Finger, ohne daß
jemand es merkte, Dietlindens Hand an, darauf fuhr er
sich selbst mit der Rechten, von der Stirn an über die
Nase, das Antlitz herab. Die Jungfrau, vor Scham er⸗
rötend, erzählte es ihrer Amme. Die Amme versetzte:
„Der dich so anrührte, muß wohl der König und dein
Bräutigam selber sein, sonst hätte ers nimmer gewagt;
du aber schweige, daß es dein Vater nicht vernehme; auch
ist er so beschaffen von Gestalt, daß er wohl wert scheint,
König und dein Gemahl zu heißen.“
Authari war schön in blühender Jugend, von gelbem
Haar und zierlich von Anblick. Bald darauf empfingen
die Gesandten Urlaub beim König und zogen, von den
Bayern geleitet, heim. Da sie aber nahe an der Grenze
und die Bayern noch in der Gesellschaft waren, richtete
Grimm, Sagen II.
34
Agilulf und Theudelind.
sich Authari, soviel er konnte, auf dem Pferde auf
und stieß mit aller Kraft ein Beil, das er in der Hand
hielt, in einen nahestehenden Baum. Das Beil haftete
fest, und er sprach: „Solche Würfe pflegt König Authari
zu tun!“ Aus diesen Worten verstanden die Bayern,
die ihn geleiteten, daß er selber der König war.
Als einige Zeit darauf Dietlinde nach Lamparten kam,
und die Hochzeit festlich gehalten wurde, trug sich folgendes
zu. Unter den Gästen war auch Agilulf, ein vornehmer
Longobard. Es erhub sich aber ein Unwetter, und der
Blitzstrahl fuhr mit heftigem Donner in ein Holz, das
innerhalb des Königs Zaungarten lag. Agilulf hatte
unter seinem Gesinde einen Knecht, der sich auf die Aus—
legung der Donnerkeile verstand, und was daraus er—
folgen würde, durch seine Teufelskunst wohl wußte.
Nun begab sich's, daß Agilulf an einen geheimen Ort
ging, sich des natürlichen Bedürfnisses zu erledigen, da
trat der Knecht hinzu und sprach: „Das Weib, das heute
unserm Könige vermählt worden ist, wird, nicht über
lang, dein Gemahl werden.“ Als Agilulf das hörte, be—
drohte er ihn hart und sagte: „Du mußt dein Haupt
verlieren, wo du ein Wort von dieser Sache fallen lässest.“
Der Knabe erwiderte: „Du kannst mich töten, allein das
Schicksal ist unwandelbar; denn traun, diese Frau ist
darum in dies Land gekommen, damit sie dir anvermählt
würde.“ Dies geschah auch nach der Zeit.
400. Agilulf und Theudelind.
P. Diaconus III. 35.
Decamerone III. 2.
Nach Autharis (Vetaris) Tode ließen die Longobarden
Theudelind, die königliche Witwe, die ihnen allen wohlgefiel,
Agilulf und Theudelind.
35
in ihrer Würde bestehen und stellten ihr frei: welchen
sie wollte, aus dem Volk zu wählen, den würden sie
alle für ihren König erkennen. Sie aber berief Agilulf,
Herzog von Taurin, einen tapfern, kriegerischen Mann,
und reiste ihm selbst bis nach Laumell entgegen. Gleich
nach dem ersten Gruß ließ sie Wein schenken, trank selber,
und reichte das übrige dem Agilulf hin. Als er nun
beim Empfang des Bechers ehrerbietig die Hand der
Königin küßte, sprach sie lächelnd und errötend: „Der
braucht mir nicht die Hand zu küssen, welcher mir seinen
Kuß auf den Mund geben soll.“ Hierauf ließ fie ihn
zum Kuß und tat ihm den gefaßten Entschluß kund;
unter allgemeinem Frohlocken wurde bald die Hochzeit
begangen und Agilulf von allem versammelten Volk
zum König angenommen.
Unter der weisen und kräftigen Herrschaft dieses Königs
stand das Reich der Longobarden in Glück und Frieden;
Theudelind, seine Gemahlin, war schön und tugendsam.
Es begab sich aber, daß ein Jüngling aus dem könig—
lichen Gesinde eine unüberwindliche Liebe zu der Königin
faßte und doch, seiner niedern Abkunft halben, keine
Hoffnung nähren durfte, jemals zur Befriedigung seiner
Wünsche zu gelangen. Er beschloß endlich das Außerste
zu wagen, und wenn er sterben müsse. Weil er nun ab⸗
gemerkt hatte, daß der König nicht jede Nacht zu der
Königin ging, sooft er es aber tat, in einen langen Mantel
gehüllt, in der einen Hand eine Kerze, in der andern ein
Stäblein tragend, vor das Schlafgemach Theudelindens
trat und mit dem Stäblein ein- oder zweimal vor die
Türe schlug, worauf alsbald geöffnet und ihm die Kerze
abgenommen wurde; so verschaffte er sich einen solchen
Mantel, wie er denn auch von Gestalt genau dem Könige
gleichkam.
36
Agilulf und Theudelind.
Eines Nachts wickelte er sich in den Mantel, nahm
Kerze und Stäblein zur Hand und tat zwei Schläge an
die Türe des Schlafzimmers; sogleich ward ihm von der
Kämmerin aufgetan, die Kerze abgenommen, und der
Diener gelangte wirklich in das Bett der Königin, die
ihn für keinen andern als ihren Gemahl hielt. Indessen
fürchtete er, auf solches Glück möge schnelles Unheil folgen,
machte sich daher bald aus den Armen der Königin und
gelangte auf dieselbe Weise, wie er gekommen war, un⸗
erkannt in seine Schlafstube zurück.
Kaum hatte er sich entfernt, als sich der König selbst
vornahm, diese Nacht seine Gemahlin zu besuchen, die
ihn froh empfing, aber verwundert fragte: „Warum er
gegen seine Gewohnheit, da er sie eben erst verlassen,
schon wieder zu ihr kehre?“ Agilulf stutzte, bildete sich aber
augenblicklich ein, daß sie durch die Ähnlichkeit der Gestalt
und Kleidung könne getäuscht worden sein; und da er ihre
Unschuld deutlich sah, gab er als ein verständiger Mann
sich nicht bloß, sondern antwortete: „Traut Ihr mir
nicht zu, daß, nachdem ich einmal bei Euch gewesen, ich
nicht noch einmal zu Euch kommen möge?“ Worauf sie
versetzte: „Ja, mein Herr und Gemahl, nur ich bitte Euch,
daß Ihr auf Eure Gesundheit sehen möget.“ „Wenn
Ihr mir so ratet,“ sprach Agilulf, „so will ich Euch
folgen und diesmal nicht weiter bemühen.“ Nach diesen
Worten nahm der König seinen Mantel wieder um und
verließ voll innerem Zorn und Unwillen, wer ihm diesen
Schimpf zugefügt habe, das Gemach der Königin. Weil
er aber richtig schloß, daß einer aus dem Hofgesinde der
Täter sein müßte und noch nicht aus dem Hause habe
gehen können, so beschloß er, auf der Stelle nachzuspüren,
und ging mit einer Leuchte in einen langen Saal über
dem Marstall, wo die ganze Dienerschaft in verschiedenen
Agilulf und Theudelind.
37
Betten schlief. Und indem er weiter bedachte, dem, der
es vollbracht, müßte noch das Herz viel stärker schlagen
als den andern, so trat der König der Reihe nach zu
den Schlafenden, legte ihnen die Hand auf die Brust
und fühlte, wie ihre Herzen schlugen. Alle aber lagen
in tiefer Ruhe, und die Schläge ihres Bluts waren still
und langsam, bis er sich zuletzt dem Lager dessen näherte,
der es wirklich verübt hatte. Dieser war noch nicht ent⸗
schlafen, aber als er den König in den Saal treten ge⸗
sehn, in große Furcht geraten, und glaubte gewiß, daß
er umgebracht werden sollte; doch tröstete ihn, daß er
den König ohne Waffen erblickte, schloß daher, wie jener
näher trat, fest die Augen und stellte sich schlafend. Als
ihm nun der König die Hand auch auf die Brust legte
und sein Herz heftig pochen fühlte, merkte er wohl, daß
dieser der Täter war, und nahm, weil er bis auf den
Tag verschieben wollte, was er mit ihm zu tun willens
hatte, eine Schere und schnitt ihm von der Seite über dem
Ohr eine Locke von den langen Haaren ab. Darauf ging
der König weg, jener aber, der listig und sinnreich war,
stand unverzüglich auf, schnitt jedem seiner Schlafgesellen
auf derselben Seite eine Locke mit der Schere und legte
sich hernach ganz ruhig nieder in sein Bett und schlief.
Morgens in aller Frühe, bevor die Tore der Burg er—
öffnet wurden, befahl der König sämtlichem Gesinde, in
seiner Gegenwart zu erscheinen, und begann sie an—
zusehen, um denjenigen, den er geschoren hatte, darunter
auszufinden. Da er aber erstaunt sah, daß den meisten
unter ihnen auf derselben Stelle die Locke fehlte, sagte
er zu sich selbst: „Der, den ich suche, ist von niederer
Herkunft, aber gewiß von klugem Sinn,“ und sogleich
erkennend, daß er ihn ohne großes öffentliches AÄrgernis
nicht mehr finden werde, sprach er laut zu ihnen allen:
38 Theodelind und das Meerwunder.
„Wer es getan hat, schweige und tue es nimmermehr!“
Bei diesen Worten des Königs sahen sich alle Diener ein⸗
ander verwundert an und wußten nicht, was sie bedeuteten;
außer dem einen, der das Stück begangen hatte, welcher
klug genug war, sein Lebelang nichts davon laut werden
zu lassen und sich an dem Glück zu genügen, das ihm
widerfahren war.
401. Theodelind und das MTeerwunder.
Altdeutsches Gedicht im Dresdner Heldenbuch.
Hans Sachs, Buch IV. Kenwtn. Ausg. Bl. 130- 132.
Eines Tages wandelte Theodelind, Agilulfs Gemahlin,
in der grünen Au, nahe am Meerufer, sich zu erfrischen
und Blumen zu brechen. Da stieg plötzlich ein scheuß—
liches Meerwunder ans Land, rauchbehaart, mit glühen—
den Augen, faßte die zarte Königin und überwältigte sie.
Aber ein Edelmann, der in der Nähe Hirsch und Hind
jagte, hörte ihr klägliches Wehgeschrei, ritt eilends hinzu,
und sobald ihn das Meerwunder kommen sah, ließ es
die Königin und sprang in das Meer zurück. Der Edel—
mann geleitete Theodelinden heim; seit der Zeit war ihr
Herz traurig und betrübt, doch sagte sie niemand, was
ihr geschehen war. Hierauf brachte sie ein Kind zur
Welt, rauch und schwarz und rotäugig, gleich seinem
Vater; Agilulf erschrak innig, daß er einen solchen Sohn
erzeugt hätte, doch ließ er ihn sorgfältig auferziehen.
Das Kind wuchs auf und war bös und tückisch, andern
Kindern griff es mit Fingern die Augen aus oder zer—
brach ihnen Arm und Beine, daß sich jeder vor ihm
hütete, wie vor dem leidigen Teufel. Und als es älter
wurde, schwächte es Frauen und Jungfrauen und tötete
die Männer; da zürnte der edle König und dachte es
Theodelind und das Meerwunder. 39
mit Worten zu strafen, aber es wehrte sich und schlug
auf seinen Vater selber los, daß es ihn beinahe um—
gebracht hätte; seit der Zeit strebte es ihm und des Königs
rechtem ehelichem Sohne nach dem Leben. Dieser Teufel
kann nimmermehr mein Kind sein, dachte der König,
und ermahnte seinen Sohn, daß sie mit dem Ungeheuer
streiten und es erlegen wollten, ehe es noch mehr Mord
beginge. Viele Helden tötete es in dem Kampfe und
schlug seinem Vater und Bruder manche tiefe Wunde;
d Blut rann im Saal, da nahm seine Mutter selbst
Pfeil und Bogen und half mit fechten, bis es zu⸗
letzt von vielen getroffen zu Boden niedersank. Als das
Ungehener tot lag, sprach der König zu Theudelinde:
„Nimmermehr war das mein Sohn, bekenne mir frei,
von wem du es empfangen hattest, so soll dir alles ver⸗
geben sein.“ Die Königin bat um Gnade und sagte:
Wie sie vor Jahren am Gestade des Meeres gegangen,
sei ein scheußliches Meerwunder hervorgesprungen und
habe sie mit Gewalt bezwungen; das könne ihr der Edel⸗
mann bezeugen, der sie nach Haus geleitet.“ Dieser wurde
herbeigerufen und bestätigte, daß er auf das Geschrei
der Königin hinzugeeilt sei und das Meerwunder ent⸗
springen gesehen habe. Der König sprach: „Nun möchte
ich wissen, ob es noch am Leben ist, damit ich mich an
ihm rächen könnte; darum will ich, daß Ihr Euch an
dieselbe Stelle wiederum hinleget und seiner wartet.“
„Was Ihr gebietet, tue ich — versetzte die Königin —
Pas mir immer darum geschehe.“ Da ging die Frau,
zierlich gekleidet, hin an des Meeres Flut; der König
aber und sein Sohn bargen sich mit Waffen im Ge—
sträuche. Nicht lange lag sie da, als das Meerwunder
aus den Wellen sprang und auf sie zulief; in demselben
Augenblicke wurde es vom König und seinem Sohne
40 Romhild und Grimoald der Knabe.
überfallen, daß es nicht entrinnen konnte. Die Königin
aber ergriff ein Schwert und stach es durch den Leib
des Untiers, welches auf diese Weise mit dem Leben
büßte; alle lobten Gott und zogen in Freuden heim.
402. Romhild und Grimoald der Knabe.
Paul. Diacon IV. 38.
Die Hunnen oder Avaren waren mit Heereskraft in
die Lombardei eingebrochen; Gisulf, Herzog von Friaul,
stellte sich mannhaft entgegen, unterlag aber mit seinem
schwachen Häuflein der großen Menge. Nur wenige
Lombarden kamen lebendig davon; sie flüchteten mit
Romhild, Gisulfs Gemahlin, und seinen Söhnen in die
Festung Friaul. Als nun Cacan, der Hunnenkönig, vor
den Mauern der Burg, um sie zu besichtigen, herritt,
ersah ihn Romhild und sah, daß er ein blühender Jüng—
ling war. Da ward sie entzündet und sandte ihm heim—
liche Botschaft: wenn er sie ehelichen würde, wolle sie
die Burg mit allen, die darin wären, in seine Hände
geben. Cacan ging dieses ein, und Romhild ließ die Tore
öffnen. Die Hunnen verheerten die ganze Stadt; was
von Männern darin war, töteten sie durchs Schwert,
um die Weiber und Kinder aber losten sie. Doch ent—
rannen Taso und Romoald, Gisulfs älteste Söhne, glück⸗
lich; und weil sie Grimoald, ihren jüngsten Bruder, noch
für zu klein hielten, ein Roß zu besteigen, so dachten sie,
es wäre besser, daß er stürbe, als in Gefangenschaft
fiele, und wollten ihn töten. Und schon war der Speer
gegen den Knaben erhoben, da rief Grimoald mit Tränen:
„Erschlag mich nicht, denn ich kann mich schon auf dem
Pferde halten.“ Sein Bruder ergriff ihn beim Arm und
setzte ihn auf den bloßen Rücken eines Pferdes; der
Leupichis entflieht.
41
Knabe faßte die Zügel und folgte seinen Brüdern nach.
Die Hunnen rannten hinterher, und einer fing den kleinen
Grimoald; doch wollte er ihn, seiner zarten Jugend wegen,
nicht töten, sondern zu seiner Bedienung aufheben. Der
Knabe war schön von Bildung, glänzend von Augen
und gelb von Haaren; als ihn der Hunne ins Lager
zurückführte, zog er unversehens sein Schwert und traf
den Feind, daß er vom Pferde zu Boden stürzte. Dann
griff er schnell in die Zügel und rannte den Brüdern
nach, die er auch, fröhlich seiner Tat, einholte.
Der Hunnenkönig, um sein gegebenes Wort zu er—
füllen, vermählte sich zwar mit Romhilden, behielt sie
aber nur eine Nacht und gab sie dann zwölf Hunnen
preis; darauf ließ er sie zu Tod an einen Pfahl auf—
spießen. Gisulfs Töchter hingegen waren nicht dem Bei—
spiel ihrer geilen Mutter gefolgt, sondern sie hatten sich,
um ihre Keuschheit zu bewahren, rohes Hühnerfleisch
unter die Brüste gebunden: damit der Gestank des Fleisches
jeden Feind, der sich ihnen näherte, zurücktriebe. Die
Hunnen glaubten darauf, daß sie von Natur so röchen,
verabscheuten sie und sprachen: „Die Lombardinnen
stinken!“ Durch diese Tat erhielten die Jungfrauen ihre
Reinheit und wurden hernachmals, wie es ihrer edlen
Geburt ziemte, vermählt; die eine dem König der Ale⸗
mannen, die andre dem Herzog der Bayern.
403. Leupichis entflieht.
PauIus Diaconus IV. 30.
Zu dieser Zeit wurde auch Leupichis als ein Kind aus
dem Friaul in die Gefangenschaft mitgeschleppt, einer
von fünf Brüdern, wovon die andern alle umkamen;
42
Leupichis entflieht.
er aber strebte den Hunnen zu entfliehen und in seine
Heimat wieder zu kommen. Eines Tages führte er die
vorgehabte Flucht aus, nahm bloß Pfeil und Bogen mit
und etwas Speise; er wußte aber nicht, wo hinaus. Da
gesellte sich ein Wolf zu ihm und wurde sein Wegweiser.
Und als er das Tier sich oft nach ihm umblicken und,
svoft er stillstand, auch stillstehen sah, dachte er, daß
es ihm von Gott gesandt wäre. So wanderten sie, das
Tier und der Knabe, einige Tage durch Berge und Täler
der Wildnis; endlich ging dem Leupichis das wenige Brot
aus, das er hatte. Bald verzehrte ihn der Hunger, und
er spannte seinen Bogen auf den Wolf, damit ihm das
Tier zur Speise dienen sollte. Der Wolf wich dem Pfeil
aus und verschwand. Nun aber wußte er nicht mehr,
welchen Weg einzuschlagen, und warf sich ermattet zu
Boden; im Schlaf sah er einen Mann, der zu ihm redete:
„Stehe auf, der du schläfst, und nimm den Weg nach der
Gegend hin, wohin deine Füße gerichtet sind, denn dort
liegt Italien.“ Alsbald stand Leupichis auf und ging
dahinwärts; er gelangte zu den Wohnungen der Slaven,
eine alte Frau nahm ihn auf, verbarg ihn in ihrem Haus
und gab ihm Lebensmittel. Darauf setzte er den Weg
fort und kam nach wenig Tagen in die Lombardei, an
den Ort, wo er herstammte. Das Haus seiner Eltern
fand er so verödet, daß es kein Dach mehr hatte und
voll Dorn und Disteln stand. Er hieb sie nieder, und
zwischen den Wänden war ein großer Ulmbaum ge—
wachsen, an den hing er seinen Bogen auf. Hernach
bebaute er die Stätte von neuem, nahm sich ein Weib
und wohnte daselbst. Dieser Leupichis wurde des Ge—
schichtschreibers Urahn. Leupichis zeugte Arichis, Arichis
den Warnefried, und Warnefried den Paulus.
Die Fliege vor dem Fenster.
43
404. Die Fliege vor dem Fenster.
paulus Diaconus VI, 6.
Abbas urspergensis.
Als der Lombardenkönig Cunibert mit seinem Mar—
pahis (Stallmeister) Rat pflog, wie er Aldo und Grauso
umbringen möchte, siehe da saß an dem Fenster, vor
dem sie standen, eine große Schmeißfliege. Cunibert nahm
sein Messer und hieb nach ihr; aber er traf nicht recht
und schnitt ihr bloß einen Fuß ab. Die Fliege flog fort.
Aldo und Grauso, nichts ahnend von dem bösen Rat⸗
schlag, der gegen sie geschmiedet worden war, wollten
eben in die königliche Burg gehen, und nahe bei der
Romanuskirche kam ihnen entgegen ein Hinkender, dem
ein Fuß abgehauen war, und sprach: „Gehet nicht zu
Koönig Cunibert, sonst werdet ihr umgebracht.“ Erschrocken
flohen jene in die Kirche und bargen sich hinter dem Altar.
Es wurde aber bald dem König hinterbracht, daß sich
Aldo und Grauso in die Kirche geflüchtet hätten. Da
warf Cunibert Verdacht auf seinen Marpahis, er möchte
den Anschlag verraten haben; der antwortete: „Mein
Herr und König, wie vermag ich das, der ich nicht aus
deinen Augen gewichen bin, seit wir das ratschlagten.“
Der König sandte nach Aldo und Grauso und ließ fragen,
aus was Ursache sie zu dem heiligen Ort geflüchtet
wären. Sie versetzten: „Weil uns gesagt worden ist,
der König wolle uns umbringen.“ Und von neuem sandte
der König und ließ sagen: wer ihnen das gesagt hätte?
und nimmermehr würden sie Gnade finden, wo sie nicht
den Verräter offenbaren wollten. Da erzählten jene,
wie es sich zugetragen hatte, nämlich: es sei ihnen
ein hinkender Mann begegnet, dem ein Bein bis ans
Knie gefehlt, und der an dessen Stelle ein hölzernes
44. König Liutprands Füße. Der Vogel auf dem Speer.
gehabt hätte, der habe ihnen das bevorstehende Unheil
voraus verkündigt. Da erkannte der König, daß die
Fliege, der er das Bein abgehauen, ein böser Geist ge—
wesen war und seinen geheimen Anschlag hernach ver—
raten hatte. Er gab dem Aldo und Grauso darauf sein
Wort, daß sie aus der Kirche gehen könnten, und ihre
Schuld verziehen sein sollte, und zählte sie von der Zeit
an unter seine getreuen Diener.
405. König Liutprands Füße.
Chron. novaliciense Lib. 3. cap. 1.
Liutprand, König der Longobarden, soll der Sage
nach so lange Füße gehabt haben, daß sie das Maß
eines menschlichen Ellenbogens erreichten. Nach seinem
Fuß, dessen vierzehn auf der Stange oder dem Seil eine
Rute (tabula) ausmachen, pflegen seitdem die Longo—
barden ihre Acker zu messen.
406. Der Vogel auf dem Speer.
Paulus Diac. VI, 55.
Als König Liutprand siech daniederlag, und die Lom—
barden an seinem Aufkommen zweifelten, nahmen sie
Hildeprand, seinen Neffen, führten ihn vor die Stadte
zur Liebfrauenkirche und erhoben ihn zum König. In—
dem sie ihm nun, wie es bräuchlich war, den Speer in
die Hand gaben, kam ein Kuckuck geflogen und setzte
sich oben auf des Speeres Spitze. Da sprachen kluge
Männer: dieses Wunder zeige an, daß Hildeprands
Herrschaft unnütz sein werde.
Walter im Kloster.
45
407. Walter im Kloster.
Chronicon novaliciense Lib. II. cap. 7 - 13*)
Nachdem er viele Kriegstaten in der Welt verrichtet
hatte und hochbejahrt war, dachte Held Walter seiner
Sünden und nahm sich vor, durch ein strenges, geistliches
Leben die Verzeihung des Himmels zu erwerben. Sogleich
suchte er sich einen schönen Stab aus, ließ oben an die
Spitze mehrere Ringe und in jeden Ring eine Schelle
heften; darauf zog er ein Pilgrimkleid an und durch—
wanderte so fast die ganze Welt. Er wollte aber die
Weise und Regel aller Mönche genau erforschen und
ging in jedes Kloster ein; wenn er aber in die Kirche
getreten war, pflegte er zwei oder dreimal mit seinem
Stabe hart auf den Boden zu stoßen, daß alle Schellen
klangen; hierbei prüfte er nämlich den Eifer des Gottes—
dienstes. Als er nun einmal in das Kloster Novalese ge—
kommen war, stieß er auch hier seiner Gewohnheit nach
den Pilgerstab hart auf den Boden. Einer der Kirchen⸗
knaben drehte sich um rückwärts, um zu sehen, was so
erklänge; alsbald sprang der Schulmeister zu und gab
dem Zögling eine Maulschelle. Da seufzte Walter und
sprach: „Nun bin ich schon lange und viele Tage durch
die Welt gewandert und habe dergleichen nicht finden
können. Darauf meldete er sich bei dem Abt, bat um
Aufnahme ins Kloster und legte das Kleid dieser Mönche
an; auch wurde er nach seinem Willen zum Gärtner des
Klosters bestellt. Er nahm zwei lange Seile und spannte
sie durch den Garten, eins der Länge und eins der Quere
— —
*) Offenbar dieselbe Sage geht von Wilhelm dem Hei—
ligen als Einsiedler, vgl. das dänische Volksbuch, Carl Mag—
nus, G. 140.
46
Walter im Kloster.
nach; in der Sommerhitze hing er alles Unkraut darauf,
die Wurzeln gegen die Sonne, damit sie verdoͤrren und
— 00 —
Es war aber in dem Kloster ein hölzerner Wagen,
überaus schön gearbeitet, auf den man nichts anderes
legte als eine große, oben mit einer hell lautenden Schelle
versehene Stange. Diese Stange wurde zuweilen auf⸗
gesteckt, so daß sie jedermann sehen und den Klang hören
konnte. Alle Höfe und Dörfer des Klosters hatten nun
auch ihre Wagen, auf denen der Mönche Dienstleute
Korn und Wein zufuhren; jener Wagen mit der Stange
fuhr dann voraus, und hundert oder fünfzig andere Wagen
folgten nach, und jedermann erkannte daran, daß der
Zug dem berühmten Kloster Novalese gehörte. Und da
war kein Herzog, Graf, Herr oder Bauer, der gewagt
hätte, ihn zu beschädigen; ja die Kaufleute auf den Jahr⸗
märkten sollen ihren Handel nicht eher eröffnet haben,
als bis sie erst den Schellenwagen heranfahren sahen.
Als diese Wagen einmal beladen zum Kloster zurück⸗
kehrten, stießen sie auf des Königs Leute, welche die
königlichen Pferde auf einer Wiese weideten. Diese sahen
kaum so viel Güter ins Kloster fahren, als sie übermütig
darauf herfielen und alles wegnahmen. Die Dienstleute
widersetzten sich vergeblich, ließen aber, was geschehen
war, augenblicklich dem Abt und den Brüdern kundtun.
Der Abt versammelte das ganze Kloster und berichtete
die Begebenheit. Der Vorsteher der Brüderschaft war
damals einer namens Asinarius, von Herkunft ein Franke,
ein tugendhafter, verständiger Mann. Dieser, auf Walters
Rat, man müsse zu den Räubern kluge Brüder absen⸗
den und ihnen die Sache gehörig vorstellen lassen, sagte
) Vgl. Meister Stolle (hinter Tristan. S. 147, No. IX).-
Walter im Kloster.
47
sogleich: „So sollst du, Walter, schnell dahin gehen, denn
wir haben keinen klügeren, weiseren Bruder.“ Walter
aber, der sich wohl bewußt war, er werde den Trotz
und Hochmut jener Leute nicht ertragen können, versetzte:
„Sie werden mir mein Mönchskleid ausziehen.“ „Wenn
sie dir dein Kleid ausziehen,“ sprach Asinarius, „so gib
ihnen noch die Kutte dazu und sage, also sei dir's von
den Brüdern befohlen.“ Walter sagte: „Wie soll ich mit
dem Pelz und Unterkleid verfahren.“ „Sag', versetzte
der ehrwürdige Vater, es sei von den Brüdern befohlen
worden, sich auch diese Stücken nehmen zu lassen.“
Darauf setzte Walter hinzu: „Zürne mir nicht, daß ich
weiter frage, wenn sie auch mit den Hosen tun wollen,
wie mit dem übrigen?“ „Dammn“, antwortete der Abt,
„hast du deine Demut schon hinlänglich bewiesen; denn
in Ansehung der Hosen kann ich dir nicht befehlen, daß
du sie ihnen lassest.“
Hiermit war Walter zufrieden, ging hinaus und fragte
die Klosterleute, ob hier ein Pferd wäre, auf dem man
im Notfall einen Kampf wagen dürfe. „Es sind hier
gute, starke Karrengäule,“ antworteten jene. Schnell ließ
er sie herbeiführen, bestieg einen und spornte ihn, und
dann einen zweiten, verwarf sie aber beide und nannte
ihre Fehler. Dann erinnerte er sich eines guten Pferdes,
das er einst mit ins Kloster gebracht habe, und frug, ob
es noch lebendig wäre. „Ja, Herr — sagten sie — es
lebt noch, ist aber ganz alt und dient bei den Bäckern,
denen es täglich Korn in die Mühle trägt und wieder
holt.“ Walter sprach: „Führt es mir vor, damit ich es
selber sehe. Als es herbeigebracht wurde, und er darauf⸗
gestiegen war, rief er aus: „Oh, dieses Roß hat die Lehren
noch nicht vergessen, die ich ihm in meinen jungen Jahren
gab.“ Hierauf beurlaubte sich Walter von dem Abt und
48
Walter im Kloster
den Brüdern, nahm nur zwei oder drei Knechte mit
und eilte zu den Räubern hin, die er freundlich grüßte
und ermahnte, von dem Urrecht abzustehen, das sie den
Dienern Gottes zugefügt hätten. Sie aber wurden desto
zorniger und aufgebasener und zwangen Walter, das
Kleid auszuziehen, welches er trug. Geduldig litt er alles
und sagte, daß ihm so befohlen worden sei. Nachdem
sie ihn ausgezogen hatten, fingen sie an, auch seine
Schuhe und Schienen aufzulösen; bis sie an die Hosen
kamen, sprach Walter: das sei ihm nicht befohlen. Sie
aber antworteten: was die Mönche befohlen hätten,
daran wäre ihnen gar nichts gelegen. Walter hingegen
sagte: ihm stehe das auch nicht länger an, und wie
sie Gewalt brauchen wollten, machte er unvermerkt seinen
Steigbügel los, und traf damit einen Kerl solchergestalt,
daß er für tot niedersank, ergriff dessen Waffen und
schlug damit rechts und links um sich. Danach schaute
er und sah neben sich ein Kalb auf dem Grase weiden,
sprang zu, riß ihm ein Schulterblatt aus und schlug
damit auf die Feinde los, welche er durch das ganze Feld
hin trieb. Einige erzählen, Walter habe demjenigen, der
sich am frechsten erzeigt und gerade gebückt habe, um
ihm die Schuhe abzubinden, mit der Faust einen solchen
Streich über den Hals versetzt, daß ihm das zerbrochene
Halsbein sogleich in den Schlund gefallen sei. Als er
nun viele erschlagen hatte, machten sich die übrigen auf
die Flucht und ließen alles im Stich. Walter aber be—
mächtigte sich nicht nur des eigenen, sondern auch des
fremden Gutes und kehrte mit reicher Beute beladen ins
Kloster zurück.
Der Abt empfing ihn seufzend und schalt ihn heftig
aus. Walter aber ließ sich eine Buße auflegen, damit
er sich nicht leiblich über solche Tat freuen möge, die
Walter im Kloster.
49
seiner Seele verderblich war. Er soll indessen, wie einige
versichern, dreimal so mit den einbrechenden Heiden ge—
kämpft und sie schimpflich von den Gefilden des Klosters
zurückgetrieben haben.
Ein andermal fand er die Pferde Königs Desiderius
auf der Klosterwiese, namens Mollis (Molard), weiden
und das Gras verwüsten, verjagte die Hüter und erschlug
viele derselben. Auf dem Rückwege, vor Freude über
diesen Sieg, schlug er mit geballter Faust zweimal auf
eine neben dem Weg stehende steinerne Säule und hieb
das größte Stück davon herunter, daß es zu Boden fiel.
Daselbst heißt es bis auf heutigen Tag noch Walters
Schlag oder Hieb (percussio vel ferita Waltharii).
Dieser berühmte Held Graf Wallter starb uralt im
Kloster, wo er sich selbst noch sein Grab auf einem Berg—
gipfel sorgfältig gehauen hatte. Nach seinem Ableben
wurde er und Rathald, sein Enkel, hineinbestattet. Dieser
Rathald war der Sohn Rathers, des Sohnes Walters
und Hildgundens. Des Rathalds Haupt hatte einst eine
Frau, die Betens halber zu der Grabstätte gekommen
war, heimlich mitgenommen und auf ihre Burg gebracht.
Als eines Tages Feuer in dieser Burg ausbrach, erinnerte
sie sich des Hauptes, zog es heraus und hielt es der
Flamme entgegen. Alsobald erlosch die Feuersbrunst.
Nach dem letzten Einbruch der Heiden, und bevor der
heilige Ort wieder erbaut wurde, wußte niemand von den
Einwohnern mehr, wo Walters Grab war. Dazumal
lebte in der Stadt Segusium eine sehr alte Witwe,
namens Petronilla, gebückt am Stabe einhergehend und
wenig mehr sehend aus ihren Augen. Dieser hatten die
Heiden ihren Sohn Maurinus gefangen weggeführt, und
über dreißig Jahre mußte er bei ihnen dienen. Endlich
aber erlangte er die Freiheit und wanderte in seine
Grinim, Sagen II. —
50
Ursprung der Sachsen.
Heimat zurück. Er fand seine Mutter vom Alter beinahe
verzehrt; sie pflegte sich täglich auf einem Felsen bei der
Stadt an der Sonne zu wärmen, und die Leute gingen
oft zu ihr und fragten nach den Altertümern; sie wußte
ihnen mancherlei zu erzählen, zumal vom novalesischen
Kloster, viele unerhörte Dinge, die sie teils noch gesehen,
teils von ihren Eltern vernommen hatte. Eines Tages
ließ sie sich wiederum von einigen Männern herumführen,
denen wies sie Walters Grab, das man nicht mehr kannte,
so wie sie es von ihren Vorfahren gehört hatte; wie—
wohl ehemals keine Frau gewagt hätte, diese Stätte
zu betreten. Auch verzählte sie, wieviel Brunnen ehemals
hier gewesen. Die Nachbarsleute behaupteten, gedachte
Frau sei beinahe zweihundert Jahre alt geworden.
408. Ursprung der Sachsen.
Froschmeuseler Th. 1. cap. 2. Bgl. Aventin Bair. Chronik Bl. 18 b
Nach einer alten Volkssage sind die Sachsen mit
Aschanes (Askanius), ihrem ersten König, aus den Harz—
felsen mitten im grünen Wald bei einem süßen Spring—
brünnlein herausgewachsen. Unter den Handwerkern bat
sich noch heutzutage der Reim erhalten:
Darauf so bin ich gegangen nach Sachsen,
Wo die schönen Mägdlein auf den Bäumen wachsen;
Hätt' ich daran gedacht,
So hätt' ich mir eins davon mitgebracht:
und Aventin leitet schon merkwürdig den Namen der
Germanen von germipare, auswachsen ab, weil die
Deutschen auf den Bäumen gewaächsen sein sollen.
Abkunft der Sachsen. Herkunft der Sachsen. 51
409. Abkunft der Sachsen.
Lobged. auf Anno 21.
Cod. pal. Sér. Fol. 2d.
Man lieset, daß die Sachsen weiland Männer des
wunderlichen Alexanders waren, der die Welt in zwölf
Jahren bis an ihr Ende erfuhr. Da er nun zu Babi—
lonia umgekommen war, so teilten sich viere in sein Reich,
die alle Könige sein wollten. Die Übrigen fuhren in der
Irre umher, bis ihrer ein Teil mit vielen Schiffen nieder
zur Elbe kam, da die Thüringer saßen. Da erhub sich
Krieg zwischen den Thüringern und Sachsen. Die Sachsen
trugen große Messer, damit schlugen sie die Thüringer
aus Untreuen bei einer Sammensprache, die sie zum
Frieden gegenseitig gelobet hatten. Von den scharfen
Messern wurden sie Sahsen geheißen. Ihr wankeler
Mut tat den Römern Leids genug; so oft sie Cäsar
glaubte überwunden zu haben, standen sie doch wieder
gegen ihn auf.
410. Herkunft der Sachsen.
Sachsensp, III, 44. und dazu Gloße.
Die alten Sachsen, (welche die Thüringer vertrieben,)
ehe sie her zu Land kamen, waren sie in Alexanders Heer
gewesen, der auch mit ihrer Hilfe die Welt bezwang. Da
Alexander gestarb, mochten sie sich nicht untertun in dem
Lande, durch des Landes Haß willen, und schifften auch
von dannen mit dreihundert Kielen; die verdurben alle,
bis auf 54, und derselben kamen 18 gen Preußen und
besaßen das Land, zwölfe besaßen Rugien, und 24 kamen
hierher zu Lande. Und da ihr soviel nicht waren, daß
sie den Acker möchten bauen, und da sie auch die thü—
4
52
Die Sachsen und die Thüringer
ringischen Herren geschlugen und vertrieben, ließen sie die
Bauern sitzen ungeschlagen, und bestätigten ihnen den
Acker zu solchem Rechte, als noch die Lassen haben. Und
davon kommen die Lassen, und von den Lassen, die
sich verwirkten an ihrem Recht, sind kommen die Tag—
werker.
Die Gloße führt das noch mehr aus und sagt: Da
man sie aber berennen wollte, waren sie bereit, und
segelten hinweg. Daß die Kiel verdurben, kam davon,
daß sie zu Wasser nicht schiffen konnten. Und der kamen
18 gen Preußen, da war noch ein Wildnisse. Diese sind
da verwandelt in Heiden. Und 12 kamen gen Rugien,
und von denen sind kommen die Stormere, und Dit—
marsen, und Holsten und Hadeler. Und 24 kamen
her zu Lande, die heißen noch die Steine, denn im
Griechischen so heißt Petra ein Stein, und Saxum ein
Kißlingstein, und daher heißen wir noch Sachsen, denn
wir sind geleichet den Kißlingsteinen in unsern Streiten.
Unter den Thüringern sind aber gemeint, nicht die da
bürtig sind aus der Landgrafschaft von Thüringen, denn
diese sind Sachsen, sondern die Notthüringer, das
waren Wenden. Die heißen die Sachsen fortan: Not—
döringe, das ist soviel gesprochen als: nottörichte, oder
Törichte. Denn sie waren streittoll und töricht.
411. Die Sachsen und die Thüringer.
Witechind us corb. gleich anfangs.
Vaol. Cod. pal. 361. fol. 2d.
Die Sachsen zogen aus und kamen mit ihren Schiffen
an den Ort, der Hadolava heißt, da waren ihnen die
Landeseinwohner, die Thüringer, zuwider und stritten
heftig. Allein die Sachsen behaupteten den Hafen, und
Die Sachsen und die Thüringer. 53
es wurde ein Bund geschlossen, die Sachsen sollten kaufen
und verkaufen können, was sie beliebten, aber abstehen
vom Menschenmord und Länderraub. Dieser Friede
wurde nun auch viele Tage gehalten. Als aber den
Sachsen Geld fehlte, dachten sie, das Bündnis wäre
unnütz. Da geschah, daß einer ihrer Jünglinge aus den
Schiffen ans Land trat, mit vielem Gold beladen, mit
güldenen Ketten und güldenen Spangen. Ein Thüringer
begegnete diesem und sprach: „Was trägst du so viel
Gold an deinem ausgehungerten Halse?“ — „Ich suche
Käufer, antwortete der Sachse, und trage dies Gold bloß
des Hungers halben, den ich leide; wie sollte ich mich
an Gold vergnügen?“ Der Thüringer fragte: „Was es
gelten solle?“ hierauf sagte der andere: „Mir liegt nichts
daran, du sollst mir geben, was du selber magst.“
Lächelnd erwiderte jener: „So will ich dir dafür deinen
Rock mit Erde füllen“; denn es lag an dem Ort gerade
viel Erde angehäuft. Der Sachse hielt also seinen Rock
auf, empfing die Erde und gab das Gold hin; sie gingen
voneinander, ihres Handels beide froh. Die Thüringer
lobten den ihrigen, daß er um so schlechten Preis so
vieles Gold erlangt; der Sachse aber kam mit der Erde
zu den Schiffen und rief, da ihn etliche töricht schalten,
die Sachsen ihm zu folgen auf; bald würden sie seine
Torheit gutheißen. Wie sie ihm nun nachfolgten, nahm
er Erde, streute sie fein dünne auf die Felder aus, und
bedeckte einen großen Raum. Die Thüringer aber, welche
das sahen, schickten Gesandte und klagten über Friedens—
bruch. Die Sachsen ließen sagen: „Den Bund haben
wir jederzeit und heilig gehalten, das Land, das wir mit
unserm Gold erworben, wollen wir ruhig behalten, oder
es mit den Waffen verteidigen.“ Hierauf verwünschten
die Einwohner das Gold, und den sie kürzlich gepriesen
54 Ankunft der Angeln und Sachsen.
hatten, hielten sie für ihres Unheiles Ursächer. Die
Thüringer rennten nun zornig auf die Sachsen ein,
die Sachsen aber behaupteten durch das Recht des
Krieges das umliegende Land. Nachdem von beiden
Teilen lange und heftig gestritten war, und die Thüringer
unterlagen, so kamen sie überein, an einem bestimmten
Drt, jedoch ohne Waffen, des neuen Friedens wegen zu—
sammen zu gehen. Bei den Sachsen nun war es her—
gebrachte Sitte, große Messer zu tragen, wie die Angeln
noch tun, und diese nahmen sie unter ihren Kleidern auch
mit in die Versammlung. Als die Sachsen ihre Feinde
so wehrlos, und ihre Fürsten alle gegenwärtig sahen,
achteten sie die Gelegenheit für gut, um sich des ganzen
Landes zu bemächtigen, überfielen die Thüringer unver—
sehens mit ihren Messern, und erlegten sie alle, daß auch
nicht einer überblieb. Dadurch erlangten die Sachsen
großen Ruf, und die benachbarten Völker huben sie zu
fürchten an. Und verschiedene leiten den Namen von
der Tat ab, weil solche Messer in ihrer Sprache Sachse
hießen.
412. Ankunft der Angeln und Sachsen.
Beda H. eccl. J. x4, 15. nach Alfreds Übers. p. 37, 58. ed. Cant. 1643
Gotfridus viterb. p. 358. 350.
Als die Britten grausame Hungersnot und schwere
Krankheit erfahren hatten und, aus der Art geschlagen,
nicht mehr stark genug waren, um die Einbrüche fremder
Völker und der wilden Tiere abzuwenden, ratschlagten
sie, was zu tun wäre? und beschlossen mit Wyrtgeorn
Vortigern), ihrem König, daß sie der Sachsen Volk
uͤber die See fich zur Hilfe rufen wollten. Der Angeln
Ankunft der Angeln und Sachsen. 55
und Sachsen Volk wurde geladen, und kam nach Britten—
land in dreien großen Schiffen. Es bekam im Ostteil
des Eilandes Erde angewiesen, die es bauen und des
Gebotes des Königs, der sie geladen hatte, gewärtig
sein sollte, daß sie Hilfe leisteten, und wie für ihr Land
zu kämpfen und fechten hätten. Darauf besiegten die
Sachsen die Feinde der Britten, und sandten Boten in
ihre Heimat, daß sie den großen Sieg geschlagen hätten,
und das Land schön und fruchtbar, das Volk der Britten
träg und faul wäre. Da sandten sie aus Sachsenland
einen noch strengeren und mächtigeren Haufen. Als die
dazugekommen waren, wurde ein unüberwindliches Volk
daraus. Die Britten liehen und gaben ihnen Erde neben
ihnen, damit sie für das Heil und den Frieden ihres Grundes
streiten und gegen ihre Widersacher kämpfen sollten; für
das, was sie gewonnen, gaben sie ihnen Sold und Speise.
Sie waren aus drei der stärksten deutschen Völker ge—
kommen, den Sachsen, Angeln und Jüten. Von den
Jüten stammen in Brittannien die Cantwaren und Wicht⸗
saten ab; von den Altsachsen: die Ostsachsen, Südsachsen
und Westsachsen; von den Angeln: die Ostangeln, Mittel⸗
angeln, Mercier und all Nordhumbergeschlecht. Das Land
der Angeln in Deutschland lag zwischen den Jüten und
Sachsen, und es soll der. Sage nach, von der Zeit an,
daß sie daraus gingen, wüst und unbewohnt geblieben
sein. Ihre Führer und Herzogen waren zwei Gebrüder,
Hengst und Horsa; sie waren Wichtgisels Söhne,
dessen Vater hieß Wicht, und Wichts Vater Woden,
von dessen Stamm vieler Länder Könige ihren Ursprung
herleiten. Das Volk aber begann sich auf der brittischen
Insel bald zu mehren und wurde der Schrecken der
Einwohner.
56. Ankunft der Picten. Die Sachsen erbauen Ochsenburg
413. Ankunft der Picten.
Beda hist. eeccl. J. x1. nach Alfreds übers.
Da geschah es, daß der Peohten Volk aus Schtien—
land in Schiffen kam, und langten in Schottland an
und fanden da der Schotten Volk. Und sie verlangten
Sitz und Erde in ihrem Land zwischen ihnen. Die Schotten
antworteten: „Ihr Land wäre nicht groß genug, daß
sie beide Raum darin hätten; wir wollen euch aber guten
Rat geben, was ihr zu tun habt. Wir wissen nicht fern
von hinnen ein ander Eiland, gegen Osten hin, das
können wir an klaren Tagen von hier aus der Weite
sehen. Wollt ihr das besuchen, so werdet ihr da Erde
zu wohnen finden; und widersetzt sich jemand, so wollen
wir euch Hilfe leisten.“ Da fuhren die Peohten nach
Brittannien und ließen sich in den Nordteilen dieses Eilands
nieder. In den Südteilen wohnten die Britten. Da nun
die⸗ Peohten keine Weiber hatten, baten sie solche von
den Schotten. Die willigten ein und gaben ihnen Weiber
unter dem Vertrag, daß sie in streitigen Fällen ihren
König mehr aus dem Weibergeschlecht, als aus den
Männern kiesen möchten. Dies wird noch jetztzutag
unter den Peohten so gehalten.
414. Die Sachsen erbauen Ochsenburg.
Pomarius süchs. Chronik. Witenb. 1588. fol. S. 15.
Als die Sachsen in England angekommen waren, baten
sie den König, daß er ihnen ein solch Bleck Landes gäbe,
das sie mit einer Ochsenhaut beziehen könnten. Da er
dies bewilligte, schnitten sie die Haut in schmale Riemen,
bezogen damit eine raume Stätte, baten dahin eine Burg,
namens Ossenburg.
Haß zw. Sachs. u. Schwab. Herk. d. Schwab. Abk. d. Bayern. 37
415. Haß zwischen den Sachsen und Schwaben
Blosse des Sachsenspiegels zu Buch 1. 17. und Buch 2, 12.
Dieweil Hengst (Hest, Hesternus) ausgezogen war
mit seinen Männern nach England und ihre Weiber da—
heim gelassen hatten, kamen die Schwaben, bezwungen
Sachsenland und nahmen der Sachsen Weiber. Da aber
die Sachsen wiederkamen und die Schwaben vertrieben,
so zogen einige Weiber mit den Schwaben fort. Der
Weiber Kinder, die dazumal mit den Schwaben zu Land
zogen, die hieß man Schwaben. Darum sind die Weiber
auch erblos aus diesem Geschlecht, und es heißt im Ge—
setz, daß „die Sachsen behielten das schwäbisch Recht
durch der Weiber Haß“.
416. Herkunft der Schwaben.
Lied auf Anno. Nr. 29.
Cod. pal. 361. fol. 2. d
Die Vordern der Schwaben waren weiland über Meer
gekommen mit großer Heereskraft und schlugen ihre
Zelte auf an dem Berg Suepo, davon hießen sie Sueven
oder Schwaben. Sie waren ein gutes und kluges Volk
und nahmen sich oft vor, daß sie gute Recken wären,
streitfertig und sieghaft. Brenno, ihr Herzog, schlug
mit Julius Cäsar eine blutige Schlacht.
417. Abkunft der Bayern.
Lobgedicht auf Anno. 20.
Cod. pol. a61. fol. 2. c. d.
Das Geschlecht der Bayern soll aus Armenien ein—
gewandert sein, in welchem Noah aus dem Schiffe landete,
als ihm die Taube den grünen Zweig gebracht hatte.
58 Herkunft der Franken. Die Merovinger.
In ihrem Wappen führen sie noch die Arche auf dem
Berg Ararat. Gegen Indien hin sollen noch deutsch—
redende Völker wohnen.
Die Bayern waren je streitbar und tapfer und schmie—
deten solche Schwerter, daß keine andere besser bissen.
„Reginsburg die märe“ heißt ihre Hauptstadt. Den
Sieg, den Cäsar über Boemund, ihren Herzog, und
Ingram, dessen Bruder, gewann, mußt' er mit Römer—
blute gelten.
418. Herkunft der Franken.
Anno 22, 23. Otfried Buch 1. Cap. 1.
Königschronik im Cod. pal. 361. fol. 3 a.
Das Geschlecht der Franken ist dem der Römer nah
verwandt, ihrer beider Vorfahren stammten aus der alten
Troja ab. Da nun die Griechen diese Burg nach Gottes
Urteil zerstört hatten, entronnen nur wenige Trojaner,
fuhren lange in der Welt herum. Franko mit den
Seinen kam nieder zu dem Rhein und saß daselbst; da
baute er zum Andenken seiner Abstammung ein kleines
Troja mit Freuden auf und nannte den vorbeifließenden
Bach Santen, nach dem Fluß in ihrem alten Lande.
Den Rhein nahmen sie für das Meer. So wuchs das
fränkische Volk auf.
419. Die Merovinger.
Oοιοανονσ ονοοιPιοα ed. venet. 1729. fol. p. 268. (im Excerpt bei
Bouquet Tom. V. p. 187, ist die Stelle absichtlich ausgelassen).
Conradus ursperg. ed. argent. 1600. p. o2. aus Fredegars epitome (Bou-
quet II. 396).
Die Merovinger hießen die Borstigen“*), weil, der
Sage nach, allen Königen aus diesem Geschlecht Borsten,
*) Kororhros (cxistati) und ιοοοæxαιοι.
Childerich und Basina.
59
wie den Schweinen, mitten auf dem Rücken wachsen.
— Clodio, Faramunds Sohn, saß eines Tags mit der
Königin am Meergestade, sich von der Sommerhitze zu
kühlen, da stieg ein Ungeheuer (Meermanm), einem Stiere
gleich, aus den Wogen, ergriff die badende Königin und
überwältigte sie. Sie gebar darauf einen Sohn von
seltsamen wunderbarem Ansehen, weshalb er Merovig,
das heißt Merefech, geheißen wurde, und von ihm
entspringen die Frankenkönige, Merowinger (Merofingi,
Mereiangelingi) genannt.
420. Childerich und Basina.
Aimoinus Lib. J. c. 7.
Vgl. Gresg. tur. II. 12.
8
Childerich, Merowigs Sohn, hub an, übel zu regieren
und die Töchter der Edeln zu mißbrauchen; da warfen
ihn die Franken vom Thron herab. Landflüchtig wandte
er sich zu Bissinus, König der Thüringer, und fand bei
ihm Schutz und ehrenvollen Aufenthalt lange Zeit hin—
durch. Er hatte aber unter den edelsten Franken einen
vertrauten Freund gehabt, Winomadus mit Namen, der
ihm, als er noch regierte, in allen Dingen riet und bei—
stand. Dieser war auch zur Zeit, da der König aus dem
Reiche vertrieben wurde, der Meinung gewesen: Chil—
derich müsse sich notwendig entfernen und erwarten, daß
sich allmählich sein übler Ruf in der Abwesenheit mindere;
wogegen er sorgsam die Gemüter der Franken stets er—
forschen und wieder zu ihm hinlenken wolle. Zugleich
nahm Winomad seinen Ring und teilte ihn in zwei
Hälften. Die eine gab er dem König und sprach: „Wenn
ich dir die andere sende und beide Teile ineinander passen,
so soll es dir ein Zeichen sein, daß dir die Franken wieder
60
Childerich und Basina.
versöhnt sind, und dann säume nicht, in dein Vaterland
zurückzukehren.“
Unterdessen wählten sich die Franken Ägidius, den
Römer, zu ihrem König. Winomadus verstellte sein Herz
und wurde bald dessen Vertrauter. Darauf beredete er
ihn, nicht nur das Volk mit schweren Abgaben zu be—
lasten, sondern selbst einige der Mächtigsten im Lande
hinzurichten; dazu wählte aber Winomad klüglich gerade
Childerichs Feinde aus. Die Franken wurden durch solche
Grausamkeiten bald von Ägidius abgewandt, und es kam
dahin, daß sie bereuten, ihren eingeborenen Herrn ver—
wiesen zu haben.
Da sandte Winomad einen Boten mit dem halben
Goldring nach Thüringen ab, von woher Childerich
schnell wiederkehrte, sich allerwärts Volk sammelte und
den Ägidius überwand.
Wie nun der König in Ruhe sein Reich beherrschte,
machte sich Basina, des thüringischen Königs Bissinus
Weib, auf, verließ ihren Gemahl und zog zu Childerich;
mit dem sie, als er sich dort aufhielt, in vertrauter Liebe
gelebt hatte. Dem Childerich sagte sie, kein Hindernis
und keine Beschwerde habe sie abhalten können, ihn auf—
zusuchen: denn sie vermöge keinen Würdigern in der
ganzen Welt zu finden, als ihn. Childerich aber, der
Wohltlat, die ihm Bissinus erwiesen, vergessen, weil er
ein Heide war, nahm Basina bei Lebzeiten ihres ersten
Gemahls zur Ehe. In der Hochzeitnacht nun geschah
es, daß Basina den König von der ehelichen Umarmung
zurückwies, ihn hinaus vor die Türe der Königsburg
treten und was er da sehen werde, ihr hinterbringen
hieß. Childerich folgte ihren Worten und sah vor dem
Tore große wilde Tiere, Parder, Einhörner und Löwen
wandeln. Erschrocken eilte er zu seiner Gemahlin zurück
Der Kirchenkrug
61
und verkündigte ihr alles. Sie ermahnte ihn, ohne Sorge
zu sein und zum zweitenmal hinauszugehen. Da sah der
König Bären und Wölfe wandeln, und hinterbrachte es
der Königin, die ihn auch zum drittenmal hinaussandte.
Dieses drittemal erblickte er Hunde und kleinere Tiere,
die sich untereinander zerrissen. Staunend stieg er ins
Ehebett zurück, erzählte alles und verlangte von seiner
weisen Frau Auslegung, was diese Wunder bedeuteten?
Basina hieß den König die Nacht keusch und enthaltsam
zubringen, bei anbrechendem Tag solle er alles erfahren.
Nach Sonnenaufgang sagte sie ihm: „Dies bezeichnet
zukünftige Dinge und unsere Nachkommen.“ Unser erster
Sohn wird mächtig und stark, gleich einem Löwen oder
Einhorn werden, seine Kinder raubgierig und frech, wie
Wölfe und Bären; deren Nachkommen und die letzten
aus unserm Geschlecht feig wie Hunde. Aber das kleine
Getier, was du gesehen hast sich untereinander zerreißen,
bedeutet das Volk, welches sich nicht mehr vor dem König
scheut, sondern untereinander in Haß und Torheit ver—
folgt. Dies ist nun die Auslegung der Gesichter, die du
gehabt hast.“ Childerich aber freute sich über die aus—
gebreitete Nachkommenschaft, die aus ihm erwachsen si ollte.
421. Der Kirchenkrug.
Gresg. turon. hist. II. 28.
Aimoinus I. 12.
FIodoardus hist. rem. J. 13.
Val. Eichhorns d. Rechts-Gesch. S. 72.
Als Chlodowich mit seinen Franken noch im Heiden—
tum lebte und den Gütern der Christen nachstellte, ge—
schah es, daß sie auch aus der Kirche zu Rheims einen
großen, schweren und zierlichen Krug raubten. Der heilige
Remig sandte aber einen Boten an den König und flehte,
62
Der Kirchenkrug
daß, wenn gleich das übrige Unrecht nicht wieder gut
gemacht werden sollte, wenigstens dieser Krug zurück⸗
gegeben würde. Der König befahl dem Boten, ihm nach
Sueßion*) zu folgen, wo die ganze Beute durch Los
geteilt werden sollte: „Weist mir dann das Los dieses
Gefäß zu, warum du bittest, so magst du es gern zurück⸗
nehmen.“ Der Bote gehorsamte, ging mit an den be—
stimmten Ort, wo sie kaum angelangt waren, als auf
Befehl des Königs alles gewonnene Gerät herbeigetragen
wurde, um es zu verlosen. Weil aber Chlodowich fürchtete,
der Krug könnte einem andern, als ihm, zufallen, berief
er seine Dienstmänner und Genossen und bat sich von
ihnen zur Gefälligkeit aus, daß sie ihm jenen Krug,
außer seinem Losteil an der Beute, besonders zuweisen
möchten.“ Die Franken versetzten: „Wem sie ihr Leben
widmeten, wollten sie auch nichts anders absagen.“ Und
alle warens zufrieden, bis auf einen, der sich erhob,
mit seinem Schwert den Krug in Scherben schlug und
sagte: „Du sollst weiter nichts haben, König, als was
dir das gerechte Los zuteilt.“ Alle staunten ob des Mannes
Kühnheit; der König aber verstellte seinen Zorn und
übergab das zerbrochene Gefäß dem Boten des Bischofs.
— Ein Jahr darauf befahl der König, das Heer auf
dem Märzfeld zu versammeln, und jeder sollte so ge—
waffnet erscheinen, daß er gegen den Feind streiten könne.
Als sich nun jedermann in glänzenden Waffen darstellte
und Chlodowich alle musterte, kam er zu dem, der mit
dem Schwert den Krug zerschlagen hatte, sah ihn an
und sprach: „Im ganzen Heer ist kein Feiger, wie du;
dein Spieß und Helm, Schild und Schwert sind unnütz
und schlecht.“ Mit diesen Worten streckte er die Hand
— — — —
8) Soißons. Im Parcifal 778s5 Sessun.
Remig umgeht sein Land.
63
nach des Kriegers Schwert und warf es auf den Boden
hin. Als sich nun jener bückte, das Schwert aufzuheben,
zog der König seines, stieß es ihm heftig in den Nacken
und sprach: „So hast du mir zu Sueßion mit dem Kruge
getan!“ Auf diese Weise blieb der Krieger tot, der König
hieß die übrigen heimziehen und stand seitdem in viel
größerer Furcht bei allen Franken, daß ihm keiner zu
widerstreben wagte.
422. Remig umgeht sein Land.
FIlodoar dus hist. remensis lib. 1. cap. 124
Legenda anrea cap. 142.
Chlodowich, der Franken König, schenkte dem heiligen
Remigius, Bischof zu Rheims, so viel Land, als er um—
gehen würde, solange der König den Mittagsschlaf hielte.
Also machte sich der heilige Mann auf und steckte die
Grenzen ab durch Zeichen, die man noch heutiges Tages
sieht. Da er nun vor einer Mühle vorüberkam und sie
in seinen Bezirk schließen wollte, trat der Müller hervor,
wies ihn ab und sprach ein dagegen, daß er ihn in seine
Grenzen mitbegriffe. Sanft redete der Mann Gottes ihm
zu: „Freund, laß dichs nicht verdrießen, wir wollen die
Mühle zusammen haben.“ Der Müller beharrte bei
seiner Weigerung; alsbald fing das Mühlrad an, sich
verkehrt umzudrehen. Da rief er dem Heiligen nach:
„Komm, Gottes Diener und laß uns die Mühle zu—
sammen haben!“ Remig antwortete: „Weder ich noch du
sollen sie haben.“ Von der Zeit an wich daselbst der
Erdboden, und es entstand eine solche Untiefe, daß an
dem Ort niemand mehr eine Mühle haben konnte. Remig
schritt weiter fort und gelangte an einen kleinen Wald;
da waren wieder die Leute und wollten nicht, daß er ihn
64
Remig verjagt die Feuersbrunst.
einschlösse in seine Begrenzung. Der Heilige sprach: „So
soll nimmermehr ein Blatt von eurem Wald über meine
Grenze fliegen (die ganz hart daran herlief) und kein
Ast auf meine Grenze fallen!“ Alles das traf hernach
ein und blieb, so lange der Wald dauerte. Endlich kam
Remig einem Dorf vorüber, Caviniac (Chavignon) mit
Namen, und wollte es in seinen Strich eingrenzen. Die
Einwohner wiesen ihn gleichfalls zurück, wie er bald
näher kam, bald wieder ferner ging und die noch jetzt
sichtbaren Zeichen einsteckte; zuletzt rief er ihnen zu: „Ihr
werdet harte Arbeit zu tun haben und in Dürftigkeit
leben!“ welches alles in der Folge der Zeit so erfüllt
wurde. — Wie aber der König aus dem Mittagsschlaf
erstand, gewährte er durch königliche Schenkung dem
heiligen Bischof für seine Kirche alles Land, das er in
dem Kreis seines Umgangs eingeschlossen hatte.
423. Remig verjagt die Feuersbrunst.
FIodoard. hist. rem. Lib. x. cap. 6 ét 12. ed. Duace. p. 35. 50.
Als in der Stadt Rheims ein wütendes Feuer aus—
gebrochen und schon der dritte Teil der Wohnungen
verzehrt worden war, erfuhr der Heilige die Botschaft in
der Nikasienkirche, warf sich nieder und flehte Gott um
Hilfe. Darauf eilte er mit schnellen Schritten in die Stadt;
auf den Stufen der Kirchentreppe drückten sich seine
Fußtapfen in den harten Stein, als wär es weicher Ton,
ein, und werden noch heutigestags zum Beweis des gött—
lichen Wunders da gesehen. Darauf wandte er sich der
Flamme entgegen, und kaum hatte er mit seiner Rechten
das Kreuz gemacht, als sie wich und vor des Heiligen
Gegenwart gleichsam zu fliehen anfing. Er verfolgte sie,
trieb sie von allen noch unverletzten rtern ab und zuletzt
Des Remigs Teil vom Wasichenwald. 65
dem offenen Tor hinaus. Darauf schloß er die Türe
und gebot, unter ausgesprochener Drohung gegen jeden
Frevler, daß sie nimmermehr geöffnet werden sollte. Als
nach einigen Jahren ein danebenwohnender Bürger,
namens Fercinctus, das Mauerwerk, womit dieses Tor
verschlossen war, durchbrach, kam die Seuche in sein
Haus, daß darin weder Mensch noch Vieh lebendig blieb.
424. Des Remigs Teil vom Wasichenwald.
FIodoardus l. c. I. 20. p. 108 - 110.
Es hatte der heilige Remig für seine Kirche ein großes
Stück des Wasichenwaldes erkauft, woselbst er einige
Weiler, Namens Cosla und Gleni, gebaut haben soll.
In diese setzte er Einwohner aus der nahgelegenen Stadt
Berna, die der Kirche jährlich ein Gewisses an Pech liefern
mußten. Die Grenzen dieses Besitztums hatte er rings—
herum so genau abgesteckt, daß sie jedermann bekannt
sind, unter andern mit seiner eignen Hand einen Stein
auf ein hohles Baumloch hingeworfen. Mit diesem Stein
hat es die wunderbare Bewandtnis, daß man ihn zwar
aufheben und mit der Hand in die Höhle reichen, niemals
aber den Stein ganz von der Stelle wegbringen kann.
Als dies ein Abgünstiger einmal vergeblich versucht hatte,
wollte er mit einem Beile das Loch größer hauen; kaum
aber schwang ers gegen den Baum, so dorrte seine rechte
Hand, und seine Augen erblindeten.
Zu Kaiser Ludwigs Zeiten waren zwei Brüder zu
Förstern des königlichen Waldes gesetzt. Diese behaupteten,
daß jenes Stück dem Könige höre und stritten darüber
mit den Leuten der Kirche. Es geschah, daß einer dieser
Brüder seine Schweine, die er in den Wald geschickt
hatte, sehen wollte und einen Wolf unter ihnen traf.
Grimm, Sagen 11.
66
Crothilds Verlobung.
Indem er das Raubtier verfolgte, scheute sein Roß, und
er zerschellte sich sen Haupt an einem Baum, daß er
augenblicklich verschied. Als hernach der andre Bruder
einmal zu einem Felsen im Wald kam und ausrief: „Jeder—
mann sei kund und zu wissen, alles was bis zu diesem
Felsstein gehet, ist Kaiserswald!“ auch bei diesen Worten
mit seiner Axt an den Stein schlug, so sprangen Stücke
daraus in seine Augen, daß er blind wurde.
425. Crothilds Verlobung.
Aimoinus I. 13, 14.
of. Greg. Turx. II. 28.
Dem Könige Chlodowich hatten seine Botschafter von
der Schönheit Crothildens, die am burgundischen Königs—
hofe lehte, vieles erzählt. Er sandte also Aurelian, seinen
Busenfreund, mit Gaben und Geschenken ab an die
Jungfrau, daß er ihre Gestalt genauer erkundigte, ihr
des Königs Willen offenbare und ihre Neigung erforsche.
Aurelian gehorchte, machte sich auf nach Burgund, und
wie er bald an die königliche Burg gelangt war, hieß
er seine Gesellen, sich in einen nahen Wald bergen. Er
selbst aber nahm das Kleid eines Bettlers an, begab sich
nach dem Hof und forschte, wie er mit seiner künftigen
Herrin ein Gespräch halten könnte. Dazumal war Bur—
gund schon christlich, Franken aber noch nicht. Crothild
ging nun, weil es eben Sonntag war, in die Messe, ihr
Gebet zu verrichten; und Aurelian stellte sich zu den
übrigen Bettlern vor die Türe hin und wartete, bis sie
herauskäme. Wie also die Messe vorüber war, trat die
Jungfrau aus der Kirche und gab, der Sitte nach, den
Armen Almosen. Aurelian näherte sich und bettelte. Als
ihm nun Crothild einen Goldgulden reichte, erfaßte er
Die Schere und das Schwert.
67
ihre bloße Hand unter dem Mantel hervor und drückte
sie an senen Mund zum Kuß. Mit jungfräulicher Scham—
röte übergossen, ging sie in ihre Wohnung, sandte aber
bald eine ihrer Frauen, daß sie ihr den vermeintlichen
Bettler zuführte. Bei seiner Ankunft frug sie: „Was fiel
dir ein, Mann, daß du beim Empfahen des Almosens
meine Hand vom Mantel entblößtest und küßtest?“
Aurelian mit Übergehung der Frage sagte folgendes:
„Mein Herr, der Frankenkönig, hat von deiner Herrlich—
keit gehört und begehrt dich zur Gemahlin; hier ist sein
Ring, samt anderm Schmuck der Verlöbnis.“ Wie er
sich aber wandte, den Sack zu langen, den er neben die
Türe gelegt hatte, und aus dem er die Brautgaben
nehmen wollte, war der Sack heimlich gestohlen. Auf
angestellte Untersuchung wurde er dennoch wieder ent—
deckt und dem Gast zugestellt, der nun, der geschehenen
Verlobung sicher und gewiß, die Gaben der Jungfrau
zustellte. Sie aber sprach dieses: „Nicht ziemts einer
Christenfrau, einen Heidenmann zu nehmen; fügt es je—
doch der Schöpfer, daß er durch mich bekehrt werde, so
weigere ich mich nicht seinem Gesuch, sondern des Herrn
Wille ergehe.“ Die Jungfrau bat aber: „Alles, was sie ge⸗
sagt, geheim zu halten,“ und hinterlegte den Ring, den ihr
Chlodowich gesandt hatte, in ihres Oheims Schatzkammer.
426. Die Schere und das Schwert.
Greg. turon. hist. III. 18.
Vagl. Lex ripuar. 60.
Als Crothild, die alte Königin, sich der verwaisten
Kinder Chlodomers, ihres Sohnes, annahm und sie zärt—
lich liebte, sah das, mit Neid und Furcht, König Childe—
bert, ihr andrer Sohn; und er wollte nicht, daß sie mit
63 Die Schere und das Schwert.
der Gunst seiner Mutter einmal nach dem Reich streben
möchten. Also sandte er insgeheim an König Chlotar
seinen dritten Bruder: „Unsre Mutter hält die Kinder
unseres Bruders bei sich und denkt ihnen das Reich zu;
komm schnell nach Paris, auf daß wir überlegen, was
ratsamer zu tun sei: entweder ihnen das Haupthaar zu
scheren, daß sie für gemeines Volk angesehen werden,
oder sie zu töten und unsers Bruders hinterlassenes Reich
unter uns zu teilen.“ Chlotar freute sich der Botschaft,
ging in die Stadt Paris und ratschlagte. Darauf be—⸗
schickten sie vereint ihre Mutter und ließen ihr sagen:
„Sende uns die beiden Kleinen, damit sie eingesetzt
werden in ihre Würde.“ Denn es hatte auch Childebert
öffentlich geprahlt, als wenn er mit Chlotar darum zu—
sammenkomme, um die Knaben im Reich zu bestätigen.
Crothild erfreut und nichts Arges ahnend, gab den
Kindern zu essen und zu trinken, und sprach: „Den Tod
meines Sohnes will ich verschmerzen, wenn ich euch an
seine Stelle erhoben sehen werde.“ Die Knaben gingen
also hin, wurden sogleich ergriffen, von ihren Spieldienern
und Erziehern abgesondert und gefangen gehalten.
Darauf sandten Childebert und Chlotar einen Boten
zur alten Königin mit einer Schere und mit einem ent—
blößten Schwert. Der Bote kam und zeigte ihr beiderlei
mit den Worten: „Durchlauchtigste Königin, deine Söhne,
meine Herren, verlangen deine Meinung zu wissen, was
mit den beiden Kindern zu tun sei, ob sie mit abgeschnit—
tenen Haaren leben, oder vom Leben zum Tod zu bringen
seien?“ Da erschrak die unglückliche Großmutter und
zürnte, und das bloße Schwert und die Schere ansehend:
„Lieber will ich — sprach sie — wenn ihnen ihr Reich
doch nicht werden soll, sie tot sehen, als geschoren.“ —
Bald darauf wurden die Knaben ertötet.
Sage von Attalus dem Pferdeknecht u. Leo d. Küchenjungen. 69
427. Sage von Attalus dem Pferdeknecht und
Leo dem Küchenjungen.
Greg. turon. hist. III. 15.
Aimoinus II. II.
Zur Zeit, als Theodorich und Childebert, die Franken—
könige, in Hader und Zwietracht lebten und viele edele
Söhne zu Geißeln gegeben, oder in Knechtschaft gebracht
wurden, trug sich auch folgende Begebenheit zu:
Attalus, von guter Abkunft und ein naher Verwandter
des heiligen Gregor, geriet in die Dienstschaft eines Franken,
im Trierischen Gebiet und wurde zum Pferdewörter be—
stellt. Der Bischof Gregor, um sein Schicksal besorgt,
sandte Boten aus, die ihn aufsuchen sollten, endlich auch
fanden und seinem Herrn Gaben anboten, um Attalus
freizukaufen. Der Mann verwarf sie aber und sprach:
Einer von solcher Geburt muß losgekauft werden mit
zehn Pfunden Goldes.“ Also kamen die Abgesandten
unverrichteter Dinge wieder heim zu Gregor; aber Leo, einer
seiner Küchendiener, sprach: „Wofern ihr mir erlauben
wollet, ihn aufzusuchen, könnte ich ihn vielleicht aus der
Gefangenschaft erledigen.“ Der Bischof war froh und
—
suchte den Knaben heimlich fortzuschaffen, allein er konnte
nicht. Darauf verabredete er sich mit einem andern Manne
und sprach: „Komm mit mir dahin und verkaufe mich
in dem Hause des Franken; der Preis, den du empfängst,
soll dein Gewinn sein.“ Der Mann tats und schlug ihn
um zwölf Goldgulden los; der Käufer aber fragte den
Knecht, welchen Dienst er verstünde? „In Zubereitung
aller Dinge, die auf der Herren Tische gegessen werden,
bin ich gar geschickt und befürchte nicht, daß einer mich
darin übertreffe; denn selbst königliche Gerichte kann ich
70 Sage von Attalus dem Pferdeknecht u. Leo d. Küchen;ungen
bereiten, wenn du dem König ein Gastmahl geben
wolltest.“ Jener antwortete: „Nächsten Sonntag werden
meine Nachbarn und Freunde zu mir eingeladen werden;
da sollst du ein Mahl zurichten, daß alle sagen, in des
Königs Hause hätten sie besseres nicht gefunden.“ Leo
sagte: „Mein Herr, lasse mir nur eine Menge junger
Hähne bringen, so will ich dein Gebot schon erfüllen.“
Als nun das geschehen war, stellte er auf den Sonntag
ein solches und dermaßen köstliches Essen zu, daß alle
Gäste nicht genug loben konnten. Die Freunde des Herrn
kehrten nach Haus zurück, der Herr aber schenkte dem
Küchenknecht seine Gunst und gab ihm Gewalt und
Aufsicht über alle seine Vorräte. So verlief ein Jahr,
und der Herr liebte ihn immer mehr und setzte alles
Vertrauen auf ihn. Einmal ging nun Leo auf die Wiese,
nahe beim Haus, wo Attalus der Pferde wartete, und
fing an mit ihm zu reden; und sie legten sich weit von—
einander auf die Erde, mit sich zugedrehten Rücken, da—
mit niemand mutmaßen möchte, daß sie zusammen
sprächen. „Zeit ist es — sagte Leo — daß wir an unser
Vaterland denken; ich mahne dich, wenn du heut nacht
die Pferde in den Stall gebracht hast, so laß dich nicht
vom Schlaf bewältigen; sondern sei munter, wann ich
dich rufe, daß wir uns alsobald fortmachen können.“
Der Franke hatte aber wieder viele Verwandten und
Freunde zu Gast geladen, unter andern den Schwieger—
sohn, der mit seiner Tochter verheiratet war. Als sie
nun um Mitternacht aufstiegen und schlafen gehen
wollten, reichte Leo seines Herrn Schwiegersohn einen
Becher zu trinken. Der scherzte und sprach: „Wie, Leo,
möchtest du wohl mit deines Herren Pferden durchgehen
und wieder in deine Heimat?“ Er antwortete gleichsam
scherzweise die Wahrheit und sagte: „Ja heunt nacht,
Sage von Attalus dem Pferdeknecht u. Leo d. Küchenjungen. 71
wenns Gottes Wille ist.“ „Wenn mich nur — erwiderte
der Schwiegersohn — meine Leute gut bewachen, daß
du mir nichts von meinen Sachen mit entführest.“ So
im Lachen schieden sie voneinander. Wie aber alle ent⸗
schlafen waren, rief Leo den Attalus aus dem Bett.
„Hast du ein Schwert?“ — „Nein, bloß einen kurzen
Spieß.“ — Da ging Leo in seines Herrn Gemach und
nahm Schild und Lanze. Der Herr aber fragte halbwach:
wer bist du, und was willst du? — „Leo bin ich, dein
Diener; und ich wecke den Attalus, daß er früh aufstehe
und die Pferde zur Weide führe. Denn er verschläft sich
und ist noch trunken.“ Der Herr sprach: tu, wie du
meinst; und nach diesen Worten schlief er von neuem
ein. Leo aber ging zur Tür hinaus, wappnete den Jüng⸗
ling; und die Stalltüre, die er noch abends zur Sicherung
der Pferde mit Hammerschlägen vernagelt hatte, stand
jetzt offen, gleichsam durch göttliche Schickung. Da dankte
er Gott seines Beistandes, und sie nahmen die Pferde
mit aus dem Stall und entwichen; auch einen Falken
nahmen sie, nebst den Decken. Beim Übergang der
Mosel wurden sie aufgehalten und mußten Pferde und
Decken im Stich lassen; und auf ihre Schilde gelegt,
schwammen sie den Strom hinüber. Als die Nacht kam,
Id es dunkel wurde, gingen sie in einen Wald und
bargen sich. Und schon war die dritte Nacht gekommen,
und noch keinen Bissen Speise hatten sie in ihren Mund
gebracht und wanderten in einem fort. Da fanden sie
auf Gottes Wink einen Baum voll Obst, dem, das man
Zwetschen zu nennen pflegt und erlabten sich daran.
Darauf langten sie in Campanien (Champagne) an; bald
hörten sie hinter sich Roßtritte, und sprachen: „Es kommen
Manner geritten, werfen wir uns zur Erde, daß sie uns
nicht erspähen!“ Und siehe, ein großer Dornstrauch stand
72 Sage von Attalus dem Pferdeknecht u. Leo d. Küchenjungen
daneben; dahinter traten sie, warfen sich nieder zu Boden,
mit aus der Scheide gezogenen Schwertern: damit, wenn
sie entdeckt würden, sie sich alsbald wehren könnten. Die
Reiter aber, als sie zu der Stelle gelangt waren, hielten
gerade vor dem Dornstrauch still; ihre Pferde ließen den
Harn und einer unter ihnen sprach: „Ubel geht es mir
mit diesen beiden Flüchtlingen, daß wir sie nimmer finden
können; das weiß ich aber, so wahr ich lebe, würden
sie ertappt, so ließ ich den einen an den Galgen hängen,
den andern in tausend Stücken zerhauen mit Schwert—
schlägen.“ Der die Worte sprach, war ihr Herr der
Franken, welcher aus Rheims herkam, sie zu suchen, und
sie unfehlbar gefunden hätte, wo nicht die Nacht da—
zwischen gekommen wäre. Nach diesem ritten die Männer
wieder weiter, jene aber erreichten noch selbe Nacht
glücklich die Stadt, gingen hinein und suchten einen
Bürger auf, den sie fragten, „wo Paullulus des Priesters
Haus wäre?“ Der Bürger zeigte ihnen das Haus. Als
sie aber durch die Gasse gingen, läutete das Zeichen zur
Frühmette; denn es war Sonntag. Sie aber klopften
an des Priesters Türe, und sie ward aufgetan. Der Knabe
fing an zu erzählen von seinem Herrn. Da spach der
Priester: „So wird wahr mein Traum! denn es träumte
mir heunt von zweien Tauben, die flogen her und setzten
sich auf meine Hand. Und eine von ihnen war weiß,
die andere schwarz.“ Die Knaben sagten dem Priester:
„Weil ein heiliger Tag heute ist, bitten wir, daß du uns
etwas Speise gebest; denn heute leuchtet der vierte Tag,
daß wir kein Brot noch Muß genossen haben.“ Er barg
aber die Knaben bei sich, gab ihnen Brot mit Wein be—
gossen und ging in seine Metten. Der Franke war auch
an diesen Ort gegangen und hatte die Knaben gesucht;
als ihm aber der Priester eine Täuschung vorgesagt,
Der schlafende König.
