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Die Einheit des
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Die Einheit des sittlichen Bewußtseins
der Menschheit
Die Einheit des sittlichen
Bewußtseins der Menschheit
Eine ethnographische Untersuchung
106
I
Viktor Cathrein 8.J.
Dritter (Schluß⸗) Band
Die Naturvölker Südamerikas, Australiens
und Ozeaniens
Freiburg im Breisgau
Herdersche Verlagshandlung
1914
Berlin, Karlsruhe, München, Straßburg, Wien, London und St Louis, Mo.
90
120
Anivetsit⸗
—2
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Imprimatur
Friburgqi Brisqoviue, dio 80 Maii 1914
4 Thomas, Archiepps
ꝙxæ& fot Philosod⸗
* M 4*5
V
JY
1
Alle Rechte vorbehalten
Buchdruckerei der Herderschen Verlagshandlung in Freiburg
Vierter, Teil e
Die Naturvölker Amerikas.
Zweite r Ab chnitt.
Die Eingebornen Südamerikas.
Erstes Kapitel.
Die Eingebornen auf den Kleinen Antillen und in Guayana.
l. Die Kariben auf den Kleinen Antillen .
2. Die Eingebornen Französisch- Guayanas im 17. Jahrhundert
3. Die Kariben in Britisch⸗Guayana
4. Die Arawaken in BritischeGuayana
5. Die Makuschzzz. —
z. Die Buschneger in Surinam (Niederländische Guayana)
7. Die Angaben de Laets über die Eingebornen Guayanas
Seite
1
19
2
22
26
Zweites Kapitel.
Die Eingebornen Venezuelas.
l. Die Wilden im Gebiete des Orinoko.
2. Die Eingebornen im Norden von Venezuela.
2
27
34
Drittes Kapitel.
Die Eingebornen von Colombia und Ecuador.
Die Indianer an der Nordküste Colombias im 16. Jahrhundert
2. Die Indianer im Innern Colombias zur Zeit der Entdeckung
z. Die wilden Indianer in den colombianischen Kordilleren
2. Die Jivaros in Ecuadrrr
5. Die Mainas am oberen Maraßon—
39
40
49
53
37
Viertes Kapitel. *
Die Indianer an der Küste und im Marañongebiete Brasiliens.
. Die Tudisss
Einige Völkerstämme am Maraßon—
. Die Siusi am Aiarz.
1. Die Kobeua am Rio Cuduiarh (am oberen Rio Negro)
5. Die Muras, Jumanas. Miranhas und Mundrucus
bb
77
R
983
97
Fünftes Kapitel.
Die Eingebornen Südbrasiliens.
1. Die Botokuden
2. Dei Bororos
102
108
v 6* y4
3. Die Coroados und verwandten Stämme am Rio Ribotoö
4. Die Cayuas
5. Die Carajaͤs
ß. Die Apiacas, Chambioas und Chavantes
7. Die Neger Brasiliens.
Seite
115
121
123
127
129
Sechstes Kapitel.
Die Indianer Paraguays, Nordargentiniens und Bolivias.
1. Die Guaranis
2. Die Guaykurus
3. Die Mokobier
4. Die Abiponer
5. Die Chiquitos
3. Die Tobas.
7. Die Guatos
8. Die Calchaquis.
9. Die Chiriguanos.
10. Die Chanées
11. Die Chorotis und die Ashluslays
12. Die Matakos (Mataguayos)
13. Die Guarayos
14. Die Manaziker.
15. Die Moxos. W
16. Die Indianer von Tumupasa in der bolivianischen Provinz Caupolican
17. Die Virakaner.
18. Die Eingebornen der Provinz Santa Cruz de la Sierre
19. Die Cianen.
20. Die Diagtittie. —
21. Die Yurakares (Yukares)
J
1833
137
146
252
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65
47
68
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76
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86
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91
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205
208
209
209
Siebtes Kapitel.
Die Eingebornen Chiles und Südargentiniens.
l. Die Araukaner
2. Die Patagonier
3. Die Feuerländer.
J. Die Ona.
III Die Yagan.
III. Die Alacaluf
212
224
230
232
236
238
Fünfter Teil.
Australien und Ozeanien.
Vorbemerkung
240
Erster Abschnitt.
Das australische Festland und Tasmanien.
Erstes Kapitel.
Die Eingebornen Südost⸗Australiens.
1. Allgemeine Charakteristik der südöstlichen Australneger.
2. Über einige Stämme von Neusüdwales im besondern
241
255
In 4
23 die Tortengi under Sta —X Darling
de —8 Parkungi und verwandte Stämme nördlich vom
River.
Zweites Kapitel.
Die Eingebornen im Süden und Westen Australiens.
Die Sudaustralier ...
— Die Westaustralier (südlicher Teil)
· Die Westaustralier nördlicher Teil)
4
Drittes Kapitel.
Die Australier an der Nord⸗ und Ostküste.
de Australier im Westen des Nördlichen Territoriums
ie Australier am Carpentariagofff..
. Die Australier an der Moretonbai
3
Viertes Kapitel.
Die Eingebornen Zentralaustraliens.
1. Die Dier.
2. Die Aranda und Loritjia
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Fünftes Kapitel!.
Die Tasmanier.
Die Tasmanier
334
Zweiter Abschnitt.
Die Ozeanier.
Erstes Kapitel.
Die Melanesier.
l. Die westlichen Stämme der Torresstraße
2. Die Eingebornen von Daudai Gritische Neuguinend)
5. Die Papuaner in der Rähe der Infel HYule Gritisch⸗Neuguinea)
2. Die Mafulu Gritisch⸗Reuguinea) . .—
— F Eingebornen der Dufaure-Insel, e
Die Papua im Mimikadistrikt (Holländisch-Reugu nl[Xα_νBp
7. Die dun und die n in Deutsche Neuguinea (Kaiser-Wilhelmaland)
8. Die Bewohner der Insel Rookt..
9. Die Einwohner von Neupommern *
L. Die Nordostbewohner der Gazellehalbinsel
I. Die Baining auf der Gazellehalbinsel..
II. Die Stämme des mittleren Teiles von Neupommern
10. Neumecklenburg
11. Die Admiralitaͤtsinsulaneer..
12. Die Salomong
342
348
350
260
368
371
374
384
388
388
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402
408
Durch Versehen ist S. 384 der Titel des Kapitels ausgefallen.
7111
Inhalt.
13. Die Neukaledonier
J. Die Bewohner der Belepinseln .
II. Die Eingebornen der Hauptinsel Neukaledonien
14. Die Neuhebridener
15. Die Banksinsulaner.
16. Die Fidschi⸗Insulaner.
9
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415
415
420
425
435
440
Zweites Kapitel.
Die Mikronesier.
1. Die Bewohner der Marianen
2. Die Karoliner.
z. Die Palau⸗Insulaner
4. Die Marfhallaner
5. Die Gilbertiner
448
154
467
470
475
Drittes Kapitel.
Die Polynesier.
l. Die Maori auf Neuseeland
2. Die Tonganer .
3. Die Futunier
4. Die Wallisinsulaner
5. Die Samoaner.
b. Die Tahitier
7. Die Paumotu.
8. Die Gambier
9. Die Osterinsulaner .
10. Die Bewohner der Markesasinseln
11. Die Hawali⸗sInsulaner
Schlußergebnis.
Alphabetisches Verzeichnis der
Religionsgemeinschaften)
Personen⸗ und Sachregister
behandelten oder exwähnten Völker und Stämme
483
193
505
510
516
326
532
539
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552
563
3579
584
Vierter Teil.
Die Naturvölker Amerikas.
Zweiter Abschnitt.
Ddie Eingebornen Südamerikas.
Erstes Kapitel.
Die Eingebornen auf den Kleinen Antillen und in Guayana.
Zur Zeit der Entdeckung Amerikas bewohnten die Kariben (Karaiben) die
leinen Antillen und das angrenzende südamerikanische Festland. Sie werden
als ein wildes, kriegerisches und grausames Volk geschildert, das den Schrecken
der Indianer auf den Großen Antillen bildete. Sie unternahmen weite kriege—
rische Streifzüge, auf denen sie viele niedermetzelten und andere, besonders
Frauen und Kinder, als Gefangene in die Sklaverei schleppten. Fast allgemein
werden sie von den älltesten Schriftstellern: Petrus Martyr, Oviedo, Go—
mara usw., als Menschenfresser bezeichnet. Auch Sodomie wird ihnen vor⸗
geworfen. Auf den Rat der Beamten und Theologen erließ Ferdinand der
Katholische das Gesetz, man solle den Kariben das Evangelium predigen, und
wenn sie bereit seien, ihre Abgötterei, Menschenfresserei und unnatürlichen Laster
aufzugeben, so solle man ihnen ihre Freiheit und ihr Eigentum lassen; wenn sie
aber in ihren Lastern verharrten, könne man sie zu Sklaven machen!. Das
gab gewissenlosen Beamten und Abenteurern Veranlassung, dem Namen Kariben
die weiteste Ausdehnung zu geben. Man war geneigt, überall mit den genannten
Lastern behaftete Kariben zu finden, dann konnte man die Wilden nach Be—
lieben zu Sklaven machen. Deshalb ist es fast unmöglich, nach den ältesten
Berichten die eigentlichen Kariben von andern Völkern zu unterscheiden. Wir
wollen zuerst
1. die Kariben auf den Kleinen Antillen
betrachten, von denen wir — allerdings erst aus dem 17. Jahrhundert — ganz
uverlässige Nachrichten haben. Nach P. du Tertre O. P.2 behaupteten die
Kariben auf den Antillen, von den Galibis (Kariben) auf der Nordküste
is 1667
3 3 Indias 189. ais. 4 Bde, Paris
r i u habitées par les Franqç
Aistoire geénérale
bis 1671. aß. M.
Tathrein, Die Einheit d. sittl. Bewußtseins
2
Vierter Teil. Die Naturvölker Amerikas.
Südamerikas abzustammen. Ihr Stammvater Kaligano soll es überdrüssig ge—
worden sein, noch länger unter seiner Nation zu leben, und sich mit den
Seinigen auf San Domingo niedergelassen haben. Als Beweis für die Richtig—
keit dieser Tradition betrachtet du Tertre die noch zu seiner Zeit bestehende
Verschiedenheit der Sprache der Männer und der Frauen. Denn, sagen die
Kariben, die Galibis hätten die Männer auf den Inseln getötet und deren
Frauen und Töchter den jungen Männern der eigenen Nation gegeben.
Dieselbe Ansicht hatte scoon Pierre Pelleprat 8. J. im Jahre 1655
geäußert. Obwohl es, schreibt er, verschiedene Ansichten über den Ursprung der
Kariben und ihres Bündnisses mit den Galibis gibt, scheint mir doch die
folgende die wahrscheinlichste. Als die Galibis, ein mächtiges und zahlreiches
Volk auf dem Kontinent, schon vor mehreren Jahrhunderten die Igneris, die
rhemaligen Bewohner dieser Inseln, mit Krieg überzogen, erlangten sie solche
Vorteile, daß sie nach der Gewohnheit der Wilden dieser Gegenden alle Männer
und männlichen Kinder töteten und die Frauen und Mädchen am Leben er—
hielten. Bald gaben sie diese Gefangenen den jungen Männern ihrer Nation zu
Frauen, und daher ist es gekommen, daß die Männer die Sprache der Galibis
redeten, die Frauen aber die der Igneris. Die diesen Ehen entsprossenen Ka—
riben bedienen sich deshalb zweier Sprachen, die eine ist den Frauen, die andere
den Männern eigen. Man findet noch jetzt auf einigen Inseln Gebeine der
ersten Einwohner, welche die Kariben sehr wohl von denen ihrer eigenen Nation
zu unterscheiden wissen!. Auch die Gleichheit der Sitten, Religion und der
Sprache der Galibis auf dem Festland und der Kariben auf den Inseln beweist
hm ihre Zusammengehörigkeit.
Von der Religion der Kariben und der ihnen nicht verwandten Ein—
gebornen der Antillen sagt Petrus Martyr2: Quid utraque gens praeter
ꝛ2o0elum atque eius lumina adoret, non satis exploratum est. Später be—
hauptet er speziell von den Kariben auf San Domingo: Nihil adorare praeter
ↄ2ooli numen credunturs. An letzterer Stelle sagt er von der Anbetung von
Sonne und Mond (coli lumina) nichts, an beiden Stellen behauptet er, daß
sie den Himmel (coeli numen) anbeten. Unter dem Himmel haben wir ohne
Zweifel Gott, den Herrn des Himmels, zu verstehen. Das geht klar aus dem
hervor, was du Tertre berichtet. Die Kariben, sagt er“, haben eine dunkle
Kenntnis von einem Gott, der mächtiger ist als alle diejenigen,
don denen die Rede sein wird, und sie kommen darin mit uns überein, daß
er den Himmel erschaffen hat und daß er dort wohnt; doch be—
haupten einige, der Gott der Franzosen habe den Himmel der Franzosen, und
der Gott der Inseln den Himmel der Kariben geschaffen; andere jedoch machen
diese Unterscheidung nicht. Sie gestehen auch, Gott sei so gut, daß er niemand
etwas Böses zufüge, sie erweisen ihm aber keine Ehre und richten alle ihre
1Relations des Missions des Peores de la Compagnie de Jésus dans les Iles et
la Terre fermoe de l'Amérique méridionale. Zuerst erschienen im Jahre 1655, neu
herausgegeben in dem Werke Mission de Cayenne et de la Guyane francaise. Paris
1857, 3 ff.
De rebus oceanicis et orbe novo decades tres, Basileae 1533, 2.
s Ebd. J. 2. f. 4, p. 2. Histoire générale II 364.
1. Die Kariben auf den Kleinen Antillen. 3
Opfer an die Wesen, von denen sie Gutes erhoffen oder Böses fürchten. Den
Ramen dieses Gottes gibt du Tertre nicht an. Auch der Ordensgenosse du
Tertres, P. Labat O. P., berichtet, daß die Kariben wenigstens dunkel zwei
Prinzipien anerkennen, ein gutes und ein böses; von dem ersteren sagen sie,
da es gut und aus sich wohltätig, sei es unnütz, zu ihm zu beten oder ihm
zu danken, es gebe unaufhörlich und ohne daß man darum bitte, alles, was
wir nötig haben. Nach Labat haben die Kariben keinen Namen für dieses
gute Wesen, das böse aber nennen sie Manitu. Wenn wir dem P. Lafitau
glauben dürfen, hatten sie doch einen Namen für das gute Prinzip, sie nannten
es Chemiin?. Möglicherweise reden beide Schriftsteller nicht von denselben
Stämmen. Nach Gumilla hatten die Kariben an der Mündung des Ori—
noko eine Idee von Gott, den sie „Quiyumocon“, d. h. „Unser Großer Vater“,
nannten. Die Missionäre vermieden aber diesen Ausdruck, weil es ihnen noch
nicht ausgemacht schien, ob sie damit die erste Ursache der Dinge oder ihren
Stammvater bezeichnen wollten. Der Streit drehte sich also nicht um die Sache,
sondern bloß um den Namen, denn daß die Kariben eine dunkle Idee von
Gott hatten, gilt Gumilla als ausgemacht.
Außer dem höchsten Wesen nahmen die Kariben zwei Arten von Geistern
oder untergeordneten Götzen an, von denen die einen, die Icheiri, gut sind,
die andern aber, die Maboya oder Mapoya, böse. Diese Götzen bestehen aus
beiden Geschlechlern, pflanzen sich fort und sind einst Menschen gewesen wie
die Kariben, aber aus verschiedenen Nationen. Wenn sie von den Boyes
Zauberern) gerufen werden, bringen sie zuweilen ihre Kindeskinder mit. Sie
glauben, diese Geister hätten die Macht, dem Maniok Wachstum zu verleihen,
Lrankheiten zu heilen, Orkane zu verursachen, zu vergiften und zu töten. Die
Zauberer, die mit diesen Geistern verkehren, können kaum Priester genannt
werden, da sie keine eigentlichen Opfer darbringen. Die meisten Boyes werden
don Jugend auf ihrem Dienste gewidmet und sozusagen geweiht. Sie müssen zu
dem Zweck lange fasten und sich Blut abzapfen lassen, indem man sie von allen
Seiten mit Akontizähnen kratzt. Wenn ein Zauberer einen andern zum Boye
machen will, so laͤßt er nach langem Fasten seinen Geist herablommen. Das
geschieht im großen Gemeindehaus, an dessen Eingang ein kleiner Tisch steht,
auf dem sich das gewöhnliche Opfer, bestehend in frischer Kassave und in Uicyhka,
in frischen Kalebafsen befindet. Jetzt ruft der Boye seinen Geist an und fällt
dann wie leblos in der Hütte hin, wo man eine eigens für ihn bereitete
Hängematte hinhängt und ihm die bereit liegenden Opfer darbringt. Nun be—
zinnt der Boye eine Rede und bittet um einen Gott (Geist) für seinen Kan—
didaten, der sich ebenfalls durch strenges Fasten vorbereitet hat. Der Geist des
Boye gibt nun diesem auch einen Gäst. der in menschlicher Gestalt erscheint.
Voyage du P. Labat O. P. aux Isles de PAmérique. Wir zitieren nach der
Ausgabe in Jo, Ta Haye 1724, II 8, 128.
Acurs des Sauvages Américains J (1724) 126. Nach C. de Rochefort
Historische Beschreibung der Antilleninseln II, Frankfurt a. M. 1668, 337) nannten die
Nanner Gott Icheiri, die Weiber dagegen Chemiin. Zitiert bei Theod. Koch, Zum
Animismus der südamerikanischen Indianer 1900, 258. Supplement zu Bd XIII des
Internatidnalen Archive für Ethnographie (Leiden).
Vierter Teil. Die Naturvölker Amerikas.
Auch die Frauen können als Zauberinnen eine weibliche Gottheit erhalten. Die
Boyes heilen die Krankheit mit den Geistern, die in sie hineinfahren, wie sie
hehaupten. Sie begeben sich zum Kranken, saugen an ihm, pressen, tun, als ob
sie Knochen und Schlangenzähne aus ihm heraussögen, und geben dann vor,
diese Dinge seien die Ursache der Krankheit gewesen!.
Die Wilden machen auch kleine Holzstatuen, von denen sie behaupten, es
seien Bilder der Maboyas, die ihnen erschienen seien und sie mißhandelt haben.
Sie tragen dieselben am Hals, um sich vor neuen Mißhandlungen zu schützen.
Bei einer Mondfinsternis glauben sie, die Maboyas verzehrten den Mond, des⸗
halb heulen und schreien sie während derselben in die Luft hinaus. Bei ver—
schiedenen Gelegenheiten fasten sie aus Aberglauben, z. B. wenn ein Knabe oder
ein Mädchen ins heiratsfähige Alter kommt, wenn die Kinder Vater und Mutter
berlieren oder einer Frau der Mann stirbt, und besonders wenn das junge
Ehepaar als erstes Kind einen Knaben bekommt. Bei solchen Gelegenheiten
dürfen sie oft mehrere Tage weder essen noch trinken. Aus Aberglauben essen
sfie auch manche Speisen nicht, z. B. Schweinefleisch, Schildkröten, Salz usw.
Sie glauben an die Unsterblichkeit der Seele. Sie meinen aber,
jedermann habe drei Seelen: eine im Herzen, eine im Kopf und eine im Arm.
Die, welche im Herzen wohnt und sich durch ihr Klopfen offenbart, geht, sagen
sie, nach dem Tode direkt in den Himmel, um dort glücklich zu sein; die, welche
im Kopf und Arm wohnen und sich durch die Muskelbewegung offenbaren,
werden Maboyas genannt; diesen schreiben sie alles Böse zu, das ihnen wider—
ährt?. — Bei der Niederkunft der Frau muß sich der Mann in die Hänge—
matte legen, und da besucht man ihn wie einen Kranken. Er muß einige Tage
lang streng fasten und sich noch nachher vieler Speisen enthalten. Nach vierzig—
tägiger Fastenzeit kommen die Verwandten zu einem Fest zusammen, bei dem
der Mann mit Akontizähnen zerkratzt wird, so daß reichlich Blut fließt, und zu—
weilen wird noch Pfeffer in die Wunden gestreut. Alles das muß er schweigend
ertragen, so daß er manchmal aus einem eingebildeten ein wirklicher Kranker
wird. Acht Tage nach diesem Fest ladet der Vater seine intimsten Freunde ein,
um Paten des Knaben oder, wenn es ein Mädchen ist, Patinnen zu sein;
dann durchbohrt man dem Kinde die Ohrlappen und die Nasescheidewand und
gibt ihm einen Namen. Die Mütter lieben ihre Kinder zärtlich und sind sehr
für sie besorgt.
Wenn der Mann sich von der Frau trennt, behält sie alle kleinen Kinder
bei sich; sind aber die Kinder schon älter, so folgen die Knaben dem Vater, die
Mädchen der Mutter. Von einer Erziehung der Kinder ist kaum eine Spur.
Die Kinder werden auch nicht angehalten, die Eltern zu ehren, und wenn sie
deren Befehle ausführen, geschieht es mehr aus Laune als Ehrfurcht vor den
Eltern. Ja sie mißhandeln manchmal die Eltern, und die meisten werden wegen
eines solchen Verhaltens nicht einmal getadelt. Kommen die Kinder ins heirats—
fähige Alter, so müssen sie sich langen Fasten und verschiedenen Peinigungen
unterziehen. Will man einen Knaben in den Rang der Krieger aufnehmen, so
muß er sich einen Raubvogel (manceéfeuil) verschaffen und ihn ernähren bis zur
1Histoire générale usw. 366 ff. 2 Ebd. 372.
1. Die Kariben auf den Kleinen Antillen. 5
Zeit der Feier. An diesem Tage ladet der Vater die besten Freunde ein, setzt
seinen Sohn auf einen kleinen Stuhl, ermahnt ihn, im Kampfe tapfer zu sein,
sich an seinen Feinden zu rächen, und zerschlägt dann auf seinem Kopf den
Kopf des Vogels, und trotz aller Schmerzen darf der Knabe nicht zucken; er
wird dann noch am ganzen Leibe geschnitten, mit Pfeffer eingerieben und erhält
endlich das Herz des Vogels zur Speise, damit er mutig werde.
Vom Freien oder Hofmachen vor der Hochzeit haben die jungen Kariben
keine Idee. Wollen sie ein Mädchen heiraten, das ihnen nicht schon von Rechts
wegen gehört, z. B. die Tochter der Tante, so verlangen sie es vom Vater;
denn selten heiraten sie gegen den Willen ihrer Eltern, woraus wir sehen, daß
fie die elterliche Autoritäi doch nicht vollständig mißachten. Auf die Verwandt-
schaftsgrade nimmt man wenig Rücksicht. Es ist nach du Tertre sogar vor—
gekommen, daß Ehen zwischen Vater und Tochter, Mutter und Sohn statt—
fanden; doch geschah das sehr selten; dagegen kommt es häufig vor, daß ein
Mann zwei Schwestern oder auch eine Mutter und ihre Tochter zugleich heiratet.
Will ein Mädchen einen Kapitän (Krieger) heiraten, so wird sie von ihren Eltern
zu dem betreffenden Manne geführt und bringt das Mittagessen für diesen mit.
Beide essen nun mitten im Hause, auf dem Boden sitzend, zusammen, und die
Ehe gili als geschlossen, das Mädchen bleibt bei dem Mann. Heiratet ein
Nichtkapitän ein Mädchen, so zieht er in die Wohnung des Schwiegerdaters;
in einem solchen Fall haben die Mädchen den Vorteil, mit jedermann reden zu
dürfen, während der Mann es nicht wagt, mit den Schwiegereltern zu reden,
und deshalb jede Begegnung mit ihnen vermeidet.
Die Polygamie ist allgemein, manche haben sechs oder sieben Frauen.
Der Mann baut jeder seiner Frauen eine eigene Hütte und besucht sie der
Reihe nach. Die Frauen scheinen keine Eifersucht zu haben. Den Ehebruch
berzeiht der Mann zuweilen seiner Frau, aber nie dem Verführer. Der Mann
darf die Ehe scheiden, sobald er will, die Frau aber nur mit Einwilligung des
Mannes. Heiratet der Mann eine im Krieg erbeutete Sklavin, so gehört sie
zwar zu seinen Frauen, aber sie wird geschoren wie ein Knabe und kann vom
Mann nach Belieben getötet werden; doch kommt das selten vor, oft werden
diese Sklavinnen bis ins hohe Alter zärtlich geliebt und ihre Kinder denen der
andern Frauen gleichgestellt 1.
Helfen den Kranken die angewandten Heilmittel oder die Zaubereien der
Boyes nicht, so laufen die Verwandten, besonders die verheirateten, davon; doch
lassen sich zuweilen einige aus Mitleid bewegen, die Kranken zu besuchen. Ist
ein Mann gestorben, so waschen die Frauen den Leichnam, bemalen ihn vom
Kopf bis zu den Füßen und schmücken ihn mit den besten Kleidern. Dann wird
er in eine noch nicht gebrauchte Hängematte gehüllt, und man schaufelt ein
Grab im Hause, in dem er gestorben ist, oder man baut ein eigenes Haus
dafür; denn sie begraben ihre Toten nie unter freiem Himmel. Beim Tode eines
Familienhaupies schneiden sich seine Frauen und Kinder die Haare ab und fasten
einen Monat lang bei Wasser und Brot. Sie tun das nicht, weil sie meinten,
das nütze der Seele des Verstorbenen, sondern weil sie fürchten, sonst krank zu
— — — —
1Ebd. 379
Vierter Teil. Die Naturvölker Amerikas.
werden oder in die Hände der Feinde zu geraten. Die Sklaven des Ver—
storbenen werden getötet, wenn sie nicht frühzeitig die Flucht ergreifen!. Die
Verwandten, die beim Begräbnis nicht zugegen waren, kommen später, um das
GBrab zu besuchen, und sie müssen dann weinen wie die andern, auch wenn sie
keine Lust dazu verspüren. P. Labat O. P., der kurze Zeit nach P. du Tertre
zehn Jahre auf den Kleinen Antillen zubrachte, bestätigt durchweg die Angaben
seines Ordensgenossen und fügt manche Einzelheiten hinzu?.
Als Kleidung haben die Männer nur einen Gürtel, der zwischen den
Schenkeln durchgeht und an dem vorn ein Stück Tuch hängt, um das Not—
wendigste zu bedecken. Die Frauen tragen ein etwas breiteres Stück Tuch, das
vorn am Gürtel herunterhängt; doch sind sie sehr zurückhaltend und bescheiden,
dabei offen und heiter. Die Mädchen erhalten, sobald sie zwölf Jahre alt
werden, außer der Camisa, dem Schamgürtel, noch eine Art Strümpfe. Von
da an leben die Mädchen mit den Knaben nicht mehr in derselben Vertraulich—
keit wie früher, sie leben zurückgezogen mit ihren Müttern und entfernen sich
nie von ihnen. Wir haben oben erwähnt, daß die Knaben das Recht haben,
verwandte Mädchen zu Frauen zu nehmen. Genauer gesprochen haben nach
P. Labat die Eltern das Recht, ihre weiblichen Verwandten dem Sohne zu
Frauen zu geben. Es ist gegen die Gewohnheit, daß ein Bruder seine Schwester
oder eine Mutter ihr Kind heirate, aber außerhalb dieser Grade haben sie die
größte Freiheit, wenn sie wollens. Die Männer betrachten die Frauen nur als
ihre Dienerinnen, und wie groß auch die gegenseitige Freundschaft sei, dieselbe
geht nie so weit, daß sie die Weiber von den Dienstleistungen und der Ehrfurcht
gegen den Mann dispensiert. Es ist unerhört, daß eine Frau mit ihrem
Manne oder auch nur in dessen Gegenwart ißt.
Bei Mord oder Totschlag tritt Blutrache ein, der sich der Täter nur
durch die Flucht entziehen kann. Drei große Fehler haben die Kariben. Sie
sind sehr eifersüchtig auf ihre Frauen und töten dieselben beim geringsten Ver—
dacht; außerdem sind sie äußerst rachsüchtig und vergessen nie eine erlittene Un—
hill. Endlich sind sie dem Trunk ergeben, bei dem es oft zu Schlägereien
kommt. Es ist nach Labat nicht die Gewohnheit der Kariben, ihre Gefangenen
zu mißhandeln, am wenigsten die Frauen und Kinder. Sie behandeln die
Gefangenen milde und betrachten sie bald als Angehörige ihrer Nation; nur
ihre erste Wut ist zu fürchten. Es ist auch ein Irrtum, zu glauben, die Ka—
riben auf den Inseln seien Anthropophagen oder sie zögen zu dem Zweck in
den Krieg, um Gefangene zu machen und sie dann gelegentlich zu verspeisen.
„Ich habe“, sagt Labat*, „klare Beweise für das Gegenteil. Zwar habe ich oft
don Freibeutern gehört, daß es gegen den Isthmus von Darien, bei Bocca del
Toro usw., herumschweifende Wilde gebe, die nie mit andern Verkehr unter—
halten und alle Gefangenen unbarmherzig auffressen. Aber wie kann man das
wissen, wenn sie mit andern keinen Verkehr haben? Übrigens wenn es auch
wahr wäre, so sind doch jene Kariben von denen der Inseln in vielen Dingen
sehr verschieden, vielleicht auch in diesem Punkt“. Labat gibt allerdings zu, daß
Du Terbtrée, Histoire générale usw. 412.
Voyage du P. Labat usw. s8 Ebd. J 2. 4. ⁊ Ebd. 107- 108.
2. Die Eingebornen Französisch-Guayanas im 17. Jahrhundert. 7
in einigen außerordentlichen Fällen die Kariben Fremde getötet und aufgezehrt
haben, und zwar aus Rache für die Ungerechtigkeiten der Europäer, von denen
sie ihrer Länvereien beraubt und mißhandelt wurden. Es ist ferner wahr, daß
sie einen Feind töten und seine Glieder dörren und mit deren Fett Kalebassen
füllen, die —V0 eine Siegestrophäe und ein
Beweis ihrer Tapferkeit, wie bei andern Wilden die Skalpe. Und wenn sie
auch die erwachsenen Männer, die sie mit den Waffen in der Hand antreffen,
öten, so behandeln sie doch die Frauen und Kinder milde.
Die Leichen werden nach Labat in der Sterbehütte und stets in sitzender
Stellung begraben; die Ellenbogen ruhen auf den Knien und die Hände stützen
die Wangen. Dem Mann werden seine Bogen, seine Pfeile und seine Keule
ins Grab gelegt. Die Leiche wird so hoch mit Erde ringsum gestützt, daß sie
in sitzender Stellung bleibt.
2. Die Eingebornen Französisch-Guayanas im 17. Jahrhundert.
Da wir von den Kariben des Festlandes erst aus neuerer Zeit ausführ⸗
liche und zuverlässige Nachrichten besitzen, schildern wir hier zuerst die Ein—
gebornen Französisch-Guayanas (Cayennes) an der Hand des Berichtes, den
der Missionär Pierre Pelleprat 8. J. im Jahre 1655 verfaßte!.
Zahlreich waren die Staͤmme, die damals das Land bevölkerten; am Uara⸗
biche (Ouarabiche) allein zählte man an die 60 verschiedene Nationen, unter
denen besonders die Galibis, die Arawaken (Arouagues), die Saimagoten, die
Parias, die Arikuris usw. hervorragten. Das Land war stark bevölkert. Eine
eigentliche staatliche Organisation existierte kaum, doch hatte jedes Dorf oder
jede Niederlassung seinen Häuptling. Nur ein Verbrechen wurde öffentlich be—
traft: der Mord. War ein Mord begangen worden, so versammelten sich
die Häuptlinge, um dem Verbrecher den Prozeß zu machen. Gewöhnlich wurde
er zum Tod durch einen Keulenschlag auf den Kopf verurteilt. Da es aber
Sitte war, die Vollstreckung des Urteils drei oder vier Monate hinauszuschieben,
und keine Gefängnisse exiftierten, so hatte der Verurteilte Gelegenheit zu ent⸗
liehen, und die Folge war, daß die Strafe schließlich auf ewige Verbannung
aus dem Lande hinauskam. Doch war diese Strafe immerhin sehr schwer, da
der Schuldige genötigt war, seine Heimat und seine Verwandten zu verlassen
und mit seiner Familie sich anderswo niederzulassen ?.
Die Kinder gehorchen den Eltern nur soweit es ihnen gefällt, denn die
Eltern strafen sie nie, ja drohen ihnen nicht einmal mit Worten. Sie suchen
fie nur mit Liebe und Güte zu leiten. „Trotzdem ist der Gehorsam und die
Ehrfurcht der Kinder so groß, daß ich nicht glaube, er sei irgendwo in der
Welt exemplarischer.“ Zum Häuptling einer Niederlassung wurde derjenige ge⸗
wählt, der fich durch Heldentaten im Krieg oder auf der Jagd ausgezeichnet
ot
Relations des Missions des Peres de la Compagnio de — 7 8* — r J.
la Terre ferme de l'Amérique môéridionale, par le P. 4 ion de Cayenne et
1655. Der Bericht wurde neu herausgegeben in dem Werke Miss
de la Guyane frangaise, Paris 1857, 3 ff.
Ebd. 133.
Vierter Teil. Die Naturvölker Amerikas.
hatte. Er mußte einen Monat lang bei Kassave und Wasser fasten, mehrmals
mit vollen Kellen Tabaksaft trinken und wurde außerdem mit großen Peitschen
(macoali) grausam geschlagen. Ertrug er das alles mutig und ohne Zeichen
des Schmerzes, so war er Häuptling. In ihrem Aberglauben meinen die In—
dianer, ohne diese Zeremonie würden ihre Häuptlinge im Kriege nie Glück
haben. Der Krieg besteht auch hier wie bei allen Indianern nicht in offenen
Schlachten, sondern in heimlichen Hinterhalten und plötzlichen Überfällen. Alle
Männer und männlichen Kinder werden vom Sieger erschlagen, die Frauen und
Mädchen werden zu Sklaven gemacht, doch werden dieselben gut behandelt und
oft zu Frauen genommen. Sie haben auch den Grundsatz, ihre Toten nie in
den Händen der Feinde zu lassen, und setzen sich, um dieselben mitzunehmen,
den größten Gefahren aus, so daß sie oft bei diesem Anlaß mehr Leute ver—
lieren als im eigentlichen Kampf.
Feuerwaffen hatten die Eingebornen damals noch nicht, ihre Waffen waren
Bogen und Pfeil und eine Keule (butu). Eigentlich grausam waren sie nicht,
ie mißhandelten die Feinde nie, sondern begnügten sich, sie mit der Keule zu
erschlagen. „Einige haben behauptet, daß sie ihre Feinde essen, wie dies bei
nehreren amerikanischen Nationen der Brauch ist; ich habe diese Sitte bei
unsern Wilden nicht wahrgenommen; nur schneiden sie zuweilen dem toten
Feinde eine Hand oder einen Fuß ab, dörren dieselben an einem kleinen Feuer,
um sie ohne Verwesung aufzubewahren; sie tun das nicht aus Gefräßigkeit
oder Grausamkeit, sondern nur aus einer Art Prahlerei, um ihre Tapferkeit
zur Schau zu tragen. In ihren Versammlungen bringen sie diese Überreste
hervor und reichen davon den Vornehmsten ein ganz kleines Stücklein auf einer
Messerspitze, aber die meisten weigern sich, davon zu essen.“
Will ein Jüngling ein Mädchen heiraten, so muß er um die Einwilligung
der Eltern nachsuchen. Stimmen diese zu, so werden alle Wilden der Nach—
barschaft zu einem Feste eingeladen. Nachdem man reichlich getrunken hat,
setzt sich der Bräutigam auf die Hochzeitsbank, dann führt ihm die Jugend
die Braut zu, und damit ist die Ehe geschlossen. Diese ist aber nicht unauf—
löslich, nach der Gewohnheit des Landes darf der Mann die Frau verstoßen;
doch kommt dies sehr selten vor. Die Trennung der Güter ist nicht gebräuchlich,
da bei diesen Völkern in gewissem Sinne alles Gemeingut ist. Obwohl Viel—
weiberei gestattet ist, begnügen sich die meisten mit einer Frau, nicht aus Liebe
zu einer Tugend, die sie nicht kennen, sondern aus Besorgnis, nicht mehrere
Frauen ernähren zu können. Die jungen Männer müssen außerdem den
Schwiegervätern wie Sklaven dienen, so daß ihnen das Halten mehrerer Frauen
teuer zu stehen kommt. — Trotz der Vielweiberei ist der Friede in den Familien
sehr groß; ohne Eifersucht und Streitigkeiten lieben und achten die Frauen
einander und suchen in Eintracht zu leben. „Ich zweifle nicht, daß die Achtung
vor dem gemeinsamen Mann der Kitt ihrer Freundschaft ist, der sie antreibt,
die Kinder der andern Frauen wie ihre eigenen zu lieben. Die Frauen haben
eine so hohe Achtung vor ihren Männern, daß sie ihnen dienen und gehorchen,
als ob sie ihre Sklavinnen wären. Sie bereiten ihnen die Nahrung und bringen
1Pelleprat, Relations usw. 136.
2. Die Eingebornen Französisch-Guayanas im 17. Jahrhundert. 9
dieselbe an den öffentlichen Platz, wo die Männer gewöhnlich ihre Mahlzeit
halten, und während die Maänner essen, bleiben die Frauen bei ihnen stehen,
um sie zu bedienen. Nachdem die Männer gegessen, nehmen sie, was übrig
bleibt. Am Abend bringen sie ihnen die Hängematte in den Wald, und am
Morgen tragen sie dieselbe in die Hütte zurück.“
Diese Indianer haben nämlich in jedem Dorfe oder jeder Niederlassung
carbet) einen gemeinsamen Saal, wo sie während des Tages arbeiten und
sich unterhalten und wo die Fremden empfangen werden. „Was mich am
meisten wundert, ist, daß die Frauen alle diese Dienste den Männern mit
zroßer Sanftmut und ohne jedes Zeichen der Unzufriedenheit leisten. Die
Männer ihrerseits mißbrauchen ihre Gewalt nicht; sie achten und lieben ihre
Frauen zärtlich.“
Ihre Toten beklagen sie zwei bis drei Tage lang und beerdigen sie mit
großem Pomp. Stirbt eine Frau oder ein Kind oder ein Mann aus dem
gewöhnlichen Volk, so wird die Leiche auf einem kleinen Stuhle sitzend in ein
liefes und enges Grab gesenkt, das sie in dem Hause schaufeln, in dem der
Tote gestorben. Das Grab wird mit Blättern und Zweigen zugedeckt, und
dann wird etwas Erde darauf geschüttet. Mehrere Monate wird um das Grab
serum ein Feuer unterhalten, um den üblen Geruch zu verhindern und die Luft
zu reinigen. Viel feierlicher find die Zeremonien beim Tode eines Häuptlings
oder Kriegers. Mehrere Tage werden ihre Leichen unter lautem Wehklagen
aufbewahrt, und dann werden sie verbrannt. Ihre Asche trinkt man, indem
man sie in den Uicu, ein aus Maniok, Bataten, Bananen und Zuckerrohr be—
reitetes Getränk, mischt. Der Tanz, der sonst als Zeichen der Freude gilt, ist
bei diesen Indianern oft der Ausdruck der Trauer. Beim Begräbnis einer
Galibifrau sah der Missionär, wie einige in der Hütte bei der Leiche weh—
klagten, während die andern draußen Trauerlieder sangen, die Worte mit
Schluchzen und Weinen unterbrachen und sehr bescheiden auf Stöcke gestützt
tanzten?. Wie die Tänze sind auch die Tränen bei diesen Wilden oft der
Ausdruck der Freude; wenn z. B. Fremde ankommen, bezeigt man durch lautes
Weinen die Freude. Ihre Tänze sind sehr anständig; die Kariben bedecken
sich vorn mit einer kleinen Schürze, wenn sie mit den Galibis tanzen; außer—
dem tanzen nur die Männer, nie die Frauen und Mädchen. Männer und
Frauen tragen an den Ohren, der Unterlippe und dem Nasenknorpel verschiedene
Metallgehänge.
Als Kleidung tragen die Männer vorn am Leib und die Frauen vorn
und hinten ein kleines Stück Wolltuch. Ihre Hauptkleidung besteht in der Be—
malung des Leibes mit Palmöl, das mit Rocu, dem roten Samen eines Baumes,
dermischt wird. Da diese Malereien gegen die Moskitostiche nichts nützen, haben
die Indianer in ihren Niederlassungen gewöhnlich zwei Arten von Hütten; die
eine befindet sich in der Niederlassung selbst und ist auf der Vorderseite ganz
Affen; hier weilt man während des Tages; die andere liegt im Wald, ist ver—
schlossen und den Moskitos unzugänglich; hier schläft man während der Nacht.
Ebd. 139. 2 Ebd. 141.
9
Vierter Teil. Die Naturvölker Amerikas.
Die Eingebornen verstehen es ausgezeichnet, die verschiedensten Hausgeräte:
Töpfe, Platten, Teller usw., aus Erde zu verfertigen und mit verschiedenfarbigem
Firnis zu überziehen. Besonders aber zeigt sich ihre Kunstfertigkeit bei der
Herstellung ihrer Fahrzeuge, deren sie zwei Arten besitzen. Die Pirogen sind
50—60 Fuß lang und 5—6 Fuß breit und bestehen aus einem einzigen aus⸗
gehöhlten Baumstamm, der sehr leicht ist und von den Würmern verschont wird,
bielleicht wegen der Bitterkeit des Holzes. In diesen Pirogen, in denen 50 —60
Männer Platz haben, unternehmen sie ihre weiten Kriegszüge. Die Kähne
(kKanus) sind kleiner, in der Tiefe rund und kippen leicht um, was aber den
Wilden, die ausgezeichnete Schwimmer sind, wenig Sorge macht.
Um die Kinder von früher Jugend an geduldiges und mutiges Ertragen
bon Schmerzen zu gewöhnen, sammeln diese Wilden große Ameisen, die sie in
ein eigens hierzu bestimmtes Bett in dem gemeinsamen Saale legen. Mehrmals
im Jahre müssen sich die Kinder vom 3. bis zum 18. Jahre in dieses Bett
legen, wo sie von den Ameisen grausam gequält werden, so daß die Haut stark
anschwillt. — Die Männer sind sehr arbeitsam; sie gehen auf die Jagd oder
den Fischfang, errichten und verbessern ihre Hütten, verfertigen Möbel zum Ge—
hrauch der Familie. Noch fleißiger sind die Frauen, denen der Haushalt und
die Küche obliegt und die den Uicu und das Salböl bereiten, Tücher weben.
Männer und Frauen arbeiten gemeinsam am Wollspinnen; die Hängematten
hereiten aber die Männer allein.
Schon Barthol. de Las Casas hat dem Charakter und der Ehrlichkeit dieser
Indianer ein vielleicht etwas übertrieben glänzendes Zeugnis ausgestellt. Gott
habe, sagt er, diese unzähligen Völker ohne Hinterlist und Bosheit, sehr ge—
horsam und treu, demütig, geduldig und friedfertig geschaffen, so daß Zank,
Streit, Haß und Rachsucht bei ihnen kaum vorkommen. Pelleprat führt dieses
Zeugnis an, damit man nicht etwa seine eigenen Angaben für übertrieben
halte!. Diese Völker, sagt er, leben in einer solchen Unschuld und zeigen so
wenig Hang zum Laster, daß man glauben sollte, sie hätten nicht in Adam
gesündigt?. Er gibt zwar zu, daß sie verschiedene abergläubische Gebräuche
haben, daß sie zuweilen im Übermaß trinken und dann diejenigen, mit denen
sie Streit bekommen, verwunden und töten, man könne sie aber in etwa ent⸗
schuldigen, im Aberglauben folgten sie den Kenntnissen, die sie von ihren Ahnen
zrerbt, und in ihrer Unwissenheit sähen sie im übermäßigen Trinken nichts Böses.
Eine geordnete Religion haben diese Wilden nicht. Sie meinen, die Welt
mit ihrem Wechsel von Tag und Nacht, Entstehen und Vergehen, Hitze und
Kälte, Krankheit und Gesundheit, Leben und Tod habe von jeher so bestanden
wie heute. „Sie haben aber den Glauben an die Unsterblichkeit
der Seele, und einige sind der Ansicht, die guten Leute gingen nach
dem Tode in den Himmel, die Bösen dagegen unter die Erde;
andere jedoch nehmen eine Art Seelenwanderung an.“ Die letzteren be—
haupten, bei ihrem Tode gehe ihre Seele in den Leib eines Kindes, das zur
Welt komme.
Relations 150 - 151. 2 Ebd. 152.
2. Die Eingebornen Französisch⸗ Guayanas im 17. Jahrhundert. 11
Sie wissen, daß es Teufel und übelwollende Geister gibt, die die Feinde
der Menschen sind, aber sie täuschen sich, weil sie dieselben für die Urheber aller
Krankheiten halten und der Meinung sind, die Boĩahes (piayes), ihre Medizin—
männer, die zugleich die Teufelsaustreiber spielen, hätten die Gewalt, sie zu
bertreiben. Sie wähnen auch, ihre Bolayes würden nicht die Gewalt der
Teufelsaustreibung besitzen, wenn sie nicht durch harte Prüfungen für dieses
Amt erzogen würden; ihre Kinder würden nicht gedeihen und ihre Häuptlinge
würden nicht siegreich werden, wenn sie nicht ähnliche Strengheiten durch—
machten. Die Bokayes müssen sich auch ihr ganzes Leben hindurch verschiedener
Fleischarten enthalten.
Andern Aberglauben hat der Missionär nicht entdeckt, und er meint, es
werde leicht sein, die Eingebornen für das Christentum zu gewinnen. Da sie
an Geister glauben, so wird man ihnen leicht die Überzeugung beibringen, daß
es auch gute Geister gibt und besonders einen höchst guten, der der Schöpfer
aller Dinge ist. Aus diesen Ausführungen geht hervor, daß nach der Meinung
Pelleprats die Indianer nur an verschiedene böse Geister glaubten. Daß das
aber nicht allgemein richtig war, geht aus den Berichten der späteren Missionäre
hervor, besonders aus dem Tagebuche des P. Grillet, der im Jahre 1674 bis
1675 das Innere Guayanas bereiste. Dieser schreibt u. a.?: „Die Nuragen
und Acoquas stimmen in ihren religiösen Anschauungen mit den Galibis überein.
Sie anerkennen einen Gott, beten ihn aber nicht an. Sie sagen, er wohne
im Himmel, wissen aber nicht, daß es ein Geist ist, und scheinen ihn eher für
körperlich zu halten. Die Galibis nennen Gott Tamucicabo, d. h. den
Alten des Himmels. Die Nuragen und die Acoquas nennen ihn Maire
und reden nur in fabelhaften Ausdrücken von ihm. Sie haben viele Arten
bvon Aberglauben, es sind lauter Ammenmärchen, doch trifft man keine eigent—
liche Abgötterei bei ihnen an. Ich habe viel Grund zum Verdacht, daß die
Medizinmänner die Frauen und Mädchen durch ihre Schwindeleien hintergehen.“
Die Wilden dieser Gegenden, fährt P. Pelleprat fort, lieben die Ehrbarkeit
so sehr, daß ich nie etwas Anstößiges bei ihnen bemerkt habe. Sie waren
auch leicht davon zu überzeugen, daß es schicklich sei, sich zu bekleiden. Bei
meiner Abreise von Uarabiche baten mich die Galibis, ihnen Hanf und Lein
zurückzubringen, damit sie sich Kleider machen könnten. — „Zwei Laster haßten
die Wilden besonders: die Lüge und den Zorn; sie betrachten die Lügner
und die Zornigen als böse Menschen; ertappen sie jemand auf einer Lüge, so
rauen sie ihm nicht mehr. Während der ganzen Zeit, wo ich bei ihnen war,
Jabe ich nur einen einzigen zornig gesehen.“ Der Missionär lobt auch sehr ihre
Gastfreundschaft. Wenn ein Fremder zu ihnen kommt, bereiten sie ihm drei
Tage lang ein Festessen und geben ihm zu jeder Mahlzeit eine frische Kassave.
Sie sind so liebeboll gegeneinander, daß sie sozusagen nichts Eigenes besitzen
und jeder das Recht hat, im Garten des andern zu holen, was ihm gefällt.
Besitzt jemand Wildbret, so haben die Nachbarn das Recht mitzuessen, und zwar
ohne eingeladen zu sein 8.
— —
Ebd. 154. 2 Ebd. 260.
A
1
—
2
Vierter Teil. Die Naturvölker Amerikas.
3. Die Kariben in Britisch-Guayana.
Über die Kariben in Britisch-Guayana besitzen wir erst aus dem 19. Jahr—
hundert ausführliche und zuverlässige Nachrichten. Um die Mitte des 19. Jahr—
hunderts bewohnten sie die Küstengegenden, besonders die Ufer des Pomeroon;
außerdem hatten sie Niederlassungen am Essequibo, Massaruni usw. und weiter im
Innern am Rupununi und Quitaru. Von diesen Kariben schreibt K. F. Appun!,
der mehrere Jahre Guayana bereiste: Sie sind ein kriegerisches und industrie—
reiches Indianervolk, das aber gegen die Fremden einen lächerlichen Stolz zur
Schau trägt. In früheren Zeiten unternahmen die Kariben häufige Raubzüge
in das Innere Guayanas und verhandelten die dabei Gefangenen als Sklaven
an die Holländer und Engländer, behielten aber die schönsten Frauen und
Mädchen für sich, worauf sich wohl, wie Appun meint, die Behauptung einiger
Reisenden gründet, daß die Weiber der Kariben eine von den Männern ganz
verschiedene Sprache redeten. Daß sie in Guayana eingewandert seien und ihre
Vorfahren einst Inseln bewohnt hätten, ist eine bei ihnen noch jetzt verbreitete
Überlieferung. Seit der Sklavenemanzipation haben die Kariben ihren Menschen—
handel aufgeben müssen, doch findet man noch jetzt unter ihnen Sklaven, die
sie Poitis nennen2.
Heute wehren sich die Kariben mit aller Entschiedenheit gegen die An—
schuldigung des Kannibalismus, und Appun glaubt nach vieljährigem Umgang
mit ihnen, daß in neuerer und neuester Zeit kein Kannibalismus bei ihnen
herrschte. Die gewöhnliche Kleidung der Kariben ist ein Lendentuch oder eine
Schamschürzes. Anstatt der kleinen Schamschürzen aus Glasperlen und Woll-—
fransen, welche die Frauen der andern Indianerstämme tragen, haben die kari—
bischen Weiber eine unsern Badehosen ähnliche Bekleidung, die eng anliegend von
den Hüften bis zur Hälfte der Schenkel reicht. Gleich den meisten Indianern
färben die Kariben Gesicht und Körper mit roten und schwarzen eckigen Figuren.
In der Fabrikation von Tongefäßen, die einen ihrer hauptsächlichen Tausch-—
artikel ausmachen, zeichnen sich die Frauen vorzüglich aus, die auch im Spinnen
und Weben sehr geschickt und fleißig sind. Die Sprache der Kariben ist nach
Appun kräftig und männlich, und sie sprechen die Worte mit einer gewissen
Schärfe, oft in einem förmlich gebieterischen Tone aus. Der Mann zeigt sich
höchst tyrannisch gegen seine Frauen, denen alle Haus- und Feldarbeiten ob—
liegen, während er sich mit Jagd, Fischfang und dem Verfertigen von Corials
(Kähnen aus ausgehöhlten Baumstämmen) beschäftigt. Die Waffen der Männer
bestehen in Bogen, Pfeilen und Kriegskeulen. Sie sind sämtlich dem Trunk er—
geben und sprechen bei ihren vielen und langdauernden Trinkfesten dem Paiawari
bis zum Erzeß zu?.
Ihre Toten begraben sie außerhalb der Hütten, in sitzender Stellung;
neben die Leiche legt man die Habseligkeiten und Waffen des Verstorbenen und
Ausland 1871, 182 ff. 2 Ebd. 183.
s „Die Meinung, daß man erwachsene Indianer antreffe, die ohne jede Bekleidung
bleiben, ist ein großer Irrtum“, schreibt der Missionär Van Coll C. 88. R. in Zeden
en Gewoonten der Indianen in onze nederlandsche Kolonie Suriname, Gulpen 1886. 9.
Ausland 1871. 185.
3. Die Kariben in Britisch-Guayana.
13
außerdem Brot, Früchte und getrocknete Fische. Nach einiger Zeit jedoch wird
das Grab wieder geöffnet, und man nimmt die Gebeine heraus, die unter die
Angehörigen verteilt werden. Oder sie legen die Leiche in eine Hängematte, in
der fie sorgfältig vor Beunruhigung durch Raubtiere und Insekten bewacht wird.
Ist die Fäulnis genug vorgeschritten, so reinigen die Weiber die Knochen, be—⸗
malen sie und legen sie zu sorgfältiger Aufbewahrung in ein Körbchen, das
bei einer Veränderung des Wohnsitzes stets mitgenommen wird. Die Leichen
angesehener Personen werden, in ihren Hängematten liegend, geräuchert und
entweder in diesem Zustand aufbewahrt oder verbrannt und die in einem Korb
gesammelte Asche vergraben.
Die jungen Häuptlinge wie die Jünglinge, welche heiraten wollen, müssen
dorher einem langen, äußerst strengen Fasten sich unterwerfen, das damit schließt,
daß der Ausgehungerte eine große Kalebasse, mit starkem Absud von Capsicum
gefüllt, austrinken muß, ohne dabei eine Miene zu verziehen. Besteht der zum
Häuptling Erwählte diese Probe glücklich, so wird er in eine mit großen Ameisen
angefüllte Hängematte gelegt, und diese wird über ihm fest zusammengebunden,
damit die Peiniger nicht entlaufen können. Ohne Seufzer und ohne sich be⸗
wegen zu können, bleibt er in dieser Weise stundenlang den Angriffen der ge—
reizten wütenden Insekten ausgesetzt, wird aber, wenn er auch diese Probe stand⸗
haft ertragen, unter großem Jubel als Herrscher anerkannt. Ebenso werden
die Mädchen, sobald sie zur Mannbarkeit gelangen, den grausamsten Operationen
anterworfen; außerdem werden sie lange Zeit als unrein von den übrigen ab—
gesondert, müssen strenge fasten und werden von den Müttern mehrmals mit
dünnen Ruten bis aufs Blut gegeißelt, wobei sie keinen Schmerzenslaut äußern
dürfen. Doch sind heute diese Gebräuche sehr gemildert und zum Teil abgeschafft
worden. Die Kariben sind neben den Arawaken die intelligentesten Indianer
Buayanas und übertreffen die letzteren in vielem, besonders im Feldbau. Ihre
Pflanzungen sind sorgfältig angelegt. Ich habe, schreibt Appun, nirgends herr—
lichere Anpflanzungen gesehen als bei den Kariben. Die in der Nähe der
Weißen oder Farbigen lebenden Kariben treiben mit ihren Felderzeugnissen einen
bedeutenden Handel, so daß man bei ihnen, was sonst selten der Fall ist,
ziemlich bemittelte Indianer antrifft. Die Hütten der Kariben ähneln denen
der Arawaken; —DDD hohen,
fast bis zur Erde herabreichenden, auf Pfosten ruhenden Palmendach. Im
Innern herrscht große Reinlichkeit.
Während die Kariben an der Küste und an den Ufern des Pomeroon meist
zum Christentum übergetreten sind, hängen die im Innern lebenden noch am
alten Heidentum. Sie glauben wie alle andern Indianer dieser Gegenden an ein
höchstes Wesen, den Schöpfer der Welt und der Menschen, der
uüber alle Dinge erhaben, wesentlich gut und wohlwollend ist,
aber sich um die einzelnen Menschen wenig zu kümmern scheint!. Dieses gute
Wesen heißt bei den Kariben „Tamusikabie“, bei den Warrau „Kwarisa—
barotis“, bei den Arawaken „Kururumanui“ (Kulimina)?. Auch der
Ausland 1869, 281.
Appun im Ausland 1871, 160; vgl. weiter unten S. 18.
4
Vierter Teil. Die Naturvölker Amerikas.
Glaube an die Fortdauer der Seele nach dem Tode und an ein überaus
glückliches Leben im Jenseits ist in Guayana allgemein. Von einer Scheidung der
Guten und Bösen hören wir jedoch nichts. Wie es scheint, verehrten die Kariben
auch Sonne und Mond, vielleicht nur als Wohnung und Äußerung des höchsten
Wesens. Nach neueren Schriftstellern glaubten die Kariben auch an einen
Kultur-Heros, der sie im Landbau und verschiedenen Gewerben unterrichtete und
dann verschwand!. Das ist aber kaum richtig, denn dieser vermeintliche Heros
ist Gott selbst. Auf Grund eigener langjähriger Beobachtung und Mitteilungen
seiner Mitarbeiter schreibt der schon erwähnte Missionär van Coll? über die
Kariben in Niederländisch-Guahana (Surinam): „Trotz ihrer Unwissenheit ist
doch die Idee einer höheren überirdischen Ordnung, eines Gott-Schöpfers
des Universums und der Pflicht, ihm zu gehorchen, endlich die Furcht
vor bösen Geistern und vor einer unglücklichen Zukunft im Jenseits
diesen Indianern nicht fremd. . . . Den Begriff von Gott, Tamoesi
oder Kapu-Tamoesi, dem senex cooli, haben selbst die rohesten Heiden.
Ihre Idee von Lohn und Strafe möge das Folgende erläutern. Ein karibisches
Mädchen, das an Halluzinationen litt, behauptete vor allen ihren Stammes—
genossen, es habe den Himmel und die Hölle gesehen und an beiden Orten
Indianer angetroffen. Diese eingebildeten Visionen machten einen solchen Eindruck
auf sie, daß sie ein unerlaubtes Liebesverhältnis aufgab. Sie fuhr stets fort,
alle zu ermahnen, sie sollten die Vielweiberei, die Trunksucht und die Zauberei
aufgeben. Ihre Worte machten tiefen Eindruck. — Auch einer von den Häupt⸗
lingen glaubte die Stimme seines verstorbenen Sohnes zu hören, die rief: „Die
Zauberei hat mich getötet‘, und der Erfolg war, daß er sein gewinnbringendes
Gewerbe aufgab. Hätten sie nicht in ihrem natürlichen Verstand den Begriff
von einem Gott, dem Belohner des Guten und Bestrafer des Bösen, so hätten sie
unmöglich auf diese Idee kommen können und noch viel weniger hätten diese
angeblichen Visionen auf sie einen solchen Eindruck machen können, da sie von
der geoffenbarten Religion nichts wissen oder jedenfalls viel zu wenig, als daß
diese Kenntnisse eine solche Wirkung hätten hervorbringen können.“
Da nach den Kariben von dem wohlwollenden höchsten Wesen nur Gutes
kommen kann, führen sie alles Böse, wie Krankheiten und Unfälle aller Art,
auf schadenfrohe Geister zurück, die den Menschen beständig nachstellen. In
jedem Dorfe findet man neben dem Häuptling einen Zauberer (Piaĩ oder
Piache), dem die Macht zugeschrieben wird, durch allerlei Künste die bösen
Geister zu vertreiben oder sich dienstbar zu machen.
Die Polygamie gilt als zulässig, kommt aber ziemlich selten vor. Die
Kinder werden oft schon in früher Jugend von den Eltern verlobt, diese Ver—
lobung kann aber bis zur Zeit der Reife der Braut rückgängig gemacht werden.
In der Brautzeit muß der Bräutigam den Schwiegereltern dienen und der
Braut verschiedene Geschenke machen. Beim Eintritt in die Pubertät gilt das
Mädchen als unrein, es wird von den übrigen abgesondert, muß fasten und
sich andern peinlichen Zeremonien unterworfen, so z. B. wird es nach dem
Bgl. Encyclopedia of Religion and Pthics II 836.
Zeden en Gewoonten der Indianen usw. 25ff.
4. Die Arawaken in Guayana.
ersten Bade in der Nacht von der Mutter mit dünnen Ruten bis aufs Blut
zegeißelt und darf keinen Schmerzenslaut von sich geben; auch den Stichen von
Ameisen wird es ausgesetzt. Ebenso muß der in die Reihe der Männer ein—
tretende Jüngling durch manche schmerzhafte Proben seinen Mut beweisen. Nach
der Verheiratung, die in der Überführung der Braut in das Haus des Bräutigams
besteht, wird diese fast die Sklavin des Mannes und hat alle beschwerlichen
Arbeiten zu verrichten. Bei der Geburt eines Kindes muß der Mann sich der
Kuvade unterwerfen, er darf sich nicht weit von der Hütte entfernen, nicht
lagen oder Bäume fällen u. dgl. Meist bringt er diese Zeit müßig in der
Hängematte zu.
Die Zugehörigkeit zum Stamme wird nie vom Vater, sondern stets von
der Mutter hergeleitet. Der Onkel väterlicherseits darf nicht seine Nichte hei—
raten, da diese, abgesehen von den Geschwistern, als die nächste Verwandte gilt;
dagegen darf jeder die Tochter seiner Schwester und die Frau seines ver—
storbenen Bruders ehelichen.
4. Die Arawaken in Guayana.
Schon die ältesten Schriftsteller berichtnn uns von dem Volke der Arawaken,
das neben den Kariben im heutigen Guayana und südlich davon bis gegen den
Amazonenstrom hin wohnte. Noch heute leben dort neben den Kariben, Arekunas,
Wavrans usw. die Arawaken, die zum guten Teil ihre alten Sitten bewahrt haben.
Nach K. F. Appun! sind die Arawaken, besonders die an der Meeresküste
von Britisch- Guayana, von allen dortigen Indianerstämmen die gewerbfleißigsten
und für das Christentum empfänglichsten. Sie sind ein schöner Menschenschlag.
Polygamie ist unter ihnen heimisch, und oft besitzt ein Mann vier bis fünf
Frauen. Ihre Wohnungen sind große, viereckige, meist offene Hütten mit hohem,
sas bis zur Erde herabreichendem Palmdach, in deren Innerem große Reinlich—
keit und Ordnung herrscht. Die zum Christentum bekehrten Arawaken gehen
elleidet; jedoch werfen sie ihre Kleider leicht weg und behalten nur wie die
Heiden ihren kleinen Lederschurz. Stirbt ein Ehemann, so werden seinen Frauen
die Haare kurz geschnitten, und sie müssen die Kleider ablegen, welche sie erst
wieder anlegen dürfen, wenn das Haar eine bestimmte Länge erreicht hat und
damit die Trauerzeit zu Ende ist. Der nächste Verwandte besitzt das Anrecht
auf die Witwe. Will ein anderer sie heiraten, so muß er sie von dem Ver—
wandten kaufen; heiratet er sie ohne dessen Einwilligung, so kommt es zu blu—
agen Zwisten. Die Blutrache herrscht bei ihnen, wie bei allen Indianerstämmen.
Alle Familien, aus welchen der Stamm besteht, werden in ihrer Abstammung
nach der weiblichen Linie benannt, so daß ein verheiratetes Weib den Namen
ihrer Mutter behält, welcher Name dann auf die Kinder übergeht; streng ver—
boten ist es, sich mit Individuen zu verheiraten, die den gleichen Namen tragen.
Will ein Arawake heiraten, so unterhandelt er zuvor mit den Verwandten
der Braut, um sicher zu sein, daß er nicht abgewiesen wird. Hat er die Ge—
wißheit, daß ihm das Mädchen wohl will, so macht er seinen Besuch bei den
Eltern der Braut, um ihnen sein Anliegen vorzutragen. Setzt nach dieser Unter⸗
— ——
1
X
6
Vierter Teil. Die Naturvölker Amerikas.
redung das Mädchen dem jungen Manne Essen vor, so gilt dies als Zeichen
ihrer Einwilligung; er ißt das ihm Vorgesetzte, und damit ist die Heirat ge—
ichlossen. Die Zeremonie endet damit, daß am Abend durch die Mutter die
Hängematte der Tochter aufgeschlagen wird. Ist das Mädchen zu jung, so
daß der Bräutigam noch einige Jahre auf sie warten muß, so gibt ihm der
Schwiegervater für diese Zeit eine Witwe oder ein älteres unverheiratetes Mädchen
der Familie, die nach seiner Verheiratung mit der eigentlichen Braut in das
Verhältnis einer Magd zurücktreten. Will dagegen der Vater für seine Tochter
einen Mann haben, so läßt er dem Auserkorenen bei seinem Besuche durch seine
Tochter Essen vorsetzen, und wenn dieser es annimmt, wird die Heirat als ge—
schlossen betrachtet; selten kommt es vor, daß das Essen vom jungen Manne
abgelehnt wird, da sich der Familienvater vorher erkundigte, ob der gewünschte
Bräutigam Neigung zu seiner Tochter habe. Meistens werden die Ehepaare
schon als Kinder von den Eltern füreinander bestimmt, und der junge Mann
hat alsdann bis zum Eintritt der Mannbarkeit seiner Braut bei deren Eltern
Knechtsdienste zu leisten!. Weil hier wie anderwärts bei den Indianern das
Los der Frauen elend ist, sollen viele Mütter ihre neugebornen Töchter ermorden,
um sie vor gleichem Jammer zu bewahren?.
Ihre Toten legen sie in ausgehöhlte Baumstämme und begraben sie in
ihren Hütten, die sodann im Stich gelassen werden. Nach Verlauf mehrerer
Monate wird ein Trinkfest mit einem blutigen Totentanz gefeiert. Sämtliche
Männer der Niederlassung stellen sich mit langen Peitschen bewaffnet in zwei
Reihen auf und empfangen jeden Ankommenden mit den kräftigsten Peitschen—
hieben auf die Waden. Dieser darf aus Höflichkeit nicht ausweichen, sondern
muß auch das andere Bein hinstrecken, bis er blutrünstig geschlagen ist. Während
dieser Zeit wird fortwährend Paiwari (Baiwar) herumgereicht, bis alle Gäste
versammelt sind, die nunmehr berauscht untereinander eine allgemeine Geißelung
deranstalten, bei der das Blut die geschwollenen Waden herabströmt und Streifen
von Haut und Muskeln herabhängen. Eine solche Totenfeier, sagt Appun, ver—
setzt den Fremden in jene Zeiten, wo noch Kannibalismus und blutige Menschen—
opfer bei diesen Volkern im Gebrauche waren. Die Sitten der südamerikanischen
(wilden) Indianer haben sich seit der Entdeckung Amerikas nur wenig geändert.
Bei Wohlhabenden werden derlei Totenfeste mehrmals wiederholt. Zum Schluß
der Feste graben die Hinterbliebenen ein Loch in die Erde, legen des Toten
Pegall (geflochtenen Korb), Pfeil, Bogen, Fischereigeräte usp. nebst den beim
Feste gebrauchten Peitschen hinein, verbrennen alles und werfen darauf das Loch
zu, womit das Andenken des Verstorbenen der Vergessenheit übergeben ist.
Daß der Mann bei der Niederkunft seines Weibes die Wochenzeremonien
(Kuvade) abhalte, wie dies bei manchen Indianerstämmen der Fall ist, be—
streitet Appun, wohl aber ist dem Manne einige Wochen nicht erlaubt, sich
weit von seiner Hütte zu entfernen, auf die Jagd zu gehen usw., weil sonst
nach dem herrschenden Aberglauben das Kind krank oder bald sterben würde.
Appun im Ausland 1871, 124.
Vgl. Burkhardt, Die evangelische Mission unter den Indianern in Nord⸗ und
Südamerika, 2. Aufl. von R. Grundemann, Bielefeld und Leipzig 1876, 226.
4. Die Arawaken in Guayana.
17
Die Mütter säugen ihre Kinder mehrere Jahre und übergeben die älteren, im
Fall während dieser Zeit wieder frischer Zuwachs gekommen ist, zu gleichem
Zweck der Großmutter. Mit fehlerhaften Gliedern geborene Kinder lassen sie
bald umkommen, weshalb man unter den Erwachsenen nur wohlgestaltete
Leute sieht. Die Mütter hängen mit wahrer Affenliebe an ihren Kindern, bis
diese mannbar sind!.
Unter sich benehmen sich die Arawaken höflich und bescheiden, besonders er⸗
weisen jüngere Leute den älteren die größte Achtung?. Zänkereien und Streitig-
leiten, sagt Appun, habe ich bei ihnen nie bemerkt, außer ein einzigesmal bei
einem Trinkfest, wo zwei berauschte Männer sich heftig stritten, aber schließlich von
den Weibern zur Ruhe gebracht und in ihre Hütten abgeführt wurden. Während
einer Unterhaltung sehen sich die Redenden einander nie an, sondern drehen
einander den Rücken zu oder stellen sich so, daß sie einander nicht ins Gesicht
sehen, indem sie glauben, daß dies der Würde des Menschen zuwider sei. Bei
Besuchen in andern Niederlassungen geht der Eigentümer der Hütte nach den
ersten Begrüßungen hinaus und setzt sich vor dieselbe, so daß er dem Gast im
Hause den Rücken kehrt. Dann nimmt die eigentliche Unterredung ihren Anfang.
Bei festlichen Besuchen wird gemeiniglich der Besuchende zuerst angeredet, und
es fehlt nicht an beiderseitigen Komplimenten und Artigkeiten. — Die Frauen
essen nie in Gemeinschaft mit den Männern, sondern stets nach denselben. Die
Arawaken sind sehr reinlich und baden täglich verschiedene Male. Die Frauen
beschäftigen sich mit der Verfertigung von baumwollenen Hängematten, von
Töpferwaren usw.; die Männer besißzen eine große Geschicklichkeit im Flechten
bon buntfarbigen Matten und Körben.
Abstoßend ist, was von der Behandlung der Kranken berichtet wird, selbst
wenn diese nahe Verwandte oder sogar die Eltern sind. Niemand nimmt sich des
Kranken an, niemand äußert zu ihm ein Wort des Trostes oder der Teilnahme;
niemand erkundigt sich nach seinen Bedürfnissen und Wünschen, und seine Ver⸗
wandten glauben genug zu tun, wenn sie etwas Essen oder eine Kalebasse mit
Wasser neben seiner Hängematte hinstellen. Doch bedarf diese Behauptung einiger
Einschränkung. Appun selbst berichtet, daß bei Krankheiten unverzüglich der
Piaĩ (Zauberer) herbeigerufen wird, der nun mit allerlei Zauberkünsten die
Krankheit zu vertreiben suchts. Daß sie dann, wenn diese Kunste nicht helfen,
den Kranken sich selbst überlassen, hüngt offenbar mit ihrem törichten Wahn
zusammen, jede Krankheit sei die Wirkung eines bösen Zaubers, sei es nun
von seiten eines Dämons oder böswilliger Menschen, und könne deshalb durch
—DD
Dämon auszutreiben und so den Kranken zu heilen, so schiebt er nicht selten
die Schuld davon auf eine Vergiftung durch einen andern Indianer und hat
so ein Mittel, sich an seinen Feinden zu rächen. Im Falle des Todes bezeichnet
er die Stelle, wo der Verstorbene durch einen unsichtbaren giftigen Pfeil ge—
troffen wurde. Um den Mörder ausfindig zu machen, gebraucht er verschiedene
»Appuna. a. O. 125. 2 Burkhardt-Grundemanna. a. O. 228.
Ebd. 159.
—A———
—18
Vierter Teil. Die Naturvölker Amerikas.
zeheimnisvolle Zeremonien und bezeichnet dann den Urheber des Todesfalles,
und dieser verfällt nun der Blutrache der Verwandten des Verstorbenen.
Religion. Die Arawaken nennen nach Appun den Schöpfer der Männer
„ZKururumanui“, den der Weiber „Kulimina“1. Ersterer hat bei ihnen
den Vorzug und ist ein gutes Wesen, das ihnen weder Gutes tut noch Böses
zufügt. Nachdem er die Menschen geschaffen, so lautet die Tradition, sei er
einmal auf die Welt heruntergekommen (er scheint also droben im Himmel zu
wohnen), um zu sehen, was sie machten. Die Menschen wären aber so schlecht
gewesen, daß sie ihn hätten umbringen wollen, weshalb er ihnen die Unsterblich—
keit genommen und sie den Tieren, die sich häuten, den Schlangen und andern
Reptilien, gegeben?. Ferner erzählen sie von einer Finsternis, die über das
ganze Land gekommen und so stark gewesen sei, daß ihre Vorfahren beständig
in den Hütten bleiben mußten und weder fischen noch jagen konnten. Den
dösen Geist, den sie sehr fürchten und gegen den der Piaĩ fortwährend zu
kämpfen hat, nennen sie YAawahus. Es hält schwer, meint Appun, von den
Wilden etwas Ausführlicheres zu erfahren, da sie Fremden keine Mitteilungen
machen wollen; jedenfalls scheint bei den Arawaken an der Küste die Religion
döllig Nebensache zu sein. Man darf aber nicht vergessen, daß sie seit langem
mit den Europäern umgehen. Appun hat gefunden, daß die Küsten-Arawaken
infolge des Umgangs mit den Ausländern schlechter und verlogener geworden
ind als die im Innern wohnenden:.
Zu den Arawaken gehören nicht nur viele Küstenstämme in Britisch-Guayana
und am Orinoko-Delta, sondern auch zahlreiche Völkerschaften im Innern des
Landes und weit nach dem Süden hin bis zum Amazonas und dem oberen
Paraguay, so z. B. die Piris am Uccayalifluß, die Canamaris am Purus, die
Manaos am Rio Negro ꝛc. Über die Religion dieser Stämme entnehmen wir
einer zusammenfassenden Darstellung von Lewis Spences folgende Angaben.
Die Arawaken von Guiana (Guayana) glauben, Aimon Kondi habe die Welt
mit Feuer gepeitscht, die überlebenden Menschen hätten in einer unterirdischen
Wohnung einen Zufluchtsort gesucht. Dann kam eine große Flut, aus der sich
Marerewana mit seinen Leuten in einem Kanoe rettete. Daß die Menschen
aus einer unterirdischen Welt stammen, ist unter den Arawaken weit verbreiteter
Glaube. In dieser Unterwelt war der Tod unbekannt, aber der Leiter des
Menschengeschlechts entdeckte zufällig die obere Welt und warnte bei seiner Rück—
kehr die Leute, denn auf dieser oberen Welt herrsche zwar das Sonnenlicht,
aber auch der Tod. Trotz dieser Warnung suchten viele diese obere Welt auf;
doch leben noch immer sehr viele tief unten in Seligkeit.
Eine andere Schöpfungssage der Arawaken erzählt, der Große Geist habe
sich, nachdem er Himmel und Erde vollendet, an einem Flusse auf einen un—
Ausland 1871, 160. Ferner Ausland 1869, 281: Die Arawaken „nennen das
höchste Wesen ‚unsern Vater‘, ‚unsern Schöpfer‘ und den ‚in der Höhe Wohnenden““.
Die Behauptung Appuns läßt sich vielleicht darauf zurückführen, daß die Männer einen
andern Namen für Gott hatten als die Weiber.
Val. Burkhardt-Grundemann, Die evangelische Misston 229.
Ausland 1871, 160. Nach Burkhardt-Grundemann (a. a. O.) nennen die
Arawaken den Teufel Jawahi; sie glauben auch an viele böse Geister.
Ebd. 161. s In der Encyclopedia of Religion and Rihics I 835—887.
5. Die Makuschis.
19
Jeheuern Silberwollbaum gesetzt, dessen Rinde in Stücke geschnitten und umher—
Jeworfen; die Stücke, welche das Wasser berührten, wurden Fische, die, welche
die Luft berührten, wurden Vögel, und die, welche auf die Erde fielen, wurden
Tiere und Menschen. Ein großer Gott der Arawaken in Brasilien ist der gute
Jurupari, der auf geheimnisvolle Weise aus einer Jungfrau geboren wurde.
Sein Kult ist mit vielen Geheimnissen umgeben, und die Frauen sind von dem—
elben ausgeschlossen. Am Tage des großen Juruparifestes ziehen die Männer
laut mit Pfeifen und Flöten spielend rings umher, und die Frauen müssen sich
alle in ihren Hütten verbergen, sonst sind sie unfehlbar des Todes. Die Priester
tellen dann zwei sonderbare Götzenbilder, die Symbole des Jurupari, aus. Die
Hauptzeremonie bei diesem Fest ist die Einweihung der jungen Männer; es
verden auch Geißelungen vorgenommen, und am Ende des Festes kommen die
Weiber, und den Schluß bilden abscheuliche Saturnalien der betrunkenen Wilden.
der eigentliche Hauptgott der brasilianischen Arawaken ist aber Tupan, den
iele den Altvater nennen und als den Schöpfer aller Dinge, auch des Jurupari,
ansehen. Dieser wohnt mit Tupan im Himmel. Wenn die Menschen auf
Erden den Jurupari verehrt haben, gehen sie nach dem Tode zu ihm, um bei
hm zu wohnen; wenn sie ihn nicht verehrt haben, so gehen sie auf dem Wege
don der Erde zum Himmel zu Grunde. Im Himmel des Jurupari jagen, fischen
und trinken die Verstorbenen. Trauer und Langeweile sind dort unbekannt.
Die Männer, welche auf dem Wege zum Himmel verloren gehen, kommen
chließlich in die Hölle und führen dort ein schattenhaftes Leben, das dem Leben
auf Erden gleicht. Bei dem Arawakenstamm der Uapes ist die Kaste der
Priester (Pages) streng hierarchisch gegliedert; ein Oberpriester (Assu) steht an
hrer Spitze. Sie haben viele Geheimnisse, die sie wie eine Freimaurersekte
treng bewahren. Einige fungieren als Ärzte, andere vermitteln den Verkehr
nit den Dämonen oder rufen die Verstorbenen an. Von einem eigentlichen
Fetischismus findet man bei diesen Wilden nichts. Die Figuren und sym—
2 Darstellungen sind nicht Jurupari selbst, sondern nur seine Bilder, sagen
ie Pages.
5. Die Makuschis.
Neben den Arawaken, Kariben und andern Indianerstämmen im Innern
—RX nehmen die Makuschis (Makusis), welche die große Savanne zwischen
dem Pacaraima- und Canucugebirge und den Flüssen Rupununi und Parima
bewohnen, eine hervorragende Stellung ein. Manche halten sie für einen Zweig—
tamm der Kariben; Appun leugnet diese Verwandtschaft, da sie sich von den
dariben in Sprache und Sitten allzusehr unterscheiden!. Sie sind von Figur
lank und wohl proportioniert. Gesicht und Körper bemalen sie täglich. Das
Lauptkleidungsflück besteht bei Männern und Frauen in einer Schamschürze.
die Hauptwaffe ist die Kriegskeule, ein langes Messer, Bogen und Pfeil, die
o schön gearbeitet sind, daß man in ihnen das Werk des besten europäischen
Handwerkers zu sehen vermeint?.
1
Ausland 1871, 4285 ff. 3 Ebd. 428.
2
—30
Vierter Teil. Die Naturvölker Amerikas.
Die Malkuschis zeichnen sich durch ihren friedliebenden, heitern und gefälligen
Charakter sowie durch Ordnungsliebe vorteilhaft vor den meisten andern In—
dianern aus. Doch sind sie sehr stolz und verachten die andern Indianer. Die
Polygamie ist ihnen gestattet, kommt aber nur sehr selten vor. Ihre Hütten
sind in der Regel rund und bestehen aus einer nur acht Fuß hohen Lehmmauer,
auf welcher ein hohes Palmdach ruht. Ein kleiner Türeingang ist die einzige
ffnung, so daß drinnen tiefe Finsternis herrscht, die nur durch das beständig
unterhaltene Feuer ein wenig erhellt wird. Jede Niederlassung besitzt auch ein
Tapui, d. h. eine Hütte mit einem großen fast zur Erde herabreichenden Palm—
dache, die zur Aufnahme von Besuchern und Durchreisenden bestimmt ist. Im
Innern der Hütte hängt an den Hängematten die Toilette des Eigentümers.
Der Hauptbalken ist mit den Jagdtrophäen der Männer geschmückt1.
Die Toten bestatten sie in der Nähe ihrer Hütten in der offenen Savanne.
Sobald der Kranke gestorben, feuern seine Verwandten vor der Hütte einige
Schüsse ab, um den bösen Geist, der den Tod herbeiführte, zu verscheuchen.
Der Tote selbst wird gleich nach dem Ableben in sitzender Stellung in eine
Hängematte gebracht, die Oberschenkel werden mit den Unterschenkeln zusammen—
gebunden, so daß die Knie ziemlich bis an das Kinn heranreichen. In dieser
sitzenden Stellung wird der Tote am folgenden Tage auf die Savanne gebracht
und in ein Grab gelegt. Dann wird eine mit dem Milchsaft einer giftigen
Pflanze gefüllte Kalebasse über ihn ausgegossen, ihm Kassavebrot, sein Feuer—
zeug, der dicke Stengel der eben erwähnten Giftpflanze (einer Aroidee) zur Ab—
wehr gegen den bösen Geist und außerdem eine Quantität Brennholz ins Grab
gegeben. Dieses wird mit Gras ausgefüllt, und dann wird Erde darauf ge—
worfen. Das Brennholz und Feuerzeug sowie ein Bogen mit Pfeilen werden
ihm auf seine weite Reise nach den jenseitigen Jagdgefilden mitgegeben, damit
er während der Reise seine Nahrung erjagen und rösten könne?. Gleich nach
dem Verscheiden eines Makuschis beginnen die Verwandten ein Trauergeheul,
das nur während des Begräbnisses stockt und nachher drei Wochen fortgesetzt
wird. Während der Trauerzeit müssen die Witwe und alle nahen weiblichen
Verwandten des Toten allen Schmuck ablegen und ihr langes Haar kurz schneiden.
Die Heiraten werden durch keine religiösen Zeremonien geweiht und meist
schon in der frühesten Jugend von den Eltern beschlossen, in welchem Fall der
junge Mann verpflichtet ist, den zukünftigen Schwiegereltern bis zur Pubertät
seiner Braut zu dienen. Doch kann eine solche Verlobung bis zur Reife des
Mädchens von beiden Teilen jederzeit rückgängig gemacht werden. Bevor der
zunge Mann die Braut heimführen darf, muß er sich vor den älteren Männern
des Stammes einigen Proben unterwerfen: in einer bestimmten kurzen Zeit einen
großen Baum fällen, ein ihm zugewiesenes Stück Land urbar machen usw.
Erst wenn er die Proben zur Zufriedenheit bestanden, darf er in der Versamm—
lung der Männer erscheinen und heiraten. Ist die Heirat nicht von den Eltern
vereinbart worden, so folgen die jungen Leute ihren Neigungen. Sobald der
zjunge Mann genügende Proben seiner Geschicklichkeit im Jagen, Fischen usw.
abgelegt hat, geht er zum Vater der Auserwählten, hält mit leiser Stimme um
Ausland 1871, 445. 2Ebd. 446.
5. Die Makuschis.
21
die Tochter an und bringt einige Geschenke. Der Auserkorenen verrät er seine
Gefühle nicht, um im Falle einer abschlägigen Antwort nicht ausgelacht zu
werden. Hat er das Jawort erhalten, so zieht er mit all seinen Habseligkeiten
in die Hütte des Schwiegervaters, um ihm auf der Jagd, beim Fischen usw.
zu dienen. Ist er nicht tätig genug, so kann der Schwiegervater das Verhältnis
auflösen, wie es dem Schwiegersohn freisteht, seine Frau zu entlassen oder selbst
zu verkaufen, wenn sie nicht arbeitsam genug ist. Besitzt jedoch ein Ehepaar
schon Kinder, so gehört eine Trennung — abgesehen vom Falle des Treubruchs —
zu den Seltenheiten.
Der Onkel väterlicherseits darf nicht seine Nichte heiraten, da sie nach den
Geschwistern als nächste Verwandte angesehen wird, und dieser gleich dem Vater
Papa“ genannt wird; dagegen ist jedem erlaubt, sich mit der Tochter seiner
Schwester, der Frau seines verstorbenen Bruders oder mit seiner Stiefmutter
nach dem Tode seines Vaters zu verheiraten. Der Witwer muß so lange um
seine Frau trauern, bis das bei ihrem Tode gepflanzte Kassavefeld reif ist
letwa 9—10 Monate).
Das höchste Wesen, der Schöpfer Himmels und der Erde, heißt
bei den Makuschis wie bei den Akkawais und Arekunas: Makunaima; der
Böse dagegen heißt Hori- uch. Nachdem Makunaima die Erde mit Bäumen
und Pflanzen geschaffen hatle, stieg er auf einen hohen Baum und hieb Stückchen
Rinde von demselben ab, die er in den Fluß warf und dadurch in allerlei
Tiere verwandelte; dann erschuf er den Mann, der bald in einen tiefen Schlaf
iel. Beim Erwachen sah er ein Weib an seiner Seite stehen. Der böse Geist
erhiett jedoch die Oberhand über die Menschen, und Makunaima sandte große
Wasser, um sie zu vertilgen; nur ein Mann rettete sich in einem Corial vor
der gewaltigen überschwemmung und sandte später eine Ratte, um zu sehen,
ob die Wasser gefallen; diese kehrte mit einem Maiskolben zurück. Dadurch,
daß dieser einzige gereitete Mann Steine hinter sich warf, bevölkerte sich die
Erde von neuem. Dieser Mythus scheint christlichen Einfluß zu verraten, „beruht
edoch“, wie Appun schreibt, „bei den Makuschis auf den ältesten Traditionen,
die durch die alten Frauen, die fast bei allen Indianerstämmen die Stelle der
alten Barden vertreten, von Generation zu Generation sich fortgepflanzt haben.
Von Götzendienst und Fetischanbetung habe ich bei den Makuschis nicht die ge⸗—
cingste Spur gefunden. Alle Naturerscheinungen, welche die Ruhe und Be—
Jaglichkeit der Makuschis nicht stören, sind durch Makunaima bewirkt; sobald sie
das Gegenteil veranlassen, sind es Einwirkungen des bösen Geistes, den sie
auf alle Art, besonders durch den Piaĩ, zu versöhnen trachten, während sie sich
um den guten Geist wenig kümmern, da er in ihren Augen die Verpflichtung
jat. für ihr Wohl zu sorgen“ 4.
Jeder Niederlassung der Makuschis steht ein Häuptling vor, dessen Macht
eded unbedeutend ist und sich auf die Bestimmung der Feste, Tänze usw.
eschränkt. Er würde auch in Friedenszeiten wenig zu entscheiden haben, „da
Streitigteiten unter diesem Volk zu den größten Seltenheiten gehören. Das
igentum jedes einzelnen, seien es die Hütte, die Gerätschaften oder das
1Ebd. 447.
22
Vierter Teil. Die Naturvölker Amerikas.
Feld, ist heilig und Verletzung desselben nicht möglich“. An einer andern Stelle
sagt Appun: „Überhaupt kann man es den Makuschis und den meisten Indianer—
stämmen zur Ehre nachsagen, daß sie nicht stehlen, was ich von den Küsten—
stämmen nicht so sicher behaupten mag.“ Kommen aber Streitigkeiten vor,
so entscheidet eine vom Häuptling zusammenberufene Versammlung der Männer
darüber, und die streitenden Parteien unterwerfen sich willig deren Ausspruch.
Kränkungen an Ehre, Frau und Kind werden durch Blutrache ausgeglichen.
Uber den ganzen Makuschistamm herrscht ein großer Häuptling; aber auch dieser
hat in Friedenszeiten nur geringe Macht; in Fehdezeiten mit andern Stämmen
dagegen ist er unumschränkter Herrscher. Beim Ausbruch der Feindseligkeiten
mit andern Stämmen geht keine Kriegserklärung vorher, sondern die die Offensive
ergreifende Partei überfällt die feindliche Niederlassung, der sie sich während der
Nacht genähert hat, bei Anbruch des Tages; deren Bewohner fliehen in der Regel
unter Zurücklassung der Kranken, worauf die Sieger das Dorf in Brand
stecken. Selten treten die Kämpfenden in offenem Felde einander entgegen.
Beim Rückzug aus dem Kampf sucht jede Vartei vor allem ihre Toten aus den
Händen der Feinde zu retten.
Eine sonderbare Sitte der Makuschis ist die, daß sich alle Männer, sobald
der Neumond sichtbar wird, vor die Türe ihrer Hütten stellen und ihre Arme
in Intervallen nach ihm ausstrecken und zurückziehen, wodurch sie glauben, für
die Jagd gestärkt zu werden.
6. Die Buschneger in Surinam Miederländisch-Guayana).
Unter Buschnegern versteht man Abkömmlinge von Negern, die aus Afrika
als Sklaven nach Guayana gebracht wurden, aber dann in die weiten und
sumpfigen Wälder im Innern entflohen und sich mit den Waffen in der Hand
ihre Freiheit seitens der holländischen Kolonialregierung erkämpften?. Sie gliedern
sich in vier verschiedene Stämme: die Aukas oder Aukaner, zu denen auch
die Bonineger gehören, die Saramakaner, die Matuari und Kurenti.
In der äußeren Erscheinung, in Sitten, Anschauungen und religiösen Vor—
stellungen stimmen die verschiedenen Stämme in allem wesentlich so sehr überein,
daß man sie in dieser Beziehung als ein gemeinsames Ganzes betrachten kann.
Fine Schilderung der Sitten dieses Volkes ist besonders deshalb interessant,
weil sie uns einen Rückschluß auf die sittlichen Anschauungen ihrer afrikanischen
Urheimat gestatten.
In Gestalt und Farbe weisen sie den bekannten Negertypus auf. Die
Kleidung besteht bei allen nur in einem Lendenschurz, den Kindern wird auch
dieser erlassen. Auch Tätowierung ist vielfach im Gebrauch. Ihre Sprache ist
ein sonderbares Gemisch aus afrikanischen, portugiesischen, holländischen und be—
sonders englischen Wörtern. Ihre Ansiedlungen finden sich nur an Flüssen und
Ausland 1871, 449.
Über das Folgende vgl. G. H. Schneider, Die Buschneger Surinams, im Bei—
blatt zur Allgemeinen Missionszeitschrift, Gütersloh 18983, Nr 1-4; ferner Jules
Crevaux, Reisen im Innern von Guayana 1876-1877, im Globus XXXVII (1880)
35 ff.
6. Die Buschneger in Surinam (Niederländisch-Guayana). 23
Bächen. Die Größe der Niederlassungen ist verschieden und schwankt zwischen
125 bis zu 40 -50 Wohnungen. Einem jeden Dorfe steht ein Kapitän vor,
der vom Granman, dem Oberhäuptling des Stammes, ernannt wird. Neben
jeder Hütte befindet sich noch gewöhnlich ein Vorratshaus, meist auf Pfählen
errichtet und von allen Seiten geschlossen, zu dem man auf einer Leiter hinauf⸗
steigt. Sie pflanzen Reis, Kassave, Yams, Maniok und Bananen; daneben
bieten Jagd und Fischfang reichen Ertrag. Sie treiben heute auch Handel, be—
sonders Holzhandel mit den Kaufleuten an der Küste, was Anlaß zu verderb—
lichem Vagabundieren gibt. Bei den Boninegern wenigstens ist nach Crevaur
die Würde des Granman erblich; d. h. derselbe bezeichnet denjenigen unter
seinen Söhnen oder Brüdern, der ihm nachfolgen soll. Er, von einigen Stell—
vertretern unterstützt, hat die Exekutivgewalt. Alle allgemeinen Angelegenheiten,
ebenso Streitigkeiten innerhalb des Stammes werden von einem Rate der Notabeln
berhandelt, aus welchem Männer unter 30 Jahren ausgeschlossen sind. Bei
Zwistigkeiten unter Angehörigen verschiedener Stämme wird der Rat aus beiden
genommen. Alle sitzen während der Beratung, nur wer spricht, steht aufrecht.
Ein des Mordes Angeklagter muß den Gifttrank nehmen, der aber nach Crevaux
ganz unschädlich ist. Stürzen manche nach dem Genuß nieder, so ist das nur
eine Folge des bösen Gewissens. Überführte Mörder werden lebendig auf dem
Ratsplatz verbrannt2.
Der Neger ist nicht gewohnt, sich Zwang anzutun, sondern gibt seinen
Empfindungen den offensten Ausdruck. Er ist ebenso neugierig wie gesprächig
und mitteilsam, dabei stets heiter und sorglos und sehr gastfrei, so daß er leicht
das Vertrauen der Fremden gewinnt. Doch ist er gewinnsüchtig, bettelhaft,
zudringlich und infolge der Erfahrungen, die er in der Kolonie gemacht, äußerst
mißtrauisch, argwöhnisch und rachsüchtig, und er versteht es meisterhaft, sich
zu verstellen.'
Während die Wilden sonst ihre Kinder verzärteln, halten die Buschneger
die ihrigen in strenger Zucht. Die Stellung der Frau ist eine freiere und ehren⸗
bollere als bei vielen andern Naturvölkern. Der junge Buschneger, der heiralen
will, muß sich der Zustimmung des betreffenden Mädchens und seiner Eltern
versichern. Die Mädchen heiraten oft schon im Alter von 13-16 Jahren.
Nach Jules Crevaux sind bei den Buschnegern Heiraten zwischen Geschwister—
lindern häufig, zwischen Bruder und Schwester selten. Letztere werden auch von
den Negern nicht gebilligt. Der Granman läßt junge Männer erst heiraten,
wenn sie ein Feld mit Maniok bepflanzt und eine Hütte errichtet haben s. Ehe—
scheidung gilt grundsätzlich als zulässig, wenn auch tatsächlich eheliche Treue bis
zum Tode nicht selten ist. Die Blutsverwandten des einen Gatten, namentlich
die der Frau, haben nähere Rechte an diesen als der andere Gatte, und dies
steht einer höheren Auffassung der Ehe sehr im Wege. Der Bruder, der Onkel,
die Tante und die Großmutter jedes Gatten besitzen die Befugnis, nach Be—
lieben eine Ehe, die ihnen nicht behagt, selbst wider den Willen beider Gatten,
aufzulösen. Ehebruch ohne vorherige Lösung der bestehenden Ehe gilt zwar als
Schneider a. a. O. 15. 2 Elobus XXXVII (I880) 38.
Vgl. ebd. 35.
24
Vierter Teil. Die Naturvölker Amerikas.
Verbrechen, doch kommt die Sühnung desselben nicht durch gerichtliches Ver⸗
fahren zu stande, sondern bleibt den gekränkten Ehegatten oder dessen Familie
überlassen. Um letztere dazu anzuspornen, nimmt sich der gekränkte Ehegatte
gelegentlich sogar das Leben. Seine Familie hält sich aber nicht bloß an den
Verführer, sondern auch an dessen ganze Verwandtschaft und sucht Blutrache zu
nehmen. In vielen Fällen wird jedoch schließlich die Sache durch Vermittlung
Unbeteiligter mit einer Geldbuße beglichen. „Dürfen wir den Aufzeichnungen
Johannes Kings, eines bekehrten Heiden, Glauben schenken (und wir haben allen
Grund dazu), so scheinen zwar einerseits die heidnischen Buschneger das Bewußt⸗
sein zu haben, daß sie unrecht tun, wenn sie Ehebruch und andere fleischliche
Ausschweifungen begehen. Anderseits scheint dieses Bewußtsein nicht stark und
tief genug zu sein, um sie von den Wegen des Lasters zurückzuscheuchen.“!
Nun, das ist selbst bei Christen oft genug der Fall, die doch über mehr Gnaden—
nittel verfügen als die Heiden.
Die Vielweiberei kommt bei den Buschnegern vor, ist aber eher eine Aus—
nahme. Hauptsächlich reiche und einflußreiche Männer, vor allem die Granmans
und Kapitäne, nehmen mehrere Frauen; gewöhnlich aber pflegen dann die Neben⸗
frauen in andern Kamps oder Niederlassungen zu wohnen. „Man hat oft be—⸗
hauptet, daß die sittlichen Zustände in der unter christlichem Einfluß und einer
zeordneten Gesetzgebung stehenden ‚Kolonie‘ viel schlimmer seien als unter den
heidnischen Buschnegern. Wir glauben das, wir glauben sogar, daß das von
der Kolonie‘ ausgehende Beispiel der Verlotterung entnervend und verführend
auf die Bewohner des Urwaldes zurückgewirkt hat.“
Die Buschneger sind sehr dem Aberglauben und der Abgötterei ergeben,
trotzdem haben sie eine Idee von einem einzigen Gott, Grangado, der
alles geschaffen hat. Aber er ist fern, unzugänglich, ohne Interesse für
die Erdenbewohner?. Diese hat er vielmehr an eine Reihe von Untergottheiten
gewiesen, z. B. an den Gott des Waldes, Banko oder Amuku, an den Goit
des Wassers, Bumba oder Toni, an eine ganze Unzahl von Geistern und Dä—
monen (Bakru), die teils unsichtbar umherschweifen, teils sich in gewissen Gegen⸗
ständen, Tieren, Bäumen und Gesträuchen verkörpert haben. Von Grangado
ist der ganze Götzendienst und der weitere abergläubische Apparat eingeführt
worden. Er hat denselben aber für die Neger bestimmt, nicht für die Weißen.
Unter den Tieren werden einige Arten der in Surinam —
dverehrt, z. B. die Boa constrictor. Sie wird nie absichtlich getötet, sondern
venn sie in einen Kamp kommt, mit Schmeichelworten gebeten, sich wieder zu
entfernens. Dringt sie in eine Hütte, so hegt und ätzt man sie, ja die Be—
Schneider, Die Buschneger Surinams 19.
Ebd. 21. Von den Boninegern sagt Crevaux (ebd. 35): Sie glauben an einen
zuten Gott, Gadu, welcher die Menschen, die Brüllaffen, den Reis, die Pekaris und
den Maniok geschaffen hat; seine Frau heißt Maria, sein Sohn Jest Kisti. So berichtete
ihm ein Häuptling im Dorfe Kotika. Nach dem Tode, meinte er, gingen die guten
Menschen zum Gadu, die bösen zum Didibi oder Teufel. Das find wohl Reminiszenzen
aus der Zeit, als die Vorfahren der Bonis Sklaven bei den Weißen waren. Vielleicht
hat auch der Häuptling dem christlichen Reisenden nach dem Munde geredet. Denn die
Missionäre berichten nichts von Maria und Jest Kisti.
s Vgl. oben: 1602; I 371.
J
b. Die Buschneger in Surinam (Niederländisch-Guayana). 25
wohner verlassen eher das Haus, als daß sie dem Tier Gewalt antäten, wozu
sie bei andern Schlangen schnell bereit sind. Toötet man aus Versehen eine
solche heilige Schlange, so verwahrt man den Kadaver in einem Sarg so lange,
his der Verwesungsgeruch unerträglich wird. Dann begräbt man ihn unter Toten—
klagen und allerlei abergläubischen Zeremonien, ja man führt einen Schlangen—
tanz auf, um den Geist des Getöteten zu versöhnen. Auch die Kaimans und die
veißen Holzameisen sind den Negern heilig und unverletzlich, desgleichen manche
Bäume und Gewächse!. Manche Pflanzen dienen als Zaubermittel gegen
Krankheiten, Vergiftungen, Diebstähle usw. Auch in ihren Fetischen weisen die
Buschneger auf ihre afrikanische Heimat hin.
Beim krassen Aberglauben der Buschneger darf es nicht wundernehmen, daß
die Zauberdoktoren, die Wissiman, Obiaman, Wintiman oder, wenn es sich um
eine Frau handelt, Wintimama usw. heißen, eine mächtige Rolle spielen. Sie
dellen die Fetische, Götzenbilder und Obias her und laffen sich dafür gut be—
zahlen. Sie sind auch Giftmischer, verfügen, wie die Neger annehmen, über
übernatürliche Zauberkräfte und werden deshalb bei wichtigen Unternehmungen
tets um Rat gefragt. Bei Ausübung ihrer Zauberkünste geraten sie oft in eine
Art Besessenheit, in der sie laut schreien und flehen: „Ach, unser Vater, tue
uns kein Leid an, verschone uns, wir wollen dir Opfer bringen“, und dann
die Opfer bezeichnen, die verlangt werden. Die Zauberer heilen auch die Krank—
heiten, die nach diesen Wilden nie eine natürliche Ursache haben. Entweder hat
Gott seine Hand an den Kranken gelegt und, wenn letzterer stirbt, eine Kette
dom Himmel herunterhangen lassen, um den Toten daran heraufzuziehen, oder
der Winti (böse Geist) oder einer der Jorkas, der Geister der Abgestorbenen, ist
in ihn hineingefahren, oder endlich ein persönlicher Feind hat ihm Wissi (Gift)
beigebracht. Das letztere wird mit Vorliebe angenommen. Der Zauberer sucht
aun auf verschiedene Weise, z. B. durch Betrachtung der Eingeweide von
Hühnern, die Todesursache zu ermitteln. Zuweilen bezeichnet er aus Rachsucht
oder Gewinnsucht einen ganz Unschuldigen als Urheber des Todes, und dieser
wvurde früher in der grausamsten Weise mißhandelt und umgebracht. Auch heute
noch müssen diese Unglücklichen Mißhandlungen erdulden, wenn es ihnen nicht
zelingt, zu entfliehen oder die Angehörigen des Verstorbenen durch Geschenke zu
versöhnen?.
Die Leichen werden 6, 8, 10 und mehr Tage nach dem Tode nicht be—
erdigt, damit man lange am Sarge trauern könne. Morgens und abends wird
im die einen entsetzlichen Geruch verbreitende Leiche gesungen, getanzt, ge⸗
heult und mit Flinien geschossen. Der Wintiman leitet alle diese Gebräuche.
Kommt endlich die Beerdigung, so gibt man der Leiche noch Kleidungsstücke
und allerlei Geräte mit ins Grab, in dem Glauben, alles das folge dem Toten
in die andere Welt und verbessere dort sein Los. Ein großes Totenfest zu
Ehren des Verstorbenen mit Tänzen, Spielen und Mahlzeiten beschließt fürs
erste die Totenfeier. Stirbt jemand in der Ferne, so wird zwar die Leiche am
Nach Crevaux (ebd. 35) hatte jede Familie ihr besonderes heiliges Tier (Totem?),
diese den Brüllaffen, jene die Schildkröte, eine dritte den Kaiman usw.
»Schneider a. a. O. 28.
26
Vierter Teil. Die Naturvölker Amerikas.
Orte des Todes bestattet, aber ein Teil des Haupthaares wird ihr abgeschnitten
und in die Heimat des Toten gebracht, um dort eingegraben zu werden. Das
Haar eines jeden verstorbenen Aukaners wird dagegen in den Kamp des Gran—
mans gesandt. Dort hat nämlich die Granmama, die Urahne des ganzen
Stammes, gewohnt, dort hat sie ein aus Afrika mitgenommenes Samenkorn in
den Boden gesteckt, aus dem ein großer Baum entstanden ist. Unter diesem
Baume werden nun alle Haare der Aukaner begraben, denn die Granmama
will keines ihrer Kinder missen. Am Jahrestag des Todes veranstaltet man
unter Leitung der Wintimäner große Feste zum Gedächtnis der Abgeschiedenen!.
7. Die Angaben de Laets über die Eingebornen Guayanas.
Diesen neueren Nachrichten über die Eingebornen in Guayana fügen wir
zur Ergänzung einige Angaben bei, die wir bei de Laet? über die Bewohner
an der Küste von Cayenne (Guayana) finden. Außer den Kariben nennt er
als Einwohner dieses Landes die Jajoi (Jaoi?), Sapazoi, Arwakken, Maji usw.
Sie alle leben in beständigen Kriegen miteinander. Im Innern leben noch
andere wilde Stämme, die noch wenig erforscht sind, da sie oft ihre Wohnsitze
ändern. Sie sind träg, verabscheuen den Ackerbau und begnügen sich mit dem,
was ihnen die Natur von selbst bietet. Sie haben fast keine politische Or—
ganisation, nur hat jede Provinz, ja jedes Dorf seinen König oder Kaziken,
dem man aber nur gehorcht, solang man will. Nur zwei Verbrechen sollen
sie durch eigens dazu bestellte Henker bestrafen: den Mord und den Ehe—
bruch. Jeder Mann hat mehrere Frauen und wacht sehr eifersüchtig über
die Keuschheit derselben. Ertappt er eine auf dem Ehebruch, so schlägt er
ihr und dem Schuldigen den Schädel ein, ohne sich um ein Gerichtsverfahren
zu kümmern. Viele Weiber zu besitzen, gilt als große Ehre und als ein Beweis
des Reichtums. Denn besonders die älteren Weiber müssen wie Sklaven dienen
und alle Hausarbeiten verrichten, während der Mann nichts tut oder sich
gmüsiert.
Von den Stämmen an der Küste sagt de Laet, Männer und Frauen
bleiben meist nackt, nur verhüllen sie zuweilen die Schamteile, mehr aus Liebe
zum Schmuck als aus Scham. Daran darf man wohl billig zweifeln. Übrigens,
wenn sie es mehr aus Liebe zum Schmuck als aus Scham tun, so spielt auch
diese dabei eine Rolle. Religion haben sie keine, meint de Laet. Sie ver—⸗
ehren zwar Sonne und Mond, die sie für lebende Wesen halten, aber sie beten
fie nicht an und bringen ihnen auch keine Opfer dar, soweit man bisher
beobachten konnte. Sie haben auch keine religiösen Zeremonien, ausgenommen
bielleicht bei den Begräbnissen der Toten. Denn bei der Bestattung der Kaziken
halten sie mehrere Tage lang Trinkgelage, bei denen sie sich mit Pornouw be—
trinken, während die Frauen inzwischen den Toten mit lautem Geheul beklagen
und dabei, wie es scheint, einige abergläubische Gebräuche beobachten. Wie keine
Schneider, Die Buschneger Surinams 29.
2 Novus orbis seu descriptionis Indiae occidentalis libri XVIII, Lugduni Batav.
1633. 1. XVII. c. 10, p. 640 ff.
1. Die Wilden im Gebiete des Orinoko.
27
Opfer, so haben sie auch keine eigentlichen Priester, sondern nur Wahrsager
und Zauberer, die sie Peaien nennen und von denen sie betrogen werden.
Denn diese Peaien behaupten, mit dem Teufel, den sie Wattipa nennen, häufig
zu reden und von ihm zu erfahren, was in entfernten Gegenden geschehe oder
in Zukunft geschehen werde. Sie halten diesen Geist für böse, und nicht mit
Unrecht, da sie nicht selten von ihm gegeißelt werden. Einige von den Un—
serigen haben auch beobachtet, daß mehrere von diesen Barbaren, besonders die
Jai (Jaji) eine Gottheit verehren, die Tamucu heißt und von der
sie glauben, daß sie in der höheren Luftregion wohne und die Dinge hienieden
nach Belieben lenke. Am Morgen und am Abend pflegen sie dieselbe anzu—
beten. Doch scheint das eine ausschließliche Eigentümlichkeit dieser Barbaren
zu sein. — Die meisten glauben an die Unsterblichkeit der Seele und
meinen, die Verstorbenen, die gut gelebt haben, zögen in den Himmel
hinauf, den sie Caupo nennen, diejenigen aber, die schlecht gelebt, würden
in das Innere der Erde hinabgestoßen, das sie Soy nennen. Deshalb pflegen
sie, wenn ein Kazike oder ein Vornehmer stirbt, einen seiner Sklaven oder,
wenn er keinen hat, einen der Diener zu töten, damit dem Verstorbenen im
andern Leben die Bedienung nicht fehle.
Diese Wilden sind nach de Laet sehr furchtsam, argwöhnisch und rach—
süchtig, deshalb können ihnen auch die Peaien leicht die überzeugung beibringen,
wenn jemand frühzeitig starb, der Tod sei von diesem oder jenem beschleunigt
worden, woraus sich viele Feindschaften und nicht selten Totschläge und andere
UÜbel ergeben!.
Zweites Kapitel.
Die Eingebornen Venezuelas.
. Die Wilden im Gebiete des Orinoko.
Südlich vom Orinoko bis in das Innere von Guayana lebte schon im
16. Jahrhundert das zahlreiche und mächtige Volk der Epuremeer. Von
hnen berichtet Walter Raleighz, sie haben dieselbe Religion, welche die
Inkas, die Kaiser aus Peru, mit sich gebracht haben. Sie glauben an die
Unsterblichkeit der Seele, beten die Sonne an und lassen ihre liebsten Weiber
lebendig mit sich begraben zugleich mit ihren Schätzen. Von den Orekoponi
an den Ufern des Orinoko sagt derselbe Raleigh, sie würden nach dem Tod
nicht mit ihren Weibern begraben, wohl aber würden sie mit allen ihren Kost—
barkeiten bestattet, von denen sie hoffen, sie nach der Zeit wieder zu besitzen
und zu genießen. Die Arawaken pflegen, wenn ein Vornehmer oder auch
eine von ihren Frauen gestorben und das Fleisch verwest ist, die Gebeine zu
Ebd. 642.
8 Wahrhaftige Beschreibung des goldreichen und herrlichen Königreichs Guayana, zu
dieser Zeit bewohnt von den alten Einwohnern von Peru usw., allesamt erfunden im
Jahre 1595 und 15096 durch Walt. Raleigh; deutsch durch Aug. Cass. Reinius.
Frankfurt a. M. 1599. 46
28
Vierter Teil. Die Naturvölker Amerikas.
Pulver zu zerstoßen und dieses Pulber in alle ihre Getränke zu mischen. Alle
Männer nehmen mehrere Weiber, die Herren fünfmal so viel als der gemeine
Mann. Die Weiber essen nie mit den Männern oder in Gesellschaft von
Männern, sie bedienen dieselben beim Essen und speisen nachher allein an
einem abgesonderten Ort. Die Frauen, welche ihre jungen Jahre hinter sich
haben, backen das Brot, bereiten den Trank, verfertigen die baumwollenen
Hängematten und verrichten sonst alle Arbeiten; denn wenn die Männer nicht
im Kriege sind, tun sie nichts anderes als jagen, fischen, Kurzweil treiben und
trinken. — Die Sitte, die Toten mit allen Kostbarkeiten zu begraben, war
an der Mündung des Orinoko allgemein. Raleigh erfuhr, daß ein Kazike
im Tal Ameriocapana kurz vor der Ankunft der Engländer mit einem goldenen
Sessel begraben wurde, der von schöner Arbeit und zu Manoa oder Mer—⸗
rareguarai gemacht worden war.
Genauere Nachrichten über die Indianer am Orinoko, besonders im Innern,
haben wir erst aus dem 17. und 18. Jahrhundert. Vor allem hat sich
P. Jos. Gumillaus. J. lange bei diesen Wilden aufgehalten und ihre Sitten
eingehend geschildert. Allgemein klagen die Missionäre über die gänzliche Ver—
vahrlosung, in der man die Indianer antraf. Wie es scheint, gingen viele
vollständig nackt, Männer und Weiber, und sie traten in diesem paradiesischen
Kostüm mit solcher Unbefangenheit auf, daß man hätte glauben sollen, das
Schamgefühl sei ihnen vollständig fremd, und doch war dem nicht so. Es
handelt sich hier eher um eine Verirrung als um ein Fehlen des Schamgefühls.
Einige Missfionäre teilten unter die Indianer, besonders unter die Weiber,
etwas Leinenzeug aus und suchten sie zu überreden, sich wenigstens ein bißchen
anständig zu bedecken. Aber umsonst. Sie warfen die Leinwand in den Fluß
oder versteckten sie, um sich nicht bedecken zu müssen. Und als man sie fragte,
warum sie dies täten, antworteten sie, sie schämten sich, sich zu bedecken?.
Sie wollten nicht auffallen und nicht ausgelacht werden. Doch es dauerte
nicht lange, so änderte sich das, und bald hatten die Missionäre nicht Leinwand
genug, um allen Bedürfnissen zu entsprechen. J
Außerdem ist zu beachten, daß sich die Indianer mit Ol und Fett am
ganzen Leibe salbten und diese Prozedur die Kleidung in gewisser Beziehung
ersetzte. Als ein Missionär einige Indianer bei der Christenlehre vermißte und
fie holen ließ, kam der Bote mit der Nachricht zurück, sie könnten nicht kommen,
weil sie nackt seien. „Aber wie“, fragte der Missionär, „es sind ja alle andern
auch nackt?“ „Jawohl“, lautete die Antwort, „aber diese sind gesalbt.“ Es
scheint also das Salben und Bemalen des Leibes bei den Indianern die Stelle
der Kleidung einzunehmens.
Eigentliche Gesetze und geordnete politische Einrichtungen scheinen bei den
heidnischen Orinoko-Indianern — und nur von ihnen reden wir im folgenden —
nicht vorhanden gewesen zu sein. Doch verrieten sie einige dunkle Kennt—
nisse des natürlichen Sittengesetzes, das Gott in die menschliche Natur
Historia natural, civil y geografica de las Naciones situadas en las Riveras
del Rio Orenoco. Das Werk erschien zuerst im Jahre 1741 und hat mehrere Auflagen
erlebt. Wir zitieren nach der Ausgabe von Barcelona 1791 -1792, 2 Bde.
2 Ebd. 1122. 3 Ebd. 123.
1. Die Wilden im Gebiete des Orinoko. 29
gelegt. Deshalb erkennt der Mörder seine Missetat, wenn der Getötete nicht
erklärter Feind seiner Nation ist, und wegen des bösen Gewissens oder aus
Furcht vor Vergeltung verbirgt sich der Täter. Alle diese wilden Völker ver—
abscheuen die Räuber, aber alle haben eine große Neigung zum Stehlen,
obwohl es nicht viele und wichtige Dinge sind, nach denen sie verlangen. Den
Ehebruch der Weiber empfinden sie alle als Unrecht, aber nur die Kariben
strafen die Ehebrecher streng, indem das ganze Volk auf öffentlichem Platze sie
tötet. Bei andern Stämmen besteht die ganze Rache des beleidigten Ehe—
mannes darin, daß er so oft der Frau des Ehebrechers beiwohnt, als dieser
sich mit seiner Frau vergangen hat. Jeder CEhebrecher sieht es als selbst—
verständlich an, daß der Beleidigte sich auf diese Weise Satisfaktion verschafft.
Es gibt sogar Wilde, die sich für bestimmte Monate die Weiber gegenseitig
leihen; nach Ablauf der bestimmten Zeit kehren die Weiber zu ihren Männern
zurück, und sie scheinen das Naturwidrige eines solchen Vertrages gar nicht zu
empfinden.
Die einzelnen Stämme sind Abkömmlinge von einer Familie, und sobald
eine Familie zu zahlreich wird, trennen sich die Söhne und bilden einen neuen
Stamm. Alle Indianer derselben Sprache nennen sich Brüder, doch wird diese
Brüderschaft nicht durch eigentliche Gesetze gestützt, nur besteht ein stillschweigender
Vertrag, kraft dessen sie bereit sind, sich zu verteidigen und andere anzugreifen,
wenn sie das für gut finden, und dann erklingt die Kriegstrommel oder wird
durch Boten und Aufpflanzen eines Pfeiles an einem öffentlichen Ort das Zeichen
zum Ergreifen der Waffen gegeben. Im Krieg herrscht, obwohl sie ihre
Kaziken oder Häuptlinge anerkennen, keine Unterordnung und Disziplin. Der
Krieg besteht, da sie zu feig sind, um handgemein zu werden, fast nur im
Auflauern aus den Hinterhalten und allerlei Listen.
Die großen Häuptlinge haben oft zehn bis zwölf und mehr Weiber, meist
eher aus Großtuerei und Prachtliebe als aus andern Gründen. Von Ordnung
und Regierung ist in diesen Häusern keine Rede, ebensowenig von Erziehung
der Kinder. Solange diese klein sind, werden sie von ihren Vätern mit über⸗
triebener Liebe behandelt, und das beste Mittel für die Missionäre, um diese
rauhen und harten Wilden zu bezwingen, ist, ihren Kindern recht liebevoll zu
begegnen, sie zu liebkosen und sie auf die Arme zu nehmen. Und wenn sie diese
zerstreuten Familien an einen Ort gesammelt haben und der Missionär die
Kinder für die Schule und die fähigsten für die Musik auswählt, so ist das
eine Gunst, welche endlich die Väter an sie fesselt. — Aber diese übertriebene
Zärtlichkeit der Vuter für die Kinder wandelt sich in Härte, sobald diese an—
fangen größer zu werden; sie behandeln sie dann, als ob sie sie nie gekannt
hätten. Sie befehlen ihnen nichts, sie tadeln sie nicht wegen ihrer Fehler, ja
sie fürchten sich vor ihnen.
Als ein Junge in Gegenwart eines Spaniers seinem Vater einen Schlag
dersetzte, forderte der Spanier entrüstet den Vater auf, den Sohn zu züchtigen.
Aber derselbe antwortete ihm: „Unsere Söhne sind nicht wie die eurigen; wenn
ich jetzt meinen Sohn züchtige, so wird er mich, wenn er noch älter geworden,
töten.“ Einen ähnlichen Fall erzählt Gumilla aus seiner eigenen Erfahrung.
Es war im Jahre 1716. Das ganze Volk, das man erst vor kurzem aus den
30
Vierter Teil. Die Naturvölker Amerikas.
Wäldern gesammelt hatte, trug Balken zum Bau der Kirche herbei. Die Kinder
und Knaben waren schon getauft. Die Erwachsenen wünschten getauft zu
werden, und manche von ihnen hatten die Taufe erhalten, die nur als Gunst
nach Proben der Beharrlichkeit erteilt wird. Bei dergleichen öffentlichen Arbeiten
hilft sonderbarerweise kein Indianer dem andern, und wäre es selbst sein
Vater oder Bruder. Jeder tut das, was ihm der Missionär durch den Häupt—
ling befiehlt, der allein eine wenn auch geringe Autorität hat. Auch ein
schon getaufter alter Mann, mit Namen Longinus, verrichtete die ihm auf—
getragene Arbeit. Da kam sein erwachsener und ebenfalls getaufter Sohn
Paul und sagte zu ihm: „Das, was du tust, ist meine Sache.“ Aber der
Greis antwortete: „Du irrst, das ist meine Arbeit.“ Diese sanfte Antwort
irgerte den Sohn, und in seinem Zorn versetzte er dem Vater eine so schallende
Ohrfeige, daß es viele, die an der Arbeit waren, hörten. Die Knaben der
Christenlehre und der Schule erhoben ein Geschrei. Der Vater ergriff seinen
Sohn und zog ihn weinend bei den Haaren zu mir herbei, das übrige Volk
klagte den Paul an, der sich verteidigte und behauptete, die andern lögen, er
habe den Vater nicht geschlagen. Der Greis aber hörte nicht auf zu weinen.
Da ich die Spuren des Schlages am Kopfe sah, sagte ich zu Paul: „Wie
kannst du es leugnen, da hier das klare Zeichen deiner sündhaften Tat sichtbar
ist?“ „Ja, er hat mich geschlagen“, rief der Alte; kaum aber haätte er das
gesagt, so gab ihm sein Sohn im Zorn einen neuen Schlag. Da ließ ich
bier starke Indianer kommen, um den bösen und grausamen Sohn zu er—
greifen, gab dem Vater eine Geißel in die Hand und befahl ihm, diese
Missetat zu züchtigen, indem ich allen Anwesenden erklärte, das sei Gottes
Gebot, und wenn die Väter ihre Söhne nicht straften, würde Gott selbst die
Strafe in die Hand nehmen. Der Vater gab dem Sohne drei Hiebe auf
die bloßen Schultern. Da ich das Stillschweigen der ganzen Menge sah und
bemerkte, daß der Schuldige die Buße stillschweigend ertrug, so legte ich mich
ins Mittel und bat den Alten, dem Sohn zu verzeihen, was er tat. Der
Sohn küßte ihm kniend die Füße, dann die Hände, bat ihn um Verzeihung
und machte so durch das gute Beispiel das Argernis wieder gut. Der Greis
zeigte sich befriedigt, nicht aber Gott, wie es scheint. Denn wenige Tage
darauf fiel Paul in eine schwere Krankheit, die ihn zu einem Skelett abmagerte.
Als aber der Vater ein Jahr später starb, erholte sich Paul wieder, und heute
gibt er dem ganzen Volk ein sehr gutes Beispiel!1.
Was bei diesen Wilden am meisten wirkt, das ist — nächst der Verkündigung
des Gesetzes Gottes — die gute Erziehung, welche der Missionär ihren Kindern
zuteil werden läßt. Während sie selbst ohne Erziehung aufgewachsen find,
freuen sie sich, zu sehen, wie ehrfurchtsvoll und gehorsam ihre Kinder ihnen
begegnen. Ganz besonders verwundern sie sich, wenn die Kinder bei der
Heimkehr aus der Christenlehre und der Schule Gott loben, bevor sie durch die
Türen eintreten und nachher ihren Vätern und Müttern ehrfurchtsvoll die
Hände küssen. Das öffnet ihnen die Augen, und sie sehen, daß das zipvilisierte
Gumilla, Historia natural usw. 138.
1. Die Wilden im Gebiete des Orinoko.
31
deben doch besser ist als ihr früheres wildes, und sie gewinnen das Christentum
lieb, das so gute Lehren bringt.
Die Kinder ihrerseits helfen den Missionären sehr viel, ohne es zu wissen;
denn fie geben den Eltern die für die Christenlehre bezeichneten Stunden an,
damit sie denselben beiwohnen; sie erklären ihnen, was sie nicht verstanden, sie
benachrichtigen die Missionäre, wenn einer erkrankt oder wenn ein Kind geboren
ist, damit es getauft werde. Kein Wunder deshalb, daß der Missionär diese un—
schuldigen, in der Christenlehre wohlunterrichteten Kinder, die er in den Wäldern
mit Mühe und Schweiß zusammengesucht, besonders schätzte und liebte.
Ein besonderes Lob spenden die Missionäre fast allgemein den Salivas,
die in maucher Beziehung besser waren als die meisten andern Stämme am
Drinoko 1. Zwar haiten auch sie die allen Wilden gemeinsamen Fehler: sie
waren unwissend, unmäßig und zum Teil dem Trunk ergeben usw.; aber
anftmütig, beständiger als die andern und sehr gastfreundlich. In Bezug auf
Vielweiberei und Ehescheidung gleichen sie den übrigen Indianern. Sie sind
aber mehr als die andern auf ihren Nutzen bedacht und halten viel auf den
Vesitz zahlreicher und kostbarer Waffen, doch wagen sie dieselben kaum zu ge—
brauchen. Wenn man sie ermahnt, sich zur Wehr zu setzen, so antworten sie:
Ansere Ahnen kämpften nicht, deshalb tun auch wir es nicht. Hierin liegt der
Grund, warum sie sich von den Kariben haben unterjochen lassen und an Zahl
sehr zurückgegangen sind. Die Männer der Salivas sind viel mehr verweichlicht
als die Weiber, das zeigt sich sogar im Reden. Sie reden leise in näselndem
Ton, während die Weiber laut und unbefangen reden. Die Last der Arbeit,
sowohl im Haus als auf dem Feld, ruht ganz auf den Schultern der Weiber,
mehr noch als bei den andern Stämmen. Diese müssen morgens und abends
den Männern das Haar kämmen und flechten, sie salben und bemalen, womit
sie viel Zeit verlieren.
Gumilla klagt sehr über die sittliche Verwahrlosung der Orinoko-Indianer;
trotzdem, fügt er bei, „erkennen die Nationen, über die ich schreibe, die sittliche
Schlechtigkeit des Mordes, des Ehebruchs und des Diebstahls, und die
Schuldigen fliehen entweder oder verbergen nach Möglichkeit ihre Verbrechen;
sie gehen auch keine Ehen zwischen Brüdern und Schwestern ein, und bei
inigen Stämmen finden unter den Verwandten bis zum vierten Grade keine
Chen statt. Bei Unglücksfallen und Wiberwäͤrtigkeiten richten sie ihre Blide
zum Himmel und gebrauchen einige ihrer Sprache eigentümliche Ausrufe,
. B. Ayaddi! Acaya! Ayo! Paya! Guahamijideya! und andere ähnliche, mit
denen sie sich um Schutz oder Gunst nach oben wenden.““ Sie können sich
über diese Dinge nicht klar ausdrücken, es handelt sich, wie Gumilla meint,
Am eine natürliche Regung, mit der sich das Geschöpf in seinem Leiden an die
erste Ursache wendet, nach den Worten Ciceross: Quid potest esse tam
pertum cum coelum suspeximus quam esse aliquod numen praestan-
tissimae mentis, quo haec reganturꝰ
J Beim Stamm der Achaguas existierte auch die Überlieferung von der
Sündflut, die sie Catena Manba. d. h. allgemeine Üüberschwemmung der Erde.
Ebd. 188 ff. 2 Ebd. II 6. s De natura Deorum IJ. 2.
32
Vierter Teil. Die Naturvölker Amerikas.
nannten. „Drei andere Stämme haben auch ein Wort, mit dem sie in ihrer
Weise Gott bezeichnen (hoffentlich werden Zeit und Erfahrung das auch bei
andern Stämmen aufdecken, die bis jetzt noch keine Spur verrieten, daß sie
ihn kennen oder einen Namen fuür ihn besitzen), doch hat man bisher noch
keine äußeren Zeremonien der Gottesberehrung entdeckt; auch sind die Worte,
mit denen sie nach Verschiedenheit ihrer Sprache Gott bezeichnen, nicht so klar
hestimmt, daß man eine ganz sichere und bestimmte Bedeutung festsetzen könnte.
Deshalb gebrauchen wir in der ‚Christenlehret, die wir in ihre Sprache über—
setzen, das Wort Dios und die übrigen spanischen Wörter, die zur Erklärung
der Geheimnisse unseres heiligen Glaubens nötig sind.“
Die Kariben nennen Gott Quiyumocöon, d. h. „Unser Großer Vater“,
aber es ist nicht klar, ob sie damit nicht die erste Ursache aller Dinge oder
den ältesten ihrer Ahnen bezeichnen; deshalb vermieden die Missionäre, wie schon
hemerkt wurde!, dieses Wort, wenn von Gott die Rede war. Die Salivas
sagen, der Puru habe alles Gute gemacht, er lebe im Himmel, sein Sohn
habe jene Schlange getötet, welche die Leute umbrachte. Die Betoyes sagten
vor ihrer Bekehrung, die Sonne sei Gott, und sie nennen in ihrer Sprache
Gott Theos wie die Griechen, aber keiner von diesen drei Stämmen erweist
dem Puru, Theos oder Quiyumocön irgend welche Verehrung oder Anbetung.
Nirgends in diesen weiten Länderstrichen, schreibt Gumilla, haben wir bis
heute eine Spur von Götzenanbetung (Idolatria) gefunden. Das ist ein
Hindernis weniger für die Bekehrung. Nur bei den Betoyes hatte ich in dieser
Beziehung etwas Schwierigkeit. Sie hielten früher die Sonne für Gott und
wollten dem Missionär nicht glauben, daß sie Feuer sei. Da nahm er eine
Kristalllinse, ergriff die Hand des gescheitesten Häuptlings und fragte ihn, ob
die Sonne Gott sei. Als er ja sagte, rief der Missionär: „Wann werdet ihr
mir endlich glauben? Die Sonne ist nur Feuer.“ Dann hielt er die Linse
zwischen die Sonne und den Arm des Häuptlings, so daß die Sonne ihm
den Arm verbrannte und eine starke Hautblase entstand. Jetzt rief der Häupt—⸗
ling: „Wirklich, die Sonne ist Feuer.“ Alle Wilden wollten nun dasselbe
Experiment durchmachen; von da an sagten sie nie mehr, die Sonne sei Gott,
sondern die Sonne sei Feuer?.
Der Missionär erzählt auch folgende Begebenheit, aus der sich klar der
Glaube an die Unsterblichkeit der Seele ergibt. Er sagte den Wilden
oft, wenn sie nicht an seine Lehre glaubten, so würden sie einst ewig im Hause
des Feuers gequält, wo die Teufel wohnen (Demonios ist der Ausdruck, den
sie in ihrer Sprache gebrauchen). Einst kam ein Indianer, namens Cagiali,
zu ihm, um sich über diesen Punkt noch mehr belehren zu lassen. Als der
Missionär ihm alles erklärt hatte, fing Cagiali an zu weinen und rief:
„O Pater, wie konnte Gott das tun? Dann sind alle meine Voreltern verloren
and werden jetzt im Feuer gequält, weil Gott ihnen nicht die Väter geschickt
hat, um sie zu belehren.“ Der Missionär hatte Mühe, ihn zu trösten und
ihm klar zu machen, daß die Ursache der Verdammnis nicht Gott, sondern die
Sünden der Voreltern gewesen seien, wegen deren sie unwürdig waren, daß
Vgal. oben S. 3. 2 Gumilla, Historia natural usw. II 8-9.
1. Die Wilden im Gebiete des Orinoko. 33
ihnen Gott Prediger schickten. Übrigens war die Antwort des Missionärs zu
streng. Auch ein Heide kann mit der Gnade Gottes gerettet werden, wenn er
tut, was an ihm liegt, und das natürliche Sittengesetz befolgt, soweit er es kennt.
Der Glaube an das Fortleben der Seele nach dem Tode ergibt sich auch
klar aus den Totengebräuchen der Orinoko-Indianer. Die Totenklage
dauerte, wenigstens wenn der Verstorbene ein Häuptling gewesen, sehr lange
und wurde am Jahrestage des Todes wiederholt. Der Tote wurde mit seinen
Waffen und Gerätschaften begraben. Vor der Ankunft der Missionäre scheinen
die Wilden beim Begräbnis der Vornehmen auch eine Frau des Verstorbenen
mitbegraben zu haben, damit sie ihrem Manne im Reich der Toten diene.
Etwas Genaueres über die Vorstellungen der Indianer, betreffend das Los der
Verstorbenen, erfahren wir nicht.
Der Missionär lobt die große Umwandlung in den Sitten der Wilden seit
ihrer Bekehrung. Wenn sie ihr späteres Leben mit dem früheren verglichen,
sagten sie oft: „Gott wird es dir lohnen, Pater; denn dir verdanken wir es,
daß wir jetzt ein vernünftiges Leben führen.“ Viele Indianer begingen nach
ihrer Bekehrung kaum mehr eine schwere Sünde. Gefragt, ob sie etwas Böses
getan, antworteten sie oft: „Nein, seitdem ich weiß, daß Gott durch die Sünden
beleidigt wird und daß er sie bestraft, tue ich nichts Böses mehr.“
„Ich habe schon im vorigen Kapitel gesagt“, schreibt Gumilla, „daß auch
bei den am meisten verwahrlosten Wilden die wenn auch ver—
dunkelte Kenntnis vorhanden ist, kraft deren sie das Gute
und Böse, das Erlaubte und Unerlaubte unterscheiden.“ Nach
Gregorio Garcia und andern Schriftstellern hatten die Mexikaner und Peruaner
bor der Eroberung durch die Spanier die Gebote des Dekalogs klar
erkannt und ihre Übertretung streng bestraft. Er erzählt einige auffallende
hierauf bezügliche Beispiele. Der berühmte Apostel Brasiliens, Joseph Anchieta,
hatte sich einst verirrt und kam nach langem Umherirren in einer Wüste zu
kiner Hütte, in der ein alter Indianer, das leibhaftige Bild des Todes, lag.
Anchieta erforschte den Kranken und fand, daß er das natürliche Sittengesetz
genau beobachtet hatte. Er unterrichtete ihn, und kaum getauft starb derselbe,
als ob er nur auf die Taufe gewartet hätte, um zu einem besseren Leben ein—
zugehen 2. Eine ähnliche Geschichte erzählt Cinaloa in seiner Geschichte der
Apostolischen Mission der Jesuiten in Neuspanien. Durch Zulassung oder Fügung
—VDDO
eine eingehende Prüfung ergab, daß derselbe keine schwere Sünde auf dem Herzen
hatte, sondern nur die Erbschuld und die kleinen Fehler, die mit der Schwäche
der menschlichen Natur fast notwendig verbunden sind. Sie hatten noch Zeit,
ihn zu unterrichten und zu taufen, bevor er starb. Andere derartige Fälle er—
zählt Gumilla noch mehreres.
Die Indianer am Orinoko glauben alle an den Teufel, den die Achaguas
Tanasimi, die Betohes Memelu, die Guajivas Duati, die Guaraunos Jebo
nennen; sie erweisen ihm aber keine Verehrung und halten ihn für den An—
stifter don allem Unheil: von Kraäntheilen, Tod, Mißernte usw.“ Es gibt
Ebd. 10. 2 Ebd. 13. 8Ebd. 14. 2Ebd. 24.
A
34
Vierter Zeil. Die Naturvölker Amerikas.
unter ihnen schlaue Betrüger oder Medizinmänner, von denen behauptet wird,
daß sie mit dem Teufel verhandeln; sie sind geachtet und gefürchtet und wissen
sich auf Kosten der Leute zu bereichern.
Mit Ausnahme der Guajiva⸗- und Chiricoastämme, die nur von Fischfang,
Jagd und wilden Früchten leben und deshalb beständig auf Wanderung be—
griffen sind, bebauen die Indianer bis zu einem gewissen Grade den Boden.
Sie pflanzen etwas Mais, Maniok und Pfeffer. In den schon christlichen
Gemeinden geht man in folgender Weise zu Werk. Bevor man das Feld
besät, wird es abgebrannt, dann wird ein Tag bestimmt für das Saatfeld des
Kaziken, eine Arbeit, bei der alle gern mithelfen. Nach der Arbeit bereitet
die Frau des Kaziken ein Mahl für alle, die sich an der Arbeit beteiligten.
Nach dem Mahl sagt der Kazike, wessen Feld am folgenden Tage bepflanzt
werden solle; sind die Felder der Verheirateten besorgt, so kommen die der
armen Witwen an die Reihe; zuletzt arbeitet man für die Kirche bzw. für
die Schulkinder und die kleinen Waisen der Christenlehre. So lernen sie für—
zinander arbeiten und haben immer alle genug zum Leben. — Alle übrige
Arbeit auf den Feldern überlassen die Indianer den Weibern.
Interessant ist, wie sich viele Orinoko-Indianer bei einer Mondfinsternis
henehmen. Sie glauben dann, der Mond sei sterbenskrank, und fangen an zu
schreien und zu weinen, und die Weiber halten Feuerbrände in den Händen,
um sie unter dem Sand oder unter der Erde zu verbergen. Der Mond merke
das, werde durch die Tränen gerührt und bewogen, am Leben zu bleiben.
Die Ehe kommt durch eine Art Brautkauf zustande. Der Bräutigam
muß dem Vater der Braut einen Preis bezahlen, der aber gewöhnlich sehr
klein ist. Bei einigen Stämmen wird auch, wenn ein Knabe geboren ist, auf
die Geburt des nächsten Mädchens gewartet, und sobald dies geboren ist,
kommen die Väter überein, die Kinder zu verheiraten, da eines dem andern
bei der Geburt gefolgt sei, und damit ist die Ehe geschlossen. Sobald der
Knabe anfängt, Waffen zu tragen, bringt er alles, was er in seine Gewalt
bekommt, dem Mädchen; eine Art Tribut, den er bezahlen muß, bis man ihm
zu seiner Zeit das Mädchen zur Frau gibt.
Die Vielweiberei scheint allgemein erlaubt gewesen zu sein, aber nur wenige
besaßen tatsächlich mehrere Weiber, und zwar aus dem einfachen Grunde, weil
sie nicht mehrere erlangen konnten. Die Ehescheidung war, wie es scheint,
ganz in das Belieben der Ehegatten gegeben, die aus jeder kleinsten Ursache
einander verließen.
2. Die Eingebornen im Norden von Venezuela.
1. Von den Eingebornen am Golf von Paria, wo Kolumbus zuerst das
südamerikanische Festland betrat, sagt Gomara, sie seien in ihren Sitten,
ihrer Religion und ihren Gebräuchen ganz ähnlich den Bewohnern der Küste
bei Cumana, im heutigen Venezuela. Wir könnten deshalb die Schilderung,
die Gomara von Cumana entwirft, als für die ganze Nordküste von Bermudez
geltend ansehen. —
2. Die Eingebornen im Norden von Venezuela.
35
Die Männer dieses Landes (Kariben?), sagt Gomara!, gehen nackt, nur
binden sie die Schamteile nach innen oder bedecken sie mit Kürbisstielen, Muscheln,
Röhren, Baumwollstreifen oder kleinen Goldröhrchen. Im Kriege tragen sie
wollene Decken und Federbüsche, bei Festen und Tänzen beschmieren und be—
malen fie sich und schmücken sich mit verschiedenfarbigen Federn. Die Bart—
haare rupfen sie aus, die Zähne schwärzen sie; diejenigen, die weiße Zähne
haben, nennen sie Weiber. Die ledigen Mädchen bleiben ganz nackt, und auf
die Jungfräulichkeit wird kein Wert gelegt. Doch fügt Gomara hinzu: Die
Vornehmen sperren ihre Töchter zwei Jahre vor der Heirat ein; während dieser
Zeit gehen sie nie aus und schneiden sich die Haare nicht. Das kann wohl
leinen andern Zweck haben als den Schutz der Reinheit. Die verheirateten
Frauen tragen eine Art Hose oder Schürze und leben ehrbar. Im Falle des
Ehebruchs werden sie verstoßen und der beleidigte Ehemann züchtigt den
Verführer. Die vornehmen und reichen Männer halten so viele Frauen, als
sie wollen, die gewöhnlichen nur eine oder nur wenige Frauen. Die Reichen
leihen dem Gast, der in ihr Haus kommt, die schönste Frau.
Zur Hochzeit ladet man alle Verwandten, Nachbarn und Freunde ein;
die Frauen bringen alles, was man an Speise und Trank fuür die Feier
braucht, und die Männer das Holz und Stroh, das zum Bau einer.: Hütte
für das Brautpaar notwendig ist. Die Frauen singen und tanzen der Braut
und die Männer dem Bräutigam zu Ehren; dabei wird viel gegessen und ge—
trunken. Bei Anbruch der Nacht wird die Braut an der Hand dem Bräutigam
zugeführt, und nun sind sie verheiratet. Diese Hochzeitsfeier gilt übrigens nur
für die ersten und rechtmäßigen Frauen, nicht für die andern. Die rechtmäßigen
neuvermählten Frauen werden den Götzenpriestern zugeführt, die man für heilige
Manner hält, so daß es als eine große Ehre gilt, wenn sie mit der jungen
Braut zuerst Umgang haben?.
Die Frauen laufen, springen, schwimmen und schießen mit dem Bogen so
gut wie die Männer, die sehr gewandt und behend sind. Sie bebauen das
Feld und besorgen das Hauswefen, die Männer dagegen fischen und jagen,
wenn kein Krieg ist; doch sind sie träg, eitel, rachsüchtig und verräterisch; ihre
Hauptwaffen sind die vergifteten Pfeile. Sie essen alles, was überhaupt eßbar
ist, wenn auch noch so ekelhaft, obwohl es ihnen an Fleisch, Fisch, Brot und
Wein nicht fehlt. Sie umzäunen die Gärten und Erbgüter mit einem einzigen
Wollfaden oder einer Art Liane in der Höhe des Gürtels. Es gilt für ein
droßes Verbrechen, über oder unter diesem Seil in den eingeschlossenen Raum
einzudringen, und sie glauben, wer dasselbe zerreiße, werde bald sterben.
Im Kriege sind sie sehr grausam. Sie verzehren die Feinde, die sie töten
oder gefangen nehmen, oder auch die Sklaven, die sie kaufen. Die Haupt—
dergnügen der Cumaner sind das Tanzen und Trinken; oft dauern diese Tänze
ind Gelage acht Tage; besonders feierlich wird das Fest der Krönung des
Ktönigs oder irgend eines hohen Herrn begangen. Bei diesen Festen berauschen
sich die Männer oft sinnlos. und dann kommt es zu Streit, Zank und Schlägerei;
tHistoria general de las Indias (Historiadores primitivos de Indias I) 205.
Ebd. 206.
36
Vierter Teil. Die Naturvölker Amerikas.
dazu ziehen sie durch die Nase den berauschenden Rauch einer Pflanze ein.
Bei gewissen Festen, wo sich die Männer alle zu betrinken pflegen, stehen die
Frauen und auch die Töchter bereit, um ihre betrunkenen Männer, Väter oder
Brüder heimzubringen!.
Die Cumaner sind sehr eifrige Götzenanbeter. Sie beten die Sonne
und den Mond an und halten diese Gestirne für Mann und Frau und für
große Götter. Sie fürchten die Sonne sehr, besonders wenn es donnert und
hlitzt, weil sie glauben, sie sei erzürnt. Bei Finsternissen fasten sie, besonders
die Frauen; die verheirateten Frauen reißen sich die Haare aus und zerkratzen
sich, und die Mädchen zerfleischen sich mit Fischbeinen die Arme; sie glauben,
der Mond sei von der Sonne wegen irgend eines Argers verwundet worden.
Zur Zeit eines Kometen machen sie einen furchtbaren Lärm mit Schreien,
Trommeln und Pfeifen, um ihn dadurch zu vertreiben. Sie sehen die Kometen
als Vorzeichen großer Übel an. Unter den Bildern und Götzen, die sie als
Götter anbeten, haben sie auch eine Art Andreaskreuz und ein Zeichen wie die
Unterschrift eines Notars, das viereckig geschlossen und von einer Ecke bis zur
andern die Form eines Kreuzes darstellt; viele Mönche und andere Spanier
sagten, es sei ein Kreuz und die Eingebornen bedienten sich desselben, um sich
in der Nacht gegen die Gespenster zu verteidigen; sie legten es auch den Kindern
bei der Geburt auf 2.
Ihre Priester nennen sie Piatsches (piaches); diese sind zugleich Ärzte,
Zauberer und Wahrsager; sie rufen den Teufel an und heilen die Krankheiten
mit gekochten und geriebenen Kräutern und Wurzeln, mit dem Fett der Vögel
und Fische und andern Mitteln, die nur ihnen bekannt sind; dabei murmeln
sie geheimnisvolle Worte, die sie selbst nicht verstehen, und gebrauchen allerlei
Zaubereien. Sie lecken und saugen an der kranken Stelle, um die schlechten
Säfte, welche die Krankheit verursachen, herauszuziehen. Wenn die Krankheit
zunimmt, so sagen sie, der Kranke habe Geister im Leibe, und durch Reiben,
Schreien, Lärmen und allerlei lächerliche Zeremonien suchen sie dieselben aus—
zutreiben. — Sie sagten auch das Eintreten der Finsternisse, das Erscheinen
von Kometen und andere Dinge, z. B. die Ankunft spanischer Schiffe, voraus,
die richtig eintrafen, so daß sich die Spanier selber wunderten. Um den Teufel
anzurufen, verschlossen sie sich in dunkler Nacht in einer Höhle oder einer
finstern Kammer und nahmen beherzte Jünglinge mit sich, die ohne Furcht die
Fragen stellten. Dort setzte sich der Zauberer nieder, während die andern
standen; dann fing er an zu rufen, zu schreien, zu trommeln usw., bat und
flehte, bis er endlich glaubte und vorgab, vom Teufel besessen zu sein, und dies
zu erkennen gab. Jetzt stellten die Umstehenden Fragen an ihn und er ant—
wortete. Der Dominikaner Peter de Cordoba wollte sich über den Sachverhalt
erkundigen. Als der Piatsche, vom Teufel besessen, wie er vorgab, auf dem
Boden lag, nahm der Missionär das Kreuz, die Stola und Weihwasser, ging
zu ihm hinein, machte das Kreuzzeichen über ihn, legte ihm die Stola auf
und beschwor ihn lateinisch und spanisch, und der Piatsche antwortete ganz
Gomara, Historia general de las Indias 208.
2 Ebd. und bei Herrera, Historia general de los hechos de los Castillanos usw.
decade III. 1. 4. c. 10.
2. Die Eingebornen im Norden von Venezuela. 37
utreffend. Schließlich fragte er ihn, wo die Seelen der Indianer hinkämen.
Der böse Geist antwortete: „In die Hölle.“ Dieses verursachte dem Piatsche
so viel Kummer, daß er sich bitter darüber beklagte, so lange betrogen und
gequält worden zu sein.
Diejenigen, die Piatsches werden wollen, lernen schon in der Jugend die
Medizinkunst und die Zauberei. Zwei Jahre müssen sie ganz abgeschlossen in
Höhlen oder in Hütten im Walde leben; sie essen während der Zeit nichts,
vas Blut enthält, dürfen auch keine Frauen, selbst nicht ihre Mütter, und auch
die Väter nicht sehen; in der Nacht gehen die alten Zauberpriester zu ihnen,
um sie zu unterrichten. Ist die Zeit des Stillschweigens und der Absonderung zu
Ende, so erhalten sie von einem alten Priester ein Zeugnis und fangen nun die
Ausübung ihrer Kunst an. „Alles, was ich gesagt habe“, schreibt Gomara!,
„und noch viel mehr berichteten der Fray Thomas Ortiz und andere Domini—
kaner⸗ und Franziskanermönche im Rate von Indien; und auf ihr Zeugnis
nahm man als gewiß an, daß der Teufel zuweilen in diese Menschen fahre
und durch ihren Mund wahre Antworten gebe.“
Die Toten betrauern sie, indem sie in Liedern ihre Heldentaten und ihr
Leben besingen; dann begraben sie dieselben im Hause oder sie dörren die Leiche
am Feuer, binden sie zusammen und bewahren sie auf. An der frischen Leiche
wehllagen sie viel. Ist der Begrabene ein Vornehmer, so kommen nach einem
dahre viele Leute, die dazu eingeladen werden, zusammen; jeder bringt sein
Essen mit sich. Sobald es dunkelt, wird die Leiche unter lautem Klagen aus—
egraben. Sie legen die Hände an die Füße und den Kopf zwischen die
Beine, drehen sich im Kreis herum, lösen den Kreis, stampfen mit den Füßen,
schauen zum Himmel empor und schreien und klagen dabei laut. Die Gebeine
des Toten verbrennen sie und das Haupt geben sie der ersten (legitimen) Frau,
damit sie es als Relique zum Andenken an ihren Mann aufbewahre. „Sie
glauben, daß die Seele unsterblich ist, daß sie jedoch in dem Land, wohin
deht. ißt und trinkt und daß sie im Echo dem antwortet, der zu ihr redet
ruft.“2
2. Wir fügen noch einige Angaben über die Eingebornen an der nord—
vestlichen Küste des heutigen Venezuela, am Golf von Maracaibo, bei,
iber die uns Oviedo mitteilt, was er von dem ersten Bischof dieser Provinz,
Rodrigo de Bastidas, der lange sich daselbst aufgehalten, erfahren hat8.
Die Indianer dieses Landes haben die Gewohnheit, bevor sie in den Krieg
ziehen oder ein Opfer darbringen oder sonst ein wichtiges Unternehmen beginnen,
eine Reihe von Tagen hintereinander zu fasten, so daß sie den ganzen Tag
nichts essen und trinken und, wenn sie eine Kollation halten, nur wenig und
nichts Substantielles zu sich nehmen. Sie sind nach Ablauf dieser Fasttage
natt und blaß und haben es notwendig, gut genährt zu werden, um wieder
die früheren Kräfte zu erlangen. Dieses Fasten halten nicht nur die Männer,
'ondern auch die Frauen und Söhne und alle im Hause mit Ausnahme der
Janz kleinen Hinder.
———
A. a. O. 209. 2 Ebd.
Ovieédo, Historia general y natural de las Indias 1. 25, c. 22 (II 329).
38
Vierter Teil. Die Naturvölker Amerikas.
Die Eingebornen sind durchschnittlich von kräftiger Leibesgestalt, Haare und
Nägel schneiden sie nie; sie sind schmutzig und sinnlich. Der Bischof de Bastidas
erzählt, er habe einst einen vornehmen Eingebornen wegen einiger unehrbaren
und schimpflichen Handlungen und wegen des häufigen Lügens getadelt und
ihn ermahnt, es nicht mehr zu tun, besser zu leben und tugendhaft zu werden,
und ihn endlich gefragt, warum er denn diese Dinge tue. Da habe ihm
der Indianer geantwortet: „Siehst du denn nicht, daß ich Christ werde?“ als
wollte er sagen: Ihr Christen seid so schlecht wie wir. Der Bischof sagte ihm
nun: „Höre, der Christ, der tut, was du tust, kommt in die Hölle, und ich
muß ihn strafen, wenn ich weiß, daß er schlecht ist.“ Er fügt dann hinzu,
es sei traurig, daß die Christen, die durch ihr Beispiel die Wilden zu einem
guten Leben antreiben sollten, oft der Grund ihres Verderbens seien. Die
erwachsenen Männer tragen die Scham in dem hohlen Stiel eines Kürbisses,
hinden sie mit einer Schnur und bedecken sie auf diese Weise. Die Frauen
tragen eine Art Hose oder ein Stück Tuch, das sie am Gürtel befestigen und
zwischen den Beinen durchziehen, so daß die Scham verhüllt wird. Auch die
Mädchen bedecken sich und lassen an der Tracht erkennen, daß sie noch Jung—
frauen seien. Diese Tracht sei ein sichereres Unterpfand der Keuschheit bei
diesem sinnlichen Volk als die Zeichen, mit denen die europäischen Mädchen
ihre Reinheit zur Schau tragen. Kein Mädchen, das unerlaubten Umgang
mit einem Manne gehabt, würde es wagen, diese Tracht zu behalten!. Nach
GBomara? galt es für eine Frau als der größte Schimpf, wenn man ihr
diese Schamhülle wegnahm.
Eine andere eigentümliche Gewohnheit dieses Volkes ist die militärische Or—
zanisation. Je nach dem Maße der Heldentaten, die er vollbracht, steigt der
Mann von Stufe zu Stufe bis zum höchsten Adel empor, und dementsprechend
darf er sich auch der Reihe nach den Körper bemalen und tätowieren, und zwar
in einer genau geregelten Reihenfolge, so daß derjenige, der durch fortwährende
Heldentaten zur Bemalung des ganzen Leibes gekommen ist, auf dem Gipfel
der Macht und Ehren stehts. Nach Gomara war die Sodomie ein weit—
derbreitetes Laster. Zauberpriester gab es wie bei den andern Indianern.
Wenn sie den Kranken nicht heilen, so schreiben sie dem Patienten oder den
Göttern die Schuld zu. Wenn ein Vornehmer stirbt, so beweinen ihn die
Eingebornen in der Nacht und besingen seine Heldentaten; sie braten und zer—
reiben ihn und mischen davon in den Wein; das gilt als große Ehre. Zu
Zompachai begraben sie die Vornehmen mit viel Gold, Steinen und Perlen,
und auf dem Grab errichten sie vier Pfähle im Quadrat, schmücken dieselben
und legen Waffen, Federn und reichen Vorrat zum Essen und Trinken hinein?,
woraus ihr Glaube an das Fortleben nach dem Tode erhellt.
Ovieédo, Historia general usw. J. 25, c. 22.
istoria general de las Indias 202.
Oviedo a. a. O. (II 330). Gomara sa. a. O. 203.
1. Die Indianer an der Nordküste Colombias im 16. Jahrhundert. 39
Drittes Kapitel.
Die Eingebornen von Colombia und Ecuador.
1. Die Indianer an der Nordküste Colombias im 16. Jahrhundert.
An der Küste des heutigen Staates Colombia bei Santa Marta lebten
zur Zeit der spanischen Eroberung Kariben, von denen Oviedo! sagt, sie
seien Bogenschützen und essen Menschenfleisch. Das letztere schloß man daraus,
daß man in einigen Häusern Stücke Menschenfleisch und menschliche Glieder,
wie Hände, Füße usw., antraf, die schon gesalzen und zum Essen hergerichtet
waren, ferner fand man Halsbänder mit Menschenzaͤhnen, die ihnen als Schmuck
dienten, und endlich Menschenschädel, die vor der Türe des Hauses auf Pfählen
steckten als Siegeszeichen. Oviedo wirft diesen Wilden vor, sie seien abscheu—
liche Sodomiter; er wisse das nicht mehr bloß aus Konjekturen, sondern es sei
hm gewiß, denn er habe ein großes Stück Gold gefunden, das in guter Arbeit
zwei Männer in sodomitischer Stellung zeigte; Oviedo selbst zerschlug das Gold⸗
ftück mit einem Hammer. Auch Gomara nennt die Indianer der Gegend von
Santa Marta Sodomiter, die sich ihrer Ausschweifung rühmten. Sie trugen
am Hals als Juwel den Gott Priapus und zwei Männer in unzüchtiger
Stellung?. Sie gehen nackt, doch verhüllen die Männer die Scham mit einer
Art Trichter aus Kürbis oder mit Goldröhren; die Frauen umgürten sich mit
einer Schürze. Von der Religion der Einwohner von Santa Marta erfahren
wir nur, daß sie der Abgötterei ergeben waren, aber da sie sowohl von Oviedo
als Gomara als Kariben · bezeichnet werden, so wird ihre Religion derjenigen
don Cumana gleich gewesen sein, wie wir schon angedeutet haben.
Interessant ist, was uns Gomara über die Eingebornen am Fluß Sinu
Zinu, Zenu), der in den Golf von Darien mündet, sagt, weil es uns zeigt,
welch scharf entwickeltes Rechtsgefühl diese Indianer hatten. Im Jahre 1509
landete der Spanier Enciso an diesem Fluß. Es kamen ihm bald viele be⸗
waffnete Indianer entgegen, um ihn anzugreifen. Enciso suchte ihnen durch
einen Dolmetscher zu verftehen zu geben, er und seine Leute seien christliche und
friedfertige Spanier, die nur gekommen seien, um Proviant zu holen und Tausch⸗
geschäfte zu machen. Die Indianer antworteten ihnen, es sei wohl möglich,
daß ihre Absichten friedfertig seien, aber der Schein spreche dagegen; fie möchten
lieber das Land verlassen, denn sie würden in keiner Weise die Erzesse dulden,
welche bewaffnete Leute in fremden Ländern zu begehen pflegten. Darauf hielt
Enciso eine Rede, in der er von der Bekehrung der Indianer, von der Taufe,
don dem Glauben an einen Gott sprach und am Ende hinzufügte, der Heilige
Vater in Rom, der Stellvertreter Jesu Christi auf der ganzen Erde und höchste
Fürst über die Seelen und die Religion, habe diese Länder alle seinem Herrn,
dem mächtigen Koͤnig von Kastilien, geschenkt, und er (Enciso) komme, um in
dessen Namen von diesen Ländern Besitz zu ergreifen. Er wolle sie aber in
ihrem Besitz lassen, wenn sie dem König einige Abgaben und Gold bezahlten.
— — — —
A. a. O. J. 26. c. 10 (II 355). 2 Ebd. 201.
40
Vierter Teil. Die Naturvölker Amerikas.
Darauf antworteten die Indianer lächelnd, was von dem einen Gott gesagt
worden sei, scheine ihnen sehr gut, sie möchten jedoch nicht darüber disputieren,
noch auch ihre Religion aufgeben. Der Heilige Vater müsse aber in
fremden Sachen sehr freigebig oder aufrührerisch sein, da er
das verschenke, was nicht ihm gehöre; der König seinerseits
müsse ziemlich arm sein, da er bettle, und auch unverschämt,
da er Leuten drohe, die er gar nicht kenne. Er solle nur kommen
und das Land in Besitz nehmen, sie würden seinen Kopf auf einen Pfahl
stecken, wie sie es bei vielen andern von ihren Feinden getan hätten. Dabei
zeigten sie mit dem Finger nach dem Ort!.
Die Indianer konnten mit vollem Recht so antworten. Der Papst hatte
kein Recht, rechtmäßiges Privateigentum einzelner Personen oder Stämme weg—
zunehmen und zu verschenken. Er hat es auch gar nicht getan, wie wir schon
an einer andern Stelle bemerkt haben?.
2. Die Indianer im Innern Colombias zur Zeit der Entdeckung.
1. Von den Pantsches (Panches), einem Indianervolk am unteren Rio
Grande (Magdalenenstrom) im heutigen Staate Colombia, sagt Oviedo:
Sie sind sehr wild und kriegerisch. Sie tragen böse Waffen: Pfeile, Schleudern,
Spieße, Keulen wie Schwerter und runde Schilde. Sie fressen sich gegenseitig
auf, sogar roh, da sie sich nicht viele Mühe geben, die Erschlagenen, auch wenn
sie zur selben Nation gehören, zu braten und zu kochen. Wegen der großen
Hitze des Landes gehen sie nackt. Diese Pantsches und die Bewohner von
Bogotä führen grausame Kriege miteinander, und wenn die Pantsches Indianer
von Bogotä fangen, so töten sie sie und verzehren sie nachher; töten oder fangen
aber die Leute von Bogotä einige Pantsches, so nehmen sie deren Köpfe mit
in ihr Land und legen sie in ihre Gebetshäuser. Die lebendig gefangenen
Knaben bringen sie auf hohe Hügel; dort nehmen sie mit ihnen verschiedene
Zeremonien vor und opfern sie und singen dabei viele Tage der Sonne Lieder;
denn sie sagen, die Sonne verzehre das Blut dieser Knaben und liebe es sehr;
sie erfreue sich mehr an den Opfern von Knaben als an solchen von Männerns.
Die Pantsches hatten nach Oviedo wenig Vernunft im Vergleich zu den Ein—
gebornen von Bogotä. Sie kennen den Schöpfer nicht und beten nichts an.
Man darf aber nicht übersehen, daß die Pantsches ihre Unabhängigkeit bewahrten
und daß zur Zeit Oviedos ihre sittlichen und religiösen Anschauungen nur un⸗
vollkommen bekannt sein konnten. Da sie wahrscheinlich zu den Kariben gehörten,
Gomara, Historia general do las Indias 199.
Vgl. oben J 187. Gerade weil man die Bulle Alexanders VI. mißverstanden,
schäͤrfte Paul III. am 2. Juni 1537 in einem Rundschreiben an alle Gläubigen ein, man
jolle die Indianer und alle andern Heiden, auch wenn sie den christlichen Glauben noch
nicht angenommen, weder ihres Privateigentums noch ihrer Freiheit berauben, um sie zu
Sklaven zu machen, und alles, was gegen diese Verordnung geschehe, sei null und nichtig.
Das Schreiben ist abgedruckt bei Vasconcellos, Chronica da Companhia de Jesus
do estado do Brasil J, Lisboa 1865, xov.
sOviedo, Historia general usw. J. 26, c. 11 (II 367).
27
2. Die Indianer im Innern Colombias zur Zeit der Entdeckung. 41
ist es aus dem, was wir von andern Karibenstämmen wissen, ganz unglaublich,
daß fie keine religiösen Begriffe gehabt hätten.
Nach Oviedo verzehrten die Pantsches die erschlagenen Feinde aus Rache;
was sie im Feldlager nicht auffressen konnten, nahmen sie mit nach Hause, um
es gemeinschaftlich mit ihren Frauen und Kindern zu verspeisen!. Hatten sie
einmal den Krieg begonnen, so wollten sie von Waffenstillstand und Frieden
nichts mehr hören. War es absolut nötig, Frieden zu schließen, so durfte nie
ein Mann um Frieden bitten. Die Frauen, sagten sie, seien mehr geeignet,
die Freundschaft zu gewinnen und die Gegner zum Frieden zu bewegen. Auch
hätten die Männer eine größere Pflicht, für die Frauen zu sorgen als für
andere Leute, und es sei besser, daß die Frauen 1ögen als die Männer.
2. Die Chibchas. Südlich von den Pantsches im Tale des Magdalenen⸗
stromes, etwa zwischen dem 2. und 4.n. Br., wohnten zur Zeit der Entdeckung
die Chibchas, auch Muiscas oder Mozcas genannt, ein zahlreiches Volk, das
auf einer ziemlich hohen Kulturstufe stand. Wie Oviedo? berichtet, war es
damals in zwei voneinander unabhängige und oft einander befehdende Reiche
geteilt, die nach ihren Königen oder Oberkaziken Bogotä und Tunja genannt
wurden. Der Herrscher von Bogotä war imstande, mehr als 100 000 Krieger
ins Feld zu stellen. Beide Herrscher hatten zahlreiche Kaziken unter sich, von
denen jeder einem Dorfe vorstand. In ihren Sitten und Gebräuchen, namentlich
in der Religion, waren die beiden Völker einander sehr ähnlich.
Die Leute kleideten sich in feingearbeitete und gefärbte Baumwolldecken, die
teils um den Leib befestigt, teils um die Schultern geworfen wurden. Die
Hauptgebäude der Vornehmen waren nach Oviedos sehr sehenswert. Sie waren
aus Holz gebaut und wie eine Festung mit mehreren labyrinthartigen Um—
zäunungen umgeben. Die Hauptnahrungsmittel des Volkes bestanden aus Mais,
Yuka, Pataten und besonders aus einer Art Trüffeln, die sie zu allen Speisen
hinzufügten; außerdem lieferten Jagd und Fischfang den nötigen Vorrat.
Seinen Vorgesetzten und Herren erweist das Volk große Ehrfurcht und Unter⸗
würfigkeit; es schaut ihnen nicht in das Angesicht, und wenn jemand mit ihnen
redet, darf er ihnen nicht das Gesicht zukehren und sie anschauen, sondern muß
das Gesicht abwenden oder senken, mag er nun sitzen oder stehen. Wenn Bogota,
der Herrscher, ausspucken wollte, warfen sich ein oder zwei Vornehme auf die
Kenie, wendeien das Gesicht ab und hielten mit ausgestreckten Armen ein Hand—
uuch hin, auf das der Herr spuckte; denn der Speichel der Monarchen durfte,
weil er als heilig galt, nicht den Boden berühren, und der, welcher ihn mit
einem Tuche aufgefangen hatte, entfernte sich damit sehr befriedigt über die
embfangene Gnade?.
Die Leute haben guten Verstand, sind leicht zu überzeugen und für den
Frieden zu gewinnen, aber wie alle Indianer lügen sie viel und sagen selten
die Wahrheit. Sie heiraten so oft sie wollen, und halten so viele Weiber, als
sie ernähren können. Es gibt Kaziken, die 20, 80 und 50 Weiber haben,
einer hatte sogar 100. Die gewöhnlichen Männer haben wenigstens zwei oder
t Ebd. J. 26, c. 30, p. 408 -409. 2 Ebd. c. 11, p. 366.
Ebd. c. 28, p. 389. 4Ebd. c. 2383, p. 390.
12
Vierter Teil. Die Naturvölker Amerikas.
drei Weiber, die, wie Oviedo behauptet, in Eintracht untereinander leben, da
sich alle freudig dem Willen des Mannes unterwerfen.
3. Die Tunjer (Tunjas) waren, wie es scheint, kriegerischer als die Bogotenser
und kämpften in geschlossenen Reihen. Ihre Begräbnisse unterschieden sich von
denen der Bogotenser. Während diese die Leichen in der Erde begruben mit Aus—
nahme derjenigen der Oberkaziken, die sie in einen goldenen Sarg verschlossen
—0000—
nehmen Personen mit all dem Gold, das sie besaßen, in ihren Heiligtümern oder
Gebetshäusern auf eine Art Bett, welches die Spanier Barbacoas nannten. Das
Bett ruhte auf Stangen über der Erde erhöht; dort blieb die Leiche mit allen
Kostbarkeiten, die man an ihr befestigt oder daneben gelegt hatte. Sonst sind
die Gewohnheiten in beiden Provinzen gleich. Beide Völker treiben viel Handel
und haben in jedem Dorfe Märkte, bei denen an bestimmten Tagen viele Leute
zusammenkommen, um zu kaufen und zu verkaufen und ihre Geschäfte zu be—
sorgen). Wenn sie einen Krieg beginnen wollen, so singen sie zuerst einen
Monat lang VLieder oder bitten die Sonne, die sie für ihren Gott halten,
daß sie ihnen den Sieg verleihe. In diesen Liedern geben sie ihr den Grund
an für den Krieg, den sie unternehmen wollen. Sie würden es nicht wagen,
einen Krieg zu beginnen, ohne ihn sorgfältig bei ihr als ihrem Gott zu recht—
fertigen. Ihr Krieg besteht darin, daß sie sich gegenseitig totschlagen; die
Sieger verbrennen die Dörfer der Besiegten, nehmen ihre Frauen gefangen und
schleppen alles Gold fort, das sie besitzen. Die Spanier fanden in vielen
Heiligtümern oder Gebetshäusern große Mengen von Gold und schlossen daraus,
daß die Tunjer in ihrer Art sehr fromm sein mußten. Oviedo glaubt, weil dieses
Gold nur für den abgöttischen Dienst der Sonne oder des Teufels war, hätten
es die Spanier mit Recht weggenommen. Nach Beendigung des Krieges hielten
die Tunjer ebenso wie die Bogotenser einen Monat lang religiöse Feste mit
Ldiedern. Sind sie Sieger geblieben, so danken sie der Sonne für den Sieg;
sind sie unterlegen, so sagen sie, sie hätten nicht recht gehabt, bitten um Ver—⸗
zeihung für ihren Übermut und ihre schlechte Entschließung. Während die einen
fingen, wehklagen die andern, bekennen und bereuen ihre Schuld 2. In den
Krieg nehmen sie oft die Überreste ihrer verstorbenen Verwandten mit, die sich
durch Tapferkeit auszeichneten; denn sie glauben, daß diese den Lebenden Mut
machen, und da die Toten nicht fliehen, wäre es für die Lebenden eine große
Schande, diese ehrwürdigen Überreste in den Händen der Feinde zu lassen.
Das Jahr teilten die Chibchas in Monate ein und die Monate in drei
Teile. An den ersten zehn Tagen des Mondes aßen sie während eines Teiles
des Tages und während der ganzen Nacht ein Kraut, das sie Hayo nannten,
gemischt mit einem andern, das sie als Medizin zur Erhaltung der Gesundheit
hetrachteten. Während dieser Zeit hatten die Männer keinen Umgang mit den
Frauen und schliefen in getrennten Gemächern. Die folgenden zehn Tage be—
schäftigten sie sich mit ihren Anpflanzungen und Handelsgeschäften; die letzten
zehn Tage endlich waren der Erholung und dem Umgange mit den Frauen
Oviedo, Historia general usw. J. 26, c. 27 (II 888).
Ebd. c. 30, p. 408.
2
2. Die Indianer im Innern Colombias zur Zeit der Entdeckung. 43
gewidmet. In einigen Teilen des Landes kürzten sie die Zeiteinteilung, so daß
der Wechsel der oben genannten Beschäftigungen nach je zwei oder drei Tagen
eintrat1.
Von der Religion der Chibchas sagt Oviedo, sie beten die Sonne
und den Mond anz das gilt sowohl von Bogotä als von Tunja. Sie
halten diese beiden Planeten für Mann und Frau und für die Schöpfer
aller Dinge. Sie hielten die ersten Christen für Söhne dieser Gestirne
und nannten sie deshalb Usachies, weil die Sonne Usa und der Mond Echia
hieß. In ihren Häusern hatten die Chibchas einige besondere Götzen, die
sie anbeteten. Die spanischen Soldaten nannten sie Heiligtümer, weil die
Indianer angaben, dieselben seien ihre Fürbitter und sie beteten durch ihre
Vermittlung zur Sonne um Regen für ihren Mais und um alles, was ihnen
sonst notwendig sei.
Alle obigen Angaben sind Oviedo entnommen, dem ältesten Schriftsteller,
der uns eingehende Nachrichten über die Chibchas übermittelt hat. Eine will⸗
kommene Ergänzung derselben bringen Joaquin Acosta? und Ezechiel Uricoecheas,
welchen viele alte Berichte zur Verfügung standen. Die Regierung war ganz
despotisch. Der Monarch gab Gesetze, sprach Recht und befehligte die Heere.
Jeder verbotene Umgang mit den Frauen des Fürsten wurde mit dem Tode
bestraft, doch konnte der Schuldige sich durch Geld loskaufen. Den Thron
erbte der Schwestersohn des Regenten. Der Thronerbe wurde im Alter von
16 Jahren in ein Haus gebracht, wo er während seiner Lehrjahre streng fasten
mußte. Mord und Raub wurden mit dem Tode bestraft. Heiraten im ersten
und teilweise auch im zweiten Grade waren verboten. Der Blutschänder wurde
lebendig eingescharrt, um durch Hunger und giftiges Gewürm unterzugehen.
Sodomie wurde am Pfahle gebüßt. Die Steuern wurden dadurch eingetrieben,
daß man einen jungen Tiger oder ein anderes Tier an dem Haustore des
schlechten Zahlers festband, welcher diese Einquartierung so lange füttern mußte,
bis er seiner Pflicht nachkam. Wer sich im Felde feig bewiesen, mußte Weiber⸗
kleider tragen und fortan Frauenarbeit verrichten. War eine Frau des Ehe—
bruchs angeklagt, so fand eine Art Gottesgericht statt. Sie mußte eine tüchtige
Portion Aji (spanischen Pfeffer) verschlucken. Gestand sie ein, so wurde sie
getötet, bezwang sie aber ihren Durst, so galt sie als unschuldig.
Wenn ein Chibcha ein Mädchen zur Ehe begehrte, schickte er den Eltern
einen Mantel. Erhielt er diesen innerhalb acht Tagen nicht zurück, so schickte
er einen zweiten und konnte seine Werbung als genehmigt betrachten. In einer
der nächsten Nächte setzte er sich an das Haustor der Braut und gab irgend
ein Zeichen seiner Anwesenheit. Es öffnete sich dann die Türe und die Braut
erschien mit einem Kruge Chicha, kostete zuerst und reichte dann den Krug dem
Bräutigam. Die Hochzeit wurde vor dem Priester gefeiert, welcher die Braut
fragte, ob sie den Bochica (eine Gottheit, von der gleich die Rede sein wird)
Ebd. c. 26, p. 390.
Compendio histor. del descubrimiento y colonization de la N. Granada,
daris 1848.
s Memoria sobro las Antiquedades Neo-Granatinas, Berlin 1854. Wir zitieren
nach dem Auszug aus den beiden Werken im „Ausland“ 1855, 877 ff.
24
Vierter Teil. Die Naturvölker Amerikas.
mehr liebe als ihren Mann, diesen mehr als ihre Söhne, ihre Söhne mehr als
sich selbst, und ob sie sich der Speise enthalten wolle, während ihr Mann
hungern müsse; dann wendete er sich an den Mann und fragte ihn, ob er
diese Frau als Weib nehmen wolle, worauf die Feier schloß. Obwohl jeder
so viele Frauen nehmen konnte, als er zu ernähren vermochte, wurde doch nur
eine als die rechtmäßige Gattin betrachtet.
Wenn der König gestorben war, nahmen die Priester die Eingeweide aus
der Leiche und füllten die Höhlung mit geschmolzenem Harz. Die Mumie wurde
dann in einen ausgehöhlten Palmstamm, der inwendig und auswendig mit
Goldblech beschlagen war, eingesargt und an einem verborgenen Orte beigesetzt.
Mit den Leichen der vornehmen Chibchas wurden ihre Lieblingsfrauen und
einige ihrer Leibeigenen begraben. Man gab ihnen Lebensmittel, einen Vorrat
von Chicha, Waffen und Schmuck mit ins Grab, beweinte sie sechs Tage lang
und feierte die jährliche Wiederkehr des Todestages. Um Bogotä herum hat
man einige dieser Mumien gefunden und dabei viel Gold erbeutet. Die Leichen
fand man sämtlich in sitzender Stellung und die Daumen der beiden Hände
zusammengebunden.
Die Chibchas hatten weder Herden noch Eisen. Sie bestellten die Felder
mit hölzernen und steinernen Gerätschaften. Sie besaßen auch Goldmünzen —
der einzige Fall dieser Art, der bisher bei den alten Völkern Amerikas entdeckt
worden sein soll. Man goß nämlich Gold in kleine Scheiben nach gleichen
Formen; der Wert der Münze bestimmte sich nach ihrem Durchmesser, denn
Gewichte kannte man nicht. Die Chibcha waren ein handeltreibendes Volk und
oerschiedene Salinen lieferten ihnen einen vielbegehrten Ausfuhrartikel.
Wir haben schon oben von Oviedo gehört, daß die Chibchas allgemein
Sonne und Mond anbeteten und für die Schöpfer aller Dinge hielten. Nach
andern Schriftstellern aber glaubten sie, am Anfange der Welt sei das Licht
in einem Ding verschlossen gewesen, das sie Chiminigagua oder den
Schöpfer nannten, von dem sie aber nichts näheres wußten. Aus diesem
unbeschreiblichen Ding flogen zuerst schwarzgefiederte Vogel, und aus deren
Schnäbeln strahlte ein glänzender Äther, der die Erde beleuchtete. Doch ver—
ehrten die Chibchas neben jenem Schöpfer auch Sonne und Mond. Kurz nach
dem Anbruch des ersten Tages stieg aus dem See von Iguaque eine schöne
Frau, namens Bachue, mit ihrem dreijährigen Knäblein. Sie zogen hinab in
die Ebene, bis der Knabe, mannbar geworden, mit Bachue das Menschengeschlecht
erzeugte. Mutter und Knabe wurden von den Chibchas hoch verehrt und in
goldenen Figuren dargestellt.
Die Seelen der Verstorbenen stiegen nach der Meinung dieser Völker
in das Innere der Erde hinab durch schwarze Felsenschluchten und fuhren in
einem Nachen aus Spinngeweben über einen großen Strom. Dies ist der
Grund, warum die Spinne als heiliges Tier nicht getötet werden durfte.
Eine gemeinsame Gottheit aller Chibcha war der Bochica, der Wohltäter
der Menschheit, welcher die ersten Keime des Ackerbaues mitbrachte und sein
zerstörungssüchtiges Weib in den Mond verwandelte. Dem Regenbogen unter
dem Namen Cuchavira wurde die Heilung mancher Krankheiten zugeschrieben,
und die Frauen riefen ihn in der Stunde der Geburt an. Man dankte dieser
2. Die Indianer im Innern Colombias zur Zeit der Entdeckung. 45
Gottheit mit Geschenken von Smaragd und Goldschmuck. Der Gegensatz des
Bochica war Chibchacum. Dieser war erzürnt über das sündhafte Betragen
der Bewohner in der Ebene von Bogotä, lenkte die Ströme Sopo und Tibito
in das flache Land und überschwemmte weit und breit die Fluren. Die Chibchas
flüchteten auf die Höhen, wo ihnen eines Abends bei Sonnenuntergang Bochica,
auf einem Regenbogen thronend, erschien und mit den Völkern Rat pflog. Der
Gott versprach ihnen Erlösung, ohne die Flüsse zu vernichten, die noch weiter
nützlich sein könnten. Mit seiner goldenen Rute traf er die Felsen von Tequen⸗
dama, so daß sich die Flüsse in prächtigen Wasserfällen über die Wände herab—
gießen konnten und in der trockenen Ebene fruchtbaren Schlamm hinterließen.
Den Chibchacum aber strafte die Gottheit, indem sie ihm die Felsen und Ge—
birge auf seine Schultern legte. Wenn die Berge dem Chibchacum zu schwer
werden, so sucht er die Last von der einen Schulter auf die andere zu legen,
und dadurch entstehen die Erdbeben.
Nach den ältesten Quellen tritt neben Bochica und von ihm ganz verschieden
eine merkwürdige sagenhafte Persönlichkeit auf, die Nemterequetaba oder auch
Xue oder Chimzapagua (der Gottgesandte) hieß. Später wurde er, wie es
scheint, mit Bochica identifiziert. Interessante Notizen über diesen Erlöser finden
wir in einem alten Manuskript aus dem Ende des 16. oder dem Anfang des
17. Jahrhunderts, das sich in einem Privatarchiv befindet und einen ungenannten
Jesuitenmissionär zum Verfasser hat!. Nach einer alten Überlieferung der
Indianer, so heißt es dort, soll vor uralter Zeit ein heiliger weißer Mann mit
weitem Gewand und rotem Haare von Osten her zu ihnen gekommen sein, um
fie den Weg des Heiles zu lehren. Er ritt auf einem Kamel, wie man kein
anderes je in dieser Gegend gesehen hat und das sie mit Zeichen malen. Er
lehrte sie unter anderem die Kinder taufen, und daher stammt die noch heute
bei ihnen bestehende Gewohnheit, die neugebornen Kinder zum Fluß zu tragen
und dort zu baden. Dieser heilige Mann wurde von ihnen hoch verehrt, und
wenn er von einem Ort zum andern zog, um dort zu predigen, bereitete man
ihm die Wege und das Volk begleitete ihn dahin. Diese Wege, sagt der anonhme
Verfasser, bestehen noch heute; er will zwei dieser Wege selbst gesehen haben
und beschreibt sie. Aus Ehrfurcht gebrauchte man diese Wege nicht mehr. Der
heilige Mann soll in Sagamoso gestorben sein; dort soll auch seine Leiche ruhen
und ebenso die des Kameles. Ähnliche Sagen hat man in Peru und Para—
guay. Nach dem Tode des Heiligen kam nach der Überlieferung ein Dämon
in das Land. Er hatte die Gestalt einer alten Frau, und diese Frau nennen
sie die Göttin Bague; sie gilt als die Mutter aller ihrer Götter. Sie predigte
gegen die Lehren des oben genannten heiligen Mannes und suchte aus ihren
Herzen alles zu vertilgen, was dieser gelehrt hatte.
Doch erinnern sich die Indianer nicht mehr an die einzelnen Lehren der
beiden, nur behaupten sie, das genannte Weib habe viele Söhne gehabt, die
nach ihrem Tode als Götter verehrt wurden und denen man Statuen und
Bilder errichtete, Opfer darbrachte und Tempbel baute mit großen Weihegeschenken
1Descripeibn de el Nuevo Reyno de Granada de las Indias occidendales usw.
Novum Resnum et Quit. Histor. J 14).
46
Vierter Teil. Die Naturvölker Amerikas.
an Gold und Edelsteinen, Mais und Früchten. Die Indianer dehnten die
Verehrung dieser Götter auf ihre verstorbenen Kaziken und Herren aus und
fingen an, diese mit allerlei abergläubischen und schrecklichen Zeremonien zu
feiern. Sie haben eine große Zahl Priester, die sich durch lange Fasten und
große Bußübungen auf ihre Würde vorbereiten müssen; sie dürfen nicht ver⸗
heiratet sein und ihre Würde geht erblich vom Onkel auf den Neffen über. Sie
reden vertraut mit dem Teufel bis auf den heutigen Tag; doch bringen sie
keine blutigen Menschenopfer dar!, nur stürzen sie sich in einen Abgrund, wenn
der Dämon es ihnen befiehlt. Die Heiligtümer und die Opfergaben, die sie
seit alter Zeit darbringen, sind so zahlreich, daß die Spanier damit eine große
Masse Gold zusammenbrachten und noch heute zusammenbringen. Wenn die
Indianer diese Opfergaben machen, sprechen sie mit dem Teufel in seiner eigenen
Gestalt. Die gewöhnlichen Götzenbilder sind von Gold, andere von Stein, Holz,
schönen Federn ꝛc. Wieder andere tragen sie wie Medaillen auf der Brust
oder dem Kopf in einer kleinen Scheibe aus Gold, die sie Chagualas nennen.
Sie verehren manche von diesen Götzen als Helfer in verschiedenen Kranktheiten,
andere werden verehrt als Beschützer der Saaten, der Häuser, der Geburten,
der Wege usw. Sie nennen alle diese Götzen Tunjos nach einem ihrer großen
Kaziken, der Herr von Tunja hieß.
Oben war die Rede von der Art, wie sich die Kandidaten des Priestertums
auf ihre Würde vorbereiten mußten. Darüber schreibt der anonyme Verfasser:
Derjenige, der nach dem Recht der Erbschaft Priester werden soll, muß ein be—
stimmtes Alter haben; dann schließen ihn die Priester in eine Höhle ein, wo er
kein Licht sieht. Dorthin bringen sie ihm jeden dritten Tag ein kleines Maß
don Maiskörnern und ein wenig Wasser. Dieses Leben dauert sieben Jahre
ohne Unterbrechung; die Haare werden ihm nicht geschnitten, nie darf er sein
Gefängnis verlassen oder mit einem menschlichen Wesen reden; man lehrt ihn,
sich mit einem gewissen Tabakrauch zu berauschen, und in diesem Zustand er—
scheint ihm der Teufel, schließt mit ihm einen Vertrag, unterrichtet ihn in den
Dingen, die zu seinem Dienst gehören, und gewährt ihm fortan seinen vertrauten
Umgang. In diesen sieben Noviziatsjahren schließen sie mit dem Kandidaten
ein Mädchen ein, dem er sich aber nicht nahen darf. Hat er alle Prüfungen
zur Zufriedenheit der andern alten Priester, deren Erbe er ist, bestanden, so
erhält er den Grad mit einer bestimmten kleinen Mütze, einer Art Doktorhut,
aus der Hand eines großen Kaziken, welchen sie für den Oberpriester halten.
Nun kann er als approbierter Priester sein Amt ausüben. Alle Indianer ihres
Bezirkes sind verpflichtet, den Priestern alles Gold zu geben, das sie für ihre
Götzen und Heiligtümer fordern, und niemand weiß, wo diese sind, damit man
sie nicht stehle, und der Priester sagt es nicht bis zur Stunde des Todes, wo
sie jemand erben muß.
In einem Dorfe erhielt der Missionär Kunde von einem Tempel oder einer
Einsiedelei, die dem größten Götzen dieser Indianer. dem Cuza, gewidmet ist.
Offentlich, denn im geheimen wurden noch solche Opfer dargebracht, wie aus einem
Briefe hervorgeht, der im Auftrage des Erzbischofs von Santa Fe de Bogotä, Don
Fernando Arias, im Jahre 1620 an den Papst gerichtet wurde (vgl. Nov. Regn. et
quit. Histor. J 14 s26).
2. Die Indianer im Innern Colombias zur Zeit der Entdeckung. 47
Dieses Heiligtum fand sich hinter einem Ofen, den man gebaut hatte, um den
Bötzen zu verbergen; der Götze war mit allerlei Federn geschmückt. Derselbe
Missfionär entdeckte zwei mehr als 400 Jahre alte Götzen, von denen die Über⸗
lieferung erzählte, daß sie unter den Wurzeln uralter Bäume verborgen seien.
Man grub danach und fand zwei rohe Bilder aus massivem Gold, von denen
die Indianer sagten, es seien die Göttin Bague und ihr Sohn. Sie waren sehr
erschrocken, als man diese Götzen entdeckte; als man aber noch mehr solcher
Götzen fand, kamen sie zur Erkenntnis, diese Götzen seien falsch, da sie es nicht
verstanden hätten, sich wirksam zu verbergen.
4. Neyva ist eine andere Provinz Colombias, die bei der Ankunft der
Spanier ein eigenes Reich mit einem eigenen Fürsten bildete. Die Bewohner
dieses Reiches, berichtet Oviedo!, sind ihren Götzen, der Sonne und dem Mond,
ebenso ergeben wie die Bogotenser und Tunjer, obwohl man in der letzteren
Provinz größere Schätze in die Heiligtümer legt als in Neyva; in beiden Ländern
gibt es eine große Anzahl reich ausgestatteter Heiligtümer. Von den Haupt—
häusern der Kaziken und Vornehmen führen enge Straßen mit Verschanzungen
zu beiden Seiten eine halbe Meile weit zu den Türen der Heiligtümer. „Dorthin
gehen die genannten Herren, um zu beten und ihre Opfer darzubringen.“
Die Bewohner dieser Provinzen opfern mit Blut, Feuer, Wasser und Erde
in verschiedenen Weisen. Mit Feuer opfern sie die verschiedenen Rauchwerke,
die fie zugleich mit Gold und Smaragden ins Feuer werfen. „Wie sie sagen,
bringen sie diese Rauchwerke dar, damit ihnen die Sonne ihre Sünden
und Missetaten verzeihe.“ Als die Christen zuerst in das Land kamen,
zogen ihnen am Eingang jedes Dorfes die Indianer entgegen und verbrannten
Rauchwerk, weil sie die Christen für Söhne der Sonne hielten. Wenn sie mit
den Spaniern gekämpft hatten, kamen sie am andern Tag, um Freundschaft
mit ihnen zu schließen, und bevor sie mit ihnen zusammentrafen, verbrannten
sie Weihrauch und —DVV
Heiligtümern zu tun pflegen, damit sie (die Spanier) ihnen das Geschehene
bderziehen. Mit Blut opfern sie viele Vögel, die sie in ihren Heiligtümern oder
Gebetshäusern schlachten und deren Köpfe sie als Opfer darbringen. Menschen⸗
opfer bringen sie nur in zwei Fällen dar. Wenn sie gegen die Pantsches in
den Krieg ziehen wollen, suchen sie einen oder mehrere Knaben zu fangen,
bringen fie in ihr Land, singen dann drei Tage lang Lieder mit verschiedenen
Zeremonien, und am dritten Tage töten sie sie in ihren Heiligtümern und
schlagen ihnen die Köpfe ab. Außerdem opfern sie gewisse Knaben, die sie
Mojas nennen und in einem fernen Land kaufen, wo die Leute, wie sie sagen,
mit der Sonne reden. Diese Knaben kaufen sie fünf oder sechs Jahre alt;
dieselben sind am Nabel beschnitten, weil in jenem Lande, wie sie angeben, die
Leute beim Reden mit der Sonne von dieser den Befehl erhalten, Kindern bei
der Geburt den Nabel abzuschneiden, weil sie das dabei herausfließende Blut
hrinkt. Diese Knaben werden nach Bogotä oder Tunja gebracht und mit großer
Ehrfurcht behandelt. Sie sind die ersten Sänger in ihren Heiligtümern, und
wenn sie singen, wehklagen die Indianer. Jeder Kazike hält solche Mojas, und
— — — —
Historia general l. 26. c. 28 (II 400 ffj.
18
Vierter Teil. Die Naturvölker Amerikas.
sobald sie in das Alter der Geschlechtsreife gelangen und noch keinen Umgang
mit Frauen gehabt haben, wird ihnen im Heiligtum der Kopf abgeschlagen, und
das vergossene Blut dient als Opfer. Hat aber infolge nachlässiger Aufsicht dieser
Moja schon Verkehr gehabt mit einer Frau, so wird er nicht getötet, weil fie
sagen, daß sein Blut nichts mehr wert sei als Opfer, und es liegt ihnen nichts
mehr daran, ihn auf Grund seiner Verdienste als Fürbitter und Mittler bei
der Sonne zu gebrauchen. Haben sie einen Moja getötet, so lassen sie einen
andern holen, und so haben wenigstens die Hauptkaziken stets solche Mojas.
Mit Wasser opfern sie, indem sie das Wasser mit vielerlei Zeremonien durch
das Heiligtum ausgießen. Mit Erde opfern sie, indem sie die Erde mit vielen
Zeremonien in die Hand nehmen und durch Röhren unter die Heiligtümer
hringen und zugleich Gold und Smaragde als Opfer dazu werfen.
Jede vornehme Person, ob Mann oder Frau, muß in der Jugend eine
Reihe von Jahren in einem ihrer Heiligtümer eingesperrt leben, ohne die Sonne
zu fehen, und je vornehmer die Person ist, um so länger muß sie darin bleiben;
nach Verlassen des Heiligtums erlangen sie die Erlaubnis, die Ohren zu durch⸗
bohren und sich mit Gold zu schmücken, was ihnen vorher nicht gestattet war.
Es ist bei diesen Indianern allgemeine Regel, daß sie, um die Sonne nicht zu
beleidigen, zu bestimmten Jahreszeiten kein Salz essen und während derselben
Zeit keinen Verkehr mit den Frauen haben. In Bogotaͤ finden unter Ver—⸗
wandten bis zum zweiten Grade keine Ehen statt, in Tunja dagegen achtet man
nicht darauf. Sie bestrafen sehr streng die Verbrechen, besonders die öffent⸗
lichen, wie Totschlag, Diebstahl, und das abscheuliche Vergehen gegen die
Natur; denn in dieser Sache ist das Volk rein, und deshalb werden viele
gehenkt. Andere geringere Verbrechen ahnden sie mit körperlichen Strafen, aber
nicht mit dem Tode, so z. B. durch Abhauen der Hände, Ohren oder der
Nase oder durch Peitschenhiebe. Bei den Vornehmen sind diese Strafen nicht
zulässig, dafür aber andere im Gebrauch, so z. B. werden ihnen die Armel ab⸗
gerissen oder die Haare abgeschnitten und beides zur Schande des Schuldigen
m Heiligtum aufgehängt. — In ihren Heiligtümern sind auch Idole aufgestellt,
die sie für ihre Heiligen ansehen, und außerdem hat jeder Indianer, besonders
in Tunja, in seinem Privathause sein hölzernes Idol, das hohl und so groß ist
wie der Arm vom Ellenbogen bis zur Hand; innen ist ein anderes Idol aus
massivem Gold, das in seinem Bauch Smaragden hat. Diese Götzen nehmen
sie auf ihren Reisen, oder wenn sie in den Krieg ziehen, mit sich. Sie unter—
nehmen auch nichts Wichtiges, ohne diese Götzen zu befragen. Zu diesem Zweck
essen sie gewisse Kräuter und behaupten nach einer bestimmten Zeit, die Sonne
befehle ihnen, dieses oder jenes zu tun, worüber sie gefragt haben!.
Merkwürdig ist, daß in diesem Lande nicht die Söhne erben, sondern die
Brüder, und wenn deren keine vorhanden sind, die Neffen; die Söhne sind
vollständig von der Erbschaft ausgeschlossen?. In Colombia wird die Heirat
durch die Väter geschlossen, die ihre Töchter einem Manne übergeben; jeder
kann so viele Frauen haben, als er will. Der Fürst von Bogotä soll gegen
400 Frauen gehabt haben.
Oviedo, Historia general usw. J. 26. c. 28. 2 Ebd. c. 29, p. 404.
3. Die wilden Indianer in den colombianischen Kordilleren. 49
Nach Berichten von Reisenden findet man noch heute in vielen Orten Colom—
bias, besonders in der Provinz Antioquia, alte und große Begräbnisstätten, die
schöne Töpfer- und Goldschmiedearbeiten enthalten. Das Volk in diesen Gegenden
scheint das einzige gewesen zu sein, das seine Toten in hohen Grabhügeln be—
stattete. Man findet, schreibt ein englischer Reisender!, solche Grabhügel noch
heute zu Hunderten, von denen manche 40 Fuß hoch und oft noch viel breiter
sind. Der Eingang zu diesen Gräbern befindet sich immer auf der Seite der
aufgehenden Sonne. Die Gräber wurden verschieden gebaut, je nach dem Rang
der Toten. Die ärmeren Klassen wurden auf den Boden gebettet, der aus
einer besondern Erde bestand, dann legte man neben sie ihre Waffen, Werkzeuge
und einige Vorräte und schichtete darüber den Grabhügel aus Erde auf. Andere,
vahrscheinlich die Reichen, wurden durch ein rohes Gewölbe geschützt und auf
gepflasterten Boden gelegt. Die Toten wurden mit allem versehen, was ihnen
für die Reise in das jenseitige Land notwendig war. Welche Ideen die Ein—
gebornen über das jenseitige Leben hatten, sagen die alten Berichte nicht. Nach
einer allgemeinen Überlieferung wurden mit den Kaziken ihre Frauen lebendig
begraben. Gewiß ist, daß man manche Skelette in sitzender Stellung rings um
ein liegendes Skelett gefunden hat. Wahrscheinlich ist das liegende Skelett das
des Häuptlings und die übrigen sind die seiner Frauen. Aus der großen Zahl
der noch heute zum Teil erhaltenen Gräber schließt man mit Recht, daß die
Gegend einst dicht bevölkert gewesen sein muß. Von den Wohnungen sind fast
keine Spuren aus alter Zeit erhalten, da sie aus sehr hinfälligem Material
gebaut wurden?.
Die Nachkommen dieser Indianer leben noch heute zum Teil in ihrem halb⸗
wilden Zustande, und, obwohl sie der colombianischen Regierung unterstehen,
regieren sie sich doch in ihrer eigenen Weise. Mit Ausnahme eines Schamgürtels
dehen sie nackt, außer wenn sie in den Städten erscheinen. Sie bemalen sich den
Leib mit roter und blauer Farbe, und obwohl sie gern Flinten gebrauchen, dient
hnen bei der Jagd gewöhnlich das Blasrohr mit vergifteten Pfeilen als Waffe.
Sie pflanzen Mais, halten Pferde, Kühe und Schweine, kommen aber zum
Handel nur dann in die Städte, wenn sie einen Artikel haben wollen, den sie
onst nicht erwerben können. Sie sind sehr mißtrauisch, und selbst wenn man
sie gut aufnimmt und zur baldigen Wiederkehr einladet, kehren sie selten bald
zurück. Sie scheinen zu fürchten, man könne ihnen eine Falle legen. Ist ein
Artikel nicht zum Handel bestimmt, so verkauft ihn der Indianer um keinen
Preis. Ihre alte Religion und Begräbnisstätte haben sie, wie es scheint, ganz
aufgegeben; sie richten sich jetzt nach den Bräuchen des Landes.
3. Die wilden Indianer in den colombianischen Kordilleren.
Zwischen den großen linken Nebenflüssen des Marañon, dem Caqueta und
Jutumawn im Süden Colombias, leben noch heute wilde Kannibalen, die den
amen Huitotos oder Guitotos führen und in etwa 50 unagbhängige
Siehe The Journal of the Anthropological Instituto usw. XIII (1883) 241.
Ebd. 242.
Tathrein, Die Einheit d. sittl. Bewußtseins. III.
50
Vierter Teil. Die Naturvölker Amerikas.
und sich oft befehdende Stämme zerfallen. Die Missionäre schätzen ihre Gesamt—
zahl auf 50 000. Der Kapuziner-Missionär P. Hyazinth! schreibt über sie:
„Sie bauen sich außergewöhnlich große Häuser, wovon jedes 20 —30 Familien,
oft sogar den ganzen Stamm faßt. Bei Festlichkeiten gleicht das Innere einer
großen Markthalle, in der bis tausend Indianer spielen, tanzen und trinken.
An ihrer Basis sind diese Wohnungen fast kreisrund, nach oben spitzen sie sich
kegelförmig zu. Von oben bis unten sind sie mit Stroh oder Blättern bedeckt.
Balken, Fenster und Türen bemerkt man von außen keine; doch sind so viele
Türen, als Familien vorhanden sind, und dazu noch ein besonderer Eingang
für die Besucher. Hat er sich beim Eintritt an die drinnen herrschende rauchige
Dunkelheit angepaßt, so glaubt der Uneingeweihte sich plötzlich in eine Mörder⸗
höhle versetzt. Grausen erfaßt ihn beim Anblick der Totenschädel, die ihm von
der Spitze einiger Pfähle entgegengrinsen, und der wilden, ganz nackten Ge—
stalten, die ihn johlend und lachend umringen und mit hundert Fragen über—
schütten, die er nicht versteht. An dem Holzwerk nach innen sind nach allen
Richtungen Hängematten gespannt, oft vier bis fünf übereinander; jeder Insasse
hat seine eigene. Einzelne Pfosten grenzen den jeder Familie gehörigen Raum
ab. Abends lagert jede Familie um das Herdfeuer herum, das sie auf dem
Erdboden zwischen einigen Steinen anzünden. Zu einer bestimmten Stunde
nachts werden auf ein Zeichen des Stammesältesten alle Feuer ausgelöscht,
worauf noch ein schauerlicher Schlafgesang ertönt.
Ihre Toten begraben diese Indianer im Hause. Hat der Fußboden schon
manche Leiche geborgen, so verlassen sie die Wohnung und bauen sich eine neue.
Sie sind wilde Nomaden, die fast beständig herumziehen und von der Jagd
und dem Fischfang leben. Selten trifft man Stämme, die sich mit Landbau
abgeben. In Ermanglung von etwas Besserem essen sie auch Schlangen,
Frösche, Krokodile usp. Am liebsten ist ihnen Menschenfleisch, das sie sich
durch Kriege mit Nachbarstämmen verschaffen. Als Waffen dienen ihnen Pfeile,
Lanzen und Säbel aus hartem Palmholz, deren Spitzen sie in das fürchterliche
Gift „Curare“ tauchen, welches sie aus der gleichnamigen Schlingpflanze ge⸗
winnen. Zum Kriege rufen sie mit dem Maguare (Holztrommel), einem
großen hohlen Baumstrunk, an dessen geschlossenen Enden je ein keilförmiger
Resonanzboden angebracht ist, der durch ein Schalloch mit dem Innern des
Baumstrunks in Verbindung steht. Der mit Gummi oder Kautschuk auf dieses
Instrument ausgeführte Schlag erzeugt einen dumpf dröhnenden Ton, der bis
auf 4-65 Meilen vernehmbar ist. Auch bei Tänzen und Festlichkeiten spielt
das Maquare eine Hauptrolle. Im Kampf sucht man zuerst den Häuptling
zu töten oder gefangen zu nehmen, weil dann dessen Krieger meist fliehen.
Die Gefangenen werden mit teuflischer Grausamkeit mißhandelt und dann ver⸗
zehrt. Die Schädel der Opfer werden als Siegestrophäen auf Pfähle gesteckt,
und aus ihren Zähnen machen die Sieger Halsketten. Bei einigen dieser
Kannibalenstämme herrscht noch die scheußliche Sitte, einen Stammesgenossen
zum Schlachtopfer zu bestimmen, wenn sie lange keinen Menschenbraten mehr
berkostet haben. Drei Tage Frist gestatten sie dem Unglücklichen, um sich
1 Katholische Missionen 1911 -1912, Nr 12, S. 297 ff.
3. Die wilden Indianer in den colombianischen Kordilleren. 51
im Walde zu verstecken. Dann macht sich der ganze Stamm auf, um ihn zu
juchen. Findet man ihn, was meist der Fall ist, so wird er geschlachtet und
erzehrt, wobei auch seine Angehbrigen mitmachen. Diese grausame Sitte nennen
iie bezeichnenderweise Tigerspiel.
Große Angst stand P. Hyazinth einmal bei dem Stamm der Fayajenes
aus. Die meisten von ihnen hatten, scheint es, noch nie einen Missionär ge—
sehen. Kaum betrat er ihr Haus, als alle lachend auf ihn zusprangen und
ihn von allen Seiten betasteten. Die Frau des Kaziken fuhr ihm sogar unter
die Kleider an die Waden und zeigte sie lachend den andern mit dem Rufe:
Mare, mare, d. h. schmackhaft, gut. Dem Missionär lief es eiskalt über den
Rücken. Der Häuptling aber redete heftig auf seine Frau ein, wobei der
Pater wiederholt das Wort Jusiñamuy (Gott oder Gottgesandter) hörte. Als
er später einen Kaziken fragte, warum sie noch keinen Missionär verspeist hätten,
antwortete er lachend, den Jusiñamuy (so nennen sie den Missionär) dürfe man
nicht essen, sonst müßten alle sterben.
Trotz ihrer Wildheit glauben nämlich diese Indianer alle, wenn auch in
unklarer und verworrener Weise, an ein unsichtbares, mächtiges Wesen,
welches das Gute belohnt und das Böse bestraft. Von ihm kommt
auch alles Gute. Alles Unheil dagegen, wie Krankheit, Plage, schlechte Jagd usw.,
schreiben sie einem bösen Geiste zu, Taife genannt, vor dem sie große Angst
haben. Auch an einen Ort ewiger Qual glauben sie und an einen andern,
wo ewige Freude herrschen wird bei guter Gesundheit und ertragreicher Jagd
und Fischerei. Diesen Ort nennen sie Mona (Himmel)3.
Das Haupthindernis der Bekehrung dieser Wilden sind die Zauberer,
deren es bei allen Stämmen, zuweilen auch noch bei den halbchristlichen, gibt.
Sie bilden einen besondern Stand, den nur die schlimmsten Gesellen ergreifen.
Zu diesem Zweck begeben sie sich eine Zeitlang zu einem berühmten Zauberer
ines befreundeten Nachbarstammes, der sie in die Geheimnisse der Schwarz⸗
unft einführt. Die Guitotosindianer tun ihren Zauberern alles zulieb und
heucheln ihnen Zuneigung und Vertrauen, nur um von ihnen nicht geschädigt
zu werden. In Wirklichkeit aber verabscheuen sie sie. Das zeigt sich beim
Tode des Zauberers. Dann herrscht große Freude. Sein Grab wird zwei—
bis dreimal tiefer gemacht als gewöhnlich, und über dem Leichnam stampfen
sie die Erde fesi, damit der Verhaßte nicht mehr zum Vorschein komme.
„Eigenartig ist das Vorgehen der Guitotos bei der Verheiratung. Hat
sich der Jüngling das Mädchen seiner Neigung erspäht, und zwar in einem
andern Stamm, nie im eigenen, so erscheint er eines Tages in der Wohnung
der Erkorenen mit einem Säckchen Coca und hängt dasselbe, ohne auch nur
u grüßen, an den Pfahl, um welchen herum die Stammesältesten ihre Be—
atungen zu halten pflegen. Stumm entfernt er sich wieder. Die Insassen
des Hauses wissen sofort, um was es sich handelt. Am Abend halten dann
die Alten mit dem Vater des Mädchens Rat über diese Angelegenheit. Nimmt
aach dieser Beratung der Vater das Säckchen vom Pfahl an sich, so heißt das,
er soll sie haben. Rach eiwa acht Tagen erscheint der Freier wieder stumm an
— —
1ͤEbd. 298.
52
Vierter Teil. Die Naturvölker Amerikas.
der Türe des Hauses. Sieht er das Säckchen nicht mehr am Pfahl, so ist
seine Freude groß, seine Zunge löst sich, er tanzt wie von Sinnen im Hause
hjerum, alle Bewohner herzlich grüßend und umarmend. Er muß jetzt seinem
Schwiegerbater eine Zeitlang dienen, dann erst darf er die Braut zu seinem
Stamme bringen, wo ein großes Hochzeitsfest gefeiert wird. Findet aber der
Heiratslustige bei seiner Rückkehr das Cocasäcklein noch am Pfahl, so nimmt
er es traurig oder zornig wieder zu sich, um sein Glück in einem andern
Stamm zu versuchen. Polygamie und Konkubinat kommen bei den Guitotos
selten vor, schon wegen ihrer Armut. Die weißen Händler dagegen, welche
in ihrer Nähe leben, geben ihnen auch in diesem Punkte oft ein verderbliches
Beispiel.
Die Waisenkinder werden bei diesen Wilden ganz vernachlässigt und meist
sogar im Walde ausgesetzt, wo sie verhungern oder wilden Tieren zur Beute
fallen. Auch das Schicksal der ganz alten Indianer ist recht beklagenswert.
Nicht selten töten die eigenen Kinder sie, um sich von ihnen zu befreien. Der
Häuptling der Fayajenes z. B. packte in einem Wutanfall seinen alten Vater
bei den Haaren und zerrte ihn herum, bis der Arme mit gebrochenem Genick
tot hinfiel, und das nur, weil ihm der Vater befohlen hatte, Coca zu mahlen.
Daß diese Wilden, Männer und Frauen, fast alle ganz nackt herumgehen, ist,
wie die Missionäre versichern, weniger eine Folge ihrer Wildheit und Ver—
dorbenheit als ihrer Armut. Sobald sie von einem Händler oder Missionär
ein Stück Zeug erhalten, verteilen sie es unter sich und bedecken sich notdürftig.
Auch folgender Vorfall bestätigt das Gesagte. In dem Stamm der Mericienes
hatte P. Hyazinth von den Indianern erreicht, daß sie ihm ihre kleinen Kinder,
unter denen die schwarzen Pocken schrecklich hausten, zur Taufe brachten. Auf
ein Zeichen mit dem Maquare sollten alle kommen; aber es erschienen in kurzen
Zwischenräumen immer nur sechs Indianerinnen mit ihren Säuglingen, und
zwar alle diese Frauen mit kurzen Lendentüchern bedeckt. Als der Pater fragte,
warum sie nicht alle zusammen kämen, erfuhr er, daß im ganzen Stamm nur
sechs Indianerinnen im Besitz von Lendentüchern waren, die sie nun ihren
Gefährtinnen liehen. Ein Missionär hatte ihnen früher das Zeug dazu geschenkt 1.
All die genannten wilden Indianerstämme sind leider in rascher Abnahme
begriffen. Einen Teil der Schuld daran tragen gewiß ihr regelloses Leben, ihre
Menschenfresserei und die vielen Kriege, die fie untereinander führen. Die
Hauptschuld trifft die gewissenlosen Kautschukhändler, wie alle Missionäre ver—⸗
sichern. Da noch in großen Massen ausgezeichneter Kautschuk vorhanden ist,
der teuer bezahlt wird, kommen skrupellose Abenteurer aus allen Nationen
der Welt hierher. Die Wilden, die sich ihnen widersetzen, werden nieder⸗
geknallt. Wehe den gutmütigen Indianern, die sich Tauschwaren aufdrängen
lassen. Für immer geraten sie in schimpfliche Sklaverei. Sie schleppen eine
Last Kautschuk nach der andern herbei, kommen aber nicht mehr aus der Schuld
heraus. Stirbt einer, so müssen seine Frau und seine Kinder Kautschuk bringen.
Befehden sich Indianerstämme, so benutzen gewissenlose Händler das zu ihrem
Vorteil. Sie helfen einen Stamm nach dem andern vernichten. Natürlich
Katholische Missionen 1911 -1912, Nr 12, S. 299.
4. Die Jivaros in Ecuador.
53
bleibt der Sieger ihnen für immer tributpflichtig. Sogar richtige Sklaven—
jägerei kommt vor. Wehrlose werden ergriffen, weggeführt und in Brasilien
derkauft. Ein Indianer, der auf diese Weise seine Frau und ein Söhnchen
derloren hatte, erzählte diese Tatsache weinend dem P. Hyazinth.
4. Die Jivaros in Ecuador.
Das Indianervolk der Jivaros (Schivaros, Xivaros) oder Schuaras, wie
es sich selbst nennt, wohnt zwischen den Flüssen Bomboiza, Rio Chuchumbleza
und Rio Zamora im östlichen Ecuador. Dem Italiener E. Festa, dem
Franzosen Dr Ribet! und den Salesianer-Missionären verdanken wir eine
eingehende Beschreibung derselben 2.
Die Jivaros sind von kleiner, untersetzter Statur und angenehmem Außern;
doch verrät der Blick ihre wilde, rohe Natur. Sie haben eine ziemlich breite
Stirn, schwarze Augen, im allgemeinen etwas eingedrückte Nase. Von den
Stämmen am Rio Zamora haben manche Individuen einen fast kaukasischen
Typus mit einer Adlernase. Diese sind wahrscheinlich Abkömmlinge spanischer
Weiber, die von diesen Wilden bei der Zerstörung der Städte Zamora, Logrono
und Sevilla de Oro zu Sklavinnen gemacht wurden.
Im Verkehr mit den Europäern bedienen sie sich eines spanischen Kauder—
welsches. Die erste Frage, die sie an den Fremden richten, ist, ob er Geschenke
mitgebracht habe und welche. Sie sind nämlich überzeugt, daß jeder Fremde,
—D——
neugierig. Die Kleidung der Männer besteht in einem Stück Leinwand, Tupi
genannt, das sie um die Lenden tragen und das bis zu den Knien reicht.
Das Tupi ist sehr stark, wird von den Jivaros selbst verfertigt und mit roten
und schwarzen Streifen gefärbt. Die Männer schmücken sich mit Halsketten
aus Muscheln, Tierzähnen usw. Die langen schwarzen Haare tragen sie in
drei Zöpfen, zwei kürzeren an beiden Seiten und einem langen in der Mitte.
Außerdem haben sie am Halse eine gestickte Tasche, Huambaschi genannt, in
welcher sie Messer, Feuerstein, Feuerschwamm, Stahl usw. mit sich nehmen.
Sie pflegen ihr Gesicht mit roten und schwarzen Vunkten zu bemalen, viele
auch Brust und Arme.
Die Weiber bekleiden sich mit dem Tarachi, einer Art Hemd oder Mantel
aus schwarzem Baumwollstoff, der den Körper bis zu den Knien fast ganz
bedeckt. Sie schmücken sich mit Halsketten und Armbändern von Muscheln
und Perlen. Die Knaben gehen fast immer nackt bis zu ihrem zehnten oder
zwölften Lebensjahre, während die Mädchen schon als Säuglinge mit dem Tarachi
bekleidet sind.
Die Häuser der Jivaros sind geräumig, isoliert und stehen gewöhnlich auf
iner Anhöhe in der Nähe einer Quelle. Wenn eine Familie ein Haus bauen
will, ladet sie die Freunde ein, ihr beim Zurechtrichten des Bodens zu helfen.
Les Indiens Jibaros in der Zeitschrift L'Anthropologie Bd XVIIIXIX; vgl.
Globus XCV (1909) 61-6.
2 Vgl. die Zeitschrift „Salesianische Nachrichten“, Turin 1910, 64ff 93 ff.
*
Vierter Teil. Die Naturvölker Amerikas.
Die Eingeladenen roden dann eine große Fläche, um Platz für das Haus und die
nötigen Pflanzungen zu gewinnen. Die Häuser sind länglichrund. Das Dach
ruht auf sechs aus Stämmen der Chonta gearbeiteten Säulen, die symmetrisch
zu zwei und zwei aufgestellt sind. Die Wände sind aus Leisten der Chonta
hergestellt und das Dach aus Blättern, die kunstvoll zusammengefügt und mit
Lianen durchflochten sind. Zwei an beiden Enden der großen Achse der Ellipse
angebrachte Türen führen in das Innere des Hauses. Dieses ist ein einziger
großer Raum und zur Hälfte für die Männer, zur Hälfte für die Frauen
bestimmt, ohne aber besonders abgeteilt zu sein. Der Besucher eines Jivaro—
hauses muß durch die für die Männer bestimmte Türe eintreten und sich in
dem von diesen bewohnten Teil des Hauses aufhalten. Es wäre ein schwerer
Verstoß gegen den Anstand, durch die Türe auf der Frauenseite einzutreten
oder sich dort aufzuhalten. Die Frauen kommen nie in den für die Männer
hestimmten Teil, außer wenn sie zu irgend einer Dienstleistung gerufen werden.
Rings an den Pfahlwänden sind die Lager angebracht; die der Weiber
sind sonst denen der Männer ähnlich, nur sind sie durch zwei aus Rohr ge—
hildete Wandschirme nach Art von Zellen abgeschlossen, die bloß nach vorn
eine Offnung zeigen.
Die bevorzugteste Waffe des Jivaro ist die Lanze. Er gebraucht sie auf
der Jagd und im Krieg, auch wenn er Flinten besitzt. Früher waren die
Lanzen ganz aus hartem Holz, heute ist die Spitze meistens aus Stahl, den
sie von den Weißen eintauschen. Auch einen rundlichen Schild verwenden sie
im Kriege. Auf der Jagd gebrauchen sie das Blasrohr (GBodoquera), durch
das sie kleine, 285-30 em lange, pfeilartige Geschosse mit solcher Gewalt und
Sicherheit blasen, daß sie auf 30—40 m Entfernung kleine Vögel damit
erlegen und, wenn fie vergiftete Pfeile haben, auch Schakuhühner. Affen und
Hirsche.
In Bezug auf politische Organisation scheint bei den Ivaros fast
Anarchie zu herrschen. Jede Familie hat zwar ihr Oberhaupt, das aber in
Wirklichkeit wenig Autorität besitzt. Nur während des Krieges übt das
Familienhaupt eine gewisse Suprematie aus. Nicht einmal der Vater hat
Autorität über seine Kinder. Wenn diese 14 —15 Jahre alt sind. betrachten
sie sich als unabhängig und tun, was sie wollen.
Die Frauen sind stets den Männern unterworfen. Während sie noch ledig
sind, hängen fie von den Eltern ab, und nach der Heirat stehen sie unter der
Herrschaft ihres Mannes. Wenn der Mann stirbt, geht die Witwe in den
Besitz seiner Brüder über. Die Ehe besteht in einfacher UÜbergabe des Mädchens
von seiten des Vaters an den Bewerber. Oft ist der Bräutigam verpflichtet,
einige Zeit dafür bei dem Schwiegervater im Dienst zu bleiben. Die Hochzeit
wird erst gefeiert, wenn der Bräutigam die Braut in sein eigenes Heim ein⸗
führt. Der, welcher als Priester der Zeremonie vorsteht, gibt den Brautleuten
einen Tabakaufguß zu trinken; hierauf wird getanzt, gegessen und besonders
viel Chicha getrunken.
Bei diesen Wilden herrscht noch die Vielweiberei. Die Frau ist die
Sklavin des Mannes; sie muß ihm auf den Reisen folgen und nicht nur die
Lebensmittel, sondern auch die Handelsgegenstände nachtragen, während der
4. Die Jivaros in Ecuador.
55
Gebieter vorausgeht und nur die eigenen Waffen trägt. Sie muß das Feld
bestellen und die Haustiere pflegen, das Haus rein halten, Brennholz beschaffen
und die Küche besorgen. Wenn sie ihren Herrn nicht befriedigt, wird sie un—
barmherzig geschlagen. Oft heiraten erwachsene Männer Mädchen von acht bis
zehn Jahren, um sie, wie sie sagen, nach ihrem Geschmack zu erziehen. Doch
darf man keineswegs glauben, daß die Wilden für die Liebe zum Familien—
leben gänzlich unempfindlich sind.
Von Religion kann bei den Ivaros kaum die Rede sein, doch glauben
sie an ein künftiges Leben, an einen guten Geist, der Pflanzen
und Tieren Wachstum und Gedeihen gibt, und an einen bösen
Geist, den sie Iguanchi (Iguantschi) nennen!. Dieser erscheine ihnen,
agen sie, im Schlaf unter der Gestalt eines schwarzen Affen, besonders wenn
sie von dem Natama getrunken haben, das durch Abkochen einer Liane ge—
wonnen wird und das sie eben zu dem Zweck trinken, um solche Erscheinungen
zu haben. Sie haben Priester oder Zauberer Medizinmänner), die
hren Festen mehr als Zeremonienmeister denn als Priester vorstehen. Ihre
Hauptaufgabe ist, die Krankheiten zu vertreiben, denn die Jivaros sehen in
jeder Krankheit das Werk irgend eines Feindes. Diese Priester, Bruchos (Brujos)
oder Huischinu genannt, sind freche Betrüger, die ihre Arbeit im Dunkel der
Nacht verrichten und immer zuerst bezahlt sein wollen, bevor sie ihre Arbeit be—
ginnen. Durch eine Art monotonen Gesanges rufen sie die Hilfe des Iguanchi
an; dann beschreiben sie dessen Ankunft, wie er durch die Wände in das Haus
eindringt. Schließlich legen sie ihren Mund an die kranke Stelle des Patienten
und zeigen dann, wenn die Lichter wieder angezündet sind, den Umstehenden
einen Schweinezahn, eine Stecknadel oder sonst einen Gegenstand, von dem sie
versichern, sie hätten ihn aus dem Leibe des Kranken gesogen und er sei die
Ursache der Krankheit gewesen.
Wenn der Brucho merkt, daß der Kranke schon dem Tode nahe ist, ver⸗
weigert er seine Hilfe und sagt, der Feind habe den verderblichen Gegenstand
so tief in das Herz des Kranken eingedrückt, daß es unmöglich sei, ihn zu
entfernen. Denn sollte der Kranke nach der Kur doch sterben, so muß der
Brucho seine Unerfahrenheit mit dem Leben bezahlen. Um den Namen des
Urhebers der Krankheit zu erfahren, betrinkt sich ein Angehöriger der Familie
mit Natama, zieht sich dann in eine eigens zu diesem Zweck im Walde er⸗
richtete Hütte zurück, wo ihm in seiner wild erregten Phantasie der Iguanchi
erscheint und den Namen des Feindes mitteilt. Von dem Augenblick an ist
Dr Rivet sagt von den religiösen Vorstellungen der Jivaros: „Sie kennen ein
höchftes Wesen Iguanchi, welches die Missionäre in den Teufel umgewandelt haben. An
Stelle des Iguanchi haben sie den Yusa gesetzt, verdorben aus Jesus. Der Iguanchi
aber ist noch der allmächtige Gott, den man in allen wichtigen Fragen in Anspruch
nimmt. ... Um mit Iguanchi in Verkehr treten zu können, dazu bedarf es des Getränkes
Natama.“ Die Missionäre müßten doch sehr töricht gewesen sein, wenn sie Iguanchi,
den Namen des allmächtigen Gottes, auf den Teufel übertragen hätten, und ebenso töricht,
wenn fie Jesus als den Namen Gottes eingeführt hätten. Jesus bedeutet in der christ⸗
lichen Religion nicht Gott, sondern den gottmenschlichen Erlöser. Auch die Art und Weise,
wie die Zauberer durch ein betäubendes Getränk mit Iguanchi in Verkehr treten, zeigt
deutlich, daß dieser Ignanchi der Teufel ist.
56
Vierter Teil. Die Naturvölker Amerikas.
dieser dem Tode geweiht; oft wird ihm jahrelang nachgestellt; doch wird er
unfehlbar getötet.
Diese Rache bewirkt, daß die Wilden ein sehr unglückliches Leben führen, da
sie in beständiger Angst sein müssen und die verschiedenen Familien sich gegen—
seitig fortwährend bekriegen. Die Feindseligkeiten haben aber außer den an—
gegebenen noch andere abergläubische Ursachen. Der kriegerische Instinkt dieser
Wilden ist sehr entwickelt. Selten kommen sie zusammen, ohne von Krieg und
Blutvergießen zu reden. Die Eltern tun alles mögliche, um den Kindern einen
tiefen Haß gegen die Feinde der Familie einzuflößen. Wenn die Jivaros einen
Stamm oder eine feindliche Familie überfallen wollen, verbergen sie sich in
großer Zahl in der Nähe der Wohnung des Feindes. In den ersten Stunden
nach Mitternacht umzingeln sie das Haus, werfen angezündete Büschel auf das
Dach, wodurch dieses bald in Brand gerät. Die Flammen und der Rauch
nötigen die Bewohner, das Haus zu verlassen. Im Freien spielt sich dann
ein wilder Kampf ab, bei dem die Überfallenen, noch schläfrig und vom Rauch
geblendet, leicht überwunden und getötet werden. Die Sieger schneiden den
Opfern die Köpfe ab und nehmen sie nach Hause, um eine Schanza (Shanza)
daraus zu verfertigen. Zu diesem Zweck ziehen sie vorsichtig die Haut vom
Schädel, tauchen sie in siedendes Wasser, stülpen sie dann über heiße Steine
von immer geringerer Größe, welche die Haut zusammenziehen, bis sie nur noch
die Größe einer Orange hat. Dann nehmen sie den Stein heraus, füllen die
Haut mit heißer Asche und nähen den Mund und die Offnung am Halse zu.
Der so behandelte Kopf bewahrt mehr oder weniger die Ähnlichkeit mit dem
Toten; die Haare bleiben unversehrt erhalten.
Diese besondere Trophäe gibt den Jivaros, die darauf stolz sind, Gelegen—
heit zu einem ihrer größten Feste, zu dem alle Verwandten und Freunde von
nah und fern eingeladen werden und das volle fünf Tage dauert. Mit Essen,
Trinken, Tanzen und Musik wird die Zeit zugebracht. — Die Schanza wird
fast immer an Weiße verkauft, die sie gewöhnlich mit einer Flinte bezahlen.
Die ecuadorianischen Gesetze verbieten zwar diesen unwürdigen Handel. aber er
scheint doch unter der Hand fortzubestehen.
Leichenbestattung. Wenn ein Jivaro stirbt, beweinen die Verwandten
seinen Tod während mehrerer Tage mit lautem Wehklagen. Handelt es sich
uim ein Kind, so wird es in dem Hause selbst begraben. Ist der Verstorbene
ein Erwachsener, so wird in einem der um das Haus gelegenen Gärten eine
kleine Hütte errichtet. In der Mitte derselben dient ein Baumstamm als Sitz,
auf welchen sie den Leichnam mit über der Brust gekreuzten Armen nieder—
jetzen. Um ihn herum werden Pfähle in den Boden eingerammt, die sie dann
mit Laub bedecken und mit zähen Lianen so umwinden, daß das Ganze eine
Art Zylinder von einem halben Meter Durchmesser bildet. Die Offnung wird
mit einer großen Holzplatte zugedeckt, auf die man einen schweren Stein legt.
Im Innern der Hütte hängen mehrere Körbe mit Speisewaren sowie mit Chicha
gefüllte Gefäße, damit der Verstorbene nicht Hunger leiden müsse während der
Reise, die er nach ihrer Ansicht machen muß, um an den Ort der Glüchseligkeit,
ihr Paradies, zu gelangen, wo er jede Art von Freuden genießen wird,
ohne arbeiten zu müssen. Der Missionär, dem wir diesen Bericht entnehmen,
5. Die Mainas am oberen Marañon.
57
fügt hinzu: Schon zur Zeit meiner Reise pflegten einige Jivarofamilien, welche
in dem Tal von Gualaquiza wohnten, ihre Verstorbenen in die Mission zu
tragen, damit sie in geweihter Erde bestattet würden!.
Die Zahl dieser Wilden ist in rascher Abnahme begriffen, deren Haupt—
ursachen in der Kindersterblichkeit, in den beständigen Kriegen und in den epi⸗
demischen Krankheiten, besonders in den Pocken, liegen. In den Gegenden, wo
sie mit den Weißen in Berührung kommen, tritt zu diesen Ursachen noch der
Alkoholgenuß hinzu, dem sie in hohem Grade ergeben sind. Auf die Bekehrung
der Erwachsenen setzen die Missionäre wenig Hoffnung. Sie lassen sich zwar
gern taufen, behalten aber ihre wilden, tierischen Gewohnheiten bei. Die Mis—
fionäre richten deshalb ihr Augenmerk vorzüglich auf die Erziehung der Kinder,
die bessere Früchte versprechen.
Nach dem Reisenden A. Simson haben die Jivaros auch den Brauch des
sog. männlichen Kindbettes, während die Mutter gleich nach der Geburt
wieder alle häuslichen Arbeiten verrichtet. Das Kind, glauben sie, würde nicht
gedeihen, wenn der Vater nicht mehrere Tage nach der Geburt desselben untätig
in der Hängematte verharrte?. Ferner sollen die Jivaros am Pintuc die Sitte
beobachten, fast jeden Morgen sich künstlich (mit Hilfe einer Feder) zu erbrechen.
Sie meinen, daß Speisen, die über Nacht im Magen geblieben sind und nicht
berdaut wurden, für den Körber ungesund seien und entfernt werden müßtens.
5. Die Mainas am oberen Maraũon.
Unter dem Namen Landschaft von Mainas (Maynas) verstehen die älteren
Missionäre in ihren Berichten allgemein das Gebiet des oberen, spanischen Ma—
rañon, das sich südlich vom Putumayo von den Kordilleren bis an die Grenzen
Brasiliens ausdehnt und das heutige östliche Ecuador und einen Teil des nord—
stlichen Peru umfaßt. In diesem weiten Gebiet lebten unzählige Volksstämme,
die verschiedene Sprachen redeten, aber in Körpergestalt und Sitten einander
ziemlich ähnlich waren. Zur Zeit der Entdeckung waren diese Völkerschaften
meist sehr zahlreich, aber am Ende des 18. Jahrhunderts waren von manchen
Stämmen nur noch kümmerliche Überreste vorhanden. Die Missionäre klagen
allgemein über das Zusammenschmelzen dieser Stämme, kamen aber nie voll—
ständig ins klare über dessen Ursachen 4.
.Weil von vielen Stämmen nur wenige Familien vorhanden waren, sahen
ich die Missionäre oft genötigt, mehrere Stämme in einem Dorfe zu vereinigen.
die Folge davon war, daß nicht selten in einem Dorf drei oder vier verschiedene
Shrachen geredet wurden. Bei einem solchen Sprachgewirre war eine ersprieß—
liche Missionstätigkeit fast unmöglich, und deshalb führten die Missionäre nach
„Salesianische Nachrichten“ 1910, 100.
Vgl. Globus XXXVIII (1880) 160. 3 Ebd.
Ausführlich handelt über diese Ursachen P. Franz Xaver Veigl, der viele
Jahre Missionär in jenen Gegenden war, in seiner Schrift: „Gründliche Nachrichten über
X Verfassung der Landschaft von Maynas in Südamerika bis zum Jahre 1768“, abge⸗
druckt bei C. G. v. Murr, Reisen einiger Missionarien der Gesellschaft Jesu in Amerika.
Nürnbera 1785
—38
Vierter Teil. Die Naturvölker Amerikas.
Möglichkeit überall die allgemeine Peruanersprache, das Quichua (Kitschua)
ein, das sehr wohlklingend und leicht zu erlernen war. Doch kostete es ihnen
viele Mühe, diese Sprache zur Herrschaft zu bringen, weil die Leute zäh an
ihrer Muttersprache festhielten, obwohl sie leicht fremde Sprachen lernten. „Die
Wilden zu gewinnen“, sagt P. Veigl!, „ist nichts geeigneter, als wenn sie ein
Fremdling in ihrer eigenen Sprache, obwohl sehr mangelhaft, anredet.“
Über die Sitten und die Gebräuche dieser Mainasindianer, wie sie all—
zgemein nach einem Hauptstamme derselben genannt wurden, unterrichtet uns
eingehend P. Jose Chantre y Herrera in seiner Historia de las Mi-
siones de la Compaia de Jesus en el Marafion españols.
Alle diese Nationen pflegten den Leib zu bemalen und sich in lächerlicher
Weise durch Durchbohren der Nasen, Ohren oder Lippen usw. zu entstellen.
Meistens gingen Männer und Frauen nackt, nur trugen sie gewöhnlich eine
Schamhülle am Gürtel, die bis zu den Knien herabreichte. Doch gab es auch
Stämme, die jede Bedeckung verschmähten, aber sich leicht überreden ließen, eine
Hülle anzulegen, wenn man sie ihnen schenktes.
Eine eigentliche Regierung mit geordneten Gesetzen gab es bei diesen
wilden Völkern zur Zeit ihrer Barbarei nicht, doch waren sie nicht alle gleich.
Die meisten hatten keine Dörfer oder größere Niederlassungen, sondern zogen in
kleinen Trupps in den Wäldern und an den Flüssen umher und errichteten
zeitweilig ihre Hütten aus Stangen und Palmblättern, wo sie gerade gute
Gelegenheit zum Jagen oder Fischen antrafen. Als Lager dienten ihnen Hänge—
matten. Abgesehen von diesen Hängematten, bestand das ganze Mobiliar aus
einigen Kochgeschirren und Platten, einem großen Topf zum Aufbewahren des
Getränkes und einem Trinkgefäß. Ihre Nahrung bestand hauptsächlich aus
Pisangfrucht, Mais, Juka, wilden Wurzeln und Affenfleisch, wenn sie es haben
konnten. Sie essen zweimal im Tag, am Morgen gegen 8 Uhr und am Abend
zwischen 4 und 5 Uhr. Männer und Frauen essen getrennt.
Die Beschäftigung der Männer besteht in der Besorgung der Anpflanzungen,
wenn sie eine Familie zu ernähren haben, im Jagen, Fischen und Herstellen der
Werkzeuge und Waffen für Jagd, Fischfang und Krieg. Alles übrige bleibt
den Frauen überlassen, die mühsam arbeiten, während die Männer einen großen
Teil der Zeit mit Nichtstun zubringen. Die Kinder bleiben, sobald sie laufen
können, sich selbst überlassen, tun, was sie wollen, ohne sich um die Befehle der
Eltern zu kümmern; sie werden auch nie gestraft. Die Männer geben den Frauen
keine Befehle, sondern bitten sie; die Frauen würden auch keine andere Sprache
don seiten der Männer dulden. Von einer eigentlichen Gerechtigkeitspflege
Gründliche Nachrichten usw. 128.
Das Werk war schon am Ende des 18. Jahrhunderts im Manufkript fertig, wurde
aber erst im Jahre 1901 zu Madrid von P. Mera 8. J. im Druck veröffentlicht, der
in der Vorrede bemerkt, von allen Schriften über das Mainaland übertreffe keine die des
p. Chantre y Herrera an Genauigkeit, Zuverlässigkeit und Ausführlichkeit. Der Verfasser
war zwar nicht selbst in Amerika, aber bei Abfassung des Werkes standen ihm beständig
mehrere Missionäre hilfreich zur Seite, die lange am Marañon gewesen waren, namentlich
P. Manuel Uriarte, der langjährige Obere der Mainasmission, P. Martin Iriarte u. a.
Außerdem standen ihm zahlreiche Dokumente von Missionären zur Verfügung.
3 Ohantre y Heéerreéraa. a. O. 65.
2
5. Die Mainaos am oberen Marañon.
59
ist keine Idee. Jede Familie und jedes Individuum beansprucht volle Unab⸗
hängigkeit. Sind die Söhne und Töchter groß und heiratsfähig geworden, so
trennen sie sich von den Eltern, und auch die Brüder trennen sich voneinander
und lassen sich dort nieder, wo es ihnen gefällt. Es gilt schon als Zeichen
großer Freundschaft, wenn sie sich nur eine Tagereise weit voneinander nieder—
lassen. Hat ein Indianer den andern beleidigt oder geschädigt, so verschafft sich
der letztere selbst Genugtuung, indem er den Gegner zu töten sucht.
Obwohl die Stämme oder bestimmte Abteilungen einen Kaziken haben,
besitzt dieser doch im Frieden keine Autorität; er ist nur ihr Führer im Kriege,
onft regiert sich jeder selbst, und wenn es ihm bei einem Kaziken nicht mehr
gefällt, so geht er zu einem andern. Die Kapitäne sind meistens Männer, die
sich durch Mut und Tapferkeit ausgezeichnet haben. Um sich Autorität zu ver—
schaffen, spielen sie oft die Rolle großer Zauberer. Vor den Zauberern als
den Herren über Gesundheit und Leben haben die Eingebornen große Furcht,
und sie tun alles, um ihnen nicht zu mißfallen. Oft aber bezahlen diese
Zauberer früher oder später ihre Macht mit dem Leben, indem derjenige, der
von ihnen geschädigt zu sein glaubt, blutige Rache an ihnen nimmt. Daß bei
einer solchen Ordnung oder Unordnung der Dinge alle Laster und Verbrechen
in schamlosester Weise sich breit machten, darf nicht wundernehmen.
Die Ehe wird in folgender Weise abgeschlossen. Der Jüngling, der ein
Mädchen heiraten will, legt einige Zeit täglich etwas Holz vor die Türe des
Hauses, in dem die Erkorene wohnt, und entfernt sich, ohne ein Wort zu sagen.
An den ersten Tagen gibt sich das Mädchen den Anschein, sich nicht darum zu
kümmern, nimmt aber das Holz in das Haus hinein. Endlich macht der Vater
oder die Mutter oder ein älterer Bruder sie auf die Bedeutung des Geschehenen
aufmerksam. Jetzt wartet sie, wenn sie dem Brautwerber günstig ist, bis dieser
wieder Holz bringt, und läßt das Holz in ihrer Gegenwart niederlegen, ohne
daß dabei ein Wort gesprochen wird. Von jetzt an bringt der Bräutigam jeden
Abend einige Fische an einer Schnur und hängt sie an der Türe auf, ohne
jemand etwas zu sagen. Diese Zeremonie dauert wenigstens einen Monat, und
während dieser Zeit dürfen sich die Brautleute öffentlich kein Zeichen der Zu—
neigung geben und nicht miteinander sprechen, obwohl sie sich genau verstehen
und wissen, wie es mit den Heiratsaussichten steht. Am Ende dieser Zeit läßt
der Vater der Braut oder der ältere Bruder oder sonst ein naher Verwandter
don ihr den Bräutigam in das Haus rufen und lobt ihm nun die Braut,
indem er sagt, sie sei sehr arbeitsam, verstehe Getränke zu machen, Gürtel zu
flechten, Töpfe zu verfertigen usp. Der Bräutigam rühmt sich selbst und sagt,
er sei ein Jäger, verstehe sich auf das Fischen und die Arbeit, sei nicht träge
im Säen und Besorgen der Pflanzung, er sei stark und mutig und wohl im—
stande, sich und seine Frau zu ernähren und diese aufmerksam zu behandeln.
Bei den Imaguas ist aber das Gegenteil der Fall. Der Vater der Braut
sagt, sie sei ein müßiges und unnützes Weib und tauge zu nichts, der Bräutigam
dagegen lobt sie und preist ihre guten Eigenschaften. Alle Bewohner des Hauses
hören diesen Reden zu. Nach Vollendung derselben erhebt sich der Bräutigam
don seinem Sitz und legt, ohne ein Wort zu sagen, eine Korallenschnur, die
als Armband dient, in die Hand der Braut. Diese bleibt mit gesenkten Augen
30
Vierter Teil. Die Naturvölker Amerikas.
sitzen, während der Bräutigam auf seinen Platz zurückkehrt. Er erhebt sich
dann zum zweitenmal und gibt ihr zu trinken. Alles das geschieht, ohne daß
die Brautleute ein Wort sagen. Jetzt folgt noch die Schlußzeremonie, die nicht
bei allen Stämmen gleich ist. Bei einigen besteht die Gewohnheit, eine Hänge—
matte mitten im Zimmer aufzuhängen, die Braut setzt sich zuerst hinein, so daß
sie den Männern den Rücken zukehrt, dann setzt sich der Bräutigam hinein, so
daß er der Braut den Rücken zukehrt. Jetzt nimmt eine alte Frau ein Gefäß
mit Trank, gibt es der Braut, die sich halb umwendet und es dem Manne
hinreicht mit den Worten: „Nimm und trink.“ Dieser nimmt es an und sagt:
„Ich werde trinken“, und trinkt. Durch die Hand der Braut kehrt das Gefäß
zur alten Frau zurück, die es zum zweitenmal füllt und es der Braut gibt
ind sagt: „Nimm und trink, wie dein Mann getrunken hat.“ Sie tut es,
ind damit ist die Ehe besiegelt. Bei andern Stämmen ist die Schlußzeremonie
etwas verschieden!.
Man sieht daraus, daß sie die Ehe an sich als streng für das Leben
hindend betrachten. Doch kommt die Ehescheidung, namentlich wenn keine Kinder
borhanden sind, leicht vor, was bei dem wankelmütigen Charakter dieser Wilden
nicht wundernimmt. Wenn die Frau, die der Mann im Stiche läßt, schwanger
st, so rächt sie sich am Kinde, indem sie es gleich nach der Geburt töten läßt
oder es selbst lebendig begräbt und dabei mit Schmähungen überhäuft, weil es
das Kind eines Menschen sei, der sie verlassen habe, und es nicht verdiene, mit
ihr zu leben.
Bei dem Stamm der Jquitos und Zameos bestand die Gewohnheit, daß
Männer kleine Mädchen annahmen, sie selbst erzogen, um sie später zu heiraten.
Der Mann nahm das Mädchen in sein Haus und behielt es beständig an
seiner Seite; er trug es auf seinen Armen, es folgte ihm auf der Jagd und
beim Fischfang, und er erzog es ganz nach seinem Geschmack, und es wurde
ihm meist sehr anhänglich. Die Missionäre wollten diesen Brauch beseitigen,
begegneten aber den größten Schwierigkeiten. Die Männer versicherten, daß sie
bis zur Heirat nie die Grenzen der Zärtlichkeiten überschritten, die ein guter
Vater seiner Tochter erweist, und tatsächlich konstatierten die Missionäre, daß die
auf diese Weise zustande gekommenen Ehen am dauerhaftesten waren.
Die Vielweiberei, sagt P. Chantre, ist bei den Eingebornen am Marañon
nicht so häufig, wie manche Schriftsteller behaupten. Sie ist meist nur eine
Auszeichnung der Kaziken und selbst bei diesen nicht allgemein; selten haben
sie zwei, drei oder mehr Weiber, und zwar halten sie so viele Frauen nicht
—E
die Bewirtung der Gäste nötig haben. Bei einigen Stämmen ist es Sitte, daß
heim Tode des Erstgebornen, wenn er keine Kinder hinterläßt, der Zweitgeborne
die Witwe heiraten muß, um die Nachfolge zu sichern. Denn wenn der Kapitän
oder Kazike gestorben ist, so folgt ihm der nächstältere Bruder, der seine Frau
heiratet und seine Kinder adoptiert.
Krüppelhafte oder mißgestaltete Kinder wurden getötet, auch von Zwillingen
wurde einer getötet. weil man solche Geburten auf den Einfluß des Teufels
1Chantbre y Herrera, Historia de las Misiones usw. 71 - 72.
5. Die Mainas am oberen Marañon.
61
zurückführte, und deshalb galten sie als eine Schande für die Eltern. Diese
entschuldigten den Mord auch mit der Behauptung, eine Mutter könne nicht
gleichzeiig zwei Kinder ernähren. Bei einigen Stämmen wurden nicht nur
Kinder, sondern auch Erwachsene, die durch einen Unfall mißgestaltet, krüppel—
haft oder blind geworden waren, getötet, wenn sie nicht besonders geliebt waren
oder sich ihr Leben erkämpften.
Die Indianer am Marañon waren fest überzeugt, daß es keinen natürlichen
Tod gebe. Sie stützten diese Meinung durch das, was sie an den VLandtieren,
den Vögeln und Fischen beobachteten; diese würden nach ihrer Meinung sehr
lange leben, wenn sie nicht einander verfolgten oder von den Menschen getötet
würden. Infolge dieser Überzeugung hüten sie sich nicht vor der Sonne, vor
Luft oder Regen oder Wasser, schlafen in Sümpfen, bei Leichen u. dgl. Auch
wenn die Ursache des Todes klar zu Tage liegt, fragen sie, wer ihn durch
Zauber verursacht habe, und gewöhnlich wird die Schuld einem Angehörigen
einer andern Nation, zuweilen aber auch einem Glied desselben Stammes zu—⸗
geschrieben. Eine Kleinigkeit genügt zu einem solchen Verdacht. Die Zauberer
unterstützen diese Ansicht, indem sie denen mit Zauber drohen, die nicht tun,
was sie wollen. Sie behaupten auch, mit dem Dämon in Verbindung zu
stehen und mit seiner Hilfe jeden krank machen, töten oder sonstwie schädigen
zu können. Doch sind alle ihre Künste nur listige Betrügereien. Zwei der
berühmtesten Zauberer, die von den Missionären bekehrt wurden, gestanden später
oft, daß außer einigen Kenntnissen der Heilmittel alle ihre Praktiken nur Be—
trügereien gewesen seien. Einer gestand offen, er habe oft andere durch Zauber
töten wollen, es sei ihm aber nie gelungen!.
Bei allen Stämmen finden sich viele derartige Zauberer, zu denen die
furchtsamen und argwöhnischen Indianer oft mit der Frage kommen, warum
dieses oder jenes Unglück sie getroffen habe. Um zu antworten, haben die
Zauberer die verschiedensten Praktiken. Manche ziehen sich in eigens zu dem
Zweck errichtete Hütten im Walde zurück, wo sie angeblich fasten, den Teufel
durch Beschwörungen herbeirufen und bewegen, ihnen das mitzuteilen, was sie
zu erfahren wünschen. Kein Indianer wagt es, diesen Hütten zu nahen, während
der Zauberer darin ist. Nur von ferne hören einige zu, wie er schreit und sich
abmüht. Nach einigen Tagen kommt der Zauberer heim und teilt nun sein
Orakel mit, das er den Umständen anzupassen weiß und oft zum Schaden seiner
Feinde einrichtet. Anderwärts gebraucht der Zauberer oder Wahrsager eine
ganze Nacht zu seinen Gaukeleien. Er versammelt alles Volk, trinkt dann etwas
bon einem berauschenden Getränk, schreit und springt und ruft: „Das tue ich
nicht“, als ob ihm der Teufel etwas Schreckliches zu tun befehle, und gibt end⸗
lich sein Orakel von sich. Man fürchtet die Zauberer und flieht sie, und doch
nimmt man immer wieder Zuflucht zu ihnen.
Manche Indianerstämme haben eine Art Adel, d. h. eine Anzahl Familien,
die von den übrigen als höherstehend anerkannt werden und sich in etwa von
den andern abschließen. Selten wird ein Jüngling oder ein Mädchen aus diesen
Familien sich mit einer Person aus den gewöhnlichen Familien verheiraten.
1 Ebd. 77—79.
52
WVierter Teil. Die Naturvölker Amerikas.
Solche Adelsfamilien existieren bei den Cavachis, Ticunas, Pebas und Oma—
guas!. Diese haben auch eigene Feierlichkeiten, durch die öffentlich die Kinder
der Familien als zum Adel gehörig erklärt werden. Mit diesen Feierlichkeiten
sind gewöhnlich Trinkgelage verbunden, bei denen es nicht selten zu den schimpf⸗
lichsten Ausschweifungen kommt.
Die Waffen, deren sich die Eingebornen bedienen, sind Lanzen und Speere
aus hartem Holz, Schilde und besonders das Blasrohr mit vergifteten Pfeilen.
Der Krieg besteht fast nur in Hinterhalten und plötzlichen Üüberfällen und war
bei vielen von diesen Stämmen eine nahezu stehende Einrichtung. Oft wurden
aus reiner Rauf- und Mordlust Kriege unternommen, oft auch bloß, um den
eigenen Weibern die Tapferkeit zu beweisen, meistens aber war die Rachsucht
die eigentliche Triebfeder der Kriegszüge, weil jeder Todesfall dem bösen Zauber
irgend eines Angehörigen eines benachbarten Stammes zugeschrieben wurde.
Auch Frauenraub gab oft Anlaß zum Krieg. Es werden nach Chantre mehr
Mädchen als Knaben geboren, aber es sterben auch mehr Mädchen als Knaben,
und infolge davon fehlt es oft den Jünglingen an heiratsfähigen Mädchen im
eigenen Stamm, und da friedliche Verhandlungen mit den Nachbarstämmen fast
nicht vorkommen, begeben sich die jungen Männer auf den Kriegspfad, um
Frauen zu rauben. Die beraubte Nation hat nun ebenfalls Mangel an Frauen
und sucht demselben durch Raubzüge abzuhelfen. Bei der Heimkehr von solchen
siegreichen Feldzügen, auf denen man einige Feinde erschlagen hat, werden große
Siegesfeste gefeiert. Einige Nationen gebrauchen die Schädel der erschlagenen
Feinde als Trinkgefäße, andere stecken sie auf ihre Lanzen und bewahren sie
als Siegestrophäen auf. Das ist nach Chantre vielleicht der Grund, warum
die Eingebornen am oberen Marañon für Kariben und Menschenfrefser aus—
gegeben wurden. Aber, wie es scheint, ganz mit Unrecht. Sicher ist, daß
man seit Anfang der Mission unter den Mainas im Jahre 1740 keinen einzigen
Fall von Menschenfresserei entdeckte, und die Missionäre, die genau nach—
forschten, kamen zu dem Ergebnis, daß man die Eingebornen ohne Grund der
Antropophagie beschuldigt habe. Nur die Mayorunas, die eigentliche Kariben
sind, fressen sich gegenseitig und töten sogar die Kranken, die dem Tode nahe
find. um sie zu verzehren?.
Religion. Eingehend untersucht P. Chantre die Frage, ob die Mainas—
indianer einen öffentlichen religiösen Kult hatten. P. Franz Fuentes, der als
einer der ersten in einer Denkschrift an den König von Spanien diese Völker be—
schrieben, sagt, sie haben nur wenige Arten der Abgötterei. Einige opfern in einem
Tempel (adoratorio), den sie Haus der Sonne nennen, zu bestimmten Zeiten
der Sonne Gold und Silber. Ebenso schreibt Rodriguez in seiner Geschichte
der Entdeckung des Marañon, nachdem er gesagt, die Gebräuche dieser Völker
seien einander sehr ähnlich: Sie beten mit der Hand gemachte Idole an, aber
fie nehmen nur zur Zeit des Krieges zu ihnen ihre Zuflucht. Dagegen be—⸗
haupten alle Missionäre, die in einem Zeitraum von 138 Jahren ununter⸗
hrochen in diesen Gebieten arbeiteten, sie hätten nie Spuren oder Überreste einer
zffentlichen Anbetung bei diesen Nationen entdeckt. Nur bei den Zetes, einer
Chantre y Herrera, Historia de las Misiones usw. 83. 2 Ebd. 90.
5. Die Mainas am oberen Marañon. 63
Abteilung der Omaguas, fand ein Missionär in einem Winkel ein kleines
Bötzenbild aus Lehm, um das sich aber die Eingebornen nicht kümmerten. Die
oben erwähnte Behauptung des P. Fuentes braucht deshalb nicht falsch zu sein,
da er von einem weiteren Gebiete und nicht speziell von den Mainasindianern
redet. P. Cristobal de Acuña berichtet allerdings!, die Indianer am Marañon
hätten mit der Hand gemachte Götzenbilder angebetet und den einen Macht über
die Wasser, den andern Macht über die Saaten oder die Schlachten zu—
geschrieben; diese Götter seien vom Himmel herabgekommen, um sie zu begleiten
und ihnen Gutes zu tun, doch hätten sie keinerlei Zeremonien, um sie an⸗
zubeten, nur zur Zeit der Not oder des Krieges legten sie diese Götzen auf
den Vorderteil des Schiffes, um von ihnen Hilfe zu erlangen. Aber de Acuña
redet ebenfalls vom ganzen Maraũuongebiet, und seine Reise ging vom Rio
Napo bis zur Mündung des Amazonenstromes, also vorwiegend durch damaliges
vortugiesisches Gebiet.
„Obwohl aber“, schreibt Chantre, „unsere Indianer keinen Kult, keine Zere⸗
monien hatten, die man als Religion oder Götzenanbetung ansehen konnte, so
darf man doch nicht glauben, sie hätten in einer vollständigen und unüberwind—
lichen Unkenntnis Gottes gelebt. Denn es ist schwer zu begreifen, daß ein
bvernünftiges, mit Freiheit in seinem Handeln ausgestattetes Geschöpf nicht so viel
Urteil und Unterscheidung habe, um nicht wenigstens im allgemeinen und konfus
das Gute und Böse, das der Natur und der Vernunft Entsprechende oder
Widersprechende zu erkennen; ich sage nicht in allen Dingen, denn das hieße
zu viel verlangen, aber wenigstens in Bezug auf einige Handlungen, die klar
und unmittelbar aus den ersien Vernunftgrundsätzen folgen. Gott ist nicht
fern von uns, sagt der Apostel, und seine Erkenntnis drängt sich uns durch
die ersten und allgemeinen Vernunftgrundsätze und das Gewissen auf, die jedem
vernünftigen Menschen gemein sind. Durch sie kommt auch der verdunkeltste
Verstand irgendwie zur Erkenntnis des Schöpfers aller Dinge in irgend einer
Eigenschaft oder einem Attribut, das nur Gott und keinem Geschöpfe zukommen
kann, wie z. B. in der Eigenschaft des Richters oder Schöpfers oder Gesetz⸗
gebers usw.
„Um aber allgemeine Betrachtungen auf sich beruhen zu lassen, so bieten
sich mir zwei Dinge dar, die mich davon überzeugen, daß unsere Indianer am
Marañon nicht in so allgemeiner und vollständiger Unkenntnis Gottes lebten,
wie jemand glaubte. Vor allem zeigte die Erfahrung den Missionären ganz
allgemein, daß schon, als sie zum erstenmal das Dasein Gottes, des Schöpfers
aller Dinge, der die Guten nach diesem Leben in seinem Himmel belohne und
die Bösen drunten im ewigen Feuer strafe, predigten, die Indianer diese Wahr—
heiten ganz leicht annahmen, gleich als ob sich die Keime derselben schon in
ihrer Seele vorgefunden hätten. Und wenn die Indianer nicht immer den
Glauben annahmen oder nicht darin verharrten — so kam das nicht daher,
weil ihnen diese Wahrheiten nicht gefielen, sondern weil sie sich nicht entschließen
In seiner Schrift Nuevo descubrimiento del Gran Rio de las Amazonas, die
im Jahre 1641 erschien und im Jahre 1891 zu Madrid neu herausgegeben wurde (Co-
lecciôn de libros que tratan do America raros o curiosos II 86-87).
34
Vierter Teil. Die Naturvölker Amerikas.
konnten, in einem Dorfe vereint zu leben, in dem sie ihre alte Freiheit verloren
hätten und genötigt gewesen wären, ihren Lastern, besonders der Ausschweifung
und der Trunksucht, zu entsagen. Hierzu kommt noch ein anderes. Wie roh sie
auch waren, so empfanden sie doch die Gewissensbisse, die sie beunruhigten,
hesonders wenn sie gewisse, mehr als gewöhnlich enorme Sünden begangen
hatten. Zeuge dafür ist ein berühmter Kazike der Encebellados, mit Namen
Zamaroa. Durch die Güte Gottes gelang es dem P. Manuel Uriarte, ihn zu
bekehren, und zwar schon Jahre vor der Vertreibung der Missionäre aus jenen
Gegenden. Derselbe hatte einen Diener des P. Uriarte getötet. Einst, als er
in einem friedlichen Gespräch mit dem Missionär begriffen war, sagte er: „Ach,
Pater! Seitdem ich diesen Mord begangen habe, ist mein Herz unruhig und ich
finde keinen Frieden mehr!‘ Dieser Stachel und Vorwurf des Gewissens mahnte
ihn wenigstens dunkel daran, daß es einen höchsten Richter gebe, der einst von
seinen Handlungen Rechenschaft fordern und seine Missetaten strafen werde.““
Klarer und bestimmter war die Kenntnis, welche diese Indianer vom Teufel
hatten. Alle Stämme hatten in ihrer Sprache einen besondern Namen, um
ihn zu bezeichnen. Sie behaupteten auch, daß er ihnen oft in Gestalt eines
weißen Mannes erscheine und sie an der Taufe verhindern wolle?.
Welch edle Seelen es unter diesen Indianern gab, ersehen wir aus einem
Briefe des P. Luzero, den P. Richter in einem Schreiben aus dem Jahre
1685 mitteiltä. Die Pest war in der Missionsftation ausgebrochen und raffte
viele Indianer hin. Weil alle Mittel und Gebete nichts halfen, ergriff die
Neubekehrten eine solche Panik, daß sie auf Kähnen davonfuhren und dem
Missionär von ferne zuriefen: „Pater, rette dich, die Pest wird dich töten.“
Dann weinten sie laut und sagten: „Wir fliehen nicht vor dir, sondern vor
der Pest, denn du hast uns lieb. Gott sei mit dir, tapferer Mann, und be—
wahre dich.“ Dann fuhren sie davon. Ganz trostlos eilte P. Luzero in die
Kirche und betete dort inbrünstig viele Stunden lang. Weil sogar die Zurück—
gebliebenen sich nicht mehr sehen ließen, so argwöhnte er, man habe im Sinn,
ihn zu töten. Plötzlich aber kamen viele in die Kirche und riefen laut: „Ge—
lobt sei das heilige Sakrament.“ Dann küßten sie dem Missionär die Hände
und sagten: „Wir sehen, daß du dich sehr betrübst über die Völker, welche
geflohen sind, nachdem du sie mit so großer Mühe und Geduld aus den Wild⸗
nissen in eine Gemeinde versammelt hattest. Wir sind gekommen, um dich zu
trösten und bei dir zu bleiben. Wenn die Pest auch diesen Ort ergreift, so
wollen wir doch dich nicht verlassen; denn wenn wir auch sterben, wir wissen,
daß wir von dieser Erde in den Himmel übergehen werden, da wir als Leute
sterben, die an Gott glauben und ihre Sünden bereuen. Diejenigen aber,
welche die Pest überleben werden, sind bereit, alle die, welche dich verlassen
haben, wieder bei dir zu versammeln.“
J
Ohantre y Herrera, Historia de las Misiones usw. 116-117.
Ebd. 117. s Vgl. Der Neue Welt-Bott Nr 21 (I 61).
Viertes Kapitel. Die Indianer an der Küste und im Marafßongebiete Brasiliens. 63
Viertes Kapitel.
Die Indianer an der Küste und im Marañongebiete Brafiliens.
Von den Ufern des Rio de la Plata bis zur Mündung des Orinoco bestand
die Hauptbevölkerung an der Küste aus den sprachlich und anthropologisch mit—
einander verwandten und weitverzweigten Stämmen der Tupis und Guaranis,
die nach einer alten indianischen Überlieferung von einem Brüderpaar Tupi und
Guarani abstammten. Die Sprache der Guaranis wurde die allgemeine Verkehrs—
sprache im Süden und wird noch heute in Paraguay und in der argentinischen
Provinz Corrientes gesprochen; das Tupi dagegen wurde die Verkehrssprache
unter den Eingebornen Brasiliens, ist aber heute fast in Vergessenheit geraten,
nur die Eingebornen und Mischlinge (Cholos) des Amazonengebietes verständigen
sich noch durch eine mit zahlreichen Tupiwörtern gemengte porlugiesische Mundart.
Nach einer uralten Legende, die noch heute am Amazonas erzählt wird!,
zog Tupi vom Norden her nach Para. In der Hand trug er den Bogen und
die Pfeile und auf den Schultern den klugen Papagei Maita. Guarani folgte
den Spuren seines älteren Bruders, um den Maita zu stehlen, weil Toryba (, das
Glück“) beschlossen hatte, dem Besitzer dieses Vogels seine schöne Tochter Marica
als Gattin zu geben. Maita war ein kluger Vogel. Mit allen Zauberkünsten
dertraut, sprach er mit seinem Herrn, zeigte ihm, wo Wild und Früchte zu finden
seien und entdeckte ihm die Feinde. Marica war seit langem in den jüngeren
Bruder verliebt und sagte eines Tages am Parastrom zu ihm: „Warte auf mich,
in drei Tagen werde ich dir den Maita bringen oder Tupis Gefangene sein.“
Sie nahte sich nun dem Tupi, und obwohl von Maita gewarnt, rief dieser doch
das Mädchen zu sich und versprach, es zu heiraten. Marica aber antwortete:
„Du lügst, schenke mir den Papagei, und ich werde es dir glauben.“ Tupi konnte
ihrem Zauber nicht widerstehen und befahl dem Vogel, auf die Schulter seiner
neuen Gebieterin zu fliegen. Als das Tier nicht folgte, holte Tupi zum Schlage
nach demselben aus. Dieses aber entfloh auf den Gipfel einer hohen Palme,
während Marica im Dickicht verschwinden wollte. Tupi eilte ihr nach; plötzlich
aber stand Guarani zwischen den beiden. Die Rivalen stürzten aufeinander los
aund umfaßten sich fest, während Marica auf den Baum zum Maita kletterte
und dort dem Kampf zusah. Mit feuersprühenden Augen und mit blutigem
Schweiß bedeckt hielten die Brüder einander umklammert. Da flehte Marica
weinend zum Altvater der Menschheit: „Sei gnädig, großer Tupan.“ Tupan,
der Allmächtige, erhörte das Gebet des Mädchens und befahl der Winds—
braut, die Brüder zu trennen. Es entstand ein gewaltiger Orkan, und die
Brüder hielten im Kampf inne. In der Hoffnung, Marica zu erreichen, sprang
Tupi auf einen schwimmenden Baumstamm. Tupan, der Weise, lenkte die Fahri
auf das jenseitige Ufer. Dort ließ er sich nieder und ward zum Stammvater
zahlreicher Indianervölker: der Pitiguaras, Pupinakis, Tabajares ꝛc.; Guarani
gegen Süden. Seine Nachkommen sind die Guaranis, Guayanas, Carijos,
CTabes u. a.
1Vgl. Globus XCVII (1910) 160- 161.
Cathrein, Die Einheit d. sittl. Bewußtseins. III.
2
Vierter Teil. Die Naturvölker Amerikas.
1. Die Tupis.
Die verschiedenen Tupistämme bewohnten zur Zeit der ersten Entdeckung des
Landes durch die Portugiesen die Küstengebiete Brasiliens südlich vom Amazonen⸗
strom. Es hält sehr schwer, auf Grund der alten Berichte die verschiedenen
Stämme auseinanderzuhalten. In Bezug auf Religion und Sitten scheint
aber große Ahnlichkeit unter den verschiedenen Stämmen geherrscht zu haben.
Zu den ältesten Schriftstellern, die die Sitten der Eingebornen Brasiliens
eingehend beschrieben haben, gehört der bekannte Reisende Johann Staden,
der im Jahre 1549 auf einem portugiesischen Schiff nach Brasilien kam und
im folgenden Jahr in die Gefangenschaft der Tupin Imbas geriet, die damals
um den 24.0 s. Br. die brasilianische Küste bewohnten und mit den umliegenden
Völkern, den Tupin Ikin (Tupiniquin), den Karaye, Wayganna usw. in bestän—
digen Kriegen lebten. Er schreibt u. a.n: Sie errichten ihre Wohnungen gern
an Orten, wo sie Wasser, Holz, Wild und Fische in der Naͤhe haben. Wenn
fie ihre Hütten bauen wollen, versammelt ein Oberster (Häuptling) unter ihnen
eine Schar von 40 Personen, Männer und Weiber, so viele er bekommen kann;
es sind meistens seine Verwandten und Freunde. Diese errichten eine ungefähr
14 Fuß breite und wohl 150 Fuß lange Hütte, je nach der Zahl der Personen.
Die Hütte ist ungefähr 2 Klafter hoch, oben rund wie ein Kellergewölbe und
mit Palmzweigen zugedeckt. Das Innere besteht aus einem einzigen Raum ohne
Gemächer. Jedes Paar, Mann und Weib, hat einen Raum von 12 Fuß Länge
und ein eigenes Feuer. Der Häuptling wohnt in der Mitte der Hütte. Diese
hat gewöhnlich drei kleine Offnungen auf derselben Seite, die so niedrig sind,
bdaß man sich bücken muß, um aus- und einzugehen. Wenige Dörfer haben
mehr als sieben Hütten; diese liegen meist um einen Platz herum, auf dem die
Eingebornen ihre Gefangenen totzuschlagen pflegen. Um die Hütten errichten
sie einen Palisadenzaun und zwischen dem Zaun und den Hütten eine Anzahl
Holzwände, welche die Bewohner gegen die feindlichen Pfeile schützen, aber kleine
Hffnungen haben, um die Feinde beschießen zu können.
Sie schlafen in Hängematten aus Baumwollgarn, die an zwei Pfählen be—
festigt find, und unterhalten während der Nacht stets das Feuer. Zur Nachtzeit
verlassen sie nicht gern die Hütte, ohne Feuer mit sich zu nehmen, „so sehr fürchten
sie sich vor dem Teufel, welchen sie Imgange nennen und ihn oftmals sehen“2.
Zum Feueranmachen bedienen sie sich zweier Holzstücke, die sie aneinander reiben,
so daß Holzstaub entsteht, der sich infolge der durch die Reibung entstandenen
Hitze entzundet. Staden lobt die Geschicklichkeit der Tupin Imbas im Jagen
und Fischen. Sie schießen auf die Fische und wenige Schüsse gehen fehl. Er
lobt auch ihre Gestalt. Es ist ein feines Volk von Leib und Gestalt, beide,
Frau und Mann, nur daß sie von der Sonne gebrannt sind, „denn sie gehen
alle nackt, jung und alt. haben auch gar nichts vor den Schämen (Scham⸗
Brafilia durch Johann Staden von Homberg aus Hessen. Aus eigener Erfahrung
in Teutsch beschrieben. ... Alles von neuem mit kunstlichen Figuren in Kupfer gestochen
and an Tag gegeben durch De Bry von Luttich, jetzt Bürger zu Frankfurt a. M.,
1593, 69 ff.
2 Ebd. 71.
1. Die Tupis.
67
teilen), und sie verstellen sich selbst mit Vermalen, haben keine Bärte, denn sie
pflücken sie aus, so oft er ihnen wächst, machen Löcher in Mund und Ohren,
daran hängen sie Steine, das ist ihre Zierat, und behängen sich mit Federn“ 1.
Als Werkzeuge gebrauchen sie geschliffene Steine und Schweinezähne. Erst von
den Europäern scheinen sie Eisen erhalten zu haben.
Eine eigentliche politische Verfassung hatten die Eingebornen nicht.
Jede Hütte hatte einen „Obersten, der ist ihr König“. Nur im Krieg scheinen
fie einen Anführer gehabt zu haben. Sonst habe ich, schreibt Staden, kein
sonderlich Recht unter ihnen vernommen, außer daß die Jüngsten den Eltern in
dem gehorchen, was ihre Sitte mit sich bringt. Wenn einer den andern tötet,
so sind seine Freunde bereit, jenen wieder zu töten, obwohl dies selten geschieht.
Dem Häuptling der Hütte sind alle gehorsam; was er befiehlt, tut man ohne
Zwang oder Furcht, allein aus gutem Willen?. Eingehend schildert Staden
die Art und Weise, wie die Eingebornen ihre Früchte pflanzen, ihre Nahrung
bereiten, wie die Frauen aus Ton Töpfe und Gefäße verfertigen, und besonders
wie sie das Lieblingsgetränk (Cauin) aus Mandiokawurzeln bereiten, das sehr
berauschend, aber auch nahrhaft ist. Obwohl sie bei ihren Trinkgelagen viel
Lärm machen, singen und tanzen, besonders wenn sie betrunken sind, „sieht man
doch wenig, daß sie uneins werden. Sie sind auch untereinander sehr günstig;
was der eine mehr hat von Essensspeis denn der andere, teilet er ihm mit“8.
In ihrer Nahrung sind sie wie alle Wilden nichts weniger als wählerisch. Sogar
das Ungeziefer am eigenen Leibe verschlingen sie.
Von Jugend auf haben sie nur einen Namen, aber so manchen Schlauwen
Sklaben) die Männer töten, so manchen Namen geben sich die Weiber und
auch die Männer, wie wir gleich hören werden. Die Weiber tragen ihre Kinder
auf dem Rücken in einer Art Netz, „tun ihre Arbeit mit ihnen, die Kindlein
schlafen und sind wohl zufrieden, wie sehr sie sich auch mit ihnen bücken und
tegen“. — Die meisten Männer haben nur ein Weib, etliche auch mehr, einige
Könige 13 —14. Die erste Frau ist die oberste. Jede hat ihre eigene Woh—
nung in der Hütte und eigenes Feuer. Zu essen gibt dem Mann die Frau,
bei der er gerade weilt. Wenn die Knaben groß geworden, ziehen sie auf die
Jagd, und was sie heimbringen, gibt jeder seiner Mutter. Die kocht es und
beilt dann den andern mit, und die Weiber vertragen sich wohl untereinander.
Sie haben auch den Gebrauch, daß einer dem andern ein Weib schenkt, so er
eines müde ist. Auch schenkt der eine dem andern etwa eine Tochter oder
Schwester. Ihre Töchter verloben sie, wenn sie noch jung sind. Kommen sie
ns heiratsfähige Alter, so schneidet man ihnen die Haare ab und tätowiert sie.
Nach dieser Zeremonie überliefert man sie ohne weitere Feier dem, der sie haben
air „Mann und Weib halten sich auch gebührlich und machen ihre Sache heim⸗
ich.“ Nach Staden ging ein Häuptling früh am Morgen durch alle Hütten
und stach die Kinder mit einem scharfen Fischzahn in die Beine, um sie zu er—
chrecken, damit, wenn sie unleidlich würden, die Eltern sie durch die Drohung,
jener Mann werde kommen, zum Schweigen bringen könnten.
Fbd. 72. 2 Ebd.74. 3Ebd. 76.
13
J
Vierter Teil. Die Naturvölker Amerikas.
Güterteilung (d. h. strenges Privateigentum) gibt es unter ihnen nicht,
sie wissen auch nichts von Geld. Ihre Schätze bestehen in Vogelfedern; wer
deren viele hat, ist reich, und wer seine Steine in den Lippen hat, der ist auch
der Reichsten einer. Ein jedes Ehepaar hat seine eigenen Wurzeln, davon es
ißt. Aus dieser Bemerkung und aus dem von Staden über die Wohnung der
Frau Gesagten geht hervor, daß ihnen der Eigentumsbegriff keineswegs fehlte,
wenn auch das Privateigentum sehr gering war, da es für sie tatsächlich wenig
Bedeutung hatte.
Als größte Ehre gilt es bei den Tupis, viele Feinde gefangen und getötet
zu haben und für jeden Erschlagenen sich einen neuen Namen hinzuzufügen.
Deshalb haben die Vornehmsten die meisten Namen.
Über die Religion der Tupis sagt Staden, sie glauben an ein Ding,
das wächst wie ein Kürbis, ist so groß wie ein halber Maßkrug und inwendig
hohl. Sie stecken ein Stöcklein hindurch, schneiden ein Loch darein wie einen
Mund und legen kleine Steine hinein und rasseln damit, wenn sie singen, und
heißen es Tammaraka. Jeder Mann hat ein solches. Eine Art Wahrsager, die
bei den Tupis in Achtung stehen, ziehen jährlich einmal durch das Land in alle
Hütten und behaupten, ein Geist sei bei ihnen gewesen, der von weither
gekommen. Der habe ihnen die Macht verliehen, nach ihrem Willen die Rasseln
jum Reden zu bringen und durch sie zu erlangen, was man wolle. Ein jeder
will nun diese Macht in seiner Rassel haben. Zu dem Zweck veranstalten sie
ein großes Fest mit Trinken, Singen, Weissagen und vielen Zeremonien. An
einem bestimmten Tag kommen die Männer in einer leeren Hütte, in der keine
Weiber und Kinder bleiben dürfen, zusammen und bringen ihre Tammaraka
mit. In der Hütte setzen sich die Wahrsager obenan und stecken ihre Tammaraka
in die Erde; die andern stecken die ihrigen, mit einem Erkennungszeichen ver⸗
sehen, daneben. Jetzt nimmt der Wahrsager jede Tammaraka einzeln, beräuchert
sie, hält sie an seinen Mund und sagt zu ihr: „Laß dich hören, bist du darin?“
Dann antworten sie so leise, daß man nicht merken kann, ob die Rassel oder
der Wahrsager redet. Aber das Volk meint, die Rassel habe geredet. Ein jeder
glaubt nun, seine Rassel habe große Macht. Der Wahrsager gebietet ihnen,
in den Krieg zu ziehen und Gefangene zu machen, denn die Geister in dem
Tammaraka verlangten Sklavenfleisch zu essen. Jeder nimmt nun seine Rassel,
nennt fie „lieber Sohn“, macht ihr ein eigenes Häuslein, worin er (der
Geist) steht, setzt ihm zu essen vor und begehrt von ihm alles. was ihm not—
wendig ist.
Aus diesen Angaben geht hervor, daß die Tupis an einen oder mehrere sehr
mächtige und wohlwollende Geister glaubten. Um den wahren Gott aber, sagt
Staden, kümmerten sie sich nicht; Himmel und Erde, meinten sie, seien von
jeher gewesen. Doch haben sie eine alte Sage von der Sündflut, d. h. einem
—
die entweder in einem Nachen oder auf hohen Bäumen entkamen.
Wenn man einen Feind lebendig gefangen hatte, so nährte man ihn gut
und gab ihm eine Frau, die ihn bediente und mit ihm Umgang pflog. Wurde
diese schwanger, so zog man das Kind groß, um es gelegentlich zu erschlagen
und aufzuzehren. War der Gefangene „gemästet“, so erschlugen sie ihn, schleppten
69
ihn an das Feuer und verspeisten ihn, und zwar, wie Staden bemerkt, nicht
aus Hunger, sondern aus großem Haß und Neid!.
Kurze Zeit nach Staden, im Jahre 1557, kam Joh. Lery nach Brasilien.
Seine Schilderung der Tupis stimmt im wesentlichen mit der von Staden über⸗
ein, ergänzt sie aber in manchen Punkten?. Auch er berichtet, daß die Tupin
Imbas vollständig nackt gehen, Männer und Weiber; aber er fügt hinzu, er habe
alte Männer gesehen, die mit Blättern ihre Scham bedeckten und mit Fäden
verbanden oder auch Tücher dazu gebrauchten. „Hieraus kann man spüren,
daß in ihnen noch ein Fünklein der natürlichen Schamhaftigkeit sei, sofern solches
Verbinden aus der Ursache geschieht“, denn er habe der Sache nie gründlich
nachgeforscht 3. Auf die Aufforderung, sich zu bekleiden, weigerten sich die Tupis,
dies zu tun, denn alle benachbarten Völker seien nackt und sie gingen so oft
zum Baden ins Wasser, daß es ihnen zu lästig sei, sich immer aus- und an—⸗
zukleiden. Lery bemerkt auch, daß die völlige Nacktheit der Wilden sie keines—
wegs zur Wollust reize. Die Wahrheit sei vielmehr, daß die Männer durch die
Blöͤße der Weiber weniger aufgeregt werden, als dies bei uns (in Europa) der
Fall sei; ja er meint, daß die Art und Weise, wie die europäischen Weiber
hhieren und schmücken, viel mehr Böses stifte, denn die nackten Weiber der
Wilden:.
Die Tupin Imbas essen und trinken nie gleichzeitig wie die Europäer, sondern
wenn sie essen, trinken sie nicht, und wenn sie trinken, essen sie nicht. Sie
issen „gar tüchtig, etliche waschen sich Mund und Hand vor und nach dem Essen“.
Wahrend des Essens schweigen sie; sie spotteten über die Europäer, die während
des Essens miteinander redeten. Fast alle Trinkgelage sind von Tänzen begleitet,
doch kanzen die Frauen nie mit den Männern, sondern allein. Viele Kriege
hatten die Tupin Imbas mit ihren Feinden, den Tupin Ikin und besonders
den Markayas, und deshalb auch mit den Portugiesen, deren Bundesgenossen.
Die Wilden führen nur Krieg, um den Tod ihrer Eltern und Freunde zu
rächen, die von den Feinden getötet und verzehrt wurdenb. Obwohl bei ihnen
alle an Würde einander gleich sind, so halten sie doch die Ältesten wegen ihrer
Erfahrung in Ehren und geben ihnen den Vorzug. Deshalb wird in allen
Dorfern den Alten gebührend gehorcht. Zum Krieg kommen oft 8000- 10 000
Personen zusammen, darunter auch Weiber, welche die Kriegsrüstung und den
Proviant tragen. Sie machen diejenigen zu Obersten, welche die ältesten sind
und am meisten Feinde „erschlagen und gefressen haben“. Im Krieg sind die
Tupis nach Lery sehr streitbar und tapfer und laufen nie davon. In der
Schlacht, die er beschreibt, blieben sie Sieger und machten 80 Gefangene, die
sie zum Teil den Franzosen verkauften; die andern wurden geschlachtet, gebraten
und verzehrt. Wir übergehen die Schilderung dieser Scheußlichkeiten, an denen
— —
Staden, Brasilien usw. 81.
Thi » Schiffart in Brafilien in America, darinnen des Autoris Reis, auch viele fremde
iere und Gewächs, den unseren ganz unbekannt, beschrieben werden. Durch Joannem
hum Burgundum selbsten verrichtet und beschrieben, beid in Frantzöfisch und Latein,
p aufs new verteutscht durch Teucrium Annaeum Privatum, Frankfurt a. M.
93. Das franzöfische oder lateinische Original stand uns nicht zu Gebote.
Ebd. 139. 4Ebd. 146. b6 Ebd. 184.
4
70
Vierter Teil. Die Naturvölker Amerikas.
sich die Weiber in hervorragender Weise beteiligten. Die Köpfe der Erschlagenen
wurden als Siegestrophäen aufbewäahrt und vorgezeigt.
Von der Religion der Tupin Imbas sagt Lery: Sie kennen den wahren
Gott nicht, haben auch keine Idole, keinen Gottesdienst, keine Tempel, wo sie
zum Gebet zusammenkommen. Sie wissen auch nichts von der Erschaffung der
Welt. „Doch damit ich auch vermelde, wieviel Verstand ich bei ihnen gefunden
habe, die doch gar in der Finsternis stecken, so sage ich, daß sie nicht allein
glauben an ein ewig Leben der Seelen, sondern sie glauben auch hart
und fest, daß die Seelen derjenigen, die sich der Tugend beflissen
haben (sie halten aber das für eine Tugend: nämlich an denen, welche
sich an vielen Feinden gerochen und deren viele gefressen haben), nach dem
Absterben über die allerhöchsten Berge hinüberfliegen zu ihrer
Väter und Großväter Geistern und daselbst miteinander in schönen lustigen
Gärten in ewigen Freuden, Wollust und Springen ein fröhliches Leben führen.““
„Welche aber nach keiner Ehre gestrebt und für das Vaterland nicht männlich
gestritten haben, die selbigen führe der Teufel Aygnan davon (denn dieser ist
ihr böser Geist), mit dem selbigen müssen sie in ewiger Pein und Qual leben.“
Bei Schilderung des großen Rasselfestes erwähnt Lery auch die Lieder, in denen
die Tupin Imbas ihre verstorbenen Helden besangen, doch sich trösteten in der
Hoffnung, daß sie nach diesem Leben wieder zu ihnen kommen würden an einem
Ort der Freuden. ...
Von der Heirat sagt Lery: Keiner nimmt seine Mutter, Schwester oder
Tochter zur Ehe, sonst besteht kein Ehehindernis. Doch darf keiner die Tochter
oder Schwester eines Aturassap heiraten. Aturassap heißt derjenige, der mit
einem andern ein Freundschaftsbündnis geschlossen hat, so daß die Güter beider
einander gemeinsam sind und sie der eine wie der andere gebrauchen kann?.
Ehezeremonien bestanden keine. Wenn jemand eine Jungfrau oder Witwe zur
Ehe begehrt und deren Zustimmung erlangt hat, so geht er zu deren Eltern
oder Freunden und bittet sie um ihre Einwilligung. Erlangt er diese, so führt
er seine Braut ohne weitere Zeremonien heim, sonst unterbleibt die Heirat. Jeder
kann so viele Frauen haben, als er will, und je mehr Frauen einer hat, als
um so tapferer und vornehmer gilt er. Den Ehebruch verabscheuen sie. Die
Ehebrecherin kann der Mann töten oder verstoßen, wie er will. Auf die Keusch—
heit der Mädchen achten sie wenig, doch sind sie und die Burschen nach Lery
nicht besonders zur Unzucht geneigt. Freilich, fügt er hinzu, habe er gehört,
daß diese im Streit einander Bubenschänder nannten, woraus zu entnehmen,
daß ihnen dieses Laster nicht unbekannt war, aber auch, daß es als schimpflich
galt. Er berichtet auch, daß die Eltern auf ihre Kinder fleißig achtgeben und
daß die Männer der natürlichen Schamhaftigkeit gemäß sich halten und vor den
Leuten nirgends mit den Weibern zu tun habens. J
Die liegenden Güter bei den Eingebornen sind Hütten und Acker. In jedem
Dorf sind etwa 600 Personen, und meist wohnen viele in einer Hütte, doch
hat jede Familie ihren eigenen Platz. Die Dörfer werden oft gewechselt. „Was
die Äcker betrifft, so hat jeder Mussakat (Hüttenvorsteher) etliche besondere; die⸗
EVSery, Schiffart in Brafilien usw. 214. 2 Ebd. 228. 2Ebd. 232.
1. Die Tupis.
71
selben erwählt er, wo es ihm gefällt. Sie kümmern sich aber wenig um die Ab⸗
teilung derselben, wie man die Marksteine setze und wie man sie abmesse. Wieder—
holt rühmt Lery die Gastfreundschaft der Wilden, ihre Liebe, Treue
und Freigebigkeit gegeneinander. Aus Tatsachen erhellt, daß ihnen die
Dankbarkeit nicht unbekannt war!. Doch sind sie auch sehr zornig und rach—
süchtig. — Wenn jemand schwer krank wird, so saugen des Kranken Freunde
oder die Zauberdoktoren, die Pages heißen und verschieden sind von den Wahr—
sagern oder Caraibes, die kranke Stelle, um die Krankheit herauszuziehen. Dem
Kranken geben sie gar nichts zu essen, es sei denn, daß er etwas fordert, und
ollte er auch darüber verschmachten. Ist jemand gestorben, so wird ein wildes
Klagegeheul angestimmt, das bis zum Begräbnis dauert. Der Verstorbene wird
aufrecht in ein rundes Grab gelegt und verscharrt. Den Hüttenvorsteher wickeln
sie in seine Hängematten und begraben ihn in der Mitte der Hütte. Man
legt ihm auch Federn und anderes, was ihm im Leben teuer war, ins Grab.
Früher legten sie auch kostbare Sachen ins Grab, kamen aber von diesem Ge—
brauch ab, als die Franzosen dieselben ausgruben und wegnahmen. Doch stellten
sie noch immer viele Geschirre voll Mehl, Fische, Fleisch und besonders Cauin
um das Grab herum, und zwar so lange, bis der Leichnam ganz verwest war.
„Auf die Gräber machen sie Deckel oder Obdächer von dem Kraut Pindo.
Darum, wer da im Lande wandelt, der sieht gleich einen Kirchhof hin und
wieder, und wenn etwa die Wilden in den Wäldern herumstreifend solche Orte
und ihrer Leute Grabstätte antreffen, heben sie ein solches Geschrei an, daß man
sie weithin hören kann.“
Die obigen Berichte von Staden und Lery werden in allem Wesentlichen
———
der seit 1549 in Brasilien, besonders in der Gegend von Bahia apostolisch tätig
war?. Die Stämme, mit denen er und seine Mitarbeiter zuerst in Berührung
kamen, waren die Topinakis und die Tupinambas, die in ihren Sitten gleich
gewesen zu sein scheinen. Außerdem erwähnt Nobrega noch die mehr im Innern
vohnenden Goyanazes, die Carijos und endlich die Gaimares. Die letzteren
sind wahrscheinlich identisch mit den Aymores oder, wie sie heute genannt werden,
den Botokuden. Auch Nobrega erzählt, wie die Wilden die Kriegsgefangenen
oft nach Hause nehmen, ihnen eine Frau geben, die sie bedienen und mit ihnen
derkehren muß. Erhält die Frau ein Kind, so wird es von den Verwandten
der Frau verzehrt, und diese Scheußlichkeit wird damit gerechtfertigt, daß nur
der Vater und nicht die Mutter an dem Kinde Anteil habe. Der Gefangene
selbst wird gemästet und dann an einem großen Feste, zu dem man alle Nachbarn
einladet, zuerst gewaschen und hierauf geschlachtet und verzehrt. Bevor man ihn
erschlägt, hält einer der Sieger in festlicher Tracht eine Lobrede auf die Ahnen,
und der Gefangene antwortet, er fürchte den Tod nicht, er habe auch viele von
seinen Feinden getötet und seine Verwandten seien noch am Leben, um seinen
Tod zu rächen. Nach Nobrega ist es hauptsächlich die Befriedigung des Hasses
Ebd. 171 - 173.
? Materiaes e Achêgas para a Hici e Geographia do Brasil. No 2: Cartas
Jesuiticas J (1549 - 1560), Rio de Janeiro 5 62 ff.
r
72
Vierter Teil. Die Naturvölker Amerikas.
und der Rache, der diese scheußlichen Mahle dienen sollen. Diese Wilden haben,
berichtet er weiter, viele Weiber und verstoßen sie wieder, wenn sie nicht mehr
damit zufrieden sind. Die Kriege unternehmen sie nur aus Habsucht, da sie
nichts besitzen, als was die Jagd, der Fischfang und die Erde allen bieten. Unter—
einander leben die Stammesgenossen in großer Eintracht und Liebe; sie beobachten
den Grundsatz: Amicorum omnia sunt communia. Wenn einer einen Fisch
erbeutet, so beteiligen sich alle am Essen, und dasselbe gilt bei andern Tieren.
Wenn einer stirbt, wird er in sitzender Stellung begraben und man legt
vor sein Angesicht Speise und besonders Fleisch und eine reingewaschene Hänge⸗—
matte zum Schlafen hin; denn, sagen sie, die Seelen ziehen in die Berge und
kommen dann zurück, um am Grabe zu essen und zu ruhen. Sie legen die
Leichen auch in runde Höhlen, und wenn es Häuptlinge sind, errichtet man
darüber eine Hütte aus Palmblättern.
Besonders interessieren uns die Angaben Nobregas über die Religion der
Topis oder Tupis. Staden und Lery berichten nur, daß die Indianer keine
Kenntnis des waähren Gottes haben, aber gute und böse Geister annehmen. Auch
Nobrega sagt zuerst: sie sind ganz unwissend, „denn sie kennen keinen bestimmten
Gott, und wenn ihnen jemand sagt, irgend etwas sei Gott, so glauben sie es“1;
d. h. sie haben eine dunkle Idee von einem Gott, wissen aber nicht, wer dieser
Gott sei. Daß dieses der Sinn der Worte ist, ergibt sich aus den weiteren
Angaben Nobregas. In einem Bericht aus demselben Jahre 1549 sagt er?:
„Dieses Heidenvolk betet nichts an und kennt auch Gott nicht, nur nennen sie
den Donner Tupane, was so viel heißen will als etwas Göttliches (causa
divina). Und deshalb halten wir kein Wort für passender, um sie zur Kenntnis
Gottes zu bringen, als daß wir Gott Vater Tupane (Pae Tupane) nennen.“
Nobrega berichtet dann auch, daß von Zeit zu Zeit einige Zauberer, die große
Heiligkeit zur Schau tragen, aus weiter Ferne kommen und bei der Ankunft
hefehlen, die Wege zu reinigen, und die Leute eilen ihnen tanzend und singend
entgegen. Bevor die Zauberer ankommen, gehen die Frauen zu zweien in die
häuser, bekennen öffentlich die Fehler, deren sie sich gegen ihre Männer
schuldig gemacht haben, und bitten um Verzeihung. Bei der Ankunft im Dorf
geht der Zauberer in ein dunkles Haus und stellt dort eine Kalebasse, die eine
menschliche Figur darstellt, an einen passenden Ort, verändert in der Nähe der
Kalebasse seine Stimme in die eines Kindes und sagt ihnen, sie sollten nicht
arbeiten, auch nichts anpflanzen, da ihnen nie die nötige Speise fehlen werde, die
Spaten würden von selbst graben und die Pfeile von selbst auf die Jagd gehen
für ihren Eigentümer, sie würden viele Feinde töten, viele zu Gefangenen machen
und verzehren usw.; auch verspricht er ihnen, die alten Weiber würden wieder
junge Mädchen werden, und schwindelt ihnen viele ähnliche Dinge vor, und
da sie meinen, in dem Kürbiskopf stecke etwas Heiliges und Göttliches, das
diese Dinge sage, so glauben sie alless. Wenn der Zauberer mit seiner Rede
zu Ende ist, fangen alle an, gewaltig am ganzen Leibe zu zittern, besonders
die Weiber, und sie scheinen vom Teufel besessen zu sein (und sind es auch
1Da Nobrega, Materiaes e Achêgas. No 2: Cartas Jesuiticas J 68.
2 Ebd. 70. s Ebd. 71.
1. Die Tupis.
73
katsächlich), so daß sie sich auf dem Boden herumwälzen und ihnen der Schaum
aus dem Munde tritt, und nun sagt ihnen der Zauberer, jetzt ziehe das Heilige
in sie ein, und demjenigen, bei dem dies nicht der Fall sei, werde es schlecht
ergehen. Sie geben ihm dann viele Geschenke. Auch bei Krankheiten wenden
diese Zauberer allerlei Betrügereien und Zauberkünste an. Ebenso zieht man
die Zauberer bei Kriegen zu Rat. Außerdem gebrauchen sie auch Vögel, um
die Zukunft zu erkennen.
Sie haben keine Kenntnis von Himmel und Hölle, nur sagen sie, die Seele
gehe nach dem Tode an einen guten Ort, und in vielen Dingen beobachten
sie das natürliche Sittengesetz. Sie haben eigentlich kein Privateigentum; was
einer hat, muß er mit den andern teilen, besonders wenn es sich um Nahrung
handelt, von der sie nie etwas für den folgenden Tag aufbewahren. Reich—
tümer aufzuhäufen kommt ihnen nicht in den Sinn. Ihren Töchtern geben sie
bei der Verheiratung keine Mitgift, im Gegenteil, der Bräutigam ist verpflichtet,
dem Schwiegervater zu dienen. Wenn ein Christ zu ihnen in ihre Hütte kommt,
so geben sie ihm von dem, was sie haben, zur Nahrung und eine reine Hänge—
matte zum Schlafen. Die Frauen bewahren ihren Männern die Treue. Sie
haben auch eine Erinnerung an die Sündflut, nur mischen sie Falsches bei,
indem sie behaupten, als das Wasser die Erde bedeckte, sei eine Frau mit ihrem
Manne auf einen hohen Baum geklettert, und nachdem das Wasser sich verlaufen
hatte, seien sie wieder herabgestiegen, und von ihnen stammten alle Menschen
ab. Sie haben wenige Wörter, mit denen man ihnen die christlichen Wahr—
heiten erklären könnte, aber wir machen ihnen dieselben, so gut wir können, klar
uind bedienen uns dazu der Umschreibungen. Sie kleben eben ganz am Sinn—
lichen. „Sehr oft fragen sie mich, ob Gott einen Kopf, einen Leib und eine
Frau habe, und ob er esse, wie er sich kleide, und ähnliche Dinge.“n
‚ Nach Nobrega hatten sie auch die Sage, ein gewisser Zome, den viele Mis—
sionäre als den hl. Thomas ansahen, sei zu ihnen gekommen, und sie zeigten
noch in der Nähe eines Flusses die Fußspuren, die er hinterlassen haben soll.
Als sie ihn bei seinem Weggang mit Pfeilen töten wollten, kam er an einen
Fluß, der sich ihm von selbst teilte, so daß er trockenen Fußes hindurchgehen
onnte. Sie sagen ferner, er habe versprochen, einmal wiederzukommen, um
sie zu besuchen. Er soll ihnen auch die Nahrungsmittel gegeben haben, von
denen sie noch leben. — Nobrega erzählt weiter, daß er einst mit einem be—
ühmten Zauberer zusammengekommen sei, den die Kranken von weither zu
vilfe riefen. Er fragte ihn, in wessen Kraft er seine merkwürdigen Dinge
zuwege bringe, ob mit der Kraft Gottes, der alle Dinge erschaffen habe und
m Himmel regiere, oder mit der Kraft des Teufels, der in der Hölle sei.
Der Zauberer antwortete frech, er selbst sei Gott und als Gott geboren, und
er zeigte mir einen, dem er die Gesundheit gegeben habe, und jener Gott
des Himmels sei sein Freund und erscheine ihm oft in den
Wolken unter Donner und Blitz, und er fügte noch andere ähnliche
Dinge bei. Infolge dieser Gotteslästerung versammelte ich, sagt Nobrega,
das ganze Volk und zeigte ihm mit lauter Stimme den Irrtum, so daß der
—
1Ehßd. 72.
74
Vierter Teil. Die Naturvölker Amerikas.
Zauberer beschämt dastand und ich ihm sagte, er solle alles widerrufen, was
er gesagt hatte, und das Leben bessern, und versprach ihm, ich wolle für ihn
zu Gott beten, damit er ihm verzeihe. Seither verlangte er selbst, die Taufe
zu empfangen und Christ zu werden, und jetzt befindet er sich unter den Ka—
techumenen. Ich sah unter den Gegenwärtigen manche Männer und Frauen,
die ganz erstaunt waren über das, was ich ihnen über die Größe Gottes sagte!.
Aus dem Angeführten scheint uns hervorzugehen, daß die Eingebornen zwar
keine klare Kenntnis Gottes hatten, aber in dunkler Weise das Dasein von
etwas Göttlichem, einer höheren, unsichtbaren Macht ahnten, der die Dinge
der Welt unterstehen und von der Gutes kommt. Daher nahmen sie auch
ohne jede Schwierigkeit die Lehre vom Dasein Gottes an und freuten sich, von
den Missionären die großen Vollkommenheiten Gottes zu vernehmen. P. Jos.
Anchieta, der große Apostel Brasiliens, der nur wenige Jahre nach P. da Nobrega
in Brasilien landete, sagt von den Eingebornen: „Sie verehren kein Geschöpf;
sie meinen nur, daß die Donner Gott sein müssen,; sie erweisen ihnen
aber keine Ehre.'“ De Laet? schreibt über die Brasilianer: „Sie kennen keinen
Gott und beten nichts an; deshalb findet man auch in ihrer Sprache kein Wort,
um Gott zu bezeichnen“. Den Donner und den Blitz nennen sie Tupan; ihm
verdanken sie, wie sie sagen, die Hacken und die Kenntnis des Ackerbaus, und
deshalb anerkennen sie ihn irgendwie als Gottheit (Gdeo pro nu—
mine aliquo agnoscunt).“
Hören wir jetzt noch Vasconcellos, der als Missionär in Brasilien lebte
und um die Mitte des 17. Jahrhunderts die Missionsgeschichte der Jesuiten
in diesem Lande geschrieben hat. „Die Indianer Brasiliens“, sagt ers, „beten
keinen Gott ausdrücklich (expressamente) an; sie haben weder Tempel noch
Priester, noch Opfer, noch Glauben, noch irgend ein Gesetz.... Ich sagte ,aus—
drücklich“, denn obwohl sie im allgemeinen keine bestimmte Gottheit anerkennen,
besitzen sie doch eine dunkle Ahnung von einem höheren ausgezeichneten
Wesen (de huma Pxcellencia superior), das sie Tupa nennen, was so
biel bedeutet als erschreckende Größe (Excellencia espantosa), und sie zeigen,
daß sie davon abhängen; aus diesem Grund haben sie eine so große Angst
vor Donner und Blitz, weil sie dieselben für Wirkungen dieses höheren Tupa
ansehen. Deshalb nennen sie den Donner Tupacununga, was so viel bedeutet
als das durch das höhere Wesen verursachte Krachen, und den Blitz nennen
Da Nobrega, Materiaes e Archôgas. No 2: Cartas Jesuiticas J 67.
Informaodes e Fragmentos historicos do P. Joseph de Anchieta 8. J. (1584
his 1586), Rio de Janeiro 1886, 27. Auch Anchieta fügt bei, daß die Tupis im all⸗
gemeinen keinerlei Götzenbilder haben und auch keinen Verkehr mit dem Teufel, obwohl
sie diesen sehr fürchten, weil er fie in den Wäldern oder Flüssen tötet; und damit er
ihnen nichts Übles zufüge, legen fie, wenn sie an einem unheimlichen und verrufenen Ort
vorbeikommen, einen Pfeil, einige Federn oder sonst etwas gewissermaßen als Opfer hin.
Novus orbis seu descriptionis Indiae occidentalis libri 18. Iugduni Batav. 1633,
l. 15, 6. 2.
Das bedarf doch einer gewissen Einschränkung; vgl. was oben P. da Nobrega über
Pae Tupane sagt.
s Chronica da Companhia de Jesu do estado do Brasil, Lisboa 1865. lib. 2 das
Notic. n. 13, p. XoIXx.
2
1. Die Tupis.
75
sie Tupaberaba, d. h. einen von demselben Wesen hervorgebrachten Glanz.“
Tupa ist also nicht der Donner und der Blitz, sondern der Erzeuger und Herr
bdon beiden. Vasconcellos erwähnt auch den Unsterblichkeitsglauben der
Brasilianer fast in derselben Weise wie Lery; denn, sagt er, „sie sind der Mei—
nung, die tapfern Helden, die in diesem Leben viele Feinde während des Krieges
getötet und verzehrt haben, und ebenso die Frauen, die so glücklich waren, den⸗
selben beim Kochen, Braten und Essen zu helfen, vereinigten sich nach dem Tode
in einem Paradiese in gewissen Tälern, die sie fröhliche Felder (eine Art Elysium)
nennen; dort veranstalten sie große Festgelage, Gesänge und Tänze; diejenigen
dagegen, die feige waren oder im Leben keine Heldentaten vollbracht haben,
gehen zur Strafe zu gewissen bösen Geistern, die sie Anhangas nennen“. Sie
glauben also an eine Art Sanktion, wenn dieselbe auch nur die Tapferkeit be⸗
trifft. Eine Bestätigung des Glaubens an die Unsterblichkeit findet Vasconcellos
in den Begräbnissen, indem sie zugleich mit den Toten auch ihre Netze und
Arbeitswerkzeuge ins Grab legen, damit sie im andern Leben schlafen, ernten
und essen können. Außer an Tupa glauben die Brasilianer an viele böse Geister,
die sie sehr fürchten, so z. B. Kurupira, die Geister der Gedanken, Macachera,
die Geister der Wege, Jurupary oder Anhanga, die sie schlecht oder Teufel
nennen; Maraguigana sind die Geister der Verstorbenen, die den Tod an—
kündigen.
In seiner „Beschreibung der Länder Brasiliens“, die im Jahre 1634 erschien,
behauptet Pedro Cudena, die Brasilianer hätten keine Religion, ja sie hätten
nicht einmal einen Namen für die Gottheit, es müßte denn der Name Tupan sein,
womit sie Donner und Blitz bezeichnen. Dazu bemerkt der Exjesuit Anselm Eckart,
der selbst lang Missionär in Brasilien war, in seinen Zusätzen zu Pedro Cudenas
Beschreibung der Länder Brasiliens?: „Es ist zwar wahr, daß unter diesen zwei
Wörtern, Gott und Donner, bei den Brafilianern kein großer Unterschied ist;
dennoch ist einiger. Denn das Wort Gott auszudrücken, sagen sie Tupaͤ, und
ist nach der portugiesischen Aussprache Tupan. Sie pflegen auch noch ein a am
Ende zu setzen und sagen Tupäna. Fuür die Bedeutung des Donners ist nur
Tupaͤ. Dieses Wort Donner beschreiben sie auch mit zwei Wörtern, sagend
Tupaä oder Tupana-pororöca, was so viel heißt als Gottesgetöse oder Geräusch.
Daß aber diese Volker etwas Höheres erkennen, und einen, der über
sie ist, welchen sie zu fürchten haben, erhellt aus dem, daß, wenn es
donnert, die Eltern ihren Kindern mit dem Finger den Himmel zeigen und
sprechen: Tupana, der Donnernde.... Den Blitz nennen sie nicht Tupaͤ wie den
Donner, sondern Tupäna-baraba, d. h. Gotteswetterleuchtung. Also auch die
Kirche wird von ihnen genannt Tupaoia oder Tupanaroca, Gotteshaus.“
Noch heute nennen die Indianer am oberen Amazonas Gott Tupäna. Paul
Marcoys macht darauf aufmerksam, daß sowohl in der Sprache der Yahuas
und Ticunas wie in jener der Omaguas und Tupinambas der Gute Geist,
der Gottschöpfer. übereinstimmend Tupana heißt, während jedes dieser Völker für
tEbd. p. o, n. 13.
Bei E. G. v. Murr, Reisen einiger Missionarien usw., Nürnberg 1785, 584.
Tour du monde XIV (1866) 147 Anm.
76
Vierter Teil. Die Naturvölker Amerikas.
den bösen Geist eine verschiedene Benennung hat. Bei den Ticunas heißt der böse
Geist, den sie verabscheuen, Mhoho. „Sie glaubten, daß die Seele eines
Verstorbenen, je nach den Taten, welche derselbe verübt, in ein
bernünftiges Wesen oder in ein unreines Geschöpf übergehe.“
Tupana wohnt in der oberen Himmelsregion, und die Sterne sind die Strahlen,
die von seinem Antlitz ausgehen. — Ebenso schreibt der Salesianermissionär
Lorenzo Giordano von den Miranhas am Amazonas: „Selbst die wil⸗
desten unter diesen Indianern unterwerfen sich leicht dem zivilisierten Leben,
wenn sie gut behandelt werden, und fangen an, anstatt Tupana und Juru—
pary, ihren guten und ihren bösen Geist, zu verehren, den wahren Gott an—
zubeten, und hören auf das, was man ihnen sagt. Sie fassen Zuneigung zu
denen, die ihnen Gutes tun, und suchen ihre Dankbarkeit durch Ehrfurcht und
Gelehrigkeit zu bezeigen.“!
Die bildungsfähigsten unter den Brasilianern, sagt Anchieta, sind die Tupi—
nambas, welche in Bahia, und die Tupinakins, welche südlich davon ansässig
sind, sowie jene Stämme, welche der Küste entlang wohnen. Diese Wilden
haben keine Schrift, keine Buchstaben, keine Zahlzeichen und auch keine Geld—
münzen. Kauf und Verkauf geschieht durch Tauschhandel. Ihre Sprache ist
jedoch fein, reich und bildsam; sie besitzt größere Fähigkeit zu Zusammen—
setzungen und Synkopen als selbst das Griechische. Großen Wert legen sie auf
Beredsamkeit. Ein guter Redner kann bei ihnen alles durchsetzen. — Wie die
Missionäre uns versichern, ist das ganze Leben dieser Wilden beherrscht durch
eine schreckliche Furcht vor den bösen Geistern, die nach ihrer Meinung in Wald
und Feld, zu Wasser und zu Land ihr heimtückisches Unwesen treiben. Um
dieselben zu versöhnen, lassen sie, wenn sie an unheimlichen Orten vorbei⸗
kommen, einen Pfeil, einige bunte Federn oder sonst etwas als Opfergabe zurück.
Diese Furcht benutzen die Pages, die Zauberer, die im ganzen Land herum—
ziehen, zu ihren Betrügereien. Um den Leuten Schrecken einzujagen, geben die
Zauberer vor, sie hätten einen Geist, mit dem sie Menschen töten könnten.
Wer sich ihnen anschließt, dem teilen sie den Geist durch Beräuchern und An—
hauchen mit.
Nach Vasconcellos? hatten die Brasilianer fast allgemein die lächerliche Sitte
des männlichen Kindbettes. Wenn die Frau geboren hatte, mußte sich der
Mann an ihrer Stelle in die Hängematte legen und wurde dort von den Freunden
besucht, wie wenn er eine Frau wäre; es wurden ihm bestimmte Speisen und
Getränke gereicht und einige Zeit durfte er nicht ausgehen und arbeiten, um
dem neugebornen Kinde nicht zu schaden?.
Eingehender als die andern Schriftsteller hat Vasconcellos die Begräbnis—
sitten der Brasilianer geschildert. Einige seiner Angaben haben wir schon er—
wähnt. „Sie begraben den Toten“, sagt er, „in einem irdenen Gefäß (igaçaba)
zugleich mit seinem Feldmesser und seiner Hacke oder einem ähnlichen Werkzeug,
damit er im andern Leben eine Pflanzung anlegen könne und nicht verhungern
müsse. Manche begraben auch die Toten in ihrem Magen, was als feierlicheres
1 Bulletin Salésion, Organe des Cuvres do Don Bosco, 17. Jahrg. (1905), 66.
2 Ohronica usw. J. 1I. n. 133, p. LXXXII.
2. Einige Völkerstämme am Maraũñon. 77
Begräbnis gilt. Sie bringen den Toten in Begleitung der Verwandten auf
ein Feld; dort reißen ihm die geehrtesten Zauberer die Eingeweide heraus, dann
zerteilen sie ihn und geben einem jeden der Anwesenden, je nach dem Grad seiner
Verwandtschaft, ein Stück. Diese Stücke werden von alten Frauen, denen dieses
Amt zusteht, gebraten, und dann ißt jeder das ihm zukommende Stück mit
großem Gefühl; sie meinen nämlich, daß sie denen, die ins andere Leben hinüber—
gehen, hier auf Erden kein größeres Zeichen der Liebe geben können, als wenn
sie dieselben ihrem Magen und ihren Eingeweiden einverleiben. Doch machen
sie einen Unterschied. Die Leiber der Hauptleute werden nur von den Haupt—
leuten gegessen, die dann die Gebeine unter die Verwandten verteilen. Diese
bewahren sie für festliche Gelegenheiten, z. B. für Hochzeiten, auf; dann werden
sie in kleine Stücke zerteilt und wie Leckerbissen allmählich verzehrt. Solange
die Gebeine in dieser Form nicht aufgezehrt sind, dauert die Trauerzeit, während
deren viele die Haare wachsen lassen, andere sie abschneiden. Ist die Trauer—
zeit zu Ende, so wird ein großes Fest mit Trinkgelagen und Tänzen veranstaltet.
Die Tapuyas — so nannte man viele Wilde im Innern des Landes — haben
die absonderliche Gewohnheit, ihre Kinder zu essen, wenn diese kurz nach der
Geburt sterben, weil sie meinen, es sei ein glückliches Los für die Kinder, als
Grab die Wiege zu bekommen, in der sie das erste Leben genossen!.
Vasconcellos teilt mit den andern Missionären die Eingebornen Brasiliens
in zwei Kategorien: Die zahmen (mansos) und die wilden (bravos). Unter
zahmen Indianern verstanden sie diejenigen, die eine gewisse staatliche Organi—
sation hatten, mit den Portugiesen im Verkehr standen und Verlangen nach
Anterricht und Kultur zeigten. Zu diesen gehörten die Tupis, Tupinambas,
Tupigoaes, Tobayares, Tamayos, Carijos usw., die alle eine einzige Nation
bildeten, dieselbe Sprache redeten und nur unwesentliche Verschiedenheiten zeigten.
Auch die Goayanas wurden zu den zahmen Indianern gezählt, diese redeten aber
eine verschiedene Sprache. Sie bewohnten den südlichsten Teil Brasiliens. Die
wilden Eingebornen (bravos) hatten fast keine politische Organisation, erwiesen
sich den Portugiesen als feindlich und waren nur schwer zum Unterricht zu
bringen. Man nannte sie oft Tapuyas. Unter diesem Namen wurden aber sehr
diele in Sprachen und Sitten ganz verschiedene Völkerschaften begriffen, z. B. die
Aymores (Botokuden), Potentas, Guaitacas, Guaramomis usw. Besonders am
Marañon gab es unzählige Völkerschaften mit ganz verschiedenen Sprachen, die zur
Zeit Vasconcellos noch nicht genügend erforscht waren. Durch die Bemühungen
der Missionäre wurde allmählich das Tupi die allgemeine Verkehrssprache (lingoa
geral), die man fast in ganz Brasilien verstand. Über die Indianer im Innern,
bdesonders an den vielen Nebenflüssen des Amazonenstromes, haben wir leider
aus älterer Zeit verhältnismäßig wenige Nachrichten. Wir lassen hier einige
davon folgen.
2. Einige Völkerstänme am Maramon.
, 1. Bei den Tapuyas am Marañon, in dem Jacuabinasgebirge, wurde
im Jahre 1653 von den Jesuiten eine Mission errichtet. In einem Manuskript
— —
1Ebd. n. 135, p. LXXXIII.
78
Vierter Teil. Die Naturvölker Amerikas.
bvom Jahre 1657, das von P. Pinto 8. J.* verfaßt wurde, heißt es über
diese Indianer: „Man findet bei ihnen eine, wenn auch dunkle Kenntnis
Gottes.“ Der Verfasser vermutet, sie hätten diese Kenntnis wohl aus der
Predigt der Missionäre geschöpft, aber dann wäre sie wohl klarer gewesen.
Doch hören wir weiter: „Entsprechend ihrer angebornen Wildheit behaupten
sie, Gott habe vor alters in der Luft gewohnt, und als er die Erde erschaffen
wollte, habe er ein Stück von seinem eigenen Körper genommen, dasselbe mit
Speichel vermischt und in diese Masse heftig geblasen. Da habe dieselbe laut
gekracht, die Erde sei in der Luft hängen geblieben. Mit den Händen habe
Gott die Füße der Berge durchhöhlt, und daraufhin seien große Wassermassen
hervorgebrochen, aus denen die Quellen, die Flüsse und das Meer entstanden.
Nun kam aus seinem (Gottes) Leibe ein gewaltiger Lichtstrahl, aus dem die
lichte Himmelssphäre, die Sonne, der Mond und die Sterne, gebildet wurden.
Gott nahm im Himmel seine Wohnung; da er aber der Einsamkeit überdrüssig
wurde, kam er auf die Erde, ging in den Schoß einer Alaria (eine Art Vogel?)
ein, wurde von ihr geboren und zog schließlich mit seiner Mutter wieder in den
Himmel hinauf.“ Dann heißt es weiter:
„Obwohl alle diese Wilden in Sitten und Gebräuchen miteinander über—
einstimmen und deshalb unter dem Namen Tapuyas zusammengefaßt werden,
haben sie doch je nach den Kolonien, die sie bewohnen, und dem Häuptling,
dem sie unterstehen, verschiedene Namen. Die, welche den Missionären zuerst
hegegneten, hießen Sapoyas. Nach der Begrüßung eröffneten ihnen die Patres,
sie wollten in ihre Dörfer kommen. Die Wilden nahmen die Kunde mit
Freuden auf und liefen voraus, um die Ankunft der Missionäre zu melden.
Diese zogen in feierlicher Prozessiin in das Dorf und sangen laut die
Litanei. Am andern Morgen lasen sie die heilige Messe, der die Wilden voll
Verwunderung beiwohnten, wobei sie alle Bewegungen der Christen andächtig
mitmachten, mit ihnen niederknieten, an die Brust klopften usp. Nach der
Messe erkundigten sich die Missionäre nach dem Weg zu den Amoepiyras. Der
Häuptling der Sapoyas, Jaguaravi mit Namen, ein großer Mann mit langem
Bart, zugleich ein gefürchteter Zauberer, gab ihnen nach Empfang von reichen
Geschenken die Antwort, sie sollten zuerst zu den Payayasis gehen, die mit
den Portugiesen in Feindschaft lebten; mit diesen sollten sie zuerst ein Friedens—
hündnis abschließen und dann von ihnen sich den Weg zu den Amoepiyras
zeigen lassen.“ Der Berichterstatter beschreibt hierauf ausführlich die Sitten der
Payayasis.
Sie sind der Zauberei sehr ergeben, und die Zauberinnen, die sie Visamäs
nennen, stehen bei ihnen in hoher Achtung. Götzenbilder verehren sie nicht, auch
bringen sie den Götzen keine Opfer dar; nur in einem Punkt zeigt sich eine
Spur von Abgötterei. Sie behaupten, ihr Gott heiße Erachisam; ein großes
Fest feiern sie einmal jährlich in folgender Weise. Sie bauen unfern vom
Dorf eine kleine Hütte, in welcher die älteren Zauberer zusammenkommen.
Dort bekleiden sie einen Tapuya mit einem sehr langen Kleid aus Palm—⸗
Es trägt den Titel: Sexennium Lätterarum Brasilicarum ab anno 1651 usque
ad 1657. und befindet sich in einem Privatarchiv (Brasil. Maragn. 9).
2. Einige Völkerstämme am Marañon.
79
blättern, das ihn ganz umhüllt, bewaffnen ihn mit einem scharfen Dolch und
Pfeil. Bevor dieser Gott den Tempel verläßt, erheben die Zauberer ein furcht—
hares Geschrei, welches die übrigen Wilden so erschreckt, daß sie sich in ihre
Hhütten zurückziehen. Jetzt tritt der Erachisam, der schrecklich anzusehen ist, aus
dem Tempel, schreitet durch das ganze Dorf und tötet mit dem Dolch jeden,
der ihm begegnet, zur Strafe für seine Unehrerbietigkeit, da er es gewagt, einem
so großen Gott entgegenzutreten. Nach Vollendung dieses Rundganges stellt
er sich vor die Schwellen der Häuser und bläst mit einem Rohr, um Nahrung
zu verlangen; schließlich setzt er sich in die Mitte des Dorfes, wo er die Opfer—
gaben erwartet. Jetzt kommen die Bewohner aus den Häusern, bringen ihm
mit großer Ehrfurcht ihre Geschenke dar und ziehen sich wieder in die Häuser
zurück. Denn der Erachisam macht noch einmal die Runde durch das Dorf
und begibt sich dann zum Tempel, aus dem ihm die Zauberer entgegenkommen,
um die Geschenke in Empfang zu nehmen, mit denen sie dann im Tempel ein
großes Festgelage veranstalten.
Wird jemand krank, so bringt man ihn zu den Zauberern, damit sie
ihn heilen. Diese bilden einen Kreis, der Oberzauberer bellt dann wie ein
Hund und die andern Zauberer antworten mit leiserem Gebell; während dieser
Zeit muß der Kranke auf dem Boden um den Kreis herumkriechen und dabei
weinen und schreien, was ihm natürlich nichts nützt. Ist die Krankheit tödlich,
so wartet man den Tod nicht ab, sondern die Eltern und Verwandten be—
schleunigen den Tod des Kranken mit Stangen und andern Instrumenten, die
ihnen gerade in die Hände fallen. Dann wird die Leiche in Stücke geschnitten
und einem jeden seine Portion verabreicht, die ihnen als der kostbarste Lecker—
bissen gilt. War der Tote verheiratet, so erhält sein Gatte, war er ledig, so
erhalten die Eltern das Herz und die Leber. — Sie haben kein (geschriebenes)
Gesetz und keinen König. Die ledigen Mädchen bleiben ganz nackt, die ver—
heirateten Frauen tragen eine dürftige Hülle. Ihre einzige Sorge besteht im
Essen, Trinken und Spielen. Die Missionäre wurden von den Payayasis, als
sie den Grund ihrer Ankunft angaben, mit den größten Freudenzeichen auf—
genommen. Sie legten die Waffen ab und ihre Führer begrüßten die Mis—
sionäre durch Umarmung. Sie waren am Leibe bemalt und mit verschieden⸗
artigen Federn geschmückt. Die Frauen waren anständig gekleidet; das Gesicht
ätowieren sie. Außerordentlich ist die Gewandtheit der Jünglinge im Laufen,
elbst mit großen Leuten auf dem Rücken. Wenn sie mit einem andern Volk
im Kriege sind, wird die Schlachtordnung so eingerichtet, daß die Jünglinge
in der vordersten Reihe stehen; denn werden sie verwundet oder getötet, so
werden ihre Väter zu neuem Kampfesmut aufgestachelt, um ihre Söhne zu
tächen.
Von einem Tapuya erfuhren die Missionäre, daß der Führer der Payayasis
eine Indianerin aus dem Volke der Tupins gefangen halte. Sie war mit ihren
Eltern im Kriege gefangen worden. Die Eltern hatte man schon aufgezehrt,
das Mädchen aber, das noch nicht von der Milch entwöhnt gewesen war, wurde
gemästet, um es bei einer andern Gelegenheit aufzufressen. Mit großer Mühe
erwirkten die Missionäre durch Geschenke, daß ihnen das Kind ausgeliefert
wurde. Sie ließen es unterrichten. Als einem Vater sein kleiner Sohn erkrankte,
30
Vierter Teil. Die Naturvölker Amerikas.
kam er zu den Missionären, um Heilmittel für den Kranken zu erlangen. Die
Missionäre schlossen mit den Payayasis im Namen der Portugiesen ein Friedens⸗
hündnis in regelrechter Form ab.
Interessant ist auch, was P. Bettendorf im Jahre 1672 in einem
Brief an den Jesuitengeneral schreibt!. Bei den Tapajosis am Marañon
war ein Dorf schon seit einiger Zeit christlich, und die oberste Fürstin der
Tapajosis (Maria Moacara) war eine eifrige Christin, die sich mit einem Por⸗
tugiesen feierlich nach katholischem Ritus verheiratet hatte. Bei dieser Gelegen⸗
heit betranken sich manche Tapajosis und verrieten ein Geheimnis. Sie besaßen
zwei einbalsamierte Leichen von Indianern (myrhata Indorum corpora), die
infolge ihres hohen Alters fast so leicht waren wie Papier. Von diesen be—
haupteten sie, dieselben seien vor unvordenklichen Zeiten aus dem Meere ans
Ufer getragen worden, sie seien ihre ersten Schöpfer und die Geber und Herren
aller Dinge, besonders der Früchte. Die Eingebornen bewahrten sie mit großer
Sorgfalt und Ehrfurcht in großen Gemächern ihrer Häuser, wo sie mit rohen
Malereien und mit vielen Bogen, Pfeilen und andern Dingen wie mit heiligen
Weihegeschenken umgeben waren. Zu bestimmten Jahreszeiten, besonders um
Ostern, setzten sie vierzehn Festtage fest, an denen sie diesen ihren einbalsamierten
Göttern durch Vermittlung ihrer Priester Geschenke darbrachten, ihre Ehrfurcht
bezeigten und Tänze und Gelage abhielten. Das Unglaublichste ist, daß die
Indianer diese offenbar toten und ausgedörrten Mumien für lebendig hielten
und sie nicht öffentlich zeigten, sondern wie ein Allerheiligstes vor den Augen
der Neugierigen verbargen und durch Darbringung der Erstlingsfrüchte und
andere Opfer verehrten. Als der Missionär diese „Heiligtümer“ entdeckte und
den Wilden wegen ihrer Abgötterei schwere Vorwürfe machte, antworteten
einige von ihnen, sie glaubten nicht an diese Götter, sondern erwiesen ihnen
naur äußerlich Ehre; andere entgegneten, der Missionär habe ihnen nie gesagt,
daß das unerlaubt sei usw.
In den Jahresbriefen aus Brasilien vom Jahre 16932 wird ein Fest ge⸗
schildert, das die Tapuys (später werden sie Tapuyas genannt) in den Wäldern
im Innern von Bahia im Dorf Juru jährlich zu feiern pflegten und das sie
Varakidran nannten. Nicht nur die Heiden aus der ganzen Umgegend
nahmen daran teil, sondern auch solche, die von den Missionären im Christentum
unterrichtet wurden, liefen heimlich zu dieser Feier. Auf einem offenen Felde
wurde eine mehr als gewöhnlich große Hütte errichtet. Rings herum wurde
sie mit Pfählen und Balken umzäunt, an denen farbige Matten hingen. In
die Mitte der Hütte wurde eine dürre hohle Kürbisschale gelegt, die so durch—
löchert war, daß sie einige Ähnlichkeit mit einem Menschenkopf hatte. Unter
diesem Kürbis wurde mit grünem, stark rauchendem Holz ein Feuer angezündet,
so daß der Rauch durch die Löcher des Kürbisses nach verschiedenen Richtungen
hindurchzog. Rings um das Feuer sitzen die alten Indianer und mitten unter
ihnen der berühmteste Zauberer, den sie den Vater des Varakidran nennen—
Alle schlürfen mit irdenen Röhren, die eigens für diesen Zweck aufbewahrt
werden. Tabakrauch und ziehen zugleich mit offenem Mund den Rauch, der
— —
e Privatarchiv, Brasil. Maragn. 9 (Xxxxviir). 2Ebd. LvII.
2. Einige Völkerstämme am Maraßon. 81
aus dem Götzen, d. h. dem Kürbis, hervorkommt, an sich und werden infolge
davon wie betäubt und betrunken. Inzwischen führen kräftige und am ganzen
deib mit farbigen Federn bedeckte Jünglinge auf den Matten, die die Hütte
umgeben, wilde Tänze auf. Die Anführer bei diesen Tänzen tragen Masken
aus durchlöcherten Kürbisschalen vor dem Gesicht und blasen auf einer Art
Flöte aus bestimmten, ausgewählten Vogelknochen. Diese Knochen werden von
ihnen sehr hoch geschätzt und während des Jahres mit großer Sorgfalt und
Ehrfurcht aufbewahrt. Diese Festlichkeiten dauern drei bis vier Tage. Am
Schluß des Festes kommen die vom Rauch berauschten Greise aus der Hütte
und verkünden nun der umstehenden Menge ihre lügnerischen Orakel, die von
allen stillschweigend angehört und gläubig aufgenommen werden. Die Greise
sagen voraus, ob im kommenden Jahre Überfluß oder Hungersnot sein werde,
ob die Jagd reichen Ertrag bringen werde oder nicht, ob viele Jünglinge oder
Greise sterben werden u. dgl. Der Missionär, dem die Sorge für das Dorf
anvertraut war, zerstörte mit Gewalt diese Knochen und Götzenbilder und ver—
brannte schließlich alles. Die alten Weiber, die dies sahen, fingen laut an
zu schreien und ihren Abscheu über dieses Sakrileg auszudrücken, dann flohen
sie in der Meinung, der Blitz werde sofort den Frevler töten. Als die Zauberer
merkten, daß ihre Götzen und Heiligtümer nicht imstande waren, sich gegen die
Flammen zu wehren, flohen sie in entfernte Dörfer, um dort ihr Unwesen
weiter zu treiben.
2. Die Marauhäs am Rio Jutahy tragen in den Ohrenlappen und
in beiden Lippen Hölzchen, sind aber nicht tätowiert.. Die Männer verhüllen
sich mit einem Stuück Bast, die Weiber sollen ganz nackt gehen. Die Heiraten
werden, nach Bewilligung von seiten der Eltern der Braut, mit oder ohne
Tänze gefeiert. Wenn ein Marauhä Brüder hat, so darf er nur eine Frau
nehmen. Nach der Geburt badet die Mutter das Kind in warmem Wasser,
legt sich drei Wochen lang in die Hängematte und genießt, ebenso wie der
Mann, nichts als Brei aus Mandiokamehl, gewisse Vögel und Fische. Wenn
die Mutter aufsteht, gibt der älteste Verwandte dem Kinde in einem dunklen
Zimmer einen in der Familie gebräuchlichen Namen. Die darauf folgende
Durchbohrung der Lippen des Kindes wird durch Feste gefeiert. Sind die
Knaben zehn bis zwölf Jahre alt geworden, so gräbt ihnen der Vater zunächst
dem Mund vier Striche ein; hierbei müssen sie fünf Tage lang fasten. Die
älteren Burschen geißeln sich mit einer kurzen Gerte, eine Operation, die als
Prüfung des Charakters angesehen wird. Ihre Feste fallen in den Neumond. —
Nach dem Tode, glauben sie, kommen die Guten in Gemein—
schaft mit einem guten Wesen, die Bösen mit dem Teufel. Die
Leichen werden in einer gemeinschaftlichen Hütte begraben. Von den Marauhä
sind die Miranha (Miranya), von denen früher (S. 76) die Rede war, wohl
zu unterscheiden.
3. Am Rio JIca, einem Nebenfluß des Solimöes, traf Spix den Stamm
der Passes an. „Meine Ankunft ward durch eine nächtliche Illumination
gefeiert, wobei man Schildkrötenbutter in Pomeranzenschalen brannte.““ Zwei—
1Spix und Martius, Reise in Brasilien III 1185. 2 Ebd. 1186.
Tathrein, Die Einheit d. sittl. Bewußtseins. III.
J
32
Vierter Teil. Die Naturvölker Amerikas.
hundert der schönsten Indianer, mit schwarz tätowierten Gesichtern, ganz nackt,
einige mit langen Stangen in der Hand, andere mit Rohrpfeifen, marschierten
in Reih und Glied auf, mit den Frauen und Kindern hinter sich, bald einfache,
hald doppelte Kreise bildend. Bei den Passes steht der Zauberer (Pajé) in
großem Ansehen. Er erscheint bald nach der Niederkunft und gibt dem Kinde
einen Namen. Die Mutter durchlöchert dem Kinde die Ohrläppchen. Die
Kraft und Unempfindlichkeit des Knaben wird durch Erteilung von Hieben ge⸗—
prüft. Angehende Jungfrauen müssen, in der Hütte aufgehängt (in der Hänge⸗
matte liegend), ein monatlanges Fasten überstehen. Die Wöchnerin bleibt nach
der Geburt einen Monat lang im Dunkeln und darf nur Mandioka essen;
desgleichen der Mann, der sich während dieser Zeit schwarz färbt und auch im
Netze bleibt. Die Häuptlinge haben gewöhnlich mehrere Frauen, die übrigen
nur eine. Jus primae noctis findet nicht statt. Maskenfeste sind häufig. Die
Toten werden in eine runde Grube begraben. Nur die Leiche des Prinzipals wird
begleitet, seine Waffen werden über dem Grabe verbrannt!. Nach Martius?
sind diese Indianer gelehrig, sanftmütig, friedfertig und fleißig. Martius teilt
folgende Angaben eines portugiefischen Ethnographen (Ribeiro) über dieses Volk
mits. „Die Passes nehmen einen Schöpfer aller Dinge an; sie glauben,
daß die Seelen derjenigen, welche gut gelebt haben, als Belohnung
mit dem Schöpfer leben, die der Bösen dagegen als Strafe böse Geister
bhleiben. Ihrer Meinung nach steht die Sonne fest und die Erde bewegt sich
um die Sonne.... Die Erde soll sich bewegen, damit jeder ihrer Teile von
der Sonnenwärme befruchtet werde. Der Sonne und dem Mond geben sie
dieselben Geschäfte, die ihnen die Heilige Schrift zuschreibt. .. Sie begraben
hre Toten in großen irdenen Gefäßen, von denen sie die Gebeine in kleinere
unter gewissen festlichen Gebräuchen übertragen. Bei ihren Verheiratungen
huldigen sie einem Gebrauche, dem der alten Samniten ähnlich, deren Kriegs⸗
helden die Auswahl der Jungfrauen hatten. Die Passeés erwerben ihre Braut
durch den Sieg in einem Kampfe der Bewerber untereinander.“ Martius
fügt diesen Angaben die Bemerkung bei: Inwiefern diese kosmogonischen Ideen
selbständige Lehre der Passés sind, wage ich nicht zu unterscheiden; gewiß ist,
daß ich bei keinem Stamm ein so entwickeltes System gefunden habe; aber es
berdient gerade deshalb um so mehr Beachtung, als manches in der Körper⸗
bildung dieses Volkes auf eine höhere Stufe desselben hindeutet.
An den Ufern des Solimdes wohnen die Campévas, Tecunas
Ticunas), Culinos und Araycus, Völker, die alle nackt gehen und den
Körper auf verschiedene Weise bemalen?. Die Mädchen der Culinos werden,
wenn sie in die Periode der Mannbarkeit kommen, in einem Netze in dem Giebel
der Hütte aufgehängt, wo sie, dem beständigen Rauche ausgesetzt, so lange fasten
müssen, als sie es nur immer aushalten können. Bei den Araycus muß der
Jüngling für die schon als Kind bestimmte Braut lange Zeit vorher jagen, alle
Sorgen des Hausvaters tragen, ehe er mit ihr verheiratet wird. Eine noch selt⸗
samere Sitte herrschte früher bei den Campevbas. Sie pflegten die Kinder in
4.
1Spixund Martius, Reise in Brafilien III 1186. 2 Ebd. 1205.
s Ebd. 1206 A. 4 Ebd. 1187.
2. Einige Völkerstaͤmme am Marañon.
83
einer kahnähnlichen Wiege festzuschnüren und dem Schädel durch aufgebundene
dünne Bretter eine mitraähnliche Gestalt zu geben. Ihnen ist auch die Sitte
eigen, ihre Pfeile mittels eines ausgehöhlten Holzes (Palhetta, Estolica) ab-
zuschleudern. Übrigens wird diese Nation als sehr gutmütig und redlich ge—
schildert. — Ihre Sprache hat sehr viele Worte mit dem Tupi gemein. Auch
hsier gilt der Gebrauch, die Jünglinge durch Geißelung zu prüfen und die
Jungfrauen einzuräuchern. Die Wöchnerin darf nur die Schildkröte Tracajä
und Fische, nicht aber Säugetiere essen; gleiche Diät hält auch der Mann so
lange, bis der Säugling sitzen kann. Nach einem Todesfall verschließt sich die
Familie des Verstorbenen einen Monat lang, unter beständigem Heulen; die
Nachbarn müssen sie während dieser Zeit durch ihre Jagd ernähren. Das
Begraͤbnis findet in der Hütte statt, und zwar wird der Vrinzipal in einem
großen Topfe begraben.
Die Culinos an der Westgrenze Brasiliens sind nach Spix und Mar—
tius nicht tätowiert, haben aber die Ohren, Ober- und Unterlippe und den
Nasenknorpel durchlöchert. Die Heirat wird schon in der frühesten Jugend
des Mädchens ausgemacht und durch Dienste gegen die Eltern desselben ge⸗
stattet. Der Prinzipal hat ius primao noctis (7.. Während die Wöchnerin
Diät hält, essen die Männer die ersten fünf Tage nach der Geburt des Kindes
gar nichts. Sie meiden in dieser Zeit das Fleisch der Paca und des Tapirs
und essen nur Schweinefleisch. Ist das Kind eine Woche alt, so wird es vom
Paje einen vollen Tag lang mit einer Zigarre beräuchert und dann benannt.
Daß die Seele des Verstorbenen in ein Tier übergehe, glauben sie nicht;
vielmehr käme sie in den Himmel, wo sich alle Völker versammeln.
Ihre Toten begraben sie in einer dazu bestimmten Hütte in die Erde; während
die Verwandten das Begräbnis halten, legen sich die übrigen in ihre Hänge—
natten; nur die Leiche des Häuptlings wird von allen begleitet.
Am Ufer des Solimöes, schreibt Martius?, fand ich Indianer vom
Stamme Uaraicü. Sie sind nicht tätowiert, haben aber die Ohren, die
Unterlippe und den Nasenknorpel durchbohrt. Mit den meisten Nachbarn haben
sie die Gebräuche beim Heiraten, beim Wochenbett (nach welchem sich die Frau
sechs Monate lang entfernt und bei ihren Verwandten in einer andern Hütte
vohnt), das Räuchern der Jungfrauen und die Probe männlicher Stand—
haftigkeit durch Peitschenhiebe gemein. Ihre Feste werden ohne Maskenzüge
zefeiet. Sie glauben an einen Gott und an einen Teufel; beide
vohnen oberhalb der Erde. Der letztere erscheint nur dem Paje in menschlicher
Gestalt. Die Leichen verbrennen sie mit nach Osten gekehrtem Antlitz und aus—
estreckt. Die Asche des Verstorbenen wird in der Hütte aufbewahrt.
UÜlber die schon erwähnten Campébas, die auch Omaguas genannt werden,
—ADDDD
nünftigsten und gescheitesten Indianer am Marañon. Sie standen einige Zeit
unter der Regierung von Quito, wo sie von den Spaniern etwas Kultur
annahmen. Infolge der schlechten Behandlung zogen sie flußabwärts in ihr
A. a. O. 1189. 2 Ebd. 1190.
3Nuevo Descubrimiento del gran Rio de las Amazonas c. 51, p. IIS ff.
34
Vierter Teil. Die Naturvölker Amerikas.
heutiges Gebiet. Männer und Frauen sind anständig gekleidet. Kleider werden
bon den Frauen sehr kunstfertig aus Baumwolle verfertigt. Sie sind ihren Haupt⸗
kaziken so unterwürfig und gehorsam, daß es nur eines Wortes bedarf, um
alles auszuführen, was dieselben anordnen. Alle haben plattgedrückte Köpfe,
so daß sie mehr einer schlechtgeratenen Bischofmitra als einem Menschenkopfe
gleichen. Ob sie jemals Anthropophagen gewesen, wird sehr bezweifelt.
Die Campévas werden nach Martius! nicht nur Omaguas oder Aguas,
sondern oft auch Umauas genannt. Wir sind deshalb wohl berechtigt, die
Umaua-Misayas an einem Nebenfluß des Solimdes zu diesem Volke zu rechnen.
über diese Umaua-Misaya schreibt v. Schütz-Holzhausen?. Sie stehen in
äblem Ruf als Anthropophagen, sollen es aber nach Marcoy erst später und
‚war aus Rachsucht geworden sein. Eigentümlich sind ihre religiösen Vor—
tellungen. Wie Marcoy erzählts, kennen sie ein höchstes Wesen,
bdon welchem alles geschaffen worden ist und das Himmel und Erde
in Bewegung erhält. Sie wagen nicht, demselben einen Namen zu geben.
Sichtbarer Repräsentant ihres Gottes ist der Vogel Bueque (Trogon Curucui),
der sich durch reizendes Gefieder auszeichnet. Es gibt zwei Sphären: die obere
st durchsichtig, die untere dunkel. In der ersten wohnt die Gottheit, in der
zweiten entstehen und sterben die Menschen, welche nach ihrem Tode
belohnt oder bestraft werden. Auch die Sage von einer großen Flut hat
sich bei ihnen erhalten. Als die ganze Erde mit Wasser bedeckt war, entrannen
die Mesayas (Misayas), welche damals so groß waren wie die höchsten Bäume,
der Vernichtung dadurch, daß sie sich in ein umgestülptes Kanoe flüchteten.
Die Mesayas können nur bis drei zählen, darüber hinaus nur durch Ver—
doppelung. In der Bereitung des Urarigiftes sind sie sehr erfahren; sie haben,
wie auch andere südamerikanische Stämme, mancherlei Sitten und Gebräuche
mit nordamerikanischen Indianern gemein.
Die Tecunas leben von Schlangen, Kröten, Fischen, Affen usw. und ge⸗
hrauchen zu ihrer Jagd, nebst Bogen und Pfeil, das Blasrohr und vergiftete
Pfeilchen?“. Sie sind ein äußerst fauler Stamm. Sie glauben, daß die Seele
nach dem Tode in andere Leiber, auch unvernünftiger Tiere, übergehe. Die Toten
begraben sie in Töpfen und zünden dann die Hütte an mit allem Eigentum des
Verstorbenen. An den Neugebornen nehmen sie, gewöhnlich die Mutter, die Be⸗
schneidung vor, und zwar an beiden Geschlechtern. Diese wird mit großen Festen
gefeiert und dem Kinde bei diesem Anlasse ein Name gegeben. Sie halten
sehr fest an einem krassen Götzendienste, so daß selbst die in Missionen Unter⸗
richteten sich nicht von ihrem Idol trennen können, das man in ihren Hütten
rortwährend findet. Es ist dies Idol, das sie Itoho, gleichsam den Teufel,
nennen, eine furchtbare Figur aus Kürbissen zusammengesetzt, die sie mit dem
Bast eines Baumes Aichama überziehen. Das Unterscheidungszeichen dieses
Stammes ist eine quer über das Gesicht laufende, schmale, tätowierte Linie.
Die Weiber gehen ganz nackt, die Männer hingegen bedecken sich mit einer aus
dem oben erwähnten Baumbast verfertigten Schürze. Spix meint, wahrscheinlich
Reise in Brafilien III 1194. 2 Der Amazonas (1882) 174.
3 Tour du Monde XV (I867) 136. Spix und Martius a. a. O. 1184.
3. Die Siufi am Aiarh.
85
sei es kein religiöses Gefühl, das die Tecunas bestimmt, sich nicht von ihrem
Itoho zu trennen, denn es diene als Maske bei ihren Tänzen und festlichen
Aufzügen1. Aber das beweist wenig, weil die Maskentänze vielfach religibse
oder, wenn man lieber will, abergläubische Bedeutung haben.
Über die Coörunas (Coöranas) am Miriti-Paranä erzählte ein Indianer
eines andern Stammes dem Dr Martius, sie schlössen vom Dasein der Welt
auf einen Gott, der alles gemacht habe: Fluß, Wald, Luft, Sonne und
Sterne, sie hätten ihn aber nie gesehen. Da er alles für sie gemacht habe,
beteten sie zu ihm und beriefen sich auf ihn. An Unsterblichkeit glaubten sie
nicht, eher fürchteten sie den Tod?. Da wir sonst nichts über diese Cosrunas
wissen, ist es unmöglich, die Angaben dieses Indianers zu kontrollieren.
Von den Indianern am Rio Branco, einem Nebenfluß des Rio Negro,
berichten die Missionäre Libermann und Berthon 0. 8. 8p.s: Dieselben
werden, wie in andern Teilen Brasiliens, auch hier in die Indios bravos
(wilde) und Indios mansos eingeteilt. Eine christliche Indianerin (aus dem
Stamm der Macichi) sagte den Missionären über die Religion der Indianer:
„Alle diese Indianer glauben etwas unbestimmt an einen Gott,
den höchsten Herrn aller Dinge; außerdem auch an böse Geister.
Sie bekümmern sich aber mehr darum, diese letzteren durch Zauberei zu be—
schwören als Gott zu ehren. Sie glauben an ein zukünftiges Leben.
Aber alles ist mit viel Aberglauben vermischt. Übrigens haben alle Indianer
eine große Ehrfurcht vor den Priestern und zeigen Verlangen nach der Taufe.“
Die Missionäre erfuhren, daß bei diesen Indianern die Polygamie nicht
vorkommt. Zuweilen haben Indianer allerdings zwei oder drei Frauen im
Hause, aber nur um des Gewinnes willen, den ihnen die Frauen durch ihre
Arbeit verschaffen. Die Ehescheidung ist sehr häufig. Der Mann verstößt
leicht seine Frau, wenn er ihrer überdrüssig wird; auch die Frau läuft zuweilen
dem Mann davon; doch im allgemeinen bleiben die Ehegatten für das ganze
Leben zusammen.
Wahrscheinlich sind die genannten Stämme schon vom Christentum beeinflußt.
Die Toten werden entweder außerhalb des Dorfes, im Walde begraben, oder
man begräbt sie in der Hütte, in der sie gestorben sind, und verläßt dann das
Dorf. Bei einigen Stämmen werden die Gebeine der Toten getrocknet, in Körbe
zesammelt und dann auf den Wanderungen durch die Wälder mitgetragen:.
3. Die Siusi am Aiarüÿ.
Der Rio Aiarh mündet in den Rio Igana, einen Nebenfluß des Rio
Negro, der sich vom Norden her in den Amazonenstrom ergießt. An den
üfern des Rio Aiary wohnt unter andern der Stamm der Siusi, über den
doch-Grünbergesin seinem schönen Reisewerke berichtet.
Ebd. 1196. 26bd. 1202- 120. Missions catholiques 1908, 515
Ebd. 516.
—* Zwei Jahre unter den Indianern. Reisen in Nordwest-Brafilien, 2 Bde, Berlin
—-1910.
322*
Vierter Teil. Die Naturvölker Amerikas.
Mandũu, der Häuptling der Siusi am Aiarh, der einer uralten Häuptlings—
familie entstammt, betrachtet sich als den Oberhäuptling über alle Bewohner
des Aiarh. Er bezeichnet sich und seine Brüder als reinblütige Oaliperidakeni,
wvie sich die Siusi in ihrer eigenen Sprache nennen. Die übrige Bevölkerung
des Aiarh ist ein Gemisch aus verschiedenen Stämmen, da auch Ehen mit
Weibern vom nahen Stamm Caiary-Uaupes, besonders mit den benachbarten
Uanänas, nicht zu den Seltenheiten gehören.
Die Häuptlingswürde ist erblich und geht vom Vater auf den Sohn über,
aber auf dem oft recht weiten Umwege über die Brüder des Vaters. Mandüs
Vater, ein harmloser Greis, lebte noch. Er hatte zu Gunsten seines erstgebornen
Sohnes, eines älteren Bruders Mandüs, freiwillig sein Amt niedergelegt, da er
die Regierungsgeschäfte nicht mehr besorgen konnte. Als der älteste Sohn nach
einiger Zeit starb, wurde Mandu Tuschaua (Häuptling), obwohl jener einen er⸗
wachsenen Sohn hatte. Stirbt auch Mandu, so folgen ihm seine beiden Brüder
im Amt, immer dem Alter nach, und erst nach des jüngsten Bruders Tode
kann der Sohn des ältesten Bruders Häuptling werden. Die Machtbefugnisse
zines solchen Häuptlings sind gering und beschränken sich gewöhnlich auf die
Dorfgemeinschaft, der er angehört und als Ältester vorsteht. Er hat haupt—
sächlich eine repräsentative Stellung, empfängt die Fremden und leitet die Ver—⸗
handlungen mit ihnen als Vertreter des ganzen Dorfes. Bei allen Beratungen
nnerhalb der Dorfgemeinschaft, zu denen er Versammlungen einberufen kann,
führt er den Vorsitz. Zu allen Angelegenheiten, die das ganze Dorf betreffen,
zgemeinsamen Jagdzügen, Fischfang, Bau der Maloka, Fehden mit andern
Stämmen, die aber jetzt kaum mehr vorkommen, kann er seine Leute zusammen⸗
kommen lassen und jedem einzelnen seinen Platz anweisen!. Von Zeit zu Zeit
läßt er das Haus ausbessern, den Dorfplatz reinigen und die Wege instand
setzen. Verläßt er das Dorf für längere Zeit, so übergibt er seinem ältesten
Bruder die Vertretung. Streitigkeiten unter den Dorfgenossen, die höchst selten
iind, schlichtet der Tuschaua mit ermahnenden Worten: „Das ist nicht gut,
laßt den Lärm.“ Strafen kann er nicht. Die Herrschaft über die andern
Stämme des Aiarh ist nur noch nominell, doch wurde Mandu in allen Dörfern
als Häuptling empfangen und respektiert. Man könnte dieses Häuptlings—
ystem in seinen Befugnissen noch am besten mit dem Amt unserer Dorfschulzen
bergleichen; der Gemeinderat hier ist dort die Gemeinschaft der verheirateten
Männer.
Die Siusi wohnen in großen Sippenhäusern. Die meisten Dörfer am
Aiarh bestehen nur aus einem großen Gemeindehaus, der Maloka. Die Ma—
loka liegt auf hohen, der Überschwemmung nicht ausgesetzten Uferstellen, in
unmittelbarer Nähe eines Nebenbaches, der fruchtbaren Boden für die aus—
gedehnten Pflanzungen einer jeden Familie und gesundes Trinkwasser gewährt.
Vor dem Hause, dessen Front stets nach dem Fluß hingerichtet ist, erstreckt sich
ein weiter freier Platz, der unvergleichlich viel sauberer gehalten wird als die
Höfe unserer großen Bauerngüter. Der Dorfplatz ist umrahmt von einem
Koch-Grünberg, Zwei Jahre unter den Indianern J 69.
3. Die Siusi am Aiarh.
37
leinen Hain breitblätteriger Bananen und höheren Pupunhapalmen, deren
Früchte von den Frauen zu Delikatessen verarbeitet werden.
Die Bewohner einer solchen Maloka gehören meistens im weiteren Sinn
einer Familie an; häufig ist es nur ein älteres Paar mit seinen erwachsenen
Söhnen und ihren Familien. Da aber die Frau nie aus dem eigenen Stamm
genommen wird, so trifft man gewöhnlich unter den Weibern einer Maloka
Angehörige mehrerer Stämme mit verschiedenen Sprachen. Der Familien⸗
älteste ist in diesem Fall zugleich der Orts- oder Gemeindevorsteher. Die Kon⸗
struktion dieser Malokas bleibt sich überall gleich, nur die Größe ist ver—
schieden. Der Grundriß ist oblong bis quadratisch. Sechs Hauptstrebepfeiler,
zu je zwei oben durch einen Querbalken verbunden, tragen das Dach, das
fast bis zur Erde herabreicht. Auf der Frontseite steht das Dach weit über
und bietet Schutz vor Regen. Der Längsraum in der Mitte des Baues bleibt
als Durchgang, Verkehrsraum, Festsaal und Tanzplatz frei. In den Seiten⸗
räumen befinden sich die Wohnstätten der einzelnen Familien, die meistens
durch niedrige Mattenwände voneinander getrennt sind. Kohlende Holzkloben,
zwischen einigen Steinen sternförmig gelegt, bilden den häuslichen Herd, dessen
Feuer selten erlischt. Ein allen Bewohnern der Maloka gemeinsamer Herd mit
großer runder Tonplatte dient zur Herstellung der Mandiocafladen und zum
Rösten des Mandiocamehls, der Hauptnahrung der Indianer. Den Verschluß
des Hauses bildet eine Art Falltüre, die von oben nach unten klappt und
während der Nacht geschlossen bleibt. Ein Rauchfang fehlt, der Rauch entweicht
durch die lockere Palmstrohbekleidung des oberen Teils der beiden Giebelwände.
„Dem ganzen Bau, der Wind und Wetter erfolgreich Trotz bietet, obwohl die
aus mächtigen Baumstämmen hergestellten, wohlgeglätteten zylindrischen Pfosten
und Querbalken, ohne alle Beschläge und Nägel, nur durch Bänder von Schling
blanzen zusammengehalten werden, kann man die gebührende Bewunderung nicht
ersagen.“
Das Innere der Maloka wird meistens sauber gehalten. Der festgestampfte
Boden wird öfters gefegt. Dieses Geschäft überläßt man den alten Weibern,
die sich ihrer Arbeu mit Liebe und Vehemenz hingeben. Der Kehricht aus
dem Hause wird am Rande des Dorfplatzes in den Wald getragen. — Die
Malokas zeigen oft ansehnliche Dimensionen. Das Häuptlingshaus in Cururu⸗
cuara war über 18 in lang, 16 mm breit und 7 m hoch. Der Bau der
Maloka bleibt allein den Männern überlassen. Jeder von ihnen übernimmt
nach den Anweisungen des Häuptlings einen bestimmten Teil der Arbeit. Die
Zahl der Bewohner schwankt zwischen 10 und 100 Seelen, die in diesem
Raume einträchtig beisammen leben. „Monatelang habe ich in einzelnen dieser
Malokas gewohnt, aber nie hörte ich unter normalen Verhältnissen Zank und
Streit, und der hohen Sittlichkeit dieser Leute kann ich nur das beste
Zeugnis ausstellen.“,“ Das Leben in diesen Gemeindehäusern spielt sich an
gewöhnlichen Tagen mit idyllischer Gleichmäßigkeit ab. Schon lange vor Tages⸗
anbruch sind die Bewohner wach und unterhalten sich von Hängematte zu
Hängemaite quer durch die ganze Maloka hin mit rücksichtsloser Stimme. Beim
— — — — — —
Ebd. 75. 2 Ebd.
8
Vierter Teil. Die Naturvölker Amerikas.
ersten Morgengrauen gegen 5 Uhr gehen alle zum Baden in den nahen
Fluß. Bald rufen die Frauen zum ersten Frühstück. Die Männer essen zuerst,
nachher die Weiber, wie es dort Sitte und Anstand gebietet. Dann gehen die
Männer auf Jagd und Fischfang, die Frauen zur Arbeit in die Pflanzungen;
aur einige alte Leute bleiben im Dorfe. Sobald die Hitze im Freien zu groß
wird, kehren die Frauen vom Feld zurück mit schweren Lasten von Mandioca⸗
wurzeln. Das kleinste Kind, das die Pflege der Mutter noch nicht entbehren
fann, reitet lose verschlungen auf ihrer Hüfte oder ruht in der breiten Trag—
hinde aus rotem Bast an der Brust der Mutter. — Am Abend gegen 6 Uhr
viederholen sich die Szenen vom Morgen. Nach dem Abendbrot sitzt man
noch eine Weile zusammen und erzählt sich Geschichten, und kurz nach Sonnen⸗
untergang suchen alle die Lagerstätte auf.
Wie die meisten Indianer sind die Siusi keine Freunde von übermäßiger
Arbeit, auch zeigen sie geringe Handelslust. Koch-Grünberg mußte fast alles,
was er erwerben wollte, in den Häusern zusammenstöbern. Er bekam bei
Gelegenheit viel Besuch in seiner Hütte; doch wurde ihm nichts entwendet.
Es herrschte ein unglaublicher Lärm unter diesem muntern Völkchen, das stets
zum Lachen und Scherzen geneigt war und alle seine Kunstsachen anstaunte.
„Trotz ihrer Begeisterung für alle diese unerhörten Neuheiten
benahmen sich die Indianer weit gesitteter als unsere Groß—
tädter bei ähnlichen Gelegenheiten. Kein Stoßen und Drängen
fand ftatt; kein häßlicher Zank um den besseren Platz störte die Gemütlichkeit.
Alles verlief nach einer gewissen Ordnung und Regel. Auch bei den gemein—
schaftlichen Mahlzeiten und den gastlichen Bewirtungen in einer fremden Maloka
fiel mir diese Eintracht angenehm auf. Nie habe ich auf späteren Reisen das
Gegenteil beobachtet. Jeden Leckerbissen, den ich meinen Ruderern gab, teilten
sie brüderlich miteinander1.
Schon die kleinen Kinder von fünf bis sechs Jahren tragen die Scham—
binde. Sie besteht aus einem schmalen Stück Zeug europäischer Herkunft, das
zwischen den Beinen durchgezogen und vorn und hinten unter die Hüftschnur
geklemmt wird. Die Weiber tragen kurze Katunröcke, die von den Hüften
herunterhängen.
Leider scheinen sie dem Trunk des Kaschiri nicht wenig ergeben zu sein;
doch bleiben sie selbst in angeheitertem Zustand friedlich und zuvorkommend.
Unser Gewährsmann lobt auch die Gastfreundschaft, Freigebigkeit und Dienst⸗
fertigkeit der Leute.
Die Hauptwaffen der Siusi sind vergiftete Pfeile, das Blasrohr und der
Bogen. Koch-Grünberg fand an manchen Stellen deutliche Felsritzungen,
Zeugnisse der Vergangenheit, die überall da auftreten, wo Aruakstämme längere
Zeit gewohnt haben. Unter anderem fand er eine große menschliche Figur mit
ttark hervorgehobenen Geschlechtsteilen, die ihm gedeutet wurde als das Bild
des Kuai oder Koai, der auch die Namen Uamudana und Manhekanalienipe
führt und der Sohn des Yaperikuli, des Stammbaters der Aruakstämme dieser
Gegenden. ist 2.
1
Koch-Grünberg, Zwei Jahre unter den Indianern J 80-81. 2 Ebd. 113.
3. Die Siusi am Aiary.
89
Wie fast alle Wilden schreiben die Siusi die Krankheiten den Einflüssen
böser Geister oder bösem Zauber zu. Die Zauberärzte gebrauchen für die
Kranken ähnliche Mittel wie andere Zauberer, sie saugen am Körper, betasten
denselben, ziehen den Krankheitsstoff an sich und blasen ihn von sich und
zerstreuen ihn mit der Hand nach allen Richtungen. Von Zeit zu Zeit laufen
sie beiseite in das Gebüsch, stöhnen, spucken und rülpsen aus Herzensgrund
und kehren zum Kranken zurück. Auch allerlei Beschwörungen werden an—
gewandt, um den Geist der Krankheit aus dem Patienten und seinen Sachen
auszutreiben!. Als ein Kranker gestorben war, brach plötzlich lauter Lärm,
Geschrei und Weinen los. Der Häuptling rief: „Er ist tot“, und gab mit der
Flinte einen Schuß in einen Baum. Im Trauerhause unbeschreibliche Szenen!
Viele schrieen: „Warum bist du gestorben? Warum hast du uns verlassen?“
——
verschuldet hatte. Es war, sagt Koch-Grünberg, gerade so, wie es Lerius schon
dor 300 Jahren geschildert. Dem Toten wurden Hände und Füße gebunden.
Weiber und Kinder zogen sich scheu zurück. Der Zauberarzt Gregorio deutete
plötzlich nach dem Giebel des Hauses, als wenn dort etwas in der Luft flöge.
Die Totenseele war entwichen?. Es wurde dann ein Sarg gezimmert. Im
oberen Teil desselben wurde ein Loch gebohrt, um der Seele die zeitweilige Ver—
bindung mit den Gebeinen zu ermöglichen. Zwischen dem rechten Mittel- und
Hinterpfosten des Hauses hatten die Männer ein Grab geschaufelt. Die Leiche
wurde nun mit alten Zeugstoffen umhüllt, die noch mit Schnüren zusammen⸗
gebunden wurden, und dann in den Sarg gelegt. Der Sohn des Toten
hatte seinem Vater eine Axt und einige Kleinigkeiten in den Sarg mitgegeben.
Der Hauptnachlaß blieb ihm als Erbe, so Ruder, Bogen, Pfeil, Blasrohr,
Köcher, Federschmuck usw. Endlich wurde die vordere und hintere Offnung
des Sarges mit Topfscherben und Stücken einer Herdplatte verschlossen und
unter Flintenschüssen die Leiche ins Grab gelassen. Mit den Händen wurde
das Grab zugeschüttet und geebnet. Die offizielle Totenklage dauert zehn Tage,
und solange die Leiche noch nicht bestattet ist, dürfen die Verwandten nur
Mandiocafladen und Pfeffer essen.
„Die Totenseele bleibt noch ein bis zwei Tage in der Nähe des Grabes
und geht dann, unsichtbar für die Menschen, in eine andere
Welt. Diese andere Welt, das Jenseits der Siusi, liegt am oberen Igana, im
Walde auf einem hohen Gebirge, oberhalb des Nebenflusses Pamary. Dort ist
die alte Heimat der Siusi, aber heute ist sie bezaubert; ... und für die
Menschen unsichtbar gewordens. Dort wohnten die Siusi vor uralten Zeiten.
Dort wohnen die Seelen der Vorfahren noch heute. Es gibt dort zwei Häuser:
Hämäpana (Tapirhaus) und Kuliripana (Sorubimhaus)“, die ebenso gebaut
und eingerichtet sind wie am Aiarh, aber viel größer und schöner. Dort gibt
e8 viele Leute, große Pflanzungen, viel Wild und Fische und viel Essen. Wenn
eine neue Seele ankommt, wird sie von den Vorfahren freundlich aufgenommen,
schön bemalt, und es findet ihr zu Ehren ein großes Tanzfest mit Kaschiri
Ebd. 162. 2 Ebd. 163.
Sorubimfisch — Platystoma.
8sEbd. 166.
—30
Vierter Teil. Die Naturvölker Amerikas.
statt.“ Dieses herrliche Land ist nur das Jenseits der Siusi-kapuyo und ihrer
berwandten Stämme, d. h. der reinen Aruakstämme des Igäna und Caiarh⸗—
Uaupés. Die übrigen Nationen des Caiarh, Unana usw., haben ein anderes
Jenseits, von dem der Gewährsmann Kochs, Mandü, sagte, er wisse davon
nichts. Beim Traum macht die Seele einen Besuch in der andern Welt.
Der Sohn erbt, wie wir gesehen, die ganze Hinterlassenschaft des Vaters;
ist kein Sohn da, so fällt der Nachlaß an den Bruder des Verstorbenen und
die Verwandten. Erst nach einem Jahr darf der Witwer oder die Witwe eine
neue Ehe eingehen.
Das Amt des Zauberarztes vererbt sich bei den Siusi vom Vater auf
den Sohn. Eine besondere Probe ist nicht notwendig, nur eine gewisse Vor⸗
bereitung durch den Vater. Durch seine Beschwörungen zaubert der Alte
ein glalles, schwarzes Stäbchen, wie es der Zauberarzt bei der Krankenkur
aus dem Leibe des Patienten holt, vom Himmel herunter oder „aus der andern
Welt“ und „verschluckt es“. Unter heftigem Stöhnen und Rülpsen gibt er
es wieder von sich und zaubert es durch Blasen dem Novizen in alle Teile
seines Körpers: Kopf, Brust usw., indem er ihn dadurch befähigt, die Krank⸗—
Jeiten aller dieser Körperteile zu heilen. Der Zauberer spielt im Leben dieser
Naturkinder eine große Rolle. Er ist der Vermittler der Menschen mit den
Geistern, sowohl den Seelen der Verstorbenen als auch den bösen Dämonen,
die nach dem Glauben der Indianer die ganze Natur bevölkern. Er hat ver—
möge seiner übernatürlichen Kräfte Gewalt über diese finstern Mächte, die er
zum Nutzen, aber auch zum Schaden der gewöhnlichen Sterblichen verwenden
kann 1.
Von dem Eintritt in die Jungfräulichkeit bis zur Mutterschaft muß sich
das Mädchen mancherlei Zeremonien unterwerfen. Bis zur zweiten Menstruation
darf es keine größeren Fische und warmblütigen Tiere essen. Bei dieser Ge⸗
legenheit wird es schön gemalt und Kaschiri mit Tanz fehlen nicht. Die
Hochzeit ist mit einem mehrtägigen Tanzfest verbunden, das im Hause des
BZrautbvaters veranstaltet wird. Am Schluß der Feier hält dieser dem Schwieger⸗
sohn eine längere Rede und übergibt ihm die Tochter als Gattin zur Ver⸗
wahrung, womit die Ehe als geschlossen gilt?. Der junge Mann steuert zum
Hochzeitsfeste geräucherte Fische und Wildbret bei, die junge Frau bringt ihren
Schwiegereltern Kaschiristoff mit. Sie zieht in das Haus ihres Mannes. das
in der Regel auch die Wohnung ihrer Schwiegereltern ist.
Während der Schwangerschaft darf die Frau alles essen. Wenn die Geburt⸗
tunde naht, verlassen alle Männer das Haus. Sämtliche Weiber sind bei
ihr und siehen ihr bei der Geburt bei. Nach der Geburt bleibt die Mutter
mit dem Säugling fünf Tage lang von der Außenwelt streng abgeschlossen.
Der Mann hält mit ihr getreulich diese fünftägige Wochenstube ab. Ein
eigentlichs Männerkindbett, wie es bei manchen Stämmen Südamerikas
borkommt, findet nicht statt. Beide Ehegatten dürfen während dieser Zeit
nichts arbeiten, sich nicht waschen und nur Mandiocafladen GBeiju) und Pfeffer
essen. Jeder Verstoß gegen diese Vorschrift würde dem Neugebornen schaden.
1Koch⸗-Grünberg, Zwei Jahre unter den Indianern J 168. 2 Ebd. 182.
3. Die Siusi am Aiarh.
91
Ein gemeinsames Bad der Eltern und des Kindes beschließt die Zeit der Ent—
haltsamkeit. Gestillt wird bis ins zweite Jahr hinein und länger. Der Groß—
vater (Vater des Vaters) gibt dem Kinde den Namen fünf Tage nach der
Beburt; die meisten Namen sind dem Tierreich entlehnt. Unter den ein—
heimischen Namen, die sie den Fremden ungern mitteilen, weil sie zu glauben
scheinen, der Fremde könne mit dem Namen als einem Teil des Individuums
eine schädliche Zauberei treiben, haben sie auch christliche Namen, das ist aber
auch das einzige, was am Aiarh an das Christentum erinnert. „Die Por—
zellanpüppchen, die ich den Frauen und Kindern schenkte, wurden allgemein
„Tupana“ genannt, ein Wort aus der Lingoa geral, mit dem die Missionäre
„Gott“ bezeichnen. Man hielt sie für Figuren von Heiligen, wie man sie
noch heute bei den Indianern des Içana aus den Zeiten der Missionen findet.
Die Indianer, die selbst einen Teil ihrer Jugend in Missionen verbrachten
oder wenigstens durch ihre Väter von der christlichen Lehre eine vage Kunde
erhielten, verlangten oft die Taufe. Sie haben zwar die Bedeutung dieser
Handlung vergessen oder nie gekannt, sehen aber in ihr eine Art Zaubermittel,
don dem sie sich für die Kinder viel versprechen!.
Merkwürdig ist der Koai- oder Kuaitanz. Koai ist auch der Name der
bei diesem Tanz gebrauchten Flöten und des Geistes, zu dessen Ehren er ge—
halten wird. Der Koai, dem dieses blutige Fest gilt, ist der Sohn des Yaperi—
kuli, des Stammesheros dieser Aruakstämme. Er ist vom oberen Aiarh ge—
kommen, wo sich noch sein Bild auf einem Felsen eingegraben findet. Die
Teilnahme an der Feier ist ein Privileg der erwachsenen Männer, Weiber
dürfen die Flöten nicht einmal sehen, sonst tötet sie der Koai. Schon Hum—
boldt? berichtet von einem Fest der Völker am oberen Orinoko, am Atatapo
und Inirida zu Ehren des guten Geistes Cachimana, der die Jahreszeiten
regiert und die Früchte reifen läßt. Dabei wurden heilige Trompeten ver—
wendet (Botutos). Dieselben wurden von alten in die Mysterien eingeweihten
Männern aufbewahrt und während des Festes unter den Palmen geblasen,
damit sie reichliche Früchte trügen. Die Eingeweihten unterzogen sich der
Geißelung, dem Fasten und andern angreifenden Andachtsübungen. Bald blies
Cachimana selbst die Trompete, bald ließ er nur seinen Willen durch den kund⸗
tun, der das heilige Werkzeug in Verwahrung hatte. Die Weiber waren von
dem Feste ausgeschlossen. Hatte eine das Unglück, die Trompete zu sehen, so
wurde sie ohne Gnade umgebracht. — Dieses Fest ist offenbar auch bei den
Siusi eine Art Kultus, dessen tiefere Bedeutung jedoch den heutigen Indianern
abgekommen zu sein scheint. Art und Zeit des Festes und gewisse Einzelheiten
in den darauf bezüglichen Mythen, wie sie Stradelli und andere von den
Tariana berichtet haben und wie Koch selbst sie später an den Ufern des Yapura
erfuhr, dies alles weist deutlich auf eine Beziehung zum Sonnenheros hin, der
den Menschen die Waldfrüchte gegeben hat und jährlich reifen läßt. So ist
dieses Fest ursprünglich ein Dankfest, um den Geist zu befriedigen, und zu—
gleich eine Zauberhandlung, um ihn durch Tänze, Kasteiungen und Geißelung
Ebd. 183 - 184.
3 Reife in die Äquinoktial-Gegenden des neuen Kontinents V (1862) 109 - 110.
22
Vierter Teil. Die Naturvölker Amerikas.
zu beeinflussen und weitere reiche Ernte zu erlangen. Schon den Aufnahmen in
den Männerbund, dessen Privileg die Ausübung dieses Geheimkultes ist, gehen
schmerzhafte Kasteiungen und Geißelungen voraus!.
Außer dem Koai, der im Grunde genommen ein guter Geist ist und nur
vorwitzigen Weibern und Kindern gefährlich werden kann, haben die Siusi
noch zahlreiche Dämonen, denen mehr oder weniger unheilvolle Eigenschaften
zugeschrieben werden, von denen aber die Mädchen nichts hören dürfen. Der
schlimmste Dämon ist der Jyäimi, der in der Lingoa geral mit dem Namen
des am meisten gefürchteten Dämons der alten Tupinamba Yuruparyh bezeichnet
wird. Als obersten Waldgeist, den er mit dem Kurupira der Lingoa geral
indentifizierte, nannte der Siusihäuptling Mandü den Auagkarüna; ein anderer
Waldgeist ist der Biuli. Neben diesen macht noch eine Unzahl kleinerer Geister
den Wald unsicher, die unter dem Namen auakata minali — Waldbewohner
zusammengefaßt werden.
„Der Indianer gibt dem Weißen auf eine gerade Frage, die ihm lästig
ist, selten eine gerade Antwort, sondern sucht mit unbestimmten Ausdrücken, wie
vielleicht, ‚es kann sein‘, ‚wer weiß‘, ein offenes Ja oder Nein zu umgehen.
Dies mag zum großen Teil in seinem unbeständigen Charakter liegen, der den
Reisenden oft genug Schwierigkeiten bereitet. Sicherlich und nicht zuletzt aber
sind auch die schlechten Erfahrungen daran schuld, die er im Verkehr mit ge—
wissen Weißen oder Mischlingen gemacht hat.“?
4. Die Kobeua am Rio Cuduiary (am oberen Rio Negro)8.
Koch-Grünberg lobt das harmonische Familienleben der Kobeua. Er er—
fuhr manches über ihre Sitten. Vieles haben sie mit den Stämmen des Aiary
gemeinsam, wie überhaupt ihre Kultur von den Aruak stark beeinflußt erscheint.
Will bei den Kobeua ein junger Mann heiraten, so fragt er beim
Vater seiner Auserwählten an. Gibt dieser seine Einwilligung, so bleibt der
Bräutigam fünf Tage lang im Hause seiner zukünftigen Schwiegereltern.
Während dieser Zeit findet ein Tanzfest mit Gelage statt, an dem viele Gäste
leilnehmen. Nachdem der Vater am Schluß des Festes dem Schwiegersohn die
Tochter mit empfehlenden und ermahnenden Worten übergeben und damit die
Ehe gewissermaßen offiziell als gültig erklärt hat, nimmt der junge Ehemann
die Gattin bei der Hand und eilt mit ihr zum Hafen. Der Schwiegervater
folgt dem Paare laut klagend und die Tochter, die ebenfalls weint, beständig
nit der Hand leicht auf den Rücken schlagend. Hinter ihm kommt die weinende
Mutter, die die Aussteuer der Tochter: Hängematte, Körbe, Töpfe usw., trägt
und in das Kanoe der Brautleute legt, die darauf mit größter Geschwindigkeit
heimfahren. Als Geschenke oder Bezahlung erhalten die Eltern der Frau vom
Schwiegersohn: Hängematten, Körbe, Siebe und wertvolle Tanzgeräte. Bei
manchen Horden soll noch heute der zeremonielle Frauenraub Sitte sein. Die
Braut wird von dem Bräutigam und seiner Sippe mit Gewalt und Lärm
Koch⸗Grünberg, Zwei Jahre unter den Indianern J 190. 2 Ebd. 207.
3 Ebd. II 144 ff.
4. Die Kobeua am Rio Cuduiarh (am oberen Rio Negro). 93
aus der Maloka geraubt, wobei es bisweilen auf beiden Seiten Prügel absetzt.
Am andern Tag kommen beide Parteien zur Hochzeit zusammen, bei der von
Braut und Bräutigam die Kaschirikalebassen ausgetauscht werden. Daß die
Sitte der freien Stämme am oberen Rio Negro, die Frau aus einem andern
Stamm zu nehmen, auf den alten Frauenraub hinweise, wie Koch-Grünberg
meint, scheint uns sehr fraglich!.
„Während das junge Mädchen die größte Freiheit genießt und ihre Un—
schuld nicht über allen Zweifel erhaben zu sein braucht, steht die Ehe durch—
schnittlich auf einer sittlich sehr hohen Stufe, und die Treue wird selten von
einem der beiden Ehegatten verletzt. Nie habe ich auch nur den Schatten eines
undezenten Benehmens im Verkehr der Eheleute bemerkt, nie unter normalen
Verhältnissen ernstere Streitigkeiten, häßliche Szenen, die in unserem zivilisierten
Europa in manchen Kreisen leider vielfach an der Tagesordnung sind.“ —
Spielt die Frau schon als Gattin und Beraterin des Mannes eine große Rolle,
so ist dies noch mehr der Fall, sobald sie Mutter geworden. Die Pflege und
die Erziehung der Kinder sind allein ihrer Pflichttreue überlassen. Schon vor
seinem Eintritt in die Welt genießt das Kind die Fürsorge der Mutter. Einen
Monat vor der Geburt darf die Frau von dem Pirarärafisch nicht essen; ebenso
sind ihr alle Vierfüßler verboten. Die Geburt findet in der Maloka oder in
einer abseits gelegenen Hütte unter dem Beistand aller verheirateten Weiber statt.
Bei Zwillingen wird das Zweitgeborne unmittelbar nach der Geburt getötet
und an Ort und Stelle begraben; wenn die Kinder verschiedenen Geschlechtes
sind, das weibliche. Bald nach der Geburt nimmt der Zauberarzt mit seinem
ganzen Zauberapparat, Rassel, Bergkristall uswp.,, in der Wohnstube eine lange
Beschwörung vor. Acht Tage nach der Geburt veranstalten die Eltern zu Ehren
des Sprößlings ein Trinkfest, zu dem die Verwandten eingeladen werden und
bei dem der Großvater dem Kinde seinen Namen gibt, der meistens dem Tier—
oder Pflanzenreich entnommen ist.
Vom Augenblick der Geburt an bis zum Augenblick, wo das Kind auf
eigenen Füßen stehen kann, sieht man die Mutter selten ohne dieses; ist es
klein, so trägt sie es in einer Bastbinde, die sie über die rechte Schulter hängt,
später läßt sie es auf ihrer Hüfte reiten. Die Kinder genießen von den Eltern
eine liebevolle Behandlung, wenn der Indianer auch gewöhnlich seine Gefühle
vor Fremden verbirgt. Dort, wo der Europäer gewissermaßen zur Familie
gehört und die Indianer keine Scheu vor ihm haben, überschütten in seiner
Gegenwart die Eltern ihre Kinder, besonders die kleinen, mit denselben Zärt—
lichkeiten wie bei uns. — Wie bei den Indianerinnen die Pubertät früher
eintritt, so ist auch die Blüte bald vorüber. Trotz der geringen Bekleidung der
Frauen sah Koch-Grünberg nie bei ihnen auch nur die geringste Unanständig—
keit. Selbst gänzlich unbekleidete Frauen benahmen sich so dezent, daß man
ihre Nacktheit völlig vergaß. Die Frauen brachten unserem Reisenden oft ihre
Kinder und baten ihn freundlich, sie zu heilen. „Rührend ist ihre Sorge, er—
schütternd ihre Trauer bei dem Verlust ihrer Lieblinge.“?
Ebd. 145. 2 Ebd. 150.
—34
Vierter Teil. Die Naturvölker Amerikas.
Die Kinder zeigen schon frühzeitig Intelligenz und natürlichen Anstand.
Freilich gibt es auch unter den Indianern wie überall ungezogene Kinder.
Wohl weisen die Eltern sie dann zurecht, und der Vater sagt vielleicht: „Sei
still, der böse Geist kommt“, aber nie lassen sie sich im Zorn zu Ungerechtig⸗
keiten und Mißhandlungen hinreißen. Sobald die Kinder laufen können, ahmen
—D0
kleinen Bogen und Pfeilen, die ihm der Vater verfertigt; das Mädchen fängt
früh an, der Mutter zur Hand zu gehen, es beauffsichtigt die jüngeren Ge—
schwister und lernt spielend die verschiedenen Geschäfte der Hausfrau.
Stirbt ein Kobeua, so hocken während der folgenden Nacht die Männer
auf der einen, die Weiber auf der andern Seite der Hängematte, in der der
Leichnam liegt, und halten die Totenklage ab. Am andern Morgen wird der
Verstorbene in seinem Kanoe in derselben Weise inmitten der Maloka begraben,
vie dies am Aiarh üblich ist. Sein Federschmuck wird ihm auf die Brust
gelegt und mit in das Grab gegeben. Auf dem geschlossenen Grabe werden
sein Bogen und seine Pfeile, seine Fischreusen und andere Gerätschaften, auf
dem Grabe der Frau ihre Körbe und Siebe verbrannt, ihre Töpfe zerschlagen
and die Scherben in den Wald geworfen, damit nichts von der Habe des
Toten zurückbleibt, und die Seele nicht gezwungen ist, zurückzukehren, ihr Eigen—
tum zu beanspruchen und die Hinterbliebenen für ihre Nachlässigkeit oder Hab—
gier zu bestrafen. — Solange der Leichnam noch nicht in der Erde ruht,
dürfen die Anverwandten nichts essen. Ein Bad beendigt das Fasten. Die
Totenklage dauert fünf Tage morgens und abends und wird auch später ge—
legentlich wiederholt. Nach dem Begräbnis werden Masken verfertigt und ein
zroßes Kaschiri bereitet. Am neunten Tage findet das Totenfest zu Ehren des
Verstorbenen statt. Die Maloka wird durch Zäune geteilt. In der hinteren
Hälfte bleiben die Weiber und Kinder, in der andern veranstalten die Männer
zunächst einen Yuruparytanz. Dann wird die Pariwand weggeräumt und im
Beisein der Weiber und Kinder beginnen unter erneuter Totenklage Maskentänze.
Stirbt ein Tuschaua (der Älteste in der Maloka), so folgen ihm in der
Wuürde des Häuptlings zunächst seine Brüder und erst nach diesen der älteste
Sohn. Letzterer wird Tuschana, wenn er eben Mann geworden, doch kommt
Minderjährigkeit kaum vor, da stets genug Oheims vorhanden sind, die nach
dem Alter einander folgen, ehe er die Geschäfte des Ältesten übernimmt. —
Erst nach Ablauf eines Jahres dürfen Witwer und Witwen wieder heiraten.
Die Seele des Toten bleibt einen Tag beim Leichnam und geht dann
nach Makolami (Araͤrahaus), einer schönen, geräumigen, für den Menschen
unsichtbaren Maloka auf dem gleichnamigen Gebirge oberhalb der Mündung
des Cuduiarh, wo sie von den Seelen der Vorfahren festlich empfangen wird.
Ein anderer Höhenzug, nicht weit von Makolami, den die Kobeua Yamakola⸗
päuä nennen, trägt ebenfalls auf seinem Gipfel ein großes „Steinhaus“. Beide
Gebirge gelten als das Jenseits der Kobeuaseelen.
Beim Schlaf und Traum verläßt die Seele den Körper und geht „spazieren“.
Sie steht eine Zeitlang beim Kopf des Schlafenden, geht dann langsam zu
seinen Füßen, kehrt langsam zum Kopf zurück und so fort, immer hin und her.
Schließlich schlüpft sie wieder durch den Mund in den Körper, und der Mensch
4. Die Kobeua am Rio Cuduiarh (am oberen Rio Negro). 95
erwacht. Zuweilen macht die Seele auch weitere Ausflüge. Bei einem starken
Donnerschlag trennt sich nach dem Glauben der Kobeua eine Seele vom Leibe,
ein Mensch stirbt. „Eine Art von Endokannibalismus, von der schon Wallace
nach Hörensagen berichtet, schilderte mir der Tuschaua von Namocoliba nach
eigener Anschauung: Fünfzehn Jahre nach dem Begräbnis werden die Gebeine
der verstorbenen Vorfahren außer dem Schädel ausgegraben und in einem
großen Feuer vor der Maloka verbrannt. Die verkohlten Knochen werden
säuberlich gesammelt und in einem Topf auf ein Feuer gesetzt, das einen ganzen
Monat, Tag und Nacht, unterhalten wird, bis die Knochen in Asche zerfallen.
Das Knochenmehl wird nochmals in Mörsern fein gestoßen. Bei dem Toten—
fest, zu dem viele Leute zusammenkommen, wird ein großer Topf mit Kaschiri,
das nur aus Mais gebraut und sehr dickflüssig und stark ist, in die Mitte der
Maloka gestellt und das Knochenmehl durch ein dichtes Sieb in den Festtrank
geseiht. Der Häuptling rührt das Gebräu mit einem Stab um und gibt zu—
erst jedem der umsitzenden Männer eine große Kalebasse davon zu trinken, aber
nur den Alten und den Familienvätern, die schon drei Kinder
haben, darauf ebenso den Weibern, aber wiederum nur den
Alten und den Müttern von drei Kindern.“! Der Ursprung dieser
Sitte, die sich auch bei andern Stämmen findet, liegt nach Koch-Grünberg in
dem Glauben, daß die Knochen, die nach der Zersetzung des Leibes allein übrig
bleiben, der eigentliche und letzte Sitz der Seele sind. „Unfähig, das Körper—
liche vom Geistigen zu trennen, macht sich der Naturmensch des Geistes und
Wesens seiner Vorfahren ... auf diese handgreifliche Weise teilhaftig.“
Wie überall, so nimmt auch bei den Kobeua der Zauberarzt eine hervor—
ragende und in mancher Beziehung gefürchtete Stellung ein. Nur mit Hilfe
eines älteren Zauberarztes kann man diese Würde erlangen. Dieser holt von
einem hohen Gebirge Dupa, weiße Zaubersteinchen, die der Geier Amaka auf
natürlichem Wege von sich gegeben hat. Diese Dupa zaubert er dem Kandi—
daten durch die Nase in den Kopf, wo sie „das ganze Gehirn und die Augen
fressen“. Gehirn und Augen werden und bleiben Dupa. Der übrige Körper
wird nicht Dupa. Der Kandidat darf nun einen Monat nur Mandiocaspeise
genießen und keinen ehelichen Umgang pflegen. Darauf darf er zunächst kleinere,
dann größere Fische und endlich Fleisch von warmblütigen Tieren genießen.
Jetzt ist er Zauberarzt (Pajs in der Lingoa geral) und kann Krankheiten
heilen. Bei den Kobeua gebe es, berichtet man, nur gute Paje, viele böse Paje
aber seien bei den Molaua im Quellgebiet des Ti-Igarape. Wird ein Zauber—
arzt sehr alt, so wird er ein Jaguar, d. h. er geht von Zeit zu Zeit in den
Wald, verwandelt sich in einen Jaguar und tötet und frißt Hirsche und andere
Tiere. Bei der Rückkehr aus dem Wald wird er wieder Mensch. Stirbt er,
so wird eine Jaguarhaut mit ihm begraben. Seine Seele aber geht nicht in
das Jenseits, sondern streift für immer im Walde umher als sehr böser Jaguar.
Nach Koch-Grünberg haben wir hier einen Werwolfglauben, der uns erklärt,
warum im Kobeua und in den meisten andern Betoyasprachen die Bezeichnungen
für Jaguar und Zauberarzt identisch sind.
1Koch-⸗Grünberg, Zwei Jahre unter den Indianern II 152-153.
36
Vierter Teil. Die Naturvölker Amerikas.
Böse Menschen bringen den Leuten Gift bei und machen sie so krank. Der
Feind geht auf ein Gebirge und holt dort das Zaubergift und legt es in ein
gefaltetes Blatt. Bei einem Tanzfest läßt er heimlich das Gift in die Kalebasse
des Gegners fließen. Stirbt er, so spricht der Zauberarzt mit der Seele des
Toten, die ihm den Schuldigen nennt. Dann überfallen die Verwandten die
Maloka des „Mörders“, töten alle Bewohner und verbrennen das Haus. —
Die Krankenkur ist dieselbe wie am Aiarhhy. Beim Krankenzauber spielt die
Zauberrassel eine Hauptrolle. Ihr schreibt der Zauberdoktor seine geheimnis—
volle Kraft zu.
Außer den bösen Dämonen, von denen gleich die Rede sein wird, fürchten
die Kobeua besonders drei Waldgeister: Kuinagaopako, der dem Kurupira der
Lingoa georal entspricht, aussieht wie ein sehr großer Tapir und Menschen frißt;
Makatxiko, der nur halbmannshoch ist, hat eine Keule in der Hand, mit
der er zuerst auf seinen langen Penis stößt und dann wider die hohen Bäume
schlägt, so daß es wie ein Flintenschuß schallt. Mit der Keule tötet er Menschen.
Popali ist etwas größer als Makatxiko und zeichnet sich durch einen un—
geheuern Penis aus. Auch er tötet Menschen?.
UÜber ihren Ahnherrn Homanihiko erzählen die Kobeua: Seine Mutter
ging mit Homanihiko schwanger. Sie hatte eine Fischreuse aus Sipo verfertigt.
Als sie dieselbe in den Fluß legen wollte, stürzte sie damit ins Wasser, geriet in
die Reuse und ertrank. Urubutinga (der Aasgeier) zerhackte den Leib der Toten
und da kam Homanihiko lebend hervor. Er setzte sich dem Urubutinga auf den
Hals und flog mit ihm durch den Wald bis zur Ruine des Hauses seines Vaters,
wo sie gegen Abend ankamen. Dort ließ er sich in Gestalt einer Eule auf einem
Hauspfosten nieder. Dann tötete er der Reihe nach die verschiedensten Tiere,
die früher Menschen waren. In den Fabeln geht der Begriff Mensch und Tier
beständig ineinander über. Homanihiko hatte zwei Brüder. Alle drei gelten
als Stammpväter der Kobeua, doch gilt er als der vornehmstes.
Der Dämonenglaube kommt besonders in den Maskentänzen zum Vorschein.
Viele Masken und Maskentänze haben die Kobeug mit den Kaua am oberen
Aiarh gemeinsam. Auf die Verfertigung der Masken wird großer Fleiß ver⸗
wendet und sie zeigen darin große Geschicklichkeit. Alle Masken stellen Dämonen
vor. Die Phantasie der Indianer bevölkert die ganze Natur mit bösen und
zuten Geistern, die großen Einfluß auf Leben und Sterben ausüben. Keine
Krankheit, zumal keine innere, führt er auf natürliche Ursachen zurück. Die
Ursache ist stets die Rache eines bösen Geistes oder eines mit dämonischer Macht
ausgestatteten Feindes. In den Maskentänzen treten redend und handelnd alle
Geister mit ihrem Gefolge von Tieren, die wiederum Dämonen vorstellen, auf.
Der Dämon stieckt in der Maske, ist in ihr verkörpert, die Maske ist für den
Indianer der Dämon. Der Dämon der Maske geht auf den jeweiligen Tänzer
über, der sich mit ihr bekleidt. Am Morgen nach Ausgang des Totenfestes,
wenn die Masken verbrannt worden sind, verlassen die Dämonen ihren vorüber⸗
gehenden Aufenthaltsort und begeben sich nach Taku, dem Maslkenjenseits,
Koch-Grünberg, Zwei Jahre unter den Indianern II 156. 2 Ebd. 157.
3Ebd. 168-169.
5. Die Muras, Jumanas, Miranhas und Mundrucus. 97
oder in ihre auf einem andern Gebirge gelegene Wohnung. Einige Kobeua
agen, alle Dämonen sind Herren auf Taku, dort ist ihr großes Haus, ihre
Maloka; andere behaupten, jeder habe seine eigene Maloka!.
Nur die Zauberärzte können die Dämonen sehen und mit ihnen sprechen.
Diesen den andern Menschen unsichtbaren Teil der Maske nennen die Kobeua
Maskenseele (maskara-anga). Diese kehrt beim Tode der Maske, d. h. bei
ihrem Berbrennen, in ihre eigentliche Wohnung zurück. Die Vorstellung vom
Taku als dem Maskenjenseits mag nach Analogie des menschlichen Jenseits
entstanden sein. Das Verbrennen der Maske ist wohl in demselben Glauben
begründet wie das Verbrennen der Hinterlassenschaft der Toten, in der Furcht
vor der unerwarteten Rückkehr des Dämons. Wenn einzelne Masken auf—
bewahrt werden, so ist das nach Koch-Grünberg ein Zeichen des Verfalles.
Zu den besonders bösen Dämonen der Kobeua gehört in erster Linie
Makuko, der die Leute mit Blasrohr und Giftpfeil tötet. Er hat eine
Frau. Sehr gefürchtet ist auch das Riesenpaar Kohako usw. Von den Masken⸗
tänzen sei der Tanz des Noado (penis, phallus) erwähnt. Die Fruchtbarkeits-
erzeugung wird durch mimische Darstellung der Begattung zum Ausdruck ge—
bracht. Die Tänzer halten große aus Bast gedrehte Phallen mit Testikeln mit
beiden Händen an den Leib und tanzen unter heftigen Coitusbewegungen. Die
Frauen und Mädchen sind zugegen, und es liegt in der Natur der Sache, daß
dabei obszöne Spässe vorkommen. Koch meint, trotzdem sei der Vorgang nach
der Auffassung dieser Naturmenschen ein anständiger Tanz, da ein natürlicher
Vorgang dargestellt werde. Die Maskengeister sind als Dämonen der Frucht⸗
barkeit gedacht. Der mimischen Darstellung aller Maskentänze liegt die Idee
einer Zauberwirkung zu Grunde. Sie sollen dem Dorf und seinen Bewohnern
Fruchtbarkeit bringen 2. Koch-Grünberg schildert zum Schluß, wie lieb er die
Indianer gewonnen und wie schwer ihm der Abschied geworden. „Es war
aber auch eine unvergeßlich schöne Zeit gewesen. Man hatte uns volles Ver⸗
trauen entgegengebracht und nie war unser Vertrauen getäuscht worden. Nie
wurde unsere Eintracht ernstlich gestört.“ Nur einmal kam es durch Schuld
eines eiteln und dummen Menschen zu einer vorübergehenden Meinungsverschieden⸗
heit. Niemals wurde uns das Geringste entwendet, obwohl wir die Koffer
bisweilen offen stehen ließen.
5. Die Muras, Jumanas, Miranhas und Mundrucus.
1. Die Muras sind nach Spix und Martiuss einer der zahlreichsten
Stämme im Gebiet des Amazonas. Sie scheinen ursprünglich am unteren
Madeira gewohnt zu haben, von wo aus sie sich zum Teil vielleicht in kleinere
Horden zerstreut und am Solimoes, Rio Negro und Amazonas niedergelassen
haben. Seitdem man sie kennt, machen sie entweder allein oder mit den be—
freundeten Toras die nördlichen Ströme unsicher. Diese beiden Stämme werden
deshalb von den europäischen Ansiedlern als freie Wegelagerer (Indios de Corso)
Ebd. II 174. 2 Ebd. 195 -196. s Ebd. 248.
Reise in Brasilien III 1072 ff.
Tathrein, Die Einheit d. sittl. Bewußtfeins. III.
98
Vierter Teil. Die Naturvölker Amerikas.
rücksichtslos verfolgt. Die Muras schwärmen in kleinen Flotillen wie Zigeunoer
unter den andern Indianern umher und werden von diesen verachtet. Obwohl
sie zur Zeit von Spix und Martius wenigstens teilweise aus dem feindseligen
Verhältnis getreten waren, verschmähten sie doch den Dienst der Weißen mehr
als andere Stämme, und nur ihre Neigung zum Branntwein machte sie bis⸗
weilen auf kurze Zeit dienstbar. Ihrem völlig unsteten Leben entsprechend stehen
ije auf einer sehr niedrigen Kulturstufe. Als geschickte Fischer und Jäger und
nur mit der Gegenwart beschäftigt, haben sie gewöhnlich hinreichende Subsistenz⸗
mittel, und sie prassen im Genuß des Überflusses, während sie in den Tagen
des Mangels mit Resignation Hunger leiden. — „Man behauptet, daß dieser
Stamm mit mehr Lebhaftigkeit als andere dem schönen Geschlecht huldige, das—⸗
selbe mit sichtlicher Eifersucht bewache und von Untreue oder Mißtrauen nicht
elten zum Meuchelmord und Krieg zwischen einzelnen Horden Veranlassung
nehme. Gewöhnlich hat jeder Mann zwei oder drei Weiber, von denen die
schönste oder jüngste am meisten gilt, während die übrigen als Dienerinnen der
Familie zurücktreten. Diese Weiber sind meistens das Erwerbnis eines Faust—
gefechtes, zu welchem sich alle Liebhaber des mannbar gewordenen Mädchens
unter der Voraussetzung stellen, daß dieses dem Sieger zu teil werde. Ihre
ungebändigte Wildheit äußert sich auch in ihrem Jähzorne und in ihrer Rauf⸗
sucht, welche durch den Genuß des Branntweins oft zum Nachteile der An—
edler ausschlägt.“
So sehr sie übrigens den Dienst der Weißen scheuen, hat man doch Bei—⸗
spiele, daß Weiße bei kluger Behandlung lange Zeit unangetastet unter ihnen
lebten. Mit den Mundrucus und Mauhes leben sie in beständigem Krieg, mit
andern Stämmen aber kämpfen sie nur nach vorhergängiger Kriegserklärung,
die darin besteht, daß sie einige mit der Spitze nach oben gerichtete Pfeile auf
feindlichen Grund und Boden stecken. Eine höchst seltsame Sitte dieses Volkes
ist der Gebrauch eines Schnupftabakes (parica), der zuerst erregend, dann
narkotisch wirkt. Jährlich einmal gebraucht jede Horde acht Tage lang das
Parica unter anhaltendem Trinken berauschender Getränke, Tanzen und Singen.
Dieses Fest soll nach Ribeiro den Eintritt der Jünglinge in die Mannbarkeit
feiern, was aber andere bestreiten. In einem geräumigen offenen Hause ver⸗
sammelt sich die ganze Horde und wird von den Weibern mit verschiedenen
oegetabilischen Getränken erhitzt. Die Männer reihen sich dann nach gegen⸗
seitiger Wahl paarweise zusammen und peitschen sich mit langen Lederriemen
his aufs Blut. Dies gilt nicht als Feindseligkeit, sondern als ein Akt der
Liebe, und nach allen uns gewordenen Nachrichten dürfte der ganze Exzeß als
Ausdruck eines irregeleiteten Geschlechtsverhältnisses betrachtet werden?. Nach—
dem die blutige Operation mehrere Tage fortgesetzt worden, blasen sich die
paarweise verbundenen Gefährten das Parica mit einer fußlangen Röhre in die
Nasenlöcher, und zwar mit solcher Gewalt und so unausgesetzt, daß bisweilen
einzelne tot auf dem Platze bleiben. Eine plötzliche Exaltation, unsinniges
Reden, Schreien, Singen, wildes Springen und Tanzen ist die Folge dieser
Spix und Martius, Reise in Brasilien III 1073 -1074.
2 Ebd. 1075.
5. Die Muras, Jumanas, Miranhas und Mundrucus. 99
Operation, nach der sie, von Getränken und jeder Art von Ausschweifung be—
taubt, in eine viehische Trunkenheit verfallen.
Wie es scheint, hat jede Horte einen Anführer (tkuxaua). Ihre Hütten
ind über die Maßen elend. Sie bestehen aus kurzen Baumstämmen, die mit
Reisig und Palmblättern bedacht sind; die niedere Türe dient auch als Fenster
und Rauchfang. Außer einer armseligen Hängematte und einigen Waffen fehlt
eglichrr Hausrat. „Das Weib, welches bei unserem Eintritt erschrocken aus
der Liegerstatt auffuhr, war ebensowenig bekleidet als der Mann und die der
Horde zugehörigen Kinder. Der Ausdruck der Physiognomie war wild, unstet
und niedrig. Selbst das Freiheitsgefühl konnte die ... verdüsterten Züge
nicht erheitern, und die Weiber trugen insgesamt im Antlitz und am übrigen
Lörper Spuren erlittener Gewalttat.“ Noch mehr als viele andere Indianer
iind die Mura schmutzig, träg und launenhaft. „Bei unserer Abreise von den
Muras ließen wir ihnen einige Flaschen Branntwein zurück, deren sie sich mit
wahrer Leidenschaft bemächtigten, indem sie sie mit verschränkten Armen an sich
drückten. Wie es schien, beratschlagten sie lange, auf welche Art ihre Dank—
barkeit zu beweisen sei, und als wir bereits vom Lande gestoßen hatten,
brachten sie eine große Schildkröte als Gegengeschenk nach.“⸗
Nach Wallas beerdigen die Muras des unteren Purus ihre Verstorbenen
bisweilen im Hause selbst, gewöhnlich aber außerhalb desselben und legen alle
Habe auf ihr Grabs.
2. Die Jumanas am Solimoes nehmen ein gutes und ein böses
Wesen an, die sie Uauüloa und Locozy nennen“. Beide wohnen ober—
halb der Erde, gegen die Sonne zu. Das böse Wesen fürchten sie; vom guten
glauben sie, daß es nach dem Tode erscheine, um Früchte mit dem Toten zu
essen und seine Seele mit sich in seine Wohnung zu nehmen.
Der Leichnam wird mit zusammengekrümmten Extremitäten, das Antlitz gegen
Sonnenaufgang gerichtet, zugleich mit den zerbrochenen Waffen und einigen in
den Schoß gelegten Früchten in einem großen irdenen Topfe begraben. Auf das
Grab legen sie unter Heulen und Tanzen Früchte und die Kleider des Ver—
torbenen, welche nach einigen Tagen wieder weggenommen und den Kindern
gegeben oder verbrannt werden. Ein Trinkfest schließt die ganze Zeremonie.
Das Grab machen sie von außen unkenntlich, damit es nicht von Feinden be⸗
lohlen werden möge. Die Frau wird durch Geschenke, besonders von Nahrungs⸗
mitteln, von den Eltern erlangt. Der Häuptling hat das ius primao noctis.
die Heirat wird mit Tanz und Gesang gefeiert. Sobald das Kind zu sitzen
dermag, wird es mit der Abkochung gewisser Kräuter bespritzt (also eine Art
Taufe) und erhält einen Namen von seinen Vorvätern. Die Namen sind ver—
schieden für die beiden Geschlechter.
wu, *· Zu den abschreckendsten Menschen, die Martius antraf, gehören die
Miranhas (Umberschweifende) am rechten Ufer des Japurä, die nichts als
Ebd. 1071. 2 Ebd. 1076.
de Zitiert bei Koch-Grünberg, Zum Animismus der südamerikanischen Indianer,
eiden 1900, 57.
Spix und Martius a. a. O. 1182.
100
Vierter Teil. Die Naturvölker Amerikas.
Krieg, Raub und Menschenjagden zu kennen scheinen!. Sie sind eine kräftige
und wohlgebaute Rasse, gürten sich die Lenden mit einem Bande, das noch
wischen den beiden Schenkeln durchgezogen wird. Ihre Hütten liegen weit ab
boneinander durch den Wald zerstreut, sind groß und geräumig, so daß sie
gewöhnlich mehrere Familien beherbergen können. Sie sind viereckig, mit einem
AV
Latten und Palmwedeln bekleidet. Die Hängematten jeder Familie hängen vom
Umkreise der Hütte gegen die einzelnen Feuerstellen hin. Sie werden in so
großer Menge verfertigt, daß sie von hier aus durch die ganze Provinz von
Rio Negro, ja sogar nach Para ausgeführt werden können. Obgleich aber die
Frauen anhaltend mit diesem zierlichsten Teil ihres Haushaltes beschäftigt sind
und auch andere künstliche Flechtarbeiten verfertigen können, so haben sie doch
nie daran gedacht, sich selbst Kleider zu machen. Sie erscheinen immer im
Gewande der Unschuld, jedoch, was ihnen statt der Kleidung gilt, sorgfältig
hemalt. Diese Nacktheit fiel mir um so mehr auf, als ich doch bei diesem Ge—
schlechte manche bessere Regungen zu bemerken glaubte. Während die Männer
dem liederlichen Nichtstun ergeben waren, sah man die Weiber ohne Unterlaß
und unermüdet tätig; und selbst eine reinere Gutmütigkeit tat sich in der un—
derdrossenen Bemühung, uns mit besserer Kost zu versehen, und durch Teil—⸗
nahme an unserer Krankheit kund?.
Außer der Beschäftigung mit Flechtarbeit, dem Anbau von Mandioka und
der Bereitung von Mehl und Kuchen hatten die Frauen kleine Pflanzungen
bon Baumwolle, deren Fäden sie an der Spindel drehten und mit mancherlei
Pflanzensäften färbten.
Die Männer sind sehr wild und äußerst eifersüchtig auf ihre Frauen. Martius
warnte seine Leute vor jedem Streit und befahl ihnen, sich nur in Begleitung
der Männer zu den in der Küche und den benachbarten Schuppen arbeitenden
Weibern zu verfügen, da deren Schritte von ihren Eheherren eifersüchtig beob⸗
achtet würden. Die Miranhas sind Menschenfresser; selbst Jooo Manuel, der
Häuptling (Tubirava), und seine Frau, die er erst neulich statt der verstoßenen
aufgenommen hatte, leugneten nicht, öfters als einmal Menschenfleisch gegefsen
zu haben. Martius ließ den Tubixava über die Ursachen der Anthropophagie in
seinem Stamme fragen. Dieser antwortete: „Ihr Weißen esset weder Krokodile
noch Affen, obwohl sie wohlschmecken; hättet ihr weniger Schildkröten und
Schweine, so wäret ihr gewiß hierauf verfallen, denn der Hunger tut weh.
Dies alles ist nur Gewohnheit. Wenn ich den Feind erschlagen habe, ist es
wohl besser, ihn zu essen als verderben zu lassen. Das Schlimmste ist nicht
das Gefressenwerden, sondern der Tod, und bin ich erschlagen, so ist es das⸗
selbe, ob der Umaua (ein Stamm, mit dem die Miranha beständig im Krieg
leben) mich frißt oder nicht. Ich wüßte aber kein Wild, das besser schmeckte
als jener; freilich, ihr Weiße seid zu sauer.“ In dieser Antwort lag der Ge⸗
danke, daß der Indianer von einem Feinde ganz wie ein Wild behandelt werden
könne. Auf die Frage, ob sie auch Gefangene fressen, antwortete der Tubixava:
„Einen Gefangenen zu fressen, den ich verkaufen kann, wäre ja unklug; Brannt⸗
Spix und Martius, Reise in Brafilien III 1242 ff. 2 Ebd. 1247.
5. Die Muras, Jumanas, Miranhas und Mundrucus. 101
wein schmeckt besser als Blut; aber den Umaua, der sich selbst eher aushungert
als an die Weißen verhandeln läßt und der uns so viele gefressen hat, bringen
wir lieber gleich um.“ 1 Trotz dieses wilden Charakters der Miranha fehlte
es den Reisenden nicht „an Beweisen gutmütiger Teilnahme von seiten dieser
Menschenfresser und seiner Horde, besonders da wir vom Fieber gepeinigt
wurden“.
„Von Menschenopfern, als Sühne dem bösen Geiste dargebracht (einen
guten kennt der Miranha nichh), fand ich keine Spur.““ Der Be—
hauptung, daß die Miranhas an keinen guten Geist glauben, steht der schon
früher (S. 76) angeführte Bericht des Missionärs Giordano entgegen, der den
Blauben dieser Indianer an Tupana und Jurupary bezeugt.
An einem Felsen oberhalb der Mündung des Japurä machten die Indianer
o. Martius auf Skulpturen aufmerksam, die u. a. auch fünf Menschenköpfe
darstellten und so verwittert waren, daß sie auf ein hohes Alter zurückzudeuten
schienen. Die Indianer (keine Miranhas) näherten sich dem Felsen ehrfurchts-
vdoll, fuhren den leicht eingegrabenen Figuren mit dem Zeigefinger nach, indem
sie ausriefen: Tupana, Tupana (Gott)s. Wir erwähnen dies, weil es den
Blauben dieser Indianer an Tupana bezeugt.
4. Wir haben schon bei Besprechung der Muras das kriegerische Volk der
Mundrucus am linken Ufer des Tapajoz erwähnt. Bis vor 20 Jahren,
schreiben Spix und Martius“, machten sie viele Anfälle gegen die Portugiesen;
heute sind sie durch Geschenke und wohlwollende Behandlung den Ansiedlern
befreundet geworden und helfen ihnen die Macht der räuberischen Muras brechen.
Das Übergewicht, das sie sich dadurch erworben, ist so groß, daß jetzt die Muras
ihnen überall furchtsam aus dem Wege gehen.
Vor dem Jahre 1770 waren die Mundrucus (Mundurucus, Mandrucuüs)
kaum dem Namen nach bekannt. Sowohl viele Tupiworte in ihrer Sprache
als auch manche Züge in ihren Sitten machen es wahrscheinlich, daß sie zu
dem Tupivolke gehörten. Die noch nicht aldeisierten (in festen Niederlassungen
ansässigen) Mundrucus bewohnen nach Spir und Martiuss große offene Hütten,
in denen mehrere Familien zusammenleben. Nach Macht und Ansehen nimmt
seder Mann mehrere Frauen; er hängt in der ihm zustehenden Abteilung des
Rancho seine Hängematte neben der der ältesten Frau auf, die im Haushalte
war nicht gleich der Favoritin, aber als oberste Haushälterin waltet und oft
selbst ihm jůngere Weiber zuführt. Eifersucht und Hader sind die Folgen dieser
hier stärker als bei andern Stämmen entwickelten Polhgamie. Wie die Kariben
und die alten Tupis haben die männlichen Mundrucus die Sitte, sich bei der
Beburt eines Kindes mehrere Wochen lang in die Hängematte zu legen und
die Pflege der Wöchnerin sowie die Besuche der Nachbarn entgegenzunehmen,
denn nur dem Vater wird das Kind zugeschrieben; die Tätigkeit der Mutter
bei der Zeugung wird mit der des Bodens, der die Saat empfängt, verglichen.
wald nach der Geburt erhält der Säugling einen Namen nach einem Tier oder
einer Pflanze; diesen wechselt er während seines Lebens mehrmals, sobald er
Ebd. 1249 Anm. 2 Ebd. 1250. s Ebd. 1257. *Ebd. 1069.
5Ebd. 1339.
102 Vierter Teil. Die Naturvölker Amerikas.
eine Heldentat im Krieg oder auf der Jagd verrichtet hat. So geschieht es,
daß eine Person nacheinander fünf oder sechs Namen annimmt.
Der Sohn bildet, sobald er mannbar geworden, eine eigene Familie, indem
er ein Weib nimmt, das ihm entweder in der Jugend bestimmt worden oder
das er sich durch mehrjährige Dienste im Hause des Schwiegervaters erworben.
Nach dem Tode eines Mannes muß dessen Bruder die Witwe und der Bruder
der Witwe muß deren mannbare Tochter heiraten, wenn sich kein anderer
Bräutigam findet. Gewisse Verwandtschaftsgrade, z. B. zwischen väterlichem
Oheim und Nichte, gestatten keine eheliche Verbindung.
Sobald ein Todesfall eintritt, trauern die weiblichen Verwandten der
Mundrucus, indem sie die sonst langen Haare abschneiden, das Gesicht schwarz
färben und ein Klagegeheul längere Zeit fortsetzen. Der Leichnam wird inner⸗
halb der Hütte in einer Hängematte begraben, und zwar, wie Coudreau!
berichtet, in hockender Stellung und unter Beigabe seiner Waffen, seines
Federschmuckes und einiger kleineren Gegenstände. Zur Ehre des Verstorbenen
werden nun Trinkgelage gehalten, die um so länger dauern, je mächtiger er
gewesen. Wenn Martius hinzufügt: „An Unsterblichkeit glaubt der Mundrucu
nicht‘, so darf man angesichts der Totenfeierlichkeiten wohl diese Behauptung
als unrichtig bezeichnen.
„Die einzige Spur eines höheren Glaubens finde ich in der Sprache, welche
ein Wort (Getüut) für Gott und ein anderes (Cäuschi) für Teufel hat.
Auch bei ihnen ist der Paje eine mächtige und gefürchtete Person; er wird
als Verwandter des Teufels oder als Inspirierter gedacht.“?
Fünftes Kapitel.
Die Eingebornen Südbrasiliens.
1. Die Botokuden.
Es werden heute in Brasilien unter dem Namen Botokuden verschiedene
Indianerstämme zusammengefaßt, die unter sich in gar keiner verwandtschaft—
lichen Beziehung stehen und auch örtlich weit voneinander getrennt leben?. Wir
verstehen hier unter Botokuden nur vier miteinander verwandte Indianerstämme:
die Kamakans, die Botokuden, die Pataxos und die Mangoios, die in der
Provinz Bahia und besonders in der Provinz Minas Geraes in den Küsten⸗
—WeC
stamm sind die eigentlichen Botokuden, die ihren Namen von dem portugiesischen
botoque (Spundloch) haben, weil sie eine Holzscheibe bis zu 10 em Durchmesser
in der durchbohrten Unterlippe tragen, was ihnen ein häßliches Aussehen verleiht.
Nach Fr. v. Hellwald“ genießen die Botokuden „den traurigen Vorrang,
unter den brasilianischen Wilden die allerniedrigste Stufe einzunehmen“. Auch
Voyage au Tapajoz, Paris 1897, 127.
Spix und Martius, Reise in Brasilien III 1340.
Vgl. G. v. Koenigswald, Die Botokuden in Südbrasilien, im Globus XCIII
1908) 37 ff. 2Naturgeschichte des Menschen J 443.
1. Die Botokuden.
103
O. Peschel! meint: „Unter allen Bewohnern der Erde stehen vielleicht die
Botokuden Brasiliens dem Urzustand am nächsten.“ Beide Schriftsteller be—
haupten, die Botokuden gingen vollständig nackt. Dagegen sagt Fr. Ratzel⸗
bon den südamerikanischen Wilden: „Ebensowenig wie sonst in der ganzen
Welt gibt es hier Stämme, die gewohnheitsmäßig ganz nackt gehen, wenn auch
bei den Kariben Guayanas nur ein kleiner Kürbis als Penishülle und bei
den Waldstämmen Brasiliens ein Suspensorium als Rest erhalten geblieben ist
oder sogar bloß der Gürtel, woran es befestigt wird. Eine futteralartige Hülle
aus Baumwolle, bei den Botokuden und Otomaken aus Flechtwerk, findet
sich sonst mindestens.“ Die Schamhülle, deren sich die Botokuden bedienen,
heißt Giukanus. Sie besitzen auch ein Wort für Schamröte (na-rang).
J. J. v. Tschudis traf bei einem Besuch der Botokuden in einem Rancho
beim Mueuryfluß „einen Teil von ihnen ganz nackend, mehrere hatten einzelne
Kleiderfetzen umgehängt. Eine Indianerin, die bei ihnen war, ein verheiratetes
Mädchen von 9 bis 10 Jahren, trug ein kurzes, vorn ganz aufgeschlitztes
Hemdchen“.
Die zuverlässigsten Nachrichten über die fittlichen und religiösen Anschau—
ungen der Botokuden besitzen wir von P. Ludwig von Livorno O. C., der
sich 20 Jahre bei diesen Wilden aufgehalten und dessen Angaben P. Samuel
de Lodi in einem Briefe vom 16. März 1848 veröffentlicht hats. Jagd, Fisch-
fang, wilde Früchte und einige Wurzeln liefern ihnen den notwendigen Lebens⸗
unterhalt. Sie essen zu jeder Stunde, wenn sie etwas haben, und nehmen
mehr oder weniger Nahrung zu sich, je nach dem Vorrat, den sie zusammen⸗
gebracht haben, ohne je etwas für den folgenden Tag aufzusparen. Fast be⸗
ftändig sind sie am Herumziehen; selten bleiben sie mehr als einige Tage an
demselben Ort. Wenn sie sich an einem Ort für kurze Zeit niederlassen, bauen
sie flüchtig eine ganz primitive Hütte aus Laubwerk, die Schutz gegen den Regen
bietet. Alle ihre Gewohnheiten vererben sich unverändert von einem Geschlecht
auf das andere. Die Söhne ahmen den Vater und die Töchter die Mutter
nach, darin besteht ihre ganze Erziehung.
Nach Fr. v. Hellwalds leben die Botokuden in Polygamie „oder richtiger
in Weibergemeinschaft“. Das ist eine Übertreibung. Wohl leben die Boto—
kuden in Polygamie und die Ehescheidung ist sehr leicht. Der schwierige Cha⸗
rakter der Frau, ihre Unfruchtbarkeit oder eine habituelle Krankheit berechtigen
zur Ehescheidung. Aber sieht es denn in dieser Beziehung bei gewissen zivili—
fierten Volkern besser aus? „Die Botokuden“, sagt d'Orbigny, „kennen und
Völkerkunde? 148. 2 Völkerkunde 12 (1894) 496-497.
»Maximilian Prinz zu Wied-Neuwied, Reise nach Brasilien in den
Jahren 18152 1817 11 (Oktavausgabe), Frankfurt a. M. 1820, 10.
Reisen durch Südamerika II (1866) 218.
Annales de Ia propagation de la foi XVII (1845) 414 ff. Vgl. auch Anthropos
VIn (1oↄi2) 948 ff. Ebd. 958 veröffentlicht der Anthropos „zum erstenmal“ einen „Be—
richt des p. Fubovico Liorne“ aus der Nationalbibliothel von Rio de Janeiro. Dieser
diorne ist wohl kein anderer als der P. Ludovico de Livorno, dessen Angaben im
wesentlichen P.Samuel de Lodi schon veröffentlicht hat. Doch bringt dieser schrift⸗
liche Bexicht einige Zusätze.
s A. a. O. J 443.
4
104 Vierter Teil. Die Naturvölker Amerikas.
achten das Familienband.“ Nach P. Ludwig von Livorno sehen sie die Ehe als
einen Vertrag an, zu dem die gegenseitige Einwilligung und Genehmigung der
Eltern ausreicht. „Den Ehebruch verabscheuen sie, und jede eines solchen
Verbrechens überführte Frau wird streng bestraft; zuweilen wird sie an einen
Baum geheftet, und der Mann rächt selber das ihm zugefügte Unrecht, indem
er sie mit Pfeilen umbringt.“!
Wenn eine Frau der Niederkunft nahe ist, zieht sie sich an das Ufer eines
einsamen Flusses zurück, um darin das neugeborne Kind sofort baden zu können.
Die Erinnerung hieran wird später durch ein religiöses Band den jungen In—⸗
dianer an diese seine erste Wiege knüpfen; der Fluß wird für ihn ein ge—
Jheiligtes Gewässer und der Gegenstand der innigsten Verehrung sein; selten
wird er sich von diesen Ufern entfernen, und wenn dies einmal vorkommt, wird
er mit neuer Liebe dahin zurückkehren; er glaubt sogar, seine geschwächte Kraft
neu beleben zu können, so oft er an dieser Quelle trinkt, an der er von Kind—
heit auf seinen Durst gelöscht hat. — Wie alle Wilden wachen diejenigen der
Provinz Bahia äußerst eifersüchtig über ihre Unabhängigkeit. Eine eigentliche
Obrigkeit mit Gesetzen und geordneter Verwaltung gibt es nicht. Jeder ist sein
eigener Oberer und Herr seiner Handlungen. Die einzige Autorität, die sie
anerkennen, ist das Alter; und selbst die Unterwerfung unter den gewählten
Greis ist eine freiwillige, die jeden Zwang ausschließt. Zur Zeit des Krieges
wählen sie ein Haupt, dessen Macht aber bei Beendigung des Feldzuges erlischt.“?
Die Wildheit und Grausamkeit der Botokuden ist stark übertrieben worden.
Zum Teil handelte es sich um Repressalien gegen die Grausamkeit der Fremden.
Es wurde von den Portugiesen ein förmlicher Vernichtungskampf gegen sie
unternommen, ja sogar das Blatterngift hinterlistig unter ihnen verbreitets.
Untereinander führen sie selten Kriege, und diese haben ihren Grund nie in
Eroberungs- oder Beutesucht; zuweilen wird der Krieg durch eine persoönliche
Injurie oder durch eine Verletzung des Eigentumsrechts entfacht.“ Die
Nutzung der Jagdreviere ist nämlich, wie schon Prinz zu Wied berichtet, nur
den Eigentümern gestattet“‘, und Wildfrevel wird durch eine Art Zweikampf
entschieden oder es kommt zum Kriege. „Wenn z. B. ein Fremder“, schreibt
P. de Lodi, „im Jagdrevier eines andern Stammes jagt, so erklärt der be—
leidigte Stamm den Krieg, und zwar in folgender Weise. Der Indianer, der
sich zu einer Klage berechtigt glaubt, legt einen Pfeil quer über den Weg, auf
dem der Fremde vorbeigehen muß. Dieser erkennt daran, daß sein Fehler ent⸗
deckt ist, er zieht seinen Stamm zu Rate, um zu erfahren, ob er Genugtuung
leisten oder den Krieg annehmen soll. Entscheidet man sich für den Frieden,
so wird ein zweiter Pfeil parallel neben den gelegt, den der Schuldige an—
getroffen hat; nehmen dagegen die Indianer den Kampf an, so legen sie ihren
Pfeil so neben den vorgefundenen Pfeil, daß die Spitzen einander zugekehrt
sind. Der beleidigte Wilde kommt nun seinerseits, um die Pfeile zu beobachten.
Erkennt er, daß die Gegner den Frieden wollen, so wird keine Wiedervergeltung
Annales de la propagation de la foi XVII (1845) 4185. 2 Ebd. 416.
2 Vgl. v. Tschudi, Reisen in Brasilien II 262; Journal of the Anthropological
Instituto of Great Britain XIII (1883) 205.
Prinz zu Wied-Neuwied, Reise nach Brasilien II 42.
1. Die Botokuden.
105
geübt; wollen sie aber Krieg, so rüstet man sich sofort zu demselben oder sucht,
wenn man an Zahl zu schwach ist, Bundesgenossen. Die Frauen folgen ihren
Männern in den Kampf, teils um die Pfeile zu tragen, teils um die von den
Feinden abgeschossenen Pfeile zu sammeln; einige mischen sich in der Gefahr
mitten unter die Krieger und handhaben den Bogen ebenso gewandt wie die
Männer. Mit Ausnahme der alten und stillenden ziehen alle Frauen mit in
die Schlacht 1.