73
kehrte er zurück. Denn der Priester stand in alter Freund—
schaft mit dem heiligen Gregor. Als sich nun die Knaben
mit Speisen zu neuen Kräften gestärkt hatten und zwei
Tage in diesem Hause geblieben waren, schieden sie und
kamen glücklich bei Bischof Gregorius an, der sich über
ihren Anblick freute und an dem Halse seines Neffen
(Enkels) Attalus weinte. Den Leo aber mit all seinem
Geschlechte machte er frei von der Knechtschaft und
gab ihm ein eigen Land, wo er mit Frau und Kindern
als ein Freier das Leben beschloß.
428. Der schlafende König.
Ppaulus Diaconus III, 34.
Aimoinus III, 3.
Der fränkische König Guntram war eines gar guten,
friedliebenden Herzens. Einmal war er auf die Jagd
gegangen und seine Diener hatten sich hierhin und da—
hin zerstreut; bloß ein einziger, sein liebster und getreuster,
blieb noch bei ihm. Da befiel den König große Müdig—
keit; er setzte sich unter einen Baum, neigte das Haupt
in des Freundes Schoß und schloß die Augenlider zum
Schlummer. Als er nun entschlafen war, schlich aus
Guntrams Munde ein Tierlein hervor in Schlangen—
weise, lief fort bis zu einem nahe fließenden Bach, an
dessen Rand stand es still und wollte gern hinüber. Das
hatte alles des Königs Gesell, in dessen Schoß er ruhte,
mit angesehen, zog sein Schwert aus der Scheide und
legte es über den Bach hin. Auf dem Schwerte schritt nun
das Tierlein hinüber und ging hin zum Loch eines Berges,
da hinein schloff es. Nach einigen Stunden kehrte es
zurück und lief über die nämliche Schwertbrücke wieder
in den Mund des Königs. Der König erwachte und
74 Der kommende Wald und die klingenden Schellen.
sagte zu seinem Gesellen: „Ich muß dir meinen Traum
erzählen und das wunderbare Gesicht, das ich gehabt.“
„Ich erblickte einen großen, großen Fluß, darüber war
eine eiserne Brücke gebaut; auf der Brücke gelangte ich
hinüber und ging in die Höhle eines hohen Berges; in
der Höhle lag ein unsäglicher Schatz und Hort der alten
Vorfahren.“ Da erzählte ihm der Gesell alles, was er
unter der Zeit des Schlafes gesehen hatte und wie der
Traum mit der wirklichen Erscheinung übereinstimmte.
Darauf ward an jenem Ort nachgegraben und in dem
Berg eine große Menge Goldes und Silbers gefunden,
das vor Zeiten dahin verborgen war.
429. Der kommende Wald und die klingenden
Schellen.
Aimoinus III, 82.
Als Childebert mit großer Heeresmacht in Guntrams
und Fredegundens Reich einbrach, ermahnte die Königin
ihre Franken zu tapferem Streit und ließ Guntrams
hinterlassenes Söhnlein in der Wiege voraustragen; dem
Säugling an Mutterbrust folgten die gewaffneten Scharen.
Fredegund ersann eine List. In finsterer Mitternacht an—
geführt von Landerich, des jungen Chlotars Vormund,
erhob sich das Heer und zog in einen Wald. Landerich
griff ein Beil und hieb sich einen Baumast, darauf nahm
er Schellen und hing sie an des Pferdes Häls, auf dem
er ritt. Dasselbe zu tun ermahnte er alle seine Krieger;
jeder mit Baumzweigen in der Hand und klingenden
Schellen auf ihren Pferden, rückten sie in früher Morgen—
stunde dem feindlichen Lager näher. Die Königin, den
jungen Chlotar in den Armen haltend, ging voraus,
Chlotars Sieg über die Sachsen. 75
damit Erbarmen über das Kind die Krieger entzünden
möchte, welches gefangen genommen werden mußte, wo
sie unterlägen. Als nun einer der feindlichen Wächter
in der Dämmerung ausschaute, rief er seinem Gesellen:
„Was ist das für ein Wald, den ich dort stehen sehe,
wo gestern Abend nicht einmal kleines Gebüsch war?“
„Du bist noch weintrunken und hast alles vergessen —
sprach der andere Wächter; unsere Leute haben im nahen
Wald Füutter und Weide für ihre Pferde gefunden. Hörst
du nicht, wie die Schellen klingen am Halse der weidenden
Rosse?“ (Denn es war von alten Zeiten her Sitte der Franken
und zumal der östlichen, daß sie ihren grasenden Pferden
Schellen anhingen, damit, wenn sie sich verirrten, das
Läuten sie wieder finden ließe.) Währenddessen die Wächter
solche Reden untereinander führten, ließen die Franken
die Laubzweige fallen, und der Wald stand da leer an
Blättern, aber dicht von den Stämmen schimmernder
Spieße. Da überfiel Verwirrung die Feinde und jäher
Schrecken; aus dem Schlaf erweckt wurden sie zur blutigen
Schlacht, und die nicht entrinnen konnten, fielen erschlagen;
kaum mochten sich die Heerführer auf schnellen Rossen
vor dem Tode zu retten.
420. Chlotars Sieg über die Sachsen.
Aimoinus IV, 18. und vita Dagoberti ms. vita 8. Faronis cap.
71 -73. (aput Duohesne I. 560).
Chlotar hatte seinen Sohn Dagobert über die austra—
sischen Franken zum König gesetzt. Dieser brach mit
Heereskraft über den Rhein auf, um die sich empörenden
Sachsen zu züchtigen. Der sächsische Herzog Bertoald
lieferte ihm aber eine schwere Schlacht. Dagobert empfing
76 Chlotars Sieg über die Sachsen.
einen Schwertstreich in sein Haupt und sandte die mit
dem Stück vom Helm zugleich abgeschnittenen Haare
alsbald seinem Vater, zum Zeichen, daß er ihm schleunig
zur Hilfe eile, ehe ihm das übrige Heer zerrinne. Chlotar
bekam die Botschaft, wie er gerade auf der Jagd war;
bestürzt machte er sich sogleich mit dem geringen Gefolg,
das ihn begleitete, auf den weiten Weg, reiste Tag und
Nacht und langte endlich an der Weser an, wo der
Franken Lager stand. Frühmorgens erhuben die Franken
ein Freudengeschrei über ihres Königs Ankunft; Bertoald
am andern Ufer hörte den Jubel und fragte, was er
bedeute? „Die Franken feiern Chlotars Ankunft,“ ant—
wortete man ihm. „Das ist ein falscher Wahn — ver—
setzte Bertoald — denn ich habe gewisse Kundschaft, daß
er nicht mehr am Leben sei.“ Da stand Chlotar am
Ufer, sprach keinen Laut, sondern hob schnell seinen Helm
vom Haupte, daß das schöne, mit weißen Locken ge—
mischte Haupthaar herunterwallte. An diesem königlichen
Schmucke erkannten ihn gleich die Feinde; Bertoald rief:
„Bist du also da, du stummes Tier!“ Glühend von
Zorn setzte der König den Helm aufs Haupt und spornte
sein Roß durch den Fluß, daß er sich an den Feinden
räche; alle Franken sprengten ihm nach. Chlotars Waffen
waren schwer und beim Durchschwimmen hatte ihm
Wasser den Brustharnisch und die Schuhe gefüllt; den—
noch folgte er dem fliehenden Sachsenherzog unermüdlich
nach. Bertoald rief zurück: „Ein so berühmter König
und Herr solle doch seinen Knecht nicht ungerecht ver—
folgen.“ Chlotar wußte aber wohl, daß er aus Hinter⸗
list so redete, kümmerte sich nicht um die Worte, sondern
holte ihn mit seinem schnellen Rosse ein und brachte ihn
um. Darauf schlug er ihm das Haupt ab und trug es
den nachkommenden Franken entgegen. Da verwandelte
Das Grab der Heiligen.
*—
sich ihre Trauer in Freude, sie überzogen ganz Sachsen—
land und der König Chlotar hieß alle Einwohner männ—
lichen Geschlechts, die länger waren als das Schlacht⸗
schwert, das er damals gerade trug, hinrichten: auf daß
die jüngeren und kleineren durch das lebendige Andenken
hieran abgeschreckt würden. Und so verfuhr Chlotar.
431. Das Grab der Heiligen.
Aimoinus IV. 17.
Dagobert, als er noch Jüngling war, ritt eines Tages
auf die Jagd und verfolgte einen Hirsch, der ihm durch
Berg und Tal entrann.
Endlich floh das Tier in ein Häuslein, worin die Ge—
beine des h. Dionysius und seiner Gefährten begraben
lagen; die Hunde fanden die Spur, aber sie vermochten,
ungeachtet die Türen des Hauses offen standen, nicht
hineinzudringen, sondern standen außen und bollen. Dago⸗
bert kam dazu und betrachtete staunend das Wunder.
Von der Zeit an wandte sich Dagobert zu den Heiligen.
Es geschah aber, daß Dagobert, durch den Stolz eines
Herzogs Sadregisel beleidigt, ihn mit Schlägen und Bart⸗
scherung beschimpfen ließ. Dieser verwegenen Tat halber
flüchtete Dagobert in den Wald und barg sich in dem—
selben Schlupfwinkel, wohin damals der Hirsch geflohen
war, vor dem Zorn seines Vaters. Der König Chlotar,
sobald er die Beschimpfung des Dieners hörte, befahl,
seinen Sohn augenblicklich aufzusuchen und zu bestrafen.
Während dies geschah, hatte sich Dagobert vor den
heiligen Leichnamen demütigen Herzens niedergeworfen
und versank in Schlaf. Da erschien ihm ein ehrwürdiger
Greis mit freundlichem Antlitz und hieß ihn ohne Furcht
78
Sankt Arbogast.
sein: wenn er verheiße, die Heiligen in steter Ehre zu
—XDDDDD—
ewigen Not gezogen und mit dem Königsthrone begabt
werden. Die Boten, die ihn aus dem heiligen Haus ab—
führen sollten, konnten sich ihm nicht auf eine Stunde
weit nähern. Betroffen kehrten sie heim und hinter—
brachten das. Der König schalt sie und sandte andere
aus, aber diese erfuhren das nämliche. Da machte sich
Chlotar selbst auf und siehe, auch ihn verließ seine Stärke,
als er sich dem heiligen Orte nähern wollte; nunmehr
erkannte er Gottes Macht, verzieh seinem Sohne und
söhnte sich mit ihm aus. Dieser Ort war dem Dagobert
lieb und angenehm vor allen andern.
432. Sankt Arbogast.
Königshofen elsäß. Chronik S. 234, 235.
Sankt Arbogast, Bischof zu Straßburg, kam in große
Huld und Heimlichkeit mit Dagobert, König zu Frank—
reich; und nichts begehrte der König lieber, als oft mit
ihm zu sprechen und seinen weisen Rat zu haben. Ein—
mal geschah es, daß des Königs Jäger und Siegebert,
sein Sohn, in den Büschen und Wäldern jagten an der
Ill, wo nachher Ebersheim das Münster aufkam, und
fanden einen großen Eber; dem rennten sie nach mit
den Hunden, einer hin, der andre her. Und da kams,
daß Siegebert der Knabe ganz allein ritt und ungewarnt
auf den Eber stieß. Das Roß scheute vor dem Wild,
daß der Knabe abfiel und im Stegreif hängen blieb; da
trat ihn das Pferd, daß er für tot dalag. Als ihn nun
des Königs Diener ertreten fanden, huben sie ihn auf
mit großem Leide, führten ihn heim, und er starb am
Dagobert und Sankt Florentius. 79
andern Tag. Da wurde Dagoberten geraten, zu St.
Arbogast zu schicken; der kam alsbald, und nach viel
Rede und Klage kniete er vor die Leiche und rief unsre
Frauen an: seit sie das Leben aller Welt geboren hätte,
daß sie dem Knaben sein Leben wieder erwürbe. Da
ward der Knabe wieder lebend und stund auf in den
Totenkleidern, die zog man ihm aus und tät ihm an
königliche Kleider. Da fielen König und Königin und
alles ihr Gefolg, dem Heiligen zu Füßen und dankten
seiner Gnaden; weder Gold noch Silber wollte er nehmen,
aber nach seinem Rate gab der König an Unser Frauen
Münster zu Straßburg Rufach mit Äückern, Wäldern,
Wonn und Weide.
Als nun nach vielen Jahren Arbogast an das Alter
kam und krank wurde, sprach er zu seinen Untertanen:
„Gleich wie unser Herr Jesus begraben worden wäre
auswendig Jerusalems, an der Statt, da man böse Leute
verderbet, also wolle er dem Heiland nachfolgen; und
wann er verführe, sollte man ihn auswendig Straßburg
begraben bei dem Galgen, an die Stätte, wo man über
böse Leute richtet.“ Das mußten sie ihm geloben zu tun.
Also ward er nach seinem Tode begraben auf St. Michels⸗
bühel, das war der Henkebühel, und stund damals der
Galgen da. Da baute man über sein Grab eine Kapelle
in Sankt Michaels Ehren, in dieser lag er viel Jahre
lang leibhaftig.
433. Dagobert und Sankt Florentius.
Königshofen elsäß. Chronik S. 235, 236
Sankt Florentius fing jung an, Gott zu dienen. Und
er ging aus Schottland, wo er geboren war, in Pilgrims—
weise mit vier Gesellen: Arbogast, Fidelis, Theodatus
80 Dagobert und Sankt Florentius.
und Hildolf und kamen zu jüngst im Elsaß an die Brüsche
(das Flüßchen Breusch), da wo jetzt Haselo liegt. Sprach
Florentius, er wollte da bleiben. Also gingen seine Ge—
sellen fürbaß gen Straßburg; er aber baute ein Häuselein
bei der Brüsche, dalp (grub) die Bäume und Hürste aus
und machte ein neues Feld; dahin säete er Korn und
Kraut nach seiner Notdurft. Da aßen ihm die wilden
Tiere das Korn und das Kraut ab. Da steckte Sankt
Florentius vier Gerten um das Feld und gebot allen
wilden Tieren, daß sie auf seinen neuen Acker nicht mehr
kämen, so fern, als die Gerten gesteckt wären; und dies
Ziel überschritten sie seiidem nimmer. In diesen Zeiten
hatte König Dagobert eine Tochter, die war blind ge—
boren, dazu stumm; und als er sagen hörte von Florentius
Heiligkeit, sandte er ehrbare Boten und ein Roß mit ver⸗
güldetein Gedecke, daß er zu ihm ritte. Der Heilige war
aber demütig, wollte das Roß nicht und saß auf einen
Esel und ritt zu dem Könige. Noch war er nicht ganz
an der Burg, so ward des Königs Tochter sehend, und
redend und rief mit lauter Stimme, und das erste Wort,
das sie sprach, sprach sie also: „Sehet! dort reitet Floren⸗
tius her, durch dessen Gnade mich Gott sehend und redend
gemacht hat.“ Da erschraken der König und die Königin
von Wunder und von Freuden, und alles Volk lief aus
gegen dem heiligen Manne und empfingen ihn gar ehr—
würdiglich und fielen zu seinen Füßen, um des Zeichens
Willen, das Gott durch ihn gewirkt hatte. Der König
aber gab die Gebreite (Ebene) und Stätte, wo Florentius
wohnte und nun' Haselo liegt, ihm zu eigen und auch
sein selbes Besitztum zu Kirchheim. Da bat der Heilige
noch König Dagobert, daß er ihm sein Ländlin unter—
schiede (abgrenzte), daß er desto besser möchte wissen,
wie weit und breit er hätte. Da sprach der König: „Was
Dagoberts Seele im Schiff.
81
du mit deinem Eselein magst umfahren, bis ich aus dem
Bade gehe und meine Kleider antue, das soll alles zu
dir und deiner Wohnung hören.“ Da wußte Florentius
wohl, wie lange der König hätte Gewohnheit im Bade
zu sitzen, eilte weg mit seinem Eselein und fuhr über
Berg und Tal, viel mehr und weiter, denn einer möchte
getan haben auf schnellem Pferde in zweimal so langer
Zeit. Und fuhr wieder zum König und kam zeitig genug,
wie es beredet worden war. Und nach Arbogasts Tode
ward Florentius einhelliglich von allem Volke, Laien und
Pfaffen, zum Bischof von Straßburg gewählt.
434. Dagoberts Seele im Schiff
Chronique de Guill. de Nangis.
Als der gute König Dagobert aus dieser Welt ge—
schieden war, ließ es Gott der Herr geschehn, weil er sich
nicht von allen Sünden gereinigt hatte, daß die Teufel
seine Seele faßten, auf ein Schiff setzten und mit sich
fortzuführen dachten. Aber der heil. Dionysius vergaß
seines guten Freundes nicht, sondern bat unsern Herrn
um die Erlaubnis, der Seele zu Hilfe zu kommen, welches
ihm auch verstattet wurde. St. Dionysius nahm aber
mit sich St. Mauritius und andere Freunde, die König
Dagobert in seinen Lebzeiten vorzüglich geehrt und
gefeiert hatte; auch folgten ihnen Engel nach und
geleiteten sie bis ins Meer. Da sie nun an die Teufel
kamen, huben sie an, mit ihnen zu fechten; die Teufel
hatten wenig Gewalt gegen den Heiligen, wurden besiegt
und hie und da aus dem Schiffe ins Meer gestoßen. Die
Engel nahmen darauf Dagoberts Seele in Empfang
und der Heilige nebst seinem Gefolge kehrte ins Paradies
zurück.
Grimim, Sagen II.
82 Dagobert und seine Hunde. Die zwei gleichen Söhne.
435. Dagobert und seine Hunde.
Mélanges tirées d'une grande Bibl. IV. 29 -45.
Noch heutzutage kennt das Volk in Frankreich zwei
Sprichwörter vom König Dagobert, deren Ursprung man
vergessen hat: „Wann König Dagobert gegessen hatte, so
ließ er auch seine Hunde essen“, und König Dagobert auf
feinem Sterbebette redete seine Hunde an und sprach: „Keine
Gesellschaft ist so gut, aus der man nicht scheiden muß.“
436. Die zwei gleichen Söhne.
Gesta rom. cap. 116.
König Pipin von Frankreich vermählte sich mit einer
schönen Jungfrau, die ihm einen Sohn zur Welt brachte,
aber über dessen Geburt starb. Bald darauf nahm er
eine neue Gemahlin, die gebar ihm ebenfalls einen Sohn.
Diese beiden Söhne sandte er in weite Länder und ließ
sie auswärts erziehen; sie wurden sich aber in allen Stücken
ähnlich, daß man sie kaum unterscheiden konnte. Nach
einiger Zeit lag die Königin ihrem Gemahle an, daß er
sie doch ihr Kind sehen ließe; er aber befahl, die beiden
Söhne an Hof zu bringen. Da war der jüngste dem
ältesten, ungeachtet des einen Jahres Unterschied, in Ge—
stalt und Größe vollkommen gleich und einer wie der
andere glich dem Vater, daß die Mutter nicht wissen
konnte, welches ihr Kind darunter wäre. Da hub sie an
zu weinen, weil es Pipin nicht offenbaren wollte; endlich
sprach er: „Laß ab zu weinen, dieser ist dein Sohn“,
und wies ihr den von der ersten Gemahlin. Die Königin
freute sich und pflegte und besorgte dieses Kind auf alle
Weise; während sie das andere, welches ihr rechter Sohn
war, nicht im geringsten achtete.
Hildegard.
83
437. Hildegard.
Annales campidonenses.
Nic. Frischlini comoedia: Hildegardis magna.
Bgli. Vmeo. bellovac. sp. hist. VII. e. go-92 und das altd. Gedicht Cros-
centia.
Kaiser Karl war im Heereszug und hatte die schöne
Hildegard, seine Gemahlin, zu Hause gelassen. Während
der Zeit mutete ihr Taland, Karls Stiefbruder, an, daß
sie zu seinem Willen sein möchte. Aber die tugendhafte
Frau wollte lieber den Tod leiden als ihrem Herrn Treue
brechen; doch verstellte sie sich und gelobte dem Böse⸗
wicht, in sein Begehren zu willigen, sobald er ihr dazu
eine schöne Brautkammer würde haben bauen lassen.
Alsbalo baute Taland ein kostbares Frauengemach, ließ
es mit drei Türen verwahren und bat die Königin hinein—
zukommen und ihn zu besuchen. Hildegard tat als ob
sie ihm nachfolgte und bat ihn, vorauszugehen; als er
fröhlich durch die dritte Tür gesprungen war, warf sie
schnell zu und legte einen schweren Riegel vor. In diesem
Gefängnis blieb Taland eine Zeitlang eingeschlossen, bis
Karl fiegreich aus Sachsen heimkehrte; da ließ sie ihn
aus Mitleiden und auf vielfältiges erheucheltes Flehen
und Bitten los und dachte, er wäre genug gestraft. Karl
aber, als er ihn zuerst erblickte, fragte: warum er so
mager und bleich aussähe? „Daran ist Eure gottlose,
unzüchtige Hausfrau schuld“ — antwortete Taland; „die
habe bald gemerkt, wie er sie sorgsam gehütet, daß sie
keine Sünde begehen dürfen, und darum einen neuen
Turm gebaut und ihn darin gefangen gehalten.“ Der
König betrübte sich heftig über diese Nachricht und be⸗
fahl im Zorn seinen Dienern, Hildegard zu ertränken.
Sie floh und barg sich heimlich bei einer ihrer Freundinnen;
aber sobald der König ihren Aufenthalt erfuhr, verordnete
—X
84
Hildegard.
er aufs neue, sie in einen Wald zu führen, da zu blen—
den und so, beider Augen beraubt, Landes zu verweisen.
Was geschah? Als sie die Diener ausführten, begegnete
ihnen ein Edelmann, des Geschlechts von Freudenberg;
den hatte gerade Gräfin Adelgund, ihre Schwester, mit
einer Botschaft zu Hildegarden abgesandt. Als dieser die
Gefahr und Not der Königin sah, entriß er sie den Henkers—
knechten und gab ihnen seinen mitlaufenden Hund. Dem
Hunde stachen sie die Augen aus und hinterbrachten sie
dem König, zum Zeichen, daß sein Befehl geschehen wäre.
Hildegard aber, als sie mit Gottes Hilfe gerettet war,
zog in Begleitung einer Edelfrau, namens Rosina von
Bodmer, nach Rom und übte die Heilkunst, die sie ihr
Lebtag gelernt und getrieben hatte, so glücklich aus, daß
sie bald in großen Ruhm kam. Mittlerweile strafte Gott
den gottlosen Taland mit Blindheit und Aussatz. Niemand
vermochte ihn zu heilen und endlich hörte er, zu Rom
lebe eine berühmte Heilfrau, die diesem Siechtum ab⸗
helfen könne. Als Karl nun nach Rom zog, war Taland
auch im Gefolg, erkundigte der Frauen Wohnung, nannte
ihr seinen Namen und begehrte Arzenei und Hilfe für
seine Krankheit; er wußte aber nicht, daß sie die Königin
wäre. Hildegard gab ihm auf, daß er seine Sünden dem
Priester beichten und Buße und Besserung geloben müsse;
dann wollte sie ihre Kunst erweisen. Taland tat es und
beichtete; darauf kam er wieder zur Frau hin, die ihn
frisch und gesund machte. UÜber diese Heilung wunderten
sich Papst und König aus der Maßen und wünschten
die Ärztin zu sehen und besandten sie. Allein sie erbot
sich, daß sie tags darauf in das Münster St. Petri
gehen wollte. Da kam sie hin und berichtete dem König,
ihrem Herrn, alsbald die ganze Geschichte, wie man sie
verraten hatte. Karl erkannte sie mit Freuden und nahm
Der Hahnenkampf. Karls Heimkehr aus Ungerland. 84
sie wieder zu seiner Gemahlin; aber seinen Stiefbruder
verurteilte er Todes. Doch bat die Königin sich sein Leben
aus, und er wurde bloß in das Elend verwiesen.
438. Der Hahnenkampf.
Crusius ann. suev. dodecas J. p. 330.
Zu einer Zeit kam Karl der Große auf sein Schloß
bei Kempten zu seiner Gemahlin Hildgard. Als sie nun
eines Tages über Tische saßen und mancherlei von der
Vorfahren Regierung redeten, während ihre Söhne Pipin,
Karl und Ludwig daneben standen, hub Pipin an und
sprach: „Mutter, wann einmal der Vater im Himmel
ist, werde ich dann König?“ Karl aber wandte sich zum
Vater und sagte: „Nicht Pipin, sondern ich folge dir
nach im Reich.“ Ludwig aber, der jüngste, bat beide
Eltern, daß sie ihn doch möchten lassen König werden.
Als die Kinder so stritten, sprach die Königin: „Euren
Zwist wollen wir bald ausmachen; geht hinab ins Dorf
und laßt euch jeder sich einen Hahn von den Bauern
geben.“ Die Knaben stiegen die Burg hinab mit ihrem
Lehrmeister und den übrigen Schülern und holten die
Haͤhne. Hierauf sagte Hildegard: „Nun laßt die Hähne
aufeinander los! Wessen Hahn im Kampfe siegt, der soll
König werden.“ Die Vögel stritten und Ludwigs Hahn
überwand die beiden andern. Dieser Ludwig erlangte
auch wirklich nach seines Vaters Tode die Herrschaft.
439. Karls Heimkehr aus Ungerland.
Reimchronik im Cod. pal. 336. fol. 250 - 267.
König Karl, als er nach Ungarn und Wallachei fahren
wollte, die Heiden zu bekehren, gelobte er seiner Frauen,
36 Karls Heimkehr aus Ungerland.
in zehn Jahren heimzukehren; wäre er nach Verlauf der—
selben ausgeblieben, so solle sie seinen Tod für gewiß
halten. Würde er ihr aber durch einen Boten sein golden
Fingerlein zusenden, dann möge sie auf alles vertrauen,
was er ihr durch denselben entbieten lasse. Nun geschah
es, daß der König schon über neun Jahre ausgewesen
war, da hob sich zu Aachen an dem Rhein Raub und
Brand über alle Länder. Da gingen die Herren zu der
Königin und baten, daß sie sich einen andern Gemahl
auswählte, der das Reich behüten könnte. Die Frau ant⸗
wortete: „Wie möcht' ich so wider König Karl sündigen
und meine Treue brechen! so hat er mir auch das Wahr—
zeichen nicht gesandt, das er mir kund tät, als er von
hinnen schied.“ Die Herren aber redeten ihr so lange zu,
weil das Land in dem Krieg zugrund gehen müsse, daß
sie ihrem Willen endlich zu folgen versprach. Darauf
wurde eine große Hochzeit angestellt, und sie sollte über
den dritten Tag mit einem reichen König vermählt
werden.
Gott der Herr aber, welcher dies hindern wollte, sandte
einen Engel als Boten nach Ungerland, wo der König
lag und schon manchen Tag gelegen hatte. Als König
Karl die Kundschaft vernommen, sprach er: „Wie soll
ich in drei Tagen heimkehren, einen Weg, der hundert
Raste lang ist und fünfzehn Raste dazu, bis ich in mein
Land komme?“ Der Engel versetzte: „Weißt du nicht,
Gott kann tun, was er will, denn er hat viel Gewalt.
Geh zu deinem Schreiber, der hat ein gutes, starkes
Pferd, das du ihm abgewinnen mußt; das soll dich in
einem Tage tragen über Moos und Heide, bis in die
Stadt zu Rab, das sei deine erste Tagweide. Den andern
Morgen sollst du früh ausreiten, die Donau hinauf bis
gen Passau; das sei deine andere Tagweide. Zu Passau
Karls Heimkehr aus Ungerland. 87
sollst du dein Pferd lassen; der Wirt, bei dem du ein—
kehrest, hat ein schön Füllen; das kauf ihn ab, es wird
dich den dritten Tag bis in dein Land tragen.“
Der Kaiser tat, wie ihm geboten war, handelte dem
Schreiber das Pferd ab und ritt in einem Tag aus
der Bulgarei bis nach Rab; ruhte über nacht und kam
den zweiten Tag bei Sonnenschein nach Passau, wo ihm
der Wirt gutes Gemach schuf. Abends, als die Viehherde
einging, sah er das Füllen, griffs bei der Mähne und
sprach: „Herr Wirt, gebt mir das Roß, ich will es morgen
über Feld reiten?“ „Nein!“ sagte dieser; „das Füllen ist
noch zu jung, Ihr seid ihm zu schwer, als daß es Euch
tragen könnte.“ Der König bat ihn von neuem; der
Wirt sagte: „Ja, wenn es gezäumt oder geritten wäre.“
Der König bat ihn zum drittenmal, und da der Wirt sah,
daß es Karl so lieb wäre, so wollte er das Roß ablassen
und der König verkaufte ihm dagegen sein Pferd, das
er die zwei Tage geritten hatte und von dem es ein
Wunder war, daß es ihm nicht erlag.
Also machte sich der König des dritten Tages auf und
ritt schnell und unaufhaltsam bis gen Aachen vor das
Burgtor, da kehrte er bei einem Wirt ein. Überall in
der ganzen Stadt hörte er großen Schall von Singen
und Tanzen. Da fragte er, was das wäre? Der Wirt
sprach: „Eine große Hochzeit soll heute ergehen, denn
meine Frau wird einem reichen König anvermählt; da
wird große Kost gemacht und Jungen und Alten, Armen
und Reichen Brot und Wein gereicht und ungemessen
Futter vor die Rosse getragen.“ Der König sprach: „Hier
will ich mein Gemach haben und mich wenig um die
Speise bekümmern, die sie in der Stadt austeilen; kauft
mir für meine Guldenpfennige, was ich bedarf, schafft mir
viel und genug. Als der Wirt das Gold sah, sagte er
38 Karls Heimkehr aus Ungerland.
bei sich selbst: „Das ist ein rechter Edelmann, desgleichen
meine Augen nie erblickten!“ Nachdem die Speise köstlich
und reichlich zugerichtet und Karl zu Tisch gesessen war,
forderte er einen Wächter vom Wirt, der sein des Nachts
über pflege und legte sich zu Bette. In dem Bette aber
liegend, rief er den Wächter und mahnte ihn teuer:
„Wann man den Singos im Dom läuten wird, sollst
du mich wecken, daß ich das Läuten höre; dies gülden
Fingerlein will ich dir zu Miete geben.“ Als nun der
Wächter die Glocke vernahm, trat er ans Bette vor den
schlafenden König: „Wohlan, Herr, gebt mir meine
Miete, eben läuten sie den Singos im Dom.“ Schnell
stand er auf, legte ein reiches Gewand an und bat den
Wirt, ihn zu geleiten. Dann nahm er ihn bei der Hand
und ging mit ihm vor das Burgtor, aber es lagen starke
Riegel davor. „Herr,“ sprach der Wirt, „Ihr müßt unten
durchschliefen, aber dann wird Euer Gewand kotig werden.
„Daraus mach ich mir wenig und würde es ganz zer⸗
rissen.“ Nun schloffen sie dem Tor hinein; der König
voll weisen Sinnes, hieß den Wirt um den Dom gehen,
während er selber in den Dom ging. Nun war das
Recht in Franken, wer auf den Stuhl im Dom saß, der
mußte König sein; das deuchte ihm gut, er setzte sich auf
den Stuhl, zog sein Schwert und legte es bar über seine
Knie. Da trat der Meßner in den Dom und wollte die
Bücher vortragen; als er aber den König sitzen sah mit
barem Schwert und stillschweigend, begann er zu zagen
und verkündete eilends dem Priester: „Da ich zum Altar
ging, sah ich einen greisen Mann mit bloßem Schwert
über die Knie auf dem gesegneten Stuhl sitzen.“ Die
Domherren wollten dem Meßner nicht glauben; einer
von ihnen griff ein Licht und ging unverzagt zu dem
Stuhle. Als er die Wahrheit sah, wie der greise Mann
Der Hirsch zu Magdeburg. 89
auf dem Stuhle saß, warf er das Licht aus der Hand
und floh erschrocken zum Bischof. Der Bischof ließ sich
zwei Kerzen von Knechten tragen, die mußten ihm zu
dem Dom leuchten; da sah er den Mann auf dem
Stuhle sitzen und sprach furchtsam: „Ihr sollt mir sagen,
was Mannes ihr seid, geheuer oder ungeheuer und wer
Euch ein Leids getan, daß Ihr an dieser Stätte sitzet?“
da hob der König an: „Ich war Euch wohl bekannt, als
ich König Karl hieß, an Gewalt war keiner über mich!“
Mit diesen Worten trat er dem Bischof näher, daß er
ihn recht ansehen könnte. Da rief der Bischof: „Will⸗
kommen, liebster Herr! Eurer Kunft will ich froh sein“,
umfing ihn mit seinen Armen und leitete ihn in sein reiches
Haus. Da wurden alle Glocken geläutet und die Hoch⸗
zeitgäste frugen, was der Schall bedeute? Als sie aber
hörten, daß König Karl zurückgekehrt wäre, stoben sie
auseinander, und jeder suchte sein Heil in der Flucht.
Doch der Bischof bat, daß ihnen der König Friede gäbe
und der Königin wieder hold würde, es sei ohne ihre
Schuld geschehen. Den gewährte Karl der Bitte und
gab der Königin seine Huld.
440. Der Hirsch zu Magdeburg.
Zeillers Reisebuch S. 128.
Zu Magdeburg, gegenüber dem Roland, stand vor
diesem auf einer steinernen Säule ein Hirsch, mit guldenem
Halsband, den Kaiser Karl gefangen haben soll. Andre
sagen: er habe ihn wieder laufen lassen und ihm ein
gulden Halsband umgehängt, worauf ein Kreuz mit den
Worten:
Lieber Jäger, laß mich leben,
Ich will dir mein Halsband geben.
90 Der lombardische Spielmann
Und dieser Hirsch ist hernach zu Zeiten Friedrich Rot—
barts allererst wieder gefangen worden.
441. Der lombardische Spielmann.
Chron. novalic. Lib. 3. cap. Io, 14.
Als Karl vorhatte, den König Desiderius mit Krieg
zu überziehen, kam ein lombardischer Spielmann zu den
Franken und sang ein Lied folgendes Inhalts: „Welchen
Lohn wird der empfangen, der Karl in das Land Italien
führt? auf Wegen, wo kein Spieß gegen ihn aufgehoben,
kein Schild zurückgestoßen und keiner seiner Leute verletzt
werden soll?“ Als das Karl zu Ohren kam, berief er den
Mann zu sich und versprach ihm alles, was er fordern
würde, nach erlangtem Sieg zu gewähren.
Das Heer wurde zusammenberufen, und der Spiel—
mann mußte vorausgehen. Er wich aber aus allen
Straßen und Wegen und leitete den König über den
Rand eines Berges, wo es bis auf heutigen Tag noch
heißt: der Frankenweg. Wie sie von diesem Berg
niederstiegen in die gavenische Ebene, sammelten sie sich
schnell und fielen den Longobarden unerwarteterweise in
den Rücken; Desiderius floh nach Pavia, und die Franken
überströmten das ganze Land. Der Spielmann aber kam
vor den König Karl und ermahnte ihn seines Ver—
sprechens. Der König sprach: „Fordre, was du willst!“
Darauf antwortete er: „Ich will auf einen dieser Berge
steigen und stark in mein Horn blasen; so weit der Schall
gehört werden mag, das Land verleihe mir zum Lohn
meiner Verdienste mit Männern und Weibern, die darin
sind.“ Karl sprach: „Es geschehe, wie du gesagt hast.“
Der Spielmann neigte sich, stieg sogleich auf den Berg
und blies; stieg sodann herab, ging durch Dörfer und
Der eiserne Karl.
91
Felder, und wen er fand, fragte er: „Hast du Horn blasen
hören?“ Und wer nun antwortete: „Ja, ich hab's gehört“,
dem versetzte er eine Maulschelle, mit den Worten: „Du
bist mein Eigen.“
So verlieh ihm Karl das Land, soweit man sein Blasen
hatte hören können; der Spielmann, solange er lebte und
seine Nachkommen besaßen es ruhig und bis auf heutigen
Tag heißen die Einwohner dieses Landes: die zusam—
mengeblasenen (transcornati).
442. Der eiserne Karl.
Monachus sangallensis ap. Canisium lect. antiq. Tom. II. p. 2. Pp. 81, 82.
Zur Zeit, als König Karl den Lombardenkönig Desi—
der ius befeindete, lebte an des letztern Hofe Ogger (Odger,
Antchar), ein edler Franke, der vor Karls Ungnade das
Land hatte räumen müssen. Wie nun die Nachricht er⸗
scholl, Karl rücke mit Heeresmacht heran, standen Desi⸗
derius und Ogger auf einen hohen Turm, von dessen
Gipfel man weit und breit in das Reich schauen konnte.
Das Gepäck rückte in Haufen an; „Ist Karl unter
diesem großen Heer?“ frug König Desiderius. „Noch
nicht!“ versetzte Ogger. Nun kam der Landsturm des
ganzen fränkischen Reichs: „Hierunter befindet sich Karl
aber gewiß“, sagte Desiderius bestimmt. Ogger ant⸗
wortete: „Noch nicht, noch nicht.“ Da tobte der König
und sagte: „Was sollen wir anfangen, wenn noch
mehrere mit ihm kommen?“ „Wie er kommen wird,“
antwortete jener, „sollst du gewahr werden; was mit uns
geschehe, weiß ich nicht.“ Unter diesen Reden zeigte sich
ein neuer Troß. Erstaunt sagte Desiderius: „Darunter
ist doch Karl?“ „Immer noch nicht“, sprach Ogger.
Nächstdem erblickte man Bischöfe, Äbte, Kaplane mit
92
Karl belagert Pavia.
ihrer Geistlichkeit. Außer sich stöhnte Desiderius: „O
laß uns niedersteigen und uns bergen in der Erde vor
dem Angesichte dieses grausamen Feindes.“ Da erinnerte
sich Ogger der herrlichen, unvergleichlichen Macht des
Königs Karl aus besseren Zeiten her und brach in die
Worte aus: „Wenn du die Saat auf den Feldern wirst
starren sehen, den eisernen Po und Tissino mit dunkeln
eisenschwarzen Meereswellen die Stadtmauern über—
schwemmen, dann gewarte, daß Karl kommt.“ Kaum
war dies ausgeredet, als sich im Westen wie eine finstere
Wolke zeigte, die den hellen Tag beschattete. Dann sah
man den eisernen Karl in einem Eisenhelm, in eisernen
Schienen, eisernem Panzer um die breite Brust, eine
Eisenstange in der Linken hoch aufreckend. In der Rechten
hielt er den Stahl, der Schild war ganz aus Eisen, und
auch sein Roß schien eisern an Mut und Farbe. Alle
die ihm vorausgingen, zur Seite waren und ihm nach—
folgten, ja das ganze Herr schien auf gleiche Weise aus—
gerüstet. Einen schnellen Blick darauf werfend, rief Ogger:
„Hier hast du den, nach dem du soviel frugest“ und
sstürzte halb entseelt zu Boden.
443. Karl belagert Pavia.
Chron. noval. III. 14.
Desiderius floh mit Adelgis, seinem Sohn, und einer
Tochter in die Mauern von Pabia, worin ihn Karl
lange belagerte. Desiderius war gut und demütig; stets
soll er, der Sage nach, um Mitternacht aufgestanden
und in die Kirchen zum Gebet gegangen sein; die Tore
der Kirchen öffneten sich ihm von selbst vor seinem bloßen
Anblick. Während jener Belagerung schrieb nun die
Adelgis.
93
Königstochter einen Brief an König Karl und schoß ihn
auf einer Armbrust über den Fluß Tessino; in dem Brief
stand: „Wenn sie der König zum Ehegemahl nehmen
wolle, werde sie ihm die Stadt und den Schatz ihres
Vaters überliefern.“ Karl antwortete ihr so, daß die
Liebe der Jungfrau nur noch stärker entzündet wurde.
Sie stahl unter dem Haupt ihres schlafenden Vaters die
Schlüssel der Stadt und meldete dem Frankenkönig, daß
er sich diese Nacht bereite in die Stadt zu rücken. Als
sich das Heer den Toren nahte und einzog, sprang ihm
die Jungfrau fröhlich entgegen, geriet aber im Gedränge
unter die Hufe der Rosse und wurde, weil es finstre Nacht
war, von diesen zertreten. Uber dem Gewieher der Rosse
erwachte Adelgis, zog sein Schwert und tkötete viele
Franken. Aber sein Vater verbot ihm, sich zu wehren,
weil es Gottes Wille sei, die Stadt dem Feinde zu geben.
Adelgis entfloh hierauf, und Karl nahm die Stadt und
die königliche Burg in seinen Besitz.
444. Adelgis.
Chron. novalic. III. cap. 10. 22 - 24
Adelgis (Algis, Adelger), Desiderius Sohn, war von
Jugend auf stark und heldenmütig. In Kriegszeiten pflegte
er mit einer Eisenstange zu reiten und viele Feinde zu
erschlagen; so tötete er auch viele der Franken, die in
Lombarden gezogen kamen. Democh mußte er der Über⸗
macht weichen, und Karl hatte selbst Ticinum unterworfen.
In dieser Stadt aber beschloß ihn der kühne Jüngling
auszukundschaften. Er fuhr auf einem Schiff dahin, nicht
wie ein Königssohn, sondern umgeben von wenigen
Leuten, wie einer aus geringem Stande. Keiner der Krieger
94
Adelgis
erkannte ihn, außer einem der ehemaligen treusten Diener
seines Vaters; diesen bat er flehentlich, daß er ihn nicht
verraten möchte. „Bei meiner Treue — antwortete jener
— ich will dich niemanden offenbaren, so lange ich dich
verhehlen kann.“ „Ich bitte dich — sagte Adelgis —
heute, wann du beim König zu Mittag speisest, so setze
mich ans Ende eines der Tische. und schaffe, daß alle
Knochen, die man von der Tafel aufhebt, vor mich ge—
legt werden.“ Der andere versprach es, denn er war's,
der die königlichen Speisen auftragen mußte. Als nun
das Mahl gehalten wurde, so tat er allerdings so und
legte die Knochen vor Adelgis, der sie zerbrach und gleich
einem hungrigen Löwen- das Mark daraus aß. Die
Splitter warf er unter den Tisch und machte einen
tüchtigen Haufen zusammen. Dann stand er früher als
die andern auf und ging fort. Der König, wie er die
Tafel aufgehoben hatte und die Menge Knochen unter
dem Tisch erblickte, fragte: „Welcher Gast hat so viel
Knochen zerbrochen?“ Alle antworteten: sie wüßten es
nicht; einer aber fügte hinzu: „Es saß hier ein starker
Degen, der brach alle Hirsch-Bären- und Ochsenknochen
duf, als wären es Hanfstengel.“ Der König ließ den
Speisaufträger rufen und sprach: „Wer, oder woher
war der Mann, der hier die vielen Knochen zerbrach?“
Er antwortete: „Ich weiß es nicht, Herr.“ Karl erwiderte:
„Bei meines Hauptes Krone, du weißt es.“ Da er sich
betreten sah, fürchtete er und schwieg. Der König aber
merkte leicht, daß es Adelgis gewesen, und es tat ihm
leid, daß man ihn ungestraft von dannen gehen lassen;
er sagte: „Wo hinaus ist er gegangen?“ Einer versetzte:
„Er kam zu Schiff und wird vermutlich so weggehen.“
„Willst du — sprach ein andrer — daß ich ihm nach—
setze und ihn töte?“ „Auf welche Weise?“ antwortete
Von König Karl und den Friesen. 95
Karl. „Gib mir deine goldenen Armspangen und ich
will ihn damit berücken.“ Der König gab sie ihm
alsbald, und jener eilte ihm schnell zu Lande nach, bis er
ihn einholte. Und aus der Ferne rief er zu Adelgis, der
im Schiffe fuhr: „Halt an! Der König sendet dir seine
Goldspangen zur Gabe; warum bist du so heimlich fort⸗
gegangen?“ Adelgis wandte sein Schiff ans Ufer, und
als er näherkam und die Gabe auf der Speerspitze ihm
dargereicht erblickte, ahndete er Verrat, warf seinen Panzer
über die Schulter und rief: „Was du mir mit dem Speere
reichst, will ich mit dem Speere empfangen*); sendet
dein Herr betrüglich diese Gabe, damit du mich töten
sollest so werde ich nicht nachstehen und ihm meine Gabe
senden.“ Darauf nahm er seine Armspangen und reichte
sie jenem auf dem Speer, der in seiner Erwartung ge⸗
täuscht heimkehrte und dem König Karl Adelgis Spangen
brachte. Karl legte sie sogleich an, da fielen sie ihm bis
auf die Schultern nieder. Karl aber rief aus: „Es
ist nicht zu wundern, daß dieser Mann Riesenstärke
hat.“
König Karl fürchtete diesen Adelgis allezeit, weil er
ihn und seinen Vater des Reiches beraubt hatte. Adelgis
floh zu seiner Mutter, der Königin Ansa, nach Brixen,
wo sie ein reiches Münster gestiftet hatte.
445. Von König Karl und den Friesen.
Altfriesengesetz. ed. Wierdsina 1. S. 103 - 108.
Als König Karl aus Franken und König Radbod aus
Dänemark in Friesenland widereinander stießen, besetzte
jeder seinen Ort und sein End im Franekergau mit einem
*) Vgl. Hildebrands Lied 3. 36.
96 Von König Karl und den Friesen.
Heerschild, und jedweder sagte: das Land wäre sein. Das
wollten weise Leute sühnen, aber die Herren wollten es
ausfechten. Da suchte man die Sühne so lange, bis man
sie endlich in die Hand der beiden Könige selber legte:
„Wer von ihnen den andern an Stillstehen überträfe,
der sollte gewonnen haben.“ Da brachte man die Herren
zusammen. Da standen sie ein Etmal (Zeit von Tag
und Nacht) in der Runde. Da ließ König Karl seinen
Handschuh entfallen. Da hub ihn König Radbod auf
und reichte ihn König Karl. Da sprach Karl: „Ha, ha,
das Land ist mein“, und lachte; darum hieß sein Ort
Hachense. „Warum?“ sprach Radbod. Da sprach
Karl: „Ihr seid mein Mann worden.“ Da sprach
Radbod: „O wach“, (o weh); darum hieß sein Ort
Wachense. Da fuhr König Radbod aus dem Lande,
und der König wollte ein Ding (Gericht) halten; da ver—
mocht er nicht, denn so viel lediges Landes war nicht
da, darauf er dingen konnte. Da sandte er in die sieben
Seelande und hieß ihnen, daß sie ihm eine freie Stelle
gewönnen, darauf er möchte dingen. Da kauften sie mit
Schatz und mit Schilling Deldemanes. Dahin dingte
er und hud die Friesen, dahin zu ihm zu fahren und sich
ihr Recht erkören, das sie halten wollten. Da baten sie
Frist zu ihrer Vorsprechung. Da gab er ihnen Urlaub.
Des andern Tages hieß er sie, daß sie vor das Recht
führen. Da kamen sie und erwählten Vorsprecher, zwölf
von den sieben Seelanden. Da hieß er sie, daß sie das
Recht erkörten. Da begehrten sie Frist. Des dritten Tages
hieß er sie wiederkommen. Da zogen sie Notschein (be—
riefen sich auf gesetzliche Hindernis), des vierten Tages
ebenso, des fünften auch so. Dies sind die zwei Fristen
und die drei Notscheine, die die freien Friesen mit Recht
haben sollen. Des sechsten Tages hieß er sie Recht kören.
Von König Karl und den Friesen. 97
Da sprachen sie: sie könnten nicht. Da sprach der König:
„Nun leg ich euch vor drei Kören, was euch lieber ist:
daß man euch töte? oder daß ihr alle eigen (leibeigen)
werdet? oder daß man euch ein Schiff gebe, so fest und
so stark, daß es eine Ebbe und eine Flut mag ausstehen
und das sonder Riem und Ruder und sonder Tau?“ Da
erkoren sie das Schiff und fuhren aus mit der Ebbe, so
fern weg, daß sie kein Land mehr sehen mochten. Da
war ihnen leid zumute. Da sprach einer, der aus Witte—
kinds Geschlecht war, des ersten Asegen (Richters): „Ich
habe gehört, daß unser Herr Gott, da er auf Erden war,
zwölf Jünger hatte und er selbst der dreizehnte war und
kam zu jedem bei beschlossenen Türen, tröstete und lehrte
sie; warum bitten wir nicht, daß er uns einen dreizehnten
sende, der uns Recht lehre und zu, Lande weise?“ Da
fielen sie alle auf ihre Knie und beteten inniglich. Da sie
die Betung getan hatten, sahen sie einen dreizehnten am
Steuer sitzen und eine Achse auf seiner Achsel, da er mit
ans Land steuerte, gegen Strom und Wind. Da sie zu
Land kamen, da warf er mit der Achse auf das Land
und warf einen Erdwasen auf. Da entsprang da ein
Born, davon heißt die Stelle zu Achsenhof. Und zu
Eschweg kamen sie zu Land und saßen um den Born
herum; und was ihnen der dreizehnte lehrte, das nahmen
sie zu Recht an. Doch wußte niemand, wer der dreizehnte
war; so gleich war er jedem unter ihnen. Da er ihnen
das Recht gewiesen hatte, waren ihrer nur zwölf. Darum
sollen in dem Land allzeit dreizehn Asegen sein und ihr
Urteil sollen sie fällen zu Achsenhof und zu Eschwege
und wenn sie entzwei sprechen (verschiedener Meinung
sind) so haben die sieben die sechs einzuhalten. So ist
das Landrecht aller Friesen.
Grimm, Sagen II.
98 Radbot läßt sich nicht taufen. Des Teufels goldnes Haus
446. Radbot läßt sich nicht taufen.
Melis Stoke Rymkronike B. 1. 3. 149- 176.
Bgl. Buchelius zu Beka G. 13.
Pomarius a. a. O. S. 57.
Als der heilige Wolfram den Friesen das Christentum
predigte, brachte er endlich Radbot ihren Herzog dazu,
daß er sich taufen lassen wollte. Radbot hatte schon
einen Fuß in das Taufbecken gestellt; da fiel ihm ein,
vorher zu fragen: wohin denn seine Vorfahren ge—
kommen wären? Ob sie bei den Scharen der Seligen
oder in der Hölle seien? Sankt Wolfram antwortete:
„Sie waren Heiden, und ihre Seelen sind verloren.“ Da
zog Radbot schnell den Fuß zurück und sprach: „Ihrer
Gesellschaft mag ich mich nicht begeben; lieber will ich
elend bei ihnen in der Hölle wohnen, als herrlich ohne
sie im Himmelreich.“ So verhinderte der Teufel, daß
Radbot nicht getauft wurde; denn er starb den dritten
Tag darauf und fuhr dahin, wo seine Magen waren.
Andere erzählen so: Radbot habe auf Wolframs Ant—
wort, daß seine Vorfahren zur Hölle wären, weiter ge—
fragt: ob da der meiste Haufen sei? Wolfram sprach:
„Ja, es steht zu befürchten, daß in der Hölle der meiste
Haufen ist.“ Da zog der Heide den Fuß aus der Taufe
und sagte: „Wo der meiste Haufen ist, da will ich auch
bleiben.“
447. Des Teufels goldnes Haus.
Vita Sti. Wulframi.
Rhein. Mercur 1816, voms4. Jan.
St. Wolfram hatte im Schlafe ein Gesicht, das ihm
gebot, den Friesen das Evangelium zu predigen. Er kam
mnt einigen Gefährten nach Friesland. Es war aber Sitte
Des Teufels goldnes Haus.
99
bei den Friesen, daß, wen das Los traf, den Göttern
geopfert wurde. Diesmal fiel das Los auf einen Knaben,
Deco genannt. Als St. Wolfram ihn sich vom Fürsten
Radbot ausbat, antwortete dieser: „Er sei dein, wenn
dein Christus ihn vom Tode errettet.“ Als sie ihn aber
zum Galgen schleppten, betete Wolfram; nnd sogleich riß
der Strick, der Knabe fiel zur Erde, stand unverletzt und
wurde getauft. Die Weise aber, wie Radbot vom Teufel
betrogen wurde, erzählt der genannte Deco: Der Teufel
erschien ihm in Engelsgestalt, um das Haupt eine Gold⸗
binde mit Gestein besetzt und in einem Kleide aus Gold
gewirkt. Als Radbot auf ihn hinsah, sprach der Teufel
zu ihm: „Tapferster unter den Mäaänuern, was hat dich
also verführt, daß du abweichen willst von dem Fürsten
der Götter? Wolle das nicht tun, sondern beharre bei
dem, was du gelernt, und du sollst in goldne Häuser
kommen, die ich dir in alle Seligkeit zum Eigentume
geben will. Gehe morgen zu Wolfram, dem Lehrer der
Christen, und befrage ihn, welches jene Wohnung der
ewigen Klarheit sei, die er dir verspricht. Kann er sie dir
nicht augenscheinlich dartun, dann — 0
geordnete wählen, und ich will ihr Führer sein auf der
Reise und will ihnen das goldne Haus zeigen und die
schöne Wohnung, die ich dir bereitet.“ Wie Radbot er⸗
wachte, erzählte er alles dem heil. Wolfram. Dieser
sagte, der Betrüger Satanas wolle ihm ein Gaukelspiel
vormachen. Der Fürst antwortete, er wolle Christ
werden, wenn sein Gott ihm jene Wohnung nicht zeige.
Sogleich ward ein Friese von seiner Seite und ein Dia⸗
konns von Seiten Wolframs ausgesandt, die, als sie
etwas von der Stadt sich entfernt, einen Reisegefährten
fanden, der ihnen sagte: „Eilt schnell, denn ich zeige euch
die schöne, dem Herzog Radbot bereitete Wohnung.“
F
100
Wittekinds Taufe.
Sie gingen auf breitem Wege durch unbewohnte Orte und
sahen einen Weg mit verschiednen Arten glatten Marmors
aufs schönste geziert. Von Ferne sahen sie ein Haus glänzen
wie Gold und kamen zu einer Straße, die zum Hause führte,
mit Gold und edlem Gestein gepflastert. Als sie das Haus
betraten, sahen sie es von wunderbarer Schönheit und un—
glaublichem Glanze und in ihm einen Thron von wunder—
barer Größe. Da sprach der Führer: „Das ist die dem Her—
zog Radbot bereitete Wohnung!“ Darauf sprach der
Diakonus staunend: „Wenn das von Gott gemacht ward,
wird es ewig bestehen; wenn vom Teufel, muß es schnell
nerschwinden.“ Somit bezeichnete er sich mit dem Zeichen
des Kreuzes, da verwandelte sich der Führer in den Teufel,
das goldne Haus in Kot, und der Diakon befand sich mit dem
Friesen inmitten von Sümpfen, die voll Wassers waren, mit
langen Binsen und Geröhr. Sie mußten in drei Tagen einen
unermeßlichen Weg zurücklegen, bis sie zur Stadt kamen und
fanden dort den Herzog tot und erzählten, was sie gesehen,
St. Wolfram. Der Friese wurde getauft und hieß Sugomar.
448. Wittekinds Taufe.
Abels Samml. alt. Chroniken S. bi, 62.
Pomarius S. 40, 41.
König Karl hatte eine Gewohnheit, alle große Feste
folgten ihm viele Bettler nach, denen ließ er geben einen
jeglichen einen Silberpfennig. So war es in der stillen
Woche, daß Wittekind von Engern Bettlerskleider an—
legte und ging in Karls Lager unter die Bettler sitzen
und wollte die Franken auskundschaften. Auf Ostern
aber ließ der König in seinem Zelte Messe lesen; da ge—
schah ein göttliches Wunder, daß Wittekind, als der
Priester das Heiligtum emporhob, darin ein lebendiges
Warum die Schwaben dem Reich vorfechten. 101
Kind erblickte; das deuchte ihm ein so schönes Kind, als
er sein Lebtag je gesehen, und kein Auge sah es außer
ihm. Nach der Messe wurden die Silberpfennige den
armen Leuten ausgeteilt; da erkannte man Wittekind
unter dem Bettlerrock, griff und führte ihn vor den König.
Da sagte er, was er gesehen hätte, und ward unter⸗
richtet aller Dinge, daß sein Herz bewegt wurde und
empfing die Taufe und sandte nach den andern Fürsten
in seinem Lager, daß sie den Krieg einstellten und sich
taufen ließen. Karl aber machte ihn zum Herzogen und
wandelte das schwarze Pferd in seinem Schilde in ein weißes.
449. Erbauung Frankfurts.
Ditmarus merseb. Lib. VII, p. m. 104.
Als König Karl von den Sachsen geschlagen floh und
zum Main kam, wußten die Franken das Furt nicht zu
finden, wo sie über den Fluß gehen und sich vor ihren
Feinden retten könnten. Da soll plötzlich eine Hirschkuh
erschienen, ihnen vorangegangen und eine Wegweiserin
geworden sein. Daher gelangten die Franken über den
Main, und seitdem heißt der Ort Frankenfurt.
450. Warum die Schwaben dem Reich vorfechten.
Strikers Gedicht vom span. Feldz. S. 99b.
Alte Reinchronik des 12. Jahrh. in Aretins Beitr. Bd. IX.
Stelle im Gedicht Friedrich v. Schwaben, Grundriß G. 189.
Stelle im Gedicht von der Mörin Lohengrin, Strophe 413.
Schwabenspiegel Kap. 31.
Lambert. schafnab. p. 219.
Königshofen elsäß. Chr. S. 327.
Bal. Pfister Gesch. v. Schwaben II. 114.
Die Schwaben haben von alten Zeiten her unter allen
Völkern des Deutschen Reiches das Recht, dem Heer
102
Eginhart und Emma.
vorzustreiten; und dies verlieh Karl der Große ihrem Her—
zog Gerold (Hildegardens Bruder), der in der blutigen
Schlacht von Runzefal vor dem Kaiser auf das Knie fiel und
diesen Vorzug als der Älteste im Heer verlangte. Seit—
dem darf ihnen niemand vorfechten. Andere erzählen es
von der Einnahme von Rom, wozu die Schwaben Karl
dem Großen tapfer halfen. Noch andere von der Ein—
nahme Mailands, wo der schwäbische Herzog das kaiser—
liche Banner getragen und dadurch das Vorrecht er—
worben.
451. Eginhart und Emma.“)
Chronicon laurishamense. in codice laurest. ed. Mauhem. 1768. 4. IJ. P. 40 - 46
Eginhart, Karls des Großen Erzkapellan und Schreiber,
der in dem königlichen Hofe löblich diente, wurde von
allen Leuten wert gehalten, aber von Imma, des Kaisers
Tochter, heftig geliebt. Sie war dem griechischen König
als Braut verlobt, und je mehr Zeit verstrich, desto mehr
wuchs die heimliche Liebe zwischen Eginhart und Imma.
Beide hielt die Furcht zurück, daß der König ihre Leiden—
schaft entdecken und darüber erzürnen möchte. Endlich
aber mochte der Jüngling sich nicht länger bergen, faßte
sich, weil er den Ohren der Jungfrau nichts durch einen
fremden Boten offenbaren wollte, ein Herz und ging
bei stiller Nacht zu ihrer Wohnung. Er klopfte leise an
der Kammer Türe, als wäre er auf des Königs Geheiß
hergesandt, und wurde eingelassen. Da gestanden sie
sich ihre Liebe und genossen der ersehnten Umarmung.
Als inzwischen der Jüngling bei Tagesanbruch zurück—
gehen wollte, woher er gekommen war, sah er, daß ein
*) Vincent, bellov. versetzt die Sage unter Kaiser Heinrich III.
Eginhart und Emma.
103
dicker Schnee über Nacht gefallen war, und scheute
sich über die Schwelle' zu treten, weil ihn die Spuren
von Mannsfüßen bald verraten würden. In dieser
Angst und Not überlegten die Liebenden, was zu tun
wäre, und die Jungfrau erdachte sich eine kühne
Tat; sie wollte den Eginhart auf sich nehmen und ihn,
ehe es licht wurde, bis nah zu seiner Herberg tragen,
daselbst absetzen und vorsichtig in ihren eigenen Fuß—
spuren wieder zurückkehren. Diese Nacht hatte ge—
rade durch Gottes Schickung der Kaiser keinen Schlaf,
erhub sich bei der frühen Morgendämmerung und schaute
von weitem in den Hof seiner Burg. Da erblickte er
seine Tochter unter ihrer schweren Last vorüberwanken
und nach abgelegter Bürde schnell zurückspringen. Ge⸗
nau sah der Kaiser zu und fühlte Bewunderung und
Schmerz zu gleicher Zeit; doch hielt er Stillschweigen.
Eginhart aber, welcher sich wohl bewußt war, diese Tat
würde in die Laͤnge nicht verborgen bleiben, ratschlagte
mit sich, trat vor seinen Herrn, kniete nieder und bat
um Abschied, weil ihm doch sein treuer Dienst nicht ver—
golten werde. Der König schwieg lange und verhehlte
sein Gemüt; endlich versprach er dem Jüngling baldigen
Bescheid zu sagen. Unterdessen setzte er ein Gericht an,
berief seine ersten und vertrautesten Räte und offenbarte
ihnen, daß das königliche Ansehen durch den Liebeshandel
seiner Tochter Imma mit seinem Schreiber verletzt worden
sei. Und während alle erstaunten über die Nachricht des
neuen und großen Vergehens, sagte er ihnen weiter, wie
sich alles zugetragen und er es mit seinen eigenen Augen
angesehen hätte und er jetzo ihren Rat und ihr Urteil
heische. Die meisten aber, weise und darum mild von
Gesinnung, waren der Meinung, daß der König selbst
in dieser Sache entscheiden solle. Karl, nachdem er alle
104 Der Ring im See bei Aachen
Seiten geprüft hatte und den Finger der Vorsehung in
dieser Begebenheit wohl erkannte, beschloß, Gnade für
Recht ergehen zu lassen und die Liebenden miteinander
zu verehelichen. Alle lobten mit Freuden des Königs
Sanftmut, der den Schreiber vor sich forderte und also
anredete: „Schon lange hätte ich deine Dienste besser
vergolten, wo du mir dein Mißvergnügen früher ent—
deckt hättest; jetzo will ich dir zum Lohn meine Tochter
Imma, die dich hochgegürtet willig getragen hat, zur
ehelichen Frau geben.“ Sogleich befahl er, nach der
Tochter zu senden, welche mit errötendem Gesicht in
des Hofes Gegenwart ihrem Geliebten angetraut wurde.
Auch gab er ihr reiche Mitgift an Grundstücken, Gold
und Silber; und nach des Kaisers Absterben schenkte
ihnen Ludwig der Fromme, durch eine besondere Urkunde,
in dem Maingau Michlinstadt und Mühlenheim, wel—
ches jetzto Seeligenstadt heißt. In der Kirche zu Seeligen—
stadt liegen beide Liebende nach ihrem Tode begraben.
Die mündliche Sage erhält dort ihr Andenken, und selbst
dem nah liegenden Wald soll, ihr zu Folge, Imma, als
sie ihn einmal,o du Wald!“ angeredet, den Namen
Odenwald verliehen haben.
452. Der Ring im See bei Aachen.
Petraroha, epistolae familiares Lib. J. c. 3.
Pasquier, recherches VI. 33.
Vol. Dippolde, Karl der Gr. S. 121.
Petrarcha, auf seiner Reise durch Deutschand, hörte
von den Priestern zu Aachen eine Geschichte erzählen, die
sie für wahrhaft ausgaben und die sich von Mund zu
Munde fortgeflanzt haben sollte. Vor Zeiten verliebte
sich Karl der Große in eine gemeine Frau so heftig, daß
Der Ring im See bei Aachen. 105
er alle seine Taten vergaß, seine Geschäfte liegen ließ
und selbst seinen eigenen Leib darüber vernachlässigte.
Sein ganzer Hof war verlegen und mißmutig über diese
Leidenschaft, die gar nicht nachließ; endlich verfiel die
geliebte Frau in eine Krankheit und starb. Vergeblich
hoffte man aber, daß der Kaiser nunmehr seine Liebe
aufgeben würde, sondern er saß bei dem Leichnam, küßte
und umarmte ihn und redete zu ihm, als ob er noch
lebendig wäre. Die Tote hub an zu riechen und in
Fäulnis überzugehen, nichts destoweniger ließ der Kaiser
nicht von ihr ab. Da ahnte Turpin, der Erzbischof,
es müsse darunter eine Zauberei walten; daher, als Karl
eines Tages das Zimmer verlassen hatte, befühlte er den
Leib der toten Frau allerseits, ob er nichts entdecken
könnte; endlich fand er im Munde unter der Zunge einen
Ring, den nahm er weg. Als nun der Kaiser in das
Zimmer wiederkehrte, tat er erstaunt, wie ein Aufwachen⸗
der aus tiefem Schlafe, und fragte: „Wer hat diesen
stinkenden Leichnam hereingetragen?“ und befahl zur
Stunde, daß man ihn bestatten solle. Dies geschah,
allein nunmehr wandte sich die Zuneigung des Kaisers
auf den Erzbischof, dem er allenthalben folgte, wohin
er ging. Als der weise fromme Mann dieses merkte und
die Kraft des Ringes erkannte, fürchtete er, daß er ein⸗
mal in unrechte Hände fiele, nahm und warf ihn in
einen See, nah bei der Stadt. Seit der Zeit, sagt man,
gewann der Kaiser den ODrt so lieb, daß er nicht mehr
Jus der Stadt Aachen weichen wollte, ein kaiserliches
Schloß und einen Münster da bauen ließ und in jenem
seine übrige Lebenszeit zubrachte; in diesem aber nach
seinem Tode begraben sein wollte. Auch verordnete er,
daß alle seine Nachfolger in dieser Stadt sich zuerst sollten
salben und weihen lassen.
106
Der Kaiser und die Schlange.
453. Der Kaiser und die Schlange.
Scheuchzer itin. alpins III. 385. aus Henrici Braenwaldii em-
bracensis coenobii praepositi chron. ms. Cento novelle antiche 409.
Der erste Teil der Sage umständlich in der Reimchronik Cod. pal. 336
fol. 272 -273. Vol. Gesta roman. 90 und 105. Deutsch I1.
Als Kaiser Karl zu Zürich in dem Hause, genannt
„Zum Loch“ wohnte, ließ er eine Säule mit einer Glocke
oben und einem Seil daran errichten, damit es jeder
ziehen könne, der Handhabung des Rechts fordere, so
oft der Kaiser am Mittagsmahl sitze. Eines Tages nun
geschah es, daß die Glocke erklang, die hinzugehenden
Diener aber niemand beim Seile fanden. Es schellte aber
von neuem in einem weg. Der Kaiser befahl ihnen
nochmals hinzugehen und auf die Ursache achtzuhaben.
Da sahen sie nun, daß eine große Schlange sich dem
Seile näherte und die Glocke zog. Bestürzt hinterbrachten
sie das dem Kaiser, der alsbald aufstand und dem Tiere,
nicht weniger als den Menschen, Recht sprechen wollte.
Nachdem sich der Wurm ehrerbietig vor dem Fürsten
geneigt, führte er ihn an das Ufer eines Wassers, wo auf
seinem Nest und auf seinen Eiern eine übergroße Kröte
saß. Karl untersuchte und entschied der beiden Tiere
Streit dergestalt, daß er die Kröte zum Feuer verdammte
und der Schlange recht gab. Dieses Urteil wurde ge—
sprochen und vollstreckt. Einige Tage darauf kam die
Schlange wieder an Hof, neigte sich, wand sich auf den
Tisch und hob den Deckel von einem darauf stehenden
Becher ab. In den Becher legte sie aus ihrem Munde
einen kostbaren Edelstein, verneigte sich wiederum und
ging weg. An dem Orte, wo der Schlangen Nest ge—
standen, ließ Karl eine Kirche bauen, die nannte man
Wasserkilch; den Stein aber schenkte er, aus besonderer
Liebe, seiner Gemahlin. Dieser Stein hatte die geheime
Konig Karl.
107
Kraft in sich, daß er den Kaiser beständig zu seinem
Gemahl hinzog und daß er abwesend Trauern und Sehnen
nach ihr empfand. Daher barg sie ihn in ihrer Todes⸗
stunde unter der Zunge, wohl wissend, daß, wenn er in
andere Hände komme, der Kaiser ihrer bald vergessen
wärde. Also wurde die Kaiserin samt dem Stein be⸗
graben; da vermochte Karl sich gar nicht zu trennen von
ihrem Leichnam, so daß er ihn wieder aus der Erde graben
ließ und 18 Jahr mit sich herumführte, wohin er sich
auch begab. Inzwischen durchsuchte ein Höfling, dem
hon der verborgenen Tugend des Steines zu Ohren ge⸗
kommen war, den Leichnam und fand endlich den Stein
unter der Zunge liegen, nahm ihn weg und steckte ihn
zu sich. Alsobald kehrte sich des Kaisers Liebe ab von
seiner toten Gemahlin und auf den Höfling, den er nun
gar nicht von sich lassen wollte. Aus Unwillen warf ein⸗
mal der Höfling, auf einer Reise nach Köln, den Stein
in eine heiße Quelle; seitdem konnte ihn niemand wieder
erlangen. Die Neigung des Kaisers zu dem Ritter hörte
zwar auf, allein er fühlte sich nun wunderbar hingezogen
zu dem Orte, wo der Stein verborgen lag; und an
dieser Stelle gründete er Aachen, seinen nachherigen
Lieblingsaufenthalt.
4354. König Karl.
Königschronik im Cod. pal. 361. fol. 87 ete. und aus einem Wiener Koder
gedruckt in Aretins Beitr. Tbeil q.
Das Reich stund leer, da nahmen die Römer die Krone,
setzten sie auf Sankt Peters Altar nieder und schwuren
bor all dem Volke, daß sie aus ihrem Geschlechte nimmer⸗
mehr Könige erwählen wollten, sondern aus fremden
Landen.
1008
König Karl.
Damals war Sitte, daß die Römer Jünglinge aus
andern Reichen an ihrem Hofe fleißig und löblich auf—
erzogen. Kamen sie zu den Jahren, daß sie Schwert
führen mochten, so sandten die Römer sie wieder fröhlich
in ihr Land, und darum dienten ihnen alle Reiche in
großer Furcht.
Da geschah, daß Pipin, ein reicher König zu Kerlingen,
zwei Söhne hatte; der eine hieß Leo, der wurde zu Rom
erzogen und saß auf Sankt Peters Stuhl. Der zweite
hieß Karl und war noch daheim.
Eines Nachtes, da Karl entschlief, sprach eine Stimme
dreimal zu ihm: „Wohlauf, Karl lieber! fahr gen Rom,
dich fordert Leo, dein Bruder.“
Schier bereitete er sich zu der Fahrt, offenbarte aber
niemand, was er vorhatte, bis er den König, seinen Vater,
um Urlaub bat; er sprach: „Ich will gerne den Papst
sehen und zu Rom in der Hauptstadt beten.“
Mit reicher Gabe ausgerüstet hob sich Karl auf den
Weg und betete mit nassen Augen zu Gott, still, daß es
niemand innen wurde. Zu Rom ward er von Alten und
Jungen wohl empfangen; der Papst sang eine heilige
Messe; alle Römer sprachen, daß Karl ihr rechter Vogt
und Richter sein sollte.
Karl achtete ihrer Rede nicht, denn er war um zu
beten dahin gekommen und ließ sich durch nichts irren.
Mit bloßen Füßen besuchte er die Kirchen, flehte innig—
lich zu Gott und dingte um seine Seele. So diente er
Gott vier Wochen lang; da warfen sich der Papst, sein
Bruder und all das Volk vor ihm nieder, er empfing
die teure Krone, und alle riefen Amen.
König Karl saß zu Gericht; der Papst klagte ihm,
daß die Zehenden, Wittümer und Pfründen von den
Fürsten genommen wären. „Das ist ja der Welt Brauch
Koönig Karl.
109
— sagte Karl — was einer um Gottes Willen gibt, nimmt
der andere hin. Wer diesen offenen Raub begeht, ist
kein guter Christ. Ich kann jetzt diese Klage noch nicht
richten; erlebe ich aber den Tag, daß ich es tun darf,
so fordre es mir Sankt Peter ab.“
Da schieden sich die Herren mit großem Neid; Karl
wollte nicht länger in diesem Lande bleiben, sondern fuhr
nach Riflanden*). Die Römer hatten wohl erkannt,
daß er ihr rechter Richter wäre; aber die bösen unter
ihnen bereuten die Unterwerfung. Sie drangen in St.
Peters Münster, fingen den Papst und brachen ihm
beide Augen aus. Darauf sandten sie ihn blind nach
Riflanden dem Könige zum Hohn. Der Papst saß auf
einen Esel, nahm zwei Kapellane und zwei Knechte, die
ihm den Wsg weisen sollten; auf der Reise stand er
Kummer und Not aus. Als er zu Ingelnheim in des
Königs Hof ritt, wußte noch niemand, was ihm geschehen
war; still hielt er auf dem Esel und hieß einen seiner
Kapellane heimlich zu dem König gehen: „Schone deiner
Worte und eile nicht zu sehr; sage dem König nur, ein
armer Pilgrim wolle ihn gerne sprechen.“
Der Priester ging und weinte, daß ihm das Blut über
den Bart rann. Als ihn der König kommen sah, sagte
er: „Diesem Mann ist großes Leid getan; wir sollen
ihm richten, wo wir können.“
Nieder kniete der Priester, kaum vermochte er zu
sprechen: „Wohlan, reicher König! komm und rede
mit einem deiner Kapellane, dem große Not geschehen
ist.“ Karl folgte dem Priester eilends über den Hof und
hieß die Leute vor sich weichen. „Ihr guten Pilgrime
— sprach er — wollt ihr hier bei mir bleiben, ich
*) Ripuaria.
110
König Karl
herberge euch gerne; klaget mir euer Leid, so will ich's
büßen, wo ich kann.“
Da wollte der arme Pabst zu dem König sich kehren,
sein Haupt stand zwerch, sein Gesicht scheel; er sprach:
„Daß mir Gott deiner Hilfe gönne! es ist erst kurze Zeit,
daß ich dir zu Rom die Messe sang; damals sah ich
noch mit meinen Augen.“ An diesen Worten erkannte
König Karl seinen Bruder, erschrak so heftig, daß er zu
Boden fallen wollte, und raufte die Haare aus. Die
Leute sprangen herzu und hielten ihren Herrn. „Zu
deinen Gnaden — klagte Leo — bin ich hierhergekommen,
um deinetwillen hab' ich die Augen verloren; weine nicht
mehr, lieber Bruder, sondern loben wir Gott seiner großen
Barmherzigkeit!“ Da war großer Jammer unter dem
Volke, und niemand mochte das Weinen verhalten.
Als nun der König alles von dem Papst erfahren
hatte, sagte er: „Deine Augen will ich rächen oder nimmer—
mehr das Schwert länger führen.“ Er sandte Boten zu
Pipin, seinem Vater, und den Fürsten in Kerlingen. Alle
waren ihm willig, die Boten eilten von Lande zu Lande,
von Herren zu Mannen; Baulente und Kaufmänner,
die niemand entbieten konnte, ließen freiwillig Hab und
Gut und folgten dem Heere. Sie zogen sich zusammen
wie die Wolken. Der Zug ging über die Alpen durch
Triental, eine unzählige Schar und die größte Heer—
fahrt, die je nach Rom geschah.
Als das Heer so weit gekommen war, daß sie Rom
von ferne erblickten, auf dem Mendelberg“), da betete
der werte König drei Tag und drei Nacht, daß es den
Fürsten leid tat und sie sprachen, wie er so lange ihre
*) Mons gaudii, mont joie, wovon d
Großen. soie, er Heerruf Karls des
König Karl.
111
Not ansehen möchte, nun sie so weit gekommen wären?
Der König antwortete: „Erst müssen wir zu Gott flehen
und seinen Urlaub haben, dann können wir sanft streiten;
auch bedarf ich eines Dienstmannes in dieser Not, den
sende mir Gott gnädiglich.“
Früh am vierten Morgen scholl die Stimme vom
Himmel, „icht länger zu warten, sondern auf Rom los⸗
zuziehen; die Rache solle ergehen und Gottes Urteil sei
erfolgt.“
Da bereitete man des Königs Fahne. Als das Volk
den Berg herabzog, ritt Gerold dem König entgegen.
Herrlich redete ihn der König an: „Lange warte ich dein,
liebster unter meinen Mannen!“ Karl rückte den Helm
auf und küßte ihn. Alle verwunderte es, wer der Ein—
schilder) wäre, den der König so vertraut grüßte. Es
war der kühne Gerold, dem das schwäbische Volk
folgte in drei wonnesamen Scharen. Da verlieh ihnen
Karl, daß die Schwaben dem Reich immer vorfechten
sollten.