Diese Wilden essen zuweilen Menschenfleisch, „nicht aus roher Wildheit,
sondern — was unglaublich scheinen wird — aus einem Gefühl übertriebener
Zärtlichkeit. Vor kurzem aß eine Mutter ihr Kind, das der Tod ihr entrissen
hatte, sei es, daß sie sich die Substanz ihres geliebten Kindes einverleiben
wollte, sei es, daß sie sich nicht entschließen konnte, das Kind den Würmern in
der Erde als Speise zu überliefern. Andere — nämlich die Krieger — ver—
zehren ihre Feinde; sie glauben dadurch ihr Leben gegen die Rache des Toten
zu beschützen und sich selbst unverwundbar zu machen gegen die Pfeile aller
Stämme“2. v. Tschudis schreibt: „Die Botokuden werden zu den Anthropo—
phagen gezählt, und sie sind in der Tat Menschenfresser, aber nicht in der grau—
samen, blutdürstigen Bedeutung, die man gewöhnlich mit diesem Begriffe ver—
bindet, sondern aus unersättlichem Heißhunger und aus Rache. Ich glaube
nicht, daß sie einen Feind erschlagen, um ihn zu fressen, sondern daß sie einen
erschlagenen Feind auffressen, weil er ihnen gerade eine gelegene und bequeme
Nahrung darbietet und sie überhaupt alles fressen, was sie nur verdauen können.“
Nach Ludwig von Livorno hängt diese sonderbare Behandlung der Toten
zweifellos mit der Idee zusammen, welche sich die Botokuden vom Zustand
der Seele im andern Leben gebildet haben. Er berichtet folgende Tat⸗
sache: Einst hörte er in der Nacht gegen 10 Uhr ein verworrenes und wildes
Schreien und Lärmen. Der Himmel war ganz heiter, die Sterne funkelten
am wolkenlosen Himmel, nur der Mond war verdunkelt. Als der Missionär
herauskam, fand er einen Trupp Kamakans, der in großer Aufregung und
Angst schleunige Vorbereitungen zur Verteidigung traf. Als der Missionär sie
fragte, worum es sich denn handle, antworteten sie: „Wie? siehst du denn nicht
an der Dunkelheit des Mondes das Unglück, das uns droht? Auf diesem
Gestirn kommen die von den Leibern getrennten Seelen zusammen, heute find
fie in so großer Zahl dort, daß ihre Menge die Mondscheibe ganz verdeckt.
Wer weiß, ob Ueggiahara (das höchste Wesen) sie nicht zu uns zurück—
schicken wird, um dem Mond seinen Glanz wiederzugeben? Dann werden
diese Geister wieder in die Leiber der Tiger, der giftigen Schlangen und wilden
Tiere eingehen, um die Lebenden zu verzehren.““ Der Missionär hatte große
Mühe, sie von ihrem Irrtum zu überzeugen.
„uUnsere Indianer haben eine große Ehrfurcht gegen die Toten und begraben
sie mit allen Zeichen tiefen Schmerzes. Wenn ein Glied des Stammes ge—
storben, so setzt sich sein nächster Verwandter weinend in seine Nähe und drückt
Annales deo la propagation de la foi XVII (1845) 416-417.
Ebd. 418. s Reisen durch Südamerika II 280.
Annales de la propagation de la foi XVII (1845) 418.
136
Vierter Teil. Die Naturvölker Amerikas.
ihm all die Gefühle aus, welche der Schmerz Liebenden einzuflößen pflegt. Ist
seine Trauerzeit um, so wird er durch einen andern ersetzt, der dasselbe tut,
und der Reihe nach kommen die übrigen, um ihrem Schmerz unter Tränen Aus—
druck zu verleihen. Das dauert 6—7 Stunden. Während dieser Zeit bereitet
man den Sarg, den man mit Blättern zudeckt, nachdem man die Leiche hinein—
gelegt hat. Nun wird der Sarg in Prozession zum Begräbnisplatz getragen,
wo man ihn sanft und schweigend niederlegt. Einer der Verwandten hält
hewaffnet die ganze Nacht Wache, um die wilden Tiere fernzuhalten. Diese
Totenwache wird 9—10 Tage lang fortgesetzt. Inzwischen kommt fast immer
ein Freund des Verstorbenen, um mit der Wache am Grabe zu klagen und
sich mit der Seele des Toten zu unterhalten, von der man annimmt, daß sie
unsichtbar gegenwärtig sei und sich nur wenig von dem Leib entferne, den sie
heseelte.“!
„Die Religion der Botokuden“, sagt v. Tschudie, „wenn überhaupt von
einer solchen gesprochen werden kann, beschränkt sich ausschließlich auf den
Glauben an einen bosen Dämon, Nian-ton, dem sie alles Übel, was sie trifft,
Donner, Blitz usw. zuschreiben. Sie fürchten ihn, ohne ihm durch irgend eine
Zeremonie Kultus zu erweisen. Von einem guten Geiste, im Gegensatz zum
Nian⸗-ton, machen sie sich durchaus keine Vorstellung.“ Das letztere wird durch
das Zeugnis der Missionäre widerlegt. P. Ludwig von Livorno schreibt: „Die
wilden Camacües ... anerkennen beim Anblick der leuchtenden Gestirne des
Firmaments, daß es ein unsichtbares Wesen gibt, das sie beherrscht und
ihre periodischen Drehungen und Bewegungen leitet. Sie nennen es in ihrer
Sprache Gueggiahara, was in unserer Sprache höchstes Wesen be—
deutet.ss Nach dem Brief des P. Samuel de Lodi lautet der Name des
höchsten Wesens der Botokuden Ueggiahara, und man nimmt von ihm an,
daß ihm die Seelen der Verstorbenen unterstehen, da er sie zuweilen vom Mond
auf die Erde zurückschickt.
Prinz zu Wied bezeugt, daß die Botokuden nicht nur an böse, sondern
auch an gute Geister glauben. Die bösen Geister heißen Jauchus, sie zerfallen
in obere und untere Dämonen. Tipapakijin ist der große Jauchu. Obwohl
nicht klar ist, wie sich diese Geister zu den Geistern der Verstorbenen verhalten,
so ist doch nicht wahrscheinlich, daß dieselben lauter Seelen der Verstorbenen
seien, namentlich gilt dies von dem großen Jauchu.
Hören wir jetzt noch, was P. Ludwig von Livorno weiter über die Boto⸗
suden (Caimacães) berichtet: „Sie sind infolge ihres ungebildeten Verstandes
nicht imstande, in diesem höchsten Wesen die Eigenschaften zu erfassen, die es
Annales de la propagation de la foi XVII (1845) 419. Nach Ehrenreich
(UÜber die Botokuden, in der Zeitschrift fuür Ethnologie XIX [1887])) nennen die Boto⸗
kuden die Seele Ntso (Geist. Gespenst). Sie verläßt nach dem Tode den Körper und
zeht um.
2 Reisen in Südamerika II 282 -288.
Annales de la propagation de la foi XVII (1845) 419. Nach Aug. St⸗-Hilaire
szitiert bei Waitz, Anthropologie der Naturvölker III 447) sollen die Botokuden das
höchste Wesen Tupan nennen. Wahrscheinlich redet St-Hilaire von einer andern Völker⸗
haft, die auch Botokuden genannt wurden.
1. Die Botokuden.
107
der Anbetung würdig machen. Daher kommt es, daß es bei ihnen keinen Kult
und keine Religion! gibt. Sie wissen auch, daß dieser Gott alle sinnlichen
Erscheinungen sieht. Da sie aber von diesem göttlichen Wesen nur eine konfuse
Idee haben, so empfindet ihr roher Geist für dasselbe nur ein materielles Gefühl
augenblicklicher Bewunderung und nichts mehr. — Sie nehmen die Unsterb—
lichkeit der Seele an und meinen, diese ziehe nicht gleich nach der Tren—
nung vom Leibe, sondern erst nach der vollständigen Verwesung des Leibes fort.
Sie glauben, daß die vom Leibe befreiten Seelen in den Wäldern umherstreifen,
den Unterhaltungen und Tänzen beiwohnen und Zeugen ihrer Handlungen sind;
daß sie durch die Atmosphäre und den Raum zwischen der Erde und dem Mond
durchfliegen; den Mond betrachten sie als die ausschließliche Wohnung der
Seelen der Verstorbenen und den Ort ihrer Ruhe.“
„Sie halten die Mondfinsternis für ein sicheres Zeichen des Unwillens
dieser selben Seelen wegen eines Verbrechens, das einer der Ihrigen
(der Camacaes) begangen hat; und solange der Planet nicht wieder erscheint,
verstecken sie sich und bereiten sich zur Verteidigung gegen die wilden Tiere,
die, wie sie sagen, von einer in diese Tiere einkehrenden Seele gegen sie ge—
trieben werden, um durch Bisse und Verwüstung die begangene Missetat
zu rächen.“
Beim Tode eines Stammesgliedes versammeln sich alle, und sobald der Tod
eingetreten, verleiht der nächste Verwandte unter Tränen den Gefühlen des
Schmerzes Ausdruck. Dann fangen alle andern an, in gleicher Weise zu
weinen, und das dauert bis zum Begräbnis. Das Grab besteht in einer mit
Stäben und Blättern belegten Grube. Die Leiche wird in einen ausgehöhlten
und mit Rinde zugedeckten Baumstamm gelegt und in das Grab gesenkt, dann
wird das Grab mit Erde zugefüllt.
„Sie leben in Polygamie, aber heiraten nie Geschwister oder Geschwister⸗
linder. Der Diebstahl, die Verleumdung, der Mord und der Ehe—
bruch goten als große Verbrechen, die sie als solche verurteilen und selbst
rächen oder auch verzeihen. Sie leben ohne Gewissensbisse, denn sie wissen nicht,
daß es einen Gott gibt, der ein gerechter Vergelter ist; deshalb kennen sie keine
Strafen, keine Opfer und keine Sühne. Sie (die Männer?) gehen ganz nackt;
ihre Nahrung besteht in dem Ertrag der Jagd und des Fischfangs, in Bataten,
Honig und andern wilden Früchten, an denen in den Wäldern Überfluß ist.
In diesem rohen Zustand, in dem sie leben, sind sie jedoch nicht alles Lichtes
beraubt und haben genügende Erkenntnis, um das Gute und Böse und die
Grundsätze des Naturgesetzes zu unterscheiden. Denen, welche diesem Lichte
und diesen Grundsätzen gehorchen, hat Gott seine Gunst zugewendet, indem er
ihnen einen Missionär zu ihrem Unterricht sandte, wie der hl. Thomas lehrt.
Und viele unter ihnen, mehr als 200, sind von mir selbst getauft worden.“⸗
Den Charakter der Botokuden beurteilt Prinz zu Wieds nicht ungünstig:
sie sind roh und leidenschaftlich, aber offen und heiter; sie vergessen gute Be—
handlung nicht leicht, sondern zeigen sich treu und anhänglich. Er sah einst
8
D. h. Gottesverehrung. 2 Anthropos VII (1912) 956.
Reise nach Brafilien II 16.
108 Vierter Teil. Die Naturvölker Amerikas.
einen jungen Mann, der seinen blinden Vater herumtrug, ohne ihn einen
einzigen Augenblick allein zu lassen, was gewiß ein Zeichen großer kindlicher
Liebe ist. Die Begriffe „wahr“ oder „sittlich gut“ werden von den Botokuden
oft negativ ausgedrückt. So heißt Njinkäk ein Spitzbube oder Dieb, Njinkäk—
amnup ein braver Mann (kein Spitzbub), Japawin bedeutet lügenhaft oder
eine Lüge, Japawin-amnub dagegen waähr!.
2. Die Bororos.
Der heutige Wohnort der Bororos ist das Quellgebiet des Flusses Säo
dourenço in Matto Grosso. Der Sage nach stammt dieses Volk von den Tupis
ab. Vor uralter Zeit gelangte ein Krieger aus dem Stamm der Tupis, mit
Namen Bororo, mit seinem Weib und vier Söhnen nach Matto Grosso, wo
sie sich zu einem zahlreichen Stamm entwickelten, der mit den Cayapos und
Parecis blutige Kämpfe zu bestehen hatte. Da sie ungenügende Waffen hatten,
haten sie ihren Zauberpriester (bare, bairi) Meriuco, er möchte sich an die
Götter Bope, Mareba und Tupa wenden, damit diese ihnen in ihrer Unwissen—
heit bezüglich der Verteidigungswaffen zu Hilfe kämen. In einer Erscheinung
sollen nun Bope und Tupa-dogue die versammelten Bororos belehrt haben, daß
die Feuerwaffen wohl für die Weißen oder Zivilisierten, aber nicht für die
Wilden passend seien, für diese paßten nur Bogen und Pfeil?.
Die Religion der Bororos ist nach dem Salesianermissionär P. Malan
ein mit Fanatismus, Materialismus und Spiritismus gemischter Polytheismus.
Bevor die Mareba, Bope und Tupa ihnen erschienen waren, führten die ersten
Bororos ein vollkommenes und regelmäßiges Leben, sie dienten, wie ihr Haupt⸗
hdari versichert, einem Wesen, das ihnen ganz unbekannt war. Ihre Nach⸗
sommen aber wollten ein freies, den Leidenschaften entsprechendes Leben führen,
wichen von den Überlieferungen der Ahnen ab, überließen sich den Aus—
schweifungen und verdunkelten so das Licht ihrer natürlichen Vernunft und
wurden die Sklaven ihrer niedrigen Triebe. Da sie ohne Religion und ohne
Vergnügen nicht leben konnten, so versammelten sie sich unter dem Vorsitz von
echs angesehenen Männern, um über die Religion zu beratschlagen; aber diese
Männer erklärten, sie könnten nichts über die Religion bestimmen, wenn man
sie nicht allein lasse. Dies geschah. Nun erschienen Tupa, Mareba und Bope
den sechs Männern, trugen sie in den Himmel und lehrten sie die Religion,
die sie dem Volke übermitteln sollten. Die sechs Männer, die ersten Bari
Priester) der Bororos, lehrten nun das Volk folgende Religions.
Im Himmel sind drei Geister, unsere Schutzherren: Tupa, Mareba und
Bope, und ein vierter Geist von niederem Range, der uns gut gesinnt ist:
nämlich Hayge. Unsere Ureltern leben im Schoße der Erde, und dorthin werden
die gewöhnlichen Bororos gelangen, während die Bari mit ihren Frauen in
den Himmel eingehen. Tupa, Mareba,. Bobe und die Seelen der Bororos er⸗
uPrinz zu Wied, Reise nach Brafilien II 817.
VBgl. La tribu des Bororos. Etude de Dom Antoine Malan, in dem Bulletin
galésien, Organe des CG.uvres de Dom Bosco, 29. Jahrg. (1907), 68 ff.
s Ebd. 130 ff.
2. Die Bororos.
109
schienen uns Bari und belehrten uns über das, was ihr (die gewöhnlichen
Bororos) tun müßt. Sie sagten: „Dort im Himmel existiert ein ‚Wesen',
welches wir nicht kennen und dessen Namen wir nicht aussprechen können. Es
ist der Häuptling der Seelen der Braides (der Zivilisierten), unserer Feinde.
Dieses „Unbekannte Wesen'‘ ist sehr mächtig und gut, aber es gehört nicht uns,
da es nur die Braides und diejenigen Indianer liebt und schützt, die ihre
Religion verleugnen. Diese werden nach dem Tode im Himmel bei den Seelen
der Zivilisierten senn. Aber wehe dem Bororo, der daran dächte, ein Braide
zu werden. Die Seelen unserer Bari würden nicht säumen, ihn seines Lebens
zu berauben, und der Unselige würde nie mehr bei seinem Vater und seiner
Mutter ruhen.“
Das „Unbekannte Wesen“, sagen die Priester ihren Leuten weiter, gehört
nicht uns, daher lieben wir es nicht, und kein Bororo darf es lieben. Ihr
dürfet nur unsere Götter und die Seelen unserer Väter lieben, wenn ihr nicht
die Strafe der Religionsverleugner erleiden wollet. Wir werden ihn als Feind
behandeln und töten, und seine Seele wird nie bei denjenigen seiner Väter
ruhen. Das „Unbekannte Wesen“ gehört nicht uns, da auch unsere Vor—
fahren, als sie ihm dienten, bevor Tupa, Mareba und Bope erschienen,
ein Leben voller Widerwärtigkeiten und Leiden führten. Sie kannten die An—
nehmlichkeiten erst dann, als sie nach der ihnen von den ersten Bari vor—
gezeichneten Methode lebten, deren Geist nun in uns und in unsern Mit—
brüdern auflebt. In der Urzeit gab es keine Belohnungen oder Strafen und
auch keine Krankheiten. Es existierte noch kein Unterschied zwischen guten und
schlechten Bopes (Geistern). Damals waren alle bestimmt, zur Herrlichkeit des
„Unbekannten Wesens“ dadurch zu gelangen, daß sie unter dem Joch seines
Dienstes das Leben zubrachten. Man starb nicht, sondern schlief ein, um in
dem Himmel zu erwachen. Unsere Götter dagegen bieten uns ein süßes Joch;
wir leben wie unsere Väter, und darauf werden wir mit unsern Frauen in
die Freuden des Himmels eingehen, und ihr Untertanen werdet zur ewigen Be—
lohnung die Ruhestätte erhalten, an der sich unsere Vorväter erfreuen.
Das „Unbekannte Wesen“, erbittert darüber, daß wir uns seiner Herrschaft
entzogen, ist die Ursache aller Übel. Wir kennen dieses Wesen nicht, aber wir
sehnen uns, es kennen zu lernen und uns den Sitten der Zivilisierten anzu—
bassen, nie jedoch werden wir ihm dienen. — Es ist nicht unwahrscheinlich,
daß in dieser Auffassung christliche Ideen zum Vorschein kommen. Das gilt
namentlich von der Behauptung der Bari: „Während des Friedens im Himmel
starb kein Indianer. Allein nach dem Kriege, in welchem die Übermacht des
„Unbekannten Wesens‘ den Sieg davontrug, kamen die Kundgebungen unserer
Götter (der Teufel), und der Tod fing an, unsere Reihen zu lichten.“
Die Kaziken, die Krieger, die Männer und Frauen mit Ausnahme der
Bari und der Baregues mit ihren Frauen ziehen alle nach ihrem Tode in den
Schoß der Erde. Das „Unbekannte Wesen“ hat unsere Götter verpflichtet, uns
den Schoß der Erde zu geben, um uns zu prüfen und zu konstatieren, ob wir
zu seinem Dienste zurückkehren wollen. Das Innere der Erde ist gut. Wir
(die Bari) besuchen sie alle Nächte in unsern Träumen. Dort sind unsere
Ahnen, dorthin werden auch wir gehen.
110 Vierter Teil. Die Naturvölker Amerikas.
Der Gott Tupa steht den Festgelagen und Libationen vor; er scheint der
Hauptgott der Bororos zu sein. Außer den guten Bope und Mareba gibt es
auch böse Bope und Mareba, vor denen die Bororos großen Schrecken haben.
Die bösen Bope und Mareba treiben die Zivilisierten an, Tadelnswertes zu
fun, das bald sehr schlimm wird, und das „Unbekannte Wesen“ hat viele Mühe,
sie wieder auf den guten Weg zu bringen; die bösen Geister aber werden schnell
von den Tupa-dogues (den Seelen der Zibvilisierten) gestraft. Die bösen
Beister treiben die Indianer an, die Gesetze Tupas, Bopes und Marebas zu
übertreten; sie essen sie und strafen sie im andern Leben durch Feuer.
Sie nehmen oft die Gestalt von Tieren oder selbst von Bororos an, um die
Schuldigen im Namen der Gottheit zu strafen.
Die Götter der Bororos bewohnen zehn Himmel; vier davon sind für die
zuten Bope und Mareba, vier für die bösen. Der neunte Himmel dient den
Baregues (Art Zauberpriester), sie stehen unter der Herrschaft des großen Bari—
Moriuro. Im zehnten Himmel wohnt Tupa, am Eingang desselben steht Hayge
mit seiner Frau. Daneben gibt es noch einen Himmel des „UUnbekannten
Wesens“, dieses Herrn der Welt. Dieser Himmel ist ungeheuer groß; und
er enthält den Himmel der Seelen der Zivilisierten, die dort mit dem „Höchsten
Wesen“ triumphieren. Der Himmel Tupas ist glänzend, und Tupa wohnt auf
einem Thron von hell erleuchteten und mit Sternen besäten Wolken. Die Tupa—
dogues wohnen in einem herrlichen Himmel und sind weiser und mächtiger als
selbst die Hauptgottheiten Tupa, Bope und Mareba!.
Unsere Gottheiten, sagen die Bororos, schufen die Tiere, was wir (Christen)
von Gott behaupten, nur mit dem Unterschied, daß nach der Meinung der
Bororos die von Gott geschaffenen Wesen die Weißen lieben, die von unsern
Böttern geschaffenen aber die Indianer.
Wie jemand Bari oder Bairi werden kann. Wenn ein Bororo im Alter
bon 16 bis 17 Jahren zu überirdischen Dingen eine besondere Neigung fühlt,
so ist das ein Zeichen, daß er mit den Göttern in näherer Beziehung steht.
Macht er oft Ausflüge zu einem Fluß oder See, wiederholt er hier die von
derstorbenen Bairi gelernten Gesänge und kehrt erst spät nach Hause zurück, so
deilen das die Kaziken, die ihn beobachten, den Untergebenen mit, welche nun
den jungen Bororo zum Oberbairi oder Oberpriester des Stammes erwählen.
Er wird oft der Erscheinung der Götter gewürdigt, wandert im Geiste mit
ihnen in den Himmel, wo sie ihm allerlei Geheimnisse mitteilen. Ist er zum
Oberbairi erwählt, so schwören ihm die Kaziken und die Unterbairi als ihrem
Oberhaupte Treue und Hilfe für jede Gelegenheit. Der allmächtige Oberbairi
ist dann König, oberster Priester, Gelehrter, oberster Richter und Herr über die
Elemente. Er ist beauftragt, die Namen der Neugebornen zu bestimmen: er
treibt die bösen Geister aus und heilt die Kranken2.
Früher offenbarten sich weder die Aroes (die Seelen der verstorbenen Bororos)
noch die Götter der Wilden, weshalb sie damals noch nicht an die Unster b⸗
lichkeit glaubten, heutzutage aber glauben sie im allgemeinen daran, und
das hauptsächlich nach wiederholtem Erscheinen der Aroes. Nach der Philosophie
tBulletin Salésien, 29. Jahrg. (1907), 134. 2 Ebd. 277ff.
2. Die Bororos.
111
der Bairi scheint ihre Seele materiell zu sein. — Die Unterbairi sind die Rat—
geber, Diener, ja selbst die Richter des Oberbairi, und haben ähnliche Voll—
machten wie er.
Wenn ein Kind geboren wird, freuen sich die Männer. Der vom Ober—⸗
bairi ernannte Unterbairi ruft die Dorfbewohner zu einem Fest zusammen. In
Prozession unter Gesängen wird das Kind zu einer Art Altar getragen. Dieser
besteht aus einer am Boden ausgebreiteten Matte, welche mit Urucu bemalt
ist; auf diese werden zwei Kürbisgefäße gestellt, das eine mit roter Urucufarbe,
das andere mit schwarzem Pech gefüllt. In der Nähe ist ein kleines Feuer
dor zwei gegeneinander aufgestellten Bogen angezündet. Auf dem Bogen be—
findet sich die Baragara, ein degenartig zugespitztes Instrument, dessen oberes
Ende mit Federn geschmückt ist. Am Altare angelangt, legt die Mutter das
Kind auf die Matte. Dann stimmt der Bairi prophetische Gesänge über die
Zukunft des Neugebornen an, salbt den Körper des Kindes mit Urucu, mischt
Lüssig gemachtes Pech mit dem Saft der Almexica und reibt mit dieser öligen
Masse den Kopf des Kindes ein. Endlich bedeckt er den Körper des Kindes
mit weißen, den Kopf mit roten und grünen Federn. Das ist die erste Hälfte
dieser Tauffeier; die, zweite findet in der Frühe des folgenden Tages statt.
Das Kind wird wieder unter dem gleichen Zeremoniell zum Altare getragen und
bis zum Sonnenaufgang auf die Matte gelegt. Inzwischen stimmt der Bairi
einen Gesang an und beschwört den Mareba, das Kind von allen zukünftigen
Ubeln zu befreien. Wenn es zu tagen beginnt, ergreift er die Baragara und
hält sie wie ein Schwert mit der Spitze nach oben. Dann stimmt er wieder
einen andern Gesang an, um die Aroes einzuladen, den neuen Bororo an⸗
zuerkennen. Singend schreitet er vor dem Kinde auf und ab, bis die Sonne
aufgeht. Hierauf durchbohrt er die Unterlippe, die Ohren und die Nase des
Kindes und gibt ihm den Namen des Gegenstandes, auf den seine ersten Blicke
sielen. Von diesem Augenblicke ist es ein wahrer Bororo, die Mutter trägt es
in aller Eile in ihre Hütte, setzt ihm eine Krone von Scharlachfedern auf das
Haupt und zeigt es dann den übrigen Bororos, die es nun als Mitbürger
anerkennen!.
Wenn eine Mutter ihre Tochter verheiraten will, bereitet sie einige Speisen
und trägt sie gegen Mittag in das Haus des jungen Mannes, den sie als
Bräutigam für ihre Tochter erkoren hat. Gefällt dem Jüngling das Mädchen,
so nimmt er die Speisen an und gibt sie seiner Mutter, die sie verkostet. Wenn
das Gericht der Mutter gefällt, so ist das ein Zeichen, daß sie in die Heirat
einwilligt; weist sie es aber zurück, so ist sie gegen die Verbindung, und die
Ehe findet nicht statt, auch wenn das Mädchen dem jungen Manne gefallen
würde. Ist die Braut nicht nach dem Geschmack des Jünglings, so nimmt er
zwar die Speisen an, gibt sie aber der Mutter mit den Worten: Gib diese
Gerichte jener Frau zurück, denn ich kann ihre Tochter nicht zur Frau nehmen.
Gefällt die Braut der Mutter des jungen Mannes, aber nicht diesem selbst, so
zibt er zwar auf Drängen der Mutter seine Einwilligung, nimmt aber das
Mädchen noch nicht zu sich. Die Mutter der zukünftigen Braut muß nun vier
Ebd. 279.
112 Vierter Teil. Die Naturvölker Amerikas.
Tage nacheinander Speisen zur Mutter des Jünglings tragen, welche erst am
vierten Tage gegessen werden dürfen. Während dieser vier Tage geht der
Jüngling jeden Abend spät zur Familie des Mädchens schlafen. Am Morgen
teht er so früh auf, daß ihn das Mädchen gar nicht bemerkt. Am Morgen
des vierten Tages wartet er, bis das Mädchen aufwacht und ihn dort findet.
Dann kehren beide der Familie den Rücken, setzen sich neben ein Feuer, wo die
Braut einige Kokosnüsse öffnet und putzt, die sie ihrem Bräutigam anbietet.
Dieser ißt sie, und damit sind die beiden Mann und Frau.
Die Ehescheidung ist äußerst leicht. Eine Untreue, eine Unterlassung
der ehelichen Pflicht, eine Laune genügt zur Ehescheidung. Ist der Mann die
Ursache, so verläßt ihn die Frau, und wenn sie ein kleines Kind hat, tötet sie
es einfach. Trägt dagegen die Frau die Schuld, so wird sie vom Manne
mitsamt den Kindern fortgejagt; beide können sich dann einen neuen Ehegatten
uchen 1.
Die Bairi haben zahlreiche Todesstrafen eingeführt; wer z. B. ein Tier
tötet, in welches die bösen Geister einziehen, und es den Raubvögeln überläßt,
verfällt der Todesstrafe, wenn nicht der Oberbairi ihn davon befreit; ebenso
wird mit dem Tode bestraft, wer die Ratschläge und Anordnungen des Ober⸗
hairi nicht befolgt, wer die Geheimnisse seiner Religion verrät, wer die Gott—
heiten verleugnet ꝛc. Unglaublich ist der tyrannische und grausame Aberglaube,
in dem sie — bewußte Betrüger oder Selbstbetrogene — das Volk erhalten.
Wenn z. B. bei bestimmten Festen in der Nacht ein Meteorstein mit rotem
Schweif vom Himmel fällt, so ist das ein Zeichen, daß ein Indianer von den
bösen Geistern gefangen wurde, welche ihn verzehren und die verbrannten Ge⸗
beine und das Blut in die Luft streuten. In diesem Fall muß am Morgen
der erste beste Wilde, der ein wenig krank scheint, sterben; ohne dieses Opfer
würde der Zorn der Götter den ganzen Stamm treffen. Wenn der Bairi im
Traum einen Totenkopf oder vergossenes Blut sieht, so muß er am Morgen
den ersten Indianer, der mit ihm sprechen wird, töten?.
Die Krankheiten kommen nach den Bororos alle von den bösen Geistern,
die von ihrem Körper Besitz ergreifen. Wird ein tugendhafter Indianer krank,
so muß ihn der Bairi um jeden Preis retten; er beschwört die bösen Geister,
ruft die Aroes, die Baregues und, alle Götter an, damit sie den Teufel aus
dem Kranken austreiben. Wenn der Bairi den Kranken haßt, so erwürgt er
ihn einfach unter dem Vorwand, daß die Götter sein Leben verlangen; liebt er
hn, so rettet er ihn, weil der Betreffende, wie er sagt, seine früheren Vergehen
hereut. Stirbt ein Indianer gegen die Voraussagung der Bairi, so ist es
Mareba, der seinen Tod herbeigerufen. Wenn ein schlechter Indianer krank
wird, dann werden feierliche Beschwörungen angestellt, zuerst von den Unter⸗
bairi, endlich von dem Oberbairi selbst, der dem Kranken seine Verbrechen
vorhält, die Teufel zwingt, die Motive anzugeben, weshalb sie von ihm Besitz
zenommen haben. Sobald er das erfahren, entfernt er sich voll Zorn, und
gun kommen die Unterbairi und nach ihnen der Oberbairi. der dem Kranken
Bulletin Salésien, 29. Jahrg. (1907), 279 - 280. 2 Ebd. 143.
2. Die Bororos.
118
sein Ende ankündigt und die allgemeine Angst und Verwirrung benutzt, um
den Kranken zu erwürgen!.
über die Begräbniszeremonien sagt unser Gewährsmann nichts. Von
andern Reisenden erfahren wir, daß bei der Bestattung eines Bororo der ganze
Besitz des Toten verbrannt und in einem pantomimischen Tanz den Ver—⸗
storbenen, die selbst erscheinen, klar gemacht wird, man habe nichts von ihrem
neuen Genossen zurückbehalten, und deshalb habe er künftighin nichts mehr im
Dorfe zu suchen. Messer und Beile werden in den Fluß geworfen. Die
Knochen des Verstorbenen werden später in einem Korbe weggeschafft. Dann
berläßt der Tote das Dorf. Bei dieser Gelegenheit folgen einige junge Leute
dem Träger des Knochenkorbes, Schwirrhölzer schwingend und laute Schreckens-
töne ausstoßend, um den Totengeist für immer an der Rückkehr ins Dorf zu
bderhindern?. Ein anderer Indianer läuft hinter dem Totengräber her und
schleift hinter sich eine breite Straße mit einem Palmblatt, um die Fußspuren
zu verwischen und dem Toten die Rückkehr zu erschweren.
Sobald die Seele eines Wilden den Körper verlassen, irrt sie in einsamen
Regionen herum. Nachdem die Gebeine des Toten in einem Flußbette nieder⸗
gelegt worden sind, zieht die Seele sich in ein Gebüsch zurück, von wo sie hervor⸗
kommt, um in einen Tiger oder ein anderes Tier einzugehen; wenn dieses Tier
getötet wird, zieht sie in die Regionen der Aroes; von dort entfernt sie sich jeden
Tag und geht in Papageie, Sperber und andere Vögel über, um sich mit dem
in jenen Regionen Fehlenden sättigen zu können; am Abend kehrt sie zur nötigen
Ruhe zurück. Unter der Oberfläche der von dem Stamme bewohnten Territorien
besteht eine zweite größere Welt. Sie enthält so viele Abteilungen, als Dörfer
und Wälder sind. Nach dem Tode gehen die Wilden jeder in seine eigene
Abteilung, um dort entweder zu leiden oder glücklich zu sein, je nach seinen
Kriegstaten und seinen Kenntnissen, und um dem Tupa, Bope und Mareba
zu dienen. Sobald sie ins andere Leben übergegangen, müssen sie die In—
dianer im Krieg und im Frieden beschützen, ihnen die Zukunft offenbaren und
diejenigen mit dem Tode bestrafen, die es unterlassen, sie zu ihren Festen ein—
zuladen usw. Der von den Bororosseelen bewohnte Ort befindet sich im Mittel—
punkt der Erde, da ist es licht und hell und herrschen Schönheit und üÜberfluß.
Die, welche schlecht gelebt haben, werden nach ihrem Tode in Schlangen
berwandelt und Diener jener Schlange sein, deren Leben sie nachgeahmt haben.
Die Bororos leben meist in Dörfern an einem Fluß oder im dichtesten
Urwald; jedes Dorf wird von einem Oberhaupt, dem Aroe⸗-torari oder von
einem Bairi geleitet. Die Bevölkerung der Dörfer zerfällt in drei Klassen:
die Bairi oder Adeligen, die Paguimigueras, eine Art Bürgerstand, und
die Bororos oder das gewöhnliche Volk. Die Bororos teilt man in zwei
Kategorien: die Medas oder das Landvolk, und die Paredos oder Soldaten.
Die Verwandten sind beisammen unter demselben Dach oder auch getrennt, jeder
in seiner kleinen Hütte; die Bairi führen ein gemeinsames Leben und die Kaziken
wohnen bei der eigenen Familie, die ihnen in allem untersteht. Die Bairi
Ebd. 144.
2 Karl von der Steinen, Unter den Naturvölkern Zentral-Brafiliens, Berlin
1894, 327. Koch⸗Grünberg, Zum Animismus der südamerikanischen Indianer 88.
Cathrein, Die Einheit d. sittl. Bewußtseins. III. J
114 Vierter Teil. Die Naturvölker Amerikas.
befehlen den älteren Kriegern (taraguedas), die Kaziken führen die jüngeren,
die sog. Cheraides, an!.
In der Mitte des Dorfes erhebt sich die große Zentralhütte (bahyto),
welche gleichzeitig als Tempel, Rats- und Parlamentssaal, Versammlungsort,
Schlafstelle, Arbeitsraum und Erholungsplatz dient. Hier verrichten die Bairi
die rituellen Zeremonien, hier versammeln sich die Krieger, um die alten Waffen
auszubessern oder neue anzufertigen.
Die Kaziken sind die Parlamentäre des Stammes, die Kundschafter und
die Generäle des Oberbairi. Sie unterweisen die jungen Soldaten in den
Kriegsübungen wie in der Jagd und versehen zugleich das Amt eines Vor—⸗
mundes, denn sie beschaffen ihnen die nötigen Lebensmittel und sorgen zur rechten
Zeit für eine Braut. Sie leiten auch die Jagden, Tänze usw.
Die Bororos führen ein ziemlich unstätes Nomadenleben. Gehen die Lebens⸗
mittel an einem Ort aus, so ziehen sie in eine andere Gegend. Auch genügt,
daß ein Zivilisierter sich in der Nähe ihres Dorfes niederlasse, um sie zur Ab—
wanderung zu veranlassen. Am Tage der Abreise stecken sie die Hütten in
Brand und ziehen dann in folgender Ordnung ab: in der Mitte gehen die
Frauen und Kinder, die Nachhut bildet ein Trupp alter Krieger, zwei Trupps
schützen die Flanken, und ein vierter Trupp, aus den Tapfersten bestehend, er—
zffnet den Zug.
Die Industrie dieser Wilden besteht hauptsächlich im Bearbeiten der Felle,
die sie geschickt zu glätten und frisch zu erhalten wissen, bis sich Gelegenheit
zum Absatz mit Gewinn darbietet; ferner in der Verfertigung von Bogen und
Pfeilen, von Kochtöpfen und andern Hausgeräten, Strohmatten, Körben usw.,
die sie im Handel gegen Kleider und Werkzeuge umtauschen. Ihre Hütten
sind sehr primitiv. Vier um einen Baum aufgepflanzte Pfähle werden oben
durch zwei Querstangen miteinander verbunden und mit Palmblättern zugedeckt.
Nach unserem Gewährsmann gehen die Leute gewöhnlich ohne Kleider in bloßem
Adamskostüm, nur bei festlichen Gelegenheiten sollen sie sich mit einem Gewebe
bedecken. Das kann aber kaum wörtlich zu verstehen sein, jedenfalls gilt das
nur von den Männern, denn von den Frauen sagt er ausdrücklich, daß sie
mit einem Bande die Lenden umgürten.
Hier und da wird im Bahyto, dem Gemeindehaus, ein allgemeines Festessen
gehalten, zu dem die Aroes, die Seelen der verstorbenen Bororos, eingeladen
werden. Dabei fehlt natürlich der berauschende Palmwein nicht. — Ursachen
don Zwist und Streitigkeiten sind gewöhnlich beleidigende Worte, wie Kahlkopf,
Krummbein usw. Nach einigen Tagen ladet der Beleidigte den Beleidiger zum
Kampfe ein; wenn sich dann der Besiegte nicht entschuldigt, kommt es zum
zweitenmal zum Kampf mit dem Wurfspieß; wenn auch diese Probe nicht ge⸗
nügt, greifen sie zu Bogen und Pfeil. Nach der dritten Probe ist der Besiegte
gezwungen, in ein anderes Dorf auszuwandern?.
Weil die Bororos den Übergang der Seelen in andere Körper annehmen,
so hat die Jagd nebst dem Zweck des Unterhaltes oft auch den, die in Tiere
übergegangenen Seelen zu befreien?.
Salefianische Nachrichten, 17. Jahrg. (1911), 127. 2 Ebd. 129. 38 Ebd. 151.
83. Die Corpados und verwandten Stämme am Rio Ribotö. 115
Von den Coroadosindianern am Ribotö und den ihnen verwandten
Puris und Coropos entwerfen Spix und Martius! folgendes Bild, das
unter mehr als einer Rücksicht merkwürdig ist. Sie schreiben: „Alle Indianer,
welche wir hier von den Stämmen der Puris, Coropos und Coroados zu
sehen bekamen, waren voneinander in Körperbau und Gesichtsbildung auffallend
wenig unterschieden. ... Erröten kann der Indianer eigentlich nicht, und jenes
Menschliche: Prubescit, salva res est, findet keine Anwendung bei dieser rohen
Menschenrasse. Nur nach langem Umgang mit den Weißen und nach erhaltener
Bildung bemerkten wir bei den Indianern Farbenwechsel als Ausdruck der Gemüts—
bewegungen. . . . Das Temperament des Indianers ist beinahe noch unentwickelt
und spricht sich als Phlegma aus.... Vergangenheit und Zukunft unterscheiden
sie beinahe nicht, daher sorgen sie nie für den kommenden Tag. Fremd der
Gefälligkeit, Dankbarkeit, Freundschaft, Demut, dem Ehrgeiz und überhaupt
allen zarten und edlen Regungen, welche die menschliche Gesellschaft zieren,
teilnahmlos, verschlossen, versunken in einen Indifferentismus gegen alles,
gebraucht der Indianer nichts als seine von Natur aus scharfen Sinne, seine
Schlauheit und sein zuverlässiges Gedächtnis, und zwar nur da, wo es Krieg
oder Jagd, seine Hauptbeschäftigung, angeht. Kalt und träge, selbst in den
Familienverhältnissen, folgt er mehr dem tierischen Instinkte, als einer zärtlichen
Neigung, und seine Liebe gegen die Frau äußert sich nur in der grausamen
Kifersucht, welche, nebst der Rachsucht, die einzige Leidenschaft ist, wodurch seine
derkümmerte Seele aus ihrer dumpfen Gleichgültigkeit gerissen werden kann.
Schamhaftigkeit ist den Männern nicht eigen, nur die nackten Weiber scheinen
fie, wenn sie von Fremden beobachtet werden, durch die Art ihres Ganges zu
berraten?. Gefühllos für die Reize des Gaumens ()), besonders zur Fleisch—
nahrung geneigt, ist der Indianer im allgemeinen mäßig und folgt ohne be—
timmte Zeitordnung nur dem Bedürfnisse, ja hungert oft seiner Bequemlichkeit
zu Gefallen; leidenschaftlich ist er dem Trunke seiner Vinhassa oder, wenn er
dessen teilhaftig wird, des Branntweins ergeben. Still, folgsam im Dienste
der Weißen, hartnäckig ausdauernd in der angewiesenen Arbeit, durch keine
Vehandlung zum Zorne, wohl aber zu langwieriger Rachsucht reizbar, ist er,
wie die Kolonisten sagen, nur geboren, um befehligt zu werden. Weder diebisch
noch betrügerisch, und zu nichts Verlangen tragend, was nicht zu den Bedürf—
aissen des Magens gehört, hält er sich stets einzeln und von der Familie ab—
Jesondert (77. In der Krankheit von den Kolonisten auch noch so sorgfältig
3. Die Coroados und verwandten Stämme am Rio Ribots.
Reise in Brasilien J 378 ff.
⁊ Von den Indianern im Archipel zwischen Para und dem Amazonas berichten Spix
nd Martius (ebd. 989—990), sie hätten in den offenen Wohnungen die Gestalten der
Weiber fast vollkommen nackt gesehen, „aber in jener naiven Schamhaftigkeit des Natur⸗
ustandes, welche der Pruderie unserer Zivilisation gegenüber doppelt sittlich erscheint.
Man würde diesen einfachen Menschen sehr unrecht tun, schriebe man die Rückfichtslosig⸗
keit, womit fie ihre Kleider fast überall, nur nicht in der Kirche, ablegen, einer Sitten—
verderbnis zu. Die Hitze des Klimas, Seltenheit und Kostbarkeit der Bekleidung und
die Gewohnheit machen sie jenes Beduürfnis fast vergeffen“.
116 Vierter Teil. Die Naturvölker Amerikas.
berpflegt oder überhaupt mit Wohltaten begünstigt, fühlt er während der Ge⸗
nesung nur um so lebhafter seinen nomadischen Instinkt und flieht, aller Dankbar—
keit beinahe () unfähig, selbst ohne nähere Veranlassung in seine finstern Wälder
zurück.“
Diese Schilderung enthält Widersprüche. Die Indianer sollen gefühllos sein
für die Reize des Gaumens, und dann wird ihre Leidenschaft für die Vinhassa
und den Branntwein hervorgehoben; sie haben zu nichts Verlangen als zur
Befriedigung ihres Magens, und dann wird ihre Rachsucht, ihre leidenschaft⸗
liche Liebe zur Freiheit und zu den heimischen Wäldern geschildert. An einer
Stelle sind sie allen Regungen der Dankbarkeit verschlossen, später werden sie
als der Dankbarkeit „fast unfähig“ hingestellt. Martius behauptet auch, die
Indianer seien dem Ehrgeiz fremd, später! schildert er, wie sie sich geschmeichelt
fühlen, Capitäo genannt zu werden. Was wir aber besonders hervorheben
möchten, ist folgendes. Die Reisenden haben sich bei den einzelnen Stämmen
nur kurze Zeit aufgehalten. Wie war es nun möglich, daß sie in dieser kurzen
Zeit die tiefsten und geheimsten Falten des Herzens dieser Wilden durchschauten?
Wahrscheinlich haben sie niedergeschrieben, was ihnen die Kolonisten mitteilten.
Aber waren diese, die ärgsten Feinde und Bedränger der Indianer, gegen
welche diese Haß und Mißtrauen hegen — und wahrlich nicht ohne Grund —
die richtigen Gewährsmänner?
Von den Ehen der genannten Indianer (meistens Coroados) sagen Spir
und Martius?: „Sie leben in einer regellosen Mono⸗- oder Polygamie. Jeder
nimmt so viele Weiber, als er Lust hat, ernähren kann und will, und schickt
sie wieder weg, sobald es ihm beliebt, welche sich dann einen neuen Mann
suchen; doch ist es häufig, daß der Mann nur eine Frau nach der andern
hat. Ihre Ehen werden frühzeitig geschlossen, und sind nicht sehr fruchtbar;
wir begegneten Müttern von zwanzig Jahren, welche schon vier Kinder hatten,
selten aber sahen wir mehr als vier Kinder in einer Familie. Ihre Ehen
werden ohne alle Feierlichkeiten geschlossen, die einzige Zeremonie ist die Über⸗
reichung von Wildbret oder Früchten, welche der Bewerber den Eltern seiner Braut
bringt, wodurch er sich stillschweigend anheischig macht, die Frau durch Jagd
zu ernähren. Zwischen Vätern und Töchtern, Brüdern und Schwestern haben
wir nie ein zweideutiges Verhältnis bemerkt.“ Aus dieser Schilderung folgt
jedenfalls, daß die Indianer keineswegs in regellosem Geschlechtsverkehr leben
und der Begriff der Ehe ihnen nicht fehlt, wenn auch die ehelichen Verhältnisse
sehr locker sind, was aber auch bei hoch kultivierten Völkern der Fall ist.
Spirx und Martiuss berichten weiter: „Gewisse Stämme der Indianer
sind dem Laster der Sodomiterei ergeben.“ Unwahrscheinlich klingt die Be—
hauptung nicht, aber da nur von „gewissen Stämmen“ die Rede ist, so liegt
die Vermutung nahe, daß die Reisenden nur nach dem Hörensagen berichten.
„Während der Mann sich bloß mit Jagd, Krieg und der Bereitung seiner
Waffen beschäftigt, liegt den Weibern alle Sorge für das Hauswesen ob.
Sie pflanzen und ernten, wenn diese Art von Kultur bei ihnen schon eingeführt
Spirx und Martius, Reise in Brasilien J 880. 2 Ebd. 380 - 381.
3z Ebd. 381.
3. Die Coroados und verwandten Stämme am Rio xiboto. 117
ist; sie suchen Bataten und Früchte im Wald für die Haushaltung und be⸗
sorgen den nötigen Hausrat an irdenen Geschirren und an Flechtarbeit. Die
Weiber sind im allgemeinen die Sklavinnen der Männer und müssen sich bei
dem nomadischen Umherziehen mit allem Nötigen wie Lasttiere bepacken, ja
selbst das von den Männern erlegte Wild aus dem Wald abholen. Sobald
sich das Weib sichtbar in andern Umständen befindet oder geboren hat, zieht
sich der Mann zurück. Die Diät wird noch vor der Niederkunft genau geregelt;
Mann und Frau enthalten sich eine Zeitlang des Fleisches gewisser Tiere und
leben vorzüglich von Fischen und Früchten. „Sobald der Moment der Geburt
eintreten will, begibt sich die Frau in den Wald und gebiert hier vor dem Mond—
licht verborgen, meistens ohne alle Beihilfe. ... Die Wöchnerin geht nach der
Geburt sogleich in den Bach, wäscht sich und das Kind, und besorgt hierauf
wie vorher ihre häuslichen Geschäfte.“ Die Sitte der Cuvade soll bei diesen
Indianern nicht vorkommen. Kind und Mutter werden nach einiger Zeit durch
den Mund des Pajeé (Zauberpriesters) mit einer Art Tabak angeräuchert,
wobei oft die Nachbarn zu Trinkgelagen und tumultuarischen Tänzen ver—⸗
sammelt sind. „Die Säuglinge werden besonders gegen den Mond, der Krank—
heiten verursachen soll, geschützt. Oft bis in das fünfte Jahr gibt die Mutter
die Brust; übrigens wächst das Kind, vom Vater gar nicht (7), von der Mutter
instinktartig geliebt, jedoch wenig gepflegt auf.“ Aber der Umstand, daß sie
die Kinder bis ins fünfte Jahr stillt, beweist doch, daß sie die Kinder nach
ihren Begriffen sorgfältig pflegt. Das zeigt auch, was folgt. „Solange es (das
Kind) noch nicht laufen kann, wird es von der Mutter auf dem Rücken herum⸗
geschleppt und schläft zwischen den Eltern in der Hängematte; später geht es
seine eigenen Wege, ruht in der Asche am Feuer oder in einer eigenen Hänge—
natte und zeigt sich bald geschickt genug, Insektenlarven und Früchte aus dem
Wald zu holen. Sich selbst überlassen wachsen die Kinder heran; der Knabe
solgt bald dem Vater auf die Jagd, lernt mit Bogen und Pfeil umgehen, übt
ich, Schnüre aus Palmblättern geschickt zu flechten, ahmt durch lockere Ver⸗
schlingung der Schnüre allerlei Tiere, schwimmende Fische, Schlangen nach
und unterhält sich mit der Bodoque, einer Art Schleuder, woraus sie Ton⸗
ugeln werfen, um kleine Vögel zu erlegen.“
„Die Jünglinge heiralen mit 15 bis 19, die Mädchen mit 10 bis 12 Jahren.
dDie Heirat bildet keine besondere Epoche in ihrem Leben (2), und die hiesigen
Indianer, welche nicht, wie die am Amazonenflusse, die Periode der Mannbar—
eeit sowohl der Jünglinge als der Mädchen mit eigenen Festen bezeichnen, haben
in ihrem Leben wenig Abschnitte. Nur die Geburt und der Tod geben Ver—
anlassung zu eigenen Zeremonien. Ihre Feste werden ohne Rücksicht in jeder
Jahreszeit gehalten, die Veranlassung dazu wird besonders von dem Reifen
der Früchte genommen. Gar häufig verlassen daher mehrere Familien ihre
disherigen Wohnungen und lassen sich da nieder, wo neue Früchte reifen, oder
vo es bessere Jagd gibt. Nach einem glücklichen Feldzuge werden die Siege
in lärmenden Tänzen und Gesängen gefeiert, und die Coroados pflegen dabei die
—
586
118 Wilierter Teil. Die Naturvölker Amerikas.
erbeuteten Gliedmaßen ihrer Feinde, der Puris, mit Pfeilen zu durchbohren
und bei der Vinhassa herumgehen zu lassen, um daran zu saugen.“
„Von Syphilis, Blattern und Masern findet man bei den Indianern,
welche mit den Einwanderern nicht umgehen, keine Spur; unter sie gebracht,
berbreiten sich aber diese Übel mit großer Schnelligkeit und raffen sie leicht
weg.“ Ihr wichtigstes Heilmittel ist Ruhe und Diät. Von irgend einer Krank⸗
heit ergriffen, machen sie zunächst der Hängematte Feuer an, legen sich ruhig
in dieselbe und bringen so viele Tage lang fastend zu. Nimmt die Gefahr zu,
so wird der Pajé herbeigerufen; er versucht Fumigationen, Einreibungen mit
gewissen Kräutern, Reiben mit Speichel, Kneten, Anhauchen und Anspucken der
leidenden Teile usw.
„Stkirbt ein Indianer, so wird er in der Hütte begraben, welche man
hierauf, wenn es ein Erwachsener war, verläßt und mit einer neuen vertauscht.
Der Leichnam wird in hockender Stellung entweder in einen großen Topf
von Ton gesteckt oder in Bast oder altes Baumwollenzeug gewickelt, unmittelbar
in die Erde gegraben, die sodann unter jämmerlichem Geheul mit den Füßen
stark eingestampft wird. Auf das Grab legen sie eine Zeitlang die Waffen der
Verstorbenen, auch Speisen, Wildbret, und pflegen die Totenklage zweimal
täglich zu wiederholen, wobei sie sich die Haare kurz abschneiden oder sehr lang
wachsen lassen, die Weiber sich auch am ganzen Körper schwarz malen sollen.
Noch lange nach dem Hinscheiden feiern sie das Gedächtnis der Toten, wenn
sie zufällig an die Stelle kommen, wo sie begraben liegen, durch Klagegeheul.
Bei den Puris soll auch eine Art Leichenrede gehalten werden. Die Seele der
Abgeschiedenen ist nun nach ihrer Ansicht in einem angenehmen Wald voll von
AEDDDDD
sehr wohl geht. Welche Vorstellung die Indianer von der Natur der Seele
haben, ist nur nach langem Umgang mit ihnen und durch Eingehen in ihre
Denkweise zu erforschen möglich; so viel schien uns aber gewiß, daß sie an eine
Fortdauer derselben nach dem Tode glauben. So verlassen sie aus einer ge⸗
spensterartigen Furcht die Hütten, worin sie ihre Verwandten begraben haben,
geben dem Leichnam Viktualien gleichsam als eine Wegzehrung mit und scheuen
sich, den letzten Ruheort der Toten zu stören, aus Furcht, daß diese ihnen sonst
erscheinen und sie quälen möchten. Auch die allgemeine und in allen Sprachen
der Indianer durch eine bestimmte Bezeichnung beurkundete Annahme eines
bösen Prinzips kann als Beweis angesehen werden, daß sie, wenn auch noch
so undeutlich, das Geistige von dem Körperlichen in der Natur unterscheiden.““
Für abstrakte Dinge haben sie kaum eigene Ausdrücke, eine Allgemeinheit
des Begriffes findet man nur in dem von ihnen so häufig gebrauchten In⸗
finitiv der Zeitwörter ausgedrückt als gehen, essen, tanzen, sehen, hören usw.
Für Seele, Geist u. dgl. haben sie keine oder höchstens sehr unbestimmte und
dürftige Bezeichuungen. „Das Wort Tupan oder Tupana, welches
man als die Bezeichnung von Gott bei mehreren der schon etwas
zivilisierten Stämme antrifft, und womit die Coroados das Zuckerrohr
und andere Nationen die Pisangfrucht bezeichnen, wollen viele mit Recht nicht
iSpix und Martius, Reise in Brasilien J 382. 2 Ebd. 383 —384.
3. Die Coroados und verwandten Stämme am Rio xXiboto. 119
als ursprünglich indianisch anerkennen, sondern halten es, sowie die Idee von
Gott selbst, im Gegensatz mit dem dämonischen Prinzip, dem Teufel, erst durch
die Missionäre den Indianern beigebracht. Da ihnen überhaupt alle Religions-
begriffe und die Idee einer Offenbarung gänzlich mangeln, so müssen alle Be—
zeichnungen, welche hierher gehören, aus der Sprache der Missionäre entlehnt
oder dem indianischen Sprachbau analog von neuem gebildet werden.“*
Diese Argumentation ist bezeichnend: Da den Indianern alle Religions—
hegriffe mangeln, so müssen die Bezeichnungen dafür der Sprache der Missionäre
entlehnt sein. Woher wissen diese Reisenden, daß den Indianern alle religiösen
Begriffe mangelten? Wir haben schon bei den Tupis erfahren, daß bereits die
ersten Missionäre religiöse Begriffe vorfanden und ebenso eine dunkle Idee von
einem höheren, übermächtigen Wesen, dem Herrn des Donners und des Blitzes,
das sie Tupa oder Tupan nannten. Diesen Ausdruck haben die Missionäre
nicht erfunden, sondern bei den Indianern vorgefunden.
Von der Religion der Coroados, Coropos und Puris schreibt Prinz
zu Wieds: „Einige Schriftsteller, unter andern Azara, haben diesen amerikanischen
Völkerschaften alle religiösen Ideen absprechen wollen; doch scheint diese Behaup—
fung um so weniger begründet, da dieser Schriftsteller selbst Meinungen von einigen
seiner Indianer aus Paraguay mitteilt, die ohne Zweifel ihren Grund in einer
noch unausgebildeten Religion haben.... Ich selbst habe bei allen von mir
besuchten Stämmen der Tapuyas sprechende Beweise eines bei ihnen vorhandenen
religiösen Glaubens gefunden, daher ist für mich feste und unumstößliche Wahr—
heit, daß kein einziges Volk unserer Erde ohne einige religiöse Ideen sei. Die
wilden Brasilianer glauben an verschiedene mächtige Wesen, von denen sie
unter dem Namen Tupa oder Tupan das mächtigste im Donner erkennen.“
In der Anmerkung fügt der Verfasser bei: „Es ist ja ausgemacht, daß sie
(die Coroados) ein mächtiges überirdisches Wesen unter dem Namen Tupan
fürchten“, dann fährt er im Texte weiter: „In der Benennung dieses über—
irdischen Geistes stimmen viele Stämme und selbst einige der Tupayas mit
den Tupistämmen oder den Indiern der Lingoa geral überein. Die Puris
belegen ihn mit dem Namen Tupan, welchen Azara auch aus der Sprache der
Gugaranis anführt; ein Beweis mehr von der Verwandtschaft dieser Nation mit
den Stämmen der Ostküste. Götzenbilder sieht man nirgends unter den Ta⸗
puyas, selbst nicht die Maracas oder den bezauberten Schutzapparat der Tupi⸗
nambas. Nur am Amazonenstrom will man gewisse Bilder gefunden haben,
die mit dem religiösen Glauben der Einwohner in Verbindung zu stehen scheinen.
Von einer allgemeinen großen Wasserflut haben die meisten Indianer von Süd—
amerika gleichfalls eine dunkle Idee.“
Wir haben oben die Pajes erwähnt, die den Verkehr mit den Dämonen
bermitteln, zugleich Ärzte und Priester sind und sich durch allerlei Künste beim
Volk in Ansehen zu erhalten wissen. In ungewöhnlichen Fällen wird der Paje
um Rat gefragt, den er nach gepflogener Rücksprache mit dem Dämon, wozu
er finstere, stürmische Nächte auswählt, erteilt. Gewisse Tiere, wie eine Art
Ziegenmelker und die klagenden Geierarten. Caracarai und Cäoha, sind dem
Ebd. 386. 2 Reise nach Brasilien J 144.
120 Vierter Teil. Die Naturvölker Amerikas.
Pajé Boten von Verstorbenen und deshalb von allen hoch verehrt. Auch trägt
der Indianer Gehänge von Eckzähnen der Unzen (Jaguare), Affen, von gewissen
Wurzeln, Steinen u. dgl. um den Hals als Schutzmittel gegen Tiere und
Krankheiten. Die Arzneimittel bereitet der Pajé oft unter Zauberformeln, durch
Anrauchen übt er eine Art Exorzismus aus. Oft aber werden die Unglücks⸗
fälle und der Tod der Nachbarn seinen Hexereien zugeschrieben, und dann be—
zahlt er sein Amt mit seinem Leben.
Eine eigentliche politische Organisation scheint zur Zeit des Friedens nicht
zu bestehen, doch nimmt sich zuweilen der Älteste seiner Abkömmlinge an und
schlichtet ihre Streitigkeiten. Wenn sie Krieg führen, ist der kühnste und schlaueste
Jäger ihr Anführer. ... „Sie achten ihr Besitztum gegenseitig, haben, was
Speise und Getränk angeht, größtenteils gemeinsames Gut und kommen des—
halb selten miteinander in Streit, häufiger dagegen aus Eifersucht, wo dann
die Parteien miteinander raufen, ohne daß die übrigen teilnehmen, meistens
aber die stlavische Frau ihre Schuld schwer büßen muß.“1
Weil Spirx und Martius den Indianern allgemein fast jedes mensch⸗
iche Gefühl absprechen, so lassen wir hier den Zug rührender Treue einer
Indianerin folgen, den sie selbst erzählen?. Die Begebenheit trug sich in dem
Archipel zwischen Para und dem Amazonenstrom zu. „Als Mendonça Furtado
aus allen Orten der Küste Indianer zusammentreiben ließ, um sie als Ruderer
zei seiner Expedition nach Rio Negro zu verwenden, wurde auch ein Indianer
oom Stamme der Armabutös mit Gewalt zum Matrosen gepreßt, der erst vor
venigen Tagen mit seinem Weibe Venancia und einem Säugling nach Macapä
gekommen war, um sich taufen zu lassen. Umsonst stellte der Geistliche dem
Kommandanten die Barbarei dieser Täuschung vor, umsonst warf sich Venancia
berzweifelnd vor ihm nieder; selbst der Trost war ihr versagt, den Geliebten
hegleiten zu dürfen; und tränenlos sah sie ihn, den plötzliches Unglück in ratlos
tumme Verzweiflung gestürzt hatte, mit den übrigen sich einschiffen. Drei Tage
ind Nächte sitzt sie, den Säugling im Arm, am Ufer, und ihr tiefer Harm
rührt auch den Befehlshaber einer Kaufmannsbarke nicht, den sie um einen
Platz bis Chaves anfleht. Da verbirgt sie sich in dem absegelnden Fahrzeug,
aber das Wimmern des Kindes verrät sie, und der Unmensch zwingt sie,
chwimmend an das Ufer zurückzukehren. Dies gelingt, und neuer Mut erwacht
aus der Probe. Sie findet ein Ruder, sieht einen leichten Balken am Strande
rreiben, und dieser unsichern Hilfe vertraut sie nun mehr als den Menschen.
In dem einen Arm das Kind haltend, mit dem andern rudernd, erreicht sie,
sast einen Tag lang den Fluten preisgegeben, glücklich das jenseitige Ufer und
iindet ihren Geliebten. So viel Heroismus erweicht die harten Gemüter der
Soldaten; sie gewinnt den Gatten wieder, glücklicher als jene Guahiba am
Atabapo, deren Mutterliebe die Feder eines großen Reisenden (v. Humboldt,
Relation IIJ 409) ein Denkmal gesetzt hat. Solche Beweise von heldenmütiger
Liebe und unerschütterlicher Treue fallen wie Sonnenblicke in die Nacht jener
Roheit und Gefühllosigkeit, worein wir fast immer den Ureinwohner Amerikas
Spix und Martius, Reise in Brasilien J 880.
Ebd. III 1002 f.
4. Die Cayuas.
121
bersenkt sehen. Wie gerne vernehmen wir von ihm auch Züge höherer Humanität!“
Solche Züge sind nicht so selten, als man glaubt. Die Missionäre berichten
deren sehr viele.
4. Die Cayuas.
Die Cayuas („Waldmenschen“) im nördlichen Paraguay und südlichen Matto
Brosso haben bis heute ihre Freiheit und Unabhängigkeit bewahrt. Sie sind von
allen Seiten von kriegerischen Nachbarstämmen, wie den Guaycurus (Mbayas),
Apicas und Coroados, bedroht und führen in schwer zugänglichen Sümpfen und
Wäldern ein zurückgezogenes Leben. In Paraguay werden sie deshalb Mon—
teses oder Montarazas (Bergindianer), von den Brasilianern wegen ihrer Ge—
schicklichkeit auch Canoeiros (Kanoeleute), in der Lingoa geral Ubayhas genannt!.
Die Sprache der Cayuas ist ein Dialekt des alten Guarani. Diese Wilden
zählen nur bis sechs, was darüber ist, nennen sie einfach viel (ota). Die Zeit
derechnen sie bei kleineren Perioden nach Monden (von Vollmond zu Vollmond),
die Jahre dagegen nach der Blüte der Algaroba, des Baumes, aus dessen
Schoten sie ihr berauschendes Getränk herstellen.
Die wilden Stammesgenossen gehen ganz nackt, nur die Frauen pflegen
einen kurzen Schurz aus Baumwolle oder Nesseltuch (bambeo) zu tragen. Die
Cayuas sind friedliebend und vermeiden, ohne feige zu sein, jede Berührung
mit den benachbarten Stämmen und den Weißen, von denen sie oft genug
schlecht behandelt worden sind. Geräuschlos durchstreifen sie die Wälder nach
Wild, Honig und Früchten. Gesicht und Gehör sind scharf ausgebildet und
in allen Leibesübungen leisten sie Vorzügliches. Im Schwimmen werden sie
kaum übertroffen. Sie fischen viel und legen in ihren kurzen, kräftigen Ein—
bäumen weite Reisen zurück. Sie pflanzen auch Mais, Mandioka, Kartoffeln
und Kürbisse. Die Mahlzeiten sind nicht an bestimmte Stunden gebunden.
Solange sie Vorräte besitzen, wird immer gegessen, haben sie nichts mehr, so
hungern sie mit stoischem Gleichmut. Sie kennen keine Sorgen und sind stets
guter Laune. Ist ein Tapir erlegt oder sonst reiche Beute gemacht worden, so
ladet der glückliche Jäger seine befreundeten Stammesgenossen ein, und dann
vird fröhlich geschmaust, gezecht und getanzt. Betrunken werden diese sonst so
ernsten Indianer toll und ausgelassen.
Die Cayuas haben nie auf einer höheren Kulturstufe gestanden. Als noma⸗
disches Jägervolk kennen sie keine festen Wohnsitze und beschränken ihre Gerät—
schaften auf das Allernotwendigste. Als Wohnung dienen ihnen einfache Hütten
(ohy), die im Grundriß ein längliches Rechteck darstellen mit einer Breite von
bebis 8m und einer Länge, die nach der Zahl der Bewohner meist 8 bis 15m
ausmacht. Der Eingang ist eine niedrige enge Offnung, die meist in der Mitte
der Längsseite angebracht wird. Das Hütteninnere bildet einen einzigen Raum
mit einer gemeinsamen Feuerstelle in der Mitte. Gewöhnlich ist jede Hütte von
mehreren Familien bewohnt. Alle schlafen in Hängematten. Oft brennt unter
leder Hängematte ein Feuer.
Gustavev. Koenigswald, Die Cayuas, im Globus XCIII (1908) 377 ff.
122 Vierter Teil. Die Naturvölker Amerikas.
Unter Führung eines Kaziken bilden die Cayuas kleine Verbände, die ihre
Hütten gruppenweise im Wald, aber stets in der Nähe eines Wassers anlegen
und mit Dornverhauen oder Palisaden umgeben. Jede Gruppe von Häusern
(taba) unterhält eine kleine Pflanzung, die zum Schutz gegen die wilden Tiere
mit einem dichten Zaun umgeben ist, doch läßt man absichtlich eine Stelle
offen, an der Fallen und Schlingen angebracht sind. — Der Hausrat an
Töpfen, Körben, Kalebassen, Hängematten usw. wird von den Frauen her⸗
gestellt, die Männer beschäftigen sich mit der Herstellung der Waffen und der
Kanoes. Die Hauptwaffen sind Bogen und Pfeile, die Bodoke, eine an einem
Bogen befestigte Kugelschleuder, ferner Keulen und Spieße.
Was die Ehe angeht, so leben die wilden Cayuas vielfach in Polygamie,
eine Sitte, die auf den Aldeas nicht gestattet ist. Die Mädchen heiraten mit
dem 11. oder 12., die Männer selten vor dem 17. oder 18. Jahre. Die Ehe
wird, nachdem der Freier sich mit dem Vater seiner Erkorenen durch Geschenke
derständigt hat, ohne weitere Förmlichkeit geschlossen und kann jederzeit ebenso
eicht wieder gelöst werden !. Die Mädchen werden nie um ihre Meinung be—
fragt, und die Frauenwürde bringt auch keine Veränderung in die niedrigste
Rolle, die das Weib bei den Indianern spielt. Mit Geduld und Ergebenheit
wissen die Frauen sich den Gatten so anzupassen, daß die Ehescheidungen selten
dorkommen, und selbst wenn ein Mann mehrere Weiber nimmt, leben sie ver—
träglich miteinander und unterstützen sich in ihren häuslichen Arbeiten. Die
Mutter ist gewöhnlich sehr zärtlich mit ihrem Sprößling, den sie bei ihren
Ausgängen in einem Korb auf dem Rücken mit sich trägt. Sie dehnt die
Stillungsperiode auf mehrere Jahre aus. Die Kleinen werden nicht gezüchtigt.
Sie gehen völlig nackt, erst bei dem Eintritt der Vubertät erhalten die Mädchen
einen kleinen Schurz.
Während die Wilden den Tod einer Frau oder eines Kindes wenig be—
klagen, wird der verstorbene Mann sowohl von seiner Familie als von seinen
Freunden und Genossen durch Trauerfeste verherrlicht. Ihre Toten begraben
sie fern vom Wohnort an heimlichen Stellen, die sie Fremden verbergen. Selbst
durch Geschenke lassen sie sich nicht zu Aufklärungen bewegen. Sie sollen den
Leichnam in einer Hängematte hinaustragen und darin eingehüllt in hockender
Stellung unter einem großen, umgestülpten Tongefäß begraben, um die Leiche
gegen das Auswühlen durch wilde Tiere zu schützen.
Ihre religiösen Ideen sind sehr einfach. Sie haben eine dunkle Vor—
stellung von einem guten und einem bösen Wesen. Das gute Wesen heißt
Inhandidjäre, es ist das Prinzip des Guten und des Glücks, das die
Indianer gegen alles Ungemach schützt, das die Fallen und Schlingen mit Wild
füllt, die Fische gegen die Netze blind macht, überhaupt alle Jagd- und Kriegs⸗
erfolge beschert. Verehrung scheinen sie ihm keine zu erweisen. Das böse Wesen
heißt Anhangä, der böse Geist, den sie sehr fürchten. Wenn in finsterer Nacht
der grollende Donner durch die Wälder hallt und der Wind heulend die Baum⸗
gipfel peitscht, der Jaguar brüllend die Hütten umkreist u. dgl., immer ist es
Anhangä, der umgeht?.
uv. Koenigswald im Globus XCIII (I908) 381. 2 Ebd.
5. Die Carajaͤs.
123
Unter den halbzivilisierten Cayuas sind viele getauft, tragen christliche Namen
und auch eine Heiligenmedaille als Talisman um den Hals, nennen Tupa
ihren Gott, sind aber im Herzen noch Heiden, die von der christlichen Religion
nur die verworrensten Vorstellungen haben.
5. Die Carajaͤs.
Die Carajaä-Indianer bewohnen das mittlere Gebiet des Rio Araguaya,
eines Nebenflusses des Rio Tocantins. Der mächtige und kriegerische Stamm
Jat sich bis heute gegen den Einfluß der Weißen gewehrt und leider auch dem
Christentum widerstanden. Auch gegen die benachbarten Stämme der Che—
rentes, Chavantes, Jurunas und Cayuas hat er sich immer in seinem Gebiete
behauptet. Er hält zäh an den Sitten und Gebräuchen der Vorfahren und
ist sehr stolz 1.
Die Carajäs gehören zu den Tapuyas, jenen von den Küstenstämmen der
Tupis so gehaßten „Barbaren“. Sie rechnen nach dem Fünfersystem und zählen
den Fingern und Zehen entsprechend nur bis zwanzig. Kleinere Zeitperioden
berechnen sie nach dem Mondlauf, die Jahre nach den Baumblüten. Die gelbe
Blütenpracht des Ipé bezeichnet den Anfang des neuen Jahres und ist insofern
wichtig, als damit die Trauer für die im letzten Jahre Verstorbenen abgetan
wird. Das Volk besteht aus mehreren Horden, von denen die Carajahis und
die Javaés die bekanntesten und zahlreichsten sind. Auch die Chambioäs, von
denen gleich die Rede sein wird, werden zu den Carajäs gerechnet, haben aber
manches Eigentümliche. Als Stammesabzeichen tragen die Carajäs auf jeder
Wange eine blauschwarze Ringnarbe von 10 bis 10 mm Durchmesser, die schon
in frühester Jugend eingeritzt und mit Genipapo gefärbt wird. Sie sind rein⸗
lich und nehmen täglich mehrere Bäder. Sie stehen auf einer höheren Kultur—
stufe als die Nachbarstämme und betreiben nebst Fischerei und Jagd auch Land⸗
bau. Die stets in Flußnähe angelegten, aber oft meilenweit von den Dörfern
entfernten Pflanzungen werden von den Männern bestellt. Es gilt als ein
ungeschriebenes Gesetz in diesem Stamm, daß die von einer Familie oder einem
Dorfe besetzten Eier- und Fischplätze von den andern respektiert werden. Die
Jagden unternehmen sie gewöhnlich in größeren Gesellschaften und in Begleitung
don Hunden.
Als gewöhnliches Hausgetränk bereiten sie ein aus geriebenen Mandioka—
wurzeln gekochtes mehlreiches Getränk (cauin), das bei Festlichkeiten in großen
Mengen genossen wird. Sonst sind sie aber mäßig; freilich sind sie dem Zucker—
rohrschnaps, wenn sie dessen Bekanntschaft gemacht haben, nicht abgeneigt.
Die Kinder gehen völlig nackt. Die Männer sind unbekleidet, gebrauchen
aber alle eine als Penishalter fungierende Hüftschnur und binden das künstlich
berlängerte Präputium vorn mit einem Baumwollfaden zusammen. Die Frauen
benutzen Binden und Tücher aus Bastrinden. Mit Eintritt der Pubertät er—
halten die jungen Mädchen eine doppelbreite Leibbinde, an der vorn und hinten
ein zwischen den Beinen durchgezogener Bastistreifen befestigt wird. Die Leib—
uv. Koenigswald, Die Carajä⸗Indianer, im Globus XCIV (1908) 217 ff.
124 Vierter Teil. Die Naturvölker Amerikas.
hinde wird sehr fest geschnürt, um schlanke Form zu geben; erst wenn die
Mädchen verheiratet oder älter geworden sind, gehen sie zu dem bequemeren bis
an die Knie reichenden Lendentuch über!. Die Feste werden bei diesem Stamm
nur von den Männern gefeiert, die sich dazu besonders aufputzen, während die
Weiber an den Vergnügungen nicht teilnehmen. Jedes wichtige Ereignis, be—
sonders siegreiche Kriegszüge, beuteschwere Jagden, die einzelnen Familienfeiern,
Totenbestattung usw. geben Anlaß dazu. In dem Festdorf errichten die jungen
Männer die große, meist kreisrunde Festhütte zur Aufnahme der Gäste und zur
Unterbringung der Tanzrequisiten. Bei den Tänzen herrscht große Geheimnis—
tuerei; die Weiber dürfen nicht zuschauen; werden sie dabei ertappt, so erhalten
sie eine Tracht Prügel.
Die Carajas wohnen familienweise in kleinen Hütten, die hochst primitiv
hergestellt sind, doch macht der Hüttenraum einen saubern Eindruck, da der
Boden an den Wänden entlang mit Matten bedeckt ist. Im Schlafraum wird
waͤhrend der Nacht immer ein kleines Feuer unterhalten. Die Dorfstraßen und
plätze werden sehr rein gehalten.
Es steht fest, sagt v. Köenigswald?, daß die Männer bei der Arbeits⸗
deilung den schwersten Teil auf fich nehmen und den Weibern die Sorge für
die Kinder, die Küche und die Herstellung des geringen Hausrates überlassen.
Das Los der Frauen ist bei diesem Stamm ungleich besser als bei den meisten
andern Indianern. — Die sozialen Verhältnisse sind nach alten Rechtsgebräuchen
geregelt, die von allen Stammesangehörigen streng beobachtet werden und uns
hier ein Volk von hoher Sittlichkeit zeigen. Sie dulden keine Fremden in
hren Dörfern und bekämpfen alles, was ihre Autonomie irgendwie bedrohen
könnte. Die Dorfschaften stehen unter der Führerschaft eines Häuptlings, der
in den größeren Gemeinden den portugiesischen Titel Capitäo, in kleineren den
eines Cadete führt. Der Häuptling wird von den Männern des Dorfes aus
ihrer Mitte gewählt. Tüchtigkeit, Erfahrenheit sind unerläßlich für diesen
Posten, der mehr Mühen als Ehren bringt. Er hat über das Wohl und
Wehe seiner Dorfbewohner zu wachen, die eine Genossenschaft mit gleichen
Rechten und Pflichten bilden. Die Verteilung und Bearbeitung der umfang⸗
reichen Pflanzungen, die großen Fischzüge und Jagden, das gemeinsame Ein—
sammeln der Schildkröteneier, die Reisen, die Umzüge und Feste werden von
dem Capitäo bestimmt und unter seiner Leitung ausgeführt. Die Dorfältesten
tehen ihm beratend zur Seite und haben bei wichtigen Angelegenheiten ein ent—
scheidendes Wort mitzureden 8.
Auch die richterlichen Entscheidungen liegen in den Händen des Häuptlings,
der nach althergebrachten Rechtsgrundsätzen entscheidet, die Ausführung des Ur—
deils aber dem Kläger selbst überläßt. Diebstähle sind äußerst selten, auch
den Fremden gegenüber, und gewöhnlich genügt ein Aufruf des Capitäo, um
den Täter zur heimlichen Rückerstattung zu veranlassen. Geschieht dies nicht,
so hat der Häuptling das Recht, die Hütte des Verdächtigen durchforschen zu
lassen. während sonst das Hausrecht unverletzlich ist. Meist ist der Häuptling
uv. Koenigswald im Globus XCIV (1908) 228. 2 Ebd. 236.
3Ebd. 237.
5. Die Carajaͤß.
125
auch Medizinmann und Zauberer im Nebenfach und wird als solcher um die
Behandlung der Kranken und um Beschwörung von Unheil und Unwetter an⸗
gegangen. Verbrechen sind selten, kommt ein solches vor und der Täter wird
ermittelt, so wird er meist des Ortes verwiesen.
Mit den schwersten Strafen sind die Sittlichkeitsverbrechen bedroht,
wie Blutschande, Notzucht, Verführung junger Mädchen und
Ehebruch, die zuweilen mit dem Tod geahndet werden. Daß bei solcher
Auffassung die Ehe in weit höherem Ansehen steht als bei den meisten andern
Indianern, liegt auf der Hand. In der Tat leben diese Wilden in Mono—
gamie, und nur in ganz wenigen Fällen, wie bei unheilbaren Krankheiten
oder Altersgebrechen der Frau, ist dem Mann noch eine zweite Gattin gestattet.
Verläßt aber der Mann sein Weib oder jagt er es davon, so ist er bei seinen
Genossen in Acht getan und darf nicht wieder heiraten, während ein Frauen⸗
tausch mit einem andern durchaus als ehrenvoll gilt.
Die jungen Carajäs heiraten gewöhnlich mit dem 18. bis 20. Jahre. Als
erwachsene Knaben werden sie schon von der elterlichen Familie abgetrennt und
in dem für unverheiratete Männer hergerichteten Junggesellenhaus untergebracht,
wo sie bis zur Ehe verbleiben. Hier werden sie von der ganzen Gemeinde mit
Lebensmitteln versorgt und führen im übrigen ein freies Leben, jagen, fischen,
verfertigen Waffen usw. Sobald sie älter geworden sind und ein Kanoe ihr
eigen nennen, dürfen sie ans Heiraten denken. Die Mädchen bleiben bis zur
Heirat, dem 14. oder 15. Jahre, bei ihren Eltern. Unter der Leitung der
Mutter lernen sie die häuslichen Arbeiten. Ihre Tüchtigkeit und ihre Tugend
sind die einzigen Gaben, die sie mit in die Ehe bringen. Hat der Jüngling
seine Brautwahl getroffen, so muß er sich zunächst an die Eltern der Erkorenen
wenden. Haben diese keine Einwendung gegen die Verbindung, so überlassen
sie die Entscheidung der Tochter. Durch Geschenke sucht der junge Mann die
Einwilligung der Braut zu erlangen. Ist diese erfolgt, so baut der junge
Mann mit seinen Freunden die Hütte, während das Mädchen den geringen
Hausrat zusammenbringt. Dann wird am festgesetzten Tage unter allgemeiner
Teilnahme des Dorfes die Braut nach einem feierlichen Gelage in das neue
Heim gebracht, und die Ehe ist geschlossen. Als äußerliches Zeichen des Ab—
schlusses der Ehe trennen beide Gatten beim Hochzeitsmahl die Kniebänder und
Manschetten, die sie bis dahin getragen haben und die, solange die Ehe besteht,
nicht wieder angelegt werden dürfen !. Heiratet der Mann ein Mädchen aus
einem andern Dorf, so verlegt er gewöhnlich dahin seinen Wohnsitz. Ehen mit
Angehörigen fremder Stämme sind selten und werden von der Aufnahme des
Mannes in den Stamm abhängig gemacht.
Die Stellung der Frau ist keineswegs gedrückt und das Verhältnis der
Gatten meist glücklich. Ausschreitungen und schlechte Behandlung kommen selten
vor und ziehen den Schuldigen Verachtung und Spott zu. Ist die Frau
schwanger, so hält sie eine gewisse Diät. Nach der Niederkunft bezieht der Mann
einige Tage das Krankenlager, stöhnt und fastet, und empfängt teilnehmende
Besucher, während die Frau ihren gewohnten Arbeiten nachgeht. Beide Eltern
Ebd. 237.
126
Vierter Teil. Die Naturvölker Amerikas.
enthalten sich mehrere Tage der Fleischkost, was der Entwicklung des Kindes
zuträglich sein soll. Mit liebevoller Hingebung widmen sich die Mütter ihren
Kleinen, die sie oft mehrere Jahre stillen. Die Kinder sind stets heiter und
vergnügt, und obwohl sie wenig oder gar nicht gezüchtigt werden, sind sie
nicht ungezogen.
Kranke und Gebrechliche werden auf das liebevollste behandelt. Erwähnung
verdient, daß nach G. v. Koenigswald venerische Krankheiten noch un⸗—
bekannt sind. Bei Todesfällen herrscht große Trauer, die in tagelangem
Klagen und Heulen zum Ausdruck kommt. Die Leiche wird bemalt und ge⸗—
schmückt in der Schlafmatte eingewickelt, die der Verstorbene zu Lebzeiten ge⸗
hraucht hat und die ihm auch zur letzten Ruhe dient. Der Tote bleibt nur
wenige Stunden in der Hütte, dann wird er unter zahlreicher Begleitung mit
Tanz und Gesang zu dem außerhalb des Dorfes gelegenen Friedhof getragen
und dort in einem kaum 2 JFuß tiefen Grabe beerdigt. Meist wird die
Grabstätte mit einer großen, dachförmig zwischen zwei niedrigen Pfählen ge—
spannten Matte überdeckt, unter der die Hinterbliebenen während der ersten Zeit
die verschiedensten Nahrungsmittel niederlegen, um, wie unser Gewährsmann
sagt, „anzudeuten, daß sie an seinen Tod noch immer nicht glauben wollen“1.
Eine sonderbare Auffassung! Nein, sie tun das, wie alle Indianer, weil
fie glauben, die Seele des Verstorbenen lebe weiter und habe Bedürfnisse wie
der noch lebende Mensch. Später wird der Leichnam, sobald er verwest ist,
wieder ausgegraben, und die Knochen werden in eine Urne gesammelt und auf
zinem der großen allgemeinen Friedhöfe beigesetzt. Die eigentliche Trauerfeier für
den Toten findet einige Tage nach der Beerdigung statt, an der sich außer den
Verwandten auch die oft von weit hergekommenen Freunde beteiligen. Die
nächsten Angehörigen kürzen sich zum Zeichen der Trauer die Haare, und falls
eine verheiratete Person gestorben ist, erhält der überlebende Gatte die Knie—
händer angelegt, womit angedeutet wird, daß er nicht mehr verheiratet ist.
Die Sorge um verwaiste Kinder übernehmen stets die nächsten Verwandten
mütterlicherseits; nur wenn der Vater auf einem Kriegszug gefallen ist, geht
die Unterhaltungspflicht auf den Häuptling, indirekt also auf die ganze Ge—
neinde über. Die vom Verstorbenen hinterlassenen Gebrauchsgegenstände werden
»erbrannt, die geschmückten Festgeräte dagegen unter den Freunden verteilt.
„Die Hinterbliebenen behalten nichts von dem Erbe, um nicht beim Anblick
oder Gebrauch stets wieder an den erlittenen Verlust erinnert zu werden.“
Aber dann müßten auch die geschmückten Festgegenstände des Verstorbenen ver—
nichtet werden! Monatelang bejammert man den Toten mit Wehklagen. Erst
venn der Ipebaum im Frühling seine gelben Blüten treibt. ist die Trauerzeit
vorüber.
„Die religiösen Anschauungen der Carajäs bestehen lediglich in Vor⸗
ftellungen von guten und bösen Geistern, deren unheilvolle Mächte nur
die Zauberer abwenden können.““ Der Sazz enthält einen Widerspruch. Die
guten Geister werden doch nicht bloß unheilvolle Einflüsse ausüben, sonst wären
sie böse Geister. Welches diese guten und bösen Geister seien, erfahren wir leider
Globus XOIV (I908) 238. 2 Ebd.
6. Die Apiacas, Chambioas und Chavantes. 127
nicht. „Das abergläubische Volk schreibt diesen Heilkünstlern und Geisterbeschwörern
(den Zauberern) übernatürliche Kräfte zu und wendet sich in allen Bedräng—
nissen um Rat und Hilfe an sie.“
6. Die Apiacas, Chambioas und Chavantes.
1. Die Apiacasindianer an den Flüssen Arinos und Juruena im Quell⸗
gebiet des Paraguay und des Rio Tapajos sind nach Francis de Castelnau
Menschenfresser. Sie bebauen den Boden, pflanzen Mais, Caras, Bohnen,
Maniok usw. Wenn sie ein Stück Boden urbar machen, hauen die Männer
die Bäume um und die Frauen richten die Pflanzungen ein; sonst begnügen
sich die Männer mit der Jagd und dem Fischfang. Alle Männer haben zwei
Frauen, die Häuptlinge allein dürfen drei halten. Sie können die Weiber
verstoßen, aber wenn kein anderer sie nehmen will, so muß der frühere Mann
sie töten. Die Greise beschäftigen sich mit Wollenspinnen und müssen von
ihren Kindern ernährt werden; haben sie keine Kinder, so werden sie von den
jungen Leuten der ganzen Nation unterhalten.
Diese Indianer anerkennen ein höchstes Wesen, und sie scheinen selbst
Gebete an dasselbe zu richten. Sie nehmen die Unsterblichkeit der Seele
an und meinen, daß sie nach dem Tode zu den Gefilden ziehen, wo die schönsten
Früchte wachsen, ohne daß man sie zu pflanzen braucht?. Über die Begräbnis—
sitte der Apiacas berichtet Martius folgendes. Stirbt ein Mann, so begräbt
man ihn im Hause, und zwar am Todestage selbst. Das Haupt erhält die
allgemein übliche Lage an den Knien, die Leiche wird mit Federn geschmückt;
alle Waffen und wollenen Gebrauchsgegenstände des Toten werden verbrannt
und dessen Geschirre zerschlagen.
Im Kriege töten die Apiacas alle Erwachsenen ohne Rücksicht auf das Ge—
schlecht, dann zerschneiden und braten sie die Leiber. Die Kinder nehmen sie
als Gefangene mit sich in ihre Aldeas, erziehen sie mit ihren eigenen Kindern
und behandeln sie gut; sie müssen aber auf dem Felde arbeiten und werden
zu zwei und zwei zusammengebunden mit einem Strick um den Hals. Wenn
zwei oder drei von diesen kleinen Unglücklichen zwölf bis vierzehn Jahre alt ge—
worden, feiert man im Dorf ein großes Fest. Vom frühen Morgen an hört
man von allen Seiten den Schall der Trompeten und das ganze Volk schmückt
sich mit Arasfedern. Die kleinen Gefangenen werden mitten in einen vom
ganzen Stamm gebildeten Kreis geführt; hinter ihnen stehen die Häupter der
Familien, welche sie erzogen haben; diese zerschmettern ihnen auf ein gegebenes
Zeichen mit einer Keule den Schädel, dann ißt man ihre Leiber und gibt sich
die ganze Nacht teuflischen Tänzen hin. Zuweilen werden auch junge Weiber
bier oder fünf Jahre gefangen gehalten, bevor man sie tötet. Alles, was dem
Stamme fremd ist, wird unfehlbar geopfert. „Die zarte Stimme und das
herzliche Lächeln des jungen Indianers, der mir diese Einzelheiten mitteilte,
1LExpédition dans les parties centrales do PVAmérique du Sud 1848-1847, in
Histoiro du voyage II, Paris 1850, 814 ff.
eEbd. 314.
128 Vierter Teil. Die Naturvölker Amerikas.
tontrastierten seltsam zu dem schrecklichen Sinn seiner Worte. Er sagte mir,
er habe viel geweint, als sein Vater auf diese Weise seinen Jugendkameraden
tötete. Auch seine Mutter, sagte er, habe Tränen vergossen; aber man habe
sich dem Gebrauch unterwerfen müssen.“ Mehrere Personen, die mit diesem
Stamm verkehrt hatten, bestätigten mir das eben Mitgeteilte, und eine davon
sagte mir, sie habe bei einer Gelegenheit den Wilden wertvolle Gegenstände an⸗
geboten, um diese armen Kinder zu retten. Ich kenne kaum ein anderes Bei—
spiel eines ähnlichen Aktes der Grausamkeit als bei den alten Muyscas, bei
denen das Schlachtopfer (gussa) bis zum 15. Jahr mit der größten Sorgfalt
aufgezogen und dann im Tempel des Bochica (der Sonne) zu Sogamojo ge—⸗
opfert wurde. Doch hatten zur Zeit der Entdeckung die Küstenbrasilianer ähn⸗
liche Gebräuche?. Übrigens töten die Apiacas ihre Feinde auf dem Schlacht—
teld, quälen sie aber nicht. Man versichert, daß die Jahuarititapuios anders
handeln und daß sie ihre Gefangenen ungefähr 1 mm von der Erde an einen
Baum anbinden und unter ihnen ein Feuer anzünden, das sie langsam ver—
zehrt. Man sagt auch, daß diese Indianer rohes Menschenfleisch essen.
2. Über die schon erwähnten Chambioas am Araquay schreibt Fr. de
Castelnaus, nach der Versicherung des Soldaten Simao und dreier Mestizen,
die ihn begleiteten, haben sie keine religiöse Überlieferung, jedenfalls erweisen
sie der Gottheit keine Verehrung. Sie haben keine besondere Hochzeitszeremonie,
aber die Polygamie ist bei diesen Indianern unbekannt. Will sich jemand ver—
heiraten, so bittet er einfach die Eltern um das Mädchen, und wenn sie ein—
willigen, so führt er es als seine Frau in seine Hütte. Sie sagten uns auch,
daß die Ausschweifung (libertinage) mit der größten Strenge bestraft werde,
und man versicherie uns, einige Tage vor unserer Ankunft sei ein Mann auf
frischer Tat mit einem unverheirateten Mädchen betroffen, und dieses letztere
sei von seiner eigenen Mutter getötet worden, während der Mitschuldige durch⸗
gepeitscht wurde. Doch stimmt, bemerkt de Castelnau, diese Tatsache nicht mit
den Anerbietungen, die unsern Leuten oft gemacht wurden, wahrscheinlich muß
die Tat von besondern Umständen begleitet gewesen sein, die unsern Brasilianern
entgingen.
Sonderbar ist die Begräbnissitte der Chambioas. Die Leiche wird nicht
horizontal, sondern vertikal ins Grab gelegt; der Kopf ragt über das
Grab heraus und wird mit Bananen und andern eßbaren Dingen
umgeben, die man von Zeit zu Zeit erneuert. — Die einzelnen Dörfer
haben ihre Häuptlinge. — Sie hatten reiche Pflanzungen von Bananen. Die
Frauen trugen um die Lenden ein langes Stück Stoff aus roter Rinde, dessen
heide Enden vorn und unter dem Gürtel durch einen Knoten zusammen⸗
gebunden waren. Sie suchten von den Reisenden Arte. Messer, Angeln usw.
zu erhandeln.
In diesem Dorf wie in dem früheren bemerkte de Castelnau eine Hütte
zur Aufbewahrung der Federhüte, die zu den geheimnisvollen Tänzen dienen,
die zu bestimmten Jahreszeiten gefeiert werden. Während die Tänze mit diesen
De Castelnau, Expédition usw. a. a. O. II 315. 2 Ebd. 316.
s Ebd. IJ 446.
7. Die Neger Brasiliens.
129
Federmützen stattfinden, werden die Weiber in den Hütten sorgfältig eingeschlossen
oder in die Wälder geschickt, denn wenn eine von ihnen diesen Schmuck sehen
würde, müßte sie sofort sterben. Der Häuptling gab nur ungern und mit Angst
eine von diesen Mützen gegen Geschenke!.
Nach dem, was wir von den Chambioas gesehen, verdienen diese Indianer
keineswegs den schlechten Ruf, in dem sie stehen. Castelnau sagt, die Ex⸗
bedition seien die ersten Europäer gewesen, die ihre Dörfer besuchten. Früher
scheinen sie wild und kriegerisch gewesen zu sein.
3. Über die wilden zwischen dem Araguay und Tocantins lebenden Cha⸗
bantes besitzen wir einige Nachrichten durch Martius?. Er rühmt ihren
hohen Wuchs und ihre Tapferkeit. Zur Führung ihrer Hauptwaffe, einer 4 Fuß
langen Keule, gewöhnen sie sich durch Tragen eines schweren Holzblockes,
den sie im Laufe von sich schleudern. Wer dies nicht vermag, darf auch nicht
heiraten. Sie bewachen die Keuschheit der Jünglinge und halten dadurch die
der Mädchen für gesichert; doch erlauben sie dem Kühnsten im Kriege den
GBenuß der Braut; aber eheliche Untreue des Weibes strafen sie mit dem Tode.
Wie bei allen brasilianischen Wilden trägt auch hier das schwächere Geschlecht
alle Sorgen des Haushaltes und der Erziehung. Sie sind übrigens geschickt
in Handarbeiten. Im Schwimmen und andern Leibesübungen zeichnen sie sich
ebensosehr aus wie durch eine gewisse sichere und edle Haltung in ihrem Be—
nehmen und durch die Offenheit ihrer Gesichtszuge. Auch ist ihnen die Idee
der Unsterblichkeit nicht fremd, und sie hoffen nach dem Tode in ein besseres
Land zu kommen. El. Reclkuss sagt mit Berufung auf Couto Magalhäes
L'homme sauvago), daß sie ihre toten Kinder essen, um sie sich von neuem
zu assimilieren. Um mit ihnen vereint zu bleiben, begraben sie die Eltern in
hrer bewohnten Hütte; „sie erwarten in der Nacht die Erscheinung derjenigen,
die sie geliebt haben“. Sie glauben also an ein Fortleben nach dem Tode.
Von dem Kultus eines höheren Wesens fand Martius keine Spur bei ihnen,
es sei denn, daß die Feste, welche sie in den Monaten März und April während
des Vollmondes feiern, sich darauf bezögen. Mit den Reisenden pflegen sie zu
handeln, indem sie Wachs, Wildbret u. dgl. gegen Eisenwaren und Branntwein
Amtauschen.
7. Die Neger Brasiliens.
Bevor wir Brasilien verlassen, wollen wir noch einen kurzen Blick werfen
auf die Nachkommen der Neger, die in früheren Jahrhunderten aus Afrika ein—
zeführt wurden. Heute beträgt die Zahl der Neger in Brasilien etwa vier Mil—
ionen. Ein nicht unbeträchtlicher Teil derselben soll auch heute noch dem Feti⸗
chismus huldigen, und wir teilen hier einiges aus dem mit, was uns Kenner
darüber berichten“. Nach den vorliegenden Angaben muß ein bedeutender Teil
dieser Neger aus dem Gebiet der Joruba in Oberguinea stammen. und es ist
Ebd. 450. 2 Reise in Brasilien II 574 f.
Nouvelle Géographie universelle XIX 210.
x Vgl. ApbéùEtiônne Tgnace, Le PFétichisme des Nègres du Brésil, im
nthropos II (1908) 881ff.
Cathrein, Die Einheit d. sittt. Bewuktseins. III.
130 Vierter Teil. Die Naturvölker Amerikas.
interessant, die Religion der Joruba, die wir früher geschildert haben!, mit der
der brasilianischen Neger zu vergleichen. Dieser Vergleich zeigt jedenfalls, wie
zäh die Neger an ihren angestammten Anschauungen festhalten, und beweist auch,
wie der Fetischismus sich mitten unter andern Religionen zu erhalten und den⸗
ielben anzupassen versteht.
Die brasilianischen Neger glauben an einen höchsten Gott, den sie Olorun
oder Olorung nennen, gerade wie die Joruba. Bei Rio de Janeiro ist er auch
unter dem Namen Orixa-alum bekannt?. Er ist der Schöpfer aller Dinge, ist
unsichtbar, hat keine Frau und keinen Hunger; er weiß alles; wenn der Neger
über etwas gefragt wird, was sein Verständnis übersteigt, antwortet er mit
stereotypen Redensart: „Gott weiß es.“ Ignace meint, wenn auch die Idee
Gottes den Negern von jeher bekannt gewesen, so sei dieselbe doch durch die
Berührung mit dem Christentum vollkommener geworden. Man darf aber nicht
äbersehen, daß die obige Auffassung Gottes auch in Joruba herrscht, wo sie
gewiß nicht dem Christentum entlehnt ist. Gerade wie in Oberguinea haben
die Neger in Brasilien Gott oft auf den Lippen, erweisen ihm aber fast keine
Verehrung. Um so mehr verehren sie die Orisas, in denen wir unschwer
die Orichas der Joruba wiedererkennen. Die Orisas, die Heiligen, sind Geister
oder untergeordnete Gottheiten, mit denen die Menschen verkehren. Die einen
von ihnen sind gut, die andern böse. Jeder von diesen Geistern hat seine
dieblingsspeise bei den Opfern, jeder hat auch seinen Fetisch, in dem er
wohnt oder sich offenbart. Jeder hat eine Bruderschaft von Verehrern, die
Kleider von der Farbe anziehen müssen, wie sie der Orisa verlangt. Als ersten
ODrisa nennt Ignace Obatala, der uns schon bei den Joruba begegnet ist
und der auch in Brasilien die weiße Farbe liebts. Er heißt auch Orichala und
gilt als der älteste und größte Orisa, er ist Hermaphrodit (Androgynist) und
die personifizierte Zeugungskraft der Natur. Der zweite Orisa ist Esu, eine
maͤnnliche Gottheit, deren Fetisch Termitenhügel oder Lehmkuchen sind, und der
als Speise am meisten die Ziege liebt. Er wird von den Negern vielfach mit
dem Teufel identifiziert und heißt auch Elegebara. Von andern Orisa erwähnen
wir den Orisa-Ifa, den Sango, die Osun, Ogun, Dada usw.“ In welchem
Verhältnis diese Orisa zu Olorun stehen, ist nicht klar; auf alle Fälle sind die
Orisa als Götter aufzufassen, die nie Menschen waren und denen man Opfer
und Gebete darbringt.
Der Zauberpriester hat auch nach den brasilianischen Negern die Macht, einen
Orisa an einen Gegenstand zu bannen; aber er braucht dazu Opfer, Gebete
und andere Zaubermittel, durch die sich der Orisa bestimmen läßt, in diesem
Gegenstand seine Wohnung aufzuschlagen und sich darin zu offenbaren. — Außer
den Orisas gibt es zahlreiche untergeordnete Geister, gute und böse, die im
Dienste der Orisas stehen; ferner sind auch die verstorbenen Ahnen der Gegen⸗
tand der Verehrung.
Auch der Totemismus existiert bei den brasilianischen Negern, doch tritt
sehr in den Hintergrund. Zu den Totems gehören z. B. der Kaiman, die
z
Vgl. J 608 ff. 2 Anthropos III (1908) 883. s Vgl. oben J 610.
Vgl. die Liste dieser Gottheiten im Anthropos III 885.
7. Die Neger Brasiliens.
131
Schlange und der Iroco, eine Art Palmbaum. Eigentliche Schlangentempel
sind in Brasilien selten, und in diesen wenigen wird eine kleine Boaschlange
gepflegt. An den Festtagen geht der Priester, der Diener des Totems, allein
in das Haus der Schlange, kommt mit einem häßlichen Reptil in der Hand
heraus, das nun von den Andächtigen verehrt wird!.
Der Mensch hat eine Seele (emi)?; aber auch die Tiere und Pflanzen
haben eine Seele. Auf dieser Überzeugung ruht der Gebrauch der Neger, den
Manen, den Seelen der Ahnen, zu opfern. Die Orisas können sich die Manen
oder Phantome der Speisen einverleiben. Die Seele des Menschen ist nach
ihrer Ansicht höher als die der Tiere.
Über die letzten Dinge des Menschen wissen die Neger wenig. Man stirbt
nach ihrem Glauben, weil Gott es zuläßt, aber die nächste Ursache der Krank—⸗
heit ist böser Zauuber. Es gibt ein Fortleben der Seele nach dem
Tode. Obwohl einige Schwarze behaupten, daß mit dem letzten Hauch des
Sterbenden alles verschwindet, so halten sie doch eine Begräbnisfeier und bringen
sogar den Manen der Voreltern Opfer. Wohin aber die Seelen nach dem Tode
gehen, davon behaupten die meisten, nichts zu wissen. Sie antworten: „Gott
weiß es.“ Einige reden von Mumba-Yumban, einem zur Besserung der Frauen
bestimmten Ort. Man hat eine dunkle Idee von Vergeltung, aber ein blinder
Fatalismus erstickt alles: Gott hat bestimmt, wer in den Himmel komme; außer
den Prädestinierten wird niemand belohnt werdens.
Die Moral der brafilianischen Neger besitzt die Unterscheidung zwischen gut
und bös. Böse ist besonders das Schädliche, das Behexte. Die Sünde (ese,
sprich esche) gleicht wenig der christlichen Auffassung. Außer dem Fall des
Krieges verurteilen die Neger den Mord und den Diebstahl. Die Polygamie
gilt als legitim; jeder kann so viele Frauen haben, als er zu erwerben und zu
erhalten vermag; mitten in Rio de Janeiro soll noch heute Polhgamie vorkommen.
Der Ehebruch ist verboten. Die Prostitution soll als erlaubt gelten, ebenso die
Polyandrie, wie Ignace behauptet; dieses letztere widerspricht aber so sehr
der Anschauung der afrikanischen Neger, daß wir daran zweifeln möchten;
daraus, daß die Neger ihren Gottheiten manche Schlechtigkeiten andichten, folgt
noch nicht, daß sie solche auch für sich erlaubt halten. Auch die Griechen haben
hren Göttern manches angedichtet, was für Menschen als äußerst schimpflich
galt. Sollte es sich nicht in den Fällen, die Ignace im Auge hat, um bloße
Prostitution handeln?
Die Familie besteht bei den brasilianischen Schwarzen. Der Mann ist
ihr Haupt; denn Gott hat ihn stärker geschaffen. Die religiösen Pflichten be—
tehen darin, daß man die Orisas verehre, sich mit einem Fetisch versehe und
sich gegen den bösen Blick und andern bösen Zauber schütze. Man kann den
dösen Zauber auf einen andern übertragen. Das Gebet ist eine religiöse Pflicht;
man kann auch vor den Fetischen der Orisas die Verzeihung seiner Sünden
erflehen“. Das erinnert doch an die christliche Idee von der Sünde.
—
Ebd. 891. 2 Vgl. oben J 609.
Eph.
s Anthropos III (1908) 894.
132 Vierter Teil. Die Naturvölker Amerikas.
Die religibse Hierarchie der Neger Brasiliens besteht aus den Fetischpriestern
(babalaos), den Wahrsagern und Zauberern. Der Priester empfängt seine Ge⸗
walt von den Göttern selbst; ohne seine Dazwischenkunft bleibt der Stein, das
Feuer usw. ohne göttliche Wirkung. Er allein hat das Geheimnis der gött⸗
— EDD0 Amtern. Ober⸗
priester des Peji (Heiligtums) wird gewöhnlich ein Individuum, das sich in
den Gebräuchen des Fetischismus gut auskennt und dem es gelingt, die Wahl
des Himmels auf sich zu lenken. Die Tempel der Neger in Brasilien heißen
Terreiros, es sind Häuser, in denen man nach dem Eintritt zuerst in einen
Tanzsaal gelangt, dahinter kommen größere und kleinere Zimmer, durch die sich
ein Gang in Windungen durchzieht. Diese Anordnung hat den Zweck, Neu⸗
zierige abzulenken und die an den Zeremonien beteiligten Personen zu verbergen.
Im Hintergrund endlich findet sich das Peji oder das eigentliche Heiligtum,
das Yara-Orisa (Wohnung des Heiligen) heißt. Hier ist immer ein Altar,
auf dem die Fetische des Heiligen stehen, dem der Tempel geweiht ist. Opfer
werden nur den Orisas dargebracht, mit Ausnahme einiger Totenopfer für die
Geister der Ahnen. Die Opfergegenstände für die Götter sind Nahrungsmittel
und Tiere. Bei Tieropfern essen die zum Feste Eingeladenen den Leib des
Opfers und lassen den „Heiligen“ als ihren Anteil das Blut und die Ein⸗
geweide. Das Opfer ist also mit einer Art Kommunion verbunden.
Es braucht kaum hervorgehoben zu werden, daß bei den brasilianischen Negern
hhristliche Institutionen mit heidnischen abergläubischen Gebräuchen oft in sonder⸗
harer Weise durcheinandergemischt erscheinen!.
Sechstes Kapitel.
Die Indianer Paraguays, Nordargentiniens und Bolivias.
Unter Paraguay verstehen wir hier nicht bloß den heutigen Staat dieses
Namens, sondern das ganze Gebiet, das zur Zeit der spanischen Herrschaft
anter diesem Namen zusammengefaßt wurde. Wir rechnen dazu auch Nord⸗
argentinien und Bolivia.
Im Zentrum dieses ungeheuren Gebietes liegt der sog. Gran Chaco, ein
unermeßliches, mit Sümpfen und Wäldern bedectes Land, in dem sich zur Zeit
der spanischen Herrschaft unzählige wilde Völkerschaften herumtummelten. Weil
diese Stämme in beständigen Kriegen miteinander lagen und viele von ihnen
oft die Wohnsitze wechselten oder auch zersplittert, zum Teil fast ganz aufgerieben
oder andern Rationen einberleibt wurden, hält es ungeheuer schwer, in das Gewirr
dieser Volker Ordnung und Klarheit zu bringen. Wir werden uns deshalb auch
nicht in die endlosen Untersuchungen über das Wohngebiet oder die Verwandtschaft
and die Geschichte der verschiedenen Stämme einlassen, sondern die wichtigsten
derselben an der Hand der Angaben der alten Missionäre schildern. Eine Be⸗
rachtung dieser Stämme in ihrem heutigen Zustand muß sich immer gegen⸗
Val. Anthropos III (1908) 901 - 904.
4. Die Guaranis.
133
wärtig halten, daß viele derselben mehr oder weniger von christlichen An⸗
schauungen beeinflußt sind.
Wir beginnen unsere Wanderungen vom Süden her, wo uns zuerst die
mit den brasilianischen Tupis stammverwandten Guaranis begegnen, über die
wir schon aus älterer Zeit eingehende und zuverlässige Nachrichten besitzen.
1. Die Guaranis.
Die Guaranis bildeten den Hauptteil der Bevölkerung, welche die ersten
Entdecker in den weiten Strecken zwischen dem Uruguay und Paraguay vor⸗
fanden. Wenn in den alten Missionsberichten von Paraguay die Rede ist,
so handelt es sich hauptsächlich um das von den Guaranis bewohnte Gebiet.
Obwohl dieses Gebiet eine große Ausdehnung hatte und die Guaranis in ver—
schiedene Stämme zerfielen, so zeigten sie doch in Charakter und Sitten so viel
Äbereinstimmung, daß man sie als ein Volk betrachten und schildern kann.
Einer der bedeutendsten Missionäre, der lange und erfolgreich an der Be—
kehrung der Guaranis arbeitete, war P. Antonio Ruiz de Montoya 8. J.
Von diesem seeleneifrigen Apostel erschien im Jahre 1639 eine ausführliche
Schilderung der Guaranis!. Dieser Bericht und die späteren Angaben der
Missionäre benutzte Charlevoix in seiner zusammenfassenden Darstellung?.
Das Land der Guaranis war sehr fruchtbar mit einer reichen Fauna und
Flora, aber wegen der Feuchtigkeit und der vielen Sümpfe ungesund. Die
Guaranis, schreibt Ruiz de Montoyas, lebten und leben noch heute in
kleinen Dörfern, die voneinander unabhängig sind. Jedes Dorf hatte einen
Kaziken, dessen Würde meistens erblich war und der in hohem Ansehen stand.
Ihre Familien bildeten eine Art Adel. Doch kam es zuweilen vor, daß her—
vorragende Männer durch ihre Beredsamkeit, die bei ihnen hochgeschätzt wird,
Leute und Vasallen zusammenbrachten und dadurch sich und ihre Nachkommen
in den Adel erhoben. Die abhängigen Leute helfen den Kaziken den Boden
urbar machen, säen und ernten; sie müssen ihnen auch auf Begehren ihre
Töchter (als Frauen) überlassen. In diesem Punkt halten sich die Kaziken
an die heidnische Freiheit. Montoya hat Kaziken gekannt, die 15, 20 und
30 Weiber besaßen. Auch heute noch, sagt derselbe Missionär, heiraten die
christlichen Kaziken keine Frauen aus dem gewöhnlichen Volk, sondern nur vor—
nehme, und hierin sind sie sehr heikel, selbst wenn eine gewöhnliche Frau vor—
treffliche Eigenschaften hat.
Die gewoͤhnlichen Männer hatten vielfach nur eine Frau. Die Witwen
des verstorbenen Kaziken nahm oft der überlebende Bruder zu Frauen, doch
war dies nicht allgemein. Den Müttern und Schwestern erzeigen die Guaranis
1Conquista spiritual hecha per los Religiosos S. J. en las Provincias del Paraguay,
Parana, Drugay y Tape, Madrid 1689. Das Buch wurde neu herausgegeben zu Bilbao
im Jahre 1892. Wir zitieren nach der letzteren Ausgabe.
⁊ Histoire du Paraguay, Quartausgabe, BdeJ, Paris 1756. Das gründlichste Werk,
das wir heute über Paraguay besitzen, ist das von Pablo Hernandez 8. J. Or-
ganizaciba boα—l de las Joctrinas Guaranies de la Compañia de Jess, 2 Bde, Bar-
—XR s3 A. a. O. 49. Oharlevoix a. a. O. J S5b ff.
134
Vierter Teil. Die Naturvölker Amerikas.
zroße Achtung in Bezug auf geschlechtlichen Verkehr, sie verabscheuen selbst den
Gedanken an eine solche Verbindung, wie sie denn überhaupt große Abneigung
haben gegen Ehen unter nahen Verwandten. Auch seitdem sie Christen ge—
worden sind, verheiraten sie sich nie mit einer Verwandten ohne Dispens, selbst
in den erlaubten Graden, denn, sagen sie, es sei ihr Blut.
Wenden wir uns zur Religion der Guaranizß, so ist sicher, daß sie zur
Zeit der Entdeckung an Gott, den Schöpfer und Herrn aller Dinge,
glaubten. Das bezeugt schon P. Alonso de Barzano oder Barceno S8S. J.!,
ein mit den Anschauungen und der Sprache der Guaranis wohlbekannter Mis⸗
sionär, in einem Brief vom Jahre 1594. Er sagt: Sie haben die Idee
von einem Gott, dem Herrn und Schöpfer aller Dinge, den sie
Tupäsnennen, dem sie aber, soviel man erfahren konnte, keinen Kult er⸗
weisen und der auch keine Priester hat. Er fügt hinzu: „Von wem sie aber
diese Idee empfangen haben, weiß man nicht gewiß; nur besteht eine allgemeine
Überlieferung der alten Leute, einst in vergangenen Zeiten sei jemand, der
Pay Zumé hieß, zu ihnen gekommen, um ihnen zu predigen, und der habe
sie gelehrt, daß es einen Gott gebe.“ Dieselbe Überlieferung besteht in vielen
Begenden Südamerikas, wie z. B. in Brasilien, in Peru usw., wo sie überall
von den Missionären vorgefunden wurde. Barzano berichtet auch, daß die
Buaranis keine Idole anbeteten.
Den Glauben der Guaranis an einen Gott bezeugt auch de Montoyas.
Er schreibt: „Die Guaranis erkannten, daß es einen Gott gebe, und in ge—
wisser Beziehung erkannten sie auch seine Einheit. Das erhellt aus dem Namen
Tupän, den sie ihm geben, denn die erste Silbe tu drückt Bewunderung
uus, und die zweite pan ist die Fragepartikel, so daß der Name Tupaͤn dem
jebräischen Manhu — (quid est hoqc) entsprichts. Idole besaßen sie nicht,
obwohl sie der Teufel betrog und dazu verleitete, die Gebeine einiger Indianer
zu verehren, die im Leben große Zauberer gewesen.“ „Dem wahren Gott
brachten sie nie Opfer dar. Sie begnügen sich damit, ihn einfach anzuerkennen.“
Auch Charlevoix behauptet, daß sie den Tupan als Gott anerkannten, ihm aber
keine Verehrung erwiesen, jedenfalls keine Opfer darbrachten. Wenn sie, sagt
derselbe Schriftsteller, den Gebeinen großer Zauberer Verehrung erzeigten, so be—⸗
rrachteten sie dieselben doch nicht als Gottheiten, obwohl der Kult, den sie ihnen
zrwiesen, sich wenig von dem unterschied, den andere Völker ihren Götzen dar⸗
brachten. Ausnahmsweise scheint es in einigen Distrikten Götzenbilder gegeben
zu haben. So wurde von den Indianern am Urugquay ein Stein angebetet,
der Menschengestalt hatte und „Teufelsstirne“ hieß?.
OCarta sobre las costumbres de los Indios Guaranies. Der Brief ist datiert vom
3. September 1594 aus Asuncion und an den Provinzial von Peru, P. Juan Sebastian
de la Parra, gerichtet. Er ist abgedruckt in den Relaciones geograficas de Indias.
Vadrid 1887. Vgl. Hernandez, Organizaciôon social usw. 179.
Honquista spiritual 49.
Guevara 8. J. (Historia de la conquista del Paraguay, Buenos Ayres 1882, 84)
sagt: „Die Guaranis erkannten Tupa als Erhalter ihrer Nation in der allgemeinen
Sündflut, aber sie bauten keinen Tempel, um ihn anzubeten, und auch keine Altäre,
um ihm Opfer darzubringen.“
VBgl. Héernandez a. a. O. JL 80.
1. Die Guaranis.
135
Man hat schon gemeint, Tupän sei nur der vergötterte Tupi, der Stamm⸗
vater der Tupis. Aber bekanntlich lebten die Guaranis von jeher in Feind⸗
schaft mit den Tupis, und deshalb klingt es geradezu absurd, zu behaupten,
die Guaranis hätten den Tupi, d. h. den Stammvater ihrer Todfeinde, als
obersten Gott verehrt.
Die Guaranis zählten die Jahre nach Wintern, die sie Rog nannten. Im
Zählen kamen sie bis auf vier und mit einiger Konfusion bis auf zehn. Sie
kennen die Zeit der Ernte durch den Lauf der Plejaden. Fest waren sie auch
der Meinung, es gebe am Himmel droben einen sehr großen Tiger oder Hund,
der im Arger zuweilen Sonne und Mond verschlinge, daher kam nach ihnen
die Sonnen- und Mondfinsternis, über deren Eintreten sie stets sehr erregt und
derwundert waren.
Nach der Niederkunft der Frau mußte der Mann 14 Tage lang streng
fasten. Er durfte während dieser Zeit kein Fleisch essen, kein Tier auf der
Jagd töten und blieb zurückgezogen in seiner Hütte. Die Indianer glaubten
fest, das Leben des Kindes hänge von der treuen Beobachtung dieses Ge—
brauches ab. Sie hatten auch eine Art Taufe, bei der dem Kinde ein
Name gegeben wurde. Diese Taufe wird nicht näher geschildert, vielleicht ist
damit nur folgende Zeremonie gemeint. Mit der Namengebung für die Kinder
wartete man, bis man einen Kriegsgefangenen hatte. Diesen mästete man,
gab ihm Speisen und Weiber nach seinem Geschmack. War er wohl genährt,
J wurde er mit großer Feierlichkeit getötet. Dann berührte jeder Gegenwärtige
mit der Hand den Leichnam, gab ihm einen Stochschlag und sich selbst einen
Namen; Stücke vom Leichnam wurden verteilt. Jede Familie erhielt ihren
Anteil, nahm ihn mit sich und machte daraus eine Art Brühe, von der jedes
Glied einen Loöffel voll erhielt. Die Mütter, welche Säuglinge hatten, gossen
esen etwas von der Brühe in den Mund und gaben ihnen zugleich einen
Ramen.
Beim Tode ihrer Männer zerfleischen sich die Frauen und stürzen sich von
iner erhöhten Stelle herunter, so daß sie manchmal für immer Krüppel bleiben.
Sie glauben, daß die Seele beim Verlassen des Leibes nicht weit fortziehe und
demselben im Grabe Gesellschaft leiste. Deshalb begraben sie ihre Toten in
RXoßen Töpfen und legen eine Platte auf die Offnung derselben, damit die
Seele es in diesem Hohlraum bequem habe, obwohl man die Töpfe bis zum
Hals in den Boden vergräbt. Die ersten, die sich zum Christentum bekehrten,
entsagten nur schwer diesem Gebrauch. Als wir einen Christen begruben,
erzahlt de Montoha!, näherte sich ein altes Weib mit einem sonderbaren
Sieb und zog dasselbe heimlich durch das Grab, als ob sie etwas herausholen
wollte; man sagte, das geschehe, um die Seele des Verstorbenen herauszunehmen,
damit sie nicht in der Erde zugleich mit dem Leibe zu leiden habe. Auch
de Barzano berichtet in dem schon erwähnten Brief den Glauben der Guaranis
an die Unsterblichkeit der Seele; sehr fürchten sie nach ihm die Angueras, die
on den Leibern getrennten Seelen, die, wie sie sagen, herumgehen, die Leute
erschrecken und ihnen Böses zufügen.
—
Conquista spiritual 52.
—136
Vierter Teil. Die Naturvölker Amerikas.
Etwas eingehender berichtet über die Begräbnisgebräuche Guevara!. Er
sagt: In Paraguay wurde der Leichnam auf einem Stuhle sitzend mit Farben
hemalt oder mit Matten und Federn geschmückt, damit der Verstorbene an⸗
ttändig und ohne zu erröten im andern Leben erscheinen könne. An das Grab
oder in dasselbe legte man Bogen, Pfeile, Kessel, Kalebassen mit etwas Speise
ind Trank (chicha). Nach einigen werden Bogen und Pfeile dem Toten mit⸗
gegeben, damit er imstande sei, sich gegen die Nachstellungen der Feinde zu
berteidigen, nach andern, damit er jagen könne und nicht Hungers sterbe, wenn
der Mais und die Chicha ausgehen. Die Kessel dienen ihm zum Kochen, und
damit das Feuer nicht fehle, haben einige Stämme die Gewohnheit, die Klage⸗
veiber darüber wachen zu lassen, daß das Feuer erhalten werde. Die Kale—⸗
hasse soll dazu dienen, Wasser zu schöpfen und die Hitze zu kühlen, die aus
dem Druck des Grabes entsteht.
Nach Guevara folgten an vielen Orten beim Tode die Frauen ihren Männern
und einige Untertanen ihren Kaziken. Bei der ersten Nachricht vom Tode des
Kaziken und seines Erstgebornen nahmen sich einige Untertanen das Leben, um
ihnen in der andern Welt zu dienen und das Notwendige zu beschaffen. Mit
freudiger Ergebung gingen sie in den Tod, um den Kaziken bzw. den Männern
hre Treue und Liebe zu beweisen. Die Indianer glaubten, die Seele lebe
zwig und ziehe in den Himmel hinauf zwischen die Sterne oder sonst an einen
zlücklichen Ort. „Eine allem Anscheine nach sichere Sache“, sagt Guevara?,
,ist, daß sie die Reise zu den himmlischen Regionen nicht als unmittelbar auf
den Tod folgend ansahen, sondern daß sie der Seele noch einen Aufenthalt
bon mehreren Jahren auf dieser Welt gewährten, damit sie sich nach ihrer
Gewohnheit trösten und zerstreuen könne; doch ging sie nur unsichtbar mit den
Lebenden um und nahm an ihren Übungen teil.“
Kam ein Mädchen in das heiratsfähige Alter, so wurde es einer
Frau übergeben, welche es acht Tage lang zu den schwersten Arbeiten anhielt,
es schlecht ernährte und ihm keinen Augenblick Ruhe gönnte. Aus der Art
und Weise, wie es sich während dieser Zeit benahm, schloß man, ob es
arbeitsam und zur Führung der Haushaltung tauglich sei. Am Ende der be—
ttimmten Zeit wurden ihm die Haare abgeschnitten, wurde es reinlich gekleidet
und ihm all der Schmuck gegeben, mit dem sich das weibliche Geschlecht zu
putzen liebt, und dann wurde es für heiratsfähig erklärt. Es wäre für das
Mädchen ein Verbrechen gewesen, schon vor der Zeit dieser Prüfung mit einem
Manne Umgang zu haben, oder es hätte denn in größter Heimlichkeit geschehen
müssen 8.
Die Guarani glaubten sehr an Wahrsagerei, und es kostete den Mis—
fionären große Mühe, diesen Wahn zu beseitigen. Ihre Gaukler und Medizin⸗
naͤnner hatten gerade dadurch große Herrschaft über sie erreicht, daß sie ihnen
die Überzeugung beibrachten, sie könnlen aus dem Gesang der Vögel manche
Kenntnisse über die Zukunft entnehmen, und sie hätten vom Himmel die Ge⸗
walt erlangt, alle Arten von Krankheiten zu heilen. Aber alle ihre Heilmittel
Historia de la conquista del Paraguay 50. 2 Ebd. 49.
; Charlevoix, Histoire du Paraguay J 183.
2. Die Guaykurus.
137
beschränkten sich auf das Saugen an der kranken Stelle, aus der sie scheinbar
gewisse Gegenstände hervorzogen, die sie vorher in den Mund gelegt hatten
und von denen sie behaupteten, sie seien die Ursache der Krankheit.
Außer diesen Medizinmännern gab es eine zweite Art von Gauklern, die
das Volk hintergingen und gefährlicher waren, nämlich die Zauberer, die be—
haupteten, sie könnten jedem Beliebigen das Leben nehmen. Die Leute glaubten
fest, viele seien durch den Zauber dieser Männer umgekommen, und deshalb
genügte es zuweilen, einen Feind zu haben, um von Schrecken ergriffen zu
werden und sogar zu sterben, wenn man nicht sämtliche Zauberer bezahlen
konnte. Ein Zauberer rühmte sich einmal öffentlich, er werde den Pater de Mon⸗
toya durch seinen Zauber umbringen; als er aber erfuhr, daß dieser über
seine Drohungen lachte, ließ er öffentlich verkünden, sein Geist habe ihm erklärt,
er habe keine Gewalt über die Priester der Christen.
Übrigens, fügen die Missionäre hinzu, könne man sich kaum eine allgemeine
Idee von den Guaranis bilden, da sie sich an den verschiedensten, oft weit
voneinander entfernten Gegenden mit ganz verschiedenem Klima niedergelassen
und die dort herrschenden Sitten und Gebräuche angenommen hätten. Überall
aber fand man sie stumpfsinnig, wild, indolent und äußerst träg und ohne
jede Sorge für die Zukunft. Von ihren alten Überlieferungen sprachen sie
sehr unklar und verworren. Sie redeten von einer allgemeinen Sündflut, aber
das Wort, dessen sie sich dazu bedienten, bezeichnet eigentlich nur eine große
Überschwemmung. Diejenigen, welche sich in den Ebenen niedergelassen hatten,
etwas Landbau trieben und sich von Geflügel ernährten, waren leichter zu be—
handeln und nahmen mehr zuꝰ.
Nach Waitz glaubten die Guaranis ähnlich wie die Tupis, die Seelen der
Tapfern flögen hinter die höchsten Berge, wo sie in Gemeinschaft mit ihren
Vorfahren ein genußreiches Leben führen, während die Trägen und Feigen von
Agnan gequält würdens.
Wie bildungsfähig die Guarani waren, haben sie durch die Tat bewiesen.
Mit großer Leichtigkeit lernten sie in den von den Jesuiten gegründeten Dörfern
(Reduktionen) die verschiedensten Handwerke. Besonders in Musik und Gesang
zeichneten sie sich bald aus. Ihre Wohnungen, die früher nur aus Binsen
und Lehm gebaute Hütten waren, wurden bald reinliche, wohleingerichtete Woh⸗
—X0 Sittenreinheit
und Frömmigkeit so aus, daß sie die Europäer beschämten.
2. Die Guaunkurus.
Mit den Guaykurus, an den beiden Ufern des Pilcomayo bei dessen
Mündung in den Paraguay, kamen die Spanier zuerst im Jahre 1542 in
nähere Berührung. Schon ihre erste Begegnung mit den Eroberern zeigte,
daß sie Edelsinn zu würdigen wußten. Sie waren in einer Schlacht von den
Spaniern besiegt worden. Der spanische Gouverneur knüpfte mit ihnen Ver⸗
Ebd. 188—2 184. Ebd. 184.
Anthropologie der Naturvölker III 418: nach Lery, der aber nur von den Tupis redet.
—138 Vierter Teil. Die Naturvölker Amerikas.
handlungen an und sandtie ihnen die in der Schlacht Gefangenen zurück. Nun
kamen die Guaykurus und boten ihre Unterwerfung an. Der Gouverneur er⸗
klärte ihnen, er sei in das Land gekommen, damit alle seine Bewohner die
wahre Religion annähmen und unter der Herrschaft des Kaisers im Frieden
miteinander lebten. Er ließ dann alle Gefangenen frei, selbst die, welche in
der Stadt Asunciön waren, und machte ihnen reiche Geschenke. Die Wilden
waren so entzückt über diese Handlungsweise und die Güte des Gouverneurs,
daß sie sofort dem Kaiser unverletzliche Treue schworen. Leider haben die
Spanier sie später nicht immer so liebevoll behandelt.
Schon Lozano! und Charlevoirx? haben die Guaykurus auf Grund
der Missionsberichte eingehend geschildert; noch ausführlicher ist die Darstellung,
die uns Sanchez Labrador 8. J. in seinem Buche RI Paraguay catôlico?
hinterlassen hat.
Die Guaykurus nannten sich selbst Ehiguayeguis; von den Spaniern wurden
sie Mbayas oder auch Guaykurus genannt. Die Gegend, welche die
Guaykurus bewohnten, war sehr fruchtbar, blieb aber infolge der Trägheit
seiner Bewohner fast ganz unbebaut. Der Gestalt nach waren die Guaykurus
groß und stark, in Gesichtszügen und Farbe unterschieden sie sich wenig von
den Spaniern“. Beide Geschlechter pflegten sich den Leib zu bemalen und
auch zu tätowieren. Während die Männer als äußerst träg, stolz und schamlos,
verden die Frauen als arbeitsam und viel sittenreiner geschildertß. „Der
größere Teil von ihnen sind bescheiden in ihrer Kleidung und in ihren Ma—⸗
nieren und zwar viel mehr, als man bei einer so barbarischen Nation erwarten
sollte.“ Es gibt übrigens auch Männer, versichert P. Labrador, die genügendes
dicht der Vernunft haben, um die Verwerflichkeit der Ausschweifungen ihrer
Landsleute und Verwandten einzusehen. Sie verabscheuen sie und hüten sich
mitzutun. Während die Männer in der warmen Jahreszeit auch nicht einen
Faden am Leibe trugen und zu andern Zeiten nur einen dürftigen Mantel
sich umhingen, gingen die Frauen nie nackt. Wenn sie die Hütte verließen,
waren sie mit einem großen wollenen Mantel bedeckt, den sie zur Hälfte an den
Hüften festbanden, so daß er sie bis zu den Füßen bedeckte, die andere Hälfte
kreuzten sie über die Brust. Außerdem trugen sie noch ein inneres Kleid, ein
biereckiges Stück Tuch, das sie wie eine Hose um die Lenden banden. In der
Hütte bei der Arbeit hatten sie einen kürzeren Mantel, den sie über der Brust
befestigten und der ihnen die Arme zu den häuslichen Arbeiten frei ließ s. Natürlich
hatten außerdem beide Geschlechter ihren Festtagsstaat für besondere Gelegenheiten.
An eine geordnete Sorge für den Haushalt ist bei diesen trägen Wilden,
die sorglos in den Tag hineinleben, nicht zu denken. Die einzige Sorge der
Männer sind ihre Pferde und ihre Waffen. Die Frauen dagegen sind vor⸗
Descriptio chorographica Magni Chaquii auctore Petro Lozano S. J. Typis
adita idiomate hispano per Petrum Lozanum. Nunc vero latine reddita à P. J. Bapt.
Speth S. J. Annis 1733 et 1736. (Manujskript im Vrivatbesitz.)
* Histoire du Paraguay IGo ff.
Das Buch ist im Druck erschienen zu Buenos Aires im Jahre 1910. Das Manu⸗
kript datiert aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts.
Labrador. El Paraguay catolico I2, 244 - 245 f. s Ebd. 254. s Ebd. 280.
2. Die Guayhkurus.
139
ichtig und bewahren ihr Mehl und ihre andern Vorräte wie gute Hausmütter,
um sie unter die Kinder zu verteilen, wenn diese weinend zu essen verlangen.
Doch findet sich hier und da ein Mann, der von der Jagd Stücke Fleisch nach
Hause bringt und von Zeit zu Zeit etwas davon herunterschneidet. Die Frauen
dewahren auch die Früchte auf, die sie gepflanzt. Die Sklavinnen müssen
früh hinaus, um Holz und Wasser zu holen. Die Frauen müssen Matten,
Krüge, Töpfe verfertigen, nähen, kochen usp. Die Erziehung der Knaben ver—
aachlässigen sie fast ganz; diese werden nie angehalten, die Eltern zu ehren und
hnen zu gehorchen. Bis etwa zum zwölften Jahre erzeigen sie ihnen eine
äbertriebene Zärtlichkeit, sie strafen und tadeln sie nie; auch lassen sie dieselben
wie ihre Väter nackt und schamlos herumlaufen, so daß man sagen kann, bei
den Guaykurus zeige bloß das eine Geschlecht Schamhaftigkeit1.
Eigentliche Gesetze gibt es bei den Guaykurus nicht. Die schlimmsten Ver—⸗
hrechen läßt man ungestraft durchgehen. Der Ehebruch ist bei ihnen straflos,
er gilt als eine geschlechtliche Unordnung, über die man lacht; nur hier und
da nimmt der beleidigte Mann Rache dafür, indem er die schuldige Frau ver—
stößt oder sich von der Eifersucht zu sonst einer voreiligen Handlung hinreißen
läßt. Bei gewissen Mondvierteln und namentlich bei Vollmonden kommt es
beim Klang einer kleinen Handtrommel zu groben Ausschweifungen, und das
Gestirn sieht mehr dunkle Flecken im Land der Guaykurus als die Astronomen
in ihm. „Sie erkennen zwar die Verwerflichkeit dieses Lasters, lassen es aber
meist ungestraft durchgehen.“?
Der Mord ist bei den Guaykurus selten; kommt er aber vor, so betrachten
alle den Mörder als einen Mann, der sich seiner Gegner zu entledigen weiß.
Er geht ohne Furcht in den Wohnungen ein und aus. Der Tote wird be—
weint und der Delinquent triumphiert. Zuweilen kommt jedoch die Rache.
Wenn ein Feind dem andern in unbewachten Augenblicken begegnet, so raubt
er ihm für wirkliches und eingebildetes Unrecht das Leben. Die Verwandten
des Getöteten suchen auch Rache zu nehmen, und sie finden leicht jemand, der
ihnen diesen Trost verschafft. Dieser geht friedlich in die Hütte des Mörders
und wartet auf ein Trinkgelage. Wenn dann das Opfer betrunken ist, erhält
es seinen Todesstoß. Der Täter bleibt straflos oder wird höchstens getadelt,
daß er frevelhaft ohne Urteil gehandelt habe.
Die gewaltsamen Todesfälle sind nicht häufig, weil sie durch Faustschläge
erlittenes Unrecht zu rächen suchen. Die Streitenden fordern sich in einiger
Entfernung gegenseitig heraus; die Menge schaut im Kreise herum zu, und
dann ergreifen sie sich gegenseitig mit Wut. Bei jedem wohlgezielten Faustschlag
applaudiert die gaffende Menge. Auch die Weiber tragen ihre Streitigkeiten
öffentlich aus, indem sie unter dem Zusammenlauf sämtlicher Weiber des Dorfes
sich gegenseitig alle Schande zurufen und sich zerkratzen, bis sie müde sind und
sich in ihre Hütte zurückziehen. Die Männer schauen ruhig und lachend diesem
Schauspiele zu s8.
Den Diebstahl und die Diebe verabscheuen die Guaykurus sehr. üÜbrigens
begünstigen sie in ihrer Barbarei diese Unordnung. Wenn der Dieb das Ge—
— — — —
1Ebd. 293. 2 Ebd. 302. s Ebd. 302 -303.
140 Vierter Teil. Die Naturvölker Amerikas.
ttohlene zurückbringt, so bezahlen sie ihm den Preis dafür wie bei einem
Kauf. Fehlt einem die Decke in seiner Wohnung, so verkündet er es, geht
im Dorf herum, um sie zu suchen, und sagt, der, welcher sie habe, solle sie
zurückgeben, er werde den belohnen, der ihm die Sache übergebe. Der Dieb
zibt sie her und erhält dafür den Preis oder Lohn. Werden einem Pferde
gestohlen, so hält er sich an dem Diebe schadlos, indem er ihm ebenfalls Pferde
ttiehlt, wenn er welche hat; sonst sucht er einfach das gestohlene Tier wieder
zu erlangen. Die Missionäre hatten am Anfang viel unter dieser Gewohnheit
zu leiden. Oft wäre es für sie wohlfeiler gewesen, die gestohlene Sache einfach
wieder zu kaufen, als alle die zu befriedigen, welche eine Bezahlung verlangten,
weil sie sich um die Sache bemüht oder sie herbeigebracht oder angezeigt hatten.
Dabei mußten sie noch die Ehrlichkeit der Leute loben, um überhaupt die
Diebstähle zu entdecken. Eines Tages wurde ein Greis ertappt, der in der
pflanzung der Missionäre stahl. Als er vor den Missionär gebracht wurde,
fragte ihn dieser in gütigem Tone: „Mein Sohn, warum stiehlst du?“ Er
antwortete ganz offen: „Mein Vater, ich bin kein Dieb; ich bin bloß da
hineingegangen, um etwas zu essen zu haben, denn ich hatte Hunger.“
Ein sehr verbreitetes und tiefgewurzeltes Laster der Guaykurus ist die Ver—
logenheit und Verstellung. Dabei rühmen sie sich oft ihrer Ehrlichkeit
und Wahrhaftigkeit, aber gerade dann muß man am meisten auf seiner Hut
sein. Sehr oft sagen sie gerade das Gegenteil von dem, was sie im Schilde
führen. Was sie am meisten zu diesem Verhalten antreibt, ist das größte
Mißtrauen, das sie gegen Spanier und Christen hegen. Schließlich haben sie
ich aber doch überzeugt, daß man ehrlich und gerade mit ihnen verfährt, und
besonders die Missionäre erwarben sich bei ihnen in hohem Grade den Ruf
der Wahrhaftigkeit und Treue in Bezug auf alles, was sie ihnen zu ihrem
zeitlichen und ewigen Wohlergehen sagten.
Angesichts so vieler Laster kann man fragen, wie es möglich sei, daß sie
sich nicht gegenseitig zu Grunde richteten. Der Grund hiervon ist nach den
Missionären nicht in weisen Gesetzen zu suchen, sondern in einem stillschweigenden
Gefühl der Solidarität, das sie antreibt, sich gegenseitig zu schonen und zu
erhalten. Deshalb greifen sie auch freiwillig und gemeinsam zu den Waffen,
um ihre Feinde zu bekriegen und mit reicher Beute und vielen Gefangenen
heimzukehren?. Einige Schriftstellers haben sehr die militärische Organisation
der Guahkurus gelobt. Sie sollen sich fleißig im Kriegshandwerk üben und
auch mehrere militärische Grade haben, die sich durch ihre Tracht voneinander
unterscheiden. Das behaupteten diese Schriftsteller vom bloßen Hörensagen.
dabrador, der lange in ihrer Mitte gelebt hat und ihre Sitten und Sprache
gründlich kannte, bezeichnet diese Schilderungen als Fabeln. Jeder einzelne
aͤbt sich wohl im Gebrauch der Waffen auf der Jagd, aber geregelte militärische
Aübungen gibt es nicht und ebensowenig militärische Grade. Jeder tut, was
er will. Wenn man einen Krieg gegen die Feinde unternimmt, so trommelt
nan einen oder zwei Tage vorher unaufhörlich vor der Hütte des Häuptlings,
1Labrador, El Paraguay catôlico J 2, 304. 2 Ebd. 306.
3 8. B. Lozano, Descriptio chorographica Magni Chaquii.
2. Die Guaykurus.
141
der Leule wirbt. Wer will, kann sich ihm anschließen und sein Glück ver—
suchen, aber niemand zwingt ihn. Die Kriegführung besteht darin, daß man
mn einem Versteck dem Feinde auflauert und bei günstiger Gelegenheit regellos
über ihn herfällt. Was einer erbeutet, gehört ihm; von einer Teilung der
Beute ist keine Rede. Deshalb sucht auch jeder, unbekümmert um die andern,
o viel zu erbeuten und in Sicherheit zu bringen, als er kann, weil das alles
ihm gehört. Nur selten, wenn von einem mächtigen Feinde Gefahr droht,
ziehen alle in den Krieg, und in diesem Falle beobachten sie etwas mehr
Ordnung. Sie unternehmen nie Kriege, um ihr Gebiet zu erweitern, sondern
nur um Rache zu nehmen oder Beute zu machen. Namentlich suchen sie Ge⸗
fangene heimzuschleppen, besonders Kinder. Der, welcher am meisten Gefangene
gemacht hat, gilt als ein großer Held, wird geachtet und gelobt. Wenn sie
einige Feinde, besonders Christen, getötet haben, so nehmen sie den Kopf als
Beute mit. Der Kopf wird auf dem Boden mitgeschleppt, das trägt dazu
bei, die alten Weiber in Wut zu versetzen, und dient den Knaben als Ziel—
scheibe fur die Pfeile. Haben sie keinen Schädel, so nehmen sie die Haare
seines Erschlagenen (den Skalp) als Triumphzeichen. Die Kinder beiderlei Ge⸗
schlechts werden als Gefangene behalten, auch einige Frauen werden verschont;
die andern gefangenen Frauen und die gefangenen Männer alle werden mit
der Lanze und dem Schwert getötet!.
Ein grobes Laster der Guaykurus ist ihre Leidenschaft für berauschende
Betränke und damit zusammenhängend die Ausschweifung. Den Trank (Nudagi
oder Chicha) bereiten sie aus wildem Honig, den sie in den Wäldern sammeln.
Ganze Tage lang dauern diese Trinkgelage, bei denen sich nicht nur die Männer,
sondern auch die Weiber betrinken. Nur die Mädchen werden zu diesen Trink—
gelagen nicht zugelassen, damit sie nichts Unschickliches lernen. Es gibt aber
Männer, die sich in ihrem ganzen Leben nie betrunken und nie an den Trink⸗
zelagen teilgenommen haben. Niemand wird überhaupt gezwungen, bei diesen
Festen mitzutun?.
Von den vielen Festen der Guaykurus erwähnen wir das Fest der Jüng—
lings- oder Männerprobe. Wenn die Knaben ins Alter von 12 bis 16 Jahren
ommen, müssen sie ihre Männerprobe bestehen, um in die Reihen der Krieger
aufgenommen zu werden. Wer der Knabenzeit entsagen will, malt sich blau
und weiß, schmückt sich festlich mit Federn und andern Dingen und trommelt
mit der Handtrommel eine ganze Nacht und den folgenden Tag bis zum
Sonnenuntergang. Bevor die Sonne verschwindet, kommt ein Nigienigi oder
Arzt, nimmt ein spitzes Instrument aus Tigerknochen und zersticht den Knaben
am ganzen Leibe, selbst an den Schamteilen. Der Knabe wird ganz mit
Blut bedeckt, trägt aber die größte Heiterkeit zur Schau. Nun gehört der
Jüngling zu den Männern. Das Fest endet mit einem feierlichen Trinkgelage
auf Koften des Neueingeweihtens. Von dem schimpflichen und obszönen Voll—-
Rondfest war schon die Rede. Ein Hauptfest ist das Fest der Plejaden.
Diese Sterne verschwinden auf der südlichen Hemisphäre für einige Monate;
wenn sie wieder am Horizont erscheinen, erfreut sich das ganze Volk an ihrem
— — — —
Labrador sa. a. O. 311. s3 Ebd. II 6G. 3 Ebd. 8-9.
142
Vierter Teil. Die Naturvölker Amerikas.
Anblick. Sofort reißen sie ihre Hütten nieder und nehmen alle Matten weg,
um, wie sie sagen, das Glück für das kommende Jahr zu sichern und die
Krankheiten zu vertreiben. Doch verehren sie die Plejaden nicht als Gottheit,
sondern nur als den Beginn der guten Jahreszeit.
Die Guaykurus haben zwei Klassen von Häuptlingen. Zur ersten gehören
die, welchen diese Wurde durch Abstammung zukommt; zur zweiten die, welche
durch Gnade dazu erhoben werden. Alle heißen Niniotagi, mit dem Unter⸗
schied, daß die wirklichen Häuptlinge ihrem Namen den Beinamen Große
Häuptlinge hinzufügen, die übrigen dagegen den Beinamen Kleinere Häuptlinge
oder Unterhäuptlinge. Zu den Häuptlingen durch Geblüt gehört vor allem der
Kazike, der Stammherr eines Distriktes und der Herr der übrigen Kaziken im
Distrikte. Er heißt Niniotagieliodi oder Großkapitän. Sodann gehören zu
den Häuptlingen durch Geburt alle seine Nachkommen und Verwandten beiderlei
Geschlechts, in welchem Grad sie auch mit ihm verwandt sind. Der bloße
Nachweis dieser Verwandtschaft erhebt sie zum Haupt der Partei, die ihnen
anhängt. Sie heißen Ninionigilionigi oder Unterhäuptlinge. Zur zweiten Klasse
der Häuptlinge gehören alle diejenigen, die bei der Geburt eines Sohnes des
Kaziken diesen Titel in der Wiege erhielten; das sind geringere Häuptlinge,
die den Titel Ninionig-Iguaga führen. Der Unterschied zwischen beiden Klassen
besteht darin, daß bei den Häuptlingen von Geburt der Titel und die Ehre
des Amtes auf alle Kinder, männliche und weibliche, und überhaupt alle Nach⸗
kommen übergeht; bei den übrigen aber nicht, die Würde erlischt mit dem
Tode des Trägers!. Außerdem sind die Häuptlinge durch Geburt die Häupter
hrer Familien und Soldaten. Deshalb trennen sie ihre Wohnung von den
übrigen Häuptlingen und deren Verwandten. Der Stolz der Guaykurus ist
zu groß, als daß sie sich denen unterwürfen, die ihnen an Grad und Adel
gleich sind. Selbst dann, wenn alle an demselben Orte zusammenkommen,
legen sie ihre Matten nach der Ordnung der Hauptmannschaften. Auf diese
Weise erhalten sie ohne Verwirrung den Frieden und die Eintracht, ohne über
ihre Sphäre hinausstreben zu wollen. Die Häuptlinge durch Gunst haben nur
den Titel, sie bleiben Soldaten und ihren gebornen Häuptlingen unterworfen
wie alle andern2.
Wenn einem von den höchsten Kaziken ein Sohn geboren wird, so feiert
man ein großes Fest, bei dem alle, Männer und Weiber, ihrer Freude über
die Geburt des Kindes Ausdruck verleihen. das sie als den Erhalter ihres
Stammes ansehen b.
In keinem Punkt zeigt sich der Wankelmut und die Unbeständigkeit der
Guaykurus mehr als in ihren Heiraten. Sie prahlen zwar immer damit,
daß man auf ihr Wort bauen könne; aber gerade die Ehen zeigen, wie wenig
man auf ihr Wort vertrauen kann. Die Ehen dauern nur so lange als ihre
blinde Neigung. Sie haben zwar immer nur eine Frau, weil ihre Armut
ihnen nicht gestattet, mehrere Frauen zu halten; aber bei der geringsten und
frivolsten Ursache trennen sie sich. Selten verlangt die Frau die Scheidung.
Labrador, El Paraguay catolico II 19-20. 2 Ebd. 20.
3Ebd. 14-15.
2. Die Guaykurus.
143
Gewöhnlich betreibt sie der Mann, um mit einer andern Frau leben zu können,
und er braucht dafür nichts Schlimmes zu fürchten; höchstens hört er von den
Beleidigten den Vorwurf, er sei ein böser Mensch, weil er seine Frau entlassen
habe. Selbst das Vorhandensein von Kindern und das Alter vermögen das
Eheband nicht zu befestigen. Die Männer überlassen ohne Zeichen der Pietät
ihre Kinder den Frauen. So schamlos sind sie, obwohl sie ein Wort für
Scham haben. Doch kannte P. Labrador auch einige Männer, die in hohem
Alter sich rühmten: ich habe nur diese eine Frau gehabt; desgleichen kannte er
einige wenige Fälle, in denen ein Mann gleichzeitig zwei Frauen hatte, die
aber in verschiedenen Dörfern wohnten?.
Vielleicht ist die Leichtigkeit der Ehescheidung der Grund, warum die Guay—
kurus bei Eingehung der Ehe so wenig Zeremonien machen. Wenn einer ein
Mädchen heiraten will, so braucht er nur die Einwilligung der Eltern des
Mädchens und die des Mädchens selbst zu erlangen und dann die Braut mit sich
in seine Hütte zu nehmen. Damit ist die Ehe geschlossen. Gewöhnlich heiraten
die jungen Männer nicht vor dem 25. bis zum 30. Jahre, und zwar bloß um
ungebunden leben zu können. — Solange die Ehe dauert, werden die Frauen
ziemlich gut behandelt. Der Mann muß die Hütte mit Wildbret und anderer
Nahrung für die Familie versehen, die Frau besorgt das Palmmehl, sammelt
Kokbsnüsse, Wurzeln und Früchte. Wenn die Frau die Hütte verläßt, be—
sonders zu bestimmten Handlungen, so begleitet sie der Mann fast immer; das
geschieht aber nur aus Eifersucht, weil man sich gegenseitig mißtraut. Die
Frau muß das schweigend und mit fröhlicher Miene ertragen, um nicht die
Eifersucht des Mannes zu erregen. Aus diesem Grund dürfen auch die Weiber
selten die Hütte verlassen und müssen vorsichtig sein in Bezug auf Zeit und
Umstände2.
Keine Gewohnheit verpflichtet die Guaykurus, sich nur mit Mädchen aus
hrer Nation zu verheiraten; sie heiraten zuweilen gefangene Spanierinnen oder
Frauen aus andern Stämmen; meistens jedoch nehmen sie die Frauen aus
dem eigenen Volk. Wenn ein Guqykuruhäuptling eine Gefangene oder Sklavin
heiratet, bleibt das Weib in ihrer Stellung und dient als Magd.
Eine dunkle Seite, die mit ihrem ausschweifenden Leben zusammenhängt,
ist das häufige Vorkommen des Abortus und des Kindermordes. Die
unverheirateten Mädchen treiben dies grausame Geschäft im geheimen, die ver—
heitateten Frauen dagegen ganz offen, indem sie die Kinder schon im Mutter⸗
schoß töten oder gleich nach der Geburt umbringen. Doch gibt es auch hier
wie bei den Ägyptern barmherzige Hebammen, die die neugebornen Kinder am
Leben erhaltens. Auch Zwillinge werden von den grausamen Müttern regel—
mäßig dem Tode geweiht; doch muß in diesem Fall der Zauberpriester mit—
wirken. Daß bei diesem grausamen Verfahren wenig Kinder am Leben blieben,
ist nicht zu verwundern. P. Labrador erzählt, er habe in allen Dörfern der
Guaykurus nur vier Ehepaare gekannt, die zwei Kinder hatten, alle andern
jatten nur eines oder gar keines.
Ebd. 25. 2 Ebd. 26-27.
8 Ebd. 50.
144
Vierter Teil. Die Naturvölker Amerikas.
Wie fast alle Naturvölker haben auch die Guahkurus ihre Zauberer und
Wahrsager, Männer und Frauen, die nach der Überzeugung des Volkes
nit den Geistern in Verbindung stehen und von diesen die Ursachen und Heil—
nittel der Krankheiten und viele verborgene Dinge erfahren. Ein Haupt⸗
verkzeug ihrer Kunst ist ein leerer Kürbis, der mit trockenen Früchten gefüllt
vird und beim Schütteln einen harmonischen Klang von sich gibt. Aus ihm
bernehmen sie Geisterstimmen, die die Krankheit angeben, dann tanzen sie und
saugen an den kranken Stellen usw. Sie werden von dem leichtgläubigen
Volke sehr gefürchtet. Wer ein Nigienigi (Zauberer) werden will, muß bei
den alten Zauberern einen Lehrkursus durchmachen und verschiedene Proben
bestehen. Merkwürdig ist die Geduld, mit der die Kranken ohne Klage die
größien Schmerzen erdulden, und der stoische Gleichmut, mit dem sie die An—
kündigung ihres baldigen Todes vernehmen. Noch bevor der Kranke aus—
gehaucht, fangen die verwandten Weiber an, Zeichen der Liebe und des
Schmerzes zu geben. Ist es ein Mann, so werden Kopf, Arme und Brust
mit schwarzer Farbe bemalt und der Kranke mit den besten Kleidern angetan,
damit die Seele, wenn sie in das Land der Toten gelangt, als
reich und wohlwollend anerkannt werde. Ist die Sterbende eine Frau, so
werden ihr die Haare zurechtgestutzt und wird sie in ihrer Weise bemalt.
Ist der Kranke gestorben, so beginnt ein allgemeines Heulen, Klagen und
Weinen. Man erwaͤhnt seine guten Eigenschaften und bedauert, daß man ihn
berloren hat. Dann wickelt man ihn in eine Matte, und zwar in sitzender
Stellung, und schmückt ihn so gut, als man kann. Nun wird er auf eines
der Pferde gelegt, die ihm im Leben dienten, und an einen einsamen Ort ge—
bracht, wo die Begräbnisstätte ist. Diese besteht in einer Hütte mit ihren Ab⸗
teilungen, die den gewöhnlichen Wohnungen für die Lebenden gleichen. Hier
kennt jede Familie die Stelle, wo ihre Toten begraben sind. Mit dem Ver—
storbenen werden die Schmucksachen begraben, und wenn es ein Mann ist, auch
seine Waffen. Das Grab ist nicht tief; ist der Tote hineingesenkt, so wird er
mit etwas Erde zugedeckt, dann legt man eine kleine Matte darauf und auf
diese werden einige feingearbeitete Krüge gestellt. Nahe beim Grabe werden
die Holzpfeiler befestigt, die er während des Lebens in seiner Hütte gehabt.
Wenn er Pferde hatle, werden einige davon getötet, damit er sich ihrer im
jenseitigen Zustand bedienen und besser reisen könne. Die bemalten und
schönen Krüge sollen dazu dienen, daß er Wasser habe und seine Geräte ge—
hrauchen könne. Von Zeit zu Zeit besuchen die Verwandten die Grabstätte
und erneuern fleißig die Matten, damit die Sonne und der Regen die dort
Ruhenden nicht belästige!.
Eine ältere Geschichte des Gran Chaco erzählt, daß bei dem Tode eines
Kaziken viele Verwandte und Diener getötet wurden oder sich selbst töteten, um
ihren kleinen König in die andere Welt zu begleiten und ihm dort zu dienen.
Heute, sagt Labrador, kommt so etwas nirgends mehr vor?.
über die Religion der Guayhkurus sagt derselbe Schriftstellers: „Aus
allem Gesagten ergibt sich mit ziemlicher Ebidenz, daß die Eyiquayeguis keine
1Labrador, ElI Paraguay catolico II 47. 2 Ebd. 48. s Ebd. 53.
2. Die Guaykurus.
145
lare Erkenntnis Gottes haben und daß sie wie Atheisten leben.“ Wenn er be—
hauptet, dieses Volk habe keine klare Erkenntnis Gottes, so deutet er damit an,
daß sie eine dunkle Ahnung von ihm haben, aber sie erweisen ihm keine Ver—
ehrung, leben also wie Atheisten!. Die Guaykurus haben nach Castelnau?
folgende sonderbare Überlieferung. Bei der allgemeinen Erschaffung
zab der Große Geist jedem Volke eine besondere Eigenschaft.
Die Weißen erhielten den Handelsgeist, andere den Instinkt für den Landbau.
Der Guahkuru allein war vergessen worden und suchte deshalb den Großen
Geist auf, um sich bei ihm zu beklagen. Er durchzog die ungeheure Wüste
des Gran Chaco und sprach zu jedem Tier und jeder Pflanze, die er traf.
Endlich sagte ihm der Caracara (eine Art Adler Brasiliens): „Du beklagst
dich, und doch hast du das glücklichste Los, da du nichts erhalten hast, so
darfst du das nehmen, was die andern besitzen, deshalb mußt du alles nieder—
machen, was dir begegnet. Der Guagykuru befolgte diese Lehre und tötete mit
einem Stein den Caracara. Seither rühmt er sich, der Lehre desselben treu
geblieben zu sein. Auch die Freudenbezeigungen und Tänze beim Wieder—
erscheinen der Plejaden sind nicht als religiöse Handlungen mit dem Charakter
der Idolatrie aufzufassen. „Die natürliche Pietät, die sie gegen ihre Ver—
storbenen hegen, und die Gebräuche, die sie durch Schmückung der Leichen usw.
beobachten, bekunden ihren Glauben, daß die Seele unsterblich ist und daß
es ein anderes zukünftiges Leben gibt. Jedoch sind die jenseitigen
Länder nicht anders als die, in denen er sich im Leben mit seinen Hütten
bewegte. Sie haben keinen Begriff von einem Lohn der guten Werke im
Himmel oder von einer Strafe der bösen für eine ganze Ewigkeits. Die
Toten leben in einem etwas besseren Zustand bei Tänzen, Unterhaltungen und
andern Übungen, die sie nicht ermüden. Aber alles das tun sie in der Nähe
der Grabstätten. Die Seelen zu beunruhigen, betrachten sie als einen gott⸗
losen Skandal“, und nichts entflammt ihren Haß mehr, als wenn einige wilde
mLabrador erzählt (ebd. 52), einst habe er erklärt, wie Gott uns das Dasein
gegeben und alle sichtbaren und unsichtbaren Dinge aus dem Nichts hervorgebracht habe.
Da unterbrach ihn eine alte, noch heidnische, aber geweckte Kazikin und fagte: „Pater,
dieser Gott, von dem du redest, ist der Gott der Spanier, aber nicht der der Eyiguaye⸗
Juis.“ — „Doch, er ist der Gott aller, und wir alle sind seine Geschöpfe.“ — Nein,
Pater, denn fiehe, den Spaniern hat er Honig, Zucker, Brot, Fleisch usw. gegeben; gegen
die Eyiguayeguis ist er aber nicht so freigebig gewesen.“ — „Er hat euch mit derselben
diebe behandelt; denn er hat euch Hirsche, Tapire, Fischereien, Palmen usw. geschenkt
und euch Pferde und Angeln zum Jagen und Fischen gegeben. Er hat auch die Binsen
zeschaffen, die euch als Wohnung dienen, und die Baumwolle für eure Matten. Sage
mir, Margareta (so hieß die alte Frau), erwerben die Eyiguayeguis, die fich Mühe
geben, nicht alle die genannten Dinge? Finden sie nicht den süßen Honig in den Bäumen
des Waldes? Und dann find auch das Leben und alle Bewegungen, die Gesundheit und
Beschicklichkeit Gaben Gottes. Die Spanier erwerben deshalb alle die Sachen, die du
desehen hast, weil sie arbeiten, wie es Gott befohlen hat.“ Das leuchtete der Indianerin
ein und sie gab fich zufrieden. Gerade die Leichtigkeit, mit der sich die Wilden von den
Misfionären über das Dasein und die Eigenschaften Gottes belehren ließen. beweist, daß
fie eine dunkle Ahnung von Gott in ihrem Herzen trugen.
Expédition dans les parties centrales de l' Amérique du Sud II 895.
Vgl. übrigens das weiter unten Gesagte.
Lathrein, Die Einheit d. sittls. Bewußtseins. III.
9
146
Vierter Teil. Die Naturvölker Amerikas.
Nachbarstämme an den Gräbern der Guaykurus die Waffen und Gerätischaften
stehlen 1.
Von dem Teufel bilden sie sich eine konfuse und allgemeine Idee. Die
Männer nennen ihn Ayamarigodi und die Weiber Guayemagayego. Das
letztere Wort erläutert ihre Idee, denn es bedeutet das Wesen des Kummers
und der Unglücksfälle. Alles Unglück und Leiden kommt von ihm, wie sie be⸗
haupten. Sie haben keinen Begriff von seiner Geistigkeit und von sonst irgend
einer Eigenschaft des Vaters der Lüge.
„Ich habe nicht genau erfahren können“, schreibt Labrador, „was sie mit
diesem Worte „Iguogolitaga‘ bezeichnen. Sie sagen, es bedeutet ein großes
Feuer, das nie erlischt. Sie fügen hinzu, daß in diesem Feuer diejenigen
hrennen, die in diesem Leben schlecht gewesen sind. Sie wissen
aber nicht, an welcher Stelle das Feuer brennt und wer die Schlechten sind,
da alle Laster bei ihnen als Belustigungen hingehen. Das Übel, das die
Eyiguayeguis am meisten ins ewige Feuer bringt, ist ihre schamlose Aus⸗
schweifung; sie erkennen zwar in etwa ihre Verwerflichkeit; aber
sie halten sie für Unterhaltungen lustiger Personen. Die Kinder, welche ihren
schmutzigen und feurigen Begierden entspringen, nennen sie Kinder der Lust.
Es ist gewiß, daß sie das gewöhnliche Feuer Nuledi nennen und es von dem
unterscheiden, das sie Iguogolitaga nennen. Ich stellte einige Nachforschungen
in über diesen Begriff, um im Katechismus den Artikel über die Hölle an⸗
zubringen. Ich gebrauchte das gewöhnliche Wort für Feuer und fügte die
Beiwörter groß und ewig hinzu. Bei dieser Gelegenheit sagten sie mir, was
das oben genannte Wort bedeute. Übrigens wagte ich nicht, dieses Wort
zu verwenden, da ich sah, daß es wenig gebraucht war und daß es, genau
genommen, in ihrer Sprache die nächtlichen Feuersignale oder die Feuerkohlen
bezeichnet in Verbindung mit dem Namen des Holzes, das sie verbrennen
und Iguogoli nennen. ... Nichtsdestoweniger scheint es, daß sie in dem ge—
nannten Feuer in ihrer Weise eine Art Strafe für die bösen Seelen,
wenigstens eine zeitweilige, anerkennen.“?
3. Die Mobobier.
Die Mokobier (Mocobis) wohnten im 18. Jahrhundert im südlichen Teil
des Gran Chaco an den beiden Ufern des Rio Vermejo, einem Nebenflusse des
Paraguay, und zum Teil noch südlicher, im Norden des heutigen Argentinien.
Der Name Mokobier stammt, wie der deutsche Missionär P. Baucke?
berichtet, von den Spaniern, sie selbst nannten sich Amokowit. Ursprünglich
kamen sie den Spaniern freundlich und vertrauensvoll entgegen; aber die Be—
drückungen und Betrügereien der letzteren erfüllten sie mit wildem Haß, so daß
Labrador, EBl Paraguay catôlico II 54. 2 Ebd. 55.
Vgl. P. Florian Baucke, ein Jesuit in Paraguay 1749 -1768. Nach deffen
Aufzeichnungen von A. Kobler 8. J., Regensburg 1870. Manche Ergänzungen zu diesem
Buche enthält die Schrift: P. Florian Baucke, ein deutscher Missionär in Paraguay.
Nach den Aufzeichnungen Bauckes neu bearbeitet von A. Bringmann 8. J., Frei⸗
burg 1908.
3. Die Mokobier.
147
sie fich mit den Tobas und den Akallagankis gegen die fremden Eroberer ver—
hbündeten, deren Städte und Ansiedlungen überfielen, viele Spanier töteten und
große Viehherden raubten. Es gelang den Spaniern nicht, sich dieser kühnen
berittenen Krieger zu erwehren, bis die Jesuiten als Missionäre sich in ihrer
Mitte niederließen und feste Reduktionen gründeten.
Im Zustand der Wildheit gingen die Mokobier, wie es scheint, ganz un⸗
bekleidet; erst nachdem sie mit den Spaniern in Berührung kamen, bedeckten
sie sich mehr oder weniger. Das Haupikleidungsstück bestand in einer durch
anges Schaben weich und geschmeidig gemachten Tierhaut. Die Kinder bis zum
ieblen Jahre blieben nach wie vor ganz nackt. Die Frauen trugen wenigstens
eine lange, schmale Schürze; außerdem aber noch meistens eine aus Fischotter⸗
ellen zusammengenähte und mit roten Farben bemalte Decke, die so um die
Mitte des Leibes gebunden wurde, daß sie doppelt herabfiel. Wenn es die
Kälte nötig machte, wurde der obere Teil hinaufgezogen 1.
Die Sprache der Mobobier schildert Baucke als reich und biegsam. „Es
zibt kein Glied, keine Ader, keine Sehne, kein Bein am Menschen oder Tier,
die nicht ihre besondern Namen hätten. Eine und dieselbe Sache hat ver—
chiedene Namen, je nachdem sie zu diesem oder jenem gebraucht wird.“ Alle
Fürwörter, Beiwörter, Hauptwörter, alle Eigennamen und überhaupt alle Wörter
önnen konjugiert werden, und zwar bedeutet die Zusatzsilbe quet die halb⸗
»ergangene, das beigefügte Wort nalliacata oder nalliaca die vergangene,
aalliacou die längstvergangene, die Silbe o die zukünftige Zeit, und ein vor—
gesetztes nozogdi drückt den Optativ aus ꝛ⁊c.⸗
Bei den Mobvobiern ist es nicht Gebrauch, frühzeitig zu heiraten. Der
unge Indianer ist gewöhnlich schon über 20 Jahre alt, ehe er in den Ehe—
tand tritt. Sie haben auch eine große Abscheu gegen Ehen unter nahen
Verwandten. „Wenn manche behaupten“, schreibt Baucke, „es sei unmöglich,
die Gebote Gottes zu halten, und wenn sie namentlich am sechsten Gebot An—
toß nehmen, hätten sie bloß meine Indianer als Heiden beobachten dürfen.
Für einen Mokobier oder Abiponen wäre es ein Greuel, wenn man ihm den
Antrag machte, sich mit einem Weibe im fünften oder sechsten Grade der Ver—
wandtschaft zu verheiraten.“s Besondere Abscheu hat der Mokobier vor der
khe mit einer Person, die im Rufe steht, zornmütig zu sein; er wird sich
eher mit dem häßlichsten Weibe verheiraten, wenn es nur sanftmütig ist, als
nit einem zornigen, und sollte es noch so schön sein. „Ebenso verabscheut er
ein Weib, das des Diebstahls verdächtig ist.“ Der junge Indianer hat nur
eine Frau; bloß Kazikensöhne und solche, welche sich schon in jungen Jahren
den Ruf der Tapferkeit erworben haben, sowie Männer in späteren Jahren
natürlich Heiden) nehmen auch ein oder zwei Nebenweiber, die aber nicht mit
dem Mann in feiner Hütte leben, sondern bei ihren Eltern, immer eine von
der andern getrennt. „Geschieht es dann, daß eines der Nebenweiber mit dem
cechtmäßigen Weib zusammentrifft, so raufen sie öffentlich miteinander; wenn
der Mann zugegen ist, so schweigt er still und läßt sie raufen. bis sie genug
P. Florian Baucke. Nach dessen Aufzeichnungen von A. Kobler 250-252.
Ebd. 268-275. s Ebd. 311.
10 *
148
Vierter Teil. Die Naturvölker Amerikas.
haben und von selbst auseinandergehen.““ Die Männer mischen sich nie in
den Zank der Weiber.
Wenn ein Mädchen ins heiratsfähige Alter kommt, so zeigen das die Eltern
selbst an, indem sie ihm die Haare in eigentümlicher Weise zurechtstutzen und
das Gesicht tätowieren. Will nun ein Indianer das Mädchen heiraten, so
hegehrt er es von den Eltern zur Ehe. Gefällt diesen der Brautwerber nicht,
so weisen sie ihn einfach ab; gefällt er ihnen, so fragen sie, was er für die
Braut geben wolle. Ist man über den Kaufpreis eins, so geht der Freier in
seine Hütte, die Eltern aber nehmen ihre Tochter und führen sie, die dem An⸗
scheine nach widerstrebt, in das Haus des Bräutigams. Da muß die Tochter
erst weinen und schweigen, bis sie endlich aufgeheitert wird, und nun ist die
Ehe fertig. Die Ehescheidung ist leicht und häufig; bei der Scheidung folgen
die Kinder der Mutiter. Sollte sich eine Verheiratete mit einem andern Mann
vergehen — was nach Baucke sehr selten vorkommt — und ein uneheliches
Kind in die Familie bringen, so kommt es darauf an, ob sie ihren Fehltritt
hekennt oder nicht; im ersien Fall verstößt der Mann sie nicht, im zweiten Fall
aber ersticht er das Weib, wenn das Kind am Leben bleibt; stirbt das Kind,
so läßt er die Mutter am Leben?.
Alle schweren Arbeiten hat die Frau zu verrichten, sie muß sogar das Pferd
satteln und herbeiführen, wenn der Mann z. B. zur Jagd ausreiten will.
Kommt er von der Jagd zurück, so muß sie mit dem Kinde sogleich bereit
ttehen und es ihm übergeben und zusehen, wie er es liebkost; täte er dies nicht,
so gäbe es von seiten der Mutter einen großen Laͤrm.
Bei der Entbindung des Weibes geht der Mann fort und kommt erst nach
der Geburt des Kindes zurück. Dann bleibt er fünf bis sechs Tage liegen,
als ob er sterbenskrank wäre, und während dieser Zeit muß ihm das Weib gut
zu essen geben. Gleich bei der Geburt wird dem (heidnischen) Kind ein eigener
Name gegeben, und zwar von alten Indianern und Indianerinnen, die im
Rufe von Zauberern und Hexen stehen. Niemals nehmen die Kinder den Namen
des Vaters an, auch das Weib trägt nicht den Namen des Mannes, noch
nennen sie die Töchter nach ihrer Mutter. Der heidnische Indianer sagt nie:
mein Weib, sondern: die Mutter meines Sohnes, und das Weib nie: mein
Mann, sondern: der Vater meines Sohnes oder meiner Tochter.
Von Erzie hung kann eigentlich keine Rede sein. Die Eltern lassen das
Kind tun, was es will; ist der Sohn bereits über 15 oder 16 Jahre alt, so
ist er Herr im Hause, und Vater und Mutter müssen ihm folgen, während er
iich um die Befehle seiner Eltern nicht kümmert. Nicht selten gibt der Sohn
der Mutter einen Schlag auf den Rücken oder greift gar gegen die Eltern zur
Lanze. Die Eltern fürchten sich fast vor ihren Söhnen und wagen nicht, sie
zu strafen; ja sie können es nicht einmal leiden, daß andere sie strafen. Baucke
hatte große Mühe, die Eltern dahin zu bringen, die Fehler ihrer Kinder
zu strafen.
P. Florian Baucke. Nach dessen Aufzeichnungen von A. Kobler 318.
zEFbd. 316—317.
3. Die Mokobier.
149
Obwohl die Mokobier oft stahlen, verschonten sie doch meistens ihre
Stammes- oder Dorfgenossen. Wenn sie auf die Jagd gehen und oft zwei bis
drei Monate ausbleiben, lassen sie alles nicht Nötige zurück, und kein Indianer
wird diese Hütte betreten. Auch den P. Baucke bestahlen anfänglich die Indianer
nicht. „Mit der Zeit aber und infolge des Verkehrs mit den Spaniern wurde
bemerkt, daß die Knaben anfingen, kleine Sachen zu nehmen; wurden sie er⸗
tappt, so erhielten sie sogleich ihre Strafe.“ Fremdes (d. h. nicht mokobisches)
Figentum zu rauben oder zu schädigen, hält der heidnische Mokobier eher für
eine Tugend als für eine Sünde!. Beim Mord macht der heidnische Moko⸗—
bier keinen Unterschied zwischen Leuten seines Dorfes und Fremden. Jeder
Hausvater ist Herr über Leben und Tod; weil es kein Gericht gibt, kann er
totschlagen, wen er will, wenn er nur durch seine Tapferkeit oder mächtige Ver—
wandtschaft sich und die Seinen sicherzustellen weiß. Doch schafften auch hier
die Missionäre allmählich Wandel.
Eine abscheuliche Sitte der heidnischen Mokobier war der häufige Kinder—
mord. Weun ein Kind zur Zeit geboren wurde, da der Vater wegen Mangels
an Nahrung oder wegen einer bevorstehenden weiten Reise nicht am selben Orte
bleiben konnte, gab er der Mutter den Befehl, es zu töten, und diese kam dem
Befehl sofort nach. Auch wenn der Vater argwöhnte, das Kind sei nicht von
ihm, befahl er, es sogleich zu töten, und die Mutter tötete es vor den Augen
des Mannes, um den Argwohn zu zerstreuen?.
Der Indianer ist nach Baucke ernst, aber empfänglichen Gemütes; er spricht
wenig und leise und läßt sich nie in langen Wortstreit ein. Er weiß nichts
vom Schwören und Fluchen. Im höchsten Zorn kennt er nur den Ausruf:
Elobgaec, „du Toter“, oder: „Ich wollte, daß du sterben möchtest!“ Um die
Wahrheit einer Aussage zu bekräftigen, sagt der Indianer einfach: n caenza
oder enamcaeen, was so viel bedeutet als: „wahrhaftig, in Wahrheit!“s
Die Mokobier sind sehr abergläubisch. Eine große Rolle spielen deshalb
die Zauberer oder Zauberinnen, zumal sie auch die Stelle von Ärzten vertreten.
Sie wissen zu heilen, aber auch zu schaden, z. B. durch ein gewisses Kraut
Uneinigkeit unter den Verheirateten zu stiften, deshalb sind sie sehr gefürchtet.
Die gewöhnlichste Art zu kurieren besteht darin, daß sie an der kranken Stelle
des Körpers saugen, dabei stöhnen und brüllen, sich in die Zunge beißen und
das Blut ausspucken, das sie angeblich aus dem Leibe gesogen; manchmal ist
es ein Stück Holz oder ein Beinchen, das sie zuvor heimlich in den Mund
gesteckt hatten. Diese Betrüger lassen sich gut bezahlen. Manchmal ist aber
auch ihr Leben in Gefahr. Weil die Zahl der Zauberer groß ist, so sucht einer
den andern unschädlich zu machen oder auf die Seite zu schaffen. Stirbt ein
Indianer oder das Kind eines Kaziken, so ist einer der Zauberer daran schuld;
die Freunde oder der Vater des Verstorbenen fragen also einen Zauberer um
den Namen dessen, der die Ursache des Todes gewesen, und der Genannte bleibt
nicht laͤnger mehr am Leben. Baucke hatte große Mühe, diesen Zauberern das
Handwerk zu legen.
Ebd. 333. 2 Ebd. 247. 8 Ebd. 250.
—150 Vierter Teil. Die Naturvölker Amerikas.
Von einer eigentlichen Krankenpflege außer dem Zauber war bei den heid—
nischen Mokobiern kaum die Rede. Wird jemand von einer ansteckenden Krank⸗
heit befallen, so stellen die Verwandten eine Schüssel mit Speise und einen
Krug Wasser vor ihn hin und fliehen dann in den Wald, wo sie so lange
bleiben, bis sie glauben, er sei genesen oder tot. Eigentümlich ist, was Baucke
mit folgenden Worten berichtet: „Sahen die Kinder, daß ihre Eltern von einer
Krankheit nicht mehr genesen konnten, oder hielten sie für gewiß, daß ihnen
nichts mehr übrigbleibe als der Tod, oder bemerkten sie, daß sie vor ihrem
Tod noch große Schmerzen leiden müßten, so nahm der Sohn oder die Tochter
die Keule und schlug damit den kranken Vater oder die Mutter tot, und zwar
aus kindlicher Liebe, weil es ihnen zu sehr zu Herzen ging, daß Vater
oder Mutter so lange leiden müßten.“
Nach dem Hinscheiden beginnt die bei allen Indianern übliche Toten⸗
klage. Ist der Mann gestorben, so fängt das Weib an zu schreien, schlägt den
Leichnam, als ob sie zornig wäre, daß sie nun verlassen sei, oder preist auch
seine Tugenden: „Du treuloser und grausamer Mann, warum hast du mich
derlassen? Du bist so wacker gewesen auf der Jagd, so mutig im Kampf;
wo werde ich wieder einen solchen Mann bekommen? Du hast keine Barm⸗
herzigkeit mehr mit mir und deinen Kindern; wer wird für diese Nahrung
suchen?“ usw. Mehrere aufeinanderfolgende Abende kommen alle Weiber zur
Hütte des Verstorbenen, um laut die ganze Nacht zu heulen. Die Witwe
schneidet sich die Haare ab, sie darf einige Monate nicht lachen und nur selten reden.
Ist die Frau gestorben, so ersticht der Mann ihr Pferd, stutzt seinem eigenen
Pferde und den Pferden der Kinder Schweif und Mähne, verschenkt alles, was
ihr gehört hat, und reitet auf die Jagd, um sich den Kummer zu vertreiben.
Für das Begräbnis läßt er die Verwandten der Verstorbenen sorgen, die auch
—D
reißt seine Hütte nieder und baut an einer andern Stelle eine neue, weil er
meint, in der alten sei dem Tod der Weg schon bekannt, und weil er die
Erinnerung an die Verstorbene vertilgen will. Auch der Mann darf nach dem
Tod seiner Frau einige Monate nicht lachen und muß längere Zeit Witwer
bleiben. Wollte z. B. ein Indianer noch vor Ablauf eines Monats nach dem
Tod seines Weibes heiraten, „so würde man das als ein Zeichen betrachten,
daß er sein Weib nicht geliebt habe und selbst ein Taugenichts sei“?.
Die Molobier lieben es, ihre Toten nach Familien oder Sippschaften nahe
beisammen zu bestatten. Stirbt jemand weit von diesem Ort entfernt, so wird
er zuerst dort begraben, wo er gestorben. Wenn aber der Leichnam verwest ist,
kommen die Verwandten und tragen die Gebeine nach dem gemeinsamen Be—⸗
gräbnisplatz, sollten sie auch 200300 Meilen weit zu gehen haben. Das
Grab ist eine längliche Grube, höchstens 11/ Fuß tief, aber viel breiter. Der
Leichnam wird in eine Haut gehüllt und mit lautem Klagen ins Grab gesenkt.
Neben den Leichnam legt man eine leere Schüssel und einen Wasserkrug, damit
er das nötige Geschirr sogleich bei der Hand habe, wenn er Hunger oder Durst
1P. Florian Baucke. Nach dessen Aufzeichnungen von A. Kobler 356.
2 Ebd. 358—359.
3. Die Mokobier.
151
bekommen sollte. Hierauf werden starke Querhölzer dicht nebeneinander über
das Grab gelegt und diese mit Asten und dann mit Erde zugedeckt, so daß der
Tote wie in einer Gruft liegt. Die Waffen werden auf das Grab gelegt, und
niemand würde es wagen, sie wegzunehmen. In das Grab eines Kindes werden
weder Schüssel noch Krug gelegt, dafür läßt man eine Hand des Kindes aus
dem Grabe hervorstehen, in welche die Eltern die nötige Nahrung legen!.
Aus diesen Gebräuchen geht klar hervor, daß die Mokobier an ein Fortleben
der Seele nach dem Tode glaubten. Leider geht P. Baucke auf diesen Punkt
nicht näher ein. Nach Guevara? hatten die Mokobier eine Sage davon,
daß die Seelen der Verstorbenen in früheren Zeiten auf einem fabelhaften Baum,
den sie in ihrer Sprache nalliagdigua nannten und der so hoch war, daß er
von der Erde bis zum Himmel reichte, in den Himmel gelangten. Auf diesem
Baum kletterten die Seelen von Zweig zu Zweig immer höher, bis sie zu einem
Fluß und zu Seen kamen, die Überfluß an ausgezeichneten Fischen hatten.
Eines Tages aber konnte die Seele einer alten Frau gar nichts fischen, und
da ihr die andern Fischer das zum Leben nötige Almosen verweigerten, wurde
sie über die Nation der Mokobier zornig, verwandelte sich in eine Capiguara,
fing an, den Baum, an dem sie zum Himmel kletterten, zu zernagen, bis er
zum großen Schmerz und unersetzlichen Verlust der ganzen Nation zusammen—
ftürzte. Nun mußten die Seelen auf Erden umherschweifen und jagen. Einen
eigenen Ort für die Strafe der Bösen kannten die Eingebornen Paraquays
überhaupt nicht, wie Guevara behauptet.
Von der Religion der Mobobier teilt Baucke leider gar nichts mit. Der
schon erwähnte Guevaras sagt: „Die Mobobier errichteten den Plejaden, d. h.
ihrem Gdoapidalgate, den sie als Schöpfer und Vater verehrten, nie
ein Gebetshaus; sie begnügten sich damit, sein Wiedererscheinen mit Freude und
Geschrei zu feiern.“ Welche Begriffe sie sich von diesem Wesen machten, bleibt
leider ganz im unklaren. Guevara glaubt nicht, daß sie es als Gott auffaßten.
Aus vielen großen und kleinen Zügen, die P. Baucke in seiner schlichten
und naiven Weise erzählt, geht hervor, daß die Mokobier alle guten und schlechten
Eigenschaften der menschlichen Natur hatten, wenn fie sich auch im Zustande
der Verwahrlosung befanden. Durch Liebe, Freundlichkeit und Geduld erwarb
er ihre Zuneigung im höchsten Grade, so daß sie sich gar nicht mehr von ihm
rennen wollten. Bei vielen Gelegenheiten erwiesen sie sich sehr dankbar, und
nach ihrer Bekehrung bekundeten sie eine seltene Fröͤmmigkeit und eine bei diesen
Kindern der Wildnis erstaunliche Großmut und Opferwilligkeit.
Große Mühe kostete dem Missionär das Erlernen der schwierigen Mokobier⸗
sprache. Dabei zeigten, wie er erzählt, die Eingebornen ein „überraschendes
Zartgefühl; jeder scheute sich, meine Sprachfehler zu erwähnen, und als ein—
mal ein Knabe über ein verkehrt ausgesprochenes Wort lachte, verwiesen ihm
die Erwachsenen die Keckheit. „Sieh‘, sprachen sie, „er bemüht fich, unsere
Sbrache zu erlernen, wir verstehen ihn, was willst du mehr?‘“ Er bat sie nun
Ebd. 360 -361. 2 Historia de la Conquista del Paraguay usw. 50.
3Ebd. 24. Bgl. auch Gay, Historia de Republica Jesuitica do Paraguay, Rio
de Janeiro 1863. 102.
152 Vierter Teil. Die Naturvölker Amerikas.
elbst, ihn auf seine Fehler aufmerksam zu machen, damit er sie besser unter⸗
richten könne, und das taten sie von dieser Zeit an „mit Bescheidenheit“ 1.
Gegen zwei Laster hatte der Missionär einen schweren Kampf zu bestehen.
Vor allem gegen die unglaubliche Trägheit. Durch Ermahnungen, kleine Ge⸗
schenke und Aufstachelung ihres Ehrgeizes gelang es ihm, sie allmählich zum
Arbeiten zu bringen. Da er selbst viele Handwerke verstand, so konnte er den
Wilden mit gutem Beispiel vorangehen und bekam nun aus ihrer Mitte Ge⸗
hilfen; „nur durfte ich nicht unmutig werden, wenn einer etwas verdarb oder
mehrere Tage wegblieb; denn diese Menschen sind empfindlicher, als man
zlauben sollte“?. Sehr zu statten kamen dem Missionär seine musikalischen
Kenntnisse. Die Eingebornen waren Liebhaber der Musik und zeigten dafür
großes Geschick. In verhältnismäßig kurzer Zeit brachte er 20 Knaben so weit,
daß sie mit größter Fertigkeit eine musikalische Vesper und ein Hochamt auf—⸗
führen konnten zur Freude der Indianer und zur Verwunderung der Spanier.
Er mußte sogar mit seinen Musikanten in die Stadt Santa Fé kommen, wo
deren Leistungen das größte Erstaunen erregten.
Schwieriger war der Kampf gegen das Laster der Trunksucht, dem die Moko—
bier in hohem Grade huldigten. Die Trinkgelage endeten gewöhnlich mit Streit
und Totschlag. Einst tötete ein betrunkener Indianer in der Nacht sein Weib
mit der Lanze. Die Verwandten wollten noch in der Nacht blutige Rache
nehmen. Mit Mühe konnte der Missionär, vom Kaziken unterstützt, sie für
den Augenblick beruhigen. Am Morgen stand der Mörder vor seiner Hütte und
schrie den Verwandten seines Weibes zu: „Hier stehe ich mit der Lanze; komme,
ver da will, mich zu töten. Zwei Lanzenstiche werde ich aushalten, ohne mich
zu verteidigen, aber auf den dritten werde ich mich rächen.“ Der Missionär
verhinderte, daß man dieser unsinnigen Aufforderung nachkam. Der Missetäter
wurde dann in die Wohnung des Missionärs geführt, wo er weinte, seine Über⸗
eilung erkannte und Besserung versprach. Er wurde später Christ; der Bruder
der Gemordeten verzieh dem Mörder und ließ sich ebenfalls bald taufen.
kFinst hörte der Missionär, wie ein Kazike zu einem andern sprach: „Was
sind doch diese Väter gute, wackere, edle Männer; sie haben ein schönes Herz;
fie sind nicht wie wir und tragen keinen Groll gegen uns....“s Von vielen
Spaniern dagegen sagte ein Kazike: „Diese Spanier sind ärger, als wir in
unsern Wäldern waren. Sie betrügen, lügen und sind lasterhaft.“*
4. Die Abiponer.
Wie die Mokobier und Guaykurus wohnten auch die Abiponer um die Mitte
des 18. Jahrhunderts im Gebiete des Gran Chaco. Ihr gewöhnlicher Auf—⸗
enthaltsort waren die weiten Strecken am rechten Ufer des Parana, südlich vom
Vermeyofluß. Sie hatten keine festen Wohnsitze. Hielt sie nicht die Furcht vor
ihren Nachbarn im Zaum, so streiften sie nach allen Richtungen auf unermeß⸗
liche Strecken hin. Die Sitten und Gebräuche dieses kriegerischen Volkes hat
P. Florian Baucke, bearbeitet von A. Bringmann 44. 2 Ebd.
Ebd. 50. 4Ebd. 53.
3
4. Die Abiponer.
153
der Jesuitenmissionär Martin Dobrizhoffer ausführlich beschrieben. Dobriz⸗
hoffer hielt fich 22 Jahre als Missionär in Südamerika auf, davon 11 Jahre
hei den Guaranis und 7 Jahre bei den Abiponern. Von diesen letzteren
hauptsächlich handelt sein dreibändiges Werk Historia de Abiponibus, das er
in lateinischer Sprache verfaßt und herausgegeben hat!, das aber bald von
A. Kreil ins Deuische übersetzt wurde?. Von den Mokobiern und Tobas wurden
die. Abiponer Callagaic, von den Guaykurus Comidi genannt. Obwohl die
Abiponer wie alle Südamerikaner vor der Ankunft der Spanier von Pferden
nichts wußten, besassen sie zur Zeit Dobrizhoffers zahlreiche Pferde. „In ihren
Kolonien kannte ich nicht wenige, die bei 400 und noch mehr Pferde besaßen....
Ihr Unterhalt kostet nichts, indem die Mutter Natur für sie sorgt. ... Zur
Zeit der Unruhen haben sie oft bei einem einzigen Einfall 3000 4000 Pferde
aus den Meiereien der Spanier weggeführt.“s
„Die meisten Abiponer haben eine einnehmende Gestalt und regelmäßige
Gesichtsbildung und beinahe die Züge der Europäer, die Farbe ausgenommen,
welche bei den Erwachsenen nicht sehr weiß, aber dennoch von der Schwärze
der Mohren und Mulatten sehr weit entfernt ist. Denn die natürliche Weiße,
mit der ihre Kinder auf die Welt kommen, geht in der Folge teils durch die
Sonnenhitze teils durch den Rauch in eine etwas bräunere über, weil sie bei—
nahe ihr ganzes Leben hindurch stets auf dem Felde in der Sonne herumreiten,
und wenn sie in ihrer Hütte, die ihnen zugleich Zimmer, Küche und Speisesaal
ist, ein wenig ausruhen, Tag und Nacht auf dem Boden ein Feuer unterhalten,
dessen Hitze und Rauch sie notwendig ein wenig abbräunen muß. Bläst nur
ein wenig ein kühler Südwind, so rücken sie das Feuer zu ihrer Lagerstätte
oder unter die Hängematte, auf der sie liegen, so daß sie wie Schinken in dem
Kamine durch und durch geräuchert werden. Die abiponischen Weiber bewahren
ihre Schönheit wider die Sonne mit einem Sonnenschirm. Daher sind sie auch
meistens weißer als die Männer.“ „Wenn irgend eine Nation sich durch einen
schönen Körperwuchs auszeichnet, so sind es die Abiponer. ... Von den Miß⸗
zestalten und Leibesfehlern, welchen die Europäer so häufig unterworfen sind,
weiß man bei ihnen nichts. ... Die meisten Abiponer sind so groß, daß sie,
wenn ihr Geist mit ihrem Körper übereinstimmte, unter den österreichischen
Grenadieren dienen könnten.“ Bart haben sie keinen. Die spärlichen Haare,
die ihnen um das Kinn herum wachsen, lassen sie sich von einer alten Frau
mit einer Hornzange ausrupfen. Die Haare sind dick und kohlschwarz. Wie
die Mokobier und Tobas lassen sich auch die Abiponer ohne Unterschied des
Alters und Geschlechts die Haare von der Stirne gegen den Scheitel hin so
ausrupfen, daß sie auf dem Vorderhaupt wenigstens drei Finger breit kahlköpfig
find. Diese Kahlköpfigkeit heißen fie Nalemra und halten selbe für das edelste
und beinahe gottesdienstliche Ehrenzeichen ihrer Nation; darum lassen sie auch
dem neugebornen Kinde durch die Hand eines ihrer Schwarzkünstler oder
Schwarzkuͤnstlerinnen (diese Schälke vertreten bei ihnen die Stelle der Arzte und
Priester) die Haare des Vorderhauptes abschneiden. Die Zeremonie ist diesen
Historia de Abiponibus, 8 Bde, Viennae 1784.
»Geschichte der Abiponer, 83 Bde, Wien 1788. 3Ebd. M IG. Ebd. 28.
154 Vierter Teil. Die Naturvölker Amerikas.
Wilden ebenso wichtig als die Beschneidung den Hebräern und die Taufe den
Christen.“1
„Die Begierde, schön zu sein, ist auch der Seele der Wilden eingepflanzt.“
Obwohl die Abiponer von Natur aus, besonders in der Jugend, schön sind,
entstellen sie sich durch das Tätowieren. Sie durchstechen mit spitzigen Dornen
die Haut und das Fleisch und streuen in die frischen Wunden Asche, so daß
sie für immer schwarz werden. Auf der Stirne lassen sie sich ein Kreuz ein⸗
graben. Wie die heidnischen Abiponer zu diesem Kreuz kamen und was es
hbedeuten sollte, konnte Dobrizhoffer nicht erfahren, die Wilden selbst wußten es
nicht und sagten bloß, sie hätten die Sitte von ihren Vätern überkommen.
Besonders die Mädchen, die in das heiratsfähige Alter kommen, werden an
Brust und Armen so durchstochen, „daß sie wie türkische Tapeten aussehen“.
Je vornehmer ein Mädchen ist, um so mehr muß es sich zerstechen lassen.
Preßt ihr der Schmerz Seufzer aus, so wird sie verhöhnt und verspottet. Die
Operation dauert viele Tage, und während dieser Zeit müssen sich die Mädchen
der meisten Speisen enthalten.
Die Gesundheit und Stärke der Abiponer leitet Dobrizhoffer aus ihrer Ent—
haltsamkeit her. „Die abiponischen Jünglinge kennen den Genuß der Wollust
nicht; auch schwächen sie sich, ihres feurigen Naturells ungeachtet, durch keine
Ausschweifung. Sie schwätzen, spielen und scherzen miteinander, aber immer
mnerhalb der Grenzen der Schamhaftigkeit. Ich beteure, durch die sieben Jahre,
welche ich mich bei ihnen aufhielt, nicht das geringste gesehen oder gehört zu
haben, was man mutwillig oder geil nennen könnte. Ein natürlicher, dieser
Nation eigener Antrieb flößt den Knaben und Mädchen einen unüberwindlichen
Abscheu vor allem ein, was die Ehrbarkeit beleidigt. Diese wird man weder
im geheimen noch an einem öffentlichen Ort mit jenen schwätzen noch jemals
auf dem Platze müßig sehen. Sie suchen ihre Unterhaltung darin, ihren Müttern,
die sich mit den häuslichen Verrichtungen beschäftigen, mit arbeiten zu helfen.
Die Jünglinge finden meistens ihr Vergnügen bei den Pferden und Waffen⸗
übungen.“ Auch dem Umstand schreibt der Missionär die Stärke der Abiponer
zu, daß die Mütter die Kinder an der eigenen Brust stillen, und zwar bis in
das dritte Jahr, in welcher Zeit sich die Männer ihrer enthalten sollens. Die
Kinder werden früh abgehärtet. Die Neugebornen baden sie sogleich im kalten
Flußwasser, wenn sie können. Sie werden mit Lumpen von einem alten Otter⸗
pelz angetan und dann sich selbst überlassen. Knäbchen, welche noch kaum der
Brust entwöhnt sind, wird man ohne Bogen und Pfeile selten herumgehen
sehen. Die Kleider der Abiponer sind weit und gehen bis auf die Knöchel
herab. Die Abiponer sind niemals untätig. Kein Tag vergeht, ohne daß sie
reiten, jagen oder schwimmen. Um Wild oder Feinde aufzuspüren, streifen sie
umher. Ihrem ewigen und riesigen Appetit zollt Dobrizhoffer uneingeschränktes
Lob. „Sie essen zu allen Zeiten, so wie sie zu allen Zeiten hungert.“
Trotzdem bleiben sie gesund und kräftig und erreichen durchschnittlich ein
hohes Alter.
Dobrizhoffer-Kreil, Geschichte der Abiponer II 31. 2 Ebd. 59.
Ebd. 62.
4. Die Abiponer.
155
Die geistigen Fähigkeiten der Indianer wurden anfänglich sehr unterschätzt.
Viele Spanier hielten sie für so beschränkt, daß sie dieselben nicht für fähig
zrachteten, die Sakramente zu empfangen. Papst Paul III. mußte im Jahre
1537 erklären, die Indianer seien voros homines fidei catholicao et sacra-
mentorum capaces. Dobrizhoffer hält die Indianer durchaus für bildungs—
fähig, wenn man sie nur in der rechten Weise zu unterrichten verstehe!.
In Bezug auf die Religion meint Dobrizhoffer, die Abiponer seien hirn—
lose Menschen. „Sie wissen weder von Gott noch von seinem Namen. Dem
Teufel, welchen sie Aharaigichi oder Queevet nennen, geben sie mit vieler
Ergebenheit den Namen ihres Großvaters Groaperikie. Dieser, sagen sie, war
ihr und der Spanier Großvater, doch mit diesem Unterschied, daß er diesen
drächtige Kleider nebst Gold und Silber, ihnen aber einen großen Mut zum
Erbteil hinterlassen habe. . .. Wenn man sie fragt, wer denn ihr Stammvater
gewesen und was er gemacht habe, so geben sie ganz unverhohlen zur Antwort,
daß sie dieses nicht wüßten.“ Sie verehren also, fügt Dobrizhoffer hinzu, ein
Wesen, das sie nicht kennen, wie einst die Athener, welche dem unbekannten
Bott einen Altar bautens. Weil die Abiponer von einem eigentlichen Gott
keine Idee und keinen Namen haͤtten, wählten die Missionäre für Gott den
spanischen Namen Dios mit dem Zusatz: ocnam caogaric, „der alle Dinge
gemacht hat“4.
Die Abiponer halten das Siebengestirn (Plejaden) für das Bild ihres
Ahnen. „Da nun dieses Gestirn in Südamerika einige Monate nicht sichtbar
ist, so glauben sie, ihr Großvater sei krank, und sind daher alle Jahre seines
Todes wegen sehr bekümmert. Sobald sich also diese Sterne im Mai wieder
ehen lassen, meinen sie, er sei von seiner Krankheit wieder genesen, wünschen
ihm daher zu der wiedererlangten Gesundheit Glück und grüßen ihn mit lautem
Freudengeschrei unter dem Jubel von Kriegspfeifen und Hörnern.“ „Wir
danken dir. Endlich bist du wieder zu uns zurückgekehrt. So bist du also
wieder glücklich und gesund geworden.“ Den folgenden Tag geht alles auf das
Honigsammeln, um einen Trank zu bereiten. Dann veranstaltet man eine große
festliche Zusammenkunft. Die verheirateten Abiponer setzen sich auf die Erde
auf ihre Tigerhäute nieder und trinken; die umstehenden Weiber singen und
heulen; die Unverheirateten aber lachen und treiben Kurzweil miteinander. So
bringen alle die Nacht zu. Eine Zauberin belebt das Fest von Zeit zu Zeit
durch Tänze. Sie schüttelt dabei nach dem Takt einen mit harten Samen—
körnern gefüllten Kürbis und wirft zugleich, ohne sich von der Stelle zu ent—
fernen, den einen Fuß rechts, den andern links in die Höhe. Diesen Sprüngen
folgt immer ein schreckliches Getöse von Pfeifen und Trompeten, wobei die herum⸗
stehenden Zuschauer mitiauchzen. indem sie ihre Hand an die Lippen halten.
Ebd. 82ff. 2 Ebd. 87-88.
J Ebd. 88. Nach dem Gesagten und nach dem, was wir noch weiter über ihn an—
ühren werden, erscheint es doch zweifelhaft, ob dieser „Großvater“ der Abiponer identisch
ist mit dem Teufel. Jedenfalls wäre ihnen dann der Teufel ein sehr wohltätiges Wesen,
das fie hochschätzen und lieben. Diese Schwierigkeit ist auch dem P. Dobrizhoffer selbst
nicht entgangen, wie wir weiter unten hören werden.
*Ebd. 80.
83
156 Vierter Teil. Die Naturvölker Amerikas.
„Doch wird man bei diesem Spektakel nicht das geringste wahrnehmen, was
dem Wohlanstand und der Ehrbarkeit zuwiderliefe. Die Männer sind allemal
von den Weibern und die Knaben von den Mädchen abgesondert.“ Diese Ver⸗
jammlung hielten die Abiponer „für eine Feierlichkeit, die sie ihrem wieder⸗
zurückgekehrten Großvater schuldig zu sein glauben“1. Die Tänzerin reibt ihren
sürbis an den Waden derjenigen, denen sie einen Beweis besondern Wohl⸗
wollens geben will, und verspricht ihnen im Namen ihres Großvaters Geschwindig⸗
keit im Verfolgen des Wildes und der Feinde. Zu dieser Zeit weiht die Zauber⸗
hriesterin alle, die sie für fähig hält, zu Zauberpriestern und Priesterinnen, und
zwar mit vielem Gepränge.
Diese Zauberer und Zauberinnen haben eine große Herrschaft über das
leichtgläubige Volkl. Sie behaupten, mit dem Teufel in Verbindung zu stehen
und nach Belieben durch Zauber Krankheit und Tod zu verursachen oder zu
entfernen, Regen oder Hagel hervorbringen zu können. Kein Wilder zweifelt
auch daran, „daß sie die Seelen der Verstorbenen bannen und
sich über geheime Dinge mit ihnen besprechen, sich in Tiger ver⸗
vandeln“2 usw. Alle diese Kräfte und Kenntnisse wollen sie als Geschenk vom
Teufel erhalten haben. Die, welche zur Würde der Zauberer gelangen wollen,
müssen einige Tage vollständig fasten, bis sie endlich die künftigen Dinge vorher⸗
sehen. „Ich habe dies von glaubwürdigen Männern gehört; allein mir scheint
das wahrscheinlichste dieses, daß sich diese Schurken durch ihr langes Fasten
eine Kopfschwäche und eine Art Wahnwitz zuziehen, also zwar, daß sie sich
weiser dünken als die übrigen und für Zauberer ausgeben. So betrügen
diese erst sich selbst und dann andere.“s Bei besondern wichtigen
Anlässen müssen die Zauberer die Manen der Verstorbenen zitieren,
um von ihnen Zukünftiges zu erfahren. Die Abiponer glauben fest an diese
Macht der Zauberer, die Seelen der Verstorbenen auszufragen. „Aus diesem
Gebrauch der Wilden, die Seelen der Verstorbenen herzubannen, ergibt sich
wenigstens dieses, daß sie an die Unsterblichkeit der Seele glauben,
welches wir auch aus andern Gebräuchen der Wilden geschlossen haben. Auf
die Gräber der Verstorbenen pflegten sie vorsichtig einen Topf, Kleider, Waffen
und auf Pfähle gesteckte Pferde hinzupflanzen, damit ihnen ja nichts abginge,
vas zu den täglichen Bedürfnissen des Lebens gehört. Die kleinen Enten, welche
von den Abiponern Ruilili genannt werden und bei der Nacht mit einem traurig
tönenden Gezisch scharenweise herumflattern, halten sie für die Seelen der Ver—
storbenen und heißen sie mehe lenkachie, ‚Geister, Schatten, Gespenster‘.“
Obwohl aber die Abiponer an die Unvergänglichkeit der menschlichen Seele
glauben, wissen sie doch nicht, „wohin sie kommt und was für ein Schicksal
ihrer wartet““. Die Abiponer glauben, der Tod werde entweder durch die Ge⸗—
wehre der Spanier oder durch Zauberkünste verursacht.
Dobrizhoffer stellt sichh auch die Frage, wie es komme, daß die Abiponer
dem Teufel den süßen und ehrwürdigen Namen ihres Großvaters beilegen,
während doch die benachbarten und die meisten andern Nalionen den Teufel
Dobrizhoffer-Kreil, Geschichte der Abipponer II s9. 2Ebd. 91.
Ebd. 2Ebd. 97-98.
4. Die Abiponer.
157
fürchten. Die einzige haltbare Antwort, die er darauf zu geben weiß, lautet:
Man muß wissen, daß es bei den Wilden nicht vieler Gründe und Beweise be—
darf, um ihnen die größten Ungereimtheiten aufzubinden. Sie denken wenig
an übersinnliche Dinge und sind noch weniger gewohnt, über dieselben zu philo⸗
sophieren. Daher die häufigen Widersprüche, die man in ihren religiösen An⸗
sichten findet.
„Bei einigen Abiponern ist die Vielweiberei, bei mehreren die Ehe⸗
scheidung im Gebrauch. Sie sind nicht zahlreich, denn „die ganze Nation
besteht aus nicht mehr als ungefähr 5000 Köpfen“. Die Ursache dieser geringen
Zahl ist außer den vielen Kriegen und den ansteckenden Krankheiten hauptsachlich
der Kindermord. Die Mütter säugen ihre Kinder bis ins dritte Jahr und
haben während dieser Zeit keinen Umgang mit den Männern. Die letzteren
werden deshalb ihrer Frauen überdrüssig und sehen sich um ein anderes Weib
um. „Um also nicht ihre Männer zu verlieren, töten die Mütter ihre Kinder
gleich nach der Geburt; zuweilen treiben sie die Leibesfrucht gewaltsam ab. Die
Mütter schonen lieber die Mädchen als die Knaben, und zwar aus schnödem
Eigennutz, weil sie ihren erwachsenen Söhnen ein Weib kaufen müssen, ihre
heiratsfähigen Töchter aber verkaufen können. Das ist ein Grund, warum bei
den Abiponern der Überschuß der Frauen über die Männer so groß ist.“
Einen Regenten, der über alle Abiponer herrschte, gibt es nicht. Die
Nation zerfällt in kleinere und größere Gruppen, die unter einem Kaziken stehen.
Doch ist das Ansehen derselben sehr gering; im Krieg folgen sie ihm. Obwohl
die Wurde eigentlich erblich ist, wird doch der rechtmäßige Erbe derselben oft
übergangen, wenn er die dazu nötigen Eigenschaften nicht besitzt. Auch eine
Art Adel gibt es unter den Abiponern. Die Angehörigen desselben nennen
sie Kapitän, ein Wort, das sie von den Spaniern angenommen haben und
eigentlich den Kaziken bezeichnen soll. „Alte Weiber in Lumpen, deren einziger
Reichtum in ihren Runzeln bestand, pflegten oft, um uns zu zeigen, daß sie
nicht von gemeinen Eltern abstammten, mit vielem Stolz zu sagen: Aym Capita,
ich bin eine Kapitänin‘, d. h. ich bin vom Adel.“ Überhaupt sind diese Abi—
poner wie die meisten Wilden sehr erpicht auf Titel und Würden. Will ein
Kazike einen Kriegszug gegen Feinde unternehmen, so veranstaltet er ein Trink⸗
gelage. Sobald die dabei Anwesenden von dem Honiggetränke erhitzt sind, ver—
sprechen sie dem Kaziken auf das bereitwilligste und unter lautem Freuden⸗
geschrei, ihm beizustehen, und „was zum Erstaunen ist, sie halten alles, wenn
fie wieder nüchtern sind, mit gewissenhafter Pünktlichkeit, was sie im Rausche
derheißen haben. So viel Gewalt hat man über ihren Willen, wenn man ihre
Kehle netzt. Daß Liebe Gegenliebe und die Freigebigkeit Freunde erzeuge, sind
in Europa bekannte Sprichwörter, deren Wahrheit wir bei den Abivonern durch
eine vieljährige Erfahrung bestätigt fanden“2.
Feldbau haben die Abiponer fast keinen. Sie leben von Jagd, Fisch—
fang und wilden Früchten und ändern nach dem Bedürfnis der Jahreszeiten
ihren Wohnort. Deshalb gibt es kein eigentliches ausschließliches Grundeigentum.
Was in der Luft fliegt, im Wasser schwimmt, in Wäldern und Feldern wächst,
1Ebd. 128. 2 Ebd. 134.
158
Vierter Teil. Die Naturvölker Amerikas.
gehört dem, der es nimmt und fängt!. Alles, was die Abiponer zu ihrem
Unterhalt gebrauchen, finden sie mit geringer Mühe bald an dem einen, bald
an dem andern Ort.