Sieben Tage und sieben Nächte belagerte das Heer
Rom und den Lateran, an denen niemand wagte, mit
ihnen zu streiten. Den achten? Tag schlossen die Römer
das Tor auf und ließen den König ein. Karl saß zu Ge⸗
richt, die Briefe wurden gelesen, die Schuldigen genannt.
Als man sie vorforderte, so leugneten sie. Da verlangte
der Kaiser Kampf, daß die Wahrheit davon erscheine.
Die Römer sprachen: „Das wäre ihr Recht nicht und
kein König hätte sie noch dazu gezwungen; ihre Finger
wollten sie recken und schwören.“ Da sagte er: „Von
euerm Rechte will ich keinen treiben, aber schwören sollt
ihr mir auf Pankratius dem heiligen Kinde.“
x) Der nur einen Schild führt
21
König Karl.
Sie zogen in Pankratiusstift und sollten die Finger
auf das Heiligtum legen. Der erste, welcher schwören
wollte, sank zu Boden. Da verzweifelten die andern,
wichen zurück und begannen zu fliehen. Zornig ritt ihnen
der König nach, drei Tage ließ er sie erschlagen, die
Toten aus S. Peters-Dome tragen, den Estrich reinigen
und den Papst wieder einführen. Drauf fiel Karl vor
dem Altar nieder und bat um ein Wunder, damit das
böse Volk der Römer zum Glauben gebracht würde.
Auch forderte er Sankt Peter, den Türhüter des Himmels,
daß er seinen Papst schauen sollte: „Gesund ließ ich ihn
in deinem Hause, blind hab' ich ihn gefunden; und machst
du ihn nicht wieder sehend heut am Tage, so zerstöre ich
deinen Dom, zerbreche deine Stiftung und fahre heim
nach Riflanden.“
Da bereitete sich Papst Leo, und als er die Beicht aus—
gesprochen, sah er ein himmlisches Licht, kehrte sich um
zu dem Volk und hatte seine beiden Augen wieder. Der
König samt allem dem Heer fielen in Kreuzesstellung und
lobten Gott. Der Papst weihete ihn zum Kaiser und
sprach allen seinen Gefährten Ablaß. Da war große
Freude zu Rom.
Karl setzte sein Recht und Gesetz mit der Hilfe des
himmlischen Boten, und alle Herren schwuren, es zu halten.
Zuerst richtete er Kirchen und Bischöfe und stiftete ihnen
Zehenden und Wittümer. Alsdann verordnete er über
die Bauleute (Bauern): Schwarz oder Grau sollten sie
tragen und nicht anders, einen Spieß daneben, rinderne
Schuhe, sieben Ellen zu Hemd und Bruch rauhes Tuches;
sechs Tage bei dem Pfluge und der Arbeit, an dem Sonn—
tag zur Kirche gehen mit der Gerte in der Hand. Wird
ein Schwert bei dem Bauern gefunden, so soll er an den
Kirchzaun gebunden und ihm Haut und Haar abgeschlagen
König Karl.
113
werden; trägt er Feindschaft, so wehre er sich mit der
Gabel. Dieses Recht setzte König Karl.
Da wuchs die Ehre und der Name des Königs, seine
Feinde besiegte er; Adelhart, Fürsten von Apulia, ließ
er das Haupt abschlagen und Desiderins, Fürst von
Sosinnia, mußte auf seine Gnade dingen; dessen Tochter
Aba nahm sich Karl zur Frauen und führte sie an den
Rhein. Die Westfalen ergaben ihm ihr Land, die Friesen
bezwang er, aber die Sachsen wollten ihn nicht empfangen.
Sie pflagen ihre alte Sitte und fochten mit dem Kaiser,
daß er sieglos wurde. Doch Wittekind genoß es nicht,
denn Gerold schlug ihn mit Listen; es geschah noch mancher
Streit, ehe die Sachsen unterworfen wurden.
Darauf kehrte Karl nach Spanien und Navarra, focht
zwei lange Tage und behauptete die Wahlstatt. Er mußte
—EDDD sieben
Jahre, weil ihnen Wein und Wasser unter der Erde zu⸗
fuhr: bis endlich der König ihre List gewahrte und die
Gänge abschnitt. Da vermochten sie nicht länger zu streiten,
kamen vor das Burgtor und fochten mit festem Mut.
Keiner bot dem andern Friede, und Christen und Heiden
wurden so viel untereinander erschlagen, daß es niemand
sagen kann. Doch überwand Karl mit Gott und ließ
die Christen in wohlgezierten Särgen bestatten.
) Hierauf nahm er die Burg Gerundo**) ein, zwang
sie mit Hunger und taufte alle Leute darin. Aber in
Eallacia tat ihm der Heidenkönig großes Leid, die Christen
weirden erschlagen, Karl allein entrann kaum. Noch heute
ist der Stein naß, worauf heißweinend der König saß
) Den hier folgenden Teil der Sage von dem nassen Stein
und dem Schäftenwald kennt auch Pomarius in s. Chronik
S. 54.
**) Girona.
Grimm, Sagen II.
114
König Karl.
und Gott seine Sünden klagte: „Gnade, o Herr, meiner
Seele und scheide meinen Leib von dieser Welt! Nimmer
kann ich wieder froh werden.“ Da kam ein Engel, der
tröstete ihn: „Karl, du bist Gott lieb und deine Freude
kehret schier wieder; sende deine Boten eilends heim und
mahne Frauen und Jungfrauen, daß sie dir deine Ehre
wieder gewinnen helfen!“
Die Boten eilten in alle seine Länder und sammelten
die Mägde und Jungfrauen, fünfzigtausend und drei
und sechsundsechzig in allem. An einem Ort, geheißen
Carles Tal, bereiteten die Mägde männlich sich zur
Schlacht. Der Heiden Wartleute nahm es Wunder, wo⸗
her diese Menge Volkes gekommen war. „Herr — sprachen
sie zu ihrem Könige — die Alten haben wir erschlagen,
die Jungen sind hergekommen, sie zu rächen; sie sind
stark um die Brüste, ihr Haar ist ihnen lang, schön ist
ihr Gang; es ist ein vermessenes Volk, gegen das unser
Fechten nicht taugen wird; und was auf diesem Erd—⸗
boden zusammenkommen könnte, würde sie nicht bestehen,
so vreisam sind ihre Gebärden.“
Da erschrak der Heide, seine Weisen rieten, daß er
dem Kaiser Geißel gab, sich und sein Volk taufen ließ.
So machte Gott die Christen sieghaft ohne Stich und
Schlag, und die Mägde erkannten, daß der Himmel mit
ihnen war.
Karl und die Seinen zogen heim. Die heermüden
Heldinnen kamen zu einer grünen Wiese, steckten ihre
Schäfte auf und fielen in Kreuzstellung, um Gott zu
loben. Da blieben sie über Nacht; am andern Morgen
grünten, laubten und blühten ihre Schäfte. Davon heißt
die Stelle der Schäftenwald,“) wie man noch heutiges
*) Auch Schächtewald und Gluvinkwald, von Glevin, Schaft.
Der schlafende Landsknecht. 115
Tages sehen mag. Der König aber ließ, Christus und
der heiligen Marien zu Ehren, daselbst eine reiche Kirche
bauen.
Karl hatte eine Sünde getan, keinem Menschen auf
Erden wollt' er sie beichten und darin ersterben. In die
Länge aber wurde ihm die Bürde zu schwer, und da er
von Egidius dem heiligen Manne gehört hatte, so legte
er ihm Beichte ab aller Dinge, die er bis dahin getan.
„Außer dem — sprach er — habe ich noch eine Sünde
auf mir, die mag ich dir nicht eröffnen und bin doch in
großen Ängsten.“ Egidius riet ihm, da zu bleiben, bis
den andern Morgen; beide waren über Nacht zusammen
und keiner pflag Schlafes. Am andern Tage früh bat
der König den heiligen Mann, daß er ihn dannen fertigte.
Da bat Egidius Gott von Herzen und eröffnete ihm des
Königs heimliche Not; als er die Messe endete und den
Segen sprach, sah er einen Brief, geschrieben ohne Men—
schenhand, vom Himmel gesandt. Den wies er dem
Könige und Karl las daran: wer seine Schuld inniglich
bereut und Gott vertraut, die fordert er nimmermehr.
Sollte man alle Wunder des Königs erzählen, so wäre
lange Zeit nötig. Karl war kühn, schön, gnädig, selig,
demütig, stät, löblich und furchtlich. Zu Aachen liegt er
begraben.
455. Der schlafende Landsknecht.
Heéeli nandus in chronico, libro 15.
Weier von Zauberern IL. 14.
Als Heinrich, Erzbischof zu Rheims, der König Lud⸗
wigs Bruder, auf eine Zeit im Sommer über Land reiste
und um Mittag von der Hitz wegen ein Schläflein tat,
ruhten sich auch einige seiner Landsknechte und schliefen.
g*
116 Kaiser Ludwig baut Hildesheim.
Die übrigen aber, welche Wacht hielten, sahen aus dem
offenen Mund eines der schlafenden Landsknechte ein
klein weiß Tierlein, gleich einer Wiesel, herauskriechen
und gegen dem nächsten Bächlein zulaufen. Am Gestad
des Bächleins lief es aber hin und wider und konnte
nicht über kommen. Da fuhr einer von denen, die dabei—
standen zu und legte sein entblößtes Schwert wie eine
Brücke hin; darüber lief das Tierlein und verschwand.
Über eine kleine Weile kam es jenseits wieder und suchte
emsig die vorige Brücke, die mittlerweile der Kriegsknecht
weggetan hatte. Also brückte er nun wieder über das
Bächlein, das Tierlein ging darauf, näherte sich dem
noch aufgetanen Mund des schlafenden Landsknechtes
und kehrte in seine alte Herberg ein. Von Stund an
erwachte der Landsknecht. Seine Spießgesellen fragten,
was ihm im Schlafe begegnet sei? Er antwortete: „Mir
träumte, ich wäre gar müd und hellig, von wegen eines
gar fernen, weiten Wegs, den ich zog und auf dem Wege
mußt' ich zweimal über eine eiserne Brücke gehen.“ —
Die Landsknechte konnten daraus abnehmen, daß, was
sie mit Augen gesehen, ihm wirklich im Traum vor—
geschwebt hatte.
456. Kaiser Ludwig baut Hildesheim.
Pomarius a. a. O. G. 63.
Casp. Abel Samml. alter Chroniken. Braunschw. 1732. G. 68.
Kaiser Ludwig führte allezeit ein Marienbild an seinem
Halse; nun begab sichs, daß er ritt durch einen Wald,
stieg ab, seine Füße zu decken und setzte dieweil das Bild
auf einen Stein (oder auf einen Stamm). Als er's
darauf wieder zu sich nehmen wollte, vermochte er es
nicht von der Stätte zu bringen. Da fiel der König auf
Der Rosenstrauch zu Hildesheim. 117
die Knie und betete zu Gott: daß er ihm kund täte, ob
er einer Missetat schuldig wäre, derentwegen das Bild
nicht von dem Steine weichen wollte? Da hörte er eine
Stimme rufen, die sprach: „So ferne und weit ein
Schnee fallen wird, so groß und weit sollst du einen
Thumb bauen, zu Marien Ehre!“ Und alsbald hub es
an vom Himmel zu schneien auf die Stätte! da sprach
Ludwig: Dies ist Hilde Schnee Git is tomalen hilde
Snee), und es soll auch Hildeschnee heißen. So weit nun
der Schnee gefallen war, stiftete er einen Kirchenbau,
unserer lieben Frauen zu Ehren, und Günther war der
erste Bischof, den er darin bestätigte. Also kriegte der
Thumb und die Stadt den Namen nach dem Schnee,
der „do hilde“ fiel; das ward genennet Hildeschnee und
folgends Hildesheim.
457. Der Rosenstrauch zu Hildesheim.
Mündlich.
Als Ludwig der Fromme Winters in der Gegend von
Hildesheim jagte, verlor er sein mit Heiligtum gefülltes
Kreuz, das ihm vor allem lieb war. Er sandte seine
Diener aus, um es zu suchen; und gelobte, an dem Orte,
wo sie es finden würden, eine Kapelle zu bauen. Die
Diener verfolgten die Spur der gestrigen Jagd auf dem
Schnee und sahen bald aus der Ferne mitten im Wald
einen grünen Rasen und darauf einen grünenden wilden
Rosenftrauch. Als sie ihm näher kamen, hing das ver⸗
lorene Kreuz daran! sie nahmen es und berichteten dem
Kaiser, wo sie es gefunden. Alsobald befahl Ludwig,
auf der Stätte eine Kapelle zu erbauen und den Altar
dahin zu setzen, wo der Rosenstock stand. Dieses geschah,
und bis auf diese Zeiten grünt und blüht der Strauch und
118 König Ludwigs Rippe klappt. Die Königin im Wachshemd
wird von einem eigens dazu bestellten Manne gepflegt.
Er hat mit seinen Asten und Zweigen die Rundung des
Domes bis zum Dache umzogen.
458. König Ludwigs Rippe klappt.
(Aventin Bair. Chronik Bl. Zor. b)
Von König Ludwigs in Deutschland Härte und Stärke
wird erzählt, wie folgt. Es geschah auf einem Heerzug,
daß eine Laube oder Kammer unter ihm einging, er
hinunter stürzte und eine Rippe ausfiel. Allein er verbarg
den Schaden vor jedermann, vollbrachte seine Reise und
es heißt, die, welche dieselbige Zeit ihn begleiteten, haben
seine Rippe im Zug klappern hören. Wie alles ausge—
richtet war, zog er gen Ach und lag zwei Monat im
Bett nieder, ließ sich erst da recht verbinden.
459. Die Königin im Wachshemd.
Königs Chronik Cod. pal. 361, fol. 94.
Ludwig der Deutsche hinterließ drei Söhne: Karl, Lud—
wig und Karlman. Unter diesen nahm sich König Karl
eine schöne und tugendsame Gemahlin, deren reines Leben
ihr bald Neider am Hofe erweckte. Als der König eines
Morgens früh in die Metten ging, folgte ihm Sigerat
sein Dienstmann, der sprach: „Herr, was meine Frau
begeht, ziemet nicht euren Ehren, mehr darf ich nicht
sagen“. Der König blickte ihn an und sagte traurig:
„Sage mir schnell die Wahrheit, wo du irgend etwas
gesehen hast, was wider des Reiches Ehren stößt“. Der
listige Alte versetzte: „Leider, ich werde nimmermehr froh,
seit ich gesehen habe, daß meine Frau andere Männer
minnet; lüge ich, so heißt mich an einen Baum hängen“.
Die Königin im Wachshemd. 119
Der König eilte schnell in seine Schlafkammer zurück,
und legte sich stillschweigend an der Koönigin Seite. Da
sprach die Frau: „Deß bin ich ungewohnt, waruin seid
ihr schon wiedergekommen?“ Er schlug ihr einen Faust—⸗
schlag und sagte: „Weh mir, daß dich meine Augen je
gesehen, und ich meine Ehre durch dich verloren habe;
das soll dir ans Leben gehen“. Die Königin erschrak,
und erweinte: „Schonet Eure Worte und haltet auf
Eurer Ehre! Ich sehe, daß ich verlogen worden bin; ist es
aber durch meine Schuld, so will ich den Leib verloren
haben““. Karl zwang seinen Zorn und antwortete: „Du
pflegest unrechter Minne, wie möchtest du länger dem
Reiche zur Königin taugen!“ Sie sprach: „Ich will auf
Gottes Urteil dingen, daß ich es nimmermehr getan habe
und vertraue, seine Gnade wird mir beistehen“.
Die Frau sandte nach vier Bischöfen, die mußten ihre
Beichte hören und immer bei ihr sein; sie betete und
fastete bis der Gerichtstag kam. Bischöfe, Herzöge und
eine große Volksmenge hatten sich versammelt, die Königin
bereitete sich zu der schweren Arbeit. Als die edlen Herren
sich dazwischen legen wollten, sprach sie: „Das wolle
Gott nicht, daß man solche Reden von mir höre, und ich
länger die Krone trage“. Da jammerte es allen Fürsten.
Die Frau mit auferhabenen Augen und unter manchem
guten Segen schloff in ein Hemde, das dazu gemacht
war. Gebete wurden gesungen und gelesen, und an vier
Ecken zu Füßen und Händen zündete man ihr Hemde an.
In kurzer Stunde brannte es von ihr ab, das Wachs
floß auf das Steinpflaster nieder; unversehrt, ohne Arg
stand die Königin. Alle sprachen: Gott Lob! Der König
ließ die Lügner an einen Galgen hängen. Die Königin
aber schied fröhlich von dannen, tat sich des Reiches ab
und diente Gott ihr übriges Leben.
1
Konigin Adelheid
460. Königin Adelheid.
Chron. novalic. IV. c. 8. col. 735.
Als die Königin Adelheid, Lothars Gemahlin, von
König Berengar hart in der Burg Canusium belagert
wurde und schon auf Mittel und Wege dachte, zu ent—
fliehen, fragte Arduin: „Wie viel Scheffel Weizen habt
Ihr noch auf der Burg?“ „Nicht mehr — sagte Atto
— als fünf Scheffel Roggen und drei Sechter Weizen“.
„So folgt meinem Rate, nehmt ein Wildschwein,
füttert es mit dem Weizen und laßt es zum Tore hinaus—
laufen“. Dieses geschah. Als nun das Schwein unten
im Heer gefangen und getötet wurde, fand man in dessen
Magen die viele Frucht. Man schloß daraus, daß es
vergebens sein würde, diese Festung auszuhungern und
hob die Belagerung auf.
461. König Karl sieht seine Vorfahren in der
Hölle und im Paradies.
Chroniques de S. Denys ap. D. Bouquet VII. p. 148. 149. Vgl. 255,
Val. Crusius ann. suev. dodecas II. p. 70.
König Karl (der dicke), als er auf Weihnachten nach
der Mette frühmorgens ruhen wollte und fast schlummerte,
vernahm eine schreckliche Stimme, die zu ihm sprach:
„Karl, jetzt soll dein Geist aus deinem Leibe gehen, das
Gericht des Herrn zu schauen, und dann wieder zurück—
kehren!“ Und alsobald wurde sein Geist entzückt, und
der ihn wegzuckte, war ein ganz weißes Wesen, welches
einen leuchtenden Faden, ähnlich dem fallender Sterne
hielt und sagte: „Fasse das Ende dieses Fadens, binde
ihn fest an den Daumen deiner rechten Hand, ich will
dich daran führen zu dem Ort der höllischen Pein“. Nach
König Karl sieht seine Vorfahren i. d. Hölle u. im Paradies. 121
diesen Worten schritt es vor ihm her, indem es den Faden
von dem leuchtenden Knäuel abwickelte, und leitete ihn
durch tiefe Täler voll feuriger Brunnen; in diesen Brunnen
war Schwefel, Pech, Blei und Wachs. Er erblickte darin
die Bischöfe und Geistlichen aus der Zeit seines Vaters
und seiner Ahnen; Karl fragte furchtsam: „warum sie
also leiden müßten?“ „Weil wir — sprachen sie —
Krieg und Zwietracht unter die Fürsten streuten, statt sie
zum Frieden zu mahnen“. Während sie noch redeten,
flogen schwarze Teufel auf glühenden Haken heran, die
sich sehr mühten, den Faden, woran sich der König hielt,
zu ihnen zu ziehen; allein sie vermochten nicht, seiner
großen Klarheit wegen, und fuhren davor zurück. Darauf
kamen sie von hinten und wollten Karl mit langen Haken
ziehen und fallen machen; allein der, welcher ihn führte,
warf ihm den Faden doppelt um die Schulter und hielt
ihn stark zurück.
Hierauf bestiegen sie hohe Berge, zu deren Füßen
glühende Flüsse und Seen lagen. In diesen fand er die
Seelen der Leute seines Vaters, seiner Vorfahren und
Brüder bis zu den Haupthaaren, einige bis zum Kinn,
andere bis zum Nabel getaucht. Sie huben an ihm ent⸗
gegen zu schreien und heulten: „Karl, Karl, weil wir
Mordtaten begingen, Krieg und Raub, müssen wir in
diesen Qualen bleiben!“ Und hinter ihm jammerten
andere; da wandte er sich um und sah an den Ufern
das Flusses Eisenöfen, voll Drachen und Schlangen, in
denen er andere bekannte Fürsten leiden sah. Einer der
Drachen flog herzu und wollte ihn schlingen; aber sein
Führer wand ihm den dritten Schleif des Fadens um
die Schulter.
Nächstdem gelangten sie in ein ungeheuer großes Tal,
welches auf der einen Seite licht, auf der anderen dunkel
122
Adalbert von Babenberg.
war. In der dunkeln lagen einige Könige, seine Vor—
fahren, in schrecklichen Peinen; und am Lichte, das der
Faden warf, erkannte Karl in einem Faß mit siedendem
Wasser seinen eigenen Vater, König Ludwig, der ihn
kläglich ermahnte und ihm links zwei gleiche Kufen zeigte,
die ihm selber zubereitet wären, wenn er nicht Buße für
seine Sünden tun würde. Da erschrak er heftig, der
Führer aber brachte ihn auf die lichte Seite des Tales;
da sah Karl seinen Oheim Lothar sitzen auf einem großen
Edelstein, andere Könige um ihn her, gekrönt und in
Wonnen; die ermahnten ihn und verkündigten, daß sein
Reich nicht mehr lange dauern werde; aber es solle fallen
an Ludwig, Lothars Tochtersohn. Und indem sah Karl
dieses Kind, Ludwig, da stehen; Lothar, sein Ahnherr,
sprach: „Hier ist Ludwig, das unschuldige Kind, dem
übergib jetzo deines Reiches Gewalt durch den Faden,
den du in deiner Hand hältst“. Da wand Karl den
Faden vom Daumen und übergab dem Kinde das Reich;
augenblicklich knäuelte sich der Faden, glänzend wie ein
Strahl der Sonne, in des Kindes Hand.
Hierauf kehrte Karls Geist in den Leib zurück, ganz
müde und abgearbeitet.
462. Adalbert von Babenberg.
Otto frising, VI, 15.
Liutprand hist. Lib. II. cap. 3.
Witechindus ed. Reinn. p. B. 9.
Gerstenberger ap. Scehminke J. 46— 48.
Pomarius S. 83.
Im Jahre 9go5 zu König Ludwig des Kindes Zeiten
trug sich eine Begebenheit zu, die man lange auf Kreuz—
wegen und Malstätten vor dem Volke singen hörte, und
deren die geschriebenen Bücher von den Taten der
Adalbert von Babenberg.
123
Könige nicht geschweigen. Adalbert, ein edler fränkischer
Graf, hatte Konraden, König Ludwigs Bruder, erlegt;
und wurde in seiner Burg Babenberg darum belagert.
Da man aber diesen Helden mit Gewalt nicht bezwingen
konnte, so sann des jungen Königs Ratgeber, Erzbischof
Hatto von Mainz, auf eine List. Mit frommer Gleisnerei
ging er hinauf zu einem Gespräch in das Schloß und
redete dem Adalbert zu, die Gnade des Königs zu suchen.
Adalbert, fromm und demütig, fügte sich gerne, bedung
sich aber aus, daß ihn Hatto sicher und ohne Gefahr
seines Lebens wieder in die Burg zurückbringe. Hatto
gab ihm sein Wort darauf, und beide machen sich auf
den Weg. Als sie sich dem nächsten Dorfe, namens
Teurstat, näherten, sprach der Bischof: „Es wird uns
das Fasten schwer halten, bis wir zum Könige kommen,
sollten wir nicht vorher frühstücken, wenn es dir gefiele?“
Adalbert, einfältig und gläubig nach Art der Alten, ohne
Böses zu ahnden, lud den Bischof alsbald nach diesen
Worten bei sich zum Essen ein, und sie kehrten wieder
in die Burg zurück, die sie soeben verlassen hatten. Nach
eingenommenen Mahl begaben sie sich sodann ins Lager,
wo die Sache des Fürsten vorgenommen und er der
Klage des Hochverrats schuldig gesprochen und zur Ent⸗
hauptung verdammt wurde. Als man dieses Urteil zu
vollziehen Anstalt machte, mahnte Adalbert den Bischof
an die ihm gegebene Treue. Hatto antwortete verräte⸗
risch: „Die hab' ich dir wohl gehalten, als ich dich un⸗
gefährdet wieder in deine Burg zum Frühstücken zurück⸗
führte.“ Adalbert von Babenberg wurde hierauf ent—
hauptet und sein Land eingezogen.
Andere erzählen mit der Abweichung: Adalbert habe
gleich anfangs dem Hatto eine Mahlzeit angeboten,
dieser aber sie ausgeschlagen und —X
124 Herzog Heinrich und die goldne Halskette.
gesagt: „Fürwahr, oft begehrt man, was man erst ab—
gelehnt, ich bin wegmüd und nüchtern.“ Da neigte sich
der Babenberger auf die Knie und lud ihn ein, mit zu—
rückzugehen und etwas zu essen. Der Erzbischof aber
meinte sich seines Schwurs ledig, sobald er ihn zur Burg
zurückgebracht hatte. Die Verurteilung Adalberts geschah
zur Tribur.
463. Herzog Heinrich und die goldne Halskette.
Witechindus corb. lib. J. edit. Reinnec. p. 8. 9. 10.
Vergl. Leibnitz J. p. 213.
Ditmarus merseb. Ub. L. initio.
Heinrich, Ottos Sohn, folgte in sein väterliches Erbe,
sowie in die meisten Güter, die auch Otto vom Reiche
getragen hatte; doch nicht in alle, weil König Konrad
fürchtete, Heinrich möchte übermächtig werden. Dieses
schmerzte auch Heinrichen, und die Feindschaft, wie Un—
kraut unter dem Weizen, wuchs zwischen beiden. Die
Sachsen murrten; aber der König stellte sich freundlich
in Worten gegen Heinrich und suchte ihn durch List zu
berücken. Des Verrates Anstifter wurde aber Bischof
Hatto von Mainz, der auch Grafen Adalbert, Heinrichs
Vetter, trüglich ums Leben gebracht hatte. Dieser Hatto
ging zu einem Schmied und bestellte eine goldene Hals-
kette, in welcher Heinrich erwürgt werden sollte. Eines
Tages kam nun einer von des Königs Leuten in die
Werkstätte, die Arbeit zu besehen, und als er sie be—
trachtete, seufzte er. Der Goldschmied fragte: „Warum
seufzet ihr so?“ „Ach, antwortete jener, weil sie bald
rot werden soll vom Blute des besten Mannes, Herzogs
Heinrich.“ Der Schmied aber schwieg still, als um eine
Kleinigkeit. Sobald er hernach das Werk mit großer
Kaiser Heinrich der Vogeler.
125
Kunst vollendet hatte, entfernte er sich insgeheim und
ging dem Herzog Heinrich, der schon unterwegens war,
entgegen. Er traf ihn bei dem Orte Cassala und fragte:
wo er hin gedächte? Heinrich antwortete: „Zu einem
Gastmahl und großen Ehren, wozu ich geladen worden
bin.“ Da entdeckte ihm der Schmied die ganze Beschaffen—
heit der Sache; Heinrich rief den Gesandten, der ihn ein—
geladen hatte, hieß ihn allein ziehen und den Herren
danken und absagen. Für Hatto soll er ihm folgenden
Bescheid mitgegeben haben: „Geh hin und sage Hatto,
daß Heinrich keinen härteren Hals trägt als Adalbert;
und lieber will er zu Haus bleiben, als ihn mit seinem
vielen Gefolg belästigen.“ Hierauf überzog Heinrich des
Bischofs Besitzungen in Sachsen und Thüringen und be⸗
feindete des Königs Freunde. Hatto starb bald darnach
aus Verdruß, einige sagen, daß er drei Tage später vom
Blitzstrahl getötet worden sei. Das Glück verließ den
König und wandte sich überall zu Herzog Heinrich (her—
nachmals Heinrich der Vogeler genannt).
464. Kaiser Heinrich der Vogeler.
Volksbuch von Herzog Ernst, G. 6.
Cölner Chronik 1499. Bl. 1254.
Lohengrin Strophe 317.
Godett. Viterb. p. 324. Cod. pal. 525. fol. 59 b.
Als die Fürsten den Heinrich suchten, daß sie ihn zum
deutschen Kaiser erklären wollten, da fanden sie ihn mit
einem Garnnetze und Kloben bei seinen lieben Kindern,
wie er mit ihnen vogelte. Darum nannte man ihn
scherzweise Heinrich den Vogeler, oder Finkler
(auceps).
126
Der kühne Kurzbold.
465. Der kühne Kurzbold.)
Ekkehardus sangallensis ap. Goldast I. 29.
König Heinrich der Finkler hatte einen getreuen Helden,
namens Kuno, aus königlichem Geschlecht, klein von
Gestalt, aber groß an Herz und Mut. Seines winzigen
Aussehens wegen gab man ihm den Beinamen Kurz—
bold. Gisilbert von Lothringen und Eberhard von
Franken hatten sich gegen den König empört und waren
gerade im Begriffe, bei Breisach das Heer überzuschiffen;
aber während sie am Rheinufer Schach spielten, überfiel
sie der Kurzbold bloß mit 24 Männern. Gisilbert sprang
in den Nachen, Kuno stieß seine Lanze mit solcher Kraft
hinein, daß er den Herzog mit allen, die im Schiff waren,
versenkte. Den Eberhard durchbohrte er am Ufer mit
dem Schwert. — Zu einer anderen Zeit stand Kurzbold
allein bei dem Könige, als ein Löwe aus dem Käfig los—
brach. Der König wollte dem Kuno das Schwert, welches
er nach damaliger Sitte trug, entreißen; aber jener sprang
ihm zuvor auf den Löwen los und tötete ihn. Diese Tat
erscholl weit und breit. — Kuno hatte einen natürlichen
Abscheu vor Weibern und Äpfeln, und wo er auf eins
von beiden stieß, war seines Bleibens nicht. Es gibt von
ihm viele Sagen und Lieder.“*) Einstmals hatte er auch
einen Heiden (Slaven) von riesenhafter Gestalt, auf dessen
Ausforderung er aus des Königs Lager erschien, über—
wunden.
x) Churzibolt, pugillus, Däumling (gloss. zwetl.) Kurz
bolt, eine Art Kleid (Rother 4576.), altfranzös. cortibaut.
courtibaut, latein. cortibaldus.
*x) Zu Ekkehards Zeit (zweite Hälfte des elften Jahrh.)
der, weil die Lieder zu allgemein bekannt, die Erzählung der
Begebenheiten ausläßt.
Otto mit dem Bart.
27
466. Dtto mit dem Bart.
Latein. Verse bei Gottfr. v. Viterbo Pistorius II. 326. 327) altd. Ge⸗
dicht von Conrad von Würzburg (Cod. pal. 341. sol. 241 p246a und
Cod. 393. fol. 92 d- o8 b).
Crusius ann. dod. II. 130. 131.
Königshofen S. 108.
Céin. Thronik v. 1409. Bl. 129.
Kaiser Otto der Große wurde in allen Landen ge—
fürchtet, er war strenge und ohne Milde, trug einen
schönen roten Bart; was er bei diesem Barte schwur,
machte er wahr und unabwendlich. Nun geschah es,
daß er zu Babenberg (Bamberg) eine prächtige Hof⸗
haltung hielt, zu welcher geistliche und weltliche Fürsten
des Reiches in großer Zahl kommen mußten. Oster—
morgens zog der Kaiser mit allen diesen Fürsten in das
Münster, um die feierliche Messe zu hören, unterdessen
in der Burg zu dem Gastmahl die Tische bereitet wurden;
man legte Brot und setzte schöne Trinkgefäße darauf.
An des Kaisers Hofe diente aber dazumal auch ein edler
und wonnesamer Knabe, sein Vater war Herzog in
Schwaben und hatte nur diesen einzigen Erben. Dieser
schöne Jüngling kam von ungefähr vor die Tische ge—
gangen, griff nach einem linden Brot mit seinen zarten,
weißen Händen, nahm es auf und wollte essen, wie alle
Kinder sind, die gerne in hüsche Sachen beißen, wonach
ihnen der Wille steht. Wie er nun einen Teil des weißen
Brotes abbrach, ging da mit seinem Stabe des Kaisers
Truchseß, welcher die Aufsicht über die Tafel haben sollte;
der schlug zornig den Knaben aufs Haupt, so hart und
ungefüge, daß ihm Haar und Haupt blutig ward. Das
Kind fiel nieder und weinte heiße Tränen, daß es der
Truchseß gewagt hätte, es zu schlagen. Das ersah ein
auserwaͤhlter Held, genannt Hein rich von Kempten,
der war mit dem Kinde aus Schwaben gekommen und
128
Otto mit dem Bartt.
dessen Zuchtmeister; heftig verdroß es ihn, daß man das
zarte Kind so unbarmherzig geschlagen hatte, und fuhr
den Truchsessen, seiner Unzucht wegen, mit harten Worten
an. Der Truchseß sagte, daß er kraft seines Amtes allen
ungefügen Schälken an Hofe mit seinem Stabe wehren
dürfe. Da nahm Herr Heinrich einen großen Knüttel
und spaltete des Truchsessen Schädel, daß er wie ein Ei
zerbrach, und der Mann tot zu Boden sank.
Unterdessen hatten die Herren Gotte gedient und ge—
sungen und kehrten zurück; da sah der Kaiser den blutigen
Estrich, fragte und vernahm, wos sich zugetragen hatte.
Heinrich von Kempten wurde auf der Stelle vorgefordert,
und Otto, von tobendem Zorn entbrannt, rief: „Daß mein
Truchseß hier erschlagen liegt, schwöre ich an Euch zu
rächen; sam mir mein Bart!“ Als Heinrich von Kempten
diesen teuren Eid ausgesprochen hörte und sah, daß es
sein Leben galt, faßte er sich, sprang schnell auf den
Kaiser los und begriff ihn bei dem langen roten Barte.
Damit schwang er ihn plötzlich auf die Tafel, daß die
kaiserliche Krone von Ottos Haupte in den Saal fiel;
und zuckte — als die Fürsten, den Kaiser von diesem
wütenden Menschen zu befreien, herzusprangen — sein
Messer, indem er laut ausrief: „Keiner rühre mich an,
oder der Kaiser liegt tot hier!“ Alle traten hinter sich,
Dtto, mit großer Not winkte es ihnen zu; der unver—
zagte Heinrich aber sprach: „Kaiser, wollt Ihr das Leben
haben, so tut mir Sicherheit, daß ich genese.“ Der Kaiser,
der das Messer an seiner Kehle stehen sah, bot alsbald
die Finger in die Höhe und gelobte dem edlen Ritter bei
kaiserlichen Ehren, daß ihm das Leben geschenkt sein solle.
Heinrich, sobald er diese Gewißheit hatte, ließ er den
roten Bart aus seiner Hand und den Kaiser aufstehen.
Dieser setzte sich aber ungezögert auf den königlichen
Otto mit dem Bart.
129
Stuhl, strich sich den Bart und redete in diesen Worten:
„Ritter, Leib und Leben hab' ich Euch zugesagt, damit
fahrt Eurer Wege; hütet Euch aber vor meinen Augen,
daß sie Euch nimmer wiedersehen und räumet mir Hof
und Land! Ihr seid mir zu schwer zum Hofgesind, und
mein Bart müsse immerdar Euer Schermesser meiden!“
Da nahm Heinrich von allen Rittern und Bekannten Urlob
und zog gen Schwaben auf sein Land und Feld, das er
vom Stifte zu Lehen trug; lebte einsam und in Ehren.
Danach über zehn Jahre begab es sich, daß Kaiser
Dtto einen schweren Krieg führte, jenseits des Gebirges,
und vor einer festen Stadt lag. Da wurde er nothaft
an Leuten und Mannen und sandte heraus nach deut⸗
schen Landen: wer ein Lehen von dem Reiche trage, solle
ihm schnell zu Hilfe eilen, bei Verlust seines Lebens und
seines Dienstes. Nun kam auch ein Bote zu dem Abt
nach Kempten, ihn auf die Fahrt zu mahnen. Der Abt
besandte nun wiederum seine Dienstleute und forderte
Herrn Heinrich, als dessen er vor allen bedürftig war.
„Ach, edler Herr, was wollt Ihr tun,“ antwortete der
Ritter, „Ihr wißt doch, daß ich des Kaisers Huld ver—
wirkt habe; lieber geb' ich Euch meine zwei Söhne hin
und lass' sie mit Euch ziehen.“ Ihr seid mir nötiger als
sie beide zusammen,“ sprach der Abt, „ich darf es nicht
von diesem Zug entbinden, oder ich leihe Euer Land
anderen, die es besser zu verdienen wissen.“ „Traun,“
antwortete der edle Ritter, „ist dem so, daß Land und
Ehre auf dem Spiele stehen, so will ich Euer Gebot leisten,
es komme, was da wolle, und des Kaisers Drohung
möge über mich ergehen.“
Hiermit rüstete sich Heinrich zu dem Heerzug und kam
bald nach Welschland zu der Stadt, wo die Deutschen
lagen; jedoch barg er sich vor des Kaisers Antlitz und
Grimm, Sagen II.
130
Otto mit dem Bart.
floh ihn. Sein Zelt ließ er ein wenig seitwärts vom Heere
schlagen. Eines Tages lag er da und badete in einem
Zuber und konnte aus dem Bad in die Gegend schauen.
Da sah er einen Haufen Bürger aus der Stadt kommen
und den Kaiser dagegen reiten zu einem Gespräch, das
zwischen beiden Teilen verabredet worden war. Die treu⸗
losen Bürger hatten aber diese List ersonnen; denn als
der Kaiser ohne Waffen und arglos zu ihnen ritt, hielten
sie gerüstete Mannschaften im Hinterhalte und überfielen
den Herrn mit frechen Händen, daß sie ihn fingen und
schlügen. Als Herr Heinrich diesen Treubruch und Mord
geschehen sah, ließ er Baden und Waschen, sprang aus dem
Zuber, nahm den Schild mit der einen und sein Schwert
mit der anderen Hand und lief bloß und nackend nach
dem Gemenge zu. Kühn schlug er unter die Feinde,
tötete und verwundete eine große Menge und mochte sie
alle flüchtig. Darauf löste er den Kaiser seiner Bande
und lief schnell zurück, legte sich in den Zuber und badete
nach wie vor. Dtto, als er zu seinem Heer wieder gelangte,
wollte erkundigen, wer sein unbekannter Retter gewesen
wäre; zornig saß er im Zelt auf seinem Stuhl und sprach:
„Ich war verraten, wo mir nicht zwei ritterliche Hände ge⸗
holfen hätten; wer aber den nackten Mann erkennt, führe
ihn vor mich her, daß er reichen Lohn und meine Huld
empfange; kein kühnerer Held lebt hier noch anderswo.“
Nun wußten wohl einige, daß es Heinrich von Kempten
war; doch fürchteten sie, den Namen dessen auszusprechen,
dem der Kaiser den Tod geschworen hatte. „Mit dem
Ritter“, antworteten sie, „steht es so, daß schwere Un—
gnade auf ihm lastet; möchte er deine Huld wieder ge—
winnen, so ließen wir ihn vor dir sehen.“ Da nun der
Kaiser sprach: und wenn er ihm gleich seinen Vater er—
schlagen hätte, solle ihm vergeben sein, nannten sie ihm
Der Schuster zu Lauingen.
131
Heinrich von Kempten. DOtto befahl, daß er alsobald
herbeigebracht würde; er wollte ihn aber erschrecken und
übel einpfahen.
Als Heinrich von Kempten hereingeführt war, gebärdete
der Kaiser sich zornig und sprach: „Wie getrauet Ihr,
mir unter Augen zu treten? Ihr wißt doch wohl, warum
ich Euer Feind bin, der Ihr meinen Bart gerauft und ohne
Schermesser geschoren habt, daß er noch ohne Locke steht.
Welch hochfärtiger Übermut hat Euch jetzt daher ge—
führt?“ „Gnade, Herr,“ sprach der kühne Degen, „ich
kam gezwungen hierher, und mein Fürst, der hier steht,
gebot es bei seinen Hulden. Gott sei mein Zeuge, wie
ungern ich diese Fahrt getan, aber meinen Diensteid
mußte ich lösen; wer mir das übel nimmt, dem lohne
ich so, daß er sein letztes Wort gesprochen hat.“ Da
begann Otto zu lachen: „Seid mir tausendmal will⸗
kommen, Ihr auserwählter Held! Mein Leben habt Ihr
mir errettet, das mußte ich ohne Eure Hilfe verloren
haben, seliger Mann.“ So sprang er auf, küßte ihm
Augen und Wangen. Ihr zweier Feindschaft war dahin
und eine lautere Sühne gemachet; der hochgeborene Kaiser
lieh und gab ihm großen Reichtum und brachte ihn zu
Ehren, deren man noch gedenket.
467. Der Schuster zu Lauingen.
Crusi i ann. suev. dod. III. p. 151, 152 nach Matth. a Pappenhaim
in Kbro de origine dowinorum de Calatin e. 64.
Zeilers Reisebuch S. 154.
Auf dem Hofturm der Stadt Lauingen findet sich
folgende Sage abgemalt*): Zur Zeit, als die Heiden
*) Auf diesem Turm steht auch ein anderes Gemälde von
einem Pferd, das fünfzehn Schuh lang gewesen, zwei Herzen
gehabt haben und um 1260 zu Lauingen geboren worden sein soll.
q*
132 Der Schuster zu Lauingen.
oder Hunnen bis nach Schwaben vorgedrungen waren,
rückte ihnen der Kaiser mit seinem Heere entgegen und
lagerte sich unweit der Donau zwischen Lauingen und
dem Schloß Faimingen. Nach mehreren vergeblichen An⸗
fällen von beiden Seiten kamen endlich Christen und
Heiden überein, den Streit durch einen Zweikampf ent—
scheiden zu lassen. Der Kaiser wählte den Marschall von
Calatin (Pappenheim) zu seinem Kämpfer, der den Auf—
trag freudig übernahm und nachsann, wie er den Sieg
gewiß erringen möchte. Indem trat ein unbekannter
Mann zu ihm und sprach: „Was sinnst du? Ich sage
dir, daß du nicht für den Kaiser fechten sollst, sondern
ein Schuster aus Henfwil (später Lauingen) ist dazu aus—
ersehen.“ Der Calatin versetzte: „Wer bist du? Wie
dürfte ich die Ehre dieses Kampfes ablehnen?“ „Ich bin
Georg, Christi Held — sprach der Unbekannte — und
zum Wahrzeichen nimm meinen Däumling.“ Mit diesen
Worten zog er den Däumling von der Hand und gab
ihn dem Marschall, welcher ungesäumt damit zum Kaiser
ging und den ganzen Vorfall erzählte. Hierauf wurde
beschlossen, daß der Schuster gegen den Heiden streiten
sollte. Der Schuster übernahm es und besiegte glücklich
den Feind. Da gab ihm der Kaiser die Wahl von drei
Gnaden sich auszubitten. Der Schuster bat erstens um
eine Wiese in der Nähe von Lauingen, daß diese der
Stadt als Gemeingut gegeben würde. Zweitens, daß die
Stadt mit rotem Wachs siegeln dürfe (welches sonst
keinem mittelbaren Ort verstattet war). Drittens, daß
die Herren von Calatin eine Möhrin als Helmkleinod
führen dürften. Alles wurde ihm bewilligt und der
Daumen St. Georgs sorgfältig von den Pappenheimern
aufbewahrt, die eine Hälfte in Gold gefaßt zu Kaisheim,
die andere zu Pappenheim.
Das Rad im Mainzer Wappen. Der Rammelsberg. 133
468. Das Rad im Mainzer Wappen
Bange, thür. Chr. Bl. 38b.
Thomas Lirer. Th. II.
Im Jahr 1009 wurde Willegis, ein frommer und
gelehrter Mann, zum Bischof von Mainz gewählt; er
war aber von geringer, armer Herkunft und sein Vater
ein Wagnersmann gewesen. Des haßten ihn die adligen
Turmherren und Stiftsgenossen, nahmen Kreide und
mahlten ihm verdrießweise Räder an die Wände und
Türen seines Schlosses; gedachten ihm damit eine Schmach
zu tun. Als der fromme Bischof ihren Spott vernahm,
da hieß er einen Maler rufen, dem befahl er, mit guter
Farbe in alle seine Gemächer weiße Räder in rote Felder
zu malen und ließ dazu setzen einen Reim, der sagte:
„Willegis, Willegis, denk' woher du kommen sis.“ Daher
rührt, daß seit der Zeit alle Bischöfe zu Mainz weiße
Raͤder im roten Schild führen. Andere fügen hinzu,
Willegis habe, von Demütigkeit wegen, ein hölzernes
Pflugrad stets an seiner Bettstätte hangen gehabt.
469. Der Rammelsberg.
Happel rel. cur. I. 753.
Behrens a. a. D. S. 146, 146.
Melissantes u. d. W.
Bange, thür. Chron. 33b.
Fischarts Gargantua c. 15. fol. 133 a.
Zur Zeit Kaiser Dtto J. auf der Harzburg hauste,
hielt er auch an dem Harzgebirge große Jagden. Da
geschah es, daß Ramm (nach andern Remmey) seiner
besten Jäger einer, an den Vorbergen jagte, der Burg
gegen Niedergang und ein Wild verfolgte. Bald aber
wurde der Berg zu steil, darum stand der Jäger ab von
seinem Roß, band es an einen Baum und eilte dem Wild
134
Der Rammelsberg.
zu Fuße nach. Sein zurückbleibendes Pferd stampfte
ungeduldig und kratzte mit den Vorderhufen auf dem
Grund. Als sein Herr, der Jäger Ramm, von der Ver—
folgung des Wildes zurückkehrte, sah er verwundert, wie
sein Pferd gearbeitet und mit den Füßen einen schönen
Erzgang aufgescharrt hatte. Da hub er einige Stufen
auf und trug sie dem Kaiser hin, der alsbald das ent—
blößte Bergwerk angreifen und mit Schürfen versuchen
ließ. Man fand eine reichliche Menge Erz, und der Berg
wurde dem Jäger zu Ehren Rammelsberg?) geheißen.
Des Jägers Frau nannte sich Gosa und von ihr empfing
die Stadt Goslar, die nahe bei dem Berg gebaut wurde,
ihren Namen. Das Flüßchen, das durch die Stadt rinnt,
heißt ebenfalls Gose, desgleichen das daraus gebraute
Weißbier. Der Jäger wurde in der Augustinskapelle
begraben und auf dem Leichenstein mit seiner Frau in
Lebensgröße ausgehauen; Rammel trägt in der Rechten
ein Schwert über sich und Gosa eine Krone auf dem Haupt.
Nach andern hat nicht der Jäger, sondern eines
Jungherrn Pferd Rammel geheißen, das man einmal
an dem Berge anband, wo es so rammelte und stampfte,
das seine wohlgeschärften Hufeisennägel eine Goldader
bloß machten.
Noch sieht man auf dem Rammelsberge einen Brun⸗
nen, der Kinderbrunnen genannt, worauf zwei stein—
gehauene Kinder stehen; daher, weil unter Heinrich II.
eine schwangere Frau bei diesem Brunnen zweier Söhn—
lein entbunden wurde. Kaiser Otto soll auf dem Berg
*) In den Rammelsberg soll mehr Holz verbaut sein als
in die Städte Braunschweig und Goslar. Man hatte ein
altes Lied, das so anfängt:
De Ramelsburgk hefft enen gulden Font,
Drumb tragen wi en stolten Mont usw.
Die Grafen von Eberstein. 135
oben an dem Platz, namens Werl, ein Schloß oder einen
Saal gehabt haben, vor dem er einst einem gefangenen
König das Haupt abschlagen ließ. Späterhin schlug das
Bergwerk einmal ein und verdarb so viel Arbeiter, daß
vierthalb hundert Witwen vor dem Berge standen und
ihre Männer klagten; darauf lagen die Gruben hundert
Jahr still, und Goslar wurde so einsam, daß in allen
Straßen hohes Gras wuchs.
470. Die Grafen von Eberstein.
Crusius ann. suev. dod. II. p. xo8s, 109. aus Familiemachrichten durch
Caspar Baldung gesammelt.
Als Kaiser Otto seine Feinde geschlagen und die Stadt
Straßburg bezwungen hatte, lagerte er vor der Burg
der Grafen Eberstein, die es mit seinen Feinden hielten.
Das Schloß stand auf einem hohen Fels am Wald (un⸗
weit Baden und Schwaben) und dritthalb Jahr lang
konnte es das kaiserliche Heer immer nicht bezwwingen,
sowohl der natürlichen Festigkeit als der tapfern Ver⸗
teidigung der Grafen wegen. Endlich riet ein kluger Mann
dem Kaiser folgende List: „Er solle einen Hoftag nach
Speier ausschreiben, zu welchem jedermann ins Turnier
sicher kommen dürfte, die Grafen von Eberstein würden
nicht säumen, sich dahin einzufinden, um ihre Tapferkeit
zu beweisen; mittlerweile möge der Kaiser durch geschickte
und kühne Leute ihre Burg überwältigen lassen.“ Der
Festtag zu Speier wurde hierauf verkündigt; der König,
viele Fürsten und Herrn, unter diesen auch die drei Eber⸗
steiner waren zugegen; manche Lanze wurde gebrochen.
Des Abends begannen die Reihen, wobei der jüngste
Graf von Eberstein, ein schöner, anmutiger Mann mit
krausem Haar, vortanzen mußte. Als der Tanz zu Ende
1368 Die Grafen von Eberstein.
ging, nahte sich heimlich eine schöne Jungfrau den dreien
Grafen und raunte: „Hütet euch, denn der Kaiser will
eure Burg ersteigen lassen, während ihr hier seid; eilt
noch heute nacht zurück!“ Die drei Brüder berieten sich
und beschlossen, der Warnung zu gehorchen. Darauf
kehrten sie zum Tanz, forderten die Edeln und Ritter
zum Kampf auf morgen und hinterlegten hundert Gold—
gülden zum Pfand in die Hände der Frauen. Um Mitter—⸗
nacht aber schifften sie über Rhein und gelangten glück—
lich in ihre Burg heim. Kaiser und Ritterschaft warteten
am andern Tage vergebens auf ihre Erscheinung zum
Lanzenspiel; endlich befand man, daß die Ebersteiner
gewarnt worden wären. Otto befahl, aufs schleunigste
die Burg zu stürmen; aber die Grafen waren zurückgekehrt
und schlugen den Angriff mutig ab. Als mit Gewalt gar
nichts auszurichten war, sandte der Kaiser drei Ritter auf
die Burg, mit den Grafen zu unterhandeln. Sie wurden
eingelassen und in Weinkeller und Speicher geführt; man
holte weißen und roten Wein, Korn und Mehl lagen in
großen Haufen. Die Abgesandten verwunderten sich über
solche Vorräte. Allein die Fässer hatten doppelte Boden
oder waren voll Wasser; unter dem Getreide lag Spreu,
Kehricht und alte Lumpen. Die Gesandten hinterbrachten
dem Kaiser, es sei vergeblich, die Burg länger zu be—
lagern, denn Wein und Korn reiche denen inwendig noch
auf dritthalb Jahre aus. Da wurde Otton geraten,
seine Tochter mit dem jüngsten Grafen Eberhard von
Eberstein zu vermählen und dadurch dieses tapfere Geschlecht
auf seine Seite zu bringen. Die Hochzeit ward in Sachsen
gefeiert, und der Sage nach soll es die Braut selber ge⸗
wesen sein, welche an jenem Abend die Grafen gewarnt
hatte. Otto sandte seinen Schwiegersohn hernachmals zum
Papst in Geschäften: der Papst schenkte ihm eine Rose
Otto läßt sich nicht schlagen. König Otto in Lamparten. 137
in weißem Korb, weil es gerade der Rosensonntag war.
Diese nahm Eberhard mit nach Braunschweig, und der
Kaiser verordnete, daß die Rose in weißem Felde künftig
das ebersteinische Wappen bilden sollte.
47 1. Otto läßt sich nicht schlagen.
Lohengrin Str. 743, 744. Bsl. Cod. pal. 525. fol. 642.
Otto II. war noch klein, als man ihn zu Aachen weihte
und stand unter seines Oheims, Bischof Brunos, Vor—
mundschaft. Eines Tages geschah, daß das Kind im
Bad unziemlich geschlagen wurde; da ließ es ein totes
Kind in sein Bett tragen und verbarg sich heimlich. Brund,
als er vor das Bett trat, erschrak heftig und glaubte den
König tot, doch bald darauf wurde er wiedergefunden.
Da fragte der Bischof Otton, warum er das getan hätte?
Das Kind sprach: „Du hießest mich im Bade hart mit
einer scharfen Gerte schlagen und half mich all mein
Weinen nicht; da zürnte ich auf dich und wollte dich
drum erschrecken.“ Da gelobte ihm Bruno, daß ihrm
fürbaß kein Leid mehr geschehen sollte, berief die Fürsten
nach Mainz auf einen Tag und übergab ihnen das Kind
mit dem Reiche. Die Fürsten aber empfahlen das Kind
munmehr Willegis, Bischof zu Mainz.
472. König Dtto in Lamparten.
Cod. pal. 325. Fol. 62 a. b
Der König Ott fuhr da mit großem Heer zu Lam—
parten und gewann Mailand und satzte da Pfenning,
die hießen Ottelin. Da der König dannen kam, ver—
wurfen sie ihm sein Münze zu Laster, und er fuhr wieder
dar, und bezwang sie dazu, daß sie von altem Leder
138
Der unschuldige Ritter.
Pfenning nehmen und geben müßten. Da kam eine Frau
vor ihn und klagte über einen Mann, der ihr Gewalt
angetan hätte. Der König sprach: „Wann ich herwieder
komme, will ich dir richten.“ „Herr — sagte die Frau —
du vergissest es.“ Der König wies sie mit seiner Hand
an eine Kirche und sprach: „Diese Kirche sei deß mein
Urkund.“ Er fuhr dann wieder in deutsche Land und
bezwang Ludolf seinen Sohn, der sich empört hatte.
Und als er nach der Zeit wieder in Lamparten zog, führte
ihn der Weg an der Kirche her, die er dem Weib ge—
wiesen hatte, daß er ihr richten wollte, um ihre Not.
Der König ließ sie rufen und ließ sie klagen. Sie sprach:
„Herr, er ist nun mein ehelicher Mann, und ich habe
liebe Kinder mit ihm.“ Der sprach da: „Sammer Otten
Bart!“ Also schwur er ihr: „Er soll meiner Barten
Beile) schmecken!“ und befahl den Missetäter an seinem
Leibe nach dem Recht zu strafen. Also richtete er dem
Weib wider ihren Willen.
473. Der unschuldige Ritter.
Bange, Bl. 37.
Pomarius, S. 1786.
Kaiser Otto II. genannt das Kind, hatte am Hofe
einen edlen Ritter, den langte die Kaiserin Maria, ge⸗
bürtig von Arragonien, bittend an, daß er mit ihr buhlete.
Der Ritter erschrak und sprach; „Das sei ferne von mir,
das wäre meiner und meines Herrn Ehre viel zu nah“
und ging weg von der Kaiserin. Da sie sah, daß er also
im Zorne von ihr ging, kam sie zum Kaiser, schmeichelte
und sprach: „Was habt Ihr für Ritter an Eurem Hofe?
einer von ihnen wollte mich schänden.“ Da dies der
Kaiser hörte, ließ er von Stund an den Ritter fangen
Kaiser Otto hält Witwen- und Waisengericht. 139
und ihm das Haupt abschlagen. Aber es soll aus seinem
Halse kein Blut geflossen sein, sondern Milch. Der Kaiser,
As er das Wunder sah, rief „Hierum steht's nicht recht,“
ließ die Kaiserin vorfordern und fragte sie hart um die
Wahrheit. Sie fiel bestürzt zu Fuß und bat um Gnade;
er aber, als ein gestrenger Richter, nachdem er die Lügen
erfahren, ließ sein Weib dieser Untat wegen fangen und
brennen, blieb auch ohne Weib und Erben sein Lebetage.
474. Kaiser Otto hält Witwen— und
Waaisengericht.
Gotiridus Viterb. l. e. P. 329. 330.
Lirer Theil II. Etterlin S 60. 61. Königshofen S. 109
Serstenberger ap. Schminke I. 77 - 80.
Otto der dritte hatte ein unstät Weib, die warb an
einen Grafen, daß er mit ihr buhlen sollte; das wollte
der Graf nicht tun und seinen Herrn nicht entehren,
noch sich selber. Da gab die Königin diesen Grafen an
beim König und sprach: „Der Graf hat mich meiner
Ehren angemutet.“ Der König hieß, in jähem Zorn,
den Grafen töten. Indem er aber zum Tod geführt
wurde, begegnete ihm sein Ehegemahl; der offenbarte
er, wie ihn die Königin böslich um Frömmigkeit, Bieder—
keit und Leben bringe; und ermahnte sie, nach seinem
Tode das glühende Eisen zu tragen auf seine Unschuld.
Nun ward dem frommen Grafen sein Haupt abge⸗
schlagen, und eine Zeit darauf geschah's, daß der Kaiser
ein Gericht berief, und dazu Witwen und Waisen, daß
nach dem Recht gerichtet würde. Als nun das Gericht
besetzt war, trat des Grafen Gemahlin vor, trug das
Haupt ihres Mannes heimlich unterm Gewand, kniete
nieder und forderte Hilfe und Recht. Hierauf fragte sie,
welchen Tod zu leiden der schuldig sei, der einen andern
140
Otto III. in Karls Grabe.
unschuldig enthaupten lassen. Der Kaiser sprach: „Man
soll ihm wieder sein eigen Haupt abschlagen.“ Da
zog sie des Grafen Haupt hervor und sprach: „Herr,
du selbst bist es, der diesen meinen Mann unschuldig
hast töten lassen“ und offenbarte der Königin Falsch—
heit. Der Kaiser erschrak und forderte Beweis. Die
Witwe wäöhlte das Gottesurteil und trug das glühende
Eisen, daß ihr nie kein Leid davon geschah. Da gab
sich der Kaiser in der Frauen Gewalt, daß sie ihn töten
lassen könne nach dem Recht. Die Herren aber legten
sich hinein und erwarben dem Kaiser von der Frauen
einen Aufschlag des Gerichts zehen Tage, darnach acht
Tage, darnach sieben Tage, darnach sechs Tage. Und
der Kaiser gab der Gräfin um jeden Aufschlag eine
gute Feste; die haben davon den Namen, eine heißt die
zehent, die andere die acht, die dritte die siebent, die
vierte die sechst, und liegen im Lümer Bistum. Und eh'
die Tage vollgingen — da die Witwe auf des Kaisers
Haupt bestand, es wäre denn, daß die Hure sterbe, und
damit allein könne sich der König lösen — so ließ er die
Königin fahen und lebendig vergraben; mit den vier
Schlössern hat er sich selber gelöst.
475. Dtto III. in Karls Grabe.
Chron. noval. III. 33.
Cf. Waleh, hist. canon. C. M. p. 19.
Cod. pal. 5235, fol. 65 b.
Veral. Lobenarin Strophe 748. Seite 186.
Als nach langen Jahren Kaiser Dtto HI. an das
Grab kam, wo Karls Gebeine bestattet ruhten, trat er
mit zwei Bischöfen und dem Grafen Dtto von Laumel
(der dieses alles berichtet hat,) in die Höhle ein. Die
Leiche lag nicht wie andere Tote, sondern saß aufrecht,
Die heilige Kunigund.
141
wie ein Lebender auf einem Stuhl. Auf dem Haupte
war eine Goldkrone, den Zepter hielt er in den Händen,
die mit Handschuhen bekleidet waren, die Nägel der
Finger hatten aber das Leder durchbohrt und waren
herausgewachsen. Das Gewölbe war aus Marmor und
Kalk sehr dauerhaft gemauert. Um hinein zu gelangen,
mußte eine ffnung gebrochen werden; sobald man
hineingelangt war, spürte man einen heftigen Geruch.
Alle beugten sogleich die Knie und erwiesen dem Toten
Ehrerbietung. Kaiser Otto legte ihm ein weißes Gewand
an, beschnitt ihm die Nägel, und ließ alles Mangelhafte
ausbessern. Von den Gliedern war nichts verfault, außer
von der Nasenspitze fehlte etwas; Dtto ließ sie von Gold
wiederherstellen. Zuletzt nahm er aus Karls Munde
einen Zahn, ließ das Gewolbe wieder zumauern und
ging von dannen.
Nachts darauf soll ihm im Traume Karl erschienen
sein und verkündigt haben, daß Dtto nicht alt werden
ind keinen Erben hinter sich lassen werde.
476. Die heilige Kunigund.
Cod. pal. 525. fol. 65 b.
Lohengrin Str. 754
Pomarius S. 181.
Kaiser Heinrich II. und Kunigund, die blieben beide
unbefleckt bis an ihren Tod. Der Teufel wollte sie da
unehren, daß sie der Kaiser zieh von eines Herzogen
wegen, mit dem sollte sie in Ungebühr stehen. Die Fraue
bot dafür ihr Recht, dazu kam manich Bischöfe und
Fürsten. Da wurden sieben glühende Eisenscharen gelegt,
die sollte die Fraue treten. Sie hub auf ihre Hände zu
Gott und sprach: „Gott, du weißt wohl allein meine
Unschuld; ledige mich von dieser Not, als du tatest der
142 Der Dom zu Bamberg. Taube sagt den Feind an.
guten Susannen von der ungerechten Bezeugnis!“ Sie
trat die Schar kecklich und sprach: „Sieh, Kaiser, so
schuldig ich deiner bin, bin ich aller Männer.“ Da ward
die Fraue gereinigt mit großen Ehren. Der König fiel
ihr zu Füßen und die Herren alle.
477. Der Dom zu Bamberg.
Pomarius a. a. O. S. 185. 186.
Munster cosmogr. lib. III.
Baba, Heinrich des Voglers Schwester und Graf
Albrechts Gemahlin, nach andern aber Kunigund, Kaiser
Heinrich I. Gemahlin, stiftete mit eigenem Gut den Dom
zu Babenberg. So lange sie baute, setzte sie täglich
eine große Schüssel voll Geldes auf für die Taglöhner
und ließ einen jeden herausnehmen, als er verdient hatte.
Sie zwang auch den Teufel, daß er ihr große marmel—
steinerne Säulen mußte auf den Berg tragen, auf den sie
die Kirche setzte, die man noch heutiges Tages wohl sieht.
478. Taube sagt den Feind an.
Gesta rom. cap. 38.
Man erzählt, unter Kaiser Heinrich I. habe es sich
begeben, daß eine Taube in eine Stadt, die bald darauf
vom Feind überfallen und belagert wurde, geflogen kam.
Um ihren Hals fand man einen Zettel gebunden, auf
dem diese Nachricht geschrieben stand.
479. Der Kelch mit der Scharte.
Cod. pal. 525. fol. 66b.
In den Zeiten, als Kaiser Heinrich V. starb, war ein
frommer Einsiedel, der hörte einen großen Rausch von
Sage von Kaiser Heinrich III. 143
Teufeln in der Luft und beschwor sie bei Gott, wo sie
hinfahren wollten. Die bösen Geister sagten: „Zu
Kaiser Heinrich.“ Da beschwor sie der gute Mann,
daß sie ihm hinterbrächten, was sie geworben hätten.
Die Teufel fuhren ihren Weg, aber der gute Mann
betete zu Gott für des Kaisers Seele. Bald darauf
kamen die Teufel wieder gefahren zu dem Einsiedel und
sprachen: „Als die Missetat des Kaisers seine Gutheit
überwiegen sollte und wir die Seele in unsre Gewalt
nehmen wollten, da kam der gesegnete Laurentius und
warf einen Kelch schnell in die Wage, daß dem Kelch
eine Scherbe ausbrach, also verloren wir die Seele;
denn derselbe Kelch machte die gute Schale schwerer.“
— Auf diese Botschaft dankte der Einsiedel Gott seiner
Gnaden und tat sie kund den Domherren von Merse—⸗
burg. Und sie funden den Kelch mit der Scharte, als
man ihn noch heute kann schauen. Der Kaiser aber
hatte ihn einst bei seinen Lebzeiten dem heil. Laurenz zu
Merseburg aus Guttat geweihet.
480. Sage von Kaiser Heinrich III.
Gotfridus viterbiensis 1. c. P. 333 336.
Thomas Lirer Th. II.
Crusius, dod. II. 198. 199.
Etterlin S. 66-68.
Vergl. Bech erer thür. Chron. S. 199. und Gerstenberger S. 90-94.
Gæœqfk roman. 20. Deutsch. Nr. 44. mit einigen andern Umständen.
Kaiser Conrad der Franke ließ ein Gebot ausgehen:
wer den Frieden bräche, dem solle man das Haupt ab⸗
schlagen. Dies Gebot brach Graf Leopold von Calw,
und da der König zu Land kam, entwich Graf Leopold
in den Schwarzwald in eine öde Mühle, meinte sich da
zu enthalten mit seiner Hausfrau, bis daß ihm des
Königs Huld wieder würde. Eines Mals ritt der König
144 Sage von Kaiser Heinrich III.
ungefähr in den Wald und vor dieselbe Mühle hin.
Und da ihn Leopold hörte, fürchtete er, der König wolle
ihn suchen und floh in das Dickicht. Seine Hausfrau
ließ er in der Mühle, die konnte nirgends hin; denn es
war um die Zeit, daß sie ein Kind gebären sollte. Als
nun der König nahe bei der Mühle war und die Fran
in ihren Nöten hörte schreien, hieß er nachsehen, was
der Frauen gebräche. In den Dingen hörte der König
eine Stimme, die sprach: „Auf diese Stunde ist ein
Kind geboren, das wird dein Tochtermann!“ Conrad
erschrak, denn er wußte anders nicht, denn daß die Frau
eine Bäuerin wäre; und dachte, wie er dem zuvorkommen
möchte, daß seine Tochter keinem Bauern zuteil würde.
Und schickte zwei seiner Diener in die Mühle, daß sie
das neugeborene Kind töteten und zu dessen Sicherheit
ihm des Kindes Herz brächten; denn er müsse es haben
zu einer Buße. Die Diener mußten dem Kaiser genug
tun, fürchteten doch Gott und wollten das Kind nicht
töten; denn es war gar ein hübsches Knäbelein, und
legten's auf einen Baum, darum, daß etwer des Kindes
inne würde.
Dem Kaiser brachten sie eines Hasen Herz, das warf
er den Hunden vor und meinte damit zuvorgekommen
zu sein der Stimme der Weissagung.
In den Weilen jagte Herzog Heinrich von Schwaben
in den Wald und fand das Kind mutterallein daliegen.
Und sah, daß es neugeboren war, und brachte es heim—
lich seiner Frauen, die war unfruchtbar, und bat sie,
daß sie sich des Kindes annähme, sich in ein Kindbett
legte und das Kind wie ihr natürliches hätte; denn es
sei ihnen von Gott geschickt worden. Die Herzogin tat
es gern, und also ward das Kind getauft und ward
Heinrich geheißen; niemand aber hielt es anders als für
Sage von Kaiser Heinrich III. 145
einen Herzogen zu Schwaben. Und da das Kind also
erwuchs, ward es König Conrad gesandt zu Hof. Der
hieß diesen Knaben öfter vor sich stehen denn die andern
Junkern an seinem Hofe, von seiner klugen Weisheit
und Höflichkeit wegen. Nun geschah es, daß dem · Kaiser
eine Verleumdung zu Ohren kam; der junge Herr wäre
nicht ein rechter Herzog von Schwaben, sondern ein
geraubt Kind. Da der Kaiser das vernahm, rechnete
er seinem Alter nach, und kam ihm Furcht, es wäre das⸗
jenige, wovon die Stimme bei der Waldmühle geredet
hätte. Und wollte wiederum zuvorkommen, daß es nicht
seiner Tochter zu einem Mann würde. Da schrieb er
einen Brief der Kaiserin, in dem befahl er ihr, als lieb
ihr Leib und Leben wäre, daß sie den Zeiger dieses
Briefes töten hieße. Den Brief befahl er beschlossen
dem jungen Herrn an, daß er ihn der Kaiserin einhän⸗
digte und niemand anderm. Der junge Heinrich verstund
sich darunter nichts als Gutes, wollte die Botschaft
vollenden und kam unterwegens in eines gelehrten Wirtes
Haus; dem vertraute er seine Tasche von Sicherheit
wegen, worin der Brief und anders Ding lagen. Der
Wirt kam über den Brief aus Fürwitz, und da wo er
geschrieben fand, daß die Kaiserin ihn töten sollte, schrieb
er: „Daß die Kaiserin dem jungen Herrn, Zeiger des
Briefs, ihre Tochter gäbe und zulegte unverzogenlich;“
den Brief beschloß er wieder mit dem Insiegel gar säuber—
lich und ohne Fehl. Da nun der junge Herr der Kaiserin
den Brief zeigte, gab sie ihm die Tochter und legte sie
ihm zu. Die Mären kamen aber bald vor den Kaiser.
Da befand der Kaiser mit dem Herzogen von Schwaben
und andern Rittern und Knechten, daß der Jüngling
war von Leopolds Weib in der Mühle geboren, von dem
die Stimme geweissagt hatte, und sprach: „Nun merk'
Grimm, Sagen 1II.
I0
146 D. Weiber z. Weinsperg. D. Teufelsthurn a. Donaust rude
ich wohl, daß Gottes Ordnung niemand hintertreiben
mag“, und förderte seinen Tochtermann zu dem Reich.
Dieser König Heinrich baute und stiftete hernachmals
Hirschau das erste Kloster, an die Statt der Mühle,
darm er geboren worden war.
481. Die Weiber zu Weinsperg.
Cölner Chronik 1499. Bl. 169.
Bergl. Pfister Gesch. v. Schwaben II. 192, 193.
Als König Conrad II. den Herzog Welf geschlagen
hatte (im Jahr 1140) und Weinsperg belagerte, so be⸗
dingten die Weiber der Belagerten die UÜbergabe damit,
daß eine jede auf ihren Schultern mitnehmen dürfte,
was sie tragen könne. Der König gönnte das den Weibern.
Da ließen sie alle Dinge fahren, und nahm ein jegliche
ihren Mann auf die Schulter und trugen den aus. Und
da des Königs Leute das sahen, sprachen ihrer viele, das
wäre die Meinung nicht gewesen, und wollten das nicht
gestatten. Der König aber schmutzlachte und tat Gnade
dem listigen Anschlag der Frauen: „Ein königlich Wort
rief er — das einmal gesprochen und zugesagt ist,
soll unverwandelt bleiben.“
482. Der Teufelsthurn am Donaustrudel.
Aventin Bair. Chronik S. 330.
Es ist eine Stadt in sterreich, mit Namen Crain,
ob der Stadt hat es einen gefährlichen Ort in der Donau,
nennet man den Strudel bei Stockerau, da hört man
das Wasser weit und breit rauschen; also hoch fällt es
über den Felsen, macht einen großen Schaum, ist gar
gefährlich dadurch zu fahren; kommen die Schiff in
Der Teufelsthurn am Donaustrudel 147
einen Wirbel, gehen gescheibweis herum, schlägt das
Wasser in die Schiff, und werden alle die auf dem
Schiff sind, ganz und gar naß. Wenn ein Schiff nur
ein wenig an den Felsen rührt, zerstößt es sich zu kleinen
Trümmern. Da muß jedermann arbeiten, an den
Rudern mit Gewalt ziehen, bis man herdurch kommt.
Daselbst herum wohnen viel Schiffleut, die des Wassers
Art im Strudel wissen; die werden alsdann von den
Schiffleuten bestellt, daß sie also desto leichter, ohn sondern
Schaden, durch den Strudel kommen mögen.
Kaiser Heinrich, der dritte dieses Namens, fuhr hinab
durch den Strudel; auf einem andern Schiff war Bischof
Bruno von Würzburg, des Kaisers Vetter; und als
dieser auch durch den Strudel fahren wollte, saß auf
einem Felsen, der über das Wasser herausging, ein
schwarzer Mann, wie ein Mohr, ein gräulicher Anblick
und erschrecklich. Der schreit und sagt zu dem Bischof
Bruno: „Höre, höre, Bischof! Ich bin dein böser Geist,
du bist mein eigen; fahr hin, wo du willst, so wirst du
mein werden; jetzund will ich dir nichts tun, aber bald
wirst du mich wiedersehen. Alle Menschen, die das hörten,
erschraken und fürchteten sich. Der Bischof machte ein
Kreuz, gesegnete sich, sprach etlich Gebet, und der Geist
verschwand vor ihnen allen. Dieser Stein wird noch auf
diesen Tag gezeigt; ist darauf ein kleines Türnlein gebaut,
allein von Steinen und kein Holz dabei, hat kein Dach,
wird der Teufelsturn genannt. Nicht weit davon,
etwan zwei Meil Wegs, fuhr der Kaiser mit den Seinen zu
Land, wollt da über Nacht bleiben in einem Flecken,
heißt Pösenbeiß. Daselbst empfinge Frau Richilta, des
Grafen Adelbar von Ebersberg Hausfrau (er war aber
schon gestorben), den Kaiser gar herrlich, hielt ihn zu
Gast und bat ihn daneben: daß er den Flecken Pösenbeiß
10*
148
Quedl daos Hündlein.
und andere Höfe herum, so ihr Gemahl vogtsweise be—
sessen und verwaltet hätte, ihres Bruders Sohn, Welf II.,
verleihen wollte. Der Kaiser ging in die Stube, und
während er dastand bei dem Bischof Bruno, Grafen
Aleman von Ebersberg, und bei Frau Richilta, und er
ihr die rechte Hand gab und die Bitte gewährte, fiel
jähling der Boden in der Stube ein; der Kaiser fiel
hindurch auf den Boden der Badstube ohne allen Schaden,
dergleichen auch Graf Aleman und die Frau Richilta-
der Bischof aber fiel auf eine Badwanne auf die Taufel,
fiel die Rippe und das Herz ein, starb also in wenig
Tagen hernach.
483. Quedl das Hündlein.
Mündlich. Vergl. Fischart Gargantua Bl. 31 a.
Mathild, die schöne Kaisertochter Heinrich III. war so
anmutig, daß sich ihr Vater in sie verliebte. Da flehte
sie zu Gott und betete inbrünstig, daß er sie häßlich
werden ließe, damit ihres Vaters Herz sich abwende.
Aber Gott erhörte sie nicht. Da erschien ihr der böse
Feind und bot sich an, mit dem Beding, daß sie ihm au⸗
gehöre, so solle des Kaisers Neigung und Liebe gewan⸗
delt werden in Haß und Zorn. Und sie ging es ein⸗
doch hielt sie aus: erst dann solle sie sein eigen sein,
wenn er sie in dreien Nächten nacheinander schlafend
fände; bliebe sie aber wachen, so dürfe er ihr nichts
anhaben. Also webte sie ein köstliches Tuch und stickte
dran die lange Nacht, das erhielt ihren Geist munter;
auch hatte sie ein treues Hündlein bei sich, Namens
Quedloder Wedl, das bellte laut und wedelte mit dem
Schwanz, wenn ihr die Augen vor Schlaf wollten zunicken.
Sage vom Schüler Hildebrand. 149
Wie nun der Teufel die drei Nächte hintereinander
kam und sie immer wach und munter fand, da zürnte
er und griff ihr mit der Kralle ins Angesicht, daß er
ihr die Nase platt drückte, den Mund schlitzte und ein
Auge ausstieß. Da war sie scheel, großmäulig und
platschnasig geworden, daß sie ihr Vater nicht weiter
leiden konnte und seine sündliche Liebe verlor. Sie aber
führte ein geistliches Leben und erbaute eine Abtei, zu
Ehren des Hündleins, genannt Quedlinburg.
484. Sage vom Schüler Hildebrand.
Cod. pal. 525. fol. 69. 70.
Dieweil Kaiser Heinrich III. zu Rom war, wo er drei
Päpste entsetzt und ins Elend geschickt hatte, wohnte ein
Zimmermann in der Stadt, der ein kleines Kind hatte.
Das Kind spielte an dem Werk mit den Spänen und
legte die Späne in Buchstabenweise zusammen. Da kam
ein Priester hinzu und las das. Das Kind hatte mit den
Spänen gelegt: dominabor à mari usque ad mare, das
spricht: ich werde Herr vom Meer bis zum Meer. Der
Priester wußte wohl, daß dies Kind Papst werden sollte
und sagte es seinem Vater. Der Vater ließ das Kind
lehren. Da es Schüler war, kam es an des Kaisers Hof
und war den Schreibern viel lieb; aber des Kaisers Sohn
Heinrich, der nachher auch Kaiser ward, tat dem Schüler
Leides viel und spielte ihm ungefüglich mit: denn es ahnt
ihm sein Herz wohl, was ihm von dem Schüler auf—
stehen sollte. Der Kaiser spottete seines Sohnes und des
Schülers Spieles. Der Kaiserin ward es leid, und sie
schalt ihren Sohn darum. Dem Kaiser träumte eines
Nachts, wie sein Sohn zum Tisch wäre gesessen, und
150
Der Knoblauchskönig.
wie dem Schüler Hildebranden wüchsen zwei Hörner bis
in den Himmel, und wie er mit diesen Hörnern seinen
Sohn aufhübe und ihn in das Horb (in den Kot) würfe.
Diesen Traum sagte der Kaiser der Kaiserin, die beschied
ihn also: daß der Schüler Papst werden und ihren Sohn
von dem Reich werfen würde. Da hieß der Kaiser den
Hildebrand fahen und ihn zu Hammerstein in einen Turn
werfen, und wähnte, daß er Gottes Willen wenden
möchte. Die Kaiserin verwies ihm oft, daß er eines
bloßen Traumes willen an dem armen Schüler so schänd⸗
lich täte; und über ein Jahr ließ er ihn wieder ledig.
Der ward ein Münch, fuhr mit seinem Abt hin zu Rom,
ward zu Hof lieb, und zu jüngst Papst.
485. Der Knoblauchskönig.
Bange S. 49. 50 auch berührt im Cod. pal. 325. fol. 74b.
Pomarius S. 218.
Kaiser Heinrich IV. entbot den Sachsen, wo sie seinen
Sohn zum König wäöhlten, wolle er nimmermehr ziehen
in Sachsenland. Aber die Leute hatten keine Lust, und
sprach Herzog Otto von der Weser: „Ich habe je in der
Welt sagen hören, von einer bösen Kuh kommt kein
gut Kalb;“ und sie koren zum Gegenkönig Herzog Herr⸗
mann von Lothringen (Luxemburg), der ward vom Mainzer
Bischof geweiht, und setzten ihn auf die Burg Eisleben,
da der Knoblauch wächst. Die Kaiserlichen nannten ihn
zum Spott Knoblauchskönig, oder König Knoblauch,
und er kam nie zur Macht, sondern wurde nachher auf
einer Burg erschlagen, wohin er geflohen war. Da
sagte man abermals: „König Knoblauch ist tot!“
Kaiser Heinrich vers. d. Kaiserin. Graf Hoyer v. Mansfeld. 151
486. Kaiser Heinrich versucht die Kaiserin.
Cod. pal. 525. fol. 78.
Sedicht im Cod. pal. 361. fol. 3581-354, aber ohne Namen von einem
Ritter, dessen Knecht Hänselin heißt.
Der König nahm da Rat von den Herren, was er
mit seines Vaters (Kaiser Heinrich IV.) Leichnam schaffen
oder tun sollte, der war begraben in Sankt Lamprechts
Münster zu Ludeke (Lüttich). Sie rieten: daß er ihn aus⸗
grübe und legen ließe in ein ungeweiht Münster, bis
daß er seinen Boten nach Rom gesandt hätte. Also ge—
tan Ende nahm der Kaiser. Dies war Kaiser Heinrich
der Üble. Er ließ das beste Roß, das er im Lande fand,
binden und in den Rhein werfen, bis es ertrank. Er ließ
einen seiner Mannen die Kaiserin um ihre Minne bitten.
Das war ihr leid. Der Ritter bat sie sehr, da sprach
die Fraue: „Sie wolle tun, als ihr Herr raten würde.“
Da dies der Kaiser vernahm, gebärdete er, als er aus—
reiten wollte; legte des Mamnes, der nach seinem Rate
das geworben hatte, Kleider an, und kam des Nachts
zu der Kaiserin. Die Kaiserin hatte bereit starke Männer
in Weibsgewand, die trugen große Knüttel, sie nahmen
den Kaiser unter sich und schlugen ihn sehr. Der Kaiser
rief, daß er es wäre. Die Kaiserin erschrak und sprach:
„Herr, ihr habt übel an mir getan.“
485. Graf Hoyer von Mansfeld.
Mändlich. Vergl. Ober lin u. Jodute.
In dem sogenannten Welpshölzchen, wo im Jahr
IErr2 die Schlacht zwischen Kaiser Heinrich V. und den
Sachsen vorfiel, liegt ein Stein, der die Eigenschaft hat,
bei Gewitter ganz zu erweichen, und erst nach einiger
152 Der verlorene Kaiser Friedrich.
Zeit wieder hart zu werden. Er ist voller Nägel ge—
schlagen, und man sieht auf ihm ganz deutlich den Ein—
druck einer Hand und eines Daumens. Graf Hoyer von
Mansfeld, der Oberfeldherr, soll ihn vor der Schlacht
ergriffen und gerufen haben: „So wahr ich diesen Stein
greife, so wahr will ich den Sieg gewinnen!“ Auch
wurden die Kaiserlichen geschlagen; aber der Hoyer blieb
tot und wurde von Wiprecht von Groitsch erschlagen.
Zu seinen Ehren ließen die Sachsen die Bildsäule eines
gehelmten Mannes mit dem eisernen Streitkolben in der
Rechten aufrichten und dem sächsischen Wappen in der
Linken. Diese Denksäule nannte man Jodute, da
gingen die Landleute fleißig zu beten hin, und auch die
Priesterschaft ehrte sie als ein heiliges Bild. Kaiser
Rudolf aber, als er 1289 zu Erfurt Reichstag hielt, ließ
sie wegnehmen, weil man fast Abgötterei damit trieb,
und eine Kapelle an der Stelle bauen. Allein das Volk
verehrte noch einen Weidenstock in dieser Kapelle, von
dem die Priester sagten: Er habe in jener Schlacht Jo—
dute gerufen, und dadurch den Sieg zuwege gebracht.
488. Der verlorene Kaiser Friedrich.)
Bruchstück eines Gedichts über Kaiser Friedrich, aus dem 15. Jahrh. im
Cod. pal. 344.
Kaiser Friedrich war vom Papst in den Bann getan,
man verschloß ihm Kirchen und Kapellen, und kein Priester
wollte ihm die Messe mehr lesen; da ritt der edle Herr
kurz vor Ostern, als die Christenheit das heilige Fest be—
gehen wollte, darum, daß er sie nicht daran irren möchte,
aus auf die Jagd. Keiner von des Kaisers Leuten wußte
*) Die Sage mischt den zweiten zu dem ersten Friedrich.
Albertus Magnus und Kaiser Wilhelm. 153
seinen Mut und Sinn; er legte ein edles Gewand an,
das man ihm gesendet hatte von Indien, nahm ein
Fläschlein mit wolriechendem Wasser zu sich, und bestieg
ein edles Roß. Nur wenig Herren waren ihm in den
tiefen Wald nachgefolgt; da nahm er plötzlich ein wunder—
bares Fingerlein in seine Hand, und wie er das tat, war
er aus ihrem Gesicht verschwunden. Seit dieser Zeit sah
man ihn nimmermehr, und so war der hochgeborne
Kaiser verloren. Wo er hinkam, ob er in dem Wald
das Leben verlor, oder ihn die wilden Tiere zerrissen, oder
ob er noch lebendig sei, das kann niemand wissen. Doch
erzählen alte Bauern: Friedrich lebe noch und lasse sich
oft als ein Waller bei ihnen sehen; dabei habe er öffent—
lich ausgesagt, daß er noch auf römischer Erde gewaltig
werden und die Pfaffen stören wolle, und nicht ehnder
ablassen, er habe denn das heilige Land wieder in die
Gewalt der Christen gebracht; dann werde er „seines
Schildes Last hangen an den dürren Ast“.
489. Albertus Nagnus und Kaiser Wilhelm.
Trithemii chronicon monast. Spanheim.
Lehmann Speier. Chronik V. cap. 90. S. 534.
Albertus Magnus, ein sehr berühmter und gelehrter
Mönch, hat den Kaiser Wilhelm von Holland, als er im
Jahre 1248 zu Köln auf den Tag der drei Könige an—
gelangt, in einem Garten beim Predigerkloster gelegen,
mit seinem ganzen Hof zu Gast gebeten, dem der Kaiser
gern willfahrt. Es ist aber auf berührten Tag nicht
allein große, unleidliche Kälte, sondern auch ein tiefer
Schnee gefallen; deshalb die kaiserlichen Räte und Diener
beschwerliches Mißfallen an des Mönchs unordentlicher
Ladung getragen und dem Kaiser, außer dem Kloster zu
154 Albertus Magnus und Kaiser Wilhelm.
so strenger winterlicher Zeit Mahl zu halten, widerraten;
haben aber doch denselben von seiner Zusage nicht wenden
können, sondern hat sich samt den Seinen zur rechten
Zeit eingestellt. Albert der Mönch hat etliche Tafeln
samt aller Bereitschaft in den Klost tergarten, darin Bäume,
Laub und Gras alles mit Schnee bedeckt gewesen, mit
großem Befremden eines jeden über die seltsame und
widersinnige Anstalt, lassen stellen, und zum Aufwarten
eine gute Anzahl, von Gestalt des Leibes überaus schöne,
ansehnliche Gesellen zur Hand bracht. Indem nun der
Kaiser samt Fürsten und Herren zur Tafel gesessen
und die Speisen vorgetragen und aufgestellt sind, ist
der Tag obenrab unversehens heiter und schön worden,
aller Schnee zusehends abgangen und gleich in einem
Augenblick ein lustiger, lieblicher Sommertag erschienen.
Laub und Gras sind augenscheinlich, desgleichen aller—
hand schöne Blumen aus dem Boden hervorgebrochen,
die Bäume haben anfahen zu blühen, und gleich nach
Blüt ein jeder seine Frucht zu tragen; darauf allerhand
Gevögel niedergefallen und den ganzen Ort mit lieblichem
Gesang erfüllet; und hat die Hitze des Tages dermaßen
überhandgenommen, daß fast männiglich der winterlichen
Kleider zum Teil sich entblößen müssen. Es hat aber nie⸗
mand gesehen, wo die Speisen gekocht und zubereitet
worden; auch niemand die zierlichen und willfährigen
Diener gekannt oder Wissenschaft gehabt, wer und wannen
sie seien, und jedermann voll großer Verwunderung über
all die Anstellung und Bereitschaft gewesen. Demnach
aber die Zeit des Mahls herum, sind erstlich die wunder⸗
bar köstlichen Diener des Mönchs, bald die lieblichen
Vögel samt Laub und Gras auf Bäumen und Boden
verschwunden, und ist alles wieder mit Schnee und Kälte
dem anfänglichen Winter ähnlich worden; also daß man
Kaiser Maximilian und Maria von Burgund. 155
die abgelegten Kleider wieder angelegt, und die strenge
Kälte dermaßen empfunden, daß männiglich davon und
zum Feuer und warmen Stube geeilet.
Um solcher abenteuerlichen Kurzweil halben hat Kaiser
Wilhelm den Albertus Magnus und sein Konvent, Pre⸗
digerordens, mit etlichen Gütern reichlich begabt und den—
selben wegen seiner großen Geschicklichkeit in großem
Ansehen und Wert gehalten.
490. Kaiser Maximilian und Maria von
Burgund.
Aug. Lercheimer. Bedenken von Zauberei Bl. 18 aus mündlichen Er—
zählungen.
Der hochlöbliche Kaiser Marimilian J. hatte zum Ge⸗
mahl Maria von Burgund, die ihm herzlich lieb war
und deren Tod ihn heftig bekümmerte. Dies wußte der
Abt zu Spanheim, Johannes Trithem wohl und erbot
sich dem Kaiser: so es ihm gefalle, die Verstorbene wieder
vor Augen zu bringen, damit er sich an ihrem Angesicht
ergötze. Der Kaiser ließ sich überreden, und willigte in
den gefährlichen Vorwitz. Sie gingen miteinander in ein
besonderes Gemach und nahmen noch einen zu sich, damit
ihrer dreie waren. Der Zauberer verbot ihnen, daß ihrer
keiner beileibe ein Wort rede, so lange das Gespenst
gegenwärtig sei. Maria kam hereingetreten, ging säuber⸗
lich an ihnen vorüber, der lebendigen, wahren Maria so
ähnlich, daß gar kein Unterschied war und nicht das Ge—
ringste mangelte. Ja in Bemerkung und Verwunderung
der Gleichheit ward der Kaiser eingedenk, daß sie am
Halse hinten ein kleines schwarzes Flecklein gehabt, hatte
Acht darauf und befand es also, da sie zum andern Mal
vorüberging. Da ist dem Kaiser ein Grauen ankommen,
156 Sage von Adelger zu Bayern.
hat dem Abt gewinkt, er solle das Gespenst wegtun und
darnach mit Zittern und Zorn zu ihm gesprochen: „Mönch,
mache mir der Possen keine mehr“; und hat bekannt, wie
schwerlich und kaum er sich habe enthalten, daß er nicht
zu ihr geredet.
491. Sage von Adelger zu Bayern.
Cod. pal. 361. tol. 39 -42 0.
Vergl. Abele, selzame Gerichtshändel. Nürnb. 1705. Nro. 116.
Zur Zeit Kaisers Severus war in Bayern ein Herzog
Namens Adelger, der stand in großem Lobe und wollte
sich nicht vor den Römern demütigen. Da es nun dem
König zu Ohren kam, daß niemand im ganzen Reiche
ihm die gebührliche Ehre weigerte, außer Herzog Adelger,
so sandte er Boten nach Bayern und ließ ihn nach Rom
entbieten. Adelger hatte nun einen getreuen Mann, den
er in allen Dingen um Rat fragte; den rief er zu sich
in sein Gemach und sprach: ich bin ungemut, denn die
Römer haben nach mir gesendet, und mein Herz stehet
nicht dahin; sie sind ein böses Geschlecht und werden mir
Böses antun; gern möchte ich dieser Fahrt entübrigt sein,
rate mir dazu, du hast kluge Gedanken. Der alte Rat—
geber antwortete: gerne rate ich dir alles, was zu deinen
Ehren stehet; willst du mir folgen, so besende deine
Mannen und heiß sie sich kleiden in das beste Gewand,
das im Lande gefunden wird; fahr mit ihnen furchtlos
nach Rom und sei ihm alles Rechtes bereit. Denn du
bist nicht stark genug, um wider das römische Reich zu
fechten; verlangt der König aber über sein Recht hinaus,
so kanns ihm übel ausschlagen.
Herzog Adelger berief seine Mannen und zog an des
Königs Hof nach Rom, wo er übel empfangen wurde.
Sage von Adelger zu Bayern. 157
Zornig sprach der König ihm entgegen: „Du hast mir
viel Leides getan, das sollst du heute mit deinem Leben
gelten!“ „Dein Bote — antwortete Adelger — hat mich
zu Recht und Urteil hierher geleitet; was alle Römer
sprechen, dem will ich mich unterwerfen und hoffen auf
deine Gnade.“ „Von Gnade weiß ich nichts mehr —
sagte der König — das Haupt soll man dir abschlagen
und dein Reich einen anderen Herrn haben.“
Als die Römer den Zorn des Königs sahen, legten sie
sich dazwischen und erlangten, daß dem Herzog Leib und
Leben geschenkt wurde. Darauf pflogen sie Rat und
schnitten ihm sein Gewand ab, daß es ihm nur zu den
Knien reichte, und schnitten ihm das Haar vornen aus;
damit gedachten sie den edlen Helden zu entehren.
Adelger aber ging hart ergrimmt in seine Herberge.
Alle seine Mannen trauerten, doch der alte Ratgeber
sprach: „Herr, Gott erhalte dich! laß nur dein Trauern
sein und tu nach meinem Rat, so soll alles zu deinen
Ehren ausgehen.“ — „Dein Rat — sagte Adelger —
hat mich hierher gebracht; magst du nun mit guten
Sinnen meine Sache herstellen, so will ich dich desto
werter halten! kann ich aber meine Ehre nicht wieder ge—
winnen, so komm ich nimmermehr heim nach Bayer—
land.“ Der Alte sprach: „Herr, nun heiß mir tun, wie
dir geschehen ist, und besende alle deine Mann, und leih
und gib ihnen, daß sie sich allesamt bescheeren lassen;
damit rette ich dir alle deine Ehre.“ Da forderte
der Herzog jeden Mann sonders vor sich und sagte:
„Wer mir in dieser Not beisteht, dem will ich leihen und
geben; wer mich lieb hat, der lasse sich scheeren, wie mir
geschehen ist.“ Ja — sprachen alle seine Leute — sie
wären ihm treu bis in den Tod, und wollten alles er—
füllen. Zur Stunde beschoren sich alle, die mit ihm
158 Sage von Adelger zu Bayern.
ausgekommen waren, Haar und Gewand, daß es nur noch
bis an die Knie reichte; die Helden waren lang gewachsen
und herrlich geschaffen, tugendreich und lobesam, daß es
jeden Wunder nahm, der sie ansah, so vermessentlich war
ihre Gebärde.
Früh den andern Morgen ging Adelger mit allen
seinen Mannen zu des Königs Hof. Als sie der König
ansah, sagte er in halbem Zorn: „Rede, lieber Mann,
wer hat dir diesen Rat gegeben?“ „Ich führte mit mir
einen treuen Dienstmann — sprach Herzog Adelger —
der mir schon viel Treue erwiesen, der ist es gewesen;
auch ist unsrer Bayern Gewohnheit daheim: „Was
einem zu Leide geschieht, daß müssen wir alle—
samt dulden“, so tragen wir uns nun einer wie der
andere, arm oder reich, und das ist unsere Sitte so“.
Der König von Rom sprach: „Gib mir jenen alten Dienst—
mann, ich will ihn an meinem Hofe halten, wenn du
von hinnen scheidest; damit sollst du alle meine Gnade
gewinnen“. — So ungern es auch der Herzog täte,
konnte er doch dieser Bitte nicht ausweichen, sondern
nahm den treuen Ratgeber bei der Hand und befahl ihn
in die Gewalt des Königs. Darauf nahm er Urlaub
und schied heim in sein Vaterland; voraus aber sandte
er Boten und befahl allen seinen Untertanen, die Lehn⸗
recht oder Rittersnamen haben wollten, daß sie sich das
Haar vornen aus-, und das Gewand abschnitten, und
wer es nicht täte, daß er die rechte Hand verloren hätte.
Als es nun auskam, daß sich die Bayern so beschoren,
da beliebte der Gebrauch hernach allen in deutschen
Landen.
Es stund aber nicht lange an, so war die Freundschaft
zwischen dem römischen König und dem Herzog wieder
zergangen und Adelgern ward von neuem entboten, nach
Sage von Adelger zu Bayern. 159
Rom zu ziehen, bei Leib und Leben, der König wolle mit
ihm Rede haben. Adelger, ungemut über dieses Ansinnen,
sandte heimlich einen Boten nach Welschland zu seinem
alten Dienstmann, den sollte er bei seinen Treuen mahnen,
ihm des Königs Willen, weshalb er ihn nach Hof rief,
zu offenbaren und zu raten, ob er kommen oder bleiben
sollte? Der alte Mann fpach aber zu Adelgerns Boten:
„Es ist nicht recht, daß du zu mir fährst; hiebevor, da
ich des Herzogen war, riet ich ihm je das Beste; er gab
mich dem König hin, daran warb er übel; denn verriet
ich nun das Reich, so täte ich als ein Treuloser. Doch
will ich dem König am Hof ein Beispiel erzählen, das
magst du wohl in acht behalten und deinem Herrn hinter—
bringen; frommt es ihm, so steht es gut um seine Ehre.“
Früh des andern Morgens, als der ganze Hof ver—
sammelt war, trat der Alte vor den König und bat sich
aus, daß er ein Beispiel erzählen dürfte. Der König
sagte, daß er ihn gerne hören würde, und der alte Rat⸗
geber begann: Vor Zeiten, wie mir mein Vater erzählte,
lebte hier ein Mann, der mit großem Fleiß seines Gartens
wartete und viel gute Kräuter und Würze darin zog. Dies
wurde ein Hirsch gewahr, der schlich sich nachts in den
Garten und zerfraß und verwüstete die Kräuter des
Manmnes, daß alles niederlag. Das trieb er manchen Tag
lang, bis ihn der Gärtner erwischte und seinen Schaden
rächen wollte. Doch war ihm der Hirsch zu schnell, der
Mann schlug ihm bloß das eine Ohr ab. Als der Hirsch
dennoch nicht von dem Garten ließ, betrat ihn der Mann
von neuem und schlug ihm halb den Schwanz ab: das
trag dir, sagte er, zum Wahrzeichen! schmerzts dich, so
kommst du nicht wieder. Bald aber heilten dem Hirsch
die Wunden, er strich seine alten Schliche und äßte dem
Mann Kraut und Wurzeln ab, bis daß d eser den Garten
160 Sage von Adelger zu Bayern
listig mit Netzen umstellen ließ. Wie nun der Hirsch ent—
fliehen wollte, ward er gefangen; der Gärtner stieß ihm
seinen Spieß in den Leib und sagte: „Nun wird dir das
Süße sauer, und du bezahlst mir teuer meine Kräuter.“
Darauf nahm er den Hirsch und zerwirkte ihn, wie es
sich gehörte. Ein schlauer Fuchs lag still neben in einer
Furche; als der Mann wegging, schlich der Fuchs hinzu
und raubte das Herz vom Hirsch. Wie nun der Gärtner,
vergnügt über seine Jagd, zurückkam und das Wild holen
wollte, fand er kein Herz dabei, schlug die Hände zu—
sammen und erzählte zu Haus seiner Frau das große
Wunder von dem Hirsch, den er erlegt habe, der groß
und stark gewesen, aber kein Herz im Leibe gehabt. „Das
hätte ich zuvor sagen wollen,“ antwortete des Gärtners
Weib, „denn als der Hirsch Ohr und Schwanz verlor,
hätte er ein Herz gehabt, so wäre er nimmer in den
Garten wieder gekommen.“
All diese kluge Rede war Adelgers Boten zu nichts
nütze, denn er vernahm sie einfältig und kehrte mit Zorn
gen Bayerland. Als er den Herzogen fand, sprach er:
„Ich habe viel Arbeit erlitten und nichts damit erworben;
was sollte ich da zu Rom tun? Der alte Ratgeber ent⸗
bietet dir nichts zurück als ein Beispiel, das er dem König
erzählte, das hieß er mich dir hinterbringen. Daß er ein
übel Jahr möge haben!“
Als Adelger das Beispiel vernahm, berief er schnell
seine Mannen. „Dies Beispiel — sagte er — will ich euch,
ihr Helden, wohl bescheiden. Die Römer wollen mit
Netzen meinen Leib umgarnen; wißt aber, daß sie mich
zu Rom in ihrem Garten nimmer berücken sollen. Wäre
aber, daß sie mich selbst in Bayern heimsuchen, so wird
ihnen der Leib durchbohrt, wo ich anders ein Herz habe
und meine lieben Leute mir helfen wollen.“
Sage von Adelger zu Bayern. 161
Da man nun am römischen Hof erfuhr, daß Adelger
nicht nach Rom gehen wollte, sagte der König: so wolle
er sehen, in welchem Lande der Herzog wohne. Das
Heer wurde versammelt und brach, dreißigtausend wohl
gewaffneter Knechte stark, schnell nach Bayern auf; erst
zogen sie vor Bern, dann ritten sie durch Triental.
Adelger mit tugendlichem Mute sammelte all seine Leute,
Freunde und Verwandten; bei dem Wasser, heißet Inn,
stießen sie zusammen, der Herzog trat auf eine Anhöhe
und redete zu ihnen: „Wohlan, ihr Helde, unverzagt!
jetzt sollt ihr nicht vergessen, sondern leisten, was ihr mir
gelobt habt. Man tut mir groß Unrecht. Zu Rom
wurde ich gerichtet und hielt meine Strafe aus, als mich
der König schändete an Haar und Gewand; damit ge—
wann ich Verzeihung. Nun sucht er mich ohne Schuld
heim; läge der Mann im Streite tot, so wäre die Not
gering. Aber sie werfen uns in den Kerker und quälen
unsern Leib, höhnen unsre Weiber, töten unsre Kinder,
stiften Raub und Brand; nimmermehr hinführo gewinnt
Bayern die Tugend und Ehre, deren es unter mir gewohnt
war; um so mehr, ihr Helden, wehret beides, Leib und
Land.“ Alle reckten ihre Hände auf und schwuren: wer
heute entrinne, solle nimmerdar auf bayerscher Erde weder
Eigen noch Leben haben.
Gerold, den Markgrafen, sandte Adelger ab, daß er
den Schwaben die Mark wehrete. Er focht mit ihnen
einen starken Sturm, doch Gott machte ihn sieghaft; er
fing Brenno, den Schwabenherzog, und hing ihn an
einen Galgen auf.
Rudolf, den Grafen, mit seinen beiden Brüdern,
sandte Adelger gen Böheim, dessen König zu Salre
mit großer Macht lag und Baiern heerte. Rudolf nahm
selbst die Fahne und griff ihn vermessen an. Er erschiug
11
162 Sage von Adelger zu Bayern.
den König Osmig und gewann allen Raub wieder. Zu
Cambach wandt' er seine Fahne.
Wirent, den Burggrafen, sandte Adelger gegen die
Hunnen. Niemand kann sagen, wieviel der Hunnen in
der Schlacht tot lagen; einen sommerlangen Tag wurden
sie getrieben, bis an ein Wasser, heißet Traun, da ge—
nasen sie kaum.
Herzog Adelger selbst leitete sein Heer gen Brixen an
das Feld, da schlugen sie ihr Lager auf; das ersahen
die Wartmänner der Römer, die richteten ihre Fahne auf
und zogen den Bayern entgegen. Da fielen viele Degen
und brach mancher Eschenschaft! Volkwin stach den
Fähmrich des Königs, daß ihm der Spieß durch den Leib
drang. „Diesen Zins — rief der vermessene Held — bringe
deinem Herrn und sage ihm, als er meinen Herrn schän⸗
dete an Haar und Gewand, das ist jetzt dahin gekommen,
daß er's ihm wohl vergelten mag.“ Volkwin zuckte die
Fahne wieder auf, nahm das Roß mit den Sporn und
durchbrach den Römern die Schar. Von keiner Seite
wollten sie weichen und viel frommer Helden sank zu
Boden; der Streit währte den sommerlangen Tag. Die
grünen Fahnen der Römer wurden blutfärbig, ihre leichte
Schar troff von Blut. Da mochte man kühne Jüng⸗
linge schwer verhauen sehen, Manm fiel auf Mann, das
Blt rann über eine Meile. Da mochte man hören
schreien nichts als Ach und Weh! Die kühnen Helden
schlugen einander, sie wollten nicht von der Wahlstätte
kehren, weder wegen des Tods, noch wegen irgendeiner
Not; sie wollten ihre Herrn nicht verlassen, sondern sie
mit Ehren dannen bringen; das ward ihr aller Ende.
Der Tag begann sich zu neigen, da wankten die Römer ˖
Volkwin, der Fähnrich, dies gewahrend, kehrte seine Fahne
wider den König der Römer; auf ihn drangen die mutigen
Die treulose Störchin.
163
Bayern mit ihren scharfen Schwerten und sangen das
Kriegslied. Da vermochten die Welschen weder zu fliehen
noch zu fechten. Severus sah, daß die Seinen erschlagen
oder verwundet lagen und die Wahlstätte nicht behaupten
konnten. Das Schwert warf er aus der Hand und rief:
„Rom, dich hat Bayern in Schmach gebracht, nun acht'
ich mein Leben nicht länger!“ Da erschlug Volkwin den
König; als der König erschlagen war, steckte Herzog
Adelger seinen Schaft in die Erde neben dem Hasel—
Brunnen: „Dies Land hab' ich gewonnen den Bayern
zu Ehre; diese Mark diene ihnen immerdar!“
492. Die treulose Störchin.
Aventin bair. Chr. Bl. 27624.
Gesta rom. deufsch c. 5. latein. c. 82.
Cranz, ein Kanzler Herzog Thassilos II., schreibt gar
ein seltsames Wunder von Störchen, zur Zeit Herzog
Haunbrechts. Der Ehebruch sei derselbigen Zeit gemein
gewesen, und Gott habe dessen harte Strafe an unver—
nünftigen Tieren zeigen wollen.
Oberhalb Abach in Unterbayern, nicht weit von der
Donau, stand ein Dorf, das man jetzund Teygen nennet.
In dem Dorf nisteten ein Paar Störche und hatten Eier
zusammen. Während die Störchin brütete und der Storch
um Futter ausflog, kam ein fremder Storch, buhlte um
die Störchin und überkam sie zuletzt. Nach verbrachtem
Ehebruch flog die Störchin überfeld zü einem Brunnen,
taufte und wusch sich, und kehrte wieder ins Nest zurück,
dermaßen, daß der alte Storch bei seiner Rückkunft nichts
von der Untreue empfand. Das trieb nun die Störchin
mit dem Ehebrecher fort, einen Tag wie den anderen,
bis sie die Jungen ausgebrütet hatte. Ein Bauer aber
11*
164 Herzog Heinrich in Bayern hält reine Straße.
auf dem Felde nahm es wahr und verwunderte sich,
was doch die Störchin alle Tage zum Brunnen flöge und
badete; vermachte also den Brunnen mit Reisig und
Steinen und sah von ferne zu, was geschehen würde.
Als nun die Störchin wiederkam und nicht zum Brimnen
konnte, tat sie kläglich, mußte doch zuletzt ins Nest zu—
rückfliegen. Da aber der Storch, ihr Mamn, heim
kam, merkte er die Treulosigkeit, fiel die Störchin an,
die sich heftig wehrte; endlich flog der Storch davon und
kam nimmer wieder, die Störchin mußte die Jungen
allein nähren. Nachher um St. Laurenztag, da die
Störche fortzuziehen pflegen, kam der alte Storch zurück,
brachte unsäglich viel andere Störche mit, die fielen zu—⸗
sammen über die Störchin, erstachen und zerfleckten sie
in kleine Flecken. Davon ist das gemeine Sprichwort
aufkommen: „Du kannst es nicht schmecken!“
493. Herzog Heinrich in Bayern hält reine
Straße.
Aventin Bair. Chronik Bl. 411b.
Herzog Heinrich zu Bayern, dessen Tochter Elsbeth
nach Brandenburg heuratete, und die Märker nur „dat
schon Elsken uth Beyern“ nannten, soll das Rotwild zu
sehr lieb gehabt und den Bauern die Rüden durch die
Zaun gejagt haben. Doch hielt er guten Frieden und
litt Reuterei, oder wie die Kaufleute sagten, Räuberei,
gar nicht im Lande. Die Kaufleut hießen sein Reich:
im Rosengarten. Die Reuter aber klagten und sagten:
kein Wolf mag sich in seinem Land erhalten und dem
Strang entrinnen. Man sagt auch sonst von ihm, daß
er seine Vormünder, die ihn in großen Verlust gebracht,
ehe er zu seinen Jahren kam, gewaltig gehaßt, und einmal,
Diez Schwinburg
165
als er über Land geritten, begegnete ihm ein Karrn,
geladen mit Häfen. Nun kaufte er denselben ganzen
Karrn, stellte die Häfen nebeneinander her und hob an
zu fragen jeglichen Hafen: „Weß bist du?“ Antwortete
drauf selber „des Herzogs“ und sprach dann: „Nun du
mußt es bezahlen,“ und zerschlug ihn. Welcher Hafen
aber sagte „er wäre der Regenten“, dem tat er nichts,
sondern zog das Hütel vor ihm ab. Sagte nachmals:
„So haben meine Regenten mit mir regiert.“ Man nannt'
ihn nur den reichen Herzog; den Turn zu Burghausen
füllte er mit Geld aus.
494. Diez Schwinburg.
Ggi. Ioan. Trithemili chronicon hirsaug. II. 181, 182.
Kaiser Ludwig der Bayer ließ im Jahr 1337 den
Landfriedensbrecher Diez Schwinburg mit seinen vier
Knechten gefangen in München einbringen und zum
Schwert verurteilen. Da bat Diez die Richter, sie möchten
ihn und seine Knechte an eine Zeil, jeden acht Schuhe
voneinanderstellen und mit ihm die Enthauptung an—
fangen; dann wolle er aufstehen und vor den Knechten
vorbeilaufen, und vor so vielen er vorbeigelaufen, denen
möchte das Leben begnadigt sein. Als ihm dieses die
Richter spottweise gewährt, stellte er seine Knechte, je den
liebsten am nächsten zu sich, kniete getrost nieder, und
wie sein Haupt abgefallen, stand er alsbald auf, lief
vor allen vier Knechten hinaus, siel alsdann hin und
blieb liegen. Die Richter getrauten sich doch den Knechten
nichts zu tun, berichteten alles dem Kaiser und erlangten,
daß den Knechten das Leben geschenkt wurde.
166 Der geschundene Wolf. Die Gretlmühl.
495. Der geschundene Wolf.
Aventin Bl. 376 a.
Herzog Otto von Bayern vertrieb des Popstes Legaten
Albrecht, daß er flüchten mußte und kam nach Passau. Da
zog Otto vor die Stadt, nahm sie ein, und ließ ihn da jäm⸗
merlich erwürgen. Etliche sagen: man habe ihn schinden
lassen, darum führen noch die von Passau einen geschun⸗
denen Wolf. Auch zeigt man einen Stein, der Blutstein ge—
heißen, darauf soll Albrecht geschunden und zu Stücken ge⸗
hauen sein. Es sei ihm wie es wolle, er hat denLohn dafür emp⸗
fangen, daß er soviel Unglück in der Christenheit angestiftet.
496. Die Gretlmühl.
Aventin Bair. Chronik Bl. 406 a.
Herzog Ott, Ludwigs von Bayern jüngster Sohn, ver—
kaufte Mark Brandenburg an Kaiser Karl IV. um
200 000 Gülden, räumte das Land und zog nach Bayern.
Da verzehrte er sein Gut mit einer schönen Müllerin,
namens Margret, und wohnte im Schloß Wolfstein,
unterhalb Landshut. Dieselbige Mühl wird noch die
Gretlmühl genannt, und der Fürst Otto der Finner,
darum, weil er also ein solches Land verkauft. Man
sagt: Karl hab' ihn im Kauf überlistet und die Stricke
an den Glocken im Land nicht bezahlt.
497. Herzog Friedrich und Leopold von Osterreich.
Albertus argentin. p. 178. 179.
Königshofen S. 127. 128.
Colner Chronik 1499. fol. 250.
Vgl. Aventin S. 393. 396.
Da König Friedrich in der Gewalt Ludwig des
Bayern gefangen lag auf einer Feste, genannt Traus—
Der Markgräfin Schleier. 167
nitz,“) kam ein wohlgelehrter Mann ein zu Herzog Leopold
von streich (des Gefangenen Bruder) und sprach: „Ich
will Gut nehmen und den Teufel beschwören und zwingen,
daß er muß Euern Bruder, König Friedrich, aus der Ge⸗
fängnis her zu Euch bringen.“ Also gingen die zwei,
Herzog Leopold und der Meister, in die Kammer; da trieb
der Meister seine Kunst, und kam der Teufel zu ihnen
in eines Pilgrims Weise und ward geheißen, daß er
König Friedrich brächte ohn allen Schaden. Der Teufel
antwortete: er wolle das wohl tun, wo ihm der König
folgen würde. Also fuhr der Teufel weg, kam zu Fried⸗
rich nach Trausnitz und sprach: „Sitze her auf mich, so
will ich dich bringen ohne Schaden zu deinem Bruder.“
Der König sagte: „Wer bist du?“ Der Teufel versetzte
und sprach: „Frage nicht danach; willst du aus der Ge—
fängnis kommen, so tu, das ich dich heiße.“ Da ward
dem Könige und denen, die sein hüteten, grauen, und
machten Kreuze vor sich. Da verschwand der Teufel.
Danach tät Herzog Leopold dem König Ludwig also
weh mit Kriege, daß er mußte Koönig Friedrich aus der
Gefängnis lassen. Doch mußte er schwören und verbürgen,
König Ludwigen fürder nicht zu irren an dem Reiche.
498. Der Markgräfin Schleier.
Berkenmeyer Antiquar S. 486.
Tase chenbuch für vateri. Gesch. Wien 1811.
Val Naunbearet Bollsmärchen III. 1125-117. 130- 138.
Agnes, Kaiser Heinrichs IV. Tochter, stand mit Leopold
dem Heiligen, Markgrafen von Hstreich, den achten
*) Als der Gefangene hineingeführt wurde und diesen Namen
aussprechen hörte, rief er aus: „Jawohl Trausnicht (Druwes⸗
nit), ich habe sein je nicht getraut, daß ich so sollte darein ge—
bracht worden sein.“
168 Der Brennberger (erste Sage).
Tag ihrer Hochzeit an einem Fenster der Burg und
redeten von der Stiftung eines Klosters, um die ihm
Agnes anlag. Indem kam ein starker Wind und führte
den Schleier der Markgräfin mit sich fort. Leopold aber
schlug ihr die Bitte mit den Worten ab: „Wenn sich dein
Schleier findet, will ich dir auch ein Kloster bauen.“ Acht
Jahre später geschah es, daß Leopold im Walde jagte
und auf einem Hollunderstrauch Agnesens Schleier hangen
sah. Dieses Wunders wegen ließ der Markgraf auf
der Stelle, wo er ihn gefunden hatte, das Kloster Neu—
burg bauen; und noch heutiges Tages weist man daselbst
den Schleier sowohl als den Stamm des Hollunder—
busches.
499. Der Breunberger (erste Sage).
Ungedruckter Meistersang aus dem 15. Jahrh.
Der Brennberger, ein edler Ritter, war zu Wien an
des Herzogs von streich Hofe und sah die auserwählte
Herzogin an, ihre Wangen und ihren roten Mund, die
blühten gleich den Rosen. Da sang er Lieder zu ihrem
Preis: wie selig wäre, der sie küssen dürfe, und wie kein
schöner Frauenbild auf Erden lebe, als die sein Herr be—
sitze und der König von Frankreich; diesen beiden Weibern
tue es keine gleich. Als die Herzogin von diesem Lobe
vernahm, ließ sie den Ritter vor sich kommen und sprach:
„Ach Brennberger, du allerliebster Diener mein, ist es dein
Ernst oder Scherz, daß du mich so besingest? und wärst
du nicht mein Diener, nähm ich dir's übel.“ „Ich rede
ohne Scherz — sagte Brennberger — und in meinem
Herzen seid Ihr die Schönste auf Erden; zwar spricht man
von der Königin zu Frankreich Schönheit, doch kann ich's
nicht glauben.“ Da sprach die zarte Frau: „Brennberger,
Der Brennberger (erste Sage). 169
allerliebster Diener mein, ich bin dir hold und bitte dich
sehr, nimm mein Gold und Silber und schaue die Königin
und sieh', welche die Schönste sei unter uns zweien; bringst
du mir davon die Wahrheit, so erfreust du meinen Mut.“
„Ach edle Frau — sagte der Brennberger — ich fürchte
die Müh' und die lange Reise; und brächt' ich das zurück,
das Ihr nicht gerne hörtet, so wär mein Herze schur;
bring ich Euch aber gute Mär, daß Ihr Euch freue..
so geschäh's auch mir zulieb, darum will ich die Reise
wagen.“ Die Frau sprach: „Zeuch hin und laß dir's an
nichts gebrechen, an Geschmeide noch an Gewändern.“
Brennberger aber ließ sich ein Krämlein machen; darein
tat er, was Frauen gehöret, Gürtel und Spinnzeug, und
wollte das als Krämerin feil tragen; und zog über Berg
und Tal, im Dienste seiner Frauen, bis er hin gen Paris
kam. Zu Paris nahm er Herberg bei einem auserwählten
Wirt, der unten am Berge wohnte, der gab ihm Futter
und Streu, Speise und Trank, aufs freundlichste. Brenn—
berger hatte doch weder Ruh noch Rast, winkte dem Wir
und frug ihn um Rat, wie er's anfange, der Königin
unter Augen zu kommen; denn um ihrentwillen habe ihn
die Herzogin aus streich hergesandt. Der Wirt sprach:
„Stellt Euch dahin, wo sie pflegt zur Kirche zu gehen, so
sehet Ihr sie sicherlich““
Da kleidete sich Brennberger fräulich an, nahm seinen
Kram und setzte sich vors Burgtor, hielt Spindel und
Seide feil. Endlich kam auch die Königin gegangen, ihr
Mund brann wie ein Feuer, und eilf Jungfrauen traten
ihr nach. „Gott grüß' dich Krämerin,“ sprach sie im Vor—
übergang „was Schönes hast du feil?“ Die Krämerin
dankte tugendlich und sagte: „Hochgelobte Königin,
gnadet's anzuschauen und kauft von mir samt Euern
Jungfrauen!“
170 Der Brennberger (erste Sage).
Abends spat sprach die edle Königin: „Nun hat sich
die Krämerin vor dem Tore verspätet; laßt sie ein, für—
wahr, sie mag heunt bei uns bleiben.“ Und die Krämerin
saß mit den Frauen züchtiglich zu Tisch. Als das Mahl
vollbracht war, sagte die Königin: „Bei wem wollt Ihr
schlafen?“ Die Krämerin wär' gern daheim gewesen,
antwortete: „Gott Dank Euch, edle Königin! geliebt's
Euch, so laßt mich allein liegen.“ „Das wäre schlechte
Ehre — versetzte sie — wohlan, ich hab' zwölf Jung—
frauen hier, bei der jüngsten ziemt Euch zu liegen, da ist
Euer Ehre gar wohl bewahrt.“ Also lag die Krämerin
die lange Nacht bei der zarten Jungfrau, und hatte
dreizehn Tage feil in der Burg und jede Nacht schlief
sie bei einer andern Juugfrau. Wie nun die letzte Nacht
kam, sagte die Königin: „Hat sie Euch allen beigelegen,
was sollt' ich's denn entgelten?“ Da wurde dem Brenn⸗
berger angst, daß es um seinen Leben geschehen wäre,
wenn er bei der Königin liegen müßte; und schlich sich
des Abends von dannen zu seinem Wirt, setzte sich als—
bald zu Pferd und ritt ohn' Aufenthalt, bis er in die
Stadt zu Wien kam.
„Ach Brennberger, allerliebster Diener mein, wie ist es
dir ergangen, was bringst du guter Märe? „Edle Frau“
— antwortete der Ritter — ich habe Lieb und Lesd ge—
habt, wie man noch nie erhört. Dreizehn Tage hatte ich
feil meinen Kram vor dem Burgtor; nun möget Ihr
Wunder hören, welches Heil mir widerfuhr; jeden Abend
wurde ich eingelassen und mußte bei jeder Jungfrau
besonders liegen; ich furchte mich, es könnte nicht so lang
verschwiegen bleiben, und die letzte Nacht wollte mich die
Königin selber haben.“ —„Weh' mir, Brennberger, daß ich
je geboren ward — sprach die Herzogin — daß ich dir
je den Rat gab, die edle Frau zu kränken; nun sag' mir
Der Brennberger (zweite Sage). 171
aber, welche die Schönste sei unter uns zweien 7 -„Frau,
in Wahrheit, sie ist schön ohn' Gleichen, nie sah ich ein
schöner Weib auf Erden; ein lichter Schein brach von
ihrem Angesicht, als sie das erste Mal vor meinen Kram
ging, sonderliche Kraft empfing ich von ihrer Schöne.“ —
Ach Brennberger, gefällt sie dir besser als ich, so sollst
du auch ihr Diener sein!“ — „Nein, edle Frau, das sag'
ich nicht; Ihr seid die Schönste in meinem Herzen.“ —
„Nun sprachst du eben erst, kein schöner Weib habest
du nie gesehen.“ — „Wißt Frau, sie hatte einen hohen
Mund, darum seid Ihr schöner auch an Hals und Kinn;
aber nach Euch ist die Koͤnigin das schönste Weib, das
ich je auf der Welt gesehen; das ist meine allergrößte
Klage, ob ich einen unrechten Tod an ihr verdient hätte!“
500. Der Brennberger (zweite Sage)
Fliegendes Blatt.
Als nun der edle Brennberger mannigfalt gesungen
hatte von seiner schönen Frauen, da gewaährte es ihr
Gemahl, ließ den Ritter fahen und sagte: „Du hast meine
Frau lieb, das geht Dir an Dein Leben!“ Und zur Stunde
ward ihm das Haupt abgehauen; sein Herz aber gebot
der Herr auszuschneiden und zu kochen. Darauf wurde
das Gericht der edlen Frau vorgestellt, und ihr roter
Mund aß das Herz, das ihr treuer Dienstmann im Leibe
getragen hatte. Da sprach der Herr: „Frau, könnt Ihr
mich bescheiden, was Ihr jetzund gegessen habt?“ Die Frau
antwortete: „Nein, ich weiß es nicht; aber ich möcht es
wissen, denn es schmeckt mir schön.“ Er sprach; „Für—⸗
wahr, es ist Brennbergers Herz, deines Dieners, der dir
viel Lust“'und Scherz brachte und konnte dir wohl dein
Leid vertreiben.“ Die Frau sagte: „Hab ich gegessen, das
172 Schreckenwalds Rosengarten.
mir Leid vertrieben hat, so tu ich einen Trunk darauf
zu dieser Stund und sollte meiner armen Seele nimmer
Rat werden; von Essen und Trinken kommt nimmer—
mehr in meinen Mund.“ Und eilends stund sie auf, schloß
sich in ihre Kammer und flehte die himmlische Königin
um Hilfe an: „Es muß mich immer reuen um den treuen
Brennberger, der unschuldig den Tod erlitt um meinet—
willen; fürwahr, er ward nie meines Leibes teilhaftig
und kam mir nie so nah, daß ihn meine Arme umfangen
hätten.“ Von der Zeit an kam weder Speise noch Trank
über der Frauen Mund; eilf Tage lebte sie, und am
zwölften schied sie davon. Ihr Herr aber, aus Jammer,
daß er sie so unehrlich verraten, stach sich mit einem
Messer tot.
501. Schreckenwalds Rosengarten.
Psellionorus, Lustgarten. Straßb. 1621. G. 681, 682.
Unterhalb Mölk in östreich, auf dem hohen Ag—
stein, wohnte vor Zeiten ein furchtbarer Räuber, namens
Schreckenwald. Er lauerte den Leuten auf und nach—
dem er sie beraubt hatte, sperrte er sie oben auf dem
steilen Felsen in einen engen, nicht mehr als drei Schritte
langen und breiten Raum, wo die Unglücklichen vor
Hunger verschmachteten, wenn sie sich nicht in die schreck—
liche Tiefe des Abgrunds stürzen und ihrem Elend ein
Ende machen wollten. Einmal aber geschah es, daß
jemand kühn und glücklich springend auf weiche Baum—
äste fiel und herab gelangte. Dieser offenbarte min nach
vollbrachter Rettung das Raubnest und brachte den
Räuber gefangen, der mit dem Schwert hingerichtet
wurde. Sprichwörtlich soll man von einem Menschen,
Margareta Maultasch.
173
der sich aus höchster Not nur mit Leib- und Lebensgefahr
retten mag, sagen: er sitzt in Schreckenwalds Rosen—
gärtlein.
502. Margareta Maultasch.
Nachr. von Gespenstern. Frankf. 1737. S. 6066.
Dgl. Aventin Bl. 40r a.
In Tirol und Kärnthen erzählen die Einwohner viel
von der umgehenden Margareta Maultasch, welche vor
alten Zeiten Fürstin des Landes gewesen und ein so
großes Maul gehabt, davon sie benannt wird. Die
Klagenfurter gehen nach der Betglocke nicht gern ins
Zeughaus, wo ihr Panzer verwahret wird, oder ihr Vor—
witz wird mit derben Maulschellen gestraft. Am großen
Brunnen, da wo der aus Erz gegossene Drache steht,
sieht man sie zu gewissen Zeiten auf einem dunkelroten
Pferde reiten. Unfern des Schlosses Osterwik stehet ein
altes Gemäuer; manche Hirten, die da auf dem Felde
ihre Herden weideten, nahten sich unvorsichtig und wurden
mit Peitschenhieben empfangen. Man hat darum gewisse
Zeichen aufgesteckt, über welche hinaus keiner dort sein
Vieh treibt; und selbst das Vieh mag das schöne, fette
Gras, das an dem Orte wächst, nicht fressen, wenn un—
wissende Hirten es mit Mühe dahingetrieben haben.
Zumal aber erscheint der Geist auf dem alten Schlosse
bei Meran, neckt die Gäste und soll einmal mit dem
bloßen Schwerte auf ein neuvermähltes Brautpaar in
der Hochzeitnacht eingehauen haben; doch ohne jemand
zu töten. In ihrem Leben war diese Margareta kriege—
risch, stürmte und verheerte Burgen und Städte, und
vergoß unschuldiges Blut.
174
Dieterichstein in Kärnthen
503. Dieterichstein in Kärnthen.
Hieron. Megiser Chronik von Kärnthen II. g73.
Als bei fortwährender Belagerung des Schlosses Diet⸗
richstein (im Jahr 1334) die Obersten gesehen, daß sie
den Platz in die Länge wider die Frau Margareta Maul—
tasch nicht erhalten möchten, da sie ihnen zu mächtig
gewesen; darzu dann auch kommen, daß sie von Erz—
herzog Otten keine Hilf' auf diesmal zu verhoffen gehabt:
sind sie hierauf mit einhelligem Gemüt auf einen Abend,
da ein gewaltiger Nebel eingefallen, in aller Stille mit
dem ganzen kärnthischen Kriegsvolk von Dietrichstein ab—
gezogen und ganz glücklich in die Stadt St. Veit gekommen,
dessen sich eine ganze Bürgekrschaft höchlich erfreut hat.
Wie nun aber die Maultaschischen folgendes Tages mit
Stürmung angehalten und keinen einigen Widerstand
befunden, konnten sie leichtlich aus dem stillen Wesen
abnehmen, daß die Unsern sie betrogen und das Schloß
ihnen leer verlassen hätten; darum Frau Maultasch im
Zorn entbrannt mit großem Geschrei die Ihren nötiget
und zwang, die Mauern zu ersteigen und das Haus ein⸗
zunehmen; welches sie leichtlich, weil niemand darauf
gewesen, tun können; und eroberten es also und wurden
die Mauern ungestümmiglich zerbrochen, die Türm' und
Tore alle der Erden gleich eingerissen, die Zimmer ver—
brannt und ließen sie allda wenig Gebäu aufrecht stehen.
Damit ist Dieterichstein von der Maultasch zerstört und
gräulich verwüst worden, das doch die Herren von Diete—
richstein folgender Zeit wieder aufgebaut und in etwas
bewohnt gemacht haben. Es ist die gemeine Sage im
Land, wie daß in diesem verödeten Schloß ein groß un—
säglich Gut soll verborgen liegen; wie dann heutzutage
oft geschehen soll, wenn man recht in das verfallne
Die Maultasch⸗-Schutt.
175
Gebäu kommt, daß sich ein solches Werfen, Poltern und
Sausen erhebt, gleich als wenn es alles über einen Haufen
werfen wollt; darum sich denn auch niemand unterstehen
darf, lang an diesem Ort zu bleiben.
504. Die Maultasch-Schutt.
Megiser Chronik von Kärnthen II, 974 -977.
Valvassor Ehre von Crain. B. 15. S. 317.
Wie das Schloß Dieterichstein von der Frau Margreth
Maultasch (im Jahr 1334) belagert und verwüstet
worden, sind hiezwischen viele Herren und Landleut aus
Kärnthen mit Weib und Kind in eilender Flucht gen
Osterwitz kommen, dem edlen und gestrengen Herrn
Reinher Schenk zugehörig, von dem sie dann mit großen
Ehren sind empfangen worden. An diesem Orte, als
von Natur überaus stark und ungewinnlich, hatten sie
alle gute Hoffnung, mit den Ihren vor der Tyrannin
sicher zu bleiben. Es liegt aber Osterwitz eine Meil
Wegs von St. Veit gegen Völkelmarkt wärts zu der
rechten Hand, auf einem starken und sehr hohen Felsen,
der an keinem Ort mag weder gestürmt noch angelaufen
werden. Nun zog aber Frau Maultasch mit ihrem
Kriegsvolk stracks auf Osterwitz zu, sonderlich nachdem
sie verstanden, daß ein großer Adel allda beisammen
wäre; des endlichen Vorhabens, so lange davor zu liegen,
bis sie solches in ihre Gewalt bringen und der vorbe⸗
rührten Herren und Frauen würde habhaft sein. Wie
solches dem Herrn Reinher Schenk von seinen Kund⸗
schaftern angekündigt worden, hat er hierauf unverzogen—
lich seine Kriegsleute, derselben nicht viel über dreihundert
gewesen, mit großem Fleiß auf die Wehren der Mauern
und allenthalben auf dem hohen Berg geordnet und gar
176 Die Maultasch⸗Schutt.
nichts unterlassen, was auf dieses Mal dazu gedienet.
Hiezwischen kam die Frau Maultasch so weit hinaus,
daß sie mit den Ihren das Feld weit und breit einge—
nommen, auch das Schloß in dem Gezirk also umringet,
daß schier niemand zu den Belagerten kommen oder aus
der Festung weichen konnte. Und weil die Tyrannin
gesehen, daß es unmöglich, Osterwitz zu begwaltigen,
hat sie demnach, in der Zeit der Belagerung, den armen
Bauersleuten in den Dörfern mit Brennen, Rauben,
Morden und anderen Gewalttätigkeiten nicht geringen
Schaden zugefügt; wie dessen die zerbrochenen Schlösser
und Burgen noch heutiges Tages genügsame Zeuguis
geben. Doch als sie zuletzt gesehen, daß sie Zeit umsonst
und vergeblich vertrieben, auch mit all ihrer Gewalt
wenig ausrichten würde, hat sie so viel im Rat befunden,
ihre Gesandten an Reinher Schenk zu verordnen, mit
dem Befehl, daß sie ihn mit vielen und reichen Ver—
heißungen dahin bewegen sollten, das Schloß Osterwitz
ihr zu übergeben und mit den Seinen frei abzuziehen.
Als auf solche Werbung Herr Reinher Schenk abschläg—
lich antwortete und sagen ließ, „er müsse ein Kind sein,
wenn er darauf horchen und nach ihren Drohungen
fragen wollte“, also daß die Gesandten mit betrübtem
Herzen ins Lager zurückkamen: rieten ihr alle, den Ort,
da mit Gewalt nichts auszurichten wäre, auszuhungern,
und mit solchem Mittel den kärnthischen Adel zum Brett
zu treiben. Welchem getreuen Rat auch Frau Maul—
tasch nachkommen wollte, weil doch keine andere Ge—
legenheit vorhanden war, ihres Willens habhaft zu werden.
Weil dann nun diese Belagerung ziemlich lange ge—
währet, entstand hiezwischen in dem Schloß zu Osterwitz
nicht allein unter den gemeinen Knechten, sondern auch
denen von Adel, sonderlich aber bei dem Frauenzimmer
Die Maultasch-Schutt.
177
ein großer Mangel in allen Sachen, vornehmlich aber
an Wasser, daß auch täglich viel umkamen. Dann es
waren von den dreihundert Knechten kaum hundert über—
blieben, die sich gedrungenerweise mit abscheulicher Speise,
als Katzen⸗, Hund- und Roßfleisch ersättigen mußten.
Indem sich nun etliche vornehme Herren und vom Adel
deswegen miteinander beratschlagten, wie den Sachen zu
tun wäre, erfanden sie endlich einen trefflich guten und
erwünschten Weg. Denn als sie täglich den großen
Jammer vermerkten, und ihnen gar schmerzlich war,
daß sie samt Weib und Kindern in großem Unglück
standen, und noch zukünftiger Zeit mehrerm Unfall möch—
ten unterworfen sein, gingen sie sämtlich zu Herrn Reinher
Schenk und sagten ihm: „wie sie diesmal nur durch
einen listigen Fund, weil sie keine Hilfe von Erzherzog
Dtto zu gewarten hätten, zu erretten wären. Nun hätten
sie eine gute und geschwinde Kriegslist erdacht, damit
den grimmen Feind ab ihrem Hals zu bringen. Näm—
lich dieweil sie gesehen, daß alle Essensspeisen und des
Leibes Notdurft nun bereits verzehrt, und nichts mehr
in ihrer Gewalt wäre als ein dürrer Stier und zwei
Vierling Roggen, so wäre ihr getreuer Rat, Gutdünken
und Meinung, man sollte hierauf den Stier abschlachten,
in dessen abgezogene Haut den Roggen einschütten und
sie also, wohl vermacht, den Berg herabwerfen. Wenn
die Feinde dann solches sähen, würde es ihnen Ursache
geben zu denken, wir wären mit allerlei Notdurft und
Lebensmittel noch reichlich versehen und könnten die Be—
lagerung noch eine gute Zeit ausharren. Derowegen
sie unzweifelich würden aufbrechen und mit dem ganzen
Kriegsheer abziehen“. Diesem Rat kam Herr Reinher
Schenk alsbald nach, ließ den Stier abnehmen, den
Roggen darein tun und solche damit über den Berg
192
Grimm, Sagen II.
178
Radbod von Habsburg.
abstürzen, dem jedermann mit großer Verwunderung zu—
gesehen. Als aber solches Frau Maultasch erfahren, tät
sie hierauf einen lauten hellen Schrei und sagte: „Hal
das sind die Klausrappen, so eine gute Zeit ihre Nahruug
in die Kluft zusammengetragen, und auf den hohen
Felsen sich versteckt haben, die wir nicht so leichtlich in
unsere Klauen werden fassen können; darum wir sie in
ihrem tiefen Nest sitzen und andere gemästete Vögel
suchen wollen.“ Hat von Stund an darauf ihren Kriegs—
leuten geboten, daß ein jeder insonderheit seine Sturm—
haube voll Erde fassen und solches auf einem ebenen
Felde, gleich gegen Osterwitz über, ausschütten sollte.
Welches, als es beschehen, ist aus derselben Erde ein
ziemlich groß' Berglein worden, das man lange Zeit im
Land zu Kärnten die Maultasch-Schutt genannt hat.
Noch vor kurzem, im Jahr 1580 hat Herr Georg Keven—
hüller, Freiherr zu Aichelberg, als Landeshauptmann von
Kärnten, der Frau Maultasch Bildnis in schönem weißem
Stein ausgehauen lassen, welche Säul das Kreuz bei der
Maultasch-Schutt genannt worden.
505. Radbod von Habsburg.
Felix Faber hist. suev. Lib. II.
Joh. Müller J, 262, not. 161.
Im zehnten Jahrhundert gründete Radbod auf seinem
eigenen Gute im Aargau eine Burg, genannt Habsburg
Gabichtsburg, Felsennest), klein aber fest. Als sie vollendet
war, kam Bischof Werner, sein Bruder, der ihm Geld
dazu hergegeben, den Bau zu sehen, und war unzu—
frieden mit dem kleinen Umfang. Nachts aber ließ Graf
Radbod seine Dienstmannen aufbieten und die Burg um—
ringen. Als nun der Bischof morgens ausschaute und
Rudolf von Strättlingen. 179
sich verwunderte, sprach sein Bruder: „Ich hab' eine
lebendige Mauer erbaut, und die Treue tapferer Männer
ist die festeste Burg.“
506. Rudolf von Strättlingen.
Chronik von Einigen und Strättlingen.
Wyyß Schweizersagen S. 187194. Vgl. 329.
König Rudolf von Burgund herrschte mächtig zu
Strättlingen auf der hohen Burg; er war gerecht und
mild, baute Kirchen weit und breit im Lande; aber zu—
letzt übernahm ihn der Stolz, daß er meinte, niemand
und selbst der Kaiser nicht, sei ihm an Macht und Reich⸗
tum zu vergleichen. Da ließ ihn Gott der Herr sterben;
alsbald nahte sich der Teufel und wollte seine Seele emp—
fangen; dreimal hatte er schon die Seele ergriffen, aber
Sankt Michael wehrte ihm. Und der Teufel verlangte
von Gott, daß des Königs Taten gewogen würden; und
wessen Schale dann schwerer sei, dem solle der Zuspruch ge—
schehen. Michagel nahm die Wage und warf in die eine
Schale, was Rudolf Gutes, in die andere, was er Böses
getan hatte; und wie die Schalen schwankten und
sachte die gute niederzog, wurde dem Teufel angst, daß
seine auffahre; und schnell klammerte er sich von unten
dran fest, daß sie schwer hinuntersank. Da rief Michael:
„Wehe, der erste Zug geht zum Gericht!“ Drauf hebt er
zum zweitenmal die Wage, und abermal hängte sich Satan
unten dran und machte seine Schale lastend. „Wehe —
sprach der Engel — der zweite Zug geht zu Gericht!“
Und zum drittenmal hob er und zögerte; da erblickte
er die Krallen des Drachen am schmalen Rand der Wag—
schale, die sie niederdrückten. Da zürnte Michgel und
verfluchte den Teufel, daß er zur Hölle fuhr; langsam
12*
180 Idda von Tokenburg. Auswanderung der Schweizer.
nach langem Streit hob sich die Schale des Guten um
eines Haares Breite, und des Königs Seele war gerettet.
507. Idda von Tokenburg.
Vita S. Iddae cum genealogiis comitum de Tokenburg aus dem Alt⸗
deutschen von Albr. v. Bonstetten, im Jahr 1481 übersetzt. repr.
Constanc. 1685. 8.
Tschudi ad 1142. 1177.
Val. Joh. Müller J. 402. 403.
Ein Rabe entführte der Gräfin Idda von Token—
burg, des Geschlechtes von Kirchberg, ihren Brautring
durch ein offenes Fenster. Ein Dienstmann des Grafen
Heinrichs, ihres Gemahls, fand und nahm ihn auf; der
Graf erkannte ihn an dessen Finger. Wütend eilte er zu
der unglücklichen Idda und stürzte sie in den Graben der
hohen Tokenburg; den Dienstmann ließ er am Schweif
eines wilden Pferdes die Felsen herunterschleifen. Indes
erhielt sich die Gräfin im Herabfall an einem Gesträuch,
wovon sie sich nachts losmachte. Sie ging in einen
Wald, lebte von Wasser und Wurzeln; als ihre Unschuld
klar geworden, fand ein Jäger die Gräfin Idda. Der
Graf bat viel; sie wollte nicht mehr bei ihm leben, sondern
blieb still und heilig im Kloster zu Fischingen.
508. Auswanderung der Schweizer.
Westfriesenlied, noch lautbar in Oberhasli, ausgezogen in Spaziers Wan
derungen durch die Schweiz. S. Z43 ff.
Etterlins Chronik. Basel 1764. G. 18. 19. 20.
Val. Joh. Müller Buch J. c. 15.
Es war ein altes Königreich im Lande gegen Mitter—
nacht, im Lande der Schweden und Friesen;“) über dasselbe
*) Das Lied nennt den damaligen Konig Risbert und den
Grafen Christoph von Ostfriesland.
Auswanderung der Schweizer. 181
kam Hunger und teure Zeit. In dieser Not sammelte
sich die Gemeinde; durch die meisten Stimmen wurde be—⸗
schlossen, daß jeden Monat das Volk zusammenkommen
und losen sollte; wen das Los träfe, der müsse bei Lebens⸗
strafe aus dem Land ziehen, Hohe und Niedere, Männer,
Weiber und Kinder. Dies geschah eine Zeitlang; aber
es half bald nicht aus, und man wußte den Menschen
keine Nahrung mehr zu finden. Da versammelte sich
nochmals der Rat und verordnete: es solle nun alle acht
Tage der zehnte Mann losen, auswandern und nimmer—
mehr wiederkehren. So geschah der Ausgang aus dem
Land in Mitternacht, über hohe Berge und tiefe Täler,
mit großem Wehklagen aller Verwandten und Freunde;
die Mütter führten ihre unmündigen Kinder. In drei
Haufen zogen die Schweden, zusammen sechstausend
Männer, groß wie die Riesen, mit Weib und Kindern,
Hab und Gut. Sie schwuren, sich einander nie zu ver—
lassen, und erwählten drei Hauptleute über sich durchs Los,
deren Namen waren Switer (Schweizer), Swey und
Hasius. Zwölfhundert Friesen schlossen sich ihnen au.
Sie wurden reich an fahrendem Gut durch ihren sieg—
haften Arm. Als sie durch Franken zogen und über den
Rheinstrom wollten, ward es Graf Peter von Franken
kund und anderen; die machten sich auf, wollten ihren
Zug wehren und ihnen die Straße verlegen. Die Feinde
dachten, mit ihrem starken Heer das arme Volk leicht zu be⸗
zwingen, wie man Hunde und Wölfe jagt, und ihnen
Gut und Waffen zu nehmen. Aber die Schweizer schlugen
sich glücklich durch, machten große Beute und baten zu
Gott um ein Land, wie das Land ihrer Altvordern, wo
sie möchten ihr Vieh weiden in Frieden; da führte sie
Gott in die eine Gegend, die hieß das Brochenburg. Da
wuchs gut Fleisch und auch Milch, und viel schönes
182 Die Ochsen auf dem Acker zu Melchtal.
Korn, daselbst saßen sie nieder und bauten Schwytz, ge—
nannt nach Schwyzer, ihrem ersten Hauptmann. Das
Volk mehrte sich, in dem Tal war nicht Raum genug,
sie hatten manchen schweren Tag, eh ihnen das Land
Nützen gab; den Wald ausrotten, war ihr Geigenbogen.
Ein Teil der Menge zog ins Land an den schwarzen
Berg, der jetzt Braun-eck heißt. Sie zogen über das
Gebirge ins Tal, wo die Aar rinnt, da werkten sie emsig
zu Tag und Nacht und bauten Hütten. Die aber aus
der Stadt Häßle in Schweden stammten, besetzten Hasli
im Weißland (Oberhasli) und wohnten daselbst unter
Hasius, dem dritten Hauptmann. Der Graf von Habs—
burg gab ihnen seine Erlaubnis dazu. Gott hatte ihnen
das Land gegeben, daß sie drinnen sein sollten; aus
Schweden waren sie geboren, trugen Kleider aus grobem
Zwilch, nährten sich von Milch, Käse und Fleisch und
erzogen ihre Kinder damit.
Hirten wußten noch zwischen 1777--80 zu erzählen:
wie in alten Jahrhunderten das Volk von Berg zu Berg,
aus Tal in Tal, nach Frutigen, Obersibental, Sanen,
Afflentsch und Jaun gezogen; jenseits Jaun wohnen
andere Stämme. Die Berge waren aber vor den Tälern
bewohnt.
509. Die Ochsen auf dem Acker zu Mrelchtal.
Etterlin S. 25.
Es saß zu Sarnen einer von Landenberg, der war
daselbst Vogt; der vernahm, daß ein Landmann in
Melchtal einen hübschen Zug Ochsen hätte, da fuhr er
zu, schickte einen Knecht und hieß ihm die Ochsen bringen;
„Bauernsollten den Pflug ziehen, er wolle die Ochsen haben.“
Der Knecht tat, was ihm befohlen war; nun hatte der
Der Landvogt im Bad. 183
arme fromme Landmann einen Sohn; als der Knecht
die Joche der Ochsen aufbinden wollte, schlug der Sohn
mit dem Garb (Stecken) dem Knecht den Finger entzwei.
Der gehub sich übel, ging heim und klagte. Der gute
arme Knabe versah sich wohl: wo er nicht wiche, daß er
darum leiden müßte, floh und entrann. Der Herr ward
zornig und schickte noch mehr Leute aus, da war der
Junge entronnen; da fingen sie den alten Vater, dem
ließ der Herr die Augen ausstechen und nahm ihm, was
er hatte.
510. Der Landvogt im Bad.
Etterlin S. 265. 26.
Zu den Zeiten war auch ein Biedermann auf Allzellen
im Wald gesessen, der hatte eine schöne Frau, die gefiel
dem Landvogt und hätte sie gern zu seinem Willen ge—
habt. Weil er aber sah, daß das wider den Willen der Frau
war, und sie ihn bat, abzustehen und sie unbekümmert
zu lassen, denn sie wolle fromm bleiben: da dachte er
die Frau zu zwingen. Eines Tages ritt er zu der Frauen
Haus; da war der Mann ungefähr zu Holz gefahren;
da zwang er die Frau, daß sie ihm ein Bad machen
mußte, das tat sie unwillig. Da das Bad gemacht war,
saß der Herr hinein und wollte, daß die Frau sich zu
ihm ins Bad setzte; das war die gute Frau nicht willens
und verzog die Sache, solange sie mochte, bat Gott, daß
er ihre Ehre beschirmen und beschützen möge. Und Gott
der Herr verließ sie in ihren Nöten nicht; denn da sie
am größten waren, kam der Mann eben bei Zeit aus
dem Walde; und wäre er nicht gekommen, so hätte die
Frau des Herren Willen tun müssen. Da der Mann
gekommen war und seine Frau traurig stehen sah, fragte
184
Der Bund in Rutli.
er, was ihr wäre, warum sie ihn nicht fröhlich empfänge?
Ach lieber Mann — sagte sie — unser Herr ist da innen
und zwang mich, ihm ein Bad zu richten; und wollte
gehabt haben, daß ich zu ihm säße, seinen Mutwillen
mit mir zu verbringen, das hab' ich nicht wollen tun.
Der Mann sprach: „Ist dem also, so schweig still, und sei
Gott gelobt, daß du deine Ehre behalten hast; ich will
ihm schon das Bad gesegnen, daß er's keiner mehr tut.“
Und ging hin zum Herrn, der noch im Bad saß und der
Frauen wartete, und schlug ihn mit der Art zu Tode.
Das alles wollte Gott.
511. Der Bund in Rütli.
Etterlin S. 26. 27. 26.
Einer von Schwitz, genannt Stöffacher, saß zu Steinen,
dieshalb der Burg, der hatte gar ein hübsches Haus er—
baut. Da ritt auf eine Zeit Grißler, Vogt zu des Reichs
Handen in Uri und Schwitz, vorüber, rief dem Stöf—
facher und fragte: weß die schöne Herberg wäre? Sprach
der Mann: „Euer Gnaden und mein Lehen“, wagte aus
Furcht nicht zu sprechen, sie ist mein. Grißler schwieg
still und zog heim. Nun war der Stöffacher ein kluger,
verständiger Mann, hatte auch eine fromme, weise Frau;
der setzte sich die Sache zu Herzen und dachte, der Vogt
nähme ihm noch Leib und Gut. Die Frau aber, als sie
ihn bekümmert sah, fragte ihn aus; er sagte ihr alles.
Da sagte sie: „Deß wird noch Rat, geh und klag' es deinen
vertrauten Freunden.“ So geschah es bald, daß drei
Männer zusammenkamen, einer von Uri, der von Schwitz
und der Unterwaldner, dem man den Vater geblendet
hatte. Diese drei schwuren heimlich den ersten Eid, des ewigen
Bundes Anfang, daß sie wollten Recht mehren, Unrecht
Wilhelm Tell.
185
niederdrücken und Böses strafen; darum gab ihnen Gott
Glück. Wann sie aber ihre heimlichen Anschläge tun
wollten, fuhren sie an den Mittenstein, an ein Ende,
heißt im Bettlin, da tageten sie zusammen im Rütli.
Zuerst bei Peter Etterlin von Lucern, Basel 1764. S. 26 —31.
Stumpf und andere.
Spiel vom Tell und altes Volkslied.
512. Wilhelm Tell.
Es fügte sich, daß des Kaisers Landvogt, genannt der
Grißler,) gen Uri fuhr; als er da eine Zeit wohnte,
ließ er einen Stecken unter der Linde, da jedermann vor—
beigehen mußte, richten, legte einen Hut drauf und
hatte einen Knecht zur Wacht dabei sitzen. Darauf gebot
er durch öffentlichen Ausruf: wer der wäre, der da vor—
über ginge, sollte sich dem Hut neigen, als ob der Herr
selber zugegen sei; und übersähe es einer und täte es
nicht, den wollte er mit schweren Bußen strafen. Nun
war ein frommer Mann im Lande, hieß Wilhelm Tell,
der ging vor dem Hut über und neigte ihm kein Mal;
da verklagte ihn der Knecht, der des Hutes wartete, bei
dem Landvogt. Der Landvogt ließ den Tell vor sich
bringen und fragte, warum er dem Stecken und Hut
nicht neige, als doch geboten sei? Wilhelm Tell ant—⸗
wortete: „Lieber Herr, es ist von ungefähr geschehen;
dachte nicht, daß es Euer Gnad' so hoch achten und fassen
würde; wäre ich witzig, so hieß ich anders dann der
Tell.“ Nun war der Tell gar ein guter Schütz, wie man
sonst keinen im Lande fand, hatte auch hübsche Kinder,
die ihm lieb waren. Da sandte der Landvogt, ließ die
———
8) Sonst Geßler. Spiel und Lied nennen ihn gar nicht
mit Namen.
166
Wilhelm Tell.
Kinder holen, und als sie gekommen waren, fragte er
Tellen, welches Kind ihm das allerliebste wäre? „Sie
sind mir alle gleich lieb.“ Da sprach der Herr: „Wilhelm,
du bist ein guter Schütz und find't man nicht deins—
gleichen; das wirst du mir jetzt bewähren; denn du sollst
deiner Kinder einem den Apfel vom Haupte schießen.
Tust du das, so will ich dich für einen guten Schützen
achten.“ Der gute Tell erschrak, fleht um Gnade und
daß man ihm solches erließe, denn es wäre unnatürlich;
was er ihn sonst hieße, wolle er gern tun. Der Vogt
aber zwang ihn mit seinen Knechten und legte dem Kinde
den Apfel selbst aufs Haupt. Nun sah Tell, daß er nicht
ausweichen konnte, nahm den Pfeil und steckte ihn hinten
in seinen Göller, den andern Pfeil nahm er in die Hand,
spannte die Armbrust und bat Gott, daß er sein Kind
behüten wolle; zielte und schoß glücklich ohne Schaden
den Apfel von des Kindes Haupt. Da sprach der Herr:
„Das wäre ein Meisterschuß; aber eins wirst du mir
sagen: was bedeutet, daß du den ersten Pfeil hinten ins
Göller stießest?“ Tell sprach: „Das ist so Schützen Ge—
wohnheit.“ Der Landvogt ließ aber nicht ab und wollte
es eigentlich hören; zuletzt sagte Tell, der sich fürchtete,
wenn er die Wahrheit offenbarte, wenn er ihm das Leben
sicherte, wolle er's sagen. Als das der Landvogt getan,
sprach Tell: „Nun wohl! sintemal ihr mich des Lebens
gesichert habt, will ich das Wahre sagen.“ Und fing an
und sagte: „Ich habe es darum getan, hätte ich des
Apfels gefehlt und mein Kindlein geschossen, so wollte
ich Euer mit dem andern Pfeil nicht gefehlt haben.“ Da
das der Landvogt vernahm, sprach er: „Dein Leben ist
dir zwar zugesagt; aber an ein Ende will ich dich legen,
da dich Sonne und Mond nimmer bescheinen;“ ließ ihn
fangen und binden und in denselben Nachen legen, auf
Wilhelm Tell.
187
dem er wieder nach Schwitz schiffen wollte. Wie sie nun
auf dem See fuhren und kamen bis gen Aren hinaus,
stieß sie ein grausamer starker Wind an, daß das Schiff
schwankte und sie elend zu verderben meinten; denn keiner
wußte mehr dem Fahrzeug vor den Wellen zu steuern.
Indem sprach einer der Knechte zum Landvogt: „Herr,
hießet ihr den Tell aufbinden, der ist ein starker, mäch—
tiger Mann und versteht sich wohl auf das Wetter, so
möchten wir wohl aus der Not entrinnen.“ Sprach der
Herr und rief dem Tell: „Willt du uns helfen und dein
Bestes tun, daß wir von hinnen kommen, so will ich dich
heißen aufbinden.“ Da sprach der Tell: „Ja, gnädiger
Herr, ich will's gerne tun und getraue mir's.“ Da ward
Tell aufgebunden und stand an dem Steuer und fuhr
redlich dahin; doch so lugte er allenthalben auf seinen
Vorteil und auf seine Armbrust, die nah bei ihm am
Boden lag. Da er nun kam gegen einer großen Platte —
die man seither stets genannt hat „des Tellen Platte“
und noch heut bei Tag also nennet — deucht es
ihm Zeit zu sein, daß er entrinnen konnte; rief allen
munter zu, fest anzuziehen, bis sie auf die Platte kämen,
denn wenn sie davorkämen, hätten sie das Böseste über—
wunden. Also zogen sie der Platte nah, da schwang er
mit Gewalt, als er dann ein mächtig stark Mann war,
den Nachen, griff seine Armbrust und tat einen Sprung
auf die Platte, stieß das Schiff von ihm und ließ es
schweben und schwanken auf dem See. Lief durch Schwitz
schattenhalb (im dunkeln Gebirg), bis daß er kam gen
Küßnach in die hohle Gassen; da war er vor dem Herrn
hingekommen und wartete sein daselbst. Und als der
Landvogt mit seinen Dienern geritten kam, stand Tell
hinter einem Staudenbusch und hörte allerlei Anschläge,
die über ihn gingen, spannte die Armbrust auf und schoß
188 Der Knabe erzählt's dem Ofen.
einen Pfeil in den Herrn, daß er tot umfiel. Da lief
Tell hinter sich über die Gebirge gen Uri, fand seine Ge⸗
sellen und sagte ihnen, wie es ergangen war.
513. Der Knabe erzählt's dem Ofen.
Etterlin G. 42, 43.
Joh. Müller II, g2. Bol. II, 215 von der Züricher Mordnacht.
Als auch Luzern dem, ewigen Bunde beigetreten war,
da wohnten doch noch streichischgesinnte in der Stadt,
die erkannten sich an den roten Ärmeln, welche sie trugen.
Diese Rotärmel versammelten sich einer Nacht unter dem
Schwibbogen, willens, die Eidgenossen zu überfallen.
Und wiewohl sonst niemand um so späte Zeit an den
Ort zu gehen pflegte, geschah es damals durch Gottes
Schickung, daß ein junger Knabe unter dem Bogen
gehen wollte, der hörte die Waffen klingen und den Lärm,
erschrak und wollte fliehen. Sie aber holten ihn ein und
drohten hart, wenn er einen Laut von sich gebe, müsse
er sterben. Darauf nahmen sie ihm einen Eid ab, daß
er's keinem Menschen sagen wolle; er aber hörte alle
ihre Anschläge und entlief ihnen unter dem Getümmel,
ohne daß man sein achtete. Da schlich er und lugte, wo
er Licht sähe, und sah ein groß Licht auf der Metzger⸗
stube, war froh und legte sich dahinten auf den Ofen.