Von der Kleidung der Indianer sagt Dobrizhoffer: „Diejenigen irren
ganz erbärmlich, welche sich einbilden, als gingen alle Amerikaner ohne Unter⸗
schied so nackt, wie sie vom Mutterleibe kamen, einher. ... Ich leugne nicht,
daß in Amerika Völker existieren, welche ganz nackt und unbekleidet umhergehen;
aber daß diese Blöße alle miteinander gemein haben sollen, ist eine Behauptung,
die der Wahrheit schnurstracks zuwiderläuft.“'“ „Die Payaquas ... welche ohne
alle Kleider sowie ohne Schamhaftigkeit herumziehen, werden selbst von allen
übrigen Indianern verabscheut. Sie dünken sich dann am prächtigsten gekleidet,
wenn sie am ganzen Leibe mit verschiedenen Farben bemalt und mit Glaskugeln
geziert sind.“ Dasselbe gilt von den Mbayas, die zwar einen Überfluß an
Kleidern haben, aber gerade das nicht bedecken, was die Ehrbarkeit zu bedecken
hdefiehlt. „Als ich einst meine Abiponer befragte, was sie von den Mbayas
hielten, antworteten sie mir, daß diese Nation so unverschämt wie die Hunde
wäre. Über ihre Unverschämtheit und die unehrbaren Dinge, die sie öffentlich
freiben, haben mir meine Gesellschaftsgenossen, die mit ihnen umgegangen sind,
»ielmal geklagt. Doch kleiden sich die Weiber beider Völkerschaften ziemlich
ehrbar.“s „Von den wilden und noch wie das Vieh überall herumziehenden
Abiponern versichere ich hoch und teuer, daß sie alle ohne Unterschied des Alters,
des Geschlechts und des Ranges jederzeit sehr ehrbar und nach ihrer Tracht
meistens zierlich gekleidet umhergehen. Selbst die Kinder von etlichen Monaten
sassen sie nicht unbedeckt.“ Dobrizhoffer meint, die Missionäre hätten oft ge⸗
wünscht, die Spanierinnen in Asunciön, die wegen der Hitze oft in anstößigem
Aufzuge erschienen, möchten ebenso anständig gekleidet sein wie die Indianerinnen.
Von den Sitten der Abiponer sagt Dobrizhoffer: „Bei den Wilden ist
nicht alles wild. . . . So wie das Gute meistens mit dem Bösen vermengt ist,
ebenso verbinden auch die Abiponer mit den ihnen eigenen Lastern Eigenschaften,
die auch einem Christen Ehre machten. Ich werde hier die hauptsächlichsten
erwähnen, ohne ihrer Gebrechen zu vergessen. Wie unverletzlich sie in allen
ihren Leibesstellungen den Wohlstand (Anstand) beobachten, wird ein Europäer
schwerlich glauben. Aus ihrem Antlitz und Gang leuchtet immer eine fröhliche
Sittsamkeit und ein männlicher Ernst hervor, den sie durch eine freundliche
Gefälligkeit zu mildern wissen. In allen ihren Handlungen entdeckt man nichts,
was man Ausgelassenheit, Mutwillen oder Roheit nennen könnte. Bei ihren
täglichen Zusammenkünften ist alles friedsam und ruhig. Man hört daselbst
veder ein polterndes Geschrei, noch Zänkereien, noch beißende Anspielungen.
Sie scherzen gern, ohne Frechheit oder Bitterkeit. ... Niemals brechen sie ...
in ein Geschrei, in Drohungen oder Schmähungen aus. Diese Lobsprüche gelten
von den Abiponern, solange sie nüchtern sind. Denn im Rausch treten sie aus
dem Geleise der Vernunft, werden tollsinnig und sehen sich selbst nicht mehr
ähnlich. Übrigens äußern sie in ihren Zusammenkünften ein äußerst gesittetes
Dobrizhoffer-Kreil, Geschichte der Abiponer II 1388. 2 Ebd. 159.
Ebd. 4Ebd. 160.
4. Die Abiponer.
159
Betragen. Kaum untersteht sich einer, den andern in der Rede zu unter—
brechen.““ Jemand zu widersprechen, auch wenn er irrt, halten sie für eine
Grobheit. Beim Kommen und Gehen und ebenso bei der Begegnung grüßen
fie einander. Beim Weggehen wird besonders vom Hausvater mit einer gewissen
Feierlichkeit Abschied genommen?. „In den ganzen sieben Jahren, die
ich mich bei diesen Wilden aufhielt, habe ich nicht das geringste
beobachtet, was ein keusches Ohr oder Auge beleidigen könnte.
Dieses muß man von der ganzen Nation ohne Unterschied des Alters und Ge—
schlechts zum Ruhme nachsagen. Die Männer halten, solange sie noch Heiden
sind, die Vielweiberei und die Ehescheidung nach dem Beispiel ihrer Vorfahren
und der übrigen Völker von Amerika für erlaubt; wiewohl wenige Abiponer
von dieser Erlaubnis Gebrauch machen. Die letztere geht bei ihnen mehr im
Schwung als die erste. Doch begnügen sich auch sehr viele Zeit ihres Lebens
mit einer einzigen Gattin. Mit fremden Weibern, mit denen sie in keinem
Eheverbindnisse stehen, etwas zu tun zu haben, halten sie für einen schänd—⸗
lichen und entehrenden Frevel. Ein Ehebruch ist daher bei ihnen etwas
Unerhörtes. Von den Greueln der Unzucht, die bei uns so schamlos herrschen,
wissen sie nichts, nicht einmal ihren Namen. Knaben und Mädchen sehen immer
fröhlich und munter aus; aber niemals wird man die einen mit den andern
schwätzen oder auch nur beide beisammen antreffen. Gleich nach meiner An—
kunft spielte ich, auf Verlangen meines Amtsgefährten, öffentlich auf der Geige.
Die Annehmlichkeit meines von ihnen noch nie gesehenen Instrumentes lockte
eine Menge Weibspersonen und bald darauf auch die Jünglinge scharenweise
herbei. Diese waren noch nicht angekommen, als sich jene schon davonmachten,
also, daß nicht eine einzige zurückblieb.'s Die Abiponer sind große Liebhaber
des Badens, aber nie sieht man Männer oder Weiber am selben Ort mit—
einander baden oder schwimmen. „Nach dem Herkommen der Abiponer sind
die, welche verschiedenen Geschlechts sind, auch durch den Ort voneinander ge—
trennt und geschieden. Wo die Weiber in das Wasser gehen, da ist auch kein
Schatten eines Mannes zu sehen.“
„Daß die Abiponer grausame und unmenschliche Wilde gewesen sind, leugne
ich nicht, aber sie waren es bloß gegen die, welche sie für ihre Feinde hielten.
Ehe der Friede geschlossen und das Volk in die Kolonien, welche wir für sie
erbaut hatten, gezogen war, verheerten fie viele Jahre lang fast ganz Paraguay
mit Sengen und Brennen, Morden und Rauben; allein sie sahen alles dies
im Krieg für erlaubt an, weil die Spanier sich stets als ihre Feinde bewiesen
oder doch gefährliche Gesinnungen gegen sie verraten hatten. Sie glaubten bloß
Gewalt mit Gewalt abzutreiben, Beleidigungen mit Beleidigungen, Raub mit
Raub und Totschläge mit Totschlägen zu vergelten, und dies hielten sie weder
ür ungerecht noch für eine Schande, indem sie zu Kriegszeiten von den Spaniern
Jegen die Portugiesen und von diesen gegen jene das nämliche ausüben sahen.““
Die abgeschnittenen Köpfe der Spanier nannten sie ihre Siegeszeichen und be—
wahrten sie als Beweise ihrer Tapferkeit sorgfältig auf. Sie behaupteten auch,
alles Vieh der Spanier gehöre ihnen, indem es auf ihrem Grund und Boden,
— ————
1Ebd. 167 -168. 2 Ebd. 168. s Ebd. 169-170. Ebd. 171.
160 Vierter Teil. Die Naturvölker Amerikas.
den sich die Spanier widerrechtlich angeeignet hätten, geboren sei. „Wiewohl
rin wütender Haß gegen die Spanier bei ihnen vom Vater zum Sohn gleichsam
erblich überging, so verrieten sie dennoch selbst im Umbringen ihrer Feinde gegen
diese eine Art von Menschlichkeit.“ Sie töteten sie zwar, ließen sie aber ruhig
terben, ohne sie zu martern oder zu zerfleischen. Die Frauen verschonten sie
mmer. Knaben und Mädchen führten sie mit sich weg, ohne ihnen ein Leid
anzutun. Haben sie bisweilen Mütter oder Kinder niedergemezzelt, so geschah
dies in der Wut. „Diese und nicht etwa ein hartherziges Naturell war an
den verübten Unmenschlichkeiten schuld, welche selbst alle Abiponer verabscheuen.“
Die sog. „christlichen“ Soldaten haben nach Dobrizhoffer noch viel ärgere Greuel
derübt. Die Gefangenen wurden von den Abiponern sehr gütig behandelt?.
Leider wurden viele davon grausamer und ausschweifender als die Abiponer.
Dobrizhoffer lobt auch die Gastfreundschaft seiner Wilden und ihre
Dienstfertigkeit. Untereinander sind sie gutmütig. „Es ist daher bei
hnen, solange sie nüchtern und ihrer mächtig sind, der Totschlag oder das
Rauben etwas äußerst Seltenes oder, besser zu sagen, Unerhörtes. Sie sind
oft und lange vom Hause abwesend. Während dieser Zeit lassen sie alle ihre
Kleider und ihr übriges Gerät unverschlossen und unverwahrt vor aller Augen
ehen und liegen, ohne deswegen im geringsten besorgt zu sein. Kommen sie
hon ihrer langen Reise wieder nach Hause, so finden sie daselbst alles un—
angetastet. Alle die Türen, Schlüssel, Riegel, Schränke, Wachen, welche die
Europäer brauchen, ihr Eigentum in Sicherheit zu bringen, sind bei den Abi⸗
ponern ebenso unbekannt als entbehrlich.“s Als einst eine Frau Glaskugeln,
die ein Bild in der Kirche schmückten, entwendete, geriet der Kazike so in Wut,
daß er dem Weib auf öffentlichem Platze die Lanze durch den Leib gestoßen
hälte, wenn ihn die Missionäre nicht daran gehindert. Das Weib hatte nach
der Ansicht des Häuptlings die Ehre der abiponischen Nation geschändet. Aller⸗
dings, fügt Dobrizhoffer hinzu, die Knaben und Mädchen hätten den Melonen
in den Gärten der Missionäre und auch dem Hühnerhof nicht selten geheime
Besuche abgestattet, aber man könne das kaum Diebstahl nennen, weil sie
meinten, von diesen Erzeugnissen dürfe jedermann nehmen, so viel er wolle,
wenigstens werde der Eigentümer darüber nicht eben sehr ungehalten sein?.
Während sonst alle Wilden über die Maßen träg sind, lobt Dobrizhoffer
den Fleiß der abiponischen Weiber. „Ihre häuslichen Geschäfte, mit denen sie
räglich überhäuft sind, verrichten sie gern und freudig. Hierunter gehört: dem
Manne und den Kindern Kleider zu weben, das Fleisch zu kochen, eßbare
Wurzeln und Früchte in den Wäldern aufzusuchen, Johannisbrot nach Hause
zu bringen, zu zerreiben und mittels zugegossenen Wassers einen Trank daraus
zu bereiten und endlich Holz und Wasser zum täglichen —XVV
zu tragen.“ Auch die Mäßigkeit der Abiponerinnen verdient Anerkennung
Sie enthalten sich aller Getränke mit Ausnahme des Wassers. Das Christen—
tum nahmen die jungen Abiponerinnen besonders wegen seiner Vorschriften über
die Einheit und Unauflöslichkeit der Ehe willig auf. Heftigen Tadel dagegen
Dobrizhoffer-Kreil, Geschichte der Abiponer I 178. 2 Ebd. 174 ff.
Ebd. 180. Ebd. 181.
5. Die Chiquitos.
161
erfährt die Zank- und Schmähsucht der Weiber. Wegen einer Kleinigkeit ge⸗—
raten sie in heftigen Streit, der oft in blutiges Zerkratzen und Zerbeißen aus—
artet. Bei solchem Streit laufen die Weiber auf dem Platz zusammen und
liefern sich förmliche Schlachten. Die Männer halten es für schimpflich, sich
in diesen Streit zu mischen, und sehen lachend zu.
Noch einiges über die Ehen der Abiponer. Will ein Abiponer ein Mädchen
heiraten, so muß er zuerst mit den Eltern desselben über den Preis einig werden,
der meist in Pferden oder Glaskugelschnüren u. dgl. besteht; denn Geld kennen
sie nicht. Zuweilen wird aber doch auf den Willen des Mädchens Rücksicht
genommen. Willigt das Mädchen ein, so wird die Braut mit Gepränge in
die Hütte des Gatten geführt, kehrt aber die ersten Tage in ihre eigene Woh—
nung zurück. Wiewohl die Päpste nur den ersten und zweiten Grad der Bluts-
verwandtschaft als Ehehindernis für die Indianer bestehen ließen, „so vermeiden
die Abiponer dennoch, von der Natur allein geleitet, nach dem Beispiele ihrer
Väter alle ehelichen Verbindungen mit was immer für Blutsverwandten und
tragen davor einen unüberwindlichen Abscheu“ 1. Üüberhaupt verabscheuen sie
jeden blutschänderischen Geschlechtsverkehr. Eine der lobwürdigsten Eigenschaften
der Abiponerinnen ist ihre zärtliche Liebe zu den Kindern und die Sorgfalt,
mit der sie dieselben nähren, kleiden und beschützen?; leider lassen die Väter
den Söhnen alle Unarten durchgehen. — Wie bei andern Völkern findet sich
auch bei den Abiponern die sog. Cuvade. Sobald die Mutter ihr Kind zur
Welt gebracht hat, „legt sich ihr Mann in das Bett, läßt sich, damit ihm kein
kühles Lüftchen schade, mit Binsendecken und Häuten umzäunen, fastet und ent—
hält sich einige Tage gewisser Speisen und Getränke; auch erscheint er binnen
dieser Zeit nicht öffentlich's. Die Abiponer glauben, daß dieses Verhalten
des Vaters zum Wohle des Kindes notwendig sei. — Daß die Abiponer die
Lüge für verwerflich ansahen, geht aus der Erzählung Dobrizhoffers hervor,
nach dem Tode eines Kaziken in St Hieronymus habe man nicht seinen Sohn,
sondern seinen Enkel zum Nachfolger eingesetzt, weil sie den Sohn für einen
Lügner hielten und deshalb verabscheuten, obwohl sie sich sonst auf das Lügen
besser als alle Hretenser verstünden“.
5. Die Chiquitos.
Die wilde Völkerschaft der Chiquitos bewohnte im 18. Jahrhundert einen
großen Teil des Gebietes zwischen dem Paraguay und dem Pilcomayo. Über ihre
Sitten und Gebräuche haben wir einen ausführlichen Bericht von P. Johannes
Patricius Fernandez 8. J., der in den ersten Dezennien des 18. Jahr⸗
hunderts bei ihnen als Missionär weilte. Das Werk ist im Jahre 1726 in
Madrid spanisch veröffentlicht und später ins Lateinische übersetzt worden. Wir
folgen der lateinischen Ausgabes.
Ebd. 262. 2 Ebd. 268. 3 Ebd. 2738. 2Ebd. 130.
NHistorica Relatio do apostolicis Missionibus Patrum S. J. apud Chiquitos,
Paraquariae populos. Primo hispanico idiomate conscripta ... hodie in linguam
atinam translata ab alio eiusdem Societatis sacordote, Augustae Vindelicorum 1733.
Schon im Jahre 1729 wurde in Wien eine deutsche Bearbeitung des Werkes von Fer—
Cathrein, Die Einheit d. sittl. Bewußtseins. UII. —11
162 Vierter Teil. Die Naturvölker Amerikas.
Die Chiquitos sind lebhaft und geweckt und mehr zum Guten als zum
Bösen geneigt. „Sie lassen sich, durch die natürlichen Regeln der Vernunft
geleitet, leicht regieeren. Die Ausschweifung, der die andern amerikanischen Na—
fionen so scheußlich ergeben sind, findet sich bei den Chiquitos kaum. Ihre
Statur ist über mittelgroß, ihre Gesichtsbildung gleicht unserer europäischen,
—DD
sie lang wachsen. Der Bartwuchs ist spärlich. Kleider brauchen die gewöhn⸗
lichen Männer keine, die Frauen tragen eine kurzärmelige Tunika aus Baum⸗
wolle. Dieser Tunika bedienen sich auch die Kaziken und andere vornehmere
Männer. Bei feierlichen Gelegenheiten lassen sie es an Schmuchsachen nicht
fehlen. Die Ohren und die Lippen durchbohren sie, um farbige Federn und
kleine Zinnstückchen daran zu hängen. Sie sind mutig, kriegerisch und im Ge⸗
hrauch der Waffen, besonders des Bogens, sehr gewandt. Um diese Geschicklich⸗
keit zu beweisen, tragen sie zahlreiche Schwänze wilder Tiere und die Federn
der Vögel, die sie mit ihrem Bogen erlegt haben, mit sich herum.
Eine eigentliche politische Verfassung haben sie nicht und auch nicht
eine durch Gesetz geregelte Lebensweise, sondern sie halten sich an den Ausspruch
der Alten. Die Kazikenwürde ist nicht erblich; sie übertragen dieselbe demjenigen,
den sie für den Würdigsten halten, der am meisten Erfahrung im Kriege besitzt
und die meisten Feinde gefangen hat. Um einen Krieg anzufangen, bedarf es
rür sie keines andern Grundes als z. B. der Hoffnung, etwas Eisen zu erbeuten
oder sich den Ruf kriegerischer Männer zu erwerben. Ganz anderer Art sind
die ihnen benachbarten Völker, die im Frieden leben und sich fürchten, von den
Chiquiten gefangen zu werden. Doch brauchen sie diese Gefangenschaft nicht
allzusehr zu fürchten, da die Chiquitos die Gefangenen fast wie die eigenen
Ldeute behandeln. Daher kommt es auch, daß sie ihre Töchter ihnen zur Ehe
geben, wenn man die Verbindungen der Chiquitos Ehen nennen kann, da fie
wieder aufgelöst werden können. Den gewöhnlichen Leuten ist es nämlich nicht
erlaubt, mehr als eine Frau zu haben, dafür dürfen sie sich von ihrer Frau
scheiden und eine andere nehmen. Nur die Kaziken dürfen zwei oder drei Frauen
zJaben, auch wenn diese ihre eigenen Schwestern wären?.
Die Hauptbeschäftigung der Frauen ist die Zubereitung der Chicha, die aus
indischem Korn und andern Früchten hergestellt wird. Die Männer laden Gäste
ein und bewirten sie unter ihrem Dach mit dieser Brühe. Die Verheiratung
geschieht gewöhnlich in folgender Weise: Der Vater gibt seine Tochter nur dem
zur Frau, der sich durch eine Heldentat hervorgetan hat. Deshalb geht der
Brautwerber auf die Jagd, erlegt so viele Tiere, als er kann, und bringt sie
nach Hause. Aus der Beute wählt er hundert Hasen und legt sie vor das
Haus seiner Auserwählten. Das gilt als Heiratsantrag. Die Eltern der Braut
untersuchen nun das Wild und urteilen, ob die Verdienste des freienden Jägers
so groß seien, daß sie ihm die Tochter zur Frau geben können. Von Erziehung
kann eigentlich keine Rede sein. Man läßt die Kinder wie das Wild aufwachsen
nandez veröffentlicht unter dem Titel: Erbauliche und angenehme Geschichten der Chi⸗
zuitos usw. Man vgl. außerdem Charlevoix, Histoire du Paragusy J 282 ff.
TFeFandez. Historica Relatio usw. 20. 2 Ebd. 21.
5. Die Chiquitos.
163
ohne Furcht und Scheu vor den Eltern; sie dürfen alles tun, was ihnen ihre
Ausgelassenheit und Unklugheit eingibt. — Was die Wohnung betrifft, so leben
nur wenige zusammen, da sie keinen Obern über sich anerkennen. Deshalb
trennen sie sich leicht voneinander, um anderswo ihre Wohnung aufzuschlagen.
Diese besteht nur aus Strohhütten, die im Walde regellos nebeneinander gebaut
verden. Die Türe ist so niedrig, daß man hineinkriechen muß. Durch diese
niedrigen Türen halten sie die Mücken und Wespen ab, die zur Regenzeit die
zanze Luft erfüllen, aber nicht so zahlreich durch die niedrigen Türen in die
dunkle Hütte kommen. Ein anderer Grund für diese niedrigen Türen ist der
Schutz gegen die Feinde.
Diie (männlichen?) Kinder und Unmündigen bis zum vierzehnten Jahr wohnen
in einer Hütte zusammen, die aus Baumzweigen so oberflächlich zusammengefügt
ist, daß die Winde freien Durchgang haben. In diesen Hütten werden auch
die fremden Gäste aufgenommen, die man mit der heimischen Chicha und den
besten Früchten des Landes bewirtet. Zu solchen Gelagen haben auch die Ein—
gdebornen wie die fremden Gäste freien Zutritt. Damit aber kein böser Zauber
die Eingebornen bei dieser Freude störe, beschwören sie zuvor den bösen Geist
und suchen ihn zu vertreiben. Zu diesem Zweck springen einige aus den Hütten
seraus und schlagen unter wildem Geschrei mit ihren Keulen auf den Boden.
Diese Gelage dauern oft drei volle Tage und Nächte und arten, wenn die
Chicha die Köpfe verwirrt hat, manchmal in blutige Schlägereien aus. Geht
aber das Fest friedlich aus, so wird der Wirt von seinem Gast zu einem ähn—
ichen Feste eingeladen. Diese gegenseitigen Besuche sind ihr Hauptvergnügen 1.
Die Trunksucht bildete für die Missionäre das größte Hindernis bei der Be—
kehrung der Chiquitos. Doch gelang es ihnen schließlich nach langen Bemühungen,
iber dieses Laster Herr zu werden, was sie fast für ein Wunder ansahen.
In religiösen Dingen, sagt Fernandez, gleichen die Chiquitos mehr dem
Vieh als den Menschen. „Man findet sonst kaum ein Volk, so stumpfsinnig
ind träg es auch sei, das nicht eine, wenn auch falsche Gottheit verehrte. Die
Chiquitos aber verehren gar keinen Gott?, weder einen sichtbaren noch unsicht—
bdaren, nicht einmal den Teufel, obwohl sie den gar sehr fürchten. Doch
Aauben sie an die Unsterblichkeit der Seele. Deshalb legen sie beim
Begräbnis ihrer Toten Speisen, Bogen und Pfeile auf das Grab, damit diese
in dem andern Leben durch ihre eigene Bemühung die Nahrung sich verschaffen
fönnen. Auf diese Weise glauben sie nämlich zu bewirken, daß die Toten nicht
durch Hunger gezwungen werden, auf die Erde zurückzukehren. Und in dieser
Meinung verharren sie, ohne länger nachzuforschen, wer denn der Künstler sei,
dem so edle Geschöpfe ihren Ursprung verdanken. Fragt man sie darüber, so
wissen sie keine Antwort. Dem Mond, auf den allein sie etwas Rücksicht
nehmen, geben sie den Namen Mutter, jedoch ohne ihm sonstige Verehrung
zu erzeigen. Wenn Mondfinsternis eintritt, stürzen die Wilden aus ihren Hütten
und schießen unter wildem Geschrei zahlreiche Pfeile in die Luft, um den Mond
iEbd. 22-23.
Fernandez sagt: Sie verehren Gott nicht; daraus folgt nicht notwendig, daß sie
nicht eine wenigstens dunkle Idee von einem höheren guten Wesen hatten.
11*
164 Vierter Teil. Die Naturvölker Amerikas.
zu verteidigen, der, wie sie meinen, von Hunden über den Sternen angegriffen
und so zerrissen wird, daß der ganze Leib von Blut überströmt ist. Deshalb
hören sie mit dem Abschießen von Pfeilen erst auf, wenn der Mond seine frühere
Gestalt wieder erlangt hat. Wenn es blitzt oder donnert, behaupten sie, einer
bon den Verstorbenen kämpfe mit den Sternen, unter denen sie sich nach ihrer
Ansicht aufhalten.“!
So ist denn, meint unser Gewährsmann, der Bauch der einzige Gott der
Chiquitos. „Wie sie aber keine Gottheit verehren, so dulden sie auch nichts—,
was offenbar zur Ehre des höllischen Feindes gereichen würde. Deshalb ver—
abscheuen sie im höchsten Grade die bösen Zauberer und überhaupt jeden Ver—
kehr mit den bösen Geistern der Unterwelt. Aus diesem Grund verfolgen fie
die Zauberer wie eine Pest des Menschengeschlechtes. So viel ist sicher, daß
sie vor wenigen Jahren sehr viele derartige boöse Zauberer mit dem Tode bestraft
haben.“ Trotzdem sind die Chiquitos der abergläubischen Wahrsagerei sehr er⸗
Jeben. Sie sind nämlich fest überzeugt, daß alles Gute und Böse und alle
Zufälle von dem Einfluß der Gestirne herrühren. Deshalb beobachten sie, um
das Zukünftige zu erfahren, nicht die Sterne selbst und ihren Lauf, denn das
übersteigt ihren Verstand, sondern verschiedene Tiere, Bäume, Vögel und be⸗
sonders den Gesang der letzteren. Erkennen sie aus diesen Zeichen ein kommendes
Unglück, z. B. eine Krankheit, den Aussatz oder einen Einfall der Mamelucken
Mestizen, Abkömmlinge von Weißen und Indianern), so geraten sie in den größten
Schrecken, fliehen oft aus ihren Hütten, um sich in Wäldern oder Höhlen zu ver⸗
bergen, und es kommt vor, daß bei solchen Gelegenheiten die Eltern die Kinder,
die Männer die Frauen, die Verwandten und Freunde einander im Stiche lassen,
als ob sie sich nie gekannt hätten. Es war deshalb eine Hauptsorge der Mis—
sionäre, solches Entlaufen zu verhindern und die Leute beisammenzuhalten.
Fernandez betrachtet es als einen besonders glücklichen Umstand für die Ver—
breitung der Kenntnis des einen wahren Gottes unter den Chiquitos, daß fie
keine falschen Götter verehrten und auch die bösen Geister geringschätzten, ja
sogar allen Zaubereien abhold waren, während bei den umliegenden Völker⸗
schaften die Abgötterei und Zauberei dem Christentum ein großes Hindernis
entgegenstellten? Große Mühe bereitete dem Missionär die Erlernung der
zußerst schwierigen Sprache der Chiquitos, die unzählige Flexionen und Kon⸗
jugationen hatte, so daß nur wenige Missionäre nach jahrelangen Mühen dazu
kamen, sich in dieser Sprache zurechtzufinden. Glücklicherweise konnten die Chi⸗
quiten die Missionäre trotz ihrer mangelhaften Kenntnis und schlechten Aus⸗
sprache des Chiquitischen leicht verstehens. — Die Missionäre finden nicht Worte
genug, um die gänzliche Umwandlung der Sitten bei den Chiquitos zu schil⸗
dern. Sie zeichneten sich bald durch Sittenreinheit und Frömmigkeit so aus,
daß sie uns an die ersten Christengemeinden erinnerten. Die Raschheit und
Tiefe, mit der sie das Christentum erfaßten, ist nebst der Gnade Gottes der
heste Beweis für die edlen Keime, die in den Herzen dieser Wilden schlummerten.
1 Fernande?, Historica Relatio usw. 25 -26. Vgl. auch Charlevoix, Histoire
du Paraguay II 236.
e»PFPernandez a. a. O. 27 s8 Ebd. 27-30.
6. Die Tobas.
165
b. Die Tobas.
Wenige südamerikanische Indianer sind so wild und verwahrlost wie die
Tobas, die heute am linken Ufer des Pilcomayo wohnen. Um die folgende
Schilderung richtig zu würdigen, darf man nicht vergessen, daß sie nun seit
Jahrhunderten in beständigem Krieg mit den Weißen leben, von denen sie nur
zu oft nichts weniger als glimpflich behandelt wurden, und gegen die fie als
hre Todfeinde nach Kriegsrecht ungefähr alles für erlaubt halten. Die Tobas
sind hochgewachsen, stark und muskulös, ihre Gesichtszüge sind lebhaft und kühn,
sie sind schlau, verräterisch und hochmütig1. Gegen die Weißen hegen sie einen
unversöhnlichen Haß, und bis heute haben sie ihnen so viel Schaden zugefügt,
als —D kühne Reiter; ohne
Steigbügel schwingen sie sich auf das Pferd und galoppieren dann bald sitzend
dald kniend oder liegend dahin; auch ihre Pferde sind flink, ausdauernd und
Jehorchen jedem Wink. Als Waffen gebrauchen sie Pfeile, Lanze und Keule;
heute haben einige auch Gewehre.
Ihre Hauptbeschäftigung ist der Fischfang, das Sammeln wilder Früchte
und besonders die Jagd; abgesehen von den Pferden züchten sie nur wenige
Haustiere, wie Schafe, Ziegen und Kühe. Landbau treiben sie nicht, und die
Haustiere halten sie nur als Reserve für den Fall, daß der Vorrat an Fischen
und Wildbret ausgeht. Eine Hauptbeschäftigung sind die Feldzüge gegen die
Thristen, sei es, um an diesen Rache zu nehmen, oder auch aus gewohnter Liebe
zum Räuberleben. Wo sie nur können, stehlen sie den Christen das Vieh und
die Pferde. Wenn sie einen Krieg oder Raubzug im Schilde führen, kommen
die Häupter oder Führer zusammen, um über die Umstände und Aussichten des
Plans zu beratschlagen. Die ganze Vorbereitung besteht darin, daß sie auf
das Pferd steigen und sich mit glühender Rachsucht gegen ihre Feinde erfüllen.
Ihre Weiber schüren den Haß durch Worte und Gebärden, indem sie ihnen
einige Schalen Chicha reichen, sie dann an das von den Feinden erlittene Un⸗
recht und die geiöteten Verwandten erinnern und ihnen die Schädel, Skalpe
oder andere Trophäen aus früheren Feldzügen zeigen. Sobald alle an dem
dereinbarten Orte zusammengekommen sind, wird kurz die zu befolgende Taktik
angegeben, und dann zieht man an den für den Überfall bestimmten Ort. Dort
türzen sie unter wildem Lärm und Geschrei wie ein Orkan auf die Feinde.
der erste Anprall ist schrecklich; siegen sie dabei nicht, so ziehen sie sich zurück,
was aber als Schande gilt und baldige Rache erheischt. Diese Rache besteht
nn einem Raubzug, der ihnen als Ehrensache, als Gewohnheitsrecht, ja fast als
eine Pflicht gilt?.
Bei kleinen Raubzügen vereinigen sich nur einige wenige und schleichen dann
n dunkler Nacht an die Wohnungen der Christen heran, stehlen das Vieh aus
dem Stall und sind bald mit ihrer Beute verschwunden. Oft aber, besonders
beim Vollmond, vereinigen sie sich in Scharen, um große Raubzüge auszuführen.
P. José Cardus, Las Misiones Franciscanas entre los infieles de Bolivia,
arcelona 1886, 259 ff.
2 Ebd. 260.
166
Vierter Teil. Die Naturvölker Amerikas.
Zuweilen werden sie entdeckt und von den Hirten verfolgt, aber eine Anzahl
Tobas stehen im Hinterhalt, um ihren Genossen die Flucht mit dem Raub zu
ermöglichen. Die Tobas könnten leicht die Niederlassungen in ihrer Nähe gänz—
lich zerstören und die Einwohner vertreiben, aber das tun sie nicht; denn listig,
wie sie sind, schließen sie ganz richtig: wenn wir diese Niederlassungen ganz zer⸗
stören, dann ist niemand mehr da, der die Vieh- und Pferdezucht betreibt, und
dann gibt es auch nichts mehr zu stehlen 1.
Männer und Weiber bemalen Kopf, Brust, Arme und Beine. Viele täto⸗
wieren sich. Die meisten Männer gehen ganz nackt, einige tragen eine Art
Jacke oder einen Poncho, und andere begnügen sich damit, eine kleine Schürze
aus Leder oder Leinwand vorn am Gürtel zu befestigen. Die Weiber befestigen
am Gürtel eine größere bis zum Knie herabreichende Schürze aus Fell, dessen
Haare nach innen gekehrt sind, und das auf der Außenseite bemalt ist. Die Hütten
bestehen aus einigen langen Stangen, die oben zusammengebunden und mit Ästen
und Stroh bedeckt werden. Aus den wilden Früchten bereiten sie eine berauschende
Chicha, der sie gern zusprechen. Glücklicherweise trinken die Frauen nicht davon,
obwohl sie sie bereiten. Sie wachen über ihre Männer und besänftigen sie, wenn
fie von der Chicha erhitzt anfangen zu streiten oder gar sich blutig zu schlagen.
Die Tobas haben die allgemeine Gewohnheit, die mißgestalteten Kinder gleich
nach der Geburt zu töten und ebenso die neugebornen Kinder lebendig mit der
Mutter zu begraben, wenn diese stirbt. Sie pflegen sich früh zu verheiraten,
doch ist erfordert, daß der Jüngling schon ein wenigstens mittelmäßiger Jäger sei.
Die Heiratszeremonie ist sonderbar und lästig. Wenn der junge Mann glaubt,
er habe die zum Heiraten erforderlichen Titel, so geht er zu den Eltern des
auserkorenen Mädchens und bittet um dessen Hand. Willigen die Eltern ein,
so bauen sie vor ihrer Hütte ein kleines Strohhüttchen. In diesem muß sich
das Mädchen niederlassen; man bringt ihm das Essen dorthin und es darf
seinen Posten nur im Fall dringender Not verlassen. — Nun muß der Jüng—
ling, geschmückt mit den Knochen der von ihm erlegten Tiere, vor das Häuschen
ziehen, dort den Pimpin schlagen, singen und tanzen, und das Mädchen schaut
ihm durch ein Loch ihres Hüttchens zu. Der Jüngling muß nun mehrere Tage
unaufhörlich Tag und Nacht, abgesehen von den notwendigsten Unterbrechungen,
tanzen und singen. Macht er zu große Pausen oder gefällt er den Eltern des
Mädchens nicht mehr, so wird ihm bedeutet, er solle sich eine andere Braut
suchen; finden aber die Eltern Gefallen an ihm, so machen sie ihm ein kleines
Dach zum Schutz gegen Sonne und Regen. Nach Ablauf der acht Tage ver—
anstalten die Eltern des Mädchens ein Fest, bei dem die Chicha die Hauptsache
ist, und nun ist die Heirat geschlossen?. Wenige Männer haben mehr als eine
Frau; die Frauen dulden auch andere Frauen nicht neben sich. Nimmt der
Mann noch eine zweite Frau, so rächt sich die erste Frau nicht an ihm, sondern
an der Rivalin, der sie keine Ruhe läßt, bis sie siegreich oder besiegt ist. Zu—
weilen genügt ein bloßer Verdacht, um den Streit zwischen den Frauen zu ent⸗
fachen, bei dem sie sich gelegentlich die Augen auskratzen.
mCardus, Las Misiones Franciscanas usw. 262.
Ebd. 263—264.
7. Die Guatos.
167
Auch die Tobas haben ihre Zauberer und Medizinmänner, die in
Ehren stehen, und deren Befehle man pünktlich ausführt. Wenn z. B. der
Zauberer sagt, dieser oder jener Kranke könne nicht mehr genesen, besonders
wenn es ein Knabe oder Mädchen von zehn bis zwölf Jahren ist, so geben sie
ihm mit der Keule einen Schlag auf den Kopf und töten ihn, auch wenn er
noch herumgeht. Die ältesten Leute töten sie gewoͤhnlich nicht mit Keulenschlägen,
sondern man begräbt sie lebendig. Einige von diesen alten Leuten, die ihrer
Krankheit überdrüssig sind, bitten selbst darum, daß man sie begrabe. Andere
dagegen werden, ohne daß sie darum bitten, von den eigenen Verwandten aus
Mitleid mit ihren Schmerzen aus dem Haus getragen und an die Begräbnis⸗
stelle gebracht. Dort gräbt man ein nicht sehr tefes Loch, nimmt den Kranken,
der völlig nackt daliegt, legt ihn in sitzender Stellung in das Grab, drückt ihm
das Haupt auf die Brust, damit er ganz sterbe. Dann wirft man etwas Erde
auf ihn und legt darauf einen Haufen Holz, und das Begräbnis ist fertig. Zu—
weilen stellen sie auch ein Gefäß mit Wasser darauf, und wenn die Frau ihren
Mann sehr geliebt hat, so pflückt sie eine Handvoll Früchte von dem Baum,
unter dem der Verstorbene begraben liegt. Merkwürdig ist, daß fast ausschließ⸗
lich die Weiber das Amt übernehmen, die Sterbenden vollends zu töten und
zu begraben; denn, sagen sie, die Männer, die sich einem Toten nähern, werden
furchtsam und feig und dadurch zum Krieg untauglich. Sie glauben auch einen
Akt der Pietät zu setzen, wenn sie den leidenden Kranken töten, da er doch
nach ihrem Urteil nur noch wenig zu leben hat!.
Ihre Ideen über die Seele und deren Schicksal im andern Leben sind unklar
und vag; doch haben sie einen dunklen Begriff von einem höheren Wesen,
das sie Paiyak nennen?. Leider konnten die Missionäre nichts Näheres darüber
erfahren, weil sie bei den Tobas noch keine Niederlassung hatten.
7. Die Guatos.
Ein merkwürdiges Volk sind die Guatos (Vuatos) am Paraguay im gleich⸗
namigen Staat und in Matto Grosso GBrasilien). Erst durch den französischen
Reisenden Francis de Castelnaus sind sie genauer bekannt geworden. Sie zeigen
einen von den andern Indianern sehr verschiedenen Typus. Die Männer haben
oft einen dicken Bart und ihr Leib ist behaart. Ihre Züge sind auffallend
schön. Sie haben eine Adlernase, ihre Augen sind groß und offen; sie zeigen
überhaupt kaukasische Form. Sie gehen nackt, nur umgürten sie die Lenden
mit einem Stück Tuch. Castelnau bemerkte bei ihnen eine mehr als gewöhnliche
intellektuelle Entwicklung.
Sie glauben an Gott (den Namen gibt Castelnau nicht an) und
nehmen an, daß die Seelen derjenigen, die sich auf Erden gut
aufgeführt, zu ihm zurückkehren, während diejenigen der Bösen
berichtet werden. Welche Menschen als gut und bös gelten, erfahren wir
—
Ebd. 265. 2 Ebd.
Pxpedition dans les parties centrales de l'Amérique du Sud 1848 - 1847,
Histoire du voyage III I0O ff.
168
Vierter Teil. Die Naturvölker Amerikas.
leider nicht!. — Sie haben ein klares und dem unsrigen ganz ähnliches Zahlen⸗
system. Die meisten Wilden zählen nur bis fünf oder höchstens bis zehn, wobei
sie sich der Finger bedienen, dann folgt ein Wort, das viel bedeutel. Bei den
Guatos war es ganz anders, sie konnten beliebig in indofinitum weiter zählen.
Die Guatos zeigen den eigentümlichen Charakter eines Volkes, das fast ohne
nationales und politisches Band lebt und nie ganze Dörfer bildet. Jede Fa⸗
milie lebt getrennt und baut ihre Hütte in den unzugänglichsten Orten. Ihr
Mobiliar besteht außer den Hängematten aus einigen Kalebassen und Tiger⸗
fellen. Die Hauptwaffen des Mannes sind Bogen und Pfeile und besonders
eine lange Lanze, die seine unzertrennliche Begleiterin ist und mit der er kühn
dem Tiger zu Leibe rückt. /Fast sein ganzes Leben bringt der Guato in seiner
Piroge zu, und wenn die Fluten seine Hütte überschwemmen, bleibt er wochen⸗
lang mit seiner Familie darin. Jeder Mann hat mehrere Frauen, gewöhnlich
schwankt ihre Zahl zwischen drei bis zwölf. In einer Hütte findet man nie
mehr als einen Mann. Die Eifersucht ist die Leidenschaft, die die Seele dieser
Wilden am meisten erregt, und die Hut der zahlreichen Frauen scheint sie ganz
in Anspruch zu nehmen. Sobald der Sohn das Alter der Pubertät erreicht,
sucht er sich eine Frau und gründet seine eigene Niederlassung.
Zweimal im Jahre zu bestimmten Zeiten versammeln sich die Männer an
den zum voraus von den Häuptlingen bezeichneten Orten; denn diese Republi⸗
kaner par excellence haben doch ihre erblichen Kaziken. Die genannten Ver⸗
sammlungen finden an Orten statt, denen sie, wie es scheint, eine Art religiöser
Verehrung zollen, wie z. B. einigen Spitzen der Dourados und dem Zugang
zum großen Uberavasee.
Die Sprache dieser Indianer ist äußerst sanft, besonders im Munde der
Frauen, die übrigens, wahrscheinlich infolge ihrer gedrückten Lage oder der Eifer—
sucht der Männer, sehr melancholisch aussehen. Bei der Fahrt auf dem Para⸗
guay nahe dem Gaivasee fand de Castelnau viele Guatos. Die außerordent⸗
liche Milde ihrer Sitten und ihre kindliche Neugierde erinnerten den Reisenden
an die Kariben, so wie sich diese den ersten Reisenden darboten. Unter diesen
Indianern befand sich ein krankes Kind, das seine Eltern mit der zärtlichsten
Sorge pflegten. Sie hatten ihm die Hornringe (grélots) einer Klapperschlange
und den getrockneten Kehlkopf eines Brüllaffen um den Hals gehängt.
8. Die Calchaquis.
Wie Guevara? berichtet, hatten die Wilden des Gran Chaco nur wenige
Idole und selten wurden Gebetshäuser angetroffen, in denen man Opfer dar⸗
hrachte und Weihrauch verbrannte; nur im Süden gegen Tucumänn fand man
einige Götzen, deren Tempel armselige, dem Götzen geweihte Hütten waren.
Das gilt namentlich von den Calchaquis.
Auch Cardus (Las Misionas Franciscanas usw. 279) sagt von den Guatos
(oder Guatoses, wie er sie nennt): „Sie glauben an einen Gott und an ein anderes
Leben.“
2 Historia de la Conquista del Paraguay 33.
8. Die Calchaquis.
169
Die Calchaquis bewohnten die westlichen Teile von Tucuman. Sie waren dem
Namen nach Untertanen der Inka, aber in Wirklichkeit ziemlich unabhängig. In
einem fast hundertjährigen Kriege verteidigten sie erfolgreich ihre Freiheit gegen
die Spanier, denen sie sich erst um die Mitte des 17. Jahrhunderts unterwarfen.
Fast allgemein nimmt man an, daß sie auf einer ziemlich hohen Kulturstufe
standen und manchen Einfluß der höheren Kultur des Inkareiches verdankten.
Das von ihnen bewohnte Land besaß zahlreiche Straßen, in der Art der perua—
nischen, aber ohne die dort regelmäßig verteilten Postherbergen. Sie wohnten
in steinernen, mit Binsen oder Stroh gedeckten Häusern. Die einzelnen Stämme
varen von Kaziken regiert, deren Erwählung die Bestätigung der Inka bedurfte.
Die Quichuasprache (peruanische Landessprache) wurde von den Häuptlingen
derstanden, die Masse der Bevölkerung hatte eine völlig verschiedene Sprache 1.
Buevara schreibt von den Calchaquis: Sie beteten Blitz und Donner
an, die sie als ihre Götter ansahen, und denen sie kleine Tempel bauten. Im
Innern an den Wänden herum stellten sie mit Widderblut begossene Stäbe auf,
die sie in ihre Hütten und auf die Saatfelder brachten. Sie versprachen sich
don der Kraft, welche diese Stäbe im Angesichte ihres Gottes erlangt hatten,
alles Glück und allen überfluß. Man fand in ihrem Land auch Götzen, zu
deren Tempel man Wallfahrten machte, um dort blutige Menschenopfer dar—⸗
ubringen. In der Nähe von Charayas (Xarayas) fand man eine ungeheure,
schreckliche Schlange, welche die Eingebornen mit großer Ehrfurcht anbeteten und
welche sie durch Opfer zu versöhnen suchten. Wenn sie mit Blut gesättigt war,
derpflichtete sie ihre Verehrer zu Kriegen, um ihre unersättliche Gefräßigkeit mit
den Gefangenen zu befriedigen und ihr Blut zu trinken. Einige Stämme ver—
mstalteten auch zur Zeit von Unglücksfällen oder wenn sie einen Krieg vor—
hatten, große Bitigänge, bei denen sie viele Opfer darbrachten, um ihre Götter
zu versöhnen, von denen sie glaubten, sie seien erzürnt. Man weiß nicht, sagt
Guevara, wie weit sich die Macht dieser Götter erstreckte, doch scheint kein Zweifel
zu sein, daß sie den allgemeinen Schöpfer aller Dinge vergaßen und seine Ge—
walt unter ihre Götzen verteilten, so daß sie den einen die Macht über Stürme
und Saaten, den andern die Macht über Krankheiten und Kriege zuschrieben?.
Auch der Sonnenkultus war bei manchen Stämmen dieses Volkes, wohl
durch den Einfluß der Peruaner, eingeführt. Sie hatten zahlreiche Idole, darunter
solche aus Kupfer, die sehr klein waren und als Amulette um den Hals ge⸗
tragen wurden.
In Krankheitsfällen kamen alle Verwandten und Freunde im Hause
des Leidenden zusammen, wo sie während der Dauer der Krankheit zechend blieben.
Zahlreiche neben dem Bette in den Boden gesteckte Pfeile sollten den Tod fern—
halten. Trat dieser doch ein, so beerdigte man den Toten in einer großen Urne
mit seinen liebsten Haustieren, Waffen und Kleidern. Dann wurde das Haus
derbrannt, damit der Tod, der es nun einmal kenne, nicht in dasselbe zurückkehre.
Bei den Ausgrabungen im Calchaquiland fand man im vorigen Jahrhundert
droße Ruinen. welche für diese jetzt einsamen Gegenden die einstige Existenz
Vgl. H. v. Ihering, Die Calchaquis, im Ausland 1891, 944.
?Guevara a. a. O. 33-34. s v. Ihering a. a. O.
170 Vierter Teil. Die Naturvölker Amerikas.
riner alten Kultur bezeugen. Unter anderem fand man eine Graburne von großer
Schönheit. Sie enthielt Knochen von einem erwachsenen Mann und eine kleine
Urne mit trefflich erhaltenem gerösteten Mais. Nach der unter der heutigen Bevöl⸗
ferung jener Gegend erhaltenen Tradition war die Speise bestimmt für den Toten,
bon dem man annahm, daß er an der Meeresküste wieder auferstehen werde!.
Wie wir schon früher bei den Guaranis erwähnten, glaubten nach Guevara
alle Völker Paraguays an ein Fortleben der Seele nach dem Tode und an
eine lange Reise, um an den Ort der Glückseligkeit zu gelangen?. Nach Castelnau
hegraben die Piros ihre Toten in hockender Stellung und kommen jeden Tag
vährend eines Monats bei Sonnenaufgang und -niedergang, um sich am Grabe
hinzusetzen. Die Konibos, Lepibos und andere Völker der Pampas haben
nach demselben Reisenden folgende sonderbare Gewohnheit. Wenn ein Kind
zehn oder elf Jahre alt geworden, suchen sie gewisse alte wegen ihrer Heiligkeit
herühmte Weiber auf und bestellen ein dünnes 70 cm langes Band aus Baum⸗
wolle. Während diese Weiber daran arbeiten, müssen sie fasten und sich be—
sonders der Chicha enthalten. Sie machen auf die Baumwolle allerlei Figuren
und übergeben sie dann dem Vater des Kindes. Dieser verfertigt aus einem
Baumast ein Kreuz, das er rot malt. Diese Gegenstände werden während
des Lebens des betreffenden Individuums sorgfältig aufbewahrt; das Kreuz
wird zwischen die Dachbalken der Hütte gelegt. Beim Herannahen des Todes
wäscht man sorgfältig den Leib, malt ihn schwarz, legt ihm ein weißes Kleid
an, zieht dann das oben genannte Band hervor, das der Sterbende umfassen
muß und auf der Brust festhält, bis der Tod eintritt. In diesem Augenblick
legt man ihm das Kreuz in die rechte Hand. Ist die Seele vom Körper ge⸗
schieden, so stellt man ein Gefäß auf den Kopf der Leiche, die man in ein
Moskitonetz einhüllt; nun legt man die Leiche auf den Boden, bindet sie mit
dianen fest, und Männer und Frauen fangen an zu heulen und reißen sich
die Haare aus. Nach Beerdigung der Leiche wird alles, was das Haus des
Verstorbenen enthält, zerbrochen und verbrannt. Den Ort, wo das Haus stand,
bedeckt man mit einer dicken Aschenschicht, welche die Spuren der Seele zeigen
soll, wenn diese nachts herumschweift. Die Zauberer wissen es so einzurichten, daß
man diese Spuren oft findet. Ist dies der Fall, so bringt man acht oder vier⸗
zehn Tage lang Schildkröten, Mais, Chicha usw. Die Seelen beklagen sich zuweilen
durch den Mund der Zauberer, daß man ihnen nichts zu essen gegeben habes.
Die Missionäre, berichtet Castelnau, haben mir stets versichert, daß das
Kreuz in der Pampa del Sacramento schon vor der Ankunft der Weißen
immer verehrt worden sei, ebenso wie in Tiahuanaco, Mexiko und Yucatan. —
Alle Völker der Gegend, in der wir uns befanden, glauben an die UÜnsterblich⸗
keit der Seele und meinen, daß sie sich nach ihrer Trennung vom Leibe
zum Himmel erhebe. Die Lemis und Remos sagen, daß die Seelen der
Bösen in unterirdischen Feuern brennen und die der Guten den Mond be⸗
wohnen; aber die meisten von diesen Nationen nehmen an, daß alle gerettet
werden mit Ausnahme der Weißen“.
v. Jhering, Die Calchaquis, im Ausland 1891, 964. 2S. oben S. 136.
de Castelnau, Histoire du voyage usw. IV 384. Ebd. 387.
4
9. Die Chiriguanos.
171
9. Die Chiriguanos.
Schon im 17. Jahrhundert besaßen die Franziskaner eine Niederlassung in
Tarija im Süden des heutigen Bolivia. Diese hatte aber mit großen Schwierig—
keiten zu kämpfen. Erst im Jahre 1755 wurde sie zu einem Kollegium er—
hoben, und jetzt konnte man eine segensreiche Missionstätigkeit unter den Ein—
gebornen entfaiten. Ein Franziskaner dieses Kollegiums, P. Antonio Comajuncosa,
hat diese Missionstätigkeit in einem Werke, das er im Jahre 1810 vollendete,
heschrieben. Das Werk blieb aber Manuskript und ist erst im Jahre 1884
durch P. Corroda veröffentlicht worden!. Es enthält sehr viele und wertvolle
Schilderungen der Sitten und Gebräuche der von den Franziskanern missio—
nierten Wilden.
Wir wenden uns an der Hand der genannten Missionsberichte zuerst den
Chiriguanos (Tschiriguanos) zu, die nordöstlich von Tarija an der Grenze des
Gran Chaco leben und aller Wahrscheinlichkeit nach in früheren Zeiten aus
Paraguay in ihr heutiges Gebiet eindrangen und die ursprünglichen Bewohner
derdraͤngten oder vernichteten. In der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts be⸗
rechnete P. Lozano die Zahl der Chiriguanos auf 25 000 -35 000 waffenfähige
Maͤnner ohne Weiber und Kinder?. Heute ist ihre Zahl sehr zusammengeschmolzen.
Nach den Angaben der Missionäre sind die Chiriguanos im allgemeinen
groß und kräftig gebaut. Das Haar ist dicht und schwarz, der Bart spärlich.
Die Hautfarbe gleicht der von altem, feuchtem Pergament. Knaben und Mädchen
gehen völlig nackt, die Erwachsenen tragen ein Stück Tuch oder einen Gras—
bzw. Federbüschel um die Lenden. Nach P. Chomé, der in den Jahren 1735
und 1736 bei den Chiriguanos sich aufhielt, gingen die Männer, wenn sie
daheim waren, gewöhnlich ganz nackt; „sie haben zwar Lederhosen, aber tragen
sie meistens unter dem Arm“. Die Frauen trugen einige alte Lumpen, die vom
Gürtel bis auf die Knie herabreichtens.
Die Chiriguanos leben in kleinen Weilern auf Anhöhen in der Nähe eines
Flusses. Jede Niederlassung besteht aus acht bis zehn Hütten. Diese bilden
nur einen ziemlich großen viereckigen Raum, der zu allen häuslichen Verrichtungen
dient. Die Wände aus Pfählen oder aus Rohr sind mit Lehm verkittet. Das
steile Strohdach reicht fast bis zum Boden. Damit der Rauch von dem beständig
unterhaltenen Feuer ausziehen könne, ist eine Offnung im Dach angebracht,
jedoch in der Weise, daß der Regen nicht eindringen kann. Die ganze Aus—
stattung besteht aus einigen roh gearbeiteten Holzblöcken, die als Bänke dienen,
ferner aus einigen niedrigen Rohrbettstellen und einigen Hängematten, die an
den das Dach tragenden Pfählen befestigt sind; weiterhin aus einem Vorrat von
EI Colegio Franciscano de Tarija y sus Misiones. Noticias histéricas recogidas
por dos Misioneros del mismo Colegio. Quaracchi 1884. Typografia de Colegio di
S. Buenaventura.
2 Descripcioôn chorografica ete. de la dilatadisimas Provincias del Gran Ohaco-
Gualamba, Dordova 1788. Wir zitieren nach der handichriftlichen Übersetzung des
P. Speth, vgl. oben S. 138.
s3 Der Brief Chomes ist datiert aus Tarija, den 3. Oktober 1735, und abgedruckt in
den Lettres é6diftantes et curieuses. nouvelle élition V, Lyon 1819, 180 ff.
172 Vierter Teil. Die Naturvölker Amerikas.
Kesseln, Platten u. dgl. Für die Festtage und die Bewirtung der fremden
Häste haben sie feiner gearbeitete Platten und Schüsseln.
Die gewöhnliche Nahrung besteht aus Mais, Bohnen und süßen Pataten,
die sie selbst pflanzen. Einen Teil der Nahrung liefern Fischfang und Jagd.
Als Leckerbissen gelten Heuschrecken, Zikaden u. dgl.
Das Lieblingsgetränk der Chiriguanos ist eine Art Maisbier, das sie Cangüi
nennen, und das in Amerika allgemein unter dem Namen Chicha bekannt und
iehr nahrhaft ist. Seine Zubereitung ist eine Hauptbeschäftigung der Frauen.
Die Eingebornen nehmen keine Mahlzeit ohne dieses Getränk ein, und oft ersetzt
es alle andere Nahrung. Sie haben eine große Vorliebe für dasselbe. Ein
Eingeborner sagte einem Missionär: das Cangui ist unser Vater und unsere
Mutter. In großen Massen wird dieses Bier besonders bei dem großen Ernte⸗
fest getrunken, das mehrere Tage dauert, mit Tänzen, Gesängen gefeiert wird
und oft mit wüsten Orgien endet.
Jede Niederlassung hat einen Häuptling oder Kaziken, den sie Tubicha
(Groß) nennen: außerdem gibt es noch Oberhäuptlinge, die einen ganzen Distrikt
regieren. Die Kazikenwürde ist erblich; die Sohne folgen dem Vater, und wenn
keine Söhne vorhanden sind, die Brüder oder endlich die Vettern. Wenn der
Häuptling hart ist oder sein Reden und Handeln den Untertanen nicht gefällt,
verweigern sie ihm den Gehorsam, verlassen ihn und rufen einen andern zum
Hhäuptling aus1.
Der Tubicha beherbergt die Fremden, hält den Frieden aufrecht, richtet zu—
weilen im Schweigen der Nacht Reden an die Untergebenen und kündigt die
oͤffentlichen Feste an. Zu seinem Amt gehört es, bei öffentlichen Unglücksfällen
die Zauberer zusammenzurufen, mit ihnen zu beraten und den Urheber des bösen
Zaubers töten zu lassen. Er erklärt den Krieg, stellt sich an die Spitze seiner
Truppen und schließt zu gegebener Zeit den Frieden. Kriege werden unter⸗
nommen, um Räubereien, Frauenraub und böse Zaubereien zu rächen. Ihre
Hauptwaffe ist der scharfe und mit kleinen Widerhaken versehene Pfeil, den fie
mit großer Gewandtheit und Sicherheit abschnellen. Die Köpfe der getöteten
Feinde oder wenigstens ihre Haare oder ein Glied werden als Trophäen mit⸗
genommen und bleiben lange Zeit der Beschimpfung der Weiber und Kinder
ausgesetzt.
Früher war bei den Chiriguanos die Menschenfresserei im Gebrauch, wie
aus zahlreichen Zeugnissen hervorgeht. Heute besteht diese Sitte nicht mehr,
doch fand ein Missionär noch einen Rest davon. Ein alter Kazike, ein ge⸗
fürchteter Kriegsheld, ließ dem getöteten Feind die Brust öffnen, das noch zuckende
Herz herausreißen, zerschnitt es in kleine Stücke und verteilte diese unter seine
Krieger, die sie roh verschlangen. Wer sich dagegen sträubte. den nannte er
spöttisch ein Weib.
Duelle und Selbstmorde kommen bei den Chiriguanos selten vor;
dagegen ist der Abortus sehr häufig, namentlich von seiten der ledigen Mütter.
Nicht selten nimmt auch die entmenschte Mutter durch Kindsmord Rache an dem
Mann, der sie im Stiche gelassen hat.
1EI Colegio Franciscano de Tarija usw. 45.
9. Die Chiriguanos.
173
Es ist Gesetz, das selten eine Ausnahme erleidet: jedes Kind, welchem bei
der Geburt ein Glied fehlt oder das sonst mißgestaltet ist, wird getötet. Von
den Zwillingen läßt man nur einen am Leben, damit er die ganze Milch er—⸗
halte. Nach de Castelnau! zeigen die Chiriguanos große Liebe zu ihren
Kindern, und nie hat man bei diesem Volk die bei andern Stämmen des Chaco
verbreitete Sitte der Kindertötung wahrgenommen; er will sogar darin den
Grund finden, warum es sich stärker vermehrt als die andern Stämme. Nach
dem Gesagten bedarf diese Behauptung doch großer Einschränkungen.
Gewöhnliche Laster der Chiriguanos sind das Stehlen und Lügen und be—
sonders die Trunksucht nebst der damit verbundenen Ausschweifung?. Obwohl
sie aber sehr ausgelassen sind, so bewundern und verehren sie doch in andern die
Tugend. „Zur Zeit einer großen Dürre“, so erzählt ein Missionär, „besuchte uns
ein alter Kazike, der wegen seines wohlwollenden Charakters von den Seinigen
sehr geliebt und geschätzt war. Er bat uns inständig, wir sollten von Gott
Regen erflehen, da die Saaten schon zu Grunde gingen. „Sehr gern', antwortete
man ihm, ‚wir werden es gern tun; aber auch ihr müßt zu Gott beten, da ihr
ebenso gut seine Geschöpfe seid wie wir.“ „O nein', antwortete der Alte lachend,
wir können nicht vor Gott erscheinen, da wir so schmutzig und übelriechend
sind; ihr aber, die ihr mit Weibern nicht umgeht, ihr könnt mit Vertrauen' vor
Gott hintreten und sicher sein, daß er euch gern erhört.“ Gewiß ein schönes
Zeugnis der Achtung vor dem Zölibat.“s
Ein den Männern gemeinsames Laster ist die Trägheit. Ihre Arbeit be—
schränkt sich darauf, einmal im Jahr zu säen und das Holz herbeizuschaffen,
das sie jeden Tag gebrauchen. Die übrige Zeit bringen sie mit Spielen zu
oder schlendern herum oder liegen in der Hängematte.
Jedes Familienhaupt hat seine getrennte Hütte und sein Eigentum wird
respektiert. Jeder Stamm hat sein eigenes Gebiet zum Bebauen und zum
Jagen, und dieses Eigentum kann von Fremden nicht ungestraft verletzt werden?.
Beim Anpflanzen und Ernten helfen sich die Leute gegenseitig; der Eigen—
tümer des angepflanzten Bodens muß bei der Heimkehr von der Arbeit einige
Krüge Maisbier spenden. So gestaltet sich die Zeit der Aussaat für unsere
Indianer zu einem fortwährenden Fest.
Die Frauen dagegen gönnen sich fast keine Ruhe. Außer den gewöhn⸗
lichen häuslichen Verrichtungen und der ebenfalls gewöhnlichen Herstellung des
Bieres müssen sie die Ernte einsammeln und heimtragen, die Hausgefäße her—
stellen usw.
Religion. P. Chomés behauptet, die Chiriguanos anerkennten keine
Gottheit. Diese Außerung klingt an sich schon befremdlich, denn er selbst be⸗
hauptet, die Chiriguanos seien Guaranis, die die Guaranisprache reden und aus
ihrem früheren in das heutige Gebiet ausgewandert seien. um sich nicht der
1Voyage dans les partieos centrales de l'Amériquo du Sud VI (Voyage dans lo
dud de la Bolivie) 312.
2 Nach Lozano (Descripeion chorografica usw. 8 4) trieben die Chiriguanos auch
vielfach Blutschande.
EI Colegio Franciscano de Tarija 47. Ebd. 48.
s Lettres édifiantes et curieuses V 200.
—174 Vierter Teil. Die Naturvölker Amerikas.
panischen Herrschaft zu unterwerfen. Nun haben aber die Guaranis zweifellos
eine höchste Gottheit anerkannt; es ist schon aus diesem Grunde schwer glaublich,
daß die Chiriguanos ohne Kenntnis einer Gottheit gewesen sein sollten. Die
Franziskanermissionäre, die länger bei diesem Volke geweilt, haben denn auch
eine solche Kenntnis konstatiert. Obwohl es bei den Chiriguanos keine Tempel,
keine Altäre, keine Idole und keine Spur eines religiösen Kultes gibt, so ist
doch sicher, daß sie geistige, unsichtbare und überlegene Wesen anerkennen, die
sfie Tumpan nennen, und unter diesen gibt es ein höchstes Wesen, das von
der Höhe donnert und Regen sendet. Sie glauben auch an Schutzgeister der
Wälder, Felder, Flüsse, Bäume usw., die sie Iha (Herr) nennen und fürchten.
Um sfie günstig zu stimmen, flehen sie beim Vorübergehen an den Orten, die
unter ihrer Herrschaft stehen, mit dem rituellen Satz: Tunparemo tairo, cheru
Möge ich heil sein, o mein Vater). Gleiche Anrufungen richten sie zuweilen
auch an die Sonne, besonders im Kampfe. Endlich glauben sie auch an
schädliche und schreckliche Nachtgeister oder Gespenster, die Ana heißen; daher
kommt ihre Angst, wenn sie in der Nacht reisen oder auch nur ihre Hütten
—AV
Am meisten Angst aber haben die Eingebornen vor den Zauberern (ipayeo).
Es gibt deren zwei Klassen. Die einen sind wohltätig, sie heilen die Krank—
heiten, verschaffen Regen und spenden andere Wohltaten. Man achtet diese
Zauberer wie Götter und nimmt in allen öffentlichen und privaten Mißgeschicken
zu ihnen seine Zuflucht. Um die Krankheit zu heilen, raucht der Zauberer zuerst
und saugt dann mit großer Kraft an der kranken Stelle und gibt sich den
Schein, als ziehe er aus dem Leib den Tupicho (bösen Zauber), der gewöhnlich
n einem kleinen Wurm oder einem kleinen Stein u. dgl. besteht.
Die andere Art Zauberer (Hexen) treibt ihr Unwesen im geheimen. Sie ver⸗
ursachen Böses, vertreiben die Regenwolken, locken die Tiger, Heuschrecken und
andere Plagen herbei und verursachen Krankheiten und Tod. Der Chiriguano
glaubt, er würde nie sterben, wenn nicht ein böser Zauberer die tödliche Krank⸗
heit in den Leib hineinschaffte. Selbst wenn einer von einem Tiger zerrissen
wurde, ist es der böse Zauberer gewesen, der sich in das Tier verwandelt und
den Gegner umgebracht hat. Wird ein Zauberer entdeckt, so wird er getötet.
Derartige Hinrichtungen sind nicht selten.
Vor Donner, Blitz und Erdbeben zeigen sie keine Furcht, wohl aber vor
den Sonnenfinsternissen, weil sie glauben, daß ein unbekanntes wildes Tier sich
auf die Sonne werfe, um sie zu verschlingen; gelänge ihm sein Vorhaben, so
würde ewige Nacht die Erde bedecken. Um die Bestie zu verscheuchen, machen
fie mit verschiedenen Instrumenten einen Höllenlärm und schreien dazu nach
Kräften?.
Nach der Geburt eines Knaben muß der Vater in der Hütte liegen bleiben
und streng fasten, sonst wäre es um das Kind geschehen. Wenn ein Mädchen
in das heiratsfähige Alter kommt, muß es sich in eine Hängematte am Dache
1El Colegio Franciscano de Tarija 49. Nach P. Cardus, der die Chiriguanos
in ihrem Zustand um 1883—1884 beschrieben hat, bezeichneten sie mit Tumpa nur Gott
selbst (vgl. Las Misiones Franciscanas usw. 247).
2 El Colegio Franciscano de Tarija 50.
9. Die Chiriguanos.
175
legen. Nach einem Monat läßt man, wie P. Chomé! sagt, die Hängematte bis
zur Hälfte herunter, und im dritten Monat kommen alte mit Stöcken bewaffnete
Weiber in die Hütte, laufen nach allen Richtungen, schlagen auf alles, was
ie antreffen, und verfolgen, wie sie sagen, die Natter, welche das Mädchen ge—
stochen hat, bis endlich eine diesem Treiben ein Ende macht, indem sie behauptet,
sie habe die Natter getötet. Nach P. Cardus? muß das Mädchen mit rasiertem
Kopf mehrere Monate noch in einem abgesonderten Winkel des Hauses verweilen,
wo niemand zu ihm Zutritt hat außer einer nahen Verwandten, die ihm alles
Notwendige besorgt. Es muß hier während mehrerer Monate fasten und das
Stillschweigen beobachten, um sich gegen gewisse Widerwärtigkeiten zu schützen.
In der Jugend lebt der Chiriguano zügellos. Endlich kommt die Zeit,
wo er sich um eine Lebensgefährtin umsieht. Hat er eine gefunden, so sucht
er zuerst durch wiederholte Geschenke an Früchten und Wildbret ihre Zuneigung
zu gewinnen. Dann legt er ein Bündel Holz vor ihre Türe: nimmt sie es
und trägt es in ihre Hütte, so gilt die Ehe als geschlossen, sonst als abgelehnts.
Selbstverständlich ist auch die Einwilligung der Eltern erfordert. Nach Cardus
wird heute bei den Chiriguanos der Ehebund gewöhnlich nur durch den Tod
gelöst. Im Fall einer Ehescheidung muß die Verstoßene alles zurücklassen, was
sie vom Manne erhalten hat, selbst wenn sie von allem entblößt wegziehen müßte.
Früher scheint die Ehe viel lockerer gewesen zu sein. Chomé sagt: „Ein Mann
verläßt seine Frau, wann es ihm gefällt, daher kommt es, daß sie fast in allen
Dörfern Kinder haben.““ Aus diesem Brauch darf man wohl schließen, daß
die Vielweiberei auch früher nur selten war; heute ist sie jedenfalls selten ge—
worden. Nur die Häuptlinge haben zwei oder auch, jedoch selten, mehr Frauen.
Bewöhnlich leben sie mit der Mutter und der Tochter oder mit zwei Schwestern
zusammen. Obwohl sie so die Gesetze der Verschwägerung mißkennen, achten
sie doch sehr die Gesetze der Blutsverwandtschaft. Sie verheiraten sich nicht mit
nahen Verwandten. Obwohl die Sittlichkeit vieles zu wünschen übrig ließ,
wurde doch stets der Anstand gewahrt. „Sehr überrascht hat es mich“, bemerkt
Chomés, „daß ich trotz der Zügellosigkeit, in der sie leben, nie eine unanständige
Handlung eines Mannes gegen eine Frau beobachtet habe; nie auch habe ich
aus ihrem Munde ein minder anständiges Wort gehört.“ Das beweist jeden⸗
falls, daß ihnen das Gefühl für Schicklichkeit nicht ganz fehlte.
Beginnt bei einem Kranken der Todeskampf, so vereinigen sich alle Ver—
wandten in seiner Hütte und fangen an zu wehklagen und zu weinen. Die
Weiber nahen sich ihm mit Zeichen zärtlicher Anhänglichkeit und drücken seine
Brust und seinen Mund zusammen, als ob sie den Geist verhindern wollten,
den Körper zu verlassen. Im Augenblick des Hinscheidens erheben sie ein furcht—
bares Geschrei. Dann wird der Leichnam zum Begräbnis vorbereitet, es werden
ihm die schönsten Kleider angetan, das Gesicht wird bemalt, und sodann wird
er mit den Gerätschaften, die er im Leben zu gebrauchen pflegte, auf den Boden
gelegt, und zwar so, daß das Kinn zwischen die Knie kommt und die Arme
über den Beinen sich kreuzen. Die Witwe oder die nächste Verwandte stützt
Lettres é6disiantes et curieuses V 202. 2 A. a. O. 51.
Chom6é a. a. O. 20o1. 6Ebd. s Ebd.
176 Vierter Teil. Die Naturvölker Amerikas.
ihn mit ihrem Arm, und die übrigen sitzen oder stehen im Kreise herum und
feiern das Begräbnis mit lautem Klagen. Die Zeremonie dauert einen ganzen
Tag, und wenn es sich um einen Kaziken oder eine besonders geliebte Person
handelt, noch länger. Inzwischen wird in dem Hause, in dem der Todesfall
borgekommen, ein 2—3 Meter tiefes Grab gemacht und ein großer Krug
in dasselbe gestellt. Die Leiche wird in der schon beschriebenen Stellung ins
Hrab gebracht, und zwar mit dem Gesicht nach Osten, und daneben eine kleine
Kürbisflasche mit Wasser oder Bier und etwas Feuer gelegt, damit es dem
Verstorbenen auf dem langen Wege, den er zurückzulegen hat, nicht an Erfrischung
und Feuer fehle. Zuweilen begraben sie mit ihm einen von den Lebenden,
damit er ihm Gesellschaft leiste. Schließlich wird der rohe Sarg mit einem
Deckel zugedeckt, anderes Bier darauf gestellt und das Grab mit Erde zugeschüttet.
Auf das Grab werden das Messer, die Art, der Bogen, und was sonst der Tote
zu gebrauchen pflegte, gelegt. Nach drei Tagen werden diese Dinge, soweit sie
nicht von Eisen sind, verbrannt. Die Trauer dauert dann noch wenigstens zehn
Tage, während denen die nächsten Verwandten in der Nähe des Grabes klagen
und fasten. Besonders in der Nacht nach dem ersten Hahnenruf erheben sie ein
sichreckliches Geheul.
Die Seele des Verstorbenen, jetzt ein Aña geworden, schweift einige
Zeit um das Dorf herum, bis sie ihren Weg nach Ignoca, dem Paradies der
Chiriguanos, antritt. Dort führt sie mit den andern Añas ein sehr fröhliches
Leben, ohne Unterlaß singend, tanzend, spielend und Cangui trinkend. Nachdem
sie lange Zeit diese Freuden genossen, verwandelt sie sich in einen Fuchs, und
nach dessen Tod in eine Ratte und nach deren Tod endlich in einen Baum⸗
stamm, und geht dieser zu Grunde, so verschwindet auch die Seele für immer.
An eine Strafe der Bösen nach dem Tode glaubten sie nicht; das geht daraus
hervor, daß ihnen die Annahme des christlichen Dogmas von der Hölle große
Schwierigkeiten machte und sie nicht selten darüber spotteten, wie Guevara! erzählt.
Von den Überlieferungen ihrer Ahnen wissen die Chiriguanos ungefähr nichts,
da sie ganz den Freuden des Augenblicks hingegeben sind und weder an die
Vergangenheit noch an die Zukunft zu denken pflegen.
10. Die Chanées.
Mitten unter den Chiriguanos lebt zerstreut ein anderer Volksstamm, der sich
heute in Gestalt, Sitte und Sprache so wenig von ihnen unterscheidet, daß man
beide Stämme kaum auseinanderhalten kann. Es sind die Chanés. Nach einer
konstanten Überlieferung sind die Chanés die Überreste einer Nation, welche in
längst vergangener Zeit von den aus dem Lande der Guaranis eingewanderten
Chiriguanos zum guten Teil ausgerottet wurde. Nur die kleinen Kinder wurden
erhalten und von den Eroberern in ihren Sitten und ihrer Sprache erzogen
und als Sklaven behandelt. Allmählich aber vermehrten sich diese Sklaven und
Historia de la conquista del Paraguay 50. Nach Chomè (Lettres édifiantes et
curieuses V 2083) glaubten die Chiriguanos an die Unsterblichkeit der Seele. wußten
aber kaum, was nach dem Tode aus ihr werde.
10. Die Chanés.
177
wußten sich zu emanzipieren. Die beiden Stämme vermischen sich nicht mit⸗
zinander, und trotz der äußeren Gleichheit wissen sie sich genau zu unterscheiden.
Die Chiriguanos nennen die Chanes Tapui, was so viel heißt als: Nachkommen⸗
schaft von gekauften Dingen, und sie geben ihnen den Namen Chiramui, Chiyari
(mein Sklabe, meine Stlavin), während die Chanes die Chiriguanos mit dem
Titel: Cheya — mein Meister — ehren. Das bestätigt die Wahrheit der Über⸗
lieferung. Obwohl die Chanés den Chiriguanos sonst völlig gleich sind, über⸗
treffen fie sie doch an zäher Anhänglichkeit an ihre väterlichen Sitten, an Eifer
für ihre Unabhängigkeil und an Abneigung gegen die Annahme der chriftlichen
Zivilisation !.
Ein Jesuitenmissionär aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts erklärt
übrigens das Vorkommen der Chanés unter den Chiriguanos anders, als es
im obigen Bericht geschieht. Er schreibt: „Dank dem Scharfsinn und der Tat⸗
kraft, die diesem Volke (den Chiriguanos) eigen sind, seiner Neigung zum Krieg
und seinem ehrgeizigen Streben, die benachbarten Völker zu beherrschen und sich
dienstibar zu machen — machen sie doch so viele Kriegsgefangene, daß sie sich
aus ihnen ganze Sklavendörfer, Chanes genannt, gründen.“ Danach waren
also die Chanés nicht die Urbewohner, sondern gefangene Sklaven.
Neuestens hat Erland Nordenskiölds die Chanes und die Chiriguanos
nach einem längeren Aufenthalt unter ihnen eingehend beschrieben. Er behandelt
deide Völker als völlig gleich, teilt aber manche Sagen der Chanés mit, die ein
ziemlich klares Licht auf ihre religiösen Anschauungen werfen. So erzählen fie
folgendes vom Leben im Jenseits und dem Totenreiche. Aguararenta (aguara
— Fuchs, tenta srenta?] — Dorf) ist ein Dorf, wo die Toten, Aña, wohnen.
Es liegt im Osten. Des Nachts sind die Toten dort in Menschengestalt, am
Tage gehen sie als Füchse, Ratten und andere Tiere umher oder gehen in einen
Baumstamm. Jede Nacht sind in Aguararenta große Trinkgelage. Alle Chanés,
Kinder, Frauen und Männer, kommen dorthin. Auch Verherer (geheime böse
Zauberer) und Mörder kommen nach dem genannten Dorf. Niemand wird,
berichtet Nordenstiöld, im Totenreich der Chanés bestraft“‘. Wenn die Chanés
die gleichen Anschauungen haben wie die Chiriguanos, wäre das nach dem oben
Gesagten nicht ganz richtig.
Nach Nordenskiöld ist „bei den Chanés und Chiriguanos der Glaube an
ein jenseitiges Leben wie bei andern Indianern auf Träume gegründet“. Das
ist eine aprioristische Behauptung, die man mit demselben Rechte leugnen kann,
mit dem sie aufgestellt wird. Es ist bare Willkür zu sagen, daß allgemein der
Indianer „das im Schlaf Erlebte als Wirklichkeit“ annehme. Sehr sonderbar
flingt folgende Äußerung: „Es ist indessen unrichtig, zu sagen, daß die In⸗
dianer an ein Leben im Jenseits glauben. Er weiß, daß es ein solches gibt,
denn Lebende haben die Toten gesehen, haben mit ihnen der Liebe gepflogen,
EI Colegio Franciscano de Tarija 54.
2 Vgl. A. Huonder, Die Völkergruppierung im Gran Chaco im 18. Jahrhundert,
im Globus LXXXI (I902) 388.
»Indianerleben. El Gran Chaco (Südamerika), Leipzig 1912.
Ebd. 255.
TFathrein, Die Einheit d. sittl. Bewußtseins. III.
178
Vierter Teil. Die Naturvölker Amerikas.
hjaben Maisbier mit ihnen getrunken, haben fie fich in Füchse, Ratten, Baum⸗
stämme usw. verwandeln sehen.““ Was für ein Unterschied sein soll zwischen
diesem Wissen der Indianer und dem, was man bei ihnen Glauben nennt, ist
schwer zu sagen.
Die Toten sind Aña (Geister). Unter diesen gibt es mehrere, die Tunpa
sind und übermenschliche Kräfte besitzen. Tunpa wird nach Nordenskiöld am
besten mit „groß“ übersetzt. Añatunpa sind die großen Geister. „Der Größte
uinter den Añatunpas ist Yamandutunpa. Andere der Großen sind Ma⸗
riutunpa und Tipayatunpa, Chiqueritunpa“ usw. Diese Añatunpa greifen in
das Leben der Menschen ein, besonders die Zauberer (ipayo) stehen mit ihnen
in Verbindung und haben deshalb große Macht und großes Ansehen. Norden⸗
kiöld sagt: „Der Begriff eines großen, allmächtigen Gottes ist den Chanẽs
fremd.“ Man fragt sich wieder, auf welche Beweise sich diese Behauptung
stützt? Heute, gesteht er, beginnt die Vorstellung von einem großen Gott ein⸗
zudringen. „Vacapoy, der kein Christ war, erzählte mir einmal, die Chanes
zlaubten an einen großen Gott, Tunpa.“ „Den Missionären nach glauben die
Chanés an ein höchstes Wesen, Tunpahette-vae, den wirklichen Gott. Der
Name klingt ihm schon verdächtig. „Ich stehe der Annahme, daß dieser ur⸗
sprünglich sei, sehr skeptisch gegenüber.“ Oben hatte er apodiktisch behauptet, der
Begriff eines großen Gottes sei den Chanés fremd; jetzt steht er der Annahme,
daß sie einen ursprünglichen Namen für diesen Gott hatten, skeptisch gegenüber.
Das Zeugnis der Missionäre gilt ihm wenig. „Als ich mit den Missionären
über die Religion der Indianer sprach, erstaunte ich über ihre Unwissenheit.
Sie verachten die Vorstellungen der Indianer und halten es nicht der Mühe
wert, sie näher kennen zu lernen.“ Das ist sonderbar. Er benutzt die Au⸗
zaben der Missionäre fleißig, solange sie zu seinen Ideen passen, sobald sie
aber seinen vorgefaßten religiösen Anschauungen in die Quere kommen, sind sie
unwissend und verdienen keinen Glauben. Nun höre man, was ihm zwei Chanés⸗
indianer am Rio Parapiti über die Erschaffung der Welt erzählten.
Am Anfang war ein Tunpa. Er machte die Erde mit dem Himmel und
alle Sterne, die Sonne und den Mond. Die Erde trug nichts und war ganz
kahl. Tunpa setzte da allerlei Früchte hinein, um die Armen zu speisen, wie
die Caraguatä und die Mangära. Es wird erzählt, daß dort ein Algarrobo
wuchs, die Mutter aller Bäume. An diesem Baum waren allerlei Früchte und
er hat sich in der ganzen Welt vermehrt. Hierauf kam Tunpa, nahm den
Mutterbaum mit und ließ die Sprößlinge hier. Es wird erzählt, daß Tunpa
die Voreltern von uns und auch die Voreltern der Weißen geschaffen hat. Den
Avas (Chiriguanos) und Chanés gab Tunpa einen Holzspaten und einen langen
geschnitzten Stock, carumpa genannt, Pfeil und Bogen, ein Schaf, eine
Ziege, ein Huhn und einen Hund, damit sie alle diese Tiere vermehren, und
damit sie sich mit diesen Werkzeugen ernähren sollten. Den Weißen gab er
Gewehre, ein Pferd, eine Stute und eine Kuh und alle möglichen Werkzeuge
Nordenfkiöld, Indianerleben 257. J
Ebd. 259. Er zitiert Domenico del Gampana, Notizie intorno ai Cirp
gzuani, im Archivio per l' Anthropologia e Etnologia, Firenze 1902,. 39.
10. Die Chanes.
179
aus Eisen, damit sie mit diesen arbeiteten. Zum letzten Satz bemerkt Norden⸗
skiöld!: Dies ist sicher ein moderner Zusatz zur Sage. Das ist richtig, aber die
Sage selbst ist nach ihm alt und sie beweist klar, daß die Chanes Tunpa als
den Urheber und Schöpfer alle Dinge ansahen, daß sie also den Begriff von
einem großen Gottschöpfer hatten.
Von der politischen Organisation sagt Nordenstiöld?, die Häupt—
linge bei den Chanés und den Chiriguanos haben eine bedeutende Macht. Unter
den Häuptlingen sind zu unterscheiden die großen Häuptlinge, die über mehrere
Dörfer herrschen, und die Dorfhäuptlinge, die nur über ein Dorf oder einen
Teil eines solchen gebieten. Die Häuptlingswürde scheint in der Regel erblich zu
sein, doch sind Tüchtigkeit und die Kunst, seine Worte wohl zu setzen, erforder—
lich. Am Rio Itiyuro war der eigentliche Häuptling eine Frau, an deren Stelle
ein Mann regierte, da sie schon alt und schwach war. Auf die Frage, warum
Vuayruhi als Frau Häuptling geworden, antwortete man Nordenskiöld: „Ihr
Vater Hinu Parava hat sie sprechen gelehrt.“ Es wird somit, um regieren
zu können, als höchst wichtig betrachtet, die Sprache in seiner Gewalt zu haben.
Der Mann der Vugyruyi war nicht Häuptling, sondern nur „Prinzgemahl“.
Die Dorfhäuptlinge gehören ebenfalls dem Geschlecht Hinu Paravas an. Nie—
mand wird Häuptling, wenn er nicht ein älterer Mann ist.
Die Häuptlingsfamilien bilden unter den Chanes und den Chiriguanos eine
Art Aristokratie. Die Häuptlinge besitzen den Boden (wenigstens in gewissen
Begenden), aber nicht für eigene Rechnung, sondern für den Stamm. Braucht
man in einem Dorf Träger, so erhält man sie vom Häuptling, und kein In⸗
dianer weigert sich, die Befehle des Häuptlings auszuführen. Der Häuptling
ist Richter und war früher Heerführer. Totschlag wird in der Weise be—
traft, daß der Totschläger dazu verurteilt wird, bis zu einem halben Jahre für
die Familie des Getötelen zu arbeiten. Ein Dieb bekommt bis zu fünfzig
Rutenschläge und wird, um nicht getötet zu werden, in ein anderes Dorf ge—
schickt. Eine Hauptaufgabe des Häuptlings ist nach Vacapoy (einem Häuptling,
bon dem Nordenstiöld viele Mitteilungen erhielt), Blutrache zu verhindern, indem
man die Verbrecher fortschickt, damit sie nicht gemordet werden. Vater⸗, Mutter⸗
und Kindesmord sind nach seiner Behauptung in seiner Gegend unbekannt.
Nach Batirayu, einem andern Häuptling, beschäftigt sich der Oberhäuptling der
Thanẽs am Rio Parapiti mit keinem andern Verbrechen als mit Mord, Ver⸗
ührung einer fremden Frau und Verhexung. Mord mit vergifteter Chicha
lam früher bei den Chanes vor. Mörder und Verhexer wurden verbrannt.
der Verführer einer Frau wurde aller seiner Habe beraubt. Im übrigen
vurden Diebstahl und andere Verbrechen durch Duelle geschlichtet. Hatte jemand
Jestohlen, so riefen der Geschädigte und der Dieb ihre Verwandten herbei, und
man kämpfte auf dem offenen Platz im Dorfe.
Nach einigen besitzt der Häuptling den Boden für den Stamm; nach andern
st das Recht an dem Grundbesitz so geordnet, daß jeder anbaut, was er will.
Schon bebauter Boden hat seinen Besitzer, wenn er auch jahrelang brachgelegen
hat. So wird auch Brachland vererbt. Die Erbschaften werden im übrigen
————
Ebd. 260. 2 A. a. O. 228 ff. s Ebd. 232.
4
180
Vierter Teil. Die Naturvölker Amerilkas.
dadurch bedeutend eingeschränkt, daß der Tote einen Teil seiner Kostbarkeiten
mit in das Grab nimmt.
Obwohl die Indianer oft sehr frei sind in Reden über geschlechtliche Dinge,
gibt es doch auch hier Worte, die verboten sind. „Das Unnatürliche im Ge⸗
schlechtsleben ist auch hier so schändlich, daß es sich nicht paßt, darüber zu
sprechen. Es gibt auch Indianer, die niemals über solche Gegenstände sprechen
wollen.“ 1 Daß es unter ihnen Leute gibt, die an obszönen Witzen und Er—
zählungen Freude finden, braucht nicht zu wundern, da es an solchen auch bei
den Zivilisierten nicht gebricht. „Eigentümlicherweise wird es unter den In⸗
dianern nicht als eine Schande betrachtet, in einem homosexuellen Verhaltnis
der Aktive zu sein, der Passive wird aber tief verachtet. Er wird als Weib
hetrachtet.“ Doch sagt Nordenstiöld später selbst allgemein, daß die Chanẽs
die Homosexualität als eine Schändlichkeit ansehen. „über Onanie habe ich
hei den Chanés und Chiriguanos nichts gehört“, während sie bei den Charotis
vorkommen soll. Perversitäten zwischen Männern und Frauen scheinen hier un⸗
bekannt zu sein.
Das Schamgefühl ist bei diesen Völkern sehr verschieden entwickelt. „Es
scheint mir sehr stark von der Kleidertracht abzuhängen. Keiner dieser Indianet
oder Indianerinnen, von denen ich erzähle, betrachtet es, soweit sie nicht voll⸗
ändig verdorben oder zivilisiert sind, als unpassend, den Oberkörper zu zeigen.
Die Chiriguano- oder Chanéfrauen sind viel verschämter als die Charotis und
Ashluslays, wenn sie die Geschlechtsteile zeigen. Die letzteren wollten
zich höchst ungern vollständig entkleiden, um photographiert zu
wverden. Den ersteren wagte ich so etwas nicht einmal vorzu—
schlagen.“ Wahrscheinlich betrachteten sie es, und gewiß nicht mit Un⸗
recht, als ungehörige Zudringlichkeit, daß ein fremder Reisender darauf bestehe,
ohne Notwendigkeit zu photographieren, was die Natur zu verhüllen gebietet.
„Offenbar steigert das Zusammenleben mit den Weißen das Schamgefühl.
Die Indianerinnen genieren sich sogar, die Brust zu zeigen. Die Moral sinkt
in dem Maße, wie das Schamgefühl steigt (19. Das sollten diejenigen be⸗
denken, die für nackte Heidenkinder Kleider nähen.“ Eine sehr verwunderliche
Folgerung. Gewiß Bekleidung und Schamgefühl hängen nicht notwendig zu⸗
sammen. Ein feingekleideter Europäer kann ein schamloser, und ein dürftig ver—
Jüllter Indianer ein schamhafter Mensch sein. Trotzdem bleibt wahr, daß die
Bekleidung im allgemeinen das Schamgefühl steigert, und daß man gut daran
tut, die nackten Wilden dahinzubringen, sich vollständig zu bekleiden.
Das Begräbnis bei den Chanés gleicht dem der Chiriguanos. Nach
Nordenskiöld wird der Tote in einem großen Tongefäß unter der Hütte be⸗
graben. Der Tote wird so zusammengefaltet, daß die Knie unter das Kinn
kommen; die Arme werden kreuzweise über die Brust gelegt. Der Verstorbene
wird angekleidet, mit einer Wasserkalebasse im Knie, in das Gefäß gesetzt. Das
Wasser soll der Tote mithaben, wenn er auf den Bergen umhergeht. Das
Gefaͤß wird in der Hüite begraben und als Deckel ein anderes Gefäß darüber
gestülht. An einigen Orten scheint man die Hütte des Verstorbenen nach dem
Nordenskisöld, Indianerleben 222. 2Ebd. 227.
11. Die Chorotis und die Ashluslays. 181
Begräbnis zu verbrennen; dieses ist jedoch nicht das Gewöhnliche. Dagegen
pflegt man die Hütte einige Zeit nach dem Begräbnis zu verlassen, um spüter
wieder hinzuziehen!. Daß mit dem Toten auch seine meisten Kostbarkeiten be—
graben werden, haben wir schon bemerkt.
Zur Erganzung fügen wir noch bei, was P. Lozano über einige Völker—
schaften sagt, die zwischen den Chiriguanos und Guaykurus wohnen, die er
aber leider nicht genügend bezeichnet?. Er berichtet, diese Völker seien sehr
friegerisch, aber scheußliche Menschenfresser, die ihre erschlagenen Feinde kochen
und während der nächtlichen Gastmähler verzehren. Sie stalpieren auch die
Feinde und bewahren die Skalpe als Siegestrophäen auf. Die Männer gehen
danz nackt, die Weiber aber verhüllen den ganzen Leib, alle bemalen den Leib,
bdesonders das Gesicht. Alle schweren Arbeiten verrichten die Frauen, denen die
Nänner zuweilen gefangene Frauen der Spanier oder anderer Stämme als
Stlavinnen geben. Wenn einer krank ist und sie ihn nicht heilen können, lassen
sie ihn im Stich. Ist einer gestorben, so öffnen die, welche gerade zugegen
ind, ein Grab, legen den Toten in sitzender Stellung in dasselbe und stecken
einen Stab mit dem Pfeile eines Christen oder eines andern Feindes darauf
und verlassen dann den Ort sofort und für immer, solange sein Andenken
dauert. Man hat bei ihnen keine Spur von Religion entdecken können, sie sind
die reinsten Atheisten und haben keine Kenntnis von einem andern
Leben oder der Unsterblichkeit. Nur ihren Zauberern erweisen sie aus Furcht
—
Wir geben diese Notizen, wie wir sie finden. Wir bemerken nur, daß kein
Missionär sich längere Zeit bei diesen Wilden aufgehalten hat, und sind deshalb
auch nicht imstande, die obigen Angaben nachzuprüfen. Nur die Behauptung,
daß sie an kein anderes Leben glauben, scheint schon durch das, was Lozano er⸗
zählt, widerlegt zu werden. Warum fliehen sie so ängstlich das Grab? Setzt
das nicht wenigsiens eine dunkle Ahnung voraus, daß der Tote noch irgendwie
in der Nähe des Grabes herumspuke?
11. Die Chorotis und die Ashluslays.
Diese beiden nahe miteinander verwandten Völkerschaften wohnen haupt⸗
ächlich am linken Ufer des Rio Pilcomayo. Die folgenden Notizen über sie
ntnehmen wir dem schon erwähnten Nordenskiöld, der auch die ältere Literatur
über sie zusammenstellt. Die Ashluslays nennen sich selbst so, die Chorotis
gennen sie Ashli. Die Chorotis nennen sich selbst Yoshuaht. Beide wohnen
in Dörfern und sind nicht vollständig seßhaft. Sie ziehen beständig, wenn auch
nicht weit. Zuweilen teilen sich die Familien, zuweilen vereinigen sie sich zu
droßen Gruppen. In mehreren Ahshluslaydörfern findet sich eine Art Markt⸗
dMatz, auf welchem die Maͤnner unter Ausschluß der Frauen einen gemeinsamen
Versammlungsort haben, der entweder ganz einfach im Schatten eines großen
Baumes liegt oder durch ein zu diesem Zweck gebautes Sonnendach geschützt ist;
Ebbd. 218. J
Descriptio chorographica Magni Chaquii 106. 8 7.
182
Vierter Teil. Die Naturvölker Amerikas.
—ADDDD
„Männerhauses“, zu dem die Frauen keinen Zutritt haben!. na
Weder die Chorotis noch die Ashluslays haben einen für den ganzen Stamm
gemeinsamen Häuptling. Die meisten Dörfer haben ihre Häuptlinge, aber diese
sind unabhängig voneinander. Bei den Ashluslays gibt es Häuptlinge, die
über mehrere Dörfer herrschen. Die Häuptlinge haben je nach ihren persön⸗
lsichen Eigenschaften Einfluß. Sie und ihre Frauen arbeiten genau so wie die
andern Indianer. Diener sind unbekannt. Der Häuptling ist ein Familien⸗
hater, den man respektiert, der aber nicht regiert. Im Krieg nimmt er vielleicht
eine leitende Stellung ein, die andern gehorchen ihm aber nur, soweit es ihnen
gefällt. Die Häuptlingswürde scheint in der Regel vom Vater auf den Sohn
zu gehen. Ist der Sohn beim Tode seines Vaters minderjährig, d. h. nach
ndianischen Begriffen kein älterer, verheirateter Mann, wird sie interimistisch
yon einem älteren Verwandten ausgeübt. Nach Kriegen, wo die Männer ihre
Tüchtigkeit zeigen können, entstehen oft neue Häuptlinge.
In den Dörfern beider Völker herrscht kein Klassenunterschied, noch gibt es
Reiche und Arme. Ist der Magen voll, so ist man reich, ist er leer, so ist
man arm. Man lebt beinahe im Kommunismus, da jeder dem andern von
dem mitteilt, was er hat. Bekommt ein Indianer Brot, so teilt er es in kleine
Stücke, damit es für alle reiche. Es wäre indessen ein Irrtum, zu glauben,
daß in dem Indianerstaat nicht jedes Individuum das besitzt, was es erarbeitet
und gebraucht. Niemals würde es einem Indianer einfallen, den Besitz eines
andern auszutauschen. Ein Mann würde niemals etwas, was seiner Frau
oder seinem Kinde gehört, weggeben, ohne sie zu fragen. Jede Sache hat ihren
Besitzer, wenn auch jeder gern von dem Seinigen andern mitteilt. Die Tiere
haben Eigentumsmarken. So sind die Schafe, um den Besitzer zu kennzeichnen,
an den Ohren auf verschiedene Weise geschoren. Das Land hat keinen Besitzer,
die Acker gehören dem, der sie bebaut. Land ist für alle genug vorhanden?.
Diebstahl ist unbekannt, d. h. Diebstahl gegen die eigenen Mitglieder des
Stammes; denn es herrscht hier ein so großes Gemeingefühl, daß niemand zu
stehlen braucht. „Ich glaube auch nicht, daß die Indianer sich gegenseitig be—
lügen. Dem Weißen lügt man etwas vor.... Man betrügt ihn, wenn
es paßt, man sagt ihm die Wahrheit, wenn es nicht schaden kann. Ertappt
man einen Indianer auf einer Unwahrheit, so betrachtet er es ungefähr so, wie
ein Weißer die Entdeckung eines Aprilscherzes. Er lacht und findet es amüsant.
Wird man ärgerlich, so hält er den Betreffenden offenbar für dumm.“ Das
dürfte doch wohl nur von unschädlichen Scherzlügen gelten.
Der Mord beschränkt sich auf den Kinder- und Elternmord, dies ist aber in
den Augen dieser Indianer kein Verbrechen. Die Indianerin glaubt ein Recht
zu haben, die Leibesfrucht abzutreiben oder ihr Neugebornes zu töten, wenn
sie will. Nordenstiöld nimmt diese Kindermörderinnen sehr in Schutz. Wie
sich der Vater zu dieser Tötung stellt, sagt er nicht. Wenn ein Indianer seine
alte blinde Mutter oder seinen verkrüppelten Vater tötet, so befreit er sie von
Nordenfkiöld, Indianerleben 3z838. 2Ebd. 836.
11. Die Chorotis und die Ashluslays.
einem Leben, das ihnen eine Last ist, und sich selbst von einer Extramühe im
Kampf ums DaseinJ“c.
Die sittliche Freiheit ist sehr groß. Untreue und Kifersucht werden durch
Schlägereien zwischen den Frauen geordnet. Als grobes Verbrechen gilt auch
das Verhexen (böse Zauberei). 1*
Die Hütten der Indianer sind armselig und klein, aber es herrscht dort
große Eintracht. Niemals hört man jemand schimpfen, niemals sucht sich der
eine auf Kosten des andern Vorteile zu verschaffen. Jedes Individuum bewahrt
seine Habseligkeiten allein, meist in großen Taschen oder Beuteln. Die Haupt-
nahrungsquellen sind der Fischfang, das Einfammeln wilder Früchte und ein
primitiver Landbau (Mais, Mandioka, Melonen usw.). Aus den Algorrobo—
früchten brauen sie ihr Bier, das bei allen ihren Festen eine große Rolle spielt.
Die Kinder, die man am Leben läßt, werden mit Liebe behandelt und ge⸗
pflegt. Während sie klein sind, tyrannisieren sie Eltern und Großeltern; werden
sie äͤlter und verständiger, so sind sie infolge dieser Erziehung (7) freundlich
und aufmerksam. „Ein ausgezeichnetes Verhältnis herrscht zwischen Eltern und
Kindern sowie zwischen den Geschwistern. Oft sieht man in den Dörfern
blinde und krüppelige Alte, die von ihren Kindern unterhalten werden. Wird
das Dorf durch einen Feind bedroht, so werden zuerst von allem diese Alten
in Sicherheit gebracht, damit sie nicht, wenn die andern zur Flucht gezwungen
sind, in die Hände der Feinde fallen. Werden sie eine allzu große Last, so
kommt es, wie schon bemerkt, vor, daß man sie tötet.
Das Indianerkind lernt spielend. Das Mädchen folgt der Mutter, ahmt
sie nach und hilft ihr bei den häuslichen Verrichtungen; der Knabe spielt mit
seinen Netzen und Waffen und lernt so die nötigen Hantierungen. „Unser
gutes Verhältnis zu den Indianern“, schreibt Nordenstiöld, „hatte sicher zu
einem großen Teile seinen Grund darin, daß wir immer mit den Kindern
spielten. Das gefiel den Indianerpapas und Indianermamas, und auf diese
Weise bekamen sie Vertrauen zu uns.“ Schlägereien und harte Worte kommen
unter den spielenden Kindern fast niemals vor, und die großen Kinder be—
handeln die kleinen nie schlecht. Knaben und Mädchen spielen schon als kleine
Kinder stets getrennt. Beim Spielen trennen sich die Kinder gleichen Geschlechts
wieder nach Altersklassen.
Das Geschlechtsleben hat für das Indianerkind von sechs bis sieben Jahren,
wie Nordenstiöld behauptet, keine Geheimnisse mehr. Ein geschlechtlicher Verkehr
nicht mannbarer Kinder soll gleichwohl nicht vorkommen, auch werden die
Madchen vor ihrer ersten Menstruation von den Müttern gehütet. Bei den
Ashluslays wird diese mit Tanz gefeiert, bei den Chorotis scheint diese Sitte
nicht zu bestehen. Im Alter von fünf bis sieben Jahren werden die Kinder
in der Regel tätowiert, wenigstens die Mädchen. Die von den Männern an—⸗
gewandte Tracht ist ein Ledergürtel und ein Mantel aus Schafwolle; die Tracht
der Frauen besteht aus einem Schurzfell um die Hüften, dasselbe wird schon
in eilem Alter von drei bis vier Jahren angelegt. Heute kommen schon euro⸗
188
FEbb. 38. 2 Ebd. 66.
184
Vierter Teil. Die Naturvölker Amerikas.
paische Kleidungsstücke vor. Nordenstiöld sagt, ein Indianermädchen, das nur
ein Schurzfell um die Hüften trägt, gibt sich in der Regel den Weißen nicht
hin; diejenigen dagegen, die „anständige Kleidung“ tragen, sind alle Prostituierte.
Es ist das bezeichnend für den veredelnden Einfluß, den die Weißen auf die
Indianer ausüben. Von der Zeit der Pubertät an bis zur Heirat scheinen
die jungen Leute sehr ausgelassen zu leben. Wird ein Mädchen vor der Heirat
schwanger, so nimmt es zum Abortus oder zum Kindermord seine Zuflucht.
Trotz alledem sollen sie nach der Verheiratung gute und tüchtige Hausfrauen
werden. Diese Indianer sind an sich gesunde und kräftige Menschen. „Die
von den Weißen eingeführten Geschlechtskrankheiten dezimieren indessen diese
—A
Bezeichnend für die Anschauungen Nordenstiölds ist der Satz: „Wir dürfen
aicht glauben, daß diese Mädchen, die jede oder jede zweite Nacht ihren Lieb⸗
Jaber wechseln, irgendwie schlechter sind, als wenn sie unberührt wären. Sie
find gut () und arbeitsam und werden, wie gesagt, tüchtige Hausfrauen und
gute Mütter. Das Leben, das sie führen, ist für sie wie für ihre Eltern und
andern Verwandten etwas ganz Natürliches.“⸗
Bei der Ehe der Chorotis ergreift das Mädchen die Initiative und wählt
fich ihren Lebensgefährten, meist aus einem andern Dorfe. Der Choroti zieht,
wenn er sich verheiratet, nach dem Dorfe seiner Frau und wohnt dort wenigstens
einige Zeit. Vielweiberei scheint bei den Chorotis und Ashluslays unbekannt
zu sein. Geschwister⸗- und Cousinenehe ist verboten. Ehescheidung ist sehr selten.
Die Frauen müssen zwar hart arbeiten, werden aber nicht schlecht behandelt.
Die Männer helfen ihnen in vielem. Manche von den Frauen angewendete
Werkzeuge werden von den Männern verfertigt. Ihnen gehören alle Geräte,
Kleider usw., die sie gebrauchen, und die Männer respektieren ihr Besitzrecht.
Macht der Mann ein Tauschgeschäft, so wird die Frau oft um Rat gefragt.
Auf den Wanderungen muß die Frau allerdings alle Lasten tragen, während
der Mann nur die Waffen führt. Das ist aber notwendig, damit der Mann
stets bereit sei, die Seinigen zu verteidigen, und zu jagen, wenn sich Gelegen⸗
heit bietet. Männer und Frauen essen nie gemeinsam. Bei den Chiriguanos
ist das Los der Frau im allgemeinen besser als bei den Chorotis, weil der
Chiriguano ein unberührtes Mädchen zur Frau nimmt, während der Choroti
ein schon fast verblühtes Mädchen heiratet, das als Frau für ihn arbeiten muß.
„Wir sehen somit“, meint Nordenskiöld, „daß die Stellung der Frau eine
bessere ist, wenn die Männer werben, als wenn sie es selbst tut.“s Die ver⸗
heiratete Frau betrügt ihren Mann in der Regel nicht, auf die Treue des
Mannes kann sie sich jedoch nicht allzusehr verlassen. Hat er eine Geliebte,
und bekommt die Frau sie in ihre Hände, so entsteht eine Schlägerei, und oft
eine blutige.
Die Sitte des männlichen Wochenbettes besteht auch bei diesen Stämmen.
Die Frauen haben in der Regel nur zwei bis vier Kinder. „Keine dieser In⸗
dianerfrauen schafft sich ein neues Kind, bevor das vorhergehende herumlaufen
— — — — ——
Nordenfkiöld, Indianerleben 88. 2 Ebd. 89. 3 Ebd. 91.
11. Die Chorotis und die Ashluslays. 185
kann und ihr nicht allzusehr zur Last fällt. Für diese Indianer, die umfassende
Wanderungen vornehmen, ist es nicht ratsam, daß jede Frau mehr als ein Kind
hat, das beständig getragen werden muß. Das Zwei- bis Dreikindersystem ist
deshalb hier ein gesunder und natürlicher Brauch.““ Auch diese Behauptung
wirft ein merkwürdiges Licht auf die sittlichen Anschauungen des schwedischen
Reisenden. — Ein großes Übel bei den Chorotis und Ashluslays sind die
häufigen und endlosen Trinkgelage, bei denen sich meistens alle sinnlos mit ein⸗
heimischem Bier berauschen; doch soll dabei nie Zänkerei vorkommen, obwohl sie
oft infolge davon krank werden.
„Über die religiösen Vorstellungen der Chorotis und Ashluslays
habe ich nur sehr wenig erfahren können. Sie glauben, wie schon erwähnt, an
ein Leben im Jenseits. Ein großer, allmächtiger Gott ist ihnen etwas Fremdes,
gleichwohl scheint aber dieser Begriff sich Eingang zu —0
will das auf den Einfluß der Missionäre zurückführen, aber wie mag er das
so apodiktisch behaupten, da er „nur sehr weniges“ über die Religion erfahren
konnte? Es liegt in seiner Tendenz, das ursprüngliche Vorhandensein der Idee
eines höchsten Gottes zu bestreiten; wir haben das oben bei den Chanés und
Chiriguanos gesehen. Er selbst gesteht an einer andern Stelles: „Sollte mich
etwas Besonderes nach dem Rio Pilcomayo zurücklocken, so wäre es das Studium
der religiösen Vorstellungen dieser Indianer (der Matakos). Es gibt viel, was
sie mir nicht haben mitteilen wollen. .. Will man die Religion dieser In⸗
dianer studieren, so muß man sehr lange bei ihnen verweilen.“ Es
zleibt also dahingestellt, ob bei den Chorotis und Ashluslays der „Begriff eines
großen allmächtigen Gottes“, der sich heute bei ihnen „Eingang zu verschaffen“
scheint, schon von alters her vorhanden war oder nicht. Leider haben wir keine
Berichte von Missionären, die lange bei ihnen gelebt haben.
Was diese Indianer über das Schicksal der Menschen nach dem Tode
glauben, ist nicht viel. „Die Geister gehen eine Zeitlang in den Haäusern und
Waäldern umher.“ Die Chorotis nennen die Geister „Amoxi“. Beim Aus—
graben einiger Gräber fand Nordenstiöld als Beigaben, die der Tote erhalten
hatte, eine Tasche mit einem Pfriemen, einen Loͤffel oder sonst eine Kleinigkeit
sowie vereinzelt eine Schale, die Wasser enthalten hatte. — Sie erzählen auch
bvon mythischen Tieren. So wohnt an einem See am Rio Pilcomayo ein
kleines, bon den Chorotis „Kialiki“ genanntes Wesen, das wie ein Mensch
aussieht, aber vollständig schwarz ist. Nähern sich ältere Personen dem See,
so tut es ihnen nichts, Kinder dagegen raubt es. Ferner erzählen sie von
einer ungeheuern Schlange, die einen Choroti verschluckte; dieser aber tötete sie,
ndem er ihr das Herz durchbohrte und sich herausgrub. Ein mythisches Tier
frißt den Mond, wenn Mondfinsternis ist. Sie haben eine Sage von einem
großen Weltbrand und vom Raube des Feuers usw. Eine große Rolle spielen
die Medizinmänner, die bei Krankheiten gerufen werden, um durch Saugen,
Tanzen und Lärmen den bösen Zauber zu vertreiben.
Ebbd. 92. 2 Ebd. 109. s Ebd. 114.
36
Vierter Teil. Die Naturvölker Amerikas.
12. Die Matakos (Mataguayos).
Je nach dem Ort, an dem sie sich aufhalten, werden die Matakos auch
Mataguayos, Notenes, Vejoses, Malbalas, Chunupis usw. genannt, doch sprechen
sie alle dieselbe Sprache und stimmen in ihren Sitten fast ganz überein.
Sie wohnen im Osten und Süden der Chiriguanos an den Ufern des Rio
Bermejo und am rechten Ufer des Pilcomayo. Ihre Zahl wird auf 20000
angegeben; viele von ihnen leben noch heute ohne Verbindung mit den Weißen,
die sie — und oft nicht ganz mit Unrecht — als ihre Todfeinde ansehen.
Auf Grund der Missionsberichte entwirft P. Cardus! im Jahre 1886 folgendes
Bild von den Matakos.
Im Charakter ist der Matako apathisch, zurückhaltend, mißtrauisch und ver⸗
räterisch. In seinen Manieren ist er grob und auch seine Physiognomie ist ab⸗
toßend. Er ist von Natur aus diebisch und stiehlt, als ob es seine Pflicht wäre,
ferner ist er träge, feig und rachsüchtig. Auch die geistige Begabung der Matakos
scheint sehr gering zu sein. Ihre Waffen sind Pfeile, Lanzen und Keule. Ihre
Beschäftigung ist etwas Jagd und Fischfang, Sammeln wilder Früchte — und
Nichtstun. In ihrer Nahrung sind sie nicht heikel, Mäuse, Heuschrecken, Grillen,
und was sie sonst finden, verzehren sie. Einige wenige züchten Schafe und
andere Haustiere. Aus wilden Früchten und besonders aus dem Johannes⸗
hrotbaum machen sie ein berauschendes Getränk, dem sie sehr ergeben sind. —
Die Hütten der Matakos sind äußerst klein und unbequem. Man schneidet einige
dianen und dünne Äste und legt dieselbe kreuzweise im Bogen übereinander, so
daß die beiden Enden im Boden stecken; darüber wird eine Handvoll Stroh gelegt
und die Hütte ist fertig; ein kleines Loch an der Seite dient als Türe. Sie
schlafen meist auf dem bloßen Boden oder auf einer Binsenmatte. Da Eltern,
Kinder und Enkel in Gesellschaft der Hunde in der kleinen Hütte zusammen⸗
wohnen, Feuer machen, essen und trinken, so sind der Schmutz und das Un—⸗
geziefer gräßlich. Aber die Wilden bleiben nicht lange am selben Orte, sondern
ziehen von einem Ort zum andern, wo gerade günstige Gelegenheit zu Jagd,
Fischfang usw. sich bietet. Die Kleidung ist für Männer und Frauen die ein⸗
fachste der Welt. Sie hängen an den Gürtel ein Stück Leder oder Leinwand
oder sonst etwas, was bis zu den Knien herabreicht.
Eine Regierung oder Häuptlinge und Vorgesetzte mit irgend welcher Auto—
rität gibt es bei ihnen nicht. Niemand befiehlt und niemand gehorcht; doch
respektieren sie freundschaftlich und befolgen auch manchmal den Rat eines
Mannes, der sich besondere Achtung und Liebe erworben hat. Zur Zeit des
Krieges oder gemeinsamer Gefahr treffen sie wohl auch ein Übereinkommen,
das sich aber meistens auf einige Niederlassungen (ranchos) beschränkt?. Die
Heiraten werden, wie es scheint, ohne jede Zeremonie durch bloße Übereinkunft
der jungen Leute geschlossen, selbst die Eltern haben in Bezug auf die Ehen
Las Misiones Franciscanas entre los enfieles de Bolivia, a. a. O. 250 ff. Vgl.
auch Globus XVIII (1902) 388. Dieser Artikel des Globus ist fast wörtlich dem Werke
EI Colegio Franciscano de Tarija, a. a. O. 5335 fff, entnommen.
2 Cardus a. a. O. 254. Bgl. auch El Colegio Franciscano de Tarija 535.
12. Die Matakos (Mataguayos). 187
der Kinder nichts zu sagen; nur sieht das Mädchen bei der Heirat darauf, daß
sein Mann ein guter Fischer, und der Mann darauf, daß seine Frau arbeitsam
und geschickt im Sammeln von Früchten sei. Sobald die beiden Gatten mit—
einander übereingekommen sind, ziehen sie für einige Tage in den Wald und
leben dort, wie es ihnen gefällt, dann kehren sie in den Weiler zurück und
bauen sich eine eigene Hütte oder wohnen in der Hütte der Eltern der jungen
Frau. Wenige haben mehr als eine Frau, doch ist die Ehescheidung besonders
unter jungen Leuten häufig. Der Ehebruch scheint selten vorzukommen, und
die Frauen dulden so wenig, daß ihre Männer von andern Frauen geliebt
werden, daß sie bei begründetem Verdacht diesen in das Haus rücken, um sie
auszuschelten, zu beschimpfen und ihnen zu drohen, was oft Männern, Weibern
und Jungen desselben Weilers zur Erheiterung dient, da alle aus den Hütten
herauskommen, um die Gesten und Gebärden zu sehen, welche sich die Zankenden
machen, und dabei aus vollem Halse lachen!.
Von einem so tiefstehenden Volk darf man kaum ausgebildete religiöse An⸗
schauungen erwarten, doch haben sie eine Idee von der Seele, die sie neusec
nennen und über deren Los (nach dem Tode) sie nichts Bestimmtes wissen.
Sie haben auch eine unklare Idee von einem höheren und großen Wesen,
das sie in ihrer Sprache ohott-at (andere sprechen es hojot-taj aus) nennen,
was „Großer Geist“ bedeutet, doch erweisen sie ihm keine Verehrung. Einige
haben auch Furcht vor einem gewissen Gespenst, das in der Nacht herumzieht,
den Leuten Böses zufügt, und das sie onnexilelo nennen. Andere scheinen
einem geheimnisvollen Wesen, das sie taj-juaj (d. h. verborgen) nennen, eine
abergläubische Verehrung zu erweisen; doch haben sie keinen Tempel, auch nicht
einen zu seinem Kult bestimmten Ort; nur zur Zeit des Neumondes pflegen
sich einige zu versammeln, zu tanzen und zu singen, und die Zauberer treiben
Gaukeleien, indem sie einen veranlassen, sich zu verkleiden und die Rolle des
baj-juaj zu spielen. Dieser kommt dann in sonderbarem Aufputz und mit
derstellter Stimme aus dem Wald, erschreckt die Zuschauer, denen er Zukünftiges
odoraussagt.
Je weniger Religion, um so mehr Aberglauben haben die Matakos. Wenn
z. B. ein Mädchen in das Alter der Pubertät kommt, muß es eine Zeitlang
in einem Winkel der Hütte mit Ästen oder sonst etwas zugedeckt stillschweigend
zubringen und darf weder Fleisch noch Fisch essen, und während dieser ganzen
Zeit muß jemand vor der Hütte den Pimpin (ein kleines Instrument, das als
Trommel dient) schlagen. Sehr gefürchtet sind die Zauberer, die halb Arzte
halb Priester sind. Zum Rang der Zauberdoktoren gehören kann jeder, der
will und sich stark inspiriert fühlt. Bevor er jedoch als solcher auftritt, muß
er sich fern vom Volk in einen Wald zurückziehen, streng fasten, und Tag und
Nacht wie ein Wahnsinniger ohne Zweck und Ziel herumschweifen; dann muß
er sich bleich, abgemagert und mit verstörten Blicken, wie einer, der außer sich
ist, vorstellen. Jetzt gilt er als geeignetes, privilegiertes Subjelt, das schon
geheimen Verkehr mit dem „Verborgenen“ unterhalten hat und mit übernatür⸗
licher Macht ausgerüstet ist, um den bösen Zauber zu lösen oder auszutreiben
Gardus sa. a. O. 254.
188
Vierter Teil. Die Naturvölker Amerikas.
und dadurch Krankheiten zu heilen. Denn alle Krankheiten werden der Zauberei
zugeschrieben. Die Kur besteht darin, daß der Arzt die Hände so zusammen⸗
legt, daß sie eine Art Röhre bilden; dann bringt er sie auf die kranke Stelle
und fängt mit voller Kraft an zu blasen und zu saugen, indem er dabei stöhnt
und seufzt. Er läßt sich natürlich dafür bezahlen. Hilft die Kur nicht, so
läßt er den Patienten im Stich; dieser wird dann oft von den Verwandten
lebendig begraben. Die Zauberdoktoren können auch die Pest und Vocken ver⸗
treiben, Regen verursachen usw.
Die Toten begraben sie in sehr oberflächlicher Weise; sie begnügen sich
damit, ein kleines Loch zu machen, in das sie die Leiche in halbsitzender Stellung
hineinlegen. Über und unter die Leiche werden einige Zweige gelegt, und zu
oberst ein wenig Erde, so daß die Jaguare oft die Leichen verschlingen. Zu⸗
weilen stellen sie einen Krug Wasser zur Erquickung für den Verstorbenen in
das Grab. Ebenso pflegen sie Gegenstände zu verbrennen, die der Tote ge⸗—
hraucht hat, und auch die Hütte. Die Verwandten des Verstorbenen gehen einen
oder mehrere Tage zum Grabe, um bei demselben unter Begleitung des Pimpin
zu weinen und zu klagen.
13. Die Guarayos!.
Das Land der Guarayos liegt im heutigen Bolivia zwischen 150 und
160 südl. Br. und 650 und 660 östl. L. von Paris. Sie sind ein den
Guaranis stammverwandtes Volk, denn ihre Sprache ist ein Dialekt der Gua⸗—
ranis, und man nimmt an, daß sie aus Brasilien in ihr heutiges Gebiet ein⸗
gewandert sind. Ihre Zahl beläuft sich auf etwa 8000. Heute kleiden sie
sich anständig, früher bestand die Kleidung der Männer nur in einer kleinen
Leibbinde und die der Frauen in einem Streifen Tuch, der vorn am Gürtel
herunterhing. Die Knaben blieben ganz nackt. Sie sind ein ziemlich kräftiges
Volk mit regelmäßigen Gesichtszügen, ihrem Charakter nach sind sie mutig,
heiter und höflich; aber stolz und lügnerisch. Herzlich und großmütig gegen
seine Freunde, ist der Guarayo selbstsüchtig und rachsüchtig gegen seine Feinde.
Sorglos wie alle Wilden, denkt er selten an die Zukunft. Seine Lieblings⸗
zeschäftigung ist Jagd und Fischerei. Die Hauptnahrung besteht aus Wildbret,
Fisch, Yuka, Mais, Reis usw., vor allem aber aus der berauschenden Chicha,
die er leidenschaftlich liebt und die ihm als Nahrung und Getränk dient. Ohne
Chicha kann er nicht leben, und wer nicht oft Chicha bereitet und andere dazu
einladet, wird geringgeschätzt.
Bei der Errichtung der Hütten, den Feldarbeiten und der Ernte helfen sich
die Guarayos gegenseitig. Der Lohn besteht in einer kleinen Mahlzeit und in
recht viel Chicha, mit der sie sich betrinken. Der Diebstahl ist heute noch un⸗
bekannt. Ihre Hauptlaster sind die Trunksucht und die damit zusammenhängende
Unzucht und Trägheit. Die Arbeit im Hause und auf dem Feld lastet fast ganz
Nach den von den Franziskanermissionären P. Viudez und P. Cors veröffent⸗
lichten Berichten. Der erstere kam schon im Jahre 1840 zu den Guarayos und veröffent⸗
lichte seinen Bericht im Jahre 1849. Auszuglich sind die Berichte mitgeteilt bei Gardus,
Las Misiones Franciscanas usw. 69 ff.
13. Die Guarayos.
189
auf den Schultern der Frau, die wie eine Sklavin gehalten wird. Von Er⸗
ziehung der Knaben ist keine Rede. Der Vater gibt fruh dem Jungen einen
Bogen und einige Pfeile, damit er sich im Jagen übe. Nie werden die Söhne
getadelt oder gestraft, so daß sie stolz und frech werden und selbst die Eltern
beschimpfen und schlagen.
Die Heirat findet erst statt, wenn die Schwangerschaft des Mädchens zu
Tage tritt, und zwar ohne jede Zeremonie; nur die Einwilligung der Eltern
oder Brüder des Mädchens ist dazu erforderlich. Wenn der Vater das Kind
nicht anerkennt oder die Eltern des Mädchens sich der Heirat widersetzen, so
fleht ihm bei der Niederkunft niemand bei, und das arme Kind muß dabei
umkommen oder man begräbt es erbarmungslos lebendig. Die Weiber weigern
sich zu heiraten, bevor sie einen Sohn haben, um sich nicht der Sklaverei zu
anterwerfen, in der sie gehalten werden. Die Ehen werden leicht geschieden,
auch wenn schon Kinder vorhanden sind, und meist ist es die Frau, die den
Mann verläßt!.
Alle Guarayos sterben durch Vergiftung, wie sie behaupten, und wenn
sie Magenschmerzen haben, so schreiben sie das ihren Feinden zu, die sie ver—
giftet oder behexrt haben. Natürlicher Tod kommt nach ihnen nicht vor, deshalb
sind sie nur schwer zu bewegen, Medizinen einzunehmen, doch haben fie ihre
Zauberer und Hexenmeister, an die sie sich wenden, und die behaupten, das
Gift aus dem Leibe ziehen zu können. Ihre Operation besteht darin, daß sie
aus einer großen Pfeife rauchen und den Rauch dem Kranken zublasen oder
daß sie an der kranken Stelle saugen und dann dem Patienten Splitter oder
Dornen oder kleine Knochen vorzeigen, von denen sie behaupten, sie heraus⸗
gesogen zu haben. Wenn der Patient stirbt, so sagen sie, sie hätten nicht das
ganze Gift herausbekommen.
Durch viele Beweise steht fest, daß die Guarayos ehemals Kannibalen
waren; von Abuelo, ihrem Gotte, sagen sie, daß er nur Fleisch von Chiquitos
esse. Was noch schlimmer ist, sogar Verwandte sollen in bestimmten Fällen
von ihnen getötet und verspeist worden sein ?. Sie haben auch keine Obrigkeit
und sind niemand für ihre Handlungen verantwortlich und ihre Streitigkeiten
schlicheen sie nach dem Rechte des Stärkeren. Wenn ein Kind geboren wird,
muß der Vater, damit es am Leben bleibe, sich einige Einschnitte in das
Fleisch machen, sich Arme und Füße malen und drei Tage fasten; er muß auch
diese Zeit beständig im Hause bleiben und in der Hängematte liegen. Der
heranwachsende Knabe erhält vom Vater einen kleinen Bogen, damit er fich
im Schießen übe und ein tüchtiger Jäger werde. Dem Mädchen wird bald
nach der Geburt eine kleine Schürze am Gürtel befestigt und es muß früh an⸗
fangen, der Mutter bei den häuslichen Geschäften zu helfen. Wenn die ersten
Zeichen der Pubertät eintreten, wird das Mädchen im Dorfe herumgeführt und
allen gezeigt, dann wird es nackt in einen Winkel des Hauses eingesperrt, wo es
drei Mongate bleiben und strenges Fasten beobachten muß. Nach dieser Fasten⸗
zeit wird es auf der Brust tätowiert. Das ist wie ein Zeichen der Prostitution.
Bei der Heirat nehmen sie auf Verwandtschaftsgrade fast gar keine Rüdhsicht,
Ebd. 72. 2 Ebd. 73.
—190
Vierter Teil. Die Naturvölker Amerikas.
und es gilt als Gesetz, daß ein Mädchen sich mit seinem Tutir (mütterlichen
Onkel) verheirate; ein Mißbrauch, der zur Folge hatte, daß manche Jünglinge
keine Frauen hatten und andere alle ihre Nichten heirateten. Es ist auch das
eine oder andere Mal vorgekommen, daß einer seine leibliche Schwester heiratete.
Die Vielweiberei ist im Gebrauch. Wenn der Mann stirbt und die Frau
noch kräftig ist, so nimmt sie sein Bruder zur Fraul. Der Abortus und die
Kindertötung kommen häufig vor, ebenso Vergiftung.
Die Guarayos essen die erste Beute, die sie auf der Jagd machen, nicht,
damit nicht etwa die Tiere fliehen und damit sie gute Jäger werden. Zu dem
Zweck machen sie sich auch Einschnitte in die Arme. Wenn ihnen auf der Jagd
zufällig ein Tiger (Jaguar) begegnet und sie ihn mit dem Pfeile durchbohren,
so werfen sie Bogen und Pfeile sogleich weg, damit nicht etwa, wie sie sagen,
die Gefährten des Tigers kommen, um für ihren Verwandten Rache zu nehmen.
Ist jemand unglücklicherweise vom Tiger zerkratzt worden, so glauben sie, er höre
auf, Mensch zu sein, da sich seine Seele in einen Tiger verwandle und nicht
mit dem Abuelo gehen könne, von dem gleich die Rede sein wird. Wenn
eine Mondfinsternis eintritt, glauben sie, ein Tiger wolle den Mond auffressen,
und deshalb schreien sie laut und schießen feurige Pfeile ab, um ihn in die
Flucht zu treiben und den Mond zu retten. Viele Vögel halten sie in großen
Ehren, töten sie nicht und essen sie nicht, weil sie behaupten, dieselben kämen
aus dem Lande des Abuelo.
Wenn jemand stirbt, so beweinen ihn seine Verwandten einige Zeit, sie
waschen sich mit dem Absud der Rinde eines bestimmten Baumes, bemalen sich
schwarz, fasten einen Tag lang und machen sich Einschnitte in die Arme, um
sich gegen die Krankheit des Verstorbenen zu schützen. Nachher waschen und
schmücken sie den Leib des Toten. Um ihn zu begraben, machen sie eine Grube,
die anderthalb Rute tief ist und der Größe des Verstorbenen entspricht, bedecken
den Boden mit zwei oder drei ebenso großen Matten und legen die Leiche
darauf. Etwas über der Leiche werden einige Querpfähle angebracht, auf die
man wieder einige Matten legt. Dann wird das Grab mit Erde zugeworfen.
Schließlich springen sie uber das Grab hinüber und wieder zurück. Das ist der
letzte Abschiedsgruß an den Verstorbenen.
Noch ein Wort über die Religion und Mythologie der Guarayos. Sie
sjagen, am Anfang sei alles Wasser gewesen; ein Wurm, den sie mbir nennen,
ging über ein Rohr, das aus dem Wasser hervorragte; dieser Wurm wurde
durch seinen eigenen Willen Mensch und mit demselben Willen schuf er auch die
Erde. Der Mbirmensch heißt Mbiracucha. Noch war die gebildete Erde sehr
klein, da erhob sich plötzlich Zaguaguahus, näherte sich dem Mbiracucha und
sagte zornig: „Warum hast du dich vor mir erhoben? Ich hätte mich vor dir
erheben sollen.“ Sie wissen nicht, was Zaguaguayu war, bevor er Mensch ward,
und wie er Mensch wurde, nur erzählen sie, sein Bruder Abaangui habe, um
sich zum Menschen zu machen, verschiedene Figuren verfertigt und endlich eine
Menschenfigur mit einer dicken und großen Nase zu stande gebracht, die den
Cardus, Las Misiones FPranciscanas usw. 74. 2 Ebd. 75.
Das Wort bedeutet Kranz von gelben Federn.
13. Die Guarayos.
191
Namen Abaangui (d. h. Mensch mit herabhängender Nase) verdiente. Außerdem
existierte noch eine vierte Person von Anfang an, die Candir heißt. Nur
Abaangui, Mbiracucha und Candir haben die Welt gebildet. Von diesem Ge⸗
schäfte schließen die Guarayos den Zaguaguayhu aus, obwohl sie ihn für ihren
ersten Abuelo (Großvater, Ahnherrn) halten. Jede von den drei genannten Per⸗
sonen schuf eine Nation mit dem zugehörigen Land: Abaangui die Guarayos,
Mbiracucha die Brasilianer und Candir die Neger; ihre Nachkommen bilden drei
verschiedene Rassen. Sie haben auch ein Wort, das Gott bedeutet, Tumpa,
aber sie erweisen ihm keine Verehrung. Andere sagen, Tumpa sei der Yavare
(das Haupt der Weißen, und die Könige seien seine Diener)!. Der Abuelo
(Zaguaguayu) hat eine Frau mit Namen Guiyarei; wie und woher er sie bekam,
wissen sie nicht.
Als die beiden Ahnen der Guarayos (Abaangui und Zanguaguayu) es
mürde wurden, länger auf Erden zu leben, suchte Abaangui ein anderes Land für
sich und seine Nachkommen und fand endlich im Westen ein solches, wo er eine
Stadt baute. Da lebt er mit seinen Nachkommen, und die Guarayos gehen
nach ihrem Tod in dieses glückliche Land, wo Chicha im Überfluß vorhanden
ist. Aus diesem Grund wird der Guarayo immer so begraben, daß er gegen
Westen schaut, wo er hinreisen will. Zaguaguayu dagegen wandte sich gegen
Osten, wo er in einem Lande ohne Sonne und Himmel einsam in seinem Glück
lebt. — Der Ahnherr (Abuelo) soll zwei Söhne gehabt haben, von denen der
eine in die Sonne, der andere in den Mond verwandelt wurde. — Von den
Festen der Guarayos sind einige allgemeine Festtage für alle, andere werden
nur von einer Familie mit ihren Verwandten und Freunden, besonders zur Zeit
der Aussaat und Ernte gefeiert. Für einige Feste haben sie eine Art Kapellen
Tocais), d. h. regelrechte achteckige Häuser, in denen verschiedene grotesk ge—
malte Tier- und Vogelfiguren sich befinden. An der östlichen Wand ist eine
Anzahl dicker Rohre angelehnt (Tacuar genannt), die zu zwei und zwei zu—
sammengebunden sind und auf einer Bank an der Wand stehen. Daneben ist
ein Kohlenbecken und darüber hängen eine große Pfeife, eine Tabakrolle und
Mbaraca (ein hohler Kürbis, in dem sich kleine Steinchen, Stücke Holz usw.
befinden und der als Schelle dient). Am Festtag müssen sich alle baden, sich
bemalen und schmücken, und dann zieht man nackt in die Kapelle, wo sich jeder
an seinem Platz niedersetzt. Als Zeremonienmeister fungiert der Eigentümer
der Tocai oder der älteste Verwandte. Dieser zündet die Pfeife an und be⸗
räuchert zuerst die Tacuaras, indem er einen Mund voll Rauch auf jeden
Tacuar bläst; dann beräuchert er die Anwesenden in derselben Weise der Reihe
nach. Hierauf wird eine Strophe eines Liedes gesungen und Chicha getrunken,
dann wieder gesungen und wieder getrunken, bis die Chicha zur Neige geht.
Oft dauert dieses Fest zwei bis drei Tage, schließlich sind alle betrunken, es
kommt zu Streit und Schlägereien und den gröbsten Ausschweifungen?. So
ehren die Guarayos ihren Abuelo.
Interessant ist noch, was sich die Guarayos von der großen Reise in
das selige Land ihres Abuelo erzählen. Wenn der Tote mit dem Gesicht
CGardus a. a. O. 76277. »Ebd. 78—81.
92
Vierter Teil. Die Naturvölker Amerikas.
nach Westen gekehrt und geschmückt ist, legt man ihm in die rechte Hand eine
Kalebasse voll Chicha und in die Linke einen Bündel Zündhölzchen, und zuletzt
verden auf der einen Seite die Tacuaras und auf der andern Bogen und
Pfeile und einige Zuckerrohre zur Erquickung für den Abuelo hineingebracht.
Nun tritt der Verstorbene die große Reise an, auf der sich ihm gleich zwei Wege
zffnen; zur Rechten ist die schöne mit Blumen bedeckte Straße für die Weißen;
wohin diese Straße führt, wissen die Guarayos nicht. Die Straße zur Linken
ist eng und führt zum Land des Abuelo. Sie kommt bald zu einem tiefen
und reißenden Strom, über den weder Brücke noch Fahrzeug führt. Nur ein
häßlicher Kaiman liegt im Fluß und bildet eine Art Brücke. Beherzt stürzt
sich endlich der Wanderer auf den Rücken des Tieres, berührt die Tacuaras
und gelangt an das andere Ufer. Bald kommt er an einen zweiten Fluß, an
dem eine Viper steht, die dem guten Guarayo von fern sehr groß zu sein
scheint, aber um so kleiner wird, je näher er kommt. Der schlech te Guarayo
wird aber von der Bestie verschlungen!. Ist der Wanderer glücklich über den
zweiten Fluß, so muß er noch einen dunklen Ort passieren und viele andere
Gefahren bestehen, bis er endlich zu seinem Abuelo kommt, der ihn an der Hand
in seine Stadt einführt, ihn höchst eigenhändig badet, von allen Schwächen
heilt, ihn unter vielen schönen Frauen eine auswählen läßt und ihm endlich
seine Wohnung anweist, wo er nun glücklich lebt, immer Chicha trinkt, Kinder
zeugt usw.?
14. Die Manaziker.
Die Manaziker (Manacici werden sie von den Missionären lateinisch genannt),
wohnten nördlich von den Chiquiten, mit denen sie früher eng verbunden waren.
Es ist aber sehr schwer, ihren Wohnsitz genau zu bestimmen, da die alten
Missionäre vielfach Völker- und Flußnamen gebrauchen, die heute verschwunden
sind. Wir folgen in unserer Darstellung der Sitten der Manaziker dem schon
erwähnten Werke des P. J. P. Fernandez?: und der Geschichte Paraguays
oon Charlevoix?“. Wir bemerken übrigens, daß weder Fernandez noch Charlevoit
selbst bei den Manazikern gewesen sind; sie teilen nur mit. was sie von den
Missionären vernommen haben.
Die Manaziker werden als ein wohlgebauter, kräftiger und kriegerischer
Menschenschlag geschildert. Ihre Dörfer sind nicht ohne Kunst angelegt und
haben Plätze und Straßen. In diesen Niederlassungen sieht man drei oder
dier größere Gebäude mit verschiedenen Zimmern und Gängen. Hier wohnen
die Kaziken mit den einflußreichsten Leuten. Diese Wohnungen dienen auch zu
den öffentlichen Mahlzeiten und sogar als Tempel zur Verehrung der Götter.
Auch die Privathäuser sind in einer bestimmten Ordnung gebaut und zur Auf—
nahme der Gäste eingerichtet. Die Eingebornen bedienen sich zum Bau dieser
Es ist nicht klar, ob der böse Guarayo aufhört zu existieren, oder ob er in ein
Tier verwandelt wird.
2 OCardus, Las Misiones Franciscanas usw. 81-86.
Historica Relatio de Apostolicis Missionibus Patrum S. J. apud Chiquitos oto-
Histoire du Paraguay II 272 ff.
14. Die Manaziker.
193
Häuser nur der Steinärke, mit denen sie ungeheure Bäume fällen. Die Frauen
beschäftigen sich viel mit Weben von Tüchern und Herstellen irdener Gefäße.
Die Dörfer liegen nicht weit auseinander, weshalb sie freundschaftlichen Verkehr
miteinander pflegen und sich gegenseitig zu Festgelagen einladen, die gewöhnlich
mit Trunkenheit enden. Bei öffentlichen Geschäften und Versammlungen nimmt
der vornehmste Kazike den Ehrenplatz ein, ihm zunächst sitzen die Opferpriester,
dann kommen ihre Ärzte (Zauberer) und weiterhin die untergeordneten Vorsteher
und endlich die übrigen Adeligen!.
Der oberste Kazike nimmt aber nicht nur den Ehrenrang ein, sondern man
gehorcht ihm schnell in allen Dingen. Die Untertanen bauen ihm die Häuser,
bdestellen seine Felder und versehen ihn reichlich mit allen Vorräten für Küche
ind Keller. Nur dieser Häuptling straft auf Grund seiner Vollgewalt seine
Untergebenen mit äußerster Strenge, indem er sie gewöhnlich in grausamer Weise
durchprügeln läßt. Einen gleichen Gehorsam erweisen die Weiber der Haupt⸗
frau dieses Kaziken, der übrigens so viele Weiber halten darf, als er will.
Auch von den Frauen erhält er den Zehnten vom Fischfang und der Jagd,
die sie nie unternehmen, ohne ihn vorher um die Erlaubnis gebeten zu haben.
Die Würde des Häuptlings ist erblich nach dem Rechte der Erstgeburt. Der
Erstgeborne übt schon von Jugend auf die Herrschaft über die Knaben aus
und wird in gewisser Weise besser und despotisch erzogen. Sobald er in das
Alter gekommen, wo er fähig ist, seine Untertanen zu regieren, tritt er an die
Stelle seines Vaters, was mit feierlichem Gepränge und vielen Zeremonien zu
geschehen pflegt. Doch bewahren die Untergebenen dem gewesenen Herrscher ihre
frühere Liebe und Unterwerfung. Deshalb wird auch, wenn er stirbt, ein feier—
liches Begräbnis mit vielem Weinen und Klagen und unzähligen abergläubischen
Bebräuchen veranstaltet. Sein Grab ist eine Art Gewölbe unter der Erde, das
durch Steine und Pfeiler befestigt ist, damit die Leiche nicht durch die Feuchtig—
keit zersetzt oder von der Erde darüber belastet werde?.
Meriwürdig ist, was Fernandez von der Religion der Manaziker sagt.
Er meint, aus gewissen Zeichen könne man schließen, der hl. Thomas müsse in
diesen Gegenden gepredigt habens. Denn sie glauben, sagt er, aus alter Über⸗
lieferung, daß eine Jungfrau ohne Verkehr mit einem Manne ein liebliches Kind
geboren habe; dieses Kind habe viele und große Wunder gewirkt: Blinde und
dahme geheilt und Tote erweckt. Es habe dann den Menschen gesagt, und die
Indianer glauben es, seine Natur sei von der ihrigen ganz verschieden; darauf
sei es vor aller Augen durch die Luft zum Himmel aufgestiegen und dort in
die Sonne verwandelt worden, die wir heute mit Augen sehen. Sie erweisen
aber diesem Wundertäter keine Ehrenbezeigungen, sondern beten den Teufel an.
Doch haben sie keine Götzenbilder aus Stein oder Holz, sondern beten den Teufel
unter den schreckhaften und wüsten Gestalten an, in denen er ihnen erscheint.
Fernandez führt es auf den Einfluß des Teufels, dieses betrügerischen Affen des
wahren Gottes, zurück, daß die Manaziker eine dunkle und verzerrte Idee der
Trinität haben: des Vaters, des Sohnes und des Geistes. Sie nennen diese
Pernandez a. a. O. 139. 2 Ebd. 140.
3Ebd. 142. Oharlevoix a. a. O. II 174.
Cathrein, Die Einheit d. sittl. Bewußtseins. III.
194
Vierter Teil. Die Naturvölker Amerikas.
Trinität Tiniamacas. Die Mutter des Sohnes und die Frau des Vaters
scheint eine Verzerrung der Mutter Gottesidee darzustellen. Denn es ist nicht
unwahrscheinlich, daß sie auf irgend eine Weise eine oberflächliche Idee der christ⸗
lichen Glaubenswahrheiten erhalten haben. Der Vater gilt ihnen als der Gott
der Gerechtigkeit, der die Schuldigen straft, der Sohn und der
Geist und besonders die genannte Göttin spielen die Rolle der Mittler. Als
Tempel dieser Gottheiten dient die große Wohnung. des Kaziken, in der sich
das Volk zu den Festen versammelt. Bei diesen Festen sollen die Teufel oft
erscheinen und durch Vermittlung der Priester mit ihren Verehrern reden und
sije zum Trinken auffordern!. Die Manaziker bringen ihnen Opfer von Fischen
oder Wild dar.
Außer den genannten Göttern und Teufeln verehren die Manaziker auch
Götter, die sie Herren des Wassers (Isitanus) nennen und die für die Flüsse und
Fische sorgen. Sie ehren diese Götter durch Tabakrauch, den dieselben gern
riechen, und wenn der Fischfang gut ausgefallen ist, gehen sie in den Tempel
und bringen ihnen einen Teil der Beute dar. Eine große Rolle spielen die
Priester oder Zauberer (Mapono), besonders das Haupt derselben, das
große Verehrung genießt, mit den Geistern Verkehr unterhält und seinen Feinden
nicht nur schaden, sondern auch den Tod verursachen kann. Um zu zeigen,
welche Gewalt er habe, unterhält er in seiner Wohnung Schlangen und Nattern.
Wie dem Häuptling wird auch diesem Oberpriester der Zehnte dargebracht.
Die Manaziker „glauben an die Unsterblichkeit der Seelen, die sie
Oquipau nennen; sie sind fest überzeugt, daß sie einst ewig im Himmel leben
und sich dort freuen werden, wohin sie der Oberpriester bringen wird“2. Beim
Tode eines Stammesgenossen wird eine Totenfeier veranstaltet, die sich nach
dem Rang des Verstorbenen richtet. Nach dem Begräbnis gehen die Mutter
und Frau des Verstorbenen zum Tempel, wo dessen Seele ihnen erscheinen und
zu ihnen sprechen soll. Sie tröstet die Lebenden mit der Hoffnung, daß sie
bald im Himmel wieder vereinigt sein werden. Dann besprengt der Priester
die vermeintliche Seele des Toten mit kaltem Wasser, um sie von den Sünden⸗
flecken zu reinigen. Jetzt verschwindet die gereinigte Seele aus den Augen
der Mutter und Frau. Der Priester stößt beide gewaltsam auf die Seite und
fliegt in die Luft. Nun trauert die verlassene Witwe, bis der Priester zurück
kehrt und ihr mitteilt, die Seele sei schon bei den Göttern im Himmel selig.
Der Priester begleitet nämlich die Seele, bis sie in den Himmel eingeht. Die
Seele muß durch Wälder, Sümpfe, Flüsse ꝛc. ziehen, bis sie endlich an einen
Scheideweg kommt, der von einem Strom durchschnitten wird. Über den Strom
führt eine Brücke. Hier wacht Tag und Nacht ein Gott, Tarusiso (Tatusio)
genannt, der die Aufgabe hat, die Seelen über die Brücke zu führen und direkt
zum Himmel zu leiten. Er hindert die Seele zuweilen am Übergang, besonders
wenn es die einer jungen Person ist, um sie zu reinigen. Leistet sie den
geringsten Widerstand, so wird der Gott zornig und schleudert sie in den Fluß,
um sie zu ersticken. Daraus entstehen dann auf der Erde zahlreiche Übels.
Fernandez, Historica Relatio usw. 144 -145. 2 Ebd. 150.
sz Charlevoix, Histoire du Paraguay II 277.
15. Die Moxos.
195
15. Die Morxos.
Unter den Moxos (sprich Mochos) verstand man schon im 17. und 18. Jahr-
hundert die zahlreichen Indianerstämme, die heute im nördlichen Bolivia am
Madeirafluß und nördlich davon zwischen dem 11. und 15.0 s. Br. wohnen.
Moxos war eigentlich bloß der Name eines der bedeutendsten der genannten
Stämme, der sich am ehesten zum Christentum bekehrte; aber allmählich wurde
dieser Name auf alle Stämme ausgedehnt, die dieses ungeheure Gebiet be⸗
wohnten und zum Teil noch heute bewohnen. Im 17. Jahrhundert zaͤhlten
die Missionäre bei diesen Stämmen nahezu vierzig verschiedene Sprachen.
Schon vom Anfang des 17. Jahrhunderts an wurden bei diesen wilden
Völkerschaften Missionsversuche unternommen, aber erst gegen Ende desselben
Jahrhunderts gelang es dem heroischen Seeleneifer des P. Chyprian Baraza 8. J.,
dort zahlreiche und blühende Missionsstationen zu errichten.
Aus dem Anfang des 18. Jahrhunderts besitzen wir einen ausführlichen
Bericht über die Sitlen und Gebräuche der Moxos und die Arbeiten des ge⸗
nannten Missionärs. Der Bericht wurde auf Befehl Urban de Matha's, Bischofs
von La Paz, zu Lima spanisch gedruckt und ist in einem Auszug in den Lettros
ödifiantos ot curieuses? veröffentlicht worden. Diesen Auszug benutzen wir
m folgenden.
Bei den heidnischen Moxos gibt es weder Gesetze, noch Regierung noch
Polizei; niemand befiehlt und niemand gehorcht. Entsteht ein Streit, so ver—
schafft sich jeder selbst mit bewaffneter Hand Recht. Die Unfruchtbarkeit des
Bodens zwingt sie, zerstreut zu leben, um ihren Unterhalt zu finden. Das ist
eines der größten Hindernisse für die Tätigkeit der Missionäre. Wo sie sich
niederlassen, bauen sie ganz niedrige Hütten; jede Hütte ist von Gliedern der⸗
selben Familie bewohnt. Sie schlafen auf Matten am Boden oder in Hänge—
matten, die sie an zwei Pfählen oder zwei Bäumen befestigen. Um sich gegen
die wilden Tiere und die Moskitos zu schützen, zünden sie rings um ihre Hänge—
matten ein Feuer an; sie werden aber durch die Sorge für den beständigen
Unterhalt des Feuers sehr im Schlaf gestört. Sie haben keine bestimmte Zeit
zum Essen, sondern essen zu jeder Zeit, sobald sie etwas zu essen finden. Da
ihre Speisen roh und unschmackhaft sind, kommt es beim Essen selten zum
Übermaß, dafür entschädigen sie sich durch das Trinken. Durch Aufweichen be—⸗
stimmter fauler Wurzeln im Wasser erhalten sie ein sehr starkes berauschendes
Getränk, dessen sie sich besonders bei den Festen zu Ehren ihrer Götter bedienen.
Beim Klang gewisser Instrumente, deren Ton sehr unangenehm ist, versammeln
sie sich in einer Art aus Ästen geflochtener Laube; dort tanzen sie den ganzen
Tag und trinken in langen Zügen das berauschende Getränk. Das Ende dieser
Feste ist fast immer Streit, mehrfacher Totschlag und wüste Ausschweifung 2.
Obwohl das Land Überfluß hat an Heilkräutern und die Moxos an vielen
Krankheiten leiden, kennen fie doch die Heilkraft dieser Kräuter nicht und machen
keinen Gebrauch davon. Dagegen kennen sie sehr gut die verschiedenen Arten
don Giften und bedienen sich derselben. um an ihren Feinden Rache zu nehmen.
X Recueil, Paris 1718, 186 ff. 2 Ebd. 195.
3*
196
Vierter Teil. Die Naturvölker Amerikas.
Im Krieg gebrauchen sie vergiftete Pfeile, und das Gift ist so stark, daß die
kleinste Wunde den Tod verursacht. In den Krankheiten nehmen sie ihre Zu⸗
lucht zu den Zauberern, denen sie eine besondere Macht zur Heilung der Krank⸗
Jeiten zuschreiben. Diese besuchen die Kranken, sprechen einige abergläubische
Gebete über sie, versprechen für ihre Heilung zu fasten und ein paarmal während
einiger Tage Tabakrauch einzunehmen, oder auch, was als besondere Gunst
zilt, an der kranken Stelle zu saugen. Dann lassen sie sich reichlich bezahlen
und ziehen sich zurück.
Lächerlich ist die Art und Weise, wie sie sich schmücken und putzen, um
sich noch häßlicher zu machen, als sie von Natur aus sind. Die einen schwärzen
sich die Hälfte des Gesichtes und beschmieren die andere mit einer rötlichen
Farbe. Andere durchbohren sich die Lippen und Nasen und befestigen daran
kleine Gegenstände, so daß sie ganz lächerlich aussehen. Wieder andere tragen
auf der Brust eine Metallplatte oder gürten sich mit mehreren Schnüren, an
denen Glaskörner, Zähne und Hautstücke von erlegten Tieren hängen. Einige
hängen sich sogar die Zähne der Menschen um, die sie erschlagen, und je mehr
Zeichen dieser Grausamkeit sie an sich tragen, um so größer ist ihr Ansehen
dei den Eingebornen. Viele schmücken sich auch Kopf, Arme und Knie mit
allerlei Vogelfedern, die sie ganz gefällig zu ordnen verstehen.
Die einzige Beschäftigung der Männer bei den Moxos besteht in der Jagd,
dem Fischfang und dem Herstellen von Bogen und Pfeilen. Die Weiber müssen
für die Männer das Getränk besorgen und ihre Kinder pflegen. Stirbt die
Mutter, so werden die kleinen Kinder mitbegraben. Bekommt eine Frau Zwillinge,
so wird eines der Kinder begraben, weil, wie sie sagen, die Mutter nicht
zwei Kinder auf einmal gut ernähren könne!.
Alle diese Völkerschaften führen fast beständig Krieg miteinander; sie kämpfen
ohne Ordnung und Disziplin, und gewöhnlich ist nach einem zwei— oder drei⸗
ftündigen Kampf der ganze Feldzug zu Ende. Die Besiegten fliehen. Die
im Kampfe Gefangenen werden zu Sklaven gemacht und um eine Kleinigkeit
an Völker verkauft, die damit Handel treiben. Die Beerdigung findet fast
ohne Feierlichkeit statt. Die Verwandten des Toten graben eine Grube und
begleiten stillschweigend oder laut schluchzend die Leiche zum Grabe. Sobald
diese im Grabe ist, teilen sie sich in seine geringe Hinterlassenschaft, und damit
herschwindet der Tote für immer aus ihrem Gedächtnis. Fast ebenso einfach
halten sie es mit der Heirat. Alles hängt von der Einwilligung der Eltern
der Brautleute ab und von einigen Geschenken, die der Mann dem Vater oder
dem ältesten Verwandten seiner Braut gibt. Um die Einwilligung der Braut⸗
leute kümmert man sich nicht, und es besteht bei ihnen die Sitte, daß der
Mann der Frau überallhin folgt, wo diese wohnen will. Obwohl die Viel⸗
weiberei gestattet ist, haben doch wenige Männer mehr als eine Frau, da ihnen
ihre Armut nicht gestattet, mehrere zu halten. Die Unenthaltsamkeit ihrer Frauen
betrachten sie als ein ungeheures Verbrechen, und wenn eine untreu wird, so
gilt sie als eine Ehrlose und Vrostituierte; ja ihre Untreue kostet ihr oft das
deben 2.
Lettres édifiantes ot curiouses 200. * Ebd. 202 - 203.
15. Die Moxos.
197
Alle diese Völker haben keine Kenntnis des wahren Gottes. Einige beten
die Sonne, den Mond und die Sterne an, andere die Flüsse oder auch
einen vorgeblichen unsichtbaren Tiger. Einige tragen immer eine große Zahl
lächerlich geformter Idole bei sich. Bestimmte Glaubenssätze haben sie nicht,
auch leben sie ohne Hoffnung einer besseren Zukunft, obwohl sie, wie wir gleich
hören werden, an ein Fortleben nach dem Tode glauben.
Die obige Behauptung, daß die Moxos keine Kenntnis Gottes haben, wider⸗
spricht der Angabe des P. Stanislaus Arlet 8. J., der am Ende des
17. Jahrhunderis als Missionär bei einem Stamm der Moxos wirkte, welcher
den NRamen die Canisianen (Canisianae) trug. In einem Brief an den Jesuiten⸗
general, datiert vom 1. September 1698, schreibt er: „Diese Barbaren haben
leine Religion, aber auch keinen Aberglauben, weil sie weder Gott noch dem
Teufel einen Kult erweisen, obwohl sie eine ziemlich klare Erkenntnis
Gottes haben (Cicet utcumque claram Dei notitiam habeant).“? Wir
sehen hier wieder, in welchem Sinn die alten Missionäre den Wilden die Religion
absprechen. Religion bedeutet ihnen Gottesverehrung (cultus Dei), und
diese kann fehlen, obwohl eine mehr oder weniger klare Idee von Gott vor⸗
handen ist.
Obwohl sich die erwähnten Angaben zu widersprechen scheinen, lassen sie sich
doch in Einklang bringen, wenn man annimmt, daß es sich um verschiedene
Stämme handelt. Denn unter dem Namen Moxos begriff man ein zahlreiches
Volk, das aus vielen verschiedenen Stämmen mit ganz verschiedenen Sprachen
und Sitten bestand. Die Indianer, von denen P. Arlet schreibt, hatten noch
keine Missionäre gesehen. Sie waren wilde, ganz nackte Menschen, die das
Fleisch ihrer erschlagenen Feinde verzehrten und deren Schädel als Trinkgefäße
benutzten. Die Gefangenen wurden zum Teil gebraten und verspeist, zum Teil
als Sklaven benutzt. Bei ihren häufigen Trinkgelagen kam es oft zu Streit,
Totschlag und wüsten Ausschweifungen. Trotz ihrer Wildheit nahmen die Bar—
baren den Missionär freundlich auf, als sie hörten, daß er in friedlicher Absicht
komme. Mit Aufmerksamkeit lauschten sie dem, was er ihnen von Gott und
von der ewigen Vergeltung des Guten und Bösen nach diesem Leben sagte.
In wenigen Jahren brachte er eine schöne Reduktion zu stande, in der mehrere
hundert Wilde ein wahrhaft christliches Leben führten, nachdem sie der Viel⸗
weiberei und der Trunksucht entsagt hatten.
WVielleicht ist übrigens der Bericht des P. Arlet noch in anderer Weise mit
dem der Lettres édifiantes in Einklang zu bringen. Diese fahren nämlich
in ihrer Darstellung der Moxos also fort: In allen Dingen erblicken sie einen
Geist, der ihnen zuweilen zürnt und ihnen die Übel sendet, unter denen sie
leiden, und deshalb ist es ihre Hauptsorge, diese geheimnisvolle Macht, der man
nicht widerstehen kann, zu versöhnen oder sie nicht zu beleidigen. Möglicher—
weise ist dieser mächtige Geist, dem man nicht widerstehen kann, und der nicht
immer, sondern nur zuweilen zürnt, Gott selbst, wenn sich die Eingebornen
darüber auch nicht klar sind.
Ebd. 20o8. WM
Fine deutsche Übersetzung dieses Briefes findet fich im Neuen Welt-Bott Nr 50.
—198
Vierter Teil. Die Naturvölker Amerikas.
P. Franz Xaver Eder!, der auch lange Jahre als Missionär bei den
Moxos weilte, berichtet über ihren Aberglauben: „Die Führer und Lehrer ihrer
abergläubischen Gebräuche heißen Motire und sind meist alte Leute beiderlei
Geschlechts, die, um zu ihrem Titel zu gelangen, nur vorzugeben brauchen, sie
hätten mit einem Tiger oder Krokodil oder, was noch mehr gilt, mit Acsane
gesprochen. Was aber Acsane sei, wissen sie selbst nicht, da niemand diese
Gottheit (numen istud) jemals gesehen oder ihr Orakel gehört hat. Sie haben
diesen leeren Namen zugleich mit allerlei albernen Fabeln von den Vorfahren
überkommen und glauben daran. Man meint, er sei ein doppelter Geist: der
eine wohnt in den Wäldern, Flüssen, Seen und andern Dingen; der andere
gehört dem Menschen und ist eine Art Schutzgeist desselben. Doch haben nicht
alle Menschen denselben Genius oder Geist, sondern die einen sind mächtiger
als die andern. Wenn deshalb ihre Schützlinge miteinander kämpfen, muß der
schwächere Acsane dem stärkeren notwendig unterliegen.“ Da diese Darlegungen
aus einer Zeit stammen, in der der größere Teil der Moxos schon christlich
war, ist es nicht unmöglich, daß sich unter einem Acsane noch eine verworrene
Erinnerung an den alten Gott der Moxos verbirgt, dem die Missionäre einen
andern Namen gegeben. Doch wie dem immer sei, so viel ist nach den älteren
Berichten sicher, daß die Moxos keinen eigentlichen äußeren und feierlichen Kult
hatten und daß man unter diesen verschiedenen Völkerschaften nur eine oder zwei
fand, die eine Art Opfer darbrachten?.
Es gibt unter den Moros zwei Arten von Religionsdienern. Einige sind
Zauberer, deren einziges Geschäft darin besteht, den Kranken die Gesundheit
wieder zu geben. Andere sind als Priester dazu bestimmt, die Götter zu ver⸗
söhnen. Die ersteren gelangen zu ihrem Ehrenrang nur nach einem strengen
Fasten, das ein Jahr lang dauert. Wäaͤhrend dieser Zeit müssen sie sich von
Fleisch und Fisch enthalten. Außerdem müssen sie von einem Tiger (Jaguar) ver⸗
letzt werden und seinen Klauen entronnen sein. Dann ehrt man sie als Männer
von einer seltenen Macht; weil man glaubt, sie ständen in Achtung und Gunst
bei dem unsichtbaren Tiger, der sie gegen die Angriffe des sichtbaren Tigers,
mit dem sie gekämpft, beschützt habe. Wenn sie lange Zeit dieses Amt aus⸗
geübt haben, läßt man sie zur höchsten Priesterschaft zu. Um sich aber der—⸗
selben würdig zu machen, müssen sie noch ein ganzes Jahr mit derselben Strenge
fasten und muß ihr Gesicht ganz hager und eingefallen sein. Dann werden
einige scharfe Kräuter ausgepreßt und der Saft auf ihre Augen gegossen, was
ihnen sehr heftige Schmerzen verursacht. So drückt man ihnen den Charalter
der Priesterschaft auf. Durch dieses Mittel soll ihr Blick geschärft werden, und
deshalb nennt man diese Priester Tiharaugui, was in ihrer Sprache so viel
bedeutet wie: derjenige, der scharfe Augen hats.
Zu gewissen Zeiten des Jahres, besonders zur Zeit des Neumondes, ver⸗
sammeln diese Diener Satans das ganze Volk auf irgend einem Hügel in der
Nähe der Niederlassung. Bei Tagesanbruch zieht es schweigend zu der Stelle;
Descriptio Provinciao Moxitarum in regno Peruano, quam o scriptis posthumis
Fr. X. Pder S. J. annis 15 sacri apud eosdem Curionis digessit, expolivit Abb.
et Consil. Rog. Mako, Budae 1791, 34853.
2 Lettres édifiantes et curieouses 203 - 204. 3 Ebd. 206.
15. Die Moxos.
199
sobald es dort angekommen, fängt es plötzlich ein furchtbares Geschrei an. Das
geschieht, wie sie sagen, um das Herz ihrer Gottheiten zu erweichen. Den ganzen
Tag wird gefastet und durcheinandergeschrieen bis zum Anbruch der Nacht.
Dann fangen die Priester an, sich die Haare abzuschneiden, was bei diesen
Völkern als Zeichen großer Freude gilt, und sich den ganzen Körper mit roten
und gelben Federn zu bedecken. Hierauf lassen sie die großen Gefäße herbei—
bringen, in die man das berauschende Getränk gießt, das für das Fest bereitet
wurde. Sie nehmen dasselbe als die ihren Göttern dargebrachten Erstlinge in
Empfang, trinken übermäßig daraus und überlassen es dann dem ganzen Volke,
das nun nach ihrem Beispiel auch bis zum Übermaß trinkt. Die ganze Nacht
wird mit Trinken und Tanzen zugebracht; einer von ihnen stimmt ein Lied an, alle
bilden einen großen Kreis, bewegen ihre Füße im Takt, neigen den Kopf nachlässig
von einer auf die andere Seite und machen dazu unanständige Gebärden. Darin
besteht der ganze Tanz. Je törichter und extravaganter die Bewegungen sind,
die einer macht, um so andächtiger und frömmer ist er nach ihrer Meinung.
Den Schluß dieser Feste bilden gewöhnlich Verwundungen und mehrere Totschläge.
Die Moxos haben die Kenntnis von der Unsterblichkeit der Seele,
aber diese Kenntnis ist sehr dunkel. Sie scheinen keine Idee davon zu haben,
daß man im andern Leben Strafe zu fürchten oder Belohnung zu hoffen habe.
Auch kummern sie sich kaum um das, was mit ihnen nach dem Tode ge⸗
schehen wird I.
In der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts hatten die Jesuiten einen be—
trächtlichen Teil der Moxos dazu vermocht, sich in festen Niederlassungen an—
zusiedeln und das Christentum anzunehmen. Nach dem schon erwähnten spanischen
Bericht soll P. Baraza allein mehr als 40 000 Eingeborne getauft haben. „Er
hatte Menschen angetroffen, die jeder menschlichen Gesittung entbehrten und
wilder waren als die Tiere, und er hinterließ ein zivilisiertes Volk, das sich in
hohem Maße durch die Gesinnung der Frömmigkeit und Religiosität auszeichnete.“
Wir haben schon bemerkt, daß die Moxros aus sehr verschiedenartigen Völker—
schaften bestanden. Zu den Moxos wurden auch die Movimer am Rio Cayan
und Rio Madeira gerechnet, deren Sitten uns der deutsche Missionär P. Joh.
Röhr 8. J. in einem Briefe aus der Mission San Borgia vom Neuiahr 1727
beschreibts.
Man hört hier, berichtet der Missionär, eine dreifache Sprache. Die vor⸗
nehmste ist die der Movimer. Dieses Volk ehrte zur Zeit seiner Barbarei einen
Goti, den es Bulan, den Vater und Herrn aller Dinge, nannte.
Fragt man sie nach ihrer Herkunft, so antworten sie, der Bulan habe ihre Ahnen
aus dem See Movim, von dem sie ihren Namen haben, hervorgezogen. Die
Movimer furchten sich sehr vor der Boligenvölkerschaft, weil diese, wie sie meinen,
fich in Tiger verwandeln können. Sie hatten auch einige Erkenntnis von
der Unsterblichkeit der Seele, indem sie bekennen, daß die Seelen nach
diesem zeitlichen ein anderes Leben haben. Man findet bei ihnen Götzendiener,
Aenonen genannt, welche das Volk bereden, daß es den erzürnten Bulan
J
Ebd. 208. 2 Ebd. 252.
Vgl. Stöcklein, Der Neue Welt⸗Bott, 27. Th, Nr 8524.
200 Vierter Teil. Die Naturvölker Amerikas.
durch Geschenke besänftigen solle, nämlich durch Geschenke von Kaninchen, Rehen,
Baumwollgarn u. dgl. Des geopferten Garns, der Hemden usw. bedienen sich
die Aenonen. Das Übrige wird teils in dem Götzenhäuslein aufgehängt, teils
in die Erde verscharrt, und damit soll der Bulan besänftigt sein. Man findet
auch eine Art Ärzte bei ihnen, die, wenn sie zu einem Kranken gerufen werden,
an dem kranken Teil des Leibes saugen und unterdessen etwa einen Käfer aus
der Hand fallen lassen und schreien: Jetzt wirst du bald gesund werden. Es
ist übrigens ein einfältiges Volk, ohne Herrn und Gesetz, und deshalb leicht zu
bekehren. Die Zahlen deuten sie mit den Fingern an, und wenn es über zwanzig
geht, übersteigt die Zahl ihren Witz. Von Höflichkeit und guten Sitten wissen
sie wenig. Der Gruß bei der Begegnung besteht in der Anrede: Du! worauf
der Gegengruß folgt: Ich! Der Morgengruß lautet: Bist du schon aufgestanden?
die Antwort: Ich bin schon aufgestanden. Die wichtigste Übung ihrer Höflich⸗
keit kommt beim Ballspiel vor. Sie machen einen ca 20 Pfund schweren Ball
qus einer Art elastischen Harzes. Die Spieler bilden einen Kreis, und welchen
sie nun ehren wollen, dem bieten sie den Ball zuerst an, damit er ihm mit
dem Fuß einen Stoß versetze, auf daß der Ball zu springen anfange und dann
durch das Schienbein oder Knie eines andern weitergetrieben werde. Diesem
Spiel sind sie sehr ergeben.
Ihre Mahlzeiten halten sie um das Feuer herumsitzend. Einer beißt zuerst
in ein Stück gebratenes Fleisch und gibt dann das Stück dem zweiten, der
dasselbe tut uswp., bis es die Runde gemacht und zum ersten zurückkehrt, der
inzwischen seinen Bissen schon gekaut und verschluckt hat. Sie essen Schlangen,
Kröten, Eidechsen, Fledermäuse ohne Ekel, ja noch andere Dinge, die man ohne
Abscheu nicht ansehen kann.
Wenn sie zu Feld ziehen, bilden die Krieger nur eine Reihe, so daß ein
Mann von dem andern acht Schritte absteht. Ein jeder schießt wider die Feinde
seine Pfeile, während sein Weib hinter seinem Rücken die feindlichen Pfeile
sammelt und ihm überbringt. Wenn einer oder zwei verwundet zu Boden sinken,
ist der Kampf fertig und die andern suchen sich durch die Flucht zu retten.
Fine eigentümliche Sitte der Völker ist, daß sie die Lippen durchlöchern und
den Kopf von Jugend auf mit Gewalt zwingen, nach oben spitz zuzulaufen, so
daß er einem mit Haaren bewachsenen Kürbis gleicht.
Die Movimer sind munter und kühner als die andern Indianer. Die Ge⸗
schwätzigen werden von ihnen hochgeschätzt, und es ist ein besonderes Lob, wenn
sie sagen: Dieser redet viel.
Die Eltern versprechen ihre Kinder einander zur Ehe, sobald sie geboren
sind; diejenigen, für welche sie keinen Gatten finden, töteten sie früher. Seit⸗
dem ihnen dies vom Missionär unter schweren Strafen verboten worden, wollten
sie diese Kinder zuerst nicht taufen lassen, töteten sie aber auch nicht, sondern
wickelten sie in Binsendecken ein und brachten sie zur Kirche, damit sie lebendig
hegraben würden. Es hat viele Mühe gekostet, diese unmenschlichen Gebräuche
auszurotten.
In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts existierten unter den Moxos
sehr viele blühende Missionen. Durch die Vertreibung der Jesuiten sind diese
zivilisatorischen Arbeiten fast ganz vernichtet worden. In seinem Buche „Vom
16. Die Indianer von Tumupasa in der bolivianischen Provinz Caupolican. 201
Amazonas und Madeira“! schreibt Franz Keller-Leuzinger: Unter den Jesuiten
erfreuten sich die Moxos geordneter Zustünde; seit ihrer Vertreibung sind die
sieben Stämme der Moxos von den Bolivianern, vorab von der Regierung, miß—⸗
handelt und ausgebeutet worden und leben jetzt in grauenhaft verwahrlosten
Zuständen. Erst in neuester Zeit sind wieder energische Missionsversuche unter—
nommen worden.
16. Die Indianer von Tumupasa in der bolivianischen Provinz Caupolican.
Die große Dorfschaft Tumupasa liegt unter dem 14.0 8 südl. Br. und
70.0 46/ westl. L. von Paris. Sie wurde im Jahre 1756 gegründet, und
ihre Bevölkerung setzte sich aus Tacanas, Marcanis, Sapurunas, Toro⸗
manos usw. zusammen?. Sie glaubten an einen Gott, den Schöpfer
und Herrn des Weltalls, der den Berg Caquiahuaca vergöttlicht und
einen Schutzgott gleichen Namens darauf gesetzt hatte. Die Toromanos kamen
im Jahre 1780 von ihren Dörfern, um diesen Berg zu besuchen, schleppten bei
dieser Gelegenheit ein „Edutzi“ genanntes Götzenbild mit sich fort, damit es sie
zur Glückseligkeit geleite, denn Edutzi heißt: der Führer.
Die Tumupacenos glaubten an die Unsterblichkeit der Seele, das
iüngste Gericht, die ewige Glückseligkeit und die Hölle. Gott
nennen sie Edutzi, Seele Enidu, jüngstes Gericht Bi pea zine heatusu, Glück⸗
seligkeit Diosu caua, Hölle Ichaunasa cuati. Der Bidui paititi ist der Götze,
welchen die Tumupacenos verehrten und von dem sie glaubten, daß er am Tage
des Gerichtes komme, um zu belohnen oder zu bestrafen.
Diese Notizen sind dem alten 1756 angefangenen Taufregister entnommen 8.
Wie weit in diesen Anschauungen schon christliche Einflüsse sich geltend machen,
ist schwer zu sagen. An ihren heidnischen Gebräuchen und Vorstellungen hängen
die Tumupacenos noch heute mit großer Zähigkeit, so daß jetzt ihre Religion
ein sonderbares Gemisch von Christentum und Heidentum ist. Auch die Re⸗
gierung ist ein Kuriosum, halb weltlich, halb geistlich. Die aus verschiedenen
Stämmen sich zusammensetzende Bevölkerung wechselt in den öffentlichen Dienst⸗
leistungen je am Sonntag ab. Jeder Stamm hat seinen Alkalden, Kommissar,
Gerichtsdiener, Fiskal, seine Katechisten, Sakristane, ferner einen Oberalkalden
oder Kaziken und Polizeivorsteher. Die Angehörigen eines Stammes halten sich
nicht für verpflichtet, siets im Dorfe zu wohnen, sondern bloß in der Woche,
wo sie Dienst haben. Sie lieben das Waldleben über alles, ernähren sich von
wilden Früchten, den Produkten der Jagd und Fischerei, verschmähen aber auch
Mäuse, Frösche, Wuürmer usw. nicht. Auf das Tanzen sind sie sehr erpicht,
und dies ist das einzige, was sie an gewissen Hauptfesten (Ostern, Patronatsfest
und Fronleichnam) nach dem Dorfe zieht. Auch an Fastnacht fehlt keiner.
Stuttgart 1874. Vol. Fr. v. HellIwald, Naturgeschichte des Menschen J 402.
2 VBgl. Globus LX (1801): Nusser⸗Asport, Padre Armentias Reise in der
bolivianischen Provinz Caupolican. Die Angaben sind dem „Tagebuch der Reise nach
dem Madre Dios“, die der Franziskanerpater Nic. Armentia in den Jahren 1884
bis 1885 als Regierungsbeauftragter unternahm.
s Vgl. Globus LX (I1891) 119.
202 J Vierter Teil. Die Naturvölker Amerikas.
Jeder Stamm hat seine Musiker, die wöchentlich für den Kirchendienst ab⸗
wechseln gerade wie die andern Dienstpflichtigen; das Hauptinstrument ist natür⸗
lich die Trommel. Ihre Hütten sind das Armseligste, was man sich denken
kann. Die Alkalden und Sklaben (von denen gleich die Rede sein wird) aus⸗
genommen hat niemand Tisch oder Stuhl, und noch weniger Bettstellen. Alle
schlafen am Boden auf einer Art Matte, und nicht alle besitzen eine Decke.
Das Weib kann den ganzen Hausrat in einem Korbe forttragen, denn er
besteht bloß aus einem Kochtopf, um Bananen zu kochen, einer Spindel, um
zu spinnen, und einem Stück weißer Erde, um die Spindel einzureiben. Ihre
Kleidung besteht aus einem ärmellosen Hemd, das bei den Weibern bis auf
die Füße, bei den Männern bis auf die Knie reicht.
Die Leute verlangen vom Padre bloß, daß er sie feierlich taufe, verheirate
und begrabe und an den Hauptfesten seinen Funktionen nachkomme, während
sie sich mit Tanzen und Trinken dabei beteiligen. Obwohl sie aber viele und
starke Chicha trinken, berauschen sie sich nicht. In 21,, Jahren sah P. Armentia
nie eine Schlägerei infolge von Betrunkenheit. — Wenn einer stirbt, so
versetzen sie, sobald der Leichnam entfernt ist, die Türe auf die andere Seite
der Hütte, damit der Verstorbene sie nicht finde. Die Witwe muß während
acht oder vierzehn Tagen nach Mitternacht aufstehen, um die Hütte zu umkreisen
und unter Jammergeschrei und Trauergesängen alles, was dem Manne ge—⸗
hörte, zu zerstören und zu vergraben. Sie glauben, daß, solange der Leichnam
nicht in geweihter Erde ruhe, die Seele leidend im Feld umherirre. Sie unter⸗
wverfen sich deshalb allen Opfern und Anstrengungen, um ihren Verwandten
ein kirchliches Begräbnis zu verschaffen.
Sie haben im Walde ihre heiligen Stätten, wo sie alljährlich verschiedene
Male ihre alten Gebräuche feiern, verheimlichen sie aber sorgfältig vor dem
Missionär. Tänze und Trinkgelage, die immer mit der krafsesten Sittenlosigkeit
endigen, spielen dabei die Hauptrolle. Der Leiter dieser Zeremonien ist Baba,
d. h. ein Indianer, der die Rolle eines Zauberpriesters spielt. Sie haben nie
Bötzen in der Gestalt von Menschen oder Tieren gehabt, nur rohe Gegenstände
aus Stein oder Holz, ebensowenig hat man Spuren von Sonnenkult bei ihnen
angetroffen, sie haben also in dieser Beziehung nichts mit den Peruanern unter
den Inkas gemein. Ihr Kultus richtet sich, wie sie sagen, nicht an ein Wesen,
das Gott ist, sondern an eines, das mit Gott spricht und ihm alles anzeigt.
Sie glauben an Hexerei und Zauberei, man darf aber dabei nicht übersehen,
daß bei ihnen vergiften oder verhexen die gleiche Sache ist.
Es ist bedauerlich, daß diese Indianer, die doch manche gute Eigenschaften
haben, sich gegen die praktische Aneignung des Christentums und gegen jede
Zivilisation hartnäckig wehren. Sie sind kaum in die Schule und in die Kirche
zu bringen. Im übrigen sind sie stark und flink und lernen leicht lesen und
schreiben, besitzen Geschick für Musik und verschiedene Gewerbe.
Die Missionäre müssen, da die Kirche kein Vermögen hat, für alle Kultus—
gegenstände sorgen. Indianer, welche Sklaven genannt werden, stellen die
Beleuchtung; es sind ihrer 24, zwei für jeden Monat. Um sich Wachs zu
verschaffen, gehen sie in Begleitung ihrer Familien und Verwandten auf mehrere
Monate in den Wald. Wenn sie heimkommen, lassen sie von den Sakristanen
17. Die Virakaner.
203
das Wachs reinigen und die Kerzen verfertigen, während dieser Zeit werden
sie von ihnen beköstigt. Wenn sie endlich die Kerzen in die Kirche bringen,
halten sie das ganze Dorf mit Essen und Trinken frei. Bei dieser Gelegenheit
werden ungeheure Massen von Chicha vertilgt. Die sog. Sklaven halten sich
für die Edelsten des Dorfes und sind stolz auf ihr Amt!.
17. Die Virakaner.
Über die Virakaner (Viracani) entnehmen wir den Jahresbriefen der Gesell—
schaft Jesu aus den Jahren 1886 und 15872 folgende Notizen. Sie wohnen
in den Bergen und wurden unlängst von den Chiriguanos geschlagen und haben
dabei sehr viele Leute verloren, deshalb beschlossen sie, mit den Spaniern Frieden
zu schließen, und sandten eine Botschaft an sie ab, an deren Spitze ihr Kazike
Canerius stand. Einer der Missionäre, der mehrere Tage mit ihnen verkehrte,
schildert sie als stattliche, kräftige Gestalten. Alle waren bewaffnet und reich
geschmückt. Ihre Hauptkleidung bestand in einem leinenen Tuch, das von den
Hüften bis zu den Knien herabreichte. Am Leibe waren sie rötlich bemalt.
Die Arme und die Waden waren ganz mit Narben bedeckt. Sie sollen, wie
man sagt, am Anfang des Mondes oder beim Vollmond sich mit kleinen
Stäben aus Knochen selbst Wunden beibringen, entweder aus religiöser Ver—
ehrung oder um sich für den Krieg zu üben, damit sie der Anblick des Blutes
in der Schlacht nicht schreckke. Obwohl man ihnen in vollen Gläsern Wein
anbot, tranken sie doch nur wenig davon, entweder um sich nicht zu betrinken
oder weil sie nicht daran gewöhnt waren.
Der Kazike Canerius war eine wahrhaft herkulische Gestalt, ganz majestätisch
im Auftreten, dabei bescheiden, so daß er dem, mit dem er redete, nie ins Ge⸗
sicht schaute. Um sie zu gewinnen, suchte der Missionär ihnen durch einen
Dolmetscher jeden Verdacht zu nehmen, daß man sie in Knechtschaft bringen
oder mit Gewalt zum Christentum bekehren wolle. Dann fragte er sie, ob fie
gern hätten, daß er ihnen von den Dingen des Seelenheiles rede. Als sie das
bejahten, fragte er sie: „Glaubt ihr, daß es nach diesem Leben ein anderes Leben
gebe oder daß Leib und Seele zugleich untergehen?“ Der Anführer antwortete
im Namen aller: „Bei den Menschen wie bei den Tieren sei das Ende des
Lebens auch das der Seele“ (eundom esso animae quam vitae —XX
„Verehrt ihr irgend eine Gottheit?“ — „Den Lenker der Zeiten und die Quelle
des Lichtes, die Sonne, und ihre Schwester, den Mond.“ Der Missionär
sprach dann von der Unsterblichkeit der Seele und von der Belohnung der
Buten und der Bestrafung der Bösen im Jenseits und fragte die Indianer:
Ebd. 120.
⁊ Iitterae Societatis Iesu duorum annorum 1586- 1587, Romae 1589, 518 ff.
RXR Herausgeber nennt das Volk Viracani, fügt aber zweifelnd hinzu: wenn sich der
Abschreiber nicht geirrt hat.
*Wenn man weiß, wie die Wilden auf solche offizielle Fragen zu antworten pflegen,
ist mit den genannten Worten die Frage keineswegs entschieden, ob sie nicht eine dunkle
Ahnung von einem Etwas nach dem Tode haben. Unter Leben verstehen die Wilden oft
einfach das menschliche irdische Leben.
204 Vierter Teil. Die Naturvölker Amerikas.
„Wollt ihr in den Himmel kommen oder in die Hölle verstoßen werden?“ „Wir
wollen in den Himmel“, riefen alle einstimmig. „Nun wohhan, wenn ihr nicht
mit euren Ahnen ins ewige Verderben geraten wollt, müßt ihr ein anderes
Leben führen als sie. Ich verlange nicht, daß ihr euch den Spaniern unter⸗
werfet, ich will vielmehr, um euch wahrhaft freizumachen, mich ganz eurem
Dienste widmen.“ Das gefiel allen sehr, und sie dankten ihm. Auf die Frage,
ob sie über den Weg des Heiles belehrt werden wollten, antworteten sie be⸗
jahend, und die kurze Belehrung, die ihnen der Missionär über den einzigen
Gott, den Schöpfer Himmels und der Erde, über den Fall der Engel, über
die Bestimmung aller Menschen zur ewigen Seligkeit erteilte, hörten sie freudig
und beifällig an. Auch die Behauptung, daß durch die List des Teufels die
Menschen dazu gekommen seien, Sonne, Mond und andere leblose der Menschen
wegen geschaffene Dinge anzubeten, gefiel ihnen gleich.
Gerade diese Tatsache, daß die Wahrheiten von Gott, dem Urheber und
herrn aller Dinge, der jenseitigen Vergeltung von gut und bös so leicht Ein—
zang finden in die Herzen dieser Wilden, ist ein Beweis, daß dieselben mit
Anschauungen harmonieren, die wenigstens dunkel und unbestimmt in ihrer
Seele sich vorfinden.
Es sei uns gestattet, bei dieser Gelegenheit das Zeugnis d'Orbignys
anzuführen, der auf seinen vielen Reisen in Südamerika reiche Gelegenheit hatte,
mit den Eingebornen zu verkehren. Über den Unsterblichkeitsglauben der Süd—⸗
amerikaner sagt er!: „Obwohl mehrere Schriftsteller? den Amerikanern jede
Religion abgesprochen haben, ist uns einleuchtend, daß alle Nationen, selbst die
wildesten, irgend eine hatten. Bringt der Mensch nicht schon von Geburt an
diese tröstliche Ider mit, die ihn während seines ganzen mehr oder weniger
mühseligen irdischen Lebens begleitet, daß er nicht vollständig untergehen wird,
und daß für den vornehmsten Teil seiner selbst mit dem Tode ein zweites, end⸗
loses und glücklicheres Dasein beginnt? Nun, diese tröstliche Idee,
dieser instinktive Glaube findet sich allgemein bei den ameri—
kanischen Völkern und offenbarte und offenbart sich noch unter verschiedenen
Formen in der Gewohnheit, mit den Toten Lebensmittel und alles, was ihnen
gehörte, zu begraben. Die Inkas gingen zu ihrem Vater, der Sonne, sie vor
allen fuhren fort, ihm dort zu dienen. Der Guarani findet in der andern
Welt mit reicher Jagd seine verjüngten Frauen wieder, der Antisier (Anden⸗
bewohner), der Chiquito, der Moxo, der Pampasindianer, der Araukaner treffen
dort viel Wildbret und sehen ihre ganze Familie wieder. Einige Stämme der
Pampas genießen dort jeden Augenblick die Wonne des Rausches; so schafft
und schuf sich jeder, je nach dem herrschenden Geschmack, eine Seligkeit, die den
rdischen Vergnügen entspricht.“
Ihomme Américain J, Paris 1889, 231.
d'Orbigny zitiert F. de Azara, Voyages dans l'Amérique méridionaloe; Pauw,
Recherches sur les Américains; W. Robertson, Histoire de l'Amérique.
18. Die Eingebornen der Provinz Santa Cruz de la Sierra. 205
18. Die Eingebornen der Provinz Santa Cruz de la Sierra.
Von den Indianern der Provinz Santa Cruz de la Sierra, den Ita—
tinern und Varai, berichten die Jahresbriefe der Gesellschaft Jesu von 18891:
Letztere sind sanften Charakters und nur, wenn sie gereizt werden, schwer zu be⸗
handeln. Die Itatiner sind wild und verachten die übrigen Sterblichen, mit
Ausnahme der Spanier, von denen sie abzustammen behaupten. Ein zugefügtes
Unrecht vergessen sie nicht leicht. Kleider haben sie keine, nur die verheirateten
Frauen verhüllen sich den Leib mit Blättern oder Baumrinden. Wenn sie aber
in die Städte der Spanier kommen, legen sie Kleider an, die sie jedoch wieder
ablegen, sobald sie die Stadt verlassen haben. Wenn es bei Nordwind kalt
ist, liegen sie ganze Tage am Feuer, und beim Ausgehen tragen sie einen Feuer⸗
brand, mit dem sie sich von Zeit zu Zeit den Magen wärmen.
Im Unterschied zu den übrigen Peruanern lassen sie die Haare nicht wachsen.
Manche rasieren sich den Kopf und lassen nur auf dem Scheitel einen Haar—
büschel; fie sagen, das sei eine seit Jahrhunderten gebräuchliche Sitte, die sie
von einem Manne, mit Namen Paicumue, erhalten haben. Die Spanier halten
diesen Mann für den hl. Thomas, der Paraguay das Evangelium verkündet
haben soll. Sie haben auch die Überlieferung von einer großen Wasserflut;
durch dieselbe sollten zwei Personen, Paitacurus und Paiamandre, hinweggerissen
worden sein, so daß man sie nicht mehr zu sehen bekam.
Die Männer haben viele Weiber, acht oder zehn und noch mehr, so viele
fie überhaupt ernähren können. Die Nichte heiratet den Onkel; auch bei ihnen
gibt es Ehehindernisse, sowohl solche, welche die Eingehung der Ehe hindern,
als solche, die sie ungültig machen. Die Bande der Verschwägerung werden
heilig gehalten. Nach der Empfängnis bis zur Niederkunft wohnt der Mann
der Frau nicht mehr bei, und während der Zeit enthalten sie sich des Fleisches
und der Fische. Nach der Geburt gibt, wenn es ein Knabe ist, der Großvater
oder der nächste Verwandte, und wenn es ein Mädchen ist, die Großmutter dem
Kinde einen Namen. Der Vater bleibt einige Tage im Bette liegen, und auch
nachdem er aufgestanden ist, darf er kein Tier schlagen und kein Fleisch von
einem Tier, das Zähne hat, auch keine Fische essen; er darf auch der Frau
nicht mehr beiwohnen, bis das Kind laufen kann. Ist das Mädchen ein Jahr
alt geworden, so wird ihm ein Mann bestimmt, dem man einen Bogen, Pfeile
und eine Hacke bringt; das sind die Symbole der Verlobung. Werden die
Geschenke angenommen, so gilt der Bräutigam als gebunden und wird sofort
ins Haus der Braut geführt, um den Schwiegereltern zu dienen, bis die Braut
heiratsfähig ist. Götenbilder findet man bei ihnen keine, nur den Teufel
(thoborococi) verehren sie, indem sie ihm die Erstlinge der Früchte und der
Ernte widmen; beim Jagen und Fischen, das ihre Hauptbeschäftigung ist, weihen
sie sich ihm ganz, nicht sowohl, um Gutes von ihm zu erlangen, als um sich
gegen seine Nachstellungen zu sichern, denn er schadet ihnen beständig.
Die Varai haben die Gewohnheit, zu gewissen Zeiten des Jahres wie
wahnsinnig in den Wald zu laufen, wo sie unter tollen Sprüngen und wildem
— — — — t e— — —
1 Anmnuae Litterae Societatis Jesu anni 1589. 424 ff.
206
Vierter Teil. Die Naturvölker Amerikas.
Geschrei den „Candire“ anrufen, von dem sie schon aus der Zeit der großen
berschwemmung allerlei absurde Fabeln erzählen. Dann springen sie über steile
Felsklippen, laufen über glühende Kohlen und giftige Schlangen, ohne Schaden
zu leiden.
Groß ist der Aberglaube der Eingebornen bei den Begräbnissen. So—
bald die Frau verheiratet ist, webt sie für sich und ihren Mann eine Tunika
zum Einhüllen der Leichen. Wenn man an der Genesung eines Kranken ver⸗
zweifelt, tragen die Verwandten eine Masse Sand herbei, um den Sterbenden
darauf zu legen; sie meinen, das sei das weichste Bett. Der Kranke muß
auch zusehen, wie man vor seinen Augen das Grab bereitet. Ist er ver—
schieden, so wird er rot und schwarz bemalt und mit Federn geschmückt. Neben
die Leiche legt man Bogen, Pfeile und die andern Waffen, die der Tote im
Kriege gebraucht hat, auch etwas Speise und Trank, einen Krug Maisbier,
eine Ente und ein Huhn. Dann erhebt man zum letztenmal ein großes Ge—
schrei und ermahnt den Toten, schleunig zu fliehen, solange der Weg noch
offen stehe. Acht Tage später wird wieder eine Totenfeier abgehalten, zu der
sich viele einfinden; eingeleitet wird dieselbe durch übermäßiges Trinken zu
Ehren des Verstorbenen. Nach einem Jahre wird eine ähnliche Totenfeier
wiederholt.
Bei den Varai ist es Sitte, daß die Verwandten beim Tode eines der
Ihrigen mit dem Kopf gegen die Wand rennen oder auch sich von einer An⸗
höhe herunterstürzen, als ob sie aus Schmerz sich umbringen wollten. Bei
ihren Festen kommen grausame Szenen vor. Wenn sie einen Feind in der
Schlacht gefangen haben, so malen sie ihn rot und schwarz, schmücken ihn mit
Federn, geben ihm reichlich Wein, damit er fröhlicher den Tod verachte, und
hinden ihn dann an einen Baum. Der Gefangene bekommt infolge des Rausches
oder der Verzweiflung neuen Mut (denn er würde es nicht dulden, daß man ihn
loskaufe) und fängt nun an, die Umstehenden mit den gröbsten Schmähungen
zu beschimpfen, und reizt sie an, ihn zu töten, indem er dem Henker Scherben
ins Gesicht wirft, ihm seine Schwäche vorwirft, bis dieser ergrimmt mit einem
hölzernen Schwert durch wiederholte Schläge den Kopf spaltet. Nun laufen
die Weiber herbei und zerreißen und verschlingen die noch warmen Glieder
des Toten.
Die Hütten dieser Indianer sind oft 100 Fuß lang, sehr breit, ohne
Abteilungen im Innern und ohne andere Ausstattung als Bogen und Pfeile
and Hängematten, unter die sie im Winter glühende Kohlen legen, um sich
gegen die Kälte zu schützen. Die Sprache der Varai war, wie es scheint, die
Guaranisprache, die in Paraguay und auch in Brasilien gemein ist. Die
Varai wohnten an Orten, die von hohen und fruchtbaren Bäumen beschattet
waren. Einen Unterschied an Rang und Würde gab es bei ihnen nicht, alle
sind untereinander gleich, halten sich aber den andern Völkern für weit über⸗
legen, verachten sie, so daß sie den Begleiter des Missionärs fragten, ob sie
mit dem gleichen Wasser und dem gleichen Ritus getauft werden sollten wie
die andern. Der Missionär taufte deshalb absichtlich zuerst ihre Sklaven oder
wenigstens die Sklaven zugleich mit ihren Herren, um sie Demut zu lehren.
Anfänglich setzten viele dem Missionär Schwierigkeiten entgegen, bald aber
18. Die Eingebornen der Provinz Santa Cruz de la Sierra. 207
überzeugten sie sich, daß es ruhmreich sei, für den Glauben gegen den Un—
Jlauben, für den Gehorsam gegen die Rebellion einzutreten. Der Missionär
erlangte bei ihnen bald ein viel größeres Ansehen, als es ihre Kaziken besitzen,
denen sie selten gehorchen, höchstens dann, wenn es Männer sind, die sich durch
ihre Tapferkeit im Kriege auszeichnen oder wenn sie ihnen Angenehmes befehlen.
Eigentliche geschlossene Dörfer haben die Varai nicht, und ihre Wohnungen ver⸗
legen sie sehr leicht von einem Ort an einen andern.
Wie die Itatiner halten es auch die Varai für eine Ehrensache, viele Weiber
zu haben; von den übrigen halten sie sich fern. Bei der Geburt eines Knaben
beobachten sie ein dreimonatiges Fasten und enthalten sich mancher Speisen.
Sobald die Knaben drei oder vier Jahre alt und von der Milch entwöhnt
sind, übt man sie in verschiedenen Grausamkeiten, indem man ihnen die Ge—
fangenen übergibt, damit sie sich an ihnen im Schießen üben. Wer einen
durch einen Pfeil tötet, erhält besonderes Lob und eine Belohnung. Auch die
Männer selbst halten es für die größte Ehre, recht viele im Kriege getötet
zu haben.
Den Neumond verehren sie durch großes Geschrei und allerlei Sprünge
und Gebaärden. Eine eigentliche Gottesverehrung haben sie nicht, auch keine Götter
oder Götzenbilder, sie schwören auch nicht. Sie glauben an sieben verschiedene
Arten von Dämonen, die eigene Namen haben, sie verehren sie aber nur aus
Furcht, damit sie nicht von ihnen geschädigt werden. Wenn der Mond Hörner
bekommt, zerschneiden sie vielfach die Arme, die Beine und Hüften und streuen
die Asche von verbrannten wilden und schnellfüßigen Tieren in die Wunden,
um deren Eigenschaften zu bekommen. Auch die Frauen tätowieren Arme, Ge—
sicht und Beine. Die Gewohnheit, durch Stechen des Leibes sich zu quälen, ist
allgemein, und durch die Furcht vor demselben werden die kleinen Knaben im
Zaum gehalten; die größeren werden nie gestraft.
Das Verbrechen des Diebstahls ist bei ihnen etwas seit Menschen Ge⸗
denken Unbekanntes und wird deshalb mehr gemieden, als wenn es (durch ein
pofitives Gesetz) verboten wäre. Auch gekauft und verkauft wird nichts. Wenn
jemand ein Kleid oder sonst etwas nötig hat, so schenkt es ihm derienige, der
Uüberflüssiges besitzt.
Niemand darf die Leichen der Verstorbenen berühren, doch betrauern sie
die Toten mit Tränen und Klagen. Die Weiber bleiben einen Tag und eine
Nacht nüchtern bei der Leiche, wobei sie klagen, den Kopf gegen die Wand
stoßen und sich oft auf dem Boden wälzen. Die Männer betragen sich etwas
ruhiger, sie zeigen die Bogen, den Pfeil und die Keule des Verstorbenen und
derkünden dabei das Lob und die kriegerischen Ruhmestaten des Abgeschiedenen.
Acht volle Tage dauern diese Trauerkundgebungen; selbst in der Nacht bleibt
man oft auf, um zu klagen. Wie sie die Toten mit Tränen und Geschrei be—
llagen, so begrüßen sie in derselben Weise die Ankunft geliebter Personen.
.Welch gute Menschen es bei diesen Wilden gab, geht aus dem Beispiel
eines Mannes hervor, der trotz der Erlaubnis der Vielweiberei volle 50 Jahre
ehelos und keusch lebte. Als der Missionär ihn fragte, ob er denn den Stachel
—V —
und heftig, aber er habe sie alle überwunden, da ihm das Gewissen sagte, man
208
Vierter Teil. Die Naturvölker Amerikas.
müsse Gott allein, dem die Keuschheit gefalle, gehorchen.“ Er ist jetzt getauft,
fügt der Missionär hinzu, und verharrt in seinem Vorsatze.
19. Die Cianen.
In den schon erwähnten Jahresbriefen“ wird ein Volk „Cianen“ (Oianum
gens) geschildert, von dem wir nicht wissen, ob es noch existiert oder heute
bielleicht einen veränderten Namen hat?; aber die Schilderung der Sitten des⸗
selben ist zu interessant, als daß wir sie übergehen könnten.
Das Volk der Cianen, sagen die Jahresbriefe, wohnt an den Grenzen der
Provinz Santa Cruz, vielleicht noch innerhalb derselben. Es werden bei ihm
mehrere Sprachen (Dialekte?) gesprochen, doch verstehen alle einander, so groß
ist unter ihnen der Verkehr. Dieses Volk zeichnet sich dadurch vor allen benach—
barten Völkern aus, daß es ein vollständiges Zahlensystem besitzt. Das Jahr
teilt es in zwölf Monate, von denen jeder seinen eigenen regierenden Stern
hat. Durch bestimmte Opfer verehren sie diese Sterne, besonders diejenigen,
die zur Erntezeit regikeren. Sie beobachten genau die Mondphasen. Wenn sie
das traurige und von ihnen sehr verabscheute Klagen des Uhu in einem Dorf
vernehmen, verlassen die Greise sofort das Haus mit Pfeilen in den Händen
und schmähen ihn, schreien dazu und bitten ihn fortzugehen, ohne zu schaden.
Die Kinder und Frauen müssen unterdessen im Innern der Häuser bleiben,
damit nicht etwa, wenn sie herauskommen, der Vogel durch Gesang ihren Tod
zerkünde.
Drei große Opfer pflegt dieses Volk darzubringen, um den Teufel zu ver⸗
söhnen; sie verehren ihn nämlich aus Furcht, weil er sich manchen oft zeigen
soll. Das erste Fest wird gefeiert bei großer Trockenheit und Dürre. Um
Regen zu erlangen, ruft der Oberpriester alle alten Leute zusammen und fordert
die Männer auf, mit ihm auf einen Berg zu ziehen, der diesem Volke infolge
der Wahrsagereien der Väter heilig ist. Dann schreibt er ein Fasten vor, d. h.
die Enthaltung von Salz, Pfeffer und Speisen, die am Feuer gekocht sind,
und fordert alle auf, ihm zu folgen. Er selbst schreit laut und fleht zu den
Sternen, Regen fallen zu lassen. Bei der Rückkehr in das Dorf reicht er allen
einen Trank, dessen berauschende Kraft sie nicht ertragen können, so daß sie
hald die Besinnung verlieren und in Schlaf fallen, währenddessen sie verworrene
Träume haben, die sie beim Erwachen den andern erzählen. Außerdem machen
sie aus Honig, Mais, Wasser usw. einen süßen Trank (mulsum) und werfen
denselben unter ungeheurem Geschrei in die Höhe, als wollten sie den Himmel
und die Sterne besprengen. Dabei rufen sie die Sterne an. Am folgenden
Tag legen sie einen hervorragenden und verdienten Greis auf ein hübsch ge⸗
schmücktes Lager und bringen darunter ein langsames Feuer an. Der Opfer⸗
—DDD
einem Schwamm in ein Gefäß, vermischt ihn mit Gänseblut und Wasser und
spritzt diese Flüssigkeit gegen die Wolken, damit sie Regen senden; dazwischen
Annuae Litterao Socieètatis Josn 1590- 1591, Romae 1594, 756 ff.
» Vielleicht ist es identisch mit den oben S. 176 erwähnten Chanes; doch ist das
nur eine Vermutung.
J
19. Die Cianen. 20. Die Diagiten. 21. Die Yurakares (Yukares). 209
lagen sie mit trauriger Stimme die Sonne als Urheberin der Trockenheit und
Not an. Fällt dann am selben Tag Regen, so wird den Sternen Dank ge—
sagt, und der Oberpriester erhält seinen Lohn. — Ein anderes Opferfest wird
zur Erinnerung an den Sieg der Ahnen über einen Drachen gefeiert; bei diesem
Fest ist es allen erlaubt, heimlich zu stehlen. Das dritte Opferfest wird für
die Toten gefeiert. Alle Wahrsager und Greise kommen in der Nacht zu—⸗
sammen, und jeder bringt seinen Bogen und Pfeil und besonders Wein für
sich. Inzwischen werden die Gräber gereinigt. Dann beginnen die Priester
tehend ein trauriges Lied, in das die übrigen sitzend einstimmen. Bald laufen
sie zum Wein, was sie wiederholt tun, um neue Kraft zur Klage zu erlangen;
dabei flehen sie zum Teufel, zu den Bergen und Seen und rufen mit lauter
Stimme nach den Toten und laden sie zum Trinken ein. Dann schauen sie
in die Gräber, um sich mit den Augen zu überzeugen, ob sie auferstehen, und
endlich, da sie sich überzeugt, daß sie zu Toten reden, wiederholen sie ihre
dlage und kehren nach Hause zurück.
20. Die Diagiten.
Großen Erfolg hatten die Jesuitenmissionäre um die Wende des 16. auf
das 17. Jahrhundert bei den Diagiten (Diaguitae) im Süden Tukumans.
Diese waren, wie Charlevoix berichtet, weniger dem Trunk ergeben als die
meisten andern Indianerstämme und faßten großes Zutrauen zu den Missio⸗
nären, von denen sie vernommen hatten, daß sie die Eingebornen gegen die
angerechten Bedrückungen der Spanier beschützten.
Ihre Religion deutet auf den Einfluß der Peruaner hin, denn sie beteten
die Sonne an. Sie weihten ihr Vogelfedern, die sie dann in ihre Hütten
trugen und dort von Zeit zu Zeit mit dem Blute der Tiere begossen. Sie
glaubten, daß die Seelen ihrer Kaziken beim Verlassen des Leibes in Pla⸗
neten, und die der gewöhnlichen Leute in Sterne verwandelt würden. Sie
hatten Tempel, die der Sonne geweiht waren. Auf Befehl des Missionärs
zerstörten sie dieselben sofort und pflanzten auf ihren Ruinen das Kreuz auf.
Ungerechte Bedrückung der spanischen Beamten stellten leider bald alle. Erfolge
der Missionäre in Frage. „Wir sehen jetzt“, riefen die Eingebornen, „daß die
Religion, die man uns gepredigt, nur ein Fallstrick ist, den man uns gelegt,
um fich unseres Landes zu bemächtigen und uns unserer Freiheit zu berauben.
Wir lassen uns aber nicht zu Sklaven machen und werden alle Fremden als
treulose Verführer niedermachen.“ Nur mit großer Mühe gelang es den Mis—
fionären, sie zu beruhigen, indem sie ihnen die Versicherung gaben, sie würden es
aie dulden, daß man die Religion mißbrauche, um sie zu Sklaven zu machen.
21. Die Yurakares (MYukares).
Die Yurakares werden von d'Orbignys zu der Rasse der Antisier
gerechnet, zu der er auch die Mocetener, Tacanes, Maropes und Apollistas
zählt. Sie wohnen an den kleinen Nebenflüssen des Rio Ibaho von Santa
⁊ Histoire du Paraguay J 203. 2 Lehomme Amöéricain 1 388 ff.
Tathrein, Die Einheit d. sittl. Bewußtseins. III. 14
210
Vierter Teil. Die Naturvölker Amerikas.
Cruz de la Sierra bis jenseits von Cochabambo in den dichtesten Wäldern
am Fuß der bolivianischen Anden. Ihre Nachbarn im Norden sind die
Moxos. Zur Zeit d'Orbignys waren sie in der großen Mehrheit noch Heiden.
Sie bestehen aus zwei Stämmen, den Solostos und den Mansinos. Die
Quichuas nannten sie Yurakari (weiße Menschen), wegen ihrer weißen Haut⸗
farbe. Sie sind nach d'Orbigny von schöner Gestalt und groß, ihre Haltung
ist aufrecht und stolz, ganz ihrem hochmütigen Charakter entsprechend. Ihre
Sprache ist sehr wohlklingend.
Von ihrem Charakter entwirft d'Orbigny! ein dunkles Bild. Sie sind
zwar fröhlich und von scharfem Verstand, halten sich aber für die ersten
Menschen, sind stolz, frech, kühn, unternehmend, grausam gegen sich und andere;
bei ihren zahlreichen abergläubischen Gebräuchen bedecken sie sich mit Wunden
und martern ihre Weiber und Kinder. Sie haben keine Anhänglichkeit an
ihre Väter, die sie oft im Stiche lassen, opfern kaltblütig ihre Kinder, nur
allein um die Sorge der Erziehung los zu sein. Sie hassen jeden, der ihre
Unabhängigkeit antasten will, leben infolge davon familienweise, und in den
Familien selbst gibt's keine gegenseitige Rücksicht, keine Unterordnung. Die
Frauen gleichen den Männern und töten oft die Hälfte ihrer Kinder und sind
fast die Sklaven derjenigen, die sie aufziehen.
Die Yurakares sind in ihren Sitten noch heute so, wie sie zur Zeit der An⸗
kunft der Spanier waren; sie leben noch immer in zerstreuten Familien, die sich
gegenseitig meiden und gegen die Christen absperren. Wenn sich ein Yuralare
nach einer Orgie verheiratet, so trennt er sich gleich von seinen Eltern und laßt
ich an einem Fluß im Walde mit seiner Frau nieder. Dort haut er mit
Hilfe der Seinigen, die er eingeladen, die Bäume um, baut eine große, mit
Palmblättern bedeckte Hütte, pflanzt ein Feld an und geht bis zur Ernte auf
die Jagd und den Fischfang. Einige Jahre bleibt er am selben Platz, dann zieht
er anderswohin, um sich dort niederzulassen. Die Frau muß in einem Netz alles
Bepäck und außerdem die kleinen Kinder mit sich schleppen, während der Mann
nur Bogen und Pfeile trägt. Tritt ein Mädchen ins heiratsfähige Alter, so
wird ein Fest gefeiert, bei dem viel getrunken und getanzt wird und am Ende
sich jeder an Armen und Beinen Wunden beibringt, so daß das Blut auf den
Boden fließt. Die Frauen gehen zur Niederkunft in den Wald an einen Fluß—
in dem sie gleich nach derselben baden, dann kehren sie zu ihren gewöhnlichen
Arbeiten zurück. Die Männer begehen zuweilen Selbstmord; auch Duelle
mit Pfeilen kommen vor. Sie halten die Mahlzeiten gemeinsam und unter⸗
ziehen sich dabei allerlei abergläubischen Gebräuchen. Die Kranken werden im
Walde durch Aderlaß und abergläubische Zeremonien geheilt. Beim Tode
eines der Ihrigen wird alles, was ihm gehört hat, vernichtet, dann wird
er begraben, aber sein Andenken wird lange in der Familie bewahrt. Die
Hurakares haben als Regel, nie ihre Kinder zu strafen oder sie zu schelten. Sie
sind sehr erpicht auf den Ruhm der Beredsamkeit und reden zuweilen ganze
Stunden2.
Thomme Américain JI 339. 2 Ebd. 361-362.
21. Die Yurakares (Yukares).
211
Ihre Gewerbetätigkeit beschränkt sich auf die Verfertigung von Bogen und
Pfeilen, die sie sehr sorgfältig arbeiten, und auf den Schmuck ihrer Hemden
aus Baumrinde. Die Weberei und der Gebrauch der Hängematten ist ihnen
unbekannt; die Frauen beschäftigen sich mit Verfertigung von irdenen Töpfen
unter abergläubischen Zeremonien. — Ihre Hauptkleidung besteht in ärmel⸗
osen Tuniken aus Rinde, die mit roten und violetten Zeichnungen versehen
sind. — Von einer eigenilichen Regierung kann, wie schon bemerkt, nicht die
Rede sein, da die eingebornen Familien fast immer getrennt leben; die Familien
haben zwar ein Haupt, aber selbst diesem gehorchen nicht alle.