Es waren noch Leute da, die tranken und spielten. Und
der gute Knab fing laut zu reden an: „O Dfen, Dfen!“
und redete nichts weiter. Die andern hatten aber kein
Acht drauf. Nach einer Weile fing er wieder an: „D
Dfen, Ofen, dürft' ich reden.“ Das hörten die Gesellen,
schnarzten ihn an: „Was Gefährts treibst du hinterm
Ofen? Hat er dir ein Leid getan, bist du ein Narr, oder
was sonst, daß du mit ihm schwatzest?“ Da sprach der
Der Luzerner Harschhörner. Ursprung der Welfen. 189
Knab: „Nichts, nichts, ich sage nichts.“ Aber eine Weile
drauf hub er an zum drittenmal und sagte laut:
„O Ofen, Ofen, ich muß dir klagen,
ich darf es keinem Menschen sagen;“
setzte hinzu, daß Leute unterm Schwibbogen stünden, die
wollten heunt einen großen Mord tun. Da die Gesellen
das hörten, fragten sie nicht lange nach dem Knaben,
liefen und taten's jedermann kund, daß bald die ganze
Stadt gewarnt wurde.
514. Der Luzerner Harschhörner.
Etterlin G. 11. J
Simler, Eidgenossenschaft. Zürich 1645. 8. S. 340.
Die Schweizer brauchen Trompeten, Trummeln und
Pfeiffen, doch ist ein großer Unterschied zwischen dem
lundsknechtischen und eidgenössischem Schlag; denn der
ist etwas gemächer. Die von Uri haben einen Mann
dazu verordnet, den man den Stier von Uri nennt,
der im Krieg ein Horn von einem wilden Urochsen bläst,
schön mit Silber beschlagen. Die von Luzern brauchen
aber ehrine Harschhörner, die gab ihnen König Karl zu
Ehren, als sie tapfer stritten in der rumcifaller Schlacht.
Da gönnte er ihnen, daß sie immerdar Hörner führen
möchten und sollten, wie sie Roland sein eigner Vetter
auch geführt.
515. Ursprung der Welfen.
Reiner Reineck von Steinheim brandenburger Chronica. Wittenberg
1580. 4. gleich Eingangs nach alten Chroniken.
CroSVS cun. suev. dod. J. p. 337. (uach Brusch ex relatu senum.)
Bucelinus., monachus weingartensis in Germ. s. et prof. T. 2. p. 363.
Warin war ein Graf zu Altorf und Ravensburg in
Schwaben, sein Sohn hieß Isenbart und Irmentrut
190
Ursprung der Welfen.
dessen Gemahlin. Es geschah, daß ein armes Weib un—
weit Altorf drei Kindlein auf einmal zur Welt brachte;
als das Irmentrut die Gräfin hörte, rief sie aus: „Es
ist unmöglich, daß dies Weib drei Kinder von einem
Mann haben könne ohne Ehebruch.“ Dieses redete sie
öffentlich vor Graf Isenbart ihrem Herrn und allem
Hofgesinde. Und diese Ehebrecherin verdiene nichts
anders, als in einen Sack gesteckt und ertränkt zu
werden.
Das nächste Jahr wurde die Gräfin selbst schwanger
und gebar, als der Graf eben ausgezogen war, zwölf
Kindlein, eitel Knaben. Zitternd und zagend, daß man
sie nun gewiß, ihren eigenen Reden nach, Ehebruchs
zeihen würde, befahl sie der Kellnerin, die andern elfe
(denn das zwölfte behielt sie) in den nächsten Bach zu
tragen und zu ersäufen. Indem nun die Alte diese elf
unschuldigen Knäblein in ein großes Becken gefaßt, in
den vorfließenden Bach, die Scherz genannt, tragen
wollte, schickte es Gott, daß der Isenbart selber heim
kam und die Alte frug, was sie da trüge? Welche ant—
wortete: es wären Welfe oder junge Hündlein. „Laß
schauen — sprach der Graf — ob mir einige zur Zucht
gefallen, die ich zu meiner Notdurft hernach gebrauchen
will.“ „Ei, Ihr habt Hunde genug — sagte die Alte
und weigerte sich — Ihr möchtet ein Grauen nehmen,
sähet Ihr einen solchen Wust und Unlust von Hunden.“
Allein der Graf ließ nicht ab und zwang sie hart, die
Kinder zu blößen und zu zeigen. Da er nun die elf Kind—
lein erblickte, wiewohl klein, doch von adliger, schöner
Gestalt und Art, fragte er heftig und geschwind: weß die
Kinder wären. Und als die alte Frau bekannte und ihn des
ganzen Handels verständigte, wie, daß nämlich die Kind⸗
lein seinem Gemahl zustünden, auch aus was Ursach sie
Ursprung der Welfen.
191
hätten umgebracht werden sollen, befahl der Graf diese
Welfen einem reichen Müller der Gegend, welcher sie
aufziehen sollte; und verbot der Alten ernstlich, daß sie
wiederum zu ihrer Frau ohne, Furcht und Scheu gehen
und nichts anders sagen sollte, als: ihr Befehl sei aus—
gerichtet und vollzogen worden.
Sechs Jahre hernach ließ der Graf die elf Knaben,
adlig geputzt und geziert, in sein Schloß, da itzo das
Kloster Weingarten stehet, bringen, lud seine Freundschaft
zu Gast und machte sich fröhlich. Wie das Mahl schier
vollendet war, hieß er aber die elf Kinder, alle rot ge—
kleidet, einführen; und alle waren dem zwölften, den die
Gräfin behalten hatte, an Farbe, Gliedern, Gestalt und
Größe so gleich, daß man eigentlich sehen konnte, wie
sie von einem Vater gezeugt und unter einer Mutter
Herzen gelegen wären.
Unterdessen stand der Graf auf und frug feierlich seine
gesamte Freundschaft: „Was doch ein Weib, die so herr—
licher Knaben elfe umbringen wollen, für einen Tod ver—
schulde?“ Machtlos und ohnmächtig sank die Gräfin bei
diesen Worten hin; denn das Herz sagte ihr, daß ihr
Fleisch und Blut zugegen waren; als sie wieder zu sich
gebracht worden, fiel sie dem Grafen mit Weinen zu
Füßen und flehte jämmerlich um Gnade. Da nun alle
Freunde Bitten für sie einlegten, so verzieh der Graf
ihrer Einfalt und kindlichen Unschuld, aus der sie das
Verbrechen begangen hatte. Gottlob, daß die Kinder
am Leben sind.
Zum ewigen Gedächtnis der wunderbaren Geschichte
begehrte und verordnete in seiner Freunde Gegenwart
der Graf, daß seine Nachkommen sich fürder nicht mehr
Grafen zu Altorf, sondern Welfen und sein Stamm der
Welfen Stamm heißen sollten.
192 Welfen und Giblinger. Herzog Bundus, gen. der Wolf
Andere berichten des Namens Entstehung auf folgende
verschiedene Art:
Der Vorfahre dieses Geschlechtes habe sich an des
Kaisers Hof aufgehalten, als er von seiner eines Sohns
entbundenen Gemahlin zurückgerufen wurde. Der Kaiser
sagte scherzweise: „Was eilst du um eines Welfen willen,
der dir geboren ist?“ Der Ritter antwortete: Weil nun
der Kaiser dem Kind den Namen gegeben, solle das
gelten; und bat ihn, es zur Taufe zu halten, welches
geschah.
516. Welfen und Giblinger.
Alte Zusätze zu Königshofen, ed. Schilter S. 424.
Vgl. Pfister schwäb. Gesch. II. S. 176.
Herzog Friedrich von Schwaben, Conrads Sohn, über—
wand die Bayern unter ihrem Herzog Heinrich und dessen
Bruder Welf in dem Rieß (Holz) bei Neresheim. Welf
entfloh aus der Schlacht, wurde aber im nächsten Streit
vor Winsperg erstochen. Und war die Krei ESchlacht⸗
geschrei) des bayrischen Heeres: „die Welf!“ Aber die
Schwaben: „hier Gibling!“ und ward die Krei ge—
nommen von einem Wiler, darin die Säugamme Fried⸗
richs war; und wollte damit bezeugen, daß er durch seine
Stärke, die er durch die Bauernmilch empfangen hätte,
die Welfen überwinden könne.
517. Herzog Bundus, genannt der Wolf.
Lirer schwäb. Chronik. Cop. 17.
Herzog Balthasar von Schwaben hatte Herzog Albans
von München Tochter zur Ehe, die gebar ihm in vierzehn
Jahren kein Kind. Da hatte der Herzog einen Jäger,
Herzog Bundus, genannt der Wolf. 193
dem er in allen Dingen traute; mit dem legte er's an,
wenn des Jägers Frau schwanger würde, daß er es heim—
lich hielte, so sollte sein Gemahl tun, als ob sie schwanger
wäre. Wann dann sein Weib genese, solle er das Kind
bringen und es die Herzogin für ihres ausgeben. Das
geschah. Da war große Freude und nannten das Kind
Bundus. Nun hatten des Jägers Nachbarn zu der—
selben Nacht etwas Ungeheures gehört, die fragten: was
es gewesen wäre? Er sagte ihnen: seine Jagdhunde
hätten gewelfet. Da der Knabe vierzehn Jahr alt war,
da wollt er nun bei den Jägern sein; und da er in dem
zweiundzwanzigsten Jahr war, starb der alte Herzog; da
wollten sie dem jungen eine Frau geben, die Herzogin
von Gelder. Indem schlug der Jäger einen am Hof und
wurde in den Turn gelegt; da kam des Jägers Weib,
begehrte heimlich mit dem Herrn zu reden. Das trieb
sie so ernstlich, daß sie der Herr ein hieß gehn und jeder⸗
mann hinaus. Da fiel sie ihm um den Hals und sprach:
„Herzlieber Sohn!“ und sagte ihm, daß der Jäger sein
Vater wäre und wie es ein Gestalt hätte ganz überall.
Da erschrak er von Herzen sehr und besandte seinen
Beichtvater; der wollte ihm nicht raten, ein Weib zu
nehmen, er möge dann seine Seele verlieren. Da nahm
er Hugo des Herrn vom Heiligenberg Sohn zu sich und
hieß ihm die Herzogin von Geldern geben, mit aller
Landsherren Willen; und kam mit ihnen überein, daß
dieser sein Lebtag das Herzogtum inhaben und beherrschen
sollte. Herzog Bundus aber nahm viel Geld und einige
liegende Güter, damit kam er ins Gotteshaus Altorf,
diente Gott ernstlich neunundzwanzig Jahr. Und als er
sterben wollte, besandte er Herzog Hugo und die mächtigsten
Landesherren und offenbarte ihnen, weß Sohn er wäre,
und den ganzen Verlauf. Da ward er geheißen Herzog
Grimm, Sagen II. 13
194 Heinrich mit dem güldenen Wagen.
Wolf (Welf) und also in die Gedächtnis und Jahrzahl
geschrieben.
518. Heinrich mit dem güldenen Wagen.
Annalista Saxo p. 660.
Ludewis reliꝗ T. 8. p. x30.
Bange thür. Chron. Bl. Zo, Zx.
Aventin bair. Chron. Bl. Z04 und 363.
Zu Zeiten König Ludwigs von Frankreich lebte in
Sαιιιι α ια
zu Ravenspurg und Altorf; seine Gemahlin hieß Judith,
Königstochter aus Engelland, und ihr Sohn Heinrich.
Eticho war so reich und stolz, daß er einen güldenen
Wagen im Schilde führte und wollte sein Land weder
von Kaiser noch König in Lehen nehmen lassen; verbot
es auch Heinrich seinem Sohne. Dieser aber, dessen
Schwester Kaiser Ludwig vermählt,war, ließ sich einmal
von derselben bereden, daß er dem Kaiser ein Land ab—
forderte und bat, ihm so viel zu verleihen, als er mit
einem, güldenen Wagen in, einem, Vormittag umfahren
könnte in Bayern. Das geschah,“ Ludwig aber traute
ihm nicht solchen Reichtum zu, daß er einen güldenen
Wagen vermöchte. Da hatte Heinrich immer frische Pferde
und umfuhr ein groß Fleck Lands und hatte einen güldenen
Wagen im Schoß. Ward also des Kaisers Mann. Darum
nahm sein Vater, im Zorn und aus Scham, sein edles
Geschlecht so erniedrigt zu sehen, zwölf Edelleute zu sich,
ging in einen Berg und blieb darinnen, vermachte das
Loch, daß ihn niemand, finden konnte. Das geschah bei
dem Scherenzer*) Walde, darin verhaͤrmte er, sich mit
den zwölf Edelleuten.
*) Scerenzerewald ist die älteste und beste Lesart; andere
haben Scherendewald.
Heinrich mit dem güldenen Pfluge. 195
519. Heinrich mit dem güldenen Pfluge.
R. Reinecdeii expositiones geminae de Welforum prosapia. Frankof. 1581.
iol. p. 22, 23. aus einer handschriftl. altdeutschen Chronik. Desgl. auch
in der deutschen Ausgabe des Reinek. Wittenb. 1580. 4.
Eticho der Welf liebte die Freiheit dergestalt, daß er
Heinrich seinem Sohne heftig abriet, er möchte kein Land
vom Kaiser zu Lehen tragen. Heinrich aber, durch Zu—
tun seiner Schwester Judith, die Ludwig dem Frommen
die Hand gegeben hatte, tat sich in des Kaisers Schutz
und Dienst und erwarb von ihm die Zusage, daß ihm
so viel Landes geschenkt sein solle, als er mit seinem Pfluge
zur Mittagszeit umgehen könne. Heinrich ließ darauf
einen goldenen Pflug schmieden, den er unter seinem
Kleide barg; und zur Mittagszeit, da der Kaiser Schlaf
hielt, fing er an, das Land zu umziehen. Er hatte auch
an verschiedenen Orten Pferde bereit stehen, wenn sie
ermüdeten, gleich umzuwechseln. Endlich, wie er eben
einen Berg überreiten wollte, kam er an ein böses Mutter⸗
pferd, die gar nicht zu bewingen war, so daß er sie nicht
besteigen konnte. Daher der Berg davon Mährenberg
heißt, bis auf den heutigen Tag; und die varensburger
Herren das Recht behaupten, daß sie nicht genötiget
werden können, Stuten zu besteigen. Mittlerweile war
der Kaiser aufgewacht und Heinrich mußte einhalten.
Er ging mit seinem Pfluge am Hof und erinnerte Ludwig
an das gegebene Wort. Dieser hielt es auch; wiewohl
es ihm leid tat, daß er so belistet und um ein großes
Land gebracht worden. Seitdem führte Heinrich den
Namen eines Herrn von Ravensburg; denn Ravensburg
lag mit im umpflügten Gebiet: da seine Vorfahren bloß
Herren von Altorf geheißen hatten.
Als aber Eticho hörte, daß sich sein Sohn hatte be—
lehnen lassen, machte er sich traurig auf aus Bayern,
73*
196
Heinrich der Löwe
zog mit zwölfen seiner treusten Diener auf das Gebirg,
ließ alle Zugänge sperren und blieb da bis in sein Lebens—
ende. Späterhin hieß einer seiner Nachfahren, um Ge—
wißheit zu erlangen, die Gräber auf dem Gebirg suchen
und die Totengebeine ausgraben. Da er nun die Wahr—
heit völlig daran erkannt hatte, ließ er an dem Ort eine
Kapelle bauen und sie da zusammen bestatten.
520. Heinrich der Löwe.
Nach dem Volkslied.
Zu Braunschweig stehet aus Erz gegossen das Denk—
mal eines Helden, zu dessen Füßen ein Löwe liegt; auch
hängtim Dom daselbst eines Greifen Klaue. Davon lautet
folgende Sage: vor Zeiten zog Herzog Heinrich, der edle
Welf, nach Abenteuern aus. Als er in einem Schiff das
wilde Meer befuhr, erhub sich ein heftiger Sturm und
verschug den Herzogen; lange Tage und Nächte irrte er,
ohne Land zu finden. Bald fing den Reisenden die Speise
an auszugehen, und der Hunger quälte sie schrecklich.
In dieser Not wurde beschlossen, Lose in einen Hut zu
werfen; und wessen Los gezogen ward, der verlor das
Leben und mußte der anderen Mannschaft mit seinem
Fleische zur Nahrung dienen; willig unterwarfen sich
diese Unglücklichen und ließen sich für den geliebten Herrn
und ihre Gefährten schlachten. So wurden die übrigen
eine Zeitlang gefristet; doch schickte es die Vorsehung,
daß niemals des Herzogen Los herauskam. Aber das
Elend wollte kein Ende nehmen; zuletzt war bloß der
Herzog mit einem einzigen Knecht noch auf dem ganzen
Schiffe lebendig, und der schreckliche Hunger hielt nicht
stille. Da sprach der Fürst: „Laß uns beide losen, und
auf wen es fällt, von dem speise sich der andere.“ Über
Heinrich der Löwe.
197
diese Zumutung erschrak der trene Knecht, doch so dachte
er, es würde ihn selbst betreffen, und ließ es zu; siehe,
da fiel das Los auf seinen edlen, liebwerten Herrn, den
jetzt der Diener töten sollte. Da sprach der Knecht: „Das
tu' ich nimmermehr, und wenn alles verloren ist, so hab'
ich noch ein anderes ausgesonnen; ich will Euch in einen
ledernen Sack einnähen, wartet dann, was geschehen
wird.“ Der Herzog gab seinen Willen dazu; der Knecht
nahm die Haut eines Ochsen, den sie vordem auf dem
Schiffe gespeist hatten, wickelte den Herzogen darein und
nähte sie zusammen; doch hatte er sein Schwert neben
ihn mit hineingesteckt. Nicht lange, so kam der Vogel
Greif geflogen, faßte den ledernen Sack in die Klauen
und trug ihn durch die Lüfte über das weite Meer bis
in sein Nest. Als der Vogel dieses bewerkstelligt hatte,
sann er auf einen neuen Fang, ließ die Haut liegen und
flog wieder aus. Mittlerweile faßte Herzog Heinrich das
Schwert und zerschnitt die Nähte des Sackes; als die
jungen Greifen den lebendigen Menschen erblickten, fielen
sie gierig und mit Geschrei über ihn her. Der teure Held
wehrte sich tapfer und schlug sie sämtlich zu Tode. Als
er sich aus dieser Not befreit sah, schnitt er eine Greifen⸗
klaue ab, die er zum Andenken mit sich nahm, stieg aus
dem Neste den hohen Baum hernieder und befand sich
in einen weiten wilden Wald. In diesem Walde ging
der Herzog eine gute Weile fort; da sah er einen fürchter—
lichen Lindwurm wider einen Löwen streiten, und der
Löwe schwebte in großer Not zu unterliegen. Weil aber
der Löwe insgemein für ein edles und treues Tier ge⸗
halten wird und der Wurm für ein böses, giftiges, säumte
Herzog Heinrich nicht, sondern sprang dem Löwen mit
feiner“ Hüfe bei. Der Lindwurm schrie, daß es durch
den Wald erscholl, und wehrte sich lange Zeit; endlich
198
Heinrich der Löwe
gelang es dem Helden, ihn mit seinem guten Schwerte
zu töten. Hierauf nahte sich der Löwe, legte sich zu des
Herzogs Füßen neben den Schild auf den Boden und
verließ ihn nimmermehr von dieser Stunde an. Denn
als der Herzog nach Verlauf einiger Zeit, während
welcher das treue Tier ihn mit gefangenem Hirsch und
Wild ernährt hatte, überlegte, wie er aus dieser Einöde
und der Gesellschaft des Löwen wieder unter die Menschen
gelangen könnte, baute er sich eine Horde aus zusammen⸗
gelegtem Holz mit Reiß durchflochten und setzte sie aufs
Meer. Als nun einmal der Löwe in den Wald zu jagen
gegangen war, bestieg Heinrich sein Fahrzeug und stieß
vom Ufer ab. Der Löwe, aber, welcher zurückkehrte und
seinen Herren nicht mehr fand, kam zum Gestade und
erblickte ihn aus weiter Ferne; alsobald sprang er in die
Wogen und schwamm so lange, bis er auf dem Floß
bei dem Herzogen war, zu dessen Füßen er sich ruhig
niederlegte. Hierauf fuhren sie eine Zeitlang auf den
Meereswellen, bald überkam sie Hunger und Elend.
Der Held betete und wachte, hatte Tag und Nacht keine
Ruh; da erschien ihm der böse Teufel und sprach: „Herzog,
ich bringe dir Botschaft; du schwebst hier in Pein und
Not auf dem offenen Meere und daheim zu Braun⸗
schweig ist lauter Freude und Hochzeit; heute an diesem
Abend hält ein Fürst aus fremden Landen Beilager mit
deinem Weibe; denn die gesetzten sieben Jahre seit deiner
Ausfahrt sind verstrichen.“ Traurig versetzte Heinrich:
das möge wahr sein, doch möge er sich zu Gott lenken,
der alles wohl mache. „Du redest noch viel von Gott?
sprach der Versucher — der hilft dir nicht aus diesen
Wasserwogen; ich aber will dich noch heute zu deiner
Gemahlin führen, wofern du mein fein willst.“ Sie
hatten ein lang Gespräche, der Herr wollte sein Gelübde
Heinrich der Löwe.
199
gegen Gott, dem ewigen Licht, nicht brechen; da schlug
ihm der Teufel vor: er wolle ihn ohne Schaden samt
dem Löwen noch heut abend auf den Giersberg vor
Braunschweig tragen und hinlegen, da solle er seiner
warten; finde er ihn nach der Zurückkunft schlafend, so
sei er ihm und seinem Reiche verfallen. Der Herzog,
welcher von heißer Sehnsucht nach seiner geliebten Ge—
mahlin gequält wurde, ging dieses ein und hoffte auf
des Himmels Beistand wider alle Künste des Bösen.
Alsbald ergriff ihn der Teufel, führte ihn schnell durch
die Lüfte bis vor Braunschweig, legte ihn auf dem Giers⸗
berg nieder und rief: „Nun wache, Herr! ich kehre bald
wieder.“ Heinrich aber war aufs höchste ermüdet, und
der Schlaf setzte ihm mächtig zu. Nun fuhr der Teufel
zurück und wollte den Loͤwen, wie er verheißen hatte,
auch abholen; es währte nicht lange, so kam er mit dem
treuen Tiere daher geflogen. Als nun der Teufel, noch
aus der Luft herunter, den Herzog in Müdigkeit ver—⸗
senkt auf dem Giersberge ruhen sah, freute er sich schon
im voraus; allein der Löwe, der seinen Herrn für tot
hielt, hub laut zu schreien an, daß Heinrich in demselben
Augenblicke erwachte. Der böse Feind sah nun sein Spiel
verloren und bereute es zu spät, das wilde Tier herbei⸗
geholt zu haben; er warf den Löwen aus der Luft herab
zu Boden, daß es krachte. Der Löwe kam glücklich auf
den Berg zu seinem Herrn, welcher Gott dankte und sich
aufrichtete, um, weil es Abend werden wollte, hinab in
die Stadt Braunschweig zu gehen. Nach der Burg.war
sein Gang, und der Löwe folgte ihm immer nach, großes
Getöne scholl ihm entgegen. Er wollte in das Fürsten—
haus treten, da wiesen ihn die Diener zurück. „Was
heißt das Getön und Pfeifen? — rief Heinrich aus —
sollte doch wahr sein, was mir der Teusel gesagt? Und
200
Heinrich der Löwe.
ist ein fremder Herr in diesem Haus?“ „Kein fremder
— antwortete man ihm — denn er ist unserer gnädigen
Frauen verlobt und bekommt heute das braunschweiger
Land.“ „So bitte ich — sagte der Herzog — die Braut
um einen Trunk Weins, mein Herz ist mir ganz matt.“
Da lief einer von den Leuten hinauf zu der Fürstin und
hinterbrachte, daß ein fremder Gast, dem ein Löwe mit
folge, um einen Trunk Wein bitten lasse. Die Herzogin
verwunderte sich, füllte ein Geschirr mit Wein und sandte
es dem Pilgrim. „Wer magst du wohl sein — sprach
der Diener — daß du von diesem edlen Wein zu trinken
begehrst, den man allein der Herzogin einschenkt?“ Der
Pilgrim trank, nahm seinen goldenen Ring und warf
ihn in den Becher und hieß diesen der Braut zurück—
tragen. Als sie den Ring erblickte, worauf des Herzogs
Schild und Name geschnitten war, erbleichte sie, stund
eilends auf und trat an die Zinne, um nach dem Fremd—
ling zu schauen. Sie ward den Herrn inne, der da mit
deni Löwen saß; darauf ließ sie ihn in den Saal ent—
bieten und fragen: wie er zu dem Ringe gekommen
wäre, und warum er ihn in den Becher gelegt hätte?
„Von keinem hab' ich ihn bekommen, sondern ihn selbst
genommen, es sind nun länger als sieben Jahre; und
den Ring hab' ich hingeleget, wo er billig hingehört.“
Als man der Herzogin diese Antwort hinterbrachte,
schaute sie den Fremden an und fiel vor Freuden zur
Erden, weil sie ihren geliebten Gemahl erkannte; sie bot
ihm ihre weiße Hand und hieß ihn willkommen. Da
entstand große Freude im ganzen Saal, Herzog Heinrich
setzte sich zu seiner Gemahlin an den Tisch; dem jungen
Bräutigam aber wurde ein schönes Fräulein aus Franken
angetraut. Hierauf regierte Herzog Heinrich lange und
glücklich in seinem Reich; als er in hohem Alter verstarb,
Ursprung der Zähringer.
201
legte sich der Löwe auf des Herrn Grab und wich nicht
davon, bis er auch verschied. Das Tier liegt auf der
Burg begraben, und seiner Treue zu Ehren wurde ihm
eine Säule errichtet.
521. Ursprung der Zähringer.
Chronik von Freyburg, hinter Schillers Königshofen. S. 44, 46
Die Sage ist, daß die Herzoge von Zähringen vor
Zeiten Köhler sind gewesen und haben ihre Wohnung
gehabt in dem Gebirg und den Wäldern hinter Zähring,
dem Schloß, da es dann jetzund stehet, und haben allda
Kohlen gebrennt. Nun hat es sich begeben, daß der
Köhler an einem Ort im Gebirg Kohlen brannte, Grund
und Erde nahm und damit den Kohlhaufen, um ihn
auszubrennen, bedeckte. Als er nun die Kohlen hinweg⸗
tat, fand er am Boden eine schwere, geschmelzte Materie;
und da er sie besichtigte, da ist es gut Silber gewesen.
Also brennte er fürder immerdar an dem Ort seine Kohlen,
deckte sie mit demselben Grund und Erdboden und fand
aber Silber, wie zuvor. Dabei konnte er merken, daß
es des Berges Schuld wäre, behielt es geheim, brannte
von Tag zu Tag Kohlen da und brachte großen Schatz
Silbers zusammen.
Nun hat es sich damals ereignet, daß ein König ver—
trieben ward vom Reich und floh auf den Berg im
Breisgau, genannt der Kaiserstuhl, mit Weib und Kindern
und allem Gesinde, litt da viel Armut mit den Seinen.
Ließ darauf ausrufen, wer da wäre, der ihm wollte Hilfe
tun, sein Reich wieder zu erlangen, der sollte zum Her—
zoge gemacht und eine Tochter des Kaisers ihm gegeben
werden. Da der Köhler das vernahm, fügte sich's, daß
er mit einer Bürde Silbers vor den König trat und
202 Herr Peter Dimringer von Staufenberg
begehrte, er wolle sein Sohn werden und des Königs
Tochter ehelichen, auch dazu Land und Gegend — wo
jetzt Zähringen, das Schloß, und die Stadt Freiburg
stehet — zu eigen haben; alsdann wolle er ihm einen
solchen Schatz von Silber geben und überliefern, damit
er sein ganzes Reich wieder gewinnen könne. Als der
König solches vernahm, willigte er ein, empfing die Last
Silbers und gab dem Köhler, den er zum Sohn annahm,
die Tochter zur Ehe und die Gegend des Landes darzu,
wie er begehret hatte. Da hub der Sohn an und ließ
sein Erz schmelzen, überkam groß Gut damit und baute
Zähringen samt dem Schloß; da macht ihn der römische
König, sein Schwäher, zu einem Herzog von Zähringen.
Der Herzog baute Freiburg und andre umliegende Städte
und Schlösser mehr; und wie er nun mächtig ward, zu—
nahm an Gut, Gewalt und Ehre, hub er an und ward
stolz und frevelhaft. Eines Tages, so rief er seinen eignen
Koch und gebot, daß er ihm einen jungen Knaben briete
und zurichtete; denn ihn gelüste zu schmecken, wie gut
Menschenfleisch wäre. Der Koch vollbrachte alles nach des
Herrn Befehl und Willen, und da der Knab gebraten war
und man ihn zu Tische trug dem Herrn und er ihn sah vor
sich stehen, da fiel Schrecken und Furcht in ihn und empfand
Reu und Leid um diese Sünde. Da ließ er zur Sühne zwei
Klöster bauen, mit Namen das eine zu St. Ruprecht und
das andere zu St. Peter im Schwarzwald, damit ihm
Gott der Herr, barmherzig verzeihen möge und vergeben.
522. Herr Peter Dimringer von Staufenberg.
Nach dem altdeutschen Gedicht Erkenbolds aus dem 14. Jahrh.
In der Ortenau unweit Offenburg liegt Staufenberg,
das Stammschloß Ritter Peters Dimringer, von dem
Herr Peter Dimringer von Staufenberg. 203
die Sage lautet: Er hieß einen Pfingsttag früh den Knecht
das Pferd satteln und wollte von seiner Feste gen Ruß⸗
bach reiten, daselbst Metten zu hören. Der Knappe ritt
voran, unterwegs, am Eingang des Waldes, sah er auf
einem Stein eine wunderschöne, reichgeschmückte Jung—
frau mutterallein sitzen; sie grüßte ihn, der Knecht ritt
vorüber. Bald darauf kam Herr Peter selbst daher, sah
sie mit Freuden, grüßte und sprach die Jungfrau freund—
lich an. Sie neigte ihm und sagte: „Gott danke dir
deines Grußes.“ Da stund Peter vom Pferde, sie bot
ihm ihre Hände, und er hob sie vom Steine auf, mit
Armen umfing er sie; sie setzten sich beide ins Gras und
redeten, was ihr Wille war. „Gnade, schöne Fraue,
darf ich fragen, was mir zu Herzen liegt, so sagt mir,
warum Ihr hier so einsam sitzet und niemand bei Euch
iste „Das sag' ich dir, Freund, auf meine Treue: weil
ich hier dein warten wollte; ich liebe dich, seit du je
Pferd überschrittest; und überall in Kampf und in Streit,
in Weg und auf Straßen hab' ich dich heimlich gepfleget
und gehütet mit meiner freien Hand, daß dir nie kein
Leid geschah.“ Da antwortete der Ritter tugendlich:
„Daß ich Euch erblickt habe, nichts liebers konnte mir
geschehen, und mein Wille wäre, bei Euch zu sein bis
an den Tod.“ „Dies mag wohl geschehen — sprach die
Jungfrau — wenn du meiner Lehre folgest: willst du
mich lieb haben, darfst du fürder kein ehelich Weib neh—
men, und kätest du's doch, würde dein Leib den dritten
Tag sterben. So du aber allein bist und mein begehrest,
da hast du mich gleich bei dir und lebest glücklich und
in Wonne.“ Herr Peter sagte: „Frau, ist das alles
wahr?“ Und sie gab ihm Gott zum Bürgen der Wahr—
heit und Treue. Darauf versprach er sich ihr zu eigen, und
beide verpflichteten sich zu einander, Die Hochzeit sollte
204 Herr Peter Dimringer von Staufenberg.
auf der Frauen Bitte zu Staufenberg gehalten werden;
sie gab ihm einen schönen Ring, und nachdem sie sich
tugendlich angelacht und einander umfangen hatten, ritt
Herr Peter weiter fort seine Straße. In dem Dorfe
hörte er Messe lesen und tat sein Gebet, kehrte alsdann
heim auf seine Feste und sobald er allein in der Keme—
nate war, dachte er bei sich im Herzen: wenn ich doch
nun meine liebe Braut hier bei mir hätte, die ich draußen
auf dem Stein fand! Und wie er das Wort ausge—
sprochen hatte, stand sie schon vor seinen Augen, sie
küßten sich und waren in Freuden beisammen.
Also lebten sie eine Weile, sie gab ihm auch Geld und
Gut, daß er fröhlich auf der Welt leben konnte. Nach—
her fuhr er aus in die Lande, und wohin er kam, war
seine Frau bei ihm, sooft er sie wünschte.
Endlich kehrte er wieder heim in seine Heimat. Da
lagen ihm seine Brüder und Freunde an, daß er ein
ehelich Weib nehmen sollte; er erschrak und suchte es
auszureden. Sie ließen ihm aber härter zusetzen durch
einen weisen Mann, auch aus seiner Sippe. Herr Peter
antwortete: „Eh will ich meinen Leib in Riemen schneiden
lassen, als ich mich vereheliche.“ Abends nun, wie er
allein war, wußte es seine Frau schon, was sie mit ihm
vor hatten, und er sagte ihr von neuem sein Wort zu.
Es sollte aber zu damal der deutsche König in Frankfurt
gewählt werden; dahin zog auch der Staufenberger unter
viel andern Dienstmännern und Edelleuten. Da tat er
sich so heraus im Ritterspiel, daß er die Augen des
Königs auf sich zog, und der König ihm endlich seine
Muhme aus Kärnthen zur Ehe antrug. Herr Peter ge⸗
riet in heftigen Kummer und schlug das Erbieten aus;
und weil alle Fürsten darein redeten und die Ursache
wissen wollten, sprach er zuletzt, daß er schon eine schöne
Herr Peter Dimringer von Staufenberg. 205
Frau und von ihr alles Gute hätte, aber um ihrentwillen
keine andere nehmen dürfte, sonst müßte er tot liegen
innerhalb drei Tagen. Da sagte der Bischoff: „Herr,
laßt mich die Frau sehen.“ Da sprach er: „Sie läßt
sich vor niemand, denn vor mir sehen.“ „So ist sie kein
rechtes Weib — redeten sie alle — sondern vom Teufel;
und daß ihr die Teufelin minnet, das verdirbt euren
Namen und eure Ehre vor aller Welt.“ Verwirrt durch
diese Reden sagt der Staufenberger, er wolle alles tun,
was dem König gefalle; und alsobald ward ihn die
Jungfrau verlobet unter kostbaren königlichen Geschenken.
Die Hochzeit sollte nach Peters Willen in der Ortenau
gehalten werden. Als er seine Frau wieder das erste
Mal bei sich hatte, tat sie ihm klägliche Vorwürfe, daß
er ihr Verbot und seine Zusage dennoch übertreten hätte,
so sei nun sein junges Leben verloren, „und zum Zeichen
will ich dir folgendes geben: wenn du meinen Fuß er⸗
blicken wirst und ihn alle andere sehen, Frauen und
Männer, auf deiner Hochzeit, dann sollst du nicht säu⸗
men, sondern beichten und dich zum Tode bereiten.“ Da
dachte aber Peter an der Pfaffen Worte, daß sie ihn
vielleicht nur mit solchen Drohungen berücken wolle und
es eitel Lüge wäre. Als nun bald die junge Braut nach
Staufenburg gebracht wurde, ein großes Fest gehalten
wurde und der Ritter ihr über Tafel gegenüber saß, da
sah man plötzlich etwas durch die Bühne stoßen, einen
wunderschönen Menschenfuß bis an die Knie, weiß wie
Elfenbein. Der Ritter erblaßte und rief: „Weh, meine
Freunde, ihr habt mich verderbet, und in drei Tagen bin
ich des Todes.“ Der Fuß war wieder verschwunden, ohne
ein Loch in der Bühne zurückzulassen. Pfeifen, Tanzen
und Singen lagen danieder, ein Pfaff wurde gerufen, und
nachdem er von seiner Braut Abschied genommen und
206 Des edlen Möringers Wallfahrt.
seine Sünden gebeichtet hatte, brach sein Herz. Seine
junge Ehefrau begab sich ins Kloster und betete zu Gott
für seine Seele, und in allen deutschen Landen wurde
der mannhafte Ritter beklaget.
Im 16. Jahrhundert, nach Fischarts Zeugnis, wußte
das Volk der ganzen Gegend noch die Geschichte von
Peter dem Staufenberger und der schönen Meerfei,
wie man sie damals nannte. Noch jetzt ist der Zwölf—
stein zwischen Staufenberg, Nußbach und Weilershofen
zu sehen, wo sie ihm das erste Mal erschienen war; und
auf dem Schlosse wird die Stube gezeigt, da sich die
Meerfei soll unterweilen aufgehalten haben.
523. Des edlen Möringers Wallfahrt.
Nach dem alten Lied.
Bgl. Schmid in Bragur III. 402
Gräters Odina S. 200 —210.
Zu Mörungen an der Donau lebte vor Zeiten ein
edler Ritter; der lag eines Nachts bei seiner Frau und
bat sie um Urlaub, weil er weit hinziehen wollte in Sankt
Thomas Land; befahl ihr Leute und Gut und sagte, daß
sie sieben Jahre seiner harren möchte. Frühmorgens stand
er auf, kleidete sich an und empfahl seinem Kämmerer,
daß er sieben Jahre lang seiner Frauen pflege, bis zu
seiner Wiederkehr. Der Kämmerer sprach: „Frauen tragen
lange Haare und kurzen Mut; fürwahr nicht länger
denn sieben Tage mag ich Eurer Frauen pflegen.“ Da
ging der edle Möringer hin zu dem Jungen von Neufen
und bat, daß er sieben Jahre seiner Gemahlin pflege;
der sagt's ihm zu und gelobte seine Treue.
Also zog der edle Möringer fern dahin, und ein Jahr
verstrich um das andere. Wie das siebente nun sich
Des edlen Möringers Wallfahrt. 207
vollendete, lag er im Garten und schlief. Da träumte
ihm, wie daß ein Engel riefe und spräche: „Erwache
Möringer, es ist Zeit! Kommst du heut nicht⸗zu Land,
so nimmt der junge von Neufen dein Weib.“ Der Mö—
ringer raufte vor Leid seinen grauen Bart und klagte
flehentlich seine Not Gott und dem heiligen Thomas; in
den schweren Sorgen entschlief er von neuem. Wie er
aufwachte und die Augen öffnete, wußte er nicht, wo er
war; denn er sah sich daheim in Schwaben vor seiner
Mühle, dankte Gott, jedoch traurig im Herzen und ging
zu der Mühle. „Müller — sprach er — was gibt's Neues
in der Burg? ich bin ein armer Pilgrim.“ „Viel Neues
— antwortete der Müller — der von Neufen will heut
des edlen Möringers Frau nehmen; leider soll unser guter
Herr tot sein.“ — Da ging der edle Möringer an sein
eigen Burgtor und klopfte hart dawider. Der Torwart
trat heraus: „Geh und sag' deiner Frau an, hier stehe
ein elender Pilgrim: nun bin ich vom weiten Gehen so
müde geworden, daß ich sie um ein Almosen bitte, um
Gottes und Sankt Thomas Willen und des edlen Mö—
—
eilends auftun und solle er dem Pilger zu essen geben
ein ganzes Jahr.
Der edle Möringer trat in seine Burg, und es war
ihm so leid und schwer, daß ihn kein Mann empfing;
er setzte sich nieder auf die Bank, und als die Abendstunde
kam, daß die Braut bald zu Bett gehen sollte, redete
ein Dienstmann und sprach: „Sonst hatte mein Herr
Möring die Sitte, daß kein fremder Pilgrim schlafen
durfte, er sang denn zuvor ein Lied.“ Das hörte der
junge Herr von Neufen, der Bräutigam, und rief: „Singt
uns, Herr Gast, ein Liedelein, ich will Euch reich begaben.“
Da hub der edle Möringer an und sang ein Lied, das
208 Des edlen Möringers Wallfahrt.
anfängt: „Ein's langen Schweigens hatt ich mich bedacht,
so muß ich aber singen als eh“ usw.*) und sang darin,
daß ihn der junge Mann an der alten Braut rächen
und sie mit Sommerlatten (Ruten) schlagen solle; ehe—
mals sei er Herr gewesen und jetzt Knecht und auf der
Hochzeit ihm nun eine alte Schüssel vorgesetzt worden.
Sobald die edle Frau das Lied hörte, trübten sich ihre
klaren Augen, und einen goldnen Becher setzte sie dem
Pilgrim hin, in den schenkte sie klaren Wein. Möringer
aber zog ein goldrotes Fingerlein von seiner Hand, wo—
mit ihm seine liebste Frau vermählt worden war, senkt
es in den Becher und gab ihn dem Weinschenken, daß
er ihn der edlen Frau vorsetzen sollte. Der Weinschenk
brachte ihn: „Das sendet Euch der Pilger, laßt's Euch
nicht verschmähen, edle Frau.“ Und als sie trank und
das Fingerlein im Becher sah, rief sie laut: „Mein Herr
ist hier, der edle Möringer,“ stand auf und fiel ihm zu
Füßen. „Gott willkommen, liebster Herr, und laßt Euer
Trauern sein! Meine Ehr' hab' ich noch behalten und
hätt' ich sie verbrochen, so sollt Ihr mich vermauern
lassen.“ Aber der Herr von Neufen erschrak und fiel
auch auf die Knie: „Liebster Herr, Treu und Eid hab'
ich gebrochen, darum schlagt mir ab mein Haupt!“ —
„Das soll nicht sein, Herr von Neufen! Sondern ich
will Euern Kummer lindern und Euch meine Tochter
zur Ehe geben; nehmt sie und laßt mir meine alte Braut.“
Deß war der von Neufen froh und nahm die Tochter;
Mutter und Tochter waren beide zarte Frauen, und beide
Herren waren wohlgeboren.
x*) Vgl. Samml. von Minnesingern J. 124, wo das Lied
merkwürdig dem Walter von der Vogelweide beigelegt wird.
Graf Hubert von Calw.
2090
524. Graf Hubert von Calw.
Crusius annales suevici. Francof. 1595. dodecas II. p. 263.
Vor alten Zeiten lebte zu Calw ein Graf in Wonne
und Reichtum, bis ihn zuletzt sein Gewissen antrieb und
er zu seiner Gemahlin sprach: „Nun ist vonnöten, daß
ich auch lerne, was Armut heißt, wo ich nicht ganz will
zugrunde gehen.“ Hierauf sagte er ihr Lebewohl, nahm
die Kleidung eines armen Pilgrims an und wanderte in
die Gegend nach der Schweiz zu. In einem Dorfe, ge—
nannt Deislingen, wurde er Kuhhirt und weidete die ihm
anvertraute Herde auf einem nahgelegenen Berge mit
allem Fleiß. Wiewohl nun das Vieh unter seiner Hut ge⸗
dieh und fett ward, so verdroß es die Bauern, daß er sich
immer auf dem nämlichen Berge hielt, und sie setzten
ihn vom Amte ab. Da ging er wieder heim nach Calw
und heischte das Almosen vor der Türe seiner Gemahlin,
die eben ihre Hochzeit mit einem anderen Mann feierte.
Als ihm nun ein Stück Brot herausgebracht wurde,
weigerte er es anzunehmen, es wäre dann, daß ihm auch
der Gräfin Becher voll Wein dazu gespendet würde.
Man brachte ihm den Becher, und indem er trank, ließ
er seinen güldenen Mahlring darein fallen und kehrte
stillschweigends nach dem vorigen Dorfe zurück. Die
Leute waren seiner Rückkunft froh, weil sie ihr Vieh
unterdessen einem schlechten Hirten hatten untergeben
müssen und setzten den Grafen neuerdings in seine Stelle
ein. So hütete er bis zu seinem Lebensende; als er sich
dem Tode nahe fühlte, offenbarte er den Leuten, wer
und woher er wäre; auch verordnete er, daß sie seine
deiche von Rindern ausfahren lassen, und da, wo dieser
stillstehen würden, beerdigen sollten, daselbst aber eine
Kapelle bauen. Sein Wille ward genau vollzogen und
14
Grimm Sagen II.
210 UÜdalrich und Wendelgart und der ungeborne Burkard.
über seinem Grabe ein Heiligtum errichtet, nach seinem
Namen Hubert oder Oberk „zu St. Huprecht“ geheißen.
Viele Menschen wallfahreten dahin und ließen zu seiner
Minne Messen lesen; jeder Bürger aus Calw, der da
vorübergeht, hat das Recht, an der Kapellentüre anzu—
klopfen.
525. Udalrich und Wendelgart und der unge—
borene Burkard.
Ekkehardus monachus (ap. Goldast I. p. 40. 41).
Udalrich, Graf zu Buchhorn (am Bodensee), ab⸗
stammend aus Karls Geschlecht, war mit Wendilgart,
Heinrich des Voglers Nichte, vermählt. Zu seiner Zeit
brachen die Heiden (Ungarn) in Bayern ein, Udalrich
rückte aus in den Krieg, wurde gefangen und weggeführt.
Wendilgart, die gehört hatte, daß er tot in der Schlacht
geblieben, wollte nicht wieder heiraten, sondern begab
sich nach St. Gallen, wo sie still und eingezogen lebte
und für ihres Gemahls Seele den Armen Wohltaten er⸗
wies. Weil sie aber zart aufgezogen war, trug sie immer
große Lust nach süßen Speisen. Sie saß eines Tages
bei Wiborad, einer frommen Klosterfrau, im Gespräch
und bat sie um süße Äpfel. „Ich habe schöne Äpfel,
wie sie arme Leute essen — sprach Wiborad — die will
ich dir geben“ und zeigte ihr wilde Holzäpfel. Wendil—
gart nahm sie gierig und biß darein; sie schmeckten so
herb, daß sie ihr den Mund zusammenzogen, warf sie
weg und sagte: „Deine üpfel sind sauer, Schwester;
hätte der Schöpfer alle so erschaffen, so würde Eva
keinen gekostet haben.“ Mit Recht führst du Even an
— sprach Wiborad — denn sie gelüstete gleich dir nach
süßer Speise. Da errötete die edle Frau und tat sich
Udalrich und Wendelgart und der ungeborne Burkard. 211
hernach Gewalt an, entwöhnte sich aller Süßigkeiten und
gedieh bald zu solcher Frömmigkeit, daß sie vom Bischof
den heiligen Schleier begehrte. Er wurde ihr gewährt,
und sie ließ sich einkleiden, lebte auch fortan in Tugend
und Strenge. Vier Jahre verflossen, da ging sie am
Todestage Udalrichs, ihres Gemahls, nach Buchhorn und
beschenkte die Armen, wie sie alljährlich zu tun pflegte.
Udalrich war aber unterdessen glücklich aus der Ge—
fangenschaft entronnen und hatte sich heimlich unter die
übrigen verlumpten Bettler gestellt. Als Wendilgart hin—
zutrat, rief er laut um ein Kleid. Sie schalt, daß er
ungestüm fordere, gab ihm aber doch das Kleid, als
dessen er bedurfte. Er zog die Hand der Geberin mit dem
Kleide an sich, umfaßte und küßte sie wider ihren Willen.
Da warf er seine langen Haare mit der Hand hinter die
Schulter und sprach — indem einige Umstehende mit
Schlägen droheten: verschont mich mit Schlägen, ich habe
ihrer genug ausgehalten, und erkennt euren Udalrich!
Das Volk hörte die Stimme des alten Herrn und er⸗
kannte sein Gesicht unter den wilden Haaren. Laut schrie
ihm alles zu. Wendilgart war, gleichsam beschimpft,
zurückgetreten: „Jetzt erst empfinde ich meines Gemahls
gewissen Tod, da mir jemand Gewalt zu tun wagt.“
Er aber reichte ihr die Hand, um sie aufzuheben, an der
Hand sah sie eine ihr wohlbekannte Wundennarbe. Wie
vom Traum erwachend, rief sie: „Mein Herr, den ich
auf der Welt am liebsten habe, willkommen mein liebster
Gemahl!“ Und unter Küssen und Umarmungen „kleidet
Euern Herrn und bereitet ihm ein Bad zu!“ Als er an—
gezogen war, sagte er: „Laß uns zur Kirche gehen.“
Unter dem Gehen sah er ihren Schleier und fragte:
„Wer hat dein Haupt eingeschleiert.“ Und als sie ant—
wortete „der Bischof in der Kirchenversammlung“, sprach
14*
212 Stiftung des Klosters Wettenhausen.
Udalrich zu sich selbst: „Nun darf ich dich erst mit der
Kirche Erlaubnis umarmen.“ Geistlichkeit und Volk sangen
Loblieder; darauf ging man ins Bad und zur Mahlzeit.
Bald versammelte sich die Kirche, und Udalrich forderte
seine verlobte Gemahlin zurück. Der Bischof löste ihr
den Schleier und verschloß ihn im Schrein: damit, wenn
ihr Gemahl früher verstürbe, sie ihn wieder nehmen sollte.
Die Hochzeit wurde von neuem gefeiert, und als Wendil⸗
gart sich nach einiger Zeit schwanger befand, ging sie
mit dem Grafen nach St. Gallen und gelobte dem Kloster
das Kind, wenn es ein Knabe wäre. Vierzehn Tage
vor ihrer Niederkunft erkrankte plötzlich Wendilgart und
starb. Das Kind aber wurde lebendig aus dem Leich⸗
nam geschnitten und in eine frisch abgezogene Speck⸗
schweinschwarte gewickelt. So kam es auf, wurde Burk⸗
hart getauft und sorgsam im Kloster erzogen. Das Kind
wuchs, zart von Leib, aber wunderschön; die Brüder
pflegten ihn den ungebornen GBurcardus ingenitus) zu
nennen. Seine Hant blieb immer so fein, daß jeder
Mückenstich Blut herauszog, und ihn sein Meister mit
der Ruthe gänzlich verschonen mußte. Burkard der un⸗
geborne ward mit der Zeit ein gelehrter, tugendhafter
Mann.
526. Stiftung des Klosters Wettenhausen.
Crusius ann. suev. dod. II. p. 148. nach Brusch.
Zwischen Ulm und Augsburg, am Flüßchen Camlach,
liegt das Augustinerkloster Wettenhausen. Es wurde im
Jahre 982 von zwei Brüdern, Conrad und Wernher,
Grafen von Rochenstain, oder vielmehr von deren Mutter
Gertrud gestiftet. Diese verlangte und erhielt von ihren
Söhnen so viel Land zur Erbauung einer heiligen Stätte,
Ritter Ulrich, Dienstmann zu Wirtenberg. 213
als sie innerhalb eines Tages umpflügen könnte. Dann
schaffte sie einen ganz kleinen Pflug, barg ihn in ihren
Bufen, und umritt dergestalt das Gebiet, welches noch
heutigen Tages dem Kloster unterworfen ist.
527. Ritter Ulrich, Dienstmann zu Wirtenberg
Altd. Gedicht im Cod. vindob. phil. 119. sol. 188 - 192.
Eine Burg liegt in Schwabenland, geheißen Wirten⸗
berg, auf der saß vor Zeiten Hartmann, dessen Dienst⸗
mann, Ritter Ulrich, folgendes Abenteuer begegnete. Als
er eines Freitags in den Wald zu jagen zog, aber den
ganzen Tag kein Wild treffen konnte, verirrte sich Ritter
Ulrich auf unbekanntem Wege in eine öde Gegend, die
sein Fuß noch nie betreten hatte. Nicht lange, so kamen
ihm entgegen geritten ein Ritter und eine Frau, beide
von edelem Aussehen; er grüßte sie höflich, aber sie
schwiegen, ohne ihm zu neigen; da sah er derselben Leute
noch mehr herbeiziehen. Ulrich hielt beiseit in dem Tann,
bis fünfhundert Männer und ebensoviel Weiber vorüber
kamen, alle in stummer, schweigender Gebärde und ohne
seine Grüße zu erwiedern. Zu hinterst an der Schar
fuhr eine Frau allein, ohne Mann, die antwortete auf
seinen Gruß: „Gott vergelts!“ Ritter Ulrich war froh,
Gott nennen zu hören und begann diese Frau weiter
zu fragen nach dem Zuge, und was es für Leute wären,
die ihm ihren Gruß nicht gegönnt hätten? „Laßt's euch
nicht verdrießen — sagte die Frau — wir grüßen nicht,
denn wir sind tote Leute.“ — „Wie komm''s aber, daß
euer Mund frisch und rot steht?“ — „Das ist nur der
Schein; vor dreißig Jahren war mein Leib schon er⸗
sto ben und verweset, aber die Seele leidet Qual.“ —
„Warum zoget ihr allein, das nimmt mich Wunder, da
214 Ritter Ulrich, Dienstmann zu Wirtenberg.
ich doch jede Frau samt einem Ritter fahren sah?“ —
„Der Ritter, den ich haben soll, der ist noch nicht tot,
und gerne wollte ich lieber allein fahren, wenn er noch
Buße täte und seine Sünde bereute.“ — „Wie heißt er
mit Namen?“ — „Er ist genannt von Schenkenburg.“
— „Den kenne ich wohl, er hob mir ein Kind aus der
Taufe; gern möchte ich ihm hinterbringen, was mir hier
begegnet ist, aber wie wird er die Wahrheit glauben?“
— „Sagt ihm zum Wahrzeichen dieses: mein Mann war
ausgeritten, da ließ ich ihn ein in mein Haus, und er
küßte mich an meinen Mund; da wurden wir einander
bekannt, und er zog ein rot gülden Fingerlein von seiner
Hand und schenkte mir's; wollte Gott, meine Augen
hätten ihn nie gesehen!“ — „Mag denn nichts eure
Seele retten, Gebete und Wallfahrten?“ — „Aller Pfaffen
Zungen, die je lasen und sangen, können mir nicht helfen,
darum, daß ich nicht zur Beichte gelangt bin und ge—
büßt habe vor meinem Tod; ich scheute aber die Beichte,
denn wäre meinem biderben Mann etwas zu Ohren ge—
kommen von meiner Unzucht, es hätte mir das Leben
gekostet.“
Ritter Ulrich betrachtete diese Frau, während sie ihre
jämmerliche Geschichte erzählte; an dem Leibe erschien
nicht das Ungemach ihrer Seele, sondern sie war wohl
aussehend und reichlich gekleidet. Ulrich wollte mit ihr
dem andern Volk bis in ihre Herberge nachreiten, und
als ihn die Frau nicht von diesem Vorsatz ablenken konnte,
empfahl sie ihm bloß: keine der Speisen anzurühren, die
man ihm bieten würde, auch sich nicht daran zu kehren,
wie übel man dies zu nehmen scheine. Sie ritten zu—
sammen über Holz und Feld, bis der ganze Haufen vor
eine schön erbaute Burg gelangte, wo die Frauen ab—
gehoben, den Rittern die Pferde und Sporen in Empfang
Ritter Ulrich, Dienstmann zu Wirtenberg. 215
genommen wurden. Darauf saßen sie je zwei, Ritter
und Frauen, zusammen auf das grüne Gras, denn es
waren keine Stühle vorhanden; jene elende Frau saß
ganz allein am Ende, und niemand achtete ihrer. Goldne
Gefäße wurden aufgetragen, Wildpret und Fische, die
edelsten Speisen, die man erdenken konnte, weiße Semmel
und Brot; Schenken gingen und füllten die Becher mit
kühlem Weine. Da wurde auch dieser Speisen Ritter
Ulrich vorgetragen, die ihn lieblich anrochen; doch war
er so weise, nichts davon zu berühren. Er ging zu der
Frauen sitzen, und vergaß sich, daß er auf den Tisch
griff und einen gebratenen Fisch aufheben wollte; da
verbrunnen ihm schnell seiner Finger viere, wie von
höllischem Feuer, daß er laut schreien mußte. Kein Wasser
und dein Wein konnte ihm diesen Brand löschen; die
Frau, welche neben ihm saß, —V
Seite hangen, griff schnell danach, schnitt ihm ein Kreuz
über die Hand, und stieß das Messer wieder ein. Als
das Blut über die Hand floß, mußte das Feuer davor
weichen, und Ritter Ulrich kam mit dem Verluste der
Finger davon. Die Frau sprach: „Jetzt wird ein Turnier
anheben und euch ein edles Pferd vorgeführt, und ein
goldbeschlagener Schild vorgetragen werden; davor hütet
euch.“ Bald darauf kam ein Knecht mit Roß und Schild
vor den Ritter, und so gern ers bestiegen hätte, ließ ers
doch standhaft fahren. Nach dem Turnier erklangen süße
Töne, und der Tanz begann; die elende Frau hatte den
Rittes wieder davor gewarnt. Sie selbst aber mußte mit
anstehen und stellte sich unten hin; als sie Ritter Ulrich
anschaute, vergaß er aͤlles, trat hinzu und bot ihr die
Hand. Kaum berührte er sie, als er für tot niedersank;
schnell trug sie ihn seitwärts auf einen Rain, grub ihm
ein Kraut, und steckte es in seinen Mund, wovon er
216 Freiherr Albrecht von Simmern.
wieder auflebte. Da sprach die Frau: „es nahet dem
Tage, und wann der Hahn kräht, müssen wir alle von
hinnen.“ Ulrich antwortete: „ist es denn Nacht? mir
hat es so geschienen, als ob es die ganze Zeit heller Tag
gewesen wäre.“ Sie sagte: „der Wahn trügt euch;
ihr werdet einen Waldsteig finden, auf dem ihr sicher zu
dem Ausgang aus der Wildnis gelangen könnet.“ Ein
Zelter wurde der armen Frau vorgeführt, der brann als
eine Glut; wie sie ihn bestiegen hatte, streifte sie den
Ärmel zurück; da sah Ritter Ulrich das Feuer von ihrem
bloßen Arm schießen, wie wenn die Flammen um ein
brennendes Haus schlagen. Er segnete sie zum Abschied
und kam auf dem angewiesenen Steige glücklich heim
nach Wirtenberg geritten, zeigte dem Grafen die ver—
brannte Hand, und machte sich auf zu der Burg, wo
sein Gevatter saß. Dem offenbarte er, was ihm seine
Buhlin entbieten ließ, samt dem Wahrzeichen mit dem
Fingerlein und den verbrannten Fingern. Auf diese Nach⸗
richt rüstete sich der von Schenkenburg samt Ritter Ulrich,
fuhren über Meer gegen die ungetauften Heiden, denen
sie soviel Schaden, dem deutschen Hause zum Trost, an⸗
taten, bis die Frau aus ihrer Pein erlöst worden war.
528. Freiherr Albrecht von Simmern.
Crusius ann. suev. dod. II. p. 361, 362
Der vielförmige Hinzelmann 111120.
Bräuners Curiosit. 320 335.
Albrecht Freiherr von Simmern war bei seinem Lan⸗
desherrn Herzog Friedrich von Schwaben, der ihn auf—
erzogen hatte, wohlgelitten und stand in besonderer Gnade.
Einstmals tat dieser in der Begleitung seiner Grafen und
Ritter, unter welchen sich auch der Freiherr Albrecht
Freiherr Abrecht von Simmern. 217
befand, einen Lustritt zu dem Grafen Erchinger, bei dem
er schon öfter gewesen, und dessen Schloß Mogenheim
im Zabergau lag. Der Graf war ein Mamm von fröh⸗
lichein Gemüte, der Jagd und andern ehrlichen UÜbungen
ergeben. Mit seiner Fau, Maria von Tübing, hatte er
nur zwei Töchter und keinen Sohn erzeugt, und sein
gräflicher Stamm drohte zu erlöschen.
Nahe an dem Schlosse lag ein lustiges Gehölz, der
Stromberg genannt; darin lief seit langer Zeit ein an⸗
sehnlicher großer Hirsch, den weder die Jäger noch Hof—
bediente je hatten fahen können. Als er sich eben jetzt
wieder sehen ließ, freuten sich alle, besonders der Graf
Erchinger, welcher die übrige Gesellschaft aufmahnte, sich
mit dem gewöhnlichen Jägerzeuge dahin zu begeben.
Unter dem Jagen kam der Freiherr Albrecht von den an—
dern ab in eine besondere Gegend des Waldes, wo er
eines großen und schönen Hirsches ansichtig ward, wie
er noch nie glaubte einen gesehen zu haben. Er setzte
ihm lange durch den Wald nach, bis er ihn ganz aus
dem Gesicht verlor, und er nicht wußte, wo das Tier
hingeraten war.
Indem trat ein Mann schrecklicher Gestalt vor ihn,
und ob er gleich sonst beherzt und tapfer war, so ent—
setzte er sich doch heftig, und wahrte sich wider ihn mit dem
Zeichen des Kreuzes. Der Mamn aber sprach: „Fürchte
dich nicht! ich bin von Gott gesandt, dir etwas zu offen⸗
baren. Folge mir nach, so sollst du wunderbare Dinge
sehen; wie sie deine Augen noch nie erblickt haben, und
soll dir kein Haar dabei gekrümmt. werden.“ Der Frei⸗
herr willigte ein und folgte seinem Führer, der ihn aus
dem Walde leitete. Als sie heraustraten, deuchte ihm, er
sehe schöne Wiesen und eine überaus lustige Gegend. Fer—
ner ein Schloß, das mit vielen Türmen und anderer Zier
218 Freiherr Albrecht von Simmern
so prangte, daß dergleichen seine Augen niemals gesehen.
Indem sie sich diesem Schlosse nahten, kamen viel Leute,
gleich als Hofdiener, entgegen. Keiner aber redete ein
Wort; sondern als er bei dem Tor anlangte, nahm einer
sein Pferd ab, als wollte er es unterdessen halten. Sein
Führer aber sprach: „laß dich ihr Schweigen nicht be—
fremden; dagegen rede auch nicht mit ihnen, sondern
allein mit mir, und tue in allem, was ich dir sagen
werde.“
Nun traten sie ein, und Herr Albrecht ward in einen
großen, schönen Saal geführt, wo ein Fürst mit den sei—
nigen zu Tische saß. Alle standen auf und neigten sich
ehrerbietig, gleich als wollten sie ihn willkommen heißen.
Darauf setzten sie sich wieder und taten, als wenn sie
äßen und tränken. Herr Albrecht blieb stehen, hielt sein
Schwert in der Hand und wollte es nicht von sich lassen:
indessen betrachtete er das wunderköstliche, silberne Tafel—
geschirr, darin die Speisen auf- und abgetragen wurden,
samt den andern vorhandenen Gefäßen. Alles dieses ge—
schah mit großem Stillschweigen; auch der Herr und seine
Leute aßen für sich, und bekümmerten sich nicht um ihn.
Nachdem er also lange gestanden und alles angeschaut,
erinnerte ihn der, welcher ihn hergeführt, daß er sich vor
dem Herrn neigen und dessen Leute grüßen solle; dann
wolle er ihn wieder heraus geleiten. Als er es getan,
stand der Herr mit allen seinen Leuten wiederum höflich
auf, und sie neigten gleichfalls ihre Häupter gegen ihn.
Darauf ward Herr Albrecht von seinem Führer zu der
Schloßpforte gebracht. Hier stellten diejenigen, welche
bisher sein Pferd gehalten, ihm selbes wieder zu, legten
ihm aber dabei Stillschweigen auf; worauf sie ins Schloß
zurückkehrten. Nun gürtete Herr Albrecht sein Schwert
wieder an und ward von seinem Gefährten auf dem
Freiherr Albrecht von —S— 219
vorigen Wege nach dem Stromberger Walde gebracht.
Er fragte ihn, was das für ein Schloß, und wer dessen
Einwohner wären, die darin zur Tafel gesessen? der Geist
antwortete: „der Herr, welchen du gesehen, ist deines
Vaters Bruder gewesen, ein gottesfürchtiger Mann, wel⸗
cher vielmals wider die Ungläubigen gefochten. Ich aber
und die andern, die du gesehen, waren bei Leibes Leben
seine Diener und müssen nun unaussprechlich harte Pein
leiden. Er hat bei Lebzeiten seine Untertanen mit un—
billigen Auflagen sehr gedrückt und das Geld zum Krieg
gegen die Ungläubigen angewendet, wir andern aber haben
ihm dazu Rat und Anschläge gegeben und werden jetzt
solcher Ungerechtigkeit willen hart gestraft. Dieses ist
deiner Tugenden wegen offenbart, damit du vor solchen
und ähnlichen Dingen dich hüten und dein Leben bessern
mögest. Siehe, da ist der Weg, welcher dich wiederum
durch den Wald an deinen vorigen Ort bringen wird;
doch kannst du noch einmal zurückkehren, damit du siehest,
in was für Elend und Jammer sich die vorige Glück—
seligkeit verkehrt hat.“ Wie der Geist dieses gesagt, war
er verschwunden. Herr Albrecht aber kehrte wieder zu
dem Schlosse zurück. Siehe, da war alles miteinander
zu Feuer, Pech und Schwefel worden, davon ihm der
Geruch entgegenqualmte ; dabei hörte er ein jammervol⸗
les Schreien und Klagen, worüber er sich so sehr ent—
setzte, daß ihm die Haare zu Berge stunden. Darum
wendete er schnell sein Pferd um und ritt des vorigen
Weges wieder nach seiner Gesellschaft zu.
Alss er anlangte, kam er allen sso verändert und ver⸗
stellet vor, daß sie ihn fast nicht erkannten. Denn un⸗
geachtet er noch ein junger und frischer Mann war, hatte
ihn doch Schrecken und Bestürzung zu einem eisgrauen
umgestaltet; indem Haupthaar und Bart weiß wie der
220 Andreas von Sangerwitz, Comthur auf Christburg
Schnee waren. Sie verwunderten sich zwar darüber nicht
wenig, aber noch mehr über die durch seine veränderte
Gestalt beglaubigte Erzählung, sodaß sie insgesamt trau—
rig nach Hause umkehrten.
Der Freiherr von Simmern beschloß an dem Orte,
wo sich das zugetragen, zur Ehre Gottes eine Kirche zu
erbauen. Graf Erchinger, auf dessen Gebiet er lag, gab
gern seine Einwilligung, und er und seine Gemahlin ver⸗
sprachen Rat und Hilfe; damit daselbst ein Frauenkloster
aufgerichtet und Gott stets gedienet würde. Auch der
Herzog Friedrich von Schwaben verhieß seinen Beistand
zur Förderung des Baues und hat verschiedene Zehnden
und Einkünfte dazu verordnet. Die Geschichte hat sich
im Jahre 1134 unter Lothar dem zweiten begeben.
529. Andreas von Sangerwitz, Comthur auf
Christburg. IJ
Caspar Schütz Beschreibung der Lande Preußen 1599. fol. Bl. 102. 103
Happel Denkwürdigkeiten der Welt IV. 407. 406.
Laspar Henneberger Erklärung der großen Preuß. Landtafel.
Rauschink Gespenstersagen. Rudoist. 1855. Sr. 2
Im Jahr 1410 am 15. Juli ward bei Tanneberg
zwischen den Kreuzherren in Preußen und Vladislab,
Könige von Polen, eine große Schlacht geliefert. Sie
endigte mit der Niederlage des ganzen Ordensheeres:
der Hochmeister Ulrich von Jungingen selbst fiel darin.
Seinen Leichnam ließ der König den Brüdern zu Oste—
rode zukommen, die ihn zu Marienburg begruben; das
abgehauene Kinn aber mit dem Bart ward gen Krakau
gebracht, wo es noch heutigestags (zu Caspar Schützens
Zeit) gezeigt wird.
Als der Hochmeister mit den Gebietigern über diesen
Krieg ratschlagte, riet der Comthur von der Christburg,
Andreas von Sangerwitz, Comthur auf Christburg. 221
Andreas Sangerwitz, ein Deutscher von Adel, treulich
zum Frieden; unangesehen die anderen fast alle zum Krieg
stimmten, und der Feind schon im Lande war; welches
den Hochmeister übel verdroß, und rechnete es ihm zur
Furcht und Zagheit. Er aber, der nicht weniger Herz
als Witz und Verstand hatte, sagte zu ihm: „Ich habe
Euer Gnaden zum Frieden geraten, wie ich's am besten
merk' und verstehe, und bedünket mich, nach Frieden
dienete uns dieser Zeit Gelegenheit am besten. Weil es
aber Gott anders ausersehen, auch Euer Gnaden anders
gefällt: so muß ich folgen und will euch in künftiger
Schlacht, es laufe, wie es wolle, so mannlich beistehen
und mein Leib und Leben bei euch lassen, als getreulich
ich jetzt zum Frieden rate.“ Welchem er auch als ein
redlicher Mann nachgelebt, und ist nebst dem Hochmeister,
nachdem er sich tapfer gegen den Feind gehalten, auf
der Wahlstadt geblieben.
Da nun dieser Comthur zur Schlacht auszog und ge⸗
wappnet aus dem Schlosse ritt, begegnete ihm ein Chor⸗
herr, der seiner spottete und ihn höhnisch fragte: „Wem
er das Schloß in seinem Abwesen befehlen wollte?“
Da sprach er aus großem Zorn: „Dir und allen Teufeln,
die zum Kriege geraten haben!“ Demnach, als die
Schlacht geschehen und der Comthur umgekommen, hat
solch eine Teufelei und Gespenst in dem Schlosse anfangen
zu wanken und zu regieren, daß nachmals kein Mensch
darinne bleiben und wohnen konnte. Denn so oft die
Drdensbrüder im Schlosse aßen, so wurden alle Schüsseln
und Trinkgeschirr voll Bluts; wann sie außerhalb des
Schlosses aßen, widerfuhr ihnen nichts dergleichen. Wenn
die Knechte wollten in den Stall gehen, kamen sie in
den Keller und tranken so viel, daß sie nicht mehr
wußten, was sie taten. Wenn der Koch und sein Gesinde
222 Andreas von Sangerwitz, Comthur auf Christburg.
in die Küche ging, so fand er Pferde darin stehen und
war ein Stall daraus geworden. Wollte der Keller—
meister seine Geschäfte im Keller verrichten, so fand er
an der Stelle der Wein- und Bierfässer lauter Hafen,
Töpfe, Bälge und Wassertröge; und dergleichen ging
es in allen Dingen und Orten widersinnigs. Dem neuen
Comthur, der aus Frauenberg dahin kam, ging es noch
viel wunderlicher und ärger; einmal ward er in den
Schloßbrunnen an den Bart gehängt; das andere Mal
ward er auf das oberste Dach im Schlosse gesetzet, da
man ihn kaum ohne Lebensgefahr herunterbringen konnte.
Zum drittenmal fing ihm der Bart von selbst an zu
brennen, so daß ihm sein Gesicht geschändet wurde; auch
konnte ihm der Brand mit Wasser nicht gelöscht werden,
und nur, als er aus dem verwünschten Schlosse heraus—
lief, erlosch das Feuer. Derowegen fürder kein Comthur
in dem Schlosse bleiben wollte, wurde auch von jeder—
männiglich verlassen und nach des verstorbenen Com⸗
thurs Prophezeiung des Teufels Wohnung geheißen.
Zwei Jahre nach der Schlacht kam ein Bürger von
Christburg wiederum zu Hause, der während der Zeit
auf einer Wallfahrt nach Rom gewesen war. Als er
von dem Gespenst des Schlosses hörte, ging er auf
einen Mittag hinauf: sei es nun, daß er die Wahrheit
selbst erfahren wollte, oder daß er vielleicht ein Heilig—
tum mit sich gebracht, das gegen die Gespenster dienen
sollte. Auf der Brücke fand er stehen des Comthurs
Bruder, welcher auch mit in der Schlacht geblieben war;
er erkannte ihn alsbald, denn er hatte ihm ein Kind
aus der Taufe gehoben und hieß Otto von Sangerwitz;
und weil er meinte, es wäre ein lebendiger Mensch, trat
er auf ihn zu und sprach: „Oh, Herr Gevatter, wie
bin ich erfreut, daß ich Euch frisch umd gesund sehen
Andreas von Sangerwitz, Comthur auf Christburg. 223
mag; man hat mich überreden wollen, ihr wärt er⸗
schlagen worden; ich bin froh, daß es besser ist, als ich
meinete. Und wie stehet es doch in diesem Schlosse, da⸗
von man so wunderliche Dinge redet?“ Das Teufels⸗
gespenst sagte wieder zu ihm: „Komme mit mir, so wirst
du sehen, wie man allhier Haus hält.“ Der Schmied
folgte ihm nach, die Wendeltreppe hinauf; da sie in das
erste Gemach gingen, fanden sie einen Haufen Volks,
die nichts anderes taten, denn mit Würfel und Karten
spielen; etliche lachten, etliche fluchten Wunden und
Marter. Im anderen Gemach saßen sie zu Tische, da
war nichts anders, denn Fressen und Saufen zu ganzen
und halben; von dannen gingen sie in den großen Saal,
da funden sie Männer, Weiber, Jungfrauen und junge
Gesellen; da hörte man nichts denn Saitenspiel, Singen,
Tanzen, und sahe nichts denn Unzucht und Schande
treiben. Nun gingen sie in die Kirche; da stund ein
Pfaff vor dem Altar, als ob er Messe halten wollte;
die Chorherren aber saßen rings umher in ihren Stühlen
und schliefen. Darnach gingen sie wieder zum Schloß
hinaus, alsbald hörte man in dem Schloß so jämmer—
lich heulen, weinen und Zetergeschrei, daß dem Schmied
angst und bange ward, gedachte auch, es könnte in der
Hölle nicht jämmerlicher sein. Da sprach sein Gevatter
zu ihm: „Gehe hin und zeige dem neuen Hochmeister
an, was du gesehen und gehört hast! Dann so ist unser
deben gewesen, wie du drinnen gesehen; das ist der er—
folgte Jammer darauf, den du hier außen gehört hast.“
Mit den Worten verschwand er, der Schmied aber er⸗
schrak sehr, daß ihm zu allen Füßen kalt ward; dennoch
wollt' er den Befehl verrichten, ging zum neuen Hoch⸗
meister und erzählte ihm alles, wie es ergangen. Der
Hochmeister ward zornig, sagte, es wäre erdichtet Ding,
224
Der Virdunger Bürger.
seinem hochwürdigen Orden zu Verdruß und Schanden,
ließ den Schmied ins Wasser werfen und ersäufen.
530. Der Virdunger Bürger.
Ottocar von Hornek cap. 335—338 bei Pez p. 2006 -301.
Zu Rudolfs von Habsburg Zeiten saß in der Stadt
Virdung (Verdun) ein Bürger, der verfiel in Armut;
und um aufs neue zu Schätzen zu gelangen, versprach
er sich mit Hilfe eines alten Weibes dem Teufel. Und
als er sich Gott und allen himmlischen Gnaden abgesagt
hatte, füllte ihm der Höllenrabe den Beutel mit Pfen—
nigen, die nimmer all' wurden; denn so oft sie der Bürger
ausgegeben hatte, lagen sie immer wieder unten. Da
wurde seines Reichtums unmaßen viel; er erwarb Wiesen
und Felder und lebte nach allen Gelüsten. Eines Tages,
da er fröhlich bei seinen Freunden saß, kamen zwei
Männer auf schwarzen Pferden angeritten; der eine zog
bei der Hand ein gesatteltes und gezäumtes, brand⸗
schwarzes Roß, das führte er zu dem Bürger und mahnte,
daß er ihnen folgen sollte, wohin er gelobt hätte. Traurig
nahm der Bürger Abschied, bestieg das Roß und schied
mit den Boten von dannen, im Angesicht von mehr als
funfzig Menschen und zweier seiner Kinder, die jämmer⸗
lich klagten und nicht wußten, was aus ihrem Vater
geworden sei. Da gingen sie beide zu einem alten Weib,
die viele Künste wußte; und verhießen ihr viel Geld,
wenn sie ihnen die rechte Wahrheit von ihrem Vater
zeigen würde. Darauf nahm das Weib die Jünglinge
mit sich in einen Wald und beschwor den Erdboden, bis
er sich auftat und die zwei herauskamen, mit welchen
ihr Vater fortgeritten war. Das Weib fragte: „Ob sie
Der Virdunger Bürger. 225
ihren Vater sehen wollten? Da fürchtete sich der Älteste;
der Jüngere aber, welcher ein männlicher Herz hatte,
bestand bei seinem Vorsatz. Da gebot die Meisterin den
Höllenboten, daß sie das Kind unverletzt hin zu seinem
Vater und wieder zurückführeten. Die zwei führten ihn
nun in ein schönes Haus, da saß sein Vater ganz allein,
in demselben Kleid und Gewand, in welchem er abge⸗
schieden war, und man sah kein Feuer, das ihn quälte.
Der Jüngling redete ihn an und fragte: „Vater, wie
steht es um dich, ist dir sanft oder weh?“ Der Vater
antwortete: „Weil ich die Armut nicht ertragen konnte,
gab ich um irdisches Gut dem Teufel Leib und Seele
dahin, und alles Recht, was Gott an mir hatte; darum,
mein Sohn, behalte nichts von dem Gut, das du von
mir geerbt hast, sonst wirst du verloren gleich mir. Der
Sohn sprach: „Wie kommt's, daß man kein Feuer an
dir brennen siehet?“ „Rühre mich mit der Spitze deines
Fingers an — versetzte der Vater — zuck aber schnell
wieder weg!“ In dem Augenblick, wo es der Sohn tat,
brannte er sich Hand und Arm bis an den Ellenbogen;
da ließ erst das Feuer nach. Gerührt von seines Vaters
Qualen, sprach er: „Sag an, mein Vater, gibt es nichts
auf der Welt, das dir helfen möge oder irgend fromme?“
„So wenig des Teufels selber Rat werden mag — sagte
der Vater — so wenig kann meiner Rat werden; du
aber, mein Sohn, tue so mit deinem Gut, daß deine
Seele erhalten bleibe.“ Damit schieden sie sich. Die zwei
Führer brachten den Jüngling wieder heraus zu dem
Weib, der er den verbrannten Arm zeigte. Darauf er⸗
zählte er Armen und Reichen, was ihm widerfahren
war und wie es um seinen Vater stand; begab sich alles
seines Gutes und lebte freiwillig arm in einem Kloster
bis an sein Lebensende.