Merkwürdig ist die heidnische Religion, die sie bis heute hartnäckig be—
wahrt haben und die sehr bequem ist. Sie glauben, alle Dinge seien in der
—X selbst entstanden und deshalb schuldeten sie niemand Dank dafür;
sie meinen auch, sie hätten nichts zu fürchten für ihr mehr oder weniger laster⸗
haftes Leben, denn jeder sei von Geburt absoluter Herr seiner guten und
schlechten Handlungen. Wir teilen übrigens diese Angaben d'Orbignys mit
allem Vorbehalt mit; denn da er selbst, wie es scheint, nur oberflächlich mit
den Yurakares bekannt geworden ist, und diese sich von den Missionären und
überhaupt von den Christen absperren, ist es schwer, über ihre religiösen und
ittlichen Anschauungen vollständig unterrichtet zu sein. Die Yurakares glauben
übrigens an verschiedene Gottheiten, denen sie aber keine Ehre erweisen. Der
Sararuma soll einen allgemeinen Brand der Wälder verursacht haben, aus
dem sich nur ein einziger Mensch rettete, indem er sich in einer Höhle verbarg.
dieser allgemeine Brand nimmt die Stelle der Wasserflut anderer Völker ein.
Sararuma gab den Menschen Körner, die Erde wieder mit Bäumen zu be—
oflanzen; danach erschienen andere Wesen in der Welt und spielten dort eine
droße Rolle. Ule, der zuerst der glänzendste Baum des Waldes war, ver—
wandelte sich auf die Bitte eines jungen Mädchens in einen Mann; als das
Mädchen Mutter geworden war, riß ein weiblicher Jaguar den Tiri aus dem
Schoß der Mutter und zog ihn groß. Ein anderes Wesen, Caru, machte
die Menschen sterblich. Der schon erwähnte Tiri ließ aus einem hohlen Baum
alle den Yurakares bekannten Nationen hervorgehen und schloß den Baum wieder,
als die Erde genug bevölkert war. Nach dem Gesagten ist die Behauptung,
daß nach der Meinung der Yurakares in der Natur alles von selbst entstanden
sei, doch nicht ganz richtig.
Die genannten Götter sind allen Yurakares wohlbekannt, aber sie verehren
ie nicht, im Gegenteil, sie verabscheuen sie und beklagen sich über sie. Das—
selbe gilt auch vvn Mororoma, dem Gott des Donners, der von der Spitze
der Berge ihnen seine Blitze zuschleudert; sie drohen ihm mit ihren Pfeilen
und fordern ihn heraus, wenn es donnert; dasselbe gilt endlich von Chunchu,
dem Gott des Krieges. Fragt man sie, welches ihre wohlwollende Gottheit
sei, so zeigen sie auf Bogen und Pfeil, ihre Waffen, mit denen sie sich er—
nähren. „Sie glauben an ein anderes Leben, in dem sie reiche Jagd
antreffen und wo alle, ohne Ausnahme, sich wiederfinden werden.“ ! Ihre
abergläubischen Gebräuche vererben sich vom Vater auf den Sohn; für ihre
— —
1Ebd. 365.
4
212 WVierter Teil. Die Naturvölker Amerikas.
Krankheiten haben sie wenig abergläubische Gebräuche, um so mehr für ihre
Jagd, ihren Fischfang, ihre Nahrung, und zwar lächerliche; sie fürchten, daß
sich die getöteten Tiere, wenn sie beleidigt werden, nicht mehr ihren Schüssen
darbieten werden; ähnlichen Aberglauben haben sie mit Rücksicht auf den
Feldbau und die Pflanzen. Wenn das Mädchen heiratsfähig wird, begeht
man, wie schon angedeutet wurde, Feste, bei denen sich alle tiefe Wunden bei⸗
bringen, die Männer, um gewandt, die Frauen, um stark, die Kinder, um groß
zu werden!.
Von der alten heidnischen Religion der obengenannten Mocetenes, Ta⸗
canas usw., die sich heute zum Christentum bekennen, ist wenig oder nichts
Sicheres bekannt.
Siebtes Kapitel.
Die Eingebornen Chiles und Südargentiniens.
Schon im 16. Jahrhundert wurde von Peru aus ein großer Teil der Ein⸗
gebornen des heutigen Chile der spanischen Krone unterworfen und christianisiert.
RNur das wilde und kriegerische Volk der Araukaner wußte sich in den Bergen
zu behaupten und erwies sich dem Christentum fast unzugänglich. Ursprunglich
scheinen die Araukaner unter mächtigen Häuptlingen in großen Niederlassungen
in den Tälern und Abhängen gegen den Stillen Ozean gelebt zu haben.
Manche don diesen Häupilingen konnten 3000 -6000 Mann ins Feld stellen?.
Die alten Geschichtschreiber schildern uns die Araukaner als eine kräftige Rasse,
die trotz der vielen Laster sehr kriegerisch war und hauptsächlich von Ackerbau
jebte. Von Jugend auf wählte sich jeder eine Waffengattung, mit der allein
er fortan kämpfte, weil sie mit Recht meinten, wer sich in verschiedenen Waffen
uͤbe, erlange in keiner vollständige Fertigkeit. In einem Kriegsrat entschieden
die Angesehensten, ob es zum Krieg kommen solle. Drei Tage wurde unter Ge⸗
lagen beraten und der schließliche Entscheid war unabänderlich. Die, welche sich
im Krieg durch Heldentaten auszeichneten, wurden zu militärischen Ehrenstellen
befördert; die gewöhnlichen Krieger wurden auf öffentliche Kosten ernährt. Die
Autorität der Kaziken war so groß, daß ohne ihren Willen kein Araukaner
Christ zu werden wagte. Haupthindernisse der Bekehrung waren außer dem
schlechten Beispiel vieler Europäer die Vielweiberei und die häufigen Festgelage,
zu denen die verschiedenen Dörfer einander einluden und bei denen die gröbsten
Ausschweifungen vorkamen.
Weil die Häuptlinge das größte Ansehen besaßen, war es das Bestreben
der Missionäre, dieselben oft zusammenzubringen und zum Christentum zu be⸗
kehren. Als einst bei einer solchen Zusammenkunft P. Ludwig Valdivia 8. J.
hdon dem ewigen Los der Guten und Bösen sprach, unterbrach ihn plötzlich ein
1. Die Araukaner.
D'Orbigny, L'homme Américain J 866.
» DelTeché, Historia Provinciae Paraquariae S. J., Leodii 1673, 1. 8, 6. 15.
1. Die Araukaner.
218
Wilder und rief: „Von wem habt ihr das erfahren?“ „Vom Sohne Gottes“,
mntwortete Valdivia. „Also“, rief der Wilde, „hat euer Gott eine Frau ge—
habt, da er einen Sohn gezeugt.“ Nun erklärte Valdivia das Geheimnis der
heiligsten Dreifaltigkeit und der Menschwerdung, und die Wilden hörten mit
Staunen und Befriedigung seine Lehre an. Da rief ein anderer Kazike da⸗
wischen: „Warum verbietet das christliche Gesetz, sich zu betrinken? Wenn
man nicht sündigt, indem man sich schlafen legt, warum versündigt man sich
durch das Betrinken, das sich vom Schlaf nicht unterscheidet?“ Valdivia ant⸗
wortete, derjenige, der sich betrinke und sich dadurch gewaltsam den Vernunft⸗
zebrauch entziehe, sündige nicht weniger als der, welcher sich einen Arm ab—
schneiden würde. „Und warum“, unterbrach ihn ein anderer Wilder, „ver⸗
zietet das christliche Gesetz die Vielweiberei?“ Ihm entgegnete Valdivia:
.Warum erlaubt ihr denn euren Frauen nicht, mehrere Männer zu haben?“
„Ach“, riefen fie, „Fur die Weiber ist das schimpflich, für die Männer aber
nicht, da die Gewohnheit dies erlaubt.“ Die Gewohnheit, erwiderte Valdivia,
mache eine schlechte Handlung nicht gut. Setzen wir den Fall, bei euch
herrsche die Gewohnheit, zu morden und Witwen zu machen, würde dieses
Morden etwa aufhören, schlecht zu sein? So wurde ein großer Teil der Nacht
hindurch disputiert. Gegen Morgen kam ein großer Kazike an, der sehr
ärgerlich wurde, als er hörte, Valdivia behaupte, der Gott der Christen sei
der einzige Schöpfer aller Dinge; er werde nie gestatten, daß man dem Gott
der Chilenen (den sie Pillan nennen) die Kraft zu erschaffen abspreche. „Wer
ist denn dieser phantastische Gott?“ fragte Valdivia. Mit diesem Gott, ant⸗
wortete der Häuptling, verhält es sich so: Die Vornehmsten des Volkes und die
durch Tapferkeit sich auszeichnenden Krieger bringt er nach dem Tode an Orte,
wo fie ewig glücklich sein und sich an Tänzen und Gelagen erfreuen werden;
das Blut der im Kriege getöteten adeligen Männer wird in die Nähe der
Sonne gebracht und in rote Sterne verwandelt, mit denen sich die aufgehende
Sonne schmückt; die gewöhnlichen und armen Leute erhalten aber von ihrem
Gott keinen Lohn. Dann ist euer Gott sehr ungerecht, meinte Valdivia, denn
es ist bekannt, daß die Vornehmen und die Soldaten viel größere Verbrechen
begehen als die gewöhnlichen Leute, und wer sollte nicht über einen Gott lachen,
der gegen die Schlechten wohlwollend ist, die Guten aber verachtet? Es scheint,
daß dieses Gespräch einen guten Eindruck auf die Wilden machte, wenn es auch
nicht zur Bekehrung führten.
Eingehende und zuverlässige Nachrichten über die Araukaner besitzen wir
bon Ignaz Molinas aus dem Ende des 18. Jahrhunderts. Auch zur Zeit
—
Ebd. J. 2, c. 26.
The geéographical, natural and ecivil History of Ohili, from the spanish and
krench versions, 2 Bde, London 1809. Molina war ein geborner Chilene, wurde Jesuit
und als solcher mit seinen Mitbrüdern aus den spanischen Ländern vertrieben. Bei der
Vertreibung verlor er eine herrliche naturwissenschaftliche Sammlung, die er mit großer
Müuhe angelegt hatte, und auch alle seine Manufkripte. Glücklicherweise gelangte er später
wieder in den Besitz seines Manuskriptes über die Geschichte Chiles. In Bologna, wo
er nach der Aufhebung der Gesellschaft Jesu lebte, gab er dasselbe im Druck heraus im
Jahre 1787, und zwar in italienischer Sprache. Das Werk wurde bald ins Spanische,
Französische und Englische übersetzt und wird mit Recht hochgeschätzt.
214 Vierter Teil. Die Naturvölker Amerikas.
dieses Schriftstellers war nur der nördliche Teil von Chile den Spaniern unter⸗
worfen. Der südliche Teil, der zwischen dem 37.0 und 41.0 südl. Br. liegt,
war von drei unabhängigen Nationen bevölkert: den Araukanern, den Kunches
und den Huilliches. Die Araukaner, das mächtigste und zahlreichste der drei
Völker, wohnten zwischen dem Rio Bio-Bio und Valdibia. Sie teilten ihr Land
in vier Fürstentümer oder Häuptlingsschaften (ulnaumapu), von denen jede in
mehrere Provinzen und die Provinzen in Kommandantenschaften (rehuo) unter⸗
abgeteilt waren. Wie die Araukaner waren auch die mit ihnen verbündeten
Kunches und Huilliches sehr kriegerisch. Alle drei Völker gehörten übrigens,
wie die äußere Erscheinung und die Sprache beweisen, zur selben Rasse. Aus
dem Reichtum, der Harmonie und dem feinen Bau der Sprache schließi Molina,
daß diese Chilenen einst auf einer viel höheren Stufe der Zivilisation gestanden
haben müssen.
Übrigens waren schon zur Zeit der spanischen Invasion die Araukaner keines⸗
wegs ein völlig wildes Volk. Sie trieben einen ziemlich intensiven Ackerbau,
der ihnen reichlich Produkte der verschiedensten Art lieferte; auch die Industrie
war schon auf einer gewissen Höhe. Sie verstanden sich auf Weben und
Spinnen, auf Topferei, sie wußten Salz, Gold, Silber, Zinn, Kupfer und
Blei zu gewinnen. Das Zahlensystem war vollkommen ausgebildet: 10 nannten
sie mari, 100 pataca, 1000 guaranca. Sie hatten auch ein Mittel gefunden,
um die Erinnerung an ihre Verhandlungen und Verträge festzuhalten, den
sog. Pron, der dem Quippo der Peruaner entsprach. Er bestand aus einer
Reihe verschiedenfarbiger Fäden mit einer Anzahl Knoten. Die Farben be—⸗
zeichneten den behandelten Gegenstand und die Knoten die Zahl und Quantität.
Schrift besaßen sie keinel. Später, in den langen und blutigen Kämpfen mit
den Spaniern, hat sich in den Sitten und Gebräuchen der Araukaner manches
geändert, aber wir schildern sie hier, wie sie zur Zeit der Entdeckung waren.
Obwohl nur mittelgroß, sind die Araukaner sehr fest und muskulds gebaut.
Krüppel und Mißgestaltete findet man unter ihnen selten. Man hat behauptet,
das komme daher, weil sie alle krüppelhaften Kinder töteten, aber nach Molina
bestand diese grausame Sitte bei ihnen nie?. Ihre Hautfarbe ist heller als
die der übrigen amerikanischen Eingebornen, ihr Gesicht rund, die Nase etwas
abgeplattet, die Augen sind klein und lebhaft; der Bart ist spärlich und wird
fleißig ausgerupft; sie halten es für unanständig, einen Bart zu haben, und
spotten über die Europäer, die „Langbärte“.
Ihrem Charakter nach sind sie unerschrocken, lebhaft, ausdauernd in Arbeit
und Strapazen, höflich und gastfreundlich. Sie halten treu ihre Versprechungen
und sind dankbar für geleistete Dienste. Die Besiegten behandeln sie menschlich.
Besonders eifersüchtig wachen sie über ihre Ehre und ihre Unabhängigkeit, die
ihnen über alles geht. Leider waren sie stark dem Trunk und der Aus⸗
schweifung ergeben und sehr stolz. Mit Verachtung schauten sie auf andere
Nationen herab. Ihre gewöhnliche Kleidung besteht aus einem Wollhemd, einer
Weste und dem bekannten Poncho. Die Frauen sind sehr anständig gekleidet,
sie tragen eine lange, bis auf die Hüfte herabreichende Tunika mit einem
Aolina, The History of Chili II 25—26. X —
1. Die Araukaner.
215
Gürtel um die Lenden, ferner einen kurzen Rock (icholla), der vorn mit einer
Silberschnalle befestigt ist; außerdem verschiedene Schmucksachen.
Das Recht des Privateigentums war bei den Araukanern und den
Chilenen überhaupt ganz ausgebildet. Jeder war absoluter Herr über die
Felder, die er bebaute, und über die Produkte seiner Arbeit. Das Eigentum
ging erblich auf die Kinder über. Ihre Hütten waren viereckig und mit Binsen
bedacht: die Wände bestanden aus Holz, das mit Lehm verkittet war, zuweilen
auch aus Backsteinen. Da die Vielweiberei allgemein bestand, richtete sich die
Größe der Hütte nach der Zahl der Frauen. Ihrem Ackerbauleben ent—⸗
sprechend gruppierten sich die Chilenen in kleinere oder größere Familien, die
manchmal in einem beträchtlichen Dorfe zusammenlebten, noch häufiger aber
lleine Weiler bildeten. Doch lagen die Wohnungen nie so eng zusammen, wie
dies in den europäischen Dörfern der Fall ist, sondern weithin über die Felder
zerstreut. Jedes Dorf oder jeder Weiler hatte seinen Häuptling (Ulmen), der
dem ebenso genannten Häuptling des Stammes in manchen Dingen unter⸗
geordnet war. Die Häuptlingswürde war erblich, doch war die damit ver⸗
knüpfte Gewalt nicht sehr groß. Jedes Dorf hatte seine althergebrachten Rechts⸗
gewohnheiten, nach denen es sich richtete!.
Die Araukaner haben ihre Aristokratie. Sie unterscheiden drei Grade oder
Ordnungen des Adels: die Toquis, die Apo⸗Ulmenes und die Ulmenes, die
alle ihre Vasallen haben. Die Toquis (Richter, Befehlshaber) sind vier an der
Zahl und voneinander unabhängig, aber miteinander zum Zweck des öffentlichen
Wohles verbündet. Die Apo-Ulmenes regieren die Provinzen unter ihren
respektiven Toquis. Unter den Upo-Ulmenes stehen die Ulmenes oder Präfekten
der Distrikte (rogues), doch beschränkt sich ihre Abhängigkeit nur auf militärische
Dinge. Die Ulmenes sind, was man in andern Gebieten Kaziken nennt. Die
Toquis haben nur geringe Autorität, die eigentliche Macht liegt in der Ge—
amtheit des Adels, der in öffentlichen Versammlungen Butacoyog) über alle
wichtigen Fragen entscheidet. Ihre Gesetze bestehen in dem ungeschriebenen,
durch alten Gebrauch eingeführten Gewohnheits recht (Admapu — Gewohn⸗
heiten des Landes). Durch dieses Gewohnheitsrecht sind die Kompetenzen der
verschiedenen Autoritäten, die Nachfolge in den Amtern der Toquis und
Ulmenes, die Wahl und die Macht der Befehlshaber im Krieg, das Recht
der Toquis, die Adelsversammlung einzuberufen usw., genau bestimmt; sein
Zweck ist vor allem die Erhaltung der Freiheit und der alten Gebräuche. Wenn
eine herrschende Familie in der männlichen Linie ausstirbt, so haben die Vasallen
das Recht, ihr Haupt aus einer beliebigen Familie zu wählen; aber der Er⸗
wählte muß dem Toqui ihrer Provinz vorgestellt werden, damit die Wahl des
neuen Hauptes allen bekannt und dasselbe von allen anerkannt und geehrt
werde. Diese Häupter erhalten keine Abgaben von ihren Untertanen und auch
außerhalb des Krieges keine persönlichen Dienstleistungen, sie müssen sich selbst
mit dem eigenen Vermögen unterhalten.
Aus dem Strafrecht der Araukaner heben wir folgendes hervor: Ver⸗
brechen, die die Todesstrafe verdienen, sind: Verrat, absichtlicher Mord,
— — — —
1Ebd. 20.
216 Vierter Teil. Die Naturvölker Amerikas.
Ehebruch, Diebstahl einer wertvollen Sache und Zauberei. Doch kann
sich der Mörder, dessen Schuld bewiesen ist, von den Verwandten des Er⸗
mordeten loskaufen. Ehemänner und Väter werden nicht gestraft, wenn sie
hre Weiber und Kinder töten, da sie nach ihrem Gesetz Herren über ihr Leben
ind. Diejenigen, die der Zauberei angeklagt sind, werden zuerst durch Feuer
gequält, damit sie ihre Mitschuldigen angeben, und dann erstochen. Geringere
Verbrechen werden einfach durch Wiedervergeltung (thaulonco) gesühnt. Das
Strafverfahren ist sehr summarisch. Gefängnisse sind unbekannt und deshalb
werden die Verurteilten sofort hingerichte. Die Ulmenes sind die gesetzlichen
Richter ihrer Vasallen. Weil sie aber keine Zwangsgewalt haben, wird die
Justiz oft schlecht gehandhabt, und deshalb nehmen die Familien vielfach zur
Selbsthilfe ihre Zuflucht.
Am besten organisiert ist bei den Araukanern das Militärwesen,
Wenn der große Rat den Krieg beschlossen hat, so schreitet man zur Wahl
eines Generals. Den ersten Anspruch auf diese Würde haben die Toquis, da
sie die erblichen Führer des Volkes sind. Hält man keinen der Toquis für
fähig, die Fuührung im Kriege zu übernehmen, so wählt man irgend einen der
Ulmenes oder auch einen Krieger aus dem gewöhnlichen Volk zum Befehlshaber.
Dieser ernennt dann die andern Offiziere. Die Unterordnung des Volkes
unter seine Befehlshaber zur Zeit des Krieges ist geradezu wunderbar, besonders
wenn man bedenkt, wie unbotmäßig sie in Friedenszeiten sonst sind. Wie dis⸗
zipliniert, tapfer, ausdauernd und schlau die Araukaner im Kriege sind, haben
die Spanier oft zu ihrem Schaden erfahren müssen. Nach dem Krieg wurde
die Beute unter die Sieger oder, wenn es sich um eine allgemeine Eroberung
handelte, zu gleichen Teilen unter alle Krieger verteilt, ohne Rücksicht auf Würde
und Rang. Die Gefangenen wurden zu Sklaven gemacht, bis man sie los⸗
kaufte. Nach altem Gewohnheitsrecht mußte aber einer dieser Gefangenen den
Manen der im Kriege Gefallenen geopfert werden. Umgeben von ihren Sol⸗
daten bilden die Offiziere einen Kreis. Im Mittelpunkt dieses Kreises liegen
die vier Schwerter, die Symbole der vier Uthaumapus, und im Zentrum liegt
die Art, das Amtszeichen des Toqui. Zum Schimpf wird der Gefangene auf
einem Pferd, dem man Ohren und Schwanz abgehauen, in den Kreis geführt
und er muß sich neben die Art stellen, mit dem Angesicht gegen seine Heimat .
Jetzt gibt man ihm eine Handvoll kleiner Stöcke und einen spitzen Stab, mit
dem er ein Loch in den Boden graben muß, und befiehlt ihm, einen von den
kleinen Stöcken nach dem andern in das Loch zu werfen und dabei den Namen
eines großen Kriegers seiner Heimat zu nennen. Jedem Namen rufen die
Umstehenden die gröbsten Verwünschungen nach. Dann muß er das Loch zu⸗
machen, wie um den Namen und die Tapferkeit der genannten Feinde darin
zu begraben. Nach dieser Zeremonie zerschlägt ihm der Toqui oder einer der
Tapfersten mit einer Keule den Schädel. Das Herz wird herausgerissen und
dem General und den übrigen Offizieren der Reihe nach dargeboten, die etwas
Blut aus demselben saugen. Inzwischen bläst der General etwas Tabakrauch
aus seinem Munde nach allen vier Himmelsrichtungen. Die Soldaten lösen
das Fleisch von den Knochen, um aus denselben Flöten zu machen. Der Kopf
wird vom Rumpf getrennt und auf einer Stange unter dem Schreien und
1. Die Araukaner.
217
Singen der Menge und dem schrittmäßigen Stampfen der Soldaten herum⸗
getragen. Zuletzt wird dem blutigen Rumpf des Erschlagenen ein Schafskopf
aufgesetzt und es folgt ein wildes Trinkgelage. Wurde der Schädel des Toten
von der Keule nicht ganz zerschmettert, so wird er als Becher bei ihren Trink—
gelagen gebraucht 1.
Religion. Die Araukaner „glauben an ein höchstes Wesen, den
Urheber aller Dinge, das sie Pillan nennen“, oder auch „Guen u⸗
Pitlan — Geist des Himmels“, „Buta-gen — das große Wesen“, „Thalcove
— den Donnerer“, „Vilvempoe — den Schöpfer von allem“, „Vilpepilbvoe
— den Allmächtigen“, „Mollgelu — den Ewigen“, „Avnolu — den Unend⸗
lichen“. Die Regierung Pillans gleicht dem irdischen Regiment. Er ist der
Herrscher der unsichtbaren Welt und hat als solcher seine Apo-Ulmenes und
Ulmenes, denen er die minderwichtigen Angelegenheiten überläßt. Zu der ersten
Klasse dieser untergeordneten Gottheiten gehörten Epunamun, der Kriegsgott,
Meulen, eine wohlwollende Gottheit, der Freund des Menschengeschlechtes,
Guecubu, ein böses Wesen, der Urheber aller Übel, der identisch zu sein
scheint mit Algue. Guecubu (Huecubu) gleicht dem Mavari der Orinoko—
Indianer. Wenn die Erde bebt, hat ihr Guecubu einen Stoß gegeben; wenn
ein Mensch stirbt, hat ihn Guecubu erstickt. Die himmlischen Ulmenes zu—
sammen mit dem wohlwollenden Meulen bilden ein Gegengewicht gegen die
ungeheure Macht Guecubus. Sie gehören beiden Geschlechtern an, bleiben aber
immer keusch, da es in der Geisterwelt keine Fortpflanzung gibt; die männ—
lichen Geister heißen Gen, die weiblichen Amei-malghen, diese letzteren sind
Schutzgeister der Häuser. Jeder Araukaner glaubt einen solchen Schutzgeist
zu haben. Merkwürdig ist, daß sie diesen Geistern fast keine Verehrung er—
weisen. Sie haben weder Tempel noch Götzenbilder, bringen auch keine Opfer
dar, ausgenommen zur Zeit eines großen Unglücks oder beim Friedensschluß.
Bei diesen Gelegenheiten opfern sie Tiere und verbrennen Tabak zu Ehren
ihrer Götter. Auch in Notfällen flehen sie diese Götter um Hilfe an. besonders
wenden sie sich an Pillan und Meulen.
Diese geringe Religiosität der Araukaner ist auch der Grund, warum sie
fich gegen das Christentum von Anfang an ziemlich gleichgültig zeigten, obwohl
sie die Missionäre ehrten und frei predigen ließen. Dagegen sind sie sehr
abergläubisch, glauben an Wahrsagerei, Träume u. dgl. Der im Kriege furcht—
lose Araukaner zittert, wenn er eine Eule sieht. Bei jeder Gelegenheit wenden
sie sich an die Wahrsager; die Zauberei spielt in ihrem Leben eine große Rolle.
Alle Araukaner glauben an die Unsterblichkeit der Seele. Diese
Wahrheit wurzelt tief in ihrer Seele. Der Mensch besteht nach ihnen aus dem
verweslichen Leib (anca) und der Seele (am oder pulli), die unleiblich ist
und ewig lebt. Diese Überzeugung ist bei ihnen so fest, daß sie oft das Wort
anca melaphorisch zur Bezeichnung der Hälfte eines Dinges gebrauchens. In
Bezug auf den Zufiand der Seele nach dem Tode kommen nicht alle überein.
Alle vehmen an,. daß sie sich nach dem Tode nach Westen, jenseits des Meeres
Molina, The History of Chili II 78-80. 2 Ebd. 84.
3Ebd. 89.
218 Vierter Teil. Die Naturvölker Amerikas.
an einen Ort begibt, der Gulcheman heißt. Aber einige meinen, dieses Land
sei in zwei Teile geteilt, von denen der eine lieblich und mit allen köstlichen
Dingen angefüllt sei, das sei die Wohnung der Guten; der andere sei trostlos
und entbehre alle nötigen Dinge, das sei der Aufenthalt der Bösen. Andere
dagegen behaupten, alle würden in der andern Welt gleichmäßig sich ewig
freuen, und die Taten in diesem Leben hätten keinen Einfluß auf den Zustand
im Jenseits !.
Obwohl die Araukaner zwischen Leib und Seele genau unterscheiden, darf
man doch nicht meinen, sie hätten eine klare Idee von der Geistigkeit der Seele
gehabt. Das erkennt man leicht aus ihren Totengebräuchen. Wenn
semand gestorben ist, so setzen sich seine Freunde und Verwandten um ihn
herum auf den Boden und weinen lange Zeit; dann stellen sie die Leiche mit
den besten Kleidern angetan auf einem hohen Sarge aus; dort bleibt sie die
ganze Nacht, und während dieser Zeit wehklagen sie oder essen und trinken mit
denen, die kommen, um sie zu trösten. Am folgenden Tag, zuweilen erst nach
zwei oder drei Tagen tragen sie die Leiche in Prozession zum Familienfriedhof,
der gewöhnlich im Wald oder auf einem Hügel liegt. Zwei junge Leute zu
Pferde sprengen im Galopp der Prozession voraus. Der Sarg wird von den
aächsten Verwandten getragen und von Frauen umgeben, die beständig weh—
klagen. Andere Frauen folgen dem Zug und streuen Asche auf den Weg, um
die Seele zu verhindern, in ihre frühere Wohnung zurückzukehren. An der Be—
gräbnisstelle angekommen, wird die Leiche auf den Boden des Grabes gelegt
und, wenn es ein Mann ist, mit den Waffen, wenn eine Frau, mit ihren
Werkzeugen umgeben und außerdem mit einem großen Vorrat von Provisionen
und mit Gefäßen voll von Chicha und Wein versehen, weil das nach ihrer
Meinung notwendig ist, um auf der Reise in die andere Welt bestehen zu
können. Zuweilen töten sie auch ein Pferd und begraben es mit dem Ver—
storbenen. Nach diesen Zeremonien nehmen sie mit vielen Tränen Abschied,
bedecken die Leiche mit Erde und legen einen pyramidenförmigen Stein darauf,
auf den sie eine große Menge Chicha gießen. Die Ähnlichkeit der Bestattungs⸗
zeremonien mit denen vieler alten Völker ist auffallend.
Gleich nachdem die Verwandten den Toten verlassen haben, kommt, wie die
Araukaner glauben, eine alte Frau mit Namen Tempulcaqgue, in Gestalt eines
Walfisches, um den Verstorbenen in das Elysium zu bringen; bevor er aber
dorthin gelangt, muß er noch an einem Engpaß einer bösen Frau, die dort
Wache hält, einen Zoll bezahlen; unterläßt er das, so beraubt sie ihn eines
Auges. Die Seele übt im andern Leben dieselben Funktionen aus wie in
diesem, mit dem Unterschied jedoch, daß sie nie müde und hungrig wird. Die
Männer haben dort dieselben Frauen, die sie auf Erden gehabt, aber die
letzteren haben keine Kinder, weil das glückliche Land nur von den Geistern
der Toten bewohnt werden kann. Trotz des neuen Zustandes verlieren die
Seelen ihre früheren Neigungen nicht, und wenn sie zu ihren Landsleuten
zurückkehren, was oft geschieht, so kämpfen sie wütend mit den Geistern ihrer
Feinde, und diese Kämpfe verursachen Stürme, Donner und Blitz.
Molina, The History of Chili II 89 -90.
1. Die Araukaner.
219
Die Araukaner haben eine Überlieferung von einer großen Wasserflut, aus
der nur wenige Personen dadurch gerettet wurden, daß sie auf einen hohen
Berg kletterten, der Thegtheg, der Donnernde und Blitzende, heißt. So oft ein
heftiges Erdbeben entsteht, fliehen die Araukaner auf diesen Berg. Sie nehmen
eine Masse Vorräte mit sich und eine Holzplatte, um damit ihren Kopf zu
schützen, wenn etwa der Berg durch die Flut bis zur Sonne erhoben werden
sollte. Wenn man ihnen sagt, sie sollten lieber Lehmplatten mitnehmen, die
nicht verbrennen wie die Holzplatten, antworten sie, sie täten, was schon ihre
Vorfahren getan!.
Wir haben schon erwähnt, wie sehr die Araukaner in ihrem Stolz die
andern Nationen verachten. Untereinander aber sind sie verträglich und
nennen einander Brüder (pegni). „Das Wohlwollen und die Güte“, sagt
Molina, „mit denen sie sich gegenseitig behandeln, ist erstaunlich. Für das
Wort ‚Freund‘ haben sie wenigstens sechs oder sieben bezeichnende Ausdrücke
in ihrer Sprache.““ Infolge dieser Liebe unterstützen sie einander in allen
ihren Nöten. Im ganzen Araukanerland findet man keinen einzigen Betitler.
Auch der Ärmste und Schwächste, der nicht imstande ist, sich selbst zu erhalten,
ist anständig gekleidet. Aber nicht nur untereinander, sondern auch gegen
Fremde sind sie sehr gastfrei; dabei sind sie freundlich und höflich in fast über—
triebener Weise.
Ehe. Die Heirat kommt gewöhnlich durch eine Art Kauf zustande. Der
Bräutigam muß für die Braut ihrem Vater einen bestimmten Betrag von
Gütern übergeben. Ehen unter den näheren Verwandten werden streng ver—
mieden. Die Ehelosigkeit gilt als eine Schande. Alte Hagestolze erhalten
besondere Spottnamen. Die wesentliche Hochzeitsfeier besteht in einer Schein—
entführung. Nach Verabredung mit dem Brautvater versteckt sich der Bräu—
tigam mit einigen Freunden an einem Ort, wo die Braut vorbeikommt. So—
bald sie erscheint, wird sie ergriffen und zu Pferd entführt. Sie wehrt sich
und schreit, aber der Widerstand ist nichts weniger als ernstlich gemeint. Im
Hause des Bräutigams sind die Verwandten schon versammelt, dann findet
ein Gastmahl statt und werden die vereinbarten Geschenke überreicht. Obwohl
die Polygamie gestattet ist, haben doch fast nur die Reichen mehrere Weiber,
da die Hochzeitskosten ziemlich hoch sind. Die erste Frau heißt Unendomo und
wird immer als die eigentliche und legitime Frau geachtet, während die andern
nur Inandomo (Nebenweiber) sind. Ihr liegt die Leitung der ganzen Haus—
haltung ob. Da die Frauen sehr eifersüchtig sind, hat der Mann viel zu tun,
um die Eintracht unter ihnen aufrecht zu erhalten. Alle Frauen wohnen in
demselben Raum, doch hat jede ihre eigene Küche, oder genauer ihren eigenen
Herd. Die Frauen haben die meiste Arbeit zu leisten und dem Manne sind
alle sehr untertänig. Für die Reinlichkeit sind fie sehr besorgt. Männer und
Frauen baden sich häufig, und die Frauen an Plätzen, die von denen der
Männer weit entfernt liegen. Sobald die Kinder laufen können, werden sie
leicht gekleidet und dann sich selbst überlassen. Sie werden fast nie gestraft,
Ebd. 93 -94. 2 Ebd. 111.
220 Vierter Teil. Die Naturvölker Amerikas.
selbst wenn sie unverschämt werden, weil man meint, die Strafe mache sie
niederträchtig und feig!.
Diesen Berichten aus früherer Zeit fügen wir einige Angaben aus neuerer
Zeit hinzu. Heute ist ein großer Teil der Araukaner Christen, doch haben
noch viele, besonders in den Bergen, ihr altes Heidentum bewahrt. Bei diesen
heidnischen Araukanern wirken seit 1848 segensreich die Kapuzinermissionäre.
p. Adeodat von Bologna, der 42 Jahre bei ihnen weilte, klagt sehr über
ihre Unwissenheit, Unsittlichkeit, Unmäßigkeit und Trägheit. Dann fügt er
aber bei?: „Inmitten solcher Unwissenheit, Laster und abergläubischen Ge⸗—
hräuche erglänzen auch gute Eigenschaften, welche den Araukaner über alle
andern Eingebornen Amerikas erheben. Einmal hat er langjährige Proben
seiner Unerschrockenheit und Tapferkeit gegeben, da er sein Gebiet gegen jeg—
lichen Angriff heldenmütig verteidigte. Das war die Folge der hochgradigen
Eifersucht, mit der er über seine und seiner Weiber und Kinder Freiheit und
Ehre wacht. Er gerät bei jeder beleidigenden Rede in Zorn und Streit.
Getreu kommt der Araukaner seinen Verpflichtungen nach. Am bestimmten
Tag sucht er seine Gläubiger auf, um sie zu bezahlen. Kommt es einmal
vor, daß einer seine Schulden, die er bei Angehörigen eines andern Stammes
gemacht hat, nicht bezahlt, so ist sein ganzer Stamm oder sein ganzes Dorf
dafür haftbar. Jedoch behält jeder das Recht, sich am eigentlichen Schuldner
schadlos zu halten.“
„Der Araukaner ist talentiert und schlau, nichts tut er ohne Überlegung
und Berechnung. Großmütig springt er den Dürftigen bei; er ist gastfreundlich
gegen jeden, der sich seiner Hütte naht. Geduldig und ohne Klagen leidet er
Entbehrungen und Krankheiten. Er zeigt sich für empfangene Wohltaten
dankbar und ist stets bereit, sie mit Gegendiensten zu vergelten. Er ist aber
auch rachsüchtig und vergißt erlitienes Unrecht nicht. Es kommen bei den
Araukanern mitunter Diebstähle vor, besonders Diebstähle von Ochsen, Pferden
und Schafen. Wird der Dieb entdeckt, so wird er nach dem Herkommen vom
Kaziken verurteilt, das Doppelte der gestohlenen Sache zurückzugeben. Fügt er
sich der Entscheidung nicht, so schickt der Kazike einen Boten mit dem Befehle,
die zurückzugebenden Tiere zu fordern und für sich selbst ein weiteres für die
Mühe des Abholens zu nehmen. Verweigert der Dieb auch jetzt noch hart⸗
näckig den Gehorsam, so begibt sich der Kazike in höchsteigener Person in Be—
gleitung einiger Männer zum Dieb und fordert das Doppelte der gestohlenen
Sache für den Bestohlenen, ein weiteres Stück für jeden seiner Begleiter und
zwei für sich selber. Gehorcht der Dieb auch dann nicht, so beruft der Kazike
eine Versammlung des ganzen Stammes und trägt den Fall vor. Die ganze
Versammlung begibt sich nun zum Hause des Diebes, um mit Gewalt zu
aehmen, was er zurückzugeben sich weigerte. Dann hat jeder das Recht, ein
Stück Vieh für sich zu nehmen. Besitzt der Dieb nicht so viel, um allen zu
genügen, so müssen seine Verwandten das Fehlende ersetzen. Es kommt des⸗
halb selten vor, daß ein Dieb die Sache so weit kommen läßt.“8
Molina, The History of Chili II 115-120.
dVgl. Katholische Missionen 1896, 97 ff. s Ebd. 99 - 100.
1. Die Araukaner.
221
Die araukanischen Frauen zeichneten sich von alters her durch eine Ehr⸗
harkeit und Sittsamkeit aus, welche sprichwörtlich war. Das war die Folge
ihrer Erziehung und der strengen Bestrafung des Ehebruchs. „Die
Strenge“, schreibt P. Adeodat, „mit welcher der Ehebruch bestraft wurde,
machte dieses Verbrechen bei den Araukanern selten. Auch behüteten die Eltern
ihre Töchter mit äußerster Strenge. Sie beschäftigen sie beständig unter ihren
Augen mit häuslichen Arbeiten und gestatten ihnen nicht einmal jene Zer⸗
streuungen, welche bei uns in der Kindheit üblich sind. Trotz dieser harten
Eintönigkeit, welcher die Araukanerinnen auch jetzt noch unterworfen sind, sind
sie doch recht liebenswürdig und gesprächig und sehr geschickt zu häuslichen
Arbeiten. Infolge dieser guten Eigenschaften könnte man aus den Araukanern
ein Mustervolk bilden. Aber mit jedem Tag werden sie mehr verdorben durch
Müßiggang, Trunkenheit und durch die Berührung mit Europäern, welche aus
schmußiger Gewinnsucht den Hang zu berauschenden Getränken nähren, ihnen
Unglauben und Zweifel an der christlichen Religion einflößen, sie zur Sitten⸗
losigkeit verführen und auf diese Weise ihrer moralischen Kraft und ihrer zeit⸗
lichen Güter berauben!.
Diese Laster und die Vielweiberei erschweren sehr die Bekehrung. Sie lassen
sich im Christentum unterrichten und glauben vielfach daran, aber wenn es
heißt, die Vielweiberei aufzugeben, können sie sich nicht entschließen. Die Mis—⸗
fionäre suchen deshalb durch die Jugend das Volk zum Christentum zu bringen.
Die araukanische Jugend, die in den christlichen Grundsätzen erzogen wurde,
sagt P. Octavian?, folgt nicht mehr den Sitten ihrer Vorfahren. „Sie be—
kennen, daß sie mit einer einzigen Frau glücklich und zufrieden leben.“ Die
Araukaner haben einen Widerwillen gegen alles, was sie zur Zivilisation führt.
„In der Fülle der Freiheit und wilder Unabhängigkeit lebend, betrachten sie
sich als die glücklichsten Wesen der Welt.“ Deshalb muß der Missionär die
Eltern demütig um die Erlaubnis bitten, ihre Kinder umsonst ernähren, erziehen
und kleiden zu dürfen, und ihnen und den Verwandten zu dem Zweck Ge⸗
schenke machen.
Von der Religion der Araukaner sagt P. Adeodat: sie hatten, als die
Missionäre zu ihnen kamen, eine dunkle Idee von Gott, für den sie zwei
Namen besaßen: Nughmapu und Pillan. Über alles aber fürchteten sie
Guecubu, d. i. den böfen Geist, den sie für den Urheber alles Bösen halten.
Es gab keine Tempel, keine Altäre und keine Priester. Ihr Gottesdienst be—
schrankte sich auf gewisse Tieropfer, welche sie unter freiem Himmel darbrachten,
um die erzürnten bösen Geister zu versöhnen, wenn sie von Unglücksfällen be⸗
troffen waren. Außerdem brachten sie Trankopfer von Apfelmost oder Brannt⸗
wein dar, von dem sie mit der Hand einige Tropfen gegen den Vulkan
Villarica sprengten, wo nach ihrer Meinung der allmächtige Pillan thront.
Sie hatten auch die Idee von einem privilegierten Orte, den ihre Götter zum
—XXVVV Menschen durch
gewisse Geister als Boten in Verbindung. Sie glaubten auch an die Un⸗
terblichkeit der Seele und an ewigen Lohn und ewige Strafen
1 Ebd. 100. 2 Ebd. 101.
222 Vierter Teil. Die Naturvölker Amerikas.
nach dem Tode. Die Seelen, welche für die ewigen Freuden bestimmt sind,
überschreiten nach ihrer Ansicht nach der Trennung vom Leibe einen geheimnis⸗
vollen Berg, „der mitten im Ozean liegt“1. Mit diesen Angaben stimmt im
wesentlichen das überein, was der französische Reisende Ernest Michel be—
richtet. Er fragte den araukanischen Kaziken Colipi Aucamilla nach der Religion
seiner Leute. Dieser antwortete: „Wir glauben an Gott, den Schöpfer aller
Dinge, und an das zukünftige Leben; wir beten Gott an, nicht in Bildern,
aber im Geist, indem wir ihn uns lebendig auf einem Berge oder an bestimmten
Plätzen vorstellen und ihm die Erstlinge von dem opfern, was er uns sendet.“
Als Michel den Kaziken fragte, ob er ihm zeigen könne, wie sie Gott an—
heten, erhob sich dieser, ergriff das ihm dargebotene Glas Rum und sprach
in ernstem feierlichen Ton: „Pnema pu ia peomain enimy vla vatemu
buvaci. — Enema pu putuamaĩ guemi mi vla ustralé imaguen.“ Dann
erhob er die Augen zum Himmel und leerte sein Glas zu Ehren der Sonne.
Er erklärte dann das Gesagte auf spanisch. „Was ich gesagt habe, bedeutet
ungefähr: „Großer Gott, Vater aller Geschöpfe, du bist gut, da du mir heute
diesen vortrefflichen Trank gibst, und ich opfere dir die Erstlinge dafür.“ An
einem andern Ort antwortete eine Frau dem schon genannten Reisenden auf
die Frage nach ihrer Religion: „Der, welcher Himmel und Erde geschaffen,
ist mein Gott und ich nenne ihn meinen Vater; es gibt eine andere Welt, in
die wir alle nach dem Tode gehen werden.“ Dieser Glaube veranlaßt die
Araukaner, Kleider und Lebensmittel in den Sarg zu legen und dem Toten
sein bestes Pferd in das Grab für die große Reise mitzugeben.
Je weniger die Araukaner Gott verehrten, um so mehr schenkten sie nach
P. Adeodat ihren Wahrsagern und Zauberern blinden Glauben und leisteten
ihnen unbedingten Gehorsam. Ist jemand krank, so wird eine Zauberin geholt,
um die bösen Geister zu vertreiben durch allerlei Gaukelwerk und Opfer an
die bösen Geister. Übrigens gibt es auch Zauberinnen, welche Heilkräuter
kennen und wohltuende Arzneien bereiten. Ist ein Araukaner tot, so muß
der Zauberer die Todesursache ermitteln. Denn man ist überzeugt, niemand
sterbe auf natürliche Weise, außer im Krieg und durch Altersschwäche. Starb
jemand in jungen Jahren, so behauptete man, er sei vergiftet worden. Die
Verwandten gaben sich alle Mühe, die Mörder zu entdecken. Sie schnitten dem
Toten einen Büschel Haare und die Nägel ab, brachten sie dem Wahrsager
und befragten ihn über den Mörder. Unter allerlei Sprüngen und Gestikulationen
ließ er eine Stimme vernehmen, so tief, als ob sie aus der Erde käme. Die
Stimme nannte den Namen einer oder mehreren Personen. Dies war das
unwiderrufliche Todesurteil für die Genannten, denn die Verwandten des Toten
verlangten vom Kaziken die Hinrichtung der Mörder. Zum Begräbnis wurden
alle Leute des Stammes eingeladen. Alle gingen einige Male laut heulend
um das Grab. Die Weiber stellten sich, als ob sie weinten. Das tat man,
um die bösen Geister fern zu halten. Dann veranstalteten sie eine lange Pro⸗
zession, bei welcher die Weiber Lebensmittel und Gefäße mit Apfelmost und
Branntwein trugen. Am Begräbnisplatz angekommen, legten sie die mit den
Katholische Missionen 1896, 125. 2 Missions catholiques XIX (1887) 224.
1. Die Araukaner.
228
desten Kleidern geschmückte Leiche in die Grube und dazu alle mitgebrachten
Lebensmittel, damit der Tote eine Stärkung habe auf dem weiten Weg zu
den Freunden jenes geheimnisvollen Berges. Neben den Toten legte man, je
nach seinem Geschlecht, entweder seine Waffen oder die weiblichen Gerät—
schaften. Darauf bedeckten sie ihn mit Erde. Der vornehmste Kazike des
Stammes hielt eine Leichenrede zur Verherrlichung des Hingeschiedenen und
versicherte, derselbe wäre nicht so früh gestorben, wenn nicht böse Menschen
seinen Tod beschleunigt hätten. Darauf gab er den vom Wahrsager Genannten
als Mörder an und befahl ihn vorzuführen, um ihn in Stücke zu zerreißen
oder lebendig verbrennen zu lassen. Das Urteil wurde sofort mit unmensch—
licher Grausamkeit ausgeführt.
Wie schon bemerkt wurde, herrscht bei den Araukanern auch heute noch
die Vielweiberei. Es gilt als Ehrensache und als Zeichen des Reichtums,
diele Weiber zu haben. Wer nur eine Frau hat, wird verachtet. Die Weiber
müssen die Wald- und Feldarbeit verrichten, Tuch weben, Körbe flechten, irdene
Befäße verfertigen, während der Mann nichts tut oder kleine Schmuckgegenstände
für seine Weiber herstellt. Über das Hochzeitszeremoniell schreibt ein Missionär:
„Will ein heidnischer Araukaner ein Mädchen heiraten, das ihm gefällt, so
geht er zu dessen Eltern und vereinbart mit ihnen ohne Wissen der Tochter,
wieviel Stück Vieh er ihnen für die Tochter geben muß. Ist der Vertrag
abgeschlossen, so begibt sich der Bräutigam mit seinen Freunden und Ver—
wandten nachts in das Haus der Braut und trägt sie fort. Es findet dabei
immer ein Scheinkampf statt, der aber ohne Blutvergießen mit dem Sieg des
Bräutigams endet. Im Hause ihres Räubers angelangt, muß das Mädchen
seine Frau werden. Einige Tage danach zahlt der Bräutigam den bedungenen
Preis den Eltern. Stirbt die Frau in jungen Jahren, so muß er ihren
Eltern das Doppelte von dem zahlen, was sie ihn ursprünglich kostete. Deshalb
behandeln die Männer ihre Frauen gut!.
In staatlicher Beziehung führen die Araukaner, soweit sie nicht der chile—
nischen Regierung unterworfen sind, auch heute noch ein freies Leben in ihren
Wäldern. An der Spitze eines jeden Stammes, eines jeden Dorfes und jeder
Niederlassung steht ein Häuptling oder Kazike. Mehrere Stämme haben einen
Oberkaziken. Der Kazike hat wenig Gewalt, er ist Schiedsrichter in Streitigkeiten
der Untergebenen und kann nur nach dem Herkommen entscheiden. Steuern,
Abgaben und Frondienste gibt es nicht; aber der Araukaner ist jeden Augen⸗
blick kampfbereit, wenn es die Not erfordert. Soll eine wichtige Entscheidung
getroffen oder eine Neuerung eingeführt werden, so muß der Kazike eine Volks⸗
bversammlung berufen. Diese findet im Freien statt, manchmal bei strömendem
Regen, ohne daß sich die Araukaner dadurch in ihren Reden stören lassen.
Kann man sich nicht einigen, so entscheidet ein Spiel. Man begibt sich auf
einen eigens dazu bestimmten Platz. Hier stellen sich die Parteien je nach
hrer Meinungsverschiedenheit einander gegenüber auf. Im Boden befindet
sich ein Loch, in welches sie eine Kugel werfen. Das Spiel gewinnt jene
Partei, welche die Kugel auf ihre Seite bringt. Dabei enisteht ein furchtbares
1Katholische Missionen 1896, 129.
224 Vierter Teil. Die Naturvölker Amerikas.
Raufen und Stoßen, bis endlich eine Partei die Kugel auf ihre Seite gebracht
hat. Gibt sich die unterlegene Partei nicht zufrieden, so entscheidet ein Pferde⸗
rennen. Gegen diese Entscheidung gibt es keine Appellation mehr. Denn die
Araukaner glauben, daß ein Gott diese Entscheidung gegeben, und fürchten die
Strafe Gottes, wenn sie sich seinem Urteile nicht unterwerfen. Doch schwinden
diese Bräuche immer mehr!.
Die Araukaner haben auch ein sehr ausgebildetes Zeremoniell für die Be—
grüßungen. Ein Gast, der einen Fremden besuchen will, muß vor der Hütte
varten, bis ihm der Hausherr die Erlaubnis zum Absteigen gibt und ihn in
die Nähe der Türe führt. Dort muß sich der Gast auf den Boden setzen und
in langer Rede die Gründe und die Geschichte seines Kommens erzählen. Dann
erkundigt er sich nach dem Befinden der Weiber und Kinder, nach dem Ausfall
der Ernte usw., und erhebt sich endlich, umarmt alle in der Hütte anwesenden
Männer und sie umarmen ihn; die Frauen grüßen mit einer Verneigung.
Man beginnt zu essen, was die Frauen inzwischen bereitet haben: Kartoffeln,
Bohnen, Erbsen, geröstetes Mehl; manchmal auch Lamm⸗, Ochsen⸗ oder
Pferdefleisch.
2. Die Patagonier.
Die Patagonier im heutigen Argentinien bestehen aus zwei in Sprache und
Qörperbau sehr verschiedenen Völkerschaften, den nördlichen Patagoniern oder
den sog. Manzaneros oder Pampaspatagoniern und den südlichen Patagoniern,
die einfachhin Patagonier oder auch die eigentlichen Patagonier genannt werden.
Die letzteren, die sich durch ihre Leibesgröße auszeichnen, wohnen in Süd⸗
argentinien von der Magelhaensstraße bis über den Rio Chico hinaus; die
ersteren wohnen nördlich davon in den Pampas. Diesen wollen wir uns zuerst
zuwenden.
1. Die Ranqueles. Zu den nördlichen Patagoniern gehören u. a. die
Ranqueles oder Distelindianer auf den argentinischen Pampas. Sie gelten als
die wildesten Patagonier, und bis in die neueste Zeit ist es Argentinien nicht
zelungen, über diese verwegenen Räuber Herr zu werden. Ihr gewöhnlicher
Aufenthaltsort ist der Landstrich zwischen 350 und 370 südl. Br. und von den
Kordilleren bis zum 66.0 westl. L. von Greenwich. Die Ranqueles gelten heute
ziemlich allgemein als Abkömmlinge der Ankas, die ihrerseits eine Abzweigung
der Araukaner sind. Ihre Statur ist die der Europäer, aber sie sind breit⸗
schulteriger und mit größerer physischer Kraft begabt?. Die Sprache der
Ranqueles ist eine Mundart des Araukanischen, nur weicher als dieses. Die
Nation teilt sich in drei Stämme, deren jeder seinen Häuptling oder Kaziken hat.
Diese Kaziken haben spanische Namen, weil sie sich haben taufen lafsen, ohne
jedoch ihren heidnischen Gebräuchen zu entsagen. Den Oberkaziken unterstehen
twa 60 kleinere Häuptlinge, von denen jeder über 10 bis 30 Krieger befiehlt.
Katholische Missionen 1896, 130.
à Bgl. Giobus XXV (I1874) 250 ff. Die Angaben stützen fich auf die Berichte
A und
Chiles ist.
2. Die Patagonier.
225
In jedem Zelt wohnt eine Familie, die infolge der Vielweiberei nie unter 10,
häufig bis zu 20 Personen zählt. Auch die Cautivos, d. h. die gefangenen
Chrisien, die aus Männern, Frauen und Kinder bestehen, bilden ein wichtiges
Element dieser Bevölkerung. Das Innere der Zelte ist gewöhnlich in mehrere
Räume geteilt, die von dem Gesinde, den Gästen und der Familie eingenommen
werden. Im Sommer besteht die Kleidung der Männer in einem Stück Zeug,
das die Lenden bedeckt; nur die Wohlhabenderen und die Kaziken kleiden sich
wie argentinische Gauchos mit einem weiten Lendentuch (Chiripa), das bis auf
die Knöchel reicht, dem Poncho und dem Panamahut!.
Die Frauen kleiden sich sorgfältiger als die Männer und bedecken sich ge—
wöhnlich den ganzen Leib mit selbstgewebten Tüchern, die sie Pilquenes nennen.
Im ganzen behandelt der Ranquelesindianer seine Frau gut, was wohl die
Folge der großen Zahl Sklaven ist, die er auf seinen Raubzügen erbeutet,
und die alle Hausarbeiten verrichten müssen. Die Frauen haben also nur die
Pflege der Kinder und die Beaufsichtigung der Sklaven. Das Madchen genießt
vor der Heirat die größte Freiheit; es gilt nicht als Unehre, wenn es einen
Geliebten oder selbst mehrere hat, und die Eltern erheben keinen Widerspruch
dagegen. Um so größer ist die Abhängigkeit der Frau nach der Heirat.
Das Mädchen muß nach dem Gesetze des Stammes den ersten besten Mann
annehmen, der ihr die Heirat anbietet, und ihr Widerwille oder der der Eltern
wird dann nach den Geschenken abgeschätzt, welche die Familie der Braut,
aber immer im Verhältnis zum Vermögen des Freiers, fordern darf. Kann
man sich nicht einigen, so verbindet der Prätendent sich mit einigen Freunden,
überfällt das Zelt der Braut und entführt diese gewaltsam, was einer legalen
Heirat gleichkommt. Am schlimmsten geht es den alten Frauen (Hexen), von
denen man annimmt, daß böse Wesen in ihnen Wohnung nehmen, und die
daher jeder totschlagen darf, was denn auch häufig genug vorkommt. Kluge alte
Frauen spielen nicht selten als Wahrsagerinnen eine nicht unwichtige Rolle, aber
wehe ihnen, wenn sie falsch prophezeien, dann werden sie sofort niedergemacht.
Im Geschlechtsleben sind im allgemeinen beide Geschlechter mäßig?.
Ihre Nahrung entnehmen sie ihren zahlreichen Stutenherden, auch lassen
ie durch die Gefangenen etwas Mais bauen; außerdem bietet die Jagd auf
Strauße, Rehe, Guanacos usw. reichen Ertrag. Auf ihren Raubzügen oder
als Tribut von der argentinischen Regierung, um Frieden zu halten, verschaffen
sie sich Tee und Zucker. Sie wissen gut zu kochen, und beim Essen benehmen
sie sich mit Würde und Anstand, bis das Horn mit Branntwein herumgereicht
wird. Dem Trunk sind sie in hohem Grade ergeben. Frauen und Kinder
nehmen zuweilen teil an diesen Trinkgelagen, bei denen oft Streitigkeiten ent⸗
stehen. Sie sind aber so klug, vorher ihre Waffen sicher zu verstecken. Am
Ende der Völlerei sieht man oft nur einen Knäuel bewußtlos betrunkener
Männer, Frauen und Kinder. Merkwürdigerweise erholt sich der Wilde schnell
bon den Wirkungen des Rausches. Ein Bad in der nächsten Lagune genügt dazu.
Religion. Die Ranqueles kennen einen guten und einen bösen Gott
(Geist?). Den erften nennen sie Cuchauentru, den großen Mann, oder
Ebd. 264. »Ebd. 265.
Tathrein, Die Einheit d. sittl. Bewuktseins. III.
2
3*
226 Vierter Teil. Die Naturvölker Amerikas.
zfters Chachao, Allvater; sie sagen von ihm, er sei allgegenwärtig, unsichtbar
und unteilbar, er sei sehr gut, und es sei Pflicht, ihn zu lieben. Der böse
Beist ist der Gualichu, welchem sie keine Form geben. Sie betrachten ihn
als ein böses Prinzip und verehren ihn mehr als den guten Gott. Jedes
übel wird dem Gualichu zugeschrieben, den man durch Opfer von Pferden,
Rindern, Ziegen und Schafen zu versöhnen sucht. Wenigstens einmal jährlich
muß dieses Opfer dargebracht werden. Dem guten Gott werden nur Trank—⸗
opfer dargebracht. Der Indianer unterläßt es selten, einige Tropfen aus⸗
zuschütten, die dem Chachao geweiht sind. Es ist nicht Sitte bei ihnen, in
Bemeinschaft Gott anzubeten; sie tun es insgeheim. Der Indianer geht allein
in den Wald, und nur wenn er sicher ist, daß ihn kein menschliches Auge
sieht, teilt er sich seiner Gotiheit mit (77. Sie haben keine Priester!.
Nur wenig verschieden von diesen Angaben lauten diejenigen A. Guin⸗
nards, der im Jahre 1856 in die Gefangenschaft der Pampaspatagonier
geriet? und mehrere Jahre bei ihnen in Gefangenschaft schmachtete. Er be⸗
richtet: „Sie nehmen zwei Götter an, einen guten und einen bösen. Sie be⸗
wundern und achten die Macht des guten Gottes Widaventrus, aber eine
bestimmte Ansicht über den Ort, wo dieses höhere Wesen sich aufhalte, haben
fie nicht. Der Gott (Geist) des Bösen heißt Huakuwu. Sie glauben, er
ichwärme auf der Oberfläche der Erde umher und gebiete den bösen Geistern;
sie nennen ihn auch Gualichu und bezeichnen ihn als Ursache alles Bösen,
von dem die Menschen heimgesucht werden. Auch haben sie Wahrsager beiderlei
Geschlechtz, welche das Zukunftige vorausverkünden. Priester fand auch
Guinnard bei den Pampasindianern nicht. „Die Kinder“, sagt er, „erlernen
die Religion von den Vätern und Müttern. Der Indianer nimmt keine Speise
zu sich, ohne vorher den Göttern einen Anteil geweiht zu haben. Er wendet
sich gegen die Sonne, welche der gute Gott geschickt hat, wirft ihr ein wenig
Fleisch entgegen oder schüttet Wasser aus. Diese Handlung begleitet er mit
folgenden Worten: „O Vater, großer Mann, König dieser Erde, gib mir
Gunst, teurer Freund, alle Tage einer guten Nahrung, eines guten Wassers,
eines guten Schlafes. Ich bin arm; hast du Hunger? Siehe, hier ist ein
armer Esser. Iß, wenn du willst.“
Wahrscheinlich gilt von den Pampaspatagoniern, was P. Dobrizhoffer“
bdon der Religion der Patagonier schreibt: „Die Patagonier nennen Gott
Sohchu, d. h. ein Wesen, welches unsichtbar und aller Verehrung wert ist
und außer der Welt sich aufhält, darum heißen sie die Verstorbenen Soychubet,
d. i. Menschen, welche bei Gott sind und außerhalb der Welt leben. Sie
scheinen mit den Gnostikern und Manichäern zweierlei Prinzipien zuzulassen, da
fie Gott zum Urheber alles Guten und den Teufel zum Urheber aller Übel
machen. Diesen letzteren verehren sie zwar nicht, aber sie fürchten ihn ungemein.
Die Ranqueles besitzen keine Tradition, daß ihre Vorfahren je Menschen⸗
opfer dargebracht haben. Eine Ausnahme besteht für die alten Frauen; kommt
Globus XXV (I874) 280. 2 Globus (1862) 262.
Widaventru ist offenbar derselbe wie Cuchauentru. Vielleicht handelt es sich nur um
eine dialektische Verschiedenheit oder wahrscheinlicher hatte Cuchauentru mehrere Namen.
Geschichte der Abiponer II 116.
2. Die Patagonier.
227
in einer Familie ein Todesfall vor und befindet sich in derselben eine alte
Frau — mag sie Gebieterin oder Sklavin sein —, so wird sie gewöhnlich
geopfert. Es geschieht dies nicht öffentlich, sondern der Hausvater sucht sie
heimlich durch einen Messerstich aus der Welt zu schaffen. Ist die alte Frau
gar die Schwiegermutter des Familienvaters, so ist das Opfer besonders er⸗
wünscht, denn man glaubt, der Gualichu finde ein spezielles Vergnügen daran,
in dem Körper solcher Frauen seinen Sitz aufzuschlagen!. Es ist deshalb auch
Sitte, daß die Schwiegereltern ganz getrennt von den Schwiegersöhnen leben
und sich gegenseitig weder berühren noch ansprechen dürfen?.
Sie glauben an ein anderes Leben in Form einer Seelenwanderung.
Wie das zu verstehen, wird leider nicht erklärt, und die Seelenwanderung paßt
schlecht zu dem, was weiter berichtet wird. Die Besseren, d. h. die Reicheren,
sollen im Süden vom Rio Negro auferstehen. Damit dem Toten im andern
deben nichts fehle, begraben sie ihn mit seinem besten Pferde sowie mit seinen
silbernen Kleinodien. Auf dem Grabe werden Pferde, Kühe und Schafe geopfert.
Die Gräber werden heilig gehalten, und keine Handlung gilt den Indianern
für verabscheuungswürdiger als die Grabschändung.
Die tägliche Beschäftigung der Männer besteht in dem Eintreiben des Viehs,
dem Zähmen der Pferde und der Jagd; dazwischen kommen Einfälle in das
Gebiet der Weißen. Finden sie bei diesen Überfällen Widerstand und können
sie ihn überwinden, so zeigen sie sich sehr grausam und töten die Männer und
die älteren Frauen, während sie Kinder und junge Frauen mitschleppen. Ergibt
iich der Grenzbewohner ohne Widerstand, so begnügt sich der Wilde mit dem
Raube und den Gefangenen und läßt die Männer unangefochten. Aber sie
müssen alles lassen, selbst das Hemd wird ihnen vom Leibe gezogen. Die Be—
vaffnung der Indianer besteht aus Lanzen und eingehandelten Karabinern. —
Das Schicksal der Gefangenen ist ein sehr trauriges. Sie werden vollkommen
als Sache behandelt, und der neue Eigentümer hat Gewalt über Leben und
Tod. Die Frauen dienen dem Wilden zum Zeitvertreib, bis er ihrer über—
drüssig wird und sie dann an Stammesgenossen oder andere Stämme verkauft.
Geschieht dies nicht, so werden sie zum Hüten des Viehs und den niedrigsten
Dienstleistungen verwendet. Die Lage der Armen verschlimmert sich ungemein
durch den Haß der indianischen Weiber. Es ist selten, daß ein Indianer sich
mit einer weißen Frau formell verheiratet, d. h. sie in die Reihe seiner legitimen
Konkubinen aufnimmt. Die argentinische Regierung sowohl als Vrivatpersonen
uuchen Gefangene auszulösen, aber nicht selten kommt es vor, daß gefangene
Frauen ihrer Kinder wegen, welche die Indianer unter keinen Umständen aus—
liefern. das Elend der Sklaverei der Freiheit vorziehen.
J„Handel, Gewerbe und Ackerbau der Ranqueles sind sehr primitiver Art.
Ihren Stammesgenossen verhandeln sie gegen Pferde, Vieh oder Pampasstoffe
die gefangenen Sklaven. Die chilenischen und argentinischen Händler bringen
ihnen Siͤber, Branntwein. Zuder, Flanellhemden u. dal. und erhalten dafür
—
su Wenn das richtig ist, kann die Töͤtung der Frau kaum den Charabkter eines Opfers
r den Gualichu haben; eher ist sie eine Strafe für den vermeintlichen bösen Zauber,
en der Gualichu durch fie ausübt.
2 Globus XXV (1874) 280. s Ebd.; vgl. auch LXV (1894) 396.
5*
228
Vierter Teil. Die Naturvölker Amerikas.
Häute von Rindern, Schafen, Guanakos, oder auch Silbermünzen, welche sie
als Lösegeld für Gefangene bekommen haben. In ihrem eigenen Verkehr
kursiert kein Geld. Sie besitzen eine ausgedehnte Rindvieh- und Schafzucht
und verkaufen große Herden an die Araukaner. Sie sorgen trefflich für ihr
Vieh, beim Schlachten gehen sie nicht mit unndtiger Grausamkeit zu Werk
wie die argentinischen Grenzbewohner. Sie betäuben das Tier durch einen
Schlag mit den steinernen Wurfkugeln und durchschneiden ihm dann die Kehle.
Die Indianer sind ausgezeichnete und verwegene Reiter; bei den Festlichkeiten
führen sie Kunststücke auf, die einem Kunstreiter zur Ehre gereichen würden?.
2. Die Tehuelchen. Der Hauptstamm der eigentlichen Patagonier im
Süden Argentiniens sind die Tehuelchen. Der englische Reisende Georg
Chaworth Musters?, der sich gegen ein Jahr bei ihnen aufgehalten hat,
entwirft davon folgende Schilderung:
Die Patagonier sind sehr groß, kräftig und wohlproportioniert; sie sind
gewöhnlich heiter und bei guter Laune, nur wenn sie sich in den Ansiedelungen
(der Weißen) befinden, zeigen sie ein gesetztes und sogar düsteres Benehmen.
Die Kleidung der Männer besteht aus einer Chiriga, d. h. einem Unter⸗
kleid um die Lenden herum. Sie halten viel auf Anstand. Außerdem tragen
sie, besonders bei nassem Wetter, einen Fellmantel und endlich als Kopf⸗
bedeckung ein farbiges Band, um das Haar zusammenzuhalten. Die Kleidung
der Frauen besteht aus einem Fellmantel, wie ihn die Männer tragen; der⸗
selbe wird vorn am Halse mit einer Nadel oder Brosche zusammengehalten,
darunter befindet sich ein weites sackartiges Kleidungsstück, das von den
Schultern bis zu den Knöcheln reicht.
Die Tehuelchen halten sehr auf Reinlichkeit. Sie leben vorwiegend von
der Jagd, in der sie äußerst gewandt sind. Im Essen sind sie mäßig. „Ich
bin der Ansicht“, schreibt Musters von ihnen, „daß in der Regel die Indianer
weniger essen als zivilisierte Menschen, geschweige denn, daß sie sehr gefräßig
waären.“
Bei der Geburt eines Kindes wird, wenn die Eltern reich sind, d. h. zahl⸗
reiche Stuten und Hengste und viel Silberschmuck besitzen, das Ereignis sofort
dem Doktor oder Zauberer des Stammes sowie dem Kaziken und den Verwandten
angezeigt, es folgt ein Schmaus und Tanz. Das Kind wird kurz nach der
Geburt mit feuchtem Gips überschmiert. Die Mütter können schon am selben
oder sicherlich am folgenden Tage auf dem Pferde reiten; das Kind wird in
einer geflochtenen Wiege mitgenommen, und beide Eltern sorgen aufs zärtlichste
für dasselbe. Jedem Kinde werden in seiner frühesten Kindheit Pferde und
Zubehör angewiesen, über die es fortan als Eigentum verfügen kann.
Die Ehen beruhen immer auf gegenseitiger Zuneigung. Wenn das
Mädchen den Mann nicht will, der um seine Hand wirbt, wird es von den
Eltern nicht gezwungen. Ist der Bräutigam der Einwilligung des Mädchens
sicher, so sendet er einen Bruder oder Freund zu den Eltern und bietet so und
so viel Stuten oder Silberschmuck für die Braut an. Willigen die Eltern ein,
Globus XXV (I874) 282.
Unter den Patagoniern. Deutsch von Martin, Jena 1878.
2. Die Patagonier.
229
jo geht der Bräutigam zu dem Toldo (Hütte) seiner Künftigen und überreicht
die Gaben. Die Eltern der Braut erwidern dieselben mit Gaben von gleichem
Wert, die jedoch im Fall einer Scheidung (die selten vorkommt) Eigentum
der Braut werden. Hierauf wird die Braut von dem Bräutigam unter dem
Jauchzen seiner Freunde und dem Gesang der Frauen nach seinem Toldo ge⸗
bracht. Dann folgt ein Festmahl. Der Indianer darf so viele Frauen haben,
als er ernähren kann, aber die meisten haben nur eine.
Beim Tode eines Tehuelchen werden alle seine Pferde, Hunde und sonstigen
Tiere getötet, seine Ponchos und alles, was ihm gehörte, auf einen Haufen gelegt
und verbranni. Die Leiche wird in einen Mantel, Poncho, oder wenn der
Verstorbene einen Panzer besaß, in denselben genäht und mit dem Gesicht nach
Osten in sitzender Stellung begraben; über dem Grabe wird ein Steinhügel
errichtet. Der Name des Verstorbenen wird nicht mehr genannt, er soll ver⸗
gessen werden!. Bei dem Tode eines Kindes zeigen die Eltern aufrichtigen
Schmerz.
Religion. Von Sonnendienst, wie bei den Pampas und Araukanern, ist
bei den Tehuelchen keine Rede, wohl aber wird der Neumond begrüßt, wobei
die ehrfurchtsvolle Gebärde von leise gemurmelten Worten begleitet wird, die
Musters nie verstehen konnte. Sie glauben an einen großen und zwar guten
Geist, der nach ihrer Sage die Indianer und die Tiere schuf. Doch bekümmert
sich derselbe nicht viel um die Menschen. Götzenbilder oder sonstige Gegenstände
der Anbetung haben sie nicht; auch feiern sie — wenn man nach einjähriger
Erfahrung urteilen darf — keinen regelmäßig wiederkehrenden religiösen Festtag.
Was sie zu ihren religiösen Handlungen antreibt, ist der Glaube an viele böse
Geister, die ihnen auflauern und Unheil bereiten. Diese Geister zu vertreiben
oder zu versöhnen, ist die Aufgabe der Zauberer. Zauberei und Aberglaube
spielen eine große Rolle im Leben der Tehuelchen.
Die Tehuelchen stehen in keinem Untertanenverhältnis zu einem Oberkaziken;
doch können sie sich unter einem solchen vereinigen. Sie sind von Natur sehr
zur Unabhängigkeit geneigt, aber alle Horden, ob groß oder klein, stehen unter
dem Befehl eines Kaziken, der zuweilen mit dem zärtlichen Namen „Vater“
bezeichnet wird. Bei einigen Horden ist die Häuptlingswürde erblich.
Musters macht noch die Bemerkung, daß man gewöhnlich eine zu ungünstige
Meinung von den Tehuelchen habe. „Die Bezeichnungen: grausame Wilde,
Räuber der Wüste usw., verdienen sie sicherlich nicht. Sie sind freundliche, gut⸗
gelaunte, plötzlichen Antrieben folgende Naturkinder, die sich leicht für oder gegen
etwas sehr einnehmen lassen, feste Freunde und ebenso erklärte Feinde werden.“
Gegen Fremde, besonders gegen Leute spanischer Abkunft, sind sie mißtrauisch,
weil sie oft hinterlistig und grausam behandelt wurden. — „Ich bin bei den
Geschäften, die ich mit ihnen hatte, immer ehrlich behandelt worden.“ Doch
nachen sie sich kein Gewissen daraus, jeden zu bestehlen, der nicht zu ihrer
Horde gehört. Wenn es sich um unbedeutende Dinge handelt, lügen sie fast
— —
Dobrizhoffer Geschichte der Abiponer II 98) schreibt: „Die Patagonier und
die uübrigen Völker, welche das magallanische Land bewohnen, sfind fest der Meinung,
daß die Seelen der verstorbenen Menschen und die Seelen umgekommener Strauße unter
der Erde in einerlei Gezelten sich aufhalten.“
230 Vierter Teil. Die Naturvölker Amerikas.
—XVDD
die Wahrheit, solange man ihnen Treue und Glauben hält. „Als ich einige
Zeit unter ihnen war und sie sich überzeugt hatten, daß ich es stets vermied,
nur irgend von der Wahrheit abzuweichen, hörten sie selbst in unbedeutenden
Sachen auf, mich zu belügen.“ Auch sind sie nicht aus Gewohnheit grausam,
selbst gegen Sklaven und Gefangene. Wenn sie aber betrunken sind, werden
sie zügellos.
Vielleicht der schönste Zug in ihrem Charakter ist die Liebe zu ihren Weibern
ind Kindern; eheliche Zwistigkeiten sind selten, und das Schlagen der Weiber ist
unbekannt. Die Kinder werden wegen schlechten Betragens nie zurechtgewiesen,
so daß es zu verwundern ist, daß die jungen Leute nicht halsstarriger und
eigensinniger werden.
„In ihren heimatlichen Wildnissen habe ich“, sagt Musters, „unter den
Indianern wenig Unsittlichkeit bemerkt, in den Ansiedlungen jedoch werden
sie, infolge der Trunksucht und wohl auch des Beispiels der Europäer, aus⸗
schweifender.“
3. Die Feuerländer.
Im füdlichsten Teil von Südamerika, vom Festlande durch die Magelhaens⸗
straße abgetrennt, liegt eine Gruppe von größeren und kleineren Felseninseln,
die den Namen Feuerland tragen. Diesen Namen hat das Land von den ersten
Seefahrern erhalten, die sowohl auf den Inseln als in den Kanoes der Ein⸗
gebornen viele Feuer sahen. Die Feuerländer geben sich nämlich durch Feuer
Zeichen, außerdem verbrennen sie das Gras, um den Boden zu düngen, und
wenn sie endlich in der Nacht auf die Vogeljagd oder den Fischfang ausziehen,
pflegen sie viele brennende Fackeln zu tragen. Wir geben zuerst einen all⸗
gemeinen Überblick über dieses Volk und lassen dann eine kurze Charakteristik
der Hauptstämme folgen.
Die Eingebornen zerfallen in drei ziemlich weit voneinander verschiedene
Stämme oder Völkerschaften: die Yagan, die Ona und die Alacaluf, die wahr⸗
scheinlich nacheinander in ihr heutiges Gebiet einrückten. Als die ältesten Be⸗
wohner gelten die Yagan, die von den Chonos abstammen; dann kamen die
Alacaluf und zuletzt die Ona, die ein Zweig der Tehuelchen im süd—
lichen Patagonien sind, wie sich aus ihrer leiblichen und sprachlichen Verwandt⸗
schaft mit diesen ergibt. Die Yagan wohnen im südlichen Teil des Archipels,
südlich vom Beaglekanal bis zu den Inseln am Kap Hoorn. Den Namen Yagan
haben sie von den Europäern erhalten, sie selbst nennen sich Yamana, was so
bdiel heißt als Leute, Menschen, vernünftige Wesen. Die Alacaluf wohnen an
dem Labyrinth von Kanälen, das sich von der Insel Stewart bis zur Ultima
Speranza in der Magelhaensstraße ausdehnt. Die Ona endlich leben auf der
größten Insel des Archipels, dem Feuerland im engeren Sinn, besonders im
zstlichen Teil derselben 1.
Ant. Cojazzi, Contributi al Folk-Lore e all' Etnografia dovuti alle Missioni
Salesiane. Gli Indu dell' Arcipelago Fueghino, Torino 1911, 14-16. Ferner Gia
como Bove, Patagonia. Terra del Fuoco. Mari Australi, Genova 1883, 128 ff. Die
3. Die Feuerländer.
231
Die Yagan sind klein von Statur, aber fest gebaut, ihre Augen sind schief
wie bei den Chinesen; die Alacaluf sind etwas größer, von brauner Hautfarbe
und regelmäßigen Zügen; die Ona endlich sind wahre Riesen und erreichen im
Durchschnitt die Höhe von 1,74 m. Die Ona sind immer fröhlich und heiter,
stets zum Scherzen aufgelegt; der Alacaluf dagegen ist ernst, finster, schweigsam
und verräterisch.
Außer den genannten drei Stämmen gibt es im Feuerland noch einen
bierlten Stamm, die Haußindianer, die zwar Verwandtschaft zeigen mit den
Ona, aber doch durch Sprache und Sitten sich von ihnen in manchem unter⸗
scheiden; heute ist jedoch dieser Stamm auf wenige Individuen zusammen⸗
geschmolzen!. Leider werden ihnen auch die andern Stämme folgen, die trotz
der Bemühungen der Missionäre immer mehr verschwinden. —
Die Feuerländer galten von jeher als ganz vertierte Menschen. Schon
J. de Laet? entwirft von ihnen ein abstoßendes Bild. Er nennt sie scham—
lose Menschen; die Männer laufen nackt umher und bedecken nicht einmal die
Scham; die Weiber begnügen sich mit einer armseligen Schamhülle aus Haut.
Von Religion und politischer Organisation ist bei ihnen keine Spur zu finden.
Ganz besonders hat Ch. Darwin durch seine dunklen Schilderungen dazu bei⸗
getragen, daß man sich fast daran gewöhnte, die Feuerländer nur als halbe
Menschen zu betrachten. Aber eingehendere Forschung hat gezeigt, daß sie volle
und ganze Menschen sind wie wir, wenn auch in verwahrlostem Zustand.
übrigens gab schon Darwins selbst zu: „Als ich an Vord des „Beagle“‘ mit
den Feuerländern zusammenlebte, ward ich unaufhörlich überrascht von kleinen
Charakterzügen, welche zeigten, wie ähnlich ihre geistigen Eigenschaften den
unserigen waren.“ Auch Peschel! weist darauf hin, daß die künstliche Art
hrer Feuerbereitung und ihr Geschick als Seefahrer Scharfsinn verrate. Kapitaän
Cook und Darwin wollten die Sprache der Feuerländer kaum als artikuliert
gelten lassen und verglichen sie mit dem beim Räuspern entstehenden Geräusche.
Spätere Forschungen haben gezeigt, daß sie eine wohlgefügte Sprache haben.
Die nordamerikanischen Missionäre, besonders Bridges, die sich lange bei ihnen
aufhielten, verfaßten eine Grammatik und ein Wörterbuch und zeigten, daß ihre
Sprache verhältnismäßig reich sei. Dasselbe haben in neuerer Zeit die Sale—
sianermissionäre des Don Bosco getan s. Auch Boves schreibt: „Ihr niedriger
Kulturzustand steht in auffallendem Kontrast zu dem Reichtum ihrer Sprache,
Mitteilungen Boves über die Feuerländer stützen sich zum Teil auf die Angaben der
nordamerikanischen Missionäre, besonders des Rev. Thomas Bridges, der lange
Jahre in Feuerland gewirkt hat.
Dojazzi a. a. O. 20.
Novus orbis seu descriptio Indiae occidentalis, Lugduni Bat. 1633, J. 18, e. 14,
b. 518. Er sagt z. B.: Gens admodum barbara est; nam praoterquam quod ecrudis,
otiam humanis, carnibus vescantur, ne scintillam quidem religionis aut politici regi-
minis obtineant, ita penitus omni pudore vacui, ut astantibus, nisi caveant, immingant;
ingenio sunt versipisli pravoque, nam licet advenis prima facie abblandiri videantur,
omnes industriae nervos intendunt, ut incautos obruant et trucident.
3Abstammung des Menschen J (1871) 204. »Völkerkunde 151.
Coʒjazzi a. a. O. 16.
Patagonia usw. 189. VBgl. außerdem noch Cojazzi a. a. O. 114.
232 Vierter Teil. Die Naturvölker Amerikas.
der zur Annahme führt, daß sie einst auf einer viel höheren Kulturstufe standen
als heute. Die Yagansprache ist ohne Zweifel eine der ältesten und reinsten.
A
letztere beläuft sich auf ungefähr 30000 Woörter, eine Zahl, die in Anbetracht
des agglutinierenden Charakters der Wörter leicht vermehrt werden kann. Die
Zeitwoͤrter und Pronomina sind sehr zahlreich und ersetzen zum Teil die Armut
an Adverbien und Präpositionen. ... Ein so großer Reichtum der Sprache
verleiht den Feuerländern eine wahrhaft überraschende oratorische Leichtigkeit.
Hunderte Male hörte ich in den Wigwams (Hütten) die Greise das Wort er⸗
greifen und ohne Inflexion der Stimme und ohne Zeichen der Anstrengung
stundenlang reden. Gewöhnlich handelte es sich um Jagdgeschichten, um Er—⸗
zählungen der Kämpfe mit den benachbarten Alacaluf oder Ona, um Beschrei⸗
hbung wilder Stürme und Schilderung des Zusammentreffens mit dem schred⸗—
lichen Curspic, dem bösen Geist, der die Wälder durchstreift und die verdammten
Seelen hinter sich herschleppt.“
„Seit langem“, schreibt Ratzel, „werden die Feuerländer als die niedrigste
Rasse dargestellt. Wir wollen nicht an die geschwänzten Menschen der älteren
Seekarten erinnern, aber von Malthus bis auf Darwin haben nur wenige
Ethnographen daran gezweifelt, daß man hier eine zwar friedliche, aber äußerst
tierische Rasse‘ vor sich habe. Doch stellen, rein körperlich betrachtet, die Feuer—
länder keine niedrigere Rasse dar als irgend eine andere Gruppe der Mongo—⸗
loiden. ... Je nähere Kenntnisse man von ihren gemütlichen und geistigen
Fähigkeiten im näheren Umgang gewann, desto höher stieg auch in dieser Be⸗
ziehung ihre Wertschätzung.“
J. Die Ona.
Die Grundlage der Familie bei den Ona ist die Polygamie, die tief ein⸗
gewurzelt ist. In der Theorie kann jeder Mann so viele Frauen haben als
er will, aber in der Praxis findet sich kaum einer, der mehr als vier Frauen
hat. Oft wünscht die Frau, daß der Mann eine zweite Frau nehme, weil sie
dadurch Hilfe beim Transport der Hütten zu erlangen hofft. Denn bei diesen
Umzügen von einem Ort zum andern trägt der Mann nur Bogen und Pfeile,
um beständig schußbereit zu sein, wenn das Wild in den Weg kommt; die Frau
dagegen muß die Hütte mit allem Hausgerät transportieren und zuweilen noch
kleine Kinder tragen; deshalb sucht sie die Hilfe einer oder mehrerer Gefähr⸗
tinnen, und zwar solcher, die die Eintracht nicht stören. Aus diesem Grund
wählt der Bräutigam häufig zwei Schwestern; zuerst heiratet er die ältere, und
päter die jüngere, oder er sucht eine Witwe, die eine Tochter hat, und heiratet
zuerst die Mutter und später auch die Tochter. Übrigens haben die Ona große
Scheu vor Heiraten mit Blutsverwandten, und nur aus Not heiraten fie
Leute, die im dritten Grade mit ihnen verwandt sind; denn sie kommen leicht
in das Gerede.
Bei den Ona besteht vielfach Frauenraub. Die Männer nehmen sich
ihre Bräute während der Kriege mit Nachbarstämmen, indem sie deren Männer
köten. Wird aber die Ehe zur Friedenszeit innerhalb desselben Stammes ge⸗
3. Die Feuerländer.
238
schlossen, so vereinbaren die Eltern der Brautleute, und zwar ohne Wissen der
Braut, die Heirat; meist geben nur Nützlichkeitsrücksichten für die beiden Familien
den Ausschlag. Doch kommen auch Ehen aus Herzensneigung vor. Wenn der
Jüngling ein Mädchen gefunden, das ihm gefällt, so nimmt er seinen Bogen,
degibt sich in die Hütte seiner Erkorenen und übergibt ihr ohne ein Wörtchen
zu sagen, den Bogen; dann verläßt er die Hütte und wartet in der Nähe.
Das Mädchen beratschlagt nun mit seiner Mutter und faßt den Entschluß.
Will es den Jüngling nicht, so ruft es einen Knaben und schickt den Bogen
dem Jüngling zurück. Ist es aber einverstanden, so bringt es selbst dem Jüng—
ling den Bogen. Von diesem Augenblick sind sie Eheleute, und das Mädchen
folgt seinem Manne ohne weitere Zeremonie in seine Hütte und beide behalten
ihren Namen wie zuvor.
Wenn eine Frau der Niederkunft nahe ist, so geht sie in den Wald, haut
Holz zusammen und trägt eine sehr große Last mühsam nach Hause, in der
Überzeugung, dem Kinde dadurch Kraft zu verschaffen. Den Mann hält man
möglichst lang in Unkenntnis des zu erwartenden frohen Ereignisses. Nach der
Niederkunft muß die Frau mancherlei Abstinenz üben, sie darf z. B. kein Fleisch
essen, außerdem muß sie Reinigungsbäder nehmen. Bis zum zweiten Jahre
schnüren die Mütiter die Köpfe der Kinder mit einer Binde fest, um dadurch,
wie sie sagen, ihre Sehkraft zu stärken; außerdem massieren sie die Kleinen
mit weißer Erde, und zwar in so fester Weise, daß dieselben laut schreien. Die
Mütter behandeln sonst ihre Kinder mit großer Liebe und reichen ihnen die
Brust, bis sie ein anderes Kind haben. Die Mädchen zeigen sich in Bezug
auf Schamhaftigkeit zarter als die Knaben, da sie schon vom vierten Jahre an
einen dreieckigen Streifen Leder tragen; sie zeigen aber auch schon früh Eitelkeit
und Liebe zum Putz.
Die Ona können bis fünf zählen; wollen sie zehn sagen, so vereinigen sie
beide Hände; zwanzig drücken sie aus mit dem Satz: wie die Hände von zwei
Menschen. — Sobald die Knaben in ein bestimmtes Alter kommen, werden sie
in die traditionellen Verrichtungen eingeweiht. Eine Tradition der Ona erzählt,
in uralter Zeit hätten die Frauen eine Art Oberherrschaft über alle Männer
Jehabt; sie gingen auf die Jagd, den Fischfang und überließen die lästigen Haus—
arbeiten den Männern. Es gelang den Frauen, ihre Herrschaft durch ein
System schreckhafter Erscheinungen von gewissen Geistern zu befestigen, die bei
jeder Gelegenheit vorgaben, die Weiber zu beschützen und die Männer, selbst mit
dem Tode, zu bestrafen, sobald diese das Weiberjoch abschütteln wollten. Dieses
System von Betrug und Aberglauben hielt die Männer in der Sklaverei, ob⸗
wohl die erscheinenden Geister nur verkleidete Frauen waren. In dieses Ge—
heimnis wurden die Mädchen zu einer bestimmten Periode eingeweiht. Aber
eines Tages wurde der Betrug entdeckt, und die Männer richteten nun ein Blut—
bad unter den Weibern an und ließen nur die kleinen Mädchen am Leben.
Von jetzt an wurden die Jünglinge in einem ähnlichen Fest in die Gebräuche
und Geheimnisse des Stammes eingeweiht. ä
Die Hütten der Ona sind natürlich wegen der Armut des Landes und
des ewigen Herumwanderns sehr armselig. Wollen sie länger an einem Ort
derweilen, treiben sie in einem Kreise Pfähle in den Boden und vereinigen sie
234 Vierter Teil. Die Naturvölker Amerikas.
oben, so daß sie kegelförmige Gestalt erhalten. Die Zwischenräume zwischen
den Pfählen werden mit Rasen ausgefüllt. Auf der Wanderung begnügen sie
sich oft mit einer schrägen Wand, die gegen Wind und Regen notdürftig Schutz
hietet. Als Kleidung benutzen die Männer Lamafelle, die zu einer Art Decke
zusammengenäht sind. Die Frauen tragen ein Lamafell wie eine Art Schürze
ind ein anderes wird um die Schultern geworfen, so daß es fast den ganzen
deib bedeckt wie bei den Männern. Die Hauptnahrung liefern die Jagd und
der Fischfang, außerdem graben sie Wurzeln aus. Als Trank dient den Ona
das Wasser. Die Bereitung berauschender Getränke scheinen sie nie gekannt zu
haben. Obwohl das Land so arm ist, enthalten sich die Eingebornen doch
mancher Speisen, sei es aus natürlichem Ekel oder aus Aberglauben.
Die Eingebornen treiben auch ein wenig Handel sowohl unter sich als auch
mit den Zivilisierten, denen sie Lama- und Fuchsfelle, Bogen, Pfeile, Körbe usw.
berkaufen, um dafür Messer, Scheren, Feuerwaffen und Kleider einzutauschen.
Die Ona glauben, daß alle ihre Krankheiten von Pfeilspitzen, Stückchen
Holz, Knochen oder Steinen kommen, die durch geheimen Zauber in ihren Leib
geraten; deshalb gebrauchen sie keine Medizinen, sondern rufen ihren Kon
zu Hilfe, den Zauberdoktor, der diese Dinge aus dem kranken Leib entfernen
muß. In phantastischem Aufputz, mit Fellen und Federn geschmückt, kommt
dieser zum Kranken und fragt die Verwandten, welchen Gegenstand er im Leib
habe. Der Kranke wird dann nackt auf ein Fell auf den Boden gelegt, es
beginnen die Teufelsaustreibungen, und schließlich reibt der Zauberer die kranke
Stelle, bläst und saugt daran zu verschiedenen Malen, bis er endlich den Gegen⸗
stand aus dem Munde zieht, den er vorher darin versteckt hatte.
Stirbt der Kranke, so erheben die Verwandten laute Klagen, sie schneiden
sich die Haare so ab, daß sie eine große Tonsur erhalten, die sie rot färben;
den Leib zerschlagen sie sich mit Muscheln. Die Leiche wird in Lamafelle ein—
gewickelt, mit Schnüren zusammengebunden und in beträchtlicher Tiefe begraben,
damit die Füchse sie nicht ausscharren, und zwar immer mit dem Angesicht nach
unten. Warum sie das tun, wußten sie selbst nicht anzugeben. Nach dem
Begräbnis versammeln sich die Verwandten und Freunde um das Feuer drei⸗
mal im Tage, und zwar eine Reihe von Tagen hintereinander, um den Toten
zu beklagen, einer singt vor und die andern antworten in klagender Melodie.
Nach der Zeremonie trennt man sich und lacht und scherzt, als ob nichts Trau⸗
riges vorgekommen wäre. Die Hütte des Verstorbenen wird verbrannt und sein
Wohnplatz verlassen. Die Verwandten, besonders die Frauen, erzeigen ihren
Verstorbenen noch lange ihren Schmerz durch Klagelieder. Alle zeigen einen
großen Abscheu gegen das Berühren einer menschlichen Leiche; wer eine Leiche
zufällig berührt hat, muß sich sofort waschen.
Weil es so schwierig ist, die Sprache der Feuerländer zu erlernen, und diese
in Bezug auf die Religion sehr zurückhaltend sind, wurden sie lange für
oöllig religionslos gehalten. Schon Darwin sagte: „Wir haben keinen Grund
zur Annahme, daß sie irgend einer Religionsregel folgen.“ Das ist nach der
Angabe der Missionäre falsch. Sie geben zwar zu, daß die Ona keine klare
Bove, Patagonia usw. 72.
3. Die Feuerländer.
235
Idee von Gott als dem ersten Prinzip und dem Endziel aller Dinge haben,
wohl aber glauben sie an eine höhere und unsichtbare Welt von Geistern
und an ein Jenseits.
AÄber die Religion der Ona schreibt Msgr. Ferdinand Terrien!: „Sie
haben die Idee von einem guten und einem bösen Geist, erweisen
ihnen aber keinen äußeren Kult. Es ist der gute Geist, der ihnen als be—
sondere Gunst den Schiffbruch mit reichen Vorräten versehener Dampfer an ihrer
Küste gewährt, die ihnen Nahrungsmittel ohne Arbeit verschaffen. Ihm schreiben
sie auch die großen Massen von Fischen zu, welche die Flut bei der Ebbe auf
dem Trockenen zurückläßt. Ihr Glaube an den bösen Geist offenbart sich besonders
bei Krankheitsfällen. Der Zauberer wird dann gerufen, um z. B. eine nicht
seltene Unverdaulichkeit zu heilen; er streckt den Patienten auf dem Boden aus,
fängt an ihn zu reiben, mit Händen und Füßen zu schlagen und nach allen
Seiten umzuwenden. Dabei bläsft er kräftig und stößt ein wildes und rauhes
Geschrei aus. Diese Operationen haben den Zweck, das Übel aus dem Leibe
zu entfernen und herauszuziehen, das nach ihrer Ansicht nur der böse Geist ist.“
„Die Ona“, berichtet Bove?, „glauben nicht nur etwa dunkel, sondern klar
und ausdrücklich an das Dasein, die Unsterblichkeit und die Metem—
psychose der Seelen, an einen freudenvollen oder schmerzlichen
Aufenthaltsort derselben nach dem Tode des Leibes, ja selbst an
ein ziemlich verwickeltes mythologisches System.“
Schon frühere Reisende hatten dasselbe bemerkts. Bove sagt, die Feuer—
länder glauben, daß der Geist den Körper verläßt und durch die Wälder und
über die Berge irrt, unruhig und leidend, wenn er im Leben böse
war, freudig und ruhig, wenn er gut war. Auch nach J. G. Garson“
glauben die Feuerländer an einen schwarzen Mann, der alle Werke und Hand⸗
lungen der Menschen kennt und dem niemand entgehen kann.
Die Ona haben auch zahlreiche mythologische Erzählungen, in denen besonders
ein gewaltiger Riese Kuanip eine große Rolle spielt. Er wurde aus der Erde
und einem Felsen geboren; oft wird von ihm behauptet, er könne alles, und
auf seinen Befehl sei einst die Erde von einer ungeheuern Flut überschwemmt
worden; ebenso wird die Scheidung von Tag und Nacht auf ihn zurückgeführt.
Wir haben hier wohl einen Überrest der Idee eines allmächtigen Schöpfers.
Eine eigentliche Regierung scheinen die Ona nicht gehabt zu haben; eine
Bevorzugung der einen über die andern wird durch Alter, Scharfsinn und Kühn—
heit erworben. In den Familien und Klans, in welche die Stämme zerfallen,
wird der Ausspruch der alten Männer von den iüngeren Leuten als Gese
betrachtet.
Der moralische Charakter der Ona“, schreiben die Missionäre, „ist nach
dem Urteil derjenigen, die lange und vertraut mit ihnen verkehrt haben, im
wesentlichen der gleiche wie der jedes andern Menschen. Allerdings finden wir
Missions catholiques 1898, 309.
Vgl. Globus XLIII (1883) 159.
Journal of the Anthropological Instituto of Great Britain and Ireland XV
(1886) 145.
1
2 Patagonia usw. 76.
236 Vierter Teil. Die Naturvölker Amerikas.
hei ihnen nicht die Spuren der christlich-ethischen Prinzipien. Sie haben nur
das natürliche Licht der Vernunft, und auch dieses ist oft genug infolge des
elenden Lebens, zu dem sie ihre Armut zwingt, verdunkelt. Deshalb ist auch
nicht zu verwundern, daß sie sich indolent, apathisch, lügnerisch, diebisch, auf⸗
hrausend, unbeständig und — besonders die Weiber — rachsüchtig zeigen.
Diesen Fehlern, die jedoch nicht einfachhin allgemein sind, halten das Gleich—
gewicht die Herzensgüte gegen ihre Wohltäter, die Gastfreiheit, die Gelehrigkeit
m Befolgen der Ratschläge, die Sanftmut ihres Charakters gegen alle, die sie
gut behandeln, das Verlangen, sich zu unserer Bildung zu erheben, besonders
in religiöser und sittlicher Beziehung. Allerdings kamen diese guten Eigenschaften
in Gegenwart der Feindseligkeit der zivilisierten Abenteurer nicht zur Entfaltung;
es bedurfte der Liebe der Missionäre, damit sie auch dem Europäer jene guten
Eigenschaften zeigten, die sie schon unter sich in ihren Privatbeziehungen an den
Tag legten. Das erklärt, wie leichtfertige und der Sprache des Landes un⸗
kundige Reisende aus ihrer physisch elenden Lage verleitet wurden, auch über
ihren moralischen Charakter so ungünstig zu urteilen.“
„Ebenso kann man in Bezug auf ihre Intelligenz wiederholen, was Norden⸗
skiöld sagte: Sie sind eher des Mitleids als der Verachtung würdig. Was
wir von ihren Werkzeugen und ihrer Industrie gesagt haben, beweist, daß sie
eine mehr als mittelmäßige Intelligenz haben: ‚die Waffen, die Schmuchsachen,
die Art der Feuerbereitung, die Nahrung sind das beste, was ihnen überhaupt
jhre heutigen Umstände erlaubten‘. Als Nordenskiöld die Stationen und Leistungen
der Missionäre besucht hatte, schrieb er: ‚Nachdem ich die Erziehung der Kinder
gesehen, ihre Spiele, ihre nach dem Geschlecht verschiedenen Arbeiten, die Arbeiten
der Männer in den Werkstätten, in der Sägerei, auf dem Feld und bei den
Herden, glaube ich, daß nach wenigen Jahren schon viele nützliche Glieder der
Besellschaft daraus hervorgehen werden.““
II. Die Yagan.
Nach Karl Skottsbergs haben die Yagan „keine religiösen Ideen und
oerehren nichts; doch ist klar, daß sie die Kräfte der Natur fürchten müssen,
die sie nicht erklären können“. Das sind nur aprioristische Behauptungen.
Wahr ist, daß der religiöse Glaube der Yagan sich auf die Annahme eines
wohlwollenden und eines bösartigen Gottes beschränkt, und der eine nicht mehr
uind nicht weniger als der andere verehrt wird. Curspic ist der Teufel, der sie
zuweilen durch Wind, Regen und Schnee wegen ihrer Gleichgültigkeit straft.
Der Regenbogen wird als Bote seines Zornes angesehen, die Frauen und Kinder
fürchten sein Erscheinen sehr, die Männer dagegen verwünschen ihn und spucken
aach ihm“. Über die Sündflut besitzen die Yagan eingehendere Sagen als die
ODna. So erzählt ein Yaganstamm bei Uschuaia, der Mond sei einst ins Meer
gefallen, infolge davon sei das Wasser so hoch gestiegen, daß nur die Spitzen
GCojazzi, Contributi al Folk-Lore usw. 97. 2 Ebd. 98.
3 The Wilds of Patagonia; a Narrative of the swedisb Expedition to Patagonio,
Tierra del fuego and the Falkland ISlands in 1907 -1909, London 1911, 98.
Bove, Patagonia usw. 189. Globus XLIII (1888) 159.
3. Die Feuerländer.
237
der Berge aus dem Wasser schauten; auf diese konnten sich einige schnell retten.
Als der Mond zum Himmel zurückkehrte und die Wasser sanken, fanden sie
unten in einer Lagune einen toten Walfisch, den sie aßen. Nach einem andern
HYaganstamm sollten sich die Menschen nicht auf eine Bergspitze, sondern auf
eine Insel gerettet haben, die sich vom Meeresgrunde losriß und wie eine
Barke auf der Oberfläche schwamm, bis sich die Wasser verliefen.
Die Yagan glauben, daß eine gewisse Felsenklippe einer südlichen Insel einst
ein Mensch gewesen sei und noch jetzt die böse Zaubermacht behalten habe, jedes
Kind, das in die Nähe gebracht wird, krank zu machen. Sie glauben, daß
die sichtbaren, aber nicht betastbaren Geister der Nacht die Ursache der Krank—
heiten und des Todes seien. Sie glauben endlich an das Dasein wilder und
grausamer Männer, die Hannusch heißen und ohne Familie immer in der Ein⸗
jamkeit leben und den Indianern auflauern, um sie zu töten. Wie die Ona
schreiben auch sie die Krankheiten und den Tod den Lanzen- und Pfeilspitzen
zu, welche die Zauberer (yacamusch) aus dem Leibe zu ziehen vorgeben. Die
dabei üblichen Zeremonien, Beschwörungen, tollen Bewegungen u. dgl. sind wie
bei den Ona!.
Die Gewohnheiten und Sagen sind bei den Yagan sehr verschieden von
denen der Ona, was mit ihrer Lebensweise zusammenhängt. Sie leben fast
immer auf oder an dem Meere und daher hat auch für sie das Kanoe eine
viel größere Bedeutung. Merkwürdig ist, daß nur die Frauen schwimmen können
und nur die Mädchen diese Kunst lernen. Die Frauen treiben und lenken auch
das Kanoe, während der Mann beständig auf die Gelegenheit paßt, Fische mit
der Harpune zu treffen. Sie kennen auch ein primitives System von Segeln,
zu denen sie ein Stück Tuch und eine Haut gebrauchen. Nach dem Fischfang
ziehen sie das Kanoe ans Land in die Nähe der Hütte, die meist kegelförmig
aus zusammengeflochtenen Zweigen gebaut ist und an zwei entgegengesetzten
Seiten eine Offnung hat?. Als Waffen gebrauchen sie nur die Werkzeuge des
Fischfanges, die Harpune, welche Bove einen Wurfspieß nennt, und welche sich
bei Kämpfen in eine Lanze verwandelt, und außerdem die Schleuder. Auf das
Verfertigen von Bogen und Pfeilen verstehen sie sich nicht. Mit der Schleuder
töten sie aber Tiere auf 40—50 Schritte Entfernung mit großer Sicherheit.
Die Hauptnahrung liefert ihnen das Meer. Mit großer Kühnheit durch—
ziehen sie auf ihren gebrechlichen Kanoes alle klippenreichen Kanäle des südlichen
Archipels, ja gehen manchmal auf das offene Meer zur Jagd nach Delphinen.
Bove gesteht, daß er Darwins Buch „Reise eines Naturforschers“ gelesen hatte
und mit der Meinung zu den Feuerländern kam, sie seien Menschenfresser, sie
töteten und mißhandelten die alten Leute u. dgl., aber er mußte seine Ansichten
in den meisten Punkten korrigierens. Hyades“ lobt auch die Schamhaftig—
der Yaghan, besonders der Frauen, die nie die Schambülle (machacana)
ablegen.
Wenn einer gestorben ist, stoßen die Verwandten ein schreckliches Geheul
aus, malen Gesicht und Hände schwarz, zerreißen sich die Haare und zer⸗
Bove a. a. O. 106. 2 Ebd. 108- 100. s Ebd. 110- 111.
Tour du Monde J (1885) 408.
238 Vierter Teil. Die Naturvölker Amerikas.
fleischen sich den Leib mit Muscheln und Messern. Der Leichnam wird in einige
Lumpen eingehüllt und mit den Waffen begraben, wenn es ein Mann, mit
den Körben und den Fischereigerätschaften, wenn es eine Frau ist. Es gab
eine Zeit, wo die Yagan ihre Toten im Walde zu verbrennen pflegten, und
zwar in der Nähe des Ortes, wo er gestorben war. Dabei soll es nach Bove
dorgekommen sein, daß solche, die als tot auf den Scheiterhaufen gelegt wurden,
infolge der Hitze wieder zu sich kamen und sich von ihrem Lager erhoben!.
Heute ist dieser Gebrauch der Leichenverbrennung aufgegeben, wenn jemand in
seinen gewohnten Wohnplätzen gestorben; wenn aber jemand an einem fremden
Ort verschieden ist, verbrennen sie ihn, damit nicht etwa die Feinde seine Ge⸗
beine zu Harpunen verwenden. Als Bove von einem Indianer den Schädel
seines Vaters kaufte, wandte sich dieser mit den Worten an den Schädel:
„Lebewohl, lieber Vater; du, der du in diesem Leben nichts gesehen hast als
unsere Schneefelder und unsere Stürme, wirst jetzt nach dem Tode weit, weit
reisen. Lebewohl, möge deine Reise glücklich sein..“ Von den Seelen der
Verstorbenen glauben die Yagan, daß fsie in den Wäldern und auf den
Bergen umherschweifen, unruhig und leidend, wenn sie im Leben böse waren,
freudig und ruhig, wenn sie im Leben gut gewesen sind2.
III. Die Alacaluf.
Bei diesem Stamm haben die Salesianer schon seit 1889 Missionsstationen,
hesonders auf der Insel Dawson. Die Alacaluf sind sehr mißtrauisch, ver⸗
räterisch und verlogen. Nur nach langen Mühen gelang es den Missionären,
ihr Vertrauen zu gewinnen. Die Kanoes bauen sie meist aus Baumrinde.
Mehrere 3 oder 4 Meter lange und 1-2 Meter breite Rindenstücke werden von
den Weibern mittels biegsamer Ruten zusammengenäht. Zuweilen konstruieren
sie das Kanoe aus einem einzigen Baumstamm, den sie mit Feuer oder auch
nit Werkzeugen aushöhlen. In Bezug auf Waffen und Werkzeuge stimmen sie
ziemlich mit den Yagan überein.
Was ihre Religion betrifft, so glauben die Alacaluf an ein unsichtbares
Wesen, das sie Taquatu nennen und das sie für einen gewaltigen Riesen halten,
der Tag und Nacht in einem großen Kanoe auf dem Meer und den Flüssen
und selbst in der Luft umherfährt. Findet er auf seiner Fahrt einen Mann
oder eine Frau, die müßig und zerstreut ist, so nimmt er sie in seine ungeheure
Piroge und bringt sie weit weg in sein Haus. Besonders während der Nacht
fürchten die Alacaluf die Begegnung mit diesem schrecklichen Wesens.
Sie glauben, daß die Guten nach dem Tode in einen köstlichen Wald
ziehen, um sich da zu sättigen an allen Dingen, die ihnen im Leben gefielen:
Fischen, Meerfrüchten, Vögeln usw.; die Bösen dagegen werden in eine tiefe
Grube geschleudert, aus der sie nie mehr heraus können:.
Wir fügen noch einige Zeugnisse von Reisenden über die Feuerländer bei.
Aus den eigenen Schilderungen Darwinss ergibt sich, daß die Feuerländer regel⸗
t Bove, batagonia usw. 111. 2Ebd. 138.
Cojazzi, Contributi al Folk-Lore usw. 124. Ebd. 125.
Nalturwissenschaftliche Reisen J (1844) 285. Schneider, Naturvölker II 71.
3. Die Feuerländer.
239
rechte Begriffe von Tausch, Eigentum, Wahrhaftigkeit und ehelicher
Treue besaßen. Die Familie ist wohlgeordnet, aber eine eigentliche Stammes—
organisation existiert bei ihnen nicht. Es darf uns dies nicht wundern, da das
Land ihnen wenig Nahrung bietet und deshalb nur kleine Gruppen beisammen
bleiben können. Auch müssen sie fast beständig auf Wanderungen sein, um sich
ihren Unterhalt zu verschaffen, so daß es zu einer größeren sozialen Organisation
nicht kommen kann und dazu auch kein Bedürfnis vorhanden ist. Sowohl nach
Hyades als nach Bove ist die Freigebigkeit ein hervorstechender Charakterzug
der Feuerländer. Daß sie den Mord eines Stammesgenossen als strafwürdiges
Verbrechen ansehen, bekundet die Erzählung eines Feuerländers: nach dem Mord,
den sein Bruder an einem wilden Manne begangen, hätten lange Zeit Stürme
geherrscht und sei viel Regen und Schnee gefallen.
Hyades behauptet von den Feuerländern: „Sie haben fast gar keine ab—
strakten Begriffe. Es hält schwer, genau zu bestimmen, was sie einen guten
und einen bösen Menschen nennen; jedenfalls aber haben sie keinen Begriff
bon gut und böse, abgesehen davon, daß sie diesem oder jenem Individuum
oder Gegenstand die eine oder andere dieser Eigenschaften zuschreiben.““ Nun,
wenn sie die Individuen unterscheiden und die einen gut, die andern böse
nennen, so haben sie doch den Allgemeinbegriff von gut und böse. Sie haben
ja auch den Begriff der Gerechtigkeit, den Begriff von Schuld und Strafe.
Im Feuerland ist Totschlag, wie Bridges bemerkt, selten, da das Menschen—
leben als heilig gilt. „Der Mörder wird geächtet; von allen gemieden, ist
er dem Verhungern ausgesetzt oder der Gefahr, von freiwilligen Rächern er—
schlagen zu werden.““ „Die Feuerländer pflegten zwar die Schiffe, die ihre
Küsten besuchten, zu bestehlen. Wenn man ihnen aber Geschenke gab und ein
für ein Kanoe bestimmtes Geschenk in die Nähe eines andern fiel, so wurde
es unweigerlich dem richtigen Eigentümer übergebens. Nach Bridges werden
die Kinder vom Vater belehrt, nicht zu stehlen; wenn aber ein Diebstahl be—
gangen und der Schuldige entdeckt und gezüchtigt worden, ist die öffentliche
Meinung befriedigt.“ Die Feuerländer sollen viel lügen und übertreiben,
Hier wäre genau zu bestimmen, was eine Lüge ist. Nicht jede landesübliche
übertreibung ist schon eine Lüge. Snow spricht von ihrer „Ehrlichkeit, die sie
ohne allen Zweifel bei vielen ihrer Geschäfte an den Tag legen“; und Darwin
stellt fest, daß der junge Feuerländer an Bord des „Beagle“ „dadurch, daß er
in den heftigsten Zorn geriet, deutlich zeigte, daß er den Vorwurf, ein Lügner
zu sein — der er in der Wirklichkeit auch war — sehr wohl verstand“6.
—
mBei Westermarck, Ursprung und Entwicklung der Moralbegriffe J 110.
Ebd. 280. s Vgl. Darwin a. a. O. J 235.
Bei Westermarck a. a. O. II 2. s Ebd. 64.
Fünfter Teil.
Australien und Ozeanien.
Vorbemerkung.
Zwei nach physischen und psychischen Eigenschaften verschiedene Menschen⸗
rassen bevölkern Australien und die Inseln des Stillen Ozeans (Ozeanien). Die
eine ist dunkelfarbig, fast schwarz, von ziemlich häßlichem Körperbau, wild und
steht auf einer sehr niedrigen Kulturstufe. Man bezeichnet sie gewöhnlich als
die melanesische Rasse. Sie bewohnt den südwestlichen Teil des Großen
Ozeans: Neuguinea, den Bismarckarchipel, Neu-Irland, die Salomonsinseln und
den Fidschi-Archipel. Die nächsten Verwandten zu diesen Melanesiern sind die
Australkneger, die Ureinwohner von Australien und Tasmanien. Alle diese
Völkerschaften bilden, wie es scheint, die Reste eines uralten Zweiges der
Menschenfamilie, der einst größere Gebiete bevölkerte, aber aus diesen durch höher
entwickelte und begabtere Volker mehr und mehr verdrängt wurde.
Die zweite Rasse ist von lichterer Hautfarbe, zeigt durchschnittlich einen
schönen, regelmäßigen Körperbau und steht in der Kultur höher. Man be—
zeichnet sie gewöhnlich als malaiisch-polynesische Rasse. Ihre nächsten
Verwandten sind die malaiischen Völker, welche die Halbinsel Malakka, Borneo,
Celebes, die Molukken und die Philippinen bewohnen. Diese Rasse zerfällt
wieder in zwei Gruppen: die Mikronesier und die Polynesier im
engeren Sinn. Die Mikronesier haben die westliche Hälfte der großen
Inselkette inne, von der Kingsmillgruppe bis zu den Palaosinseln; die Poly⸗
gesier die östliche Hälfte von den Samoa- und Tonga-Inseln bis zur Oster⸗
insel, den Sandwichsinseln und Neuseeland. Man kann die Mikronesier als
ein Zwischenglied zwischen der malaiischen und polynesischen Rasse ansehen.
Sie nähern sich in der Hautfarbe den Papuanern und zeigen im Körperbau
den malaiischen Typus; ihre einzelnen Stämme sprechen sehr verschiedene
Sprachen, während die eigentlichen Polynesier trotz der großen Entfernungen
dieselbe Sprache, wenn auch in verschiedenen Dialekten, reden. Infolge der
bielen Wanderungen und Mischungen sind aber die einzelnen Rassen schwer
auseinanderzuhalten. Wir beginnen unsern Rundgang mit dem australischen
Festland und Tasmanien, ziehen dann nördlich über die Torresstraße nach
Neuguinea, dem Bismarckarchipel, Neumecklenburg, Neupommern und besuchen
die Inseln mit vorwiegend melanesischer Rasse: die Salomonen, Neuhebriden,
Neukaledonien und den Fidschi⸗Archipel; dann folgen die Mikronesier auf den
1. Allgemeine Charakteristik der südöstlichen Australneger. 241
Palau-Inseln, den Marianen, Karolinen, Marshall- und Gilbertinseln, und end—
lich die Polhnesier im engeren Sinne: auf den Tonga-, Samoa⸗-, Gesellschafts⸗,
Markesasinseln, auf Tuamotu, Hawaii usw., und die Neuseeländer.
Erster Abschnitt.
Das australische Festland und Tasmanien.
Erstes Kapitel.
Die Eingebornen Südost-Australiens.
4. Allgemeine Charakteristik der südöstlichen Australneger.
Über die Eingebornen im Südosten Australiens (Neusüdwales) hat vielleicht
keiner eingehendere Studien gemacht als A. W. Howitt. Schon früher hatte
dieser Forscher zahlreiche Abhandlungen über die Sitten und Gebräuche der
australischen Stämme im Südosten (vom Wendekreis des Steinbocks im Norden
bis zur Meerenge zwischen Ausiralien und Tasmanien) veröffentlicht. Im Jahre
1904 faßte er die Ergebnisse seiner Forschungen zusammen in dem Werke The
nativo Tribes of South-Bast Australia!. In der Vorrede bemerkt er:
„Das Material zu diesem Werke wurde während der letzten 40 Jahre ge—
sammelt. Schon während meiner Forschungsreise in Zentralaustralien, wo ich
mit zwei Stämmen in nahe und freundschaftliche Berührung kam, die in voll—⸗
ttändiger Wildheit lebten, habe ich damit angefangen. Später erlangte ich durch
derschiedene Umstände einen bedeutenden Einfluß über Stämme in Südost—⸗
australien und wurde mit ihren religiösen Gebräuchen bekannt, ja konnte den—
selben sogar beiwohnen.“ Seit 1873 arbeitete er im Verein mit Lorimer Fison
zur Erforschung der Verwandtschaftsbeziehungen unter den Eingebornen. Außer—
dem stand er in Korrespondenz mit vielen Männern, die über Ost- und West—⸗
australien zerstreut lebten und ihm reiches Tatsachenmaterial lieferten. In den
Tatsachen, die er berichtet, verdient Howitt volles Vertrauen.
Anders verhält es sich freilich mit der Deutung der Tatsachen und den
daraus gezogenen Schlüssen. In dieser Beziehung wird man oft anderer Ansicht
sein. Er hat seine bestimmten Entwicklungsideen, die sich vielfach an die von
Tylor anschließen und oft sehr fragwürdiger Natur sind. Da wir uns aber
nur mit Ethnographie befassen, gehen wir darauf nicht näher ein. Man kann
darüber A. Lang? und besonders P. W. Schmidt 8. V. D.s, den gelehrten
Herausgeber des „Anthropos“, nachlesen.
Howitt zählt die Dieri am Eyresee zu den südöstlichen Australiern und
nimmt sie meist zum Ausgangspunkt seiner Schilderungen. Wir ziehen es vor,
dieselben später bei Besprechung der Eingebornen von Zentralaustralien eingehend
zu behandeln.
London 1904. 2 The Making oft Religion?, London 1900.
3 Der Ursprung der Gottesidee, Münster 1912.
Tathrein, Die Einheit d. sittl. Bewußtseins. III.
242
Fünfter Teil. Australien und Ozeanien.
Nach Howitt sind die Stämme im Südosten Australiens fast ausnahmslos
in wenigstens zwei exogame Hälften oder Klassen eingeteilt. Nennen wir
die beiden Hälften A und B, so darf ein Glied der Klasse A nie ein Glied
derselben Klasse, sondern nur eines der Klasse B heiraten und umgekehrt. Diese
Klassen werden bei vielen Stämmen wieder in zwei oder vier oder noch mehr
Unterklassen oder Gruppen eingeteilt, unter denen ebenfalls das Verbot der
Endogamie herrscht. Bei einigen Stämmen bestimmt sich die Zugehörigkeit der
Kinder zu einer Klasse oder Gruppe und ebenso ihr Name nach der Mutter
(weibliche Linie), bei andern nach dem Vater (männliche Linie). Jede Familien⸗
gruppe hat eine Art heiliges Familienwappen (Kobong oder Totem), d. h. irgend
einen der Familie heiligen, mit ihr in geheimnisvoller Beziehung stehenden
Begenstand (sehr oft ein Tier), von dem sie den Namen trägt. Dasselbe Totem
findet sich in beiden Klassen. Die Totemangehörigen gelten als Blutsverwandte,
und eine Ehe unter ihnen wird als Blutschande betrachtet und bestraft. Die
Herleitung des Totems und Familiennamens vom Vater (männliche Linie) hat
die Wirkung, daß die Totemangehörigen auch örtlich voneinander geschieden
sind, was bei der weiblichen Linie nicht der Fall ist. Viele nehmen an, die
weibliche Linie sei die ursprüngliche Bestimmung der Gruppenangehörigkeit, aus
der sich erst später auf einer höheren Stufe die väterliche Linie entwickelt habe.
Doch ist das mehr als zweifelhaft!.
Die meisten australischen Stämme halten keine Sitte heiliger als die Exo—
gamie, die sie vielfach als eine göttliche Einrichtung ansehen?. Um die Ver—
wandten genau auseinanderzuhalten, haben sie sehr spezialisierte Namen für die
verschiedenen Gruppenangehörigen. Während die europäischen Sprachen mit
dem Sammelnamen Onkel sowohl den Bruder des Vaters als den der Mutter
bezeichnen, haben die Australier keinen solchen Sammelnamen, sondern einen
eigenen Namen für den Bruder des Vaters und einen andern für den Bruder
der Mutter. Ebenso haben sie verschiedene Namen für den Großvater oder die
Großmutter väterlicher- und mütterlicherseits.
Bei oberflächlicher Betrachtung scheinen die australischen Stämme keine poli⸗
ktische Organisation zu haben. Bei näherem Zusehen aber findet man,
daß sie irgend eine Autorität anerkennen. Jeder Stamm hat seine Stammes⸗
gesetze, die allen wohlbekannt sind und ihr Verhalten regeln. Es gibt nicht
nur zahlreiche Ehegesetze, sondern auch Gesetze in Bezug auf die geheimen Zere—
monien des Stammes, die manche Speisen verbieten usw., und zur Beobachtung
dieser Gesetze werden alle durch strenge Strafen, zuweilen sogar durch die Todes⸗
strafe angehalten. Manche Gesetze wurden zwar von keiner menschlichen Obrig⸗
keit sanktioniert, sie wurden aber doch beobachtet aus Furcht vor übernatürlicher
Strafe, die den Übertretungen nach ihrem Glauben auf dem Fuße folgte. Kein
Gesetz wurde strenger beobachtet als z. B. das Gesetz, daß ein Mann nie seiner
Schwiegermutter nahen darf. Selbst eine zufällige Berührung konnte bewirken,
daß ein Mann gezwungen ward, seinen Distrikt zu verlassen, während seine
Frau zu den Verwandten zurückkehrte.
Vgl. darüber W. Schmidt, Der Ursprung der Gottesidee 181-182.
Howitt. Tho native Tribes usw. 90.
1. Allgemeine Charakteristik der südöstlichen Australneger. 243
Die Übertretungen anderer Gesetze wurden von einer Art öffentlicher Autorität
oder Exekutivgewalt bestraft. Meistens war diese Gewalt in den Händen der
Alten oder der eingeweihten Männer, an deren Spitze ein Obmann stand. Bei
allen Stämmen fanden, wenn wichtige Fragen auftauchten, Versammlungen der
alten Männer statt, die bei vielen Stämmen von einem Stammesoberhaupt ein⸗—
berufen und geleitet wurden. Manche von diesen Stammeshäuptern waren zu—
gleich Medizinmänner. Bei einigen Stämmen wurde der älteste Mann des
Stammes als eine Art Oberhaupt anerkannt, nur im Kriege wurde ein er—
fahrener Kriegsmann von den alten Männern zum Führer gewählt und durch
Rat unterstützt. Bei den südlichen Stämmen der Kamilaroi gab es in jeder
Stammesabteilung zwei oder drei Häupter. Ihre Stellung gab ihnen Einfluß
und Ansehen, wenigstens wenn sie sich durch persönliche Tapferkeit auszeichneten.
Die Würde war aber nicht erblich, sondern wer sich durch Geschick und Tapfer—
keit auszeichnete, wurde ohne ausdrückliche Wahl als Führer anerkannt. Das
älteste von diesen verschiedenen Häuptern galt gewöhnlich als das Oberhaupt
des ganzen Stammes, das große Autorität genoß, da überhaupt das Alter bei
den Kamilaroi und bei den meisten andern Stämmen in hohem Ansehen stand!.
Vielfach hatte auch jedes Totem, d. h. die Gesamtheit derer, welche dasselbe
Totem besaßen, sein Oberhaupt; außerdem gab es ein lokales Oberhaupt für
jede Ortsgruppe. Der Hauptmann berief sein Volk zusammen, so oft es nötig
war. Bei solchen großen Versammlungen wurden Angelegenheiten von öffent—⸗
lichem Interesse besprochen, namentlich die zu ergreifenden Maßregeln bei
Mord, bei Entführung von Frauen, Ehebruch u. dgl.e Fast in allen
Stämmen unterrichteten die alten Männer die jüngeren in den Stammesgesetzen,
indem sie ihnen ein nach ihren Begriffen bescheidenes und geziemendes Betragen
empfahlen und auf die Verabscheuungswürdigkeit des Inzestes hinwiesen. Die
alten Frauen unterwiesen in ähnlicher Weise die jungens.
Eigentliche erbliche Häuptlinge scheinen nur bei wenigen Stämmen gewesen
zu sein, doch wurde oft der Sohn des verstorbenen Obmannes andern vor⸗
Jezogen, wenn er die nötigen Eigenschaften hatte. Wenn wir von Häuptlingen
reden, darf dieses Wort nicht in dem strengen Sinn genommen werden, den
es bei vielen Stämmen Afrikas und Amerikas hat. Der Häuptling ist ent⸗
weder der Stammvater einer Gruppe oder der älteste und erfahrenste Mann
in derselben, dem man wegen seines Alters und seiner Klugheit sich unterwirft.
Als im Jahre 1788 Sydney gegründet wurde, lebten die Eingebornen an der
Botany Bah, Port Jackson und Broken Bay in zerstreuten Familien, deren
Haupt oder Ältester von den übrigen Unterwerfung verlangte. Wenn die Eng—
länder zu solchen Familien kamen, so wurden sie immer von der Person an—
geredet, welche die älteste derselben zu sein schien, während die Frauen, jungen
Leute und Kinder in einiger Entfernung blieben. Letztere nannten die alte
Person „Vater“. Als die Eingebornen später die Autorität sahen, mit der
Gouverneur Phillip gebot, und die Strenge, mit der er Gehorsam forderte,
nannten sie ihn ebenfalls Vater (Beo-anna), und zwar ihn allein, obwohl sie
die Autorität sahen, mit der die Herren über ihre Diener geboten, woraus die
Ebd. 302. 2 Ebd. 303. 3 Ebd. 8300.
244 Fuünfter Teil. Australien und Ozeanien.
wahre Bedeutung des Wortes „Vater“ klar hervorgeht. Sie beweist, daß die—
jenigen, welche diesen Titel erhielten, den Rang eines Oberhauptes einnahmen!.
Sehr einflußreich sind bei den Australiern wie bei den meisten Naturvölkern
die Zauberdoktoren oder Medizinmänner, die bei den verschiedenen
Stämmen verschiedene Namen haben. Sie verursachen nach dem Volksglauben
Krankheiten oder heilen sie, sie können auch Regen machen, und zwar alles das
infolge ihres Verkehrs mit übernatürlichen Wesen, die bei den Kurnai Brewin,
bei den Wurunjerri Ngarrang heißen und den Menschen oft Böses zufügen.
Sie sind nur den Zauberern sichtbar; und diese verstehen es, den bösen Zauber
aus dem Leibe zu saugen. Obwohl bei diesen Medizinmännern mancherlei
Betrug vorkommt, so glauben sie doch alle an das Vorhandensein geheimnis⸗
voller Zauberkräfte, und selbst die, welche sich der Betrügereien schuldig machen,
glauben fest an die Zauberkräfte der andern Medizinmänner. Es ist oft schwer
zu entscheiden, wo bei diesen Leuten der persönliche Glaube an ihre Zauber⸗
kräfte aufhört und der bewußte Schwindel beginnt. Die südostauftralischen
Stämme glauben allgemein, daß der Tod die Wirkung des Zaubers sei. Sie
meinen, der (geheime) Zauberer könne unsichtbar Dinge in seine Opfer hinein⸗
werfen, namentlich kristallisierten Quarz. Die Zauberer führen auch stets solche
Quarzstücke in ihrem Beutel bei sich.
Allgemein ist bei den Südostaustraliern der Glaube, daß jeder Mensch
eine Seele hat, die beim Tode sich vom Leibe trennt und entweder
in die Wolken zieht oder auf Erden herumschweift. Die Narrinyeri glauben,
die Seele gehe in die Wolken hinauf, nach Wai-irrewarra?. Ihre Nachbarn,
die Buandik, glaubten, es gebe zwei Geister im Menschen, die sie Boong
nannten. Beim Tode geht der eine Geist nach Westen ins Meer und kommt
dann als weißer Mann zurück (wohl ein Zusatz zu dem ursprünglichen Glauben,
der erst aus der Zeit der europäischen Einwanderung datiert), der andere geht
in das Wolkenland. Alle Stämme der Wotjo-Nation glaubten, der Geist der
Menschen (Gulkan-Gulkan) könne den Leib schon zu Lebzeiten verlassen, z. B.
wenn er hingeht, um die Leiche irgend eines Menschen zu sehen, der bösem
Zauber zum Opfer gefallen ist. Nach dem Tod kann der Geist seine Freunde
im Schlafe besuchen und sie beschützen. Die Wurunjerri sind der Ansicht, jede
Person habe einen Geist in sich, den sie Murup nennen und der nach dem
Tode ein Geist oder Gespenst wird. Dieser Geist kann schon im Leben zu—
weilen den Leib verlassen. Derselbe Glaube herrscht bei den Kurnai, die die
Seele Yambo nennen, bei den Yuin Gommeras, den Wiimbaio usw. Die
Theddora glaubten an ein anderes Land jenseits der Wolken, in dem nur
Schwarze lebten. Die Ngarigo, ihre Nachbarn, meinten, der Geist eines Ver⸗
storbenen (pulabong) ziehe hinauf in den Himmel, wo ihnen Daramulun ent⸗
gegenkomme und für sie sorge. „Dieser Glaube an das Dasein der menschlichen
Geister nach dem Tode ist weithin über die östliche Hälfte des Kontinents ver⸗
hreitet und berechtigt zur Annahme, daß er sich auch bei den dazwischen liegen⸗
den Stämmen finde.“ Schon Collins berichtet in seiner Schilderung der Ein⸗
gebornen bei Vort Jackson, daß einige glaubten, die Seele gehe nach dem Tode
Aowitt. The native Tribes usw. 315. —XX
1. Allgemeine Charakteristik der südöstlichen Australneger. 245
über das große Wasser, die meisten aber angaben, die Seele ziehe in die
Wolkenn. Doch meinten auch manche, wie z. B. die Wiradjuri, daß der Geist
der Verstorbenen noch in der Nähe herumschweife, seine Wohnung in irgend
einem großen Baume aufschlage und zuweilen sich auf das Grab setze, wo ihn
die Medizinmänner sehen konnten. „Aus diesen Tatsachen folgt offen—
bar, daß der Glaube an das Dasein des menschlichen Geistes
nach dem Tode und an seine Fähigkeit, mit den Lebenden im Schlafe zu
verkehren, ganz allgemein ist. Dieser Geist findet seinen Weg in das
Wolkenland, wo er in einer Gegend lebt, die der Erde gleicht, nur fruchtbarer,
besser bewässert und reichlicher mit Wild versehen ist.“
Der Glaube, daß die Geister der Toten es hören, wenn man von ihnen
spricht, und dadurch erzürnt werden, ist auch der Grund der allgemeinen Scheu der
Eingebornen, den Namen des Toten zu nennen. Weit verbreitet war auch die
Ansicht, daß die Weißen, die ins Land kamen, wiedererstandene Geister der
verstorbenen Australier seien. Mehrere Stämme, wie z. B. die Yaurorka und
Marula, essen das Fett der Verstorbenen, andere essen auch das Fleisch. Die
Tangara z. B. tragen die Überreste der Toten in einem Sack mit sich, und
so oft sie traurig sind, essen sie etwas von dem Fleisch der Leiche, bis nur
noch die Gebeine übrig sind. Diese werden aufbewaährt, bis eine Flut kommt,
und dann als „Fischsamen“ in die Fluten geworfen. Die Yerkla-mining lassen
die Toten einfach im Stich. Sobald der Tod naht, wird der Sterbende mög—
lichst bequem neben ein Feuer gelegt, und dann verläßt der Stamm den Ort
und kehrt lange nicht wieder zurück. Sie scheinen eine große Angst vor der
Leiche zu haben, doch behandeln sie die Kranken und Verwundeten mit großer
Liebe. Der Medizinmann muß alle seine Künste aufwenden, um den Zauber,
die Ursache der Krankheit, abzuwenden; stirbt der Kranke, so muß der nächste
Verwandte den Tod rächen und den Schuldigen weniqstens mit einem Speer
derwunden 8.
Die Kukata begraben ihre Toten sofort und legen in das Grab die großen
Speere und andere Waffen und auf dasselbe ein Trinkgefäß für den Ver—
storbenen, damit er seinen Durst stillen könne. Ein Grabstock wird auf das
Grab gelegt, um die bösen Geister fernzuhalten. Die Narrang-ga tragen die
Leiche des Verstorbenen einige Wochen in einer Art Sarg mit sich herum und
begraben sie dann, indem sie ihr die Knie an das Kinn heranziehen. Hastig
legt man sie in das Grab, füllt dieses schnell zu und zündet darauf ein Feuer
an. Dann verlassen alle den Ort. Nach dem Tod schlagen die Geister eine
andere Richtung ein, je nach der Abteilung, der sie angehörten. Die Tonga—
ranka begraben die Leichen in sitzender Stellung und mit ihr alle Werkzeuge
des Verstorbenen. Bevor das Grab zugeschüttet wird, stellt sich der nächste
Verwandte an dasselbe und erhält einige Schläge mit der Spitze eines Bume—
rangs, und das herausfließende Blut läßt er auf die Leiche fallen. Das Grab
wird gewöhnlich auf einem Sandhügel errichtet. Auf dem Grabhügel wird ein
Loch wie ein Nest angebracht, in das man einige eiförmige Steine legt. Über
dem Grab errichtet man ein kegelförmiges Dach aus Zweigen.
Ebd. 438. 2 Ebd. 440. s Ebd. 450.
246 Fäünfter Teil. Australien und Ozeanien.
Der Stamm der Mukjarawaint ließ die Leiche zwei oder drei Tage im Lager
liegen. Dann wurde sie festgebunden, so daß die Knie an das Kinn gezogen
waren und die Hände auf den Schultern ruhten. Die Verwandten des Ver⸗
storbenen wehklagten neben der Leiche und schnitten sich etwa eine Woche lang
mit Tomahawks, schließlich wurde sie in einen hohlen Baum oder auf ein Ge⸗
rüst gelegt, und nach einigen Wochen verließ man auf längere Zeit das Lager.
Fand man bei der Wiederkehr die Leiche getrocknet, so wurden der Kopf und
die Arme abgeschnitten, von der Frau des Verstorbenen mit sich herumgetragen
und später mit ihr begraben. Einige Knochen wurden als Zaubermittel ver—
wendet. Bei einigen Stämmen wurden die Leichen der älteren Leute nicht be—⸗
graben, sondern verbrannt.
Allgemein besteht bei den Südostaustraliern der Glaube an das Dasein
gewisser höherer Wesen, die einst auf Erden existierten, in vielen Dingen
von den jetzt lebenden Menschen verschieden waren und von einigen Alcheringa,
d. i. Vorfahren, Mura-muras oder Muk-kurnai genannt werden. Alle glauben
an eine Urzeit, bevor die Menschen existierten; damals war die Erde von diesen
geheimnisvollen und mythischen Wesen bevölkert. Wenn diese Wesen auch nicht
die Menschen schufen, so haben sie sie doch aus unförmlichen, kaum menschlichen
Kreaturen zu wahren Menschen gemacht!.
Über diesen mythischen Wesen steht nach dem Glauben der Südostaustralier
ein anderes Wesen, das eine eigentümliche Stellung einnimmt und bei ver—⸗
schiedenen Stämmen verschiedene Namen hat. Die Narrinyeri nennen dieses
zöchste Wesen Nurrundere und Martummere. Es soll alle Dinge auf
Erden geschaffen haben. Es gab den Menschen die Kriegs- und Jagdwaffen
und ordnete alle Zeremonien und Riten an, welche bei den Eingebornen in
Ubung sind, mögen sie sich auf das Leben oder den Tod beziehen. Fragt
man sie, warum sie einen Gebrauch beobachten, so antworten sie, Nurrundere
habe es befohlen. Nurrundere ging nach Wyirrawarra und nahm seine Kinder
mit sich. Wyirrawarra soll der Himmel sein. Taplin, der die Narrinyeri ein⸗
gehend geschildert hat, sagt: „Die Narrinyeri nennen seinen Namen immer mit
Ehrfurcht. Ich habe nie gehört, daß sie ihn unehrerbietig und leichtfertig aus—
sprachen.““ Er erzählt von einer Känguruhjagd, bei der 150 Eingeborne zu—
gegen waren. „Als wir den Jagdgrund erreichten, wurde ein kleines Känguruh
(Wallaby), das auf dem Wege getötet worden war, hervorgebracht und von
den Frauen ein Feuer angezündet. Dann stellten sich die Männer rund herum
und stimmten eine Art Lied an, indem sie zugleich mit den Füßen stampften.
Das Känguruh wurde auf das Feuer gelegt, und als der Rauch von ihm auf—
stieg, rannten die Jäger auf ein gegebenes Zeichen darauf los, die Waffen zum
Himmel erhebend. Ich vernahm später, daß diese Feier von Nurrundere ein—
gesetzt worden sei.“
Die Wiümbaio nennen das höchste Wesen Nurelli und sprechen nur mit
der größten Ehrfurcht von ihm. Sie glauben, er habe das ganze Land mit
Flüssen, Bäumen und Tieren gemacht. Er gab den Schwarzen ihre Gesetze
und stieg schließlich in den Himmel empor, wo sie ihn als eines der Stern⸗
Howitbt, The nativo Tribes usw. 475 ff. 2 Ebd. 488.
J. Allgemeine Charalteristik der südöstlichen Australneger. 247
bilder (Plejaden 7) bezeichneten. Er soll zwei Frauen gehabt und zwei Speere
getragen haben, und der Ort, wo er emporstieg, wird am Viktoriasee gezeigt!.
Bei den Stämmen in Südwestviktoria tritt an Stelle Nurellis der gute
Geist Pirnmeheeal, ein riesiger Mann, der oberhalb der Wolken wohnt.
Er ist gut geartet, fügt niemand ein Leid zu und wird selten erwähnt, aber
mmer mit Ehrfurcht. Die Wotjobaluk reden von Bunjil als einem großen
Mann, der einst auf Erden lebte, jetzt aber im Himmel ist. Seine Frauen
waren zwei Schwestern, Gannawarra (Schwarzer Schwan). Ein Bruder
Bunjils war Djurt, der jetzt als Stern neben ihm wohnt. Die Wotjobaluk
reden von Bunjil als Mami⸗ngorak, d. h. „unserem Vater“, wobei allerdings
nicht zu vergessen ist, daß der Ausdruck „Vater“ nicht nur den leiblichen Vater,
sondern auch dessen Brüder, ja selbst die älteren Leute bedeuten kann, mit denen
man den Bruderbund geschlossen hat. Bunjil soll jenseits der Wolken wohnen.
Bunjil heißt bei andern Stämmen auch Daramulun, Ba iame und Mungan—
ngaua, d. h. Vater von uns allen. Mungan-ngaua ist das Haupt des
Wolkenlandes. Die Mukjarawaint glauben, Bunjil sei einst ein Mensch und
der Vater aller Völker gewesen. Er ist gut und fügt niemand Schaden zu.
Nach den Kulin ist Bunjil ein alter Mann, der gütige Vater ihres
Stammes. Bunjil gab ihnen die Ehegesetze, da sie vorher ohne Rücksicht auf
Verwandtschaft heirateten. Er hatte zwei Frauen, die Gannawarra waren
(Schwarzer Schwan); sein Sohn heißt Binbeal, der Regenbogen, und dessen
Frau war der zweite Regenbogen, der zuweilen sichtbar ist. Nach einer Legende
soll er in einem Wirbelwind mit seinen Leuten in die Wolken hinaufgefahren
sein, von wo er auf die Kulin herabsieht. Ein Eingeborner wurde, als er
noch Knabe war, von seinem Kangun (Muttersbruder) in der Nacht vor den
Lagerplatz hinausgeführt. Dort zeigte ihm dieser mit dem Speerwerfer den
Stern Altair und sagte: „Siehe, das ist Bunjil, du siehst ihn, und er sieht
dich.“ Das war noch, bevor sich Batmann an den Ufern des Yarra River
niederließ, ein Beweis, daß dieser Glaube nicht von den Europäern kam?. Die
Kulin halten Bunjil für den Urheber der Erde, der Bäume und Menschen, und
sein Name gilt in ihrer Sprache als der Ausdruck für Weisheit und Kenntnis8.
Bei den Kurnais ist die Kenntnis Bunjils den eingeweihten Männern
bvorbehalten. Die Frauen wissen nur, daß es ein übernatürliches Wesen im
Himmel gibt, das sie Mungan-ngaua, „unsern Vater“, nennen. Die
Männer werden nur auf der letzten Stufe der Mannesweihe über Bunjil ein—
zgehender unterrichtet, den sie aber nur Mungan-ngaua zu nennen pflegen.
Mungan-ngaua, so werden sie belehrt, lebte vor langer Zeit auf Erden und
lehrte damals die Kurnai Werkzeuge, Netze, Kanoes, Waffen, kurz alles machen,
was sie wissen. Er gab ihnen auch die Namen, die sie von ihren Ahnen er—
halten haben. Mungan-ngaua hatte einen Sohn mit Namen Tundun, der
oerheiraiet war und der direkte Ahne, der Urvater der Kurnai wurde. Mungan⸗
agaua setzte die große Einweihungsfeier (Jeraeil) ein, welche von Tundun
geleitet wurde. Diefer letztere machte die Werkzeuge, die seinen und seines
Weibes Namen tragen. Als jemand gottlos den Weibern die Geheimnisse der
Ebd. 488. 2Ebd. 492. 3 Ebd.
248 Fünfter Teil. Australien und Ozeanien.
Einweihungszeremonie offenbarte und dadurch den Zorn Mungan⸗ngauas auf
die Kurnais herabzog, sandte dieser sein Feuer, die Aurora australis, welches
den ganzen Raum zwischen Himmel und Erde füllte. Männer wurden rasend
vor Furcht und gingen mit Speeren aufeinander los, so daß Väter ihre Kinder,
Männer ihre Weiber und Brüder töteten. Dann überflutete das Meer das
Land und fast das ganze Menschengeschlecht ertrank. Die Überlebenden wurden
die Muk-kurnai. Einige wurden in Tiere, Vögel, Reptilien und Fische ver⸗
wandelt, Tundun und sein Weib aber wurden Meerschweine. Mungan verließ
die Erde und stieg in den Himmel hinauf, wo er noch jetzt weilt!. Auch die
Theddoras kannten Daramulun, der unter donnerähnlichem Lärm herab⸗
steigt, um die Knaben zu Männern zu machen. Sie nannten ihn Papang,
d. h. Vater.
Den Kamilarois gilt Baiame als der Urheber, der alle Dinge erschuf und
sie erhält. Er ist im allgemeinen unsichtbar, ist aber einst in menschlicher Ge⸗
stalt erschienen und hat dem Menschengeschlecht vielerlei Gaben geschenkt. Einer
der ersten Ansiedler erzählt, wenn man die Kamilarois frage: Wer hat das
zemacht? so antworten sie: Baiame, glaube ich 2.
An der Küste glauben nach Cameron die Wiradjuri und andere Stämme
an eine „Gottheit· Daramulun, den „Vater“, und Biamban, den „Herrn“
oder Meister. Daramulun lebte einst auf Erden mit seiner Mutter Ngalalbal.
Ursprünglich war die Erde kahl und wie der Himmel hart wie ein Stein, und
das Land erstreckte sich weit hinaus in das heutige Meer. Damals gab es
weder Männer noch Frauen, bloß Tiere, Vögel und Reptilien. Daramulun
oflanzte Bäume auf Erden. Nachdem Kaboka, die Drossel, eine große Flut
auf Erden verursacht hatte, welche alle Küstenländer überschwemmte, gingen alle
Menschen zu Grunde, mit Ausnahme von einigen, die sich aus dem Wasser
auf Mount Dromedary retteten. Damals ging Daramulun in den Himmel,
vo er jetzt lebt und die Handlungen der Menschen überwachts. Er
var es, der zuerst den Kuringal (Einweihungsfeierlichkeit) anordnete und den
Menschen den bull-roarer (Schwirrholz) gab, der seine Stimme darstellt. Er
sagte den Yuin, was sie tun sollten, und gab ihnen die Gesetze, welche die
Ahnen von Geschlecht zu Geschlecht überliefert haben bis auf den heutigen Tag.
Er gibt den Medizinmännern ihre Zauberkraft. Wenn ein Mann stirbt und
sein Geist fortgeht, so kommt ihm Daramulun entgegen und trägt Sorge für
ihn. Es ist des Menschen Schatten, der zu Daramulun hinaufgeht. Frauen
kennen das Dasein Daramuluns, aber sie reden von ihm nur als Papang
Vater). Erst wenn man dem Jüngling bei der Mannesweihe einen Zahn aus⸗
schlägt, wird ihm der Name Daramuluns mitgeteilt. Daramulun (Tharamulun)
lann die Leute sehen und er ist sehr böse, wenn er sie Dinge tun sieht,
welche nicht geschehen sollen, wie z. B. wenn er sie verbotene Speifen
essen sieht.
Dieses höhere Wesen, an das die Südostaustralier glauben, mag es nun
Baiame, Daramulun, Bunjil oder Nurelli oder sonstwie heißen, hat nach dem
Gesagten zweifellos göttliche Eigenschaften. Es hat von Anfang aller
Howitbt, The native Tribes usw. 498. 2 Ebd. 494. 3 Ebd. 495.
1. Allgemeine Charakteristik der südöstlichen Australneger. 249
Dinge an existiert und existiert noch. Es ist unsichtbar, kann sich aber sichtbar
machen. Es kann überall hingehen und alles tun!. Es hat alle Dinge gemacht
und die Menschen alles gelehrt, ihnen ihre Satzungen gegeben, es sieht alles
und zu ihm kommen die Guten.
Die Behauptung Howitts, dieses höchste Wesen sei nach der Auffassung der
Eingebornen nur ein großer Geisterhäuptling im Himmel, ein Analogon zum
Stammeshäuptling auf Erden, ist, wie A. Lang? und W. Schmidts nach—
gewiesen haben, unhaltbar. Denn es wird nicht als der höchste unter den ab—
geschiedenen Geistern betrachtet und ist nie von einem Leibe getrennt worden,
sondern steht den andern Geistern durchaus als etwas ganz Eigenartiges gegen—
über. Man begreift auch nicht, wie ein solcher „Geist“ dazu kommen konnte,
„Schöpfer“, und zwar nicht bloß des Stammesgebietes, sondern von Himmel
und Erde schlechthin zu sein. Es ist endlich nicht nachweisbar, daß die Australier
jemals einen unvollkommeneren Begriff von dem höchsten Wesen gehabt haben.
Denn schon die ersten protestantischen Missionäre, die im Beginne des vorigen
Jahrhunderts in Südostaustralien predigten, fanden den Begriff des höchsten
Wesens so vollkommen, daß sie dasselbe unbedenklich Gott nannten. So schreibt
S. Manning: „Sie glauben an ein höchstes Wesen, das sie Boyma (GBaiame)
nennen, das im Nordosten wohnt in einem schönen Himmel. Es wird dar—
gestellt sitzend auf einem Throne von durchsichtigem Kristall, mit schönen Kristall-
pfeilern zu beiden Seiten. Grogorally ist sein Sohn, der über die Handlungen
der Menschen wacht. Er leitet die Seelen der Toten zu Boyma. Der erste
don Boyma geschaffene Mensch war Moodgegally, der in der Nähe des Himmels
Boymas wohnt.“ — Manning sagt auch, „sie (die Eingebornen) anerkennen
nicht bloß eine höchste Gottheit, sondern glauben auch an seine Vorsehung,
die über die ganze Schöpfung wacht, wobei ihm sein Sohn Grogorally und
sein zweiter Mittler in der übernatürlichen Person Moodgegally's hilft“.
Auch Rev. Will. Ridley bezeichnet Baiame als Gott und sagt, derselbe
erscheine zuweilen in menschlicher Gestalt und werde die Menschen vor sein
Bericht bringen und die Guten mit nie endender Seligkeit be—
lohnen. Howitt hält sich darüber auf, daß Ridley in diesem Glauben einen
Strahl des wahren Lichtes findet, das durch viele Geschlechter überliefert wurde.
Aber mit Unrecht. Er selbst berichtet: „Die Stämme am Cape River glauben,
daß wenn ein Schwarzer stirbt, dessen Handlungen im Leben so waren, wie
ie nach ihrer Ansicht sein sollten, er zum Boorala (d. h. „Schöpfer‘, wörtlich
Gut) aufsteigt, wo er lebt wie auf Erden.“ Von den Stämmen bei Port
Stephens sagt Dr M'Kinlay, indem er von der Zeit um 1830 redet, „sie
glaubten an böse Geister, welche in der Nacht herumspukten, aber auch an einen
herrschenden Geist (mastor spirit), der an einem unbekannten Ort wohne und
ihre Geschicke lenke. . . . Er hatte sie in dem Lande angesiedelt, ihnen
die Jagdgründe zugeteilt, ihnen ihre Gesetze gegeben und das Boombat (Ein—
weihungsfeier) eingesetzt“ 6.
—
Ebd. 553. 2 The making of Religion 178 ff.
Der Ursprung der Gottesidee 176. FHowibt a. a. O. 501 -502.
Ebd. 496. Nach dem Univers pittoresque: Océanie III (1837) 504 und Du—
mont d'Urville (Malexische Reise um die Welt II s1837] 180) glauben einige
250 Fünfter Teil. Auftralien und Ozeanien.
Außer an das höchste Wesen glauben viele südöstlichen Australier auch an das
Dasein eines oder mehrerer böser Geister. Die Eingebornen bei Port Stephen
und am Herbert River hatten große Angst vor einem bösen Wesen, das sie Koin
oder Coeẽn nannten. Es hat die Gestalt eines schwarzen Mannes, hält sich im
Walde auf und tötet diejenigen, die ihm begegnen. Howitt meint, dieses Wesen
sei identisch mit Baiame und Daramulun, da er auch mit manchen göttlichen
Figenschaften bekleidet erscheint. Diese Behauptung scheint uns deshalb sehr
zweifelhaft, weil Baiame und Daramulun sonst immer als ein gutes Wesen
zuftriti. Eine nähere Untersuchung dieser Frage wäre sehr zu wünschen.
Die Mannweihe wird im Südosten Australiens mit großer Feierlichkeit
als religiöses, von dem „Allvater“ eingesetztes Fest begangen. Gewöhnlich wird
es von mehreren Stämmen gemeinsam gefeiert. Wenn auch je nach der Ver⸗
schiedenheit der Gegenden und Stämme die Feier nicht überall gleichmäßig vor
sich geht, sind doch die allgemeinen Züge desselben überall die gleichen. Howitt
childert diese verschiedenen Typen sehr eingehend!. Wir werden hier nur die
Züge herausheben, die ihre sittlichen Anschauungen beleuchten.
Vor der Einweihungsfeier werden die Jünglinge, die zu Männern gemacht
werden (gewissermaßen den „Ritterschlag“ erhalten) sollen, einem aͤlteren Lehr⸗
neister übergeben, unter dessen Leitung sie eine Art Noviziat zu bestehen haben.
Während dieser Zeit müssen sie sich jeder Annäherung an Frauen enthalten?
ind auch sonst große Zurückhaltung und Bescheidenheit beobachten. Sie werden
trengen Speiseverboten unterworfen und müssen bei einigen Stämmen oft ganze
Tage streng fasten. Eine ihrer Hauptpflichten ist williger Gehorsam gegen die
Befehle und Unterweisungen ihrer Novizenmeister. Diese haben sie in allen ihren
pflichten und vor allem über das Wesen und die Stellung des „Allvaters“
zu belehren. Erst bei dieser Gelegenheit wird die Kenntnis seines Wesens und
seiner Macht miigeteilt. Die Weiber sollen bloß wissen, daß jenseits der Wolken
ein großes Wesen wohnt, das Vater (Papang) oder Meister (Biamban) ge⸗
nannt wird. Der Name Daramulun gilt für so heilig, daß die Eingebornen
denselben nicht auszusprechen wagen. Howitt erzählt, daß zwei alte Eingeborne,
die er über das Wesen Tharamuluns (Daramuluns) ausfragte, ihm nur flüsternd
und mit Umschreibungen davon zu reden wagten, und anstatt seinen Namen
zu nennen, nur das Pronomen „Er“ oder den Ausdruck der „Große Geist“
Jebrauchten. Ein alter Woiworung erzählte ihm, schon vor der Ankunft der
weißen Männer in Melbourne habe ihn einst sein Vater des Nachts auf das
Feld geführt und zum Himmel hinaufweisend gesagt: „Du wirst jetzt groß, du
Stämme in Neusudwales, die leider nicht näher bezeichnet werden, an einen guten
Beist, Coyan, und an einen bösen, Potoyan. Sie glauben fest, daß der erstere
die Umtriebe des letzteren überwacht und die Eingebornen gegen dieselben schützt, und
daß er ihnen hilft, die Kinder wiederzufinden, wenn der Potoyan fie an fich locke, um
fie zu verschlingen. Sie machen sich zuerst Coyan günstig, indem fie ihm einen Wurf⸗
spieß opfern. Wenn fie das Kind entdecken, so gilt es als selbstverständlich, daß sie das
dem Coyan verdanken; finden sie es nicht, so schließen sie daraus, daß sie irgend etwas
getan haben, was ihn beleidigte. Potoyan streift in der Nacht umher, um Beute zu
machen. Sie fürchten ihn sehr.
tPhe native Tribes 509 ff. 2 Ebd. 560 586 usw.
1. Allgemeine Charakteristik der südöstlichen Australneger. 251
wirst bald Känguruhs töten, du wirst jetzt ein Mann: sieh dort oben Bunjil;
der kann dich sehen und alles, was du hienieden tust.“
Am Einweihungstag ist großer Festzug nach dem Platz, auf dem die Feier
stattfinden soll. Während dieses Zuges wird den Einzuweihenden bis zur Er—
müdung das gerade Gegenteil von dem zugerufen, was man ihnen eigentlich
sagen will, um fie, wie die Eingebornen selbst erklärten, daran zu gewöhnen,
offen und ehrlich die Wahrheit zu sprechen. Die Feier selbst besteht im Aus—
schlagen eines Vorderzahnes, dem sich die Einzuweihenden unterziehen müfssen,
ferner im Unterricht über das Wesen Daramuluns in Gegenwart seines Bild—
nisses, weiterhin in der Anlegung der Zeichen der Manneswürde. Wir über—
gehen die vielen lächerlichen Gebräuche und tollen Sprünge, mit denen die
Australier diesen Eintritt ins Mannesalter verherrlichen, und gedenken nur noch
der Pantomimen, durch welche die neugeweihten Männer an ihre sittlichen
Pflichten erinnert werden. Durch pantomimische Tänze werden verschiedene
Vergehen gegen das Eigentum und die guten Sitten dargestellt. Die alten
Männer und die Lehrer der Einzuweihenden erklären diesen die Bedeutung der
—
setzen, falls sie nach dem Verlassen des Festplatzes sich dieser Übertretungen
schuldig machen sollten. „So hörte ich“, erzählt Howitt, „die alten Männer
jagen: Wenn du etwas derartiges tust, nachdem du heimgekehrt bist, wirst du
getötet werden — nämlich durch Zauber oder direkte Gewalt.“ ... „Die ein—
Jeschärften Verbote richten sich unter anderem gegen Mißachtung alter Leute,
gegen den geschlechtlichen Verkehr mit schutzlosen Weibern oder mit den Frauen
anderer und gegen jene Vergehen, um derentwillen die Städte der Ebene
(Sodoma usw.) durch Feuer vom Himmel zerstört wurden.“?
Durch diese Zeremonien erhält der Jüngling die Vorrechte, Pflichten und
Obliegenheiten des Mannes. Er kann sich jetzt verehelichen und ist der Aufsicht
der Mutter entzogen. Die Feierlichkeiten sollen ferner eine tiefe, unübersteigbare
Kluft zwischen dem früheren Leben des Knaben und dem zukünftigen des Mannes
ziehen und das Ansehen der älteren Männer den jüngeren Leuten gegenüber
befestigen. Ein Zweck dieser Zeremonien ist auch, den Jünglingen unauslöschlich
jene Regeln des Verhaltens einzuprägen, welche das Sittengesetz des Stammes
usmachen 8.
Die Ehen wurden gewöhnlich von den Eltern der Brautleute vereinbart;
dielfach wurden die Mädchen schon im frühen Alter von ihrem Vater verlobt.
Die Einwilligung der Väter war zur gewöhnlichen Eingehung der Ehe nötig.
Waren die Mädchen im heiratsfähigen Alter mit der Verlobung nicht ein—
»erstanden, so flohen sie mit dem Mann ihrer Wahl, sie wurden dann von
hren Vätern und Brüdern verfolgt, und der Mann, mit dem sie entlaufen,
mußte einige Schläge auf den Kopf erdulden, durfte aber dann meist die Frau
vehalten, wenn die Klassengesetze nicht im Wege standen. In andern Fällen
Howitt, On some Australian Beliefs. Sonderabdruck aus dem Journal of the
Anthropological Instituto of Great Britain and Ireland 1883, 9.
2 Howitt, Australian Ceremonies of Initiation, im Journal of the Anthropo-
ogical Institute usw. 1884, 20.
3 Ebd. 27.
252 Fünfter Teil. Australien und Ozeanien.
fand ein Kampf zwischen den männlichen Verwandten der Brautleute statt, an
—WVV-ffVVV
bei der Entführung seiner Braut halfen, beanspruchten bei den Kurnais und
einigen andern Stämmen ein ius primae noctis, sie durften der Braut in
der ersten Nacht, und zwar nur in dieser, beiwohnen, doch war dieser Brauch
eineswegs allgemein, so verabscheuten ihn z. B. die Wolgal?. Wenn ein Mann
allein eine Frau aus einem fremden Stamme geraubt hatte, so gehörte sie ge⸗
wöhnlich ihm allein, doch kam es vor, daß sie zuerst innerhalb der Klassengesetze
als Gemeingut galt und erst dann dem Sieger übergeben wurde. Das scheint
darauf hinzudeuten, daß das obenerwähnte ius primae noctis nur als Lohn
für die geleistete Mithilfe gewährt wurde, da der Bräutigam — dem andere
Mittel zur Bezahlung fehlten — sonst die Hilfe bei der Entführung nicht er—⸗
langt hätte.
Die Polygamie existierte ziemlich allgemein, doch gab es Ausnahmen.
So sagt Westermarks: „Nach Curr gibt es in Australien einige echt monogame
Stämme: beim Birriastamm z. B. ist der Besitz von mehr als einem Weib
durchaus untersagt oder war es schon vor dem Erscheinen der Europäer.“ Zu
gewissen Zeiten bei großen Stammesversammlungen wurden die Frauen aus⸗
getauscht, aber nur innerhalb der Klassengesetze. Dasselbe geschah, um ein
großes Unglück abzuwenden, das man befürchtete. Als z. B. eine große Krank
heit drohte, machten in einem Falle die alten Männer den Vorschlag, die Frauen
auszutauschen, um dadurch vor der Krankheit beschützt zu werden“. Zu allen
andern Zeiten verlangten die schon verheirateten Männer streng die Treue ihrer
Frauen, und nur mit spezieller Erlaubnis oder auf Befehl durfte ein Gast oder
Freund mit ihnen verkehren.
Wenn auch diese und ähnliche Dinge sattsam dartun, daß die ehelichen Ver⸗
hältnisse der Australier sehr locker waren, so geben sie doch keine Berechtigung,
sie als Überbleibsel eines ursprünglichen geschlechtlichen Kommunismus oder von
Gruppenehen anzusehen. Schon der Umstand, daß man selbst bei Gelegenheit
des gröbsten Durcheinanders die Klassengesetze streng innehielt, ist mit der Idee
des geschlechtlichen Kommunismus unvereinbars.
Man beruft sich auch auf die schmutzigen Zeremonien bei den Mysterien
der Mannesweihe. Vielfach wurden — allerdings nur andeutungsweise —
vantomimische Darstellungen obszöner Dinge vorgenommen, aber, wie Howitt
ausdrücklich bemerkt, zu dem Zweck, um den Initianden einzuschärfen, daß sie
derartige Dinge vermeiden sollten. Es ist auch gesagt worden, die
Australier hätten keine Idee von vor- oder außerehelicher Keuschheit. Das ist
eine unbewiesene Behauptung. Von den Wolgal berichtet Howitts, ein ver⸗
heirateter Mann halte sich auf der Reise nie in dem Lager der unverheirateten
Männer auf, es sei denn, daß er die Frau nicht bei sich habe und somit wie
ein unverheirateter angesehen werden könne. Die verheirateten und die un—
Howitt, The native Tribes usw. 194. 2 Ebd. 198.
Vgl. Ursprung und Entwicklung der Moralbegriffe II 316.
Howibt a. a. O. 195.
Ausführlicheres hierüber bei W. Schmidt, Der Ursprung der Gottesidee 188 ff
A. a. O. 776.
4. Allgemeine Charakteristik der südöstlichen Australneger. 253
verheirateten Männer haben stets ein ganz getrenntes Lager. Bei den Kaiabaren
chlägt der Obmann sein Lager in der Mitte des Kampes auf; die ledigen
sungen Männer halten sich auf der einen Seite und die ledigen jungen Frauen
auf der andern Seite. Die alten Frauen geben darauf acht, Ungehörigkeiten
zwischen den jungen Leuten zu verhindern. Wir sehen daraus, daß ihnen der
Geschlechtsverkehr der jungen Leute keineswegs als zulässig erscheint. „Von den
Lower Darling, einem Maraurastamm, sagt Holden, daß vor der Ankunft der
Weißen „ihre Gesetze streng waren, besonders die den Umgang zwischen jungen
deuten beider Geschlechter betreffenden. Der Geschlechtsverkehr vor der Verehe—
lichung zog für den Mann fast den Tod nach sich‘. In Westviktoria ist nach
Dawson bei manchen Stämmen „die Unehelichkeit etwas Seltenes und wird so
sehr verabscheut, daß die Mutter von ihren Verwandten stets arg verprügelt,
zuweilen sogar getötet und verbrannt wird. Gelegentlich wird mit ihr zusammen
das Kind umgebracht und verbrannt. Der Vater des Kindes wird ebenfalls
üußerst streng bestraft, ab und zu selbst hingerichtet“ 1.
Aus den Schilderungen Howitts erhellt, daß die Stämme sehr viele Ver—
brechen streng bestrafen. Bei den Tongarankastämmen werden Über⸗
tretungen der Ehegesetze und der Klassenregeln mit dem Tode bestraft und der
ganze Stamm nimmt die Sache in die Hand. Vergehen der Individuen unter—
einander, z. B. Diebstahl, werden von dem verletzten Individuum selbst ge—
rächt durch den Speer oder andere Waffen?. Bei den Wiradjuristämmen findet
eine Versammlung aller eingeweihten Männer statt, in der die Häupter die
gemeinsamen Angelegenheiten besprechen und entscheiden, was zu geschehen habe.
Zu diesen Angelegenheiten gehören z. B. Streitigkeiten mit andern Stämmen,
Ubertretung der Stammesgesetze u. dgl. In Fällen von Entführung der
Frauen, von Ehebruch oder Mord, und wenn es dem Schuldigen ge—
lungen, zu seiner Ortsabteilung oder zu dem Nachbarstamm zu entkommen,
wird folgendes Verfahren eingeschlagen: Wenn der Hauptmann entscheidet, der
Schuldige sei zu töten, so wird das Volk, zu dem er geflohen, durch einen
Boten ersucht, ihn auszuliefern. Weigert man sich, so kommt es zu einem
Kampf. Unterliegt der Stamm des Schuldigen, so geschieht nichts weiter, aber
dieser ist immer in Gefahr, getötet zu werden, wenn es geschehen kann.
Bei einigen Stämmen besteht auch der Zweikampf als Ordal. Der
Schuldige muß sich bloß mit einem Schild bewaffnet gegen die Angriffe der
beleidigten Leute verteidigens. Zuweilen finden auch wegen eines Verbrechens
Kämpfe zwischen ganzen Totemgruppen oder Stämmen statt.
Interessant ist, daß die wilden Stämme untereinander eine Art Völker—
recht anerkennen. Jeder Stamm kann zu den andern, auch den entferntesten
Stämmen öffentliche Boten entsenden, die je nach ihrem Auftrag verschieden
ausgerüstet oder gekleidet sind. Diese Boten werden bei allen, selbst im Krieg,
ehrenvoll empfangen und gelten als heilig“. Es besteht auch zwischen den ver—
schiedenen Stämmen eine Art Tauschhandel in Werkzeugen, Waffen und Schmuck—
Zitiert bei Westermark a. a. O. II 344. 2 Howitt a. a. O. 332.
Ebd. 333. 1* Ebd. 687.
254 Fünfter Teil. Australien und Ozeanien.
sachen!. Selbst eine Art Markt scheint bei gewissen Gelegenheiten stattgefunden
zu haben?.
Man hat wiederholt behauptet, die Australier seien nicht imstande, über vier
oder höchstens fünf zählen zu können. Howitt widerlegt diese Fabel. Wenig—
stens bis 80 zählen verschiedene Stämme. Sie fangen auf der einen Seite
mit den fünf Fingern an, zählen dann an der Hand, dem Arm, der Schulter
bis zum Scheitel des Kopfes 15, dann gehen sie in der umgekehrten Ordnung
auf der andern Seite vom Kopfe herunter bis zu den Fingerns.
Sehr ausgebildet ist bei den Australiern die Zeichen- oder Gebärdensprache.
Man hat das der Armut ihrer Sprache zugeschrieben. Dazu bemerkt Howitt:
„Man kann nicht sagen, daß der Gebrauch der Zeichen bei den eingebornen
Australiern der Armut ihrer Sprache zuzuschreiben sei, da diese vollständig für
die materiellen und geistigen Bedürfnisse ihres Lebens ausreicht. Diejenigen,
die Gelegenheit hatten, intimere Bekanntschaft mit dem gesellschaftlichen Leben
dieser Wilden zu machen, werden mit mir in dieser Behauptung übereinstimmen,
und niemand kann den geringsten Zweifel daran haben, der ihren Rednern in
der Versammlung der Männer zugehört und den Strom überzeugender Bered⸗
jamkeit bewundert hat, mit der sie die Zuhörer nach ihrem Willen für ihre Mei⸗
aung gewinnen.“« Doch ist die Zeichensprache nicht überall gleich ausgebildet.
Einige Männer haben nur die Zeichen und Gebärden, die man allgemeines
Eigentum des gesamten Menschengeschlechtes nennen kann.
Der Kindesmord war weit verbreitet. Der Grund dieser schändlichen
Sitte scheint oft die große Mühe der Ernährung und Aufziehung gewesen zu
sein. Doch wurden z. B. bei den Tongaranka die Kinder erst dann getötet,
wenn die Familie schon aus drei oder vier Gliedern bestand. Bei einigen
Stämmen wurden, wenigstens früher und in Zeiten der Not, die neugebornen
Kinder aufgegessens.
Menschenfresserei war früher vielfach in übung. Erschlagene Feinde
wurden aus Rache verzehrt, um sie vollständig zu vertilgen. Genossen des
eigenen Stammes wurden aus religiösen oder vielmehr abergläubischen Gründen
—D
aur bestimmte Teile gegessen.
Bezeichnend für die sittlichen Anschauungen der Südostaustralier sind ihre
GBebote über die Verteilung der Jagdbeute, Der glückliche Jäger
durfte nicht alles für sich behalten, sondern mußte die Beute nach ganz be⸗
ttimmten Regeln, die aber nicht bei allen Stämmen gleich waren, verteilen.
Einen Teil durfte er für sich und seine Familie behalten, einen Teil mußte er
dem Schwiegerbater und, wenn der Vorrat reichte, andern Verwandten geben.
Bei einigen Stämmen wurde die Beute gleichmäßig unter alle Verwandte oder
selbst unter alle Stammesgenossen verteilt?. Auch der Vater des Jägers mußte
bedacht werden, wenn er Mangel litt.
Überhaupt betätigen die Südostaustralier in der verschiedensten Weise ihre
Sorge für die alten Leute. Bei den Wurunjerri lehrten die alten Männer
Howibtt, The nativo Tribes usw. 714 ff. 2 Ebd. 718.
Ebd. 697 ff; vgl. ebd. 701. Ebd. 723. * Ebd. 748.
Ebd. 751. Ebd. 756 ff.
2. Über einige Stämme von Neusüdwales im besondern. 255
die jungen, jeder solle die Nahrung mit andern teilen, besonders mit Greisen
und jungen Leuten. Sie sagten, es gefalle Bunjil, wenn er sehe, daß
man für alte Leute und Kinder Sorge trage. Wenn ein Mann so
alt wurde, daß er nicht mehr reisen konnte, so trug ihn sein Sohn oder sein
Schwager oder sein Schwiegersohn von einem Lager zum andern. Das wurde
als strenge Pflicht angesehen. Howitt sah wiederholt, wie Männer der Wurun—
jerris oder Kurnais ihre Frauen im Land herumtrugen, wenn diese zu alt oder
zu krank waren, um zu gehen. Bei den Stämmen in einer Umgebung von
50 Meilen um Maryborough in Queensland waren die Leute sehr liebevoll
gegen ihre alten und kranken Verwandten und trugen sie auf Bahren herum.
Im Daleburastamm wurde ein von Geburt an krüppelhaftes Weib von den
Stammesgenossen der Reihe nach mitgetragen, und das geschah bis zu ihrem
Tode in einem Alter von mehr als 60 Jahren. Bei einer Gelegenheit stürzten
sich mehrere von ihnen in einen angeschwollenen Strom, um eine alte Frau vom
Ertrinken zu retten, deren Tod für diese selbst eine Erlösung gewesen wäre.
In einem Fall wachte eine Mutter bei ihrem kranken Kinde und lehnte alle
Nahrung ab, und als das Kind starb, war sie ganz untröstlicht“.
Die Kulinstämme halten dafür, daß der Busch und alles, was er enthält,
allen zugehöre: Privateigentum seien nur die Gerätschaften, die jeder in
seinem Sacke trage. Wenn sie nach einer Wanderung am Abend im Lager
zusammenkommen, so teilen diejenigen, die auf der Jagd Glück gehabt haben,
denen mit, die leer ausgegangen sind, damit niemand Mangel leide, solange
andere etwas haben; und diese Gabe gilt nicht als eine Gunst, sondern als
ein Recht der Notleidenden. Man wirft ihnen die Gabe zu Füßen, wohl des—
halb, wie Howitt sagt, weil man fürchtet, dafür etwas von der andern Person
zu erhalten und dadurch bösem Zauber ausgesetzt zu sein?2.
Von den Kamilaroi berichtet Howitt, daß bei der Bora die Juünglinge
unterrichtet werden über die Speisegebote, über die Pflege der Alten und Kranken
und die Pflicht, diejenigen zu unterstützen, die eine zahlreiche Familie haben.
Einen Teil der erlegten männlichen Tiere, die er bisher nicht essen durfte, solle
er ins Lager bringen und vor die Hütte derjenigen hinlegen, die infolge des
Alters oder der Krankheit nicht selbst jagen können oder eine große Familie haben8.
Mit vollem Recht bemerkt Howitt zu dem Gesagten, diese Beispiele von der
Verteilung der Speisen unter die Angehörigen und Verwandten und die be—
sondere Versorgung der alten Leute geben eine ganz andere Vorstellung von dem
Charakter der Eingebornen, als man vielfach hat. Die gewöhnliche Vorstellung
hat man sich nach dem gebildet, was man an den Schwarzen unter dem Ein—
fluß unserer Zipvilisation beobachtet. welche die alten Gesetze umstößt *.
2. Über einige Stämme von Neusüdwales im besondern.
Obwohl die Schilderungen Howitts, denen wir im vorigen Abschnitt haupt⸗
ächlich gefolgt sind, sich großenteils auch auf die Stämme von Neusüdwales er—
strecken, wollen wir doch über diese noch das Zeugnis eines verdienten Forschers
Ebd. 766. 2 Ebd. 767. s Ebd. 594. Ebd. 777.
256 Fünfter Teil. Australien und Ozeanien.
bernehmen, der sich lange bei ihnen aufgehalten und ihre Sitten sorgfältig er⸗
forscht hat. Dieser Forscher ist A. L. P. Cameron!. Seine Angaben beziehen
ich besonders auf die Stämme der Wathi-Wathi, der Ta⸗ta-thi, der Barkinji
und einige andere.
Unter Stamm versteht Cameron eine Gesamtheit von Eingebornen, die die—
selbe Sprache, dieselben Gesetze, Einrichtungen, Gebräuche und einen gemein⸗
amen Namen haben. Unter dem Namen Nation versteht er eine Gruppe von
derwandten Stämmen, die in freundschaftlichen Beziehungen zueinander stehen
und deren Sprache und Gesetze einander in etwa ähnlich sind. Mit dem Namen
Rlan bezeichnet er Unterabteilungen der Stämme, die dieselbe Sprache und die⸗
selben Gebräuche haben.
Auch die Stämme, mit denen Cameron bekannt wurde, werden in zwei
exogame Klassen geteilt, manche in vier. Wo vier Klassen bestehen, sind
ie wahrscheinlich durch Unterabteilung der beiden ersten Klassen entstanden.
Alle Klassen haben ihre Totems oder Verwandtschaftswappen und berechnen die
Verwandtschaft nach der weiblichen Linie. Ein Mann heiratet nie eine Frau
aus seiner eigenen Klasse. Selbst bei außerehelichem Geschlechtsverkehr werden
die Klasseneinteilungen stets beobachtet. So findet im Ta⸗tathistamm bei ge⸗
wissen Gelegenheiten ein ausschweifender, unterschiedsloser Geschlechtsverkehr statt,
aber nie zwischen zwei Personen derselben Klasse. Jede Übertretung dieser Ge⸗
etze würde an dem Schuldigen von dem Stamme schwer gerächt. Nur wenige
Männer hatten zwei Frauen, die allermeisten nur eine. Die Heiraten fanden
ohne viele Zeremonien statt. Mädchen werden sehr oft schon als Kinder zur
Ehe versprochen. Kommen sie ins heiratsfähige Alter, so werden sie von der
Mutter oder deren Bruder zu dem Lager ihres zukünftigen Mannes gebracht.
Die Mutter gibt der Tochter einen Sack, in dem sie die Sachen mit sich tragen
kann, und einen Yamsstock. Der Vater hat sich in die Heiratsangelegenheiten
der Tochter nicht einzumischen. Als Grund dafür wird angegeben, weil die
Tochter zur Klasse des Bruders der Mutter und nicht zu der des Vaters gehört.
Trotzdem glauben sie, daß die Tochter nur vom Vater herrühre und von der
Mutter nur gehegt werdes.
Die Frau ist streng zur Treue gegen ihren Mann verpflichtet; er kann sie
nach Belieben für ihre Untreue strafen. Dieses Gesetz gilt aber nicht für den
Mann. Es ist nicht gestattet, daß ein Mädchen mit einem jungen Mann ver⸗
kehre, bevor es mit einem alten Mann oder mehreren alten Männern aus der
Klasse, in die es heiraten darf, Umgang gehabt hat. Eine weibliche Gefangene
gehört dem, der sie gefangen hatte, wenn sie zu einer Klasse gehört, aus der
er seine Frau nehmen darf. Kein Mann durfte eine Frau aus einer verbotenen
Klasse bei sich behalten. In manchen Fällen war ein solches Weib innerhalb
der Klassengesetze Gemeingut aller; später wurde sie einem Manne zugeteilt, mit
dem sie sich gesetzlich verheiraten durfte. Es war eine fast in ganz Neusüdwales
derbreitete Sitte, daß Männer, die einen Nachbarstamm mit derselben Klafsen⸗
organisation besuchen, für diese Zeit mit Weibern versorgt wurden. Früher
Notes on some tribes of New South Wales, im Journal of the Anthropological
Institute usw. XIV (1884) 340 ff.
2 Ebd. 352.
2. Über einige Stämme von Neusüdwales im besondern. 257
scheint bei gewissen großen Versammlungen des Stammes oder um ein drohendes
Unglück abzuwenden, ein Austausch der Weiber stattgefunden zu haben. Cameron
meint, das weise auf eine frühere Zeit zurück, wo die Gruppenehe bestanden
habe; das ist eine willkürliche Hypothese. Dieser abscheuliche Gebrauch scheint
eher im Aberglauben seinen Grund gehabt zu haben. Heute ist übrigens die
Sitte fast ganz verschwunden!.
Die Schwiegermutter und der Schwiegersohn weichen sich stets aus. Ein
Mann spricht nie mit der Mutter seiner Frau, wenn er es vermeiden kann,
und umgekehrt. Wir übergehen die von Cameron eingehend geschilderten und
sehr verwickelten Verwandtschaftsverhältnisse, welche von den Eingebornen ebenso
sorgfältig berücksichtigt werden, wie wir Europäer die unsrigen berücksichtigen 2.
Das Amt des Häuptlings war in gewissem Sinn erblich, d. h. der
Sohn erbte die Stellung seines Vaters, wenn er rednerische Begabung oder
sonstige hervorragende Eigenschaften besaß; wenn nicht, so erhielt der Bruders⸗
sohn (Neffe) des Verstorbenen das Amt, oder falls ein solcher nicht vorhanden
war, der nächste Verwandte, der denselben Klassennamen hatte. Zuweilen, wenn
ein Unternehmen vereinbart worden war, wurde von der Mehrheit der Teil—
nehmer ein Leiter gewählt; die Teilnehmer selbst wurden aber, wie Cameron
meint, von den alten Männern des Stammes bestimmts. Wenn Streit zwischen
Individuen oder Klassen entsteht, so tritt bei fast allen Stämmen jeder auf die
Seite seiner Klasse.
Das wichtigste Fest der Eingebornen in Neusüdwales ist die Bora (Bura),
die Mannweihe, bei der die Jünglinge gewissermaßen die Weihe als Männer
erhalten. Da diese Feier in den wesentlichsten Zügen in ganz Südostaustralien
dieselbe ist, übergehen wir sie hier‘. Auch das Zauberwesen ist in Neusüdwales
wie in ganz Südostaustraliens. Nur einige Angaben über Tod und Begräb—
nis lassen wir noch folgen. Nach dem Glauben der Eingebornen ist der Tod,
ausgenommen den Fall eines Unglücks oder einer Verwundung in der Schlacht,
nicht ein natürliches Ereignis, und deshalb muß, sobald er sich ereignet, sofort
ausfindig gemacht werden, wer ihn durch seinen Zauber verursachte. Bei den
Wathi-Wathi wird die Leiche von jedem Verwandten der Reihe nach ersucht,
durch irgend ein Zeichen die Person anzudeuten, die den Tod verursacht habe.
Erhalten sie keine Antwort, so beobachten sie, nach welcher Richtung ein Vogel
fliegt, nachdem er über den Toten gezogen ist. In der Richtung des Fluges
muß der böse Zauberer zu finden sein. Zuweilen schläft der nächste Verwandte
auf der Leiche, weil ihn dies veranlaßt, vom Mörder zu träumen. Glauben
—VV
in grausamer Weises.
Das Begräbnis findet bei den Wathi-Wathi, den Ta⸗-ta-thi, den Muthi—
Muthi, den Wonghi und einigen andern Stämmen in folgender Weise statt.
Ein Verwandter hüllt die Leiche in ein Opossumfell, wickelt sie dann in eine
Art Netz und trägt sie zum Grabe, begleitet von den Freunden und Verwandten
Ebd 353. 2 Ebd. 354 -356. s Ebd. 556.
Eingehend schildert Cameron die Bora der Wathi⸗-Wathi ebd. 388 ff.
Ebd. 360 ff. s Ebd. 262.
Cathrein, Die Einheit d. fittl. Bewußtfeins. III.
258
Fünfter Teil. Australien und Ozeanien.
des Toten, die ihr Haupt zum Zeichen der Trauer mit Lehm bedeckt haben.
An einem trockenen Ort wird ein tiefes Grab geöffnet und darin ein Feuer
angezündet, welches man einige Zeit unterhält, damit das Grab ganz trocken
werde. Nachdem man das Feuer entfernt, kommt zuerst eine Rindenschicht auf
den Boden des Grabes und darauf eine dicke Lage Gras. Nun wird der Leib
in das Grab gelegt, und der Sohn oder nächste gegenwärtige Verwandte darf
einen Augenblick darin stehen, damit er den Verstorbenen nicht vergesse. Darauf
wird wieder eine dicke Schicht Gras auf die Leiche gelegt und darüber eine
Rindendecke und schließlich das Grab mit Erde aufgefüllt. Der Boden rings
um das Grab herum wird reinlich gekehrt und über dem Grab eine rohe
Hütte errichtet. Freunde des Verstorbenen besorgen noch zwei bis drei Monate
das Grab, aber nach einem Jahr wird die Hütte niedergerissen und auf das
Grab gelegt 1.
Die Eingebornen glauben, daß die Geister der Verstorbenen die Erde
hesuchen und oft gesehen werden. Männliche Geister werden von den Ta—⸗ta⸗thi
Nguma⸗-gumatsch, weibliche Biriup-gumatsch, und Geister im allgemeinen Durun⸗
dera oder Thurundera genannt. Dieser Name wird auch den Weißen gegeben.
Sie sprechen sehr ungern von den Toten und suchen auf jede Weise die Nennung
ihrer Namen zu vermeiden.
Von ihrem Glauben an Gott und Unsterblichkeit sagt Cameron?:
„Die Leute aller dieser Stämme scheinen einen Glauben an eine Gottheit
und an einen zukünftigen Zustand irgend einer Art zu haben. Die
Wathi-Wathi und die Ta⸗ta-thi haben, obwohl sie ganz nahe beisammen wohnen,
berschiedene Namen für die Gottheit. Der Name ist bei den Wathi-Wathi
Tha-tha-puli, bei den Ta-ta-thi Tulong. Gott wird als ein mächtiger
Geist und vielleicht als ein höchstes übernatürliches Wesen angesehen. Er sagte
jedem Stamme, welche Sprache er reden solle. Er schuf Männer und Weiber
und Hunde; auch die letztgenannten pflegten zu reden, aber er nahm ihnen die
Gabe der Sprache. Die Tas⸗ta⸗-thi reden nicht oft von Tulong und sagen, er
komme selten auf die Erde. Obwohl es scheint, daß bei vielen australischen
Stämmen nur eine dunkle Idee von den Eigenschaften des höchsten Wesens
und dem zukünftigen Zustand vorhanden ist, so haben doch die Ta-ta-thi
und die ihnen verwandten Stämme zweifellos den Glauben nicht
nur an einen künftigen Zustand des Daseins, sondern auch an
ein System von Belohnungen und Strafen. Mein Tarta⸗thi-Gewährs—⸗
mann sagte, daß vor langer Zeit ein Doktor (Zauberdoktor) durch die Wolken
hinaufgestiegen sei und dort einen Ort gesehen habe, an dem die Bösen gebraten
wurden.“s Makogo, ein intelligenter Wathi-Wathi, gab Cameron eine kurze
Darlegung des Glaubens seines Volkes, bevor es mit den Europäern in Be—
cührung kam, und meinte, es würde jetzt besser daran sein, wenn sein Glaube
aicht verwirrt worden wäre.
Die Wathi-Wathi machten, wie es scheint, einen Unterschied zwischen dem
Gespenst (ghost) und der Seele, wie wir etwa zwischen Seele und Geist
oder Gespenst unterscheiden könnten. Im Augenblick. wo die Seele den Leib
Cameron, Notes on some tribes usw. XIV 363. 2 Ebd. 364. s Ebd.
2. Über einige Stämme von Neusüdwales im besondern. 259
berläßt, heißt sie Bo-oki, später aber Boongarnitchie. „Wenn der Boongarnitchie
seinen Lauf in die Wolken angetreten, kommt ihm ein anderer Boongarnitchie
entgegen, der ihn auf den Weg für die guten Menschen führt. Nachdem er
ein Stück weit gegangen, sieht er zwei nahe beieinander und parallel laufende
Straßen, von denen die eine reingefegt, die andere aber schmutzig ist. Der Geist
eines guten Menschen wähle die schmutzige Straße, da er wisse, daß die andere
don bösen Geistern rein gehalten werde, um die Gedankenlosen auf sie zu locken.
Später begegne ihm ein Weib, das ihn zu verführen suche, aber er entkomme
hren Lockungen und gelange bald an einen Ort, wo zwei Frauen ein Seil
halten, das sie schnell im Kreise drehen wie ein Schiffstau. Die Frau, welche
auf der reinen Seite der Straße sieht, ist blind und sucht den Boongarnitchie
zum Straucheln zu bringen, aber indem er sich auf der schmutzigen Straße
hält, möglichst weit von ihr fort, vermeidet er den Unfall. Das nächste Hindernis
ist ein tiefer und enger Graben, der quer durch die beiden Straßen geht und
aus dem Flammen abwechselnd auf und nieder steigen. Indem er den günstigen
Augenblick wahrnimmt, springt der gute Geist heil und sicher über den Graben
und begegnet jetzt zwei alten Frauen, die sich seiner annehmen, bis er sich an
seinen neuen Aufenthaltsort gewöhnt hat. Nach einiger Zeit kommt die Gott—
heit mit einer Schar Geister, um den neuen Ankömmling zu sehen und seine
Kraft zu prüfen. Tha⸗-tha-puli gibt einer der alten Frauen eine Nulla-nulla
eine Art Keule), und diese überreicht sie dem Geiste. Eine Anzahl Emus werden
borbeigetrieben und auf einen derselben wird die Keule geschleudert, so daß er
zusammenbricht. Wenn die Wathi-Wathi eine Sternschnuppe sehen, glauben sie,
es sei eine durch den Raum fliegende Nulla-nulla, und sagen, Tha⸗-tha⸗puli prüfe
die Kraft eines neuen Geistes. Der Geist der bösen Menschen stürzt, wenn
er auch allen ihm gelegten Fallen entgeht, sicher in die Feuerhölle. Manche
Eingebornen haben ihre religiösen Anfichten im Umgang mit den Europäern
deändert, und ich zweifle, ob diese Feuergrube nicht dazu gehöre. Ich fragte
deshalb meinen Gewährsmann sehr genau aus, aber er versicherte mir, daran
sei gar kein Zweifel, daß das oben Mitgeteilte genau der Glaube seines Stammes
dor der Ansiedlung der Weißen in diesem Lande gewesen sei.“!
Die australischen Eingebornen haben auch viele alte Überlieferungen,
bon denen manche lächerlich und obszön sind, doch nicht mehr als viele Sagen
der klassischen Mythologie. Nach einer weitverbreiteten Sage der Stämme,
don denen Cameron redet, war die Erde einst von einer viel mächtigeren Rasse
bewohnt, als die jetzige ist; besonders verstand sie sich mehr auf die Zauber—
lünste. Diese erste Rasse hat bei den verschiedenen Stämmen verschiedene
Namen. Die Wathi-Wathi nennen sie Bookoomuri (Bukumuri) und behaupten,
sie seien ausgezeichnete Jaͤger und Fischer gewesen und bei einer Gelegenheit von
Thatha⸗ puli in Tiere verwandelt worden, der dann die gegenwärtige Rasse
schuf. Andere erzählen, die Bookoomuri hätten selbst diese Umwandlung bewirkt,
und da sie als Tiere sich für die neue Rasse interessierten, hätten sie dieser
nanche nützliche Kenntnis mitgeteilt. Es existiert auch ein Glaube, die Zauber—
rräfte seien den Zauberdoktoren, den Krankheitsverursachern und den Regen⸗
Ebd. 364 -365.
17 *
260 Fünfter Teil. Australien und Ozeanien.
nachern von den Bookoomuri übermittelt worden!. Sie haben endlich Sagen
über die Art und Weise, wie sie zuerst zum Feuer gelangten usw.
Cameron beklagt es, daß bisher von der englischen Regierung so wenig ge⸗
schehen sei zu Gunsten der Eingebornen. „Daß unsere gegenwärtige Stellung
zu den ursprünglichen Bewohnern des Landes keine billige ist, ist fraglos. Wir
haben ihnen ein Land genommen, in dem sie in ihrer Art zufrieden und glück⸗
lich lebten, und als Entgelt haben wir ihnen eine Zivilisation gebracht, an der
sie zu Grunde gehen. Die Eingebornen schmelzen mehr und mehr zusammen,
und ihr völliges Verschwinden ist nur eine Frage der Zeit.“?
3. Die Euahlayi.
Die Euahlayi (sprich Jualai) wohnen im Nordwesten von Neusüdwales am
Narranfluß. Über dieses Volk besitzen wir ein interessantes Werk aus der Feder
der Frau eines englischen protestantischen Missionärs, K. Langloh Parker?.
Der bekannte Ethnolog Andrew Lang, der das Manuskript der Frau Parker
vor der Drucklegung durchgesehen und eine Einleitung dazu geschrieben, lobt
die Methode, welche sie bei ihren Forschungen einhielt, und die Zuverlässigkeit
der Ergebnisse, zu denen sie gelangt ist. Sie selbst schreibt von sich: Mein
Beobachtungsgebiet beschränkt sich der Hauptsache nach auf die Gegend, welche
der Stamm Euaghlayi im nordwestlichen Neusüdwales am Narranfluß be⸗
wohnt. Sie sind zwanzig Jahre lang meine Nachbarn gewesen. Ich war mit
den Eingebornen von Jugend auf bekannt; zuerst im südlichen Südaustralien,
sodann an der Station meines Vaters am Darling River, wo ich von einem
eingebornen Mädchen gerettet wurde, während, meine Schwester beim Baden
ertrank. Ich war vertraut mit den Anlagen der Schwarzen und stand auf
freundschaftlichem Fuß mit ihnen, ehe ich einen regelrechten Versuch unternahm,
ihre Sitten und Gebräuche zu studieren. Dies geschah auf der Station meines
Mannes am Narran River, genau nördlich vom Barwon River, dem großen
Nebenfluß des Murray River.“
Auf die Frage, inwiefern der Euahlayistamm unter dem Einfluß euro—
päischer Ideen gestanden, antwortet Parker: „Die nächste Missionsniederlassung
wurde gegründet, nachdem wir uns bei den Euahlayhi angesiedelt hatten, und
lag wenigstens 100 Meilen entfernt, zu Bewarrina. Keiner von den Ein⸗
gebornen, bei denen ich mich über ihre Sitten erkundigte, hat meines Wissens
je unter dem Einfluß eines Missionärs gestanden. Sie trugen alle Hemden
ind die meisten von ihnen gelegentlich auch Hosen, und alle, mit Ausnahme
der alten Männer, die die Hauptquelle meiner Informationen waren, standen
hei den weißen Ansiedlern in Arbeit.“ Alle standen sehr gut zu mir und wir
tauschten öfters Geschenke aus.
Von ihrer Stellung zu Spencer sagt Parker: „Meine Kenntnis anthropo⸗
logischer Literatur war nicht groß, aber ich war wohl vertraut mit Herbert
Spencers ‚Geistertheoriet, der Herleitung der Religion aus der Verehrung der
Cameron, Notes on somo tribes usw. XIV 868. 2 Ebd. 344.
3The Euablayi tribe. A Study of aboriginal life in Australia, London 1905.
3. Die Euahlayi.
261
Geister der verstorbenen Ahnen, und war eine Anhängerin derselben. Was ich
von den Eingebornen erfuhr, überraschte mich und erschütterte meinen Glauben
an Spencers Theorie, mit der es mir unvereinbar schien.“ IJ
Die Euahlayi glauben an ein übermenschliches, aber doch menschenähnliches
Wesen, das sie Byamee (Baiami) nennen; derselbe Name kommt auch bei ihren
Nachbarn, den Kamilaroi und Wiradjuri vor. Er bedeutet wörtlich „der Große“.
Als Bezeichnung Gottes darf das Wort von den Frauen und Uneingeweihten
nicht gebraucht werden, die dafür den Namen Boyjerh (Vater) gebrauchen, ähn⸗
lich wie im Theddorastamm die Frauen statt des Wortes Daramulun (Gott)
den Ausdruck Papang Water) gebrauchen.
dDas erste Mal sprach mir von Byamee in geheimnisvollem Flüsterton ein
sehr alter Eingeborner, der schon im Jahre 1864, als Thomas Mitchel den
Narran entdeckte, graue Haare gehabt haben soll. Er sagte mir, er sei in seiner
ersten Einweihungszeremonie über Byamee unterrichtet worden. Wenn er früh
drau wurde, sagen wir mit dreißig Jahren, im Jahre 1846, so fand seine
Einweihung im Jahre 1830 statt, und wir haben mithin einen tatsächlichen
Beweis, daß der Glaube an Byamee nicht von den Missionären importiert
wurde, da erst nach 1856 christliche Ideen durch das Buch Ridleys bei unter⸗
richteten Kamilarois Eingang fanden. Byamee galt lange vor der Ankunft
der Missionäre als ein zu verehrendes Wesen, das sich in geheimnisvoller Weise
offenbarte, wie alle meine Gewährsmänner versichern.“
„Es ist viel darüber gestritten worden, ob die eingebornen Australier irgend
eine Idee oder den Keim einer Idee von Gott haben, mehr als bloß den un—
bestimmten Glauben an frei umherschweifende, meist böswillige Geister, die man
dersöhnen oder verscheuchen kanun. Mr Hurley verneinte das ebenso wie
d. Spencer. Beide Schriftsteller unterließen es, auf die gegenteilige Behaup⸗
tung von Waitz hinzuweisen, die schon im Jahre 1872 veröffentlicht war!.
Dieser behauptete, daß die Eingebornen in mehreren Gegenden den Glauben an
ein göttliches Wesen besaßen und zu seiner Ehre Tänze veranstalteten, und er
eugnete zugleich, daß dieser Glaube auf europäischen Einfluß zurückzuführen
si. Tylor gab zu, daß dieser Glaube heute bis zu einem gewissen Grade be—
stehe, aber er schrieb ihn dem Einfluß der Missionäre und weißen Ansiedler zu.
Baiame—, so behauptete er, sei ein von den Missionären gebildetes und zwischen
1830 und 1840 aufgekommenes Wort. Diese Ansicht wurde von A. Lang und
. W. Thomas bestritten. Thomas konnte sich auf das von Henderson im
VFahre 1829 —1830 niedergeschriebene Zeugnis für den Glauben an ‚Piaame‘
oder Byamee oder Baiame berufen.“?
„Im Jahre 1904 lieferte Howitt eine große Masse von Beweisen für den
Blauben der Eingebornen an das, was er den „Allvater“ nennt und der
in mehreren Dialekten mit Namen bezeichnet wird, die „Unser Vater“ bedeuten,
der in oder über den Wolken wohnt und oft die Seelen der Schwarzen, welche
gut‘ gewesen sind, empfängt. Diese Ideen stammen nach Howitt nicht von
den Europäern und haben sich auch nicht aus der Ahnenberehrung entwickelt,
Waitz-Gerland, Anthropologie der Naturvölker VI, Leipzig 1872, 796 ff.
ParKker a. a. O. 5-6.
262
Fünfter Teil. Australien und Ozeanien.
die bei diesen Stämmen nicht existiert. Dieser Glaube wird vor den Weibern
geheim gehalten und den Jünglingen bei ihrer Mannesweihe mitgeteilt.“
Aber wie konnte Frau Parker etwas von dem Glauben erfahren, der sorg⸗
fältig vor den Frauen geheim gehalten wird? Sie selbst antwortet, durch
besondere Vergünstigung sang ein alter Schwarzer in ihrer und ihres Mannes
Begenwart das „Lied Byamees“, das nur die eingeweihten Männer singen
dürfen und das von der heutigen Generation nicht mehr verstanden wird—
Außerdem haben die Frauen der Euahlayis einige Kenntnis von Byamee und
auch einige Mittel, ihm geheimnisvoll zu nahen; sie geben ihm aber einen
andern Namen.
„Byamee ist zunächst für die Euahlayi, was Alcheringa oder die Traumzeit
(uralte, sagenhafte Zeit) für die Arunta (Aranda). Fragt man einen Arunta
nach dem Grunde von irgend etwas, so antwortet er, so war es in der Alche⸗
ringa. Ähnlich ist es bei den Euahlayi. Sie erzählen, es habe einst eine
Zeit gegeben, wo nur Vögel und Tiere auf Erden lebten. Da kam ein kolossaler
Mann mit zwei Frauen vom fernen Nordosten, verwandelte die Vögel und
Tiere in Männer und Frauen, bildete noch andere Wesen aus Lehm oder Stein,
lehrte sie alles, gab ihnen Gesetze und kehrte dann dorthin zurück, woher er ge⸗
kommen. Dieses ist eine Art Alcheringa-Mythus; ob nun dieser kolossale Mann
Byamee gewesen ist oder nicht, stets antwortet dieser Stamm, wenn man nach
dem Ursprung einer Sitte fragt: ‚weil Byamee so sage‘. Byamee erklärte
seinen Willen, das war und ist genug für seine Kinder. Bei der Boorah Bura)
oder Einweihungsfeier wird er als der Vater aller gepriesen, dessen Gesetzen
die Stämme jetzt gehorchen. Byamee ist, wenigstens nach einem Mythus, der
auch bei den Wiradjuri existiert, die Urquelle aller Totems und des Gesetzes,
daß Leute von demselben Totem untereinander nicht heiraten dürfen, .wie weit
auch ihre Jagdgründe auseinander liegen‘.“!
Nach einer allgemeinen Legende hatte Byamee einen eigenen Totemnamen
für jedes Glied seines Leibes, ja sogar für jeden Finger und jede Zehe, und
wenn er über frische Felder ging, so gab er jeder Verwandtschaft eines Stammes
beim Verlassen eines von seinen Totems. Nach der gewöhnlichen Erzählung
erhielten alle als Totem den Vogel oder das Tier, aus dem sie gebildet wurden.
Kein Klan denkt aber daran, Byamee als Verwandten für sich in An—
spruch zu nehmen. Er ist von allen gesondert und doch der Vater von
allen, gerade so wie Birrahgnulu, seine Hauptfrau, die Mutter aller und nicht
mit irgend einem Stamm verwandt ist. Cunnumbeillee dagegen, das zweite
Weib Byamees, hatte nur ein Totem. Birrahgnulu wird die Mutter aller
genannt, denn auch sie hatte, wie er, ein Totem für jeden Teil ihres Leibes—,
und kein Totem kann sie allein für sich in Anspruch nehmen. Cunnumbeillee
dagegen ist die Gebärerin und Ernährerin der Kinder. Birrahgnulu ist die
Lieblingsfrau und Gefährtin Byamees, der dieser eine Macht und Stellung
gegeben hat wie sonst keinem. Auch sie ist, wie er, zum Teil kristallisiert in
dem Himmelsfeld, wo sie zusammen leben; die oberen Teile ihrer Leiber sind
wie auf Erden. Bei Mangel an Regen wendet man sich an sie, und wenn
Parker, The Kuahblayi tribe 6—- 7.
3. Die Euahlayi.
263
sie die Bitte gewähren will, befiehlt sie der Cunnumbeillee, einen Flutball aus
Blut den Berg herunterrollen zu lassen.
Byamee ist übrigens nicht bloß der Urheber der Totems, sondern auch vieler
anderer minder wichtiger Einrichtungen. Von ihm kommt z. B. das Gesetz,
daß es einen den verschiedenen Stämmen gemeinsamen Lagerplatz gebe, wo
während der Fischereifeste der Friede streng beobachtet werden muß und alle
zusammenkommen, um sich am Fisch zu erfreuen und gemeinsam für die Er—
haltung der Fischerei zu sorgen.
„Byamee existiert noch. Ein alter Eingeborner erzählte mir, daß man bei den
Begräbnissen Gebete an Byamee für die Seelen der Verstorbenen
richtete, ein Gebrauch, der sicher nicht von den protestantischen Missionären
herkommt.“ 1 Man glaubt, Byamee höre auf das Rufen einer Waise nach
Regen. Diese braucht nur, wenn Wolken in der Höhe sind, hinauszulaufen,
zum Himmel zu blicken und laut zu rufen: „Wasser, komm herab, Wafsser, komm
herab!“ Regnet es zu viel, so kann das jüngste Kind einer Frau, das dazu
mstande ist, ihn durch Verbrennen von Midchirholz stillen. Eine alte Frau er⸗
zählte nach einem Regen der Frau Parker, sie habe einen ihrer Schutzgeister zu
Bohjerh — der Name Byamees bei Frauen und Kindern — gesandt gehabt,
um ihm zu sagen, daß das Land Regen brauche. Als Antwort habe er eine
Handboll Kristallkiesel genommen und von den Wolken in einen steinernen Wasser—
behälter auf der Spitze des heiligen Berges geworfen. Als die Steine ins
Wasser fielen, spritzte dieses bis in die Wolken empor und fiel dann als Regen
auf die Erde. Bei gewissen Einweihungsfeierlichkeiten richtet der älteste gegen—
wärtige Medizinmann — Wirrinun — Gebete an Byamee, ihn anflehend,
ihnen langes Leben zu geben, solange sie sein Gesetz beobachteten.
Die gewöhnlichen Männer scheinen nur bei den Begräbnissen und am Schluß
der Bora (Boorah) zu Byamee gebetet zu haben.
Einige Gelehrte haben die geistige Begabung der Schwarzen in Frage gestellt,
weil sie kein ausgearbeitetes Zahlensystem haben. Aber für ein solches haben
sie gar kein Bedürfnis. Soweit es ihnen nötig ist, können sie zählen. Die
Zahl wird gewöhnlich der zu zählenden Sache angehängt, so z. B. Gundui, ein
einziger Emu, Buluwah zwei Emus, Ugle Ugle vier Emus, Gayyahgnai fünf
oder sechs Emus, Gonurrun vierzehn oder fünfzehn Emus. Ich denke, meint
Parker, die Köpfe, die so verwickelte Heiratsregeln auszuarbeiten vermochten,
wären auch imstande, wenn nötig, die Arithmetik durchzuarbeiten. Wenige von
uns kennen ihren Familienstammbaum so genau wie die Schwarzen. Selbst das
kleinste Kind, das reden kann, scheint voll von Kenntnissen der verschiedenen
Verwandtschaften und Ehetapus zu sein.
In Bezug auf die Ehe unterscheiden die Euahlayi zwei Phratrien oder
exogame Haͤlflen: Gwaigulliah (die Hellblütigen) und die Gwaimudthen (die
Dunkelblütigen). Ein Hellblütiger darf nie eine Hellblütige heiraten; er muß
seine Frau bei den Dunkelblütigen suchen. Ebenso darf der Dunkelblütige nur
eine Hellblütige heiraten. Die Kinder gehören immer zur Phratrie ihrer Mutter
weibliche Linie).
Eßd. 8.
J
264
Fünfter Teil. Australien und Ozeanien.
Eine andere Einteilung der Stammesgenossen ist lokaler Natur und der
Gegend oder dem Jagdgrund entnommen, dem ein Glied angehört. Diesen
Namen erhält das Kind von seiner Mutter, wo immer es geboren sein mag.
Die Stammesgenossen bilden so gewissermaßen Nationalitäten im kleinen, die
aber untereinander leben können, etwa wie Irländer, Schotten und Engländer.
Diese Einteilung hängt nicht mit der Blutsverwandtschaft zusammen und bildet
lein unübersteigliches Ehehindernis.
Eine dritte Einteilung ist der allen Töchtern und allen Söhnen von Schwestern
gemeinsame Name. Die Töchter erhalten alle den Namen ihrer Großmutter
mütterlicherseits, die Söhne den Namen ihres Großonkels mütterlicherseits. Es
gibt vier solche Klassen mit eigenem Namen, der jedem Glied der Klasse zu—
kommt. Die Klassen sind so eingerichtet, daß nie Ehen der älteren mit der
jüngeren Generation stattfinden können. Auch die, welche dasselbe Totem
haben, gelten als Brüder und Schwestern und dürfen deshalb nie untereinander
heiraten.
Oft wird ein Mädchen noch ganz jung einem Mann vermählt. Die
Euahlayis machen übrigens einen Unterschied zwischen der Verlobung und der
Ehe. Frau Parker sah, daß Mädchen für ihre Freiheit kämpften, weil sie enl⸗
deckten, daß man sie bloß verlobt, aber nicht eigentlich vermählt hatte. Viel—
weiberei ist gestattet, doch haben die meisten Männer nur eine Fraul. Ein
eigentlicher Frauenkauf scheint nicht stattzufinden, doch muß der Bräutigam
seiner Schwiegermutter gewöhnlich Geschenke machen. Indessen kommt es auch
vor, daß ein Mann ohne Geschenke eine Frau erhält. Wenn der Mann die
Frau mißhandelt, so können die Verwandten sie ihm nehmen. Er selbst kann
die Frau zu ihren Leuten zurückschicken, wenn sie ihm nicht mehr gefällt. Hat
sie ein Kind, so läßt er es bei ihr, bis es alt genug ist, um von ihr fortzu—
gehen, dann wird es dem Mann zurückgegeben 2.
Ehebruch der Frau wird hart gestraft, zuweilen mit dem Tode. Wenn
ein Mädchen zum erstenmal gefallen ist, bilden seine Brüder und nächsten Ver—
wandten einen Kreis um dasselbe, und nachdem ihm Hände und Füße gebunden
wurden, stoßen sie es von einem zum andern, bis es halb betäubt und fast zu
Tode erschreckt ist. Dann wird es losgebunden und seinem Bräutigam übergeben
oder es wird ein Mann für dasselbe gewählt. Ist ein Weib völlig ausschweifend,
so bilden Männer einen Kreis um dasselbe, stoßen es hin und her, und wenn es
erschöpft ist, wird es loggebunden und von den Verwandten den Männern über—
geben, die mit ihm nun tun können, was sie wollen. Die fast unvermeidliche
Folge ist der Tod. Angesichts solcher Vorkommnisse, meint Frau Parker, haben
die Schwarzen vielleicht recht, wenn sie sagen, in früheren Zeiten seien ihre
Weiber in Bezug auf die häuslichen Beziehungen ganz anders gewesen.
Ein Hauptfest der Euahlayi ist die Feierlichkeit der Bura GBoorah), d. h.
der Mannesweihe, durch die der Jüngling in die Reihen der vollberechtigten
Männer aufgenommen wird. Der Jüngling erhält um diese Zeit einen älteren
Verwandten als Beschützer und Lehrer und muß durch verschiedene Prüfungen
seine Tapferkeit beweisen. In früheren Zeiten wurden die Jünglinge, die bei
1ParKer, The Fuabhlayi tribe 55. 2 Ebd. 538.
3. Die Euahlayi.
265
diesen heiligen Zeremonien lachten, getötet, ebenso diejenigen, die als dumm
und unfähig erfunden wurden. Die Einweihung findet in mehreren Ab—
ttufungen und Feierlichkeiten statt, die sich auf Monate erstrecken. Während dieser
Zeit werden die Einzuweihenden von ihren Meistern in den heiligen Dingen
unterrichtet. Während eines ganzen Jahres dürfen sie kein Wort mit einer
Frau sprechen und auch keine Nahrung von ihr annehmen, gleich als wären
sie Novizen in einem Kloster. Es ist dies ein Beweis, daß die Eugahlayi die
Keuschheit als etwas Gott Wohlgefälliges ansehen. Bei der Bura dürfen die
Jünglinge nach genügender Vorbereitung die ungeheuren Lehmfiguren Byamees,
Birragnulus und Baillaburrahs oder Dillalis sehen und werden über diese Wesen
unterrichtet. Weil Byamee dieses Fest der Bura angeordnet, können nur die—
—
Riten unterziehen.
Drei Sünden werden nie vergeben und überliefern den Schuldigen un—
aufhörlicher Bewegung in der Unterwelt von Ilianbah Wundah, wo die
Dunkelheit nur durch ein beständig unterhaltenes Feuer erhellt wird. Dort
muß der Schuldige seine rechte Hand an die Seite halten, ohne sie zu berühren,
während er selbst sich beständig bewegen muß. Wer den Hang der Schwarzen
zum Dolce far niento kennt, begreift, was für eine Hölle diese stete Bewegung
sein müßte. Die genannten drei Todsünden sind mutwilliger Mord,
Anlügen der älteren Leute des Stammes und der Raub einer bluts—
berwandten Frau zu blutschänderischer Ehe!. Merkwürdigerweise wird aber
ꝛine solche Ehe als gültig anerkannt, wenn der Mann folgende Prüfung besteht:
Er muß sich, nur mit einem Schild bewaffnet, gegen die Verwandten der ge—
ttohlenen Frau wehren, die Waffen auf ihn werfen. Bei dieser Prüfung dürfen
nur die Verwandten der Frau Angreifer sein, während bei einem Morde den
mutmaßlichen Täter alle Männer des Stammes angreifen dürfen. Gelingt
* dem Schuldigen, mit heiler Haut davonzukommen, so darf er die Frau
Nhalten.
.Güte gegen alte Leute und Kranke wird streng eingeschärft als
ein Gebot Byamees; diesem werden beim Tode eines Mannes alle
Übertretungen feiner Gesetze berichtet und der Mann wird da—
nach gerichtet?. Thomas Mitchel, der im Jahre 1837 seine Erfahrungen
bei den Schwarzen aufschrieb, bezeichnet deren Sorge und Liebe für die alten
Leute als sehr groß.
Bei der zweiten Bura darf der junge Mann auch das Lied hören, das
Byamee selbst sang, und ebenso das Gebet, das der älteste Medizinmann an
ihn richtet, um ihn anzuflehen, daß er die Schwarzen lange leben lasse, da sie
durch die Beobachtung der Bura sich seiner Anordnung unterwürfig gezeigt
hätten. Zu diesem Zweck spricht der alte Zauberer mehrmals flehentliche Worie,
undem er dabei den Kopf nach Osten wendet. Auch die Toten werden meist
mit dem Gesicht nach dieser Richtung begraben.
Vor der Bura sind den Männern manche Speisen und Genüsse verboten
Tapu). Bei jeder Bura wird ein Tapu gehoben. Nach der dritten Bura
1Ebd. 78. 2 Ebd. 79.
266 Fünfter Teil. Australien und Ozeanien.
darf der Mann Fische essen, nach der vierten Honig, nach der fünften alles,
was er will. Heute gibt es nur wenige Männer mehr, die bei fünf Buras
gewesen sind. Bei jeder Bura wurde dem Mann ein Stein gegeben, und wenn
er den fünften erhalten hatte, durfte er heiraten. Nach der ersten Bura durfte
der Mann Kriegswaffen tragen und war nun ein Krieger, aber erst nach der
fünften durfte er sich den Dorrunmai anschließen oder auch einer von ihnen
sein. Diese Dorrunmai sind eine Art Häuptlinge, die Kriegsrat halten; sonst
zaben sie wenig Macht; nur im Krieg und auf den Jagden sind sie die an—⸗
erkannten Führer. Die Hauptmacht besitzen die Medizinmänner oder Zauberer.
Parker schildert ausführlich die Begräbnisfeierlichkeiten der Euahlayis.
Sie wohnte selbst dem Begräbnis einer alten Frau bei. Die Leiche wurde in
eine große Baumrinde eingebunden. Die ganze Zeit, vom Tode bis zum Be—⸗
gräbnis, blieb ein Verwandter bei dem Sarge und unterhielt kleine Feuer, die
Rauch verbreiteten. Zur bestimmten Zeit wurde die Leiche in Prozession zur
Begräbnisstätte gebracht. Während sich die Prozession voranbewegte, hörte Frau
Parker den Ruf eines Vogels und sah, wie die Frauen einander anblickten
ind sich Namen zuflüsterten. Auf die Frage, was das bedeute, sagte man ihr,
das sei der Schrei eines kleinen Vogels, Durrui, in dem die Geister der ver⸗
storbenen Frauen die Erde wieder besuchten. Numbardi, die erste Frau, scheint
eine gute Ernährerin gewesen zu sein; sie erwarb die Kunst, Pflanzenwurzeln
in sehr geschätzte flache Kuchen zu schlagen. Sie trug deren immer bei sich.
Byamee hatte ein sehr großes Wohlgefallen daran, daß sie immer Nahrung
für die Hungrigen brachte. Nach dem Tode erlaubte er ihrem Geiste, in der
Gestalt des kleinen Vogels ihr Lager wieder zu besuchen. „Alle Frauen haben
nach ihr dasselbe Vorrecht, wenn sie im Leben ihre Pflicht erfüllt
haben.“1 Dieser Vogel gilt als heilig, und wehe dem, der ihn angreift oder
auch nur seinen Schrei nachahmt.
Als man an dem ungefähr 5 Fuß tiefen Grabe ankam, wurde die Leiche
neben dasselbe gelegt, der Boden des Grabes mit Zweigen und Rinde belegt
und ein Feuer angezündet, das einen dichten Rauch über das offene Grab
und die alten Gräber verbreitete. Ein Sack mit den Habseligkeiten der Ver—
storbenen wurde als Kissen ins Grab gebracht und darauf die Leiche ins Grab
gesenkt unter lautem Schluchzen der Tochter der Verstorbenen. Die Tochter
setzte sich mit den andern Frauen ans Grab, blickte hinein und sang mit ihnen
die Totenklage: „O Mutter, o meine Mutter, komm zurück zu mir. Meine
Mutter, mit der ich immer gewesen, warum hast du mich verlassen?“ Als sie
zeendet, rief ein alter Mann: „Sie ist von uns gegangen, sie wird nie wieder—
kehren, nicht mehr wie einst wird sie Honig sammeln, niemals mehr Yams
zraben, sie ist gegangen und wird nicht wiederkehren.“ Als er geendet, folgten
wieder Klagen der Weiber. Dann sprach ein alter Mann, der im Grabe stand:
„Muscheln sind in der Bucht, aber sie, die hier liegt, wird nicht mehr graben;
wir werden Fische fangen wie früher, aber sie, die hier liegt, wird kein Ol
mehr verlangen, Ol für ihr Haar, sie wird keines mehr bedürfen.“ Es folgt
wieder das Klagen der Weiber. Zum Schluß sprach der erstgenannte alte
Parker. The Euahlayi tribe 86.
3. Die Euahlayi.
267
Mann: „Nie mehr wird sie Feuer brauchen; wo sie hingeht, gibt es kein Feuer,
denn sie geht ja zu den Frauen, zu den toten Frauen, und Frauen können
kein Feuer machen. Früchte sind dort im Überfluß und Grassaat, aber keine
Vögel und Tiere sind im Himmel der Frauen.““ Während das Grab mit
Erde zugeschüttet wird, bleibt ein Mann im Grabe stehen, bis die Leiche ver—
deckt ist, um sie zu hüten. Auf das vollständig zugedeckte Grab werden Scheite
und Zweige gelegt; rings herum wird der Boden gekehrt. Das Feuer und der
Rauch sollen die Geister fernhalten, und das Kehren hat den Zweck, denjenigen
zu entdecken, der den Verstorbenen getötet und vergiftet hat. Denn sie schreiben
den Tod nicht natürlichen Ursachen, sondern zauberischen Einflüssen zu.
Nach dem Begräbnis erklärte ein alter Mann der Frau Parker, beim Be—
gräbnis eines Mannes würde viel mehr gesprochen worden sein. Man würde
seinen Geist in einem kurzen Gebet dem Byamee empfohlen haben,
um diesen zu bitten, daß er den Toten in den Bullimah (Himmelh)
einlasse, da er die Buragesetze beobachtet habe, natürlich wenn er
eingeweiht war; denn die Uneingeweihten wandern umher, bis sie wieder Menschen
werden, und kommen nie in den Bullimah.
Bei dem oben beschriebenen Begräbnis ergriff die Tochter der Verstorbenen,
während man das Grab zuwarf, einen Stein und schlug sich damit den Kopf
blutig, indem sie „Mutter, Mutter!“ rief. Doch nahmen ihr die Umstehenden
den Stein. Gewöhnlich aber findet beim Begräbnis viel Blutvergießen statt?.
Dieses Blutopfer soll den Toten als Beweis der Liebe gefallen.
Wenn der Geist des Verstorbenen das Grab verläßt, findet er die Geister
seiner verstorbenen Verwandten, die auf ihn warten, um mit ihm zum Oobi
ODobi, d. h. einem heiligen Berge, zu ziehen, dessen höchste Spitzen bis in die
Wolken ragen und fast den Bullimah berühren. Der eine Geist erkennt seine
Verwandten sofort; manche von ihnen waren an seinem Totenbette, aber nur
ihm sichtbar, nicht den Umstehenden, obwohl diese zuweilen Geisterstimmen hören
sollen. Der das Grab verlassende Geist nimmt Zweige von dem dem Toten
heiligen Dhealbaum mit und läßt dieselben fallen, während er den Geistern
folgt, damit die Nachkommenden den Weg erkennen können. Oben auf der Spitze
des Oobi Oobi findet er die Murubegigunnil genannten Geister, deren Auf—
gabe es ist, eine Brücke über den Zwischenraum zu bilden, welchen der Geist
von der Spitze des Berges bis zum Bullimah, dem großen Himmelsfeld Byamees,
zu überschreiten hat. Einer von den Murubeaigunnil ergreift ihn und hebt
ihn auf seine Schulter, dann kommt ein anderer und hebt den ersten auf seine
Schulter usw., bis derjenige, der den Geist auf seinen Schultern hat, ihn in den
Bullimah setzen kann. Sobald der Geist darin ist, stößt ein Murubeaigunnil
den untersten in der Leiter um und die andern stürzen mit Donnergelöse, das
die Stämme weithin hören können, zur Erde. Vernehmen sie dieses Getöse, so
sagen sie, ein Geist ist in Bullimah eingezogen.
Nicht immer werden die Leichen in der Erde begraben, zuweilen auch in
hohlen Bäumen. Die Habe des Verstorbenen, die man nicht mit ihm begräbt,
wird verbrannt.
1 Ebd. 87288. 2 Ebd. 90.
268
Fünfter Teil. Australien und Ozeanien.
Bei einigen Stämmen existiert die Sage, daß durch des Weibes Schuld die
Sünde in die Welt kam!. Diese Sage beweist, daß ursprünglich die Stämme
unsterblich sein sollten. Der Tod kam so. Frauen sollten sich nie einem ge⸗
wissen hohlen Baum nahen. Die Bienen machten ein Nest in diesem Baum.
Die Frauen verlangten nach dem Honig, aber die Männer verboten ihnen, in
die Nähe zu gehen. Endlich jedoch beschloß eine Frau, den Honig zu holen.
Rasch fiel ihre Axt in den hohlen Stamm, und eine ungeheure Fledermaus
flog heraus. Das war der Geist des Todes, dem es jetzt gestattet war, frei
in der Welt umherzustreifen und alles für sich in Anspruch zu nehmen, was
er mit seinen Flügeln berühren konnte.
Geradezu erstaunlich ist der Reichtum an Mythen, Legenden und Sagen, den
die Phantasie dieses kleinen Volkes ersann; Sonne, Mond, Sterne, Kometen,
Meteore, Naturereignisse aller Art haben ihre Mythen. Dabei spielen natürlich
allerlei böse Geister und Teufel eine beträchtliche Rolle. — Ihre Geschicklichkeit,
in ihrer Lage und mit ihren Mitteln die Natur sich dienstbar zu machen, ist
sehr groß.
In Bezug auf die Kleidung sei noch bemerkt, daß heute die Eugahlayi
sich zuweilen europäische Kleidungsstücke anlegen. Frau Parker sah einen Mann,
der mit großer Selbstgefälligkeit nur mit einem kurzen Hemd und einem alten
hohen Hute bekleidet einherstolzierte. Früher trugen sie als einziges Kleidungs—
ftück eine Art Leibbinde mit Fransen. Völlig nackt scheinen sie nie gegangen
zu sein.
4. Die Bungyarlee, Parkungi und verwandte Stämme nördlich vom
Darling River.
„Während meines Aufenthaltes in einem weiten Gebiete auf der nördlichen
Seite des Darling River zwischen den Jahren 1865 und 1880“, so schreibt
Frederic Bonney?, „hatte ich als einer der frühesten europäischen An—
siedler Gelegenheit, die Eingebornen in diesem Distrikte kennen zu lernen, bevor
sie durch die Zivilisation verdorben wurden. Da ich sie als Schafhirten und
zu andern Beschäftigungen auf den weiten Schaf- und Rinderweiden gebrauchte,
so waren sie während der Arbeit gewöhnlich meine Begleiter in den ersten
Jahren meines Buschlebens, und an manchem Lagerfeuer wurde ich mit ihrem
Charakter und ihren Gewohnheiten bekannt. Die Stämme, die ich am besten
kenne, heißen Bungyarlee und Parkungi, von denen die ersteren um die Buchten
aördlich vom Mount Murchison und die letzteren am Darling River oberhalb
and unterhalb Wilcannia leben. Sie sprechen dieselbe Sprache, das Weyneu—
zulckoo, das auch von den umliegenden Stämmen gesprochen wird, den Baroongee
am unteren Paroo River, den Mullia:arpa im Yencanyahdistrikt“ usp. Das
Gebiet dieser Stämme ist sehr dünn bevölkert, da es fast beständig an Dürre
leidet. besonders in den Jahren. wo nur wenig Regen fällt.
Parker, The Euablayi tribe 97.
On some customs of the aborigines of the River Darling of New South Wales,
boy Frederic Bonney, in der Zeitschrift The Journal of the Anthropological
s(nstitute usw. XIII (1883) 122 ff.
4. Die Bungyarlee, Parkungi und verwandte Stämme nördlich vom Darling River. 269
Die Eingebornen der genannten Stämme sind durchschnittlich klein von
Statur. Die Haut ist in der Jugend dunkel schokoladefarbig, wird aber mit
zunehmendem Alter schwarz. Das neugeborne Kind ist fast weiß, wird aber
hald dunkler, obwohl die Fußsohlen und die inneren Flächen der Hände noch
einige Zeit weiß bleiben. „Obwohl in ihrer Erscheinung wenig einnehmend
und häßlich, sind sie doch gütig und arlig und erreichen den Durchschnitt von
Intelligenz und Sittlichkeit. Daß sie oft in ihrer Person schmutzig sind, läßt
sich bis zu einem gewissen Grade durch den Wassermangel in den meisten Teilen
ihres Gebietes entschuldigen. Die australischen Eingebornen sind oft als der
niedrigste Typus der Menschheit hingestellt worden. Ich halte das im großen
ganzen für eine Verleumdung, wenigstens gilt das zweifellos von den Stämmen,
die ich am besten kenne. Es ist ungerecht, als Muster der Rasse diejenigen
anzusehen, die man in den zivilisierten Bezirken an der Küste oder in der Nähe
der Städte im Innern antrifft, die alles, was sie von Haus aus Gutes be—
saßen, verloren haben, schlechte Wirtshäuser besuchen und oft mit Europäern
derkehren, die noch tiefer gesunken sind als sie selbst. Diese haben nichts mehr
bon dem Adel des Wilden an sich und gehören gewiß zu den herabgekommensten
Geschöpfen.“! Heute findet man nach Bonney nur mehr wenige Individuen,
die nicht durch die Zivilisation etwas verdorben sind. Gerade deshalb will er
aufzeichnen, was er bei den Wilden in ihren besseren Tagen gesehen, und be—
weisen, „daß ihre Rasse besser, edler und geistig mehr veranlagt ist, als die—
jenigen glauben, die nicht unter diesen Stämmen gelebt haben“.
Wenn eine Frau der Niederkunft nahe ist, verläßt sie in Begleitung einer
andern Frau das allgemeine Lager, und beide lassen sich ein- oder zweihundert
Schritte entfernt unter einem schattigen Baum nieder. Wahrscheinlich geschieht
das, um einem Tod im Lager zuvorzukommen, der alle zwingen würde, das
Lager zu verlassen und anderswo ein neues aufzuschlagen, da dies allgemeine
Sitte ist, wenn im Lager ein Todesfall vorkommt. „Es scheint die Sitte ge—
herrscht zu haben, viele Kinder gleich nach der Geburt zu töten, um der lästigen
Sorge und den Entbehrungen zur Zeit der Dürre zu entgehen, wenn zur Suche
nach Nahrung und Wasser weite Märsche gemacht werden müssen und es
schwierig sein würde, bei der drückenden Hitze eine Anzahl junger Kinder auf
einer trockenen Wanderung von 20 Meilen und oft noch mehr mitzutragen
ohne anderes Wasser als das, was man in den zu diesem Zweck gebrauchten
Schläuchen mitnehmen kann. Ob das Kind am Leben bleiben solle oder nicht,
entscheidet im allgemeinen der Bruder der Mutter, wenn sie einen hat und er
sich in der Nähe befindet. Soll ein Kind getötet werden, so geschieht dies
durch einen Schlag auf den Hinterkopf oder durch Erwürgen mit einer Schnur
oder durch Ersticken mit Sand. Wird aber entschieden, es solle am Leben
bleiben, so kehrt die Mutter so bald als möglich mit ihm in das Lager zurück,
wo es sorgfältig ernährt und gut behandelt wird. Sowohl Männer als Frauen
lieben die Kinder, und von alt und jung wird ihnen die liebevollste Auf—
merksamkeit erzeigt. Sie werden durch diese gütige Behandlung nicht verdorben;
ein Wort der Eltern genügt im allgemeinen, ein Kind abzuhalten, wenn es
Ebd. 124-125.
270
Fünfter Teil. Australien und Ozeanien.
etwas Unrechtes tun will, und die Kinder erzeigen den Eltern die größte Achtung.
Überhaupt ist von seiten dieser Leute die Behandlung der Kinder, wenn diese
einmal angenommen sind, vernünftig und achtenswert. Es ist sonderbar, daß
das Leben des Kindes bei der Geburt so gering und etwas später so hoch
geschätzt wird. Soll das Kind getötet werden, so geschieht dies, ohne daß
man viel Aufhebens davon macht; gestattet man ihm aber zu leben, und sollte
es nun nach einer Woche oder später eines natürlichen Todes sterben, so würden
alle Frauen im Lager seinen Verlust betrauern und die Mutter und die Ver—⸗
wandten laut weinen.“
Eine Mutter hat selten mehr als vier oder fünf Kinder, und sie werden
gewöhnlich erst, wenn sie mehr als drei Jahre alt sind, von der Mutterbrust
entwöhnt. Zwillinge sind ebenso selten als bei den Europäern. Bonney er⸗
wähnt einen Fall, in dem einer von den Zwillingen getötet wurde; da die
Mutter bald danach starb, nahm eine andere Frau sich des zweiten, eines
Mädchens, an und säugte es. Leider wurde dieses, als es heranwuchs, sehr
schlecht, „es war weder ehrbar noch wahrhaftig, ermangelte also der beiden
Tugenden, die den meisten von ihnen natürlich sind'?. Die Mütter tragen
zewöhnlich die Kinder auf dem Rücken, so daß diese die Hände um ihren
Nacken schlingen und zugleich festgebunden sind. — Die Kinder erhalten meist
den Namen von irgend einem Tiere. Die Eingebornen vermeiden es, den
Namen eines Verstorbenen auszusprechen, und das Wort wird nicht mehr ge—
hraucht, bis man es wieder anwenden kann, ohne den Verwandten oder Freunden
wehe zu tun; denn aus einem Gefühl der Trauer und nicht aus Furcht ver—
meiden sie es, das Wort zu gebrauchen8.
Wenn der Juüngling ungefähr 16 Jahre alt geworden, muß er sich der
Einweihungszeremonie unterziehen, durch die er ein Mann wird. Da uns
ähnliche Zeremonien schon bei andern Stämmen begegnet sind, übergehen wir
hier die Beschreibung, die Bonney von ihnen entwirft.
Alle diese Stämme werden in zwei Klassen eingeteilt, die „Muckwarra“
und „Keelparra“ heißen. Ein Muckwarra muß eine Keelparrafrau heiraten
und umgekehrt. Die Kinder gehören zur Klasse ihrer Mutter und werden oft
verlobt, wenn sie noch ganz jung sind. Es gilt als ein schweres Vergehen,
wenn zwei Personen derselben Klasse sich miteinander verheiraten, ja als ein
Vergehen, das nicht vergeben werden kann. Die Übertreter kommen in schlechten
Ruf und werden allgemein verachtet. Der Verlust der Freundschaft und Achtung
hrer Freunde ist für sie eine schwere Strafe; deshalb kommen solche ungesetz—
liche Ehen selten vor“,
Hat ein junger Mann die Zeremonien der Mannesweihe durchgemacht, so
darf er, wenn er will, das Mädchen heiraten, mit dem er als Kind ver—
lobt wurde. „Er bittet nun die Eltern um das Mädchen, und diese, zufrieden,
daß ihre langgehegten Wünsche in Erfüllung gehen, ordnen sogleich die Heirat
zwischen den beiden in ihrer einfachen Weise an. Der hervorragendste alte
Mann des Lagers sagt dem Bräutigam, er könne das gewünschte Mädchen
4
Bonney, On some customs usw. a. a. O. 125- 126. 2 Ebd. 126.
Ebd. 127. 4Ebd. 129.
4. Die Bungyarlee, Parkungi und verwandte Stämme nördling vom Darling River. 271
heiraten und zugleich wird ihm ein Stück Schnur mit einem Knoten darin
übergeben. Hat der Bräutigam eine Schwester, welche der Bruder der Braut
zu heiraten wünscht, so macht der alte Mann zwei andere Knoten an den
Enden der Schnur. Der Bräutigam behält diese Schnur, bis er sie seinem
Schwager mit seiner Schwester oder einer andern Frau als Weib übergeben
ann; denn er betrachtet es als Pflicht, seinem Schwager ein Weib zu ver—
schaffen, wenn er kann. Die Mutter der Braut oder des Bräutigams bereitet
ein Lager für das junge Paar und sagt dem Bräutigam, er solle es in Besitz
nehmen, und wenn die erwählte Braut in das Lager kommt, sagt man ihr,
sie solle zu ihrem zukünftigen Mann gehen. Sollte sie sich weigern, so zwingen
sie ihre Verwandten mit Gewalt dazu, und damit wird die Ehe als abgeschlossen
betrachtet. „Obwohl junge Frauen oft gezwungen werden, einen Mann zu
heiraten, den sie wenig oder gar nicht kennen, so finden sie doch im allgemeinen
Glück und Zufriedenheit in ihrem Eheleben. Streitigkeiten zwischen den Ehe—
gatten sind selten, und sie beweisen sich in ihrer Art gegenseitig große Zu—
neigung.“ 1 Freilich zeigen sie ihre Liebe nicht in so demonstrativer Weise, wie
das anderwärls geschieht. „Von Natur sind sie sehr herzlich und höflich, immer
besorgt, sie möchten in Wort oder Tat als lieblos gelten und die Gefühle der—
jenigen verletzen, die sie lieben und respektieren.“?
.Sie meinen, alle Krankheiten würden von einem Feinde verursacht, der
sich gewisser Zaubermittel bedient, von denen einige Younto, andere Moolee
heißen und in kleinen Stückchen Knochen oder Quarz bestehen. Aufgabe des
Doktors (maykeeka) ist es, die Krankheit dadurch zu heilen, daß er den
Zauber aus dem Leibe des Kranken heraussaugt. Gelingt ihm dies, so ist
die Heilung sicher. Er zeigt auch irgend etwas dem Patienten und seinen
Freunden und sagt, er habe es aus dem Leibe gesogens.
Eine sehr kranke oder schwache Person wird mit dem Blute genährt, welches
ihr Freunde aus ihren Adern verschaffen“. In der Krankheit sind die Ein—
gebornen immer kleinlaut, niedergeschlagen, und die lauten Klagen und besorgten
Vlicke der sie umstehenden Freunde sind wohl geeignet, sie mit Angst zu er—
füllen. Man hat erzählt, die australischen Eingebornen verhelfen denen zum
Tode, welche hilflos und verkrüppelt sind, oder töten sie sogar. „Ich habe
dute Gründe anzunehmen, daß das bei diesen Stämmen nicht der Fall ist.
Nachdem ich Zeuge der liebevollen Behandlung der Kranken unter sehr schwierigen
Verhältnissen gewesen bin, glaube ich, daß sie gegen dieselben sehr gut und
aufmerksam sind und daß ihre Geduld und Sympathie ganz musterhaft ist.
Zuweilen kommt es vor, daß ein Lager gewechselt und eine lange Reise durch
eine ausgetrocknete Gegend gemacht werden muß mit einem hilflosen Invaliden,
der von starken Männern getragen wird, die gern von ihrem Blute hergeben,
bis sie selbst schwach und erschöpft sind, nur um einem Kranken die Nahrung
u besorgen, die sie als die beste für ihn ansehen.“6 Bonney führt manche
Beispiele an, die zeigen, welche große Sorgfalt die Australier den Schwach—
und Irrsinnigen angedeihen ließen.
Ebd. 129. Ebd. 180. Ebd. 180 131.
Ebdb. 1388.
4Ebd. 128 132.
272
Fünfter Teil. Australien und Ozeanien.
Das Begräbnis findet gleich nach dem Tode statt. Die Füße und die
Arme werden zusammengeschnürt, dann wird die Leiche in ein Tuch gehüllt,
mit einem Strick zusammengebunden und an einem langen Stock befestigt,
der Moolairee heißt. Zwei Männer werden als Träger ausgewählt, um die
Leiche zum Grabe zu bringen. Sollten die Freunde des Verstorbenen irgend
welchen Zweifel daran haben, wer dessen Tod verursacht, so werden am Grabe
einige Fragen an die Leiche gestellt, wie z. B.: „Warst du in dem oder dem
Lager, als die Krankheit dich überfiel?“ „Hat der oder der dich getötet?“
Antwortet die Leiche nicht durch eine Bewegung, so wird sie etwas weiter ge⸗
tragen, bis sie durch eine Bewegung in der Richtung des Zauberers antwortet
und ihnen so zeigt, wen sie wegen des Todes des Verstorbenen zu bestrafen
haben. — Es ist nicht unwahrscheinlich, daß infolge des sofortigen Begräb—
nisses manche noch lebend begraben werden. Bonney erzählt von einem Mann,
der in der gewöhnlichen Weise zu Grabe getragen wurde, als man eine un⸗
gewöhnliche Bewegung wahrnahm, deshalb den Bündel öffnete und nun durch
die Frage des Totgeglaubten überrascht wurde, warum man ihn so fest ge⸗
bunden habe!.
Sie haben keine festbestimmten Begräbnisplätze. In der Nähe des Lagers
wird ein 3 bis 4 Fuß tiefes Grab gemacht, der Boden desselben mit Zweigen
der Ginsterstaude bedeckt und dann der die Leiche enthaltende Bündel von
zwei Männern, die im Grabe stehen, in dasselbe gelegt. Gewöhnlich wird
dem Toten noch etwas von seinem Fleische oder Haare abgeschnitten. Bei
einigen Begräbnissen treten mehrere Männer an das offene Grab, schlagen sich
gegenseitig mit dem Bumerang an den Kopf und lassen das Blut in das
Grab auf die Leiche tropfen. Während des Begräbnisses hört man viel Weinen
und Klagen, besonders von seiten der Weiber. — Das von der Leiche ab⸗
geschnittene Fleisch wird nach Hause genommen, an der Sonne getrocknet, dann
in ganz kleine Stücke zerschnitten und an die Verwandten und Freunde des
Verstorbenen verteilt, die es als Zaubermittel gebrauchen.
Einige Männer dürfen zwei Frauen haben, aber als Regel gilt die Mono—
Jamie.
Zweites Kapitel.
Die Eingebornen im Süden und Westen Australiens.
1. Die Südaustralier.
Unter Südaustraliern verstehen wir hier die Eingebornen in der Kolonie
Südaustralien (Adelaide) und dem ganzen westlich davon gelegenen Küsten⸗
gebiet bis zum King George Sound. Am Spencer-Golf dehnt sich dieses
Gebiet nach innen bis zum Eyresee, aber die am Süd⸗ und Ostgelände dieses
Sees wohnenden Diery werden wir später bei den Zentralaustraliern beschreiben.
Einer der ersten, die die Südaustralier eingehend beschrieben haben, ist Edward
John Eyre, der auf verschiedenen Reisen dieses weite Gebiet erforscht und
Bonney, On some customs usw. a. a. O. XIII (1883) 134.
1. Die Südauftralier.
273
besonders in den Jahren 1840- 1841 von Adelaide aus eine Enldeckungsreise
in das Innere des Landes bis zum Eyresee und dann der Küste entlang bis
zum King George Sound unternommen hat!.
Das Aussehen dieser Eingebornen, schreibt Eyre, ist lange nicht so häßlich,
als viele Europäer behaupten. Die Männer sind oft recht stark, haben eine
aufrechte, gerade Haltung mit viel natürlicher Anmut und Würde im Betragen.
„Wenn man zum erstenmal mit den Eingebornen zusammentrifft, zeigen sie
oft furchtlose Unerschrockenheit in ihrem Betragen, einen geraden und offenen
Blick und Anstand im Benehmen, so daß ihr Außeres sehr für sie einnimmt.“?
Die Weiber dagegen sehen häßlich und verwahrlost aus, was wohl von den
dielen harten Strapazen, Entbehrungen und Mißhandlungen herkommt, denen
sie ausgesetzt sind. Wie die meisten Wilden betrachtet der Australier sein Weib
als eine Sklavin, der alle Arbeiten zur Last fallen. Es muß die tägliche
Nahrung sammeln und bereiten, das Zelt für die Nacht aufrichten, Brennholz
und Wasser herbeischaffen, die Kinder besorgen und auf der Wanderung die
ganze bewegliche Habe, oft sogar die Waffen des Mannes mitschleppen. Ob—
wohl die Eingebornen die Reinlichkeit völlig vernachlässigen, sind sie doch sehr
eitel auf ihre Schmucksachen: Federn, Gürtel, Halsbänder, Bemalung oder
Tätowierung des Leibes usw. Ihre gewöhnliche Kleidung besteht in einem
Fell, das um die Schultern gelegt wird; die Männer tragen einen Scham—
gürtel, der zwischen den Beinen durchgezogen wird. Bei manchen Festlichkeiten
und Tänzen gehen die Männer ganz nackt. Die Jugend bleibt bis zur Heirats—
fähigkeit ebenfalls ganz unbekleidet.
In ihrem Verkehr untereinander sind die Eingebornen sehr höflich und auf
ihre Etikette bedacht; auch solche, die sich nie gesehen, geben sich schmeichelhafte
Namen. Wenn sie jemand anreden, schicken sie immer dem Namen des An—
geredeten: Vater, Mutter, Bruder, Schwester, Sohn usw. voraus. „Die Ein—
gebornen lieben die Kinder sehr, die sie aufziehen, spielen mit ihnen undlieb—
losen sie; die Männer zeigen aber den Weibern selten herzliche Zuneigung.
Ich habe eingeborne Männer gesehen, die bei der Heimkehr ihren Frauen die
größte Gleichgültigkeit zeigten und keine Notiz von ihnen nahmen, sondern sich
niedersetzten und benahmen, als hätten sie nie ihr Lager verlassen. .. Dagegen
dabe ich Eltern gesehen, die nach langer Abwesenheit den Kindern beim Wieder—
ehen um den Hals fielen und weinten. Es ist eine irrige und ungerechte
Annahme, zu meinen, der Eingeborne sei zärtlichen Gefühlen unzugänglich.“ 8
Sehr oft bemerkte Eyre bei den Eingebornen in ihrem wilden Zustand einen
angebornen Takt im Benehmen, ein bescheidenes Auftreten ohne jede An—
maßung; allerdings fand er auch oft das Gegenteil, gewöhnlich aber bei Leuten,
die schon mit den Europäern in Berührung gekommen waren. Ebenso kennen
ie zarte Rücksichten. Am King George Sound sah Eyre eines Tages einem Tanz
zu, bei dem die Männer wie gewöhnlich bei solchen Gelegenheiten ganz nackt
waren. Plötzlich bemerkte ein Zuschauer, eine weiße Frau gehe auf dem Wege
.Bgl. Journals of the expeditions of discovery into Central Australia and over-
and from Adelaide to King Géorge's Sound in the years 1840- 1841, 2 Bde,
london 1845.
⁊Ebd. II 207. Ausland 1832, 817 ff. Eyre da. a. O. 215.
Cathrein, Die Einheit d. sittl. Bewußtseins. III. 18
274 Fünfter Teil. Australien und Ozeanien.
vorüber; obwohl sie in einiger Entfernung tanzten und die Nacht ziemlich dunkel
war, liefen die Wilden doch alle sofort in den Busch, zogen ihre Kleider an
und kehrten dann zum Tanz zurück!.
In ihrer Lebensgewohnheit sind die Australier eigentliche Nomaden. Sie
bleiben selten mehrere Wochen an demselben Ort, oft bloß einige Tage. Im
Sommer oder Frühling, wenn die Nahrung reichlicher ist, kommen nicht selten
mehrere Stämme an einem Ort zusammen, um Feste zu feiern, Kriegsangelegen⸗
heiten zu erledigen oder Nahrung, Kleider, Werkzeuge, Waffen u. dgl. unter⸗
einander auszutauschen, oder auch um den Einweihungszeremonien für die
jungen Leute beizuwohnen, die in ganz Südaustralien üblich sind. Kanni—
balismus scheint nie allgemein gewesen zu sein; es sind nur wenige Fälle
bon Menschenfresserei sicher konstatiert und sie scheinen mit dem Aberglauben
zusammenzuhängen. Eingeborne Zauberer sollen ihre geheimnisvolle Kraft
durch Essen von Menschenfleisch erlangen; dies geschieht aber nur einmal im
Leben?2.
Man hat gemeint, schreibt Eyre?, die Eingebornen Australiens hätten keine
Idee von Grundeigentum oder Eigentumsrecht; das ist ganz irrig.
Ich habe gefunden, daß besondere Distrikte mit einem Radius von etwa
10 bis 20 Meilen als das Eigentum des dort lebenden Stammes betrachtet
wurden. Diese Distrikte werden wieder unter die Glieder des Stammes in
Parzellen verteilt. Jeder Mann hat ein Stück Land, dessen Grenzen er genau
angeben kann. Dieses Eigentum wird vom Vater zu Lebzeiten unter die Söhne
derteilt und geht in fast erblicher Weise auf die Nachfolger über. Ein Mann
kann über sein Land verfügen und es auch verkaufen; Frauen erben aber nie,
auch gibt es unter den Söhnen kein Erstgeburtsrecht. Ein Stamm darf das
Gebiet eines andern nur mit dessen Erlaubnis betreten.
Dem Wanderleben entsprechend sind die Hütten der Australier sehr arm—
selig. Im Sommer bestehen sie aus Buschwerk, das in einem Halbkreis auf—
zeschichtet wird und gegen den Wind schützt; im Winter oder bei kaltem
Wetter wird dieser Halbkreis noch durch Zweige geschützt, die man auf den
Boden stellt und die oben in einem Halbbogen zusammenlaufen. Zuweilen hat
jeder verheiratete Mann für sich, seine Frauen und Kinder und vielleicht noch
die Mutter oder eine Verwandte eine eigene Hütte; in andern Fällen werden
große Hütten errichtet, in denen fünf bis zehn Familien zusammenleben, so jedoch,
daß jede ihren getrennten Feuerherd besitzt. Junge unverheiratete Männer
dereinigen sich zuweilen in Partien von sechs bis acht Individuen und bauen für
sich eine eigene Hütte. In manchen Orten mußten die unverheirateten und
noch nicht eingeweihten Männer eine eigene Hütte bewohnen, und am Morgen
mußten sie sich früh entfernen, um nicht etwa menstruierenden Frauen zu be—
gegnen, was man als unheilbringend ansah. Wenn junge Männer Frauen
begegnen, die ausgehen, um Nahrung zu suchen, so müssen sie einen weiten
Umweg machen, um ihnen nicht nahe zu kommen“!.
Eyreé, Journals of the eéxpeditions of discovery into Central Australia usw.
I 216.
2 Ebd. 255. 3 Ebd. 296. 4Ebd. 304.
1. Die Südaustralier.
275
Von einer eigentlichen Regierung ist bei den uns beschäftigenden Australiern
kaum die Rede. Jeder kann ungefähr alles tun, was ihm beliebt; die einzige
Schranke bildet die öffentliche Meinung oder der Wunsch des Stammes oder
auch der überwiegende Einfluß, den eine oder zwei Personen auf die Leitung
des Stammes erlangen. Bei keinem einzigen Stamm hat man bis jetzt an—
erkannte Häuptlinge getroffen, obwohl es in allen einige leitende Männer gab,
deren Meinung und Wille einen großen Einfluß ausübte. — Unter gleichen
Umständen wächst das Ansehen eines Mannes im Stamme im Verhältnis zu
seinem Alter. In jedem Lebensstadium, in das er (durch Weihe oder sonstwie)
eintritt, erhält er einen Zuwachs von Kenntnissen und Macht und auch einige
besondere Waffen oder Werkzeuge als eine Art Privileg.
Daß Polygamie herrscht, wurde schon angedeutet; alte Männer haben
Jewöhnlich eine bis vier Frauen oder so viel, als sie ernähren können. Die Frauen,
Töchter, Nichten oder auch Schwestern werden von den alten Männern bei sich
behalten, um sie gelegentlich gegen Frauen umzutauschen. Die Frauen werden
als das absolute Eigentum des Mannes betrachtet und können nach Laune
verschenkt, vertauscht oder ausgeliehen werden. Mädchen werden oft schon in
früher Jugend verlobt, und meist hält man sich später an diese Vereinbarung.
Im Alter von zwölf Jahren geht das Mädchen zum Bräutigam und wird nun
eine Frau. Heiraten unter Leuten, die näher verwandt sind als Geschwister—
tinder, sind verboten und kommen im allgemeinen nicht vor. Weibliche Waisen
gehören dem nächsten männlichen Verwandten!. Eine eigentliche Hochzeits—
zeremonie findet nicht statt. Der nächste Verwandte befiehlt einfach der Braut,
hren Sack, in dem die Frau die Gerätschaften ihres Mannes zu tragen pflegt,
zu nehmen und zu ihrem Bräutigam zu gehen. Auf die Keuschheit der Mädchen
wird kein Wert gelegt, den Unverheirateten wird der freieste Verkehr gestattet;
auch die verheirateten Männer tauschen oft ihre Frauen aus oder prostituieren
sie und die Töchter aus Gewinnsucht. Diese Prostitution dürfte aber wohl
eine Errungenschaft der europäischen Kultur sein. Denn die Eingebornen selbst
ind zu arm, um die Gewinnsucht anderer befriedigen zu können. Nach Eyre
hat die Knechtschaft des Weibes zum guten Teil in diesen Ausschweifungen
ihren. Grund; denn da die Männer schon von Jugend auf ihre niedrigen
Triebe beliebig befriedigen dürfen, verlangen sie nur deshalb nach Weibern, um
Dienstmägde zu besitzen. Von Keuschheit scheinen sie kaum einen Begriff zu
Jaben. Auch die Gewohnheit besteht, daß der Mann einem aus der Ferne
ommenden Gast seine Frau zeitweilig überläßt?.
Fast alle Stämme Südaustraliens von Adelaide bis King George Sound
haben, wie schon angedeutet wurde, verschiedene Zeremonien, durch die die jungen
Leute beim Übergang von einem Rang zu einem höheren eingeweiht werden;
doch haben nicht alle den Gebrauch der Beschneidung. Am King George
Sound existiert die Beschneidung nicht, dagegen existiert sie am Great Bight
und auf der Port Lincoln-Halbinsel. Im Adelaidedistrikt müssen die jungen
Männer, um zur vollen Manneswürde zu gelangen, fünf Zeremonien zu ver⸗
schiedenen Zeilen durchmachen. Jeder Grad hat seine besondern Abzeichen und
—
Ebd. 318819. 2 Ebd. 821.
276 Fünfter Teil. Australien und Ozeanien.
Privileglen. Da sie im wesentlichen mit den früher beschriebenen überein⸗
timmen, übergehen wir ihre Schilderung.
Die Bestattung der Toten ist fast bei jedem Stamm eine andere. Bei
Adelaide erheben die Verwandten und Freunde, sobald jemand gestorben, ein
lautes Geheul, der Leichnam wird sofort in die Haut oder das Kleid gehüllt,
das der Tote im Leben getragen hat, und nach einem oder zwei Tagen wird
er auf den Sarg gelegt, der aus kreuzweise übereinander gelegten Zweigen
besteht. Dann schreitet man zur Untersuchung der Todesursache. Der Sarg
wird über die Plätze getragen, an denen der Verstorbene gelebt hat; ein Mann
geht unter dem Sarg und spricht angeblich mit dem Toten. Er fragt: Wer
hat dich getötet? Wenn der Leichnam erwidert: Niemand, so ist die Unter⸗
suchung beendet; sagt er aber, jemand habe ihn getötet, so bewegt sich der
Sarg in der Runde; die Leiche soll diese Bewegung verursachen, und zwar
unter dem Einfluß von Kuingo, einer fabelhaften Personifikation des Todes.
Ist der bezeichnete Mörder zugegen, so soll er die Bewegung verursachen und
ein Zweig des Sarges ihn berühren. Dann folgt sicher entweder unmittelbar
oder im Lauf von ein oder zwei Tagen ein Kampf. Beim Begräbnis wird
die Leiche vom Sarg gehoben und mit dem Kopf nach Westen in ein 426 Fuß
tiefes Grab gelegt. Kinder unter vier Jahren werden einige Monate nach
dem Tode nicht begraben. Sie werden eingehüllt, von den Müttern während
des Tages auf dem Rücken getragen und in der Nacht als Kopfkissen gebraucht,
dis sie ganz trocken und mumienartig sind; dann werden sie begraben.
An einigen Orten bestehen mehrere Bestattungsarten. Alte Leute werden
begraben, Personen in den mittleren Jahren werden so in einen Baum gelegt,
daß Hände und Knie das Kinn berühren. Alle Offnungen des Leibes: Mund,
Nase, Ohren usw., werden zugenäht und die Leiche mit Matten, Stücken von
alten Kleidern usw. bedeckt. Hierauf zündet man am Fuß des Baumes ein
Feuer an, um das sich die Freunde und Verwandten herumsetzen und Trauer—⸗
klagen anstimmen. Der Leichnam bleibt in dieser Stellung, bis das Fleisch
derschwunden ist; dann wird der Schädel vom nächsten Verwandten als Trink—
zefäß genommen. Die dritte Begräbnisart besteht darin, daß man den Leich⸗
aam in sitzender Stellung und ohne Bedeckung mit dem Gesicht gegen Osten
auf den Boden legt, bis er von der Sonne getrocknet ist; dann wird er in
einen Baum gebracht. Diese Begräbnisart findet für diejenigen statt, deren
Gedächtnis man besondere Ehrfurcht erweisen will. Die letzte Bestattungsart
ist die Leichenverbrennung, diese kommt aber nur bei Kindern in Anwendung,
die tot zur Welt kommen oder bald nach der Geburt sterben. Am Lake
Alexandrina wird für die Toten ein Gerüst errichtet und die Leiche darauf⸗
gelegt. Darunter wird ein Feuer angezündet und ringsherum stimmen die
Verwandten die Totenklage an. — Über den Grabhügeln werden vielfach
Hütten aus Rinde oder Zweigen errichtet, um den Toten gegen den Regen
zu schützen. Die Gräber werden während einiger Monate von Zeit zu Zeit
von den Frauen besucht, die dort wieder ihre Klagen anstimmen und sich zer⸗
LEyre, Journals of the expeditions of discovery into Central Australia usw.
II 345.
1. Die Südauftralier.
277
fleischen, wie sie dies beim Begräbnis taten. Netze, aber keine Werkzeuge,
werden mit dem Toten begraben. Die Eingebornen haben keine große Furcht
davor, sich dem Grabe zu nähern, und sie kümmern sich wenig darum, das
Grab in Ordnung zu halten oder zu verhindern, daß die Gebeine auf dem
Boden umhergestreut werden.
über die Religion schreibt Eyre: Die Eingebornen haben, soweit bis jetzt
festgestellt werden konnte, keinen religiösen Glauben und keine Zeremonien. Wie
das zu verstehen sei, wird sich aus dem folgenden ergeben. Übrigens darf
man nicht übersehen, daß es für einen Reisenden sehr schwer ist, eine genaue
Kenntnis der religiösen Anschauungen der Eingebornen zu erlangen. Man
kann kaum sagen, meint Eyre, daß von ihnen eine Gottheit oder erste große
Ursache anerkannt wird; sie wird jedenfalls nicht verehrt von diesem Volk, das
die Schöpfung sehr unzulänglichen Ursachen zuschreibt. Sie sagen, einige Dinge
hätten sich selbst ins Dasein gerufen und die Macht gehabt, andere Dinge zu
schaffen. Aber über alle diese Dinge haben sie unklare und unbestimmte Be—
griffe; sie denken wenig nach, und wenn man sie nach dem Warum irgend
eines Dinges fragt, so antworten sie, das haben uns die Ahnen gelehrt. Sie
dermeiden es auch, über solche abstrakte Dinge zu reden, und wenn sie es ein—
mal tun, so ist es nur zu leicht möglich, daß man sie aus Unkenntnis ihrer
Sprache und ihres Charakters ganz mißversteht. Verschiedene Stämme geben
auch ihre religiösen Vorstellungen ganz verschieden wieder, aber im allgemeinen
sind diese so absurd, zusammenhanglos und widersprechend, daß man schwer
sagen kann, was sie eigentlich glauben. Die Eingebornen bei Adelaide gaben
an, sie glaubten an eine vom Leibe verschiedene Seele oder einen Geist,
der beim Tode nach dem Westen in eine große Grube geht, wo die Seelen
aller Menschen hinkommen. Sind einmal alle tot, so werden die Seelen an
ihre früheren Aufenthaltsorte zurückkehren, zu den Gräbern ihrer zurückgelassenen
deiber gehen und fragen: Sind dieses die Leiber, die wir früher bewohnt haben?
Die Leiber werden antworten: Wir sind nicht tot, wir leben noch. Die Seelen
und die Leiber werden nicht wiedervereinigt werden; die ersteren werden während
des Tages auf Bäumen leben und in der Nacht sich auf dem Boden nieder—
lassen und Eidechsen, Frösche, Ratten usw. essen, aber keine Pflanzennahrung.
Die Seelen werden nicht mehr sterben, aber ungefähr die Größe eines achtjährigen
Knaben behalten. Am Murray erhielt Eyre in Bezug auf den Ursprung der
Schöpfung folgende Antwort: Vier Individuen leben droben zwischen den Wolken:
ein Vater mit Namen Nuril (Nooreel) und seine drei Söhne. Mutter war
keine da. Der Vater ist allmächtig und wohlwollend. Er machte
die Erde, die Bäume, Gewässer usw. und gab allen Dingen ihren Namen, setzte
die Eingebornen in ihre verschiedenen Distrikte mit ihren verschiedenen Dialekten.
Er soll die Eingebornen von einem Ort jenseits der Gewässer im Osten her⸗
geführt haben. Die Nooreels sterben nie und die Seelen (udko — Schatten)
der verstorbenen Eingebornen werden zu ihnen hinaufziehen in die Wolken und
nie wieder sterben!. Andere Stämme berichten von einer ungeheuren Schlange,
Ebd. 356—357.
278 Fuünfter Teil. Australien und Ozeanien.
welche die hohen Felsenberge bewohnte und mit einem Schlage ihres Schwanzes
die Schöpfung hervorbrachte.
Alle eingebornen Stämme scheinen große Furcht vor bösen Geistern zu
haben, die schwarz aussehen. Sie fliegen in der Nacht durch die Luft, brechen
Baumäste ab und greifen alle Eingebornen an, die ihnen begegnen. Sie schleppen
dieselben hinter sich her. Dem Feuer wird große Kraft zugeschrieben, diese Un—
geheuer fernzuhalten. Die Eingebornen machen sich auch sehr ungern im Dunkeln
auf den Weg. Alle glauben an Zauberei und Hexerei. Um ein Zauberdolktor zu
werden, muß man sich gewissen Gebräuchen unterziehen, die bei verschiedenen
Stämmen verschieden sind. In der Gegend von Adelaide müssen sie zu einer be⸗
stimmten Periode das Fleisch junger Kinder essen und zu einer andern das eines
alten Mannes, aber nur einmal im Leben, wie es scheint. Sind sie einmal ein⸗
geweiht, so besitzen sie große Macht, sie können Krankheiten heilen und verursachen,
Regen, Wind, Hagel, Donner oder Sonnenschein hervorbringen. Sie haben allerlei
Werkzeuge oder Zaubermittel, die meist sorgfältig vor den andern, besonders
vor den Weibern, geheim gehalten werden. Alle Krankheiten werden der Hexerei
oder geheimem Zauber zugeschrieben und die Zauberer haben dieselben zu heilen.
Oft saugen sie an der kranken Stelle und ziehen dann ein Stück Knochen aus
dem Munde, von dem sie behaupten, daß sie es aus dem Leibe des Kranken
gesogen haben!. Gewöhnlich sind nur ältere Männer Zauberer, nie die Weiber.
Die Eingebornen glauben fast allgemein, die Europäer oder Weißen seien
bom Tode erstandene Eingeborne, die ihre Farbe geändert haben und an den—
selben Ort zurückgekehrt sind, an dem sie früher gelebt. Worüber sie sich am
neisten wundern, ist, daß die wiedergekehrten Eingebornen ihre früheren Freunde
und Verwandten nicht kennen. Ein alter Mann sagte Eyre, alle Schwarzen
gingen nach dem Tode hinauf zu den Wolken, wo man Überfluß an Speise
und Trank habe: an Fischen und Wild jeder Art und dazu die nötigen Waffen
und Werkzeuge, um sie zu erbeuten. Er fügte hinzu, gelegentlich seien einige
Individuen in den Wolken gewesen und dann wiedergekehrt, aber solche Fälle
seien selten. Auch seine Mutter sei dort gewesen, jemand habe sie an einem
Seile heruntergelassen; sie sei nur eine Nacht geblieben und habe dann in einem
Liede beschrieben, was sie gesehen. Er konnte aber den Sinn nicht verstehen?.
Die Verbrechen, welche die Eingebornen gegen die Europäer begehen, sind
in Anbetracht ihrer Zahl und ihrer Lage nicht häufig. Gegeneinander verüben
die Wilden wenig Verbrechen, wenn man ihre Gewohnheiten und ihre Ansichten
über Recht und Unrecht in Betracht zieht. Privatrache ist eben bei ihnen
eine seit unvordenklichen Zeiten als legitim anerkannte Institution, die sich bei
ihrer Isolierung und mangelhaften Organisation leicht begreifen läßt. Ihre
alten Gewohnheiten regeln alle Dinge: den Erwerb der Weiber, die Behand⸗
lung der Frauen und Eltern, die Unterordnung der jüngeren Glieder des
Stammes unter die Anordnung der Alten, die Beziehungen der Stämme unter—
einander, das Verbot gewisser Speisen in bestimmten Altersstufen usp. „Ich
habe gefunden, daß die Eingebornen im Verkehr miteinander im allgemeinen
Eyre, Journals of the éxpeditions of discovery into Central Australia usw.
II 360. 2 Ebd. 367.
1. Die Südaustralier.
279
die Wahrheit reden und ehrlich handeln, und sie werden sich gewöhnlich ebenso
zegen die Europäer benehmen, die in freundschaftlichen Beziehungen zu ihnen
lehen. Aus Politik und Gewohnheit sind sie im gegenseitigen Benehmen und
in der Verteilung der Nahrung äußerst höflich und freigebig. Alte Männer
stehen sich in dieser Beziehung besonders gut, da ihnen die jungen Leute immer
den besten und größten Teil von allem mitteilen.“ Die Weiber werden aller—
dings sehr oft zurückgesetzt und schlecht und roh behandelt. Eyre will nicht zu—
geben, daß die Australier blutdürstig seien, obwohl sie in Übereinstimmung mit
hren alten Gewohnheiten oder auch aus plötzlichem Zorn manche Bluttat ver—
üben. „Trotz der manchen Laster und der wenigen Tugenden glaube ich nicht,
daß der australische Wilde in seinen Neigungen lasterhafter und
bdösartiger sei als die großen Volksmassen der unteren Klassen
in den sog. zivilisierten Gemeinwesen.“ Eyre bemerkt, daß viele
Krankheiten, namentlich Syphilis, durch Europäer in Australien eingeschleppt
wurden. Sicher ist, daß dort, wo die Wilden keinen Verkehr mit Ansiedlern
haben, die Geschlechtskrankheiten selten und nicht bösartig sind, während an den
Orten, wo sie in stetem Umgang mit denselben leben, diese Krankheiten un—
Jeheure Verheerungen anstiften2.
Bei Spring Hill (Campbell Range) traf Eyre einen ausgemergelten, sterbens—
kranken Greis, den die Wilden seinem Schicksal überlassen hatten;
er bemerkt dazu: Das ist das Los der alten und hilflosen Leute bei den Wilden;
wir dürfen uns aber nicht wundern, daß dem so ist. „Die Selbsterhaltung ist
das erste Naturgesetz, und der herumwandernde Eingeborne, der immer große
Strecken durchziehen muß, um seine tägliche Nahrung zu suchen, und nicht einmal
für seine eigene Erhaltung das Notwendige erlangen kann, ist genötigt, bei den
alten und kranken Leuten zu bleiben oder, wenn das nicht geht, sie mit sich
zu tragen.“s Man begreift, daß das schier unmöglich ist und daß die alten
und kranken Leute selbst es überdrüssig sind, so herumgeschleppt zu werden, und
vünschen, daß man sie ruhig an einem Platze sterben lasse.
Eyre‘* behauptet, daß die australischen Eingebornen selten aus Mutwillen
oder ohne herausgefordert zu sein an den Europäern Raub oder Mord verübt
haben. Wenn sie so etwas taten, geschah es unter dem Eindruck von Gefühlen,
die bei den Europäern in gleichen Umständen dieselbe Wirkung hervorgebracht
hätten. Gewöhnlich handelt der Eingeborne nicht aus schlechteren Beweggründen,
als diejenigen sind, aus denen die Leute im zivilisierten Zustand zu handeln
pflegen. Um die den Eingebornen vorgeworfenen Missetaten gegen die Europäer
richtig zu beurteilen, muß man nach Eyres folgendes erwägen: 1. daß unser
der Europäer) Aufenthalt im Lande nach ihren Ideen von Recht und Unrecht
ein ungerechter Einbruch und eine Aggression ist; 2. daß sie lange Zeit nicht
die Beweggründe verstehen konnten, warum wir zu ihnen kamen und bei ihnen
blieben, und ganz naturgemäß meinten, es geschehe nur, um sie aus ihrem Besitz⸗
um zu vertreiben; 3. daß unsere Gegenwart · und Niederlassung an einem be⸗
timmten Ort taätsächlich die eingebornen Einwohner aus ihrem Besitztum ver⸗
Ebd. 887. 2 Ebd. 380 Anm. s Ebd. J 41. 2Ebd. 166.
Ebd. 167.
280 Fünfter Teil. Australien und Ozeanien.
drängt; 4. daß die von den Europäern besiedelten Orte gerade diejenigen sind,
welche für die Eingebornen den meisten Wert haben, weil sie sich dort am
besten ernähren konnten; das gilt besonders von Gegenden, wo das Wasser
selten ist, weil die Europäer gerade dieses Wasser in Beschlag nehmen; 5. daß
die Eingebornen ebensogut wie wir ihre Gesetze, Gewohnheiten und vorgefaßten
Meinungen haben, denen sie große Wichtigkeit beilegen und deren Verlehung fie
ebensogut wie wir als ein Verbrechen und eine Beleidigung ansehen; wir aber
berletzen diese Gewohnheiten, sei es aus Unwissenheit oder Unbehutsamkeit;
können wir uns da wundern, daß sie diese Verletzungen bestrafen? Tun wir
nicht dasselbe? 6. Der europäische Ansiedler, der sich in entfernteren und un⸗
bewohnten Gegenden unter den Eingebornen niedergelassen hat, steht nicht mehr
unter dem Schutz von Gesetzen und hält sich deshalb auch nicht mehr an ihre
Schranken. Er läßt sich mit seinen Herden an den besten Wasserplätzen nieder;
die Wilden werden dadurch beunruhigt und hoffen vielleicht lange umsonst, der
Eindringling werde wieder verschwinden; sie kommen heran, weil sie an dem
Ort gewisse Pflanzen kennen oder besseres Wasser finden und denselben seit
Menschengedenken als ihr Eigentum betrachteten. Aber wie werden fie empfangen?
Oft werden sie mit Gewalt weggetrieben und gezwungen, sich in unwirtliche,
wasserlose Wüsten zurückzuziehen. Ich übergehe die schrecklichen Szenen und das
Blutvergießen, deren sich in allen australischen Kolonien verzweifelte und ver⸗
wahrloste Landsleute gegen die Eingebornen schuldig gemacht haben; ich über⸗
gehe die Brutalität, mit der nur zu oft Schafhirten und Herdenbesitzer im Innern
die eingeborne Bevölkerung behandelt haben, indem sie auf die Wilden wie auf
freies Wild schossen und sich der Zahl der Niedergeschossenen und der Miß⸗
handlung noch rühmten. Viele ließen sich schon deshalb zu Brutalitäten ver⸗
leiten, weil ihnen die Gegenwart der Eingebornen lästig war und ihnen gefährlich
schien. 7. Man muß auch auf Ansichten und Gefühle der Wilden Rücksicht
nehmen, wenn man sie richtig beurteilen will. Das ihm angetane Unrecht zu
rächen, sieht er als eine Tugend an; kann er sich nicht an dem Übeltäter selbst
rächen, so glaubt er sich berechtigt, an einem andern Individuum derselben Rasse
Rache zu nehmen. Er beurteilt diese Dinge wie Repressalien in einem Krieg.
Er lebt sozusagen immer mit andern im Kriegszustand und tut
deshalb manches zu allen Zeiten, was wir Zibilisierten nur
im Krieg als erlaubt ansehen.
Wenn man die Eingebornen gerecht und liebevoll behandelt, zeigen sie sich
sehr dankbar und dienftfertig. Eyre hat das oft erfahren. In der
Nähe der Fowler-Bai traf er einen Stamm Eingeborner, die ihm mit der
größten Höflichkeit und Zuvorkommenheit begegneten, ihm nie durch Zudringlich⸗
keit lästig wurden, ihn nie bestahlen, im Gegenteil ihn aufmerksam machten,
wenn er etwas vergaß oder verlor, ihn zum besten Wasserbehälter führten,
ihm und den Seinigen das ganze Wasser überließen und selbst erst tranken,
nachdem sie um Erlaubnis gebeten hatten 4. Als Eyre am King George
Sound für die Unschuld eines fälschlich angeklagten Wilden eintrat und da⸗
VBal. Journals of tho expeditions of discovery into Central Australia usw.
223-234.
1. Die Südaustralier.
281
durch seine Freilassung erwirkte, ergriff der Wilde Eyres Hand und küßte sie
wohl ein dutzendmal.
Wir haben eben den King George Sound erwähnt. Über die dortigen
Eingebornen brachte das „Ausland“ schon im Jahre 1832 eine Reihe interessanter
Artilel von Scott Nind!, der sich vom Jahre 1826 bis 1829 in diesem
Teile Australiens aufhielt. Wir entnehmen denselben folgende Angaben, welche
diejenigen Eyres bestätigen und ergänzen. Der Gestalt und Farbe nach unter—
scheiden fich die Wilden am Sund wenig von den Eingebornen in der Nähe
don Sydney. Ihre einzige Bekleidung besteht aus einem Mantel aus Känguruh—
fell. Die Häute der Känguruhmännchen, als die größten, dienen vorzugsweise
zur Bekleidung der Frauen; die Kinder tragen nur eine Binde von Fell. Sie
haben auch die Sitte, sich zu tätowieren und die Scheidewand der Nase zu
durchbohren, um eine Feder oder sonst einen Gegenstand darin zu tragene.
Die Hütten (Turloits) bestehen aus einigen in die Erde gesteckten Stangen, die
oben zusammengebogen sind und während der Regenzeit mit einem Dach von
Binsen versehen werden. Ein Lager besteht selten aus mehr als sieben oder acht
Hütten, denn mit Ausnahme der Zeit des Fischfanges und der Jagden mit
Anzünden des Waldreviers, wo sie sich in großen Scharen zusammenfinden,
sind selten mehr als 50 Personen beisammen. Die allgemeine Jagd- und Fisch—
zeit ausgenommen haben die beisammenlebenden Familien das ausschließliche
Recht, in dem an ihre Wohnungen grenzenden Gebiet zu jagen und zu fischen.
Diese Gebiete sind in persönliche Besitzungen abgeteilt, und der Landstrich, der
jedem einzelnen angehört, ist von beträchtlichem Umfang. Jedoch ist sein Recht
auf dieses Besitztum nicht so ausschließend, daß nicht auch eine andere Person
Anspruch auf die Benutzung desselben hätte, und so kann ein solches Gebiet mehr
als Eigentum des Stammes angesehen werden. Soll zum Behuf der Jagd der
Boden abgebrannt werden, so muß der Eigentümer desselben gegenwärtig sein.
Die verschiedenen kleinen Horden sind schwer voneinander zu unterscheiden,
da fie alle denselben Namen tragen. Sie anerkennen kein gemeinsames Ober⸗
haupt, sondern vereinigen sich und gehen wieder auseinander, wie es eben die
Jahreszeit und das Bedürfnis mit sich bringt. Männer und Weiber gehen
meist in abgesonderten Trupps früh morgens an ihre Verrichtungen: die Weiber,
um Wurzeln zu graben oder zu krebsen, und die Männer, mit ihrer Lanze be—
waffnet, entweder auf die Jagd oder den Fischfang. Sie haben verschiedene
abergläubische Meinungen hinsichtlich der Nahrungsmittel, insofern diese nach
gewissem Alter oder Geschlecht gegessen werden dürfen oder nicht. Z. B. die
Mädchen über elf oder zwölf Jahren essen kein Fleisch vom gestreiften Känguruh,
weil es der Fruchtbarkeit nachteilig sein soll usp.s Ihre Kinder scheinen sie
sehr zu lieben, und nur selten werden diese gezüchtigt, die Weiber werden aber
bon den Männern hart behandelt und geschlagen. Die Vielweiberei ist Sitte.
Die ganze Bevölkerung teilt sich in zwei (exogame) Klassen, in die Erniung
und die Tem oder Taaman. Beide müssen sich untereinander heiraten, und wer
Ausland 18832, 817 ff. Der Bericht Ninds findet sich auch wörtlich in The Journal
of the Royal Geographical Society I. London i882, 21 ff.
Ausland 1882, 821.. 3 Ebd. 885 f.
282
Funfter Teil. Australien und Ozeanien.
gegen diese Verordnung verstößt, wird streng bestraft. Die Kinder erhalten
'mmer den Namen der Mutter; z. B. die Kinder eines Mannes, der ein
Erniung ist, erhalten den Namen Taaman (MNamen der Frau), die Kinder
seiner Schwester dagegen erhalten den Namen Erniung. Diese Sitte besteht
hbei allen Stämmen, mit Ausnahme der Meurram.
Die Töchter sind, wie es scheint, ganz der willkürlichen Verfügung des
Vaters überlassen und werden als Kinder, ja sogar schon vor der Geburt ver⸗
lobt. In einigen Fällen findet ein gegenseitiges Versprechen der Kinder statt.
Nicht selten wird ein Mädchen mit einem Mann verlobt, der schon in vor⸗
gerücktem Alter ist und bereits mehrere Weiber hat. Ein anderer Gebrauch,
Cotertie genannt, der sich nur auf die Knaben bezieht, läßt sich mit den Pflichten
oergleichen, die ein Pate übernimmt, und scheint in dem Versprechen zu besiehen,
dem jungen Mann beizustehen, ihn zu beschützen und als Schwiegersohn anzu⸗
nehmen. Besondere Hochzeitsgebräuche scheinen nicht zu bestehen. In noch zartem
Alter wird das Mädchen ihrem zukünftigen Manne zugeführt, und man bezeigt
ihrem Vater weit mehr Achtung und macht ihm mehr Geschenke als der Braut
selbst. Die Geschenke bestehen meist in Nahrungsmitteln, Speeren usw. Im Alter
oon elf bis zwölf Jahren wird das Mädchen dem Manne ganz überlassen.
Auch Frauenentführung kommt vor. Bei solchen Entführungen wird zu—
weilen Gewalt gebraucht, meistens jedoch ist die Entführte die Gattin eines
alten Mannes, und die jungen Leute tun diesen Schritt aus gegenseitiger
Neigung; auch sind die Stämme zuweilen mit dem Unternehmen einverstanden.
Sind die Flüchtigen so glücklich, unentdeckt zusammen zu bleiben, bis die Frau
schwanger wird, so treten die Freunde beider Parteien als Vermittler auf,
dem beleidigten Gatten werden Geschenke gemacht und die frühere Verbindung
gelöst. Nicht selten wird indes die Schuldige wieder eingefangen und dann
schwer gezüchtigt oder noch häufiger mit dem Speer an den Schenkeln ver⸗
wundet. Eheliche Untreue ist nicht selten, indes hütet der Mann seine Frau
mit eifersüchtigen Augen und prügelt sie beim geringsten Verdacht unbarmherzig.
Die meisten Männer bleiben bis zum dreißigsten Jahre unverheiratet, einige noch
länger. Die unverheirateten Männer entschädigen sich zum Teil durch den
Tarra Manaccarack; so wird die Sitte genannt, einer Frau noch bei Lebzeiten
ihres Mannes den Hof zu machen, wobei jedoch beide Parteien übereinkommen,
daß der Liebhaber das Weib heiratet, sobald sie Witwe geworden ist. Dieses
Verhältnis besteht ganz offen und gilt als erlaubt, doch muß alles so anständig
zugehen, daß die einverstandenen Paare kein Ärgernis und dem rechtmäßigen
Mann keinen Anlaß zu Eifersucht geben!.
Nach dem Tode eines Mannes wohnen seine jüngsten Weiber während der
Trauerzeit beim Stamm ihrer Väter, und sie würden gestraft werden, wenn sie
während dieser Zeit schon mit ihren zukünftigen Männern leben wollten. Bei
der Geburt von Zwillingen wird eines der beiden Kinder getötet, weil, wie
sie zur Entschuldigung sagen, das Weib nicht Milch genug habe, um beide
zu säugen. — „Die Tänze werden meistens mit ganz nacktem Leibe aufgeführt,
allein in unserer Gegenwart hatten sie ihre Mäntel um die Hüften befestigt,
Ausland 1832. 891.
1. Die Südaustralier.
283
io daß nur der Oberkörper nackt blieb.“ „Die Weiber tanzen nie mit den
Männern, und ich zweifle, ob sie diese Belustigung überhaupt pflegen.“ IJ
Die Medizinmänner und Zauberdoktoren (Mulgarradocks) haben bei diesen
Stämmen dieselbe Stellung wie bei den andern Australiern. Sie haben zwar
einige natürliche Heilmittel gegen Krankheiten, aber die Hauptsache ist Zauberei.
Sie gelten als mit übernatürlichen Kräften ausgerüstet, können Wind und
Regen erzeugen, Leute durch Blitz oder Krankheit tölen usp. — Außer den zwei
xogamen Klassen, von denen oben die Rede war, gibt es nach Nind noch
Abteilungen und Unterabteilungen der verschiedenen Stämme so verwickelter
Art, „daß es wohl noch geraume Zeit anstehen dürfte, bis man hierüber die
aötige Aufklärung erhalten wird“. Wahrscheinlich gehören dazu auch Totems—
abteilungen, weil nach ihm verschiedene Abteilungen manche Tiere oder Pflanzen
aicht essent. Das Land ist in mehrere, Familien oder einzelnen Personen
gehörige Bezirke geteilt, und jeder hütet sein Eigentum sorgfältig gegen
remde Eingriffe. Haben einzelne Streit miteinander, so nehmen ihre Familien
Anteil daran. Wird einer getötet, so sucht sein Stamm ihn sofort zu rächen,
indem er eine Person aus der Horde des Mörders tötet. Ist jemand gefährlich
rank, so sucht er jemand umzubringen, in der Hoffnung, dadurch gesund zu
werden. Das hängt offenbar mit der Meinung zusammen, Krankheit und Tod
seien die Folge boͤsen Zaubers. Sie haben auch Zweikämpfe, die meistens
wegen der Weiber oder wegen Gebietsverletzungen stattfinden; sie suchen dann
den Gegner mit dem Speer an den Beinen zu verwunden, aber nicht zu töten.
Sobald einer verwundet ist, hat der Kampf ein Ende.
Die Stämme leben in ewigen Kriegen miteinander. Sobald einer fällt,
indet er unter seinen Freunden sofort einen Rächer. Nach Beerdigung der
Toten wird das Lager abgebrochen und der Bezirk auf einige Zeit verlassen,
und man hütet sich, den Namen der Verstorbenen auszusprechen. „Diese Sitte
wird beobachtet, weil man fürchtet, beim Aussprechen des Namens des Ver—
torbenen seinen Gnoit (Geist) zu sehen.“ Die Leichenbegängnisse werden unter
lauten Klagen gehalten. Man bereitet ein Grab von vier Fuß Tiefe, dessen
aufgeworfene Erde auf der einen Seite in Gestalt eines Halbmondes aufgehäuft
vird. Den Boden des Grabes belegt man mit Baumrinde und grünen
Zweigen, auf welche die Leiche in einen Mantel gewickelt, die Knie gegen die
Brust aufwärts gebogen und mit gekreuzten Armen niedergesetzt wird; über die—
selbe breitet man abermals Zweige aus und bedeckt sie dann mit Erde. Über
den Grabhügel werden ebenfalls grüne Zweige gelegt und wird der Speer des
Toten aufgepflanzt. Des Verstorbenen Messer, Hammer, Schmuck, Wurfstock und
Tauk (ein kurzer Stock zum Werfen oder Schlagen) werden auf das Grab gelegt;
die beiden letzten Gegenstände auf beide Seiten des Grabes. Dann schneiden seine
Freunde in die Rinden der Bäume in der Nähe des Grabes Kreise ein und
ünden zuletzt vor dem Grab ein kleines Feuer an. Sie pflegen sich bei diesen
Gelegenheiten mit weißen Querstreifen zum Zeichen der Trauer zu bemalen und
sich zu zerkratzen, um sich Tränen zu erpressen. Einer Frau wird ebenfalls
alles, was ihr gehört, mit ins Grab gegeben. Es herrscht unter ihnen der
Ebd. 893 -894.
284 Fünfter Teil. Australien und Ozeanien.
Glaube, daß die Seelen nach dem Tode den Mond bewohnen. Nind meint,
dieser Glaube sei ihnen nicht ursprünglich, denn so oft man sie darüber be⸗
fragte, deuteten sie nach Westen. Jedenfalls glaubten sie also an ein Fortleben
nach dem Tode!.
Uber die Religion der Eingebornen am King George Sound berichtet
leider Nind fast nichts. Er sagt nur?: „Sie glauben an Geister, und einige
behaupten, sie gesehen zu haben. Ich zeigte einst einem Knaben eine ana—
tomische Zeichnung einer vollen (menschlichen) Gestalt; da rief er sofort, es sei
ein Gnoit; und einige, die einmal einen Blick auf diese Zeichnung geworfen
hatten, waren nicht mehr zu bewegen, sie noch einmal anzusehen. Sie sind
sehr abergläubisch in Bezug auf Vorzeichen; das Geschrei des Nachtkukus ver—
kündet nach ihnen den Tod.“
2. Die Westaustralier (üdlicher Teil).
Im Westen des australischen Festlandes, nördlich von Perth, hatten die
Benediktiner seit dem Anfang der vierziger Jahre des vorigen Jahrhunderts
die blühende Mission von Neu-Norcia. Einer der Hauptgründer dieser Mission,
P. Salvados, der spätere Bischof von Port Victoria, hat in einem eigenen
Werk die Sitten der dortigen Stämme beschrieben.
In physischer Beziehung stehen die Australier keineswegs so tief, wie manche
Reisende behauptet haben. Salvado findet, daß die Australier durchschnittlich
eine schöne und kräftige Rasse sind. Er stimmt ganz dem Australienforscher
Leichhardt zu, der behauptet: „In ihrem Naturzustand, wo sie noch nicht
von den Europäern angesteckt oder gereizt sind, sind die Australier gast⸗
freundlich, großmütig und höflich. Sie sind eine schöne Rasse, und ihre Gestalten,
mag man sie nun einzeln oder in Gruppen betrachten, würden das Auge eines
ünstlers erfreuen.“ Über den Charakter der Australier darf man nicht nach
den wenigen Familien urteilen, die im Umgang mit den Weißen ihre Ein⸗
fachheit verloren haben, sich dem Trunk ergeben und von Diebstahl und Bettel
leben. Ihre geistige Begabung ist ebenfalls unterschätzt worden, und Salbado
steht nicht an, zu behaupten, daß sie, gut angeleitet und erzogen, ebenso bildungs⸗
fähig sind als die Europäer;.
Der Missionär macht darauf aufmerksam, wie schwer es sei, die wahre
Ansicht der Wilden in Bezug auf Religion und Sitten zu erfahren, da sie
dieselbe, sei es aus Bosheit, sei es aus natürlicher Scheu, zu verbergen suchen
und außerdem sich übertragener Redewendungen bedienen, die das Verständnis
für den Europäer sehr erschweren, und zwar selbst in materiellen Dingen.
„Wenn es deshalb so schwer ist, selbst in Bezug auf materielle und sichtbare
Ausland 1832, 922.
The Journal of the Royal Geéographical Society J (1882) 47.
Memorie storicho doll' Australia, particolarmonte della Missione Benedettina
di Nuova-Norcia, per Monsign. D. Rudesindo Salvado O. 8. B., Vescovo di
Porto-Vittoria, Roma 1851. Ist auch ins Franzöfische übersetzt von Falcimaane,
Paris 1854.
1Vgl. ebd. 281 ff.
2. Die Westaustralier (südlicher Teil) 285
Dinge die Namen zu erfahren, wie groß werden erst die Schwierigkeiten in
Bezug auf abstrakte und verborgene Dinge sein? In der Tat, versichert uns
der Graf Strzlecki, er habe gefunden, daß die Wilden im Osten keine Kenntnis
don einem höchsten Wesen haben, während der protestantische Missionär Schmidt
das Gegenteil behauptet.“
Dann gibt Salvado die Ergebnisse seiner eigenen mehrjährigen Nachforschungen
an. „Die Wilden in der Umgebung von Neu-Norcia beten weder die wahre
noch eine falsche Gottheit an. Trotzdem haben sie die Idee eines allmäch—
tigen Wesens, das Himmel und Erde geschaffen und das sie Mo—
kogon nennen. Diesen Motogon halten sie für einen sehr starken, langen
und weisen Menschen, der dieselbe Farbe hat wie die Australier. Als er das
Känguruh, die Sonne, die Bäume schuf, sprach er: ‚Erde, komm hervor‘, und
er hauchte, und die Erde ward geschaffen; ‚Wasser, komm hervor‘, und er
jauchte, und das Wasser ward geschaffen usp.“ „Sie glauben außerdem an
einen bösen, dem Menschen überlegenen Geist, den sie im höchsten Grade fürchten
und Cienga nennen. Dieser Geist entfesselt nach ihnen die Wirbelstürme
und die Regenströme. Er tötet heimlich ihre Kinder und verzehrt ihre Glieder.
Er wohnt im Mittelpunkt der Erde. Hieraus kann man schließen, daß die
Australier zwei Prinzipien annehmen: Motogon, den Urheber des Guten, und
Cienga, den Urheber des Bösen. Motogon existiert indessen nicht mehr, er
ist vor langer Zeit in hohem Alter gestorben. Es ist deshalb in gewisser Be—
ziehung nicht zu verwundern, daß sie ihm keine Verehrung erweisen. Was aber
höchst befremdet, ist, daß sie nichts tun, um den Cienga zu versöhnen, obwohl
sie glauben, daß er sie mit beständigen Leiden verfolge. Tatsächlich habe ich sie
aie eine äußere religiöse Kulthandlung vornehmen sehen und auch keine Spur
einer inneren Verehrung entdeckt.“ Der französische Übersetzer der Berichte
Salvados macht hierzu die richtige Bemerkung, beim Anblick der Messe der
Benediktiner hätten die Wilden dies ihren Jalaru genannt, woraus hervor—
zugehen scheint, daß der Jalaru (ein feierlicher Tanz) ursprünglich eine Art
Kulthandlung war.
„Sie glauben, daß die Seele unsterblich ist und beim Tode eines
Wilden in den Leib eines andern übergeht oder aber wehklagend von einem
Raume zum andern fliegt. Oft habe ich beobachtet, wie sich eine Australierin,
der vor kurzem ein Kind gestorben war, während der Nacht erhob und allein
durch die Wälder lief, weil sie den melancholischen Gesang eines Nachtvogels
gehört hatte und fest glaubte, es sei die Seele ihres lieben Kindes. Sie nannte
s bei seinem Namen, redete ihm liebkosend zu und lud es unter reichlichen
Tränen ein, zu ihr zu kommen. Oft dauerte diese AÄußerung zarter Mutter—
liebe über zwei Stunden.“
Wir haben oben Salvado behaupten gehört, Motogon, der Schöpfer, sei
heute gestorben. Das ist wohl nicht der Glaube aller Westaustralier in der
Begend von Perth. Der Missionär Thierseé? schreibt am 8. Februar 1846
aus Neu-Norcia: „Die Idee Gottes, die von Natur allen Menschen ins
herz gegraben ist, bildet nahezu ihr ganzes Glaubensbekenntnis. Wenn man
— ——
Memorie storiche usw. 296. 2 Annales de la propagation de la foi XVIII 543
286 Fünfter Teil. Australien und Ozeanien.
sfie bei Tag fragt, wo der Geist sei, den sie anbeten, so zeigen sie auf die
Sonne; in der Nacht wissen sie nicht, wo er wohnt, was sie aber nicht hindert,
zu seiner Ehre beim Mondschein Tänze aufzuführen. Sie glauben auch an
die Unsterblichkeit der Seele, doch mischen sie in diesen Glauben die
groben Fabeln der Seelenwanderung. Nach dem Tode, sagen sie, taucht der
Geist in einen ungeheuern See, der sich in der Mitte des Landes befindet; von
dort geht er nach Verlauf einer gewissen Zeit auf eine andere Hemisphäre, um
in den Leib eines Menschen oder eines Tieres einzugehen, je nachdem er
das erste Leben gut oder schlecht verwendet hat. Deshalb ersuchen
sie die Europäer, wenn sie ihnen begegnen, um Nachrichten über ihre Ahnen.“
Diesen Glauben, daß die Weißen wieder zum Leben zurückgekehrte verstorbene
Australier seien, fand man auch in andern Gegenden Australiens 1.
Einige erwünschte Zusätze zu diesen Berichten bringen die Angaben der
Trappisten über die Religion der Westaustralier bei Perth? aus dem
Jahre 1893. Danach sind die Hauptpunkte der Religion der Eingebornen
folgende: 1. Die materielle physische Welt hat immer existiert und wird immer
existieren. 2. Die Welt und die Menschen werden, wenn nicht regiert, so doch
überwacht von Geistern. Es gibt deren viele und der größte weilt in der
Desarterbai. Er ist ein zugleich altes und junges Wesen. Er ist, wie es
scheint, ganz mit Blut bedeckt, aber dieses Blut macht ihn herrlich und leuchtend.
Sein Kopf ist der eines Greises mit langen weißen Haaren und langem Bart.
Seine Augen funkeln und werfen auf die Bösen Übel verschiedener Art, den
Tod usw., und zwar in Gestalt von Würmern, die ihm aus den Augen fallen.
Die Zauberer allein können ihn sehen, haben aber kein großes Verlangen
danach. 3. Um dieses höhere Wesen zu versöhnen, müssen die Eingebornen ihre
Corroberies (Kriegstänze) veranstalten, sich den Leib bemalen und besonders
Blut vergießen und trinken. Dieser letztere Gebrauch ist, wenn nicht täglich, doch
sehr häufig. Wenn sie versammelt sind, so ziehen sie sich gegenseitig Blut in
großer Menge aus den Adern, lassen es in einem Gefäß gerinnen und essen
es dann. Die jungen Leute von 15 bis 16 Jahren werden der Beschneidung
unterzogen. Für diese Zeremonie versammelt man sich von weither, um Blut
zu trinken, und der Patient wird mit Blut so bespritzt, daß sein ganzer Leib
davon bedeckt ist. Sie trinken auch das Blut, wenn sie sich Einschnitte in den
Leib machen, von denen die Männer auf der Brust, den Schultern und dem
Rücken die Narben tragen. — Von diesem übernatürlichen Wesen erhalten die
Zauberer ihre besondern Gewalten: der eine z. B. die Gewalt, zu heilen oder
krank zu machen und zu töten, der andere die Gewalt, verlorene Sachen wieder
zu finden, Wildbret und Fische zu fangen usw. Sie scheinen an eine Art
Seelenwanderung zu glauben; das, was den Verstorbenen überlebt, kann
in einen Vogel, ein Tier oder selbst in ein Kind übergehens.
Eine große Rolle spielen bei den Westaustraliern in der Nähe von Neu—⸗
Norcia, wie schon angedeutet wurde, die Zauberer und Ärzte (Boglias). Nie⸗
mand stirbt, wie sie glauben, eines natürlichen Todes; der Tod ist immer die
Wirkung der Boglias, welche eine geheimnisvolle, außerordentlich große Macht
iS. oben S. 244 278. 2 Vgl. Missions catholiques 18938, 231. s Epd. 232.
2. Die Westaustralier (füdlicher Teil)
287
besitzen. Außer dem Cienga und den Boglias fürchten sie auch den Mond,
den sie für einen Mann und für bösgesinnt ansehen, während seine Frau, die
Sonne, gut ist. Sie meinen, die Sterne seien untereinander verheiratet und
mit Kindern gesegnet. Die Sterne erster Größe wagen sie nur leise zu nennen,
um sie nicht zu erzürnen!.
Bei den Australiern scheint jede Familie für sich unabhängig zu sein
und eine kleine Gesellschaft unter einem Familienhaupte zu bilden. Sie haben
aber ihre allgemeinen Gesetze, die durch Überlieferung vom Vater auf den
Sohn sich erhalten und deren Übertretung der Familienvater, selbst an Fremden,
treng bestraft. „Wenn z. B. ein Mann unter 80 Jahren ein Weib mit sich
führt und gesteht, daß sie seine Frau ist, so kann ihn der erste beste Greis
unbarmherzig töten, auf Grund des allen Wilden gemeinsamen Gesetzes, daß
unter Todesstrafe niemand vor vollendetem dreißigsten Jahre eine Ehe ein—
dehen darf.“⸗
Jedes Individuum hat seinen eigenen Grundbesitz, auf dem es jagen,
Gummi und Wurzeln sammeln darf; das Recht, das ihm die Geburt auf
seinen Besitz gibt, wird von allen heilig gehalten. „Oft habe ich“, berichtet
Salvado, „sogar Freunde im Streite einander sagen hören: Dies ist mein
Land, das deinige ist Kanturbi; gehet alle fort von hier.“ Dementsprechend
bildet jede Familie sozusagen einen eigenen und ausschließlichen Bezirk, an
dessen Genuß aber auch die benachbarten Familien teilhaben, wenn man im
zuten Einverständnis lebt. Will ein Feind oder ein Fremder auf diesem Gebiet
sich niederlassen, so wird er vom Eigentümer mit dem Tode bestraft.
Ist eine Frau der Niederkunft nahe, so sucht sie in der Nähe einer Quelle
oder eines Wasserbehälters zu bleiben, um dem Neugebornen das Geburtsrecht
auf den Boden zu verschaffen, auf dem sich das Wasser befindet. Sie zieht
sich an einen einsamen Ort zurück, wo sie ganz allein das Kind zur Welt
bringt. Kaum hören die Männer das Weinen des Kindes, so fragen sie die
Mutler nach dem Geschlecht desselben. Hören sie, es sei ein Mädchen, so
leiben sie ruhig am Feuer; ist es aber ein Knabe, so geben alle Zeichen der
Freude, fangen an zu singen, und die Kinder bringen als Geschenke für den
Neugebornen ausgesuchte Wurzeln oder was sie sonst in Händen haben. Dann
rägt die Mutter den Knaben zum Vater. der ihm einen den Umständen ent—
nommenen Namen gibt.
Die krüppelhaften Kinder werden gleich nach der Geburt getötet; auch jedes
dritte Mädchen ist dem Tode geweiht, nicht sellen sogar das zweite, dann geben
ie allerdings vor, der Tod sei die Folge von Zauber gewesen; vielfach bringen
die Mütter selbst ihre Kinder um; doch kommt es auch vor, daß mitleidige
Frauen das dem Tod geweihte Kind adoptieren. Sonst lieben die Australier
hre Kinder, die dem Tod entgangen sind, zärtlich; die Mütter pflegen die—
elben mit Sorgfalt, stillen sie oft vier Jahre lang und halten sie reinlich.
die Nachgiebigkeit der Eltern gegen ihre Kinder ist viel zu groß, sie strafen
sie nie, weil sie meinen, denselben fehle die nötige Einsicht. Die erwachsenen
—
Sgalvado, Memorie storiche doell' Australia usw. 300. 2 Ebd. 302.
s Ebd. 311.
288 Fünfter Teil. Australien und Ozeanien.
Kinder vergelten den Eltern ihre Liebe. Sind die letzteren alt, so bewahren ihnen
die Kinder die besten Stücke vom Wildbret oder den andern Speisen und rächen
die ihnen zugefügten Beleidigungen. Selbst über das Grab hinaus zeigen sie
ihnen allerdings in sehr sonderbarer Weise ihre Liebe, indem sie einen oder zwei
Wilde töten, wenn der Vater stirbt. Die jungen Australier pflegen alle Greise
Mana (d. h. Vater) und alle alten Frauen N-angan (Mutter) zu nennen und
hehandeln sie mit großer Ehrfurcht.
Das schon erwähnte Gesetz, nicht vor dem achtundzwanzigsten oder dreißigsten
Jahre zu heiraten, hat zur Folge, daß die Jünglinge merkwürdig gleichgültig
werden gegen die Weiber; auch dürfen sie nicht ein Weib aus der eigenen
Familie zur Frau nehmen. Gewöhnlich haben sie zwei Frauen. Wünscht ein
Wilder ein Mädchen zu heiraten, so erbittet er sich dasselbe von dessen Vater.
Gewährt dieser die Bitte, so gehört von diesem Augenblicke an das Mädchen
dem Bittsteller, doch bleibt dasselbe bis zum erforderlichen Alter beim Vater.
Das einmal gegebene Versprechen ist unverletzlich, und wollte ein Vater das⸗
selbe nicht halten, so würde es zu blutigen Fehden kommen. Die Einwilligung
des Mädchens wird meist nicht erfordert, doch kommen auch Ehen aus wahrer
Liebe vor!. Eine andere Art, zu einer Frau zu gelangen, besteht darin, daß
man fie dem Vater oder dem Manne entführt, weil sie sehr hübsch ist oder
don ihrem Manne mißhandelt wird. Wenn aber der Mann die ihm entführte
Frau entdeckt, tötet er fie unfehlbar.
Der Wilde verzeiht nie einen Angriff auf die Schamhaftigkeit seiner Frauen;
er sieht denselben als einen persönlichen Schimpf an, der dem Übeltäter oft
das Leben kostet. Die Europäer haben das mehr als einmal erfahren. Wo
die Wilden von den Europäern getrennt leben, sind ihre Sitten sehr rein. „In
den drei Jahren meines Aufenthalts unter ihnen habe ich nie die geringste
anstößige und ungeziemende Handlung wahrgenommen; im Gegenteil, ich habe
gefunden, daß ihre Sitten das höchste Lob verdienen. Wenn die Familie zur
Ruhe geht, so schlafen die männlichen Kinder über sechs Jahre getrennt von
den übrigen um ein gemeinsames Feuer; die kleineren Knaben schlafen beim
Vater, die Säuglinge und die Mädchen jeden Alters bei der Mutter.“?
Der Missionär bezeichnet die Australneger als gastfreundlich, großmütig und
wohlwollend. Wir schließen diese Schilderung mit einer Tatsache, die zeigt,
daß die Australier im wesentlichen dieselben Tugenden und Laster haben wie
die Europäer. Ein Wilder hatte auf der Mission einen Brand gestiftet aus
Rache dafür, daß der Missionär seine Frau gegen seine Mißhandlung in Schutz
genommen, und verschwand dann in den Wäldern. Nach längerer Zeit ließ
er durch Angehörige seiner Familie anfragen, ob der Missionär sein Freund
sei oder nicht. Als er dann erfuhr, daß dieser bereit sei zu verzeihen, kam er,
bat um Verzeihung und gab Zeichen aufrichtiger Reue über sein Verbrechen.
Der Missionär schließt: „Ich gab mich mit diesem freiwilligen und demütigen
Bekenntnis zufrieden, und seither hat mir Munanga — so hieß der Schuldige —
große Dienste in der Mission geleistet.ss Er weiß auch von Zügen aufrichtiger
Dankbarkeit und Anhänglichkeit zu erzählen.
8aIvado. Memorieé storiche dell' Australia usw. 313. 2 Ebd. s Ebd. 317.
3. Die Westaustralier (nördlicher Teil). 289
Merkwürdig ist, daß diese Australier, obwohl sie sittlich verhältnismäßig hoch
standen, wenigsiens im Sommer vollständig nackt gingen, Männer und Frauen,
und in diesem Kostüm mit der größten Unbefangenheit auch zur Wohnung der
Missionäre kamen. Sie schienen keine Ahnung von dem Ungeziemenden ihrer
odölligen Nacktheit zu haben. Die Missionäre befahlen nun allen, die auf der
Mission arbeiteten oder ein Almosen haben wollien, sich wenigstens notdürftig
zu bekleiden; gaben ihnen aber den Grund dieser Maßregel nicht an, um sie
nicht auf böse Gedanken zu bringen!.
3. Die Westaustralier (nördlicher Teil).
l. Eine eingehende Darlegung der Sitten und Gewohnheiten der Eingebornen
am westlichen und nordwestlichen Gestade Australiens verdanken wir dem Eng—
länder George Grey?, der als einer der ersten große Reisen in diesen
Beqgenden ausgeführt hat.
Ein charakteristischer Zug der Eingebornen ist, daß sie in bestimmte große
Familien (Geschlechter) eingeleilt sind, deren Glieder alle denselben Namen als
eine Art Familiennamen tragen. Diese Familiennamen sind über weite Strecken
des australischen Festlandes verbreitet ; aber in verschiedenen Distrikten haben
die einzelnen Zweige dieser Familien noch besondere Ortsnamen, durch die sie
sich als Gruppen der Hauptfamilien kennzeichnen. Die Familiennamen werden
nach den zwei folgenden Gesetzen verewigt und verbreitet: 1. Die Kinder beider
Geschlechter erhalten immer den Familiennamen der Mutter; 2. ein Mann darf
nie eine Frau aus seiner eigenen Familie heiraten.
Der Ursprung dieser Namen ist noch nicht genügend aufgeklärt; viele Ein—
geborne sagen, dieselben seien von irgend einem Tier oder einer Pflanze her⸗
genommen, die in der von der Familie (ursprünglich) bewohnten Gegend sehr
derbreitet war. Diese Pflanze oder dieses Tier ist das Wappen oder Kenn—
zeichen (Kobong nennen es die Eingebornen), und Grey meint, die Pflanze oder
das Tier habe den Namen von der Familie erhalten und nicht umgekehrt.
Zwischen dem Kobong (Totem) und der Familie besteht ein geheimnisvoller
Zusammenhang, so daß ein Glied der Familie nie ein Tier von der Art, zu
der der Kobong gehört, töten wird, wenn er es schlafend antrifft; und über—
haupt tötet er es nur mit Widerstreben und nie, ohne demselben Gelegenheit
zur Flucht zu geben. Dies kommt von dem Glauben der Familie, daß irgend
ein Individuum aus der Art des Kobong ihr nächster Freund ist, den zu töten
ein großes Verbrechen wäre, welches nach Möglichkeit vermieden werden muß.
In äͤhnlicher Weise darf der Eingeborne, der eine Pflanze zum Kobong hat, diese
unter bestimmten Umständen und zu einer bestimmten Jahreszeit nicht sammeln.
Heirat. Mädchen werden immer schon wenige Tage nach der Geburt
berlobt, und nach der Verlobung haben die Eltern kein Recht mehr in Bezug
auf die zukünftige Verheiralung ihrer Kinder. Sollte der erste Mann sterben.
Ebd. 220. J
2Journals of two expeditions of discovery in North West and Western Australia,
during the years 1837, 1838 and 1839 II, London 1841. 2285 ff.
Cathrein, Die Einheit d. sittl. Bewußtseins. III.
454
290 Fünfter Teil. Australien und Ozeanien.
bevor das Mädchen zu den Jahren der Pubertät gelangt ist, gehört dies dem
Erben des Mannes. Ein Mädchen lebt, sobald es will, mit seinem Mann, und
niemand kann in dieser Beziehung dessen Neigungen einschränken. Wenn ein
Eingeborner stirbt, erbt sein Bruder dessen Frauen und Kinder, dieser Bruder
muß aber derselben Familie angehören wie der Verstorbene. Die Witwe geht
drei Tage nach dem Tode ihres ersten Mannes zu der Hütte des zweiten Mannes
(des überlebenden Bruders). Die alten Männer trachten stets, die weiblichen
Angehörigen unter sich zu behalten, und geben deshalb einander ihre Töchter,
und je mehr weibliche Kinder sie besitzen, um so mehr Aussicht haben sie, durch
diesen Austausch eine andere Frau zu bekommen; die Weiber haben aber ge—⸗
wöhnlich einen Liebhaber unter den jungen Männern, dessen Frau sie beim Tode
hres Mannes zu werden suchen. — Die von weiblicher Seite blutsverwandten
Familien sind verpflichtet, einander zu helfen, wenn es sich um Verteidigung
oder um Rache für ein Verbrechen handelt; und da der Vater mehrere Weiber
jeiratet, die sehr oft verschiedenen Familien angehören, so sind seine Kinder
mehrfach untereinander geteilt; kein gemeinsames Band vereinigt sie unter sich;
diese Gesetze allein würden genügen, meint Grey!, um das Volk für immer
zu hindern, aus der Barbarei herauszukommen. Die Kinder gehören nach der
genannten weiblichen Linie nie zur Familie (d. h. zum Klan oder Geschlecht)
des Vaters, und die Folge ist, daß ein Distrikt einer Gegend nie für zwei
Generationen in derselben Familie bleibt. Es ist nach Grey sehr schwer, von
den Eingebornen über diese Familienverhältnisse Aufschluß zu erhalten, selbst
wenn man ihre Sprache gut versteht; denn sie haben ein strenges Verbot, den
Namen eines Verstorbenen zu erwähnen, und es gelang unserem Gewährsmann
oft nur mit List, den Stammbaum eines Eingebornen zu bestimmen.
„Der Grundbesitz gehört nicht einem Stamm oder mehreren Familien,
sondern einem einzelnen Mann; und die Grenzen seines Eigentums sind so
genau bestimmt, daß jeder Eingeborne die Grenzen seines Bodens kennt und
die Gegenstände angeben kann, welche die Grenzmarken seines Gebietes bilden.““
Grey führt auch das Zeugnis des Dr J. D. Lang, des Direktors des Sydney
Tollege, an, der einem Freunde auf die Frage nach den Grundeigentumsbegriffen
der Australier schreibt: „Ob die Eingebornen des australischen Kontinentes eine
Idee von Eigentum an Grund und Boden haben? Ich antworte ganz ent⸗
schieden: Ja.... Jeder Stamm hat seinen eigenen Distrikt, dessen Grenzen
allen Eingebornen im allgemeinen wohl bekannt sind, und innerhalb dieses
Distriktes werden alle wilden Tiere als Eigentum des Stammes angesehen, der
dort wohnt oder herumstreift. ... Außerdem sind bestimmte Bezirke nicht bloß
das Eigentum eines Stammes, sondern werden allgemein von den Eingebornen
als das Eigentum einzelner Individuen dieses Stammes anerkannt;
und wenn der Eigentümer eines Bezirkes das Gras niederzubrennen entschlossen
ist, um die alten Tiere leichter zu fangen und eine neue Saat von besserem
Gras für den entstehenden Wald zu erlangen, so ladet er nicht nur alle seine
Stammesgenossen, sondern auch ganze Stämme von andern Distrikten zu einer
großen Jagd mit darauffolgendem Schmaus, Tanz und Kriegstanz ein; das
1Journals of᷑ two expeditions usw. II 220. 2 Ebd. 282.
3. Die Westaustralier (nöordlicher Teil).
291
Wild auf diesem Boden wird von allen als das Eigentum des Bodenbesitzers
betrachtet.“1
Ein Vater verteilt sein Land zu Lebzeiten, indem er jedem der Söhne nach
Hilligkeit einen Teil zuweist. Sind keine Söhne vorhanden, so erben die männ—
lichen Kinder der Töchter das Land ihres Großvaters. Die Strafe für Über—⸗
riffe zum Zwecke der Jagd ist unfehlbar der Tod, wenn der Schuldige auf
rischer Tat ergriffen wird, oder es entbrennt zum wenigsten eine hartnäckige
Fehde. Wird der Schuldige nicht auf der Tat ertappt, erkennt man ihn aber
an den Fußspuren oder andern Umständen, so wird er wahrscheinlich getötet,
obald man ihn in wehrlosem Zustand antrifft. Erscheint er aber in Begleitung
einer Freunde, so wird ihm zur Strafe mit einem Speere der Schenkel durch—
bohrt. — Die Eingebornen haben auch Gebote, die die Erhaltung der Nahrung
ezwecken. So sollen keine Pflanzen, die als Nahrung dienen, während sie
Samen tragen, gepflückt oder gesammelt werden. Gewisse Klassen von Ein—
ebornen dürfen bestimmte Speisen nicht essen, um die selteneren Arten des
Wildes zu schonen. Auch die Totemgesetze gehören hierher.
Die Wilden glauben nicht an einen Tod aus natürlichen Ursachen. Jeder
Tod ist die Folge von Mord oder (geheimer) Zauberei. Ist jemand durch
Unglück oder aus natürlichen Ursachen gestorben, so untersucht man unter allerlei
übergläubischen Zeremonien, in welcher Richtung der Zauberer lebt, der durch
einen Einfluß den Tod verschuldet hat. Ist die Frage durch einen öffentlichen
Zauberer gelöst, so macht man sich nach dem Begräbnis auf den Weg, um
Rache zu nehmen. Wird ein Eingeborner absichtlich von einem andern getötet,
so tötei man den Mörder oder einen seiner Freunde, dessen man habhaft
verden kann. Tötet ein Eingeborner einen andern durch Zufall, so wird er je
nach den Umständen des Falles gestraft. — Der erste Grundsatz bei der Be—
trafung ist, daß alle Verwandten des Verbrechers für die Schuld haftbar
ind, wenn der Täter nicht ausfindig gemacht oder ergriffen wird. Kann man
den Täter nicht erlangen, so muß sein Vater oder Bruder für ihn büßen,
onst ein anderer Verwandter, der den Beleidigten in die Hände fällt?. Die
—F für einen Mord gilt als die heiligste Pflicht des naͤchsten Verwandten
es Getöteten; bis er diefe Pflicht erfüllt, wird er beständig von den Weibern
aufgehetzt; ist er unverheiratet, so wird keine Frau mit ihm reden, bis er Rache
— ist er verheiratet, so verlassen ihn seine Frauen, seine Mutter weint
eständig und sein Vater behandelt ihn mit Verachtungs.
Strafrecht. Der Raub einer Frau wird gewöhnlich mit dem Tode
estraft. Wird die Frau bis zu einem bestimmten Termin nicht zurückgebracht,
o verfällt ihr Verführer oder einer seiner Verwandten dem Tode. Ehebruch
wird streng geahndet, oft mit dem Tode. Alles, was dem Verbrechen des
Inzestes nahe kommt, und dazu werden Ehen innerhalb der nächsten Ver—
“ andtschaft gerechnet, wird in höchstem Grade verabscheut?s. Alle sonstigen Ver—
rechen können dadurch gesühnt werden, daß sich der Schuldige einem Ordal
interwirft. Dieses besteht darin, daß die beleidigten Personen dem Schuldigen
Sbeere durch bestimmte Teile des Leibes stoßen dürfen; für jedes Verbrechen
— — — —
Ebd. 28
233-236
2Ebd. 239. 3 Ebd. 2
240.
Ebd. 2
— 42.
—W Fünfter Teil. Australien und Ozeanien.
ist genau der Teil des Leibes bestimmt, der durchbohrt werden soll. Selbst⸗
mord ist unbekannt1.
Alte Leute werden immer mit Achtung behandelt; sie nehmen selten An⸗
teil an einem Kampf; sie haben das Vorrecht, gewisse Speisen zu essen, die
den jungen Männern verboten sind. Die Mädchen werden, wie schon gesagt, in
früher Jugend mit einem Manne verlobt, auch wenn dieser schon älter ist.
Dieser überwacht seine Verlobte, bis sie zur Pubertät gelangt, mit einer ängst⸗
lichen Sorge, die gewöhnlich um so größer, je größer der Abstand der beiden an
Jahren ist; vielleicht ist dieser Umstand schuld, daß so viele Frauen sich Intrigen
hingeben, die ihnen sicher den Tod oder einen Speerstoß zuziehen, wenn sie von
ihren Männern entdeckt werden; schon der bloße Verdacht der Untreue sichert
den Weibern eine grausame Behandlung. Aus diesem Grund müssen sie, so⸗
lange sie jung sind, ob schwanger oder nicht, ihre Männer auf allen ihren
Erkursionen begleiten und sehr angestrengt arbeiten, zu einer Zeit, wo ihnen
Ruhe notwendig wäre?. Aber auch wenn eine Frau ihre Bewunderer in keiner
Weise begünstigt, werden allerlei Komplotte geschmiedet, um sie zu entführen,
und bei den daraus folgenden Streitigkeiten wird sie gewiß mißhandelt, denn
jeder von den Streitenden befiehlt ihr, ihm zu folgen, und weigert sie sich, so
wirft er den Speer auf sie. Ist eine Frau jung und hübsch, so ist ihr Leben
eine stete Kette von Gefangenschaften bei verschiedenen Herren, raschen Flucht⸗
versuchen, schlechter Behandlung, auch von seiten der Frauen, zu denen sie als
Gefangene gebracht wird. Diese Umstände haben häufige Mißgeburten zur
Folge, besonders in den ersten Jahren der Ehe. Sodann werden oft Kinder
getötet, weil es Brauch ist, die Kinder zwei oder drei Jahre zu stillen.
Polygamie ist allgemeiner Brauch, und da die Zahl der Frauen nicht groß
genug ist, kommt es oft zu Frauenraub, besonders da die Frauen wegen ihrer
Arbeit für den Mann von großem Wert sind. Die Männer wachen mit strenger
Eifersucht über ihre Frauen?, und Etikette und Gewohnheit haben dieselben mit
fast undurchdringlichen Wällen umgeben. Wenn eine gewisse Zahl von Familien
beisammen lebt, lagern sie zwar am selben Ort, aber jede Familie hat eine
oder zwei eigene Hütten. Hier schlafen Mann, Frau, Mädchen und alle Kinder
unter zehn Jahren. Die unverheirateten Männer und die Knaben über zehn
Jahren müssen in einem eigenen Teil des Lagers schlafen, wo sie zwei oder
drei Hütten haben, die sie selbst bauen oder die die Mütter ihnen errichten;
hier schlafen die bis zu einem bestimmten Grade verwandten Jünglinge bei⸗
sammen. Wenn Fremde auf Besuch da sind, so schlafen sie, wofern sie ihre
Frauen bei sich haben, in ihren eigenen Hütten unter den verheirateten Leuten;
sind die Frauen nicht bei ihnen oder sind sie nicht verheiratet, so schlafen sie
am Feuerherd der jungen Männer. Unter keinen Umständen darf ein fremder
Eingeborner sich dem Feuer eines verheirateten Mannes nähern. Da die Hütten
in einiger Entfernung voneinander stehen, so möchte man glauben, jeder soziale
Verkehr und jede Unterhaltung sei unmöglich; aber diese Schwierigkeit wird
durch eine Art rezitativen Gesanges überwunden. Im Lager erzählen einander
Grey, Journals of two expeditions usw. II 248. 2 Ebd. 248 - 249.
Ebd. 252.
3. Die Westaustralier (nördlicher Teil).
293
die jungen Leute ihre Liebesabenteuer, die alten Männer schelten ihre Frauen
und spielen mit den Kindern; plötzlich ertönt ein wilder Gesang, in dem ein
neu angekommener Eingeborner seine Reiseabenteuer erzählt oder ein alter Mann
Erinnerungen aus alten Tagen wachruft oder an eine noch zu vollziehende Rache
erinnert. Während einer singt, schweigen alle andern und hören zu. Man
macht sich während des Tages auch Besuche und erzählt sich im Flüsterton die
neuesten Skandale; doch ist durch Gebrauch genau bestimmt, wer das Recht
hat, sich dem Feuer eines andern zu nähern. Die jungen Frauen benutzen dies
als Gelegenheit, um Intrigen zu spielen oder mit einem Liebhaber einige Worte
zu wechseln; aber wehe ihnen, wenn die wachsamen Männer dies entdecken, ein
Stoß mit dem Speer durch den Oberschenkel wäre die geringste Strafe. Bei
den Tänzen bleiben die Geschlechter immer getrennt. Gewöhnlich stehen die
jungen tanzenden Männer auf der einen Seite des Feuers, die alten auf der
andern, und hinter diesen sitzen die Frauen. Bei einigen Tänzen nehmen die
Frauen durch Gesang Anteil, aber sie tanzen nie selbst, und die jungen Männer
dürfen ihnen nicht nahe kommen 1.
Die Toten werden in Westaustralien begraben. Das schmale und tiefe
Grab hat die Richtung von Osten nach Westen. Bevor man den Leichnam
‚ineinlegt, wird ein Feuer im Grabe angezündet, um die Boybyas, die bösen
Zaubergeister, die das Fleisch des Kranken aufzehren und seinen Tod verursachen,
herauszutreiben; dann wird genau die Richtung beobachtet, nach der diese Boyl⸗
has aus dem Grabe wegziehen; denn in dieser Richtung muß der Urheber des
Zaubers gesucht werden, um an ihm Rache zu nehmen. Wenn das Feuer
erloschen ist, wird die Leiche mit dem Gesicht nach Osten auf ein Lager von
Zweigen ins Grab gesetzt (in sitzender Stellung, wie sie das Kind im Mutter⸗
schoß hat) und mit grunen Zweigen zugedeckt, und endlich wird das Grab mit
Erde wieder zugeschüttet, so daß ein kleiner Grabhügel entsteht. Bei den Toten⸗
llagen pflegen die Verwandten sich Haare abzuschneiden und sie ins Grab zu
werfen, auch zerschneiden und zerkratzen sie sich das Gesicht, die Arme usw. und
lassen das Blut auf die Leiche fließen. An manchen Orten werden die Speere,
das Messer, der Hammer und die Schmuchsachen des Verstorbenen auf das Grab
zelegt2. Die nächsten Verwandten bleiben oft lange bei den Gräbern, wie es
scheint, um das Individuum zu entdecken, das den Tod verursacht hat. Diese
Entdeckung geschieht durch Erscheinungen oder Träumes.
Die Zauberer der Westaustralier werden Boyl-yas genannt; sie besitzen die
Macht des Boyl⸗ha. Wie es scheint, verstehen die Eingebornen unter Boyl⸗yas
dald die Zauberer selbst, bald eine Art geheimnisvoller Kräfte oder Geister,
welche unter dem Einfluß der Zauberer stehen und die Eingebornen aufzehren.
Der Waugul ist ein geheimnisvolles Ungeheuer, das im Wasser wohnt und
die Kraft hat, die Eingebornen, besonders die Frauen, aufzuzehren. Der Alp
wird durch irgend einen bösen Geist verursacht. Man sucht ihn los zu werden,
indem man aufspringt und unter Verwünschungen einen Feuerbrand um den
dopf herum schwingt und dann in der Richtung wegwirft, in der man den
Geist vermulet — Fine große Achtung, ja fast religiöse Verehrung haben die
Ebd. 255. 2 Ebd. 334. 3 Ebd. 336.
294 Fünfter Teil. Australien und Ozeanien.
Eingebornen vor gewissen glänzenden Steinen oder Kristallstücken, die sie , Teyl“
nennen. Nur der Zauberpriester darf sie berühren; ein gewöhnlicher Wilder
würde um keinen Preis eine Berührung wagen!.
Man hat vielfach behauptet, die Australier hätten früher auf einer viel
niedrigeren Kulturstufe gestanden und sich namentlich in Bezug auf die Ehe
allmählich aus einem Zustand der Promiskuität, der Gruppenehe usw. zu einer
höheren Auffassung des Geschlechtsverhältnisses durchgerungen. Dem gegenüber
zeigt Grey?, daß ein Fortschritt der Wilden aus sich fast eine Unmöglichkeit
ist. Seine diesbezüglichen Ausführungen sind sehr lehrreich und gewähren uns
einen tieferen Einblick in das Leben und Treiben der Wilden. Man glaubt,
so schreibt er, der Wilde sei frei, aber niemand ist durch alte Gebräuche und
Gewohnheiten, die vielfach mit seiner Religion oder seinem Aberglauben innig
zusammenhängen, so allseitig eingeengt und beschränkt als gerade er. Selbst
in seinem Denken und Wollen, in allen seinen intimsten Verhältnissen wird er
durch diese religiös geweihten Gesetze und Gebräuche gehemmt. Das sind Fesseln,
die niemand zu sprengen vermag und die höchstens durch äußere Verhältnisse
oder besondere Vorkommnisse allmählich geändert werden können. „Er (der
Wilde) ist komplizierten Gesetzen unterworfen, welche ihm nicht nur jede freie
Bewegung in seinen Anschauungen rauben, sondern auch, da sie für die Ent—
wicklung des Verstandes, Wohlwollens und anderer moralischen Eigenschaften
keinen Raum lassen, ihn in einem hoffnungslosen Zustand der Barbarei nieder⸗
halten, aus dem sich der Mensch nicht zu erheben vermag, solange er von diesen
Gewohnheiten umklammert ist; und diese Gewohnheiten ihrerseits sind so schlau
erdacht, daß sie tatsächlich die Tendenz haben, jede Bestrebung zu ihrem Um⸗
tturz zu vernichten.“ Es ist auch bekannt, wie zäh alle Wilden an ihren aber⸗
gläubischen Gebräuchen festhalten, und welche Mühe es die Europäer kostet, einen
Wilden zu einer Handlung zu bewegen, die denselben widerspricht. Auf alle
Fragen, warum sie dieses oder jenes tun, antworten sie fast überall mit der
immer wiederkehrenden Antwort, weil es unsere Ahnen so getan und ihren Nach⸗
kommen vorgeschrieben haben. — Theoretisch wissen zwar nach Grey die Austra⸗
lier nichts von Ungleichheit, aber tatsächlich geht die ganze Tendenz ihrer aber⸗
gläubischen und althergebrachten Rechtsgewohnheiten dahin, bestimmte Klassen
zum Wohle anderer herabzudrücken und gewisse Vorrechte oder Wohltaten für
die letzteren zu monopolisieren. So sind bei den Wilden die Weiber, die jungen
Leute und die Schwachen zu einem hoffnungslosen Zustand der Erniedrigung
verurteilt, bloß weil sie die Schwächeren sind; und zwar ist dies die Wirkung
nicht etwa augenblicklicher Laune und individueller Anlage, sondern der über—⸗
lieferten Gesetze und Gewohnheiten, die bei ihnen als ebenso gültig und ver⸗
bindlich angesehen werden wie bei uns die Gesetze. Diese Gesetze und Gebräuche
können nicht als bloß örtliche Einrichtungen angesehen werden, denn man trifft
sie im wesentlichen in allen Teilen Australiens, und sie werden nicht durch
Bücher vermittelt, welche die leitenden Personen nach ihrem Willen erklären
können, sondern bloß durch mündliche Überlieferung, und sie haben sich im Geiste
der Wilden als heilige und unveränderliche Satzungen eingebürgert.
iGrey, Journals of two expeditions usw. II 340. 2Ebd. 217.
3. Die Westaustralier (nördlicher Teil). 295
Manche Schriftsteller meinen, die Menschen seien in völliger Barbarei ohne
jede Vorbereitung auf die Erde gesetzt worden, und sie schildern dann, wie diese
Menschen von der Not getrieben und den Sinnen geleitet der Reihe nach alle
für ihr Dasein notwendigen Produktionen und die dazu gehörigen Künste ent—
deckten, bis sie endlich auf den Gipfel der Zivilisation gelangten; aber das sind
Träume unerfahrener Leute, die, soweit Australien in Betracht kommt, kein
Fundament in der Wirklichkeit haben. Daß die Eingebornen, die zuerst auf
diesen Kontingent kamen, wissen mußten, wie sie für ihre Bedürfnisse zu sorgen
hatten, wie sie die Wurzeln auswählen und die zur Nahrung tauglichen Tiere
fangen mußten, zeigt die Erfahrung, die ein Teil der Expeditionsmannschaft
Greys unter der Leitung Walkers auf dem Landweg von Gantheaume nach
Perth machte!. In diesem Fall würden sechs erwachsene Männer, die mit
Messern, Fischhaken und Schnüren, einem Kessel, verschiedenen Wasser— und
—XR und einem kleinen Mundvorrat versehen waren, und von denen
mehrere große Erfahrung in den Wäldern hatten, alle durch Hunger umgekommen
sein, wenn nicht noch zur rechten Zeit ihnen Hilfe gebracht worden wäre, und
zwar wären sie umgekommen einzig aus Unwissenheit der Art und Weise, wie
sie sich ihren Unterhalt erwerben konnten, und nicht etwa aus Vernachlässigung
der Experimente, um herauszufinden, wie sie sich erhalten könnten. Sie waren
also in sehr günstigen Bedingungen, und trotzdem wären sie zu Grunde gegangen,
hätte man ihnen nicht Hilfe gebracht. Dieselbe Erfahrung mit demselben Erfolg
hat man oft unter ähnlichen Umständen gemacht. „Wenn nun erwachsene Männer
im Vollbesitz aller Fähigkeiten, mit Feuer und manchen nützlichen Werkzeugen
dersehen und von beträchtlicher Erfahrung unterstützt, aus Unkenntnis der natür⸗
lichen Produkte des Landes und der Art und Weise, sich dieselben zu ver—
chaffen, vor Hunger sterben, ehe sie es lernen, für ihre Bedürfnisse zu sorgen,
ist es dann wahrscheinlich, daß ein unbewaffneter, nackter, unwissender Mann,
der nicht einmal wußte, wie er seine Sinne in harmonische Tätigkeit setzen soll,
bebor er diese Kenntnis durch Erfahrung gewonnen, die Möglichkeit gehabt habe,
einem Schicksal zu entgehen, dem der Europäer trotz seiner höheren Energie des
Geistes und Charakters erlegen wäre, wenn er nicht das Glück gehabt hätte,
auf freundliche Eingeborne zu stoßen?“⸗
Die Gesetze dieses Volkes passen nicht für die Leitung einer einzelnen, iso⸗
lierten Familie, denn wenigstens manche von ihnen eignen sich nur zur Ordnung
einer Ansammlung von Familien; sie können deshalb nicht Regeln gewesen sein,
die der erste Vater seinen Kindern gab; sie können auch nicht Regeln gewesen
sein, die eine Versammlung von Vätern ihren Kindern gibt; denn das ist das
Charakteristische an ihnen, daß manche von ihnen die Untergebenen zwingen, in
einem Zustand der Barbarei zu bleiben, während andere nicht nur für die Be⸗
dürfnisse und Nöten wilder Nationen passen, sondern auch dafür, eheliche Ver—
bindungen unter zu nahen Verwandten für ein Volk zu verhindern, das weder
symbolische noch schriftliche Erinnerungszeichen besitzt; und in allen diesen Fällen
werden die gewünschten Ziele durch die einfachsten Mittel erreicht.
Eßd.
220 2Ebd. 221-222.
296
Fünfter Teil. Australien und Ozeanien.
„Infolge der besondern Natur ihrer Institutionen war es unmöglich, daß
sie aus einem Zustand der Barbarei herauskommen konnten, solange dieselben
in Kraft blieben; und in Anbetracht der Zähigkeit und unverbrüchlichen Ge⸗
nauigkeit, mit der sie festgehalten werden, und der Macht, die sie über den
Geist der Wilden besitzen, scheint es ebenfalls unmöglich, daß sie abgeschafft oder
verändert werden konnten, solange sie nicht mit einer zivilisierten Gemeinschaft
in Berührung kamen, welche einen neuen Einfluß ausüben und dadurch das
alte System vernichten und beseitigen konnte.“
2. Zu den Westaustraliern gehören auch die Niol-Niol an der Beagle⸗
bai, über die wir noch einige Notizen beifügen. Aus den Angaben Greys
könnte man schließen, die von ihm geschilderte Einrichtung des Kobong, die
offenbar nichts anderes ist als das Totem, sei eine allgemeine Einrichtung im
Westen und Nordwesten Australiens. Dem ist aber nicht so. Klaatsch
schreibt, er habe sich besondere Mühe gegeben, bei den Niol-Niol an der Beagle—
bai das Totem zu entdecken, das Spencer und Gillen bei den Arunta (Aranda)
gesehen. Diese Entdeckung war ihm schon früher bei andern Stämmen nicht
zelungen. Jetzt an der Beaglebai begab er sich wieder an die Untersuchung mit
Hilfe der dortigen katholischen Missionäre (Pallottiner), besonders des P. Bischofs.
Die Bedingungen, schreibt er?, waren ebenso günstig, wie sie Spencer und Gillen
hatten; dazu kommt, daß die Niol-Niol gegenüber ihren Freunden und Be—
schützern, den Missionären, gar keine Geheimhaltung kennen. Die intimsten
Dinge offenbaren sie den ihnen wohlwollenden Geistlichen. Zugleich wissen sie,
daß etwas vorlügen keinen Sinn haben würde. Ich habe bei unsern Verhand⸗
lungen nie die Spur eines Versuchs absichtlich falscher Angaben wahrgenommen.
Trotz alledem war es Klaatsch nicht möglich, eine Spur von Totems zu ent—⸗
decken. Auch der eben erwähnte P. Bischofs schreibt an den „Anthropos“s, bei
den Niol-Niol gebe es keine Totems. Von den Churinga (Tjuringa) sagt Bischofs:
„Mit den heiligen Hölzern — ein passendes deutsches Wort dafür habe ich noch
nicht gefunden* — wird es unter den Fachgelehrten wohl noch zu heißen Kämpfen
kommen. Spencer und Gillen haben sicher die Sache zu leicht genommen und
dadurch manche Leute irregeführt, besonders darin, daß sie die Unterschiede
zwischen den einzelnen Stämmen nicht genug beobachteten, was überhaupt viel
zu wenig geschieht. Jeder Stamm besteht für sich und müßte als solcher studiert
werden; z. B. hat Beaglebai (Niol-Niol) ganz andere Gesetze bei den heiligen
Hölzern als die Derby- und Broome-Schwarzen. In Derby dürfen auch die
Weiber dieselben sehen, tragen und besitzen, bei den Niol-Niol nicht. In Broome
dürfen sie auch vor der Jünglingsweihe jungen Leuten gegeben werden, bei den
Niol-Niol nicht. Vor zwei Jahren schon wurde in einer Zeitung in Perth
behauptet, weil die dortigen Schwarzen Totems haben, müßten solche auch bei
den Niol-Niol sein. Hier kennt man aber keine.“
Grey, Journals of two expeditions usw. II 228.
Zeitschrift fur Ethnologie XXXVIII (1906) 636. 3 IV (1909) 252.
Klaatsch (a. a. O. XXXVIII 798) behauptet: Dr Foy in Köln nennt diese Hölzer
„Seelenhölzer“, worin der Kernpunkt ihrer Bedeutung liegt. Man darf allerdings
nicht vergessen, daß es auch „Seelensteine“ gibt.
3. Die Westaustralier (nördlicher Teil). 297
Die Niol-Niol haben nach Klaatscht mit den zentralen Warramunga ge—
meinsam den Glauben an eine große Schlange, die im Wasser wohnt und
einen auch für die Zeremonien wichtigen Geist darstellt. Er heißt Wallan—
gan. — Daß der Regenbogen der Widerglanz dieser Schlange sein soll, erinnert
auffallend an die gleiche Auffassung im nordöstlichen Queensland. Der genannte
Forscher versichert auch, durch eigene Anschauung zu einer viel günstigeren An—
schauung über die Australier gekommen zu sein. Er schildert die Niol-Niol als
zutherzig, zutraulich, durchaus nicht ohne Anlagen; insbesondere rühmt er ihren
Sinn für Humor. „Wer sie von der humoristischen Seite packt, wird immer
leicht mit ihnen fertig werden.“
Mit diesem Urteil stimmt überein, was P. Walter P. M. 8.2, der Obere
der Mission bei den Niol-Niol, schreibt. „Der Ureinwohner Australiens liebt
ein freies Leben in seinem heimatlichen Busche, ohne daran zu denken, durch
die Arbeit seiner Hünde den Lebensunterhalt zu gewinnen. Jagd und Fisch—
ang, die zahlreichen Buschfrüchte und Wurzeln liefern ihm alles, was er zum
Leben nötig hat. Daher kommt es, daß in ihm ein unausrottbares Bedürfnis
wohnt, wenigstens von Zeit zu Zeit in seinen Busch zurückzukehren. Dort frei
herumschweifend lebt er unabhängig wie ein König, jedoch mit der Gesinnungs⸗
art eines unverdorbenen und unerzogenen Kindes. Wenn auch unter
den verschiedenen Stämmen wie bei allen Wilden Fehden herrschen, so ist er
doch von Natur nicht grausam und rachsüchtig. Seine Freigebigkeit ist so groß,
— sie zum Kommunismus ausgeartet ist; was der eine besiztzt, gehört allen.
Auf seine Ehrlichkeit kann der Weiße, der ihn kennt, unbedingt rechnen; er
lann die verlockendsten Waren wochenlang im Busch liegen lassen, ohne be—
fürchten zu müssen, daß sie ihm entwendet werden. Natürlich spreche ich hier
dur von den durch die Kultur noch unverdorbenen Schwarzen.“
Zwei Jahre später schreibt derselbe Missionärs: Wer mit den Eingebornen
aher verkehri und ihnen Liebe und Teilnahme bekundet, merkt bald, daß ihr
unzivilisiertes Außeres viele guten Eigenschaften birgt. „Nachweisbar kommen
inter den Australnegern weniger Verbrechen vor als unter der weißen Bevölke—
rung. Weit entfernt, lasterhaft zu sein, sind unsere Eingebornen, wenigstens
die, welche ich kennen lernte, sanft und freundlich, großmütig und
brtig. Wir haben oft große Vorräte an Reis, Mehl, Tabak usw. in be—
aachtüichen Entfernungen von der Mission untergebracht, aber nie wurde von
en Schwarzen etwas entwendet.“ Im allgemeinen, bemerkt der Missionär
noch, führt der Schwarze „nach seiner Bekehrung trotz der heidnischen Um—
ebung ein besseres und reineres Leben als die meisten Weißen inmitten ihrer
Zivilisativn“.
AUüber den Seelenglauben der Niol-Niol schreibt Klaatsch“‘, er sei zu
ltdendem geficherten Refultat gelangt: .Das Haupiergebnis ist: Die Niol-Niol
d der Beaglebai glauben an die Existenz der Seele vor der Ge—
urt und an ihre Fortdauer nach dem Tode. Die Bezeichnung für
Ebd. XXXVIII 794.
Die katholischen Missionen 19080- 1906, 279.
Ebd. 1907 - 1908, 210. 2A. a. O. XXXIX (I907) 649.
298
Fünfter Teil. Australien und Ozeanien.
die ungebornen Wesen lautet, Ra⸗i‘, diejenige für die fortlebenden Verstorbenen
Njer“‘. ... Nach den Ideen der Niol-Niol existieren die Ra-i im Busch und
wandern in der Nacht umher. Der Schwarze begegnet denselben im Traum,
dessen Eindrücke ja als vollkommene Wahrheit aufgenommen werden.“ UÜber
das Aussehen der Toten wissen die Eingebornen nichts Bestimmtes anzugeben.
Jedenfalls aber besteht bei ihnen dieselbe Meinung, der man auch im Zentrum
Australiens begegnet, daß die Konzeption der Kinderseelen von dem Geschlechts⸗
berkehr unabhängig ist. Die Njer sind den Lebenden bald freundlich bald
feindlich. Der Schwarze sucht sie günstig zu stimmen, und hiermit hängt das
heilige Holz (Schwirrholz) zusammen, das bei den Aranda Tjuringa (Churinga),
bei den Niol-NRiol Mirunbor oder Mandaka heißt. Auch die Weiber haben
bei den Niol-Niol eine Art Churinga (Laras), aber diese sind keine eigent⸗
lichen, typischen Churingas und haben nichts Heiliges an sich. Die Frauen ge⸗
brauchen sie nur als eine Art Amulett zum Schutz gegen die bösen Geister.
Nur die Männer haben im eigentlichen Sinne heilige Churingas, und zwar
zwei Arten: eine kleine, und die heißt Mandaka, und eine große, die Mirunbor
genannt wird .
Von einer Reinkarnation oder Wiedergeburt der „Njer“ wissen die Niol⸗Niol
nichts, auch nichts davon, woher die Ra-i kommen und was aus den Njer
schließlich wird. Wohl aber glauben sie an Geister verschiedener Art, von
denen die bösen überwiegen. Unter den guten scheinen die „Banjebalk“ eine Art
von Schutzgeistern darzustellen. Sie sollen im Himmel ihren Jagdgrund haben
und den Schwarzen, die sie lieben, ihre Gesänge, Tänze und allen ihren Kultbesitz
gegeben haben. Die Zauberdoktoren erhalten von diesen Geistern ihre magischen
Kräfte. Ein anderer Geist, der ebenfalls im Himmel wohnen soll, wird als
Kealalau bezeichnet. Er wird als eine Art rächender Gewalt angesehen, welche
darauf achtet, daß die jungen Männer nicht den älteren ihre Weiber stehlen,
und welche den Übeltäter bestraft?. Von der mythischen Schlange Wal⸗
langan war schon die Rede. Sie wird von den Niol-Niol als Urheberin der
Zirkumzision und der Subinzision des Penis angesehen. — Wie die andern
Auftralier haben auch die Niol-Niol mancherlei Speiseverbote.
In Bezug auf das Heiratssystem der Niol-Niol hat Klaatsch mit Bei—
hilfe der Missionäre folgendes ermittelt. Es bestehen zwei Hauptgruppen, deren
jede wieder in zwei Untergruppen zerfällt. Die Gruppe A umfaßt: J. Pardiara,
II. Karimb; Gruppe B umfaßt: III. Borong, IV. Panak. Ein Pardiara hei—
ratet eine Karimb, die Kinder sind Panak; ein Karimb heiratet eine Pardiara,
die Kinder sind Borong; ein Borong heiratet eine Panak, die Kinder sind Karimb;
ein Panak heiratet eine Borong, und die Kinder sind Pardiara. Schematisch
läßt sich das so ausdrücken: I4.II IV: IIIIII; ITAIV II;
IVMAIIII.
Zeitschrift fur Ethnologie XXXIX (1907) 647.
ẽbo6.
1. Die Australier im Westen des Nördlichen Territoriums. 299
Drittes Kapitel.
Die Australier an der Nord⸗- und Ostküste.
l. Die Australier im Westen des Nördlichen Territoriums!.
An der Nordküste dieses Territoriums, von Port-Darwin bis zum Flusse
Adelaide wohnen die beiden Stämme der Larakeyhas und der Wulnas, die
untereinander heiraten und ziemlich friedlich miteinander verkehren. Noch weiter
öͤstlich auf der andern Seite des Adelaide lebt der Stamm der Alligatoren.
Von da an bis zum Daly River wohnen die Wogiten und Wilmungas.
Man würde, schreibt P. Strele, einen falschen Begriff von den Schwarzen
im Nördlichen Territorium haben, wenn man sie sich ähnlich den Südaustraliern
dächte. Beim ersten Blick fällt einem die große Verschiedenheit auf. Freilich
haben auch sie die Gewohnheit, sich zu entstellen. Sie tragen verschiedene Narben
auf Arm, Brust und Rücken. Den Knaben und Mädchen wird im zarten
Alter ein Loch durch das Nasenbein gebrannt, durch das ein Stückchen Holz
oder Gras gesteckt wird. Im übrigen sind die Schwarzen dieses Gebietes eine
ausgezeichnete Menschenrasse, von schön proportioniertem Körperbau, schlank und
zeschmeidig. Ihre Haltung ist immer gerade. Sie machen lange Reisen mit
der größten Ausdauer. Die Kranken werden dabei getragen, aber Alter macht
leinen Unterschied, alte Weiber sowohl als sechsjährige Kinder gehen den ganzen
Tag; noch jüngere Kinder werden zuweilen von den Eltern getragen. Mit
Bepäck sind sie allerdings nicht schwer beladen. Der Mann trägt einen Bündel
Pfeile und den Bogen, die Frau einiges Geschirr zum Kochen oder Wasser⸗
schöpfen und einen Bündel Gras oder Baumrinde, um das Dach für das Nacht-
Juartier damit zu errichten, zu dem sie einige Stöcke als Gerüst gebrauchen.
Am Meere fahren sie auf Kähnen aus Baumrinde, die ziemlich groß und nicht
ohne Geschmack verfertigt sind. Nach der Landung ziehen sie diese aufs Land,
chlagen ihre Schutzdächer auf und gehen dem Wild nach, wenn sie nicht schon
das Meer genügend mit Fischen versehen hat?.
Schwächliche Kinder unterliegen manchmal den von ihrer Lebensweise un⸗
jertrennlichen Strapazen. Alte Leute sterben, soviel ich beobachten konnie, an
purer Altersschwäche und ohne viel Schmerzen. Manche sterben durch Mörders
Hand oder infolge von Aberglauben, da die Schwarzen den Tod nicht natür—
lichen Ursachen, sondern der Bosheit von Feinden oder der Hexerei zuschreiben,
und dann vermehrt die Rache die Zahl der Toten. Zuweilen sieht man Ver—
tümmelte, so z. B. Weiber, die sich einen oder zwei Finger abschneiden zur
Erinnerung an gestorbene Kinder.
e UÜber ihre geistigen Fähigkeiten urteilt Strele recht günstig. Die Ur—
eile vieler Reisenden find nach ihm ganz unzuverlässig. Die Missionäre können
sich manchmal des Lachens nicht erwehren, wenn sie lesen, was gewisse Reisende
Nach den Briefen des P. Anton Strele B. J. in den Katholischen A
888, 196ff und in den Missionsberichten Our Australian Miccions, Meibourno 1806 ff.
2 Katholische Missionen 1885, 197.
300
Funfter Teil. Australien und Ozeanien.
hren Freunden berichten. Diese stellen an die Wilden, die ein paar englische
Wörter wissen, einige Fragen und erhalten zur Antwort: „Ja“ oder „Nein“
oder „ich weiß es nicht“, sei es nun, daß die Fragen nicht oder falsch ver—
standen wurden, oder daß die Schwarzen sie nicht beantworten wollten. Gewiß,
die Schwarzen glauben oft unsinniges und abergläubisches Zeug, so rühmen sie
sich, daß sie Regen machen, den Mond einfangen können, und den Teufel sehen
sie in jedem Ereignis, das sie nicht erklären können; aber wollte man ihnen
deshalb gesunden Menschenverstand absprechen, so müßte man das gegenüber
vbielen Zivilifierten auch tun, bei denen sehr viel Aberglaube zu finden ist.
„Die Mämer sind ebenso befähigt zur Arbeit wie die weißen Männer, wenn
sie nur wollen.“ Die Missionäre wissen das aus langer Erfahrung, da sie
mit Hilfe der Schwarzen schöne Häuser bauten, prächtige Gartenpflanzungen
anlegten usw. Stets erwiesen sich dieselben als sehr brauchbare und ganz ge⸗
schickte Arbeiter.
Was die Familienverhältnisse betrifft, so ist die Frau hier wie bei
fast allen Wilden die Sklavin des Mannes. Fällt auf ein Weib der Ver⸗
dacht der Untreue, so wird sie lebendig gespießt, doch sind solche Vorkommnisse
im allgemeinen selten. Im übrigen ist der Eingeborne liebevoll gegen seine
Frau. Ist fie krank, so verpflegt er sie, und wird das Übel schlimmer, so
trauert er die ganze Nacht; schwindet alle Hoffnung, so bleibt er an ihrem
Lager und sorgt für sie, so gut er kann. Dennoch ist der allgemeine Eindruck
der, daß unter den Frauen eine gewisse Furcht herrscht vor ihren Männern,
die sich zeigt, sobald sie nur deren Stimme hören. Von einer Erziehung der
Kinder ist kaum die Rede. Während der ersten Monate ist das Kind unter
der Obhut der Mutter. Bald wird es von der Mutter oder dem Vater um den
Kopf geschwungen, so daß die Beinchen auf der Schulter sitzen und die Händchen
auf dem Kopf liegen. Der Träger nimmt das Kind sehr in acht, damit es
nicht falle, aber die Sorge ist bald überflüssig, denn das Kind lernt schnell,
sich mit den Händen festzuhalten. Die Kinder der Schwarzen sind so interessant
als die der Weißen. „Eine lange und aufmerksame Beobachtung hat in mir
die Überzeugung begründet, daß in dem Herzen des Schwarzen eine große und
zarte Liebe gegen seine Kinder wohnt, und daß er deshalb oft seine überlegene
Stellung seiner Frau gegenüber vergißt und ihr gerne beisteht, so daß man oft die
Kinder mehr bei dem Vater als bei der Mutter antrifft ...1 Diese Zartlichkeit
der Eltern für ihre Kinder mag auch wohl der Grund sein, warum sie dieselben
selten strafen.
Sorge für die Zukunft oder auch nur für den folgenden Tag kennen die
Eingebornen nicht. In der Nahrung sind sie nicht wählerisch, sie essen beinahe
alles, auch eine Art Lehm oder Mergel, entweder allein oder mit Mehl ver⸗
mengt, vielleicht statt des Salzes, das sie nie gebrauchen. Ferner essen sie
Opossums, Känguruhs, jede Art von Schlangen, Schildkröten, Krokodile und
deren Eier usw. Vom Krolodilfleisch dürfen die Frauen nicht essen. Daß
die Arbeit ihnen lästig erscheint, ist ganz natürlich, trotzdem will Strele nicht,
daß man sie allgemein als Faulenzer bezeichne. Ein Hauptgrund ihrer Arbeits⸗
P. Strele in den Katholischen Missionen 1885, 199.
1. Die Australier im Westen des Nördlichen Territoriums. 301
scheu ist ihr Stolz. Den Ackerbau halten sie ihrer unwürdig. Dennoch gibt es
sehr fleißige Männer unter ihnen, die jede Arbeit übernehmen, sich dafür inter⸗
esfieren und auch andere zur Arbeit antreiben. Es ist in ganz „Nord-Territorium“
ein bekannter Ausspruch, daß die Eingebornen durch die Berührung mit andern
Völkern nicht besser, sondern verdorben wurden. Von den Weißen haben die
Wilden viele Mißhandlungen und Ungerechtigkeiten zu erdulden gehabt. Während
aber sonst die Eingebornen von den Weißen verachtet und schmachvoll behandelt
wurden, haben diese sich in empörender Weise an den Frauen und Mädchen
der Schwarzen vergangen!.
„Viele von den Wilden, schreibt derselbe Missionär ein anderes Mal?, zeigen
sich im Guten sehr beständig und sind uns aufrichtig zugetan. Bei der Er⸗
krankung eines Missionärs zeigten sie so viel aufrichtige Teilnahme und Be—
sorgnis, daß der herbeigerufene Arzt voll Verwunderung sagte: „Die Neger
ind Ihnen sehr anhänglich.“ Ja, die Neger, meint Strele, die sonst bei den
Weißen im Rufe der Undankbarkeit und Lieblosigkeit stehen, erhoben in ihrem
Lager ein lautes Klagegeschrei und vergossen Tränen, wie sie es zu tun pflegen,
wenn einer aus ihnen erkrankt ist.
»aSEI5ie glauben an ein höchstes Wesen, wie auch an den Teufel, den
sie sehr fürchten.“s Über die Sittlichkeit der Schwarzen sagt Strele: „Freilich
haben manche derselben zwei oder drei Weiber; sie erblicken in der Vielweiberei
lein Unrecht, aber sie sehen bald ein, daß es tugendhafter sei, nur ein Weib
zu haben. Die Pflicht der ehelichen Treue ist ihnen sehr wohl bekannt; auch
ich bin der Meinung, daß sie dieselbe besser beobachteten, bevor die Weißen ins
Land kamen. Da lonnten sie von den Früchten und dem Wild ihrer Heimat
leben; jetzt müssen sie betteln oder bei den Weißen Arbeit suchen, und oft treibt
sie das Elend zur Sünde. ‚Wir wissen wohl', sagte einer, daß das nicht
techt ist, aber was wollen wir tun? Wir hungern...‘ Oft sagt man, die
—XEC seien Diebe. Ich glaube nicht, daß das Urteil in seiner All—
gemeinheit gerecht ist. Während vieler Monate hatten wir eine große Anzahl
Neger, und nicht immer dieselben, bei uns; unsere Vorräte lagen in einem
offenen Schuppen; unsere Wohnung ist nicht verschlossen und oft von niemand
bewacht, und doch haben wir niemals auch nur das geringste vermißt oder den
Versuch eines Diebstahls bemerkt.““
.Die dürftigen Angaben Streles über die Religion ergänzt ein anderer Mis—
fionär, P. A. Kristen 8. J., der sich schon seit mehr als zehn Jahren bei
den Wilden im Nord-Territorium aufgehalten hatte, als er auf dem Ersten
Australischen Katholikenkongreß zu Sydneh am 10. September 1900 über die
genannten Eingebornen einen Vortrag hielt, dem wir folgendes entnehmen 5.
Nach Kristen haben sie sowohl in Sprache als Sitten eine große Ahnlichkeit
mit den Hebräern. „Im Nord-Territorium ist jeder wahre Sohn der Nation
berpflichtet, das Zeichen des Blutbundes zu tragen. Die Beschneidung wird
uicht als eine Gesundheitsmaßregel, sondern als ein religiös-nationaler Ritus
angesehen, dessen Ablehnung bis zum Jahre 1894 von den Melhuin-Tiendot⸗
Ebd. 228. 3Ebd. 44. 3 Ebd. 6Ebd. 46.
ld * VBgl. Proceedings of the first Australasian catholic Congress. Held at Sydney
. Sept. 1900, 8Sydney 1900, 846.
302 Fünfter Teil. Australien und Ozeanien.
ttämmen mit dem Tode bestraft wurde. Entkommt einer, so wird er ein
Larrici Jah‘, d. h. ein Gotteslästerer, genannt. Das Volk um Palmerston
herum bildet einen eigentümlichen Stamm. Ein Mädchen von der Station
erklärte dem Obern, sie wolle einen gewissen jungen Christen nicht heiraten,
weil er nicht ein ‚Mulu', nicht ‚einer von den Gläubigen‘ sei. So war sie
don ihren Eltern und den Stammesvorgesetzten unterrichtet und belehrt worden.
Ehebruch wird mit einem Steinspeer (balmot) bestraft. So wurde im Jahre
1894 eine Frau, die schon Kinder hatte, in der Nähe der Chinesischen Gärten
am Daly River gesteinigt. Meine Knaben riefen mich, und ich war so glück⸗
lich, die schrecklichen Wunden, die die Knochen bloßgelegt hatten, zu heilen. Der
Ehemann dankte mir später und bat um Zulassung zur Station.“
sristen glaubt, zahlreiche Anklänge der Sprache der Nordaustralier an das
Hebräische zu finden, doch wird das wohl rein zufällig sein. Er teilt viele
Beispiele davon mit. So nennen sie ihren Häuptling „Abital'. Jah kommt
oft in der Bedeutung „Gott“ vor. So bedeutet Jinjah für die ganz ein⸗
geweihten Schwarzen „Mann Gottes“. Den Ausdruck „Larrici Jah“, Gottes⸗
lästerer, haben wir schon erwähnt. Auch das Gesetz der Erstgeburt wird nach
Kristen von den Wilden in karikierter Weise beobachtet, indem sie das erst⸗
geborne Kind meist dem Teufel opferten und es zuweilen schon vor der Geburt
zöteten. Von den Fischen, Früchten und gewissen Tieren muß zuerst zur be⸗
timmten Jahreszeit der alte Mann seinen vollen Anteil erhalten, bevor es den
andern verstattet ist, davon zu verkosten.
Wie Strele bezeugt auch Kristen, daß die Eingebornen einen dunklen Begriff
von Gott haben, aber sie scheinen keinen Namen mehr für ihn zu besitzen. „Wir
aennen ihn nicht“, erklärte ein alter Mann dem P. Kristen; ja sie erweisen ihm
auch keine Verehrung, dafür um so mehr dem Teufel. Vor dem letzten Akt der
geheimen Mannesweihe, der in einer entehrenden Anbetung einer lebenden Venus
besteht, müssen die jungen Männer in einer Hütte liegend und schweigend ein
vierzigtägiges Fasten durchmachen und werden während dieser Zeit von einem
Novizenmeister überwacht. Diese Übung wird Tjaboi genannt, das eine doppelte
Bedeutung hat: eine keusche und eine obszöne. In der keuschen Bedeutung
heißt es so viel als feierliches Versprechen oder Bund. Praktisch aber bedeutet
es Bestärkung im Geiste Molochs: Sie geloben blinden Gehorsam dem geheimen
König; es werden ihnen dann alle Sünden, besonders der Unlauterkeit, gestattet
oder aber nachgesehen, wenn sie, wie z. B. begangene Ungerechtigkeiten, öffentlich
bekannt werden. Diese geheime Gewohnheit bestand noch vor nicht langer Zeit?.
Kristen berichtet auch, daß viele Stämme ihre jungen Leute durch Feuer zu
Männern einweihen. Fast alle rituellen Symbole und selbst deren Namen
haben bei den Wilden eine doppelte Bedeutung, wie in dem schon angeführten
Beispiele: eine keusche und eine andere, die sich auf obszöne Dinge bezieht?.
Die Erwachsenen hatten wenigstens zweimal im Jahr beim Vollmond eine
Art Sühnefest, bei dem alle Streitigkeiten und Beleidigungen in Ordnung
Procoeedings usw. 847. 2 Ebd. 849.
Vielleicht gilt von diesen obszönen Zeremonien, was Howitt von den ähnlichen
Zeremonien in Südostaustralien sagt; sie werden vorgenommen, um den Initianden
einzuschärfen, daß sie solche Dinge vermeiden sollen (vgl. oben S. 252).
3
2. Die Australier am Carpentariagolf.
303
gebracht und gesühnt wurden, und bei dessen Schluß eine rituelle Waschung statt⸗
fand. Alle müssen bei der Gelegenheit dem Leiter der rituellen Handlung eine
Art Beicht ablegen und können, wenn notwendig, dazu gezwungen werden.
Bibt ein Mann nicht volle Genugtuung, so werden die dazu bestimmten Exekutiv⸗
männer nach dem Feste einschreitnn. Knaben und Mädchen legen ihre Beicht
den Eltern oder ebenfalls dem Repräsentanten des Häuptlings, seinem ältesten
Sohne, ab. Die Knaben haben achtmal jährlich dieses Bekenntnis abzulegen,
die Mädchen nur viermal.
Kristen lobt die vielen guten Eigenschaften der Schwarzen. In ihren Herzen
ist keine Grausamkeit; im Gegenteil, sie sind sehr der Liebe und der Trauer
offen. Sie sind gastfreundlich, frugal, mutig in Verteidigung der geliebten
Personen, friedfertig, den Freunden treu, ausdauernd in Widerwärtigkeiten,
den Stammesautoruͤaten völlig unterwürfig und gehorsam. Sie haben zärt—
liche Liebe zu ihren Kindern und scharfes Gefühl gegen jedes Unrecht. Tränen
der Freude, der Sympathie und des Schmerzes fließen ihnen leicht. Sie sind
dankbar für Liebesdienste, die man ihnen in Krankheit oder Gefahr erweist.
„Ich könnte durch viele Tatsachen beweisen, wie edel ihre Natur im Grunde
ist. Es ist nach unserem Gewährsmann auch falsch, daß der Schwarze von
Ratur zu (widernatürlichen) Schamlosigkeiten neige. Diese wurden durch die
Weißen importiert, wie ein junger Mann ihm versicherte. „Pater“, sagte er ihm,
„glaube nicht, daß unsere Väter so schlecht waren; vor langem kamen weiße
Manner hierher und teilten uns diese abscheulichen Dinge mit.“?
Etwas ungünstiger als das Urteil Kristens lautet dasjenige des P. Kenny 8.J.,
der im Jahre 1896 die Mission besuchte, doch ist nicht zu übersehen, daß er
sich nur kurze Zeit in derselben aufgehalten hat. Er schreibt unter anderems:
um dem Tod durch Zauberei zu entgehen, opfern sie gern einen aus ihrem
Stamm. Sie sind zweifellos Kannibalen, obwohl sie das Gegenteil be—
haupten. Vei ihren Menschenopfern kommen sonderbare Zeremonien vor. Sie
ssen nicht den ganzen Leib, und nur die Verwandten dürfen von dem Leib
der Geschlachteten verkosten. Kindertötung kommt häufig vor. Sonderbar ist,
daß eine Familie vielleicht die männlichen, eine andere dagegen die weiblichen
dinder tötet; die Kinder aber, die man erhält, werden sehr geliebt. Vielleicht
handelte es sich bei den erwähnten Menschenopfern nur um das Essen von
Stüden der Leiche eines Verwandten, eine abergläubische Sitte, die uns auch
ei andern australischen Stämmen begegnet.
2. Die Australier am Carpentariagolf.
Die Stämme im Norden Australiens an den Flüssen, die in den Carpentaria—
dolf münden, besonders an den Nebenflüssen des Flinders im Innern des Landes,
auf Grund langjähriger Beobachtung von Edward Palmer“ geschildert
orden.
A. a. O. 850. Ebd. 848.
Our Australian Missions, Richmond 1897, 68 -69.
xI Notes on some Auctralicn tribes, im Journal of the Anthropological Instituto usw.
II (1888) 276 6.
304
Fünfter Teil. Australien und Ozeanien.
Die Gebiete eines jeden Stammes, schreibt Palmer, werden gegenseitig an⸗
erkannt, und obwohl deren Grenzen nicht genau bestimmt sind, so wissen sie
doch gut, wann sie auf neutralem oder strittigem Boden sind. Keine Privat⸗
person hatte ein besonderes Recht auf einen bestimmten Teil des Bodens, jeder
hatte bloß das Recht, auf dem Gebiet seines Stammes zu jagen. Der Boden
gehörte dem ganzen Stamm. Jeder nicht zum Stamm Gehörige, der auf dessen
Boden jagte, wurde als Eindringling behandelt, streng zur Rechenschaft gezogen
und gestraft, wenn er sich nicht etwa als Boten oder Herold beglaubigen konnte.
Die Eingebornen vermögen nicht anzugeben, wann und wie sie Eigentümer ihres
Territoriums wurden. Sie wissen nur, daß ihre Väter von jeher dort gelebt
haben. Die Grenzen müssen in einer längst vergangenen Zeit bestimmt worden
sein. Im allgemeinen werden diese Grenzen auch respektiert. Wenn zuweilen
Stämme an bestimmten Plätzen auf fremdem Jagdgrund, z. B. an Lagunen,
zusammenkamen, so taten sie das immer mit Erlaubnis des Eigentümers.
Nur auf Kriegs- oder Rachezügen tragen sie kein Bedenken, fremdes Gebiet zu
durchziehen.
Bei den nördlichen Stämmen ist die Hautfarbe oft verschieden: einige In⸗
dividuen sind fast schwarz, andere nahezu rotbraun. Das Haar ist meist straff⸗
Die Leute sind im allgemeinen gesund; die Frauen an manchen Orten groß
und kräftig, und sie gebären leicht. Alle haben die Kinder gern, aber fast
ebenso gern die Hunde, die sie lecken, küssen und zuweilen sogar säugen. Die
Kinder sind früh reif, und können schon zu einer Zeit für sich selbst sorgen
und jagen, wo die weißen Kinder noch ganz hilflos sind. Kindermord ist nicht
so allgemein, als man vorausgesetzt, obwohl das erste Kind eines Mädchens oft
geopfert wird. Fruchtabtreibung führt zum selben Zweck, und sie tragen kein
Bedenken, zu diesem Mittel zu greifen. Die Tötung eines neugebornen Kindes
gilt den Schwarzen von Queensland als eine belanglose Sache, und wenn man
darüber seinen Abscheu ausdrückt, so grinsen sie bloß.
Die nördlichen Schwarzen sind stoisch. Starkmütig ertragen sie Durst und
Hunger, ohne zu klagen. Sie können Wunden und Strafen erdulden, ohne
nachzugeben, und dem Tod schweigend und entschlossen entgegengehen. Den Tod
können sie ebensogut heucheln wie ihre Begleiter, die Hunde. Selbst wenn sie
tödlich verwundet sind, können sie ohne ein Lebenszeichen liegen bleiben und sich
untersuchen lassen, wenn aber alles ruhig ist, machen sie sich auf und davon.
Die Weiber führen ein hartes Leben und müssen viele Mißhandlungen von
ihren Männern erdulden; sogar sie zu töten, gilt als kein sehr großes Ver—⸗
hrechen. Doch findet man auch Beispiele, wo Mann und Weib bis ins hohe
Alter zusammenbleiben und sich gegenseitig achten. Die Weiber werden oft ge⸗
zwungen, mit Männern zu leben, die sie nicht mögen. In ihrem Betragen sind
fie bescheiden; wenn sie sich z. B. niedersetzen, tun sie es in einer Weise, daß sie
berbergen, was die Natur verbergen will. Ihre Ideen von Nacktheit sind nicht
grob und roh, sondern einfach und natürlich. Palmer meint sogar, diese Wilden
präsentierten sich am besten und vorteilhaftesten vollständig nackt, wenigstens,
iPalmer, Notes on some Australian tribes a. a. O. XIII 278.
2. Die Australier am Carpentariagolf.
305
wenn sie noch in ihrem Naturzustand sind und keine Berührung mit den Euro—⸗
bäern haben!.
Polygamie gilt als zulässig. Gewöhnlich erlangt der Schwarze mehrere
Frauen dadurch, daß er entweder andere Schwarze überredet, ihm eine Frau
zu geben, oder indem er eine Frau zur Gefangenen macht bzw. sie einem
fremden Stamme stiehlt. Die neue Frau wird gewöhnlich von der früheren
geschlagen, und es hängt nun von dieser „Schlagfertigkeit“ oder der Gunst des
Mannes ab, ob sie ihre vorherige Stellung behält oder nicht.
Es gibt bei den nordaustralischen Stämmen keine erbliche Häuptlings—
würde oder sonst einen erblichen Vorrang. Doch wird den alten Männern
große Ehrfurcht erwiesen, und was überhaupt an Autorität anerkannt wird, be—
itzen die Alten auf Grund ihrer Jahre und grauen Haare. Alle ihr gesellschaft—
liches Leben betreffenden Angelegenheiten werden in öffentlicher Versammlung
vährend der Nacht erledigt. Jeder Mann im Lager erhält der Reihe nach
das Wort und wird ohne Unterbrechung angehört. Junge Burschen ergreifen
ne das Wort, aber wenn es sich um reine soziale Dinge handelt, werfen die
Frauen hie und da ein Wort dazwischen, besonders die alten. Die Älteren
verden immer mit Ehrfurcht behandelt und nie rauh oder unehrerbietig an—
geredet?. Die Schwarzen haben auch ihre Boten, die von Stamm zu Stamm
reisen, Nachrichten übermitteln, wie z. B. wann gemeinsame Jagd oder Tanz
oder Mannweihe (Bora) oder Krieg stattfinde. Ihre Personen gelten in ge⸗
wissem Maße als heilig.
Die Eingebornen vom nördlichen Queensland machen kein Hehl daraus, daß
lie Menschenfleisch gegessen haben. Doch deutet alles darauf hin, daß man diese
Gewohnheit mehr um der alten Überlieferung als der Nahrung wegen beobachtete.
Sie sind keine eigentlichen Kannibalen. Die meisten Schwarzen werden nicht
aufgezehrt, sondern begraben. An der Widebai (Ostküste Australiens) wird denen,
die aufgezehrt werden sollen, die Haut abgezogen und diese samt den Haaren
und Nägeln um einen Bündel Speere gewickelt. Diese Reliquie wird von
Lager zu Lager getragen und in jedem in den Boden gesteckt; dann umringen
die Klageweiber dieselbe, schreien und machen sich Einschnitte mit Tomahawks
Steinärten).
Im Jagen und Fischen legen die Eingebornen große Geschicklichkeit an den
Tag. Fast alle Nahrung wird geröstet oder in der Asche gebacken. Gewöhnlich
machen sie zum Kochen ein Loch in den Boden, legen heiße Steine hinein und
mittendrein das Fleisch. Das Ganze wird mit Asche zugedeckt. Die Ver—⸗
eilung der Jagdbeute erfolgt nach alten, festbestimmten Regeln, und hierbei be⸗
lätigen sie vielfach bedeutende Selbstverleugnung. Oft kommt der Jäger zu
lurz, damit andere ihren bestimmten Teil erhalten. Ein Schwarzer will lieber
u kurz kommen und vorgeben, er sei nicht hungrig, als in den Verdacht geraten,
er sei im Lager gierig gewesen oder habe die Gebräuche der Gastfreundschaft
nernachlässigts. Wir übergehen die Art und Weise, wie sie den Körper durch
Einschnille und Tätowierung verzieren. In vielen Höhlen findet man auch
rohe Zeichnungen und Malereien. die an den Wänden und auf Baumrinde
Ebd. 281. 2 Ebd. 2823. 8Ebd. 285.
Kathrein, Die Einheit d. sittl. Bewußtseins. III.
20
306
Fünfter Teil. Australien und Ozeanien.
ungebracht sind. Zahlreich sind ihre Spiele und Tänze; unanständige Tänze
kommen nicht vor .
Die Stämme am Carpentariagolf glauben an ein Leben nach dem
Tode an einem Ort, den sie Jalairy nennen, ferner an verschiedene Arten
von Geistern. Sie glauben vor allem an einen Geist dort oben, der
nach ihnen schaut, wenn sie nach dem Tode oben sind. Stirbt ein Schwarzer,
so weilt, wie sie meinen, sein Geist einige Zeit um das Grab oder das Lager
herum; danach steigt er beim Südlichen Kreuz hinauf, welches als Leiter zur
Milchstraße dient. Die Leiter heißt die Straße nach Jalairy, und die Toten
gehen auf dieser Straße in nordöstlicher Richtung, bis sie an ihren Bestimmungs⸗
ort kommen. Diese Gegend wird als ein gutes Land beschrieben, als ein herr⸗
licher Ort voll schöner und schattiger Bäume, wo Überfluß an Wasser und
allen Speisen ist, die sie hienieden haben. Dort gibt es viel Wild zu jagen,
die Eingebornen haben dort ihre Hunde, ihre Frauen und Kinder. Sie be⸗
stimmen den Ort nicht genau, sondern sagen bloß, er sei in weiter Ferne,
irgendwo zwischen den Sternen. Die Gewohnheit, die zwei Zähne auszuschlagen,
hängt mit dem Eintritt in ihren Himmel zusammen. Wenn sie die zwei Vorder⸗
zähne weg haben, werden sie helles, klares Wasser zu trinken erhalten, sonst bloß
schmutziges, schlammiges. Sie glauben, entweder in Jalairy oder auf dem Wege
dahin seien zwei ungeheure, etwa 40 Meilen lange Schlangen (Kooremah),
welche von den verstorbenen Schwarzen getötet und gegessen und die dann wieder
don neuem hervorgebracht werden. Sie fürchten diese Ungeheuer2.
Andere Geister sind die Limbeen-jar-golong, so genannt nach der Rinde
eines Baumes, in der sie sich oft aufhalten sollen. Sie kommen in der Nacht
heraus, wandern umher und verkehren mit den Zauberdoktoren. Ein Ein⸗
geborner, namens Plungreen, mit dem Palmer oft sich unterhielt, erklärte, er
sei selbst mit diesen Geistern vertraut und könne mit ihnen verkehren, wann er
wolle. Er schilderte diese Geister als schwarze Skelette mit Augen gleich feurigen
Kugeln und mit langen Haaren gleich denen der Pferde. Von ihnen wollen
die Eingebornen ihre Lieder und Tänze erhalten haben. Sie tragen einen Stod
in der Hand, an dessen Ende sich ein Haken befindet. Sie haben Frauen, die
ihnen ähnlich sind und einen Yamsstock tragen. Nach den Eingebornen sind
diese Geister nicht bösartig, sondern „gute Kerle“, obwohl sie gelegentlich Böses
zufügen können. Der NYerrunthullystamm glaubt, es gebe einen Ort weit weg
unter den Sternen, an den die Eingebornen nach dem Tode gehen. Sie ge—
langen dorthin durch ein Seil, das bis zur Höhe hinaufreicht. Sie erwarten
dort Überfluß an Speise und haben keine Furcht, dorthin zu gehen. Die Kom⸗
binegherry glauben, der Schwarze gehe zunächst irgendwo in die Tiefe der Erde,
steige aber später hinauf zu den Sternen. Sie glauben an einen Geist, den
sie Mango nennen, und an zwei höhere Geister, die sie und ihre
Geschicke beeinflussen. Der eine davon — Coomboorah — ist ein
gegen die Schwarzen wohlwollender Geist, dieser sucht sie gegen den
andern Geist, der Böses zufügt, zu schützen 8.
Palmer, Notes on some Australian tribes usw., a. a. O. 290. 2 Ebd. 291.
3 Ebd. 292. Sollte dieser Coomboorah nicht identisch sein mit dem oben erwähnten
Herrscher des Jalairy?
2. Die Australier am Carpentariagolf. 307
Wie die Eingebornen im Süden haben auch die im Norden ihre feierliche
Mannweihe GBora), bei der eine Art Beschneidung stattfindet und die Jüng—
linge manchen Prüfungen unterworfen werden. So wird z. B. jedem ein
Zahn und zuweilen noch ein zweiter ausgeschlagen. Jeder Jüngling erhält einen
ülteren Mann als Lehrer und Aufseher. Dieser unterweist ihn in seinen Pflichten
und zeigt ihm, wie er seine Aufführung das Leben hindurch regeln solle. Er
agt ihm, er solle sich bescheiden (discreetly) gegen die Frauen benehmen, sich
innerhalb der Klasse halten, die ihm sein Name zuweise; nicht nach der Frau
kines andern schauen; wenn er eine junge Frau nehme, die einem andern ge—
höre, so solle er sie ohne Kampf herausgeben; er solle keine Frau mißbrauchen,
die er allein antreffe; er solle schweigsam und nicht dem Zank ergeben sein.
Diese Mahnungen werden so liebevoll, väterlich und nachdrücklich erteilt, daß fie
oft das Herz der jungen Leute rühren und ihnen Tränen in die Augen locken!.
dDie Geheimnisse des Stammes werden den Jünglingen bei dieser Gelegenheit
mitgeteilt. Diese Unterweisungen werden während der Borafeier jeden Abend
wiederholt und bilden einen Hauptteil derselben. Der junge Mann wird an—
geleitet, sich dem Stamme, seinen alten Überlieferungen und den Alteren gegen—
über für eine gute Aufführung verantwortlich anzusehen 2.
Bei den Stämmen am Carpentariagolf scheint neben andern Bestattungs—
weisen auch die Leichenverbrennung in Gebrauch gewesen zu sein; wenigstens
hat man Gräber gefunden, in denen sich nur einige verbrannte Gebeine be—
fanden. Gewöhnlich aber begrub man die Toten in den Boden; wenn man
sie aß, begrub man die Gebeine oder verbrannte sie. Wird der Tote ganz
begraben, so legt man die Leiche in Baumrinde gehüllt der Länge nach auf
den Boden des etwa 2 Fuß tiefen Grabes, doch wird zuvor am Rande des
Grabes auf der Oberfläche ein Feuer angezündet und unterhalten. Begräbt
man die Leiche in einem hohlen Baume, so wird sie aufrecht hineingestellt und
die Offnung mit Rinde geschlossen und fest zugebunden. An der Widebay
werden die Toten zuweilen im Boden begraben, zuweilen aber auf 628 Fuß
hohe Plattformen gelegt und mit Rinde und Asten zugedeckt. Beim Be—
gräbnis wird die Leiche oft in sitzender Stellung ins Grab gelegt. Zuweilen
uchen sie auch sorgfältig zu verhindern, daß die Erde den Leib berühre, und
errichten deshalb über der Leiche ein Gerüst von Rinde und Stöcken, das mit
Erde zugedeckt wirds. Den Namen des Toten zu erwähnen, wird sorgfältig
bermieden.
Die Einteilung des Volkes in zwei exogame Klassen begegnet uns wie
—X in Australien auch bei den nördlichen Stämmen. Von frühester Jugend an
vird dem Australier eingeschärft, daß es unbedingt notwendig sei, die Klassen—
kesetze heilig zu halten, und er würde glauben, ein Sakrileg zu begehen, wollte
er bei Eingehung der Ehe die Klassengesetze mißachten. Die Eingebornen haben
keine Überheferung über den Ursprung dieser Gesetze; Tatsache ist, daß fie die
Idee der Klassen auf allen ihren Wanderungen seit ihrer Ansiedlung in Australien
mit sich genommen haben. Und merkwürdig ist, daß die Klassen und deren
Einteilung bei allen Siämmen einander emsprechen. und zwar, wenn auch unter
Ebd. 296. 2 Ebd. s Ebd. 298.
20*
308 Fünfter Teil. Australien und Ozeanien.
verschiedenen Namen und Totems, an Orten, die Hunderte von Meilen von⸗
einander getrennt sind !.
„Es ist wohl bekannt, daß von Moretonbay (an der Ostküste) bis zu den
Gestaden des Carpentariagolfes auf einer Strecke von über 1500 Meilen in
der Länge und 700 oder noch mehr Meilen ins Innere des Landes die Schwarzen
in Klassen eingeteilt sind, um zu nahe eheliche Verbindungen zu verhindern,
und daß alle diese Einteilungen einander entsprechen. So könnte ein Ein⸗
geborner aus einem der südlichsten Stämme leicht angeben, von welcher Klasse
er seine Frau nehmen dürfte, wenn er einen Stamm im fernen Norden be—⸗
suchte, wofern natürlich solch ein Besuch ihm möglich wäre und er aufgenommen
würde. Seit der Ankunft der Weißen sind diese Ordnungen sehr vernachlässigt
und aus dem Auge verloren worden, außer wo ein Stamm fern vom Einfluß
der Zivilisation im Busch gelebt hat.““ Die ganze Natur wird in Klassen⸗
namen eingeteilt und entweder weiblich oder männlich genannt. Die Sonne,
der Mond und die Sterne sind, wie sie sagen, Männer und Weiber und ge⸗
hören zu bestimmten Klassen wie die Australier selbst. Sie haben eine große
Ehrfurcht vor dem besondern Tier, das als Symbol ihrer betreffenden Klasse
(als Totem) gilt. Würde z. B. jemand einen Vogel töten, der zu einer solchen
Klasse (als Totem) gehörte, und zwar in Gegenwart des Trägers seines Familien⸗
namens, so würde ihm dieser sagen: „Warum kötest du den Kerl? Das ist
mein Vater“, oder: „Diesen Bruder, der zu mir gehört, hast du getötet; warum
hast du das getan?“ Sie reden sich oft mit ihren betreffenden Klassennamen
an, mit Ausnahme der alten Männer, die gewöhnlich als „Vater“ oder „Alter“
angeredet werden.
„Die verwandtschaftlichen Beziehungen der Eingebornen gründen sich auf
diese Gesetze: Den Bruder des Vaters nennen sie, wie diesen, Vater und die
Schwester der Mutter Mutter. Unsere Begriffe von Verwandtschaft sind so
verschieden von den ihrigen, daß, wenn man sie Onkel oder Tanten oder Vettern
oder Brüder oder Schwestern nennt, sie mit diesen Namen einen ganz andern
Sinn verbinden. Denn sie betrachten alle diejenigen als Brüder, welche zur
selben Klasse oder Abteilung gehören wie sie selbst, und unter allen Schwarzen
entdecken sie irgend einen Grad der Verwandtschaft. Sie haben eine ziemlich
klare Idee von ihren Verwandtschaftsbeziehungen; der Fehler scheint an uns zu
liegen, wenn wir sie nicht verstehen.“s „Eine Schwester zu heiraten, gilt als
Verbrechen; so ein Fall ist bei ihnen unbekannt, sie halten ihn nicht für mög—
lich.“ Junge Leute werden oft, wenn sie noch ganz klein sind, miteinander
derlobt, und sie halten sich fern voneinander auf. Eine geraubte oder im Kriege
gefangene Frau wird nur dann behalten, wenn sie zu einer Klasse gehört, in
die derjenige, der sie gefangen hat, heiraten kann. Zuweilen wird eine Frau
dadurch erworben, daß man den Vater um sie bittet. Selten wurde eine Frau
mit Gewalt genommen oder auf den Kopf geschlagen und dann weggeschleppt,
wie man oft behauptet hat. Der Schwiegersohn schaute nie auf seine Schwieger⸗
mutter und vermied stets ihre Gegenwart; in Bezug auf den Schwiegervater
PalImer, Notes on some Australian tribes usw., a. a. O. 299.
Ebd. 300. s Ebd. 301.
309
bestand aber diese Einschränkung nicht. Sie machten auch Einfälle in die Ge⸗
biete anderer Siämme, um Frauen zu stehlen.
3. Die Australier an der Moretonbai.
Die wichtigsten älteren Nachrichten über die Eingebornen an der Ostküste
Australiens in der Umgebung der Moretonbai (Queensland) verdanken wir
dem Erzbischof Polding von Sydney, der im Jahre 1843 die Gegend besuchte,
und den Missionären, die auf seine Veranlassung dorthin kamen und in ihren
Briefen an den Erzbischof und an die Propaganda uns die Sitten der Ein⸗—
gebornen beschrieben haben. Die Nachrichten finden sich zusammengestellt in
der Geschichte der katholischen Kirche Australasiens von Kardinal Moran!.
Die Eingebornen waren damals ziemlich zahlreich und zeigten sich gegen
die Missionäre wohlwollend und entgegenkommend. Sie hatten kleine Kanoes,
die fie sehr gewandt handhabten, um von einer Insel der Bai auf die andere
und auf das Festland zu gelangen. Sie waren sehr behende und geschickt im
Jagen und Fischen. Die Kuüßtenbewohner lebten hauptsächlich vom Fischfang,
die Bewohner im Innern von der Jagd auf Känguruhs, Emus usw., von
wildem Honig und Yamswurzeln. Sie schienen alle sehr glücklich zu sein?.
Beim Fischen halfen die Frauen und Kinder mit. Die Hütten (gunyahs)
wurden von den Frauen erbaut. Die Männer lieferten drei etwa 6—7 Fuß
lange Äste, die an der Spitze in eine Gabel ausliefen. Die Frauen steckten
die Aste in einiger Entfernung voneinander in den Boden und banden sie
an der Spitze zusammen; dieser Dreifuß wurde mit kleineren Baumzweigen
zugedeckt, und die Hütte war fertig. Dreißig bis vierzig solcher Hütten bildeten
ein Lager. In der Mitte des Lagers brannte gewöhnlich ein großer Holzklotz;
im Winter noch ein kleinerer neben jeder Hütte. Im Winter werden die Hütten
auch sorgfältiger gebaut. Gewöhnlich blieb man nur eine Woche im selben
Lager, dann brannte man es nieder und zog einige Meilen weiter. Unter den
Gliedern desselben Stammes kommt selten Streit vor, wohl aber sind die ver—
schiedenen Siämme untereinander oft in Kriege und Fehden verwickelt.
Das Tätowieren war allgemein üblich. Die Frauen verstümmeln sich weniger
aus Eitelkeit als aus dem Beweggrund eines religiösen Opfers. Wenn sie noch
ganz jung sind, schnüren sie das Ende des kleinen Fingers an der linken Hand
mit Spinnenfäden so fest zusammen, daß der Blutumlauf gehemmt wird; nach
einiger Zeit wird das erste Glied des Fingers abgerissen und der Riesenschlange,
den Fischen oder den Känguruhs gewidmet. Ohne Zweifel wollen unsere Wilden
durch dieses Opfer eine erfolgreiche Jagd und reichlichen Fischfang erlangen,
die fast ihre einzige Nahrungsquelle bilden 8.
Das Feuer haben sie fast immer zur Hand; sie haben die Gewohnheit, ich
möchte fast sagen, den religiösen Brauch, mit einem Feuerbrand in der Hand herum—
zugehen; wenn das Feuer zufällig erlischt, zünden sie es sofort durch Reiben von
tHistory of the Catholic Church in Australasia from authentie Sources. By
batrick Francis Cardinal Moran, archbishop of Sydney, New South Wales,
didney (ohne Jahreszahl).
2 Ebd. 408. 3 Ebd. 413 -414.
310 Fünfter Teil. Auftralien und Ozeanien.
zwei Stöcken wieder an. „Diese Art Verehrung der Wilden gegen das Feuer“,
schreibt ein Missionär!, „tritt oft bei den Begräbnissen zu Tage. Sie unter⸗
lassen es nie, neben dem toten Krieger auf der einen Seite seine Waffen und
auf der andern einen Feuerbrand ins Grab zu legen. Meinen sie, dieser un⸗
zertrennliche Begleiter auf ihren Wanderungen während des Lebens sei ihnen
noch für ihre im Tode erkalteten Glieder notwendig? Ich bin eher geneigt
zu glauben, dieser Brauch sei für sie ein Sinnbild der Unsterblichkeit; denn
wie das Feuer sich von dem verzehrten Stoff loslöst und zum Himmel erhebt,
so sind sie überzeugt, daß sie sich beim Verlassen dieser Welt
in die höheren Regionen erheben, wo man die Entbehrungen
auf dieser Erde vergißt und sich an einem ewigen Feste erfreut.“
Wie man durch bloß gelegentliches Ausfragen der Wilden irre geführt werden
kann, zeigt das Beispiel des Erzbischofs Polding. Als er den Eingebornen
von Gott, dem Schöpfer aller Dinge, sprach und sie fragte, was aus ihnen
nach dem Tode werde, antwortete der Intelligenteste unter ihnen: „Von diesen
Dingen wissen wir nichts, aber wenn ihr unsere Sprache erlernet, so werdet
ihr es uns lehren, und wir werden euch glauben.“ Und doch hatten sie die
feste Überzeugung vom Fortleben nach dem Tode, wie die Missionäre bald er⸗
kannten. Wie der Missionär Raymond um Ostern 1844 an den Erzbischof
Polding schrieb, glaubten die Eingebornen an das Dasein eines
höchsten Wesens. „Sie hätten zwar noch nicht mit ihm gesprochen, da er
noch nicht zu ihnen gesprochen habe; aber sie hofften, nach dem Tode ihn zu
sehen und mit ihm zu sprechen.“?
Aus einer späteren Zeit (1875) berichtet der Missionär Duncan MeNab
bon den Eingebornen bei Maryborough (Queensland): „Hier sagten mir alle
Schwarzen, daß sie und alle Eingebornen nach Norden hin schon vor der
Ankunft der Weißen an das Dasein Gottes geglaubt hätten. Sie nennen
ihn ‚Biral‘, d. i. der Hohe. Sie konnten nicht sagen, „der Allerhöchste‘, denn
sie haben in ihrer Sprache keine Grade der Vergleichung. In Kilcoh und Mount
Brisbane nannten sie ihn ,‚Munbal', d. h. Donner.“
An der Küste von Queensland bestanden sehr viele Dialekte, fast jeder Stamm
hatte seinen eigenen Dialekt; doch gehören sie zur selben Sprache, und die Ein⸗
gebornen der verschiedenen Stämme können einander verstehen. Über die Be⸗
gabung der Schwarzen sagt MeNab: Man hat sie für stumpfsinnig erklärt, weil
man in einer fremden Sprache zu ihnen redete, von der sie wenig verstanden.
„Sie sind fähig, den christlichen Unterricht zu empfangen, und zeigen ein klares
Verständnis und auch ein starkes Gefühl für sittliche Pflicht, wenn
man sie ihnen einmal vorgelegt und ihr Gewissen geweckt hat. Sie haben keine
Vorurteile gegen die Wahrheit. Ihre abergläubischen Gebräuche lassen sich leicht
beseitigen und durch den katholischen Glauben ersetzen. Im allgemeinen lassen
fie sich gern unterrichten, wenn sie einmal die Überzeugung gewonnen haben,
daß der Lehrer aufrichtig für ihr zeitliches und ewiges Wohl besorgt ist.“ „Ich
habe nur von den halbzivilisierten Schwarzen in den okkupierten Distrikten der
Moran, History ot the Catholic Church in Australasia usw. 414
Ebd. 415.
1. Die Dieri.
311
—X gesprochen, die ich aus Erfahrung kenne. Wie man mir versichert,
sind die von den Europäern ganz entfernt lebenden Eingebornen leichter zu
behandeln, gelehriger, weil sie einfacher und weniger lasterhaft find und den
Europäern nicht feindselig gegenüberstehen.“
Die Hauptlaster der Eingebornen waren nach den Missionären die Trägheit,
eine unersättliche Gefräßigkeit und endlich Rachsucht, und diese hat ihr Ver—
derben beschleunigt. Die meisten Europäer waren Sträflinge oder gewissenlose
Abenteurer, die nur zu oft die Schwarzen in der schmählichsten Weise behandelten.
Wenn diese dann Rache nahmen, wurden mit Unterstützung der Regierung ganze
Jagden gegen sie unternommen und Schuldige und Unschuldige unterschiedslos
niedergeknallt. Dazu kam dann noch der elende Schnaps, dessen sich gewissen⸗
lose Weiße bedienten, um die Wilden auszubeuten und sich dienstbar zu machen?.
Viertes Kapitel.
Die Eingebornen Zentralaustraliens.
Von der Peripherie des australischen Festlandes wenden wir uns zum Zentrum
desselben. Die hier wohnenden Stämme sind erst in neuerer Zeit genauer
bekannt und Gegenstand zahlreicher Kontroversen geworden. Unserer ethno—
graphischen Aufgabe getreu, werden wir uns nicht auf ethnologische Unter—
uchungen einlassen, sondern an der Hand der Quellen möglichst genau die tat⸗
sächlichen Angaben über die sittlichen Anschauungen der hier wohnenden Völker
zusammenstellen.
1. Die Dieris.
Die Dieri wohnen im Osten des Eyresees. Sie sind einer von den ver⸗
schiedenen Stämmen, welche einander in Organisation, Sprache, Gebräuchen und
Zeremonien sehr ähnlich sind. Wir folgen der Darstellung von Otto Siebert,
J. G. Reuther und Howiit. Letzterer schreibt über die Dieri: „Was ich über sie
agen werde, wird fie beschreiben, wie sie vor vierzig Jahren (d. h. um das
Jahr 1864) waren, als ich sie in ihrem wilden Zustande kennen lernte, noch bevor
der weiße Mann zum Zweck der Herdenzucht die Gegend besiedelte.““ Die Dieri
zerfallen in fünf örtlich getrennte Horden, von denen jede wieder in verschiedene
okale Gruppen eingeteilt wird. Jede von diesen lokalen Gruppen hat ihr be—
ftimmtes Jagd- und Nahrungsgebiet. Die Söhne erben oder beschlagnahmen
auf Grund des Geburtsrechts das Jagdgebiet ihrer Väter. Südlich von den
Dieri wohnen die Mardala und die Parnkalla, westlich von ihnen der Nauo⸗
oder Willurostamm und die Tidni, die in Sitten und Gebräuchen mit den
Dieri übereinstimmen.
Die Dieri wollen von Vorfahren abstammen, die einst Tiere waren und dann
Menschen, die Ahnen der Dieri und der umliegenden Stämme, wurden. Die
Ebd. 423. 2 Vgl. ebd. 420 - 421.
Vgl. die Bemerkung oben S. 241.
ab Tnhe nativo Tribes of South Last Australia (1904) 44. Howitts Berichte beruhen.
rigens, wie er selbst sagt, zum Teil auf den Angaben Sieberts.
312 Fünfter Teil. Australien und Ozeanien.
mythischen Ahnen und alles, was mit ihnen zusammenhängt, heißen Mura⸗mura.
Mura bedeutet so viel wie geheiligt, geweiht. Alles, was mit den mythischen
Urvätern zusammenhängt, ist Mura, so z. B. die Bäume oder Steine oder
Tiere, die in irgend einer Beziehung zu diesen Vorfahren stehend gedacht werden.
Mura⸗mura bedeutet die sehr Heiligen. Jeder Mensch erbt nun durch seinen
Vater eine bestimmte Zugehörigkeit zu einem Mura⸗mura; er erbt die Legende
dieses Urvaters und die Kulthandlung, worin diese Legende zur Darstellung
kommt, und die dabei gesungenen Lieder (mura-wima oder kurz wima genannt).
Da der Mura⸗mura mit einem bestimmten Naturobjekt in Verbindung stehend
gedacht wird und durch die Aufführung seiner Zeremonien dies betreffende Natur⸗
objekt sich vermehren und erstarken läßt, so erbt der Nachkomme auch die
Fähigkeit, durch die Aufführung der Kultzeremonien auf das Naturobjekt ein⸗
zuwirken. Aber jeder Mensch erbt auch einen Platz, der als Wohnsizz seines
Mura⸗mura gilt; dieser Platz ist ein größerer oder kleinerer Distrikt, der als
Eigentum der betreffenden Personen angesehen wird. Ein Vater bezeichnet seinen
Kindern das ihnen gehörende Land etwa mit den Worten: Das ist dein Land,
mein Mura⸗mura erschuf es und hat hier gewohnt1.
Dieses durch den Vater vererbte Verhältnis zu dem Mura⸗mura und allem,
was dazu gehört, heißt Pintara. Jeder Mensch erbt aber auch durch seine
Mutter eine Beziehung zu deren Mura-mura samt dessen Legenden (wima) und
Heimatland. Dieses Muttererbe heißt Maduka. Die Madu sind von der
Mutter geerbte Totems, die in die beiden exogamen Heiratsklassen Matteri und
Kararu aufgeteilt find.
Wie die andern australischen Stämme führen auch die Dieri ihre Einteilung
in Klassen und Gruppen auf eine übernatürliche Anordnung zurück. Sie glauben,
daß der Geist eines Verstorbenen einen schlafenden Menschen besuchen kann.
Dieser berichtet dann seinen Traum einem Medizinmann, der, wenn er meint,
es liege in der Tat eine Erscheinung vor, befiehlt, man solle am Grab Nahrung
hinlegen und ein Feuer anzünden. Sie glauben ferner, wenn jemand sterbe,
gehe sein Geist hinauf nach Piriwilpa, d. h. in die Wolken oder den
Himmel, er könne aber auch auf Erden herumschweifen?. Jenseits der Wolken
ist ein anderes Land, das man das Wolkenland nennen kaun. Nach einer
Sage der Dieri ließ Arawotya, „der in den Wolken lebt“, ein langes Haarseil
auf die Erde hernieder und zog damit den Mura-Mura Ankurilcha und alle,
die bei ihm waren, zu sich herauf.
Wir haben schon erwähnt, daß die Dieri in zwei Klassen, die Matteri und
Kararu, eingeteilt werden. In jeder von diesen Klassen gibt es Gruppen, die
ihr eigenes Totem haben. Die Totems der einen Klasse sind verschieden von
denen der andern Klasse und sind meistens bestimmte Tiere (Emus, Krähen usw.).
Nach dem herrschenden Gesetz heiratet stets ein Matteri eine Kararu und ein
Kararu eine Matteri. Während aber bei andern Stämmen ein Mann aus der
einen Klasse nur eine Frau aus der andern Klasse mit einem von dem seinigen
verschiedenen Totem heiraten darf, nimmt der Dieri auf diese derschiedenen
Otto Siebert, Sagen und Sitten der Dieri, im Globus XCVII (1910) 48.
? Howibt, The native Tribes usw. 434.
1. Die Dieri.
313
Totems der andern Klasse keine Rücksicht, er kann also jede Frau aus der
andern Klasse heiraten. Bei den Dieri folgt das Kind gewöhnlich der Klasse
und dem Totem der Mutter, gehört aber zum Stamm des Vaters. Doch be—
zeichnet der Vater zuweilen den Sohn nach seinem Madu, so daß z. B. ein
Emu⸗ (warukati) Mann seinen von der Mutter her zum Krähen- (Kaualka)
Madu gehörenden Sohn nach sich Warukati nennt und dieser Kaualka-Waruka⸗—
sohn seinerseits nun wieder seinen Sohn in gleicher Weise als Kaualka bezeichnet 1.
Außer den beiden exogamen Klassen existieren noch andere Ehehindernisse.
Eine bestimmte Gruppe von Männern und eine bestimmte Gruppe von Frauen
stehen durch Geburt in der Beziehung der Noa zueinander, d. h. alle Individuen
einer Gruppe sind die potentiellen Bräutigame oder Bräute der Individuen der
andern Gruppe. Wer nun in concrèto Braut oder Bräutigam eines bestimmten
Individuums werden soll, wird in verschiedener Weise bestimmt. Oft geschieht
es durch eine Art Verlobung zwischen Angehörigen zweier Gruppen, die zur
selben Noa gehören; durch diese Verlobung treten die Verlobten in das Ver—
hältnis der Tippa-malku zueinander, und die so entstehende Ehe heißt eine
Tippa-malkurEhe. In dieser Ehe kann eine Frau nur einen Mann haben.
Außerdem gibt es noch eine Pirrauru-Ehe, d. h. ein Mann kann das Recht
erlangen, außer mit seiner eigenen Tippa-malkufrau auch noch mit einer oder
mehreren Frauen anderer Manner geschlechtlich zu verkehren, jedoch erst nach
diesen andern Männern und mit gewissen Einschränkungen. Um eine Pirrauru
zu werden, muß eine Frau schon im Verhältnis einer Tippa⸗-malkufrau sein.
Eine Pirrauru ist stets eine Schwester der Frau oder eine Frau des Bruders,
und eine Pirrauru-Ehe entsteht durch Austausch der Frauen von seiten der
Brüder. Haben zwei Brüder zwei Schwestern zu Frauen, so leben sie gewöhnlich
in einer Art Gruppenehe zusammen. Wird ein Mann Witwer, so wird die
Frau seines Bruders seine Pirrauru, wenn er dem Bruder Geschenke gibt. Auch
inem Besucher, der zur betreffenden Klasse gehört, wird zeiiweilig die Tippa—
alkufrau als Pirrauru überlassen. Immer ist zur Eingehung einer solchen
khe die Einwilligung des Tippa-malkumannes erfordert. Zuweilen sind es
nicht bloß zwei Paare, die so einem ehelichen Kommunismus huldigen, sondern
Janze Gruppen von Männern und Frauen, auch solche, die schon Pirraurus
haben. Doch wachen gewöhnlich die Pirraurumänner eifersüchtig darüber, daß
nicht neue derartige Verhältnisse entstehen. Der Pirraurumann darf übrigens
iur dann mit seiner Pirraurufrau Umgang haben, wenn der eigentliche Mann
abwesend ist oder wenn er seine Einwilligung dazu gibt; ausgenommen sind
uur die Zeiten bestimmter Festlichkeiten oder Zeremonien, wo der Verkehr zwischen
den Pirrauru ohne weitere Erlaubnis gestattet ist2.
Diese Einrichtung, die unter anderem Namen auch bei dem Stamm der
Urabunna vorkommt, ist nach Howitt ein Überrest der ursprünglichen Gruppen—
he. Aber schon A. Langs und nach ihm W. Schmidt; haben diese Ansicht
widerlegt. Entscheidend gegen Howitts Theorie ist schon der von Lang hervor—⸗
Siebert a. a. O. 49. Howitb a. a. O. 177 ff.
lebd J seinen Werken Social Origins (London 1903) und The Secret of the Totem
1905).
Der Ursprung der Gottesidee 189.
314 Fünfter Teil. Australien und Ozeanien.
zehobene Umstand, daß die Berechtigung zur Eingehung des Pirrauruverhältnisses
durch eine eigene Zeremonie erteilt werden muß, die erst stattfindet, nachdem
die Individualehe (Tippa-malku) schon geschlossen ist. Darin liegt doch, sagt
Schmidt mit Recht, der Beweis, daß das Pirrauru-Institut sekundären Ursprungs
ist. Denn wenn wirklich Gruppenehe das Frühere wäre, so wäre die Erlaubnis
zu dem Pirrauruverhältnis ohne weiteres vorhanden. Viele andere Gründe gegen
Howitt hat A. Lang geltend gemacht und besonders N. W. Thomas!, der zum
Schlusse kommt: „Die Übersicht über australische Sitten und Verwandtschafts-
namen führt uns zu der Schlußfolgerung, daß die ersteren, weit entfernt, die
gegenwärtige oder selbst frühere Existenz von Gruppenehe auf diesem Kontinent
zu beweisen, dieselbe nicht einmal als wahrscheinlich dartun; auf die letzteren
aber kann keinerlei Beweis aufgebaut werden, der voraussetzt, dieselben be—
zögen sich auf Blutsverwandtschaft oder Schwägerschaft. Es ist deshalb nicht
übereilt, zu sagen, daß die Annahme der Gruppenehe, soweit Australien in Betracht
tommt, hinfällig wird.“
Die Frage, wie diese Pirrauru⸗-Ehe entstanden, ist schwer zu beantworten.
Mächtig dazu beigetragen hat wohl die Seltenheit der Frauen, die notwendige
Folge der Tötung vieler Kinder, besonders der Mädchen. Wie wenig sie übrigens
mit geschlechtlicher Promiskuität zu tun hat, geht aus dem Zeugnis des Missionärs
Siebert hervor. Er meint: „Die Einrichtung der Pirrauru ist lobenswert (7) wegen
hrer ernsten Strenge in Bezug auf die Sittlichkeit und wegen der Zeremonien,
mit denen sie geregelt wird, denn keine Ubung könnte weniger zu dem Hetärismus
passen, den die Phantasie des Lord Abebury (John Lubbock) den australischen
Eingebornen angedichtet hat.“s Howitt hebt auch den Abscheu hervor, den die
Dieri gegen blutschänderische Ehen zwischen Eltern und Kindern, zwischen einem
Mann und den Kindern seiner Schwester haben. Die Pirrauru eines noch
nicht individuell verheirateten jungen Mannes beobachtet diesen scharf und sucht
jeden Umgang desselben mit andern Frauen zu verhindern. Wenn ein Mann
ein Mädchen heiraten will und ihm dieses von den Eltern verweigert wird, so
sucht er mit ihm zu entlaufen. Die Verwandten des Mädchens verfolgen ihn
dann; holt man ihn ein, so muß er das Mädchen hergeben, sonst wird er
streng bestraft.
Bei den Dieri und den ihnen verwandten Stämmen ist der älteste Mann
von einem Totem das Haupt (pinnaru) der Totemangehörigen. Auch hat jede
Horde ihren Pinnaru, der zugleich das Haupt der Totemangehörigen sein kann.
Ihr Einfluß außerhalb ihrer Abteilung oder ihres Totems ist aber oft nicht
groß. Die Gesamtheit der Pinnarus bilden die Häupter des ganzen Stammes
und einer von ihnen steht an der Spitze der übrigen“. Der Oberhäuptling
der Dieri, mit dem Mr S. Gason und Howitt viel verkehrten, hieß Jalina⸗
piramurana und war ein außerordentlich beredter, geschickter und tapferer Mann.
Er war zugleich ein mächtiger Medizinmann. Wegen seiner höflichen Manieren
nannten ihn die Weißen „den Franzosen“. Er berief die Versammlungen und
Linship Organisations and Group-Marriage in Australia, Cambridge 1906. —
über Thomas W. Schmidt, Der Ursprung der Gottesidee 190.
Thomas da. a. O. 147, bei Schmidt a. a. O. 190.
3 Howitt, The native Tribes usw. 186. 2Ebd. 297.
l. Die Dieri.
315
führte in denselben den Vorsitz, auch bestimmte er die Zeit für die Stammesfeste.
Seine Untertanen und selbst Angehörige anderer Stämme brachten ihm Geschenke,
und alle sprachen nur mit Achtung und Ehrfurcht von ihm. Er entschied alle
Streitigkeiten, und die Untergebenen unterwarfen sich willig seinen Anordnungen.
Auch seinem Charakter wird Lob gespendet. Er war weder grausam noch ver—
räterisch wie manche andere Dieri, und wenn er nicht in Aufregung war, zeigte
er sich stets besonnen, geduldig und sehr gastfreundlich. Wenn auch wenige
andere Männer einen solchen Einfluß besaßen wie Jalinapiramurana, so hatten
doch auch andere Stämme ähnliche Oberhäupter, die an der Spitze der Pinnarus
tanden und vielfach zugleich Medizinmänner waren. Bei einigen Stämmen
folgte der Sohn dem Vater in der Würde des Obmannes des Stammes, bei
andern wurde der Obmann gewählt!.
Der Stammesrat besteht bei den Dieri aus den Häuptern der Totems oder
der lokalen Abteilungen, den Kriegern, den Medizinmännern und aus den alten
Mannern von Ansehen und Einfluß, d. h. überhaupt aus allen Männern, die
schon die Reihe von vorgeschriebenen Zeremonien durchgemacht haben. Die auf
diesen Versammlungen behandelten Gegenstände sind z. B. Tötung durch Zauber,
Mord, Verletzung der Sittenvorschriften und der Rechtsgewohnheiten des Stammes,
Veröffentlichüng der Geheimnisse des Stammesrats oder Mitteilung der geheimen
Einweihungszeremonien an Frauen oder Nichteingeweihte. Zu den Verletzungen
der Moralvorschriften gehört z. B. der Verkehr mit einer Frau desselben Madu
oder mit einer zu nahen Verwandten. Wurde eine Person für überführt er—
achtet, jemand durch Zauber getötet zu haben, so wurde sie von einer bewaffneten
Truppe (pinya), welche der Oberhäuptling absandte, umgebracht?. Doch wird
uweilen die Angelegenheit durch eine Art Wehrgeld, d. h. Abtretung einiger
Wertsachen, frieduͤch beigelegt.
Die Zauberer oder Medizinmänner der Dieri, Kunki genannt, sollen direkten
Lerkehr mit übernatürlichen Wesen, den Kutchi, und auch mit den Mura-mura
anterhalten. Sie deuten die Träume und sagen den Verwandten eines Ver—
ttorbenen, wer diesen getötet habe. Ein Kutchi ist die Ursache der Krankheiten
ind anderer Übel, aber er kann vom Kunki durch bestimmte Mittel ausgetrieben
verden. Wenn ein Dieri einen Traum gehabt hat und meint, er habe während
der Nacht einen verstorbenen Freund gesehen, so berichtet er diesen Umstand einem
dunki; dieser erklärt dann wahrscheinlich, es liege eine Erscheinung und nicht
in Traum vor. Denn die Dieri unterscheiden zwischen Traum und Vision;
Traum ist nur die Frucht der Einbildung, die Erscheinung aber ist die Wirkung
dutchis, des mächtigen und bösen Wesens, das dem Kunki die Macht verleiht,
doantheit und Tod zu bewirken oder auch das von einem Kutchi verursachte
bel zu heilen. Die Kunki behaupten, sie könnten vermittels eines Haarseiles
m die Wolken fliegen und dort ein schönes Land voll Bäume und Vögel sehen.
—— in dem Wolkenland das Wasser trinken, durch das sie die Kraft
langen, jedem, dem sie wollen, das Leben zu nehmen?. Die Medizinmänner
* Dieri heilen die Krankheiten in derselben Weise, wie dies bei den schon
her geschilderten Südaustraliern der Fall ist: durch Reiben oder Saugen an
— —
1Ebd. 305. 2 Ebd. 321. s Ebd. 359.
316
Fünfter Teil. Australien und Ozeanien.
der kranken Stelle, um die Krankheitsursache herauszuziehen u. dgl., wobei
allerlei Zaubermittel zur Anwendung kommen, geschrieen und gesungen wird. Viele
Zauberer sind auch Regenmacher. Die Mura-mura wohnen in den Wolken,
einige als Sternbilder, andere als häßliche Schlangen; sie bereiten dort den
Regen aus den Wolken und werden durch Zeremonien beeinflußt, so daß sie
je nach den Bitten der Dieri Regen oder schönes Wetter schicken.
Nach Siebert! unterscheiden die Dieri drei Seelen: Kutchi, Mungara,
Jabla. Kutchi bedeutet Totenseele, Gespenst, doch werden auch die bösen über⸗
irdischen Wesen so genannt, die nicht notwendig Seelen Verstorbener sind. Die
Totenseele zeigt sich am Grabe, man sieht ihre Fußspuren um das Grab herum.
Man legt für sie Nahrung und Brennholz auf das Grab. Auch im Lager
legt der Eingeborne abends bei den Mahlzeiten für den Kutchi eines kürz
lich Verstorbenen etwas Nahrung beiseite. Der Kutchi zeigt sich zuweilen in
Gestalt einer Krähe oder Eule oder eines Emu, der sich — —
benimmt. Eine Krähe soll man nicht töten oder verjagen, sonst kommt der
Kutchi im Schlaf und raubt dem Menschen die Mungara. Die ersten Weißen,
die von Süden kamen, wurden für Geister der Verstorbenen gehalten. Von
der Mungara sagen die Dieri, sie gehe nach dem Tode nach Süden,
wende sich aber dabei beständig um, um zu sehen, wie man die Leiche ins Grab
trage. Jasla ist der persönliche Geist; die Jabla geht nach dem Tode zuerst
nach Palankarani, einem Ort nicht weit vom Lake Hope, von da geht sie in
den Himmel Pariwilpa und ist als Sternschnuppe zu sehen. Ein alter Mann
erzählte dem Missionär: Im Grabe löst sich das Fleisch von den Knochen; diese
Knochen, die zurückbleiben, sind Kutchi, der Palku, d. h. das Fleisch, fährt als
Mungara gen Himmel und gibt sich von dort durch Blitz und Donner als
weiterlebend zu erkennen.
Diese Lehre von den drei Seelen wird von Howitt nicht erwähnt und be—
zegnet einigen Zweifeln. Wenn die Weißen für Kutchi der verstorbenen Australier
gehalten werden, so bezeichnet doch Kutchi den belebenden Geist des Menschen,
d. h. die Seele, die in den Himmel zieht, und Jabla und Mungara sind viel⸗
leicht nur verschiedene Namen für dieselbe Sache in verschiedenem Zustand.
Liegt jemand im Sterben, so singen die Umsitzenden ihm zum Trost seine
Mura⸗wima, d. h. das Lied, das er mit der betreffenden Mura⸗mura⸗Legende
von seinem Vorfahren geerbt hat. Nach eingetretenem Tode bemalen sich die
Verwandten mit roter oder weißer Farbe. Der Leiche werden die großen Zehen
zusammengebunden, dann wird sie in ein Tuch oder Netz gewickelt und auf
den Köpfen von drei oder vier Männern zum Grabe getragen, das die Richtung
don Norden nach Süden hat; der Kopf der Leiche wird nach Süden gelegt.
Bevor sie ins Grab gesenkt wird, nimmt der nächste Verwandte zwei leichte
Ruten und schlägt dieselben zusammen, um die Leiche zu fragen, wer sie durch
Zauber getötet habe. Die herumsitzenden Männer dienen dem Toten als Dol⸗
metscher, und je nach ihrer Meinung wird der Name eines Mannes von einem
andern Stamm angegeben. Eine Frau wird auch gefragt, wem gegenüber sie
sich geweigert habe, geschlechtlich zu verkehren. Gibt sie einen solchen an, so gilt
1
Globus XCVII (1910) 56.
1. Die Dieri.
317
dieser als Mörder. Stirbt einer von zwei Freunden, so muß der Busenfreund
Kalu) getötet werden, sei es durch Mord oder Zauber. Als Grund hierfür
dibt man an, daß die im Leben miteinander Verbundenen auch im Tode ver⸗
einigt bleiben sollen.
„Am Grabe sagt wohl ein Pinnaru, je nachdem der Verstorbene ein
gutes oder ein schlechtes Leben geführt: ‚Wir brauchen dir den
Weg nach Palankarani nicht zu zeigen, du warst gut und wirst
ihn selbst finden'; oder aber:
NMnandru jidni madlentjj wira rina waraiꝰ Jundru widla
Warum du schlecht wandelnd warst? Du Frau
tulani nari manina warai. Matja woremi
bei fremder Tod holend warst. Gut also (wörtlich: schon weggeworfen)
jidni nari praiata.
du tot bleiben mögest.“
.Die letzten Worte sind nicht recht verständlich und werden auch von Siebert
nicht näher erläutert, doch so viel scheint klar zu sein, daß sie eine Art Drohung
oder Verwünschung wegen begangener Schlechtigkeit (Ehebruch) enthalten. Jeden⸗
salls geht aus ihnen hervor, daß die Dieri eine Ahnung von einem ver—
schiedenen Lose der Guten und Bösen nach dem Tode haben.
Von den westlich von den Dieri wohnenden Stämmen Kukata und Wi—
rangu berichtet Siebert auf Grund glaubwürdiger Zeugen, daß beim Tode des
Chemanns dessen Eheweib erschlagen und mitbegraben werde. Von plötzlich
Gestorbenen, die fett waren, wird bei den Dieri das Fett der Weichen, Brust
ind Oberschenkel herausgeschnitten, auf glühenden Kohlen gebraten, auf Blätter
and Emufedern gelegt und mit diesen gegessen. „Daß in solcher Weise Fett von
Personen, die infolge von Krankheit gestorben waren, gegessen wurde, habe ich
nie gehört. Die Dieri essen nur das Fett, nicht auch das Fleisch der Leiche.“?
Wir haben schon die mythischen Vorfahren der Dieri, die Mura⸗-mura,
jalb menschliche, halb überirdische Wesen erwähnt. Der Glaube an solche fabel—
hafte Vorfahren ist nicht den Dieri ausschließlich eigentümlich, sondern findet
ich bei allen Stämmen rings um den Ehrefee, ferner südlich davon bis zum
Sbencergolf und nördlich etwa bis zum 25. Breitengrad. Nach einer Legende
der Dieri sah der Mura-mura Paralina auf der Jagd vier unförmliche Wesen
usammenhocken; er glättete mit den Händen ihren Leib, stredte ihre Glieder,
ildete ihnen Finger, Zehen, Mund, Nase usw. und machte sie so zu Menschen.
Auch die Beschneidung, die Einweihungszeremonien, die Totems usw. werden
n ähnlicher Weise den Mura⸗mura zugeschrieben, die noch heute leben und
erumwandern sollen. Einige von ihnen soll nach einer Legende Arawotya, der
in den Wolken lebt, vermittels eines langen Haarseiles, das er herunterließ,
zu sich in den Himmel hinaufgezogen habens. Mehrere davon sollen die Stern⸗
Alder der Plejaden, des Orion usw. sein.
Bei den südöstlichen Australiern fanden wir den Glauben an ein von allen
mndern Mura⸗mura verschiedenes und sehr weit überragendes Wesen, das Howitt
—
Ebd. 87. 2 Ebd. *Howitt, The nativo Tribes 479 793.
318 Fünfter Teil. Australien und Ozeanien.
Allvater nennt, das aber in Wirklichkeit nur das höchste Wesen sein kann,
wie es uns schon bei sehr vielen ganz primitiven Naturvölkern begegnete. Bei den
Dieri soll nach Siebert der Glaube an ein solches höchstes Wesen nicht vorhanden
sein. „Daß Mura⸗mura oder Mura ein höchstes Wesen, einen Gott, bezeichnen
oll, muß ich entschieden in Abrede stellen. Die heutigen Dieri kennen ein höchstes
Wesen überhaupt nicht.“! Zwar gibt auch er zu, daß einige Mura⸗mura eine
besonders hervorragende Rolle in ihren Legenden spielen und einer von ihnen,
Arawotya, andere zu sich in den Himmel hinaufzog, aber daß damit die Idee
eines höchsten Wesens verknüpft sei, bestreitet er.
Dagegen schreibt der Missionär Strehlow, der sich auch bei den Dieri
aufgehalten hat und ihre Sprache vollkommen kennt: „Die Dieri nennen das
höchste Wesen Mura, dagegen die vergötterten Vorfahren oder Totemgötter
Mura⸗mura.“ Ebenso versichert der Missionär J. G. Reuther in einem
Briefe an Freiherrn v. Leonhardi vom 14. Mai 1906 aus Killalpanina: „Ohne
allen Zweifel steht es fest, daß das Leben der verkannten australischen Natur—
bölker von religiösem Geiste beseelt ist. Sie kennen nur einen Gott — einen
strafenden und gerechten —, natürlich keinen barmherzigen (Mura, Altjira usw).