Grimm, Sagen II.
4
226
Der Mann im Pflug
531. Der Mann im Pflug.
Flamländisches Volksbuch: Florentina de getrouwe.
Volkslied vom Grafen von Rom, in Adelungs Magazin Bd. 2. St. 3
S. 114-120. Vgl. Aretins Beitr. 1606. S. J22.
VDgl. Gesta Rom. cap. 60.
Zu Metz in Lothringen lebte ein edler Ritter, Namens
Alexander, mit seiner schönen und tugendhaften Hausfrau
Florentina. Dieser Ritter gelobte eine Wallfahrt nach
dem heiligen Grabe, und als ihn seine betrübte Gemah—
lin nicht von dieser Reise abwenden konnte, machte sie
ihm ein weißes Hemde mit einem roten Kreuz, das sie
ihm zu tragen empfahl. Der Ritter zog hierauf in jene
Länder, wurde von den Ungläubigen gefangen, und mit
seinen Unglücksgefährten in den Pflug gespannt; unter
harten Geißelhieben mußten sie das Feld ackern, daß das
Blut von ihren Leibern lief. Wunderbarerweise blieb nun
jenes Hemd, welches Alexander von seiner Frauen empfan—⸗
gen hatte und beständig trug, rein und unbefleckt, ohne
daß ihm Regen, Schweiß und Blut etwas schadeten; auch
zerriß es nicht. Dem Sultan selbst fiel diese Seltsamkeit
auf, und er befragte den Sklaven genau über seinen Na—
men und Herkunft, und wer ihm das Hemd gegeben habe?
Der Ritter unterrichtete ihn von allem „und das Hemd
habe ich von meiner tugendsamen Frau erhalten; daß es
so weiß bleibt, zeigt mir ihre fortdauernde Treue und
Keuschheit an“. Der Heide, durch diese Nachricht neu—
gierig geinacht, beschloß, einen seiner Leute heimlich nach
Metz zu senden; der sollte kein Geld und Gut sparen,
um des Ritters Frau zu seinem Willen zu verführen, so
würde sich nachher ausweisen, ob das Hemd die Farbe
verändere. Der Fremde kam nach Lothringen, kundschaf—
tete die Frau aus und hinterbrachte ihr, wie elendiglich
es ihrem Herrn in der Heidenschaft ginge; worüber sie
Der Mann im Pflug.
227
höchst betrübt wurde, aber sich so tugendhaft bewies, daß
der Abgesandte, nachdem er alles Geld verzehrt hatte,
wieder unausgerichteter Sache in die Türkei zurückreisen
mußte. Bald darauf nahm Florentina sich ein Pilger⸗
kleid und eine Harfe, welche sie wohl zu spielen verstand,
und reiste dem fremden Heiden nach, holte ihn auch noch
zu Venedig ein und fuhr mit ihm in die Heidenschaft,
ohne daß er sie in der veränderten Tracht erkannt hätte.
Als sie nun an des Heidenkönigs Hofe anlangten, wußte
der Pilgrim diesen so mit seinem Gesang und Spiel ein⸗
zunehmen, daß ihm große Geschenke dargeboten wur—
den. Der Pilgrim schlug diese alle aus und bat bloß
um einen von den gefangenen Christen, die im Pfluge
gingen. Die Bitte wurde bewilligt, und Florentina ging
unerkannt zu den Gefangenen, bis sie zuletzt zu dem Pflug
kam, in welchen ihr lieber Mann gespannt war. Darauf
forderte und erhielt sie diesen Gefangenen, und beide reisten
zusammen über die See glücklich nach Deutschland heim.
Zwei Tagreisen vor Metz sagte der Pilgrim zu Alexander:
Bruder, jetzt schneiden sich unsre Wege; gib mir zum An⸗
gedenken ein Stücklein aus deinem Hemde, von dessen
Wunder ich soviel habe reden hören, damit ich's auch
andern erzählen und beglaubigen kann. Diesem will⸗
fahrte der Ritter, schnitt ein Stück aus dem Hemde und
gab es dem Pilgrim; sodann trennten sich beide. Flo—
rentina kam aber auf einem kürzeren Wege einen ganzen
Tag früher nach Metz, legte ihre gewöhnlichen Frauen⸗
kleider an und erwartete ihres Gemahles Ankunft. Als
diese erfolgte, empfing Alexander seine Gemahlin auf das
Zärtlichste;, bald aber bliesen ihm seine Freunde und Ver—
wandten in die Ohren, daß Florenting als ein leichtfer—
tiges Weib zwölf Monate lang in der Welt umher⸗
gezogen sei und nichts von sich habe hören lassen. Alexander
15*
228
Siegfried und Genofeva.
entbrannte vor Zorn, ließ ein Gastmahl anstellen und
hielt seiner Frauen öffentlich ihren geführten Lebens—
wandel vor. Sie trat schweigend aus dem Zimmer, ging
in ihre Kammer und legte das Pilgerkleid an, das sie
während der Zeit getragen hatte, nahm die Harfe zur
Hand, und nun offenbarte sich, indem sie ihm das aus⸗
geschnittene Stück von dem Hemde vorwies, wer sie ge⸗
wesen war, und daß sie selbst als Pilgrim ihn aus dem
Pflug erlöst hatte. Da verstummten ihre Ankläger, fie⸗
len der edlen Frau zu Füßen, und ihr Gemahl bat sie
mit weinenden Augen um Verzeihung.
532. Siegfried und Genofeva.
Freher origines palatinae pars II. 1612. fol. P. 38, 39 und Anhang
S. 186-22, aus einer alten Frauenkircher Handschrift.
Zu den Zeiten Hildolfs, Erzbischofs von Trier, lebte
daselbst Pfalzgraf Siegfried, mit Genofeva seiner Gemah⸗
lin, einer Herzogstochter aus Brabant, schön und fromm.
Nun begab es sich, daß ein Zug wider die Heiden ge⸗
schehen sollte, und Siegfried in den Krieg ziehen mußte;
da befahl er Genofeven, im meifelder Gau auf seiner
Burg Simmern, still und eingezogen zu wohnen; auch
übertrug er einem seiner Dienstmänner, Namens Golo,
auf den er zumal vertraute, daß er seine Gemahlin in
besonderer Aufsicht hielte. Die letzte Nacht vor seiner
Abreise hatte aber Genofeva einen Sohn von ihrem Ge—
mahl empfangen. Als nun Siegfried abwesend war,
dauerte es nicht lange, und Golo entbrann von sündlicher
Liebe zu der schönen Genofeva, die er endlich nicht mehr
zurückhielt, sondern der Pfalzgräfin erklärte. Sie aber
wies ihn mit Abscheu zurück. Darauf schmiedete Golo
falsche Briefe, als wenn Siegfried mit allen seinen Leuten
Siegfried und Genofeva. 229
im Meer ertrunken wäre, und las sie der Gräfin vor;
jetzt gehöre ihm das ganze Reich zu, und sie dürfe ihn
ohne Sünde lieben. Als er sie aber küssen wollte, schlug
sie ihm hart mit der Faust ins Gesicht, und er merkte
wohl, daß er nichts ausrichten konnte; da verwandelte
er seinen Sinn, nahm der edlen Frau alle ihre Diener
und Mägde weg, daß sie in ihrer Schwangerschaft die
größte Not litt. Und als ihre Zeit heranrückte, gebar
Genofeva einen schönen Sohn, und niemand, außer einer
alten Waschfrau, stand ihr bei oder tröstete sie; endlich
aber hörte sie, daß der Pfalzgraf lebe und bald zurück—
kehre; und sie fragte den Boten, wo Siegfried jetzo sei?
„Zu Straßburg“ antwortete der Bote, und ging darauf
zu Golo, dem er dieselbe Nachricht brachte. Golo erschrak
heftig und hielt sich für verloren. Da redete eine alte
Here mit ihm, was er sich Sorgen um diese Sache mache?
Die Pfalzgräfin habe zu einer Zeit geboren, daß niemand
wissen könne, ob nicht der Koch oder ein andrer des Kin⸗
des Vater sei; „sag nur dem Pfalzgrafen, daß sie mit
dem Koch gebuhlt habe, so wird er sie töten lassen, und
du ruhig sein.“ Golo sagte „der Ratschlag ist gut“ ging
daher eilends seinem Herrn entgegen und erzählte ihm
die ganze Lüge. Siegfried erschrak und seufzte aus tiefem
Leid. Da sprach Golo: „Herr, es ziemt dir nicht länger,
diese zum Weibe zu haben. Der Pfalzgraf sagte: „Was
soll ich tun?“ Ich will — versetzte der Treulose — sie
mit ihrem Kind an den See führen und im Wasser er—
säufen. Als nun Siegfried eingewilligt hatte, ergriff Golo
Genofeven und das Kind, und übergab sie den Knech⸗
ken, daß sie sie töten sollten. Die Knechte führten sie in
den Wald, da hub einer unter ihnen an: „Was haben
diese Unschuldigen getan?“ Und es entstand ein Wort—
wechsel, keiner aber wußte Böses von der Pfalzgräfin zu
230
Siegfried und Genofeva.
sagen und keinen Grund, warum sie sie tköten sollten;
es ist besser — sprachen sie — daß wir sie hier von den
wilden Tieren zerreißen lassen, als unsre Hände mit ihrem
Blut zu beflecken. Also ließen sie Genofeven allein in
dem wilden Wald und gingen fort. Da sie aber ein
Wahrzeichen haben mußten, das sie Golo mitbrächten,
so riet einer, dem mitlaufenden Hunde die Zunge auszu⸗
schneiden. Und als sie vor Golo kamen, sagte er: „Wo
habt ihr sie gelassen?“ „Sie sind ermordert“ antwor—⸗
teten sie, und wiesen ihm Genofevens Zunge.
Genofeva aber weinte und betete in der öden Wild—
nis; ihr Kind war noch nicht dreißig Tage alt, und sie
hatte keine Milch mehr in ihren Brüsten, womit sie es
ernähren könnte. Wie sie nun die heilige Jungfrau um
Beistand flehte, sprang ploͤtzlich eine Hindin durchs Ge⸗
sträuch und setzte sich neben das Kind nieder; Genofeva
legte die Zitzen der Hindin in des Knäbleins Mund, und
es sog daraus. An diesem Orte bieb sie sechs Jahre und
drei Monate; sie selbst aber nährte sich von Wurzeln
und Kräutern, die sie im Walde fand; sie wohnten unter
einer Schichte von Holzstämmen, welche die arme Frau
so gut sie konnte, mit Dörnern gebunden hatte.
Nach Verlauf dieser Zeit trug sich's zu, daß der Pfalz⸗
graf gerade in diesem Wald eine große Jagd anstellte;
und da die Jäger die Hunde hetzten, zeigte sich ihren
Augen dieselbe Hirschkuh, die den Knaben mit ihrer Milch
nährte. Die Jäger verfolgten sie; und weil sie zuletzt kei⸗
nen andern Ausweg hatte, floh sie zu dem Lager, wohin
sie täglich zu laufen pflegte und warf sich, wie gewöhn⸗
lich, zu des Knaben Füßen. Die Hunde drangen nach,
des Kindes Mutter nahm einen Stock und wehrte die
Hunde ab. In diesem Augenblick kam der Pfalzgraf hin⸗
zu, sah das Wunder und befahl, die Hunde zurück zu
Siegfried und Genofeva. 231
rufen. Darauf fragte er die Frau, ob sie eine Christin
wäre? Sie antwortete: „Ich bin eine Christin, aber
ganz entblößt; leih mir deinen Mantel, daß ich meine
Scham bedecke. Siegfried warf ihr den Mantel zu, und
sie bedeckte sich damit. Weib, sagte er, warum schafftest
du dir nicht Speise und Kleider? Sie sprach: „Brot habe
ich nicht, ich aß die Kräuter, die ich im Walde fand; mein
Kleid ist vor Alter zerschlissen und auseinander gefallen.
— Wieviel Jahre sind's, seit du hierher gekommen? —
Sechs und drei Monden wohne ich hier. — Wem ge—
gehört der Knabe? — Es ist mein Sohn. — Wer ist
des Kindes Vater? — Gott weiß es. — Wie kamst du
hierher, und wie heißest du? — Mein Namen ist Geno—
feva. — Als der Pfalzgraf den Namen hörte, gedachte
er seiner Gemahlin; und einer der Kämmerer trat hinzu,
und rief: „Bei Gott, das scheint mir unsre Frau zu sein,
die schon lange gestorben ist, und sie hatte ein Mahl am
Gesicht. Da sahen sie alle, daß sie noch dasselbe Mahl
an sich trug. Hat sie auch noch den Trauring? sagte
Siegfried. Da gingen zwei hinzu und fanden, daß sie
noch den Ring trage. Alsobald umfing sie der Pfalz—
graf und küßte sie und nahm weinend den Knaben und
sprach: „Das ist mein Gemahl, und das ist mein Kind.
Die gute Frau erzählte nun allen, die da standen, von
Wort zu Wort, was ihr begegnet war, und alle ver—⸗
gossen Freudentränen; indem kam auch der treulose Golo
dazu, da wollten sie alle auf ihn stürzen und ihn töten.
Der Pfalzgraf rief aber: „Haltet ihn, bis wir aussinnen,
welches Todes er würdig ist. Dies geschah; und nachher
verordnete Siegfried, vier Ochsen zu nehmen, die noch
vor keinem Pfluge gezogen hätten, und jeden Ochsen dem
Missetäter an die vier Teile des Leibes zu spannen, zwei
an die Füße, zwei an die Haͤnde, und dann die Ochsen
232 Karl HYnach, Salvius Brabon und Frau Schwan.
gehn zu lassen. Und als sie auf diese Weise festgebunden
waren, ging jeder Ochse mit seinem Teile durch, und Golos
Leib wurde in vier Stücke zerrissen.
Der Pfalzgraf wollte nunmehr seine geliebte Gemahlin
nebst dem Söhnlein heimführen. Sie aber schlug es aus
und sprach: „An diesem Orte hat die heilige Jungfrau
mich vor den wilden Tieren bewahrt und durch ein Wild
mein Kind erhalten; von diesem Orte will ich nicht wei⸗
chen, bis er ihr zu Ehren geweiht ist. Sogleich besandte
der Pfalzgraf den Bischof Hildulf, welchem er alles be⸗
richtete; der Bischof war erfreut und weihte den Ort.
Nach der Weihung führte Siegfried seine Gemahlin und
seinen Sohn herzu und stellte ein feierliches Mahl an;
sie bat, daß er hier eine Kirche bauen ließe, welches er
zusagte. Die Pfalzgräfin konnte fürder keine Speisen
mehr vertragen, sondern ließ sich im Walde die Kräuter
sammeln, an welche sie gewohnt geworden war. Allein
sie lebte nur noch wenige Tage und wanderte selig zum
Herrn; Siegfried ließ ihre Gebeine in der Waldkirche, die
er zu bauen gelobt hatte, bestatten; diese Kapelle hieß
Frauenkirchen (unweit Meyen), und manche Wunder ge⸗
schahen daselbst.
533. Karl Ynach, Saloius Brabon und
Frau Schwan.
Jehan le Maire IIIustrations de Gaule. Paris 1548. 4. Lib. III. Bl. 20-23.
(Val. Tacitus hist. IV. 55.)
Gottfried, mit dem Zunamen der Kaorl, war König
von Tongern und wohnte an der Maas auf seiner Burg
Megen. Er hatte einen Sohn, namens Karl Mach, den
verbannte er aus dem Land, weil er einer Jungfrau Ge⸗
walt getan hatte. Karl Ynach floh nach Rom zu seinem
Karl Ynach, Salvius Brabon und Frau Schwan. 233
Dheim Cloadich, welcher daselbst als Geißel gefangen
lebte, und wurde von diesem ehrenvoll empfangen. Karl
Ynach wohnte zu Rom bei einem Senator, namens
Detavius, bis dieser vor des Sylla Grausamkeit aus der
Stadt wich nach Arkadien. Hier aber lebte Lucius Julius
Proconsul, welcher zwei Töchter hatte, die eine hieß Julia,
die nde Germana. In diese Germana verliebte sich
nun Karl Ynach, offenbarte ihr, daß er eines Königs
Sohn wäre, und beredete sie zur Flucht. Eines Nachts
nahmen sie die besten Kleinode aus ihrem Schatz, schifften
sich heimlich ein und kamen nach Italien, nahe bei Venedig.
Hier stiegen beide zu Pferd, ritten über Mailand durch
Savoyen und Burgund ins Land Frankreich und trafen
nach viel Tagefahrten zu Cambray ein. Von da gingen
sie noch weiter an einen Drt, der damals das Schloß
Senes hieß, und ruhten in einem schönen Tale aus. In
diesem Tal, auf einem lustigen Fluß schwammen Schwäne;
einer ihrer Diener, der Bogenschütze war, spannte und
schoß einen Pfeil. Aber er fehlte den Schwan, der er—
schrockene Vogel hob sich in die Luft und flüchtete sich
in der schönen Germana Schoß. Froh über dieses Wunder,
und weil der Schwan ein Vogel guter Bedeutung ist,
fragte sie Karl Hnach, ihren Gemahl, wie der Vogel in
seiner Landessprache heiße? In deutscher Sprache, ant⸗
wortete er, heißt man ihn Swana. „So will ich —
sagte sie — hinführo nicht länger Germana, sondern
Schwan heißen;“ denn sie befürchtete, eines Tages an
ihrem rechten Namen erkannt zu werden. Der ganze
Ort aber bekam von der Menge seiner Schwäne, den
Namen Schwanental (vallis cignea, Valenciennes) an
der Schelde. Jenen Schwan nahm die Frau mit, fütterte
und pflag ihn sorgsam. Karl und Frau Schwan ge⸗
langten nach diesem bis zu dem Schlosse Florimont,
234.5 Karl Dnach, Salvius Brabon und Frau Schwan.
unweit Brüssel; daselbst erfuhr er den Tod seines Vaters
Gottfried Karl und zog sogleich dahin. Zu Löwen opferte
er seinen Göttern, und wurde in Tongern mit Jubel und
Freude als König und Erbe empfangen. Salvius herrschte
hierauf eine lange Zeit in Frieden und zeugte mit seiner
Gemahlin einen Sohn und eine Tochter. Der Sohn
wurde Octavian, die Tochter wiederum Schwan benannt.
Bald danach hatte Ariovist, König der Sachsen, Krieg
mit Julius Cäsar und den Römern; Karl Ynach verband
sich mit Ariopist und zog den Römern entgegen, blieb
aber tot in einer Schlacht, die bei Besançon geliefert
wurde. Frau Schwan, seine Witwe, barg sich mit ihren
Kindern in dem Schlosse Megen an der Maas und
fürchtete, daß Julius Cäsar, ihr Bruder, sie auskund—
schaften möchte. Das Reich Tongern hatte sie an Am—
biorix abgetreten, nahm aber ihren Schwan mit nach
Megen, wo sie ihn auf den Burggraben setzte und oft
mit eigener Hand fütterte, zum Angedenken ihres Gemahls.
Julius Cäsar hatte dazumal in seinem Heer einen Hel⸗
den, namens Savius Brabon, der aus dem Geschlechte
des Frankus, Hektors von Troja Sohn, abstammte. Ju—
lius Cäsar, um sich von der Arbeit des Krieges ein wenig
auszuruhen, war ins Schloß Cleve gekommen; Salbius
Brabon belustigte sich in der Gegend von Cleve mit
Bogen und Pfeil, gedachte an sein bisheriges Leben und
an einen bedeutenden Traum, den er eines Nachts gehabt.
In diesen Gedanken befand er sich von ungefähr am
Ufer des Rheins, der nicht weit von dem Schlosse Cleve
fließt, und sah auf dem Strom einen schneeweißen Schwan;
der spielte und biß mit seinem Schnabel in einen Kahn
am Ufer. Salvius Brabon blickte mit Vergnügen und
Verwunderung zu, und die glückliche Bedeutung dieses
Vogels mit seinem Traum verbindend, trat er in das
Karl Ynach, Salvius Brabon und Frau Schwan. 235
Schifflein; der Schwan, ganz kirr und ohne Scheu zu
werden, floß ein wenig voraus und schien ihm den Weg
zu weisen; der Ritter empfahl sich Gott und beschloß
ihm zu folgen. Ganz ruhig geleitete ihn der Schwan den
Lauf des Rheins entlang, und Salvius schaute sich allent⸗
halben um, ob er nichts sähe; so fuhren sie lang und
weit, bis endlich der Schwan das Schloß Megen er—
kannte, wo seine Herrin wohnte, kümmerlich als eine
arme Witwe in fremdem Lande, ihre beiden Kinder auf⸗
erziehend. Der Schwan, als er nun seinen gewohnten
Aufenthalt erblickte, schlug die Flügel, erhob sich in die
Lüfte und flog zum Graben, wo ihn die Frau aus ihrer
Hand fressen ließ. Als sich aber Salvius von seinem
Führer verlassen sah, wurde er betrübt, landete mit seinem
Nachen und sprang ans Land; er hielt den Bogen ge⸗
spannt und dachte den Schwan zu schießen, falls er ihn
erreichen könnte. Wie er nun weiter ging, und den
Vogel im Schloßgraben fand, legte er den Pfeil auf
und zielte. Indem war die Frau ans Fenster getreten,
den Schwan zu liebkosen, und sah einen ftemden Mann
darauf anlegen. Erschrocken rief sie laut in griechischer
Sprache: „Ritter, ich beschwöre dich, töte mir nicht diesen
Schwan.“ Salvius Brabon, der sich mit diesen Worten
in Anem wildfremden Lande und durch eine Frau in
seiner Sprache anrufen hörte, war überaus betroffen,
zog jedoch die Hand vom Bogen und tat den Pfeil
vom Strang; darauf fragte er die Frau auf griechisch,
was sie in dem abgelegenen, wilden Lande mache? Sie
aber war noch mehr erschrocken, sich in ihrer Mutter—
sprache anreden zu hören, und lud ihn ein, in die Burg
zu treten, so würden sie sich vollständig einander Auf⸗
schluß geben können, welches er auch mit Vergnügen an⸗
nahm. Als er innen war, fragte sie ihn eine Menge
236 Karl Ynach, Salvius Brabon und Frau Schwan.
Dinge- und erfuhr auch Julius Cäsars Aufenthalt zu
Cleve. Weil sie aber hörte, daß der Ritter aus Arkadia
stammte, nahm sie sich ein Herz und forderte ihm einen
Eid ab, daß er ihr beistehen wolle, wie man Witwen und
Waisen soll; darauf erzählte sie umständlich alle ihre
Begebenheiten. Sie bat, daß er sie wieder mit ihrem
Bruder aussöhnen möchte und gab ihm für diesen zum
Wahrzeichen ein goldnes Götzenbild, das ihr Julius Cäsar
einstmals aufzuheben vertraut hatte, mit. Salvius Bra⸗
bon versprach das seinige zu tun und kehrte wieder zu
seinem Herrn nach Cleve zurück. Er grüßte ihn von seiner
Schwester und gab ihm das Goldbild, welches Julius
Cäsar auf den ersten Blick erkannte. Sodann fragte er
den Salvius, wo er sie gefunden hätte? Dieser erzählte
ihr Leben und Schicksal und bat um Verzeihung. Cäsar
wurde gerührt zum Erbarmen ünd bedauerte auch seines
Schwagers, Karl Ynachs, Tod; hierauf wollte er sogleich
seine Schwester und Neffen sehen; Salbius Brabon führte
ihn mit Freuden nach dem Schlosse Megen. Sie erkannten
sich mit herzlicher Wonne. Salvius Brabon bat sich die
junge Schwan, des Kaisers Nichte, zur Gemahlin aus,
die ihm auch bewilligt wurde. Die Hochzeit geschah zu
Löwen. Julius Cäsar verlieh seiner Nichte und ihrem
Gemahl einerweite Strecke Landes als ein Herzogtum, von
dem Meer mit dem Wald Soigne und dem Flusse Schelde,
bis zu dem Bächlein, welches heißet Lace. Brabon
war hier der erste Fürst, und von ihm trägt dieses Land den
Namen Brabant. Seinem Neffen Octavian gab der Kaiser
das Königreich Agrippina am Rhein, ein weites Gebiet.
Tongern aber benannte er hinführo nach dem Namen
—
daß Octavian den Beinamen Germanicus führte. Seit—
dem heißen die Deutschen nun Germanen.
Der Ritter mit dem Schwan. 237
534. Der Ritter mit dem Schwan.
Flamländ. Volksbuch.
Altdeutsch in einem Mspt. der Paulinerbibl. zu Leipzig. Nro. 89. EFPellor
292.)
Zu Flandern war vor alters ein Königreich Lillefort,
da, wo jetzt die Städte Ryßel und Doway liegen; in
demselben herrschte Pyrion mit Matabrunag, seiner Ge—
mahlin. Sie zeugten einen Sohn, namens Driant. Dieser
jagte eines Tages im Walde einen Hirsch, der Hirsch ent⸗
sprang ihm aber in ein Wasser, und Driant setzte sich
müde an einen schönen Brunnen, um dabei auszuruhen.
Als er so allein saß, kam eine edle Jungfrau gegangen,
die seine Hunde sah und ihn fragte: „Mit wessen Ur⸗
laub er in ihrem Wald jage?“ Diese Jungfrau hieß
Beatrix, und Driant wurde von ihrer wunderbaren
Schönheit so getroffen, daß er ihr die Liebe erklärte und
seine Hand auf der Stelle bot. Beatrix willigte ein, und
der junge König nahm sie mit aus dem Wald nach
Lillefort, um eine fröhliche Hochzeit zu feiern. Matabrun
seine Mutter ging ihm aber entgegen und war der jungen
Braut gram; darum, daß er sie nackt und bloß heim⸗
geführt hatte und niemand wußte, woher sie stammte.
Nach einiger Zeit nun wurde die Königin schwanger;
währenddessen geschah's, daß sie von ungefähr am Fenster
stand und zwei Kindlein, die eine Frau auf einmal ge⸗
boren hatte, zur Taufe tragen sah. Da rief sie heimlich
ihren Gemahl und sprach: „Wie das möglich wäre, daß
eine Frau zwei Kinder gebäre, ohne zwei Männer zu
haben?“ Sriant antwortete: „Mit Gottes Gnaden kann
eine Frau sieben Kinder auf einmal von ihrem Manne
empfangen.“ Bald darauf mußte der König in den
Krieg ziehen; da sich nun seine Gemahlin schwanger be—
fand, empfahl er sie seiner Mutter zu sorgfältiger
238 Dder Ritter mit dem Schwan.
Obhut und nahm Abschied. Matabruna hingegen dachte
auf nichts als Böses und beredete sich mit der Weh—
mutter: „Daß sie der Königin, wenn sie gebären würde,
statt der Kinder junge Hunde unterschieben, die Kinder
selbst töten und Beatrirx einer strafbaren Gemeinschaft
mit Hunden anklagen wollten.
Als nun ihre Zeit heranrückte, ward Beatrix von sechs
Söhnen und einer Tochter entbunden, und jedem Kind—
lein lag um seinen Hals eine silberne Kette. Matabruna
schaffte sogleich die Kinder weg und legte sieben Wölpe
hin; die Wehfrau aber rief: „Ach, Königin, was ist Euch
geschehen! Ihr habt sieben scheußliche Wölpe geboren,
tut sie weg und laßt sie unter die Erde graben, daß dem
Könige seine Ehre bewahrt bleibe. Beatrir weinte und
rang die Hände, daß es einen erbarmen mußte; die alte
Königin aber hub an, sie heftig zu schelten und des schänd—
lichsten Ehebruchs zu zeihen. Darauf ging Matabrung
weg, rief einen vertrauten Diener, dem sie die sieben
Kindlein übergab und sprach: „Die silbernen Ketten an
dieser Brut bedeuten, daß sie dereinst Räuber und Mörder
werden; darum muß man eilen, sie aus der Welt zu
schaffen.“ Der Knecht nahm sie in seinen Mantel, ritt
in den Wald und wollte sie töten; als sie ihn aber an—
lachten, wurde er mitleidig, legte sie hin und empfahl sie
der Barmherzigkeit Gottes. Darauf kehrte er an den
Hof zurück und sagte der Alten, daß er ihren Befehl
ausgerichtet, wofür sie ihm großen Lohn versprach. Die
sieben Kinder schrien unterdessen vor Hunger im Walde;
das hörte ein Einsiedler, Helias mit Namen, der fund
sie und trug sie in seinem Gewande mit sich in die Klause.
Der alte Mann aber wußte nicht, wie er sie ernähren
sollte; siehe, da kam eine weiße Geis gelaufen, bot den
Kindern ihre Mammen, und sie sogen begierig daran.
Der Ritter mit dem Schwan. 239
Diese Geis stellte sich nun von Tag zu Tag ein, bis daß
die Kinder wuchsen und größer wurden. Der Einsiedel
machte ihnen dann kleine Röcklein von Blättern, sie
gingen spielen im Gesträuch und suchten sich wilde Beeren,
die sie aßen, und wurden auferzogen in Gottes Furcht
und Gnade.
Der König, nachdem er den Feind besiegt hatte, kehrte
heim und wuͤrde mit Klagen empfangen: „Daß sein Ge—
mahl von einem schändlichen Hunde sieben Wölpe ge⸗
boren hätte, welche man weggeschafft. Da befiel ihn
tiefer Schmerz; er versammelte seinen Rat und fragte,
was zu tun wäre? Und einige rieten, die Königin zu
verbrennen, andere aber, sie nur gefangen einzuschließen.
Dieses letztere gefiel dem Könige besser, weil er sie noch
immer liebte. Also blieb die unschuldige Beatrix einge—
schlossen, bis zur Zeit, daß sie wieder erlöst werden
sollte.
Der Einsiedel hatte unterdessen die sieben Kinder ge⸗
tauft und eines, das er besonders liebte, Helias, nach
seinem Namen geheißen. Die Kinder aber in ihren
Blätterröcklein, barfuß und barhaupt, liefen stets mit—
einander im Wald herum. Es geschah, daß ein Jaäger
der alten Königin daselbst jagte und die Kindlein alle
sieben, mit ihren Silberketten um den Hals, unter einem
Baum sitzen sah, von dem sie die wilden Apfel abrupften
und aßen. Der Jäger grüßte sie, da flohen die Kinder
zu der Klause, und der Einsiedler bat, daß der Jäger
ihnen kein Leid tun möchte. Als dieser Jäger wieder
nach Lillefort kam, erzählte er Matabrunen alles, was
er gesehen hatte; sie wunderte sich und riet wohl, daß
es Driants sieben Kinder wären, welche Gott beschirmt
hatte. Da sprach sie auf der Stelle: „D guter Gesell,
nehmt von Euren Leuten und kehret mir eilends zum
240 Der Ritter mit dem Schwan.
Wald, daß ihr die sieben Kinder tötet, und bringt mir die
sieben Ketten zum Wahrzeichen mit! Tut ihr das nicht, so
ist's um euer eigen Leben geschehn, sonst aber sollt ihr
großen Lohn haben.“ Der Jäger sagte: „Euer Wille
soll befolgt werden“, nahm sieben Männer und machte
sich auf den Weg nach dem Walde. Unterwegs mußten
sie durch ein Dorf, wo ein großer Haufen Menschen ver—
sammelt war. Der Jäger fragte nach der Ursache und
erhielt zur Antwort: „Es soll eine Frau hingerichtet
werden; weil sie ihr Kind ermordet hat. Ach — dachte
der Jäger — diese Frau wird verbrennt, weil sie ein
Kind getötet hat; und ich gehe darauf aus, sieben Kinder
zu morden; verflucht sei die Hand, die dergleichen voll⸗
bringt! Da sprachen alle Jäger: „Wir wollen den
Kindern kein Leid tun, sondern ihnen die Ketten ablösen
und sie der Königin bringen, zum Beweise, daß sie tot seien.
Hierauf kamen sie in den Wald, und der Einsiedler war
gerade ausgegangen, auf dem Dorfe Brot zu betteln,
und hatte eins der Kinder mitgenommen, das ihm tragen
helfen mußte. Die sechs anderen schrien vor Furcht, wie
sie die sechs fremden Mämer sahen. Fürchtet euch nicht,
sprach der Jäger. Da nahmen sie die Kinder und taten
ihnen die Ketten vom Hals; in demselben Augenblick,
wo dies geschah, wurden sie zu weißen Schwänen und
flogen in die Luft. Die Jäger aber erschraken sehr, und
zuletzt gingen sie nach Haus und brachten der alten Kö⸗
nigin die sechs Ketten unter dem Vorgeben: die siebente
hätten sie verloren. Darüber war Matabrunag sehr bös
und entbot einem Goldschmied, aus den sechsen einen
Napf zu schmieden. Der Goldschmied nahm eine der
Ketten und wollte sie im Feuer prüfen, ob das Silber
gut wäre. Da wurde die Kette so schwer, daß sie allein
mehr wog, als vorher die sechse zusammen. Der Schmied
Der Ritter mit dem Schwan. 241
war verwundert, gab die fünfe seiner Frau, sie aufzu⸗
heben; und aus der sechsten, die geschmolzen war, wirkte
er zwei Näpfe, jeden so groß, als ihn Matabrun begehrt
hatte. Den einen Napf behielt er auch noch zu den
Ketten, und den anderen trug er der Königin hin, die
sehr zufrieden mit seiner Schwere und Größe war.
Als nun die Kinder in weiße Schwäne verwandelt
worden waren, kam der Einsiedler mit dem jungen Helias
auch wieder heim und war erschrocken, daß die anderen
fehlten. Und sie suchten nach ihnen den lieben langen
Tag, bis zum Abend, und fanden nichts und waren
sehr traurig. Morgens frühe beganm der kleine Helias
wieder nach seinen Geschwistern zu suchen, bis er zu einem
Weiher kam, worauf sechs Schwäne schwammen, die
zu ihm hin flossen und sich mit Brot füttern ließen.
Von nun ging er alle Tage zu dem Wasser und brachte
den Schwänen Brot; es verstrich eine geraume Zeit.
Während Beatrix gefangen saß, dachte Matabrun
auf nichts anderes, als sie durch den Tod wegzuräumen.
Sie stiftete daher einen falschen Zeugen an, welcher aus⸗
sagte: „den Hund gekannt zu haben, mit dem die Königin
Umgang gepflogen hätte.“ Oriant wurde dadurch von
neuem erbittert; und als der Zeuge sich erbot, seine Aus—
sage gegen jedermann im Gotteskampf zu bewähren,
schwur der König: „Daß Beatrix sterben solle, wenn
kein Kämpfer für sie aufträte. In dieser Not betete sie
zu Gott, der ihr Flehen hörte und einen Engel zum Ein⸗
siedler sandte. Dieser erfuhr nunmehr den ganzen Ver—
lauf: wer die Schwäne wären, und in welcher Gefahr
ihre arme Mutter schwebte. Helias, der Jüngling, war
erfreut über diese Nachricht; und machte sich barfuß,
barhaupt und in seinem Blätterkleid auf, an den Hof
des Königs, seines Vaters, zu gehen. Das Gericht war
Grimm, Sagen 1J1. 16
242 Der Ritter mit dem Schwan.
gerade versammelt, und der Verräter stand zum Kampfe
bereit. Helias erschien, seine einzige Waffe war eine
hölzerne Keule. Hierauf überwand der Jüngling seinen
Gegner und tat die Unschuld dee geliebten Mutter dar,
die sogleich befreit und in ihre vorigen Rechte eingesetzt
wurde. Als sich nun die ganze Verräterei enthüllt hatte,
wurde sogleich der Goldschmied' gesandt, der die Schwan⸗
ketten verschmieden sollte. Er kam und brachte fünf
Ketten und den Napf, der ihm von der sechsten über—
geschossen war. Helias nahm nun diese Ketten und war
begierig, seine Geschwister wieder zu erlösen; plötzlich sah
man sechs Schwäne zu dem Schloßweiher geflogen
kommen. Da gingen Vater und Mutter mit ihm hinaus,
und das Volk stand um das Ufer und wollte dem Wunder
zusehen. Sobald die Schwäne Helias erblickten, schwom—
men sie hinzu, und er strich ihre Federn und wies ihnen
die Ketten. Hierauf legte er einem nach dem anderen
die Kette um den Hals, augenblicklich standen sie in
menschlicher Gestalt vor ihm, vier Söhne und eine Tochter⸗
und die Eltern liefen hinzu, ihre Kinder zu halsen und
zu küssen. Als aber der sechste Schwan sah, daß er
allein übrig blieb und kein Mensch wurde, war er tief
betrübt und zog sich im Schmerz die Federn aus; Helias
weinte und ermahnte ihn tröstend zur Geduld. Der
Schwan neigte mit dem Hals, als ob er ihm dankte,
und jedermann bemitleidete ihn. Die fünf anderen Kinder
wurden darauf zur Kirche geführt und getauft; die
Tochter empfing den Namen Rose, die vier Brüder
wurden hernachmals fromme und tapfere Helden.
König Oriant nach diesen wunderbaren Begebenheiten
gab nun die Regierung des Reichs in seines Sohnes
Helias Hände. Der junge König aber beschloß, vor allem
das Recht walten zu lassen, eroberte die feste Burg,
Der Ritter mit dem Schwan. 243
wohin Matabrun geflohen war, und überlieferte sie dem
Gericht, welches die Übeltäterin zum Tode des Feuers
verdammte. Dieses Urteil wurde sodann vollstreckt. Helias
regierte nun eine Weile zu Lillefort; eines Tages aber,
da er den Schwan, seinen Bruder, auf dem Schloßweiher
einen Nachen ziehen sah, hatte er keine längre Ruhe,
sondern hielt dies für ein Zeichen des Himmels, daß er
dem Schwan folgen und irgendwo Ruhm und Ehre
erwerben solle. Er versammelte daher Eltern und Ge—
schwister, entdeckte ihnen sein Vorhaben und küßte sie
zum Abschied. Dann ließ er sich Harnisch und Schild
bringen. Driant, sein Vater, schenkte ihm ein Horn und
sprach: „Dieses Horn bewahre wohl! denn alle, die es
blasen hören, denen mag kein Leid geschehen.“ Der
Schwan schrie drei- oder viermal ganz mit seltsamer
Stimme; da ging Helias zum Gestade hinab; sogleich
schlug der Vogel die Flügel, als ob er ihn fröhlich be—
willkommte, und neigte seinen Hals. Helias betrat den
Nachen, und der Schwan stellte sich vornen hin und
schwamm voraus; schnell flossen sie davon, von Fluß in
Fluß, von Strom in Strom, bis sie zu der Stelle ge—
langten, wohin sie nach Gottes Willen beschieden waren.
Zu diesen Zeiten herrschte Otto der erste, Kaiser von
Deutschland, und unter ihm stand das Ardennerland,
Lüttich und Namur. Dieser hielt gerade seinen Reichstag
zu Nimmegen, und wer über ein Unrecht zu klagen
hatte, der kam dahin und brachte seine Worte an. Es
begab sich nun, daß auch der Graf von Franken—
burg vor den Kaiser trat und die Herzogin von
Billon (Bouillon), namens Clarissa, beschuldigte, ihren
Gemahl vergiftet und während seiner dreijährigen Meer—
fahrt eine unrechte Tochter erzeugt zu haben; darum sei
das Land nunmehr an ihn, den Bruder des Herzogs
16*
244 Der Ritter mit dem Schwan.
verfallen. Die Herzogin verantwortete sich, so gut sie
konnte, aber das Gericht sprach einen Gotteskampf aus
und daß sie sich einen Streiter gegen den Grafen von
Frankenburg stellen müsse, der ihre Unschuld dartun
wolle. Die Herzogin sah sich aber vergebens nach einem
Retter um, indem hörten alle ein Horn blasen. Do
schaute der Kaiser zum Fenster- und man erblickte auf
dem Wasser den Nachen fahren, von dem Schwan ge—
leitet, in welchem Helias gewappnet stand. Kaiser Otto
verwunderte sich, und als das Fahrzeug anhielt, und der
Held landete, hieß er ihn sogleich vor sich führen. Die
Herzogin sah ihn auch kommen und erzählte ihrer Tochter
einen Traum, den sie die letzte Nacht gehabt hatte: „Es
traͤumte mir, daß ich vor Gericht mit dem Grafen dingte
und ward verurteilt, verbrennt zu werden. Und wie ich
schon an den Flammen stand, flog über meinem Haupt
ein Schwan und brachte Wasser zum Löschen des Feuers,
aus dem Wasser stieg ein Fisch, vor dem fürchteten sich
alle, sodaß sie bebten; darum hoffe ich, daß uns dieser
Ritter vom Tode erlösen wird.“ Helias grüßte den Kaiser
und sprach: „Ich bin ein armer Ritter, der durch Aben—
teuer hierherkommt, um euch zu dienen.“ Der Kaiser
antwortete: „Abenteuer habt ihr hier gefunden! hier
stehet eine auf den Tod verklagte Herzogin; wollt ihr
für sie kämpfen, so könnt ihr sie retten, wenn ihre Sache
gut ist.“ Helias sah die Herzogin an, die ihm sehr ehr⸗
bar zu sein schien, und ihre Tochter war von wunder⸗
barer Schönheit, daß sie ihm herzlich wohlgefiel. Sie
aber schwur ihm mit Traͤnen, daß sie unschuldig wäre,
und Helias gelobte, ihr Kämpfer zu werden. Das Ge⸗
fecht wurde hierauf anberaumt, und nach einem gefähr⸗
lichen Streite schlug der Ritter mit dem Schwan dem
Grafen Dtto das Haupt vom Halse, und der Herzogin
Der Ritter mit dem Schwan 245
Unschuld wurde offenbar. Der Kaiser begrüßte den
Sieger; die Herzogin aber begab sich des Landes zu
gunsten ihrer Tochter Clarissa und vermählte sie mit
dem Helden, der sie befreit hatte. Die Hochzeit wurde
prächtig zu Nimmegen gefeiert; hernach zogen sie in ihr
Ldand Bilon, wo sie mit Freuden empfangen wurden.
Nach neun Monaten gebar die Herzogin eine Tochter,
welche den Namen Yda empfing und späterhin die Mut⸗
ter berühmter Helden ward. Eines Tages nun fragte die
Herzogin ihren Gemahl im Gespräch nach seinen Freunden
und Magen, und aus welchem Lande er gekommen wäre?
Helias aber antwortete uichts, sondern verbot ihr diese
Frage; sonst müsse er von ihr scheiden. Sie fragte ihn
also nicht mehr, und sechs Jahre lebten sie in Ruhe uud
Frieden zusammen.
Was man den Frauen verbietet, das tun sie zumeist,
und die Herzogin, als sie einer Nacht bei ihrem Gemahl
zu Bette lag, sprach dennoch: „D mein Herr! ich möchte
gerne wissen, von wannen ihr seid.“ Als dies Helias
hörte, wurde er betrübt und antwortete: „Ihr wißt, daß
ihr das nicht wissen sollt; ich gelobe euch nun, morgen
von Lande zu scheiden.“ Und wieviel sie und die Tochter
klagten und weinten, stand der Herzog morgens auf, be—
rief seine Mannen und gebot ihnen, Frau und Tochter
nach Nimmegen zu geleiten, damit er sie dort dem Kaiser
empfehlen könne; denn er kehre nimmermehr wieder.
Unter diesen Reden hörte man schon den Schwan schreien,
der sich über seines Bruders Wiederkunft freute, und
Helias trat in den Nachen. Die Herzogin reiste mit ihrer
Tochter zu Lande nach Nimmegen, dahin kam bald der
Schwan geschwommen. Helias blies ins Horn und trat
vor den Kaiser; dem er sagte, daß er notgedrungen sein
Land verlassen müsse und dringend seine Tochter Ida
246 Der Ritter mit dem Schwan.
empfahl. Dtto sagte es ihm zu und Helias, nachdem
er Abschied genommen, Weib und Kind zärtlich geküßt
hatte, fuhr in dem Nachen davon.
Der Schwan aber geleitete ihn wieder nach Lillefort,
wo ihn alle, und zumal Beatrix, seine Mutter, fröhlich
bewillkommten. Helias dachte vor allen Dingen, wie er
seinen Bruder Schwan wieder lösen möchte. Er ließ da—
her den Goldschmied rufen und händigte ihm die beiden
Näpfe ein, mit dem Befehl, daraus eine Kette zu schmieden,
wie die gewesen war, die er einstens geschmolzen hatte.
Der Schmied tat es und brachte die Kette; Helias hängte
sie dem Schwan um, der ward alsobald ein schöner Jüng—
ling, wurde getauft, und Eßmer (nach andern Emeri,
Emerich) genannt.
Einige Zeit darauf erzählte Helias seinen Verwandten
die Begebenheit, die er im Lande Billon erfahren hatte;
begab sich darauf der Welt und ging in ein Kloster, um
da geistlich zu leben, bis an sein Ende Aber zum An—
denken ließ er ein Schloß bauen, ganz wie das in Ar—
dennen, und nannte es auch mit demselben Namen, Billon.
Als nun Ida, Helias Tochter, vierzehn Jahre alt ge—
worden war, vermählte sie Kaiser Otto mit Eustachias,
einem Grafen von Bonn. Ida lag auf eine Zeit im
Traum, da däuchte ihr: als wenn drei Kinder an ihrer
Brust lägen, jedes mit einer Krone auf dem Haupt;
aber dem dritten zerbrach die Krone, und sie hörte eine
Stimme, die sprach, sie würde drei Söhne gebären, von
denen der Christenheit viel Frommen erwachsen solle;
nur müsse sie verhüten, daß sie keine andere Milch sogen,
als ihre eigne. Innerhalb drei Jahren brachte auch die
Gräfin drei Söhne zur Welt; der älteste hieß Gottfried,
der zweite Baldewin, der dritte Eustachias; alle aber
zog sie sorgfältig mit ihrer Milch groß. Da begab sich,
Der Ritter mit dem Schwan. 247
daß auf einen Pfingsttag die Gräfin in der Kirche war
imd etwas lange von ihrem Säugling Eustachias blieb;
da weinte das Kind so, daß eine andere Frau ihm zu
säugen gab. Als die Gräfin zurückkehrte und ihren Sohn
an der Frauen Brust fand, sprach sie: „Ach Frau, was
habt ihr getan? Nun wird mein Kind seine Würdigkeit
berlieren.“ Die Frau sagte: „Ich meinte wohl zu tun,
weil es so weinte, und dachte es zu stillen.“ Die Gräfin
aber war betrübt, aß und trank den ganzen Tag nicht
und grüßte die Leute nicht, die ihr vorgestellt wurden.
Die Herzogin, ihre Mutter, hätte unterdessen gar zu
gern Kundschaft von ihrem Gemahl gehabt, wohin er
gekommen wäre; und sie sandte Pilger aus, die ihn
fuchen sollten in allen Landen. Nun kam endlich einer
dieser Pilger vor ein Schloß, nach dessen Namen er
fragte, und hörte mit Erstaunen, daß es Billon hieße;
da er doch wohl wußte, Billon liege noch viel weiter.
Die Landleute erzählten ihm aber, warum Helias diesen
Bau gestiftet und so benannt habe und berichteten den
Pilgrim der ganzen Geschichte. Der Pilgrim dankte
Gott, daß er endlich gefunden hatte, was er so lange
suchte; ließ sich bei dem König Driant und seinen Söhnen
melden und erzählte, wie es um die Herzogin in Billon
und ihre Tochter stünde. Eßmer brachte dem Helias die
frohe Botschaft in sein Kloster, Helias gab dem Pilgrim
seinen Trauring zum Wahrzeichen mit; auch sandten die
andern viele Kostbarkeiten ihren Freunden zu Billon.
Der Pilgrim fuhr damit in seine Heimat, und bald zogen
die Herzogin und die Gräfin hin zu ihrem Gemahl und
Vater im sein Kloster. Helias empfing sie fröhlich, starb
aber nicht lange danach; die Herzogin folgte ihm aus
Betrübnis. Die Gräfin aber, als ihre Eltern begraben
waren, zog wieder heim in ihr Land und unterwies ihre
246 Das Schwanschiff am Rhein.
Söhne in aller Tugend und Gottesfurcht. Diese Söhne
gewannen hernachmals den Unglaubigen das heilige Land
ab, und Gottfried und Baldewin wurden zu Jerusalem
als Könige gekrönt.
535. Das Schwanschiff am Rhein.
Helinandi chronicon. lib. IV.
Vindent. bellovac. sp. hist.
Gerhard van Schuiren.
Hopp Beschr. von Cleve 1655. S. 148 -150.
Abel Samml. alter Chroniken. Braunschw. 1732. GS. 54.
Sörres Lohengrin LXXIALXXIII.
Im Jahre 717 lebte Dieterichs, des Herzogen zu Cleve,
einzige Tochter Beatrix, ihr Vater war gestorben, und sie
war Frau über Cleve und viel Lande mehr. Zu einer Zeit
saß diese Jungfrau auf der Burg von Nimwegen, es war
schön, klar Wetter, sie schaute in den Rhein, und sah da
ein wunderlich Ding. Ein weißer Schwan trieb den Fluß
abwärts, und am Halse hatte er eine goldne Kette. An
der Kette hing ein Schiffchen, das er fortzog, darin ein
schöner Mann saß. Er hatte ein goldnes Schwert in
der Hand, ein Jagdhorn um sich hängen, und einen köst—
lichen Ring am Finger. Dieser Jüngling trat aus dem
Schifflein ans Land und hatte viel Worte mit der Jung—
frau und sagte: daß er ihr Land schirmen sollte und
ihre Feinde vertreiben. Dieser Jüngling behagte ihr so
wohl, daß sie ihn liebgewann und zum Manne nahm.
Aber er sprach zu ihr: „Fraget mich nie nach meinem
Geschlecht und Herkommen; denn wo ihr danach fraget,
werdet ihr mein los und ledig und mich nimmer sehen.“
Und er sagte ihr, „daß er Helias heiße;“ er war groß
von Leibe, gleich einem Riesen. Sie hatten nun mehrere
Kinder miteinander. Nach einer Zeit aber, so lag dieser
Helias bei Nacht neben seiner Frau im Bette, und die
Lohengrin zu Brabant.
249
Gräfin fragte unachtsam und sprach: „Herr, solltet ihr
euren Kindern nicht sagen wollen, wo ihr herstammet?“
UÜber das Wort verließ er die Frau, sprang in das Schwa⸗
——— wurde auch nicht wieder
gesehen. Die Frau grämte sich und starb aus Reue noch
das nämliche Jahr. Den Kindern aber soll er die drei
Stücke, Schwert, Horn und Ring zurückgelassen haben.
Seine Nachkommen sind noch vorhanden, und im Schloß
zu Cleve stehet ein hoher Turm, auf dessen Gipfel ein
Schwan sich drehet; genannt der Schwanturm, zum An—
denken der Begebenheit.
536. Lohengrin zu Brabant.
Altdeutsches Gedicht.
Zgl. Parcifal 24624 24715.
und Fürtrer, bei Hofstäter II. 131-173.
Der Herzog von Brabant und Limburg starb, ohne
andere Erben, als eine junge Tochter Els oder Elsam
zu hinterlassen; diese empfahl er auf dem Todbette einem
seiner Dienstmannen, Friedrich von Telramund.*) Fried—
rich, sonst ein tapferer Held, der zu Stockholm in Schwe—
den einen Drachen getötet hatte, wurde übermütig, und
warb um der jungen Herzogin Hand und Land; unter
dem falschen Vorgeben, daß sie ihm die Ehe gelobt hatte.
Da sie sich standhaft weigerte, klagte Friedrich bei dem
Kaiser, Heinrich dem Vogler; und es wurde Recht ge⸗
sprochen „daß sie sich im Gotteskampf durch einen Hel—
den gegen ihn verteidigen müsse.“ Als sich keiner finden
— —
*) Die Erzählung im Parcifal ist noch einfacher. Friedrich
fehlt ganz, die demütige Herzogin wird von Land und Leuten
bedrängt, sich zu vermählen. Sie verschwört jeden Mann.
außer den ihr Gott sende, und da schwimmt der Schwan herzu.
250
Lohengrin zu Brabant.
wollte, betete die Herzogin inbrünstig zu Gott um Ret—
tung. Da erscholl weit davon zu Montsalvatsch beim
Gral der Laut der Glocke, zum Zeichen, daß jemand drin—
gender Hilfe bedürfe: alsobald beschloß der Gral, den
Sohn Parcifals Lohengrin darnach auszusenden. Eben
wollte dieser seinen Fuß in den Stegreif setzen: da kam
ein Schwan auf dem Wasser geflossen und zog hinter
sich ein Schiff daher. Kaum erblickte ihn Lohengrin, als
er rief: „Bringt das Roß wieder zur Krippe; ich will
nun mit diesem Vogel ziehen, wohin er mich führt.“
Speise im Vertrauen auf Gott nahm er nicht in das
Schiff; nachdem sie fünf Tage über Meer gefahren hat⸗
ten, fuhr der Schwan mit dem Schnabel ins Wasser,
fing ein Fischlein auf, aß es halb, und gab dem Fürsten
die andere Hälfte zu essen.
Unterdessen hatte Elsam ihre Fürsten und Mannen
nach Antwerpen zu einer Landsprache berufen. Gerade
am Tage der Versammlung sah man einen Schwan die
Schelde heraufschwimmen, der ein Schifflein zog, in wel—
chem Lohengrin auf sein Schild ausgestreckt schlief. Der
Schwan landete bald am Gestade, und der Fürst wurde
—
und Schwert aus dem Schiff getragen, als der Schwan
sogleich zurückfuhr. Lohengrin vernahm nun das Unrecht,
welches die Herzogin litt, und übernahm es gerne, ihr
Kämpfer zu sein. Elsam ließ hierauf alle ihre Verwandten
und Untertanen entbieten, die sich bereitwillig in großer
Zahl einstellten; selbst König Gotthart, ihr mütterlicher
Ahn, kam aus Engelland, durch Gundemar, Abt zu Clar⸗
brunn berufen. Der Zug machte sich auf den Weg, sam⸗
melte sich nachher vollständig zu Saarbrück und ging von
da nach Mainz. Kaiser Heinrich, der sich zu Frankfurt
aufhielt, kam nach Mainz entgegen; und in dieser Stadt
Lohengrin zu Brabant.
251
wurde das Gestühl errichtet, wo Lohengrin und Friedrich
kämpfen sollten. Der Held vom Gral überwand; Fried⸗
rich gestand, die Herzogin angelogen zu haben, und wurde
mit Schlegel und Barte Geil) gerichtet. Elsam fiel nun
dem Lohengrin zu Teile, die sich längst einander liebten;
doch behielt er sich insgeheim voraus, daß ihr Mund alle
Fragen nach seiner Herkunft zu vermeiden habe: denn
sonst müsse er fie augenblicklich verlassen.
Eine Zeitlang verlebten die Eheleute in ungestörtem
Glück, und Lohengrin beherrschte das Land weise und
mächtig; auch dem Kaiser leistete er, auf den Zügen gegen
die Hunnen und Heiden, große Dienste. Es trug sich aber
zu, daß er einmal im Speerwechsel den Herzog von Cleve
herunter stach, und dieser den Arm zerbrach; neidisch re—
dete da die Clever Herzogin laut unter den Frauen: „Ein
kühner Held mag Lohengrin sein, und Christenglauben
scheint er zu haben; schäde, daß Adels halben sein Ruhm
gering ist; denn niemand weiß, woher er ans Land ge⸗
schwommen kam.“ Dies Wort ging der Herzogin von
Brabant durch das Herz, sie errötete und erblich. Nachts
im Bette, als ihr Gemahl sie in Armen hielt, weinte sie;
er sprach: „Lieb, was wirret dir?“ Sie antwortete „die
Cleever Herzogin hat mich zu tiefem Seufzen gebracht“;
aber Lohengrin schwieg und fragte nicht weiter. Die zweite
Nacht wollte sie wieder; er aber merkte es wohl und
stillte sie nochmals. Allein in der dritten Nacht konnte
sich Elsam nicht länger halten und sprach: „Herr, zürnt
mir nicht! ich wüßte gern, von wannen ihr geboren seid;
denn mein Herz sagt mir, ihr seiet reich an Adel.“ Als
nun der Tag anbrach, erklärte Lohengrin öffentlich, von
woher er stamme: daß Parcifal sein Vater sei, und Gott
ihn vom Grale hergesandt habe. Darauf ließ er seine
beiden Kinder bringen, die ihm die Herzogin geboren,
252 Loherangrins Ende in Lothringen.
küßte sie, und befahl „ihnen Horn und Schwert, das er
zurücklasse, wohl aufzuheben“; der Herzogin ließ er das
Fingerlein, das ihm einst seine Mutter geschenkt hatte.
Da kam mit Eile sein Freund, der Schwan, geschwom—
men, hinter ihm das Schifflein; der Fürst trat hinein,
und fuhr wider Wasser und Wege in des Grales Amt.
Elsam sank ohnmächtig nieder, daß man mit einem Keil
ihre Zähne aufbrechen, und ihr Wasser eingießen mußte.
Kaiser und Reich nahmen sich der Waisen an; die Kin—
der hießen Johann und Lohengrin. Die Witwe aber
weinte und klagte ihr übriges Leben lang um den ge—
liebten Gemahl, der nimmer wiederkehrte.
537. Loherangrins Ende in Lothringen.
Nach dem Titurel.
Vgl. Fürtrer bei Hofstäter. II. 17, - 1b2.
Als nun Lohengrin mit Zurücklassung des Schwerts,
Hornes und Fingerlins aus Brabant fortgezogen war,
kam er in das Land Lyzaborie (Lurenburg) und ward
der schönen Belaye Gemahl; die sich wohl vor der Frage
nach seiner Herkunft hütete und ihn über die Maßen
liebte, so daß sie keine Stunde von ihm sein konnte, ohne
zu siechen. Denn sie fürchtete seinen Wankelmut und lag
ihm beständig an zu Haus zu bleiben; der Fürst aber
mochte ein so verzagtes Leben nicht gerne leiden, sondern
ritt oft zu birsen auf die Jagd. Solange er abwesend
war, saß Belaye halbtot und sprachlos daheim; sie krän⸗
kelte, und es schien ihr durch Zauberei etwas angetan.
Nun wurde ihr von einem Kammerweib geraten „wolle
sie ihn fester an sich bannen: so müsse sie Loherangrin,
wann er müde von der Jagd entschlafen sei, ein Stück
Fleisch von dem Leibe schneiden und essen.“ Belaye aber
Der Schwanritter.
253
verwarf den Ratschlag, und sagte „eh' wollt ich mich
begraben lassen, als daß ihm nur ein Finger schwüre!“
zürnte dem Kammerweib und verwies sie seitdem aus
ihrer Huld. Giftig ging die Verräterin hin zu Belayens
Magen, die dem Helden die Konigstochter neideten, und
brachte ihnen falsche Lügen vor. Da beriet sich Belayens
Sippschaft, daß sie aus Loherangrin das Fleisch, womit
allein Belayens Not gelindert werden könnte, schneiden
wollten; und als er eines Tages wieder auf die Jagd
gegangen und entschlafen war, träumte ihm: tausend
Schwerter stünden zumal ob seinem einzigen Haupt ge⸗
zückt. Erschrocken fuhr er auf, und sah die Schwerter
der Verraäter. Alle bebten vor dem Helden, mit seiner
einen Hand erschlug er mehr denn hundert. Sie waren
aber untereinander zu fest verbunden und ließen nicht
nach ihn anzugreifen: bis ihm ihrer zu viel wurde, und
er eine Wunde durch den linken Arm empfing, so schwer,
daß sie kein Arzt heilen konnte. Als sie ihn totwund sahen,
fielen sie ihm alle zu Füßen, seiner großen Tugend wegen.
Belaye starb nach empfangener Todesbotschaft alsbald
vor Herzeleid. Loherangrin und Belaye wurden gebal—
samt und zusammen eingesargt, hernach ein Kloster über
ihren Gräbern gebauet; ihre Leichname werden da den
Pilgrimen noch gewiesen. Das Land, vorher Lyzaborie
genannt, nahm von ihm den Namen Lotharingen an.
Diese Begebenheit hat sich ereignet nach Christi Geburt
fünfhundert Jahr.
538. Der Schwanritter.
Nach Conrads von Würzburg Gedicht.
Herzog Gottfried von Brabant war gestorben, ohne
männliche Erben zu hinterlassen; er hatte aber in einer
254
Der Schwanritter.
Urkunde gestiftet, daß sein Land der Herzogin und seiner
Tochter verbleiben sollte. Hieran kehrte sich jedoch Gott—
frieds Bruder, der mächtige Herzog von Sachsen, wenig,
sondern bemächtigte sich, aller Klagen der Witwe und
Waise unerachtet, des Landes, das nach deutschem Rechte
auf keine Weiber erben könne.
Die Herzogin beschloß daher, bei dem König zu klagen;
und als bald darauf Karl nach Niederland zog und einen
Tag zu Neumagen am Rhein halten wollte, kam sie
mit ihrer Tochter dahin und begehrte Recht. Dahin war
auch der Sachsen Herzog gekommen und wollte der
Klage zu Antwort stehen. Es ereignete sich aber, daß
der König durch ein Fenster schaute; da erblickte er einen
weißen Schwan, der schwamm den Rhein herdan und
zog an einer silbernen Kette, die hell glänzte, ein Schiff—
lein nach sich, in dem Schiff aber ruhte ein' schlafender
Ritter, sein Schild war sein Hauptkissen und neben ihm
lagen Helm und Halsberg; der Schwan steuerte gleich
einem geschickten Seemann und brachte sein Schiff an
das Gestade. Karl und der ganze Hof verwunderten
sich höchlich ob diesem seltsamen Ereignis; jedermann
vergaß der Klage der Frauen und lief hinab dem Ufer
zu. Unterdessen war der Ritter erwacht und stieg aus
der Barke; wohl und herrlich empfing ihn der König,
nahm ihn selbst zur Hand und führte ihn gegen die Burg.
Da sprach der junge Held zu dem Vogel: „Flieg deinen
Weg wohl, lieber Schwan! Wann ich dein wieder be⸗
darf, will ich dir schon rufen.“ Sogleich schwang sich
der Schwan und fuhr mit dem Schifflein aus aller Augen
weg. Jedermann schaute den fremden Gast neugierig
an; Karl ging wieder ins Gestühl zu seinem Gericht und
wies jenem eine Stelle unter den andern Fürsten an.
Der Schwanritter.
255
Die Herzogin von Brabant, in Gegenwart ihrer schönen
Tochter, hub nunmehr ausführlich zu klagen an und
hernach verteidigte sich auch der Herzog von Sachsen.
Endlich erbot er sich zum Kampf für sein Recht, und die
Herzogin solle ihm einen Gegner stellen, das ihre zu be⸗
währen. Da erschrak sie heftig; denn er war ein aus⸗
erwählter Held, an den sich niemand wagen würde; ver⸗
gebens ließ sie im ganzen Saale die Augen umgehen,
keiner war da, der sich ihr erboten hätte. Ihre Tochter
klagte laut und weinte; da erhob sich der Ritter, den
der Schwan ins Land geführt hatte und gelobte, ihr
Kämpfer zu sein. Hierauf wurde sich zu beiden Seiten
zum Streit gerüstet und nach einem langen und hart—
näckigen Gefecht war der Sieg endlich auf Seiten des
Schwanritters. Der Herzog von Sachsen verlor sein
Leben, und der Herzogin Erbe wurde wieder frei und
ledig. Da neigten sie und die Tochter dem Helden, der
sie erlöst hatte, und er nahm die ihm angetragene Hand
der Jungfrau mit dem Beding an, daß sie nie und zu
keiner Zeit fragen solle: „Woher er gekommen und
welches sein Geschlecht sei?“ denn außerdem müsse sie
ihn verlieren.
Der Herzog und die Herzogin zeugten zwei Kinder
zusammen, die waren wohl geraten; aber immer mehr
fing es an, ihre Mutter zu drücken, daß sie gar nicht
wußte, wer ihr Vater war; und endlich tat sie an ihn
die verbotene Frage. Der Ritter erschrak herzlich und
— zerbrochen und
mich am längsten gesehen.“ Die Herzogin bereute es
aber zu spät, alle Leute fielen zu seinen Füßen und baten
ihn zu bleiben. Der Held waffnete sich, und der Schwan
kam mit demselben Schifflein geschwommen; darauf
küßte er beide Kinder, nahm Abschied von seinem
256 Der gute Gerhard Schwan.
Gemahl und segnete das ganze Volk; dann trat er ins
Schiff, fuhr seine Straße und kehrte nimmer wieder—
Der Frau ging der Kummer zu Bein und Herzen, doch
zog sie fleißig ihre Kinder auf. Aus dem Samen dieser
Kinder stammen viel edle Geschlechter, die von Geldern
sowohl als Cleve, auch die rieneker Grafen und manche
andre; alle führen den Schwan im Wappen.
539. Der gute Gerhard Schwan.
Nordische Volksbücher von Kaiser Carl.
Vgl. Nverup Morskabsläsning S. go. gir.
Eines Tages stand König Karl am Fenster einer Burg
und sah hinaus auf den Rhein. Da sah er einen Schwan
auf dem Wasser schwimmen kommen, der hatte einen
Seidenstrang um den Hals und daran hing ein Boot—
in dem Boot saß ein Ritter ganz gewaffnet, an seinem
Hals hatte er eine Schrift. Und wie der Ritter ans Land
kam, fuhr der Schwan mit dem Schiffe fort und wurde
nimmermehr gesehen. Navilon Mibelung), einer von
des Königs Männern, ging dem Fremden entgegen, gab
ihm die Hand und führte ihn vor den König. Da fragte
Karl nach seinem Namen; aber der Ritter konnte nicht
reden, sondern zeigte ihm die Schrift; und die Schrift
besagte, daß Gerhard Schwan gekommen sei, ihm um
ein Land und eine Frau zu dienen. Navilon nahm ihm
darauf die Waffen ab und hob sie auf; aber Karl gab
ihm einen guten Mantel, und sie gingen dann zu Tisch.
Als aber Rolland den Neukömmling sah, frug er: „Was
es für ein Mann wäre?“ Karl antwortete: „Diesen
Ritter hat mir Gott gesandt;“ und Rolland sprach:
„Er scheinet heldenmütig.“ Der König befahl, ihn wohl
zu bedienen. Gerhard war ein weiser Mann, diente dem
Die Schwanringe zu Plesse. 257
König wohl und gefiel jedermann; schnell lernte er die
Sprache. Der König wurde ihm sehr hold, vermählte
ihm seine Schwester Adalis (im Dänischen: Elisa) und
setzte ihn zu einem Herzog über Ardennenland.
540. Die Schwanringe zu Plesse.
Joh. Lenzner plessisches Stammbuch, aus dem ungedruckten Calendar.
hist. Ioannis Gasconis monachi.
Bgl. Meier, pleß. Denkwürdigkeiten. Lp. 1713. 4. S. 115- 122.
Die Herren von Schwanring zogen aus einem fremden
Land in die Gegend von Plesse und wollten sich nieder⸗
lassen. Im Jahr 892 bekamen sie Fehde mit denen von
Beverstein; es waren ihrer drei Brüder: Siegfried, Sieg—
hart und Gottschalk von Schwamring; und sie führten
Schwanflügel und Ring in ihren Schilden. Bodo von
Beverstein erschoß den Sieghart mit einem Pfeil und
floh vor der Rache der Brüder nach Finnland, wo er
sich niedersetzte. Und die anderen Beversteine legten eine
feste Burg an gegen die Schwamringe, geheißen Harden⸗
berg oder Bevernstein. Gottschalk und Siegfried gingen
aber damit um, eine Gegenburg anzulegen. Eines Tages
jagten sie von Hökelheim aus in dem hohen Wald (der
auch Langforst oder Plessenwald heißt), und mit ihnen
war ihr Bastardbruder, genannt Heiso Schwanen—
flügel, ein guter listiger Jäger, der Wege und Stege
in Feld und Holz wohl erfahren; der wußte von den
Anschlägen der Hardenberger. Dieser ersah ein gutes
Plätzchen an einer Ecke, gegen die Leine, wies es seinen
Brüdern; die sprachen: „Wohlan, ein gut gelegen Plätz⸗
ken! Hier wollen wir Haus, Burg und Feste bauen.“
Also bauten sie an demselben Flecken; das Haus wurde
Plätzken und nach und nach Plesse genannt; endlich
nahmen die Schwanringe selbst den Namen der von
Grimm, Sagen II.
17
258
Das oldenburger Horn.
Plesse an. Der Streit mit den Hardenbergern wurde
vertragen. Die Schäfer zeigen noch die Stelle, wo Sieg—
hart erschossen wurde (zwischen den Dörfern Angerstein
und Parnhosen), und fügen hinzu: daß auch daselbst
vor Zeiten ein steinern Kreuz gestanden habe, das Schwan—
ringer Kreuz genannt.
541. Das oldenburger Horn
Hamelmann oldenburg. Chronik 1595. Th. 1. 0. 10.
Winkelmann old. Chr. Th. 1. c. 2.
In dem Hause Oldenburg wurde sonst ein künstlich
und mit viel Zieraten gearbeitetes Trinkhorn sorgfältig
bewahrt, das sich aber gegenwärtig zu Kopenhagen be—
findet. Die Sage lautet so: Im Jahre 990 (967)
beherrschte Graf Otto das Land. Weil er, als ein guter
Jäger, große Lust am Jagen hatte, begab er sich am
20. Juli gedachten Jahres mit vielen von seinen Edel⸗
leuten und Dienern auf die Jagd und wollte zuvörderst
in dem Walde, Bernefeuer genannt, das Wild heimsuchen.
Da nun der Graf selbst ein Reh hetzte und demselben
vom Bernefeuersholze bis an den ODsenberg allein nach
rannte, verlor er sein ganzes Jagdgefolge aus Augen
und Ohren, stand mit einem weißen Pferde mitten auf
dem Berge und sah sich nach seinen Winden um, konnte
aber auch nicht einmal einen lautenden (bellenden) Hund
zu hören bekommen. Hierauf sprach er bei ihm selber,
denn es eine große Hitze war: „Ach Gott, wer nur einen
kühlen Trunk Wassers hätte!“ Sobald als der Graf das
Wort gesprochen, tat sich der Osenberg auf und kommt
aus der Kluft eine schöne Jungfrau wohl gezieret, mit
schönen Kleidern angetan, auch schönen über die Achsel
geteilten Haaren und einem Kränzlein darauf; und hatte
Das oldenburger Horn. 259
ein köstlich silbern Geschirr, so vergüldt war, in Gestalt
eines Jägerhorns, wohl und gar künstlich gemacht, in
der Hand, das gefüllt war. Dieses Horn reichte sie dem
Grafen und bat, daß er daraus trinken wolle, sich zu
erquicken.
Als nun solches vergüldtes, silbern Horn der Graf
von der Jungfrau auf- und angenommen, den Deckel
davon getan und hinein gesehen: da hat ihm der Trank,
oder was darinnen gewesen, welches er geschüttelt, nicht
gefallen und deßhalben solch Trinken der Jungfrau
geweigert.“ Worauf aber die Jungfrau gesprochen:
„Mein lieber Herr, trinket nur auf meinen Glauben!
Denn es wird Euch keinen Schaden geben, sondern zum
Besten gereichen;“ mit fernerer Anzeige: Wo er, der
Graf, draus trinken wolle, sollt's ihm, Graf Otten und
den Seinen, auch folgends dem ganzen Hause Oldenburg
wohlgehn, und die Landschaft zunehmen und ein Ge—
deihen haben. Da aber der Graf ihr keinen Glauben
zustellen noch daraus trinken würde, so sollte künftig im
nachfolgenden gräflich oldenburgischen Geschlecht keine
Einigkeit bleiben. Als aber der Graf auf solche Rede
keine acht gab, sondern bei ihm selber, wie nicht unbillig,
ein groß Bedenken machte, daraus zu trinken: hat er das
silbern vergüldte Horn in der Hand behalten und hinter
sich geschwenket und ausgegossen, davon etwas auf das
weiße Pferd gesprützet; und wo es begossen und naß
worden, sind ihm die Haar abgangen. Da nun die Jung⸗
frau solches gesehen, hat sie ihr Horn wieder begehret;
aber der Graf hat mit dem Horn, so er in der Hand
hatte, vom Berge abgeeilet, und als er sich wieder um—
gesehen, vermerkt, daß die Jungfrau wieder in den Berg
gangen; und weil darüber dem Grafen ein Schrecken an—
kommen, hat er sein Pferd zwischen die Sporn genommen
17*
260 Friedrich von Oldenburg.
und im schnellen Lauf nach seinen Dienern geeilet und
denselbigen, was sich zugetragen, vermeldet, das silbern
vergüldte Horn gezeiget und also mit nach Oldenburg
genommen Usnd ist dasselbige, weil er's so wunderbar—
lich bekommen, vor ein köstlich Kleinod von ihm und
allen folgenden regierenden Herren des Hauses gehalten
worden.
542. Friedrich von Oldenburg.
Chron. rastedense, ap. Meibom II, p. 90o. qr.
Gryphianders Schauspiel Fridericus Leomachus 16090.
Möleman de certamine Friderici cum Leone. Hafn. 1749.
Dreyer Misc. S. 60.
Graf Huno von Oldenburg war ein frommer und
rechter Mann. Als zu seiner Zeit der Kaiser einen großen
Fürstentag in der Stadt Goslar hielt, säumte Huno,
weil er Gott und frommen Werken oblag, dahin zu gehen.
Da verleumdeten ihn falsche Ohrenbläser und klagten
ihn des Aufruhrs gegen das Reich an; der Kaiser aber
verurteilte ihn zum Gottesurteil durch Kampf, und kämpfen
sollte er mit einem ungeheuern, grausamen Löwen. Huno
begab sich nebst Friedrich, seinem jungen Sohne, in des
Kaisers Hof; Friedrich wagte, mit dem Tier zu fechten.
Vater und Sohn flehten Gottes Beistand an und ge—
lobten, der Jungfrau Maria ein reiches Kloster zu stiften,
wenn ihnen der Sieg zufiele. Friedrich ließ einen Strohmann
zimmern und gleich einem Menschen bewaffnen, den warf
er listig dem Löwen vor, schreckte ihn und gewann un—⸗
verletzt den Sieg. Der Kaiser umarmte den Helden,
schenkte ihm Gürtel und Ring und belehnte ihn mit
vielen Gütern vom Reich. — Die Friesen sangen Lieder
von dieser Tat.
Die neun Kinder. Amalaberga von Thüringen. 261
543. Die neun Kinder.
Halems Schriften. Münster 1803. Th. 1.
Misc. für neue Weltkunde. 1811. Nro. 11.
Zu Möllenbeck, einer Klosterkirche an der Weser, zeigt
man das Holzbild einer Heiligen, die eine Kirche im Arm
trägt. Die Sage lautet: „Einst kehrte Graf Uffo aus
fernen Landen nach langer Abwesenheit in seine Heimat
wieder; unterwegs traumte ihm, Hildburg, seine Ge⸗
mahlin, habe ihm unterdessen neun Kinder geboren. Er⸗
schrocken beschleunigte er seine Reise, und Hildburg kam
ihm fröhlich mit den Worten entgegen: „Ich glaubte
dich tot, aber blieb nicht allein, sondern habe neun
Töchter geboren, die sind alle Gott geweiht.“ Uffo ant⸗
wortete: „Deine Kinder sind auch die meinen, ich will sie
ausstatten.“ Es waren aber neun Kirchen, darunter das
Kloster zu Möllenbeck, welche die fromme Frau gebaut
und gestiftet hatte.
544. Amalaberga von Thüringen.
Gregorius turon. III. 4.
In Thüringen herrschten drei Brüder, Baderich, Her—
menfried und Berthar. Den jüngsten tötete Hermenfried
auf Anstiften seiner Gemahlin Amalaberga, einer Tochter
Theodorichs von Franken. Darauf ruhte sie nicht, sondern
reizte ihn, auch den ältesten wegzuräumen und soll auf
folgende listige Weise den Bruderkrieg erweckt haben.
Als ihr Gemahl eines Tages zum Mahl kam, war der
Tisch nur halb gedeckt. Hermenfried fragte: „Was dies
zu bedeuten hätte?“ „Wer nur ein halbes Königreich
besitzt — sprach sie — der muß sich auch mit einer halb
gedeckten Tafel begnügen.“
262 Sage von Irmenfried, Iring und Dieterich.
545. Sage von Irmenfried, Iring und Dieterich
Witiehind gesta saxon. lib. I.
Vgl. Rohte ap. Menken 1644 - 1650, und Abbas urspergensis
P. 201 -204.
Der Frankenkönig Hugo (Chlodwig) hinterließ keinen
rechtmäßigen Erben, außer seiner Tochter Amelb erg,
die an Irminfried, König von Thüringen vermählt
war. Die Franken aber wählten seinen unehelichen Sohn
Dieterich zum König; der schickte einen Gesandten zu
Irmenfried, um Frieden und Freundschaft; auch empsing
ihn derselbe mit allen Ehren, und hieß ihn eine Zeit lang
an seinem Hofe bleiben. Allein die Königin von Thüringen,
welche meinte, daß ihr das Frankenreich mit Recht ge—
hörte, und Dieterich ihr Knecht wäre, berief Iring, den
Rat des Königs, zu sich und bat ihn: ihrem Gemahl
zuzureden, daß er sich nicht mit dem Botschafter eines
Knechtes einlassen möchte. Dieser Iring war sehr stark
und tapfer, klug und fein in allem Ratgeben, und brachte
also den König von dem Frieden mit Dieterich ab, wo⸗
zu ihm die andern Räte geraten hatten. Daher trug
Irminfried dem Abgesandten auf, seinem Herrn zu ant⸗
worten: er möge doch eher sich die Freiheit, als ein Reich
zu erwerben trachten. Worauf der Gesandte versetzte:
„Ich wollte dir lieber mein Haupt geben, als solche Worte
von dir gehört haben; ich weiß wohl, daß um derent⸗
willen viel Blut der Franken und Thüringer fließen wird.