Desgleichen glauben sie nach Gason, auf dessen Angaben fast alle späteren Be⸗
richte über die Dieri beruhen, an einen „guten Geist“, den „Schöpfer“, Mura,
bon dem man mit der größten Ehrfurcht spricht. Dieser Mura soll nach Gason
die Menschen geformt, die Heiratsgesetze und Totemeinteilung angeordnet haben
und um Regen angerufen werden 8. Zu dem Zeugnis des Missionärs Reuther
bemerkt Strehlow in einem Brief vom 7. Februar 1907: „Daß die Dieri einen
Gott des Himmels kennen mit Namen Mura (xichtiger wäre Murra) im Unter⸗
schied von den Totemvorfahren (Mura-mura), kann als feststehendes Resultat
angesehen werden, da Missionär Reuther, der etwa 17 Jahre unter den
Dieri gewirkt und ihre Anschauungen aufgezeichnet hat, bei diesem Resultat ge⸗
blieben ist.“*
Freiherr v. Leonhardi, der sich am eingehendsten mit dieser Frage
befaßt hat, kommt zu dem Schlußs, heute sei bei den Dieri kein Glaube an
ein höchstes Wesen vorhanden, er hält es aber nicht für unwahrscheinlich, daß
früher ein solcher Glaube bestanden habe. „Dafür scheint mir zu sprechen, daß
das Weltbild der Dieri in allen wesentlichen Punkten dem der Loritja und
Aranda gleich ist. Der Himmel ist ein Land, dort wohnen mythische Wesen,
nach Howitts gehen dorthin sogar die Seelen der Gestorbenen. Nur ein Wesen
wie Altjira und Tukura — so farblose Gestalten von Himmelshäuptlingen,
wie diese auch sein mögen — nimmt man nicht als im Himmelsland der
Dieri wohnend an. Andere Stämme am Ehresee haben aber offenbar die
Vorstellung eines solchen behalten, so die Wonkamala. Wenigstens wüßte ich
nicht, wie man Arowitia (Arawotya) anders deuten wollte. der einst auf Erden
ogl.
Globus XCVII (1910) 44 Anm. 2 Ebd. XOI (1907) 286.
Man ogl., was darüber v. Leonhardi sagt (Globus XOI 287).
D. h. trotz der ihm bekannten und gegenteiligen Ansicht Sieberts.
»Bgl. Anthropos IV (1909) 1067. über den Gottesbegriff der Zentralaustralier
W. Schmidt, Der Ursprung der Gottesidee 128 ff 366 ff.
The native Tribes 476.
2. Die Aranda und Loritja.
319
wanderte, zahlreiche Quellen und Wasserlöcher hervorgehen ließ und schließlich in
den Himmel aufstieg, von wo er nach einer Sage helfend eingreift. Vielleicht
steckt auch ein höchstes Wesen hinter Artarurpa, dem Guten, der in einer Ngami—
und Karangurulegende erwähnt wird und auf einem Berg im Norden und Nord—
vesten wohnen soll, von wo auch die beiden Heilbringer Malku-malku-ulu her—
lommen. Es scheint nicht zweifelhaft, daß die Bezeichnung, der Gute‘ auf frühere
lebensvollere Vorstellungen von solchen Wesen hindeutet; wie sollte man sonst
darauf kommen, diese Eigenschaft einer sonst ganz im Hintergrund stehenden
indifferenten Mythengestalt beizulegen? Das nehme ich auch bezüglich von Altjira
an, den die Aranda mara — gut nennen, obgleich er doch heute ihnen sonst absolut
dleichgültig gegenübersteht. Auch die Loritja sagen von ihrem Tukura, er sei
bpala lonku — gut sehr. Wo wir jetzt von höchsten Wesen, sei es in Australien
oder in andern Erdteilen, gehört haben, ist eine fast stets wiederkehrende Be—
zeichnung derselben die, daß sie gütig seien, wenn sie auch sonst in der jetzigen
Vorstellungswelt der betreffenden Völker ganz und gar zurücktreien und für das
religisse Leben ohne jede Bedeutung bleiben.“
Angesichts dieser sich schroff widersprechenden Ansichten wagen wir nicht, eine
Entscheidung zu ireffen. Immerhin scheint uns die größere Autorität für den
Blauben der dieri an ein höchstes Wesen einzutreten (Gason, Strehlow, Reuther).
Auch die eben erwähnten Ausführungen v. Leonhardis scheinen uns dafür zu
prechen, daß noch heute eine dunkle Ahnung von einem höchsten Wesen, dem
derrscher des Himmelslandes, bei den Dieri nicht ganz verschwunden ist. Wenn
ihr Weltbild sonst in allem Wesentlichen mit dem der Aranda und Loritja
übereinstimmt, wie könnte dann der Hauptpunkt in diesem Bilde gänzlich fehlen?
Vielleicht bringen weitere Nachforschungen reicheres Licht.
Wie bei den schon geschilderten südöstlichen Stämmen besteht auch bei den
Dieri die feierliche Mannweihe in verschiedenen Stadien. Zuerst werden dem
angehenden Mann die zwei unteren Vorderzähne ausgeschlagen, dann wird er
beschnitten, erhält einen neuen Namen, muß sich der Wilharuzeremonie unter⸗
werfen, bei der er mit Blut bedeckt wird, das man alten Männern aus den
Armen fließen läßt usp. Auch die Operation der subincisio müssen sie über
sich ergehen lassen 1.
2. Die Aranda und Loritja.
Wir haben bisher gefunden, daß die Australier nicht nur eine Religion
haben, sondern sogar eine ziemlich reine und hohe Religion. Sie anerkennen,
wenigstens dunkel, ein höchstes Wesen, das alles geordnet hat, das den Menschen
hre Satzungen gab und zu dem die Guten nach dem Tode gehen. Von einem
droben Fetischismus, wie er uns in andern Weltteilen begegnet, ist nichts zu
inden; auch die Teufels- und Dämonenbverehrung ist nicht sehr entwickelt; selbst
bon einer eigentlichen Ahnenverehrung kann kaum die Rede sein.
Nun kommen wir aber zu Völkern, die gar keine Religion und keinen Gottes—
dlauben haben sollen, wir meinen die Aranda und Loritja im eigentlichen
Zentralausiralien. Die Aranda wohnen am MacDonnell Range und südlich
Ebd. 655 ff.
320 Fünfter Teil. Australien und Ozeanien.
davon etwa zwischen dem 28.0 und 27.0 s. Br.; westlich von ihnen wohnen
die Loritja. Diese Völker sind in neuerer Zeit in den Vordergrund des Interesses
getreten durch die beiden bedeutenden Werke von Spencer und Gillen! und die
dadurch hervorgerufenen Kontroversen. Allgemeines Erstaunen erregte es, daß
die genannten Autoren in verhältnismäßig kurzer Zeit eine so große Masse von
ganz neuen Ansichten und Gebräuchen, von denen man bisher fast nichts wußte,
entdecken und beschreiben konnten. Bald nach dem Erscheinen der beiden Werke
dauchten aber auch Zweifel an der Zuverlässigkeit mancher Angaben auf?.
Namentlich trat ihnen der Missionär C. Strehlow entgegen, dessen Forschungen
Moritz v. Leonhardi kritisch bearbeitete und herausgabs. Vom Missionär
Strehlow schreibt Leonhardi: „Dieser, in der Neuendettelsauer Missionsanstalt
ausgebildet, arbeitet seit 1892 unter der schwarzen Urbevölkerung Australiens;
zunächst bis 1895 unter den Dieri im Südosten des Lake Eyre und von
da an auf der Missionsstation Hermannsburg am Finke River unter den
Aranda. Durch seine langjährige Tätigkeit unter diesen beiden Stämmen hat
fich Herr Strehlow deren Sprache vollkommen zu eigen gemacht und hat auch
Texte zu gottesdienstlichen Zwecken darin drucken lassen. Diese Sprachkenntnisse
ermöglichen es ihm, bei seinen Forschungen mit den Eingebornen in deren Mutter⸗
prache zu verkehren — ein nicht hoch genug anzuschlagender Vorteil; gilt es
doch, die schwierigen und teilweise recht komplizierten Gedankengänge dieser Ur—
bölker zu erfassen, nachzudenken und schriftlich zu fixieren.“ „Bei der Heraus⸗
gabe des Manuskripts (von Strehlow) habe ich mich im wesentlichen darauf
beschränkt, redaktionell zu verfahren; ich habe sachlich nichts geändert; nur da,
wo mir der Sinn nicht ganz klar war oder die Sache noch nicht genügend er⸗
gründet zu sein schien, habe ich durch briefliche Anfragen um nochmalige Nach⸗
prüfung und Richtigstellung gebeten. Die erhaltenen Antworten habe ich dann
an den betreffenden Stellen eingearbeitet. .. Mir scheint diese Art des Vor⸗
gehens allein gerechtfertigt. Es soll nur das der wissenschaftlichen Welt vor⸗
gelegt werden, was Herr Strehlow glaubt festgestellt zu haben und in der
Form, wie er die Dinge darzustellen für richtig hält.“
The native tribes of Central Australia, by Bald win Spencoer and F. J. Gillen,
London 1899; ferner The Northern tribes of Central Australia. von denselben Ver⸗
fafsern, ebd. 1904.
In den Veröffentlichungen aus dem Städtischen Völkermuseum Frankfurt a. M.:
l. Mythen und Märchen des Arandastammes in Zentralaustralien, Frankfurt 1907;
2. Mythen, Sagen und Märchen des Loritjastammes. Die totemistischen Vorstellungen
und die tjurunga der Aranda und Loritja, Frankfurt 1908; 3. Die totemistischen Kulte
der Arandas und Loritjastämme, Frankfurt 1910 u. 1911; 4. Das soziale Leben, 1918.
»Vgl. darüber W. Schmidt, „Soziologische und religiös-ethische Gruppierung der
Australier“ und „Die Stellung der Aranda unter den australischen Stämmen“, in der
Zeitschrift fur Ethnologie XLI (1908) 342 ff 866 ff; Der Ursprung der Gottesidee 115 ff.
Professor Klaatsch schreibt in derselben Zeitschrift XXXVIII (1906) 794: „Nicht nur
mir, sondern auch sehr vielen hiesigen, seit Jahrzehnten mit den Schwarzen wohlver⸗
rauten Farmern und Explorern ist es ein Rätsel, wie Spencer und Gillen eine solche
Menge Details über so geheimgehaltene Dinge haben sammeln können. Ich habe in
Australien mehr als einmal die Vermutung gehört, daß manche der von Spencer be⸗
jchriebenen sacred ceremonies nur ad hoc prävpariert gewesen seien; aber ich schließe
mich dieser Ansicht nicht an.“
2. Die Aranda und Loritja.
321
Während Strehlow die Arandasprache vollkommen beherrscht, waren Spencer
uind Gillen bei ihren Forschungen sehr behindert durch ihre mangelhafte Kenntnis
dieser Sprache. „Daß Gillen“, schreibt Leonhardin, „obgleich er Jahrzehnte
unter den Aranda gelebt hat, sich im Verkehr mit den Eingebornen des Pidgin⸗
nglisch, untermischt mit einzelnen Arandaworten, bedient, weiß ich von Strehlow,
der ihn persönlich kennt und seinen Verkehr mit den Schwarzen beobachtet hat;
don Spencer, der nur vorübergehend im Gebiet sich aufgehalten hat, ist eine
dründliche Sprachkenntnis kaum zu erwarten.“ Strehlow scheint aber den beiden
Forschern in einem Punkte nachzustehen. Spencer und Gillen behaupten von
sich mit Emphase, daß sie „als völlig eingeweihte Glieder des Arandastammes
betrachtet wurden“, während der Missionär das nicht von sich sagen kann. Die
kigentlichen Geheimnisse des Stammes werden aber nur den Eingeweihten mit—⸗
geteilt. „Es kann jedoch“, sagt Leonhardi mit Recht, „absolut nicht die Rede
davon sein, daß irgend ein Weißer sich den barbarischen Einweihungssitten der
australischen Stämme unterworfen hätte.“ Skarifikation, Depilation, Feuer—
vdal, Durchbohren der Nasescheidewand, Zahnausschlagen, Circumcision und
Subincision wird kein Forscher an sich haben vollziehen lassen.““ Die be—
hauptete Einweihung Spencers und Gillens kann also nur den Sinn haben:
sie hätten in solchem Grade das Vertrauen der Eingebornen erworben, daß die—
elben ihnen auch ihre sonst vor Fremden sorgfältig gehüteten Geheimnisse mit⸗
leilten. Dieses Vertrauen besaß aber auch Strehlow. Mit alledem soll nicht
geleugnet werden, daß Spencer und Gillen in sehr vielen Punkten unsere Kenntnis
don den Aranda und Loritja erweitert habens.
Spencer und Gillen machen darauf aufmerksam, daß die Wilden im Um⸗—
gang mit den Weißen nur zu oft sehr schnell entarten. Wo eine größere
Niederlaffung der Weißen entsteht, kommen die Eingebornen herbei, um für
lleine Dienste Kleider, Nahrung, Tabak usw. zu erhalten. Hier entziehen sich
die jungen Männer bald der heilsamen Aufficht der Allen, die im normalen
Zustand der Stämme allmächtig sind. Der strenge Moralkoder wird beiseite
leschoben und durch nichts ersetzt. Die alten Männer sehen mit Betrübnis,
daß die jüngeren die altehrwürdigen Überlieferungen mißachten und sich weigern,
dieselben ihren Kinder zu übermachen.
Die Aranda leben zerstreut in einer großen Zahl von Ortsgruppen, von
enen jede ein bestimmtes Gebiet bewohnt und als Eigentum beansprucht. Jede
Zrubppe wird nach ihrem Aufenthaltsort genannt. Zuweilen wird auch eine
Anzohl getrennter Gruppen, die ein weites Gebiet innehaben, mit einem gemein⸗
amen Namen bezeichnet. Die einzelnen örtlichen Gruppen umfassen zum größten
Teil Leute, die sich selbst nach einem bestimmten Tiere oder einer Pflanze be—
pennen, so daß an einem Orte Emuleute wohnen, an einem andern Känguruh—
ute usw. Das Tier oder die Pflanze ist das Totem der betreffenden Leute.
Man findet Leute mit demselben Totemnamen an verschiedenen Orten. Jede
F Vorrede zum dritten Teil der Veröffentlichung über die Aranda- und Loritjastämme,
rantfurt a. M10lo.
Dazu müssen die Einzuweihenden monatelang splitternackt umhergehen.
u Strehlow schreibt Aranda und Loritja, Spencer und Gillen dagegen schreiben
runta und Luritja.
CTathrein, Die Einheit d. sittl. Bewußtfeins. III.
322 Funfter Teil. Australien und Ozeanien.
Totemgruppe hat ihren eigenen Obmann oder Leiter (Alatunja). Dieser hat
außerhalb der Gruppe an sich keine Autorität. Besitzt er eine solche, so kommt
das daher, daß er der Leiter einer mächtigen Gruppe ist oder sich durch per—⸗
sönliche Eigenschaften auszeichnet. Einen eigentlichen Häuptling des Stammes
haben die Aranda nicht. Die Autorität des Alatunja oder Alunja ist nicht
zenau umgrenzt. Er hat keine bestimmte Gewalt über die Person der Gruppen⸗
ingehörigen. Er ruft die älteren Männer zur Beratung der gemeinsamen An⸗
zelegenheiten zusammen, die sich auf die religiösen Zeremonien oder die Be⸗
trafung der Übertreter der Stammesgebräuche beziehen. Der Atunja wird nicht
für seinen Posten gewählt, die Würde ist in gewissem Grade erblich und geht
vom Vater auf den Sohn (nicht die Tochter) über, vorausgesetzt, daß dieser zu
dem Totem der Gruppe gehöre. Hat der Atunja keinen Sohn, so bezeichnet
er vor dem Tod seinen Nachfolger, der stets der Bruder oder des Bruders
Sohn ist. Dem Atunja liegt es ob, die heilige Kammer zu besorgen, in der
die religiösen Gegenstände der Gruppe aufbewahrt werden. Keine Frau und
kein Uneingeweihter darf diesem Hause nahen!.
Neben dem Atunja stehen die Medizinmänner in hohem Ansehen, ferner
die Iruntarinia, die mit den Geistern des Stammes in Verbindung zu stehen
behaupten; doch braucht nicht jede Gruppe notwendig einen Medizinmann oder
Geisterbeschwörer zu haben, wohl aber hat jede Gruppe ihren Atunja. Die
Glieder einer Gruppe wandern oft in kleinen Abteilungen von einer oder zwei
Familien — manchmal sind es zwei Brüder mit ihren Weibern und Kindern —
auf dem ihnen gehörigen Land umher.
In ihrem gewöhnlichen Zustand gehen die Männer fast ganz nackt, obwohl
es zu gewissen Zeiten empfindlich kalt wird und an Fellen von Wallabys und
Känguruhs kein Mangel ist; die Frauen aber — wenigstens die verheirateten —
tragen eine kleine Schürze. Als Wohnung haben die Aranda oft nur eine
Art Wand aus Zweigen, die so gestelli wird, daß sie gegen den Wind schützt.
Davor wird ein kleines Feuer unterhalten. Als Nahrung dient ihnen ungefähr
alles, was sich essen läßt. Doch haben sie, wie wir noch sehen werden, mancherlei
religiöse Speiseverbote. Ein besonderes Charakteristikum für Männer und Weiber
sind die Narben am Leibe, die von vielen als Tätowierung bezeichnet werden,
aber diesen Namen eigentlich nicht verdienen. Denn die Tätowierung besteht
darin, daß man beständig das Hautgewebe mit ätzenden Farbstoffen beizt. Die
Narben werden aber dadurch hervorgebracht, daß man die Haut mit einem
scharfen Stein oder mit Glas durchschneidet und in diese Wunden Asche reibt.
Welche Bedeutung sie haben, ist noch nicht aufgehellt.
Dbwohl der Moralkodex der Aranda in manchen Punkten von dem unsrigen
abweicht, so kann man doch nicht leugnen, daß sie in ihrem Handeln von
strengen Moralvorschriften geleitet werden, deren Verletzung man streng und
sicher straft. In manchen Fällen wird der Übertreter derselben getötet. Ein
oberflächlicher Europäer würde vielleicht eine solche Tötung als geheimen Mord
bezeichnen, tatsächlich aber steht sie mit der Hinrichtung der Hexen in Europa
auf gleicher Stufe. Es handelt sich um Rache oder um „Leben für Leben“.
18Spencer and Gillen, The native tribes usw. 11.
2. Die Aranda und Loritja.
323
Denn derjenige wird getötet, den der Medizinmann als den Urheber des Todes
eines andern bezeichnet. Einen natürlichen Tod kann sich der Eingeborne nicht
denken; stets ist bbser Zauber schuld daran.
Neben diesen barbarischen Gewohnheiten findet man andere, welche die Ein—
debornen in einem günstigeren Lichte zeigen. Sie sind gegeneinander äußerst
freigebig!. Jeder ist gewohnt, seinen Genossen einen Teil seiner Nahrung
der dessen, was er besitzt, mitzuteilen, und überhaupt behandeln sie sich gegen—
eitig wohlwollend. Interessant ist, was Spencer und Gillen über die Dank—
barkeit sagen. Wohl ist der Naturmensch nicht gewohnt, sich übermäßig dankbar
zu beweisen gegen Wohltaten, die er von den Weißen empfängt. Aber er verhält
sich auch so gegen seine Stammesgenossen. Es ist das leicht erklärlich. Er ist
stets gewohnt wegzugeben, was er besitzt, und erwartet nicht, daß der Empfänger
hm dafür den Dank ausdrücke; denn er weiß, daß dieser bei anderer Gelegenheit
geradeso gegen ihn handeln wird. Es kommt ihm nicht in den Sinn, daß
ein Ausdruck der Dankbarkeit notwendig ist?. „Daß er in Wirklichkeit des
Gefühles der Dankbarkeit unfähig sei, ist, soweit unsere Erfahrung
reicht, durchaus nicht wahr.“ Spencer und Gillen bemerken auch richtig,
alles in allem genommen hätten die Schwarzen keinen Grund zu besonderer
Dankbarkeit gegen die Weißen. Denn diese schränken ihnen ihre Nahrungsquellen
ein und verdrängen sie oft von den Wasserquellen und den besten Jagdgründen.
Obwohl die Weiber in strenger Unterordnung gehalten werden, ist doch
hre Behandlung keine schlechte. Freilich haben sie die meiste Arbeit zu ver⸗
richten, aber doch nicht alle, und die zu leistende Arbeit ist in der guten Jahres-
zeit nicht übermäßig; in der schlechten Jahreszeit leiden Männer und Weiber
n gleicher Weise, und von dem vorhandenen Vorrat erhalten die Weiber ihren
Anteil. Allerdingz, wenn ein Mann — nit Recht oder Unrecht — die Frau
für des Ehebruchs schuldig hält, dann behandelt er sie mit brutaler Strenge.
Gegen ihre Kinder sind die Eltern — mit seltenen Ausnahmen — gleichmäßig
dut und sorgsam. Auch die Männer tragen auf den Wanderungen manchmal
die kleinen Kinder, wenn die Frauen müde werden. „Daß alte und kranke
deute beseitigt werden, kommt nicht vor, im Gegenteil, solche werden mit be—
nderer Rücksicht behandelt, indem sie einen Anteil an der Nahrung erhalten,
ie sie sich selbst nicht mehr verschaffen können.“s
»Kindertötung kommt ohne Zweifel vor, aber mit seltenen Ausnahmen
din das Kind unmittelbar nach der Geburt getötet, und zwar nur dann, wenn
de Mutter unfähig ist oder unfähig zu sein glaubt, es aufzuziehen, weil schon
in Kind vorhanden ist, das sie noch stillt. Denn das Stillen wird bei ihnen
pehrere Jahre fortgesetzt.“ Zwillinge werden meist sofort nach der Geburt als
was Widernatürliches getötet. Worin der Grund dieser Abneigung gegen
Zwillinge liegt, ist noch zicht genau ermitlelt, jedenfalls spielt dabei der Aber—
Maube mit.
Wie alle Wilden lebt auch der Aranda sorglos in den Tag hinein, ohne
an die Zukunft zu denken, doch lauert in der Tiefe seines Gemütes steis eine
Ebd. 48. 2 VBgl. das, was wir oben II 164 ff gesagt haben.
Spencer and Gijölen sa. a. O. 51.
—21
4
324
Fünfter Teil. Australien und Ozeanien.
geheime Furcht, weil er nicht weiß, ob nicht etwa ein entfernter Medizinmann
ihn des Mordes durch Zauberei beschuldigt. Für gewöhnlich schlummert frei⸗
lich dieses Gefühl der Furcht, aber es wird leicht durch den geringsten Verdacht
geweckt. Trotzdem kann man sagen, daß er, solange er reichlich Nahrung hat,
zlücklich und zufrieden lebt. Er ist wie ein Kind, das leicht wieder alles Un⸗
angenehme vergißt.
In der sozialen Organisation weichen die Aranda ganz ab von der
früher geschilderten der Dieri und anderer südlicher Stämme. Die südliche Hälfte
der Aranda wird in vier Unterklassen eingeteilt, die nördliche in acht. Die
vier Unterklassen des südlichen Teiles sind die Panunga, Bulthara, Parula und
Kunara; die beiden ersten bilden die eine Hälfte des Stammes, die beiden
letzteren die andere. Das Ehesystem besteht nun in der Hauptsache darin, daß
ein Mann aus einer Gruppe stets eine Frau aus einer andern bestimmten Gruppe
heiraten muß und ihre Kinder zu einer dritten bestimmten Gruppe gehören.
So scheint bei den Aranda im Vergleich zu andern Stämmen die Ehe sehr ein⸗
geschränkt zu sein. Tatsächlich ist dem aber nicht so, weil diese durch die Totems
in der Wahl der Frau eingeschränkt werden, die Aranda aber nicht. Zwar
haben auch die Aranda ihre Totems, wie wir sehen werden, aber diese haben
lkeine Beziehung zur Eheschließung. Auch die Institution, die wir bei den Dieri
gefunden, daß manchmal mehrere Männer eheliche Rechte an derselben Frau
haben, ist bei den Aranda nicht vorhanden. Bei diesen ist in der Regel jede
Frau das ausschließliche Besitztum eines Mannes, doch kann er sie aus
freien Stücken gelegentlich andern Männern leihen. — Außerdem gibt es be—⸗
sondere Gelegenheiten, bei denen der Mann mit Frauen umgehen darf, mit
denen ihm sonst der geschlechtliche Verkehr streng untersagt ist. Wenn ein Mädchen
ins heiratsfähige Alter kommt (um das 14. oder 15. Jahr), wird es einem
Manne zugeteilt. Bevor es aber diesem übergeben wird, führen es einige
Männer, die in bestimmter verwandtschaftlicher Beziehung zu dem zukünftigen
Manne stehen, in den Wald, um an ihm eine Operation (incisio vulvae)
vorzunehmen, und nach derselben verkehren sie geschlechtlich mit ihm. Dann wird
das Mädchen geschmückt und dem Manne zugeführt, und jetzt ist sie seine aus⸗
schließliche Frau, der sich niemand mehr ohne seine besondere Erlaubnis nahen
darf!. Nur bei gewissen Gelegenheiten findet ein ziemlich regelloser Geschlechts⸗
derkehr statt, der aber den beteiligten Männern keinerlei Eherechte verleiht.
Spencer findet in diesen Gebräuchen einen Überrest früherer Promiskuität, aber
dieselben lassen sich auch anders erklären?.
Wir wenden uns jetzt zu den Einweihungszeremonien. Jeder austra—
lische Eingeborne muß unter normalen Umständen sich gewissen Einweihungs⸗
zeremonien unterziehen, bevor er zu den Geheimnissen des Stammes zugelassen
und als vollberechtigtes Stammesglied betrachtet wirds. Bei den Aranda
umfaßt die Einweihung (Mannweihe) vier Zeremonien. Die erste besteht im
Bemalen und „In die Luft werfen“ des Knaben. Das Zähneausschlagen
Spencer and Gillen, The native tribes usw. 92.
2 Bgl. hierüber die trefflichen Ausführungen bei Schmidt, Der Ursprung der
Gottesidee 181 -190.
s Spencer and Gillen sa. a. O. 212 ff.
2. Die Aranda und Loritja.
325
kommt dabei zuweilen vor, aber nicht wie bei den südaustralischen Stämmen
als ein Teil der Einweihungszeremonie, es scheint aber dieser Gebrauch früher
auch bei den Aranda religiöse Bedeutung gehabt zu haben und häufiger vor—
gekommen zu sein. — Das „In die Luft werfen“ findet statt, wenn der Knabe
zehn bis zwölf Jahre alt ist. Männer und Frauen versammeln fich in der
Rahe des Lagers, und die Knaben, die das genannte Alter erreicht haben, werden
einigemal von den Männern in die Luft geschleudert und beim Herabfallen auf⸗—
Jdefangen, während die Weiber tanzen. Dann wird der Knabe auf Brust und
Rücken mit rotem und gelbem Ocker bemalt, und zwar von Männern, die zu
den Knaben in der Beziehung eines Umbirna stehen, d. h. eines Bruders einer
Frau, die der Knabe heiraten kann. Die Malereien haben keine notwendige
Beziehung zum Totem. Die zweite Einweihungszeremonie ist die Beschneidung
oder Lorina und findet erst statt, wenn der Knabe zur Pubertät gelangt ist.
Es werden wieder Tänze aufgeführt, der Knabe wird auf den Zeremonienplatz
zebracht in einiger Entfernung vom Lager, so daß die Frauen nichts von dem
sehen können, was vorgeht. Der Knabe wird dann bemalt; er erhält auch Be—
lehrung darüber, daß er nie den Frauen die Geheimnisse, die er erfahren werde,
mitteilen dürfe, sonst würden er und seine nächsten Verwandten sicher sterben;
ferner daß er unbedingt bei allen Zeremonien gehorchen müsse, daß er nur
sprechen dürfe, wenn er gefragt werde, und nur so kurz als möglich; daß er
nichts von dem sehen dürfe, was auf dem Zeremonienplatz vor sich gehe; sollte er
sich dagegen verfehlen, werde ihm ein großes Unglück zustoßen. Twanyikira, der
große Geist, dessen Stimme er in dem Klang der Schwirrhölzer (Bull-roarer)
vernommen, werde ihn holen. Auch darüber wird er durch Symbole belehrt,
daß er fich nicht mit Frauen anderer abgeben solle. Er bleibt dann mehrere
Tage von den andern getrennt in tiefem Schweigen. Einige Tage später wird
mit einem Steinmesser die Operation der Beschneidung vorgenommen. Nach
derselben kommt als dritte Einweihungszeremonie das Kopfbeißen, indem einige
Männer den Initianden ein- bis dreimal am Kopf beißen müssen, bis reichlich
Blut fließt. Endlich folgt mehrere Wochen später die Subincision, die in einem
tiefen Einschnitt in den Penis besteht. Der eigentliche Grund dieser Operation
ist nicht bekannt!. Die Eingebornen glauben, daß das Kind nicht die direkte
Wirkung des Geschlechtsverkehrs sei; dieser bereitet nach ihnen bloß die Mutter
dor für den Empfang und die Geburt eines schon gebildeten Kindesgeistes, der
an einem von den lokalen Totemzentren wohnt. — Auch bei den Frauen kommen
Einweihungsformen vor, die ein Äquivalent zu denen der Männer sind. Eine
Form besteht darin, daß die Brüste des Mädchens mit Fett und Ocker ein—
gerieben werden; die zweite in der Offnung der Vagina.
Die Engwura ist der Abschluß der Einweihungszeremonien. Sie hat den
Zweck, die alten Traditionen einzuschärfen und zu erhalten. Es werden Tänze
veranstaltet. Dann trennen sich die Männer von den Weibern und leben auf
dem Engwuraplatz, wo die Zeremonien stattfinden, und zwar Tag und Nacht,
oft wochenlang. Diese Zeremonien dauern, bis die einzuweihenden Männer als
Novizen einem bestimmten alten Mann übergeben worden sind, der ihr Lehr—⸗
—
ͤEbd. 264.
326
Fünfter Teil. Ausftralien und Ozeanien.
meister wird. Hierbei kommt auch die Feuerzeremonie vor, bei der sich der
Einzuweihende einige Minuten auf einen Haufen Holzzweige legen muß, unter
denen ein schwaches Feuer brennt. Alle Feierlichkeiten zusammen dauern oft
monatelang.
Religiöse Anschauungen. Daß die Aranda nicht religionslos und
ohne Gottesglauben sind, hat, wie uns scheint, der Missionär Strehlow gegen
Spencer und Gillen überzeugend nachgewiesen. Nach der Überlieferung der
Aranda gibt es ein höchstes gutes Wesen, Altjira, das ewig ist und
als großer, starker Mann mit roter Hautfarbe und langem, hellem, bis auf die
Schultern herabwallendem Haar vorgestellt wird. Altjira hat Emufüße, ist mit
Stirnband, Armband und Halsschmuck geziert und trägt an einem Haargürtel
eine Schamhülle. Er hat viele Frauen mit Hundebeinen, ferner viele Söhne
und Töchter, von denen erstere Emufüße, letztere Hundebeine haben. In seiner
Umgebung befinden sich schöne junge Männer und Mädchen. Seine Wohnung
ist der Himmel, der von Ewigkeit her gewesen ist und den sich die Eingebornen
als ein Festland vorstellen. Die Milchstraße ist ein großer Fluß. Hohe Bäume,
nie versiegende süße Wasserquellen, wohlschmeckende Beeren und Früchte, Schwärme
von Vögeln, zahlreiche Känguruhs usw. finden sich hier. Altjira beschäftigt sich
mit Jagen, während die Weiber eßbare Wurzeln und Früchte sammeln, die
stets im Überfluß vorhanden sind. Die Sterne (mit Ausnahme einiger Stern⸗
bilder, welche als zum Himmel aufgestiegene Totemgötter angesehen werden),
sind die Lagerfeuer Altjiras1.
Altjira ist der gute Gott der Aranda, der nicht bloß den Männern, sondern
auch den Weibern bekannt ist. Sein Herrschaftsgebiet erstreckt sich jedoch nur
auf den Himmel?. Die Menschen hat er nicht erschaffen und er kümmert sich
auch nicht um ihr Ergehen. Die Aranda haben weder Furcht vor ihm noch
Liebe zu ihm; ihre einzige Befürchtung ist, daß eines Tages der Himmel ein—
fallen und sie alle erschlagen köͤnne. Der Himmel ruht auf steinernen Beinen
(Pfeilern). Über die sprachliche Ableitung des Wortes Altjiras ist man nicht
im klaren. Die Eingebornen verbinden mit dem Wort den Begriff des Nicht⸗
gewordenen, Anfanglosen.
Die Erde, die ebenfalls ewig ist, wurde zuerst vom Meere bedeckt. Aus
dem Wasser ragten einige Berge hervor, auf denen einzelne mit göttlichen Kräften
ausgestattete Wesen (Altjirangamitjina) lebten; diese werden auch als die Un⸗
1Mythen, Sagen und Märchen des Arandastammes in Zentralaustralien. Gesammelt
oon C. Strehlow, bearbeitet von M. Freih. v. Leonhardi, Frankfurt a. M.
1907, 1 -2.
Schon der Missionär Kempe berichtet im Jahre 1881 (vgl. Allgemeine Missions⸗
zeitschrift 1887, 484) über die Eingebornen Mittelaustraliens (gemeint find wohl die
Aranda), daß sie „an ein böses Wesen ‚Vanjakuna' glauben, welches alles Übel ver⸗
urfache, und an ein gutes, ‚ Alxira, welches Himmel und Erde erschaffen
habe, nun aber still im Himmel sitze“. „Der Sternenhimmel ist der Lagerplatz Alxiras
(Gottes).“ Von den Eingebornen am Kilalpaninasee und Cooper Creek sagi derselbe
Missionär: Sie haben eine Sage von zwei höchsten Wesen, dem guten Schöpfer
Muramura und dem bösen Kutji, beten sie aber nicht an und verehren sie nicht mit
Opfern. Auch glauben sie an eine Fortdauer der Seele.
s Spencer und Gillen schreiben Alchira.
2. Die Aranda und Loritja.
327
slerblichen bezeichnet. Sie werden, wohl ihrer Gestalt wegen, Känguruhmänner
der Entenmaͤnner genannt. Da sie auf der Erde keine Nahrung fanden, stiegen
sie wiederholt zum Himmel hinauf, um im Reiche Altjiras zu jagen, und kehrten
mit Beute beladen nach dem Berg Eralera zurück. Am Abhang dieses Berges
befanden sich viele unentwickelte Menschen, Rella manerinja genannt, weil ihre
Glieder zusammengewachsen waren; außerdem waren diese hilflosen Wesen in
Menschengestalt aneinandergewachsen. Sie zerfielen in vier Klassen: Purula,
Kamara, Rgala und Mbitjana, die, weil sie auf dem Land wohnten, Alarinja
genannt wurden. Andere unentwickelte Menschen lebten im Wasser und hießen
Kwatjarinja, Wasserbewohner; sie wurden ebenfalls in vier Klassen eingeteilt:
Pananka, Paltara, Knuraia und Bangata.
Als Altjira später den Altjirangamitjina verbot, in seinem Reich zu jagen,
schlug einer von ihnen mit dem Siock auf das Wasser und befahl ihm, fort—
zugehen, worauf sich das Wasser nach Norden zurückzog und das Festland zum
Vorschein kam. Gegen das Verbot Altjiras stiegen einige Altjirangamitjina,
die Wetoppetoppa, zum Himmel hinauf, um dort zu jagen, worauf auf Gottes
Geheiß der Berg Eralera in den Boden versank, so daß den Wetoppetoppa der
Rückweg abgeschnitten wurde und sie gezwungen waren, dort oben zu bleiben,
wo sie jetzt als Sterne ein ewiges Dasein führen. Als sich das Wasser von
dem Festland verlaufen hatte, kamen überall aus der Erde die Altjirangamitjina
zum Vorschein, die bisher in Höhlen gewohnt hatten. Diese traten meist in
Menschengestalt auf, doch waren sie mit übermenschlichen Kräften ausgestattet
und besaßen die Fäahigkeit, die Tiere hervorzubringen, deren Namen sie führten,
so daß man sie als Totemgötter bezeichnen kann. Bei allen Totemgöttern treten
die charakteristischen Eigenschaften des betreffenden Tieres auf. Der Känguruh—
totemgott frißt Gras wie ein Känguruh, die Emumänner laufen in Gestalt
don Emus umher usw. Diesen Totemgöttern gehören gewisse Plätze zu eigen,
vo fie gelebt und ihre Totemtiere hervorgebracht haben. Einige dieser
Totemgötier blieben an ihren angestammten Wohnsitzen, andere machten weite
Reisen und führten auf denselben junge Männer mit sich, welche sie in die
eheimnisse der Männer einweihten und die Vermehrung ihres Totems lehrten.
kKinige Totemgötter gingen nach Ablauf ihrer Wirksamkeit auf Erden in die
Erde, wo ihre Leiber in Bäume oder Felsen verwandelt wurden. Ein solcher
Baum oder Felsen ist unverletzlich. Wer einen davon umhieb oder beschädigte,
wurde in früheren Zeiten mit dem Tode bestraft. Die Seelen der Totemgötter
lingen in die Erde, dort leben sie mit einem roten Leibe in Höhlen, die sie
während der Nacht verlassen, um ihre früheren Leiber, nämlich die Tjurunga—
Jölzer oder Tjurungasteine!, in die Hand zu nehmen und zu betrachten, oder
quch um Wild zu holen.
Die Rella manerinja (zusammengewachsene Menschen) lebten längere Zeit,
nachdem die Erde trocken geworden war, in ihrer hilflosen Lage weiter, bis der
S Speneer und Gillen sagen Churinga statt Tjurunga. Diese Churinga (bull-rosrers,
Schwirrhölzer) bestehen aus einem länglich-flachen Holzbrett oder einer důnnen Stein—
latte, die an einem Strick im Kreise geschwungen, ein schwirrendes, unheimliches Ge—
no erzeugen; dieses Geräusch gilt als die Stimme des Gottes, der die Stammesgesetze
eben
Totemgott einer fliegenden Eidechsenart ihr Los verbesserte, indem er zuerst die
einzelnen Wesen voneinander trennte, ihnen Augen und Ohren öffnete, Finger
und Zehen machte und sie dann beschnitt. Darauf zeigte er ihnen, wie sie
Feuer machen, ihre Nahrung bereiten sollten, gab ihnen die Waffen und jedem
eine Tjurunga. Er schärfte ihnen ein, an der Beschneidung festzuhalten, und gab
ihnen eine Heiratsordnung. Nach seiner Anordnung sollten die zwei Gruppen,
die schon am Anfang geschieden waren, in folgender Weise ineinander heiraten.
J. Landbewohner II. Wasserbewohner
Purula sollten heiraten Pananka
Kamara F Paltara
Rgala , Knuraia
Mbitjana Bangata
und umgekehrt. Darauf teilte er das Gebiet der Aranda unter die verschiedenen
Klassen aus und kehrte nach Norden zurück. An den die nördliche Küste Austra⸗
liens bewohnenden Stämmen vollzog er die Beschneidung nicht, daher kennen
sie dieselbe dort nicht.
Die Aranda kennen auch böse Wesen, die sich in einer ungeheuern Höhle
im Innern der Erde befinden und von dort die Erde besuchen, um den Menschen
zu schaden. Einige sehen wie Hunde aus, haben aber Menschenhände und
Känguruhbeine usw., andere fliegen als Vogel umher. Den bösen Geistern werden
namentlich auch die Wirbel- und Sturmwinde zugeschrieben i.
Im fernen Norden liegt im Meere die Toteninsel oder der Geisterplatz. Hier
wohnen die Geister der Verstorbenen?, die man sich als leichte, weiße
Gestalten denkt; sie nähren sich von Eidechsen, Ratten, Schlangen und rohen
Vogeleiern. Nachts tanzen sie, tagsüber schlafen sie. Nachdem ein Mensch
gestorben, hält sich sein Geist für einige Zeit in der Nähe des Grabes auf;
wenn jedoch die Totenfeier an seinem Grabe stattgefunden hat, geht derselbe
nach der Toteninsel und bleibt dort zunächst, bis es auf Erden geregnet hat.
Darauf wandert der Geist nach Süden, da er sich sehnt, seine Heimat wieder⸗
zusehen. Auf dieser Wanderung erblickt er einen Ilumba (eine Art Eukalyptus)
mit weißer Rinde, vor der er erschrocken zurückweicht; auf einem andern Weg
jedoch gelangt er zu seinen lebenden Verwandten und spricht zu ihnen: „Seid
vorsichtig, damit ihr nicht werdet wie ich“, d. h. daß euch nicht dasselbe Geschick
treffe, das mich betroffen hats. Hat der Verstorbene einen oder mehrere Söhne
auf der Erde zurückgelassen, so stellt sich der Geist hinter dieselben, erfaßt ihre
Schultern und geht nacheinander in ihren Körper ein, wodurch das Wachstum
befördert wird. Sind die Söhne schon erwachsen und haben Kinder, so geht
der Geist in die Enkel ein. Diese Inwohnung der Geister in den Kindern
328 Fünfter Teil. Australien und Ozeanien.
Strehlow-Leonhardi, Mythen usw. der Aranda 13.
Itana heißt der endgültig vom Leib losgelöste Geist, während Guruna die Seele
bedeutet, die noch mit dem Körper in Verbindung steht. Im Traum verläßt die Guruna
den Leib, kehrt aber im Erwachen zurück.
Diese Warnung ist nicht recht verständlich, da doch keine Vorsicht den Tod hindern
kann. Sollte damit nicht doch angedeutet sein, daß es im Jenseits nicht allen gleich gut
geht und das Los vom Verhalten der Menschen abhängt?
2
2. Die Aranda und Loritja. 329
oder Enkeln kann ein bis zwei Jahre dauern, aber auch kürzer. Darauf kehrt
der Itana zurück zur Toteninsel und wartet auf Regen und geht mit den
Geistern seiner verstorbenen Freunde auf die Jagd; dann besucht er noch einmal
seine lebenden Verwandten und wird bei der Rückkehr während eines Gewitters
don einem Blitzstrahl vernichtet. „Damit ist der Seele ein definitives Ende be—
reitet.“ Doch fügt Strehlow hinzu: „Neben der Vorstellung, daß die Itana
nach Laia (dem Meer) gehen und dort schließlich vernichtet werden, findet sich
noch eine andere Anschauung, wonach die Seelen der ‚guten‘ Menschen zu Alt—
lira in den Himmel gehen und dort immer bleiben, während die Geister der
bösen. Menschen nach dem Wohnsitz der Atua ntijikantja (Giftdrüsenmänner)
kommen und von diesen verzehrt werden.“
Nach dieser letzteren Anschauung würde sich Altjira doch irgendwie um das
Verhalten der Menschen kümmern, da nur diejenigen in sein Reich kommen,
die „gut“ gewesen sind, während die andern nach verschiedenen Zwischenfällen
m Totenreich vernichtet würden. In einem Lesestück der Arandasprache, das
W. Planert in der „Zeitschrift für Ethnologierz auf Grund der Angaben des
Missionärs Wettengel mitteilt, heißt es: „Wenn ein Mensch stirbt, geht seine
Seele nach Norden. Sie möchte auf dem sehr hohen Berg Merina sein und
bon dort zum Himmel hinaufgehen. Der Gott möchte einen Baum herabreichen.
Diesen soll der Mensch erfassen und als Steg benutzen; die, welche ihrem
Wunsche gemäß zum Himmel hineingegangen sind, sammeln dort süße
Früchte. Da ist eine schöne und gerade Bucht (creek), süßes Wasser, viele
und gute Frucht und ein schönes Lager, Gottes Lager. ... Droben im Lager
stirbt man nicht. Der Gott nimmt auch die Menschen zu sich. Ein Alter hat
derkündigt: Wenn ein Mensch stirbt, nimmt Gott die Seele zu sich, während der
Leib immer im Grabe bleibt. — Ein anderer Alter verkündigte: Des Teufels
Lager heißt Tatara. Es ist im Innern der Erde und voll von Teufeln.“ —
In einer Klammer fügt Planert zum Worte „Gott“ bei (nämlich Meoara, d. h.
Himmelsstraße), wir wissen nicht, mit welchem Recht. Sicher ist, daß Gott als
ein persönliches Wesen gedacht wird.
Wir haben schon oben von den Totemvorfahren gesprochen, die nach den
Aranda einft auf Erden lebten. Einer von ihnen (Magarkunjerkunja) brachte
die in unbollkommener Gestalt lebenden Menschen in ihre jetzige Form. Viele
bon diesen Vorfahren wanderten einst auf Erden herum. Von jedem derselben
nimmt man an, daß er mit einem Tier, einer Pflanze oder einem sonstigen
Naturobjelt in inniger Beziehung gestanden habe. Einige dieser Altjiranga—
mitjina sollen geradezu als Tiere aufgetreten sein, andere vorübergehend Tier—
gestalt angenommen haben; alle aber bewirkten durch Aufführung bestimmter
Zeremonien die Vermehrung der betreffenden Tiere und Pflanzen.
Nachdem diese Vorfahren, Männer und Weiber, ihre Wanderungen auf
Sden vollendet hatten, kehrten sie in die unterirdischen Höhlen, woher sie ge—
ommen waren, zurück und leben dort noch als Rella ngantja weiter. Ihre
Leiber aber verwandelten sich in Felsen, Bäume, Sträucher. Von einzelnen
——
Strehlow-Leonhardisa. a. O. 16.
XXXIX (I907) 564;: Australische Forschungen.
330 Fünfter Teil. Australien und Ozeanien.
Altjirangamitjina nimmt man an, daß sie in irgend ein Wasserloch usw. ein⸗
gegangen seien und dort noch jetzt sich befinden. In diesen die verwandelten
Leiber der Vorfahren darstellenden Felsen und Bäumen, namentlich in den
Mistelzweigen, die auf solchen Bäumen wachsen, doch auch an andern Orten,
leben Kinderkeime, ungeborne Kinder, Ratapa. Aber nicht bloß der ganze
Körper, sondern auch einzelne Körperteile der Altjirangamitjina sind Tjurunga
in Steine oder Hölzer verwandelte Körper oder Körperteile) geworden; so hat
z. B. ein Adlertotemvorfahre eine lange Feder verloren, dieselbe ist Tjurun⸗
geraka und bildet jetzt ein besonderes Totem. Oder aber der Körper einer
Altjirangamitjinafrau hat sich in einen Tnimastrauch verwandelt, aus dem ein
Saft geflossen und an der Rinde erstarrt ist; dieser Saft bildet das Totem
Tnimamba. Dahin gehört auch das Totem des Känguruhfettes. Sehr viele
Altjirangamitjina verwandelten sich auch in Tjurunga, die jetzt in den heiligen
Steinhöhlen aufbewahrt werden. Aus allen diesen Tjurunga gehen Ratapa
aus; diese sind vollkommen ausgebildete Knaben und Mädchen. Die gewöhn⸗
sichen Sterblichen können sie nicht sehen, wohl aber die Zauberer. Je nachdem
nun der betreffende Altjirangamitjina, aus dessen verwandeltem Leib ein Ratapa
ausgeht, zu einem bestimmten Naturobjekt in Beziehung gestanden hat, steht auch
der Ratapa zu diesem Naturobjekt in Beziehung. In dem Gummibaum z. B.,
in den sich der Leib eines Ara (Känguruh) »vorfahren verwandelt hat, hält
sich ein Ara-ratapa auf. In einzelnen Fällen stehen die Altjirangamitjina nicht
nit einem Naturobjekt in Verbindung, sondern man bezeichnet sie selbst als
Totems 1.
Die Aranda kennen, wie es scheint, die Bedeutung der geschlechtlichen Zeugung
durch den Mann nicht. Nach Spencer und Gillen sehen sie die Cohabitatio nur
als eine Art Vorbereitung auf die Empfängnis an. Strehlow konnte diese Auf—
fassung nicht feststellen. Zwar wissen heute die alten Männer, daß die Cohabitatio
als Grund der Konzeption anzusehen sei, sagen aber davon den jungen Männern
und Frauen nichts. Diese betrachten die geschlechtliche Cohabitatio nur als ein
Vergnügen?. Die Entstehung der Menschenkinder denken sie sich auf folgende
Weise. Geht eine Frau an einem Platz vorbei, an dem der verwandelte Leib
eines Vorfahren steht, so geht ein Ratapa, der schon nach ihr geschaut und in
ihr seine Klassenmutter erkannt hat, durch ihre Hüfte in ihren Leib ein, wodurch
Übelkeit und Schmerzen entstehen. Wird das Kind dann geboren, so gehört
es dem Totem des betreffenden Altjirangamitjina an. Da nun die Schwarzen
sehr oft ihr Lager ändern, so geschieht es in der Regel, daß die Kinder einer
Familie den verschiedensten Totems angehören. In seltenen Fällen ist das
Totem einer Person strittig.
Eine andere Art der Kindererzeugung besteht darin, daß ein bestimmter
Altjirangamitjina — der in diesem Fall als Ininguka des betreffenden Kindes
bezeichnet wrrd — an dem Platz, wo er vor Zeiten in die Erde eingegangen
uStrehlow-Leonhardi, Die Arandas und Loritjastämme II (1908) 531-62.
Wenn diese Auffassung wirklich besteht, so durften auch die geschlechtlichen Aus⸗
schweifungen, die bei gewissen Gelegenheiten gestattet werden, in etwa milder zu be⸗
urteilen sein.
2. Die Aranda und Loritja. 331
var, hervorkommt und eine vorübergehende Frau, die natürlich seine Klassen—
mutter sein muß, mit einem kleinen Schwirrholz, Namatuna, an die Hüfte wirft.
Die Namatuna dringt in den Körper der Frau ein und nimmt dort menschliche
Bestalt an, während der Ininguka wieder in der Erde verschwindet1.
Beide oben beschriebenen Arten der Kinderentstehung sollen gleich häufig
sein. An dem schmalen oder breiten Gesicht des Kindes erkennt man, auf
welche Art es entstanden sei. Durch bloßes Anblicken eines Totemtieres oder
iner Totempflanze findet keine Empfängnis statt. Die von Spencer und Gillen
ür die Aranda mit großer Bestimmtheit angegebene Anschauung, wonach alle
Kinder Reinkarnationen der Seelen der Totemvorfahren seien und diese Seelen
mmer wieder geboren werden, hat Strehlow trotz eifriger Nachforschung nicht
inden können. Ein solcher Glaube stünde auch vollkommen im Widerspruch
mit den Anschauungen, nach denen die Seelen der Menschen nach dem Tode
quf die Toteninsel gehen und die Altjirangamitjina noch jetzt unter der Erde
weiterleben.
Gehört nach dem Gesagten jedes Individuum notwendig einem bestimmten
Totem an, das er sein Ratapa nennt und das nicht von den Eltern geerbt
wird, so ist außerdem mit jedem Individuum ein anderes bestimmtes Totem
erbunden, das Altjira genannt wird; es ist dies das Totem der Mutter,
das ein jeder Eingeborne als sein ihm zugehöriges Tier resp. Pflanze ansieht
ind deshalb Garra altjira oder Deba altjira nennt. Der Genuß dieses mütter—
ichen Totems ist bei den Aranda erlaubt. Es ist allen Kindern derselben
Nutter gemeinsam und kann als ihr Ernährer und Schutzgott angesehen werden.
dieser Altjira erscheint den Schwarzen im Traum und läßt ihnen Warnungen
ugehen, wie er auch ihren Freunden im Schlaf Mitteilungen über sie bringt?.
Das eigentliche Totem, dem der Schwarze seine Geburt verdankt, sieht er als
einen älteren Bruder an, und es wird ihm die schonendste Behandlung des—
elben zur Pflicht gemacht. Ein Mann, der zum Totem des Känguruhs gehört,
arf dasselbe nicht brutal auf die Nase schlagen, sondern darf ihm nur Schläge
auf das Genick versetzen. Er darf es also töten, aber mit möglichster Schonung.
Von dem erlegten Tier darf er nur den Kopf, die Füße und die Leber ver⸗
ehren, das übrige Fleisch muß er seinen Freunden geben. Manche andere
diere und Vögel dagegen sind den Mitgliedern des betreffenden Totems ganz
derboten. Ein dem Moskitototem Angehörender darf diese Insekten, auch wenn
ie ihn noch so sehr plagen, nicht töten, sondern nur mit der Hand verscheuchen.
Jeder Mann hat auch die Pflicht, für das Gedeihen und die Vermehrung seines
Totems Sorge zu tragen und sich zu dem Zweck an bestimmten Zeremonien
ju beteiligen? Da nach den Sagen der Aranda die totemistischen Speisegesetze
Strehlow-Leonhardisa. a. O. 533. 2 Ebd. 57.
d Diese Pflicht, zur Vermehrung des Totems beizutragen, kann sich wohl nur auf
ie nütz lichen Tiere und Pflanzen begiehen. Nun sind aͤber manche Totem schädliche
Ziere, die sür die Nahrung gar nicht in Betracht kommen, wie die Moslitos, die
Sumpfe und Landfliegen usw. Ja es gibt Totems, bei denen überhaupt von einer Ver—
nehrung keine Rede sein kann, wie z. B. das Sonnens und Mondtotem. Schon Klaatsch
at dieß Einwendung in einem Gespräche mit Gillen erhoben (vgl. Zeitschrift für Ethno⸗
ogie XXXIX fFio9oq 640.
332
Fuünfter Teil. Australien und Ozeanien.
in der Urzeit nicht bestanden haben, so läßt sich fragen, wie sie entstanden seien.
Strehlow meint, der eigentliche Grund dieser Speiseverbote sei die Selbstsucht
der Alten, die das Beste sich vorbehalten wollten, denn die Alten machen sich
keine Skrupel daraus, von ihrem Totemtiere nach Lust zu essen!.
Die gewöhnlichste Art und Weise, wie eine Ehe bei den Aranda zustande
kommt, ist die Übereinkunft zwischen den Vätern der Brautleute. Diese sind
zur Zeit der Verlobung gewöhnlich noch Kinder und werden dann in das
Frauenlager genommen, wo jede Mutter das Kind der andern mit Fett und
Ocker einreibt; zugleich werden einige Haare dem Mädchen abgeschnilten und
dem Knaben gegeben, um anzudeuten, daß das Mädchen, groß geworden, ihm
mit ihren eigenen Haaren den Haargürtel besorgen muß. Natürlich wird diese
Vereinbarung nur getroffen, wenn die Kinder verschiedenen Klassen angehören,
die untereinander heiraten dürfen. Nicht selten werden die Töchter einer Frau
Brüdern zugeteilt, so daß der älteste Bruder die älteste Tochter, der zweitältesie
Bruder die zweitälteste Tochter erhält. Eine andere Art, zu einer Frau zu
kommen, ist Frauenraub und das Entlaufen. Die Eingebornen gebrauchen auch
diebeszauber, um die Frauen anderer an sich zu ziehen. Wenn ein Mann auf
solche Weise die Frau eines andern erhält und dieser will solche Einmischung
nicht dulden, so kommt es zum Kampf. Beim Weglaufen setzt sich natürlich
das Weib großer Gefahr aus, denn wenn sie erwischt wird, so wird sie streng
gestraft oder gar getötet. — Die jungen Männer haben meist nur eine Frau.
Begräbnis. Bei den Aranda wird die Leiche in sitzender Stellung be⸗
erdigt, so daß die Knie das Kinn berühren. Das Grab ist ein rundes Loch.
Direkt auf die Leiche wird Erde geschüttet, so daß ein Grabhügel entsteht. Bei
den östlichen Aranda wird zuweilen ein kleines hölzernes Gefäß, in dem man
im Lager kleine Gegenstände aufbewahrte, dem Toten ins Grab mitgegeben;
sonst scheint es nicht Sitte zu sein, mit dem Toten Gegenstände zu begraben,
die er im Leben gebraucht hat. Gleich nach dem Begräbnis wird das Stand⸗
lager, in dem der Todesfall sich ereignete, niedergebrannt und alles, was darin
ist, zerstört und das Lager an eine andere Stelle verlegt. Bei den Warra—
nunga wird der Leichnam zuerst auf ein aus Baumzweigen errichtetes Gerüst
an einen Baum gelegt, bis das Fleisch verschwunden ist. Dann werden die
Gebeine vergraben. Die Aranda vermeiden nicht unbedingt die Erwähnung
des Toten. Zur Zeit der Trauer um einen Mann, die mehr als ein Jahr
dauert, darf der Name des Verstorbenen nicht genannt werden, außer im Fall
unbedingter Not, und dann muß es leise und flüsternd geschehen, damit der
Geist des Toten nicht gestört und geärgert werde. Etwa 12 oder 18 Monate
nach dem Begräbnis eilen alle Verwandten und Freunde des Verstorbenen zum
Grabe und lärmen dabei, vielleicht um den Geist des Toten zu erschrecken und
ihn ins Grab zurückzutreiben. Der Führer des Zuges springt unter lautem
Geschrei auf das Grab, in das der Geist geflohen ist, tanzt darauf, die andern
folgen seinem Beispiele, stampfen auf dem Grab und zerbrechen Zweige auf
demselben. Dann zieht man sich vom Grabe zurück, dies wird gereinigt, und
nun kommen die nächsten Verwandten, schlagen und zerschneiden sich den Kopf⸗
Strehlow-Leonhardi, Die Aranda- und Loritjiastämme II 59.
2. Die Aranda⸗ und Loritja.
333
d daß Blut auf das Grab fließt. Schließlich werfen sich alle für einige
Minuten auf das Grabn.
Wir haben bisher nur von den Aranda gesprochen; was wir aber von ihnen
esagt haben, gilt in gleicher Weise von den Loritja; denn sowohl Spencer
und Gillen als Strehlow versichern, daß die beiden Völker in allem Wesent-
lichen vollkommen übereinstimmen, nur reden sie eine ganz verschiedene Sprache.
Die Loritja nennen das höchste Wesen Tukura. Tukura ist ewig und
unerschaffen, er ist ein Mann mit langen Haaren und großem Bart; er hat
aur eine Frau und ein Kind, das immer Kind bleibt; er wohnt im Himmel.
Auch die Totemvorfahren der Urzeit, die Toteninsel usw. kehren bei den
Loritja wieder.
Tukura ist wie der Altjira der Aranda allen, auch den Weibern und Kindern,
bekannt. Aus diesem Umstand könnte man, da die heiligen Sagen weder
Weibern noch Kindern bekannt sind und gewisse Fabeln und Märchen nur für
die Uneingeweihten erzählt werden, vermuten, daß die alten Männer selbst nicht
an die reale Existenz des Altjira oder Tukura glauben. Auf diese Schwierig—
leit antwortet Strehlow: „Um mir darüber Klarheit zu verschaffen, habe ich
die alten Männer der beiden Stämme genau befragt; dieselben versicherten mir
ber bestimmt, daß sie selbst an die Realität des höchsten Wesens glaubten und
den jungen Männern die darauf bezüglichen Vorstellungen als wahre über—⸗
lieferien. Sie blieben bei dieser Behauptung, obwohl ich ihnen sagte, es wäre
mir lieber, einen Irrtum zu berichtigen und die Wahrheit zu erfahren, als
dalsches schreiben zu müssen. Wenn ich also auch als gewiß annehmen muß,
daß die Aranda und Loritja an ein höchstes Wesen im Himmel glauben und
diesen Glauben schon hatten, ehe sie mit den Weißen in Berührung kamen, so
ist es doch keine Frage, daß die betreffenden Traditionen für die Eingebornen
bei weitem nicht die Wichtigkeit haben wie die Legende von den Totem—
vorfahren.“
Merkwürdig ist die Tatsache, daß die im Süden wohnenden Loritja bis
auf den heutigen Tag keine Heiratsklassen haben. — Nach Spencer und Gillens
gibt es klare Beweise dafür, daß die Zentralaustralier in einer früheren Periode
dem Kannibalismus huldigten. Bei den Loritja werden noch heute die Feinde
berzehrt. Sie zerstören auch die Knochen, da sie glauben, daß sonst die Er—
hlagenen, wenn die Gebeine zusammenkommen, wieder auferstehen und die—
enigen schädigen, von denen sie getötet wurden.
J.Wir könnten uns jetzt noch den nördlich von den Aranda wohnenden
Stämmen Zentralaustraliens zuwenden: den Warramunga, Walpari, Kaitisch,
Sibinga, Umbaia usw. Wir übergehen dieselben aus einem doppelten Grund.
Vor allem gleichen sie in den meisten Sitten und Anschauungen den schon ge—
schilderten Stämmen, so daß wir vieles von dem Gesagten wiederholen müßten.
Sodann liegen uns über diese Stämme nur die Schilderungen Spencers und
Hillens vor, die mit Vorsicht aufzunehmen sind. So behaupten sie, auch bei
diesen Stämmen wie bei den Arauda ven Glauben an eine stetige Reinkarnation
— —
Spencer and Gillen, The native tribes usw. 503.
Strehlow-Leonhardi a. a. O.2 A.2. s A. a. O. 473.
334
Fünfter Teil. Australien und Ozeanien.
der mythischen Vorfahren gefunden zu haben u. dgl., Annahmen, deren
Unhaltbarkeit Strehlow für die Aranda überzeugend nachgewiesen hat. Als
Professor Klaatsch den Niol-Niol an der Beaglebai die Photographien in
den Werken Spencers und Gillens zeigte, betrachteten sie dieselben mit kindlicher
Neugierde; als man sie aber fragte, ob sie auch derartiges hätten, schüttelten
sie meist den Kopf und meinten, das sei nur der gewöhnliche Korrobori. „Wenn
vir ihnen klar zu machen suchten, daß es sich dabei um etwas ganz Beson⸗
deres, Heiliges handle, so lachten sie ungläubig und gaben ihrer Meinung Aus⸗
druck, daß wohl ihre schwarzen Brüder den Weißen etwas vorgemacht hätten
um gute Bezahlung. Selbstverständlich taten sie darin ihren schwarzen Brüdern
inrecht, „aber es kann nicht genügend immer wieder zu größter Vorsicht ge⸗
nahnt werden beim Ausfragen der Schwarzen“. ... „Zum Lügen find die
Fingebornen sehr geneigt, obwohl sie äußerst selten stehlen. ... Es liegt mir
sern, zu behaupten, daß Spencer und Gillen häufig von den Schwarzen hinein⸗
gelegt worden seien, aber ich halte unbedingt etwas Vorsicht bei der
Verwertung der Resultate derselben für geboten..., die un—
bedingte Annahme aller Angaben und Schlüsse jener Werke, auf denen sogleich
neue Spekulationen aufgebaut werden, kann ich nicht billigen.“*
3. Die Tasmanier.
Die Insel Tasmanien ist heute ausschließlich von Weißen bewohnt; die Ur⸗
einwohner, deren Zahl im Jahre 1804 auf etwa 8000 geschätzt wurde, sind
vollständig verschwunden. Im Jahre 1804 wurde von den englischen An—
siedlern eine Anzahl Männer, Frauen und Kinder, die mit allen Zeichen der
Freundschaft auf sie zukamen, niedergeschossen. Ob aus plötzlichem Schrecken?
Nun begann ein gegenseitiger Vernichtungskrieg, in dem natürlich die Ein⸗
gebornen den besseren Mordwaffen der Europäer unterlagen. Im Jahre 18385
waren nur noch einige hundert Tasmanier übrig, die sich bedingungslos er—
geben mußten und nach der Insel Flinders gebracht wurden. Hier dezimierten
Krankheiten aller Art die Ärmsten in schrecklicher Weise. Im Jahre 1846
waren sie auf etwas über 40 Individuen zusammengeschmolzen und wurden
nun wieder nach Tasmanien in die Nähe von Hobart gebracht. Aber nichts
bermochte ihren Untergang aufzuhalten. Im Jahre 1869 starb der letzte Tas⸗
manier und im Jahre 1876 zu London die letzte Tasmanierin (Lalla Rookh).
In 70 Jahren also hat die moderne „Kultur“ an diesem beklagenswerten Volke
ihre Vernichtungsarbeit vollbracht.
Lange fürchtete man, fast alle Nachrichten über die verschwundenen Tas⸗
manier seien verloren gegangen. Dem ist glücklicherweise nicht so. Wir besitzen
sogar viele Berichte von solchen, die kürzere oder längere Zeit mit ihnen ver—
kehrten. Leider scheinen sich manche dieser Berichte in verschiedenen Punkten zu
widersprechen. Es war deshalb ein verdienstliches Werk von H. Ling Roth,
daß er in seinem Buche „Die Eingebornen von Tasmanien“? die Literatur über
Zeitschrift fur Ethnologie XXXIX (1907) 637-638.
The Aborigines of Tasmania, bhy H. Ling Roth, assisted by Marion B.
Butler ete. Preface bvy Dward B. Tylor, Esq., London 1890.
3. Die Tasmanier.
335
die Tasmanier, wie Tylor in der Vorrede schreibt, mit nahezu absoluter Voll—
ständigkeit zusammengetragen und die wichtigsten daraus folgenden Ergebnisse
zusammengestellt hat. Nach Roths eigener Bemerkung ist das beste und zu—
berlässigste Buch, was vor dem seinigen über die eingebornen Tasmanier existierte,
dasjenige von Rev. John West!. Man kann Roths Werk als eine kritische
Ergänzung von demjenigen Wests ansehen. Wir folgen im nachstehenden haupt—
ächlich den Angaben von Roth.
Nach Howitt, Roth u. a. sind die Tasmanier stammverwandt mit den
Minkopies auf den Andamanen, den Negritos auf den Philippinen und Neu—
guinea usw.; das ist auch die Ansicht von Le Roys u. a. Nach de Quatre—
ages gehören diese Stämme einer uralten Rasse an, die sich schon in den ersten
Zeiten des Menschengeschlechtes von den andern Völkern abzweigte und vom
—XC aus teils über Afrika verbreitete, wo sie noch heute in den Pyg—
mäen fortlebt, teils nach Südasien und Ozeanien zog und überall von den
achfolgenden höher kultivierten Völkern in die Urwälder, Steppen oder ent—
legenen Inseln verdrängt wurde. Doch haben sie sich vielfach mit andern Völkern
hermischt und deshalb zum Teil ihre Eigenart eingebüßt.
JCook schildert die Tasmanier als vorwiegend schlank, von gewöhnlicher
Statur, wollhaarig wie die Eingebornen von Guinea, aber ohne platte Nasen
und dicke Lippen; ihre Züge waren nicht unangenehm. Ihre Hautfarbe war
gräulicheschwarz, nicht so dunkel wie bei den eigentlichen Negern; die Augen
waren mittelgroß, nicht besonders lebendig, aber offen und frei, der Mund breit;
hr Bau proportioniert, doch trat der Bauch stark hervor.
Nach den meisten Reisenden gingen — wenigstens im Sommer — beide
Geschlechter vollständig nackt; oft trugen sie ein Känguruhfell um die Schultern,
das aber den Unterleib nicht bedeckte. Doch scheinen die Frauen zuweilen eine
Urt Schürze um die Lenden getragen zu haben?.
„In der Kultur waren die Tasmanier den Australiern ähnlich, nur standen
ie auf einer noch tieferen Stufe. Ackerbau und Viehzucht waren unbekannt.
Selbst die Hunde haben sie erst von den Europäern erhalten. Wie die Austra—
ier kochten sie mit heißen Steinen. Bogen, Pfeil und Bumerang waren ihnen
inbekannt, als Waffen und Werkzeuge besaßen sie hölzerne Lanzen, Steinärte,
— Messer und Holzkeulen. Sie lebten in fast beständigen Kriegen mit—⸗
mander. Ihre geistigen Fähigkeiten sind von einigen Reisenden sehr unter—
chätzt wordend.
Die Eingebornen waren anfänglich gegen die Europäer freundlich gesinnt,
das ist zweifelloss. Daß es später anders geworden, ist hauptsächlich die Schuld
der Europäer, die sie roh und grausam behandelten. La Billardiere beschreibt
ine Begegnung mit den Wilden. „Einer von ihnen hatte die Großmut, mir
inige hübsche Muscheln, die zu einer Art Halsband verschlungen waren, zu
chenken. Dieser Schmuck war alles, was er besaß, und er trug ihn um den
Kopf. Wir wollten mit Bedauern von dieser friedlichen Gesellschaft scheiden,
The Historis of Tasmania, 2 Bde, Launceston 1882.
The native tribes usw. 8.
Vgl. oben II 422 ff das über die Pygmäen Gesagte.
Roth a. a. O. 142. s Ebd. 30. 6 Ebd. 57.
336
Fünfter Teil. Australien und Ozeanien.
als wir sahen, daß die Männer und vier Jünglinge sich von den übrigen
trennten, um uns zu begleiten. Einer von den Stärksten ging in den Wald
und kam sofort mit zwei langen Speeren in den Händen zurück. Als er näher
kam, gab er uns ein Zeichen, wir sollten uns nicht fürchten; er schien im Gegen⸗
teil bereit, uns mit seinen Waffen zu beschützen. Ohne Zweifel hatten sie am
Morgen, als sie zu uns kamen, die Waffen im Walde gelassen, um uns nicht
zu beunruhigen. ... Die Aufmerksamkeiten, welche uns diese Wilden so frei⸗
gebig erzeigten, setzten uns in Erstaunen. Wenn unser Weg durch Haufen von
dürren Ästen versperrt war, so liefen einige voraus und brachten sie auf die
Seite; sie brachen sogar solche ab, welche umgefallene Bäume in unsern Weg
ttreckten. Wir konnten auf dem trockenen Gras nicht gehen, ohne jeden Augen⸗
hlick auszugleiten; um uns am Fallen zu hindern, ergriffen sie uns am Arm
und hielten uns so. Sie fuhren fort, uns diese Beweise freundlicher Gesinnung
zu geben, ja stellten sich zuweilen zu beiden Seiten, um uns besser zu stützen.““
Diese freundliche Gesinnung hat sich später, wie schon bemerkt, sehr geändert.
Die ruchlosen, entlaufenen Sträflinge und manche Ansiedler und Matrosen haben
die größten Grausamkeiten gegen die armen Wilden verübt, und es ist nur zu
erklärlich, daß ihr Haß und ihre Rachsucht wild aufloderten, und unter dieser
Voraussetzung ist ihr verräterisches Wesen, das sie bei gewissen Gelegenheiten
m den Tag legten, leicht begreiflich. Einmal im Kriegszustande mit den
Europäern, unterschieden sie nicht mehr zwischen Schuldigen und Unschuldigen.
Jeder Europäer war ihr Feind, und daß sie nicht offen, sondern heimtückisch
und verräterisch über ihre Feinde herfallen, haben sie mit den meisten Wilden
zemein; das ist die Taktik der Schwachen. Außerdem darf man nicht immer
verallgemeinern. Wie bei allen Völkern wird es auch bei den Tasmaniern
bessere und schlechtere gegeben haben. West sagt von ihnen (II 89): „Sie
waren grausam in der Rache, aber nicht zur Gewalttätigkeit geneigt ..., sie
waren nicht undankbar, besonders für medizinische Hilfe. ... Cinst sahen
einige freundliche Eingeborne die Engländer den Krötenfisch (toad fish) fangen,
der giftig ist und an dem schon manche gestorben sind. Als sie nun sahen,
daß die Engländer diesen Fisch zur Nahrung herrichteten, gaben sie ihnen zu
verstehen, sie sollten nicht davon essen, und zeigten seine Wirkung, indem sie den
Tod nachahmten.“
Roth erwähnt noch andere Züge von Großmut der Wilden gegen die Eng⸗
länder und schließt: „Aus dem obigen Bericht ist klar, daß ursprünglich die
Fingebornen in keiner Weise feindselig waren.“⸗
Die Religion der Tasmanier genau festzustellen, ist heute sehr schwierig,
da die vorhandenen Berichte vielfach nicht übereinstimmen. Einige Reisende
haben ihnen alle religiösen Ideen abgesprochens. Dem widersprechen aber doch
die allermeisten Berichte ganz positiv. So schreibt im Jahre 1822 der eng⸗
lische Missionär Leigh: „Ihre Begriffe von Religion sind sehr dunkel. Doch
glauben sie an zwei Geister: einen, der, wie sie sagen, den Tag regiert und
den sie den guten Geist nennen, den andern, der die Nacht regiert und den sie
für bös halten. Dem guten Geiste schreiben sie alles Gute zu und
Roth, The Aborigines usw. 57. 2 Ebd. 65-66. 3 Ebd. 66.
3. Die Tasmanier.
337
dem bösen alles Schädliche. Wenn jemand von der Familie auf Reisen ist,
d haben sie die Gewohnheit, zum guten Geiste zu singen, um von ihm den
Schutz der abwesenden Freunde zu erlangen, damit diese gesund und wohl
heimkehren mögen.“ Jeffreys drückt sich im Jahre 1820 also aus: „Es
ommt oft vor, daß die Matrosen ... genötigt sind, ihre (eingebornen) Frauen
für einige Tage zu verlassen. ... Bei solchen Gelegenheiten haben diese zärt—
lichen Geschöpfe eine Art Lied, das sie zu ihrer eingebildeten Gottheit singen,
don der sie jedoch nur eine sehr unklare Idee haben, und die, wie sie behaupten,
über den Tag herrscht, während ein böser Geist oder Dämon in der Nacht
hervorkommt Diese Gottheit, wer immer sie ist, halten sie für
den Geber alles Guten, und sie scheinen nicht mehr als einen
Bott zu kennen.“ Lloyd behauptete allerdings, die Tasmanier beteten
den Mond als Gottheit an, aber diese Ansicht beruht bloß auf einem Schlusse,
den er aus ihren Stellungen bei den Kriegstänzen zog.
Ein anderer Reisender, Milligan, der wiederholt die Tasmanier besuchte
und deren Sprache kannte, sagt von ihrer Religion: „Sie waren Polhtheisten,
d. h. sie glaubten an Schutzgeister oder Engel und an eine Mehrheit von
mächtigen und im allgemeinen übelwollenden Wesen. Diese letzteren sollten sich
in Spalten oder Höhlen der Bergfelsen aufhalten und zeitweilig in hohlen Bäumen
oder einsamen Tälern wohnen. Einige wenige von diesen hielten sie für sehr
mächtig, während man den meisten die Natur und die Eigenschaften von Ko—
bolden und Elfen unserer Heimat zuschrieb. Die Eingebornen sind sehr aber—
Mäubisch und glauben fest an die Rückkehr der Geister ihrer Freunde
und Verwandten, um ihnen zu helfen oder zu schaden, je nachdem, und
sie trugen oft die Gebeine der Verstorbenen als Zaubermittel gegen Unglück mit
ich.“ Ein anderer Bericht Milligans, der aber von einer Mittelsperson her—
üührt. lautet also: „Milligan sagte, er habe die Überzeugung gewonnen, daß
die Eingebornen Tasmaniens vor ihrer Berührung mit den Europäern klar die
Idee der Unsterblichkeit der Seele oder des Geistes des Menschen be—
aßen. Ihre Legenden bewiesen auch ihren Glauben an eine große Zahl böser
Keister und übelgesinnter Kobolde, die in Höhlen und verborgenen Schlupf-—
vinkeln der dichten Wälder oder in Felsspalten, auf den Bergspitzen usw. wohnten.
derner glaubten sie, ein oder zwei Geister seien von allmächtiger
draft aber selbst diesen scheinen sie nicht die Eigenschaften des Wohlwollens
eigelegi zu haben; dagegen setzten sie unbegrenztes Vertrauen auf das schützende
Walten der Geister ihrer verstorbenen Freunde und Verwandten. Diesen Schutz⸗
geistern gaben sie den allgemeinen Namen Warrawah, ein Wort ihrer Sprache,
das wie das lateinische umbra Schatten, Geist oder Erscheinung bedeutet.“?
Will man Milligan nicht in Widerspruch mit sich selbst verwickeln, so muß
nan annehmen, die Eingebornen hätten an drei Arten von Geistern geglaubt:
Ebd. 67. W. Schmidt (Der Ursprung der Gottesidee 211ff), der die Zeugnisse
den Gottesglauben der Tasmanier eingehend untersucht, sagt: „Die Aussagen über
as Vorhandensein eines guten höchsten Wesens sind um so bestimmter, je älter die Nach⸗
icten find, je mehr sie in die Zeit des noch freien, originalen Stammeslebens hinein⸗
teichen oder fich denselben nähern.“
Roth a. a. O. 67.
Cathrein, Die Einheit d. fittl. Bewußtseins. III.
2
22
338
Fuͤnfter Teil. Australien und Ozeanien.
1. an einen oder zwei allmächtige Geister, von dem oder von denen sie nur
unklare Ideen hatten; 2. an die Schutzgeister der Verstorbenen und 3. an böse
äbelgesinnte Geister oder Dämonen. — Auch G. A. Robinson behaupiet,
in Übereinstimmung mit Leigh, daß die Tasmanier an einen guten und an
einen bösen Geist glaubten, den letzteren nannten sie Ragu Wrapper, und ihm
schrieben sie alles Böse zu.
Backhouse, der sechs Jahre (1832 -1838) in Tasmanien zubrachte und
den Glauben der Eingebornen erforschte, schreibt!: „Diese Leute haben einige
schwache Ideen vom Dasein und der wachenden Vorsehung
Bottes bewahrt; aber sie schreiben ihre heftigen Gemütsbewegungen dem Teufel
zu, der, wie sie behaupten, ihnen dieses oder jenes sagt und dem sie die Kraft
brophetischer Mitteilung zuschreiben. Es ist nicht klar, daß sie unter Teufel
etwas mehr als einen Geist verstehen; aber sie sagen, er lebe in ihrer Bruft,
und deshalb schrecken sie davor zurück, daß man ihre Brust berühre. ... Sie
haben auch eine unbestimmte Idee von einem zukünftigen Dasein,
wie man aus ihren Bemerkungen über die verstorbene Frau auf der Hunterinsel
schließen kann. Sie sagen auch, sie glauben nach dem Tode auf eine Insel
in der Meerenge GBaßstraße) zu gelangen und als Weiße aufzuerstehen; aber
diese letztere Idee mag neueren Ursprungs sein.“
Ein Punkt, in dem fast alle Zeugen übereinstimmen, ist der Glaube der
Tasmanier an das Fortleben der Seele nach dem Tode. Das Zeugnis
Milligans und Backhouses haben wir schon angeführt. Robinson, der bei einer
Leichenverbrennung zugegen war, erhielt von einem Eingebornen folgende Er⸗
klärung: „Eingeborner tot, Feuer; geht Weg England, eine Menge Eingeborner
England.“ Er wollte sagen, wenn ein Schwarzer tot und verbrannt ist, geht
er nach England, wo es viele Schwarze gibt. Der Name für England, Dreany,
als ein weit entferntes Land und die Heimat der Weißen, war ihnen zum Namen
eines Paradieses geworden. Nach West glauben die Tasmanier an ein anderes
Leben mit dem vollen Genuß von allem, was sie in diesem Leben verlangten.
Dove schreibt: „Die moralischen Begriffe, die bei ihnen herrschen, waren be⸗
sonders unklar und spärlich. Es ist merkwürdig, daß die Überzeugung, sie
würden nach dem Tod in ein anderes und glücklicheres Dasein befördert, nahezu
der einzige Rest einer primitiven Religion ist, der in ihrem Geiste haften blieb—
Wie sich aber erwarten läßt, sind ihre Ideen von dem Leben jenseits des Grabes
ganz sinnlicher Art. Daß sie imstande sein werden, mit nie ermüdendem Eifer
and unfehlbarem Erfolg zu jagen und in reicher Fülle und ungesättigter Begier
die Vergnügungen zu genießen, nach denen sie sich auf Erden sehnten, das
sind die Hauptbestandteile des Bildes, das sie sich vom Elysium machen.“?
So dürftig diese Angaben über die Religion der Tasmanier sind, so be—⸗
weisen sie doch, daß diese Wilden eine Religion hatten. Aus den Zeugnissen
Leighs und Jeffreys geht hervor, daß sie zuweilen durch Gesang den Schutz und
die Hilfe des guten Geistes anflehten. Lloyd beobachtete auch ein religibses
Fest beim Vollmond. Er meinte, sie erflehten mit ausgestreckten Armen Gnade
aund Schutz von diesem Gestirn, was aber, wie schon bemerkt, nur ein Schluß
Roth. The Aborigines usw. 69. 2 Ebd.
3. Die Tasmanier.
339
var, den er zog, ohne ein Zeugnis der Eingebornen dafür zu haben. Sie
debrauchten zwar auch Zaubermittel, so pflegten sie z. B. den Schädel eines
derstorbenen Verwandten als Heilmittel mit sich zu tragen; trotzdem war ihre
Religion verhältnismäßig rein, obwohl fie in der Kultur so tief standen. Sie
hatten keine Idole, wie West ausdrücklich behauptet!. Auch von Fetischen und
Totemismus? geschieht nirgends Erwähnung. Menschenfresserei und Menschen—
opfer scheinen ebenfalls unbekannt gewesen zu sein. Doch kannten sie das
Tapu. Niemand durfte den Namen der verstorbenen Verwandten und Freunde
aussprechen, ohne sich ein schweres Unglück zuzuziehen. Außerdem waren ihnen
nanche Speisen verboten. Bei vielen Stämmen durfte kein weibliches Wallaby
degessen werden.
Priester scheint es bei den Tasmaniern keine gegeben zu haben, nicht ein—
nal Zauberer oder eigentliche Medizinmänner, wie wir sie sonst bei vielen
Vilden finden, obwohl sie fast alle Krankheiten dem Teufel zuschrieben. Doch
cheint es eine Art Ärzte gegeben zu haben, deren Hauptkunst im Zerschneiden
r leidenden Stellen mit Steinen oder Glasscherben bestand. Als Heilmittel
rugen sie die Gebeine oder Asche der Verstorbenen mit sich herum.
In Bezug auf politische Organisation läßt sich folgendes aus den
Berichten mi einiger Sicherheit feststellen. Die Stämme waren voneinander
unabhängig. In jedem Stamme gab es einen Häuptling, dessen Würde aber
nicht erblich war. Da die einzelnen Stämme nicht zahlreich gewesen zu sein
heinen, so waren wahrscheinlich die Glieder derselben miteinander verwandt,
— der tapferste oder angesehenste Familienvater war der Häuptling. Man
nn deshalb die Behauptung einiger Reisenden, die Familien seien frei und
oneinander unabhängig gewesen, leicht mit der positiven Behauptung vereinigen,
ie hätten Häuptlinge gehabt. Eine andere Regierung scheinen die Tasmanier
nicht gekannt zu haben s.
u Wie manche andere Wilden hatten die Tasmanier die Sitte, ihre Kranken
ind Alterssch wachen in einem hohlen Baum oder unter einem Felsen ihrem
oithal zu überlassen. Man gab ihnen einen Vorrat von Nahrung und einen
undel von den Blättern eines Baumes, welche die Eingebornen als Purgier—
* gebrauchten, und zog weiter. Diese Gewohnheit hing, wie Roth bemerkt,
ihrem beständigen unsteten Wanderleben zusammen. „Denn, wie West an⸗
en ihre Stämme konnten sie nicht mitnehmen und auch nicht ihre Wieder⸗
— abwarten.““ Mit diesem Wanderleben hing auch die Gefräßig—
iit zusammen, die man an den Tasmaniern bemerkte. Sie litten oft großen
ongel und mußten manchmal tagelang fasten. Hatten sie aber einmal reiche
eute gemacht, so stopften sie sich gierig mit unglaublichen Quantitäten voll.
a Jeder Stamm bestand aus einer Anzahl Familien, von denen jede ihre
re Feuerstelle hatte. Ihre Wohnungen waren äußerst primitiv. Sie wohnten
Iweder in hohlen ausgebrannten Baumstämmen oder armseligen Hütten, die
—5* ein paar in den Boden gesenkten und mit Rinde bedeckten Stäben
en.
Fy
F
5.
Ebd. 70-71. Ebd. 78-74.
29
340
Fünfter Teil. Australien und Ozeanien.
In Bezug auf die Ehe wird berichtet, daß die Tasmanier selten Frauen
aus dem eigenen Stamm heirateten. Gewöhnlich nahmen sie Frauen aus einem
Nachbarstamm heimlich weg oder raubten sie auch offen. Die meisten Männer
scheinen mehrere Frauen gehabt zu haben, doch kamen auch monogame Ehen
bor. Wie die meisten Wilden behandelten die Tasmanier ihre Weiber sehr
schlecht, fast wie Lasttiere. Alle schweren Arbeiten wurden ihnen aufgebürdet.
Selbst auf den Wanderungen mußten sie alle Lasten tragen, während die
Männer mit ihren Speeren und Keulen bewaffnet daherzogen. Freilich war
das in gewisser Beziehung notwendig, damit der Mann stets bereit sei zut
Jagd oder zur Verteidigung seiner Familie. Manche Frauen entflohen ihren
Männern und suchten — leider zu ihrem sittlichen Verderben — bei den Euro⸗
päern Schutz. La Billiardiere erzählt: „Es tat uns oft leid, diese armen
Weiber zu so schwerer Arbeit verurteilt zu sehen. Wir baten die Männer oft,
ihnen bei der Arbeit zu helfen, aber umsonst. Sie blieben immer neben dem
Feuer und ließen sich die besten Bissen schmecken.“
Es wäre trotzdem ein Irrtum zu glauben, eheliche Liebe und Anhänglich⸗
keit zwischen Eltern und Kindern seien unbekannt gewesen. West schreibt: „Sie
zeigten Gefühle herzlicher Familienliebe. Als einst nach dem Vertilgungskriege
elf Gefangene in Richmond festgehalten wurden, brachte M. Gilbert noch zwei
andere: Mann und Frau. Sie wurden von den zuerst Gefangenen schon
von ferne erkannt und mit lauten Willkommrufen empfangen. Es war eine
Familienszene, welche alle Zuschauer tief rührte. Die Eltern umarmten ihre
Kinder mit herzlicher Freude und vielen Tränen.“?
Nach einigen Reisenden sollten die eingebornen Männer keine Eifersucht
fühlen, wenn ihre Frauen mit Europäern Umgang hatten. Das ist schon an
sich unglaublich bei Wilden, die so sehr unter der Herrschaft ihrer sinnlichen
Triebe stehen. Nach einem Bericht vermieden es die Frauen sorgfältig, ihren
Männern Anlaß zur Eifersucht zu gebens. Die Weiber, die sich mit Europäern
eingelassen hatten, fürchteten sich, zu den Ihrigen zurückzukehren, um nicht von
ihren Männern mißhandelt zu werden. Von Mutterliebe zeugt auch folgender
Fall. Eine junge Tasmanierin, die mehrere Jahre mit einem englischen Matcosen
lebte, begegnete eines Tages mit einem jungen Kind auf dem Arm zufällig
einem Trupp Eingeborner. Diese stürzten sofort auf fie los, entrissen ihr das
Kind und warfen es in ein großes Feuer. Sie aber warf sich mit dem Mut
der Verzweiflung in das Feuer, ergriff das Kind und floh in den Wald, wo
es ihr gelang, sich zu verstecken. In der Nacht eilte sie 10 Meilen weit bis
aach Launceston, wo sie bei einem Ansiedler Aufnahme fand. Das Kind starb
jedoch bald an den erhaltenen Brandwunden.
Daß die Tasmanierinnen auf Keuschheit hielten, beweist folgender Zug
„Zwei junge Mädchen folgten ohne Mißtrauen in einiger Entfernung von den
Eingebornen dreien unserer Matrosen den Windungen des Ufers entlang. Als
sich diese ungebührliche Freiheiten erlaubten, wurden dieselben ganz anders auf⸗
genommen, als sie erwartet hatten. Die Mädchen flohen auf die äußersten
Felsspitzen am Meere und schienen bereit, sich in dasselbe zu stürzen und fort
Roth., The Aborigines uswp. 344. 2Ebd. 126. s Ebd. 125.
3. Die Tasmanier.
341
zuschwimmen, wenn ihnen die Männer folgen sollten. Darauf zogen sie sich
an den Platz zurück, wo die andern Wilden versammelt waren. Es scheint
aber, daß sie ihr Abenteuer geheim hielten, denn die vollkommenste Eintracht
zwischen uns und den Wilden blieb bestehen.“
Von Erziehung der Kinder war kaum eine Spur. Die Übung im Speer—
werfen und andern Hantierungen der Wilden war die ganze Beschäftigung der
Kinder. La Billiardiere beobachtete an den Kindern die größte Unterwürfigkeit
degen die Eltern. Die Sorge für die Kinder liegt ganz in den Händen der
Frauen, die Eltern lieben ihre Kinder zärtlich. Einmal erschreckte eine Ab—
eilung Franzosen die Kinder. Dazu bemerkt der eben genannte Reisende: Er—
schreckt durch den Anblick so vieler Europäer flohen die kleinsten Kinder gleich
in die Arme ihrer Mütter, welche sie in zärtlicher Weise liebkosten. Die Angst
der Kleinen war bald beseitigt, und sie zeigten, daß sie nicht frei waren von
den kleinen Leidenschaften, durch die Streitigkeiten entstehen. Die Mütter machten
diesen bald durch eine kleine Zurechtweisung ein rasches Ende, sahen sich aber
bdald genötigt, die Träͤnen durch Liebkosungen zu stillen 1.
Die bei den Australiern übliche Zeremonie der Mannweihe scheint in Tas—
manien nicht in Übung gewesen zu sein. Doch berichtet ein Reisender, daß
die Jünglinge, wenn sie in das Alter der Pubertät kamen, an den Schultern,
den Schenkeln und der Brust tief geschröpft wurden. Die Beschneidung war,
ꝛie Marion berichtet, nicht im Gebrauch?. Auch das sog. Zähneausschlagen
iam bei den Tasmaniern nicht vor.
Begräbnis. Ist ein Tasmanier gestorben, so setzen sich die Angehörigen
eines Stammes die ganze Nacht um seine Leiche herum und beginnen eine Art
rascher und unaufhörlicher Rezitation, um den bösen Geist zu verhindern, sie
vegzunehmen. Manche Stämme verbrannten die Leichen und begruben dann
die Asche und Gebeine in eigenen Gräbern, andere begruben die Leichen in
hohlen Bäumen, und zwar oft in aufrechter Stellung, und um sie in dieser
Stellung zu erhalten, trieben sie einen Speer durch den Nacken in den Baum
inein. An einigen Orten scheinen die Eingebornen auch einen Sveer mit dem
Toten begraben zu haben8.
Aus dem völligen Schweigen der Erforscher Tasmaniens darf man wohl
schließen, daß die Eingebornen keinen eigentlichen Handel trieben, bevor sie mit
den Europäern in Berührung kamen. Später haben sie allerdings Handels—
eschäfte gemacht. Sie tauschten z. B. Speere und Muschelhalsbänder gegen
Taschentücher und Tabak um. Selbst ihre Frauen boten einige Tasmanier in
der Not zum Verkauf an:.
Eigentliche Straßen oder Wege gab es keine, abgesehen von einigen im Laufe
er Zeit ausgetretenen Pfaden. Um ihre Wege zu finden, brachen sie kleine
Aste an den Bäumen und ließen sie hängen oder stellten Stöcke in den Busch.
Außerordentliche Fähigkeit besaßen die Eingebornen im Aufspüren und Verfolgen
don Tieren und Menschen.
Die Tötung der Kinder scheint nach manchen Berichterstattern in früheren
Zeiten nicht allgemein im Gebrauch gewesen zu sein, obwohl sie gelegentlich vorkam.
— — — —
Ebd. 127. Ebd. 1285. 3Ebd. 128 —1834. Ebd. 160.
342 Fünfter Teil. Auftralien und Ozeanien.
Nach andern Berichterstattern scheint sie dagegen häufig gewesen zu sein. Das
Wahrscheinlichste treffen vielleicht folgende Worte Doves: „Die Macht des elter⸗
lichen Instinktes war gewönlich stark genug, um die Eltern zur Liebe und zur
Sorge für die Erhaltung ihrer Kinder anzutreiben. Indessen gab es Fälle, in
denen das Kind der Furcht vor Hungersnot geopfert wurde.“
Streitigkeiten unter den Männern wurden fast immer durch eine Art Zwei⸗
kampf mit dem Speer oder dem Waddy (einem ca 2 Fuß langen abgerundeten
Stück Holz) ausgefochten.
Wir haben schon erwaͤhnt, daß Lubbock im Anschluß an einige Reisende den
Tasmaniern die Kenntnis des Feuers absprach. Dieser Irrtum, sagt Roth,
war lange weit verbreitet, obwohl wiederholte Beweise dartun, daß sie nicht
aur das Feuer besaßen, sondern auch zwei verschiedene Methoden kannten, um
Feuer anzuzünden. Sie hatten Steine mit einer Art Zunder und außerdem
eine Holzart, die sie durch Reiben zum Brennen brachten?. Sie hatten auch
eine Legende über den Ursprung des Feuers. Einst kamen zwei Schwarze aus
den Wolken und zündeten Feuer an. Seit der Zeit besitzen die Tasmanier das
Feuer. Die beiden Schwarzen kehrten später mit zwei Weibern in die Wollen
zurück, wo man sie jetzt noch als Sterne (Kastor und Pollur) sehen kann.
Zweiter Abschnitt.
die Ozeanier.
Erstes Kapitel.
Die Melanesier.
Melanesien umfaßt Neuguinea mit den Inseln der Torresstraße, dem Bismarck⸗
archipel (Neupommern, Neumecklenburg, die Admiralitätsinseln), die Salomonen,
die Banksinseln, den Fidschi-Archipel, die Neuhebriden, Neukaledonien und die
Loyalty-Inseln. Früher wurden die Melanesier einfach mit den Papua identi⸗
fiziert, nach den neueren Forschungen aber sind die Papua von den übrigen
Melanesiern zu unterscheiden, da sie einem andern Sprachstamm angehören. Die
Papua scheinen die eigentlichen Urbewohner Neuguineas zu seins. Wir werden
uns aber hier nicht auf Abstammungs- und Verwandtschaftsfragen einlassen,
sondern die einzelnen wichtigeren Stämme der Reihe nach betrachten. Wir be⸗
ginnen mit der Torresstraße, der Meerenge, die das aufstralische Festland
X
1. Die westlichen Stämme der Torresstraßhe.
In der Torresstraße liegt eine große Zahl kleiner Inseln. Eine sorgfältige
Studie über die Bewohner der westlichen dieser Inseln hat auf Grund eigener
Roth, The Aborigines usw. 167. 2 Ebd. 96.
3Val. Wenle, Leitfaden der Völkerkunde 537.
1. Die westlichen Stämme der Torresstraße. 343
und fremder Beobachtungen A. C. Haddon! veröffentlicht. Die westlichen
Inseln werden durch den 148.0 30 . L. von den östlichen getrennt und ihre
Bewohner sind von denen der letzteren sehr verschieden. Die westlichen Stämme
jerfallen in vier Gruppen, die Haddon Kauralaig, Gumulaig, Saibarumle und
dulkalaig nennt. Alle sprechen dieselbe Sprache und zeigen in Gewohnheiten
und Gebräuchen nur geringe Verschiedenheiten.
Der Kulturzustand dieser Stämme war ein sehr niedriger. Eine eigentliche
Regierung gab es nicht und ebensowenig ein eigentliches Religionssystem. Alle
Verbrechen wurden als persoönliche Angelegenheit angesehen und von den einzelnen
Individuen gerächt. Mord galt nur als Verbrechen, wenn ein Freund oder
Lerwandter das Opfer war. Niemand hatte das Recht, einen Mann zu schelten,
der sein Weib oder seine Kinder tötete, da diese als sein Eigentum angesehen
vurden. Kindermord war ein allgemeiner Brauch. Oft suchte man mit Hilfe
des Zauberers denjenigen, gegen den man eine Klage hatte, krank zu machen
oder zu töten. Einen Fremden in offenem Kampf oder durch Verrat zu töten,
galt als etwas Verdienstliches, und die Schädel der in der Schlacht umgebrachten
Bewohner anderer Inseln heimzubringen, als eine glorreiche Tat. Oft machte
man Ausfälle auf andere Inseln, und zwar nicht bloß im Krieg, damit die
ungen Männer solche Trophäen heimbringen und dadurch die Gunst der Frauen
rwerben könnten. Von einem Selbstmord hörte ich nie, sagt Haddon?.
Aber das, was wir geschlechtliche Verbrechen nennen, hatten sie etwas andere
Ideen als wir. „Weil die Frauen den Männern die Heirat vorzuschlagen
dflegten, hatten die Mädchen eine sehr unabhängige Stellung, und — mit Recht
oder Unrecht — wurden sie und die verheirateten Frauen als die Verführer
angesehen. So sagte man mir mehr als einmal: „Frauen stehlen Männer.“
Das in solchen Fällen begangene Unrecht wurde allgemein in der Torresstraße
als Diebstahl betrachtet; aber auf diesen Inseln, wo die Heiratsanträge von
den Frauen ausgingen, war es eine passende Fiktion, daß man den Frauen
den aktiven Teil und deshalb auch das in solchem ungesetzlichen Geschlechts-
derkehr liegende Unrecht zuschrieb. In Mabniag wurde ein offenkundig in seinen
Bunfibezeigungen freies Mädchen gebrandmarkt; die Schande des Mannes in
uͤhnlichen Fällen war geringer. Nach der Heirat war die Frau Eigentum des
Mannes, und deshalb mußte mit diesem als dem Beleidigten im Fall von Ehe—
druch oder Raub gerechnet werden. War der Ehemann sehr „wild“, so
konnte ihn nur der Tod beider schuldigen Teile befriedigen; sonst ließ er sich
wohl durch eine Vermögensentschädigung besänftigen. Ich hörte nie von un⸗
natürlichen Lastern in der Torresstraße, obwohl Sodomie zu Mowat in Daudai
sehr im Schwange ist.“s
„Während der Mannweihe der Jünglinge in Tud wurde ein Moralkoder
selehrt, der in Wirklichkeit ein hohes sittliches Gefühl verrät. Dieb—
dahl und Leihen ohne Erlaubnis war verboten. Die Hungrigen und
durstigen mußten befriedigt werden. Eltern sollien geehrt und mit
—X versorgt werden, und zwar bis zur Selbstverleugnung von seiten des
The Journal of the Anthropologieal Institute usw. XIX (I800) 2097 ff.
Ebd. 314. 2 Ebd. 314 - 315.
344
Fünfter Teil. Australien und Ozeanien.
Sohnes und seiner Frau. Eine Ehe zwischen Geschwisterkindern und ebenso,
was eine zarte Rücksicht verrät, eine Ehe mit der Schwester eines besondern
Freundes war untersagt. Ein Mann darf einem Mädchen, während es herum⸗
geht, nicht die Ehe antragen, ja nicht einmal ihm folgen. Ein Mann muß
Schulter an Schulter im Kampf neben seinem Bruder stehen und darf sich
seiner Pflicht nicht entziehen. Wahrscheinlich wurden auf den andern Inseln
ähnliche Gebote eingeschärft, und ebenso wahrscheinlich ist es, daß das Volk im
ganzen sich nach seinem System der Moral richtete, ebensogut oder besser als
die meisten christlichen Völker nach ihrem Bekenntnisse leben.“ 1 Früher haben
die „Großen“ des Volkes eine gewisse Aufsicht über die Moralität des Gemein⸗
wesens geübt, heute scheint das nicht mehr der Fall zu sein.
„Die Eltern lieben ihre Kinder sehr, und ich habe nie von einem Manne
gehört, daß er sein Weib oder seine Kinder mißhandelte; ich glaube auch nicht,
daß die Weiber früher sich viel zu beklagen hatten.“ Nur wenn der Mann
bei Zauberei „wild“ wurde, war er im stande, bei der geringsten. Heraus⸗
forderung Weib und Kinder zu ermorden, ohne daß er deswegen eine Strafe
zu fürchten hatte. — Im Handel und Verkehr scheinen die Eingebornen ziemlich
ehrlich gewesen zu sein; Betrügereien waren sehr selten?.
„Ich erhielt den Eindruck“, erzählt Haddon, „daß Keuschheit vor der Ehe
unbekannt war und der freie Verkehr nicht als Unrecht betrachtet wurde; es
war einfach Volkssitte; anderseits glaube ich aber doch nicht, daß man sich
zügelloser Ausschweifung ergab. Ein gewisses Dekorum wurde beobachtet.“
„Die Ehe bestand in dem persönlichen und ausschließlichen Recht des Mannes
über seine Frau. Ehebruch von seiten der Frau wurde als ein Diebstahl an—
gesehen und war deshalb eine persönliche Beleidigung. Ich zweifle, ob man
ihn als einen Verstoß gegen die Moralität (Keuschheit) betrachtete.“ Doch fügt
er hinzu: „Der Rev. Dr Macßgarlane berichtet mir, nach seiner Ansicht hätten
die Eingebornen in Bezug auf geschlechtliche Moralität einen hohen Standpunkt
eingenommen, bevor sie mit andern Nationen in Verkehr traten.“ „Tapferkeit,
Wildheit, Ausdauer in Mühen und Beschwerden und andere kriegerische Eigen⸗
schaften wurden zweifellos als große Tugenden angesehen.“
Haddon meint, er habe nie herausbringen können, ob die Eingebornen
glaubten, sie hätten im Leben eine Seele oder etwas dem Äühnliches, „aber sie
glaubten sicher, daß nach dem Tode ihr ‚Mari‘ den Leib verließ. Mari kann
verschieden übersetzt werden als Schatten, Widerschein, Geist, Gespenst“. Das
ist doch unbegreiflich. Wenn die Eingebornen glaubten, beim Tode verlasse der
Geist oder Schatten (mari) den Leib, so glaubten sie gewiß auch, er sei vor⸗
her darin gewesen. Freilich haben die Wilden keine klare Idee vom Wesen der
Seele, sie verstehen darunter das geheimnisvolle Ding, durch welches der Mensch
lebt, denkt und will, und das beim Tode den Körper verläßt. Wie es scheint,
glaubten die Eingebornen, ein Teil des Mari verlasse beim Tod den Leib und
ein anderer bleibe noch darin, bis er verscheucht werde. Oft bewachten sie einige
Nächte das Grab, wohl um zu erfahren, ob ihnen der Mari einen Wink zu⸗
Haddonin The Journal of the Anthropological Instituto usw. XIX (1890) 315.
Ebd. 316. 8s Ebd. 317.
1. Die westlichen Stämme der Torresstraße.
345
lommen lafse, der zur Entdeckung der Person führen könne, welche den Tod
berursacht habe. Denn sie glauben nicht, daß Krankheit oder Tod von natür⸗
lichen Ursachen kommen. Menschen oder Tiere scheinen beim Begräbnis einer
Person nie getötet worden zu sein!. Mit der Leiche werden kleinere Arlikel
oder Gebrauchsgegenstände begraben oder sie werden um das Grab herum auf⸗
Jehängt. Oft wird eine Bambuspfeife mit etwas Nahrung und eine Kokosnuß—-
schale als Wassergefäß auf das Grab gelegt.
Der Glaube an die Seelenwanderung scheint nicht zu existieren, doch sollen
nach Legenden ermordete Leute in fliegende Füchse, Vögel oder Fische verwandelt
worden sein. Der Mari des Verstorbenen geht nach Kibu oder Kibuka, einer
agenhafien Insel im Westen. Wie es dem Mari dort ergehe, konnte Haddon
nicht in Erfahrung bringen. Er glaubt überhaupt und behauptet es mehrmals,
daß die sittlichen Gebote der Eingebornen in keiner Weise mit der Religion
zusammenhangen und daß das irdische Leben nach den Eingebornen keinen Ein⸗
luß auf das jenseitige Los der Verstorbenen habe?. Aber er selbst berichtet
veiter: Nach Macdarlane sitzen die Mari lustig auf den Baumspitzen in Ki⸗—
buka, und den besten Männern hienieden, den größten Kriegern, den gewaltigsten
Schädeljägern usw. soll es in irgend einer Weise besser als den andern ergehen,
über wie, das ist ganz unklar. Jedenfalls beweist dies, daß die Lebensführung
zuf das jenseitige Los einen Einfluß ausübt und mithin mit ihren religibsen
lüberzeugungen zusammenhängt.
Haddon berichtet, nach seiner Ansicht habe man die Seelen der Toten weder
als Dämonen noch als Gottheiten angesehen und nicht im eigentlichen Sinne
æerehrt. Aber er fügt hinzu, die Verwandten hätten sie wohl vermittelst der
Schädel angerufen, um die Zukunft zu erfahren; doch gab es keine Priester.
Ein anderer Reisender, Wyatt Gill, behauptet von den Insulanern: „Sie freuen
ich an der Verehrung der Manen ihrer verstorbenen Ahnen, wie sie durch
männliche und weibliche Schädel repräsentiert werden. Sie häufen dieselben
mit Sorgfalt auf und nehmen sie auf ihren Reisen mit sich.ss Bevor man
in den Krieg zog oder zu Zeiten von Gefahren riefen die Männer gewisse ver—
sorbene Heroen an, wie z. B. Kwoiam oder Sigai, um dadurch Mut und Kraft
ju erlangen. Zuweilen wurden auch größere Feste zu Ehren der Ahnen ver—
anstaltet, bei denen man an bestimmten Orten die Schädel der Verstorbenen
und bemalte Steine zusammentrug“. Auch Wyatt Gill berichtet, daß die Ein—
debornen gewisse bemalte Steine verehrten, denen man geheimnisvolle Kräfte
zuschrieb. Götzenbilder zur Verehrung der Ahnen, Dämonen oder Gottheiten
Listierten nicht. Haddon glaubt, daß die Eingebornen eine Idee vom Dasein
geistiger Wesen haiten. Es bestand ein weitverbreiteter Glaube an ein über—
natürliches Wesen mit Namen Dorgai, das gewöhnlich darauf ausging, Schaden
zuzufügen, aber leicht überlistet oder sogar getötet werden konnte s.
d Die großen Feste waren die, welche bei Beendigung der Mannweihe und
ei der Begräbnisfeier abgehalten wurden; kleinere Feste wurden bei der
Ebd. 2 Ebd. 316 318. s Ebd. 319. 2Ebd. 320 -321. n
* Diese Angaben über die Religion find sehr mangelhaft und unklar und bedürften
ringend einer eingehenderen Untersuchung.
346
Funfter Teil. Australien und Ozeanien.
Heirat, zuweilen auch bei der Geburt oder Namengebung usw. gefeiert. Bei
wichtigeren Gelegenheiten trugen die Insulaner charakteristische Masken, die den⸗
selben eine Art religiöser Bedeutung verliehen. Eigentliche private oder öffentliche
Gebete gab es nicht, doch riefen die Krieger, wenn sie in die Schlacht zogen
oder hart bedrängt wurden, den Namen irgend eines legendenhaften Heroen an,
um Kraft zu erlangen. Das mag als eine Art Gebet angesehen werden. Wyatt
Bill erwähnt auch einen Fall, wo ein Eingeborner zu einem Zauberschädel oder
Idol betete. Wie bei fast allen Wilden herrscht auch bei den Torresinsulanern
mancherlei Aberglaube. „Tiere werden nicht als vernünftige Wesen behandelt
oder angeredet, nicht mehr, als es von uns geschieht, vielleicht noch weniger.““
Nach einem Todesfall oder einer Krankheit werden die Häuser zeitweilig oder
dauernd verlassen. Die Eingebornen haben eine große Furcht vor Geistern und
zehen deshalb in der Nacht nicht gern herum. — Obwohl man keine eigent⸗
lichen Priester hatte, gab es doch unterrichtete Zauberer (maidelaig) und weise
Männer, die sich auf Regen- oder Windzauber verstanden.
Alle etwas größeren Inseln haben jetzt einen Häuptling oder Mamus, wie
er genannt wird, der von der Queenslandregierung anerkannt ist. Der Mamus
wurde in den meisten Fällen auf Anregung des englischen Residenten auf der
Thursday-Insel von den Eingebornen gewählt. Er handhabt die Polizei und
entscheidet auch mit Hilfe von Polizisten und alten Männern als Richter. Früher
hatte jede Insel einen oder mehrere Häuptlinge, die ihre Stellung durch per⸗
sönlichen Einfluß erlangten, aber sie besaßen keine wirkliche Autorität, und ihre
A
Häuptlinge wurden gewöhnlich die Eigentümer großer Kanoes und mehrerer
Weiber, oder die Eigentümer von Hainen von Kokosnußbäumen?.
Beim Tode des Vaters scheinen alle Kinder gleichmäßig geerbt zu haben,
ohne Rücksicht auf Alter und Geschlecht. Eine eigentliche Rechtspflege gab
es nicht. Zwar kamen die alten Männer der Insel oft zusammen, um zu be⸗
ratschlagen, und bildeten so die öffentliche Meinung, aber es gab keinen legalen
Mechanismus, um die Verbrecher ins Buch zu bringen, gerechte Vergeltung zu
üben und die Rechtsstreitigkeiten zu schlichten. Das ist heute allerdings durch die
Bemühungen der englischen Regierung anders geworden. — Strafen konnten
nur durch persönliche Vergeltung verhängt werden. Selbst den Tod konnte man
— VD
Folgen zu trotzen. Der Mann hatte Leben und Tod seiner Frau in Händen.
Der Tod war die Strafe für alle Übertretungen der Gesetze über die Mann⸗
weihe. Eine solche Übertretung galt als Sakrileg, und die Strafe bestand in
der Zerschmetterung des Kopfes durch eine Steinkeule. Von einer Bestrafung
durch Verstümmelung oder Auspeitschen war, scheint es, nie die Rede. Ver⸗
mögensstrafen mußten an den Geschädigten bezahlt werden 8.
Haddon lobt die Höflichkeit der Insulaner. „Ich bemerkte“, schreibt er,
„manche freiwillige Akte der Höflichkeit, die ihre wohlwollende Gesfinnung gegen
mich bewiesen. Oft habe ich an ihnen waährhaft noble Gesinnung (gentle—
Haddon in The Journal of the Anthropological Institute usw. XIX (1910) 325.
Ebd. 330. 8 Ebd. 335.
1. Die weftlichen Stämme der Torresstraße. 347
manly feeling) im Umgang und im Benehmen wahrgenommen. Die Frauen
nehmen eine gute Stellung ein, soviel ich beurteilen konnte. Die alten Leute
verden gut behandelt, und die hoffnungslosen Kranken werden nicht im Stich
gelassen oder gar umgebracht!. Früher gingen die Männer ganz nackt, und
die Frauen trugen nur einen Lendenschurz aus Blättern, aber ich vermute,
daß fie ein anständiges Volk waren. Jetzt sind beide Geschlechter sittsam.“
Sbeiseverbote. Niemand durfte das Totemtier seines Stammes essen,
mit der teilweisen Ausnahme des Dugong (Seekuh, eine Art Wal) und der
Turteltaube. Auch Jünglinge während der Mannweihe und die Frauen mußten
ich mancher Speise enthalten. Das Totem (augud) wurde als dem Klan ver—
wvandt angesehen. Die Menschen und das Augud gehören zur selben Familie.
Das Land wird als persönliches Eigentum betrachtet und zu gleichen Teilen
anter die Kinder verteilt, oder wenn diese fehlen, unter die nächsten Verwandten;
benso alles sonstige Vermögen des Verstorbenen. Frauen verlieren bei der
deirat ihren persönlichen oder ihren Grundbesiztz?.
Interessant sind die sittlichen Gebote, die auf der Insel Tud und wahr—⸗
cheinlich auch auf andern den Juünglingen bei der Mannweihe eingeschärft
werden und die Haddon, wie er versichert, wörtlich aus der Sprache der Ein—
Jebornen übersetzt hat. Sie lauten: „Du nicht stehlen. Du nichts nehmen
ohne Erlaubnis, Siehst du einen Fischspeer und nimmst ihn ohne Erlaubnis;
etze voraus, du brichst ihn und hast keinen eigenen, wie du den Mann be—
jahlen? Setze voraus, du sehest eine Dugongharpune in einem Kanoe und
nimmst sie, und der Mann weiß es nicht, und nun verlierst oder brichst du sie;
wie kannst du ihn bezahlen, da du keine Dugongharpune hast? Du jetzt nicht
mehr spielen mit Knaben und Mädchen; du jetzt ein Mann und kein Knabe
nehr. Du nicht mehr spielen mit kleinem Spielkanoe und Speer; das alles
zu Ende jetzt. Du nicht zuerst ein Mädchen lieben; tust du es, Mädchen lachen
ind dich ein Weib nennen (d. h. der Jüngling soll nicht dem Mädchen die
deirat antragen, sondern warten, bis dies zuerst darum bittet). Du nicht hei⸗
aten Cousine (Onkel oder Tantes Kind); sieh dasselbe als Schwester. Wenn
wei Jungen Genossen (Freunde) sind, so soll der eine nicht die Schwester des
andern heiraten, oder sie allmählich beschämt, sie wie zwei Brüder; sie können
wei Schwestern eines andern Mannes heiraten. Wenn ein Mann um Nah—
tung oder Wasser oder sonst etwas bittet, du gibst wenig, wenn du wenig hast;
angenommen, du habest viel, so gibst du die Hälfte. Sorge für Vater und
Mutter; achle es nicht wenn du und dein Weid nichts mehe haben. Gib die
dune bon all deinem Fisch deinen Eltern; sei nicht engherzig. Sprich nicht
odses Wort zur Mutter. Vater und Mutter dasselbe wie Speise im Magen;
—T sie sterben, fühlst du dich hungrig und leer. Denke auch an deine Onkel
and Vettern. Wenn dein Bruder zum Kampf geht, du ihm helfen, zusammen
zehen; laß ihn nicht zuerst gehen.“
iu Kuduma, ein Eingeborner in Nagir, teilte Haddon nach folgendes Bruch—
ck einer Unterweisung mit, die dem Juüngling auf seiner Insel gegeben
wurde: „Du kein Ding nehmen, das anderem Mann gehört. Wenn du Nahrung
Ebd. 336. —X— 2Ebd. 411 -412.
348
Fünfter Teil. Australien und Ozeanien.
fiehst, die einem andern Mann gehört, du nicht nehmen oder du sterben (das be⸗
zieht sich nach Haddon auf die Wirkung der Zauberei als Strafe für ein Ver⸗
brechen). Wenn eine Frau daher geht, du nicht folgen, allmählich die Männer
sehen und dir böse Namen geben. Geht ein Kanoe zu einer andern Sielle,
du in das Kanoe gehen, nicht zurückbleiben, um Frau zu stehlen.“
. Katau ist der eigentliche Name, den die Eingebornen von Mowat in
Daudai ihrem Wohnort und dem Fluß, an dem er liegt, geben. Der Mowat⸗
damm zerfällt in mehrere Klans, von denen jeder sein eigenes Totem hat.
Das Totemtier wird als heilig gehalten und sein Fleisch von keinem Gliede
des Klans genossen. Eine Darstellung des Totems wird weder bei Männern
noch bei Frauen auf irgend einen Teil des Leibes eingeschnitten, doch haben
die letzteren ein Zeichen, das den Klan angibt. Die Frauen an der Küste
tragen ein Grasband, das von der Brust bis zwischen die Schenkel, und die
Buschfrauen einen Grasschurz, der von den Hüften bis zu den Knien herab⸗
reicht. Die Männer an der Küste tragen oft gar nichts am Leibe, in den
Büschen aber einen Streifen um die Hüften, von dem hinten Blätter herunter⸗
hangen. Bei der Geburt werden keine Zeremonien beobachtet, auch wird die
Mutter nicht abgesondert oder als unrein betrachtet oder bestimmten Regeln und
Speisegesetzen unterworfen, bevor sie wieder in die Gesellschaft zugelassen wird.
Die sog. Cuvade ist nicht im Gebrauch. Das Kind erhält vom Vater einen —
und zwar nur einen — Namen, den er nach Belieben wählt ohne Rücksicht
auf Stamm oder Familie. Eine taufähnliche Zeremonie gibt es nicht. Die
Kindertötung kommt nicht vor. Die Kinder gehören zum Stamm des Vaters;
erhält eine Frau Zwillinge, so adoptiert ihr Bruder eines der Kinder, aber
ohne jede Zeremonie.
Wenn die Jünglinge in das Mannesalter kommen, wird ein großes Fest
beranstaltet und mit einem berauschenden Getränk (Komata-Kava) auf deren
Gesundheit getrunken. Die Jünglinge brauchen sich keinen besondern Zeremonien
zu unterziehen und werden auch nicht verhindert, für eine bestimmte Zeit
Frauen zu sehen. Die einzige Zeremonie besteht darin, daß die Jünglinge zwei
Tage sich im Hause der Männer aufhalten, um sich zu schmücken in der Ab⸗
sicht, die wohlwollende Aufmerksamkeit der Frauen auf sich zu ziehens.
Es scheini kein Gebot zu bestehen, das die Ehe innerhalb desselben Stammes
oder Klans verbietet. Beardmore konnte nicht mit Sicherheit feststellen, in welchen
Graden der Verwandtschaft die Ehe verboten war; aber praktisch dürfen die
Glieder einer Familie oder die Nachkommen desselben Stammvaters, wieweit
entfernt diese Abstammung auch sei, nicht untereinander heiraten. Polygamie
ist im Gebrauch, aber nicht Polhandrie. Ihr Grund für die Polygamie ist,
daß die Weiber die Hauptarbeit leisten müssen, um Vflanzen- oder Fischnahrung
2. Die Eingebornen von Daudai Gritisch-⸗Neuguinea)?.
Haddon in The Journal of the Anthropological Institute usw. XIX (1910) 412.
2 Vol. Ebward Beardmore im Journal of the Anthropological Institute ufw
XIX 459 ff; Missions catholiques 1898, 9 ff.
2 BSardmore a. a. O. 460.
2. Die Eingebornen von Daudai (Britisch⸗Neuguinea). 349
zu besorgen. Ehebruch wird häufig begangen, aber nicht offen. Die Ehe wird
wischen den Eltern der Kinder vereinbart, wenn diese groß werden, oder auch
chon in der Kindheit, und zwar durch Austausch in folgender Weise. Hat ein
Mann eine Schwester und keinen Bruder, so kann er seine Schwester gegen
ine Frau austauschen. Sind aber Brüder und Schwestern in der Familie, so
tauscht der älteste Bruder die älteste Schwester gegen eine Frau um, und ähnlich
derfahren die jüungeren Brüder, wenn Brüder und Schwestern in gleicher Zahl
ind; sonst haben die älteren den Vortritt. Es kommt zuweilen vor, daß ein
Mann keine Schwester hat und keine Frau bekommen kann. Zuweilen verschafft
er sich eine Frau durch Kauf. Es kann auch vorkommen, daß eine Frau den
Mann ihrer Wahl erhält trotz aller entgegenstehenden Gesetze. Das Weib zieht
in das Haus des Mannes. Der Häuptling von Mowat hat einige Weiber in
einem Hause in einem Dorfe und ebenso einige in seinem Hause im andern
Dorfe und bringt einen Teil der Zeit mit den ersteren, den andern mit den
letzteren zu. Bei der Hochzeit findet ein Kampf statt zwischen den Freunden
des Mannes und denen der Frau, bei dem aber niemand zu Schaden kommt.
Nach dem Kampf bringt das Paar gewöhnlich eine Woche allein fern vom
Dorfe zu. Verbote in Bezug auf den Gebrauch der Ehe zu gewissen Zeiten
bestehen nicht!. Männer tauschen ihre Frauen nicht aus. Eine Witwe wird
die Frau des Bruders ihres verstorbenen Mannes. Ein Mann darf nicht seine
Schwiegermutter anblicken oder mit ihr reden.
Der Mord wird zuweilen von den Verwandten des Geiöteten gerächt, sie
ind aber dazu nicht verpflichtet. Übrigens ist kein Beispiel bekannt, daß ein
Mann einen andern aus den Leuten seines eigenen oder eines benachbarten
Dorfes getötet hätte. Keine Entschädigung wird für den Mord bezahlt. Ein
Mörder wird nicht als unrein betrachtet?. Ein kleines Stück Land wird das
Eigentum einer Person, nur solange sie es bebaut. Stirbt ein Mann, so wird
ein Eigentum zu gleichen Teilen unter seine Kinder verteilt, aber die Mädchen
behalten ihren Anteil nur bis zur Verheiratung, dann geht derselbe an den
nitesten Bruder über. Das jüngste Kind hat nie einen Vorrang. — Alles
Eßbare wird gegessen ohne Rücksicht auf Person und Gelegenheit mit Ausnahme
des Fleisches des Meerschweines. Das Meerschwein ist aber nicht heiliger als
onst etwas. Die Seelen der Verstorbenen, deren Totem es ist, gehen
in dasselbe ein in der gleichen Weise, wie die Seelen der andern Verstorbenen
in andere Tiere eingehen. — Männer, Frauen und Kinder essen zusammen.
Der Kannibalismus ist nicht im Gebrauch. Das Blut der Tiere wird gekocht
ind gegessen. Sie fasten nie. Der Penis großer in der Schlacht getöteter
drieger wird abgeschnitten und soll (geheimnisvolle) Kraft besitzen. Auch die
Vulva erschlagener Frauen wird herausgeschnitten und getragen. Alles das
Eschieht, um die Kraft und Wildheit derer zu stärken, die diese Dinge tragen.
kin Mann, dessen Frau schwanger ist, darf nicht mit dem Speer eine Turtel⸗
aube oder einen Dugong töten oder in einem Kanoe fahren, während ein
anderer dies tut. Die Rückenknochen der Turteltauben werden während der
Jagdsaison (d. h. während Oktober und November) getragen, weil diese Tiere
Ebd. 460 —461. 26bd. 462. Ebd.
350 Fuünfter Teil. Australien und Ozeanien.
fich dann paaren. Nach der Jagdzeit werden die Knochen weggeworfen und
ein großes Fest mit Tanz und Schmauserei veranstaltet1.
Eine eigentliche Regierung besteht nicht, doch hat jeder Stamm seinen
Häuptling. Die Häuptlingswürde ist erblich, wenn der älteste Sohn zum Re⸗
zieren alt genug ist, sonst wird der Nachfolger gewählt. Besondere Formen
von Eidschwüren oder Gottesgerichten scheinen nicht zu existieren und ebenso⸗
wenig besondere Zeremonien, um Freundschaftsbündnisse oder Frieden usw. zu
schließen. Sie grüßen einander, indem sie die Fingerspitzen der rechten Hand
krümmen, dann die Finger wie einen Haken in die des andern legen und schnell
zurückziehen. Sie können bloß bis zu zwei zählen (7) und gebrauchen beim
Zählen weder die Finger noch die Zehen noch Stöcke. Die Jahres- und Tages⸗
zeit wird nach der Sonne und deren Stellung gemessen und nach den Nächten
berechnet; nur die Uferbewohner rechnen nach Mondphasen und dem Wechsel
don Flut und Ebbe. Das Jahr wird durch die Anpflanzung und Ernte von
Yams, Taro, süßen Bataten usw. bestimmt. Während der Zeit des südöstlichen
Monsuns werden nächtliche Tänze veranstaltet. Diese und andere Tänze scheinen
keine religiöse Bedeutung zu haben und nur die Ergötzung und den Wetteifer
zu bezwecken ?.
Zauberei soll nach Beardmore unbekannt sein, doch ist das wohl nicht ganz
richtig, da er selbst behauptet, der Häuptling Gabia solle besondere Kraft be⸗
sitzen, um das Wachstum der Ernte gut oder schlecht werden zu lassen, den
Dugong und die Turteltauben von allen Seiten herbeizulocken. Religibse oder
politische Vereine gibt es nicht. Opfer werden nie dargebrachts. Die Sodomie
soll allgemein sein, da zu starkes Wachstum der Bevölkerung unter den jüngeren
verheirateten Leuten unerwünscht ist. Die Kanoes beziehen sie von den Be⸗
wohnern der Bamptoninsel. Bezahlungen dafür werden, um den Käufer an⸗
zuziehen, oft schon im voraus geleistet, gewöhnlich jedoch in drei Raten von
Schmucksachen aus Muscheln.
Zur Zeit der Turteltaubensaison (Zeit der Paarung) darf der Mann der
Frau nicht nahen. Kinder von demselben Vater, aber nicht von derselben
Mutter werden nicht als Brüder oder Schwestern betrachtet. Die Frauen haben
kein Eigentum. Die Häuser sind gewöhnlich sehr lang und auf hohen Pfählen
errichtet mit Verandas auf der Langseite. Für die größeren Knaben bestanden
zigene Häuser und ähnliche für die größeren ledigen Mädchen:.
3. Die VPapua in der Nähe der Insel Yule GBritisch-Neuguinea).
Von den Einwohnern an den Gestaden in der Nähe der Yule-Insel
Roro- und Mekeogebiet) besitzen wir eingehende Nachrichten von den Missionären
vom heiligsten Herzen Jesu (Issoudun), die hier seit langem mehrere Missions⸗
stationen haben. Wenn ein Knabe zwölf Jahre alt wird, versammelt sich die
Familie und erklärt ihn zum Ibitoe, d. h. zum heiratsfähigen Mann. Er wird
in das Jünglingshaus (marea) geführt. wo die andern Jünglinge, die über
Beéeardmoreè in The Journal of the Anthropological Institute usw. XIX (1910) 462.
Ebd. 463 464. 8 Ebd. 464. Ebd. 466.
3. Die Papua in der Nähe der Insel Yule Britisch⸗Neuguinea). 851
wölf Jahre und noch nicht verheiratet sind, zusammen wohnen. Der Chef der
Ibitoe, gewöhnlich ein Nepu (Zauberer) oder ein anderer einflußreicher Mann,
empfängt ihn und übernimmt die Sorge für ihn. Von diesem Augenblick an
st der Ibitoe emanzipiert, er schläft nicht mehr im väterlichen Hause, sondern
mit den übrigen Ibitoes in der Marea. Diese führen hier ein sorgloses, heiteres
Leben mit Singen, Tanzen, Lärmen usw. oder gehen mit Bogen und Pfeil
auf die Jagd, wenn es ihnen gefällt. Täglich reiben sie sich mit Kokossaft
ein und bemalen sich den Leib mit künstlichen Figuren; in die Scheidewand der
Nase stecken sie einen kleinen geschliffenen Stein oder ein Stückchen Holz oder
ein gerolltes Blatt. Ihr einziges Kleidungsstück besteht in der Itaburi, einer
aus Baumrinde verfertigten Binde, die am Gürtel befestigt, zwischen den Beinen
durchgezogen und hinten am Gürtel so befestigt wird, daß ein Stück wie ein langer
Schwanz herunterhängt. Ein Ibitoe darf nie in Gegenwart eines Mannes
der eines weiblichen Wesens essen, das würde als schimpflich gelten. Es ist
hnen exlaubt zu stehlen, wenn man diesen allgemein gestatteten Gebrauch noch
lehlen nennen kann; werden sie aber ertappt, so erhalten sie eine Tracht Prügel,
um sie für die Zukunft vorsichtiger zu machen; übrigens dürfen fie nur Nah—
ung stehlen. Viele Speisen sind jedoch den Ibitoes untersagt: z. B. Fische,
rote Bananen u. dgl., auch dürfen sie kein Wasser trinken, nur Kokosmilch.
Eine Hauptbeschäftigung des Ibitoe besteht darin, sich die Zuneigung eines
Nadchens zu erwerben, das er heiraten möchte. Zü dem Zwecke schmückt er
sich sorgfältig, macht Geschenke u. dgl. Hilft das nicht, so nimmt er zum
Nepu seine Zuflucht, der ihm Amulette und andere Liebeszauber gibt. Ob—
wohl in dieser Periode manche sittliche Verfehlungen vorkommen mögen, so hört
man doch selten von einer Vergewaltigung oder einem Skandal; man kann
ur staunen, meinen die Missionäre, bei einem sonst so tief stehenden Volke
eine so hohe Sittlichkeit anzutreffen. Abgesehen von einigen Fällen von Poly—
Jamie, hört man nie von abscheulichen Verbrechen, die so viele zivilisierte Na—
tionen entehren und auch nichts von Krankheiten, die am Mark der Völker
nagen. Allerdings, fügt er hinzu, rede er nur von dem ihm bekannten Distrikten
don Roro und Mekeo. „Wenn man hier dergleichen Dinge gesehen hat, so
ind es nur Ausnahmen, die von Eingebornen verabscheut werden, und zur
Schmach der Zivilisation muß man gestehen, daß sie der unqualifizierbaren Auf—
führung von Leuten zuzuschreiben sind, die sich rühmen, keine Wilden zu sein.“
Als Regel gilt, daß ein junger Mann kein Mädchen aus dem eigenen Dorfe
—X gewöhnlich muß er Mädchen aus einem Dorf suchen, das mit dem sei—
nigen verbündet (Aruabira in Roro, Ufapie in Mekeo) ist. Man versteht darunter
in Dorf, das gewissermaßen die Hälfte des andern bildet. Z. B. die Leute von
Beipaa halten und züchten Schweine und Hunde, aber diese Tiere sind nicht
— sie, sondern für die Bewohner des ihnen verbündeten Dorfes Amoamo, ihr
üfabie, und umgekehrt. Stirbt einer in Beipaa, so gibt man ein Mahl, das
für die Leute von Amoamo ist, und umgekehrt. Soll die Trauerzeit beschlossen
verden, so ladet man die Leute von Ufapie ein; diese kommen, tanzen, essen,
nehmen die andern Zeremonien vor und heben die Trauer auf. So ist es
—
— —
J
—r — ——
Missions catholiques 1898. 11. 26Ebd. 45.
352
Fünfter Teil. Australien und Ozeanien.
auch für die Heirat. Die Mädchen eines Dorfes sollen nach der Regel nur
einen Mann der Ufapie heiraten. Nur im Fall einer Entführung oder wenn
fich die Eltern zu schwierig zeigen in Bezug auf Geschenke, geht man von dieser
Regel ab. Obwohl die Eltern des Mädchens die Ehe mit dem Bewerber be⸗
schließen oder sie ablehnen, wird doch auf die Einwilligung des Mädchens Rück⸗
sicht genommen. Mancher Bewerber wird abgewiesen. So kommt es, daß
mancher trotz vieler Geschenke und Bemühungen ledig bleiben muß und höchstens
noch eine Witwe heiraten kann und das auch selten, da die Witwen meist ihren
verstorbenen Männern treu bleiben. Ein Vorteil für die Sittlichkeit ist das
aber nicht, und deshalb suchen die Missionäre dahin zu wirken, daß jeder junge
Mann eine Frau bekommt.
Die Eingehung der Ehe ist für den Papua der wichtigste Akt seines Lebens,
denn er weiß, daß es ein Bund für das ganze Leben ist. Ehescheidung ist
wie die Polygamie eine Ausnahme. Hat der Bewerber durch Geschenke die
Einwilligung der Eltern der Braut gewonnen, so wird der Hochzeitstag be⸗
stimmt. Die Verwandten und Freunde kommen herbei, umzingeln das Haus
der Braut und stürmen es, um die Braut gefangenzunehmen. Diese läuft erschreckt
davon und wird unter ungeheurem Lärm und Schreien eingefangen; auch ihre
Mutter schreit und klagt, daß man sie ihrer Tochter beraube. In der Nacht
wird die Braut festlich gekleidet und geschmückt, dann nehmen die Eltern Ab⸗
schied von ihr, geben ihr heilsame Ermahnungen für ihr Benehmen gegen ihren
Mann, endlich wird sie bei Fackelschein zum Dorf hinausbegleitet, wo die Ver⸗
wandten des Bräutigams sie erwarten und sich zwischen den beiden Parteien
ein lärmender Scheinkampf entwickelt. Im Dorf des Bräutigams wird die
Braut in das Haus ihres Schwiegervaters geführt und dort von allen begrüßt.
Jetzt stellt sich aber der Bräutigam unwillig und muß gefangen und ins Haus
des Vaters geführt werden, wo alle laut rufen: Der ist verheiratet mit der!
Hu ah, hu ah! Das ist eine öffentliche Anerkennung des Ehevertrags1. Während
der ersten Wochen schlafen die Brautleute nicht im selben Hause und dürfen
keinen geschlechtlichen Verkehr miteinander haben, sie erproben einander, ob sie
zueinander passen, und können, wenn sie wollen, sich wieder trennen. Erst nach
Ablauf einiger Wochen beziehen sie dieselbe Wohnung, und jetzt gilt die Ehe
als definitiv. Wir haben hier eine Art Noviziat für den Ehestand.
Neben dieser gewöhnlichen Form der Eheschließung kommt auch der Frauen⸗
raub vor. Außer dem Fall der Ausschweifung, die selten ist und streng bestraft
vird, findet diese Ehe durch Raub nur dann statt, wenn die Eltern es ver⸗
aachlässigen, dem Sohn eine Braut zu verschaffen, oder ihm aus Selbstsucht eine
aufnötigen wollen, die er nicht mag. Voraussetzung des Frauenraubs ist die
geheime Einwilligung der Braut. Beide entfliehen in ein benachbartes Dorf/
vo fie Verwandte und Freunde haben, und damit ist die Ehe geschlossen?. Die
Polygamie ist verhältnismäßig sehr selten. In Roro z. B. trafen die Misstonäre
nur einen einzigen Fall. wo ein Mann zwei Frauen hattes.
Missions catholiques 1898, 595. 2Ebd.
VBgl. Jouet, La Société des Missionnaires du Sacré-Cœur dans les Vicariats
apossstoliques de la Mélanésie et de la Micronésie, Issoudun 1887. 266.,
3. Die Papua in der Nähe der Insel Yule Gritisch⸗Neuguinea). 353
In der Familie teilen sich Mann und Frau in die Arbeit zu sehr un—
hleichen Teilen. Der Mann pflügt, macht die Palisaden, wichelt die Bananen
ein, macht die Netze, sein Itaburi uswp. Die Frau muß alles übrige besorgen;
arten und Küche, die Reinlichkeit, die Kinder, das Vieh uswp. Sobald die
Frau in Hoffnung ist, muß sie sich von sehr vielen Speisen enthalten, damit
das Kind nicht Schaden leide. Naht ihre Stunde, so muß der Mann das
Haus verlassen und die Marea beziehen; kein Mann darf im Hause sein, nur
Frauen und leider auch Kinder dürfen da bleiben; niemand darf ihr aber
helfen, weil ihre Berührung in diesem Zustand unrein (opu) macht. Einige
Tage nach der Geburt muß sie verborgen im Hause bleiben und darf nichts
direlt anrühren, ohne daß es opu werde.
Wenn die Mutter stirbt oder so krank wird, daß man voraussieht, sie
werde nicht im stande sein, das Kind zu nähren, so versammeln sich die Frauen
des Dorfes und beschließen — was gewiß Herzensgüte verrät —, das Kind
auf gemeinsame Kosten aufzuziehen; es wird dann sozusagen das Kind des
Dorfes und der Reihe nach von jeder Frau, die dazu fähig ist, wenigstens einen
dag lang ernährt. Jede übernimmt gern diese Last und macht keinen Unter—
schied zwischen ihm und den eigenen Kindern!. Das Kind wird gewöhnlich
ohne jede Kleidung in ein weitmaschiges Netz gelegt und mit einer starken Liane
an einen Balken geheftet oder von der Mutter auf dem Rücken getragen. Wenn
das Kind sechs Jahre alt geworden, erhält es, wenn es ein Knabe ist, als Kleid
den Itaburi, und wenn es ein Mädchen ist, den Kiba (eine Art Jacke). Die
Kiva ist am Ufer ziemlich lang, im Innern des Landes dagegen kurz. Einst
jog ein Missionär mit mehreren Kanaken, die von ihren Frauen begleitet waren,
nach einem entfernten Ort. Als sie an ein Gebirge kamen, sagten die Kanaken
dem Missionär: Hier muß man beim Steigen auf allen Vieren gehen; unsere
Frauen tragen den Kiva, sie dürfen deshalb nicht mit oder vor den Männern
dehen; sie werden nachkommen. Das beweist gewiß Bescheidenheit und Zart—
hefühl von seiten der Wilden e.
Waährend die Knaben frei spielen und sich unterhalten können, werden die
Mädchen früh zum Helfen im Haushalt und zu angestrengter Arbeit angehalten.
Wenn ein Mädchen ins heiratsfähige Alter kommt, wird es tätowiert, eine
Dperation, die sehr schmerzlich ist, viel Blut kostet und heftiges Fieber verursacht.
Nach Vollendung der Operation wird ein großes Fest gefeiert.
„Die Krankheit ist nach den Papua nicht eine Wirkung natürlicher Ur—
achen, sondern stets die Wirkung des Nepu oder eines Geistes; oft sagen sie,
eser oder jener Geist habe sie angestoßen oder sei in sie hineingefahren. So—
ald die Krankheit zunimmt, untersucht man, wer ihr Urheber sei, und zu dem
—X wendet man sich an die „Beter“, von denen später die Rede sein wird.
pflege wird den Kranken wenig zu teil, obwohl sich immer viele in ihrer Naͤhe
Aufhalten.
bope Missions catholiques 1898, 129. Diese Sitte herrscht jedoch nicht uberall; denn
on einigen Slämmen vird berichtet, daß beim Tod der Mutier auch der Saͤugling be—
saben wird.
Ebd. 152.
Tathrein, Die Einheit d. fittl. Bewußtseins. III.
28
354
Fünfter Teil. Australien und Ozeanien.
Auffallend ist die stoische Gleichgültigkeit, mit welcher der —X——
entgegensieht. Er weiß, daß ein Widerstand unmöglich ist, die Anhänglichkeit
an die irdischen Güter ist nicht groß, und schließlich ist er überzeugt, daß der
Tod ihn bald mit den Seelen oder Geistern der Ahnen vereinigen wird!. Um
so größer ist die Trauer der Überlebenden bei einem Todesfall. Noch bevor
der Kranke ausgehaucht, erheben sie ein furchtbares Geheul. Oft muß er den
Vorbereitungen zum Begräbnis zusehen; gibt er noch ein Lebenszeichen, so stürzen
sie auf ihn los und ersticken ihn durch ihre Umarmungen, während sie laut
seinen Namen rufen, als ob sie ihn wieder zum Leben zurückrufen wollten.
Kaum ist er tot, so heult und schreit alles wild durcheinander. Die Frauen
zerfleischen sich mit spitzen Muscheln den Leib, so daß reichlich Blut fließt, und
wälzen sich vor Schmerz auf dem Boden. Auch die Männer setzen sich um
die Leiche herum und klagen oder verkünden das Lob des Toten oder beschul⸗
digen die Witwe usw. Wenn sich diese nicht selbst gehörig zerfleischt, wird sie
von andern geschlagen, die sie anklagen, daß sie bald wieder heiraten wolle.
Sie legt dann den Kiva ab und umgürtet den Leib mit einer bis auf den
Fuß herabfallenden Matte, die sie bis zum Ende der Trauerzeit trägt. Während
dieser Zeit muß sie sich verborgen halten.
Der Leiche des Toten werden, sobald sein Verscheiden festgestellt ist, Augen
und Mund geschlossen, dann wird sie in die Marea getragen und dort ge⸗
waschen und festlich geschmückt. Nun kommen von nah und fern die Verwandten
und Freunde, um bei der Leiche zu klagen. Das Begräbnis findet etwa zwei
bis drei Tage nach dem Tode und gewöhnlich am Abend statt. Man wickelt
die Leiche in Baumrinden, legt sie in einen Sarg und trägt sie dann unter
Begleitung des ganzen Volkes zum Grabe. Heute haben die Eingebornen schon
Friedhöfe; früher begruben sie die Toten unter den Häusern oder mitten im
Dorfe. Die Leiche wird so ins Grab gelegt, daß das Gesicht der Marea zu—⸗
zekehrt ist. Unmittelbar auf die Leiche legt man dürre Blätter, um sie vor
Kälte zu bewahren, darauf wirft man eine Schicht feiner Erde oder reinen
Sandes. Jetzt stürzen sich die Frauen ins Grab, wälzen sich darin, ergreifen
Erde und werfen sie auf ihr Haupt und ihren Leib und verschlingen sogar
davon; endlich legen sie sich wie tot ins Grab und sagen, sie wollten mit dem
Toten begraben werden. Aber sie werden mit Gewali entfernt. An manchen
Orten nimmt man auch eine Zeremonie vor, um die Seele des Toten zu ver⸗
treiben. Alle, die den Toten berührt haben, müssen sich durch Waschen und Ein⸗
reiben reinigen. Der Witwer der Verstorbenen muß sich nach der Marea begeben
und sich dort während des Tages aufhalten, während der Nacht muß er auf
dem Grabe der Verstorbenen schlafen. Die Witwe muß Tag und Nacht auf
dem Grabe des verstorbenen Mannes bleiben, und zwar sehr lange. Dieses
Verweilen am Grabe soll nicht nur die Tiere abhalten, die Leiche auszugraben,
sondern auch die Zauberer verhindern, sich Leichenteile zum Zweck der Zauberei
anzueignen. Das Begräbnis eines Häuptlings oder eines Anführers im Krieg
ist natürlich noch viel umständlicher und feierlicher. Die oben beschriebene Be—
gräbnisfeier findet übrigens bloß bei den Uferstämmen statt.
Missions catholiques 1902. 185.
3. Die Papua in der Nähe der Insel Yule Britische⸗ Neuguinea). 355
Bei den Mekeostämmen, die von den Bergen herunterkommen (Inavokao,
Ebeo, Inawabui), ist die Beerdigung nicht üblich. Die Toten werden im Wald
auf einem Gerüst aus Ästen ausgesetzt. Inavokoa besitzt auf seinem Gebiet
inen heiligen Hügel mit Namen O'opo. Auf der Spitze dieses Hügels findet
ich in einer Felsenwand eine große Höhle. Hier werden die Toten von Ina—
dokoa hingelegt. Der unerträgliche Geruch, der daraus hervorkommt, hat bis
heute alle ferngehalten, die die Höhle besuchen wollten. — Die Leichen werden
seden Morgen mit kaltem Wasser gewaschen oder begossen, bis sie zersetzt oder
berschwunden sind. Bei ganz alten abgelebten Leuten macht man, wenn sie
sterben, wenig Umstände. Sie werden ohne Klagen und Weinen in eine Matte
gewickelt und begraben. Überhaupt haben die Neuguineaner (P. Guis nennt
siie stets Kanaken) keine Achtung vor dem Alter. Die alten Leute läßt man oft
faft verhungern und an allem Nötigen Mangel leiden. Auch die neugebornen
Kinder werden mit Gleichgültigkeit behandelt. Aus dem Tode eines solchen
Kindes macht sich der Vater gar nichts und auch die Tränen der Mutter hören
bald auf. Sobald aber das Kind fünf oder sechs Jahre alt ist, ändert sich
die Sachlage, es wird wie ein Erwachsener behandelt.
Die Papua haben ganz klare Eigentumsbegriffe. Was jemand ge—
macht oder gefunden oder gekauft hat, das ist sein Eigentum; der Baum, den
er im Wald bezeichnet oder den er gepflanzt, der Boden, den er urbar gemacht
und angepflanzt hat, wird sein Eigentum. Vom Kommunismus scheinen sie
leine Idee zu haben. Als Guis einem Eingebornen einen Gegenstand zeigte
und sagte, der gehört dem Obern, dem Bischof Navarre, sagte der Angeredete:
„Nein, der gehört dem Bruder N., denn der hat ihn gemacht.“ — „Freilich,
aber was der Bruder gemacht, gehört alles dem Bischof.“ Das wollte dem Ein—
Jebornen nicht einleuchten.
Wir wenden uns jetzt zur Religion. Guis meint, die Eingebornen
Britisch: Neuguineas hätten keine Religion; wie aber das zu verstehen ist, ergibt
sich aus seinem Referat auf dem Katholikenkongreß in Sydney im Jahre 19001.
Die Papua sind ein überaus abergläubisches Volk, das sich immer und überall
don zahlreichen Geistern (Biriwas oder Papais) umgeben wähnt. Diese Geister
ind für gewöhnlich unsichtbar, körperlos, befinden sich nirgends und überall,
önnen sich mit Tieren vereinigen und sind imstande, die verschiedensten Ge—
talten anzunehmen, um den Menschen zu schaden. Sie sind bösartig und
derursachen Krankheiten und besitzen außerordentliche Kräfte. Einige Missionäre
behaupten, die Papua glaubten an ein höheres Wesen, den allmäch—
ligen Schöpfer und großen Richter. Nach Guis ist das zweifelhaft?.
Sicher ist jedoch, daß sie an ein höheres Wesen glauben, welchem sie den Namen
Aja oder Oa-Rore geben und die wunderbarsten Kräfte beilegen, aber auch die
größten Absurditäten andichten. Nach Guis ist Aja der erste Mensch, von dem
sie eine Erinnerung haben, doch gab es vor ihm Menschen und Dörfer. Er
wurde zuerst von einem Weibe in dem großen Dorfe Bebeo gesehen, mitten in
1Proceedings of the first Australasian Catholic Congress at Sydney, Sydney
1800, 820 ff.
2 Hoffentlich suchen die Missionäre durch weitere Nachforschungen Klarheit in die
Frage zu bringen.
2*
2
356 Fuͤnfter Teil. Auftralien und Ozeanien.
einem Bündel Brennholz, den es im Walde geholt hatte. Aja war damals
ein kleines Kind, aber schon äußerst intelligent und schlau, ein großer Jäger
und Fischer. Alles Wild und alle Fische gehörten ihm. Wenn seine Hunde
zu klein waren, um einen wilden Bären anzugreifen, so hauchte er sie mit einem
Bambusrohr an, und sofort wurden sie große Hunde. Er konnte überhaupt die
—
Diese wurden eifersüchtig und raubten ihm seine Beute. Er konnte sich nach
Belieben in einen Kasuar, einen wilden Bären oder ein Känguruh verwandeln.
In einer solchen Gestalt ließ er sich einst von den Weibern von Bebeo ver⸗
folgen, lockte sie weit vom Dorfe weg und verwandelte sich dann wieder in einen
Menschen. Als er mit ihnen wieder heimkehrte, kamen sie an einen großen und
tiefen Strom; die Frauen erschraken, aber Aja machte ein Kanoe, führte die,
welche alt und anständig waren, ans andere Ufer und kehrte dann zu den Zurück⸗
gelassenen zurück, um sie zu holen. In der Mitte des Stromes brach er ab⸗
sichtlich das Ruder und befahl dem Donnerkeil, die Weiber zu erschlagen. Er
ließ dann den Kahn weiter treiben, und als sie weit entfernt waren, erweckte
er die Weiber wieder zum Leben; diese aber erkannten die Gegend nicht mehr.
Aja tröstete sie und erwies ihnen jeden Dienst. In der Nacht, während die
Weiber schliefen, betete er, und während des Gebetes erhob sich die Erde,
auf der sie standen, immer höher und höher, bis sie so nahe an den Himmel
kam, daß niemand mehr aufrecht stehen konnte. Er mußte wieder beten, da⸗
mit sich die Erde wieder etwas senke!; dann nahm er, um sich zu ergötzen,
einige Ruder herunter. Die Ruder, welche auf die Erde fielen, wurden zu
Bergen, die, welche ins Meer fielen, zu Inseln, wie z. B. Neuguinea, Yule⸗
Insel usp. Die Weiber wurden die Frauen Ajas, der mit einem Donnerkeil
ihre früheren Männer tötete oder sie so verletzte, daß sie keine Lust mehr hatten,
ihre Weiber zu holen.
Aja hatte vier Brüder, von denen man nicht weiß, woher sie kamen. Durch
einen von diesen ließ er eines Tages den Dorfbewohnern sagen, daß er mit
ihnen zu sprechen wünsche. Als alle in großer Zahl am Fuße des Berges ver—⸗
sammelt waren, warf er ihnen einen großen Bündel zu mit den Worten: Fangt
ihn mit euern Händen auf und laßt ihn nicht auf den Boden fallen, sonst werdet
ihr unglücklich werden. Aber in ihrer Gier stießen sie einander, der Bündel
fiel auf den Boden, brach auseinander, und es kam eine Leiche zum Vorschein.
Darob entstand Streit und Schlägerei unter den Leuten, bis Aja dazwischen⸗
trat und ihnen sagte: Ihr dummen Leute, ihr seid schon im Streit wegen eurer
Ungeschicklichkeit; ihr werdet immer zanken. Bevor ich euch verlasse, will ich
jedem Stamm ein Geschenk machen, das sein Eigentum und sein Kennzeichen
bleiben soll. Darauf erhielt Motu-Motu den Bogen, Mikio den Speer, Roro
die Keule, Nikura eine mit Moskitos gefüllte Pfeife und Inawa den Pepu
oder Zaubertalisman. Endlich sagte Aja zu den Weibern: Ihr Weiber an der
Küste sollt lange Kleider tragen, ihr von Mekeo ganz kurze, und die Weiber
Wenn man nicht annimmt, die Eingebornen hätten wenigstens dunkel an ein Wesen
geglaubt, das höher stand und mächtiger war als Aja, so ist dieses Gebet ganz un⸗
begreiflich. Beten heißt so viel, als von jemand etwas erbitten.
3. Die Papua in der Nähe der Insel Yule Britisch⸗ Neuguinea). 357
in den Bergen sollen den „Itaburi“ wie die Männer tragen. Nun geht. Ich
kehre nach Ario zurück, wohin eure Seelen kommen werden, wenn
ihr gestorben seid!.
Aja wird als Mensch gedacht, hatte aber weder Vater noch Mutter und
vollbrachte die größten Wundertaten. Er ist der Erfinder der Waffen, der
Zauberei, der Kostüme und alles dessen, was man heute in Neuguinea sieht.
Er ist das Haupt der Geister der Toten und lebt auf einem Berge bei Motu—
Motu, wo er seine Gärten pflegt. Wir gehen wohl nicht fehl, wenn wir an—
nehmen, daß in diesen Fabeln noch die Idee der Schöpfung, allerdings sehr
entstellt, durchleuchtet. Es ist jedenfalls ein Widerspruch gegen die eigenen An—
Jaben, wenn Guis behauptet, die Papua hätten keine Idee von einem höheren
Wesen, das sich um sie interessiere. Schon aus dem Gesagten ergibt sich auch
der Glaube der Papua an ein Fortleben der Seele nach dem Tode.
Wenn der Mensch stirbt, sagen sie, bleibt seine Seele in der Nähe, und wenn
man den Leib begräbt, muß man sich hüten, die Seele mitzubegraben. Aus
diesem Grund legen sie auf den schon ins Grab gesenkten Leib vom Kopf bis
zum Fuß eine Schicht von Zweigen. Ist die Seele einmal aus dem Grabe,
so muß dieselbe so bald als möglich sich nach Ario, dem Berge Ajas, dem
Wohnort der Geifter, begeben. Die Geister der Toten sind alle bösartig, sie
—WO
staͤndig gleich. Von einem Gericht nach dem Tode und einer Vergeltung von
gut und böse im Jenseits ist keine Rede. Ob die Seelen unsterblich seien?
Buis meint, die Papua hätten eine Ahnung davon, seien aber doch nicht sicher.
Das Wahrscheinlichste ist, daß sie von solchen Fragen sich keine Rechenschaft geben.
Ein religiöser Kult scheint nur in spärlichen Überresten vorhanden zu
ein. Sie haben weder Tempel noch Priester noch genau bestimmte Zeremonien.
Doch spielen Zauberer, Talismane und Amulette eine große Rolle. Eine merk—
würdige Erscheinung sind die sog. Mea Mea Han Kia“ oder „Männer
des Gebetes“, die Gebetsformeln hersagen, welche ihnen selbst oft unverständlich
ind; doch haben sie auch Gebete in verständlicher Sprache. Beim Beten be—
gnügen sich diese Männer mit dem Hersagen von einer Art Litanei, in der die
Ramen aller Ahnen, angefangen mit dem letzten, vorkommen. Da die Geister
bdöse sind und z. B. das Wild oder die Fische verscheuchen, so muß am Vor—
abend vor einer großen Jagd oder einem Fischfang der Mann des Gebetes
reichlich Wurzeln der Ingwerpflanze kauen, speit sie dann in ein kleines, mit
Wasser gefüllles Gefäß, in das ein Dekokt von gewissen aromatischen Kräutern
deworfen wurde. Ist dieses „heilige“ Wasser bereitet, so nimmt er mit der
rechten Hand einen Irauzizweig und mit der linken die Kalebasse mit der ge—
schilderten Flüssigkeit und macht nun die Runde durchs Dorf, begleitet von einer
Anzahl Gehilfen, die Fackeln tragen. Kommen sie an einem Hause vorbei, vor
dem Fischnetze ausgebreitet sind, so sprengt der „Mann des Gebetes“ etwas
bon dem heiligen Wasser darüber und murmelt einige Gebete: „Laufet fort,
derlasset diese Netze, und kommt nicht, um die Fische oder die Känguruhs zu
erschrecken, ihr“ (hier kommen die Namen der Ahnen). Anstatt „Amen“ zu
— —
16Guis, Procéedings of the first Australasian Catholic Congress usw. 832.
358
Funfter Teil. Australien und Ozeanien.
sagen, schlägt einer der Gehilfen mit einer Keule stark auf die Veranda neben
dem Netz und schreit dabei: Hau! hau! hä ä ä a! Damit kein Name der
Ahnen vergessen werde, wiederholen die Gehilfen in tiefem Ton die Namen der
schon Genannten. Die Zeremonie dauert oft sehr lange; daß sie religiösen
Charakter hat, ist nach dem Gesagten nicht zu bezweifeln.
Es gibt „Männer des Gebetes“ für alles und jedes: sie beten
für die Fischerei, die Jagd, für schönes Wetter und Regen, gegen Fieber, gegen
Schlangenbiß, zur Entdeckung eines Schuldigen, zum Finden verlorener oder
gestohlener Gegenstände, für ein neues Haus, vor einer langen Reise. In
letzterem Fall gebrauchen sie einen besondern Gebetsmann, der Kapu-Kapu heißt
und durch Gebete und Zeremonien eine glückliche und schnelle Reise verschafft.
Dieser Zauberer unterhält beständig ein Feuer in der Piroge. An diesem Feuer
darf niemand sich wärmen, die Pfeife anzünden oder etwas kochen. Der Gebets⸗
mann darf nie nach dem Meere hinschauen, sondern muß unverwandt auf den
Robio, die Spitze des Mount Yule blicken. Er darf kein Wasser trinken, keine
Fische essen u. dgl. Spricht er mit einer Frau, so zerbricht der Kahn usw.
Jeder von diesen Gebetsmännern hat seine Spezialität, von der er nicht abgeht.
Noch sei eine Gewohnheit erwähnt, die wohl ein Opfer sein dürfte. Bei
einigen Häusern und auch auf einigen Gräbern findet man eine Reihe von
Kokosnüssen, die auf einem Balken vor der Front des Hauses befestigt sind
und dort bleiben, bis sie faulen. Es sind des Teufels Nüsse für die Toten.
Der Gebrauch ist nicht allgemein, aber sehr verbreitet und hat wohl Opfer⸗
charakter. Guis bestreitet das in Worten, gibt aber die Sache im Grunde zu;
denn die Eingebornen tun das nach ihm, weil sie überzeugt sind, daß die Seele
nach dem Tode des Leibes noch fortlebt und daß ihr jetziges Leben nicht viel
von ihrem früheren verschieden ist, und deshalb bringen sie ihr diese Nüsse dar,
damit fie dieselben esse und nicht ins Haus komme, um die Hinterbliebenen zu
stören. Zu demselben Zweck unterhalten sie einige Tage ein beständiges Feuer
auf dem Grabe. Die Seele kann sich nur schwer von dem Leibe trennen, der
ihr als Gefährte gedient hat, und da es kalt und sie deshalb übel gelaunt ist,
so gibt man ihr Gelegenheit, sich zu wärmen.
Obwohl nach der Versicherung Guis' die Eingebornen keinen Begriff von
einer Verunreinigung der Seele durch die Sünde haben, kennen sie doch viele
gesetzliche Unreinheiten und dementsprechend verschiedene Formen von Reinigungs⸗
zeremonien, die viel Ähnlichkeit mit den Gebräuchen der Juden haben. So
z. B. müssen sie sich in gewissen Umständen nicht nur jedes Umgangs mit den
Frauen enthalten, sondern auch ihren Anblick vermeiden. Tun sie es nicht, so
werden sie opu (unrein), und das Werk, das sie unternommen haben, ist be⸗
fleckt und gefährdet. Eine Leiche zu berühren, ein Grab zu machen, eine
schwangere Frau anzurühren, verunreinigt. Um sich zu reinigen, müssen die
Befleckten gewisse Pflanzen kauen und sich selbst mit bestimmten Blättern den
Leib einreiben. Die Frau ist zwei Monate vor der Niederkunft opu, und diese
Unreinheit legt ihr allerlei abergläubische Einschränkungen auf, damit das Kind
nicht Schaden leide. Eine Frau darf während der Niederkunft von niemand
angerührt werden, außer von einer Mutter, die eben geboren hat und noch nicht
gereinigt worden ist. Aus diesem Grunde sterben viele junge Mütter, weil aus
Z. Die Papua in der Nähe der Insel Yule GBritisch-Neuguinea). 359
Furcht vor Befleckung sie niemand anzurühren wagt. Wenn ihr jemand etwas
geben will, muß er es ihr am Ende eines Stockes darreichen. Für das erste
und zweite Kind dauert diese Periode einen ganzen Monat. Dann muß die
Mutter die Reinigungszeremonie vornehmen. Die Nachbarn zünden im Hause
ein Feuer an, von dem der Rauch und die Hitze zur Frau aufsteigt. In der
Rähe brennt ein anderes Feuer, auf dem sich eine Kalebasse mit Wasser und
allerlei wohlriechenden Kräutern befindet. Wenn das Wasser am Sieden ist,
wäscht die Frau damit den ganzen Leib, dann legt sie sich auf die noch heiße
Asche, wird in Decken gehüllt, bis sie in Schweiß gerät und halb gebraten ist,
dann wird sie von den Umstehenden mit dem Wasser der Kalebasse gewaschen,
mit Kokosnußöl eingerieben, und nun ist sie wieder rein!.
Der Missionär macht darauf aufmerksam, wie bald die Eingebornen, be—
onders die jüngeren, die christliche Lehre verstehen und wie sehr sie dieselbe lieben.
Alles kommt ihnen ganz natürlich vor. Größere Schwierigkeit bereitet die
Moral. Alles in allem jedoch ist die Moral hier nicht so entartet, als man
meinen sollte. Polygamie als Institution existiert nicht. Der Mann hat nur
eine gesetzliche Frau; die andern sind bloße Konkubinen oder Mägde, auch wenn
ie schon Kinder haben. Jungen Kindern von sieben oder acht Jahren wird
die größte Ausschweifung gestattet, ihre Eltern drücken die Augen zu. Was
will man? Sie müssen sich ergötzen. Weh aber dem Jungen, der, ich sage
nicht, es wagt, ein Mädchen im zarten Alter zu entehren, sondern der auch
nur wagt, ihr ein Geschenk zu machen, oder allzu häufig mit ihr redet; dann
wird er den Knüttel zu verspüren bekommen. Damit widerlegt sich Guis
elbst, wenn er an einer andern Stelle behauptet, die Moral der Papua sei
die Moral der Hunde und Katzen. Obwohl Lüge und Diebstahl sehr häufig
borkommen, so darf man nicht glauben, sie hielten das für erlaubt. Wozu
sonst den Zauberer zu Rate ziehen, um einen Diebstahl zu entdecken, wenn man
dlaubte, derselbe sei recht und gut?
Verschieden von den Angaben Guis' über die religiösen Überlieferungen der
Papua bei der Yule⸗-Insel lauten diejenigen des Apostolischen Vikars von Neu—
guinea, Msgr André Navarre?. Er schreibt: „Oa-Bové, den sie als ihren
Gott betrachten, gab ihren Vätern eine Offenbarung. Dieser Oa-Bové wohnt
nach den einen auf der Spitze der höchsten Berge, nach andern soll er in den
höchsten Teilen des Himmels wohnen. Er läßt diejenigen Menschen zu
seinem vertrauten Umgange zu, die auf Erden gut gewesen
sind; während seine Feinde, die Bösen, Tag und Nacht damit
beschäftigt sind, Steine von einem Ort zum andern zu tragen.
Nan erblickt in diesen Zügen eine Idee des wahren Gottes, einer Belohnung
ür die Guten und einer Bestrafung für die Gottlosen, mit einem Wort eine
Idee vom Paradies und von der Hölle.“
Oa-Bové hatte, wie Navarre weiter berichtet, eines Tages die Väter der
Papua wissen lassen, daß er jemand vom Himmel auf die Erde senden werde,
nicht einen Geist, sondern einen Menschen mit einem Leib. Würden sie ihn
Guis, Procéedings of the first Australasian Catholic Congress usw. 840.
Missions catholiques 1891. 307 ff.
360
Funfter Teil. Australien und Ozeanien.
günstig aufnehmen, so solle ihnen alles gut gehen, die Pflanzungen würden fast
ohne Arbeit Früchte hervorbringen, sie würden Glück erhalten auf der Jagd und
beim Fischfang, sie würden weniger Krankheiten haben und im Frieden und
Glück miteinander leben. Sollten sie aber den Gesandten des Himmels nicht
aufnehmen, so würden sie von allen Arten von Übeln heimgesucht werden und
in beständigen Kriegen miteinander leben. Ihre Väter wollten aber den Ge⸗
sandten nicht aufnehmen, sondern ließen ihn, wie sie sich ausdrücken, auf den
Boden fallen. Seit dieser Zeit sind unzählige Übel über sie gekommen und
alles muß durch Waffen entschieden werden. Wir haben hier eine dunkle Idee
bon einem Erlöser und von einer Sünde der Väter, einer Erbschuld, welche die
Leiden über die Menschen gebracht hat!1.
Der in dieser Überlieferung genannte Oa-Bovbé ist wohl dasselbe Wesen,
das P. Guis Oa-Bore oder Aja nennt, nur tritt hier seine Gottheit deutlicher
zutage. Die englischen Missionäre Chalmers und Gill bestätigen die An⸗
gaben des Bischofs Navarre. Sie schreiben? über die Bergbewohner in der
Nähe der Redscarbai: „In Mitteilungen über ihren Glauben sind diese Berg⸗
bewohner sehr zurückhaltend. Alles, was ich darüber erfahren konnte, war, daß
der Große Geist, den sie verehren, in den Bergen wohnt und Oarova heißt;
er hat eine Frau, Oviroba mit Namen, und einen Sohn Kurorova.“
Die Mafulu sind ein Bergbolk im Innern von Britisch-Neuguinea um den
8.0 30 südl. Br. und 147.0 östl. L. von Greenwich. Sie neunen sich selbst
Mambule, aber dieser Name wird von ihren westlichen Nachbarn, den Kuni,
Mafulu ausgesprochen, und unter diesem Namen hat sie Robert W. William—
sons in einer eingehenden Monographie geschildert. Ihre Sprache ist das
sog. Fujuge (Fuyuge), das in verschiedenen Dialekten auch von mehreren Nachbar⸗
tämmen gesprochen wird und einen Zweig der Papuasprachfamilie bildet. Sie
sind lebhaft, reizbar, fröhlich, ziemlich intelligent und tapfer, aber träge, bequem,
rachsüchtig und unzuverlässig; doch ehrlich, soweit es sich um Grenz⸗ und Eigen⸗
tumsrechte handelt. In sittlicher Beziehung sind sie fehr lax, dabei außerst
abergläubisch.
Die gewöhnliche Kleidung, abgesehen von Schmuchsachen, besteht in einem
dünnen Rindentuchstreifen um die Lenden, der zwischen den Beinen durchgezogen
4. Die Mafulu GBritisch⸗Reuguinea).
Auch P. Jouet (La Société des Missionaires du Sacré-Cœur usw. 308) sagt
von den Neuguineern, sie seien dem Christentum nicht abgeneigt; denn sie hätten die
Idee von einem unfichtbaren mächtigen Wesen, das fie zwar nicht lieben, sondern fürchten,
von dem sie aber doch wünschen, daß es sie gegen die Feinde schütze. Auch wird dieses
Wesen (Biriwa) wohl vom Teufel (Paipai) unterschieden; vgl. ebd. 192.
Neuguinea. Reisen und Missionstätigkeit während der Jahre 1877 1885. Deutsche
Ausgabe, Leipzig 1886, 126.
The Mafulu Mountain Peéople of British New Guinea, London 1912. Wie der
Verfasser selbst dankbar anerkennt, haben ihm die Misstonäre vom Heiligsten Herzen
(M. 8. O.), in deren Missionsgebiet die Mafulu wohnen, bei Abfassung seines Werkes
wesentliche Dienste geleistet.
Ebd. 253.
4. Die Mafulu Gritische Neuguinea). 361
wird und vorn mit einem kleinen Schurz oder einer Schamhülle versehen ist.
Die Kinder bleiben ganz nackt. Das Tätowieren ist nicht im Gebrauch; die
Männer rupfen sich die Barthaare und die Augenbrauen aus. Die Nasen—
scheidewand wird im Alter von 15 bis 18 Jahren durchbohrt, und zwar unter
Anwendung von Zauberformeln. Die Patienten müssen während dieser Zeit
mancher Speisen sich enthalten und bis zur vollen Heilung der Wunde in eigens
für diesen Zweck gebauten Hütten bleiben. In die Offnung müssen sie ein
Vlatt eines bestimmten Baumes einfügen, dann müssen sie suchen, eine kleine
Schlange zu erbeuten, und sie lebendig mit dem Schwanz voran durch das Loch
zu ziehen und wegzuwerfen.
Die kleinen Kinder und die unverheirateten Töchter wohnen in der Hütte
mit der Mutter zusammen; die größeren Knaben und vielfach auch die ver—
heirateten Männer schlafen in dem sog. Klubhaus (omono), und zwar die
Knaben von der Zeit an, wo sie den Schamgürtel erhalten, d. h. spätestens
wenn sie zehn oder zwölf Jahre alt sind. Das Frühmahl wird den Männern
bon den Frauen in das Klubhaus gebracht. Die Frauen beschäftigen sich außer
mit der Küche und dem Haushalt mit dem Anpflanzen von süßen Pataten,
Taro u. dgl. und holen das Brennholz. Den Männern liegt die Besorgung
der HYams⸗, Bananen⸗- und Zuckerrohrpflanzungen ob, auch müssen sie die großen
Bäume fällen und Hecken errichten, wenn sie eine neue Pflanzung anlegen. Das
Mittagessen wird von den Frauen für alle in den Gärten bereitet und dort
eingenommen.
Im allgemeinen leben die Glieder einer Familie in Eintracht zusammen;
die Kinder werden von den Eltern liebevoll behandelt ; auch innerhalb der Dörfer
ist wenig Streit und Zank zu bemerken. In allen Dörfern findet man eine
große Zahl Schweine, doch sind sie nicht das Eigentum des Dorfes, sondern
der einzelnen Familienhäupter; wenn es für ein Fest oder eine Zeremonie nötig
st, muß jede Haushaltung so viele Schweine liefern, als das Herkommen ver—
anat. Obwohl die Schweine keine Eigentumsmarke tragen, entsteht doch kein
Sigentumsstreit, da jede Familie ihre Tiere sehr genau kennt.
Ein junger unverheirateter Mann im heiratsfähigen Alter darf nicht in
Vegenwart von Frauen essen; er darf im Wald essen oder im Innern des
Emone (Klubhaus), aber nicht auf der Plattform desselben, so daß Frauen
* sehen könnten. Kinder und untergeordnete Leute müssen stets hinter dem
Haupiling vorbeigehen, und wenn ein Häuptling redet, müssen alle andern, alte
und junge, schweigen. Junge Männer und Mädchen können öffentlich unter
inderem Volk frei zusammenkommen, aber kein junger Mann würde allein mit
einem jungen Mädchen herumgehen i.
Die Mafulu leben in kleinen Gruppen von Dörfern oder Weilern, und eine
olche Gruppe bildet für manche Zwecke eine Einheit, die Williamson eine
„Kommunilat“ nennt. Jede von diesen Kommumildien bildet ein selbsiändiges
Ganze, das mit andern Kommunitäten der Mafulu keine andern Beziehungen
* als diejenigen, die sich aus nachbarlicher Freundschaft oder aus Verwandt⸗
chaft ergeben. Jede Kommunität betrachtet die Glieder der andern Kommuni—
—
Ebd. 79.
362
Fünfter Teil. Australien und Ozeanien.
täten als Auswärtige. Die Grenzen zwischen den verschiedenen Kommunitäten,
d. h. den Gebieten, in denen die Glieder der einen Kommunität mit Ausschluß
der andern jagen, fischen, Boden urbar machen, Holz fällen und Früchte sam⸗
meln können, sind genau bestimmt.
Die Zahl der Dörfer einer Kommunität schwankt zwischen zwei und acht;
doch sind die Beziehungen der Dörfer verschieden wegen des Klanshstems. In
jeder Kommunität sind zwei oder mehrere Klans, und jeder Klan hat seine
eigenen Dörfer oder wenigstens ein Dorf innerhalb der Kommunität; nie trifft
man zwei Klans in einem Dorf oder einen Klan in zwei oder gar mehreren
Kommunitäten. Das Band, das eine Gruppe von Dörfern desselben Klans
miteinander verbindet, ist viel inniger als das Band der Kommunität als
solches. Diese Dörfer vom selben Klan haben einen gemeinsamen Häuptling
(amidi) und ein gemeinschaftliches Klubhaus (emono), nämlich das Haus, in
dem der Amidi gewöhnlich residiert; sie unterstützen sich gegenseitig und helfen
einander, wenn einem Individuum Unrecht geschehen ist. Die Klans sind an
sich alle exkogam, auch wenn die Glieder desselben in verschiedenen Dörfern
wohnen. Die Glieder eines Klans bezeichnen einander als Imbele; die Zu—
gehörigkeit zu demselben Klan entsteht aber nicht bloß durch Blutsverwandischaft.
Wenn z. B. ein Mann von einem Klan dauernd in das Dorf eines andern
Klans übersiedelt, so wird er ein Imbele des letzteren Dorfes, bleibt aber Imbele
seines ursprünglichen Klans. Von Totemismus konnte Williamson trotz sorg⸗
fältiger Nachforschung keine Spur entdecken?.
Obwohl der Klanhäuptling in allen Klanangelegenheiten, besonders bei
öffentlichen Zeremonien, die Leitung hat und sehr geachtet wird, hat er doch keine
administrative oder richterliche Gewalt und kann kein Glied des Klans strafen.
Dem Häuptling im Range zunächst folgt innerhalb des Klans ein Unterhäupt⸗
ling in jedem Dorf des Klans, der em'u babe (Vater des Dorfes) heißt und
in einem Dorfe die Funktionen des Häuptlings ausübt, mit Ausnahme der
Funktionen beim Großen Feste, von dem später die Rede sein wird. Diese Unter—
häuptlinge unterstützen den Häuptling in allen Funktionen, die den ganzen Klan
hetreffen. Ihre Wohnungen sind die Hauptemones der betreffenden Dörfer.
Außer den Unterhäuptlingen gibt es noch eine Anzahl ako baibo Große
Männer), eine Art erblicher Aristokratie. Die Würde des Klanhäuptlings ist
in der männlichen Linie nach dem Recht der Erstgeburt erblich. Sind keine
männlichen Nachkommen vorhanden, so geht die Würde an den Bruder des
Häuptlings oder den nächsten männlichen Verwandten. Der Häuptling hat
keine besondern Tapus. Er darf sein Amt nicht antreten und auch kein Emone
hauen, bevor er verheiratet ist.
Eine eigentliche Obrigkeit mit richterlicher Gewalt gibt es nicht, und sie
scheint, wie Williamson meint, kaum nötig zu sein. Persönliche Zwistigkeiten
zwischen Gliedern eines Dorfes oder Klans oder auch einer Kommunität, wie
J. B. über Erbschaften, Grenzen, Eigentum, Übertretungen oder rechtswidrige
Handlungen innerhalb des Dorfes oder der Kommunität sind äußerst selten,
abgesehen von Ehebruch, Verwundung und Tötung infolge von Ehebruch, die
Williamson, The Mafulu Mountain People usw. 90 -91.
363
häufiger vorkommen. Manche Dinge werden von alters her als unrecht und
trafwürdig betrachtet, besonders Stehlen, Verwunden, Töten und Ehe—
bruch, ader die Strafe für diese Verbrechen wird von den Verletzten selbst
und von ihren Freunden verhängt, die von der öffentlichen Meinung, und wenn
der Beleidiger einem andern Klan angehört, oft von ihrem ganzen Klan tätig
unterstützt werden. Die Strafe für den Diebstahl ist Wiedererstattung, aber
innerhalb der Kommunität oder gar desselben Klans oder Dorfes gilt er für
ein so schmachvolles Vergehen, daß schon das bloße Bekanntwerden desselben
eine schwere Strafe für den Schuldigen ist. Bei Verwundung und Tötung
gilt die Regel: Blut für Blut, Leben für Leben. Die Wiederbergeltung für
ein Verbrechen, das ein Angehöriger eines andern Klans verübt hat, richtet sich
aft nicht nur gegen den Schuldigen, sondern gegen seinen ganzen Klan. Um
den Dieb und das Gestohlene ausfindig zu machen, bedient man sich ver—
schiedener Zaubermittel.
Eigentumsrecht. Bewegliche Dinge wie Kleider, Schmucksachen, Werk—
zeuge und Schweine sind volles individuelles Eigentum; auch das Haus gehört
inem Manne oder Familienvater, aber nicht der Boden, auf dem es steht;
dieser bleibt Eigentum des Dorfes. Jeder erwachsene männliche Dorfbewohner
hat das Recht, für sich in dem Dorfe ein Haus zu bauen, und zwar nur eins,
doch kann er noch Häuser in andern Dörfern haben. Nur die Häuptlinge und
die besonders angesehenen Männer dürfen in demselben Dorfe zwei oder drei
dauser besitzen. Wird das Haus niedergerissen und nicht wieder aufgebaut,
o kehrt der Boden in das Eigentum des Dorfes zurück und ein anderer kann
darauf ein Haus bauen.
Das Waldland ist Eigentum von Privaten und das Eigentumsrecht er—
treck sich auf alle Bäume und Pflanzen, die darauf wachsen, aber nicht auf
das Wild, das als Gemeingut der Kommunität gilt; jedes Glied der Kom—
munität darf da vorübergehend jagen und fischen. Die Grenzen der einzelnen
Gebiete sind genau bekannt, obwohl man keine künstlichen Grenzmarken sieht.
Auch die Gärten, die ein Mann auf Privatgebiet urbar gemacht hat, gehören
hm, und er darf dort so viele Häuser bauen, als er will. Niemand aber darf
das Waldland oder die Gärten verkaufen, Eigentumsübertragungen kommen
deshalb nur infolge von Tod und Erbschaft vor.
Beim Tode eines Mannes erbt die Witwe nichts, doch gewährt man ihr
dewöhnlich ein Schwein, das sie später zur Beendigung der Trauerzeit fordern
—T sie hat ferner mit ihres Mannes Kindern das Recht auf die Ernte des
aufenden Jahres, die sie mit ihrem Manne gepflanzt hat, und endlich darf
ie im Hause ihres Mannes bleiben, solange die Trauerzeit dauert; dann wird
das Haus niedergerissen und die Witwe kehrt gewöhnlich zu den Ihrigen in
ihr Geburtsdorf zurück. — Solange Söhne vorhanden sind, erben die Töchter
des Verstorbenen nichts, wiewohl man ihnen aus Gnade einige bewegliche Güter
überläßi. Die Söhne teilen die bewegliche Habe unter sich, das Wald- und
Gartenland gehört ihnen gemeinsam und kann nicht geteilt werden, doch kann
eder einen bestimmten Teil des Waldlandes in Gartenland umwandeln und
dadurch zu seinem vererblichen Eigentum machen. Frauen können kein unbeweg—
iches Eigentum erwerben. Stirbt eine Frau, so erbt all das Ihrige ihr Mann
4. Die Mafulu (Britisch-Neuguinea).
364
Fünfter Teil. Australien und Ozeanien.
oder, wenn der tot ist, ihre Kinder. Irgend eine Art von sog. weiblicher
Linie oder Mutterrecht besteht nicht 1.
Ehe. Die Ehen werden erst eingegangen, wenn beide Brautleute das
heiratsfähige Alter erreicht und den Lendengürtel erhalten haben. Gewöhnlich
holt sich der Mann eine Frau aus einer andern Kommunität, doch nimmt er
zuweilen auch eine Frau aus einem andern Klan seiner eigenen Kommunität.
Sehr selten gehört die Frau zu einem andern Dorf desselben Klans und noch
seltener zum selben Dorf. Leute, die von demselben Großvater oder derselben
Broßmutter sei es väterlicher- sei es mütterlicherseits abstammen, dürfen einander
nicht heiraten. Es kommen zwar ausnahmsweise Ehen innerhalb dieser Grade
vor, aber sie werden ungern gesehen. — Vielweiberei ist häufig. Bei einem
gewöhnlichen Mann wohnen alle Frauen in demselben Haus mit ihm; Häupt⸗
linge oder reiche Männer haben aber mehrere Häuser. Kinder werden oft sehr
früh verlobt. In einem Fall wurde ein Mädchen von 16 oder 17 Jahren
mit einem noch nicht gebornen Sohn eines Häuptlings vermählt, und als dieser
Sohn starb, noch bevor ein eheliches Verhältnis möglich war, wurde das Mädchen
als Witwe angesehen.
Ein junger Mann spricht von seiner gegenwärtigen oder voraussichtlichen
Braut als von seiner „Blume“ (ojando). Ist er noch nicht verlobt und sucht
er eine Braut, so gebraucht er verschiedene Zaubermittel, um die richtige zu
finden. Er zündet z. B. bei ruhigem Wetter ein Feuer an und wartet, bis
eine entstehende Brise den Rauch nach einer bestimmten Richtung treibt. In
dieser Richtung geht er dann auf die Suche.
Die Ehe kommt gewöhnlich dadurch zustande, daß der junge Mann durch
eine weibliche Verwandte dem Mädchen den Antrag stellt. Die Ehe selbst, die
entweder die Verlobung durch die Eltern oder wenigstens ihre Einwilligung
voraussetzt, wird ohne viele Formalitäten geschlossen. An dem für die Hochzeit
bestimmten Tage geht der Bräutigam zu dem Haus der Eltern des Mädchens,
dann ziehen Bräutigam, Braut und die Eltern der Braut zum Hause der Eltern
des Bräutigams. Hier wird der Brautpreis bezahlt, und von jetzt an leben
die beiden jungen Leute als Mann und Frau zusammen im Hause der Eltern
entweder des Bräutigams oder der Braut, bis der junge Mann ein eigenes
Haus für sich erbaut hat. Noch einfacher kommt zuweilen die Ehe zustande
durch Entlaufen. Bräutigam und Braut laufen in den Wald obder in ein
entferntes Dorf und bleiben dort, bis die Freunde des Bräutigams die Ein⸗
willigung der Eltern erlangt haben und der Preis bezahlt ist.
Vor der Ehe scheint der Verkehr der jungen Leule ein sehr ungebundener
zu sein und vielerlei Ausschweifung vorzukommen. Nach der Ehe wird der
Ehebruch, namentlich von seiten der Frau, als ein schweres Verbrechen an⸗
gesehen; der beleidigte Ehegatte prügelt die schuldige Frau und ist berechtigt⸗
ihren Mitschuldigen zu töten, ein Recht, von dem er auch meist Gebrauch macht/
wofern ihn nicht die Furcht vor der englischen Regierung zurückhält. Zuweilen
aber gibt er sich zufrieden, wenn ihm der Schuldige ein Schwein bezahlt. Die
schuldige Frau wird selten verstoßen. Eine formelle Ehescheidung gibi es nicht,
— — — — —
Williamson, The Mafulu Mountain Peéople usw. 124.
4. Die Mafulu (Gritisch⸗Neuguinea). 365
aber ein Mann, der seiner Frau überdrüssig ist, macht ihr vielleicht das Leben
unausstehlich, daß sie davonläuft. Häufiger jedoch liegt der Grund zur
khescheidung an der Frau, die ihren Mann nicht mag oder sich in einen andern
derliebt hat und nun mit diesem letzteren entflieht. Der betrogene Ehegatte
ucht aber den für die Frau bezahlten Preis wiederzubekommen; gelingt dies
nücht, so kommt es leicht zu Feindseligkeiten zwischen den verschiedenen Klans.
Abortus und Kindertötung kommen sehr häufig vor. Obwohl nämlich die
Immoralilat der Unverheirateten so groß ist und nie bestraft wird, gilt es doch
als eine Schande für ein Mädchen, ein Kind zu bekommen, und es sucht sich
deshalb mit Fruchtabtreibung oder Kindertötung zu helfen. Auch verheiratete
Frauen machen sich oft solcher Praktiken schuldig, um nicht mehr Kinder zu
etommen oder aus abergläubischen Gründen. Bei den westlichen Nachbarn der
Mafulu, den Kuni, wurde bis vor kurzem mit der Mutter, die im Kindbett
tarb, das Kind lebendig begraben; ob diese Sitte bei den Mafulu bestand,
st ungewiß!.
ß Früher waren die Mafulu zweifellos Kannibalen und sie sind es gelegent—
ich noch, wenn es ohne Wissen der Weißen geschehen kann. Doch war ihr
dannibalismus ein beschränkter. Sie töten keine Menschen, um sie zu ver—
peisen, wohl aber verzehren sie Leichen von Leuten, die ermordet wurden oder
mes natürlichen Todes gestorben sind. Auch ist das Opfer dieser Sitte stets
m Glied einer fremden Kommunität. Die derselben zu Grunde liegende Idee
cheint eher eine Fortsetzung der Feindseligkeit oder Rache zu sein als die Be—
riedigung der Eßlust. Daran, sich die Tapferkeit und Kraft des Getöteten
anzueignen, scheint man hier nicht zu denken. Der Mörder nimmt nie an dem
Mahl teil, bei dem sein Opfer verspeist wird.
ww. Alle Krankheiten werden dem Zauber zugeschrieben, den ein böser
Mensch im Bunde mit einem Geist verursacht; doch haben sie auch natürliche
Nitui gegen dieselben. Kommt eine Person zum Sterben, so übernimmt
e Sorge für sie eine Frau, zu deren Amt das gehört und die ihre Gehilfinnen
dat. Sie nährt den Sterbenden, wäscht ihn von Zeit zu Zeit, hält die Fliegen
m aber macht keine Versuche, ihn zu heilen, da dies nicht ihres Amtes ist.
ährend dieser Zeit heulen die Frauen in und außer dem Haus. Wenn die
Pflegefrau glaubt, der Kranke sei tot, so gibt sie ihm mit ihrer Faust einen
hestigen Schlag auf die Seite des Kopfes und erklärt, er sei tot. Sobald die
Nanner im Dorf den Tod vernehmen, schreien sie, so laut sie können, wie es
ceint, um den Geist des Mannes zu verscheuchen. Die Verwandten des Toten,
anner und Frauen, beschmieren ihren Leib mit Lehm zum Zeichen der Trauer.
das Begräbnis findet ungefähr 24 Stunden nach dem Tode statt. Die Leiche
n in Bananenblätter und Baumrinde eingewickelt und bleibt so im Sterbe—
aus. Die Knie des Toten werden an das Kinn herangezogen und die Fersen
i an das Gesäß. Inzwischen wird von den Männern in dem offenen um—
unten Dorfplatz das Grab hergerichtet. Ist alles fertig, so tragen Männer
nter den Trauergesängen der weiblichen Verwandten die Leiche zum Grabe und
egen sie in demselben auf den Rücken. Dann erheben die Männer wieder ein
Ebd. 178.
366
Fünfter Teil. Australien und Ozeanien.
lautes Geschrei in der gleichen Weise und Absicht, wie oben angegeben wurde.
Zwei oder drei Tage nach dem Begräbnis ladet die Familie des Verstorbenen
einige Männer und Frauen aus einer andern Kommunität zum Totenfest ein,
dei dem die eingeladenen Gäste die Speere schwingend und stillschweigend mehr⸗
nals um den umfriedeten Platz ziehen; dann wird ein großer Schmaus ge⸗
halten!. Das Gesagte betrifft das Begräbnis gewöhnlicher Personen, handelt
es sich aber um einen Häuptling, so sind die Feierlichkeiten viel größer. Das
Begräbnis findet erst anderthalb oder zwei Tage nach dem Tode statt, und
die Leiche des Häuptlings wird in einer Kiste entweder auf ein 910 Fuß
hohes Gerüst gelegt oder in der untersten Gabelung der Äste eines bestimmten
Baumes beigesetzt.
Religion und Aberglaube. Ohne die Unterstützung von seiten der
Missionäre würde ich es, bemerkt Williamson, nicht wagen, über die Religion
der Mafulu zu schreiben, und trotz dieser Unterstützung veröffentliche ich die
folgenden Angaben nur unter Reserve.
„Ich hörte nichts, was die Annahme rechtfertigen könnte, das Mafuluvoll
habe einen Glauben an einen allgemeinen Gott oder Allvater; aber es besteht
bei ihnen der allgemeine Glaube an ein geheimnisvolles Wesen mit Namen
Tsidibe, das ein Mann oder ein Geist sein kann (ihre Ideen darüber sind
bag), das ungeheure Macht hat und einst von der Richtung von Osten
nach Westen durch ihr Land zog.“ Sie glauben, Tsidibe habe sie alle ihre
Gewohnheiten mit Einschluß der Tänze und Handgewerbe gelehrt, er sei
endlich in das Land der Weißen gezogen und lebe dort noch; von ihm hätten
die Weißen ihre höhere Kenntnis in den Gewerben. Sie halten den Tsidibe
für ein wesentlich wohlwollendes Wesen und bedauern, daß er ihr
Land verlassen habe, glauben aber nicht, daß er noch einen Einfluß auf sie
ausübe, und richten keine Gebete an ihn. Man zeigt noch heute merkwürdige
Steine oder große Felsen als Spuren seines Durchzuges durch das Land. Aber
sie erweisen ihnen keine Verehrung und haben keine Furcht, sie zu berühren,
wagen es jedoch nicht, sie zu beschädigen. Williamson fand auch keine Spur
davon, daß die Mafulu Tsidibe als einen vergötterten Ahnen oder überhaupt
als einen Ahnen betrachten.
Die Mafulu haben einen lebendigen Glauben sowohl an Geister von Ver—⸗
torbenen, die einst auf Erden gelebt, als an Geister, welche nie menschliche
Gestalt gehabt haben. Alle diese Geister sind übelwollend. Jeder Mensch, Mann
und Frau, hat während seines Lebens ein geheimnisvolles Selbst neben seinem
leiblichen, sichtbaren und bewußten (2) Selbst, und dieses geistige Selbst wird
den Menschen beim Tod als Geist überleben. Davon, daß dieses geistige Selbst
während des Schlafens oder Träumens den Leib verlassen könne, haben die
Mafulu, wie es scheint, keine Idee, obwohl sie glauben, wenn jemand von
einem Toten träume, habe ihn der Geist desselben besuchtäe. Beim Tode ver—
läßt der Geist den Leib und wird und bleibt ein böswilliges Wesen. Von einer
Wiedergeburt haben die Mafulu keine Idee und auch nicht davon. daß dek
Williamson, The Mafulu Mountain People usw. 248.
zEbd. 266.
2 Ebd. 264.
4. Die Mafulu (Britisch-Neuguinea), 367
Geist in ein Tier oder in eine Pflanze eingehe; doch wird er zuweilen, wie es
cheint, eine Pflanze. Ob und wie einer gestorben sei, das macht nach der
Ansicht der Eingebornen keinen Unterschied, auch haben sie keine abergläubische
Furcht vor dem Besuch der Gräber oder vor der Nennung der Namen der Ver⸗
torbenen. Üüber den Zustand nach dem Tode konnte Williamson außer dem
Gesagten nichts erfahren. Wenn das geistige Selbst bei dem Tode eines Menschen
den Leib verläßt, auf jeden Fall aber nachdem die Zeremonie der Tötung eines
Schweines vollendet ist, zieht der Geist weg auf die Spitzen der Berge, wo er
allem Anscheine nach für immer als Geist existiert. Das laute Schreien beim
Tod und Begräbnis sind die ersten Schritte zur Vertreibung des Geistes, und
das Schlachten des Schweines vollendet dieselben. Der Geist einer jungen oder
erwachsenen Person bis zu 40 oder 45 Jahren wird das schimmernde Licht
auf dem Boden im Gebüsch, das man hier und da in dichten Wäldern wahr—
nimmt, wenn es die Sonne beleuchtet. Der Geist einer älteren Person wird
ein großer Pilz, der hier auf den Bergen vorkommt. Ob dieses „wird“ eine
igentliche Umwandlung des Geistes oder ein bloßes Wohnen desselben in dem
dicht oder dem Pilz bedeutet, konnte Williamson nicht genau feststellen. Als
Nahrung dienen diesen abgestorbenen Geistern die geistigen Bestandteile der ge—
wöhnlichen einheimischen Speisen (süße Pataten, Yams, Bananen usw.); sie
lommen von den Bergen in die Dörfer und Gärten, um ihre Nahrung zu
holen. Da diese Geister als übelwollend gelten, schließen die Eingebornen
während der Nacht alle Zugänge zu ihren Wohnungen, mit Ausnahme des
Emone, wo immer viele Männer zusammen sind. Eigentliche Zaubermittel,
um diese Geister fernzuhalten, sind nicht im Gebrauch, doch scheint das Schlachten
eines Schweines bei verschiedenen Gelegenheiten, und zwar immer in der Nähe
des Grabes des Häuptlings, in der Absicht vorgenommen zu werden, um die
Geister der verstorbenen Häuptlinge und angesehenen Männer zu versöhnen und
zu beeinflussen.
Außer den Geistern der Verstorbenen nehmen die Eingebornen, wie schon
bemerkt worden, auch Geister an, die nie Mensch waren; wenn sie in die Nähe
eines Ortes kommen, wo ein solcher Geist herumspukt, so dreht sich der Führer
um und sagt dieses den Nachfolgenden mit leiser Stimme, und sofort schweigen
alle. Sie nehmen dann eine Handvoll Gras, machen damit einen Knoten und
dehen während einiger Zeit schweigend voran. Wenn sie an den unheimlichen
Ort kommen, dreht sich der Führer um, und alle werfen den Grasbüschel auf
den Boden, um so die Gefahr abzuwenden!. Die Fischer haben die Gewohn⸗
heit. beim Fischen Gebete an den Fluß zu richten.
.Die Mafulu haben zahlreiche Zauberer, die aber nur mit den eigent⸗
lichen Geistern, nicht mit den Seelen der Verstorbenen in Verbindung stehen.
Sie sind sehr gefürchtet und doch wieder sehr gesucht; sie sind auch Wahrsager
und gebrauchen ihre Macht nie zum Schaden des eigenen Dorfes oder Klans,
ja meist auch nicht zum Schaden eines Gliedes derselben Kommunität, sondern
nur gegen die Glieder anderer Kommunitäten. Eine Hauptfunktion derselben
ist die Heilung der Krankheiten durch allerlei Zaubereien. — Geheime Gesell—⸗
—
1 Ebd. 274.
368
Fünfter Teil. Australien und Ozeanien.
schaften gibt es bei den Mafulu keine. Sie haben aber zahlreiche Tapus.
Junge Männer essen kein Fleisch von wilden Schweinen, solange sie ledig sind.
Vor gewissen Festen haben sie strenge Fasten zu beobachten. Namentlich gilt
dies von dem sog. „Großen Fest“, das von einer ganzen Kommunität in
Zwischenräumen von fünfzehn oder zwanzig Jahren gefeiert wird. Das Fest
wird schon ein oder zwei Jahre lang vorbereitet, weil dabei eine ungeheure
Zahl von Schweinen, große Massen von Früchten aller Art verzehrt und einige
Häuser und Tanzplätze errichtet werden. Bei diesem Fest wird das Totengerüst
eines Häuptlings niedergerissen, die Gebeine des Häuptlings in das Blut der
geschlachteten Schweine getunkt und mit diesen blutigen Gebeinen die Gebeine
anderer Häuptlinge berührt. Wahrscheinlich will man durch das Fest die Geister
der Häuptlinge, deren Gebeine bei der Zeremonie verwendet werden, versöhnen
oder dauernd vertreiben. Nach dem Fest, wenn die Gäste das Dorf verlassen
haben, wird noch eine Nachfeier gehalten, dann wird das Dorf gereinigt und
von den meisten für ein halbes Jahr verlassen; wahrscheinlich aus Aberglauben
oder als Reinigungszeremonie.
l. Weil die Eingebornen Neuguineas aus so verschiedenartigen Elementen
bestehen, so darf es uns nicht wundern, daß an verschiedenen Orlen auch ganz
Ferschiedene religiöse Anschauungen herrschen. Beachtenswert ist, was uns Chalmers
uind Gillt über die Eingebornen der Dufaure-Insel berichten. „Ihre Ge⸗
wohnheiten und Sitten sind merkwürdig und interessant. Sie kochen die Köpfe
ihrer erschlagenen Feinde, um die so gereinigten Schädel in ihren heiligen Stätten
aufzuhängen. Sie kennen nur einen Großen Geist, Palaku-Bara, der
in den Bergen wohnt. Sie verehren ihn gemeinschaftlich an einem Ort. Jede
Familie hat außerdem ihren besondern heiligen Platz, wo sie den Geistern
der verstorbenen Voreltern, die sie schrecklich fürchten, Opfer bringen.
Jede Krankheit, Tod und Hungersnot wird diesen bösen Geistern zugeschrieben
und sie müssen besänftigt werden. — Nur an diesem einen Ort dürfen die
Schweine getötet werden; hier werden sie dem Geiste geweiht, hier wird das
Blut vergossen, worauf der Kadaver ins Dorf zurückgebracht wird, um verteilt,
gekocht und verspeist zu werden. Die Schädel der Schweine werden aufbewahrt
und im Hause aufgehängt. Speisen zu einem Schmause, wie solcher z. B. beim
Bau eines Hauses gefeiert wird, werden in der Nähe des Pfostens, an dem
die Schweineschädel hängen, aufgestellt und dabei ein Gebet gesprochen. Beim
Aufrichten des Hauptpfostens werden den Geistern Wallabys, Fische und Bananen
dargebracht, wobei sie angefleht werden, das Haus stets voll Nahrung zu er⸗
halten und es zu stützen, wenn der Sturm weht.“
„Der Große Geist läßt jede Frucht gedeihen, ihm werden Geschenke von
Nahrungsmitteln dargebracht. — Wenn der Geist den Körber eines
z. Die Eingebornen der Dufaure⸗Insel, des Papuagolfs usw.
Neuguinea. Reisen und Missionstätigkeit usp. 61 -62. Die Insel Dufaure, von
der hier die Rede ist, liegt im Sudosten Neuguineas zwischen der Orangeriebai und dem
Mullens Harbour (1490 36/ 8. L8. von Greenwich).
5. Die Eingebornen der Dufaure⸗Insel, des Papuagolfs usw. 369
Dahingeschiedenen verläßt, nimmt er ein Boot, fährt über die Lagune
und eilt in die Berge, wo er in ewiger Seligkeit verbleibt, ohne Arbeit,
ohne Sorge und reich an Betelnüssen.“ „Ehe die Eingebornen mit dem Pflanzen
beginnen, gehen sie mit einem Bündel Bananen und Zuckerrohr in die Mitte
der Pflanzung und rufen laut die Namen aller zur Familie gehörenden Ver—
torbenen an, indem sie sprechen: ‚Hier ist eure Speise, sind eure Bananen, ist
euer Zuckerrohr, laßt nun unsere Früchte reifen, laßt sie gedeihen. Wenn sie
nicht gut und reichlich wachsen, so ist es euch allen zur Schande wie uns.“ —
Wenn sie einen Handelszug unternehmen, bringen sie den Geistern am Mittel-
pfosten des Hauses ihre Speisen dar und bitten sie, ihnen voranzugehen und
das Volk vorzubereiten, damit der Handel gedeihe. Keine große Arbeit,
lein Ausflug wird ohne Opfer und Gebet unternommen. Wird
die Familie durch Krankheit heimgesucht, so bringt man ein Schwein zum hei⸗
ligen Ort des Großen Geistes und tötet es dort. Dann wird der Kadaver an
den heiligen Familienplatz gelegt und die Geister werden gebeten, ihn anzu—
nehmen. Hierbei beichten sie all ihre Sünden, z. B. daß sie Bananen
oder Kokosnüsse genommen, ohne den Geistern hiervon geopfert zu haben, und
tufen dann: ‚Hier ist ein Schwein, nehmet es an und heilet die Krankheit.
dolgt der Tod, und der Tag der Beerdigung bricht an, so stellen sich alle Freunde
tings um das offene Grab, worauf die Schwester oder Cousine des Häuptlings
ruft: Ihr zürnt uns wegen der Bananen, die wir genommen haben, und in
eurem Zorn habt ihr dies Kind uns entrissen. Laßt euch daran genügen und
—RT Zorn.“ Darauf wird der Leichnam ins Grab gelegt und mit
Erde bedeckt.“
2. Anders lauten die Angaben derselben Missionäre über die religiösen
Anschauungen der Eingebornen am Papuagolf!. Das Volk von Port
Moresbh behauptet, mit den Golfeingebornen gleichen Ursprungs zu sein. Zwei
Manner entsprangen der Erde, Kerimaikuku und Kerimaikape, aber keine Frau;
eine Hündin war ihre einzige Gesellschaft. Da sie sich Kinder wünschten, wurde
hnen ein Sohn und eine Tochter geboren. Als diese beiden erwachsen waren,
heirateten sie einander, und da ihnen Kinder geboren worden, bezifferte sich die
Zahl der Eingebornen auf vierzehn. Nun trennten sie sich; zwei gingen zurück
n die Berge, und von ihnen entsproß der Koiaristamm; zwei blieben in der
Niederung, und ihnen entstammt das Geschlecht der Koitapuans, ein Geschlecht
bon Zauberern; die übrigen zogen nach Elema, wo sie während mehrerer Gene—
cationen blieben. Da entstand ein Streit zwischen zwei Brüdern; der jüngere
g mit großem Anhang nach Osten und siedelte sich bei Taurama an. Als
fortzog, sagte ihm die Göttin Kaevakuku: „Geh und gedenke mein beim
anz, beim Fest, beim Pflanzen und Ernten, stets gedenke mein, und ich werde
dd beschützen.“ Das gleiche sprachen zu ihm Semese und Tauparau. An
nem Festlage ziehen Gesellschaften in den Busch, um sich mit Blättern zu
Phen, und mit geschmückten Stäben kommen sie ins Dorf, Kaevakuku darstellend.
de Götter leben in Elema (einem Distrikt Neuguineas), wo ihnen zu Ehren
nze und Festlichkeiten veranstaltet werden; Hymnen und Lieder werden zu
Ebd. 124 ff. BFF
Cathr ein, Die Einheit d. sittl. Bewußtseins. III.
370
Fünfter Teil. Australien und Ozeanien.
hrem Preise angestimmt, ihre Priester und Tempel sind heilig, und kein Weib
noch Jüngling darf sich ihnen nahen. Wenn jemand erkrankt, werden dem
Bötzenbild Speisen dargebracht und Gebete angestimmt, damit der Kranke ge⸗
retiet werde. Sowie die Boote aus Port Moresby in Elema ankommen, be—⸗
geben sich ihre Führer sofort in den Tempel, breiten Armringe, Töpferwaren u. dgl⸗
als Opfer aus, ebenso machen sie vor dem Antreten der Rückreise dem Tempel
einen Besuch, um neue Opfer darzubringen und hierbei guten Wind und glüch
liche Heimkehr zu erflehen. Wenn ihre Priester vernachlässigt werden, sind die
Götter sehr beleidigt. Der Mittelpfosten eines jeden Hauses ist Kaevakuku geweiht,
hier wird ihr bei jedem Fest ihr Anteil an den Speisen zuerst dargebracht. Die
ersten Früchte gehören ihr; jedes Pflanzen ist unnütz, wenn nicht die Götter
es segnen. Die Sonne gehört Kaevakuku, Regen, Blitz und Donner Semese
und Tauparau. „Als wir uns in Vailala aufhielten, wurde Semeses Tempel
geschlossen und er gefangen gehalten, bis ein großer Tanz und ein Fest, das
bald stattfinden sollte, beendet waren; dann erst sollte er in Freiheit gesetzt werden,
um in die Berge zu gehen und dort nach Belieben mit Blitz, Donner und
Regen zu schalten.“
Beim Pflanzen, Fischen usw. gebrauchen viele Küstenbewohner Zaubermittel,
die sie aus Vailala erhalten, wo die Götter sie gesegnet haben. Kaevakuku
wird durch eine große Figur aus Weidengeflecht dargestellt, ihr Hut ist breit;
wenn sie in schwierigen Dingen befragt wird, gibt sie Antwort, indem sie den
Kopf schüttelt oder unbewegt bleibt. Eine Partei, die in den Kampf ziehen
will, wird zuvor mit einer Opfergabe in den Tempel gehen und fragen, ob sie
kämpfen soll oder nicht. Semese und Tauparau werden aus Holzblöcken gemacht,
sie stehen außerhalb einiger Tempel und an allen Pfosten. die von der Mitte
aus laufen.
„Die Eingebornen von Port Moresby glauben, daß die Seele, sowie
sie den Körper verläßt, nach Elema sich begibt, wo sie für immer mitten
unter Speisen und Betelnüssen verweilt und ihre Tage und Nächte in end—
loser Freude mit Essen, Betelkauen und Tanzen verbringt. Die Seelen
schlechter Menschen werden nach Poava und Idia, zwei kleinen Inseln
nahe bei Boera, verbannt, wo sie so lange bleiben müfsen, bis die Göttin
nach ihnen sendet.““ Ähnliches berichtet der englische Missionär J. G. Lawes—,
der sich drei Jahre bei Port Moresby aufgehalten hats: „Im Gegensatz zu
D' Albertis Wahrnehmungen muß ich konstatieren, daß die Eingebornen von Port
Moresby sehr stark an ein zukünftiges Leben glauben, desgleichen in
Lerepunu, einem Dorfe 60 Miles östlich von Port Moresby, und überhaupt,
sobiel ich erfahren konnte, alle Stämme dieses Teiles der Insel. Ihre An—
schauungen über den Tod sind verworren und unbestimmt. Die Seele eines
Verstorbenen geht, wie sie behaupten, in den Raum über, findet aber schließlich
hren Weg zu einem Ort, wo nur Lust und Vergnügen herrscht. ... Ihr Glaube
an ein zukünftiges Leben entspringt mehr der Furcht als der Hoffnung, denn
sie befürchten, daß die Abgeschiedenen Unglück über sie bringen können.“ Diese
Chalmers und Gill, Neuguinea usw. 125-126. 2 Ebd. 126.
Vgl. Petermanns Geographische Mitteilungen 1879. 280.
6. Die Papua im Mimikadistrikt Golländisch-⸗Neuguinea). 371
etzte Bemerkung ist nicht richtig. Die Furcht vor Schädigung durch die Toten
etzt ja den Glauben an ihr Fortleben schon voraus, dieser Glaube kann also
nicht die Wirkung der Furcht sein.