Wie Dieterich diese Botschaft vernommen, ward er
erzürnt, zog mit einem starken Heere nach Thüringen
und fand den Schwager bei Runi bergun seiner warten.
Am ersten, und zweiten Tage ward ohne Entscheidung
gefochten; am dritten aber verlor Irminfried die Schlacht
und floh mit den übriggebliebenen Leuten in seine Stadt
Schiding, am Flusse Unstrot gelegen.
Sage von Irmenfried, Iring und Dieterich. 263
Da berief Dieterich seine Heerführer zusammen. Unter
denen riet Waldrich: nachdem man die Toten begraben
und die Wunden gepflegt, mit dem übrigen Heere heim⸗
zukehren, das nicht hinreiche, den Krieg fortzuführen.
Es hatte aber der König einen getreuen, erfahrenen Knecht,
der gab andern Ratschlag und sagte; die Standhaftigkeit
wäre in edlen Dingen das Schönste, wie bei den Vor⸗
fahren; man müßte aus dem eroberten Lande nicht
weichen und die Besiegten wieder aufkommen lassen;
die sonst durch neue Verbindungen gefährlich werden
könnten, jetzt aber allein eingeschlossen wären. — Dieser
Rat gefiel auch dem König am besten, und er ließ den
Sachsen durch Gesandte anbieten: wenn sie ihm ihre
alten Feinde, die Thüringer, bezwingen hälfen, so wollte
er ihnen deren Reich und Land auf ewig verleihen.
Die Sachsen ohne Säumen schickten neun Anführer,
jeden mit tausend Mann; deren starke Leiber, fremde
Sitten, Waffen und Kleider die Franken bewunderten.
Sie lagerten sich aber nach Mittag zu, auf den Wiesen
am Fluß, und stürmten am folgenden Morgen die Stadt;
auf beiden Seiten wurde mit großer Tapferkeit gestritten,
von den Thüringern für dus Vaterland, von den Sachsen
für den Erwerb des Landes. In dieser Not schickte
Irminfried den Iring ab, Schätze und Unterwerfung
für den Frieden dem Frankenkönig anzubieten. Dieterichs
Räte mit Gold gewonnen, rieten umsomehr zur Will⸗
fahrung: da die Sachsen sehr gefährliche Nachbarn werden
würden, wenn sie Thüringen einbekämen; und also ver⸗
sprach der König, morgendes Tages seinen Schwager
wieder aufzunehmen und den Sachsen abzusagen. Iring
blieb im Lager der Franken, und sandte seinem Herrn
einen Boten, um die Stadt zu beruhigen; er selbst wollte
sorgen, daß die Nacht die Gesinnungen nicht änderte.
264 Sage von Irmenfried, Iring und Dieterich.
Da nun die Bürger wieder sicher des Friedens waren,
ging einer mit seinem Sperber heraus, ihm an dem Fluß—⸗
ufer Futter zu suchen. Es geschah aber, daß der Vogel
losgelassen auf die andere Seite des Wasser flog, und
von einem Sachsen gefangen wurde. Der Thüringer
forderte ihn wieder, der Sachse weigerte ihn. Der Thü—
ringer: „Ich will dir etwas offenbaren, wenn du mir
den Vogel lässest, was dir und deinen Gesellen sehr
nützlich ist. Der Sachse: „So sage, wenn du haben
willst was du begehrst!“ „So wisse — sprach der Thü—
ringer — daß die Könige Frieden gemacht und vorhaben,
euch morgen im Lager zu fangen und zu erschlagen!“
Als er nun dieses dem Sachsen nochmals ernstlich be—
teuert und ihnen die Flucht angeraten hatte: so ließ
dieser alsbald den Sperber los und verkündete seinen
Gefährten, was er bernommen.
Wie sie nun alle in Bestürzung und Zweifel waren,
ergriff ein von allen geehrter Greis, genannt Hathugast,
ihr heiliges Zeichen, welches eines Löwen und Drachen
und darüber fliegenden Adlers Bild war, und sprach:
„Bis hierher habe ich unter Sachsen gelebt und sie nie
fliehen gesehen; so kann ich auch jetzt nicht genötigt
werden, das zu tun, was ich niemals gelernt. Kann ich
nicht weiter leben, so ist es mir das Liebste, mit den
Freunden zu fallen; die erschlagenen Genossen, welche
hier liegen, sind mir ein Beispiel der alten Tugend; da
sie lieber ihren Geist aufgegeben haben, als vor dem
Feinde gewichen sind. Deswegen laßt uns heut in der
Nacht die sichere Stadt überwältigen.
Beim Einbruche der Nacht drangen die Sachsen über
die unbewachten Mauern in die Stadt, brachten die
Erwachsenen zum Tod und schonten nur der Kinder;
Irminfried entfloh mit Weib und Kindern und weniger
Das Jagen im fremden Walde. 265
Begleitung. Die Schlacht geschah am ersten Oktober.
Die Sachsen wurden von den Franken des Sieges ge—
rühmt, freundlich einpfangen und mit dem ganzen Lande
auf ewig begabt. Den entronnenen König ließ Dieterich
trüglich zurückrufen und beredete endlich den Iring mit
falschen Versprechungen, seinen Herrn zu töten. Als nun
Irminfried zurückkam und sich vor Dieterich niederwarf,
so stand Iring dabei und erschlug seinen eigenen Herrn.
Alsbald verwies ihn der König aus seinen Augen und
aus dem Reich, als der um der unnatürlichen Tat allen
Menschen verhaßt sein müßte. Da versetzte Iring: „Ehe
ich gehe, will ich meinen Herrn rächen“, zog das Schwert
und erstach den König Dieterich. Darauf legte er den
Leib seines Herrn über den des Dieterich, auf daß der,
welcher lebend überwunden worden, im Tod überwände,
bahnte sich Weg mit dem Schwert und entrann.
Irings Ruhm ist so groß, daß der Milchkreis am Him—
mel Iringsstraße nach ihm benannt wird.
546. Das Jagen im fremden Walde.
Bange thür. Chron. Bl. 43, 44.
Altes Volkslied von der Frau von Weissenburg, Wunderhorn J. 240.
Rohte a. a. O. 1672, 1673.
Serstenbergersa. a. D. S. 114, 115.
Winkelmann VI. 201 -203.
Friedrich, Pfalzgraf zu Sachsen, wohnete im Osterland
bei Thüringen, auf Weißenburg an der Unstrut seinem
schönen Schloß. Sein Gemahel war eine geborene Mark⸗
gräfin zu Stade und Salzwedel, Adelheid genannt, ein
junges schönes Weib, brachte ihm keine Kinder. Heim—
lich aber buhlete sie mit Ludwig, Grafen zu Thüringen
und Hessen, und verführt durch die Liebe zu ihm, trachtete
sie hin und her: wie sie ihres alten Herrn abkommen
266 Das Jagen im fremden Walde.
möchte und den jungen Grafen, ihren Buhlen, erlangen.
Da wurden sie einig, daß sie den Markgrafen umbrächten
auf diese Weise: Ludwig sollte an bestimmtem Tage ein⸗
gehen in ihres Herrn Forst und Gebiet, in das Holz, ge—
nannt die Reißen, am Münchroder Feld (nach andern,
bei Schipplitz) und darin jagen, unbegrüßt und unbefragt;
dann so wollte sie ihren Herrn reizen und bewegen, ihm
die Jagd zu wehren; da möchte er dann seines Vorteils
ersehen. Der Graf ließ sich vom Teufel und der Frauen
Schöne blenden und sagte es zu. Als nun der mordliche
Tag vorhanden war, richtete die Markgräfin ein Bad
zu, ließ ihren Herrn darin wohl pflegen und warten.
Unterdessen kam Graf Ludwig, ließ sein Hörnlein schallen
und seine Hündlein bellen und jagte dem Pfalzgraf in
dem Seinen, bis hart vor die Tür. Da lief Frau Adel—
heid heftig in das Bad zu Friedrichen, sprach: „es jagen
dir ander Leut freventlich auf dem Deinen; das darfst
du nimmer gestatten, sondern mußt ernstlich halten über
deiner Herrschaft Freiheit. Der Markgraf erzürnte, fuhr
auf aus dem Bad, warf eilends den Mantel über das
bloße Badhemd und fiel auf seinen Hengst, ungewappnet
und ungerüstet. Nur wenig Diener und Hunde rennten
mit ihm in den Wald; und da er den Grafen ersah,
strafte er ihn mit harten Worten; der wandte sich und
stach ihn mit einem Schweinspieß durch seinen Leib, daß
er tot vom Pferde sank. Ludwig ritt seinen Weg, die
Diener brachten den Leichnam heim und beklagten und
betrauerten ihn sehr; die Pfalzgräfin rang die Hände
und raufte das Haar und gebärdete sich gar kläglich,
damit keine Inzicht auf sie falle. Friedrich wurde' be—
graben, und an der Mordstätte ein steinern Kreuz ge⸗
setzt, welches noch bis auf den heutigen Tag stehet; auf
der einen Seite ist ein Schweinspieß, auf der andern der
Wie Ludwig Wartburg überkommen. 267
lateinische Spruch ausgehauen: anno domini 1065 hic
exspiravit palatinus Fridericus, hasta prostravit comes
ilum dum Ludovicus. Ehe das Jahr um war, führte
Graf Ludwig Frau Adelheiden auf Schauenburg sein
Schloß und nahm sie zu einem ehelichen Weib.
547. Wie Ludwig Wartburg überkommen.“)
Bange thür. Chron. Bl. 44, 45.
Gerstenberger a. a. O. S. 118, 119.
Rohte a. a. O. 1674, 1675.
Als der Bischof von Mainz Ludwigen, genannt den
Springer, taufte, begabte er ihn mit allem Land, was
dem Stift zuständig war, von der Hörsel bis an die
Werra. Ludwig aber, nachdem er zu seinen Jahren kam,
bauete Wartburg bei Eisenach, und man sagt, es sei
also gekommen: auf eine Zeit ritt er an die Berge aus
jagen und folgte einem Stück Wild nach, bis an die
Hörsel bei Niedereisenach, auf den Berg, da jetzo die
Wartburg liegt. Da wartete Ludwig auf sein Gesinde
und Dienerschaft. Der Berg aber gefiel ihm wohl, denn
er war stickel und fest; gleichwohl oben räumig und
breit genug, darauf zu bauen. Tag und Nacht trachtete
er dahin, wie er ihn an sich bringen möchte: weil er
nicht sein war und zum Mittelstein**) gehörte, den die
Herren von Frankenstein innehatten. Er ersann eine List,
nahm Volk zusammen, und ließ in einer Nacht Erde von
seinem Grund in Körben auf den Berg tragen und ihn
ganz damit beschütten; zog darauf nach Schönburg, ließ
*) Ahnliche Sage von Constantin und Byzanz. Cod. pal.
361. fol. 63 b.
vxx) Weñ er die Fünfscheide macht zwischen Hessen, Thil—
ringen, Franken, Buchen und Eichsfeld.
268
Ludwig der Springer.
einen Burgfrieden machen und fing an, mit Gewalt auf
jenem Berg zu bauen. Die Herren von Frankenstein ver⸗
klagten ihn vor dem Reich, daß er sich des Ihren frevent—
lich und mit Gewalt unternehme. Ludwig antwortete:
„Er baue auf das Seine und gehörte auch zu dem Sei—
nen und wollte das erhalten mit Recht. Da ward zu
Recht erkannt: wo er das ertweisen und erhalten könne,
mit zwölf ehrbaren Leuten, hätte er's zu genießen. Und
er bekam zwölf Ritter und trat mit ihnen auf den Berg,
und sie zogen ihre Schwerter aus und steckten sie in die
Erde, (die er darauf hatte tragen lassen) schwuren: daß
der Graf auf das Seine bauen, und der oberste Boden
hätte von Alters zum Land und Herrschaft Thüringen
gehört. Also verblieb ihm der Berg, und die neue Burg
benannte er Wartburg, darum, weil er auf der Stätte
seines Gesindes gewartet hatte.
548. Ludwig der Springer.
Bange, thür. Chronik Bl. 48, 49.
BVinkelmann VI. 210.
Rohte 1675, 1676.
Gerstenberger S. 183—166.
Die Brüder und Freunde Markgraf Friedrichs klag—⸗
ten Landgraf Ludwigen zu Thüringen und Hessen vor
dem Kaiser an, von wegen der frevelen Tat, die er um
des schönen Weibes willen begangen hatte. Sie brachten
auch soviel beim Kaiser aus, daß sie den Landgrafen,
wo sie ihn bekommen könnten, fahen sollten. Also ward
er im Stift Magdeburg getroffen und auf den Gibichen⸗
stein bei Halle an der Saale geführet, wo sie ihn über
zwei Jahre gefangen hielten in einer Kemnaten GStein⸗
stube) ohne Fessel. Wie er nun vernahm „daß er mit
Ludwig der Springer.
269
dem Leben nicht davon kommen möchte“ rief er Gott an
und verhieß und gelobte eine Kirche zu bauen in St. Ul⸗
richs Ehr, in seine neulich erkaufte Stadt Sangerhausen,
so ihm aus der Not geholfen würde. Weil er aber vor
schwerem Kummer nicht aß und nicht trank, war er siech
geworden; da bat er, man möge ihm sein Seelgeräte*)
setzen, eh' dann der Kaiser zu Lande käme und ihn töten
ließe. Und ließ beschreiben einen seiner heimlichen Diener,
mit dem legte er an: wann er das Seelgeräte von dan⸗
nen führete, daß er den anderen Tag um Mittag mit
zweien Kleppern unter das Haus an die Saale käme
und seiner wartete. Es saßen aber bei ihm auf der Kem—⸗
nate secrhs ehrbare Männer, die sein hüteten. Und als
die angelegte Zeit herzu kam, klagte er, daß ihn heftig
fröre; tat derwegen viel Kleider an, und ging sänftiglich
im Gemach auf und nieder. Die Männer spielten vor
langer Weile im Brett, hatten auf sein Herumgehen nicht
sonderliche Achtung; unterdessen gewahrte er unten seines
Dieners mit den zwei Pferden, da lief er zum Fen—
ster und sprang durch den hohen Stein in die Saale
hinab.
Der Wind führte ihn, daß er nicht hart ins Wasser
fiel, da schwemmte der Diener mit dem ledigen Hengst
zu ihm. Der Landgraf schwang sich zu Pferd, warf der
nassen Kleider ein Teil von sich und rennte auf seinem
weißen Hengst, den er den Schwan hieß, bis gen Sanger⸗
hausen. Von diesem Sprunge heißt er Ludwig der Sprin⸗
ger; dankte Gott und baute eine schöne Kirche, wie er
gelobet hatte. Gott gab ihm und seiner Gemahlin
Gnad in ihr Herz, daß sie Reu und Leid ob ihrer Sünde
hatten.
*) Letzter Willen, Testament
270 Reinhartsbrunn. Der hart geschmiedete Landgraf
549. Reinhartsbrunn.
Bange Bl. 49, 50
Rohte 1677, 1658.
Als Landgraf Ludwig nach Rom zog und vom Papst
Buße empfangen hatte für seine und seines Weibes Stinde,
war ihm aufgelegt worden: sich der Welt zu begeben
und eine Kirche zu bauen in Unser lieb Frauen und St.
Johannes Minne, der mit ihr unterm Kreuze stand am
stillen Freitag. Also fuhr er wiederum heim zu Lande,
übergab das Reich seinem Sohne und suchte eine be—
queme Baustätte aus. Und als er eine Zeit von Schoön⸗
berg nach der Wartburg ritt, da saß ein Töpfer bei einem
großen Brunnen. Von dem vernahm der Graf, und auch
sonst von etlichen Bauern zu Fricherode: daß sie alle Nacht
zwei schöne Lichter brennen sehen, das eine an der Stätte, da
das Münster liegt, das andere, da St. Johannes Kapelle
liegt. Da gedachte der Graf an sein Gelübde, und daß
Gott, durch Offenbarung der Lichter, dahin die Kirche haben
wollte; ließ sobald die Stätte räumen und die Bäume ab⸗
hauen und nahm des Bischofs von Halberstadt Rat zu dem
Bau. Als das Gebäude fertig war, nannte er es von dem
Töpfer und Brunnen, Reinhartsbrunn;“ da liegen die alten
Landgrafen zu Hessen und Thüringen mehrenteiss bestattet.
550. Der hart geschmiedete Landgraf.
Rohte a. a. D. 1683. 1664.
Bange thür. Chronik Bl. 60. 61.
Gerstenberger S. 152-154.
Koch Beschreib. der Wartburg. S. 22.
Winkelmann VI 2s8. 229.
Vgl. Kinderlings Untersuchung dieser Fabel in der Odina. Breslau 1812.
S. 140 - 151.
Zu Ruhla im Thüringerwald liegt eine uralte Schmiede,
und sprichwörtlich pflegte man von langen Zeiten her
Der hart geschmiedete Landgraf. 271
einen strengen, unbiegsamen Mann zu bezeichnen: er ist
in der Ruhla hart geschmiedet worden.
Landgraf Ludwig zu Thüringen und Hessen war an—⸗
fänglich ein gar milder und weicher Herr, demütig gegen
jedermann; da huben seine Junkern und Edelinge an
stolz zu werden, verschmähten ihn und seine Gebote; aber
die Üntertanen drückten und schatzten sie aller Enden.
Es trug sich nun einmal zu, daß der Landgraf jagen
ritt auf dem Walde und traf ein Wild an; dem folgte
er nach so lange, daß er sich verirrte und ward benäch—
tiget. Da gewahrte er eines Feuers durch die Bäume,
richtete sich danach und kam in die Ruhlä, zu einem
Hammer oder Waldste chmiede. Der Fürst war mit schlechten
Kleidern angetan, hatte sein Jagdhorn umhängen. Der
Schmied frug: „Wer er wäre?“ „Des Landgrafen Jäger.“
Da sprach der Schmied: „Pfui des Landgrafen! Wer
ihn nennet, sollte allemal das Maul wischen, des barm⸗
herzigen Herrn!“ Ludwig schwieg, und der Schmied
sagte zuletzt: „Herbergen will ich dich heunt; in der
Schuppen da findest du Heu, magst dich mit deinem
Pferde behelfen; aber um deines Herren willen will ich
dich nicht beherbergen.“ Der Landgraf ging beiseite,
konnte nicht schlafen. Die ganze Nacht aber arbeitete
der Schmied, und wenn er so mit dem großen Hammer
das Eisen zusammenschlug, sprach er bei jedem Schlag:
„Landgraf, werde hart, Landgraf, werde hart wie dies
Eisen!“ und schalt ihn und sprach weiter: „Du böser,
unseliger Herr! Was taugst du den armen Leuten zu
leben? Siehst du nicht, wie deine Räte das Volk plagen
und mähren dir im Munde?“ Und erzählte also die
liebe lange Nacht, was die Beamten für Untugend mit
den armen Untertanen übeten. Klagten dann die Unter—
tanen, so wäre niemand, der ihnen Hilfe täte; denn der
272 Ludwig ackert mit seinen Adligen.
Herr nähme es nicht an, die Ritterschaft spottete seiner
hinterrücks, nennten ihn Landgraf Metz und hielten ihn
gar unwert. Unser Fürst und seine Jäger treiben die
Wölfe ins Garn, und die Amtleute die roten Füchse (die
Goldmünzen) in ihre Beutel. Mit solchen und anderen
Worten redete der Schmied die ganze lange Nacht zu dem
Schmiedegesellen; und wenn die Hammerschläge kamen,
schalt er den Herrn und hieß ihn hart werden wie das
Eisen. Das trieb er an bis zum Morgen; aber der Land—
graf fassete alles zu Ohren und Herzen und ward seit
der Zeit scharf und ernsthaftig in seinem Gemüt, begundte
die Widerspenstigen zwingen und zum Gehorsam bringen.
Das wollten etliche nicht leiden, sondern bunden sich zu—
sammen und unterstunden sich gegen ihren Herren zu
wehren.
551. Ludwig ackert mit seinen Adligen.
Bange Bl. 61.
Winkelmann VI. 230.
Rohte 1684.
Serstenberger S. 242. 243.
Als nun Ludwig der Eiserne seiner Ritter einen über⸗
zog, der sich wider ihn verbrochen hatte, sammneten sich
die anderen und wollten's nicht leiden. Da kam er zu
streiten mit ihnen bei der Naumburg an der Saal, be—
zwang und fing sie und führte sie zu der Burg, redte
seine Notdurft und strafte sie hart mit Worten: „Euren
geleisteten Eid, so ihr mir geschworen und gelobet, habt
ihr böslich gehalten. Nun wollte ich zwar euer Untreu
wohl lohnen; wenn ich's aber täte, spräche man vielleicht:
„ich tötete meine eigene Diener;“ sollte ich euch schatzen,
spräche man mir's auch nicht wohl; und ließe ich euch
Ludwig ackert mit seinen Adligen. 273
aber los, so achtetet ihr meines Zornes fürder nicht.“ Da
nahm er sie und führte sie zu Felde und fand auf dem
Acker einen Pflug; darein spannete er der ungehorsamen
Edellente je vier, ahr (riß, ackerte) mit ihnen eine Furche,
und die Diener hielten den Pflugz er aber trieb mit der
Geißel und hieb, daß sie sich beugeten und oft auf die
Erde fielen. Wann dann eine Furche geahren war,
sandte er vier andere ein und ahrete also einen ganzen
Acker, gleich als mit Pferden; und ließ danach den Acker
mit großen Steinen zeichnen zu einem ewigen Gedächtnis.
Und den Acker machte er frei, dergestalt „daß ein jeder
Übeltäter, wie groß er auch wäre, wenn er darauf käme,
solle daselbst frei sein; und wer diese Freiheit brechen würde,
sollte den Hals verloren haben;“ nannte den Acker den
Edelacker, führte sie darauf wieder zur Naumburg,
da mußten sie ihm auf ein neues schwören und hulden.
Danach ward der Landgraf im ganzen Lande gefürchtet;
und wo die, so im Pflug gezogen hatten, seinen Namen
hörten nennen, erseufzten sie und schämeten sich. Die
Geschichte erscholl an allen Enden in deutschen Landen,
und etliche scholten den Herrn darum und wurden ihm
gram; etliche scholten die Beamten, daß sie so untreu
gewesen; etliche meinten auch, sie wollten sich eh' haben
köten lassen, dann in den Pflug spannen. Etliche auch
demütigten sich gegen ihrem Herrn, denen tat er gut und
hatte sie lieb. Etliche aber wollten's ihm nicht vergessen,
stunden ihm heimlich und öffentlich nach Leib und Leben.
Und wann er solche mit Wahrheit hinterkam, ließ er sie
hängen, enthaupten und ertränken und in den Stöcken
sterben. Darum gewann er viel heimliche Neider von
ihren Kindern und Freunden, ging derohalben mit
feinen Dienern stetig in einem eisern Panzer, wo er hin⸗
ging. Darum hieß man ihn den eisernen Landgrafen.
Grimm, Sagen II. 18
274
Ludwig baut eine Mauer.
552. Ludwig baut eine Mauer.
Bange Bl. 62. 63.
Winkelmann VI. 234
Rohte 1685.
Einmal führte der eiserne Landgraf den Kaiser Fried
rich Rotbart, seinen Schwager, nach Naumburg aufs
Schloß; da ward der Kaiser von seiner Schwester freund—
lich empfangen und blieb eine Zeitlang da bei ihnen.
Eines Morgens lustwandelte der Kaiser, besah die Ge—
bäu und ihre Gelegenheit und kam hinaus auf den Berg,
der sich vor dem Schloß ausbreitete. Und sprach: „Eure
Burg behaget mir wohl, ohne daß sie nicht Mauern hier
por der Kemnate hat, die sollte auch stark und feste
sein.“ Der Landgraf erwiederte: „Um die Mauern sorg'
ich nicht, die kann ich schnell erschaffen, sobald ich ihrer
bedarf.“ Da sprach der Kaiser: „Wie bald kann eine
gute Mauer hierum gemachet werden?““ „Näher dann
in drei Tagen“ antwortete Ludwig. Der Kaiser lachte
und sprach: „Das wäre ja wunder; und wenn alle Stein⸗
metzen des deutschen Reichs hier beisammen wären: so
möchte das kaum geschehen.“ — Es war aber an dem,
daß der Kaiser zu Tische ging; da bestellte der Landgraf
heimlich mit seinen Schreibern und Dienern: daß man
von Stund an Boten zu Roß aussandte zu allen Grafen
und Herrn in Thüringen und ihnen meldete, daß sie zur
Nacht mit wenig Leuten in der besten Rüstenung und
Geschmuck auf die Burg kämen. Das geschah. Früh—⸗
morgens, als der Tag anbrach, richtete Landgraf Lud⸗
wig das Volk also an, daß ein jeder auf den Graben
um die Burg trat, gewappnet und geschmuckt in Gold,
Silber, Sammet, Seiden und den Wappemödcken, als
wenn man zu streiten auszieht; und jeder Graf oder
Edelmann hatte seinen Knecht vor ihm, der das Wappen
Ludwigs Leichnam wird getragen. 275
teng, und seinen Knecht hinter ihm, der den Helm trug;
so daß man deutlich jedes Wappen und Kleinod erkennen
konnte. So standen nun alle Dienstmannen rings um
den Graben, hielten bloße Schwerter und Ärte in Händen,
und wo ein Mauerturm stehen sollte, da stand ein Frei—
herr oder Graf mit dem Banner. Als Ludwig alles dies
stillschweigends bestellet hatte, ging er zu seinem Schwager
und sagte: Die Mauer, die er sich gestern berühmt hätte
zu machen, stehe bereit und fertig. Da sprach Friedrich:
„Ihr täuschet mich,“ und segnete sich, wenn er es etwa mit
der schwarzen Kunst zuwege gebracht haben möchte. Und
als er auswendig zu dem Graben trat und soviel Schmuck
und Pracht erblickte, sagte er: „Nun hab' ich köstlicher, edler,
teurer und besser Mauern zeit meines Lebens noch nicht ge—
sehen; das will ich Gott und euch bekennen, lieber Schwä—
her; habt immer Dank, daß ihr mir solche gezeiget habt.
553. Ludwigs Leichnam wird getragen.
Bange Bl.64.
Binkelmann VI. 236.
Rohte 1686.
Im Jahr 1173 befiel deu Landgrafen schwere Krank—
heit, und lag auf der Neuenburg, hieß vor sich seine
Ritterschaft, die ihm widerspenstig gewesen war, und
sprach: „Ich weiß, daß ich sterben muß und mag dieser
Krankheit nicht genesen. Darum, so gebiete ich euch, so
lieb euch euer Leben ist; daß ihr mich, wann ich gestorben
bin, mit aller Ehrwürdigkeit begrabet und auf euern
Hälsen von hinnen bis gen Reinhartsborn traget. Solches
mußten sie ihm geloben bei Eiden und Treuen, denn sie
fürchteten ihn mehr als. den Teufel. Als er nun gestarb,
leisteten sie die Gelübde und trugen ihn auf ihren Achseln
weiter dann zehn Meilen Wegs.
8*
276 Wie es um Ludwigs Seele geschaffen war.
554. Wie es um Ludwigs Seele geschaffen war.
Bange Bl. 65, 66.
Gerstenberger a a. O. S. 254-257.
Rohte 1686, 1687.
Als nun Ludwig der Eiserne gestorben war, da hätte
sein Sohn, Ludwig der Milde, gern erfahren von seines
Vaters Seele: wie es um die gelegen wäre, gut oder
bös. Das vernahm ein Ritter an des Fürsten Hofe, der
war arm und hatte einen Bruder, der war ein Pfaffe
und kundig der schwarzen Kunst. Der Ritter sprach zu
seinem Bruder: „Lieber Bruder, ich bitte dich, daß du
von dem Teufel erfahren wollest, wie es um des eisernen
Landgrafen Seele sei?“ Da sprach der Pfaffe: „Ich
will es gerne tun, auf daß euch der neue Herr desto
gütlicher handle.“ Der Pfaffe lud den bösen Geist und
fragte ihn um die Seele. Da antwortete der Teufel:
„Willt du mit mir darfahren, ich weise sie dir.“ Der
Pfaffe wollte das, so ers ohne Schaden tun möchte; der
Teufel schwur, daß er ihn gesund wiederbringen würde.
Nach diesem saß er auf des Teufels Hals, der führte
ihn in kurzer Zeit an die Stätte der Pein. Da sah der
Pfaff gar mancherlei Pein, und in mancherlei Weise,
davon erbebte er sehr. Da rief ein ander Teufel und
—
sitzen, bringe ihn auch her?“ „Es ist unser Freund —
antwortete jener — dem hab ich geschworen, daß ich ihn
nicht letze, sondern daß ich ihm des Landgrafen Seele
weise.“ Zu Hand da wandte der Teufel einen eisernen
glühenden Deckel ab von einer Grube, da er aufsaß
und hatte eine ehrne Posaune, die steckte er in die Grube
und blies darein also sehr: daß dem Pfaffen deuchte,
die ganze Welt erschölle und erbebete. Und nach einer
Weile, als viel Funken und Flammen mit Schwefelgestank
Der Wartburger Krieg.
277
ausgingen, kam der Landgraf auch darin gefahren, gab
sich dem Pfaffen zu schauen und sprach: „Sieh, ich bin
hier gegenwärtig, ich armer Landgraf, weiland dein Herre;
und wollte Gott, daß ich's nie gewesen wäre, so stäte
Pein muß ich drum leiden.“ Sprach der Pfaffe: „Herr
ich bin zu euch gesandt von eurem Sohne, daß ich ihm
sagen sollte, wie's um euch getan wäre, ob er euch helfen
möchte mit irgend etwas?“ Da antwortete er: „Wie
es mir geht, hast du wohl gesehn; jedoch solltu wissen,
wär's, daß meine Kinder den Gotteshäusern, Klöstern
und andern Leuten ihr Gut wiedergäben, das ich ihnen
wider Recht mit Gewalt abgenommen habe, das wäre
meiner Seele eine große Hilfe.“ Da sprach der Pfaffe:
„Sie glauben mir dieser Rede nicht.“ Da sagte er ihm
ein Wahrzeichen, das niemand, wüßte, als sie. Und da
ward der Landgraf wieder zur Gruben gesenkt, und der
Teufel führte den Pfaffen wieder von dannen; der blieb
gelb und bleich, daß man ihn kaum erkannte, wiewohl
er sein Leben nicht verlor. Da offenbarte er die Worte
und Wahrzeichen, die ihm ihr Vater gesaget hatte; aber
es ward seiner Seele wenig Nutzen, denn sie wollten das
Gut nicht wiederkehren. Darnach übergab der Pfaffe
alle seine Lehen und ward ein Mönch zu Volkeroda.
555. Der Wartburger Krieg.
Jo. Roht e chronicon thuring ap. Menken II. 1697-1700.
Leben der heil. Elisabeth in auitdeutschen Reimen ibidem 2035 45.
Chronica pontisficum et archiepise. magdeburgens. bei Wagenseil und Tenzel
GSerstenberger thüring. CEhronik. apud Schminke J. 277286.
Auf der Wartburg bei Eisenach kamen im Jahr 1206
sechs tugendhafte und vernünftige Männer mit Gesang
zusammen und dichteten die Lieder, welche man nachher
278
Der Wartburger Krieg
nennte: den Krieg zu der Wartburg. Die Namen der
Meister waren: Heinrich Schreiber, Walter von der
Vogelweide, Reimar Zweter, Wolfram von Eschenbach,
Biterolf und Heinrich von Ofterdingen. Sie sangen aber
und stritten von der Sonne und dem Tag, und die
meisten verglichen Hermann, Landgrafen zu Thüringen
und Hessen, mit dem Tag, und setzen ihn über alle Fürsten.
Nur der einzige Ofterdingen pries Leopolden, Herzog von
sterreich, noch höher, und stellte jhn der Sonne gleich.
Die Meister hatten aber untereinander bedungen: wer
im Streit des Singens unterliege, der solle des Haupts
verfallen; und Stempfel, der Henker, mußte mit dem
Strick daneben stehen, daß er ihn alsbald aufhängte.
Heinrich von Ofterdingen sang nun klug und geschickt;
allein zuletzt wurden ihm die andern überlegen und fingen
ihn mit listigen Worten, weil sie ihn aus Neid gern von
dem Thüringer Hof weggebracht hätten. Da klagte er,
daß man ihm falsche Würfel vorgelegt, womit er habe
verspielen müssen. Die fünf andern riefen Stempfel, der
sollte Heinrich an einen Baum hängen. Heinrich aber
floh zur Landgräfin Sophia und barg sich unter ihrem
Mantel; da mußten sie ihn in Ruhe lassen, und er dingte
mit ihnen, daß sie ihm ein Jahr Frist gäben: so wolle
er sich aufmachen nach Ungern und Siebenbürgen und
Meister Clingsor holen, was der urteile über ihren Streit,
das solle gelten. Dieser Clingsor galt damals für den
berühmtesten deutschen Meistersänger, und weil die Land—
gräfin dem Heinrich ihren Schutz bewilligt hatte, so
ließen sie sich alle die Sache gefallen.
Heinrich von Ofterdingen wanderte fort, kam erst
zum Herzogen nach Österreich, und mit dessen Briefen
nach Siebenbürgen zu dem Meister, dem er die Ursache
seiner Fahrt erzählte und seine Lieder vorsang.
Der Wartburger Krieg.
279
Clingsor lobte diese sehr, und versprach ihm mit nach
Thüringen zu ziehen und den Streit der Sänger zu
schlichten. Unterdessen verbrachten sie die Zeit mit man—
cherlei Kurzweil, und die Frist, die man Heinrichen be—
willigt hatte, nahte sich ihrem Ende. Weil aber Clingsor
immer noch keine Anstalt zur Reise machte, so wurde
Heinrich bang' und sprach: „Meister, ich fürchte, ihr
lasset mich im Stich, und ich muß allein und traurig
meine Straße ziehen; dann bin ich ehrenlos und darf
zeitlebens nimmermehr nach Thüringen.“ Da antwortete
Clingsor: „Sei unbesorgt! wir haben starke Pferde und
einen leichten Wagen, wollen den Weg kürzlich gefahren
haben.“
Heinrich konnte vor Unruhe nicht schlafen; da gab
ihm der Meister abends einen Trank ein, daß er in tiefen
Schlummer sank. Darauf legte er ihn in eine lederne
Decke und sich dazu und befahl seinen Geistern: daß sie
ihn schnell nach Eisenach in Thüringerland schaffen sollten,
auch in das beste Wirtshaus niedersetzen. Das geschah,
und sie brachten ihn in Helgreven⸗-Hof, eh der Tag erschien.
Im Morgenschlaf hörte Heinrich bekannte Glocken läuten
er sprach: „Mir ist, als ob ich das mehr gehört hätte,
und deucht, daß ich zu Eisenach wäre.“ „Dir träumt
wohl“ — sprach der Meister. Heinrich aber stand auf
und sah sich um, da merkte er schon, daß er wirklich in
Thüringen wäre. „Gott sei Lob, daß wir hier sind, das
ist Helgreven-Haus, und hier sehe ich St. Georgen⸗Tor
und die Leute, die davorstehen und über Feld gehen
wollen.“
Bald wurde nun die Ankunft der beiden Gäste auf
der Wartburg bekannt, der Landgraf befahl den fremden
Meister ehrlich zu empfahen und ihm Geschenke zu tragen.
Als man den Ofterdingen fragte, wie es ihm ergangen
280 Der Wartburger Krieg
und wo er gewesen, antwortete er: „Gestern ging ich zu
Siebenbürgen schlafen, und zur Metten war ich heute
hier; wie das zuging, hab' ich nicht erfahren.“ So ver—
gingen einige Tage, eh daß die Meister singen und Cling—
sor richten sollten; eines Abends saß er in seines Wirtes
Garten und schaute unverwandt die Gestirne an. Die
Herren fragten, was er am Himmel sähe? Clingsor sagte:
„Wisset, daß in dieser Nacht dem König von Ungarn
eine Tochter geboren werden soll; die wird schön, tugend—
reich und heilig, und des Landgrafen Sohne zur Ehe
vermählt werden.“
Als diese Botschaft Landgraf Hermann hinterbracht
worden war, freute er sich und entbot Clingsor zu sich
auf die Wartburg, erwies ihm große Ehre und zog ihn
zum fürstlichen Tische. Nach dem Essen ging er auf's
Richterhaus (Ritterhaus), wo die Sänger saßen und
wollte Heinrich von Ofterdingen ledig machen. Da sangen
Clingsor und Wolfram mit Liedern gegeneinander, aber
Wolfram tat so viel Sinn und Behendigkelt kund, daß
ihn der Meister nicht überwinden mochte. Clingsor rief
einen seiner Geiste, der kam in eines Jünglinges Gestalt:
„Ich bin müde worden vom reden — sprach Clingsor
— da bringe ich dir meinen Knecht, der mag eine Weile
mit dir streiten, Wolfram. Da hub der Geist zu singen
an, von dem Anbeginne der Welt bis auf die Zeit der
Gnaden: aber Wolfram wandte sich zu der göttlichen
Geburt des ewigen Wortes; und wie er kam, von der
heiligen Wandlung des Brotes und Weines zu reden,
mußte der Teufel schweigen und von dannen weichen.
Clingsor hatte alles mit angehört, wie Wolfram mit
gelehrten Worten das göttliche Geheimnis besungen hatte,
und glaubte, daß Wolfram wohl auch ein Gelehrter sein
möge. Hierauf gingen sie auseinander. Wolfram hatte
Dofktor Luther zu Wartburg. 281
seine Herberg in Titzel Gottschalks Hause, dem Brotmarkt
gegenüber mitten in der Stadt. Nachts wie er schlief,
sandte ihm Clingsor von neuem seinen Teufel, daß er ihn
— DD Laie wäre;
Wolfram aber war bloß gelehrt in Gottes Wort, ein⸗
fältig und andrer Künste unerfahren. Da sang ihm der
Teufel von den Sternen des Himmels und legte ihm
Fragen vor, die der Meister nicht aufzulösen vermochte;
und als er nun schwieg, lachte der Teufel laut und
schrieb mit seinem Finger in die steinerne Wand, als ob
sie ein weicher Teig gewesen wäre: „Wolfram, du bist
ein Laie Schnipfenschnapf!“ Darauf entwich der Teufel,
die Schrift aber blieb in der Wand stehen. Weil jedoch
piele Leute kamen, die das Wunder sehen wollten, ver—
droß es den Hauswirt, ließ den Stein aus der Mauer
brechen und in die Horsel werfen. Clingsor aber, nach—
dem er dieses ausgerichtet hatte, beurlaubte sich von dem
Landgrafen und fuhr mit Geschenken und Gaben belohnt
samt seinen Knechten in der Decke wieder weg, wie und
woher er gekommen war.
556. Doktor Luther zu Wartburg.
Berkenmeyer S. 671.
Und mündliche Sage.
Doktor Luther saß auf der Wartburg und übersetzte
die Bibel. Dem Teufel war das unlieb, und hätte gern
das heilige Werk gestört; aber als er ihn versuchen
wollte, griff Luther das Tintenfaß, aus dem er schrieb,
und warfs dem Bösen an den Kopf. Noch zeigt man
heutiges Tages die Stube und den Stuhl, worauf Luther
gesessen, auch den Flecken an der Wand, wohin die Tinte
geflogen ist.
282 Die Vermählung der Kinder Ludwig und Elisabeth.
557. Die Vermählung der Kinder Ludwig und
Elisabeth.
Berstenberger a. a. O. S. 281, 287-289.
Meister Clingsor hatte zu Wartburg in der Nacht,
da Elisabeth zu Ungarn geboren wurde, aus den Sternen
gelesen, daß sie dem jungen Ludwig von Thüringen ver⸗
mählt werden sollte. Im Jahre 1211 sandte der weit⸗
berühmte Landgraf Hermann herrliche Boten von Mann
und Weiben zu dem Könige in Ungarn um seine Tochter
Elisabeth, daß er sie nach Thüringen sendete, seinem
Sohne zum Ehgemahl. Fröhlich zogen die Boten zu
Roß und Wagen und wurden unterwegens, durch welche
Landschaft sie kamen, herrlich bewirtet und als sie in
Ungerland eintrafen, von dem König und der Königin
lieblich empfangen. Andreas war ein guter, sittiger Mann,
aber die Königin schmückte ihr Töchterlein mit Gold und
Silber zu der Reise und entsandte sie nach Thüringen
in silberner Wiege, mit silberner Badewanne und gold—
nen Ringen, auch köstlichen Decken aus Purpur und
Seide, Bettgewand, Kleinoden und allem Hausrat. Dazu
viel tausend Mark Golds, bis daß sie groß würde, be—
gabte auch die Boten gar reichlich und ließ dem Land—
grafen sagen, daß er getrost und in Frieden lebe. Als
nun Elisabeth mit ihrer Amme in Thüringen ankam, da
war sie vier Jahre alt und Ludwig ihr Friedel war eilf
Jahre alt. Da wurde sie höchlich empfangen und auf
die Wartburg gebracht, auch mit allem Fleiß erzogen,
bis daß die Kinder zu ihren Jahren kamen. Von dem
heiligen Leben dieser Elisabeth und den Wundern, die sie
im Lande Hessen und Thüringen zu Wartburg und Mar—
burg verrichtet, wäre viel zu schreiben.
Heinrich das Kind von Brabant.
283
558. Heinrich das Kind von Brabant.
Thüringische Volkssage, vgl. Brandes, Einfl. und Wirk. des Zeitgeistes,
ste Äbth. Hannover 1810. S. 164.
Thüring. Chronik in Senkenberg, Sel. III. 330.
Spandgenberg sächs. Chronik. Fft. 1585. G. 446.
Baͤnge thüring. Chromk. Bl. gq, ioo.
Winkelmann heß. Chronik. S. 286, 287.
Rohtes Chronik ap. Menken J. c. 1738 - 1742.
Als nach Landgrafen und König Heinrichs*) Tode der
chüringisch⸗hessische Mannsstamm erloschen war, ent⸗
spann sich langer Zwiespalt um die Erbschaft, wodurch
zuletzt Thüringen und Hessen voneinander gerissen wurde.
Alle Hefsen und auch viele Thüringer erklärten sich für
Sophien, Tochter der heiligen Elisabeth und vermählte
Herzogin in Brabant; deren unmündigen Sohn, genannt
Heinrich das Kind (geb. 1244), sie für ihren wahren
Herren erkannten. Der Markgraf von Meißen hingegen
sprach das Land an, weil es aus König Heinrichs Munde,
dessen Schwestersohn er war, erstorben wäre, und über⸗
fiel Thüringen mit Heereskraft. Damals war allent—
halben Krieg und Raub im Lande, und als der Mark—⸗
graf Eisenach eroberte, soll er, der Volkssage zufolge,
einen Mann, der es mit dem hessischen Teil gehalten,
von dem Felsen der Wartburg herabschleudern lassen,
dieser aber in der Luft noch laut ausgerufen haben:
„Thüringen gehört doch dem Kinde von Brabant!“
Sophia zog aus Hessen vor Eisenach; da man die
Tore verschlossen und sie nicht einlassen wollte, nahm
sie eine Art und hieb in Sankt Jörgentor, daß man das
Wahrzeichen zweihundert Jahre hernach noch in dem
Eichenholz sah.
8) Er war Bruder Landgrafen Ludwigs, hatte die heilige
Elisabeth, dessen Witwe, hart behandelt und Hermann, ihren
einzigen Sohn, der Sage nach, vergiften lassen.
284 Frau Sophiens Handschuh
Die Chroniken erzählen, jener Mann sei ein Bürger
aus Eisenach, namens Welspeche, gewesen; und weil er
den Meißnern nicht huldigen wollen, zweimal mit der
Blide über die Burgmauer in die Stadt geworfen worden,
aber unverletzt geblieben. Als er immer standhaft bei
seiner Aussage verharrte, wurde er zum drittenmal hinab—
geschleudert und verlor sein Leben.
559. Frau Sophiens Handschuh.
Imhofs handschriftliche Chronik von Hessen und Thüringen. Bl. 33 und
in Senkenberg selecta. III. 325 -328.
of. hist. Thuring. ap. Pistor. l. p. 1329. (edit. 1731.)
Als Sophia mit ihrem dreijährigen Sohn aus Bra—
bant nach Hessen kam, zog sie gen Eisenach und hielt
eine Sprache mit Heinrich, Markgraf von Meißen, daß
er ihr das Land Thüringen wieder herausgäbe. Da ant⸗
wortete der Fürst: „Gern, allerliebste Base, meine ge—
treue Hand soll dir und deinem Sohne unbeschlossen
sein.“ Wie er so im Reden stund, kam sein Marschall
Helwig von Schlotheim, zogen ihn zurück und sprachen:
„Herr, was wollt Ihr tun? und wär' es möglich, daß
Ihr einen Fuß im Himmel hättet und den andern zu
Wartburg; viel eher solltet Ihr den aus dem Himmel
ziehen und zu dem auf Wartburg setzen!“ Also kehrte
sich der Fürst wieder zu Sophien und sprach: „Liebe
Base, ich muß mich in diesen Dingen bedenken und Rat
meiner Getreuen haben.“ Schied also von ihr, ohne
ihrem Recht zu willfahren. Da ward die Landgräfin
betrübt, weinte bitterlich und zog den Handschuh von
ihrer Hand und rief: „O du Feind aller Gerechtigkeit,
ich meine dich, Teufel! Nimm hin den Handschuh mit
den falschen Ratgebern!“ warf ihn in die Luft. Da
Friedrich mit dem gebissenen, Backen. 285
wurde der Handschuh weggeführt und nimmermehr ge—
sehen. Auch sollen diese Räte hernachmals keines guten
Todes gestorben sein.
560. Friedrich mit dem gebissenen Backen.
Rohte l. e. 1743- 1746
Bange Bl. 103, 104.
Landgraf Albrecht in Thüringen, der Unartige, ver⸗
gaß aller ehlichen Lieb und Treue an seinem Gemahel
und hing sich an ein ander Weibsbild, Gundaͤ von Eisen⸗
berg genannt. Der Landgräfin hätte er gerne mit Gift
vergeben, konnte aber nicht dazu kommen; verhieß also
einem Eseltreiber, der ihm auf der Wartburg täglich das
Küchenholz zuführte, Geld, daß er ihr Nachts den Hals
brechen sollte, als ob es der Teufel getan hätte. Als nun
die dazu bestimmte Zeit kam, ward dem Eseltreiber bange
und gedachte: ob ich wohl arm bin, hab ich doch fromme,
ehrliche Eltern gebabt; soll ich nun ein Schalk werden
und meine Fürstin töten? Endlich mußte er daran, wurde
heimlich in der Landgräfin Kammer gekeitet; da fiel er
vor ihrem Bette zu ihren Füßen und sagte: „Gnadet,
liebe Fraue!“ Sie sprach: „Wer bist du?“ er⸗-nannte
sich. „Was hast du getan, bist du trunken oder wahn⸗
sinnig? Der Eseltreiber antwortete: „Schweiget und ratet
mir! denn mein Herr hat mir euch zu töten geheißen;
was fangen wir jetzo an, daß wir beide das Leben be—
halten?“ Da sprach sie: „Gehe und heiß meinen Hof⸗
meister zu mir kommen.“ Der Hofmeister gab ihr den
Rat: sich zur Stunde aufzumachen und von ihren Kin⸗
dern zu scheiden. Da setzte sich die Landgräfin bei ihrer
Söhnlein Bette und weinte; aber der Hofmeister und
ihre Frauen drangen in sie, zu eilen. Da es nun nicht
286 Markgraf Friedrich läßt seine Tochter säugen.
anders sein konnte, gesegnete sie ihre Kinder, ergriff
das älteste, Namens Friedrich, und küßte es oftermal;
und aus sehnlichem, mütterlichen Herzen biß sie ihm
in einen Backen, daß er davon eine Narbe bekam, die
er zeitlebens behalten. Daher ihm auch erwachsen, daß
man ihn genennet; Friedrich mit dem gebissenen Backen.
Da wollte sie den andern Sohn auch beißen; das wehrte
ihr der Hofmeister und sprach: „Wollt ihr die Kinder
umbringen?“ Sie sprach: „Ich hab ihn gebissen, wann
er groß wird, daß er an meinen Jammer und dieses
Scheiden gedenkt.“
Also nahm sie ihre Kleinode, und ging auf's Ritter—
haus, wo sie der Hofmeister mit einer Frauen, einer Magd
und dem Eseltreiber an Seilen das Fenster hinab ließ.
Noch dieselbe Nacht flüchtete sie auf den Kreinberg, der
dazumal dem hersfelder Abt hörte; von da ließ sie der
Amtmann geleiten bis nach Fulda. Der Abt empfing sie
ehrbarlich und ließ sie sicher geleiten bis gen Frankfurt,
wo sie in einem Jungfrauenkloster Herberge nahm, aber
schon im folgenden Jahre vor Jammer starb. Sie liegt
zu Frankfurt begraben.
561. Markgraf Friedrich läßt seine Tochter
säugen.
Rohte J. c. 1747.
Dieser Friedrich mit dem Biß führte hernachmals Krieg
wider seinen Vater und den römischen König und war auf
der Wartburg eingeschlossen, denn der Gegenteil hielt die
Stadt Eisenach hart besetzt. In dieser Not gebar ihm seine
Gemahlin eine junge Tochter. Als sie acht Tage alt war,
und er nicht länger auf der Burg aushalten konnte, setzte
er sich mit Hofgesinde, der Amme und dem Töchterlein
Otto der Schütze.
287
selbzwölfte auf Pferde, ritten nachts von der Burg in
den Waid, doch nicht so heimlich, daß es nicht die Eisen—
nacher Wächter gehört hätten; die jagten ihm stracks
nach, in der Flucht begann das Kindlein heftig zu schreien
und weinen. Da rief Friedrich der Amme zu, die er vor
sich her reiten ließ: „Was dem Kinde wäre? sie sollte
es schweigen.“ Die Amme sprach: „Herre, es schweiget
nicht, es sauge denn.“ Da ließ er den ganzen Zug hal⸗
ten und sagte: „Um dieser Jagd willen soll meine Toch⸗
ter nichts entbehren, und kostete es ganz Thüringerland!“
Da hielt er mit dem Kinde, und stellte sich mit den Seinen
zur Wehre so lange, bis sich die Tochter satt getrunken
hatte; und es glückte, daß er die Feinde abhielt und
ihnen hernach entrann.
562. Otto der Schütze.
Senkenberg seleeta III. 332-363.
Spangenbergs Adelspiegel Th. 2. Buch 9. Cap. 3.
J. H. Schminke Untersuch. von Otto dem Schützen.
Landgraf Heinrich der Eiserne zu Hessen zeugte zwei
Söhne und eine Tochter; Heinrich, dem ältesten Sohne,
beschied er, sein Land nach ihm zu besitzen; Dtto, den
andern, sandte er auf die hohe Schule, zu studieren und
darnach geistlich zu werden. Otto hatte aber zur Geist⸗
lichkeit wenig Lust, kaufte sich zwei gute Roß, nahm einen
guten Harnisch und eine starke Armbrust und ritt un⸗
bewußt seinem Vater aus. Als er an den Rhein zu des
Herzogen von Cleve Hof gekommen war, gab er sich für
einen Bogenschützen aus und begehrte Dienst. Dem Her—⸗
zog behagte seine feine, starke Gestalt und behielt ihn
gern; auch zeigte sich Otto als ein künstlicher, geübter
Schůtze so wohl und redlich, daß ihn sein Herr bold her—
vorzog und ihm vor andern vertraute.
288 Landgraf Philips und die Bauersfrau.
Unterdessen trug es sich zu, daß der junge Heinrich,
sein Bruder, frühzeitig starb, und der Braunschweiger
Herzog, dem des Landgrafen Tochter vermählt worden
war, begierig auf den Tod des alten Herrn wartete: weil
Otto, der andere Erbe, in die Welt gezogen war, niemand
von ihm wußte, und allgemein für tot gehalten wurde. Dar⸗
über stand das Land Hessen in großer Traurigkeit: denn
alle hatten an dem Braunschweiger ein Mißfallen, und
zumeist der alte Landgraf, der lebte in großem Kummer.
Mittlerweile war Dtto der Schütz guter Dinge zu Cleve
und hatte ein Liebesverständniß mit Elisabeth, des Her—
zogs Tochter, aber nichts von seiner hohen Abkunft laut
lassen werden.
Dies bestund etliche Jahre, bis daß ein hessischer Edel—⸗
mann, Heinrich von Homberg genannt, weil er eine Wall⸗
fahrt nach Achen gelobt hatte, unterwegs durch Cleve
kam und den Herzog, den er von alten Zeiten her kannte,
besuchte. Als er bei Hof einritt, sah er Otten, kannte
ihn augenblicklich und neigte sich, wie vor seinem Herrn
gebührte. Der Herzog stand gerade am Fenster und ver—
wunderte sich über die Ehrerbietung, die vom Ritter seinem
Schützen bewiesen wurde, berief den Gast und erfuhr
von ihm die ganze Wahrheit, und wie jetzt alles Erbe
auf Otten stünde. Da bewilligte ihm der Herzog mit
Freuden seine Tochter, und bald zog Otto mit seiner Braut
nach Marburg in Hessen ein. (Dtto geb. 1322, — 1366.)
563. Landgraf Philips und die Bauersfrau.
Kirchhofs Wendunmuch.
Winkelmann S. 686, 587.
Landgraf Philips pflegte gern unbekannter Weise in
seinem Lande umherzuziehen und seiner Untertanen Zustand
In Ketten aufhängen.
289
zu forschen. Einmal ritt er auf die Jagd und be—
gegnete einer Bäuerin, die trug ein Gebund Leinengarn
auf dem Kopfe. Was tragt ihr, und wohin wollt ihr?
frug der Landgraf, den sie nicht erkannte, weil er in schlech⸗
ten Kleidern einherging. Die Frau antwortete: Ein Ge—
bund Garn, damit will ich zur Stadt, daß ich es ver—
kaufe und die Schatzung und Steuer bezahlen kann, die
der Landgraf hat lassen ausschreibenz des Garns muß
ich selber wohl an zehn Enden entraten,“ klagte erbärm⸗
lich über die böse Zeit. Wieviel Steuer trägt es euch?
sprach der Fürst. „Einen Ortsgulden,“ sagte sie; da
nahm er sein Säckel, zog soviel heraus und gab ihr das
Geld, damit sie ihr Garn behalten könnte. „Ach nun
lohns euch Gott, lieber Junker — rief das Weib — ich
wollte der Landgraf hätte das Geld glühend auf seinem
Herzen!“ Der leutselige Fürst ließ die Bäuerin ihres We—
ges ziehn, kehrte sich gegen sein Gesinde um und sprach
mit lachendem Munde: „Schauet den wunderlichen Han⸗
del! den bösen Wunsch hab ich mit meinem eigenen Geld
gekauft.“
564. In Ketten aufhängen.
Wigand hess. Chronik J. go, ui.
Vgl. hess. Dentwürd. IV. 2. S. 477.
Landgraf Philipp von Hessen mußte eine Zeitlang bei
dem Kaiser gefangen sitzen; mittlerweile überschwemmte
das Kriegsvolk seine Länder und schleifte ihm alle Festungen,
ausgenommen Ziegenhain. Darin lag Heinz von Lüder,
hielt seinem Herrn rechte Treue und wollte die Feste um
keinen Preis übergeben, sondern lieber sich tapfer wehren.
Als nun endlich der Landgraf ledig wurde, sollte er auf
des Kaisers Geheiß, so bald er nach Hessen zurückkehren
*
Grimm, Sagen II.
290 Landgraf Moritz von Hessen.
würde, diesen hartnäckigen Heinz von Lüder unter dem
Ziegenhainer Tore in Ketten aufhängen lassen, und zu
dem Ende wurde ein kaiserlicher Abgeordneter als Augen—
zeuge mitgegeben. Philipp, nachdem er zu Ziegenhain
eingetroffen, versammelte den Hof, die Ritterschaft und
des Kaisers Gesandten. Da nahm er eine güldene Kette,
ließ seinen Obersten daran an einer Wand, ohne ihm
wehe zu tun, aufhängen, gleich wieder abnehmen, und
verehrte ihm die goldene Kette unter großen Lobsprüchen
seiner Tapferkeit. Der kaiserliche Abgeordnete machte Ein—
wendungen, aber der Landgraf erklärte standhaft: daß er
sein Wort, ihn aufhängen zu lassen, streng gehalten und
es nie anders gemeint habe. — Das kostbare Kleinod ist
bei dem Lüderschen Geschlecht in Ehren aufbewahrt wor⸗
den und jetzt, nach Erlöschung des Mannsstammes, an
das adelige Haus Schenk zu Wilmerode gekommen.
565. Landgraf Moritz von Hessen.
Mündliche Sage in Hessen.
Es war ein gemeiner Soldat, der diente beim Land—
grafen Moritz und ging gar wohl gekleidet und hatte
immer Geld in der Tasche; und doch war seine Löhnung
nicht so groß, daß er sich, seine Frau und Kinder so stolz
hätte davon halten können. Nun wußten die andern
Soldaten nicht, wo er'den Reichtum herkriegte und
sagten es dem Landgrafen. Der Landgraf sprach: „Das
will ich wohl erfahren;“ und als es Abend war, zog er
einen alten Linnenkittel an, hing einen rauhen Ranzen
über, als wenn er ein alter Bettelmann wäre und ging
zum Soldaten. Der Soldat fragte, was sein Begehren
wäre? Ob er ihn nicht über Nacht behalten wollte?
Landgraf Moritz von Hessen. 291
— Ja, — sagte der Soldat, wenn er rein wäre und
kein Ungeziefer an sich trüge; dann gab er ihm zu essen
und zu trinken, und als er fertig war, sprach er zu ihm:
„Kannst du schweigen, so sollst du in der Nacht mit mir
gehen, und da will ich dir etwas geben, daß du dein
Lebtag nicht mehr zu betteln brauchst.“ Der Landgraf
sprach: „Ja, schweigen kann ich, und durch mich soll
nichts verraten werden.“ Darauf wollten sie schlafen
gehen; aber der Soldat gab ihm erst ein rein Hemd,
das sollte er anziehen und seines aus, damit kein Un—
geziefer in das Bett käme. Nun legten sie sich nieder,
bis Mitternacht kam; da weckte der Soldat den Armen
und sprach: „Steh auf, zieh dich an und geh mit mir.“
Das tat der Landgraf, und sie gingen zusammen in Cassel
herum. Der Soldat aber hatte ein Stück Springwurzel,
wenn er das vor die Schlösser der Kaufmannsläden hielt,
sprangen sie auf. Nun gingen sie beide hinein; aber der
Soldat nahm nur vom UÜberschuß etwas, was einer durch
die Elle oder das Maß herausgemessen hatte, vom Ka—
pital griff er nichts an. Davon nun gab er dem Bettel—
mann auch etwas in seinen Ranzen. Als sie ganz in
Cassel herum waren, sprach der Bettelmann: „Wenn
wir doch dem Landgrafen könnten über seine Schatz—
kammer kommen!“ Der Soldat antwortete: „Die will
ich dir auch wohl weisen; da liegt ein bischen mehr als
bei den Kaufleuten.“ Da gingen sie nach dem Schloß
zu, und der Soldak hielt nur die Springwurzel gegen
die vielen Eisentüren, so taten sie sich auf; und fie gingen
hindurch, bis sie in die Schatzkammer gelangten, wo die
Goldhaufen aufgeschüttet waren. Nun tat der Landgraf,
als wollte er hineingreifen und eine Hand voll einstecken;
der Soldat aber, als er das sah, gab ihm drei gewaltige
Ohrfeigen und sprach: „Meinem gnädigen Fürsten darfst
19*
292 Landgraf Moritz von Hessen.
du nichts nehmen, dem muß man getreu sein!“ „Nun
sei nur nicht bös — sprach der Bettelmann — ich habe
ja noch nichts genommen.“ Darauf gingen sie zusammen
nach Haus und schliefen wieder bis der Tag anbrach;
da gab der Soldat dem Armen erst zu essen und trinken,
und noch etwas Geld dabei, sprach auch: „Wenn das
all ist und du brauchst wieder, so komm nur getrost zu
mir; betteln sollst du nicht.“
Der Landgraf aber ging in sein Schloß, zog den Linnen⸗
kittel aus und seine fürstlichen Kleider an. Darauf ließ
er den wachthabenden Hauptmann rufen und befahl, er
sollte den und den Soldaten — und nannte den, mit
mit welchem er in der Nacht herumgegangen war —
zur Wache an seiner Tür beordern. Ei — dachte der
Soldat — was wird da los sein, du hast noch niemals
die Wache getan; doch wenns dein gnädiger Fürst be—
fiehlt, ists gut.“ Als er nun dastand, hieß der Landgraf
ihn hereintreten und fragte ihn: warum er sich so schön
trüge, und wer ihm das Geld dazu gäbe? „Ich und
meine Frau, wir müssen's verdienen mit arbeiten,“ ant⸗
wortete der Soldat und wollte weiter nichts gestehen.
„Das bringt so viel nicht ein — sprach der Landgraf —
du mußt sonst etwas haben.“ Der Soldat gab aber
nichts zu. Da sprach der Landgraf endlich: „Ich glaube
gar, du gehst in meine Schatzkammer, und wenn ich da⸗
bei bin, gibst du mir eine Ohrfeige.“ Wie das der Soldat
hörte, erschrak er und fiel vor Schrecken zur Erde hin—
Der Landgraf aber ließ ihn von seinen Bedienten auf—
heben, und als der Soldat wieder zu sich selber gekommen
war und um eine gnädige Strafe bat, so sagte der Land⸗
graf: „Weil du nichts angerührt hast, als es in deiner Ge⸗
walt stand, so will ich dir alles vergeben; und weil ich
sehe, daß du treu gegen mich bist, so will ich für dich
Brot und Salz segnet Gott. 293
sorgen,“ und gab ihm eine gute Stelle, die er ver—
sehen konnte.
366. Brot und Salz segnet Gott.
Prätorius Wünschelruthe S. 79.
Es ist gemeiner Gebrauch unter uns Deutschen, daß
der, welcher eine Gasterei hält, nach der Mahlzeit sagt:
„Es ist nicht viel zum besten gewesen, nehmt so vorlieb.“
Nun trug es sich zu, daß ein Fürst auf der Jagd war,
einem Wild nacheilte und von seinen Dienern abkam,
also daß er einen Tag und eine Nacht im Walde herum—
irrte. Endlich gelangte er zu einer Köhlerhütte, und der
Eigentümer stand in der Türe. Da sprach der Fürst,
weil ihn hungerte: „Glück zu, Mann! was hast du zum
besten?“ Der Köhler antwortete: „Ick hebbe Gott un
allewege wol (genug).“ „So gib her, was du hast,“
sprach der Fürst. Da ging der Köhler und brachte in
der einen Hand ein Stück Brot, in der andern einen
Teller mit Salz; das nahm der Fürst und aß, denn er
war hungrig. Er wollte gern dankbar sein, aber er hatte
kein Geld bei sich; darum löste er den einen Steigbügel
ab, der von Silber war, und gab ihn dem Köhler; dann
bat er ihn, er möchte ihn wieder auf den rechten Weg
bringen, was auch geschah.
Als der Fürst heimgekommen war, sandte er Diener
aus, die mußten diesen Köhler holen. Der Köhler kam
und brachte den geschenkten Steigbügel mit; der Fürst
hieß ihn willkommen und zu Tische sitzen, auch getrost
sein; es sollt' ihm kein Leid widerfahren. Unter dem
Essen fragte der Fürst: „Mann, es ist diese Tage ein
Herr bei dir gewesen; sieh herum, ist derselbe hier mit
über der Tafel?“ Der Köhler antwortete: „Mi ducht,
294
Nidda.
ji sünd et wol sülvest,“ zog damit den Steigbügel hervor
und sprach weiter: „will ji düt Dink wedder hebben?“
„Nein, — antwortete der Fürst — das soll dir geschenkt
sein, laß dir's nur schmecken und sei lustig.“ Wie die
Mahlzeit geschehen und man aufgestanden war, ging
der Fürst zu dem Köhler, schlug ihn auf die Schulter
und sprach: „Nun, Mann, nimm so vorlieb, es ist nicht
viel zum besten gewesen.“ Da zitterte der Köhler; der
Fürst fragte ihn, warum? er antwortete: er dürfte es
nicht sagen. Als aber der Fürst darauf bestand, sprach
er: „Och Herre! ase ji säden, et wäre nig väle tom besten
west, do stund de Düfel achter ju!“ „Ist das wahr —
sagte der Fürst — so will ich dir auch sagen, was ich
gesehen. Als ich vor deine Hütte kam und dich fragte,
was du zum besten hättest und du antwortetest: Gott
und allgenug!‘' da sah ich einen Engel Gottes hinter dir
stehen. Darum aß ich von dem Brot und Salz und
war zufrieden; will auch nun künftig hier nicht mehr
sagen, daß nicht viel zum besten gewesen.
567. Nidda.
Schwarz in den hess. Denkw. IV. 2, 296, aus mündlicher Sage.
Eine Gräfin hatte das Gelübde getan, an der Stelle,
wo ihr Esel zuerst mit ihr stehen bliebe, ein Schloß zu
erbauen. Als nun der Esel in einer sumpfigen Gegend
stehen blieb, soll sie gerufen haben: „nit da, nit da!“
Allein das fruchtete nichts, und das Tier war nicht von
demselben Platz zu bringen. Also baute sie wirklich ihr
Schloß dahin, welches gleich der später da herum ent—
standenen Stadt den Namen Nidda behielt, die nah—
gelegene Wiese aber den der Eselswiese.
Nidda.
295
Noch mehreres davon wußten die Spielknaben vor
einem halben Jahrhundert zu sagen, was damals unter
dem Volk allgemein verbreitet war, jetzo vielleicht ver—
schollen ist, und vermutlich mit den abweichenden
Umständen, die Winkelmann GHessenlands Beschr. Buch
VI. S. 231. vgl. II. S. 193.) wohl auch aus mündlicher
Sage erzählt, näher eintrifft. Zu Zeiten Friedrich Roth—
barts war Berthold, Graf zu Nidda, ein Raubritter,
hatte seinen Pferden die Hufeisen umkehren lassen, um
die Wandersleute sicher zu berücken, und durch sein Um—
schweifen in Land und Straßen großen Schaden getan.
Da zog des Kaisers Heer vor Altenburg, seine Raubfeste,
und drängte ihn hart; allein Berthold wollte sich nicht
ergeben. In der Not unterhandelte die Gräfin auf freien
Abzug aus der Burg und erlangte endlich vom Heer—
führer: daß sie mit ihrem beladenen Maulesel und dem,
was sie auf ihren Schultern ertragen könnte, frem heraus⸗
gelassen werden sollte; mit ausdrücklicher Bedingung, „daß
fie nur ihre beste Sache trüge, auch der Graf selbst nicht
auf dem Maulesel ritte.“ Hierauf nahm sie ihre drei
Söhnlein, setzte sie zusammen auf das Tier, ihren Herrn
aber hing sie über den Rücken und trug ihn den Berg
hinab. So errettete sie ihn; allein bald ermatteten ihre
Kräfte, daß sie nicht weiter konnte, und auch der müde
Esel blieb im Sumpfe stecken. An der Stelle, wo sie nun
diese Nacht zubrachten und ein Feuer angemacht, baute
hernach die Gräfin drei Häuser ihren drei Söhnen auf,
in der Gegend, wo jetzo Nieder-Nidda stehet. Die Alten⸗
burg ist zertrümmert, hat aber noch starke Gewölbe und
Keller. Es geht gemeine Sage, daß da ein Schatz ver—⸗
borgen stecke; die Einwohner haben nachgegraben und
Hufeisen gefunden, solche, die man den Pferden verkehrt
aufnageln kann.
296
Ursprung der von Malsburg
568. Ursprung der von Malsburg.
Winkelmann Beschr. von Hessen VI. 127.
Die von der Malsburg gehören zu dem ältesten Adel
in Hessen und erzählen: zur Zeit Karl der Große den
Brunsberg in Westphalen erobert, habe er seine treue
und versuchte Diener belohnen wollen, einen Edelmann,
namens Otto, im Feld vor sich gerufen und ihm erlaubt,
daß er sich den Fels und Berg, worauf er in der Ferne
hindeutete, ausmalen (d. h. eingrenzen, bezeichnen) und
für sich und seine Erben eine Festung dahin bauen dürfe.
Der Edelmann bestieg den Felsen, um sich den Ort zu
besehen, auszumalen und zu beziehen; da fand er auf
der Höhe einen Dornstrauch mit drei weißen Blumen,
die nahm er zum Mal-, Kenn- und Merkzeichen. Als
ihn der König hernach frug: wie ihm der Berg gefalle?
erzählte er, daß er oben einen Dornbusch mit drei weißen
Rosen gefunden. Der König aber sonderte ihm sein
gülden Schild in zwei gleiche Teile, obenhin einen Löwen
und unten drei weiße Rosen. An dem ausgemalten Ort
baute Dtto hernach seine Burg und nannte sie Malsburg,
welcher Name hernach bei dem Geschlecht geblieben ist,
das auch den zugeteilten Schild bis auf heute fortführt.
569. Ursprung der Grafen von Mannsfeld.
Dtmars Volkssagen 201, 202
Während einst Kaiser Heinrich sein Hoflager auf der
Burg bei Wallhausen in der goldenen Aue hatte, bat
sich einer sener Mannen von ihm ein Stück Feld zum
Eigentum aus, das an die goldene Aue grenzte und so
groß wäre, daß er es mit einem Scheffel Gerste umsäen
könnte. Der Kaiser, weil er den Ritter seiner Tapferkeit
Henneberg. Die acht Brunos. 297
wegen liebte, bewilligte ihm die Bitte, ohne sich zu be—
denken. Dieser nahm einen Scheffel Gerste, und umsäte
damit die Grenzen der nachmaligen Grafschaft Mannsfeld.
Doch dies erregte den Neid der übrigen Mannen, und
sie hinterbrachten dem Kaiser, daß seine Gnade durch eine
falfche Deutung gemißbraucht worden. Aber der Kaiser
antwortete lachend: „Gesagt ist gesagt! Das ist des
Mannes Feld!“ Daher der Name Manpsfeld, und in
dem gräflichen Wappen die Gerstenkörner, welche die
Wappenkünstler Wecken nennen.
570. Henneberg.
Alte Chronik in Senkenbersg sel. juris III. p. 3131, 312.
Bange thür. Chronik. Bl. 18, 19.
Ein Herr von edlem Geschlecht zog um in Deutschland,
suchte Frieden und eine bequeme Stätte zu bauen; da
kam er nach Franken an einen Ort und fand einen Berg
im Land, der ihm gefiel. Als er nun hinritt, ihn näher
zu beschauen, flog vor ihm auf eine Birkhenne, die hatte
Junge; die nahm er sich zum Wappen und nannte den
Berg Hennenberg und baute ein schön Schloß drauf,
wie das noch vor Augen ist; und an dem Berge war
ein Köre (Kehre, wo man den Pflug wendet?), da baute
er seinen Dienern gar eine lustige Wohnung und nannte
sie von der Köre.
571. Die acht Brunos.
Cyr. Spangenberg Quernfurtische Chronik 1590. 4. G. 134 - 136.
Casp. Schneider Beschr. von Querfurt S. 14 - 16.
Zu alter Zeit herrschte Graf Gebhard mit seiner Ge⸗
mahlin auf dem Hause Quernfurt in Sachsen. Diese
gebar in Abwesenheit des Grafen neun Kinder auf einmal,
298
Die acht Brunos.
worüber sie mit ihren Weibern heftig erschrak, und
wußten nicht, wie sie den Sachen immermehr tun soll—
ten. Denn weil ihr Herr gar wunderlich war, besorgten
sie, er würde schwerlich glauben, daß es mit rechten Din—
gen zugegangen sei, daß eine Frau auf einmal von einem
Manne neun Kinder sollte haben können; sonderlich weil
er zum öftern Mal beschwerliche Gedanken und Reden
von den Weibern gehabt hatte, die zwei oder drei Kinder
auf einmal zur Welt brachten, und niemand ihn überreden
mochte, dieselben für ehrlich zu halten. In dieser Furcht
wurde die Gräfin mit ihren Weibern eins, dieser jungen
Kindlein achte heimlich beiseite zu schaffen und nur das
neunte und stärkste zu behalten. (Dieses wurde Burkhart
genannt und nachmals Großvater Kaiser Lothars.) Eines
der Weiber empfing demnach Befehl, die acht Kinder in
einem Kessel, darein man sie gelegt, fort zu tragen, im
Teich über der Mühle unter dem Schlosse im Kessel mit
Steinen zu beschweren, zu versenken und zu ertränken,.
Das Weib nahm es auf sich und trug mit dem frühe—
sten die Kinder aus der Burg. Nun war aber eben da—
mals des Grafen Bruder, der heilige Bruno, mit dem
Tage ins Feld gegangen, sein Gebet zu tun. Als er un—
ierm Berge, bei dem schönen Quellbrunnen (hernach
Brunsbrunnen genannt) hin und her wandelte, stieß ihm
das Weib auf, und eilte stracks ihres Weges dahin, als
fürchtete sie sich; im Vorübergehen hörte Bruno die Kind—
lein im Kessel unter ihrem Mantel winseln. Er wunderte
sich und fragte: was sie da trüge? Ob nun gleich das
Weib sagte: „Junge Wölferlin oder Hündlein“ so deuchte
es Bruno doch nicht aller Dinge, als ob die Stimme wie
junger Hündlein lautete; wollte deswegen sehen, was es
doch Wunders wäre. Als er ihr nun den Mantel auf—
rückte, sah er, daß sie acht junge Kindlein trage. Über
Die acht Brunos.
299
die Maßen erschrocken, drang er in die vor Furcht er—
starrte Frau, ihm alsbald anzuzeigen: woher sie mit den
Kindlein koinme, wem sie zuständig und was sie damit
tun wolle? Zitternd berichtete sie ihm die ganze Wahr⸗
heit. Darauf verbot ihr Herr Bruno ernstlich, von dieser
Sache keinem Menschen, auch der Mutter selbst nicht
anders, als ob sie deren Befehl vollzogen, zu melden.
Er aber nahm die Kinder, taufte sie bei dem Brunnen,
nannte sie insgesamt mit Namen Bruno und schaffte,
daß die armen Waisen untergebracht wurden, eins oder
zwei in der Mühle unterm Schloß, die übrigen an andern
Orten in der Rähe. Denen er die Kindlein aufzuziehen
befahl, gab er Geld her und hieß es heimlich halten,
vertraute auch keinem Menschen davon; bis auf die Zeit
da er zum letztenmal aus Quernfurt ins Land Preußen
ziehen mußte und dachte: er möchte nimmer wiederkehren.
Da offenbarte er vernünftiglichen seinem Bruder Geb⸗
hard: was sich zugetragen, wie die Kinder geboren und
lebendig erhalten worden, und wo sie anzutreffen wären.
Gebhard mußte sich aber zuvor verpflichten, daß er es
seiner Gemahlin nicht unfreundlich entgelten, sondern hier—
in Gottes Wunder und Gnadenwerk erkennen wolle. Dar⸗
auf ging der heilige Bruno auch zu der Gemahlin hin,
entdeckte ihr alles und strafte sie wegen ihres sündlichen
Argwohns. Da war groß Leid und Freud beieinander,
die acht Kindlein wurden geholt und alle gleich gekleidet
ihren Eltern vorgestellt. Diesen wallte das väterliche und
mütterliche Herz, und spürte man auch an Gestalt und
Gebärden der Kindlein, daß sie des neunten rechte Brü⸗
derlein waren. Den Kessel, darinnen das Weib diese acht
Welfe soll von der Burg getragen haben, zeigt man noch
heutiges Tages zu Quernfurt, da er in der Schloßkirche
oben vor dem Chor in dem steinernen Schwibbogen mit
300
Die Eselswiese.
einer eisernen Kette angeschmiedet zum Gedächtnis dieser
Geschichte hängt. Der Teich aber heißt noch heutiges
Tages der Wölferteich, gemeinlich Wellerteich.
572. Die Eselswiese.
Spangenberg quernfurt. Chronik. S. 128, 131, 133.
Osterdonnerstags, nach gesprochenem Segen, ritt der
heilige Bruno von seinem Bruder Gebhardt weg, wil⸗
lens, nach Preußen zur Bekehrung der Heiden zu ziehen.
Als er nun auf den grünen Anger hart vor Quernfurt
kam, wurde ihm das Maultier oder der Esel stätig, wollte
weder vor noch hinter sich, alles Schlagens, Peitschens
und Spornens unerachtet. Daraus schlossen Gebhard
und andere, die ihn geleitet hatten: es wäre nicht Gottes
Wille, daß er diesen Zug tue, und überredeten ihn so
lange, bis er wieder mit auf's Schloß Quernfurt zog.
Die Nacht aber überschlug der Heilige die Sache von
neuem, geriet in große Traurigkeit, und sein Herz hatte
nicht Ruhe, bis er endlich den Zug doch unternahm und
in Preußen von den Heiden gefangen, gepeinigt und ge⸗
tötet wurde. (Im Jahr 1008 oder 1009.) — Auf der
Stelle, wo damals das Tier ständig wurde, baute man
nach seinem Tode ein Heiligtum, genannt die Kapell zu
Eselstätt auf den heutigen Tag; und man erteilte da je⸗
den Gründonnerstag sonderlichen Ablaß aus. Darum
geschahen große Wallfahrten des Volkes auf die Quern—
furter Eselswiese, und in spätern Zeiten wurde ein Jahr⸗
markt daraus, dem von Sonnenauf- bis zu Sonnen⸗
niedergang eine lebendige Menge der umwohnenden Leute
zuzuströmen pflegen.
Thalmann von Lunderstedt. Hermann von Treffurt. 301
573. Thalmann von Lunderstedt.
Agrirola Sprichwort 180.
Thalman von Lunderstedt lebte in Feindschaft mit Er—⸗
furt, der Hauptstadt von Thüringen. Einmal wurde die—
ser Ritter von seinen Feinden zwischen Jena und Kahla
m der Saale bei dem Rothenstein hart bedrängt, also
daß es unmöglich schien, zu entrinnen. In der Not sprengte
aber Thalmann mit dem Gaul vom Felsen in die Saal
und entkam glücklich. Dem Thalmann hat es geglückt;
hunderttausenden sollt' es wohl nicht glücken.
574. Hermann von Treffurt.
Becherer Thüring. Chronik S. 337, 336.
Andr. Toppius Hist. von Eisenach, herausgeg. von Junker. S. 22 u. 57
Me,sovsantes orogr. unter Hellerstein.
In der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts lebte zu
Treffurt ein Ritter, Hhermann von Treffurt genannt, der
gern auf die Buhlschaft gegangen und viel ehrbare Frauen
und Jungfrauen um ihre Ehre gebracht: also daß kein
Manm in seinem Gebiet seine Tochter über zwölf Jahre
daheim behalten durfte. Daneben aber ist er andächtig
gewesen, fleißig in die Messe gegangen, hat auch die Ge⸗
zeiten St. Marien mit großer Andacht gesprochen. Die⸗
ser hat einsmals zu seiner Buhlschaft reiten wollen und
zuvor, seinem Gebrauch nach, die Gezeiten St. Marien
mit großer Andacht gesprochen; wie er nun in der Nacht
im Finstern allein über den Hellerstein geritten, hat er
des rechten Weges gefehlt und ist auf den hohen Felsen
des Berges gekommen, wo das Pferd zwar stutzte, der
Ritter aher meinte, es scheue vor irgendeinem Tier; gab
ihm deswegen im Zorn den Sporn, also daß das Roß
mit ihm den hohen Felsen hinabgesprungen und sich zu
302
Der Graf von Gleichen.
Tod gefallen; auch ist der Sattel mit samt dem Schwert
in der Scheide an vielen Stücken zerbrochen. Der Ritter
aber hat in dem Fall noch die Mutter Gottes angerufen,
und da hat ihn gedeucht: als werde er von einer Frau
umfangen, die ihn sanft und unverletzt auf die Erde gesetzt.
Nach dieser wunderbaren Errettung ist er nach Eife—
nach in ein Kloster gegangen, hat sein Leben gebessert,
all sein Gut um Gottes Willen von sich gegeben und
als ein Mönch barfuß und in Wolle sein Brot gebettelt.
Auch, als 1347 sein Tod herannahete, hat er nicht bei
andern frommen Christen sein Ruhebettlein haben wol—
len: sondern an einem heimlichen, unsaubern Orte, zwi⸗
schen der Liebfrauenkirche und der Stadtmauer begraben
sein wollen, seine unreine Taten desto härter zu büßen;
wie auch geschehen ist.
575. Der Graf von Gleichen.
Sagittarius Gleichische Historie B. J. c. 5.
Pauli Jovii (Götze) ehronicon sehwarzburg
Tenzel monatl. Unterr. 1696. G. 599 -620.
Melifsfantes Bergschlösser S. 20 31.
Graf Ludwig von Gleichen zog im Jahr 1227 mit
gegen die Ungläubigen, wurde aber gefangen und in die
Knechtschaft geführt. Da er seinen Stand verbarg, mußte
er, gleich den übrigen Sklaven, die schwersten Arbeiten
tun: bis er endlich der schönen Tochter des Sultans in
die Augen fiel, wegen seiner besondern Geschicklichkeit und
Anmut zu allen Dingen, sodaß ihr Herz von Liebe ent—
zündet wurde. Durch seinen mitgefangenen Diener erfuhr
sie seinen wahren Stand; und nachdem sie mehrere Jahre
vertraulich mit ihm gelebt, verhieß sie, ihn frei zu machen
und mit großen Schätzen zu begaben, wenn er sie zur
Ehe nehmen wolle. Graf Ludwig hatte eine Gemahlin
Hungersnot im Grabfeld. 303
mit zwei Kindern zu Haus gelassen; doch siegte die Liebe
zur Freiheit, und er sagte ihr alles zu, indem er des Papstes
und seiner ersten Gemahlin Einwilligung zu erwirken hoffte.
Glücklich entflohen sie darauf, langten in der Christenheit
an, und der Papst, indem sich die schöne Heidin taufen
ließ, willfahrte der gewünschten Vermählung. Beide
reisten nach Thüringen, wo sie im Jahr 1249 ankamen.
Der Ort bei Gleichen, wo die beiden Gemahlinnen zuerst
zusammentrafen, wurde das Freudental benannt, und
noch steht dabei ein Haus dieses Namens. Man zeigt
noch das dreischläfrige Bett mit rundgewölbtem Himmel,
grün angestrichen; auch zu Tonna den türkischen Bund
und das goldene Kreuz der Sarazenin. Der Weg, den
sie zu der Burg pflastern ließ, heißt bis auf den heutigen
Tag: der Türkenweg. Die Burggrafen von Kirchberg
besitzen auf Farrenrode, ihrer Burg bei Eisenach, alte
Tapeten, worauf die Geschichte eingewirkt ist. Auf dem
Petersberge zu Erfurt liegen die drei Gemahel begraben,
und ihre Bilder sind auf dem Grabsteine ausgehauen
(gestochen in Frankensteins annal. nordgaviens).
576. Hungersnot im Grabfeld.
Annales fuldenses ad. ann. 850.
Als im Grabfeld große Hungersnot herrschte, wanderte
ein Mann mit seiner Frau und einem zarten Kinde nach
Thüringen aus, um dem Mangel auszuweichen. Unter⸗
wegs in einem Wald übernahm ihn das Elend, und er
sprach zur Frau: „Tun wir nicht besser, daß wir unser
Kind schlachten und sein Fleisch essen, als daß wir selbst
durch die Nahrungslosigkeit verzehrt werden ?“ Die Frau
widersetzte sich einem so großen Verbrechen; zuletzt aber
drückte ihn der Hunger so, daß er das Kind gewaltsam
304 Der Croppenstädter Vorrat.
aus den Mutterarmen riß und seinen Willen durch die
Tat ausgeführt hätte: wenn nicht Gottes Erbarmen zu⸗
vor gekommen wäre. Denn indein er, wie er hernachmals
in Thüringen oft erzählte, das Schwert zog, um das
Söhnlein zu würgen, sah er in der Ferne zwei Wölfe
über einer Hindin stehen und sie zerfleischen. Sogleich ließ
er von seinem Kinde ab, scheuchte die Wölfe vom Aas weg,
das sie kaum gekostet hatten, und kam mit dem lebendigen
Sohn und der gefundenen Speise zu seiner Frau wieder.
577. Der Croppenstädter Vorrat.
Bratring Mag. für Land- und Geschichtskunde, erstes Heft 1798.
Otmars Volkssagen. G. 46, 45.
Das Wahrzeichen des Städtchens Croppenstedt, im
alten niedersächsischen Hartingau gelegen, ist ein großer
silberner Becher, der Croppenstedter Vorrat ge—
nannt, und wird auf dem dortigen Rathause aufbewahrt.
Man sieht in erhabener Arbeit dreizehn Wiegen und eine
Wanne, worin 14 Kinder liegen, sauber abgebildet. Eine
lateinische Inschrift besagt in gedrängten Zeilen, was das
Volk in der Gegend umständlicher zu erzählen weiß: es
lebte vor Zeiten ein Kuhhirte an dem Ort, dem in einem
Jahre von zwölf Frauen, vierzehn Knaben geboren
wurden. Die Mütter hatten sich aber nur auf dreizehn
Wiegen geschickt, und das vierzehnte Kind mußte, weil sie
nicht ausreichten, in eine Wanne oder Mulde gelegt werden.
578. So viel Kinder, als Tag' im Jahr.
Becherer thüring Chronik S. 294, 295.
Rheinischer Antiauarius G. 876, 885.
Eine Meile vom Haag liegt Loosduynen CLeusden)
ein kleines Dorf, in dessen Kirche man noch heutiges
Die Gräfin von Orlamünde. 305
Tages zwei Taufbecken zeigt, mit der Inschrift: „in deze
twee beckens zyn alle deze kinderen ghedoopt;“ und
auf einer dabeihangenden Tafel stehet in lateinischen und
niederländischen Versen das Andenken einer Begebenheit
erhalten, wovon die Volkssage, wie folgt, berichtet. Vor
alten Zeiten lebte in dem Dorfe eine Gräfin, Margaretha.
nach einigen, Mathilde nach anderen geheißen, Gemahlin
Graͤfen Herrmanns von Henneberg. Auch wird sie bloß
„die Gräfin von Holland“ genannt. Zu der kam einst ein
armes Weib, Zwillinge auf dem Arm tragend, und sprach
um ein mildes Almosen an. Die Gräfin aber schalt sie
aus und sprach: „Packt euch, unverschämte Bettlerin!
es ist unmöglich, daß ein Weib zwei Kinder auf einmal
von einem Vater habe!“ Die arme Frau versetzte: „So
bitte ich Gott, er lasse euch soviel Kinder auf einmal
bringen, als das Jahr Tage hat!“ Hernach wurde die
Gräfin schwanger und gebar auf einen Tag zur Welt
dreihundertfünfundsechzig Kinder. Dies geschah im Jahre
1270 (1276) im 42. Jahre der Gräfin. Diese Kinder
wucden alle lebendig getauft von Guido, Bischof zu
Utrecht, in zwein messingenen Becken, die Söhnlein Jo⸗
hannes) die Töchterlein Elisabeth sämtlich genannt.
Sie starben aber alle auf einen Tag mit ihrer Mutter
und liegen bei ihr in einem Grab in der Dorfkirche. —
Auch in der Delfter Kirche soll ein Denkmal dieses Er—
eignisses vorhanden sein.
579. Die Gräfin von DOrlamünde.
Lazius de migrat. gent. Lib. 7.
ldnfels antiquitatis selectae libri XII. Norimb. 1677. 4. P.
.4. P. 46
Vgl. Junas Anmerk. zum Titelkupfer seiner Geisterkunde. —
Dtto, Graf zu Orlamünde, starb 1340 —X
1275, 1280, 1298) mit Hinterlassung einer jungen
GSrimm, Sagen II. 20
306 Die Gräfin von Orlamünde.
Witwe, Agnes, einer geborenen Herzogin von Meran;
mit welcher er zwei Kinder, ein Söhnlein von drein und
ein Töchterlein von zwein Jahren, erzeugt hatte. Die
Witwe saß auf der Plassenburg und dachte daran, sich
wieder zu vermählen. Einstens wurde ihr die Rede Al—
brechts des Schönen, Burggrafen zu Nürnberg, hinter—
bracht, der gesagt hatte: „Gern wollt' ich dem schönen
Weib meinen Leib zuwenden, wo nicht vier Augen wären!“
Die Gräfin glaubte, er meinte damit ihre zwei Kinder,
sie ständen der neuen Ehe im Weg; da trug sie, blind
von ihrer Leidenschaft, einem Dienstmanne, Hayder oder
Hager genannt, auf und gewann ihn mit reichen Gaben,
daß er die beiden Kindlein umbringen möchte. Der Volks⸗
sage nach sollen nun die Kinder diesem Meuchelmörder
geschmeichelt und ihn ängstlich gebeten haben: „Lieber
Hayder, laß mich leben! ich will dir Orlamünden geben,
auch Plassenburg des neuen, es soll dich nicht gereuen,“
sprach das Knäblein; das Töchterlein aber: „Lieber
Hayder, laß mich leben, ich will dir alle meine Docken
geben.“ Der Mörder wurde hierdurch nicht gerührt und
vollbrachte die Untat; als er später noch andre Buben⸗
stücke ausgerichtet hatte und gefangen auf der Folter
lag, bekannte er: „So sehr ihn der Mord des jungen
Herrn reue, der in seinem Anbieten doch schon gewußt
habe, daß er Herrschaften auszuteilen gehabt; so gereue
ihn noch hundertmal mehr, wenn er der unschuldigen
Kinderworte des Mägdleins gedenke.“ Die Leichname
der beiden Kinder wurden im Kloster Himmelskron bei⸗
gesetzt und werden zum ewigen Andenken der Begebenheit
als ein Heiligtum den Pilgrimmen gewiesen.
Nach einer andern Sage soll die Gräfin die Kinder
selbst getötet und zwar Nadeln in ihre zarte Hirnschalen
gesteckt haben. Der Burggraf hatte aber unter den vier
Lamissio u. die Amazonen. Alboin betrachtet sich Italien. 307
Augen die seiner beiden Eltern gemeint und heuratete
hernach die Gräfin dennoch nicht. Einigen zufolge ging
fie, von ihrem Gewissen gepeinigt, barfuß nach Rom
und starb auf der Stelle, sobald sie heimkehrte, vor der
Himmelskroner Kirchtüre. Noch gewöhnlicher aber wird
erzählt: daß sie in Schuhen, inwendig mit Nadeln und
Nägeln besetzt, anderthalb Meilen von Plassenburg nach
Himmelskron ging und gleich beim Eintritt in die Kirche
tot niederfiel. Ihr Geist soll in dem Schloß umgehen.
,“
A
3928. Lamissio und die Amazonen.
Ppaulus Diac. J. 15.
Als die Longobarden sich dem Reiche der Kriegsjung⸗
frauen (deren es noch in dem Innern Deutschlands geben
soll) näherten, wollten ihnen diese den Übergang eines
Flusses an ihrer Grenze nicht verstatten. Es wurde da⸗
her ausgemacht, daß ein auserwählter Held von Seiten
der Longobarden mit einer der Frauen in dem Flusse
schwimmend fechten sollte. Würde nun ihr Kämpfer von
der Jungfrau besiegt, so sollte das lombardische Heer
zurückweichen; unterläge sie hingegen dem Helden, so
sollte ihnen der Übergang vergönnt sein. Diesen Kampf
bestand der tapfere Lamissio und erwarb sich durch seinen
Sieg großen Ruhm, seinen Landsleuten aber den freien
Zug über den Strom.
3968. Alboin betrachtet sich Italien.
paulus Diaconus II, 8.
Alboin war nun mit seinem Heer und einer großen
Menge Volkes an die äußerst te Grenze Italiens gekommen.
20*
zos Autharis Säule. Aistulfs Geburt
Da stieg er auf einen in jener Gegend emporragen⸗
den Berg und beschaute das Land, so weit er von da
hineinsehen konnte. Seit der Zeit heißt derselbe Berg
nach ihm der Königsberg. Auf diesem Gebirge sollen
wilde Wisente hausen. Ein wahrhafter Greis erzählte,
die Haut eines auf dem Berg erlegten Wisents gesehen
zu haben, welche so groß gewesen sei, daß funfzehn
Männer nebeneinander darauf liegen können.
3995. Autharis Säule.
paulus Die. III. 32.
Von Authari, dem König der Lombarden, wird er—
zählt: er sei über Spoleto vorgedrungen bis gen Bene—
vent, habe das Land genommen und sogar Reggio heim—
gesucht; welches die letzte Stadt des festen Landes an
der Meerenge, Sizilien gegenüber, ist. Daselbst soll in
den Meereswellen eine Säule gesetzt sein; bis zu der hin
sprengte Authari auf seinem Roß und rührte sie mit der
Spitze seiner Lanze an, indem er ausrief: „Hier soll der
Longobarden Grenze stehen!“ Diese Säule heißt bis auf
den heutigen Tag Autharis Säule.
406b. Aistulfs Geburt.
Agneldi vita Sergii cap. 2. (Muratori II. 172.)
Von König Aistulf, der mitten des 8. Jahrhunderts
die Longobarden beherrschte, geht folgende Sage: Seine
Mutter brachte in einer Stunde und in einem Gebähren
fünf Kinder zur Welt. Als man diese wunderbare Nach⸗
richt dem Könige ankündigte, befahl er, alle fünfe in
einem großen Korb vor ihn zu tragen. Er sah die Kinder
an, erschrak, wollte sie aber doch nicht geradezu aussetzen
Wittekinds Flucht.
309
lassen. Da hieß er seinen königlichen Spieß holen und
— F—
welches meinen Spieß mit der Hand greifen wird, soll
beim Leben erhalten werden!“ Hierauf streckte er den
Spieß in den Korb unter die Kinder und eins von den
Brüdern reichte mit dem Armlein nach der Stange.
Darauf nannte der Vater dieses Kind mit Namen
Aistulf.
448v8. Wittekinds Flucht.
Mündlich vom Freiherrn Hans von Hammerstein zu Equord mitgeteilt.
Wittekind wurde, wie noch jetzt ein jeder in der dortigen
Gegend weiß, zu Engter von den Franken geschlagen
(783), und viele blieben dort auf dem Wittenfelde tot
liegen. Flüchtend zog er gegen Ellerbruch; als nun alles
mit Weib und Kind an den Furth kam und sich drängte,
mochte eine alte Frau nicht weitergehen. Weil sie aber
dem Feinde nicht in die Hände fallen sollte, so wurde sie
von den Sachsen lebendig in einen Sandhügel bei Bell—
manns Kamp begraben; dabei sprachen sie: „Krup un—
der, krup under, de Welt is di grammꝰ), du kannst den
Rappel**) nich mehr folgen.“ Spuk hat mancher hier
gesehen, mancher auch nicht; aber über das weiße Feld
) Im Holsteinischen geht die Sage, daß die Zigeuner die
sehr Alten, welche sie nicht mehr mit fortschleppen können,
lebendig ins Wasser tauchen und ersäufen; dabei sprechen sie:
„Duuk ünner! duuk ünner! de Weld is di gramm!“ s. Schütze
holstein. Idiot J. 267. Daselbst II. 357 wird der oben be—
merkte Spruch als ein Sprichwort angeführt; daß es auch
am Harz üblich ist, sieht man aus Ottmars Volkssagen S. 44,
es heißt: niemand bekümmert sich mehr um dich, du bist der
Welt abgestorben.
**) Lärm.
310
Wittekinds Flucht.
geht doch niemand gern bei Nacht. Die meisten wissen
aus alter Zeit her, daß in lärmendem Zuge die Heere
mit blanken Spießen dort ziehen. Als daher vor einigen
Jahren Völker wirklich darüber zogen, geriet die ganze
Gegend in Schrecken und glaubte fliehen zu müssen.
Nachwort.
„Der Glaube des Volkes an Mirxen,
Feen, Kobolde u. dgl., die ganze
ehrbare Märchenwelt des Volkes,
ist nicht ein abergläubisches, son—
dern tiefes Naturgefühl von der
Alleinheit und Allgegenwart des
Geistes, das darin kindlich ist, daß
es den Geist der Natur in der
Gestalt und Bestimmtheit der Per—
sönlichkeiten faßt.“
Ludwig Feuerbach.
„Die Sage folgt der Entwicklung des menschlichen
Geistes ... In diesem Fortgange kann sie alles, was
ein Volk geistig besitzt, Himmlisches wie Irdisches, berüh—⸗
ren,“ sagt Wilhelm Grimm (Geldensage 335).
Neben uralten Bestandteilen und Beziehungen enthält
sie daher solche jüngeren und jüngsten Datums. So ist
sie für den Forscher, der ihre oft schwer entzifferbare Ru⸗
nenschrift zu lesen vermag, eine Geschichte des Verhält⸗
nisses des Menschen zu seiner Umwelt, eine Geschichte
der menschlichen Psyche und ihrer mit erstaunlicher Gleich⸗
artigkeit stets und überall wiederkehrenden Reaktionen
auf die Natur, ein Mittel, die Schleier der Vorzeit zu
lüften und verschüttete Verbindungswege zu vergangenen
Vorstellungswelten und Kulturen wieder gangbar zu
machen.
Die primitivste Stufe menschlichen Geisteslebens, die
für unsere Betrachtung in Frage kommt, jene keineswegs
312
Nachwort.
hypothetische, sondern dank dem Lichte der anthropologi—
schen Forschung klar vor unsern Augen daliegende Stufe,
auf der es noch keine Gottesvorstellung und keinen Got—
tesglauben gab, wird durch die Gruppe der Seelen-,
Geister- und Zaubersagen repräsentiert.
Aus dem Seelen- und dem damit zusammenhängen—
den Traumglauben und dem Seelendienst erwächst alle
spätere Glaubensentwicklung, so völlig von ihrem Ur—
sprung verschieden ihre letzten Phasen auch sein mögen,
und von ihnen wird sie wie von einem Schatten durch
alle Stationen des Gottheitsglaubens hindurch, zwar nicht
bis in die Studierstube des modernen Philosophen, wohl
aber bis in die Häuser und Paläste der von den Er—
gebnissen unserer Naturwissenschaft Unberührten begleitet.
Der Seelenglaube beruht einerseits auf der Frage
nach dem Unterschied zwischen einem lebenden und einem
toten Körper, nach der Ursache von Wachen, Schlaf,
Verzückung, Krankheit, Tod, andrerseits auf dem Ver—
such, die in Träumen und Visionen erscheinenden Ge—
stalten Lebender wie Abgeschiedener zu erklären. In zweiter
Linie tragen dazu Phänomene bei wie der Schatten, das
Spiegelbild im Wasser, das Echo u. a.
Nach Breysigs Definition ist unter Seele zu verstehen
„ein persönliches Wesen..., das dem lebendigen Men—
schenleibe der Regel nach innewohnt, ihn in Ausnahme—
fällen zeitweise verlassen kann, den toten Leib aber im—
mer verläßt, das dann in den Lüften oder in einem be—
sonderen Bezirke, sei es auf, über oder unter der Erde
fortlebt und schädliche wie nützliche, Menschenkraft über⸗
steigende Einwirkungen ausüben kann.“
Wenn die Seele den Menschenkörper — z. B. im Schlaf
— zeitweilig verläßt, ist dieser jedoch keineswegs ganz un⸗
beseelt. Wir müssen daher von vornherein zwei Seelen
Nachwort.
313
als für die Vorstellung des Naturmenschen erxistierend
unterscheiden: eine wollende oder regierende und eine aus-
führende. Die erstere verläßt nach dem Tode den Körper
und ist nunmehr ein Phantom, ein Gespenst, d h. ein meist
unsichtbares, ätherisches, will sagen eine gewisse Mate⸗
rialität besitzendes Wesen; die letztere haftet seiner Hülle
und, weil der Teil von dem Primitiven für das Ganze ge⸗
nommen wird, auch einem Stücke derselben an, solange
keine Zerstörung eingetreten ist, und kann von einer frem—
den wollenden Seele in ihren Dienst gezwungen werden.
Wir müssen sie uns als eine latente Kraft vorstellen, die
eines Movens bedarf, um in Wirksamkeit zu treten, und
wollen sie der Einfachheit halber als Kraftseele be⸗—
zeichnen.
Die regierende, das Leben bedingende Seele, dieselbe, die
nach dem Tode des Leibes zum Phantom, Schemen oder
Geist wird, gilt ihrerseits vielfach als etwas Zusammen⸗
gesetztes, als eine Vereinigung von verschiedenen Geistern,
denen verschiedene Funktionen zukommen und die nach
dem Tode des Individuums verschiedene Bestimmung
haben. Für unsere Zwecke genügt jedoch die obengemachte
Unterscheidung zwischen zwei Seelen, von denen die eine,
die Phantomseele, uns in ihrer Lebensform noch als Traum⸗
seele beschäftigen wird.
Nach dem Glauben des primitiven Menschen ist die
ganze Natur beseelt, d. h. nicht nur Menschen und Tiere,
sondern auch Pflanzen und Steine, ja selbst Artefakte.
Für alle gilt also die gemachte Unterscheidung.
Eine besondere Eigenschaft der Seele in ihrer Lebens⸗
wie in ihrer Phantomform ist die Verwandlungsfähig—
keit. In beiden Formen äußert sie sich erstens darin, daß
die Seele in einen andern Leib oder in einen Gegenstand
übergehen und sich seiner Kraftseele bemächtigen kann,
314
Nachwort.
zweitens darin, daß sie als Phantom und als Traum—
seele ohne Metempsychose eine andere Gestalt anzuneh—
men vermag, in ihrer inhärenten Lebensform jedoch nur
mit Hilfe einer fremden Kraftseele. Die Besitzergreifung
von einer fremden Kraftseele kann für die Lebensform
aber auch ohne Verwandlung geschehen.
Wie die Vorstellung von dieser Verwandlungs- und
Usurpationsfähigkeit entstand, ist nicht schwer zu erklären.
Der ꝓrimitive Mensch sieht sich rings von einer Welt
fortwährender Verwandlungen umgeben: das Ei ver—
wandelt sich in einen Vogel, die Puppe in einen Schmet—
terling, das Samenkorn in eine Pflanze, die Blüte in
eine Frucht, das Wasser in Eis oder (scheinbar) Feuer,
ein Aas in Würmer, das Starre in ein Bewegliches, das
Bewegliche in ein Starres. Ein Stein ist einer Pflanze
oder einem Pflanzenteil ähnlich, ein Fels oder Baum—
stamm einem Menschen oder Tier; verkieselte Baum—
stämme, versteinerte Pflanzen und Tiere bieten sich seinen
Blicken. Alles das läßt ihn eine den Dingen innewoh—
nende Zauberkraft vermuten. Auch wo er sie nicht direkt
beobachtet hat, nimmt er sie daher an und glaubt in—
folgedessen, daß ein Tier sich in einen Menschen, ein
Mensch in ein Tier, in eine Pflanze, ja in einen Stein
oder ein Artefakt verwandeln könne. Dieser Zauber- oder
Verwandlungskraft, sowie jeder Kraft, die er seiner eige⸗
nen überlegen empfindet, sucht er sich zu aktiven und zu
Abwehrzwecken zu bemächtigen, um seine eigene Kraft zu
steigern und sich zu schützen.
Durch das Tier und den Baum, die ihn nähren, d. h.
ihm Kraft verleihen, oder ihm Waffen liefern, darauf
hingewiesen, tut er dies, indem er sich einen Kraftträger,
dem er eine besondere Bedeutung für seine Person bei—
mißt, oder einen Teil desselben, verschafft und ihn als
Nachwort.
315
Fetisch entweder bei sich trägt oder sich einverleibt, z. B.
eine Klaue eines erlegten Bären, das Federkleid oder eine
Feder eines Vogels, einen seltsam geformten oder schön
gefärbten Stein, eine Wurzel, ein Stück Holz, ein
Artefakt, das Blut eines erschlagenen Feindes, das Fleisch
einer Schlange, die Schuppe eines Fisches uff.
Durch den Tod oder durch die Zerstörung des Sub⸗
strats, an das die Menschen⸗-, Tier⸗, Pflanzen⸗ und Ge⸗
genstandsseele gebunden war, wird sie zum Phantom,
durch todähnliche Zustände zur Traumseele. Während
sich der primitive Mensch der fremden Kraftseele, wo es
ihm wünschenswert erscheint, zu bemächtigen sucht, um
sich zu verwandeln oder seine eigene Kraft zu steigern,
trachtet er das Phantom zu versöhnen oder günstig zu
stimmen, die fremde Traumseele, soweit sie jhm Schaden
bringen kann, wie das feindliche Phantom durch apo⸗
tropeische Mittel abzuwehren.
Das wichtigste unter den Phantomen ist natürlicher⸗
weise die menschliche durch Entweichen aus dem Leibe
von diesem speziellen Substrat freigewordene Seele, die⸗
ses materielle diesseitige Wesen, das man nicht mit einem
„so undeutlichen, halb kindlichen, halb monströsen dies⸗
seitig⸗jenseitigen Zwittergebilde, wie es die traditionelle
Seele der christlichen Kirche bezeichnet“, verwechseln darf.
Sie wird auch Schatten, Atem (Gauch), Geist genannt
und, wie schon erwähnt, zuweilen aus mehreren Geistern
von verschiedener Bestimmung zusammengesetzt gedacht.
Dieses ungreifbare, für gewöhnlich unsichtbare und doch,
wie Träume, Alpdruck und durch Furcht überreizte Ein⸗
bildungskraft dem Primitiven beweisen, zweifellos vor⸗
handene Wesen wird ganz notwendig als etwas Unheim⸗
liches angesehen und vielfach von der Phantasie mit
mehr als menschlicher Macht ausgestattet. Vor allen
316
Schädigungen, die von ihm ausgehen können, soll ein—
mal der Seelendienst (Totenfeier, Totenopfer, Manen—
verehrung) und dann die durch den Besitz eines Fetischs ge—
wonnene Zauberkraft schützen. Der Seelendienst tritt für
unsere Betrachtung zurück, um so wichtiger ist es, einen
Blick auf die Abwehrmittel zu werfen.
Der Träger des Zaubers, der Verwandlungs-, Zusatz—
und Abwehrkraft, ist für den primitiven Menschen der
Fetisch, der greifbare, gegenständliche, körperhafte Fetisch:
Blut, Urin, Gehirn, Herz, Leber, Haare, Zähne, Klauen,
Wurzeln usw. Dieser, wenn man von dem durch ihn
wirkenden Geist — die Kraftseele — absieht, rein materielle
Fetisch tritt allmählich vor einem mächtigeren zurück,
der zugleich die innerliche Abkehr des Menschen von
der Natur, mit der er vorher so überaus innig verwach—
sen war, symbolisiert. Dieser Fetisch, der auch in den
entwickeltsten Priester-Religionen eine ausschlaggebende
Rolle spielt, ist der Wortfetisch: der Wortzauber als Opfer⸗
spruch, Gebet (Gesundbeten), Verwandlungsworte, Be—
sprechen, Exorzismus, Zauberspruch, Springwort. Er
bedeutet die höchste Vollendung der primitiven Zauber⸗
religion, ihren reinsten geistigen Ausdruck. Freilich ver—
drängt er für den primitiven Menschen den materiellen
Fetisch nicht, verleiht ihm vielmehr erst seine volle Kraft:
erst durch das gesprochene Weihwort werden Wasser,
Palmzweige, Kerzen, Agnus Dei, Rosenkränze, Medal—
lien, Devotionalien überhaupt, erst durch den eingravier—
ten oder geschriebenen Zauberspruch Pergamentstücke und
andere Amulette zu kräftigen Fetischen. Die Volkssagen
sind voll von diesem Fetischglauben, der in einem innigen
Zusammenhang mit dem Seelen- und Geisterglauben steht.
Eine große Rolle unter den Seelen von individuellen
Geschöpfen, die nach dem Tode oder der Vernichtung
Nachwort.
317
des Körpers ihre Existenz fortzuführen vermögen, spielen
in den Vorstellungen der Primitiven, also auch in der
Volkssage, die Seelen Unbestatteter, besonders solcher,
die eines gewaltsamen oder vorzeitigen Todes gestorben
sind, auch die Seelen von Zauberern, überhaupt von
Menschen, die ein böses Leben geführt haben. Zu allen
Zeiten hat man das Gefühl gehabt, daß sie schädliche und
böse Wesen seien. Die Kobolde (Poltergeister; vielfach
als Kinder vorgestellt, mit den Werkzeugen, durch die sie
umgekommen, in Brust oder Rücken), Irrwische, feuri⸗—
gen Männer der Volkssage gehören zu dieser Gattung.
Auch die Vampire, Nachtmahre, Alpe (Incubi, Sucr—
cubi), soweit sie als Seelen Verstorbener gedacht wer⸗
den, gehören hierher.
Diese letztgenannten Gespenster führen uns zu einem
besonderen Zustand der Lebensform der Seele: zur Traum⸗
seele; denn während sie nach der einen Theorie der Primi⸗—
tiven zur Phantom⸗ oder, wie wir hier besser sagen, zur
Todesform, sind sie nach der andern zur Lebensform der
Seele zu rechnen.
Die Seele des Schlafenden vermag den Leib während
des Schlafes — die Ähnlichkeit des Schlafenden mit dem
Toten und die Traumbilder haben die Veranlassung zu
dieser Vorstellung gegeben — zeitweilig zu verlassen und
entschlüpft dann dem Munde als Maus, Kröte oder
Schlange, um nach kurzer Zeit auf demselben Wege
und in derselben Gestalt wieder in ihn zurückzukehren.
Man darf daher den Schlafenden nicht umdrehen oder
an eine andre Stelle tragen, damit die abwesende Seele
den Rückweg nicht verfehle. Aus demselben Grunde
herrscht an manchen Stellen der Glaube, daß es gefähr—
lich sei, den Schlafenden zu wecken. Was die abwesende
Seele auf ihrer Reise erlebt hat, bildet den Inhalt des
318
Nachwort.
Traumes. Nach der Anschauung gewisser Völker sind die
Träume Besuche derjenigen Personen oder Gegenstände,
von denen die Schlafenden träumen, oder auch des eige—
nen entkörperten Geistes. Eine interessante Illustration
der erstgenannten Traumtheorie, verknüpft mit der Vor—
stellung von Geistern, die kein Wasser überschreiten kön—
nen, bildet die Doppelerzählung vom König Guntram
(Grimm 428*) und 455). In einer isländischen Fassung
dieser Sage entschlüpft die Seele dem Schlafenden als
kleines Nebelwölkchen. Ich lasse sie hier folgen:
Eine Gesellschaft von Reisenden schlägt auf offenem
Felde ihr Zelt auf, und die Leute legen sich in diesem zur
Ruhe. Der, welcher zu äußerst liegt, kann nicht schlafen;
da sieht er, wie über dem, der zu innerst liegt, ein bläu⸗
licher Dunst aufsteigt, sich langsam nach der ffnung
des Zeltes bewegt und ins Freie dringt. Er ist begierig
zu erfahren, was damit sei, steht auf und folgt ihm nach.
Da sieht er, wie der Dunst langsam über die Fläche hin⸗
zieht und schließlich an einen Pferdeschädel kommt, der
am Wege liegt, und um welchen eine Menge von Schmeiß-
fliegen sumsend herumfliegt. Der Dunst zieht sich in den
Schädel hinein, bleibt eine gute Weile drinnen und kommt
dann wider heraus. Er zieht weiter über das Feld und
kommt an ein ganz kleines Bächlein, das quer über den
Weg rinnt; an diesem zieht er auf und ab, als wenn er
hinüber wolle und nicht könne. Da legt der Mann seine
Peitsche, welche er bei sich trug und welche gerade hin⸗
überreichte, über das Wässerchen; der Dunst zieht über
den Peitschenstiel und kommt so hinüber. Er zieht weiter
*) In „Das Märlein von der ausschleichenden Maus“
Jacob Grimm, Kleinere Schriften VI. 193) wird noch erzählt,
daß der König von dem im Berge gefundenen Golde hernach—
mals heiliges Kirchengefäß stiftete.
Nachwort.
319
und kommt endlich an eine kleine Erhöhung auf dem
Boden; in diese dringt er hinein. Der Mann wartet,
bis er wieder herauskommt, und es dauert nicht lange
bis dies geschieht. Dann nimmt der Dunst wieder
denselben Weg zurück, den er gekommen war; der Mann
legt wieder seine Peitsche über das Bächlein, der Dunst
zieht wieder hinüber, kommt in das Zelt zurück und ver⸗
schwindet wieder über dem Manne, welcher zu innerst
in diesem liegt. Als man nun des andern Morgens zur
Fortsetzung der Reise die Pferde sattelt und packt, sagt
der, welcher zu innerst gelegen hatte: „ich wollte, ich hätte
das, wovon ich heute Nacht träumte“. Da fragt der
andere, der den Dunst gesehen hatte, was er denn ge—
träumt habe, und jener erzählt: „ich meinte hier heraus
auf die Ebene zu gehen. Da kam ich zu einem großen
schönen Hause; da war eine große Zahl von Leuten
bersammelt, die sangen und spielten da mit größter Lust.
Ich blieb lange in dem Hause; als ich aber herauskam,
ging ich nochmals weit über die Ebene. Da kam ich an
einen großen Strom. Ich suchte lange, wie ich hinüber—
kommen möchte; es ging aber nicht. Da sah ich einen
furchtbar großen Riesen daherkommen; der trug einen
übergroßen Baum in der Hand und legte den quer über
den Strom und ging wiederum weit fort. Da gelangte
ich zu einem großen Grabhügel; der war offen, ich ging
hinein, und ich fand darin nichts anderes als eine große
Tonne voller Geld. Ich blieb lange da und betrachtete
das Geld; denn ich hatte nie einen solchen Haufen ge—
sehen. Dann ging ich wieder heraus und denselben Weg
zurück; wieder kam der Riese und legte seinen Baum
quer über den Strom; ich ging wieder über diesen und
gelangte so hieher in das Zelt zurück“. Da wurde der
Mann, welcher dem Dunst gefolgt war, froh und sagte
320
Nachwort.
zu jenem: „komm du mit, Landsmann; wir wollen so
schnell als möglich das Geld holen“. Anfangs lachte der
andere und meinte, sein Kamerad sei nicht recht bei Troste;
endlich aber ging er doch mit, und als nun die beiden zu
der Erhöhung kamen und sie aufgruben, da fanden sie
ein Fäßchen mit Geld. Das nahmen sie und teilten es
unter sich ...“*)
Wir haben hier in der zweiten Hälfte einen Traum,
in dem, was für diesen Vorgang charakteristisch, alles ins
Riesenhafte vergrößert ist, und in der ersten seine, offenbar
alte Deutung. Die isländische Fassung ist die reichere,
um nicht zu sagen vollständigere, und die Versuchung
liegt nahe, sie zur Deutung der Guntramsage heranzu—
ziehen. Gibt man ihr nach und versucht die Deutung
einiger wesentlicher Momente, so würde der Seelennebel
(die Vorstellung von der Nebelgestalt der Seele ist sehr
verbreitet), der den Bach nicht überschreiten kann, auf
die Herkunft der Vorstellung von Geistern, die kein Was—
ser überschreiten können, hinweisen; denn die veränder—
ten Luftströmungs- und Temperaturverhältnisse oberhalb
eines Wasserlaufs hindern leichte Wiesennebelstreifen, ihn
zu überschreiten. Die Nebelform der Seele, die man wohl
auch in dem weißen Wiesel bei Grimm 455 erkennen darf,
schiene demnach den Altersvorrang vor der Schlangenform
zu haben**); denn die Schlange als solche und wohl auch
das Wiesel können schwimmen, die Tiergestalt würde also
nicht, wie Laistner meint, das Nichtüberschreitenkönnen
*) K. Maurer, Isländische Volkssagen, Leipzig 1860,
——
*x) Man könnte bei der Schlangen⸗- überhaupt der Tier—
form der Seele aber auch an einen Nachhall uralter to—
temistischer Vorstellungen denken; dann wäre die Guntramsage
aͤlter, als ihre isländische Schwester.
Nachwort.
321
des Baches erklären. Die Schlangenform der Seele in
der Guntramsage scheint aber eine ganz besondere Be⸗
deutung zu haben. Das auffallendste Element der islän⸗
dischen Fassung ist der Pferdeschädel. Er läßt sich viel⸗
leicht durch folgende Überlegung erklären: das Pferd,
Wotans Tier, ist im Besitz der Wahrsagergabe. In⸗
dem die Seele im Schädel verweilt, erhält sie Kunde
bon dem in der Anhöhe verborgenen Schatze. Wie dem
Pferd eignet aber auch der Schlange Wahrsagergabe,
in Schlangenform bedarf daher die Seele der Vermitt⸗
lung des Pferdeschädels nicht. Für Laistner erklärt sich
die Unfähigkeit der Seele, den Bach zu überschreiten,
daraus, daß der Vorgang, dem die Sage ihren Ursprung
verdankt, ein innerer ist, ein Stück Traumleben und daß
für den Traum die Verlegenheit übers Wasser zu kom—
men, ganz bezeichnend ist; „ferner kommt,“ sagt er, „die
weitreichende Vorstellung in Betracht von der entzaubern⸗
den Kraft des Wassers“ [129]).
Nach dieser Abschweifung, die einen Einblick in die
Schwierigkeiten der Sagenerklärung gewährt, kehren wir
zu unserem eigentlichen Thema zurück.
Auch der Vampir (nach der Theorie, die in ihm eine
Erscheinung der Lebensform der Seele sieht), der Alp,
der Mahr, die Trude, sind Seelen schlafender und zwar
böser, schädlicher Menschen. Sie verlassen diese und sau—
gen andern Schläfern in verschiedener Gestalt die Kraft
aus oder drücken und quälen sie, indem sie sich ihnen
auf die Brust oder den Hals setzen. Nehmen sie als Alpe
menschliche Gestalt an, so quälen sie vor allem als be—
kannte geliebte und nahestehende menschliche Wesen.
*) Vgl. dazu auch: Jacob Grimm, Kleinere Schriften VI,
S. 192 ff und 196 ff. (.Das Märlein von der ausschleichen⸗
den Maus“ und „Sendschreiben an Herrn Hofrat — R.“)
Grimm, Sagen II.
322
Nachwort.
Damit ist eine der Hauptursachen des Herenglaubens ge—
geben. Der Schlafende, dem eine unbequeme Lage oder
eine UÜberfüllung des Magens den „Alpdruck“ verursacht,
glaubt beim Erwachen in der vermeintlich gesehenen Per—
son einen ihn und auch allgemein schädigenden Menschen
zu erkennen.
Die noch unheimlichere Gestalt des Werwolfs (Uy-
kanthropos, Versipellis) gehört auch hierher, soweit sie
Gegenstand der animistischen Theorie ist, daß die Seele
eines Menschen aus seinem Körper herauskommen und in
den eines Tieres eingehen könne. Mit dieser — meist kurz—
fristigen — Metempsyccose ist der Werwolfsglaube (der
in Indien eine Parallele im Glauben an Tigermenschen,
in Afrika an Löwen-, Leoparden- und Hyänenmenschen
hat) aber nicht erschöpft. Ein anderer Zweig dieses Glau—⸗
bens beruht auf dem oben gestreiften Zauberglauben,
nach dem ein im Besitz der nötigen Zauberkraft (Fetisch⸗
kraft) befindlicher Mensch sich ohne Zurücklassung seines
eigentlichen Körpers in ein Tier verwandeln kann. Diese
reine Metamorphose ist der Gegenstand der europäischen
Werwolfsagen. Vgl. Grimm, Nr. 213-215. EEigen—
tümlich ist bei Nr. 214 die weitere Verwandlung in einen
Dornstrauch.) Der Fetisch ist hier der Werwolfgürtel,
durch dessen Abwerfen die Verwandlung plötzlich vor sich
geht und durch dessen Wiederanlegen die Rückverwand—
lung eintritt. Zu beachten ist jedoch, daß hier, wie so
häufig, eine Trübung des mythischen Zusammenhanges
stattgefunden hat; denn nicht durch Ablegung des Wer—
wolfsgürtels (der auf ein älteres Werwolfshemd und ein
noch älteres Werwolfsfell zurückgeht) verwandelt sich der
Mensch in einen Werwolf, sondern durch Anlegung, um—
gekehrt verwandelt er sich durch seine Ablegung wieder
in einen Menschen zurück. Dieser Glaube fußt auf der
Nachwort.
323
Vorstellung, daß wenn man einen Vogel, eine Schlange,
einen Wolf oder ein anderes Tier tötet und seine Hülle
abstreift, man sich in dieses Wesen verwandeln kann und
in dieser Gestalt weiterlebt, und diese Vorstellung hat
ihren Grund in dem Glauben, daß in der Hülle eine der
verschiedenen Seelen steckt (wir haben sie oben Kraftseele
genannt), über die der dritte durch den Besitz Herr wird;
ebenso wie der Glaube gilt, daß man jemand verzaubern
könne, wenn man Schnitzel seiner Nägel oder Haare von
ihm in die Hände bekommt. Der Zauber schwindet, wenn
dem betreffenden Menschen die Hülle fortgenommen wird.*)
Von psychopathischem Interesse ist die den Ärzten un⸗
ter dem Namen Lykanthropie bekannte Selbsttäuschung
geisteskranker Personen, die überzeugt sind, daß diese Ver⸗
wandlung bei ihnen selbst stattfinde, eine Einbildung, die
bekanntlich auch eine Eigentümlichkeit des Herenwahns ist.
Unter Beiseitelassung der Krankheits- und Drakelgei—
ster, mit andern Worten: der verschiedenen Besessenheits⸗
zustände, als deren Urheber bei den Primitiven Geister
(Seelen sowohl wie Dämonen) angesehen werden, fer—
ner unter UÜbergehung anderer Geister, die für die Volks⸗
sage weniger in Betracht kommen, gelangen wir jetzt zu
der farbigen und mannigfaltigen Welt jener Geister, welche
die Erscheinungen der Natur hervorrufen. Hier kommen
zunächst die Lokalgeister in Betracht.
Wie alle übrigen Geister haben auch diese ihre Wur⸗
zel im Seelenglauben. Eine deutliche Grenzlinie zwischen
jebenden Seelen und beherrschenden Geistern als wirken⸗
den Ursachen der ganzen Natur läßt sich nicht ziehen,
weil beide nur verschiedene Entwicklungen eines und des⸗
selben fundamentalen Animismus sind, und der Glaube
—H Bgl. J Kohler, Der Ursprung der Melusinensage, Leip—
zig 1895. S. 64 5.
21*
324
Nachwort.
des Primitiven z. B. sowohl eine inhärente Baumseele
wie einen eingekörperten Baumgeist kennt. Zwischen bei—
den ist im Grunde kaum ein Unterschied; denn wie die in—
härente Seele ihren Körper wenigstens zeitweilig verlassen
kann, so kann auch der eingekörperte Geist seinen Körper,
hier also seinen Baum oder seine Quelle, zeitweilig verlassen.
Doch ist die Bewegungsfreiheit des eingekörperten Geistes
eine größere, und darum ist auch die Macht, die man
ihm zuschreibt, eine bedeutendere.
Eines aber unterscheidet die Lokalgeister von der übri—
gen niederen Seelen- und Geisterschar und kann als Un—
terscheidungsmerkmal gelten: das bestimmte Aussehen,
das die in diesem Falle ungemein präzise Volksphantasie
den Lokalgeistern verliehen hat, ja, die in vielen Fällen
vollkommene Materialisierung derselben, die z. B. aus
einem Wasserdämon ein greifbares so und so gestaltetes
Wasserungeheuer, aus einem Quellgeist eine Quellnixe
macht, die lieben und Kinder bekommen kann. Der
eingekörperte Geist eines Gewässers inkarniert sich hier,
wird, wo er mit dem Menschen in Beziehung tritt, zu einem
Wesen von Fleisch und Bein. Das Gebiet des Animismus
wird verlassen und eine große Inkonsequenz begangen.
Und doch ist dieser Vorgang leicht verständlich. Wenn die
Seelen der Naturgegenstände, oder die sie bewohnenden
Geister für den Primitiven zunächst, nämlich soweit er
sie sich nicht aktiv vorstellt, freilich etwas Spirituales,
d. h. nicht mehr Materialität haben, wie jede andere
Seele, so besteht doch das Material, mit dem seine Phan⸗
tasie hier arbeitet, aus sinnlichen Wahrnehmungen von
allergrößter Deutlichkeit. Von den sicht- und greifbaren
Gegenständen seiner Umwelt, von den Bäumen, Quellen
usw. gehen sichtbare, fühlbare und hörbare Wirkungen
aus wie von seinem eigenen materiellen Selbst. Sowie
Nachwort.
325
ihm diese zu Bewußtsein kommen, verdichtet sich ihm,
Dter allerlei Modifikationen seiner als Grundlage ge⸗
gebenen menschlichen Gestalt, aus dem sinnlich⸗ wahr⸗
nehmbaren Geschehen und dem Bilde des betreffenden
beseelt gedachten Naturgegenstandes, von dem es aus⸗
geht, ein mit charakteristischen Elementen, Eigenschaften
und Akzessorien desselben ausgestattetes körperliches Wesen,
dem gar nichts Geisterhaftes mehr anhaftet.
Ganz besonders menschenähnlich und blutvoll sind,
wie schon angedeutet, die Wasserwesen der deutschen
Volkssage. Wo ihr Zusammenhang mit dem Gewässer,
dem sie inkorporiert sind, aber so gelockert ist, daß sie
es uuter Umständen für immer verlassen, wie jener
Wassermann bei Budweis, den die Menschen zur Flucht
zwangen, da ist es nicht mehr möglich, an einen Lokal⸗
geist zu denken. „Aus den Fluten,“ heißt es, „sah
Jon einen von vier gleich Katzen aussehenden Wesen
gezogenen und mit vielen wunderlichen Geräten beladenen
Karren kommen, oben darauf saß der Wassermann, eine
Pfeife rauchend und lustig mit der Peitsche knallend.
Das Gespann bewegte sich mit ungeheurer Schnelligkeit
und war bald aller Augen entschwunden. Seit dieser
Zeit wurde in der Gegend kein Wassermann mehr ge⸗
sehen.“ (Wehrhan 71.) Hier ist überhaupt kein mythischer
Zug mehr zu entdecken. Es handelt sich offenbar um
die falsche Interpretation und die Ausschmückung eines
ungewöhnlichen, aber durchaus nicht wunderbaren Vor⸗
falls durch die erregbare Phantasie abergläubischer Leute.
Ersetzen wir das Katzen⸗ durch ein Hunde⸗-Gespann, so
werden wir den „Wassermann“ als einen austrossawischen
Kesselflicker oder dergleichen ansehen dürfen, der seine
Hunde in jenem Gewässer ihren Durst löschen ließ.
326
Nachwort.
Einen echt naturmythischen Zug finden wir jedoch
in den Erzählungen von Wassermännern, die ihre Kinder
drei Tage nach der Geburt oder Wasserjungfern, die
sich beim Tanz verspätet haben, töten, was man daran
erkennt, daß das Wasser des betreffenden Teiches sich
plötzlich blutrot färbt. Hier hat die Volksphantasie einen
eigenartigen Naturvorgang auf ihre Weise mit der Vor—⸗
stellung von Wassergeistern kombiniert und erklärt. Es
handelt sich um die Erscheinung, daß die Sporen des
Haematococcus pluvialis, der in austrocknenden
stehenden Gewäaͤssern vegetiert, nach Eintritt eines er—
giebigen Regens plötzlich frei werden, an die Oberfläche
des Wassers steigen und es blutrot färben.
Die Inanspruchnahme der Dienste menschlicher Heb—
ammen durch Wasserleute (sie spielt auch in den süd⸗
und mitteldeutschen Zwergsagen eine Rolle), sieht auf
den ersten Blick aus wie eine gewöhnliche Ammenphan—-
tasie, deren reale Grundlage eine Ausübung des Berufs
unter eigenartigen Umständen ist, kömbiniert int der Er⸗
scheinung eines plötzlich blutrot gewordenen Gewässers, sie
hängt jedoch möglicherweise mit der Erlösung des neu⸗
geborenen Kindes infolge der ersten Berührung durch eine
Menschenhand zusammen, wird doch die Gebaͤrende zu⸗
weilen als (vom Nir geraubter) Christenmensch bezeichnet.
Jedenfalls aber haben wir es hier mit einem sehr späten
Sagengebilde zu tun.
ülteste Vorstellung ist der Glaube, daß die Wasser⸗
geister auch in der seichtesten Pfütze, ja selbst in einer
mit Wasser gefüllten Wanne ihre Macht ausüben und
den Menschen darin ertränken können. Wie überall in
der Natur gilt der Teil hier dem Primitiven soviel wie
das Ganze.
Nachwort.
327
Als persönliche Wesen, denen man einen Einfluß auf
die Angelegenheiten der Menschen zuschrieb und bei den
heutigen Naturvölkern noch zuschreibt, genossen die Lokal⸗
geister auch Verehrung, man opferte ihnen, um sie zu
besänftigen und günstig zu stimmen, um Vorteile (Frucht⸗
barkeit) und Orakel von ihnen zu erlangen. Der Glaube
steigerte ihre Kräfte zuweilen so sehr, daß ihre Macht
sich kaum von der eines Gottes unterschied. Die Gabe
der Weissagung, die ja auch in den Vorstellungen von
den Kräften der Tiere eine große Rolle spielt, wurde
namentlich Quellen (Brunnen) und Flüssen sowie Bäu⸗
men zugeschrieben. Ein klassisches Beispiel weissagender
Bäume ist die prophetische Eiche von Dodona. Auch
die deutsche Volkssage kennt weissagende Gewässer und
Bäume.
Auf die Gliederung der Lokalgeister braucht hier nicht
eingegangen zu werden, sie tritt aus den Volkssagen
deutlich genug hervor.
Neben der ungeheueren Bedeutung, die der aus der
Anschauung der engeren Natur entstandene Seelen- be⸗
ziehungsweise Geister⸗ und der Zauberglaube für den
primitiven Menschen haben, fällt sein Verhältnis zu den
höheren, ihn nicht so unmittelbar berührenden Natur—
maͤchten: dem Himmel, der Sonne, dem Monde und
den Gestirnen für unsere Betrachtung wenig ins Gewicht.
Die ungeheuere Steigerung der Dimensionen beraubt
die Vorstellungen des Naturmenschen der Sicherheit,
die ihnen der feste Boden seiner näheren Umwelt verlieh,
infolgedessen ist auch die Rolle, die sie in seinem Leben
spielen, nicht so groß wie die der geringeren Naturkräfte.
Konsequenterweise mußten jene großen Mächte als Natur⸗
geister höheren und höchsten Grades angesprochen, eine
Seele des Himmels, der Sonne, usw. angenommen
326
Nachwort.
werden, doch lassen sich wirkliche Verpersönlichungen
dieser Gewalten nicht mit unbedingter Sicherheit nach—
weisen, vielmehr scheinen die Sonnen⸗, Wind-⸗ und
Himmelsgötter, wo sie uns begegnen, durch Verbindung
und Verschmelzung der Himmelskörper und ⸗erscheinungen
mit schon bestehenden Göttern oder Heilbringern irdisch⸗
menschlicher Herkunft entstanden zu sein.
Bevor wir das Gebiet des Animismus verlassen, müssen
wir noch einen Blick auf den Einfluß des Christentums
auf den Naturgeisterglauben werfen. Wo das Christen⸗
tum, oder besser der römische Priester, bei der Missio⸗
nierung noch nicht gewonnener Gebiete, in unserm Falle
also Deutschlands, auf Nationalkulte traf, trachtete er
zwar nicht danach, die vorgefundenen Naturgeister und
Gottheiten zu beseitigen, indem er sie als leere Hirnge⸗
spinste verwarf, er räumte ihnen vielmehr eine wirkliche
Eristenz ein, behauptete dabei aber, alle diese Geister
und Gottheiten seien lauter Teufel und Teufelinnen
gewesen, die durch den Sieg Christi ihre Macht über
die Menschen verloren und sie jetzt zur Sünde ver—
locken wollen. Bezeichnend für die Naturfeindschaft
dieses Christentums, für die Verkehrung und Ver—⸗
häßlichung einer pantheistischen Weltansicht in eine
pandämonische ist die Geschichte von der Baseler Nach⸗
tigall, die Heinrich Heine in seinem Buche „Zur Ge—
schichte der Religion und Philosophie in Deutschland⸗
mikfteilt
„Im Mai 1433, zur Zeit des Konzils, ging eine Ge—
sellschaft Geistlicher in einem Gehölze bei Basel spazieren,
Prälaten und Doktoren, Mönche von allen Farben, und
Nachwort.
329
sie disputierten über theologische Streitigkeiten, und distin⸗
guierten und argumentierten, oder stritten über Annaten,
Erspektativen und Reservationen, oder untersuchten, ob
Thomas von Aquino ein größerer Philosoph sei als
Bonaventura, was weiß ich! Aber plötzlich, mitten in
ihren dogmatischen und abstrakten Diskussionen, hielten
sie inne, und blieben wie angewurzelt stehen vor einem
blühenden Lindenbaum, worauf eine Nachtigall saß, die
in den weichsten und zärtlichsten Melodien jauchzte und
schluchzte. Es ward den gelehrten Herren dabei so
wunderlich zu Mute, die warmen Frühlingstöne drangen
ihnen in die scholastisch verklausulierten Herzen, ihre Ge⸗
fühle erwachten aus dem dumpfen Winterschlaf, sie sahen
sich an mit staunendem Entzücken; — als endlich einer
von ihnen die scharfsinnige Bemerkung machte, daß
solches nicht mit rechten Dingen zugehe, daß diese Nach⸗
tigall wohl ein Teufel sein könne, daß dieser Teufel sie
mit seinen holdseligen Lauten von ihren christlichen Ge⸗
sprächen abziehen und zu Wollust und sonstigen süßen
Sünden verlocken wolle, und er hub an zu exorzieren,
wahrscheinlich mit der damals üblichen Formel: adjuro te
per eum, qui venturus est, judicare vivos et
mortuos etc. ete. Bei dieser Beschwörung, sagt man,
habe der Vogel geantwortet: „Ja, ich bin ein böser
Geist!“ und sei lachend davon geflogen; diejenigen aber,
die seinen Gesang gehört, sollen noch selbigen Tages
erkrankt und bald darauf gestorben sein.“
„Diese Geschichte!“, setzt Heine hinzu, „bedarf wohl
keines Kommentars. Sie trägt ganz das grauenhafte
Gepraͤge einer Zeit, die alles, was süß und lieblich war,
als Teufelei verschrie. Die Nachtigall sogar wurde ver—
leumdet, und man schlug ein Kreuz, wenn sie sang. Der
wahre Christ spazierte mit ängstlich verschlossenen Sinnen,
330
Nachwort
wie ein abstraktes Gespenst, in der blühenden Natur
umher.“*)
Anderseits wurden der Wodan und Donar der alten
Wanderersagen durch Jesus und Petrus ersetzt und das
Pferd, Wodans Tier, das nach primitiver Anschauung
in enger Beziehung zum Geisterreich steht und Sehergabe
besitzt (daher als Wegweiser bei der Wahl von Opfer—
plätzen benutzt wurde), in ein Rind oder einen Esel, die
Tiere des Stalles von Bethlehem, verwandelt. Die aus
den deutschen Sagen deutlich hervortretende Tatsache, daß
Petrus in der Bekehrungszeit den germanischen Donar
ersetzte*) einerseits und andrerseits die Gleichsetzung des
ungeschlachten Donar mit dem Teufel, ja mit dem
dummen Teufel, der seinerseits den dummen Riesen des
Mythus ersetzt, hatte die unerwartete, darum aber nur
um so lustigere Folge, daß Petrus dem Teufel, beson⸗
ders dem dummen Teufel gleichgesetzt wurde und noch
heute für das Volk eine komische Figur ist. Es ist in
der Tat kein schlechter Witz der Weltgeschichte, daß der
Fels, auf dem die Kirche ruht, durch die Konsequenz,
die in der mythenbildenden Kraft des Volkes waltet, auf
diese Weise der Lächerlichkeit preisgegeben wurde.
Eine für den römisch-christlichen Einfluß auf die
Anschauungen von den Elementarwesen bezeichnende
) Daß auch diese Vorstellung von der Natur bis in unsere
Zeiten hinreicht und sogar in protestantischen Gegenden vor—
kommt, dafür lieferte ein Pastor in Groß-Raden bei Sternberg
in Mecklenburg den Beweis, der Ende der sechziger Jahre seine
Schäflein warnte, sich in der freien Natur zu ergehen: denn
hinter jedem Busche sitze der Teufel.
**) Als Bonifacius die heilige Donarseiche bei Geismar
gefällt hatte, errichtete er statt ihrer eine Peterskapelle. —
Vgl. hierzu: Dähnhardt, Natursagen II, Leipzig 1909.
Nachwort.
331
—WVVWVVGaeoèlll —
diesem Zusammenhang nicht übergangen werden:
„In den holländischen Chroniken liest man, Cornelius
von Amsterdam habe an einen Medikus, Namens Gel—
bert, nach Rom geschrieben, daß im Jahre 1531 in dem
nordischen Meere, nahe bei Elpach, ein Meermann sei
gefangen worden, der wie ein Bischof von der römischen
Kirche ausgesehen habe. Den habe man dem König
von Polen zugeschickt. Weil er aber ganz im geringsten
nichts essen wollte von allem, was ihm dargereicht, ser
er am dritten Tage gestorben, habe nichts geredet, son⸗
dern nur große Seufzer geholet.“
Eine Seite weiter teilt Prätorius ein anderes Beispiel
mit:
„Im Jahre 1433 hat man in dem baltischen Meere,
gegen Polen, einen Meermann gefunden, welcher einem
Bischof ganz ähnlich gewesen. Er hatte einen Bischofs—
hut auf dem Haupte, seinen Bischofstab in der Hand
und ein Meßgewand an. Er ließ sich berühren, sonderlich
von den Bischöfen des Ortes, und erwies ihnen Ehre,
jedoch ohne Rede. Der König wollte ihn in einem Turm
verwahren lassen, darwider setzte er sich mit Gebärden, und
bat die Bischöfe, daß man ihn wieder in sein Element
lassen wolle, welches auch geschehen, und wurde er von
zwei Bischöfen dahin begleitet, und erwies sich freudig.
Sobald er in das Wasser kam, machte er ein Kreuz (),
und tauchte sich hinunter, wurde auch künftig nicht mehr
gesehen. Dieses ist zu lesen in Flandr. Chronic. in
Hist. ecclesiast. Spondani, wie auch in den Me-—
morabilibus Wolfii.“
*) Elementargeister.
332
Nachwort.
Die Verfälschung der alten Mythen und die Ver—
düsterung der Natur durch den römischen Priester hatte
zur Folge, daß der Aberglaube, der überall entsteht, wo
alte, auf Naturanschauung beruhende und darum folge—
richtige Glaubens- und Vorstellungszusammenhänge für
das Bewußtsein des Volkes verwischt werden, oder wo
eine Verdächtigung der herzerfreuenden Naturerschei—
nungen stattfindet, der Glaube aber an den sinnlos
gewordenen Formen haften bleibt und, durch ihre Un—
verständlichkeit wie durch die Furcht pervers gemacht,
das Abgeschmackteste blind hinnimmt, ja bevorzugt,
— daß der Aberglaube, sage ich, die ohnehin schon davon
durchsetzten niedrigeren Sphären des Kirchenglaubens bis
zur Sättigung erfüllte und, geheiligt aus denselben wieder
zurückströmend, eine in der Menschheitsgeschichte beispiel—
lose Geistesdepravation erzeugte.
Eine wichtige Volkssagengruppe beschäftigt sich mit
Wesen, die den Menschen an Größe unter- oder über—
bieten: mit den Zwergen und Riesen.
Bei der Verschiedenheit der von den Zwergen berich—
teten Züge und der ihnen zugeschriebenen Eigenschaften
ist es unmöglich, zu einer einfachen Deutung dieser Wesen
zu gelangen. Auf der einen Seite werden sie als durchaus
körperhafte Wesen geschildert, die sich, abgesehen von
ihrer Kleinheit und Häßlichkeit, nur durch hervorragende
Kunstfertigkeit und zuweilen durch eine ihnen Über—
legenheit verleihende Zauberkraft von den Menschen
unterscheiden. Von dieser Beschaffenheit sind die Zwerge
der Heldensage, die Alherich, Wieland, Laurin und auch
die Bergzwerge des mittleren und südlichen Deutschlands,
von denen die Volkssage spricht. Hier muß es sich um
Nachwort.
333
Erinnerungen an eine wirkliche zwerghafte Urbevölke⸗
rung handeln, und in der Tat haben Ausgrabungen in
Milteleuropa, neben Resten einer größeren Rasse, solche
einer zwischen 1202 152 em Höhe sich bewegenden
kleineren und Schwertgriffe von außerordentlicher Schmal⸗
heit zu Tage gefördert. Daß diese Zwerge die Höhlen des
Gebirges als Aufenthaltsort bevorzugten, sich überhaupt
an schwer zugänglichen Orten aufhielten, erklärt sich
durch ihr Zurückweichen vor der eindringenden und das
Land immer mehr in Besitz nehmenden höhergewachsenen
Erobererrasse, daneben möglicherweise auch, weil sie
während der Eiszeiten in den von Natur warmen
Schlupfwinkeln des Berginnern Zuflucht suchten. Daß
nach der Behauptung vieler Sagen die Zwerge Christen
waren, kann angesichts ihrer historischen Existenz nicht
befremden. Die Annahme des Christentums mochte in
bielen Fällen allein schon genügen, sie vor der Verfol⸗
gung durch die „Menschen“ zu sichern.
Ganz anders geartet sind im wesentlichen die Zwerge
der norddeutschen Volkssagen. Hier bewegen wir uns
nicht mehr auf dem Boden der Geschichte, sondern auf
dem des Animismus; denn diese Wesen haben eine ganz
unverkennbare ühnlichkeit mit den Poltergeistern (Kobol⸗
den). Die Züge, die sie kennzeichnen, sind durchaus
geisterhaft. Die norddeutschen Zwerge wohnen vorzugs⸗
weise in Grabhügeln und Grabkammern, wodurch sie
schon von vornherein als Seelen Verstorbener gekenn⸗
zeichnet werden. Mannhardt (Germ. Myth. 301) weist
treffend auf das Wort Alke hin, womit in Norddeutsch⸗
land neben andern Namen kinderstehlende Zwerge be—
zeichnet werden. Alke (oder aulke) heißt aber auch der
Hund Hackelbergs und der Wirt im Totenkrug, ferner
heißen so die Geister der Verstorbenen, die in den
334
Nachwort.
heidnischen Grabhügeln Hünengräber“, auch „Hüne“
bezeichnet einen Zwerg) begraben liegen.*) Mannhardt
und andere sehen in diesen Zwergen den Übergang von
den Seelen zu den Dämonen. Aus dieser ihrer Geister⸗
natur ergibt sich auch ihre Fähigkeit, sich in Teufels⸗,
Heren⸗- und Tiergestalten zu verwandeln.
Wir finden in den germanischen Mythen wie in der
Volkssage aber auch Züge, welche die Zwerge als
Elementargeister (Erdgeister) erkennen lassen, namentlich
aber als Nebelwesen. Sie brauen Nebel, wachsen riesen⸗
groß auf und zerfließen in Nebel, feiern Hochzeit und
halten Begräbnis im Nebel, entführen Nebelfräulein in
den Berg, fliegen, gebieten über Ungewitter, fuͤrchten
den (nebelzerblasenden) Wind, machen sich durch die
Nebelkappe unsichtbar. Hier erkennt man deutlich, wie
sie die Phantasie aus der Anschauung des wogenden,
unter dem Winde zerflatternden Bergnebels geschaffen
hat und wie ihr Unterschied von den Riesen nur der
Unterschied zwischen dem mächtigen Wolkengebilde und
dem aus der Erde aufsteigenden und noch an ihr haf—
tenden Nebeldunst ist.*)
Die angeführten wesentlichen Elemente der Zwergsagen
sind mannigfache Vermischungen eingegangen, doch läßt
sich der wirkliche Ursprung jeder einzelnen von ihnen
meist ohne Schwierigkeit erkennen.
Kinderraub und vertauschung mögen bei den histo⸗
rischen Zwergen oft vorgekommen sein, im übrigen dürfte
) VBgl. W. Schaub: Über den Ursprung der deutschen
Zwergsage, Berlin 1904.
*e) Hahn, Sagwissenschaftliche Studien, 577. und Laistner,
Nebelsagen. Letzterer leitet das Wort Zwerg von twern
quirlen Mebelquirler) ab und weist auf die Bezeichnung quer⸗
lich für Zwerg im Thüringer Wald hin.
Nachwort.
335
der in manchen Gebirgsgegenden häufig, aber auch
sonst vorkommende Kretinismus Veranlassung zu der
Sage von den Wechselbälgen gegeben haben. Die
Kirche hat sich diesen Glauben zunutze gemacht, um ihrem
Verlangen, die Kinder sollten möglichst bald nach ihrer
Geburt getauft werden, den nötigen Nachdruck zu ver—
leihen, indem sie behauptete, daß Menschenkinder nur
solange von den Zwergen gegen ihre eigenen häßlichen
ausgetauscht werden könnten, als sie nicht getauft
wären.
Während die Deutung der Zwergwesen mit drei Vor—
stellungsquellen zu rechnen hat, bieten ihr die Riesen—
wesen ein weit einfacheres Problem. Eine auch nur
teilweise Herkunft von den Totengeistern kommt nicht
in Frage. Ebensowenig kann von der Existenz wirklicher
Riesen die Rede sein, man müßte denn an aus der
Zwergperspektive gesehene Germanen denken wollen;
denn die Ausgrabungen haben nichts beigebracht, was
auf menschenähnliche Geschöpfe von einer das heutige
Geschlecht bei weitem übertreffenden Größe schließen ließe.
Wohl aber ist sicher, daß Riesensagen in einigen Fällen
philosophische Mythen sind, welche die Auffindung mäch—
tiger fossiler Knochen, in denen die Paläozoologie Über⸗
reste von Elefanten, Nashörnern u. dgl. erkannt hat
erklären sollen. In weitaus den meisten Riesensagen
sind die Riesen Elementarwesen, die namentlich in den
Gebirgen zu Hause sind. In dem von der Phantasie des
Volkes glänzend ausgestatteten Berginnern der Lüderich
hausten Zwerge und Riesen nebeneinander. Damit ist
die Verwandtschaft der Riesen als Wolkenriesen mit
den Nebelzwergen aufgedeckt. Ein weiterer Beleg für
diese Wolkennatur — um nur einen zu nennen — ist
folgende Schilderung aus der germanischen Mythologie:
336
Nachwort.
Als Thor durch den Fluß zum Riesen Geirröd watet,
schwillt das Wasser unheimlich an. Der Gott will es
besprechen, aber es hilft nichts. Er blickt über sich und
sieht oben an den Bergklippen die Tochter des Riesen
mit gespreizten Beinen stehen, sie verursacht das Wachsen
des Stromes. Da nimmt Thor einen Stein, schleudert
ihn nach der Riesin, trifft sie und verstopft den Fluß an
der Quelle.*)
Die Nebel-(Wolken), Wasser⸗, Sturm-, Stein⸗ und
Feuer-Riesen der germanischen Mythologie sind, wie
schon ihr Name sagt, lauter Verkörperungen großartiger
Naturerscheinungen sowohl wie der wilden menschen—
feindlichen Elemente. Was die Nebel- und Steinzwerge
im Kleinen, sind sie im Großen.
Der Vorstellung, daß Riesen und Zwerge von der
aufgehenden Sonne zu Stein verwandelt werden, liegen
als Naturkern die zur Nachtzeit an den Berggipfeln
haftenden und meist mit Sonnenaufgang schwindenden
und dann die Felsspitzen erscheinen lassenden Dunst—
gebilde zugrunde. (Hahn 577.)
Der Riesenbaumeister der Volkssage zeigt auf der einen
Seite das Charakteristikum eines mächtige, an Kunst—
bauten erinnernde, Naturschöpfungen erklären wollenden
philosophischen Mythus, auf der andern Nebel- bzw.
Wolkennatur. Wie der Riese überhaupt, wurde auch
der Riesenbaumeister im christlichen Mittelalter zum Teufel.
Als Heide hatte er in der Volkssage ohnehin schon ge—
golten, im Gegensatz zu dem mittel- und süddeutschen
lebenswarmen Gebirgszwerg. Allerdings sind nur die—
jenigen Teufelssagen eigentlich Riesensagen, die von
*) Vgl. F. von der Leyen: Die Götter und Göttersagen der
Germanen. München 1909.
Nachwort.
337
großartigen Naturerscheinungen (vgl. die Teufelsmühle*),
Grimm 183) erzählen und jene andern, in denen der Teufel
vor der überlegenen Klugheit eines Menschen den Kür—
zeren zieht.
Eine beträchtliche Anzahl der deutschen Volkssagen
sind Nebel- bzw. Wettermythen, so ein Teil der Drachen⸗
sagen. „Der älteste, ursprüngliche Drache war, wie uns
indische Mythen zeigen, die feuerschnaubende, wasser⸗
ergießende Wetterwolke. Spätere Entwicklung hat bald
das eine, bald das andere Element bevorzugt: als Wasser⸗
drache bildet sich der Wolkendämon fort zum Geiste des
Gießbachs (vgl. Grimm 216), der aus dem Wolkenbruch
entsteht; als Feuerdrache tritt er in Blitzmythen auf;
denn der feurige Drak unsrer Koboldsagen, der schätze⸗
schleppend die Luft durchzieht und durch den Kamin mit
seinen Anhängern verkehrt, hat das Blitzgewand aufge⸗
geben und kleidet sich in das Feuerkleid der Sternschnuppen
und in den bescheidenen Kittel des Herdrauches. Aber
neben der bloßen Feuergestalt und bloßen Wassergestalt
hat sich auch das Ursprüngliche forterhalten, die Wolken⸗
gestalt. Die walachische Märchendichtung kennt „Nebel⸗
drachen“, und nach bulgarischer Anschauung ist das
Gewitter ein Drachenkampf des hl. Elias. Bei uns in
Deutschland überwog die Beziehung auf den Wildbach
so sehr, daß das alte Nebelwesen nur beschränkt und
wie auf Schleichwegen seine Geltung retten konnte“.
Caistner 76 f.)
Nebelsagen sind auch jene, die von einer Jungfrau
erzählen, die hoch oben in den Bergen von einem Jäger,
Riesen oder Mönch verfolgt wird und schließlich in einen
) Vgl. dazu: Laistner, Nebelsagen S. 60 (Sisyphus in
Deutschland).
Grimm, Sagen II.
20
338
Nachwort.
Abgrund springt (Grimm 318, 4 u. 53; 320); sie ver—
sinnbildlichen, wie der griechische Mythus von dem „Berg—
fräulein“ Oreithyia und dem „wilden Jäger“ Boreas,
das Aufrollen und Verjagen des Morgennebels durch
den Wind.
*
„Um alles menschlichen Sinnen Ungewöhnliche, was
die Natur eines Landstrichs besitzt, oder wessen ihn die
Geschichte gemahnt, sammelt sich ein Duft von Sage
und Lied, wie sich die Ferne des Himmels blau anläßt
und zarter feiner Staub um Obst und Blumen setzt.
Aus dem Zusammenleben und Zusammenwohnen mit
Felsen, Seen, Trümmern, Bäumen, Pflanzen entspringt
bald eine Art von Verbindung, die sich auf die Eigen—
tümlichkeit jedes dieser Gegenstände gründet und zu ge—
wissen Stunden ihre Wunder zu vernehmen berechtigt ist,
Wie mächtig das dadurch entstehende Band sei, zeigt an
natürlichen Menschen jenes herzzerreißende Heimweh“ *).
Je inniger der Zusammenhang des Menschen mit der
Natur ist, je mehr er in ihr aufgeht, desto mächtiger ist ihre
Wirkung auf seinen Geist, desto farbiger und schimmernder
das Phantasiegespinst, mit dem er die Objekte seiner Um—
welt umkleidet. Aber was die Bedeutung dieses Phantasie—
gespinstes ausmacht, ist seine Gesetzmäßigkeit, die Regel—
mäßigkeit seiner Entwicklung. Stets liegt eine Erfahrung
zugrunde, und ihre Deutung ist immer dem jeweiligen Zu—
stande des Denkens gemäß. Dieser Umstand erklärt es,
daß dieselben Vorstellungen ihrem Kerne nach überall
wiederkehren und individuelle, nationale, ja selbst Rassen—
unterschiede den allgemeinen Eigenschaften des menschlichen
*) Vorrede der Brüder Grimm zum 1. Bande der Deut—
schen Sagen, S. VIII. der vorliegenden Ausgabe.
Nachwort.
339
Geistes gegenüber eine üntergeordnete Rolle spielen. Der
mit dieser Einsicht Ausgerüstete vermag aus den Sagen
und Märchen die Geschichte der menschlichen Psyche
herauszulesen, ein Geschichte, die über jeder andern Ge—
schichte steht; für ihn gewinnt auch das Unscheinbarste
ein Leben, dessen Reiz in dem Maße wäöchst, als es ihm
gelingt, zu seinen Quellen vorzudringen.
Den Lesern der vorliegenden Sammlung einige Mittel
dazu an die Hand zu geben, ist der Zweck dieser Seiten,
die sich auf die Beleuchtung der Grundlagen der Volks—
sagen beschränken mußten).
) Literatur: J. W. Wolf, Beiträge zur deutschen My⸗
thologie, Göttingen 1857 (1).
EB. Tylor: Die Anfänge der Kultur, Leipzig 1873,1
und I. — K. Wehrhan: Die Sage, Leipzig 1908. — L. Laist—
ner: Nebelsagen, Stuttgart 1879. — J. Kohler: Der Ur—
sprung der Melusinensage, Leipzig 1897. F. von der Leyen:
Die Götter und Göttersagen der Germanen, München 1909.
— H. Heine: Zur Geschichte der Religion und Philosophie in
Deutschland (1834). — H. Heine: Elementargeister (1834). —
K. Breysig: Die Entstehung des Gottgedankens und der Heil—
bringer, Berlin 1905. — O. Dähnhardt: Natursagen II.
Leipzig 1909. — J. Hart: Revolution der Ästhetik als Ein
leitung zu einer Revolution der Wissenschaft, Berlin 1909. —
H. v. Keyserling: Unsterblichkeit, Muͤnchen 1907.
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DeutscheSagen
Gesammell durch die
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