3. Über die religiösen Anschauungen der Einwohner an der Orokolobai er—
suhren Chalmers und Gill folgendes: „Der Geist Kanitusschuf zwei Männer
und Frauen, die der Erde entsprangen; der ältere Bruder hieß Leleva, der jüngere
Vovod; von diesen beiden stammen alle Menschen ab. Sie glauben an einen
Bott, der im Geisterland in den Bergen wohnt und sich, wenn er zu ihnen
serabsteigt, auf dem First des Tempels niederläßt. Im Tempel steht ein Bild
nus Weidenzweigen geflochten; dort fragt man ihn um Rat, dort beschenkt
nan ihn.“:
Nach einer Sage der Orokolo-Einwohner zog einst Iko, ein tapferer Mann,
ns Land der Geister und sah die Bewohner desselben tanzen und Gastmahle
feiern. Er erblickte einen prächtigen Tempel, und da er den Wunsch äußerte,
duszuruhen, sagte man ihm, er möge sich auf den Boden ausstrecken, der Große
—RXRXC unterdessen auf dem Firste des Tempels weilen. Iko kehrte heim
und erzählte seiner Frau und seinem Sohne, was er gesehen. Einige Zeit
darauf wurde er ermordet, und als die Mörder heimkehrten, sahen sie ihn auf
ꝛinem großen Stein sitzen. Er sagte ihnen: „Ich bin nicht tot, aber ich kann
nicht mit euch leben. Gleich mir werdet ihr sterben, um niemals in dieses
Leben zurückzukehren; ihr werdet zu mir kommen in das Land der Geister und
des Überflusfes und der immerwährenden Freude; dies ist das einzige Leben,
was wert ist, Leben zu heißen. O, wüßtet ihr, wie schön dieses Leben ist, ihr
würdet euch immer danach sehnen, es währet ewiglich.“ Iko ist nun Kanitu
Geist) und der Urheber jedes Wachstums?. Die Orokololeute erzählen auch
von einer Überschwemmung der ganzen Erde, bei der nur die Spitzen der Berge
aus dem Wasser herausschauten. Auf diese Bergspitzen flüchteten sich viele Menschen
und blieben dort. bis das Wasser zurücktrat 8.
6. Die Vapua im Mimiladistrikt (Holländisch-Neuguinea)?.
Die Eingebornen am Mimikafluß zerfallen in zwei Klassen oder Stämme;
die einen wohnen am Unterlauf des Mimika und machen periodische Ausflüge
ans Meer; die andern leben am Oberlauf am Fuß der Berge und kommen
nie an das Gestade. Zwischen beiden Stämmen liegt eine öde, unbewohnbare
Gegend, so daß sie fast keinen Verkehr miteinander haben; doch gleichen sie sich
in Gestalt, Sitten und Gebräuchen so sehr, daß dieselbe Schilderung auf beide
aßt. Beide gehören zu der Papuarasse. Daneben leben in den Bergen noch
byamäen, von denen wir am Schluß einiges sagen werden s.
Im Äußeren zeigen die Mimika-Eingebornen den gewöhnlichen Typus der
Pabua Sie durchbohren die Nasenscheidewand unter feierlichen Zeremonien.
Cigentliches Tätowieren ist unbekannt, wohl aber schmücken sie den Rücken und
—
Ebd. 186-137. 2 Ebd. 137. 3 Ebd. 137-138.
d Vgl. A. F. R.Wollaston, Pygmies and Papuans. The Stone Age to-day in
uteh New Guinea, London 1912.
s Ebd. 109.
24 *
372 Funfter Teil. Australien und Ozeanien.
die Arme mit Narbenlinien und bemalen ihr Gesicht. „Es ist sonderbar“, sagt
Wollaston, „daß der schwarze Mann nie nackt aussieht; ein unbekleideter weißer
Mann ist ein nackter Mann, das gilt auch vom gelben Mann, aber ein Papua
scheint immer genügend bekleidet zu sein, obwohl kaum jemand weniger Kleider
anhaben kann als er.“ Die ganze Kleidung mancher Männer vor der Ankunft
der Europäer bestand in einem schmalen Streifen Rindentuch, der um die Lenden
gebunden wurde und vorn herunterhing, so daß er kaum das Notdürftigste be⸗
deckte. Noch gewöhnlicher trugen die Männer ein Penisfutteral oder auch eine
Muschel als Schamhülle. Die Knaben bis zum Alter der Pubertät blieben
ganz unbekleidet. Die Frauen sind etwas besser bekleidet als die Männer; ge⸗
vöhnlich tragen sie einen dünnen Gürtel, von dem ein schmaler Streifen Rinden—
tuch bis zum halben Oberschenkel und ein breiterer bis zum Knie herunterhängt.
Außerdem tragen manche Frauen eine kurze ärmellose Weste. Neu verheiratete
Frauen tragen eine Art Schürze oder lange Fransen aus Blättern, die vorn
herunterhängen. Die kleinen Mädchen erhalten, sobald sie laufen können, einen
dünnen Rindentuchstreifen, der zwischen den Beinen durchgezogen wird 1.
Vielweiberei scheint als zulässig zu gelten, aber wenige Maͤnner haben mehr
als eine Frau, und viele Männer haben gar keine Frau, da, wie es scheint,
die Zahl der Frauen geringer ist als die der Männer. Von den Ehehindernissen
und Heiratszeremonien konnte Wollaston nichts Sicheres erfahren; er und seine
Begleiter hielten sich zu wenig lang in der Gegend auf und waren außerdem nicht
mstande, die Sprache der Eingebornen zu bemeistern. In jedem Dorf gab es
einen oder zwei oder selbst mehr Männer, die sich „Natoo“, d. h. Häuptlinge,
nannten, die aber, wie es scheint, keine besondere Autorität hatten?. Im allge⸗
meinen kann man sagen, daß die Gesellschaft oder das Gemeinwesen aus einer
Gruppe von kleinen Familien besteht. Diese Gesellschaft kann aber in keiner Weise
als kommunistisch bezeichnet werden. Man findet kein Anzeichen von Gemeineigen⸗
tum. Jede Person oder jede Familie hat ihr Eigentum. Ein Kanoe gehört
der Familie des Mannes, der es hergestellt hat. Die Kokosnußbäume, die dem
unteren Mimika entlang hier und da wachsen, gehören nicht einer Gesamtheit,
sondern wahrscheinlich den Individuen, die sie gepflanzt haben. Zuweilen sind
die Bäume durch eine kleine Hecke geschützt, in andern Fällen sind einige Palm⸗
blätter oder eine Schnur mit durchbohrten Muscheln daran befestigt. Wird von
den Jägern Wildbret ins Dorf gebracht, so wird es unter alle Häuser des
Dorfes verteilt. Die Häuser eines Dorfes stehen gewöhnlich in einer Reihe
unter einem gemeinsamen Dach, so jedoch, daß jede Familie ihren eigenen Ein⸗
und Ausgang hat und getrennt lebt, obwohl es keine Querwände gibt. In
einem Dorfe fand Wollaston ein größeres alleinstehendes Haus. in dem nur
die ijungen Männer wohnten 8.
Obwohl die Frauen die meiste Arbeit verrichten, sind sie doch keine Sklavinnen;
die Männer scheinen sie sehr zu achten. Wenn die Reisenden etwas von einem
Manne kaufen wollten, z. B. ein Kanoe, so antwortete er oft, er wolle zuerst
mit der Frau reden, und wenn er dann wiederkam, forderte er einen höheren
1
Wollaston, Pygmies and Papuas usw. 115. 2Ebd. 128.
3 Ebd. 130.
ß. Die Papua im Mimikadistrikt GHolländisch-⸗Neuguinea). 373
preis, .weil ihn die Frau dazu vermochte. Nur in einem einzigen Fall sahen
sie eine rohe Behandlung einer Frau.
„In Bezug auf den Aberglauben und Glauben der Papua erfuhren wir
nfolge der leidigen Schwierigkeiten der Sprache gar nichts. Religion im ge—
bräuchlichen Sinne dieses Wortes aber haben sie keine, dessen bin ich sicher.“
Wenn man nur kurze Zeit bei einem Volke gewesen ist und seine Sprache nur
ehr mangelhaft kennt, sollte man etwas weniger apodiktisch reden. Das ergibt
ich auch aus dem, was weiter folgt. „Zwar machen sie sonderbar geschnitzte
Figuren, aber dies sind keine Idole, und nichts beweist, daß sie sie je zu Rate
ziehen oder verehren, im Gegenteil, sie behandeln sie mit Verachtung und zeigen
oft lachend auf sie. Diese Bilder sind sehr sinnreich und geschickt aus Holz
Jeschnitzt und stellen immer eine groteske und zuweilen recht unanständige mensch—
liche Figur dar. Sie wechseln in der Größe zwischen einigen Zoll und 12 bis
14 Fuß, und wenn sie nicht vernachlässigt werden, sind sie mit roter und weißer
Farbe bemalt.“
Der erste Donnerschlag, den man hörte — und das kam fast jeden Tag
dor — wurde von den Männern mit einem langgedehnten, zitternden Schrei
degrüßt. Bei einem besonders heftigen Donnerschlag, bei dem der Blitz fast
inaufhörlich leuchtete, kamen die Männer vor die Türen und schlugen mit langen
Stöcken auf den Boden; dann schwangen sie die Stöcke in der Luft herum und
schrieen dabei laut. Das Pfeifen eines bestimmten Vogels wird mit einem ähn—
lichen Schrei begrüßt wie der Donnerschlag.
Das erste Erscheinen des Neumondes wurde durch ein scharfes, gebellartiges
Weschrei angekündigt. Am Tage nach dem Erscheinen des Neumondes bemerkte
Wollaston einen mit weißen Federn geschmückten Speer, der offen im Dorfe
—DV0
tropfen fielen, sah man zuweilen die Männer mit ihren Fingern nach den vier
dimmelsrichtungen schnappen. Zweimal, als bei strömendem Regen der Mimika
asch anschwoll und das Dorf Parimau wegzuschwemmen drohte, sah man die
Manner an den Rand des Flusses ziehen; dort schlug einer mit einem langen
Speer auf das Wasser, und bei jedem Schlag riefen die andern: „Mbu“ (Wasser,
Flut). Dann gingen sie in das Dorf, gruben vor jeder Türe ein Loch, in
welches sie eine Kokosnußschale voll Wasser gossen; dann riefen sie wieder „Mbu“
und füllten das Loch mit Sand zu.
„Daß sie irgend einen Glauben an Übernatürliches haben, ist gewiß. Wir
lernten ein Wort niniki, das unzweifelhaft Geister bedeutet; sie beschrieben
die Niniki als Dinge, die man nicht sehen könne, die bald hier bald dort in
der Luft herum seien. Als sie gefragt wurden, wohin ein verstorbener Mann
degangen sei, redeten sie von Niniki und zeigten unbestimmt nach dem Horizont
und gebrauchten dabei ein Wort, das ‚fern‘ bedeutet.“
f So ungenügend und unvollständig diese Angaben sind, lassen sie doch er—
ennen, daß die Eingebornen an Geister und an das Fortleben nach dem Tode
llauben. Wollaston teilt auch nach Marshall die Schilderung eines großen
Festes mit, bei dem man einen Altar errichtete und zwei Eber opferte. Bei
Ebd. 132138.
374 Fünfter Teil. Australien und Ozeanien.
dieser Gelegenheit wurden auch einem dreijährigen rotbemalten Kind die. Ohren
durchbohrt, und nachher zogen alle zum Fluß, um sich durch ein Bad zu reinigen!.
Im Innern des Landes sah Wollaston eine von den Papua verschiedene
Rasse, die Tapiro, Pygmäen, die von kleinerer Statur und weniger dunkel⸗
farbig sind als die Papua. Sie tragen gewöhnlich nur ein etwaäs sonder⸗
bares Kleid als Schamhülle, nämlich ein Futteral aus einem gelben Kürbis,
das an der Basis etwa 2 Zoll im Durchmesser mißt und nach der andern
Seite bis auf einen halben Zoll spitz zuläuft und oft 15 Zoll lang ist.
Trotzdem sind sie, wie Wollaston? bemerkt, sehr bescheiden und nicht geneigt,
sich zu entblößen. „Wenn wir mit einiger Schwierigkeit einen Mann dazu
brachten, uns ein Futteral zu überlassen, wollte er es nie an Ort und Stelle
vegnehmen, sondern lief stets in den Dschungel und kam nach einiger Zeit
anständig mit Blättern bedeckt zurück, was jedenfalls von Schamhaftigkeit zeugt.“
Die Häuser der Pygmäen sind bei weitem besser als die der Mimikapapua
und in jeder Beziehung ganz verschieden. Sie sind auf Pfählen 4510 Fuß
hoch über dem Boden errichtet. Die Wände bestehen aus langen Latten, an
denen von außen große Stücke Rinde befestigt sind. Der Boden der Hütte
gleicht den Wänden und hat in der Mitte einen tief liegenden, mit Sand und
Erde gefüllten Kasten, in dem ein Feuer unterhalten wird. Zu der Hütte
klettert man auf einer steilen Leiter hinauf.
Hoffentlich bringen uns die Missionäre bald eingehendere Berichte über die
hier besprochenen Völker Holländisch-Neuguineas.
7. Die Monumbo und die Walman in Deutsch-Neuguinea
Kaiser⸗Wilhelmsland).
1. Monumbo, auf den Karten Potsdamhafen genannt, ist ein schmaler
Gebietsstreifen zwischen dem Meere und einem Gebirgszug, der nie über 500 m
vom Meere zurücktritt. Dort legen die Eingebornen Pflanzungen an, die sich
zuweilen noch die Höhen hinanziehen.
Die zwölf Dörfer der Monumboleute liegen hart am Meere und sind von
der Seeseite meist mit Kokospalmen umsäumt. An den drei andern Seiten
sind sie umgeben von einem Wäldchen mit verschiedenen Nutzhölzern. Die Be⸗
völkerung beträgt gegenwärtig noch nicht 400 Seelen, und ihre Zahl ist jähr—
lich in Abnahme begriffen. Als Ursachen der geringen Geburtsziffer bezeichnet
p. Vormann S. V. D., auf den wir uns stützen, folgende drei: 1. die fort⸗
währende Inzucht; die Monumbomänner haben eine große Abneigung gegen
Frauen anderer Stämme; 2. die groben Ausschweifungen beider Geschlechter;
3. das überaus häufige Verbrechen am keimenden Leben, wodurch Unfruchtbarkeit
der Frauen bewirkt wird.
Von diesem Papuavölklein entwirft uns der schon genannte Missionär ein
üußerst dunkles Bild. Er behauptet geradezus: „Die Monumbo kennen kein
höchstes Wesen, keine moralische Güte und Schlechtigkeit. keine Vergeltung, keinen
Wollaston, Pygmies and Papuans usw. 135. 2Ebd. 198.
»Anthropos V (IOlIO) 409.
7. Die Monumbo und die Walman in Deutsch⸗Neuguinea Kaiser⸗Wilhelmsland). 375
Ort der Strafe oder der Freude nach dem Tode, keine dauernde Unsterblichkeit.“
doch wird diese Behauptung zum Teil durch das Folgende wesentlich modi⸗—
iziert. So fügt er bei: „Die Güte respektive Schlechtigkeit eines Menschen wird
übgeschätzt an der Beschaffenheit seines Körpers, seinen Fähigkeiten, seiner Tapfer⸗
leit, seiner Rednergabe.“ Daraus folgt, daß auch die Monumbo zwischen Güte
ind Schlechtigkeit ünterscheiden, mögen sie auch in dem, was sie gut oder schlecht
nennen, im Irrtum sein. Übrigens bedarf auch dieses Zugeständnis einer Ein—
schränkung. Vormann schreibt: „Schlecht nennen sie eine Handlung, die keinen
der einen minderwertigen Erfolg hat oder die einem Schaden verursacht.“
Warum nennen sie die Handlung schlecht, die einem andern schadet? Doch wohl
deshalb, weil sie erkennen, daß man einem andern ohne gerechten Grund keinen
Schaden zufügen soll. „Das Stehlen“, sagt Vormann weiter, „ist nur deshalb
clecht, weil ich oder ein Freund von mir Nachteil davon habe. Es ist aber
lein Makel; der Stehler ist gerade so gut und so schlecht wie vorher.“ Die
Worte enthalten einen Widerspruch. Wenn der Diebstahl schlecht ist, so kann
doch der, welcher ihn begangen, also schlecht gehandelt hat, nachher nicht ebenso
gut sein als vorher. Und wenn der Monumbo den Diebstahl, unter dem er
leidei, für schlecht ansieht, so wird er auch den Diebstahl, den er selbst gegen
andere begeht, verurteilen. Oder sollte er glauben, er allein habe das Privi—
legium zu stehlen? wenn er andere bestehle, sei das nicht schlecht, wenn er
aber von andern bestohlen werde, sei das schlecht? Auch der Monumbo erkennt
den Grundsatz: Was du nicht willst, daß man dir tu', das füg auch keinem
andern zu; denn er ist nichts weniger als dumm. Übrigens werden wir weiter
unten einen Zug erwähnen, der klar beweist, daß die Monumbo den Diebstahl
als verwerflich ansehen.
Sie sind in ihren hergebrachten Beschäftigungen nicht ungeschickt, schreibt der
Misfionär. „Fremden fällt die Reinlichkeit ihrer Dörfer, die Größe ihrer Häuser,
nicht minder die mustergültige Anlage ihrer Felder auf. Ethnographen, die
ängere Zeit hier weilten, waren ganz entzückt von der Großartigkeit und Mannig—
falugkeit ihrer Tanzaufführungen.“ Die Monumbo sind stolz und halten sich
sür das erste, gescheiteste und glücklichste Volk der Welt. Nichts geht ihnen über
hre Sitten und Gebräuche. Darum sind sie nirgends zufrieden und glücklich
als daheim und tadeln alles Fremde.
Wo der Monumbo der Stärkere ist, da zeigt er sich herrisch und grausam;
wo er aber der Schwächere ist, beugt er sich feige und verlegen. „Gegen die
Wohltaten ist er nicht dankbar.“ Was der Missionär gleich weiter berichtet,
läßt auf das Gegenteil schließen. Während die Monumbo mit dem Nachbar—
stamm der Arepapon in beständiger Feindschaft leben und beständige Blutrache
segenseitig ausüben, leben sie mit andern Nachbarstämmen in dem sog. Ambokun⸗
landin Verhalinis, d. h. Bruderschaft oder Vetterschaft. Zwischen ihnen herrscht
das beste Einvernehmen, welches sich in häufigen Besuchen, gegenseitigen Ge—
—X und regem Handel kundgibt. „Auch wir“, erzählt der Missionär!,
ind feierlich in dieses Ambokun-kandin-Verhältnis erhoben worden, an dem
Tage nämlich, wo sie von den vielen Beilen, Buschmessern, Perlen usw., die
Ebd. IV (1909) 662.
376
Fünfter Teil. Australien und Ozeanien.
wir ihnen für Landabgabe bezahlt hatten, wie berückt waren. Unter vielen
ttürmischen Umarmungen und mit vielen Worten erklärte uns der Hauptschreier
nit ihnen Ambokun-kandin.“ Es wurden den Missionären auch die Ppflichten
erklärt, die sich aus diesem Verhältnis ergaben. „Handeln“, sagten sie, „tun wir
von jetzt an nicht mehr miteinander, was doch sonst der Fall ist, wir schenken
nur noch. Wenn ihr Hunger habt, schickt nur Nachricht, sofort bringen wir
euch Yams oder Taros; wenn wir keinen Tabak haben, so gebt ihr uns etwas;
wenn unser Beil und Buschmesser bricht oder gestohlen wird, so sagen wir es
euch, und ihr gebt uns ein neues usw. Diese Ehrenverleihung sollte also für
uns ein recht dickes Ende haben. Viele Hunde sind des Hasen Tod, und des⸗
halb erklärten wir, daß wir ihnen gerne alles Gute tun wollten, ihre Kinder
interrichten, Wunden verbinden, Medizin verabreichen, gegen Angriffe be—
schützen usw., aber auf das Schenken unserseits müßten sie durchaus verzichten.
Diese Erklärung war wohl nicht ganz nach ihrem Sinn, aber das Diplom
haben sie uns nicht wieder entzogen.“
Gerade diese Begebenheit zeigt, daß den Monumbo das Gefühl der Er⸗
kenntlichkeit keineswegs fremd ist; ebenso beweist sie, daß ihnen das Gefühl für
gegenseitige Freundschaft und Brüderlichkeit nicht fehlt, und daß sie glauben,
unter Brüdern und Freunden müsse man sich gegenseitig in der Not unterstützen.
Daß sie dabei auf ihren Profit bedacht sfind, ift allgemein menschlich und darf
bei einem wilden, unerzogenen Volke nicht wundernehmen.
In der Mitte jedes Dorfes steht auf einem freien Platz das Ngoko, eine
Art Gemeinde- oder Rathaus, in dem sich die Männer versammeln, wenn sie
über eine Sache reden wollen, die den Frauen und Kindern verborgen bleiben
soll, denn diese müssen das Haus meiden. Es existiert auch ein Jünglings⸗
Jaus, in dem drei oder vier Jünglinge schlafen, die den ersten Gürtel angelegt
haben. Frauen und Kindern ist der Eintritt in dasselbe streng untersagt. Auch
dies zeigt wieder, daß den Monumbo keineswegs alle sitllichen Begriffe fehlen.
Der Monumbo wird von Vormann als selbstsüchtig geschildert. Entdedt
er irgend einen guten und mildtätigen Menschen, so sucht er seinen Vorteil bei
ihm und preßt ihn aus bis zum Übermaß. Manchmal legt er eine gewisse
Großmut an den Tag, doch später merkt man, daß es nur Spekulation war.
Indes ist er dem Fremden gegenüber ziemlich gastfrei, aber doch besonders dann,
wenn er später auch einmal dessen Gastfreundschaft benötigen kann.“ Im all⸗
gemeinen ist der Monumbo stets bei guter Laune und aufgelegt, schlechte Witze
zu machen. Oft ist er jedoch auch melancholisch, apathisch und träumerisch.
Ausgelassenheit findet man wohl bei der Jugend, die Älteren umgeben sich stets
mit einem gewissen Ernst.
Mit Ausnahme der Kinder sind alle Leute bekleidet, die Männer mit einem
Schamgürtel, die Frauen mit einem Hüftenrock aus zerfaserten Baumblättern.
Eine Menge Bänder und Schnüre dienen mehr zum Schmud als zur Bekleidung.
Alle, sogar die Kleinsten, salben den ganzen Leib mit einem Gemisch aus Ol
und roter Erde. Die Nahrung liefert ihnen der Feldbau, die Jagd und der
Fischfang. Außer einigen reifen Früchten essen sie nur gekochte oder im Feuer
geröstete Speisen. Die Männer essen mit einem Muschellöffel, die Frauen und
Kinder meist mit den Fingern.
7. Die Monumbo und die Walman in Deutsch⸗Neuguinea (Kaiser-Wilhelmsland). 877
Vom Jenseitsglauben der Monumbo berichtet unser Gewährsmann:
Wenn die Menschen sterben, so gehen die Seelen in das Land der
Beister, an einen Ort, wo sie ohne Arbeit und Leid verweilen, den sie aber
auch verlassen können. Betelkauen, Rauchen, Tanzen, Schlafen und was für
liebgewonnene Beschäftigungen sie sonst auf Erden gehabt, werden dort ungetrübt
sortgesetzt. Sie verkehren mit den Menschen im Traum, spielen ihnen wohl
allerhand Schabernack, besitzen und töten sie auch wohl. Sie leisten ihnen aber
auch allerhand Hilfe im Krieg und auf der Jagd. Die Menschen rufen sie
an, beten zu ihnen, machen Statuen zur Erinnerung an sie, dva (Plural
—X genannt, bringen ihnen Speiseopfer dar, um ihre Hilfe zu erlangen.
Wenn sie aber nicht helfen, so werden sie auch wohl herzhaft ausgeschimpft.
Der Tod bewirkt keine so gänzliche Trennung. Man verkehrt mit den Toten
ungefähr so, wie man mit den Lebenden verkehrt hat. Erst die Zeit bringt ein
allmähliches Vergessen mit sich.“:
Sternschnuppen und Blitze sind nichts anderes als Seelen der Verstorbenen.
Diese stecken sich dürre Bananenblätter an den Gürtel, zünden sie an und fliegen
durch die Luft. Schließlich, wenn die Seelen alt geworden, sterben sie; sie sinken
aber nicht in nichts zurück, sondern werden in Tiere und Pflanzen verwandelt.
Solche Tiere sind die weißen Ameisen und eine im Busch vorkommende Schweine—
art, die sich nicht erlegen lassen soll.
„Groß ist der Aberglaube, die Gespensterfurcht und besonders die Angst vor
dösem Zauber (tsongam). Fast alle Übel, z. B. Krankheiten, Tod, werden
dem Zauber übelwollender Menschen zugeschrieben. Auf Aberglauben beruht
vohl auch eine gewisse gesetzliche Unreinheit, die Personen und Sachen unter
Umstaͤnden anhaftet. Unrein (boloboloine) sind Frauen und Mädchen während
der Menstruation. Sie sitzen dann abseits, kochen nicht für ihre Leute, bis die
Tage vorüber sind und sie sich gewaschen haben. Boloboloine sind auch die
Frauen nach der Geburt und ebenso die kleinen Kinder, bis sich beide mit einem
warmen Absud gewisser Pflanzen gewaschen haben. Bolobolo ist auch, wer
inen Feind im Kriege erschlagen hat. Bevor er die üblichen Waschungen und
Reinigungen vorgenommen, darf er niemand anrühren, selbst nicht Weib und
Kind. sonst wurden diese mit Geschwüren bedeckt werden.
Wenn eine Frau geboren hat und das Kind lebt, so sind für ihren Mann —
nicht für sie selbst — viele Dinge boloboloine (interdiziert, tapu?), z. B. das
Schweinefleisch, das Feuer anderer Leute; er muß daher sorgen, daß sein Feuer
die ganze Nacht nicht ausgehe; er darf nur essen, was mit diesem Feuer ge⸗
locht, und was geröstet ist u. dgl. Endlich muß er die ganze Zeit hindurch
Enthaltsamkeit üben, auch in Bezug auf seine Frau, solange das Kind noch
icht fich selbst fortbewegen kann. Dies alles geschieht, damit das Kind am
Leben bleibe und sich gut entwickle.
Diejenigen älteren Männer, welche die Pflanzungen zu segnen pflegen,
haben folgende Speisen als boloboloino zu vermeiden: Alles, was zur Ebbe—
reit auf dem Riff gefunden wird, Schildkröten, Kasuare, Känguruhs usw. Für
sunge Mädchen find boloboloine: die Schildkröte, das Känguruh und einige
— — —
⁊Anthropos V (IO9loO) 409.
378
Fünfter Teil. Australien und Ozeanien.
Fischarten. Wenn sie davon essen, werden sie nicht anziehend und finden sie
nicht die Liebe der jungen Männer. Wenn einem Mann die Gattin gestorben,
so sind wieder manche Dinge boloboloine für ihn.
Die Ehe wird in den allermeisten Fällen ohne Rücksicht auf gegenseitige
Neigung geschlossen. Die Alten bestimmen die Kinder füreinander. Deshalb
ist auch die Trennung etwas Alltägliches. Niemand hat etwas dagegen ein⸗
zuwenden, wenn zwei einfach auseinanderlaufen und ihr Glück mit andern ver⸗
suchen. Es kommt nicht selten vor, daß zwei sich trennen, die jahrelang zu—⸗
sammengelebt und Kinder haben. Der schuldige Teil geht mit dem neuen Lieb⸗
jaber eine Zeitlang in die Fremde, und wenn beide wieder kommen, ist Gras
darüber gewachsen. Dieses zeitweilige Aufsuchen der Fremde scheint darauf
hzinzudeuten, daß man solche Ehescheidungen doch nicht einfachhin als recht be⸗
trachtet. Eine besondere Zeremonie oder Feier scheint beim Abschluß der Ehe
nicht stattzufinden. Man geht einfach zusammen, wenn es Zeit ist. Das Be⸗
vußtsein der Unauflöslichkeit der Ehe fehlt ganz. Man geht zusammen und
dersucht; geht es gut, so bleibt man beisammen, sonst trennt man sich!.
Die Monogamie ist die Regel. Die angesehensten Männer, die wan toa-
ranga, d. h. diejenigen, welche für das Wohl des Dorfes zu sorgen haben,
nehmen wohl auch eine zweite Frau. Heiraten unter Verwandten scheinen nicht
oorzukommen. Die Verwandten nennen sich Ambukun-kandin. Was sich Ambukun⸗
kandin nennt, heiratet sich nicht. Schwägerschaft ist kein Ehehindernis. Hei⸗
raten mit Angehörigen eines andern Stammes sind selten. Ledig bleiben gilt
als ein Üübel; denn kann einer nicht heiraten, so fällt er andern zur Last
und wird verspottet. Witwen sollen der Regel gemäß vom Bruder des ver⸗
storbenen Gatten geheiratet werden; solche, die nicht mehr ankommen können,
nehmen zu irgend einem Verwandten ihre Zuflucht, d. h. wohnen, arbeiten,
leben bei ihm, gelten aber nicht als seine Frauen.
Viele Ehen der Monumbo sind unfruchtbar, weil das Weib sich unfrucht⸗
bar gemacht hat; wenige Familien haben einen größeren Kindersegen, durch⸗
schnittlich gllt das Zweikindersystem. Man liebt wohl die Kinder, aber nicht
die Last, die sie machen und die durch allerlei abergläubische Gewohnheiten noch
bergrößert wird. Die Adoption fremder Kinder, die dem Säuglingsalter ent⸗
wachsen sind, ist ziemlich im Schwange. Wenn eine Frau schwanger ist, sagt
jemand, der ein Kind adoptieren will, zu ihr: „Du, dein Kind nehme ich.“
Wenn sie zustimmt, so läßt sie ihm gleich nach der Geburt das Geschlecht und
die Beschaffenheit des Kindes melden. Wenn es ihm genehm ist, so läßt er ant⸗
worten, man solle es waschen. Ist es ihm nicht genehm, so wird es in die
See geworfen. Es kommt auch vor, daß jemand sich eines solchen Geschöpfes
erbarmt, nachdem der eigentliche Vater es zurückgewiesen hat. Es würde dann
im Meere ein frühes Grab finden, wenn nicht ein anderer sagen ließe: „Waschet
es für mich.“ Wenn die Eltern wegsterben, finden die Kinder schnell Adoptiv⸗
XVD——
Anthropos V (1910) 412. Derselben Auffassung begegnen wir leider auch bei
dielen zivilisierten Völkern.
2 Ebd. 413.
7. Die Monumbo und die Walman in Deutsch-Neuguinea Kaiser⸗Wilhelmsland). 379
Die Kinder folgen alle der Verwandtschaftsgruppe (mungima) des
Vaters, die Adoptivkinder aber gehören sowohl zur Mungima ihres eigenen als
zu der ihres Adoptivvaters. Bei einer Trennung nimmt die Mutter kleine
kinder noch wohl mit sich, später aber verfügt der Vater allein darüber. Wenn
ine Witwe mit Kindern in eine Verwandtschaftsgruppe hineinheiratet, so ver—
leiben ihre Kinder in der Verwandtschaftsgruppe ihres verstorbenen Mannes.
dede Mungima hat ihr Oberhaupt, ihre eigenen Murupika, von denen gleich
die Rede sein wird, und sonstige kleine Eigenheiten, wie z. B. daß sie meist
nahe beisammen wohnen. Innerhalb der Mungima werden Ehen nicht ge—
chlossen. Dem Jungen wird immer ein Mädchen aus einer andern Mungima
zugewiesen, jedoch wenn möglich so, daß auch ein Mädchen aus der ersten
Mungima in die zweite heiraten kann und so das Gleichgewicht gewahrt
leibt. Dieser Austausch ist aber nicht immer leicht und gibt oft Anlaß zu
Streitigkeiten.
Beim Abschluß der Ehe verschmelzen die Immobilien der beiden Gatten
3. B. Kokospalmen, Betelpalmen, Brotfruchtbäume, Felder) zu einem Eigen—
um, das im Fall der Trennung dem Mann verbleibt zum Nutzen der Kinder.
die Mobilien aber (Lanzen, Taschen, Schmuckgegenstände, Kleider, Töpfe usw.)
bleiben einzelnen. Im Lauf, der Zeit aber, wenn die mitgebrachten Mobilien
berschwunden und neue gekauft oder gemacht worden sind, entsteht auch in Bezug
auf diese eine gewisse Gütergemeinschaft.
Der Vater sorgt, daß alle seine leiblichen und adoptierten Kinder von seinem
Vermögen ihren Anteil erhalten. Wenn von einem Gegenstand nicht genügend
borhanden ist, z. B. von Kokos- oder Betelpalmen, so pflanzt er neue dazu.
die Verteilung der Immobilien nimmt er schon früh vor, wenn die Kinder
och klein sind. „So haben z. B. die Monumbofinder, die unsere Missions-
hule besuchen, schon alle ihr Slück Land, das die Eitern für sie beadern.
dedes Kind bekommt seine Kokospalmen, Brotfrüchte usp. Die Mobilien da—
gegen verteilt der Vater nicht, sie gehören allen Kindern gemeinsam. Sie ge—
brauchen dieselben gemeinsam oder verteilen sie in friedlich-schiedlicher Weise
unter sich.“ In Bezug auf wertvolle Schmuckgegenstände aus Muscheln und
dundezahnen sorgt der Vater, daß jedes Kind das Notwendigste hat; nur die
einigen gehen in den gemeinsamen Besitz der Kinder über!.
Stirbt der Vater, wenn die Kinder noch klein sind, so behält die Mutter
das Verwaltungs- und Nutznießungsrecht über die Sachen der Kinder. Hei—
atet sie wieder, so nimmt der neue Mann teil an diesem Recht. Entsprießen
dieser Ehe Kinder, so muß der Vater für diese in irgend einer Weise sorgen;
den ersten Kindern aber bleibt ihr Gut. Stirbt ein Eheteil ohne Kinder, so
zeht das ganze Vermögen auf den überlebenden Teil über, bis es durch eine
neue Heirat wieder von einem zweiten mitbesessen wird.
„Politisch sind die Monumbo in keiner Weise organisiert. Es gibt keine
dauptlinge, keine Verwaltungsorgane usw.“ Diese allgemeine Behauptung wird
— gleich wesentlich eingeschränkt. „Jedoch haben sie die Sorge für ihre An—
zelegenheiten eiwas unter sich verteilt. Die Besorger der einzelnen Angelegen⸗
— — —
Ebd. 414.
380 Fuünfter Teil. Australien und Ozeanien.
heiten nennt man toara (Plural toaranga), was man auf deuisch wohl mit
Minister‘ übersetzen könnte. Diese Toarawürde ist erblich. Einige erledigen
die Angelegenheiten des Dorfes, bestimmen z. B., wo die Pflanzung angelegt,
wann mit der Arbeit begonnen werden soll, sorgen für die Tanzfeierlichkeiten,
Häuserbauten uswp. Man nennt diese die wan toaranga. Sie sind die einfluß—
reichsten Leute, haben die Fremden zu beherbergen, müssen öfter den Dorf⸗
bewohnern ein Festmahl geben. Sie sind gewöhnlich auch die Reichsten.“ Die
murup toaranga oder die ngirik toaranga besorgen die Murupfestlichkeiten
und Maskentänze.
Die wan toaranga und die murup toaranga heißen kurzweg toaranga,
alle andern dagegen gadagada (Plural gadagadaino), etwa Plebejer. Zu er⸗
wähnen sind noch die Kindar toaranga, deren Wort ausschlaggebend ist, ob
Krieg oder Friede sein soll; bu toaranga sind die, welche für günstiges Wetter,
hbesonders für genügenden Regen sorgen müssen.
Die Toaranga sind nicht alle gleich angesehen, sondern verteilen sich auf
verschiedene Abstufungen, einige sind große, andere kleine Toaranga. Die Toa⸗
ranga haben aber keine absolute Oberhoheit in ihren Angelegenheiten. Manchmal
hringt der Toara die Sache vor und plädiert dafür. Findet er Zustimmung,
so führt er sie mit Hilfe der andern aus. Manchmal wird die Sache von
anderer Seite angeregt, dann muß auch er sich aussprechen. Die Männer ver⸗
sammeln sich bei ihm, dann wird debattiert, bis die Sache beschlossen ist. „Die
Alten sagten es“, mit diesen und ähnlichen Ausdrücken wird dann den Frauen
und Kindern die beschlossene Sache mitgeteilt.
Die Religion der Monumbo scheint sich auf die früher geschilderte Ver—
ehrung der Verstorbenen zu beschränken. Von ihrer Geschichte und ihrem Ur⸗
sprung wissen sie kaum etwas. Sie reden von einem Mann aus grauer Vor—⸗
zeit, der sie auf die Insel gesetzt, und den se Omberaman nennen. Wenn
man sie fragt, wer alles gemacht habe, so antworten sie: Omberaman. Dieser
oll beim Dorfe Kotsakkotza auf Steinbänken gehaust haben, die bei Ebbe noch
etzt zu sehen sind. Er hatte Eckzähne wie ein Eber und trug auf der Brust
eine ovale Muschelplatte. Ursprünglich scheint er allein gewesen zu sein. Plötz⸗
lich erschien, wie die Monumbo erzählen, auch eine Frau am selben Gestade.
Woher sie kam, weiß niemand zu sagen. Sie hieß Namitä. Sie befruchtete
sich selbsft mit der großen Zehe und gebar zwei Söhne namens Kaukä und
Kaukägewara. Diese Söhne erzog sie und lehrte sie alle Sitten und Gebräuche
sowie alle Fertigkeiten, die noch heute in Übung sind.
Groß geworden, stießen die beiden Söhne eines Tages beim Fischen un—⸗
erwartet auf den Omberaman. Erschrocken flohen sie zur Mutter. Diese gab
ihnen gute Lanzen und den Befehl, den Omberaman zu töten. Es gelang ihnen,
denselben zu überrumpeln und zu verwunden. Er floh, kam endlich ganz er—⸗
schöpft bei Namitä an und bat sie um etwas Wasser, da er nicht wußte, daß
sie die Mutter seiner Verfolger sei. Sie war bereit, ihm Wasser zu geben,
befahl ihm, den Mund zu öffnen, und schüttete ihm kochendes Wasser hinein,
so daß er sofort starb. Nun rief sie die Söhne herbei; diese brachen ihm die
Eckzähne aus und nahmen ihm die Muschel von der Brust. Beide Gegenstände
sind seitdem beliebte Schmuckgegenstände in Monumbo. Die Eckzähne ersetzte
7. Die Monumbo und die Walman in Deutsch⸗Neuguinea (Kaiser⸗Wilhelmsland). 381
man durch Eberzähne, die man durch Kunst ganz in sich zurücklaufend formen
ann. Ein Paar solcher Zähne sind der teuerste Artikel. Die Monumbo kauften
sie früher von den Karkarleuten (Dampierinsel). Die jetzige Generation ist
nicht mehr so kühn, um diese Reise zu unternehmen. Sie erwerben sie jetzt
durch Zwischenhandel. Einmal war einem Manne ein Paar solcher Zähne von
inem Arbeiter der Neuguineakompanie gestohlen worden. „Der Mann klagte
mir dies und sagte, wenn ein Monumbo sie ihm gestohlen hätte, würde er ihn
niedermachen.“ Aus dieser Bemerkung geht klar hervor, daß die Monumbo
den Diebftahl als schlecht und verwerflich betrachten.
Als die Namitä alt geworden, sagte sie zu ihren Söhnen: „Tötet mich.
Mein Blut fangt ihr in Bambusrohre auf. Diese legt ihr ins Feuer, bis das
Blut kocht. Das Übrige werdet ihr sehen.“ Nach langem Sträuben tötete
endlich der Jüngere die Mutter. Mit dem Blute füllten sie viele Bambusrohre,
derstopften sie und legten sie ins Feuer. Als das Blut kochte und die Bambus—
cohre zersprangen, entstand ein Mensch. Auf diese Weise entstanden ebenso⸗
diele Menschen, als Bambusrohre dort waren, kürzer oder länger, je nach der
Gestalt der Rohre. Der erste Mensch, der entstand, war ein Monumbo. Er
chämte sich und verbarg sich, so daß die Nachfolgenden ihn nicht sahen. In
ꝛeinem Versteck hörte er jeden neu entstandenen Menschen eine eigene Sprache
teden. Er merkte sich die Sprachen, und so kommt es, daß die Monumbo die
Sprachen sämtlicher umwohnenden Stämme sprechen, ihre Sprache aber fast
don keinem verstanden wird. Die einzelnen Menschen suchten sich nun die ihnen
zusagenden Plätze. Als alle fort waren, kroch der Monumbo hervor und blieb
in der Stelle.
Über das endliche Schicksal von Kaukä und Kaukägewara wissen die Mo—
dumbo nichts zu sagen. Viele Jahre später lebten in Monumbo zwei Brüder:
Monumbo und Liwowo. Der erstere war verheiratet. Als er einst zum Fisch—
ang abwesend war, verging sich Liwowo mit seiner Schwägerin. Nach der
deimkehr merkte Monumhbo, was vorgefallen war, und schlug fürchterlichen Lärm.
In den nächsten Tagen raffte er alle guten Sachen zusammen und zog nach
Westen. Wo er schließlich geblieben, weiß man nicht. Manche meinen, die
Eurobãer seien die Monumbo, die einst weggingen, heute aber zurückkamen.
Zu den Tänzen werden Frauen und Kinder nicht zugelassen, nicht einmal
als Zuschauer. Man sagt ihnen, um sie abzuhalten, ein Marananga halte
ich auf dem Tanzplatz auf. Unter Marananga verstehen die Leute außer—
Adentliche, höhere, ungeheuerliche Wesen, von denen sie aber keine genaue De—
sinition geben können. Auch die Europäer gelten ihnen als Marananga, aber
auch verschiedene Tiere, Steinblöcke usp. Diese Marananga, die sich sonst in
Sudern oder Felsen aufhalten, sollen bei den Maskentänzen vermummt auf—
reten und heißen dann Murupika. In Wirklichkeit sind diese vermummten
Narananga junge Männer, die allerlei Tänze aufführen. Frauen und Kindern
unter Todesstrafe der Zutritt versagt. Auch die Masken selbst und eine
oei gewissen Tänzen gebrauchte Bambusflöte, durch die man die Stimme eines
Marananga hören soll, werden Murupika genannt. Diese Flöten werden auch
Anthropos V (I910) 416.
282 Fünfter Teil. Australien und Ozeanien.
bei der Vollendung eines Häuptlingshauses, bei der ersten Einkleidung der Jüng—
linge und nach dem Begräbnis eines Mannes geblasen. Vor den Frauen und
Kindern werden sie sorgfältig verborgen gehalten, nur die Frau des Häuptlings
der Sippe weiß darum. Nach dem Gebrauch werden sie sorgfältig eingepackt
ind in der Dunkelheit ins Männerhaus oder Jünglingshaus gebracht, zu denen
Frauen und Kindern der Zugang streng untersagt ist. Bei gewissen Tänzen
darf sich die Frau des Sippenhäuptlings einfinden. Man nimmt mit der Bambus⸗
flöte eines alten Mannes eine obszöne Zeremonie an ihr vor, sie muß sich
dann allen gegenwärtigen Männern preisgeben. Nach diesem Vorgang zu
schließen, ständen diese Flöten in irgend einer Beziehung zu Generations- oder
Fruchtbarkeitsriten 1.
2. Von den Walman an der Lemingküste (auch Walmanküste genannt)
berichten die Steyler Missionäre?: Die Familien zählen nur ein bis zwei, selten
drei Kinder, weil viele Kinder, namentlich Mädchen, gleich nach der Geburt getötet
werden. Solange die Kinder klein sind, liegt dem Vater die Nahrungssorge ob.
Sonst kümmert er sich nicht weiter um sie. Im Alter von vierzehn bis sechzehn
Jahren ist der Jüngling berechtigt, eine Leibbinde und Waffen zu tragen. Zuvor
muß er jedoch acht bis zehn Tage im Gemeindehaus stillschweigend verharren. Ein
älterer Mann begleitet ihn auf den seltenen Ausgängen, und beide schreiten mit
gesenktem Haupte einher. Frauen müssen den Vorübergehenden ausweichen.
Während dieser Prüfungszeit machen die Jünglinge in ihrer bunten Bemalung
einen ganz gespensterhaften Eindruck. Nach acht Tagen wird ein allgemeines
Gelage gehalten, bei dem der Kandidat in einen Teil der religiösen Geheim⸗
nisse eingeweiht wird. — Vielweiberei ist an der Lemingküste selten. Zwischen
Mann und Frau besteht in der Familie kein Rangunterschied; sie leben und
arbeiten friedlich zusammen.
Die Verstorbenen werden lange betrauert. So erfuhren die Missionäre
bei der Erkundigung über ein Mädchen, dessen helle Farbe ihnen auffiel, dasselbe
habe fünf Monate lang ihren verstorbenen Bruder beweint. Während dieser Zeit
kam es nie aus der Hütte, und den größten Teil des Tages war es gesenkten
Hauptes und mit verschränkten Armen am Grabe des Verstorbenen, das sich in
der Hütte befand, auf und ab gegangen. Ein eigentümlicher Gebrauch findet
zwanzig bis vierundzwanzig Monate nach dem Tode statt. Um diese Zeit wird
die Leiche ausgegraben. Ein gemeinsames Mahl in der Nähe des Grabes leitet
die Feier ein. Dort sind auch die Schmucsachen des Verstorbenen aufgestapelt.
Wenn die Sonne die Mittagshöhe erreicht, öffnet man das Grab. Zuerst wird
der Schädel herausgenommen und sorgsam auf eine Matte gelegt, um später in
festlichem Zug nach dem Gemeindehaus (Alol) übertragen zu werden. Dann
zieht man die übrigen Gebeine hervor und verteilt davon einzelne an Verwandte.
Die Halswirbel flicht man vielfach in Armbänder ein, mit Schulterblättern ziert
man Körbchen usw. Die übrigen Gebeine, die Umhüllung der Leiche und die
Vormann im Anthropos VI (I911) 427.
P. Chr. Schleiermacher 8. V. D., Land und Leute der Lemingküste, im Kleinen
Herz- Jesu-Boten (Steyl), 27. Jahrg. (1900), 78 ff. Katholische Missionen, 32. Jahrg
(1903 - 1904), 84 ff 102 ff.
2
7. Die Monumbo und die Walman in Deutsch⸗Neuguinea (Kaiser-Wilhelmsland). 388
Sargreste werden in ein Leichenwäldchen getragen. Schädel und Knochen von
Frauen und Kindern finden im Wohnhause auf einer Art Altar ihren Platz.
Nur mit Mühe gelang es P. Schleiermacher, von den in dieser Beziehung
sehr zurückhaltenden Eingebornen einiges über ihre religiösen Ans chauungen
und Gebräuche zu erfahren. So sagten sie ihm, sie hätten schon lange vor der
Ankunft der Missionäre gewußt, daß Gott alles gemacht habe. Sie nennten
ihn Mesin. Es gebe zwei Mesin, einen guten und einen bösen. Durch Über—
lieferung sei diese Lehre auf sie gekommen. Der böse Geist zog nach Westen,
der gute nach Osten. Eine Zeitlang blieb der gute Gott noch auf Erden, aber
als die damals lebenden Kanaken ihn aufsuchten, entfernte sich der gute Mesin
immer mehr und ging zuletzt in den Himmel (anägo vor); er komme nicht
mehr wieder. Anaͤgo ist nach der Auffassung der Wilden ein überaus schöner
Ort. der alles mühelos und reichlich bietet.
Über die Erschaffung der Welt erzählen die Walman: Der gute Mesin
fuhr mit einem großen Schiff auf die See. Auf diesem Schiff waren die Berge,
die Bäume, die Pflanzen, das Gestein. Mesin trug vom Schiff aus alles an
seinen Plahß. Das Schiff fuhr dann weit in die See hinaus, wohin, das wissen
sie nicht. — Die Eingebornen glauben auch an die Abstammung der Menschen
bon einem Paare. Die Kinder dieser Stammeltern gingen mit den Kokos—
nüssen so verschwenderisch um, daß sie dafür von den Eltern geschlagen wurden.
Infolge davon weinten sie so lange, bis die Eltern in ein Land aufbrachen, wo
s viele Kokosnüsse gibt. Nach dem Glauben der Walman hätte Gott zuerst
das Weib geschaffen; weil es sich aber fürchtete, allein zu sein, und anfing zu
weinen und zu schreien, habe ihm Gott einen Mann beigesellt. — Auch eine
Sündflutsage existier. Eines Tages sah das Weib eines sehr braven
Mannes einen großen Fisch dem Ufer zuschwimmen. Sie rief den Mann, der
heftig erschrocken seinen Kindern verbot, den Fisch zu fangen. Die andern Leute
ber fingen den Fisch und zogen ihn ans Land. Trotz der Warnung des braven
Mannes aßen sie von dem Fisch. Als der Mann das sah, trieb er schnell ein
baar Tiere von jeder Art auf die Bäume und kletterte mit seiner Familie auf
eine Kokospalme. Kaum halten die bösen Menschen den Fisch verzehrt, brach
das Wasser mit solcher Heftigkeit aus dem Boden hervor, daß sich niemand
mehr retlen konnte. Menschen und Tiere gingen zu Grunde. Das Wasser stieg
bis zur Krone des höchsten Baumes und fiel dann ebenso schnell wieder. Der
brave Mann stieg nun mit seiner Familie vom Baume und legte neue Pflan⸗
zungen an.
Die Dörfer der Walman teilen sich in Gemeinden. So hatte das Dorf
Vukan, bei dem die Missionsstation lag, 164 Einwohner und 7 Gemeinden. Jede
Gemeinde hat ein eigenes Gemeindehaus, Ossuno genannt, in dem die Jünglinge
und Witwer Tag und Nacht weilen. Wenn auch die zu einem Ossuno gehörigen
Familien zusammenhalten, so sieht man doch sehr oft Männer und Jünglinge
anderer Gemeinden ein fremdes „Ossuno“ benutzen. Wir sagten, die zur Gemeinde
Sippe) Gehörenden halten eng zusammen. Schleiermacher berichtet: „Es ist mir
lein Fall bekannt, daß Mitglieder derselben Gemeinde sich todfeindlich gegenüber—
Katholische Missionen, 32. Jahrg. (19083—1904), 103.
384 Fünfter Teil. Australien und Ozeanien.
standen. Hat eines in der Gemeinde das Glück, ein Schwein im Walde zu
erschießen, so hat jedes andere Gemeindemitglied ein Anteilrecht daran.“!
Alle Gemeinden eines Dorfes haben nur ein Götterhaus, Tjamul genannt,
das dem Schutzgeist der Ortschaft, dem Tamuol, geweiht ist. Vor Zeiten, so
wird erzählt, kam der Große Geist auf einem Kahne herangefahren und wurde
ehrfurchtsvoll in einem Tempel aufgenommen. Die von ihm gebornen Kinder
zogen als ebensoviele Große Geister in die verschiedenen Ortschaften und wohnen
in dem Geisterhause, dem Tjamul. Dieses Gebäude ist schlanker und höher als
die gewöhnlichen Häuser und mit Schnitzwerk überladen. Nur erwachsene Männer
haben Zutritt. Weit um dasselbe ist der Platz heilig und darf weder von
Frauen noch von Kindern betreten werden. Sobald aus dem Tjamul die Flöten
erklingen, fliehen Weiber und Kinder in den Wald, wo sie den ganzen Tag
zubringen. Die Männer belustigen sich inzwischen im Geisterhause bei Gelagen.
Eine große Verbreitung genießt ferner der Glaube an Zauberei. Krankheiten
und alle Übel rühren von Zauberern her. Irgend ein feindlicher Stamm wird
als Übeltäter bezeichnet. Götzenpriester scheinen heute keine mehr zu existieren,
denn Schleiermacher sagt: „Einen Götzenpriester soll es früher gegeben haben,
und die Lemingleute zeigen noch jetzt tief im Walde ein zerfallenes Haus, in
dem er gewohnt haben soll. Sie berichten auch, daß er unberheiratet gewesen
sei und von ihnen Speise und Opfergaben empfangen habe.“
8. Die Bewohner der Insel Rook.
Die Insel Rook (Ruk) liegt zwischen Neuguinea und Neupommern. Über
die Einwohner derselben berichten die Maristenmissionäre, die um die Mitte des
19. Jahrhunderts dort mehrere Jahre arbeiteten?. Um die genannte Zeit hatte
die Insel ungefähr 60 über die ganze Oberfläche zerstreute Weiler, von denen
jeder etwa 100 Einwohner zählte, so daß die Gesamtbevölkerung sich auf etwa
6000 Seelen belaufen mochte. Nach der Meinung des P. Ambrosoli ge—
hörte die Bevölkerung drei verschiedenen Rassen an, von denen jede ihre eigene
Sprache hatte. Den Monat teilten sie in drei Abschnitie ein: den Neumond,
den Vollmond und den abnehmenden Mond. Den Tag rechneten sie von einem
Abend zum andern und teilten ihn in fünf Teile: die Frühe, den Morgen,
den Mittag, den Abend und den Spätabend.
Religion. Die Insulaner scheinen keinen Glauben an ein höchstes Wesen
gehabt zu haben, doch hören sie, so schreibt schon im Jahre 1882 P. Mazzu⸗
zonis, uns mit Vergnügen von Gott, von der Erschaffung der Welt, von der
Hölle und dem Paradies reden; das alles scheint ihnen ganz wahr zu sein.
Aber welche Inkonsequenz bei diesen armen Wilden! Ergriffen von der Idee,
daß es nur einen Gott gebe, wie es nur eine Sonne gibt, rufen sie beim Weg⸗
Kleiner Herz-Jesu⸗Bote, 27. Jahrg. (1900), 79. it
BVgl. Annales de la propagation de la foi XXVII (1855) 363 ff; die Zeitschrif
für allgemeine Erdkunde, Neue Folge IV (1858) 8883 ff, bringt einen ausfuhrlichen
Auszug aus einer Schrift des Maristen Paul Reina, die uns leider nicht zugäng
lich war.
Annales de la propagation de la foi XXVII (1855) 368.
9
8. Die Bewohner der Insel Rook.
385
gehen: Es gibt nur einen Gott, der alles erschaffen hat und alles regiert!
Und ein paar Schritte weiter beten sie wieder ihre zahllosen und namenlosen
Beister an.
Der allgemeine Name dieser bösen Geister war Marsaba (andere schreiben
Marcaba). Um den Teufel zu bezeichnen, fügten sie dem Marsaba noch ver—
chiedene Beinamen hinzu, von denen die Missionäre wenigstens zehn mit Sicher—
deit zählten. Der Teufel tötet die Schweine, verwüstet die Pflanzungen, bringt
die Leute um, die ihm im Walde begegnen, klopft nachts an die Häuser, ver⸗
ursacht Krankheiten usp. Auch die andern bösen Geister spielen eine ähnliche
RFolle. Ist irgend ein Unglück passiert, so laufen alle Leute zusammen, schreien,
schimpfen, heulen und schlagen die Luft mit Stöcken, um den bösen Geist zu
dertreiben. Von der Stelle, wo Marsaba den Schaden angerichtet hat, treiben
sie ihn in das Meer; am Strande verdoppeln sie das Lärmen und Fechten,
um den Marsaba von der Insel zu verjagen.
Der Marsaba hat ein eigenes, ihm geweihtes Haus, zu dem den Frauen
der Zutritt versagt ist. Hier werden die öffentlichen Feste gehalten. Diese
deginnen abends; es wird die ganze Nacht gesungen und dabei Marsaba an—
Jerufen; den Tag über wird geschmaust. Nur Männer nehmen teil. Den Weibern
werden Speisen von ihren Männern oder Vätern gesandt. Solche Festlichkeiten
wiederholen sich häufig zu Ehren der verschiedenen Geister. Am Tage des Festes
dermummen sich ein oder zwei Männer, setzen einen garstigen, aus Holz ge—
schnitzten Kopf auf und ziehen, von allen Männern gefolgt, unter lärmendem
Gesang tanzend ins Dorf, um die beschnittenen Knaben zu fordern, die von
Marsaba bisher noch nicht verspeist worden sind. Die vor Angst heulenden
Jungen werden ausgeliefert und müssen den vermummten Männern zwischen
den Veinen durchtrie hen Hierauf begibt sich der Zug abermals in das Venf,
derkündet, Marsaba habe die Knaben gefressen und werde sie nicht eher von
ich geben, bis ihm dafür Schweine, Taro und Ignamen geliefert worden.
Alle Dorfbewohner steuern nach ihren Mitteln bei; die Reichen geben Schweine,
die Armen Taro, die dann im Ramen Marsabas verschmaust werden.
s Neben Marsaba, dem Teufel, steht ein anderer Geist, Nabeao, in ziem—⸗
ichem Ansehen. Er scheint eine Art Schutzgeist des Dorfes zu sein. Sein
daus GBarem) ist es, in dem die öffentlichen Versammlungen gehalten werden.
Nabead erregt die Winde und Stürme und verschlingt die Schiffbrüchigen.
Strandet ein Boot an der Küste der Insel, so bringen die Eingebornen immer
die Mannschaft um, damit Nabeago sie nicht auf das Land verfolge.
. Die Eingebornen haben Gebete für Wind und Wetter, für die Zeit der
——— der Reisen und Krankheiten usw.; doch sind es meist nicht
aigentliche Gebete in unserem Sinne, sondern eher Beschwörungen oder Zauber⸗
ormeln, mittelst welcher eine dem „Bauche“ gewisser Individuen innewohnende
draft GBar) auf jene Gegenstände übergeht. Diese Kraft ist gut oder bös,
e nach der Wirkung. Ein jeder kann im Sinne der Wilden „beten“, doch
aben manche für spezielle Dinge besonders wirksame Bars in ihrem Bauche.
der Bar geht nicht vom Vater auf den Sohn über!.
—
Zeitschrift fur allgemeine Erdkunde. Neue Folge IV (1858) 857.
Tathrein, Die Einheit d. sitil. Bewußtseins. III. 25
386
Fünfter Teil. Australien und Ozeanien.
Sie haben eine Art Beschneidung, die in einem bloßen Einschnitt in die
obere Seite der Vorhaut besteht. Der Beschnittene muß sich für einige Tage
in das Barem zurückziehen. Am Tage der Beschneidung und wenn der Be⸗
schnittene das Barem verläßt, findet ein großes Fest statt. Durch die Beschnei⸗
dung erhält der Knabe das Recht, das Barem zu betreten. Sein Vater muß
den Freunden ein Schwein und Taro zum besten geben. Armer Leute Kinder
werden daher nicht beschnitten, und „Unbeschnittener“ ist ein Schimpfwort wie
bei uns „Lump“.
Ehe. Der Bräutigam gibt den Eltern der Braut Geschenke, daher der
Ausdruck: „eine Frau kaufen“. Wird die Werbung angenommen, so findet
ein Schmaus statt; die Braut geht in das Haus des Freiers, kocht das Mahl,
bleibt aber nicht über Nacht. Nach einigen Monaten findet ein zweites Gast⸗
mahl statt, und die Ehe ist geschlossen. Wenn sich ein Sohn verheiratet, so
verläßt er das väterliche Haus und gründet ein neues. Daher bleiben die
Alten allein und hilflos. Sie arbeiten, so lange es geht, und werden kümmer⸗
lich von Kindern und Verwandten unterstützt, die gewöhnlich selbst nicht viel
sjaben.
Will der Mann seine Frau nicht länger behalten, so gibt er sie den Eltern
zurück und nimmt eine andere. Ist die Frau mit ihrem Manne unzufrieden,
so kehrt sie in das elterliche Haus zurück oder geht zu dem Manne, der ihr
bestimmt wird. Gewöhnlich sind es Neuvermählte, die die Frau verstoßen,
wenn sie schwanger ist. Länger Verheiratete tun es selten. Dergleichen Vor⸗
fälle werden von den meisten mißbilligt, doch macht man nicht viel Aufhebens
davon. Die Frau heult eine halbe Stunde lang, und damit ist die Sache er⸗
ledigt. — Ehebruch ist sehr häufig. Werden die Schuldigen ertappt, so gibt
es großen Lärm, aber zu Tätlichkeiten kommt es zwischen den Männern nie.
Zuweilen wird die Frau geprügelt.
Obgleich dem Missionär Reina öfters versichert wurde, daß Polygamie be—⸗
stehe, ist ihm doch kein Fall wirklicher Polygamie bekannt geworden. Ein alter
Häuptling erzählte ihm einmal, er habe zwei Frauen gehabt, von denen er
indessen die eine durch einen Lanzenstoß tötete, weil ihm die andere besser gefiel
Während der Schwangerschaft sind „Gebete“ üblich, und wenn beschlossen
worden ist, den Neugebornen leben zu lassen, wird der Busen des Weibes mit
coter Erde bemalt. Bei der Niederkunft sind nur Frauen anwesend. Das
Kind wird gewaschen und einige Tage zu Hause gehalten. Die Kinder werden
zwei oder drei Jahre gesäugt. Gleich nach der Geburt des Kindes trägt der
Vater mehrere Tage hindurch, wenn er das Dorf verläßt, einen Bündel wohl⸗
riechenden Krautes im Gürtel und schleift seine Lanze, die Spitze nach hinten,
auf dem Boden einher, damit ihm der Geist des Kindes nicht in den Wald
folge. Soll das Kind getötet werden, so findet nichts von all dem Angeführten
statt. Während das Kind geboren wird, gräbt der Vater eine Grube unter
dem Hause, das ungefähr in Mannshöhe über dem Boden auf Pfeilern ruht;
ist das Kind umgebracht, so wird es ihm hinabgereicht und ohne weiteres ver⸗
scharrt. Die Missionäre klagen sehr über die unglaubliche Unmenschlichkeit der
Zeitschrift für allgemeine Erdkunde. Neue Folge IV (1858) 358.
8. Die Bewohner der Insel Rook.
387
Eltern, die die Hälfte ihrer Kinder töten, um keine Last mit ihnen zu haben.
Wie sehr dies der Fall ist, zeigt das Dorf Nurna, in dem wir wohnen.
hier gibi es nicht weniger als 55 Haushaltungen, und doch sind nicht einmal
200 Einwohner da.“1 Viele Frauen trieben vor der Geburt die Frucht ab
schienen nichts Arges dabei zu denken, da sie ganz unbefangen davon
rachen.
zSKrankheit und Tod. Wer krank wird, verläßt sein Haus und begibt
ich an den Seestrand, wo er lange an der frischen Luft liegen bleibt, bis er
wiederhergestellt ist. Will der Kranke keine Nahrung zu sich nehmen, so wird
beinahe als verloren betrachtet. Es kommt dann der Zauberer und bemüht
ich, durch Singen, Schreien und Gestikulieren dem Marsaba die Seele des
Sterbenden wieder zu entreißen. Oft läuft der Zauberer dem bösen Geiste
nach, um die geraubte Seele zu fangen und sie dem Kranken wiederzugeben.
delingi dies, so ist die Heilung sicher, sonst der Tod. Sobald der Tod ein—
ritt, brechen die Verwandten in ein furchtbares Geheul aus, rollen sich auf
der Erde und drängen sich nacheinander zur Leiche, um zu weinen. Endlich
timmt das ganze Dorf ein, und alles heult und schreit nach Kräften. Die
dotenllage dauert etwa einen halben Tag, dann wird der Leichnam mit ver—
hiedenen Farben bemalt, in eine Matte gehüllt und vor dem Hause des Ver—
lorbenen begraben, worauf ein Gastmahl je nach den Mitteln des Verstorbenen
— Stirbt ein Armer, so wird er nur von seiner Frau beweint, die übrigen
achen und verhöhnen die Trauernde, die kein Gastmahl geben kann.
Die, welche bei der Beerdigung mitwirken, reinigen sich gleich darauf im
Neere. Das Grab wird mit Rohrstäben eingezäunt, um die Hunde und
Schlangen vom Leichnam abzuhalten. Einen Monat lang wird während der
Nacht ein Feuer unterhalten, damit der Geist des Toten sich die Hände wärmen
dnne. Frau und Mutter des Verstorbenen singen jeden Morgen und Abend
anen Totengesang am Grabe („O mein Gatte, o mein Sohn, du bist ge—
lorben .) Nach vier oder fünf Monaten wird die Einzäunung des Grabes
weggenommen und weit vom Dorfe weggeworfen, wobei noch einmal ein Gast—
nahl statifindet.
d Die Seelen der Bösen gehen in den Wald und werden Marsabas ; die
er Guten gehen auch in den Wald, was sie da tun, ist nicht bekannte.
Nan scheint also doch an ein verschiedenes Los der Guten und der Bösen nach
em Tode zu glauben.
Zuweilen werden auch Lebende begraben. Wenn ein Kranker ein paar Tage
ang nichts ißt, die Augen zumacht, auf die Fragen nicht antwortet und sich
nicht rührt, so gilt er für tot und wird begraben. P. Reina konstatierte wenig—
— zwei solcher Fälle. Es handelte sich um Männer im besten Alter. Der
e sträubte sich, während die Erde auf ihn geworfen und festgetreten wurde,
er andere blieb regungslos. J
; Häusliches Leben. Die Weiber haben die häuslichen Arbeiten und die
X Arbeiten im Felde zu besorgen. Den Männern fällt die schwerere
— —
Annales de la propagation de la foi XXVII (1855) 366.
Zeitschrift für allgemeine Erdkunde. Neue Folge IV (1858) 861.
25*
388
Fünfter Teil. Australien und Ozeanien.
Arbeit anheim: sie fällen die Bäume und zäunen den Garten ein; denn jahrlich
wird der Wohnort gewechselt. Vom April bis Dezember finden die Fischereien
statt. Die Boote werden aus einem Baumstamme gemacht, der ausgehöhlt wird.
Das Netzemachen ist ausschließliche Arbeit der Männer, besonders der Greise,
die nicht mehr im Felde arbeiten können. Die Jünglinge treiben nichts als
Unfug. Oft fieht man den Vater schwere Lasten tragen, während seine er⸗
wachsenen Söhne, die ihm helfen sollen, sich mit wohlriechenden Kräutern be⸗
decken und spielen.
Den Charakter der Insulaner schildert P. Reina folgendermaßen: Sie sind
zügellos, ausschweifend, lügnerisch, dem Diebstahl, dem Haß und der Mißgunst
ergeben, heuchlerisch, treulos, verleumderisch; doch stimmen nicht alle Missionäre
mit ihm überein. So schreibt P. Ambrofoli: „Die Menschenfresserei wird auf
Rook verabscheut, man stiehlt dort auch nicht wie auf Woodlark und San
Christopal, wo es nur professionelle Diebe gibt. Die Streitigkeiten sind selten.
Wenn die Eingebornen merken, daß der Zorn sie übermannen will, gehen sie,
schneiden eine dicke Pflanze und kehren dann ganz ruhig zurück, als ob nichts
geschehen wäre. Es ist auch gebräuchlich unter ihnen, sich gegenseitig Dienfie
zu leisten und einander in ihren Bedürfnissen zu helfen.“
Daraus, daß viele Verbrechen auf Rook unbestraft bleiben, darf man nicht
schließen, dieselben würden nicht als verabscheuenswert erkannt. Wie anderwärts
tut man auch auf Rook vieles, nicht weil man es für gut, sondern obgleich
man es für schlecht hält.
9. Die Einwohner von Neupommern.
Von den Einwohnern Neupommerns entwirft R. Parkinson in seinem
Werke „Dreißig Jahre in der Südsee“? interessante und eingehende Schilderungen.
Dieselben sind um so wertvoller, als sie sich nicht nur auf die eigenen Be⸗
obachtungen des Verfassers, sondern auch auf die Mitteilungen der katholischen
Missionäre stützen, besonders des P. M. Rascher M. 8. C. und anderer, die dem
Verfasser zur Verfügung gestellt wurden.
Der Verfasser unterscheidet mehrere voneinander verschiedene Stämme auf
Neupommern. Wir betrachten hier nur: 1. die Nordostbewohner der Gazelle⸗
halbinsel, welche wahrscheinlich aus dem südlichen Neumecklenburg eingewandert
sind; 2. die Baining, die Urbewohner der Gazellehalbinsel, 3. die Sulkas auf
der südlich von der Gazellehalbinsel liegenden Erweiterung der Hauptinsel.
J. Die Nordostbewohner der Gazellehalbinsel:?.
Das ganze Gebiet zerfällt in eine Anzahl größerer und kleinerer Landschaften.
Innerhalb dieser Landschaften liegen die einzelnen Niederlassungen (gunan), ge
wöhnlich aus einer kleinen Anzahl von Hütten bestehend, selten mehr als zehn.
Hier wohnt eine Familie im engeren Sinn; wird sie größer, so trennen sich die
1Annales de la propagation de la foi XXVII (1855) 364 -865.
3 Herausgegeben von Ankermann, Stuttgart 1907.
Ebd. 55 ff.
9. Die Einwohner von Neupommern.
389
inzelnen Glieder ab und errichten ein neues Qunan. So entsteht eine Kolonie,
n welcher eine bestimmte Sippe überwiegt.
Innerhalb der einzelnen Sippen sind stets einzelne als Häupter und Regenten
betrachtet worden. Die höchste Würde ist die des A gala („des Großen“),
doch kommt es vor, daß die Mitglieder der Sippe diesen absetzen, falls er sich
einem Amt nicht gewachsen zeigt, namenilich wenn er das Familienvermögen
chlecht verwaltei oder verschwendei. Sein Nachfolger ist dann stets der näopst—
erechtigle Bruder oder der Neffe im Weiberstamm. Diese sind im Todesfall
auch seine Erben. Der A gala ist der eigentliche Häuptling der Sippe in
Alem, was den Nutzen derselben betrifft. Er kauft die Weiber für die jungen
J— die nachher durch Arbeitsleistung seine Auslagen decken müssen. Er ist
F Schatzmeister der ganzen Sippe, und in seinem Hause wird das Stamm⸗
ermögen an Muschelgeld — Tabu — aufbewahrt. Ist er ein unternehmender
Nann so hält er seine Leute zum Anlegen großer Pflanzungen an. Es ist
dabei Siite, daß er ihren Unterhalt aus dem Stammesvermögen bestreitet. Die
erausgabten Summen mit einem bestimmten Zuschlag werden jedoch nach Verkauf
der Ernte wieder an ihn verabfolgt, um im Tabuhaus aufbewahrt zu werden.
Das Recht des Häuptlings auf Grund und Boden des Stammes ist größer
n das eines beliebigen Stammesmitgliedes; er kann Grundstücke des Stammes
eräußern, aber nur mit Einwilligung der Eigentümer. Den Kaufpreis händigt
dem Eigentümer nach Abschluß des Kaufes ein oder legt ihn zu dem Schatz
er Sippe. Da der A gala in der Regel ein Finanzgenie ist, so erwirbt er
nt dem ihm anvertrauten Gelde für eigene Rechnung ein recht ansehnliches
ermögen und wird dann als Uviana, reicher Mann, bezeichnet.
ni Alle Angelegenheiten des Stammes werden in Versammlungen beraten.
VFicht selten gibt es hier heftige Debatten. Ist die Sache von großer Bedeutung,
roht z. B. ein Überfall oder ist ein Stammesmitglied getötet oder eine Frau
jeraubt worden, ist der Entschluß bald gefaßt.
iu Jeder verheiralete Mann ist absoluter Herr seiner Frau, diese ist sein Eigen⸗
um und muß für ihn arbeiten. Ehebruch wird nicht immer mit dem Tode
— dagegen stets die Blutschande, worunter nicht nur der geschlechtliche
Alehr unter leiblichen Geschwistern, sondern auch zwischen Personen, die das—
be Stammeszeichen oder dasselbe Totem haben. Das Recht des Mannes
jedoch nicht so weit, daß er selbst die Todesstrafe vollstrecken kann, dies darf
8 der Bruder der Ehebrecherin oder ihr Onkel mütterlicherseits. Doch wird
— Ausübung dieses Rechtes jetzt seltener, was aber das moralische Leben der
euen nicht gehoben hat. Die Frau bleibt nach der Verheiratung immer noch
italied ihrer Familie, zu der sie zurückkehren kann, wenn der Mann gestorben.
n auf Vereinbarung Ehescheidung ein, so zahlt die Familie dem Ehemann
* Kaufpreis zurück. Solche Trennungen sind häufig. — Sie kennen auch
e Verlobung im Unterschied zur eigentlichen Hochzeit, die Verlobung findet
F schon in früher Jugend durch die Eltern und Verwandten statt. Die Ehe
vird wie ein Kaufgeschäft abgeschlossen2.
* Hier wird wohl Privateigentum an Boden gemeint sein, das aber nicht ohne Ein⸗
igung des Häuptlings oder des Stammes veräußert werden darf.
Parkinson sa. a. O. 66.
—390
Fünfter Teil. Australien und Ozeanien.
Die Polygamie ist gestattet, jedoch nicht allgemein üblich, in der Regel haben
nur die Reichen mehrere Frauen. Die einzelnen Weiber haben dann getrennte
Hütten. Unverheiratete Mädchen, welche schwanger werden, suchen zunächst die
Leibesfrucht zu zerstören. Gelingt das nicht, so begeben sie sich zur Zeit der
Niederkunft in den Wald, wo die Geburt ohne alle Beihilfe stattfindet und das
neugeborne Kind sofort getötet und verscharrt wird.
Die junge Mutter ist sonst recht stolz auf ihren Säugling, den sie uberall
mit sich führt und so lange säugt, bis er laufen kann. Die Mädchen bleiben
hei der Mutter bis zur Verheiratung, die Knaben vom sechsten oder achten Jaht
an bei dem Vater oder meistens bei dem Onkel.
Die Beerdigung geht sehr feierlich vor sichin. Von der Einsenkung det
Leiche ins Grab bis zum folgenden Morgen wird eine beständige Musik auf
den großen Holztrommeln unterhalten, um dem Geist des Verstorbenen den Ein⸗
tritt in Tingenataberan zu erleichtern. Tingenataberan ist ein Platz weit
im Osten, wohin die abgeschiedenen Seelen gehen. Sobald der Tote beerdigt
ist, erhebt sich der Geist, Tulungiana, er kann jedoch erst bei Sonnenaufgang
in Tingenataberan eintreten, und die Trommeln müssen unaufhörlich ertönen,
um den umherirrenden Geist auf seinem Wege zu stärken. Gespannt richten
sich beim Sonnenaufgang alle Blicke nach Osten; steht vor dem aufgehenden
Gestirn eine Wolke, ist dies ein Zeichen, daß der Geist in Tingenataberan ein⸗
getreten. Hier ist alles im Überfluß. Vor dem Eintritt in dieses Elysium wird
die Seele von dem Geiste Tolumean befragt: „Wo ist dein Tabu, wo sind deine
Armringe, die man dir ins Grab mitgegeben? Wieviel Tabu wurden bei
deinem Tode verteilt?“ Fällt die Antwort befriedigend aus, so steht dem Ein⸗
tritt nichts im Wege; ist sie jedoch nicht genügend, so wird die Seele nach
Jakuzia verwiesen und der Geist reißt ihr die Hinterbacken ab, damit sie lahm
und unkenntlich werde. Jakuzia ist ein trostloser Ort, ohne Festlichkeiten und
Tänze, ohne Überfluß irgend einer Art.
Früher soll es gebräuchlich gewesen sein, mit der Leiche der verstorbenen
Häuptlinge einen oder mehrere Sklaven oder einige seiner Frauen lebendig zu
begraben. Dies war in Bougainville fast bis heute der Brauch. Der Zwed
dieses Gebrauches ist, daß die Seelen der Geopferten den Verstorbenen im Jen⸗
seits bedienen sollen.
Als Geld gebraucht man in der Nordost-Gazellehalbinsel eine Seeschnede—
deren obere Wölbung durchschlagen ist, so daß sich die einzelnen Stücke auf
Rotangstreifen aufreihen lassen. Dieses Geld heißt Tabu (auf Neulauenburg
Diwarrat). Das Tabu vertritt bei den Eingebornen die Stelle unserer Münze
und den Wertmesser für den Handel. Das ganze Sinnen und Trachten der
Eingebornen zielt auf Erwerb von Tabu oder Muschelgeld. Keine Dienstleistung
bleibt unbezahlt.
In der Herstellung der Hütten, in Bereitung von Geräten zum Fischen und
Jagen zeigen die Eingebornen nicht geringe Geschicklichkeit 2.
Zauberei und Aberglaube spielen eine große Rolle im Leben dieses Volles—
Fast alle Krankheiten werden auf Zauberei zurückgeführt, durch Zauberei kann
VParkinson, Dreißig Jahre in der Südsee 79. 2 Ebd. 92.
9. Die Einwohner von Neupommern.
391
man sich schützen. Man schneidet z. B. den Hühnern einen Teil der Krallen
ab, spricht darüber eine Zauberformel und begräbt die Teile in der Erde.
Wenn einer diese bezauberten Hühner stiehlt, wird er ganz bestimmt krank oder
irbt. Der Eingeborne sieht sich auf Schritt und Tritt von bösen Geistern
beeinflußt. Im übrigen scheint die Religion aller Bewohner der Gazelle—
halbinsel ziemlich gleich zu sein, und wir werden sie deshalb weiter unten bei
den Baining darlegen.
Die Kriege sind unter denselben häufig, aber nicht sehr blutig. Die Körper
der erschlagenen Feinde werden von den Siegern verspeist.
II. Die Baining auf der Gazellehalbinsel
haben körperlich viel Ähnlichkeit mit ihren eben geschilderten östlichen Nachbarn,
ind aber muskulöser. — Häuptlinge im eigentlichen Sinn haben sie nicht.
Die Familienhäupter führen ein schwaches Regiment über ihre Familienglieder.
Der Feldarbeit wegen verbinden sich wohl mehrere Familien zu einer lockern
Gemeinschaft. Feste Wohnsitze oder Dorfschaften sind nicht vorhanden. Die
Baining sind wandernde Ackerbauer. Dort, wo sie eben ihr Tarofeld
anlegen, siedeln sie sich augenblicklich an, manchmal recht weit von dem früheren
entfernt, und bauen dort ihre primitiven Hütten. Der Grund und Boden ist
keines einzelnen Eigentum; sie kennen einen bleibenden Anspruch daran nicht,
ebensowenig wie eine Übertragung des Grundeigentums durch Erbschaft, Kauf
und Geschenk.
Die Baining glauben, daß alle Menschen von einem Mann (Herini) und
einer Frau (Sichi) abstammen. Diese ersten Menschen sind aus der Spatha
der Arekapalme hervorgegangen. Daß die Menschen sterblich sind, hat nach
ihnen folgenden Grund. Vor langer Zeit ließ die Sonne alle geschaffenen
Gegenstände zusammenrufen. Alles eilte herbei, nur der Mensch folgte dem
Gebote nicht. Die Sonne verlieh nun den Herbeigekommenen die Unfterblich⸗
leit; da der Mensch nicht zugegen war, erhielt er sie nicht und muß sterben;
alles andere lebt ewig: der Stein behält seine Gestalt, ebenso das Meer und
der Himmel, auch die Schlange stirbt nicht, sondern streift nur ihre Haut ab
und lebt dann weiter.
Die Geister der Verstorbenen leben jedoch nach dem Tode fort; sie
haben aber keinen bestimmten Aufenthalt, sondern sind überall. Man sieht
diese Geister als sasik an, d. h. als anwesend, aber nicht sichtbar, eine Vor⸗
stellung, die man sonst im Archipel nicht findet. Sie haben auch keine Furcht
dor diesen Geistern!.
Der einzige Geist, der den Baining Furcht einflößt, ist eine mystische
Schlange Aschanki, die umherschleicht und die Exkremente der Menschen
frißt, die dann sterben müssen. Aschanki hat zahlreiche Kinder, welche auf
knorrigen Bäumen leben und den Menschen gefährlich sind.
Sonst ist der Baining im Gegensatz zu seinen Nachbarn frei von Aber⸗
glauben. Stirbt ein Freund oder Verwandter plötzlich, so schreibt er das einem
——
Ebd. 159.
392
Fünfter Teil. Australien und Ozeanien.
der Uferbewohner zu, die er als seine eigentlichen Feinde betrachtet. Denn
früher wurden viele Baining von den Uferbewohnern als Sklaven verkauft oder
niedergemetzelt. Noch jetzt glauben diese, fie dürften den Baining, diesen fleißigen
Ackerbauern, ihre Erzeugnisse, namenilich den Taro, als ihr Eigentum ohne
Entgelt wegnehmen. Doch tritt hierin allmählich ein Wandel ein. Belehrung
und Beispiel der Missionäre haben die frühere Unterwürfigkeit und den sklavischen
Behorsam der Baining zum großen Teil beseitigt, und die jüngere Generation
vill nichts von der Überlegenheit und der Anmaßung der Nachbarn wissen.
Die Verheiratung ist sehr einfach1. Gefällt einem Mann ein Mädchen,
so fragt er dasselbe oder läßt durch die Eltern anfragen, ob es seine Frau
sein wolle. Willigt es nicht ein, so sagt es dies offen, und damit ist die An—
zelegenheit zu Ende. Manchmal läßt der Bewerber die Frau durch einen
Freund entführen. Sie folgt willig in die Hütte und trifft nun ihre Ent⸗
cheidung. Wenn sie nicht bleiben will, geht fie unbelästigt fort. Die einmal
eingegangene Verbindung wird selten gelöst. Keine Zeremonien sind bei der
Heirat gebräuchlich. Trotzdem erfreut sich die Frau bei den Baining einer
freieren Stellung als bei den übrigen Stämmen des Archipels; sie nimmt teil
am Gespräch der Männer, beide Geschlechter essen zusammen; sie läßt sich keine
übermäßige Arbeitslast aufnötigen und überläßt dem Herrn Gemahl die Pflege
der Säuglinge, wenn sie selber ihre Tarolasten nach Hause oder zu Markte
krägt. Im letzteren Fall sieht man oft den speerbewaffneten Mann seinen Spröß⸗
ling sorgsam im Arm tragen oder er läßt ihn, wenn er größer ist, auf beiden
Schultern reiten.
Fine eigentliche Erziehung gibt es nicht. Der Knabe oder das Mädchen
erlernen bereits im frühesten Alier diejenigen Verrichtungen, die von ihnen als
Erwachsenen oder nützlichen Familiengliedern gefordert werden, und da die
Summe derselben nicht groß ist, erlangen sie bald die gewünschte Meisterschaft.
Beim Tode eines Baining wird ein kurzes Klagegeheul angestimmi und
ein einfaches Mahl aus Taro bereitet und an alle Anwesenden verteilt. Dann
legt man die Leiche in eine Grube, die an einigen Orten zugescharrt wird, an
andern nicht, so daß die Hunde oder Schweine die Leiche als Fraß benutzen.
Das scheint auf die Überlebenden keinen Eindruck zu machen. Bei einem Todes⸗
fall herrscht eine gedrückte oder feierliche Stimmung in den Hütten. Man hört
nehrere Tage kein lautes Sprechen oder Lärmen, eine Art von Feiertagsstim⸗
nung ruht über der Umgebung der Todesstätte.
Kindermord kommt anscheinend nur dann vor, wenn die Mutter infolge
der Geburt stirbt. Das Kind wird getötet, weil niemand da ist, der sich seiner
annehmen, es säugen und großziehen würde. Kannibalismus war bis vor
nicht gar langer Zeit üblich, verschwindet jedoch jetzt innerhalb der Einflußsphäre
der katholischen Missionäre. Eigentümliche Zeremonien fanden dabei nicht statt.
Das Opfer wurde einfach getötet und zubereitet wie ein Schwein. Der Bai⸗
ning präsentiert sich heute in seinem Urzustand als recht harmloser Naturmensch,
der keine hervorragenden guten Eigenschaften besitzt, aber auch nicht von be⸗
onders bösen Neigungen beherrscht wird; er sorgt für den täglichen Unterhalt,
Parkinson, Dreißig Jahre in der Sudsee 160.
9. Die Einwohner von Neupommern.
393
alles andere ist Nebensache. Eigentum sammelt er nicht!; er ist zufrieden mit
einem primitiven Unterschlupf, der ihn namentlich gegen Regen schützt, schläft
uuf nackter Erde und ist gegen Schmutz unempfindlich?.
Die Hauptnahrung ist der Taro, dessen Anbau bedeutende Arbeit fordert.
Mehrere Familien vereinigen sich in der Regel zur gemeinschaftlichen Anlage
iner Pflanzung. Zunächst muß der Urwald gefällt werden, dann werden die
Zweige und Aste abgehauen und, wenn sie trocken sind, verbrannt. Das ge—
äuberte Feld wird zum Schutz gegen Wildschweine mit einem starken und
dichten Holzzaun umgeben, und die Eingebornen zeigen in der Anlage und Ver—
vendung der einzelnen Holzknüttel ein erstaunliches Geschickk. Auch Bananen
verden gepflanzt. Außerdem nährt sich der Baining von Schweinen und er—⸗
agten Wildschweinen.
Die Sprache der Baining klingt nicht unangenehm; auch ihr Gesang darf
m ganzen als melodisch bezeichnet werden. Geradezu von hervorragendem
Wohllaut ist ihr lautes Jodeln, snes, das von den Bergen weithin schallt und
nanchmal, wenn mehrstimmig, auch einem Europäerohr Freude und Genuß be—
ceiten kann. Die Baining bekunden ferner eine nicht unbedeutende Kunstfertig—
eit in Malereien auf Rindenstoff und in Anfertigung von bunten Netzen. — Die
Männer in Nordbaining gehen ganz nackts, die Weiber tragen einen schmalen,
orn herabhängenden Schurz aus Pflanzenfasern, während hinten ein schwanz—
artiges langes Faserbündel anscheinend zwecklos herabbaumelt. Beim Nieder—
itzen vereinigt die Sitzende mit einem schnellen und sichern Griff beide herab—
Jängenden Teile und klemmt dieselben zwischen die Beine. Es ist zweifellos,
daß dieser künstliche Schwanz die Veranlassung gegeben hat zu der Behauptung
der Nordostbewohner, daß im Innern der Gazellehalbinsel geschwänzte Menschen
vohnen. Dieser Gürtel wird von allen Bainingweibern getragen. Die Männer
der Südbaining tragen einen Gürtel aus Rindenzeug zwischen den Beinen
durchgezogen.
„. EKine erwünschte Ergänzung zu dem bisher über die Bewohner der Gazelle⸗
jalbinsel Gesagten bilden die Berichte des P. Jos. Meier M. S. C.“ Der
——
Das gilt, wie wir gleich sehen werden, nicht allgemein, jedenfalls nicht von den
düstenstämmen. 2 Parkinfon a. a. O. 162. —
*Wie bei den Baining bleiben auch bei einigen andern Südseestämmen die Männer
ind die unverheirateten Mädchen völlig nackt. Wollte man daraus schließen, es fehle
hnen das Schamgefühl, sfo antwortet Parkinson (ebd. 271): „Die Nachktheit der Ein⸗
debornen dürfen wir nicht als eine Veranlassung zu dem nach unsern Begriffen vielfach
anmoralischen Lebenswandel ansehen. Die Nacktheit an und fur sich ruft bei einem Ein⸗
ebornen keine finnliche Erregung hervor, und die Schamhaftigkeit eines völlig nackten
Neumiectlenburgernadchens ist ebenso groß, wenn nicht größer, als bei den meisten euro⸗
ischen Modebamen Dem Europäer erscheint der Eingeborne im Adamskostum in der
Tat nicht als nackt, die braune Haut an und fur sich ersetzt gewifssermaßen den Anzug.
g habe häufig beobachten können, wie durchreisende Europäerinnen nach kurzer Zeit
r Anblick eines nackten Eingebornen als eine keineswegs anstößige Erscheinung be⸗
dachten lernten, während ein nackter Europäer unzweifelhaft ihren Widerwillen oder ihren
dorn erregt haben würde. ... Der Eingeborne sieht in unbekleidetem Zustand weniger
ntblößßt aus als ein nactter Europäer.“
Anthropos II (1907) 374. Die Angaben P. Meiers stimmen im wesentlichen mit
enen überein,. die Migr Couppé in den Missions catholiques 1891, 353ff veröffentlicht hat.
394 Fünfter Teil. Australien und Ozeanien.
Missionär zeigt zuerst, mit welchem Unrecht man von einem „Paradies“ zustand
der primitiven Naturvölker rede, indem er die recht armselige, traurige Lage der
Eingebornen (Kanaken nennt er sie) zeichnet.
Ihre Religion ist ganz von der Furcht vor bösen Geistern beherrscht.
An zahllosen Orten sollen sich nach ihrem Glauben böse Geister aufhalten, die
besonders in der Dunkelheit den Menschen Verderben bringen. Um sich gegen
die Nachstellungen dieser Geister zu schützen, kennt der Eingeborne ein einziges
Gebet, durch das er sie anfleht, den Geist des Kranken wieder freizugeben,
da alle Krankheiten daher rühren sollen, daß die bösen Geister den Geist des
Kranken gefangen halten. Das Gebet lautet: „Ihr bösen Geister, setzt den
Geist des Kranken in Freiheit! Schickt ihn heim in sein Gehöst, und er wird
euch ein Opfer von Bananen spenden!“ Durch zahlreiche Zaubermittel sucht
iich der Kanake gegen den Einfluß der bösen Geister zu schützen.
Die langen Totenfeierlichkeiten werden veranstaltet, um zu verhüten, daß
der Tote die Überlebenden belästige. Im übrigen bereitet sich jeder felbst
sein Los im Jenseits vor. Es bemißt sich nach seinem Reichtum an
Muschelgeld (divarra), den er bei Lebzeiten besessen. Der Geist des Verstorbenen
wird von den andern Geistern abgeholt und in das „Teufelsloch“ geleitet.
Dort wird er einem Gerichte unterworfen. Es wird die Frage au
ihn gerichtet, ob er reich sei. Bejaht er die Frage, so wird er geheißen, sich
den richtenden Geistern zuzugesellen; verneint er sie, so wird ihm ein besonderet
Aufenthaltsort angewiesen, der der Armen!. Aber auch das Los, das der Reiche
nach seinem Tode genießt, scheint nicht beneidenswert. Wie eine Meute los⸗
gelassener hungriger Hunde stöbert allnächtlich die Geisterschar im Unrat und
in den Abfällen. Was sie nicht verzehren können, stopfen sie in den Korb,
den sie bei sich tragen. Ihre willkommensten Leckerbissen sind die Exkremente
der Menschen.
Menschenfresserei war früher üblich. Bei großen Festen wurden vor⸗
wiegend Sklaven geschlachtet, die man eigens zu diesem Zweck gemäsiet hatte.
Die Leute sind allen Arten von Unsittlichkeit ergeben.
Doch hat der Eingeborne trotz aller Irrungen einen Kern religiöser Wahr⸗
heiten bewahrt und besitzt auch einige sittliche Kriterien, um zwischen Gut und
Bös zu unterscheiden. „So hat der Eingeborne einen Begriff von einem
höchsten, geistigen Wesen, Askaja geheißen.“ „Besonders in dem Aus⸗
druck na kaia, das den höchsten Grad einer Eigenschaft oder einer Tatigleit
bezeichnet, also „göttlich“ ist, kommt dieser Sinn des Wortes zur Geltung .
Dann ist in den überlieferten Mythen auch die Rede von einem Weltschöpfer,
einem Ordner aller Dinge, der To-kambinana (der Weise) heißt. Ihm gegen⸗
über steht To-korwuwu oder Tu-purgo (der Törichte), der Urheber aller Un—
ordnung und alles Bösen. Er hat den Zustand der Menschheit verschlechtert
Das ist nach Msgr Couppé (Missions catholiques 1891, 355) der Grund, warun
die Eingebornen bei Vlavolo ängstlich Divarra (Geld) zu sammeln fuchen. Couppé füg
hinzu, damit der Reiche in der andern Welt glücklich werde, müfse nach seinem Zode
seine Familie viel Geld verteilen und zu seiner Ehre große Festmähler und Tänze ver⸗
anstalten.
2 Anthropos II (1907) 384.
9. Die Einwohner von Neupommern.
395
und besonders den Tod in die Welt gebracht.“ Der übliche Totenkult zeigt
deutlich, daß der Kanake an ein Fortleben der Seele nach dem Tode
Aaubt. In seinen a umana tambaran marut (ursprüngliche Geister) erkennt
bber der Eingeborne auch reine Geister an.
Auf sittlichem Gebiet ist vor allem stark ausgeprägt die Erkenntnis von der
Unerlaubtheit und Verabscheuungswürdigkeit des Ehebruchs. Eine ebenso
llare Vorstellung hat der Eingeborne von der Unerlaubtheit des Diebstahls.
Er weiß eben fehr gut zu unterscheiden zwischen ‚,mein“ und „dein“. Kom—
munismus gibt es bei den Eingebornen nicht. Aus den üblichen Schimpf—
wörtern geht hervor, daß sie auch im Detail verkehrtes Handeln erkennen. Der
Inzest ist ihnen verwerflich, ebenso das Lügen, das Faulenzen, die Völ—
lerei usw. Ja auch für Aszese ist der Kanake zugänglich. Das beweist das
freiwillige Fasten oder die Enthaltung von Speisen, die er sich zu Ehren eines
Verstorbenen auferlegt. Selbst die richtige Auffassung der Ehe hat sich in über—
lieferten Erzählungen erhalten. So hatten die ersten Männer nur je ein Weib.
In einer andern Erzählung ist die Rede davon, wie die rechtmäßige Frau ihren
Themann umbrachte, weil er ihr die Treue gebrochen hatte.
Alle diese Vorstellungen sind dem Kanaken ureigen, mag er auch in der
Wirklichkeit sich wenig daran stören. Andere müssen ihn erst wieder darauf
oerweisen und ihn sozusagen zur Selbstbesinnung bringen. Das sind die Mis—
fionäre. Sie haben im Kanaken nicht einen vollständigen Fremdling vor sich;
gein, alle die genannten Vorstellungen sind ebensoviele Anknüpfungspunkte für
die christlichen Lehren. Auch vom Kanaken gilt das Wort Tertullians: Omnis
anima naturalitor christiana.
III. Die Stämme des mittleren Teiles von Neupommern.
Das Nachstehende gilt besonders von dem Sulkastamm und ist den Auf—
zeichnungen des katholischen Missionärs Hermann Müller M. 8. C. entlehnt.
Zwischen diesem Stamm und den benachbarten Tumuip und den O Mengen
st der Verkehr ein friedlicher; sie treiben Tauschhandel und gehen Ehen mit—
anander ein.
tEtwas verschieden lauten die Angaben Msgr Couppés (AMissions cathol. 1891, 354)
über die Religion der Eingebornen in der Nähe von Vlavolo. Danach anerkennen die
kingebornen zwei schöpferische Wesen, zwei Brüder, die einander gleich sind und fich in
die Erschaffung der Welt teilen. Der eine, To-kambinana, ist gut und wohlwollend,
er beschützt die Menschen und erzeigt ihnen Wohltaten; der andere, To-korvuvu, ist
böse und feindlich gefinnt und wirkt seinem Bruder immer entgegen. Doch scheint auch
nach Couppé To⸗kambinana einen Vorrang vor seinem Bruder zu haben, also das höchste
Wesen zu sein. Einst schickte er diesen zu den Menschen, um ihnen zu sagen: wer grünes
dolz zum Opfer verbrennt, wird leben, wer aber trockenes, wird sterben. To-korvuvu
meldete jedoch den Menschen das Gegenteil und wurde dafür von To-kambinana aus⸗
Jescholten. — Die Eingebornen von Vlavolo haben auch eine Sage, die an den Sünden—
fall der Menschen erinnert. Einst ging ein Mann an einem Ort vorbei, der in der
Nähe der katholischen Mission liegt. Da sah er eine große Schlange auf einem Baum,
in der der Dämon wohnte und die sich sofort auf den Mann stürzte und ihn tötete.
Seit jener Zeit ist dieser Ort verflucht, und dort Wasser trinken oder eine Frucht essen,
würde den Tod bringen.
396
Fuͤnfter Teil. Australien und Ozeanien.
Die Sulka zerfallen in zwei Abteilungen (Klassen). Männer der einen
Abteilung dürfen nur Frauen der andern heiraten, und die Kinder gehören zur
Abteilung der Mutter. Der geschlechtliche Verkehr zwischen Angehörigen der⸗
selben Abteilung wird, wie fast überall in Melanesien, als Blutschande an⸗
gesehen und mit dem Tode bestraft. Jede Abteilung zerfällt wieder in ver⸗
schiedene Familien oder Klans.
Bei den Sulka wählt das Mädchen ihren Mann. Sie legt ihr Anliegen
ihrem Vater oder einem Anverwandten vor und dieser stellt den Antrag. Willigt
der betreffende junge Mann ein, so wird er zum Gehöft der Braut geführt, wo
sie schon einen gerösteten Taro für ihn bereit hält, den sie bei seiner Ankunft
ihm als Halsschmuck überreicht. Die Annahme dieses Geschenkes gilt als Ein⸗
willigung. Den Halsschmuck gibt der Jüngling seinen Eltern, welche hierauf
hrem Sohn die Gegengeschenke für seine Braut überreichen. Letztere gibt die⸗
elben ebenfalls ihren Eltern. Am bestimmten Tage führt der Vater der Braut
diese ihrem Zukünftigen zu und übergibt sie ihm. Letzterer faßt die Braut bei
der Hand, schlägt den Weg nach dem Gehöft seiner Eltern ein und übergibt
die Braut seiner Mutter, sodann wird ein Schwein geschlachtet und verteilt. —
Von diesem Tag an bis zur Hochzeit beginnt für die Braut ein mehrmona⸗
ftiges Einsiedlerleben in einem gesonderten Teil der Hütte, wo sie strengen Speise⸗
vorschriften unterworfen ist. Während dieser Zeit baut der Bräutigam sein
Haus. Ist die Absonderungszeit vorbei, so wird der Tag der Hochzeit bestimmt.
Die Braut wird geschmückt in die neue Wohnung geführt, dann wird getanzt,
werden Geschenke ausgeteilt und die Heirat ist fertig.
Die Sulka nehmen an, daß durch den geschlechtlichen Verkehr sowohl
Männer als Weiber, Verheiratete wie Unverheiratete verunreinigt werden. Die
Verheirateten können sich selbst reinigen, die Nichtverheirateten dagegen werden
gemieden. Die erstgebornen Söhne sowohl als Töchter werden meist vor den
andern Kindern bevorzugt. Sind die erstgebornen Kinder herangewachsen, so
vird ihnen zu Ehren ein Fest gegeben. Knaben sind dabei nackt, Mädchen
haben die übliche Kleidung. Es wird nun beim Knaben unter bestimmten
Zeremonien die Einkleidung vorgenommen. Von nun an darf der Knabe nicht
nehr unbekleidet gehen. Sind die Knaben ungefähr 10185 Jahre alt, so
werden sie feierlich beschnitten. Die Sulka sind der Meinung, daß die Be⸗
schneidung notwendig sei zur Zeugungsfähigkeit sowie zum Wachstum der
Jünglinge?.
Stirbt ein Sulka, so versammeln sich sämtliche Eingebornen aus den be⸗
nachbarten Gehöften, um zu weinen und zu klagen. Der Verstorbene wird auf
seinem Lager gerade ausgestreckt und geschmückt, seine Pflanzungen werden ver⸗
wüstet, seine Waffen zerbrochen 8. Die Gäste bleiben bei der Leiche, welche am
folgenden Tage unter Wehklagen begraben wird, und zwar in sitzender Stel⸗
lung, so daß der Oberkörper aus dem Loche herausragt, über welchem ein kleines,
urmartiges Gebäude aufgeführt wird. — Nach einiger Zeit findet die Aus—
treibung der Seele des Verstorbenen saatt. Ganz heimlich teilt man
Parkinson, Dreißig Jahre in der Südsee 179. 2 Ebd. 182.
Ebd. 185.
9. Die Einwohner von Neupommern. 397
sich die zur Austreibung festgesetzte Zeit mit, damit die Seele es nicht höre und
sich widersetze. Sobald in der Frühe gewisse Vögel ihre ersten Lockrufe ertönen
lassen, erheben die Eingebornen ein großes Geschrei, schlagen auf die Wände
des Hauses, verbrennen Kokosblätter usw., um die Seele durch Schrecken zum
Fortgehen zu bewegen. — Ist das Fleisch der Leiche vollständig in Verwesung
übergegangen, so werden die Gebeine in Blätter gehüllt und in einem Beutel
im Hause aufgehängt. Nach einiger Zeit findet ein Gedächtnisfest zu Ehren
des Toten statt, bei dem der Sohn des Verstorbenen den Beutel mit den Ge—
beinen des Vaters auf die Schulter nimmt, jeder einzelnen Familie ihr Schwein
und ihre Früchte anweist und dann die Gebeine wieder ins Grab zurückbringt!.
Baut sich jemand eine Hütte, so wandern die Gebeine aus der alten Hütte in
die neue hinüber.
Eingeborne, die keine Verwandten haben oder nach Ansicht ihrer Landsleute
Böses getan haben oder außerhalb des Gehöftes erschlagen worden sind, werden
nicht in ihrem Hause beerdigt. Man legt ihre Leichen auf Felsen, auf Gerüste
im Walde oder begräbt sie dort, wo sie erschlagen wurden.
Die Seele des Menschen kommt nach dem Tode an einen Ort, der
Mlol heißt. Über das Leben der Seelen an diesem Ort (innerhalb der Erde)
haben sie nur unklare Vorstellungen. Ehe die Seele nach Mlol kommt, trifft
ie auf zwei Felsen: Kilktil und Kovangal, wo sie über ihr Leben be—
fragt wird?. War sie freigebig, so kann sie weiter ziehen, war sie geizig,
d muß sie zurück gegen Süden in das Gebiet der O Mengen wandern. Dort
wird sie in einen Felsen verwandelt und muß in der Brandung stehen.
Die Seelen trinken aus den Flüssen Lonan und Lopo; diejenigen, welche
getötet worden sind, müssen das mit Blut gefärbte Wasser trinken, in dem sie
sich gebadet haben. — In der Nacht herrscht große Furcht vor den Seelen der
—XE glaubt, sie irren dann umher und verspeisen Menschen.
Eine Art von Seelen schimmern bei Nacht wie Leuchtkäfer. Die Sternschnuppen
sind nach den Sulka Seelen, die in die Höhe geschleudert werden, um ins Meer
zu tauchen.
Der Köt ist ein dem Menschen feindlich gesinntes, höheres Wesen. Alle
Jeftigen Naturerscheinungen, wie Erdbeben, Blitz und Donner, heißen auch Köt,
der gefürchtetste unter allen ist der Blitz, der unfehlbare Rächer für ver—
Hiedene Vergehen. Ein Köt soll sich in einigen Gewässern aufhalten.
Die Sulka glauben auch an Zwerge, die in Felsspalten leben und Früchte aus
den Pflanzungen stehlen.
In der Orischaft Kolvogat wohnt ein Mann namens Kolol, der in einem
dunkeln, eigens dafür gebauten Hause zwei auf dem Boden stehende Steinfiguren
wufbewahrt, die Großmutter und Großvater heißen und deren Namen bei aber—
AUäubischen Zeremonien angerufen werden. Man bringt ihnen Feldfrüchte zum
Opfer und läßt sie bei ihnen verfaulens. Krankheiten werden durch allerlei
Zauberei zu heilen gesucht. Durch Zauber sucht man auch zu bewirken, daß
in Mädchen jemand zur Ehe begehrt. — Vielfach suchen sich die Sulka durch
Zauber gegenseitig zu schaden. Bindet z. B. der Mann die Haare einer Frau
— —
Ebd. 186. 2Ebd. 187. »Ebd. 189.
398
Fünfter Teil. Australien und Ozeanien.
an eine gewisse Schwalbenart, so soll sie unbeständig werden und von einem
Manne zum andern laufen. Durch Zauber schützt man sich auch gegen Diebe!.
10. Neumecklenburg.
Die Insel Neumecklenburg wird durch den Sankt Georgskanal von der
Bazellehalbinsel getrennt. Die Bewohner der nördlichen Hälfte dieser Insel
sind sehr verschieden von denen der südlichen. Die letzteren sind den Bewohnern
der Nordost-Gazellehalbinsel nahe verwandt. Die ersteren zeigen eine sehr starke
Mischung aus verschiedenen Völkerstämmen. Auch der Charakter ist verschieden.
Im Süden ist das Volk verschlossen und wenig mitteilsam. Dies zeigt sich
auch in der Anlage der Dorfschaften, die fast überall aus einzelnen umfriedigten
Behöften bestehen. Dem Fremden ist man abgeneigt; früher waren Überfälle
auf Fremde häufig, doch hat sich dies durch den Einfluß der Missionen und
der Regierung geändert. Die Bevölkerung Nordmecklenburgs ist viel lebhafter
und intelligenter; sie liebt Tanz und Schmauserei, beugt sich aber willig der
Macht und läßt sich leicht zur Arbeit gebrauchen?.
Kannibalismus war bis vor kurzem auf ganz Neumecklenburg gebräuch—⸗
lich; wo die Macht des europfischen Einflusses nicht hinreicht, soll er auch heute
noch im geheimen vorkommen. In der Regel waren es die Leichen der im
Kriege Erschlagenen, die von der Gegenpartei verspeist wurden. Auch durch
plötzliche Überfälle in Friedenszeiten suchte man den geschätzten Braten zu er⸗
beuten. Die Leichen werden von den Weibern unter Jubelgeschrei aufgenommen
und sofort zum gräßlichen Mahle vorbereitet. Jeder sucht das beste Stück zu
erwischen, weil man durch den Genuß in Besitz erhöhter Tapferkeit, Stärke oder
Schlauheit zu gelangen hoffte. Eigene Stammesangehörige sowie die Leichen
solcher, die dasselbe Totemzeichen hatten, wurden nicht verzehrt.
Die Eheschließung ist nicht überall gleich. Im Süden finden wir den
Frauenkauf durch die Familienältesten, die dann das gekaufte Mädchen an
jüngere Stammesangehörige abgeben. Im Norden ist es an sehr vielen Orten
Gebrauch, daß die junge Heiratslustige die ersten Schritte macht und durch Ver⸗
mittlerinnen dem Betreffenden wissen läßt, daß fie ihn zu beglücken wünsche. Ist
der Erkorene einverstanden, so werden Geschenke ausgetauscht und ein Festessen
oeranstaltet, und die beiden leben fortan als Mann und Frau zusammen. Die
Ehen werden aber nur zwischen zwei Individuen geschlossen, die verschiedene
Totem- oder Stammeszeichen haben. Ehen innerhalb einer Totemgruppe
inden niemals statt, und geschlechtlicher Umgang zwischen Gliedern derselben
Totemgruppe wird als Blutschande angesehen und mit dem Tode bestraft .
Von großer Stabilität ist die Ehe im Norden nicht. Die Gatten können sich
nach Belieben trennen, und die Frau geht dann zu ihrer Sippe zurück und mit
ihr etwaige während der Ehe geborne Kinder. Auch Weibertausch kommt häufig
dor, immer jedoch nur zwischen Mitgliedern einer und derselben Totemgruppe.
Durch dieses lockere Verhältnis leidet das Volk in hohem Maße. denn die
Parkinson, Dreißig Jahre in der Südsee 198. 2 Ebd. 261.
Ebd. 267.
3
10. Neumecklenburg.
399
Weiber sehen Kinder als ein unbequemes Anhängsel an und gebrauchen die
derschiedenften Mittel zur Fruchtabtreibung, an deren Folgen sie früh sterben,
so daß die Zahl der Weiber um die Hälfte geringer ist als die der Männer.
sohh verheerender wirkt der Gebrauch, daß ganze Dorfschaften oder Verbände
ich gelegentlich verpflichten, überhaupt keine Kinder zu haben.
Polygamie ist zwar überall erlaubt, kommt aber, was nach dem Gesagten
leicht begreiflich ist, selten vor. Die Frau gilt fast als Arbeitstier, aber ver—
deigert oft den Gehorsam, und eheliche Zwistigkeiten gehören zur Tagesordnung.
die Geburt des ersten Kindes wird stets mit einer Schmauserei gefeiert.
Bei dieser Gelegenheit finden Scheinkämpfe zwischen Männern und Weibern
tatt. Nach einem kurzen Kampfe trennt man sich unter Lachen und Necken
und setzt sich zum Mahl. Besondere Gebräuche beim Eintritt der Pubertät gibt
s keine. Die Knaben werden sich selbst überlassen. Die Mädchen halten sich
an ihre Mutter und helfen ihr bei der Arbeit; wenn sie größer sind, knüpfen sie
ane Liebschaft an, bis sie sich verehelichen. Bei der Heirat bekommen sie eine
Aet Haube (gogo), die sie fortan in Gegenwart der Männer stets tragen müssen.
Außer dieser Haube trägt die Frau als Kleidung nur eine Schnur um die
denden, an der vorn wie hinten ein Büschel aus Faserstoff hängt. Junge
Mädchen und die Männer zeigen sich so, wie sie Gott erschaffen hat. Erst in
neuester Zeit kommen europäische Kleider auf.
Im südlichen Neumecklenburg herrscht die Sitte der zeitweiligen Absperrung
der Maͤdchen vor der Verheiratung. Innerhalb einer geschlossenen Hütte wird
ein kleineres Gelaß errichtet. Hierhin begibt sich das Mädchen und ist nun auf
lange Zeit nur den Eltern sichtbar, die es mit ausgesuchten Speisen reichlich
nähren und am Abend zu notwendigen Verrichtungen ins Freie geleiten. Diese
dlausur dauert zwölf bis zwanzig Monate, dadurch soll das Mädchen reiche
rderune und blasse Farbe erlangen, denn beides gilt als besonderes Schönheits-
nerkmali.
Die Bestattungsgebräuche im nördlichen Neumecklenburg haben manches
Eigentümliche. Wenn ein Mann stirbt, so legt man die geschmückte Leiche auf
eine Bahre aus Speeren und läßt sie von den Verwandten von Haus zu Haus
tragen. Alle Anwesenden klagen und weinen. Am zweiten Tage errichtet man
dor der Hütte ein auf vier Pfählen ruhendes Gerüst und legt die Leiche darauf.
Unter dem Gerüst wird jetzt ein Holzstoß aufgeschichtet und angezündet, gleich—
eitig besteigt ein naher männlicher Verwandter mit einem Speer in der Hand
das Geruͤst. Mit dem Speer berührt er von Zeit zu Zeit den Kopf der Leiche
und singt dabei, bis ihn die Flammen zum Verlassen des Gerüstes nötigen.
dft das Gerüst zerstört und die Leiche in die Flammen gestürzt, so holt er
mittelst seines Speeres die Leber aus der Leiche hervor und verteilt sie in kleinen
Stücken, zusammen mit etwas Ingwerwurzel, an die anwesenden jungen Männer.
Ist die Leiche vollends zu Asche verbrannt, errichtet man über der Stätte ein
nfaches Schutzdach. Nach einigen Wochen wird die Asche auf dem Ver—
nennungsort mit dem Saft von Kolkosnüssen vermischt, und mit dem Brei be—
schmieren sich die Leidtragenden von Kopf bis zu den Füßen. Damit nehmen
Ebd. 272.
400
Fünfter Teil. Australien und Ozeanien.
die Trauerfeierlichkeiten ein vorläufiges Ende, bis sie dann bei dem alljahrlich
wiederkehrenden Totenfest (malangeno) ihren völligen Abschluß finden.
Im Süden Neumecklenburgs wird an einigen Orten der Leichnam in einer
Hütte aufgebahrt, und zwar in einem kleinen Kanoe sitzend; der Körper wird
mit Ockererde und Kalk bestreut, und die Hände der Leiche werden durch dünne
Schnüre in die Höhe gezogen, so daß die in den Ellenbogen gekrümmten Arme
mit aufgerichteten Händen wie in betender Stellung emporsiehen. In dieser
Stellung wird der Leichnam dann bestattet oder auf einem Scheiterhaufen ver—⸗
hrannt. An andern Orten wird der Leichnam mit Kalk eingerieben, mit Blättern
umschnürt und dann in den Hütten auf dem Quergebälk unter dem Dache
aufbewahrt. Daneben kommt auch an manchen Orten die gewöhnliche Be⸗
erdigung vor oder werden die Leichen ins Meer versenkt. Überall werden die
Leichen mit Federbüschen und andern Dingen geschmückt, und an manchen Orten
werden ihnen Muschelgeld oder Waffen, Betelnüsse und Eßwaren mitgegeben.
über die Religion der Neumecklenburger wußte man bisher wenig Zu—
verlässiges. Erst in der jüngsten Zeit haben die Missionäre nach jahrelangen
Beobachtungen und Erkundigungen darüber mehr Licht verbreitet. Nach P. G.
Peekel M. 8. O.1 glauben die Eingebornen an ein gutes, überirdisches
Wesen, das Himmel und Erde sowie die Neumekclenburger ge—
schaffen hat. Dieses Wesen wohnt „dort oben“, es wurde von niemand ge—⸗
macht, sondern lebt ewig und aus eigener Kraft. Sie nennen es a hin tubu
hot. Aus diesem Namen schließt Peekel, es werde als weibliches Wesen gedacht,
was leicht erklärlich sei, da bei den Neumecklenburgern Mutterrecht herrsche und
sie somit alle ihre Abstammungen durch die weibliche Linie leiten. Die Hintu⸗
ouhet hat ihre schöpferische Tätigkeit ein für allemal abgeschlossen; sie ist eine
Böttin, die sich um Welt und Menschen nicht mehr kümmert, allen Dingen ihren
freien Lauf läßt und der niemand verpflichtet ist. Ein Gott, der die Welt hält
und regiert, ein heiliger und gerechter Gott, der das Gute belohnt und das Böse
bestraft, ist auf Neumecklenburg unbekannt. Daher wird dem höchsten Wesen
keinerlei Verehrung gezollt. Nur in der äußersten Not, bei Erdbeben, bei Seuchen
und großen Schrecken erwacht noch im Eingebornen der Gedanke an das höhere
Wesen, und er fleht es um seinen Beistand an. Er glaubt, Hintubuhet
zürne den Menschen und habe das Übel gesandt; darunt bitten sie: Mache uns
leben, Ahne mein, erbarme dich unser und laß uns nicht sterben; und sie er⸗
barmte sich wieder unser und die Seuche war fertig?. Auch in den Zauber⸗
prüchen kommt die Anrufung der Hintubuhet vor.
Die Idee der unsichtbaren Hintubuhet haben die Eingebornen auch verkörpert,
und die beiden Geier Pandion leucocephalus und Haliaëtus leucogastes,
sowie Sonne und Mond, und zwei große Schmetterlinge, Talmagomago und
Heba, gelten ihnen als Hintubuhet. Von je zwei zusammengehörenden Bildern
sagen sie deshalb à hintubu het dir — „unsere beiden Ahnen“. Für jede
der beiden Heiratsklassen besteht auch je eine Hintubuhet. die in zwei Fällen
Religion und Zauberei auf dem mittleren Neumecklenburg, Bismarckarchipel, Sudfee,
Münster i. W. 1910.
2 Ebd. 526. Sie haben also doch eine dunkle Ahnung, daß sich Hintubuhet noch
in etwa in die Weltregierung einmischt.
10. Neumecklenburg.
401
ogar männlichen Geschlechtes sind. Der Pandion leucocephalus (Taragau),
die Sonne (männlichen Geschlechts) und Talmagomago (männlichen Geschlechts)
ind die Hintubuhet der Taragoheiratsklassen; der Haliaetus leucogastos (Na—
aba), der Mond (weiblichen Geschlechia) und Heba (weibüchen Gesthlects) find
die Hintubuhet der Patilabaheiralsklaffe.
GBroße Schwierigkeiten bereitet es den Missionären, daß in der Eingebornen⸗
prache sich kein Wort für Gott, Geist, Tempel, Allar, Opfer, Glaude, Hoff—
iung, Liebe, Tugend, Sünde, Gnade usw. findet, welches für den christlichen
Hotlesdienst verwerlei werden konnte. Es sehlen ihnen die Ausbruück für ab⸗
trakte Begriffe. Fur Sunde wurde von den Missionaren der Ausdruc pekato
eingeführt; aber die Eingebornen nehmen ihn oft für synonhm mit a sakena,
das „das Böse“, „das Schlechte“, und zwar eigentlich vorenda oder den un—
elaubten (oder sogar den erlaubten) geschlechtlichen Umgang bedeutet!.
Viel mehr als die Hintubuhet beschäftigen die Eingebornen die Stifter alles
Unheils, die gefürchteten Tadar (Gespenster), die sich an wilden Orten, in feuer—
deienden Bergen, sumpfigen Flußmundungen u. dal. aufhalten. Als Haupi—
desbenster gelten zwei fabelhafte Riesenschlangen in der Nabutobucht; ferner ein
Kudel fabelhafter Hunde in derselben Bucht usw. Viele Eingeborne sollen
diese Hunde oder Schlangen gesehen haben. An der Mündung des Sasano
vohnt eine andere schreckliche Schlange. Die meisten Krankheiten werden diesen
Ungeheuern zugeschrieben. — Eine andere Art geistiger Wesen sind die Tabaran,
welche in großer Zahl im Lande umherschweifen und den Eingebornen nach—
lellen und Böses zufügen. Der Neumecklenburger erkennt im Menschen ein
doppeltes Prinzip: den Leib und die Seele. Das Wort tanua-na-ri (Seele
bon jemand) heißt an erster Stelle Schatten, dann auch Seele, Geist, d. h.
das Pringip, welches, selbsi unsierblich dem Leibe das Leben gibt. Surbt ein
Mensch so verläßt ihn seine Seele. Der Neumecklenburger stellt sich die Seelen
der Verstorbenen in Menschengestalt vor, aber es sind Scheinbilder oder, wenn
nan so sagen darf, verkörperte Schatten, und diese heißen Tabaran?. Beim
Lode des Menschen zieht der Tabaran in das Schattenreich (Mata-n-tabaran)
m Süden Neumecklenburgs oder treibt sich im Urwalde oder in der Nähe der
ehöfte umher oder fährt in Menschen und Tiere. Die Wohnplätze der Tabaran
verden Paga genannt und fallen oft mit den Wohnplätzen der Tadar (paki-
tadar) zusammen, was darauf hindeutet, daß der Gespensterglaube zum Teil
in Anwuchs des Tabaranglaubens ist. Ein jeder Stamm hat sein eigenes
daga, welches ihm Tapu ist, und das er nur notgedrungen veräußert. — Eine
dergeltung gibt es im Jenseits nicht. Im Schattenreich sitzen Gute und Böse,
Reiche und Arme, Alte und Junge in ewiger Untätigkeit am Meeresufer bei—
ammen, betupfen mit dem Zeigefinger den Ufersand und singen dazu Lieders.
Die umherschweifenden Tabaran sind der Schrecken der Eingebornen; diese
eben deshalb alles ins Werk, um deren Wut zu besänftigen und sie durch
Ebd. 9210. 2 Ebd. 15.
m. Peekel druckt diese Lieder ab; den Sinn des zweiten Liedes konnte er selbst nicht
tziffern. Es dürfte deshalb wohl fraglich sein, ob die obigen Angaben die Ideen der
ngebornen über das Jenseits erschöpfen. Sie nehmen ja auch an, wie wir gleich hören
erden, daß viele Verstorbene Sterne werden.
Tathrein, Die Einheit d. sittl Bewußtseins. II.
24
402 Fünfter Teil. Australien und Ozeanien.
Trommeln und Geschrei zu vertreiben. Erscheinungen der Tabaran sind nach
ihrer Ansicht häufig, und es ist erstaunlich, mit welcher Bestimmtheit sie die
geringfügigsten Einzelheiten derselben erzählen können. Eine Art Tobsucht, die
auf der Insel nicht selten ist, wird der Besessenheit durch einen Tabaran zu⸗
geschrieben; deshalb sucht man durch Schlagen mit Nesseln und Bespeien den
Tabaran aus dem Patienten zu vertreiben. Die Tabaran entführen auch die
Menschen in den Wald. Sie sind übrigens nicht alle gleich. Sie haben die
berschiedensten Gestalten und Eigenschaften. Auch die Sterne sind Geister der
Verstorbenen!; die weniger hellen Sterne sind die Geister früher verstorbener
Menschen, während die lebhaft flimmernden die Seelen der jüngst Verstorbenen
sind. Unter den Tabaran finden sich auch Feen, Waldmenschen, Kobolde u. dal
Daß die Neumecklenburger früher der Menschenfresserei ergeben waren, ist
auch nach Peekel zweifellos. Er bringt zahlreiche neue Beweise für diese Be⸗—
hauptung.
Ein wichtiger Faktor im Leben der abergläubischen Eingebornen ist die
Zauberei. Eine eigentliche Kaste der Zauberer gibt es nicht. Ein jeder be—
treibt sie für sich, und gegen gute Bezahlung ist jeder Zauberer bereit, einen
Schüler anzunehmen, ihn in die geheimen Zeremonien einzuweihen und ihm
jeine Zaubermittel und Zaubersprüche beizubringen. Großes Ansehen genießen
die Zauberer nicht. Es gibt verschiedene Arten von Zauber, z. B. Zauber für
das gute Gedeihen der Feldfrüchte, Zauber gegen Diebe, Zauber zur Bewirkung
oder Heilung von Krankheiten, Zauber gegen den Tod, Wetterzauber, Zauber,
um die Liebe eines Mannes oder Weibes zu erlangen. Stirbt jemand unter
dem Verdacht, daß er durch Zauber umgekommen sei, so zitieren die Eingebornen
den Geist des Verstorbenen, damit er ihnen den Mörder anzeige.
11. Die Admiralitätsinsulaner.
Die Gruppe der Admiralitätsinseln bildet den nördlichen Abschluß des Bismard⸗
archipels und besteht aus einer Hauptinsel und zahlreichen kleinen Inseln. Die
Bevölkerung hat große Ahnlichkeit mit den Papua auf Neuguinea, doch deutet
dieles auf eine Mischung mit einem hellerfarbigen Menschenstamm. Geistig
scheinen die Insulaner höher zu stehen als die übrigen Bewohner des Bismarck⸗
archipels. Sie sind lebhaft, begreifen leicht und erlernen spielend allerlei Ver—⸗
richtungen, die den Melanesiern sonst große Mühe kosten. Sie teilen sich selber
in drei große Stämme: die Moanus, Matankor und Usiai. Die Moanus
bewohnen die Küste, bauen ihre Dörfer am Strande oder auf dem Riff in
fllachem Wasser, und ihre Häuser stehen stets auf Pfählen; die Usiai sind
Bewohner des Innern und bauen ihre Hütten auf der ebenen Erde. Die
Matankor bilden ein Mittelglied zwischen beiden, sie sind Ackerbauer und daneben
Schiffer, wenn auch nicht in dem Maße wie die Moanus. Die Moanus, auf
die sich unsere folgenden Angaben hauptsächlich beziehen, sind die Intelligentesten
von allen und erhalten die Usiai in einer gewissen Abhängigkeit; sie sind aber
auch sehr listig, verschlagen und gewandte Diebe. Diese Kleptomanie bringt
Damit erscheint das oben über das Jenseits Gesagte schlecht vereinbar.
11. Die Admiralitätsinsulaner.
403
se nicht selten in Unannehmlichkeiten, aus denen sie sich aber sehr oft durch
Mut und besonders durch Hinterlist und Verstellungskunst herauszuhelfen wissen.
In der Verfertigung von Werkzeugen und Waffen aller Art, von Booten,
Töpfen u. dgl. zeigen sie großes Geschick.
Die gewöhnlichen Wohnhäuser sind schmucklose Hütten, die selten über 3 m
joch und gewöhnlich mit Blättern der Sagopalme bedeckt sind. Im Innern
der Hütten ist die Einrichtung verschieden, je nachdem sie den Frauen oder den
Männern als Wohnung dienen. Allen gemein sind die niedrigen, tischähnlichen
Pritschen, die nicht nur als Schlafstätten dienen, sondern auch den Tisch ver—
treten. Weit größere Sorgfalt verwendet man auf den Bau der Junggesellen—
häuser oder, wie man sie richtiger nennt, der Versammlungshäuser der Männer.
Diese sind manchmal 40 melang, 12 m breit und bis zum Firstbalken 8 m
hoch und enthalten außer den Pritschen und einer Anzahl Waffen die Trophäen
dergangener Feste in Gestalt der Unterkiefer von Schweinen oder Kuskus. Auf
Stangen und Gerüsten ist das Stammeseigentum ausgestellt: bunte Glasperlen,
kisenwaren, Spiegel usp.
Die gewöhnliche Kleidung der Männer besteht in einem schmalen zwischen
den Beinen durchgezogenen Lendengurt, doch ist dieselbe nicht allgemein, in den
Kanoes und daheim gehen sie oft ganz unbekleidet. Die Frauen tragen immer
wei Schürzen, die vorn und hinten herabhängen und mit einem Gürtel fest—
dehalten werden!.
Bei den Moanus existiert wie bei allen Stämmen der Admiralitätsinseln
der Totemismus. Die Totems sind meistens Tiere, z. B. das Schwein, die
Taube, der Haifisch, die Krabbe usp. Das Totem (patondrusu) vererbt sich von
der Mutter auf das Kind. Personen eines Gruppenzeichens oder Totems dürfen
unter sich nicht heiraten. Ist das Totemtier eßbar, so enthält sich der Träger
des Genusses desselben. Leute gleichen Totems, die sich im Kriege gegenüber—
tehen, greifen sich nicht an, auch bestehlen sie sich untereinander nicht, behandeln
sich im Gegenteil stets als Freunde. Der größte Schimpf für einen Moanus
— eine Ehe mit einem Mitglied derselben Totemgruppe zu schließen. Die
Usiai und Matankor nehmen es in diesem Punkt weniger genau?.
WVielweiberei ist gebräuchlich, namentlich bei den Häuptlingen. Regel ist
serner, daß niemand für sich selber eine Frau kauft, dies muß stets durch einen
andern geschehen, vielfach jedoch mit dem Muschelgeld des Freiers. Obwohl das
Mutterrecht Grundrecht ist, wird es doch oft durchbrochen, und der Vater hat
das Recht, das Kind für sich zu fordern, jedoch nur mit Zustimmung der Ver—
wandten mütterlicherseitz. Der Onkel mütterlicherseits kauft gewöhnlich dem
Neffen die erste Frau; beansprucht aber der Vater das Recht über den Sohn,
besorgt er den Kauf. Doch kann auch jeder Verwandte dem Jungling eine
Frau kaufen. Mädchen werden erst verkauft, wenn sie die Reife erlangt haben,
obgleich ein Kauf schon früher verabredet werden kann. Gekaufte Mädchen,
velche der zukünftige Gatte nicht sehen darf, helfen bis zur eigentlichen Ehe—
chließung der Schwiegermutter. Die Vielweiberei gibt Veranlassung zu viel
Streit und Zank. Am Hochzeitstage teilt der Vater oder Onkel des jungen
— —
Varkinson, Dreißig Jahre in der Südsee 370 -871. 2 Ebd. 392393.
26 *
104 Fünfter Teil. Australien und Ozeanien.
Mannes seinen ganzen Vorrat an Muschelgeld aus; bei einem Essen, das die
Verwandten der Frau darauf geben, wird das Geld wieder erstattet.
Alle Kochgeschirre, Trinkgefäße, Pandanusregenschirme und Bastkleider, welche
die Frau mit in die Ehe bringt, sind gemeinschaftlicher Besitz; ihr Muschelgeld,
wenn sie solches besitzt, bleibt bei ihren Verwandten; im Noftfall stellt sie es
aber ihrem Gatten zur Verfügung, der es als Darlehen betrachtet. Die Frau
führt vom Tage der Verheiratung das Regiment über alles Hausgerät und
hat die Aufsicht über das in Körben aufbewahrte Muschelgeld. Netze, Kähne
mit allem Zubehör und Waffen unterstehen dem Manne. Eine Pflanzung
kann die Frau wohl besitzen, aber nie Grundeigentum. Stirbt die Frau, so
fällt dem Manne das mitgebrachte Heiratsgut zu; er muß aber den Verwandten
ein kleines Geschenk machen. Die Heirat bringt die Frau nicht ganz in die
Gewalt des Mannes; sie kann zu jeder Zeit bei ihren Verwandten Schutz
suchen; selten kommt es vor, daß ein Mann seine Frau tötet, denn er setzt sich
der Rache der Verwandten aus. Ebensowenig hat der Vater unbeschränktes
Recht über die Kinder. — Bei vielen Gelegenheiten ist der Mann zu geschlecht⸗
licher Enthaltsamkeit verpflichtet, z. B. mehrere Tage vor dem Kriege, damit er
nicht verweichlicht werde, fünf Tage vor dem Fischfang mit den großen Netzen,
zwei Tage vor dem Besuch der Abteilung der Junggesellen im Männerhause—
Die Junggesellen haben dort eine eigene Abteilung; würde ein unenthaltsamer
Verheirateter dort eintreten, so würden die Junggesellen verweichlicht. Besuchen
jedoch die Verheirateten die Junggesellen, so statten diese einen Gegenbesuch ab
und können bei dieser Gelegenheit sich mit den Weibern unterhalten; in allen
andern Fällen ist es Sitte, daß die Junggesellen den Weibern aus dem Wege
gehen!.
Bei der Verheiratung sehen die Männer darauf, daß die Braut unbescholten
ist. Vergeht sie sich vor der Heirat, so rächt sich der geschädigte Bräutigam
blutig an dem Täter oder dessen Verwandten. Männer, die sich mit un⸗
verheirateten Mädchen vergehen, haben daher ein Interesse daran, sie mundtot
zu machen, und töten dieselben; die Mädchen verstehen die Leibesfrucht ab⸗
zutreiben. Offentliche Weiber werden auch gehalten, gewöhnlich sind es im
Kriege gefangene Frauen. Sie werden in den Männerhäusern untergebracht.
Nach der Vollendung eines Hauses stellt der Häuptling seinen Leuten häufig
ein oder zwei Weiber zur Verfügung. — Ehebruch wird nicht mit dem Tode
destraft, wohl aber mit einer Tracht Prügel. Der Ehebrecher muß als Sühne
Muschelgeld zahlen oder sich mit dem Ehemann schlagen. Sollte ein Kind ge⸗
boren werden, so zieht es der Ehemann ohne Entschädigung groß. — Witwen
können zwei Monate nach dem Tode ihres Mannes wieder heiraten. Etwaige
Kinder der ersten Ehe bleiben bei den Verwandten des Vaters.
Das Häuptlingstum ist hier mehr ausgebildet als z. B. auf der
Gazellehalbinsel. Jedes Dorf hat seinen Häuptling, manchmal auch zwei oder
mehrere mit eigenen Gefolgschaften. Sind diese Häuptlinge Brüder, so ist das
Verhältnis in der Regel friedlich, sonst sind ebensoviele feindliche Lager als
Häuptlinge vorhanden. Die Gefolgschaft eines Häuptlings besteht zunächst aus
Parkinson, Dreißig Jahre in der Südsee 394 —395.
11. Die Admiralitätsinsfulaner. 405
seiner näheren Verwandtschaft, daneben hält er je nach seinem Reichtum an—⸗
geworbene Knechte oder Söldner, dazu kommen noch im Kriege erbeutete Knaben
und Jünglinge, solange sie ihm nicht davonlaufen. Die gefangenen Frauen
verden nach ein bis zwei Jahren in der Regel aus der Gefangenschaft entlassen.
Die ledigen Leute eines Häuptlings wohnen in eigenen Häusern, die Männer
in den Männerhäusern, die Mädchen bei den Weibern des Häuptlings in Weiber—
häusern. Verheiratete haben eigene Wohnungen. Das Gefolge eines Häuptlings
besitzt eine gewisse Unabhängigkeit; die einzelnen Mitglieder können sich Pflan—
zungen anlegen, Kähne besitzen, Muschelgeld usw. erwerben. Gewöhnlich geht
aber die Arbeit für ihren Herrn vor. Sie müssen beim Fischfang helfen, ihrem
Herrn Häuser und Kähne bauen, seine Pflanzungen gegen Diebe schützen und
an seinen Kriegen teilnehmen. Für diese Dienste versorgt sie der Häuptling
mit allem zum Leben Nötigen. Zeigt sich ein Knecht im Kriege feig oder ver—
nachlässigt er seine Arbeit, so erhält er Prügel. Todesstrafe wird nur in seltenen
dallen verhängt auf Grund des Vergeltungsrechts. Der Mörder sucht schleunigst
ie Flucht.
Für die Hinterlassenschaft gelten folgende Regeln: Stirbt ein Häupt—
iing, so teilt dessen Sohn oder die bevorzugte Frau die bewegliche Habe und
das Muschelgeld an alle Herankommenden aus. Der Nachfolger muß nun selbst
Schätze sammeln. Grundstücke, Kähne mit Zubehör und Lanzen bleiben dem
männlichen Erben. Bei dem Tode eines Knechtes erhält der Häuptling den
Löwenanteil. „Der Moanus hat eine klare Vorstellung vom Eigentum.“ Koch—
deschirre und Schweine macht er durch angebrachte Zeichen als sein Eigentum
lenntlich. Er beansprucht alles das, was er bearbeitet oder bearbeiten läßt
und was er großzieht. Weil aber die Grundstücke und Liegenschaften nicht
genau abgegrenzt sind, kommen oft Betrug und Streit vor!.
Zur Zeit der Niederkunft und nach derselben muß sich die Frau mancherlei
Speiseverboten unterwerfen. Zwanzig Tage nach der Geburt bleibt sie im
Hause, und den Männern, auch dem Vater, ist der Zutritt während dieser Zeit
berboten. Am Ende der zwanzig Tage badet sich die Frau und es wird ihr zu
Ehren ein Festessen veranstaltet. Den Namen geben dem Kinde die Verwandten.
An einigen Orten kommt auch die Beschneidung der Knaben vor. Allgemein
vird an den Knaben, wenn sie ein gewisses Alter erreicht, die Zeremonie vor—
Jenommen, die Kalou heißt und ihr Wachstum befördern soll. Die Männer
ziehen sich in ein für dieses Fest erbautes Haus zurück. Am ersten Tag reicht
der Zauberer dem Knaben Kokosnüsse und spricht: „Iß diese Nüsse, damit
du nicht sterbest! Sei tapfer im Kriege und stark gegen die bösen Geister!
Möogesi du viele Weiber heiraten!“ Die Abgeschlossenheit dauert neun Tage,
vährend deren die Knaben Fischnahrung genießen. Bei den Mädchen wird ein
Fesi gefeiert, wenn sie in die Jahre der Reife eintreten. Die Zeremonie der
Durchbohrung der Ohrläppchen und des Nasenseptums ist bei Knaben und
Madchen unerläßlich. Wer sich dieser Zeremonie entzieht, verfällt dem Gespötte.
Nach dieser Operation wird der Knabe zwanzig Tage lang, das Mädchen
aber sechs Monate eingeschlossen.
1Ebd. 398.
406 Fünfter Teil. Australien und Ozeanien.
Begräbnis. Stirbt ein Moanus, so wird die Leiche im Weiberhause auf⸗
gebahrt bis zur völligen Verwesung, und zwar so, daß der Kopf nach der
See, die Beine landeinwärts liegen. Wenn nur noch das Skelett übrig ist,
wird dies sorgfältig gewaschen. Die Gebeine werden dann in eine Holzschüssel
auf wohlriechende Kräuter gelegt und diese in dem Hause, das der Tote be⸗
wohnte, aufgestellt. Dem Schädel werden vorher die Zähne ausgeschlagen, aus
denen sich die Schwester des Verstorbenen ein Halsband macht. Die Rippen
werden vom Sohne unter die Verwandten verteilt; bei dieser Verteilung findet
ein großes Fest statt. Bald darauf wird ein noch größeres Fest gefeiert, das
der Sohn zu „Ehren des Schädels seines Vaters“ gibt. Er baut ein fein⸗
gearbeitetes Gerüst, auf das der Zauberer am Tage der Feier den Schädel des
Verstorbenen legt, dazu einen Krug mit Ol und ein Gefäß mit Wasser.
Die aus der ganzen Umgebung herbeigebrachten Trommeln beginnen nun ein
mächtiges Getöse, und darauf hält der Festgeber eine Anrede, in der Regel eine
Verherrlichung des Toten und der Anwesenden und eine Beschimpfung der
Feinde. Nach der Rede nimmt der Zauberer den Schädel in die Hand, der
Festgeber ergreift ein Dracänenbüschel, taucht denselben in das l, schlägt damit
dreimal auf den Schädel und sagt beim ersten Schlag: „Du bist mein Vater“,
beim zweiten: „Nimm das zu deinen Ehren an“, und beim dritten Schlag:
„Beschütze mich, beschütze meine Leute, beschütze meine Kinder“, mit noch weiteren
Anrufungen. Nach jedem Schlag ertönen die Trommeln. Nun beginnt das
Festessen und der Schädel wird hinfort sorgfältig aufbewahrt!.
Über die Religion der Moanus sind wir bis heute wenig unterrichtet. Was
wir darüber wissen, verdanken wir hauptsächlich dem P. Jos. Meier M. 8. 0.
Sie glauben an einen guten Geist, der in ihrem Leben eine große Rolle
spielt und in jeder Gefahr auf der See und vor dem Krieg, bei Krankheiten
und Widerwärtigkeiten angerufen wird. Als Beispiel diene folgende Anrufung
zur Zeit eines Krieges. Der Häuptling steckt einen Stab in die Erde und
stellt sich mit einem Sagobrot in der Hand nahe dabei auf und spricht: „Vater!
Sieh da das dir gehörige Sagobrot. Komme herab zu meinem Sagobrot!
Mache, daß gleich wie mein Sagobrot diesen Stock da trifft, so ich die Menschen
treffe. Wenn mein Sagobrot diesen Stock nicht trifft, so werden auch ich und
meine Leute daneben treffen.“
Außer an diesen höheren guten Geist glauben die Insulaner auch noch an
andere gute und an sehr viele böse Geister. Auf der ganzen Insel redet man
don vier Wohnstätten der Geister, die alle im Gebiete der Usiai liegen: nämlich
Ndrotjun, Latjei und Limbundrul, in dem die bösen Geister, und Tjawoͤrum,
wo sich nur gute Geister aufhalten. „Die drei erstgenannten Orte sind schauer⸗
lich über alle Begriffe. Sie liegen in der Bergeinsamkeit, sind gähnende Abgründe,
deren ewige Finsternis nicht einmal die Sonne zu durchdringen vermag. Hier
wohnen die bösen Geister. Der oberste derselben heißt Köt; er unterscheidet sich von
den übrigen Geistern (den ala palit). Er wandelt nicht auf der Erde, er fliegt in
den Lüften und verbreitet Feuerschein um sich. Der Köt ist ewig und unberänderlich,
er ist der einzige seiner Art. Die Ala palit rekrutieren sich aus den Geistern
Parkinson, Dreißig Jahre in der Südsee 404 — 406. 2 Ebd. 379.
11. Die Admiralitätsinsulaner. 407
der verstorbenen Moanus, Usiai und Matankor. Die Häuptlinge und Reichen,
aber auch die bbsen Leute insgesamt, kommen nach dem Tode an diese
schauerlichen Orte. Die Häuptlinge und Reichen werden von den bösen Geistern
geholt, weil diese sie um ihren Reichtum beneiden. Jetzt nach dem Tode
kommt ihre Rache, sie setzen ihnen als Kost nur den Auswurf der Menschen und
Schweine vor, und damit müssen sie zufrieden sein, wenn sie nicht ganz von
den Geistern umgebracht werden wollen. Die Bösen, die Luügner und
Mörder werden von den Geistern zur Strafe ihrer bösen Taten
geholt.“
„Wer zu den bösen Geistern kommt, ist seines Fortbestehens nicht sicher,
denn fie können ihn völlig umbringen und verspeisen; sie können ihn allerdings
auch unter sich dulden. Dies letztere erfährt der Moanus dadurch, daß er den
Geist des Verstorbenen im Hause eines Verwandten, namentlich eines Sohnes,
leise pfeifen hört; der Geist gibt sich dadurch als Schutzgeist des Sohnes oder
der Verwandten zu erkennen, auf dessen Schutz jener auch nach dem Tode,
wenn er von den bösen Geistern geholt werden sollte, vertrauen kann. — Wer
zu den guten Geistern in Tjawbrum kommt, ist der Gefahr der Vernichtung
nicht ausgesetzt. Die Geister in Tijawörum müssen den Geist des Verstorbenen
abholen; kommen sie nicht schnell genug, so stellen sich die bösen Geister ein
und fressen den Geist des Toten auf. Daher entsteht bei der Erkrankung eines
Menschen ein Wettstreit zwischen bösen und guten Geistern; ein Verwandter des
Kranken schlägt die Holztrommel und ruft die guten Geister herbei. Wenn
der Köt mit Menschenleben beladen durch die Luft fliegt, so hört man deutlich,
vie er sie in die Schluchten schleudert, denn es entsteht dadurch ein donner⸗
ihnliches Geräusch. Schleudert er viele Seelen hinab, so ist das Geräusch
langandauernd.“?
Den Verkehr mit den Geistern, besonders den bösen, besorgt der Zauberer,
der stets ein Knecht des Häuptlings ist. Weil beim Tode ein Geist die Seele
des Kranken holt, muß der Zauberer dieselbe zurückholen oder den Geist ver—
treiben. Wir übergehen all die abergläubischen und kindischen Gebräuche, die
sie bei ihren Zaubereien anwenden, da dieselben den gewöhnlichen Hantierungen
aller Zauberer sehr gleichen. Aber nicht bloß die professionellen Zauberer,
ondern auch die gewöhnlichen Leute bedienen sich bei allen möglichen Gelegen—
heiten der verschiedensten Zaubermittel. So z. B. sucht der Dieb durch einen
auber sich zu vergewissern, ob sein beabsichtigter Diebstahl gelingen werde
er nicht.
Die Moanus haben auch verschiedene Sagen über die Entstehung der
Welt und der Menschen. Der schon erwähnte P. Meier hat viele der—
selben gesammelt und im Urtert mit beigefügter wörtlicher Übersetzung heraus—
degebens. Leider stimmen die Sagen oft nicht miteinander überein. Nach einer
Sage gab es einst noch kein Land, nur das Meer existierte. Eine Schlange
aamens Malai schwamm im Meere und konnte an kein Land kommen. Da
sprach sie Schöpferworte über das Riff und sagte: „Das Riff hebe sich“, und
Parkinson a. a. O. 886-3887.
Vgl. Anthropos II (1907) 650 ff.
2 Ebd. 8387.
408
Fünfter Teil. Australien und Ozeanien.
es hob sich weit empor, es wurde Land. Dann machte sie zwei Kinder. Eines
wurde ein Weib und eines ein Mann. Die zwei heirateten sich und gebaren die
Moanus. Die Schlange schuf zugleich mit dem Ehepaar auch die Nahrung .
Nach einer andern Sage haben die Stammeltern der Admiralitätsinsulaner alles
erschaffen; eine dritte Legende leitet die Abstammung der Menschen von einer
Schildkröte her usp. Sie haben auch eine Sage von einer großen Sündflut,
bei der nur ein Mann mit einigen Tieren in einem Kanoe gerettet wurde, eine
Sage über den Ursprung der Sprachverwirrung, eine Sage von 40 Männern,
die von Kunialang, dem Herrn des Himmels, in den Himmel hinaufgezogen
wurden. Dieser Kunialang ist wohl identisch mit dem oben erwähnten guten
Geist, den die Insulaner in allen Nöten anrufen.
12. Die Salomoner.
Die Salomo-Inseln (Salomonen) bestehen aus zwei parallel nebeneinander
geordneten Inselketten. Die Hauptinseln sind Bougainville, Choiseul, San
Christobal usp. Die Bewohner, etwa 80 000 an der Zahl, gehören der Mehr—
zahl nach zu den Melanesiern. Ihr Gesichtsausdruck ist nach M. Eckardt? wenig
Vertrauen erweckend, man kann ihnen aber dieses Mißtrauen nicht verargen,
denn sie haben von den Ausländern, besonders von den englischen Werbeschiffen,
viel Feindseliges erfahren. Diese „Anwerbung“ war in den meisten Fällen nur
ein mit List und Gewalt ausgeführter Menschenraub?. Die nach Australien
und andern Gegenden verschleppten eingebornen Arbeiter kehrten kaum je nach
Hause zurück. Daß tatsächlich Haß und nicht der Kannibalismus Beweggrund
zu den zahlreichen Morden von Weißen war, scheint auch die Aussage des ehe⸗
maligen Kaiserlichen Richters H. Schnee zu bestätigen, wonach „in keinem
einzigen Fall nachgewiesen wurde, daß die Leiche eines Europäers gefressen
worden wäre“s. Doch wie dem immer sei, bis in die neueste Zeit mußte man
die Salomoner zu den blutdürstigsten und hinterlistigsten Eingebornen Ozeaniens
rechnen. Die Anthropophagie steht, schreibt Eckardi noch heute in Bluͤte; al⸗
gemein üblich ist es, die Kriegsgefangenen zu verzehren. Die Geschlechtsteile
und das Herz werden in Bananenblätier eingewickelt und dem obersten Häupt⸗
ling als köstliche Gabe gebracht.
Aber den eigentlichen Beweggrund des Kannibalismus der Salomoner sagt
E. Way Elkington?: „Sie kdten und verzehren menschliche Wesen nicht, um
ihren Geschmack zu befriedigen oder ihren Hunger zu stillen. ... Der Grund
liegt tiefer: wenn Menschen getötet und gegessen werden, geschieht dies fast immer
bei Gelegenheiten, wo nach dem religiösen Glauben der Eingebornen ein solches
Opfer notwendig ist.“ Nach ihrer Überzeugung handeln sie dabei gut und recht.
Von Hleidung ist wenig die Rede. Das männliche Geschlecht geht vieb
fach, besonders im Innern der Inseln. ganz nackt oder trägt höchstens einen
Vgl. Globus XXXIX (1881) 336.
Vgl. Parkinson, Dreißig Jahre in der Südsee 474; Globus XXXIX 336.
Globus LXXXIII (1908) 186.
Tho savage South Seas, painted by Norman H. Har d y, described by E. Way
BIKington, London 1907. 95.
2
12. Die Salomoner.
409
Bürtel um den Leib, von dessen Mitte hier und da Blätter oder Zeugstückchen
herabhängen, die Scham zu bedecken. Die Mädchen laufen bis zum zehnten
Fahre, hier und da noch länger, nackt, tragen dann einen an einer Schnur be—
estigten Blätterbüschel vor der Scham, und nach ihrer Verheiratung einen fast
bis zu den Knien reichenden Schurz!. Der sonstige Schmuck, mit dem sich der
Eingeborne ziert, „ist bis in die geringsten Kleinigkeiten außergewöhnlich schön
gearbeitet“. Die Waffen sind vorzüglich. Außer Speeren und Keulen werden
Bogen und Pfeile benutzt, auf einigen Inseln auch Schleudern. Die Haupt—
beschäftigung der Männer bildet der Fischfang. In San Christobal wird an
bestimmten Tagen abteilungsweise gefischt und die Beute gleichmäßig unter alle
Stammesglieder verteilt. Die Boote auf den Salomonen sind mit viel mehr
Geschick und Geschmack gearbeitet als auf allen andern Inseln Melanesiens.
Für gewöhnlich sind die größeren Boote auf dem Lande in Schuppen unter—
gebracht, die oft außerordentlich reich mit Schnitzereien und namentlich durch
die an dem Giebel hängenden Schädel erschlagener Feinde verziert sind. Bei
Nacht richtet man sich nach dem Stande gewisser Sternbilder, der Plejaden,
eines Kanoe, des Bogenspanners und anderer an den Himmel versetzter mensch⸗
licher und tierischer Wesen. Wie bei den Polynesiern knüpft sich auch hier an
ledes derselben eine Sage. Das Wiedererscheinen der Plejaden am östlichen
dorizont im November bezeichnet nach Eckardt die Auferstehung des zur Früh—
lingszeit aus der Unterwelt emporsteigenden Lichtgottes, der dem Menschen die
Freude bringt. Die Bewohner der Salomonen veranstalten große, oft drei
Lage währende Feste mit religiösen Tänzen zu Ehren der Toten. Die Zeit
wird nach Monden und Nächten berechnet. Die leicht wahrzunehmenden Mond⸗
beränderungen regeln die Zeitrechnung und die Wiederkehr der Yamsernte?.
Die Wohnungen der Salomoner sind viereckig, meist 13 —22 m lang und
12m breit; das vorspringende auf Pfosten ruhende Dach ist mit Palmblättern
oder Gras gedeckt. Häufig sind vor den Eingängen der Schmalseiten Verandas
angebracht, die dem ganzen Bau etwas Zierliches und Geschmackvolles geben.
Der Innenraum ist nur selten geteilt. Der Fußboden ist mit saubern, ge—
lochtenen Malten bedeckt. Auf den meisten Inseln hängen im Innern der
Wohnungen häufig die Schädel hervorragender Familienglieder, sorgfältig mit
dem Unterkiefer verbunden, von den Pfeilern herab. Die Schädel hervorragender
dauptlinge werden mit Kräutern eingerieben und sorgsam geräuchert. Die guten
kigenschaften, die der Träger eines solchen Schädels im Leben besaß, gehen
nach dem Glauben der Eingebornen auf den jeweiligen Verehrer desselben über.
ẽr ist der Hausfetisch. — Auf der Insel Isabel haben die häufigen Feind—
eligkeiten der Stämme zu den sog. Baumdörfern geführt. Die für etwu
wölf Personen bestimmten Hütten sind in dem Geäst gewaltiger Bäume in einer
böhe von 80—100 Fuß angebracht. Der Stamm ist nach unten aller irgend—
wie entbehrlichen Zweige beraubt. Eine aus Lianen geflochtene Leiter, die empor—
dezogen werden kann, dient zum Besteigen dieser luftigen Wohnung, deren
Inneres einen Vorrat von Steinen und Speeren birgt, die auf die Feinde
heruntergeworfen werden. Am Fuße des Baumes ist eine andere Hütte für
—
Globus XXXIX (1881) 8350. 2 Ebd. 363.
410 Fünfter Teil. Australien und Ozeanien.
den Aufenthalt bei Tag. In gewissen Distrikten derselben Insel sind zur Auf—⸗
nahme von flüchtigen Stammesangehörigen auf der Höhe schwer zugänglicher
Berge auch durch Palisaden geschützte Dörfer angelegt.
Die Dörfer stehen unter einem Häuptling, dessen Autorität gewöhnlich
von seiner Persönlichkeit abhängt. Nach ihm gilt der Rat der AÄllesten am
meisten. Die Würde des Häuptlings ist auf den nördlichen Inseln, z. B. auf
Bougainville, erblich und geht auf einen Sohn über, den der Vater bestimmt.
Auf den südlichen Inseln ist die Würde nicht erblich, sie wird dem Tapfersten
derliehen; die Altesten wählen ihn. Der Rangunterschied wird streng inne⸗
zehalten, es gibt Edle und Gemeine, Herren und Sklaven. Diese bestehen aus
Kriegsgefangenen. Der Untertan hat dem Häuptling von dem Ertrag der
Ernte, des Fischfangs, der Beute stets einen Teil abzugeben, und zwar den
von dem Herrscher gewählten; unterläßt er dieses, wird er zum Tode verurteilt.
berhaupt ist das Strafrecht, namentlich auf Isabel, grausam und willkür⸗
lich. Wer in den Schalten eines Häuptlings tritt, verfällt dem Tode. Ist
der Unglückliche reich, so kann er sich durch einen Teil seines Vermögens los⸗
kaufen!. Auf einigen Inseln ist die Macht des Häuptlings viel geringer, seine
Würde nur nominell, während die Ältesten stets hochgeschätzt werden. Sie sind
auch meistens die Priester, die Vermittler zwischen den Lebenden und den Toten.
Wird von ihnen etwas mit dem auch hier üblichen „Tapu“ belegt, so ist es
heilig, unantastbar.
Die Stellung der Frauen ist im allgemeinen eine sehr abhängige, doch
keineswegs unerträglich?. Sie kochen, bestellen den Boden, tragen auf Reisen
alles, was die Familie ihr eigen nennt. Für Tabak, Glasflaschen und Arte
wverden sie nicht selten den Fremden offeriert. Trotzdem ist das Familien—
leben oft ein herzliches zu nennen; häufig sieht man Mann und Frau ge⸗
meinsam mit den Kindern kosen. Die Frau sieht diese eigenartige Behandlung
als selbstverständlich an und räumt dem Mann unumschränkte Gewalt über Leib
und Leben ein. Polygamie herrscht allgemein, doch machen nur die Reichen
und die Häuptlinge davon Gebrauch. Schon als Kinder werden die Mädchen
derlobt. Sobald sie die Reife erlangt haben, findet die Heirat statt. Auf
mehreren Inseln werden die Mädchen, die die Pubertät erreichen, während einiger
Monate in eigene Hütten eingesperrt; niemand außer bestimmten alten Frauen
darf in dieser Zeit zu ihnen. Die Hochzeitsfeier scheint sich auf Bougainville
auf eine Schmauserei zu beschränken, die zu Ehren des neuen Paares von
der Verwandtschaft gegeben und nach einigen Tagen in gleicher Weise von
diesem erwidert wird. Auf vielen andern Inseln findet sie stets unter großet
Feierlichkeit statt, an der das ganze Dorf teilnimmt. Dieselbe wird in dem
Gemeindehause, dem sog. „heiligen Hause“, abgehalten. Frauen dürfen u
andern Zeiten diesen als Tempel dienenden Schuppen nicht betreten. In ihm
verden alle wichtigen Fragen verhandelt, Krieg und Frieden beschlossen, von
den Göttern und den Geistern der Vorfahren, die hier weilen, Rat erholt.
Wenn alle zur Hochzeit Geladenen sich rings um das Versammlungshaus im
Globus XXXIX (ISB81) 364.
Parkinfon, Dreißig Jahre in der Südsee 482.
12. Die Salomoner.
411
Kreise gelagert haben, werden erst die Götter angerufen, dann vom Priester⸗
häuptling und dem festlich geschmückten Brautpaar auf einem Stein, der vor
einem alten Bananenbaum in der Nähe steht, einige Blätter von einem be—
timmten Baum geopfert, und nun ruft die Muscheltrompete zum Tanz. Dann
folgt der große Schmaus. Man hat inzwischen eine Anzahl Ferkel und größere
Schweine und vielleicht selbst einen Menschen geschlachtet und zubereitet. Neben⸗
her werden Yams und andere Früchte gegessen. Als Getränk dient Palmwein,
auf den südlichen Inseln auch Kawan.
Auf fast allen Salomonen, wenigstens den deutschen, zerfällt die Bevölkerung
in mehrere Totemgruppen, welche als Abzeichen oder Wappen verschiedene
Vogelarten haben. Männliche und weibliche Eingeborne, die dasselbe Totem
haben, dürfen sich nicht heiraten. Die aus der Ehe entsprossenen Kinder haben
ltets das Totem der Mutter. — Weiber werden in den meisten Fällen gekauft,
doch kann es auch vorkommen, daß geraubte Weiber als Ehefrauen genommen
verden, wenn das Totem es erlaubte.
Die Bewohner von Ugi und San Christobal waren früher sehr übel be—
leumundet in Bezug auf ihre Sittlichkeit, wie ein englischer Reisender
berichtet, der in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts diese Inseln
besuchtes. Abortus und Kindertötung waren allgemein verbreitet. Alle jungen
Weiber, selbst die Töchter oder Sklavinnen der Häuptlinge waren Prostituierte.
Auf den westlichen Inseln aber, fügt derselbe Reisende hinzu, ist das nicht der
dall. Es gibt zwar dort Prostituierte, aber es sind nur im Kriege gefangene
Sklavinnen. Unler den Eingebornen wird dort die Prostitution mit dem Tode
oder mit einer schweren Geldbuße bestraft.
Die Krankheiten werden hier wie fast überall bei den Naturvölkern den
bösen Geistern zugeschrieben, und deshalb wird das Muschelhorn geblasen, um
den Geist zu versöhnen. Die „heiligen Männer“ werden als Vermitiler an—
Jerufen und durch Geschenke sucht man ihren Einfluß zu erwerben. Stirbt
der Erkrankte, so wird auf einigen Inseln der Leichnam in die See geworfen,
damit er in das schöne Land im Westen schwimme; auf andern Inseln bringt
man den in Matten gewickelten Körper in die Mangrovewaldungen, läßt ihn
hier liegen, bis man den Kopf leicht vom Rumpf trennen kann, präpariert
dann den Kopf und begräbt alles andere auf dem gemeinsamen Begräbnisplatz.
die Schädel und die Fingerknochen werden als Erbstück aufbewahrt. Uber den
Gräbern wird eine kleine Hütte, d. h. ein pyramidal zulaufendes Gestell er⸗
nichtet, das mit Blättern verkleidet ist. Die Gräber der Kinder werden mit
Blumen bestreut. Die Kinder enden vielfach durch Ermordung; selten werden
mehr als zwei bis drei Kinder großgezogen. Stirbt ein Häuptling, so werden
eine Frauen stranguliert; es würde für sie und den Verstorbenen ein Schande
ein, wenn sie am Leben blieben und später Männer aus niedrigerem Stande
heirateten Dieses Strangulieren geschieht meist während des Schlafes. Häufig
nden so auch die Frauen oder nächsten Angehörigen des gemeinen Mannes.
Globus XXXIX (I881) 365 -366.
Parkinson a. a. O. 481. Vgl. auch Globus LX (1891) 160.
Vgl. The Journal of the Anthropological Institute usw. XVII (1887) 92 -93.
412 Fuünfter Teil. Australien und Ozeanien.
Wie der Lebende muß auch der Tote von Liebenden umgeben sein. Die Mehr—
zahl dieser Unglücklichen sieht es als Pflicht an, dem Verstorbenen sofort zu
folgen; sie betäuben sich durch gewisse Pflanzensäfte und erhängen sich dann
in der Nähe ihres Gemahls!. Heute scheint übrigens diese Sitte fast nirgends
mehr zu bestehen, wohl aber wird beim Tode der Häuptlinge und mächtiger
Persönlichkeiten vielfach ein großer Festschmaus veranstaltet, von dem man an—
aimmt, daß er dem Toten auf seiner Reise in das bessere Land folge?.
Von den religiösen Anschauungen der Salomoner sagt Ecardt:
„Sie haben den Begriff einer höheren Ursache, die Vorstellung von dem Vor—
handensein einer Gottheit.“ Elkingtons meint: „Sie alle glauben, daß der höchfte
Geist die Verkörperung (der Inbegriff) des Guten sei, und doch behaupten sie
im selben Atemzug, er werde erzürnt und müsse durch Zaubereien oder daß
Opfer menschlicher Wesen versöhnt werden.“ P. Rausch 8. M. sagt von den
Eingebornen bei Koromira (Bougainville): „Mitten in dem Labyrinth ihrer
vielfältigen Verirrungen haben sie den Gedanken an ein höheres Wesen,
das die Welt erschaffen hat und das sie Kumponi nennen, nicht auf⸗
gegeben. „Ein guter Geist hat die schwarze Rasse erschaffen‘, okara ni pupu-
muri, sagen sie, d. h. wörtlich: ‚er hat uns alle angefangen‘. Si elassen
jedoch ihrem Schöpfer fast gar keine Verehrung angedeihen. Nur selten bringt
jemand ihm ein Opfer, das meist aus Feldfrüchten besteht. Sie verehren
vielmehr ihre Vorfahren und opfern ihnen bei jeder Gelegenheit, um Erfolg
in ihren Unternehmungen zu haben oder ein Übel zu beseitigen.““
Von den Eingebornen auf der Insel Munia erfuhr Karl Ribbes: Tona⸗
tana habe die Welt und auch die Menschen geschaffen; die Menschen seien ur⸗
sprünglich unsterblich gewesen, aber durch die Unklugheit eines Weibes dem Tode
oerfallen. Auf der Insel Nusa-Soga scheint der Name für das höchste Wesen
das mit allen Menschen tun kann, was es will, Hope zu heißen. Wenn Ribbe
meint, man habe dort keine Vorstellung von einem besseren Jenseits, so mag das
richtig sein, wenn man den Nachdruck auf das Wort „besser“ legt. Daß sie
aber an ein Fortleben nach dem Tode glauben, geht nicht nur aus ihrer Ahnen⸗
derehrung hervor, sondern auch aus der Tatsache, daß beim Tode eines Mannes
ihm in 80 unter 100 Fällen seine Lieblingsfrau über kurz oder lang freiwillig
ins Jenseits folgte.
Die Salomoner verehren übrigens nicht bloß die Geister der Verstorbenen,
ondern auch viele andern Geister, die oft schwer von denen der Verstorbenen
zu unterscheiden sind. Nach Eckardt gelten ihnen die Vulkane als der Sibß
boͤser Geister, denen zu nahen sicheres Verderben bringen würde. In den
Stürmen vereinigen sich sämtliche bösen Geister der Verstorbenen, um den Lebenden
Schaden zuzufügen. Für die Pflanzungen haben sie einen eigenen Schutz
Globus XXXIX (I881) 376.
EIKington, The savage South Seas usw. 126. 3Ebd.
Kreuz und Charitas, 18. Jahrg. (1909), 181. P. Rausch meint mit Bezug “
die schöne und reiche Sprache der Papua im Innern von Bougainville: „Ein Volk, da⸗
eine so gutentwickelte und reichhaltige Sprache redet, hat mehr als mittleren Verstand
Zwei Jahre unter den Kannibalen der Salomo⸗Inseln, Dresden-Blasewitz 1903, 1468.
6Ebd. 273.
12. Die Salomoner.
113
Jott; auf einigen Inseln werden ihm die ersten Früchte auf einem Gerüste ge—
pfert. Die Schutzgötter des Hauses bilden die erwähnten präparierten Schädel.
dlüsse und Quellen haben gleichfalls ihre Gottheit. Im Gemeindehaus sind
uuf Pfählen angebrachte bzw. aus diesen herausgeschnitzte Götzenbilder, von
denen diejenigen, welche das Dach und Seitenwände stützen, Hauptgottheiten
tepräsentieren, während die übrigen als Nebengötter fungieren!.
„Der Glaube an eine Zukunft, Belohnung und Bestrafung
der Geister der Verstorbenen ist allgemein. Der Tote geht zuerst in
das schöne Jenseits zum Lichtgott, und zwar folgt er der Sonne, steigt mit ihr
n den Ozean, um am nächsten Tage bei ihrem Aufgang in die andere Welt
u gelangen. Nach einiger Zeit kommt er jedoch wieder auf die Erde, um
einen Freunden gute oder schlechte Mitteilungen zu machen, z. B. den Ort zu
»ezeichnen, wo ein ergiebiger Fischfang zu machen sei. Geizhälse, Mörder
und andere Sünder werden damit bestraft, daß ihre Seelen einer
—X Läuterung unterzogen werden, daß sie in häßliche Kriechtiere,
Schlangen, Kröten usw. verwandelt werden.“?
Mit diesen Angaben stimmt, was P. J. Pellion 8. M. von der Insel
Zuadalcanar berichtet?: „Spätestens am fünften Tage (nach dem Tode) begibt
iie (die Seele des Verstorbenen) sich entweder in den Himmel oder in die
dölle. Der Himmel befindet sich in Morau, am entgegengesetzten Ende der
Insel, . . . er ist der Bestimmungsort der Guten nach den Begriffen
der Eingebornen. In ihrem Himmel leben die Guten glücklich. Worin aber
hre Glückseligkeit besteht, haben mir die Eingebornen noch nicht erklären können.
Dafür wissen sie besser, worin die Höllenstrafen für die Verbrecher bestehen....
dn der Hölle müssen die Schlechten Tag und Nacht schwere Lasten
ragen, ohne daß ihnen die geringste Ruhezeit gewährt wird. In den Augen
unserer nur allzusehr dem Mußiggang huldigenden Eingebornen ist dies eine
echt schwere Strafe.... Trotz der unklaren Begriffe über die Seele und die
Wesenheit von Himmel und Hölle steht wenigstens fest, daß Himmel und Hölle
als Bestimmungsort für die Seelen gelten. — Doch gibt es Seelen, welche
weder zum Himmel noch zur Hölle bestimmt sind. Es sind die Seelen von
Hauptlingen, berühmten Kriegern, angesehenen Persönlichkeiten. Die müssen im
ande bleiben als Beschützer eines Volksstammes oder einer Familie. Als
Aufenthaltsort dienen ihnen die Stämme uralter Bäume. Dort werden Steine
ldesammelt und wird eine Art Altäre errichtet, um ihnen Nahrung hinzulegen.“
zuu. Dieser Glaube an den Lohn der Guten und die Strafe der Bösen im Jen—
eits scheint auf den nördlichen Salomonen nicht vorhanden zu sein. So schreibt
—
Globus XXXIX (IB881) 376. 2 Ebd.
J— Kreuz und Charitas, 19. Jahrg. (1010—- 1911), 155. Auch der schon erwähnte
kington (a. a. O. 125) sagt: „Die Salomoner glauben nahezu alle, daß, wenn
Mann oder eine Frau stirbt, er zu einem guten Geist (nito drekona) in ein ent⸗
Intes liebliches Land zieht, um dort zu leben; seinen Gefährten geht es dort ebensogut
8* nahezu so gut als ihm. Der schlechte Mensch, den seine Genossen dafür halten,
9 nach einem Ort des Feuers, der Wohnung der Bösen (nito paitena), wo es ihm
nmm ergeht. Während seines Aufenthaltes dafelbst sucht er seinen hinterbliebenen
unden so viel Böfes zuzufügen als er kann, indem er fich in einen der vielen bösen
eister verwandelt, von denen man annimmt, daß sie den Lebenden schaden.“
114
Fünfter Teil. Australien und Ozeanien.
P. Rausch 8. M.! aus Kieta auf Bougainville: „Wohl glauben sie (die Ein
gebornen) an ein Fortleben der Seele nach dem Tode. Aber dieser Glaube,
so wie sie sich denselben zurecht gemacht haben, ist nicht geeignet, sie vom Bösen
abzuschrecken und zum Guten anzuhalten. Die Seligkeit eines jeden in der
andern Welt, die er sich im Nichtstun und im Genusse sinnlicher Vergnügen
bestehend denkt, hängt einzig und allein von seiner Stellung ab, die er auf
Erden eingenommen, und von seinem Reichtum an Muschelgeld oder sonstigen
Sachen, die er sich bei Lebzeiten erworben. Reiche Leute und Häuptlinge—
zleichviel wie sie gelebt haben, sind bei ihrem Tode der Seligkeit gewiß. Nur
iie werden in den Ort der Glückseligkeit zugelassen. Den Armen hingegen bleibt
er für immer verschlossen. Unstet ziehen sie nach ihrem Tode einher und suchen
sich für ihr trauriges Los an den Überlebenden zu rächen. Sie verscheuchen
die Fische von ihren Netzen, bringen Krankheiten usp.“ Um den Zorn dieser
Beister nicht auf sich herabzubeschwören, bauen die Eingebornen kleine Häuschen,
Geisterhäuschen genannt, in die sie vor einem wichtigen Unternehmen ein gutes
Essen hinstellen mit der Bitte, ihnen doch nicht schaden zu wollen. Geleitet von
dieser Anschauung, daß irdische Güter das Glück im Jenseits bedingen, ist der
Wilde vor allem darauf bedacht, sich viele Schätze hier auf Erden zu sammeln.
Er stiehlt, so oft er kann, es sei denn, daß er fürchtet, erwischt und bestraft
zu werden. Die Behauptung des P. Rausch, daß den Eingebornen der Begriff
der Wahrhaftigkeit und Ehrlichkeit ganz abgekommen sei, ist sicher nicht buch—⸗
stäblich zu nehmen, sie stimmt auch nicht zu dem Urteil anderer Missionäre.
Nach Eckardt erflehen die Priester bzw. die Häuptlinge bei Beginn irgend
einer besondern Unternehmung, bei einem Kampf usw. mit emporgehaltenen
Händen den Schutz und die Hilfe der Götter und der verstorbenen großen Häupt⸗
inge. Unter Absingen gewisser heiliger Strophen von seiten der Priester werden
die Götter im Versammlungshaus mit Stöcken geschlagen. Der Sinn dieser
und anderer Zeremonien ist den Fremden immer ein Rätsel geblieben, weil
die „heiligen Männer“ streng an dem Schwur festhalten, das Geheimnis zu
hewahren 2.
Wie viele andere Ozeanier haben auch die Salomoner ihre Tapus, die sie
„Hope“ nennen. Wenn z. B. ein Insulaner die andern am Betreten eines
Ortes hindern will, etwa einer Kokosnußpflanzung, so errichtet er ein Hope.
Es gibt verschiedene Arten von Hopes, einige haben den Tod des üÜbertreters zur
Folge, andere nur Krankheiten. Ein tödliches Hope wird durch Hinlegung eines
Schädels oder einer Muschel oder eines Teiles eines Ameisenhaufens hergestellt.
Ein Hope vermittelst Korallen bringt Krankheit über den Übertreter. Das Haus
eines Häuptlings und der Boden um dasselbe ist fast immer hope; nur die
Frauen des Häuptlings dürfen diesen Boden betreten, alle andern sierben oder
verden krank. Gewisse Tiere und Plätze sind hope, und auf einigen kleinen
Inseln werden kleine Altäre errichtet, die sie heilig machen. Zuweilen wird ein
Ort mit dem Hope belegt, später aber davon befreit. Krokodile sind in einigen
Gegenden hope und dürfen nicht getötet werden; als aber in einem krokodilreichen
Fluß ein Jüngling von Krokodilen getötet wurde, hob der Häuptling das Hope
— — —
1Kreuz und Charitas, 16. Jahrg. (1908). 168. 2 Globus XXXIX (I881) 376.
13. Die Neukaledonier.
415
auf, bis der Vater des Jünglings eine genügende Anzahl von ihnen erschlagen
hatte, um seine Rache zu befriedigen; dann trat das Hope wieder in Kraft.
Nach Elkington! wurden auf Neugeorgia auch, wenn man ein neues Kriegs⸗
anoe vom Stapel ließ, zwei Jungfrauen aus dem Stamm genommen; die
eine wurde öffentlich geopfert; die andere wurde vier oder fünf Jahre streng
bon andern abgesperrt und von einer alten Frau in einer Hütte bewacht; brach
sie das Tapu, unter dem sie stand, so wurde sie getötet.
Den christlichen Missionären zeigten sich die Salomoner anfänglich fast un—
ugänglich. Im Jahre 1847 wurde eine Anzahl katholischer Missionäre von
hnen ermordel. In neuerer Zeit macht aber das Christentum erfreuliche Fort⸗
chritte. So schreibt der Maristenmissionär Allotte von Buin auf Bougainville
m Jahre 19062: „Die Eingebornen, vielleicht wilder und grausamer als die
ndern Stämme der Insel, bieten ernste Garantie für die Zukunft der Mission.
Sie sind arbeitsam, unternehmend, intelligent, anhänglich und treu gegen
olche, die ihnen Wohltaten erweisen. ... Sie wissen ganz gut die—
lenigen zu unterscheiden, welche ihnen wohlwollen, und der Missionär hat sich
unter ihnen bereits einen besondern Platz erworben. Er ist überall geachtet,
und die Häuptlinge rechnen es sich zur Ehre, ihn zum Freunde zu haben und
hn in ihren Dörfern festlich zu empfangen.“ Viele Eingeborne schicken ihre
dinder zu den Missionären in die Schule, und eine beträchtliche Zahl hat sich
schon dem Christenium angeschlossen.
13. Die Neukaledonier.
J. Die Bewohner der Belepinseln.
Im Norden von Neukaledonien befinden sich zwei kleine Inselgruppen: die
Remanas und die Belepgruppe. Die letztere besteht aus der Insel Art, der
Kesidenz des Häuptlings, und den Inseln Pott und Dau-Teama. Über die
Insulauer dieser letzteren Gruppe, die Belepinsulaner, besitzen wir eine treffliche
Monographie von dem Maristen P. Lamberts, der schon im Jahre 1856
als Missionär auf die Inseln kam und nach fast zwanzigjährigem Aufenthalt
daselbst die Sitten und Gebräuche der Eingebornen geschildert hat. Das kleine
X ist für uns von besonderem Interesse, weil es bis nach der Mitte des
origen Jahrhunderts fast ganz unberührt blieb von jedem Verkehr mit den
ivilisierten Nationen und deshalb auch in seinen Anschauungen nicht von ihnen
deeinflußt werden konnte.
Die Belepinsulaner glauben an das Fortleben der Seele nach dem
Tode des Menschen. Kaum hat die Seele den Leib verlassen, so schlägt
den Weg nach Tsiabulum, dem Lande des Doibat, ein. Alle, sowohl
Ne Guten als die Schlechten, begeben sich dorthin. Am äußersten Ende der
Insel Pott haust nach dem Glauben der Fingebornen ein böser Geist, eine Art
The savage South Seas usw. 186. 2 Vgl. Missions catholiques 1906, 556.
8 *Vgl. Missions catholiques 1879, 7 ff; 1880, 10 ff. Die Artikel find auch in
duthform erschienen unter dem Titel: Mœurs et Superstitions des Néo-Calédoniens,
ouméa 1900. Nouvelle Imprimerie Nouméenne.
616
Fünfter Teil. Australien und Ozeanien.
Terberus, den sie Kiemua nennen; sein Land heißt Tsiabumbon. Er ist kein
Mensch, auch nicht der Geist eines Menschen, man kennt seinen Ursprung nicht.
Er sitzt auf einem Felsen, mit der Lanze in der Hand, und ist beständig auf
der Lauer, um alle Seelen, die vorbeiziehen, mit einem Netze zu fangen. Nie⸗
mand kann ihm ausweichen. Sobald er eine Seele gefangen, quält er sie in
jeder Weise, und hat er endlich seine Wut an ihr gestillt, so läßt er sie nach
Tfiabulum weiterziehen. Tsiabulum ist ein großes Land, das die Eingebornen
in die Tiefe des Meeres an der Nordseite der Insel Pott verlegen. Es ist
überaus schön und fruchtbar: Ignamen, Taros, Zuckerrohr, Bananen wachsen
dort von selbst. Es gibt dort wilde Orangenwälder, deren Früchte den glück⸗
lichen Bewohnern als Spielzeug dienen. Dort ist ewiger Tag und bedürfen
die Bewohner des Schlafes nicht. Doibat ist der Herrscher in diesem Para—
diese. Er ist von kolossaler Größe, steht immer aufrecht und unbeweglich an
seinem Platze. P. Lambert gelangte durch seine Forschungen zum Schlusse, daß
in ihm noch dunkel die Idee des einen, wahren Gottes durchschimmere. Doibat
ist der Alleinherrscher in seinem Reiche; er ist kein Mensch und auch nicht der
Geist eines Menschen; der Anfang seiner Herrschaft verliert sich in die Nacht
der Zeiten, und dieselbe wird nie aufhören — also eine Ahnung seiner Ewig⸗
keit; unbeweglich steht er an seinem Platze, seine Füße und Beine sind zwischen
Felsen verborgen — ein Schatten von Unveränderlichkeit; sein Auge sieht alles
in seinem Reiche — Allwissenheit; er hat den Willen und die Macht, alle seine
Untertanen glücklich zu machen — Allgüte und Allmacht. Selbst der Idee des
Kiemua, der vor dem Eintritt in das Paradies alle peinigt, liegt der Gedanke
zu Grunde, daß nur nach Reinigung und Sühne die Pforten des Himmels
sich öffnen. Im Paradies selbst kennt man weder Langeweile noch Trauer,
noch Altersschwäche noch Tod; auch der Unterschied des Alters ist unbekannt.
Die Seelen der Verstorbenen weilen übrigens nur während der Nacht in Tsia—
bulum, beim Anbruch des Tages kommen sie in das Land ihrer Verwandten
zurück und bewohnen die Friedhöfe, wo sie geehrt werden. Nur bei der ersten
Reise werden sie von Kiemua belästigt. Stirbt einer der Ihrigen, so sagen die
Eingebornen, die Seelen der Verstorbenen führen ihn nach Tsiabulum 1.
Außer Doibat und Kiemua nehmen die Insulaner noch viele andere
Geister an, die an bestimmten Orten wohnen und mehr gefürchtet als geehrt
werden. Die Dieues z. B. sind eine Art Waldgeister, die in Gesellschaft in
den Wäldern oder an der Meeresküste leben. Man kennt ihren Ursprung nicht,
aber sowohl sie als ihre Kinder sind unsterblich. Man legt ihnen zuweilen
Opfergaben hin. Den Frauen, die im Walde einschlafen, rauben sie den Verstand
(das Herz) und lassen dem Manne und den Verwandten nur den Leib. Gewisse
Zauberer (Puala-Dieue, Beter des Dieue) haben die Gewalt, die Frauen vom
Irrsinn zu heilen und ihnen Fruchtbarkeit zu verleihen?. Ein berüchtigter Geist
ist auch Kabo Mandalat, ein weibliches, großes Ungeheuer, das besonders
den verheirateten Leuten nachstellt. Solange man es ehrt und für seine nötigen
Vorräte sorgt, ist es gutmütig, sonst rächt es sich und sendet Krankheiten. Diese
Göttin hat eigene berechtigte Vertreter, eine Art Beter oder Priester, die zahl⸗
Missions catholiques 1879, 19. 2 Ebd. 20.
13. Die Neukaledonier.
417
reiche Vorrechte besitzen und die von der Göttin gesandten Krankheiten unter
sehr komplizierten Zeremonien heilen zu können vorgeben.
Alle genannten Geister sind keine menschlichen Wesen, auch nicht vergötterte
Menschen. Außerdem verehren die Belepinsulaner in hohem Grade ihre Toten.
Ist ein Eingeborner gestorben, so wird er in hockender Stellung in einem Berge
oder Dickicht niedergelegt, und zwar mit den gewöhnlichen Totengebräuchen.
Nach einem Jahre wird eine große Feier veranstaltet. Man holt den Schädel
des Verstorbenen, um ihn auf dem Friedhof, der gewöhnlich in der Nähe des
Vaterhauses liegt, neben die Schädel der früher Verstorbenen hinzulegen. Jede
Familie hat einen eigenen Friedhof und dazu einige für die Verehrung der
Toten reservierte Bäume. Fällt ein Eingeborner in eine Krankheit, so wird
ein Glied der Familie, nie ein Auswärtiger, bestimmt, um Anblasungen am
Kranken vorzunehmen. Er geht zum Familienfriedhof, legt einige Blätter vom
Zuckerrohr neben die Schädel der Ahnen und sagt dabei: „Ich lege diese Blätter
neben den Baum meines Vaters oder Großvaters hin, damit mein Hauch Heil⸗
kraft erlange.“ Dann nimmt er einige Blätter vom Baum mit etwas Zeug,
zerkaut dieses mit den Zähnen und bläst dann den Kranken an. Eine ähnliche
Zeremonie wird zu Ehren der Ahnen bei Bestellung eines Feldes vorgenommen,
um eine gute Ernte zu erlangen. Von einigen Familien glaubt man, sie be—
äßen die Macht, Regen, Trockenheit, Wind oder Sturm zu verursachen, Tod
und Krankheit zu erzeugen. Die bedeutendste Rolle spielt die Seele des Häupt—
lings. Ist ein Häuptling gestorben, so geht seine Seele nach einem Besuch in
Tsiabulum nach Nit, einem kleinen Inselchen neben der Insel Art. Unter dieser
Insel wohnen die Seelen der verstorbenen Häuptlinge. Nur mit Ehrfurcht und
mit Geschenken beladen darf man sich diesem Inselchen nahen. Muß man daran
borbeifahren, so bückt man sich, enthält sich des Redens und Essens und legt
Geschenke auf das Wasser1.
— Der Tod eines Häuptlings zieht sehr strenge Vorschriften nach sich.
So ist es verboten, die für die Totenfeste reservierten Pflanzungen oder Kokos
u berühren. Sollten die lebenden Häuptlinge die Übertretung dieses Verbotes
nicht strafen, so würden die verstorbenen Häuptlinge in Wut geraten und sich
an dem Schuldigen und dem ganzen Stamm rächen. Die Blitze sind nur
das Augenblinzeln der verstorbenen Häuptlinge, der Donner ist das Brummen
hrer Stimmen. Dauert ein Sturm lange, so versammeln sich die lebenden
—XRX oder die Greise, um bei den verehrten Schädeln zu beten und Opfer
darzubringen. Alle Männer müssen herbeikommen und Lebensmittel mitbringen,
die man in den Ofen legt, um am Rande des Friedhofes ein Mahl zu halten.
Dder Teil für die verstorbenen Häuptlinge wird ausgewählt und neben ihre
Schädel gelegt, indem man dabei ruft: „Ich lege diesen Teil neben die Häupt—
linge, damit sie den Flecken wegnehmen, mit dem wir uns verunreinigt haben.
Entfernt euch von uns.“ Die Kenntnis dieser Zauberformeln machte es dem
Missionär ziemlich leicht, die Eingebornen zur Wahrheit zu führen. „Eure Gebete
sind gut“, sagte er ihnen, „aber der Gegenstand derselben ist nicht gut. Warum
diese Geister anrufen, die euch nicht helfen können? Der Große Geist allein
Ebd. 30.
Cathrein, Die Einheit d. sittl. Bewußtseins. III.
47
118
Fünfter Teil. Australien und Ozeanien.
hält Blitz und Donner und Sturm in seiner Hand. Zu ihm müßt ihr mit
Vertrauen beten.“ Diese Sprache gefiel ihnen, und bald kamen sie zahlreich in
die Kirche und bekehrten sich. Es zeigt dies, daß der Glaube an den einen
wahren Gott wie eine dunkle Ahnung im Herzen dieser Wilden lebte.
Jedes Familienhaupt genießt bei den Insulanern großes Ansehen, be⸗
sonders aber der Teama, der oberste Häuptling, der an der Spitze aller Belep⸗
insulaner steht. Die Häuptlingswürde geht auf den Erstgebornen über, der
den Titel Tea führt. Das salische Gesetz steht bei ihnen in Geltung. Die
älteste Tochter heißt Kabo. Wenn der Häuptling keine Kinder hat, so adoptiert
er die seiner nächsten Verwandten, Söhne und Töchter. Die jüngeren Kinder
des Häuptlings und alle übrigen Glieder seiner Familie führen den Titel Aon,
während alle andern Leute Jambuet, d. h. Untertanen, heißen. Den Teama
grüßt jedermann mit der größten Ehrfurcht, die Weiber gehen ihm aus dem
Wege, kauern auf den Boden und wagen nicht ihn anzusehen. Macht und
Vorrechte des Häuptlings gründen sich auf ein ungeschriebenes, aber genau be⸗
kanntes und streng beobachtetes Gewohnheitsrecht. Gewöhnlich umgibt ihn ein
Kreis von Vertrauensmännern. Bei besonders wichtigen Unternehmungen zieht
er die einflußreichen Persönlichkeiten des ganzen Stammes zu Rate. Er hat
das Recht der Kriegserklärung, ihm steht auch das Strafrecht bei schweren
Vergehen zu. Die Strafe besteht im Niederbrennen der Hütte des Schuldigen,
in der Verwüstung seiner Felder und oft in der Tötung. Die Schuld wird
in öffentlichen Versammlungen untersucht. In schwierigen Fällen nimmt man in
Ermangelung von Beweisen zur Zauberei seine Zufluchtꝛa.
Der ganze Stamm der Belepinsulaner besteht aus zahlreichen Sippen oder
Stammfamilien, die oft im selben Dorfe durcheinander wohnen, ohne sich
jemals miteinander zu vermischen. Eine dieser Stammfamilien heißt Uimoma,
eine andere Teambueonama usw. Der Name ist stets hergeleitet von einem
großen Ahnen längstvergangener Zeiten. Ein Uimo nimmt eine Frau aus der
Familie der Teambueo; die Kinder aus dieser Ehe sind Uimoma, und wenn
eines dieser Kinder sich in einem andern Dorfe niederläßt, so wird seine Hütte
die eines Uimo sein. Der Älteste aus jeder Stammfamilie erfreut sich eines
gewissen Ansehens bei allen Gliedern, die denselben Namen tragen, und wenn
der Oberhäuptling irgend eine Familie, z. B. die Bugema, mit einer Aufgabe
betraut, so wird die Botschaft an das Familienhaupt überbracht. Alle halten
sehr viel auf ihren Titel und sind darauf stolz.
Das Eigentumsrecht ist bei den Belepinsulanern fest geregelt. Jeder
weiß, daß die Güter, die er von seinen Vätern ererbt, ihm gehören, daß das un⸗
benutzte Land, das er angepflanzt, auf dem er seine Hütte gebaut, sein Eigen⸗
tum ist und nach seinem Tode seinen Kindern oder Verwandten zufallen soll.
In Bezug auf Grundeigentum muß man bei den Eingebornen das eigent⸗
liche Privateigentum und das nicht okkupierte Land oder Freiland unterscheiden.
Dieses letztere zerfällt in das Eigentum der Gemeinde und das Eigentum des
ganzen Stammes. Die Häuptlinge wie die einfachen Privatleute haben ihr
vollkommen gesondertes Privateigentuum. Um Grundeigentum zu veräußern,
Missions catholiques 1880. 16—17.
13. Die Neukaledonier.
419
besonders an Ausländer, bedarf es freilich der Einwilligung eines einflußreichen
Familiengliedes oder des Häuptlings. Man darf jedoch daraus nicht folgern,
diese letzteren seien die Eigentümer. Das Privateigentum gilt als so heilig,
daß der Häuptling fich nicht in dasselbe mischen oder es sich aneignen darf,
ohne sich verhaßt zu machen. Das Privateigentum wird durch Erbfolge und
durch Schenkung erworben, selten durch Austausch oder Kauf. Pachtzins kennen
sie nicht, doch leihen sie wohl ein Grundstück, überlassen dann dem Bebauer die
zanze Ernte. Sowohl die eigentlichen als die Adoptivkinder sind die direkten
Erben. Eine Tochter aber, die sich verheiratet, erlangt nichts von dem Grund—
eigentum des Vaters. Der nicht okkupierte Boden rings um jedes Dorf dient
dem Nutzen des ganzen Dorfes, so daß jeder Dorfbewohner es beliebig benutzen
kann1. Das Gebiet des nächsten Dorfes wird respektiert.
Die Ehen werden gewöhnlich von den Eltern geschlossen, ohne daß man
die Kinder fragt. Sind die beiden Familien einig geworden, so senden die
Eltern des Jünglings den Eltern des Mädchens ein Geschenk an Lebensmitteln.
Werden diese angenommen und gegessen, so ist das Geschäft abgeschlossen. Das
Mädchen gehört jetzt zur Familie des Jünglings, selbst wenn es noch ganz klein
st. Doch bleibt es in diesem Falle bis zur Mannbarkeit in seiner Familie.
Zuweilen jedoch wird es in der Familie seines Bräutigams erzogen. Einige
Zeit, nachdem die jungen Ehegatten dasselbe Haus bewohnt haben, bringt der
Vater des Mannes der Familie der Frau reiche Geschenke und erhält dafür
Gegengeschenke. Dadurch wird die Scheidung der beiden Ehegatten schwieriger;
noch schwieriger wird sie, wenn der Vater des Mannes die Geschenke hergibt,
ohne dafür Gegengeschenke entgegenzunehmen. Hat das Ehepaar einmal Kinder,
so wird die Ehescheidung sehr schwierig. Der Mann, der sich dann von seinem
Weibe trennen wollte, verfiele dem öffentlichen Tadel. Die Ehehindernisse sind
zahlreich. Nicht nur Blutsverwandtschaft in direkter Linie, sondern auch Ver—
wandtschaft in der Seitenlinie zwischen Geschwistern, Onkel und Nichte, zwischen
Kindern zweier Brüder oder zweier Schwestern gilt als Ehehindernis. Dagegen
dürfen sich Kinder eines Bruders mit den Kindern seiner Schwester und um—⸗
gekehrt heiraten. Dispens von den verbotenen Verwandischaftsgraden findet nur
in der Familie des Häuptlings statt. Die bloße Affinität bildet kein Ehe—
hindernis; so kann ein Mann, wenigstens nacheinander, zwei Schwestern hei—
raten2. Die Vielweiberei ist im Prinzip gestattet, doch haben fast nur die
dãuptlinge mehrere Frauen.
Es ergibt sich also, schließt P. Lambert mit Recht, daß die Familie nach
genauen Gesetzen organisiert ist und Mann und Frau bestimmte Rechte und
Pflichten haben. Edebruch gibt leicht zu heftigen Streitigkeiten Anlaß und
vird an dem Weibe streng, manchmal mit dem Tode bestraft. Der Missionär
wvar aber auch Zeuge, wie der Häuptling in diesem Punkte eine Verleum—
derin bestrafte. Ein Ehemann hatte auf eine falsche Anklage hin seine Frau
als Ehebrecherin verstümmelt. Als der Häuptling das hörte, ging er an Ort
und Stelle, um die Sache zu untersuchen und die Schuldigen zu strafen. Die
Untersuchung ergab, daß die verstümmelte Frau von einer lügnerischen Gevatterin
Ebd. 17218. 2 Ebd. 30.
272
120 Fünfter Teil. Australien und Ozeanien.
verleumdet worden war. Darauf verurteilte der Häuptling den allzu leicht⸗
zläubigen Ehemann zu einer schweren Arbeit, die Verleumderin aber ließ er
an einen Kokosbaum binden, versetzte ihr eine Tracht Prügel, hieß sie dann
die Zunge herausstrecken und schabte dieselbe mit einem Messer ab, indem er
sprach: „Verstehe wohl, was ich tue; ich nehme die Bosheit deiner Zunge
hinweg, damit du nie mehr böse und zum Schaden eines andern redest.““
Einige Reisende haben behauptet, die Männer allein seien auf Neukaledonien
eifersüchtig, das ist nach Lambert falsch; die Frauen geben oft genug ihrer
Eifersucht unzweideutigen Ausdruck. Tritt unter Eheleuten eine Erkaltung ein,
so nehmen sie oft zu allerlei Zaubermitteln ihre Zuflucht, um die frühere Zu⸗
neigung der andern Hälfte wieder zu gewinnen.
Wenn eine Frau der Niederkunft nahe ist, begibt sie sich in ein Haus,
das den Frauen reserviert ist, die als unrein gelten. Sie hat sich allerlei
lästigen Vorschriften und Speiseverboten zu unterwerfen. Zwei Monate nach
der Niederkunft kann sie in das Dorf und in ihr Haus zurückkehren. Die
Geburt eines Kindes wird sehr hoch gefeiert. Bis zum siebten oder achten Jahr
bleibt das Kind unter alleiniger Aufsicht der Mutter. Dann wird ein zweites
Fest gefeiert, das Wia Aiwam (Ankunft der Vernunft). Der Knabe erhält
eine Leibbinde und darf von der Stunde an den Vater auf dem Fischfang
hegleiten und muß ihm bei der Feldarbeit helfen. Im Alter von 15 bis 18
Jahren folgt ein drittes Fest, das „Tangop“ oder die neukaledonische Be⸗
schneidung, welche der jüdischen Beschneidung ähnlich ist?.
Wir übergehen die Art und Weise, wie die Belepinsulaner ihre Häuser bauen,
sich schmücken, ihr genau geregeltes Zeremoniell bei Besuchen und Gegenbesuchen,
ihre Künste und Gewerbe, ihre Spiele und Tänze haben. Nur in Bezug auf
die Kleidung sei erwähnt, daß die Männer an gewöhnlichen Tagen nur einen
Schurz oder eine Leibbinde tragen, die zwischen den Beinen durchzogen wird.
Die Frauen sind etwas besser bekleidet und verhüllen vielfach auch die Bruft.
Interessant ist die Art und Weise, wie sie ihre Aussagen bekräftigen. Wenn
man in Zweifel zieht, was jemand behauptet, und dieser will seine Behauptung
beteuern, so nennt er den Namen seines Vetters oder sagt: „Bei der Fuß—
sohle meines Vetters!“s Dieser Gebrauch erinnert unwillkürlich an die Sitke
der Israeliten, nach der jemand, welcher einem Verwandten ein Recht abtrat,
zur Bestätigung des Handels seinen Schuh ablöste und dem andern gab!.
II. Die Eingebornen der Hauptinsel Neukaledonien.
Vieles von dem, was wir über die Belepinsulaner berichtet haben, gilt auch
von den eigentlichen Neukaledoniern, nur scheinen diese noch auf einer tieferen
—A
daß die Insel einst viel bevölkerter war als heute und auch auf einer höheren
Kulturstufe stand. Das beweist nicht nur die allgemeine Überlieferung, sondern
auch das Vorhandensein alter Kulturen. So findet man noch heute alte Festunge
werke, Spuren von großen Bewässerungsarbeiten und von zahlreichen, oft viele
Missions catholiques 1880. 31 -32. 2 Ebd. 52-53. 3 Ebd. 68.
Ruth 4, 7.
13. Die Neukaledonier.
421
Kilometer langen Kanälen an den Bergabhängen, die einen großen Aufwand
von Arbeit erforderten. Ein Hauptgrund der Bevölkerunggabnahme war —
abgesehen von der Sittenlosigkeit und den ewigen Kriegen — der Kanni—
balismus, der kaum irgendwo in dem Maße herrschte wie auf Neukaledonien
und der seine Hauptwurzel in der Rachsucht hatte. Zur Befriedigung der Rache
denügt es dem Wilden nicht, seinen Feind zu töten, er muß ihn auch verzehren
und, soviel an ihm liegt, vernichten!. Allerdings hat auch die Gier nach Menschen—
leisch mitgewirkt. Die Häuptlinge machten sich oft ein Vergnügen daraus,
nach Willkür Untergebene zu töten, um sich an ihrem Fleische zu sättigen. Doch
vurden meistens nur Feinde verzehrt, die man im Kriege oder auf Menschen⸗
lagden erbeutete. Möglichst viele Menschenschädel aufzuhäufen galt als ein be—
sonderer Ruhm. Es muß jedoch zur Ehre der neukaledonischen Frauen gesagt
werden, daß sie immer einen Abscheu gegen das Menschenfleisch zeigten, und
daß im Grunde auch die Männer eine Ahnung von der Ungehörigkeit des
Kannibalismus hatten, sieht man daraus, daß es schon heute als der größte
Schimpf gilt, jemand einen „Menschfleischfresser“ zu nennen2.
Der Missionär Rougeyron, der seit Anfang 1844 auf Neukaledonien ar—
beitete, schreibt am 1. Oktober 1845: Die Völkerschaften von Neukaledonien
zeichnen sich durch eine große Gastfreundschaft aus, die bewirkt, daß alles
demeinsam ist. Dieser Brauch scheint sehr gut zu sein, aber er hat auch nach—
keilige Folgen; denn er erhält sie in ihrer unglaublichen Trägheit, da sie immer
auf fremde Hilfe rechnen. Sie schlagen einem nie ab, was man von ihnen
derlangt, das wäre ein Verbrechen; sie begleiten sogar ihre Gabe mit schmeichel—
haften Worten, obwohl sie sie nicht gern hergeben. Dafür sind sie sehr diebisch,
vas in Anbetracht ihrer großen Armut nicht wundernimmt. Die Missionäre
nußten gut aufpassen, damit ihnen nicht alles gestohlen werde. Doch muß ich,
meint Rougeyron, zur Ehre unserer Neukaledonier sagen, daß fie in diesem Punkt
schon gute Fortschritte gemacht haben. Als sie uns halfen, unsere Effekten in
die neue, etwa eine halbe Stunde von der alten entfernte Wohnung zu über⸗
ragen, kam uns nichts abhanden als vielleicht ein Hemds.
Der Grundsatz des salischen Gesetzes ist hier in Neukaledonien in Kraft;
aur die ältesten Söhne werden nach dem Tode ihres Vaters als Häuptling an—
erkannt. Übrigens haben diese Häuptlinge wenig Einfluß. Das kommt wohl
don ihrer großen Zahl, denn selbst jeder kleine Weiler hat seinen eigenen Häupt—
ing. Wir genießen, erzählt der Missionär, bei allen, auch bei den Häupt⸗
ingen die größte Achtung. Da ihre Insel von Europäern noch fast gar nicht
besucht worden ist, haben sie eine hohe Meinung von den Weißen. Sie schreiben
ins die Macht über Wind und Regen zu. Unsere Heimat ist nach ihnen der
dimmel. Sie schlossen das daraus, weil sie unsere Schiffe am Horizont den
Himmel berühren sahen.
Die Frauen schmachten hier in einer erniedrigenden Sklaverei und kriechen
zu den Füßen des Mannes, der sie tyrannisiert. Die Frau muß alle Lasten
—:
VBgl. Pionnier, Vne page de l'histoire des temps héroiques de la Mission
o Calédonie, Lyon et Paris I911, 18.
2 Ebd. 25. s Annales de la propagation de la foi XVIII 407.
122
Fünfter Teil. Australien und Ozeanien.
tragen, die Nahrung suchen, die Felder besorgen, sobald sie urbar gemacht sind.
Sie hat die meiste Last und den geringsten Vorteil von der Haushaltung. Ist
z. B. eine gute Frucht zum Essen da, so macht sie der Mann Tapu, und dann
darf die Frau nicht daran rühren, sonst würde sie mit dem Tode bestraft.
Wenn sie krank ist, so wird sie aus dem Hause getrieben und muß unter freiem
Himmel oder unter ein paar zusammengeflochtenen Asten liegen. Wegen des
zeringsten Verdachtes oder des kleinsten Ungehorsams gegen den Mann wird
dieser wütend und mißhandelt sie in schrecklicher Weise. Trotzdem meint der
Missionär, die Kaledonier seien von Natur weniger grausam, als man nach
diesem Betragen glauben sollte. Obwohl sie Anthropophagen sind, so töten und
verzehren sie doch nur ihre Gefangenen. Es gilt ihnen als ein Sieg oder eine
Siegestrophäe, wenn sie einen Feind verspeist haben, denn sein Andenken ist für
mmer geschändet. „Unsere Wilden leben beständig in grausamen Kriegen mit⸗
einander, und wenn sie erfahren, daß einer ihrer Feinde sich irgendwohin begibt,
so lauern sie ihm auf dem Wege auf und stürzen sich mit der Wut eines blut⸗
dürstigen Tigers auf ihn.“ Auch die Missionäre wurden oft mit dem Tode
bedroht, doch kam der Entschluß nicht zur Ausführung.
Mehrere Reisende, die sich nur kurze Zeit auf Neukaledonien aufgehalten,
haben den Eingebornen jede Religion abgesprochen. Es darf das nicht
wundernehmen, denn der schon früher erwähnte Lambert versichert: sie wissen
so eifersüchtig ihre religiösen Gebräuche vor den Fremden zu verbergen, daß
man jahrelang unter ihnen leben kann, ohne eine Ahnung davon zu haben.
Besonders günstige Umstände müssen einen zur Entdeckung derselben führen.
Selbst die Missionäre wurden am Anfang getäuscht. So schrieb im Jahre 1845
Rougeyron von den Eingebornen: Sie sind tierisch über die Maßen, sie
scheinen selbst die ersten Gebote des Naturgesetzes vergessen zu haben; sie leben
ohne Kult, ohne Tempel, ohne Priester, fast ohne Gott, denn ihre Gottheiten
iind, soweit ich erfahren konnte, nur die Geister ihrer bedeutendsten Hauptlinge,
die, ich weiß nicht wo, wohnen. „Doch glauben die Kaledonier an das Dasein
der Seele und an ein zukünftiges Leben.“s
Längere Beobachtungen haben indessen dargetan, wie J. Pionnier schreibt,
daß sie, man möchte sagen, ein übertrieben religiöses Volk sind. Ihr ganzes Leben
wird von der Religion beherrscht, alle Außerungen des sozialen und privaten
Lebens stehen unter ihrer Herrschaft; sie spielt bei der Geburt, bei der Heirat
und beim Tode, beim Beginn und Abschluß des Krieges, bei der Jagd, dem
Fischfang und den Anpflanzungen eine wichtige Rolles. Diese Religion gleicht
so sehr der der Belepinsulaner, daß Pionnier einfach auf die Angaben Lamberts
über die Belepinsulaner verweist, woraus hervorgeht, daß auch die Neukaledonier
an einen Gott und ein jenseitiges Leben glaubten. Pionnier entdeckte auch an
einem einsamen und unzugänglichen Ort am Fuße der Natchiberge einen Altar,
der auf vier gabeligen Baumstämmen ruhte, darüber waren Baumzweige aus⸗
gebreitet, auf denen Dracänenblätter lagen. Hier wurde ein „heiliges Schwein.
geopfert. Zuerst wurde unter Musik ein Gebet gesprochen. dann wurde mit
Annales de la propagation de la foi XVIII 408 -409. 2 Ebd. 411.
Pionnier, Une page de l'histoiro usw. 29.
13. Die Neukaledonier.
423
einem Dracänenast in Form eines Messers das Opfertier getötet. Aber nicht
nur solche Opfer werden hier dargebracht, sondern zu bestimmten Zeiten legte
der „Beter“ im Namen des ganzen Stammes die ersten Feldfrüchte und die
besten Beutestücke der Jagd und des Fischfangs hier nieder. Niemand durfte
die Opfergaben anrühren. Bei Darbringung dieser Opfer richtete der Beter
zuerst seine Blicke zum Himmel empor, wandte sich an die Schutzgottheit des
Ortes und sprach: Thoro Wera, d. h. „mein Vater da oben“, „schaue auf
meine Gaben und schenke uns Regen“. Ähnliche Gebete wurden vor dem Kriege
verrichtet 1.
Nach Ernest Michel? glauben die Neukaledonier an einen persönlichen
Bott und Schöpfer, den sie Newengut (Weltseele) nennen und von dem sie
sagen, daß er die Welt regiere. Sie glauben an ein zukünftiges Leben; nach
dem Tode werden die Guten reife Bananen essen und sich allen sinnlichen Ver—
gnügen ergeben; die Bösen aber werden nur unreife Bananen erhalten. Sie
glauben an zahlreiche Geister, die in den Wäldern oder auf den Friedhöfen
wohnen und verschiedene Funktionen haben.
Die Kanaken haben keine Götzenbilder; sie üben die Beschneidung, und beim
Tode des Mannes fällt seine Frau ihrem Schwager zu. Wie die Juden haben
die Kanaken verschiedene Grade der Unreinheit, von denen sie sich durch Weih—
wasser, das ein Priester bereitet hat, befreien. Bei einigen Stämmen werden
die Leichen der Häuptlinge und angesehener Persönlichkeiten nicht begraben,
sondern — wie bei manchen amerikanischen Indianern — auf die Äste der
Bäume oder auf unzugängliche Felsen gelegt. Zuweilen werden deren Leichen
an langsamem Feuer gedörrt. Verzweifelt man an der Heilung eines Kranken,
so wird er erstickt oder man legt ihn in eine Grube, wirft sie mit Erde zu und
stambft daraufs.
Ausführlicher hat der Missionär Gagniere nach langjährigem Aufenthalt
auf Neukaledonien die Religion der Eingebornen geschildert“‘. „Der Glaube
an ein zukünftiges Leben, den man bei allen Völkern findet, ist der
ausgesprochenste Glaubenssatz unserer Insulaner. Aber der Aufenthaltsort, den
sie den Seelen der Verstorbenen anweisen, und das Leben, das sie dort führen
lassen, entsprechen ihren groben Ideen und ihrem ganz sinnlichen Geschmack. Im
Angesichte jedes Stammes, erzählen ihre Legenden, und weit draußen im Meere
existieren unterseeische Länder von großer Schönheit und blendendem Reichtum.
Es ist das für unsere Neukaledonier ein wahres Paradies, weil sich dort
alles Schöne und Gute vereinigt findet, was sie kennen: beständige Tänze,
Uberfluß an ausgezeichneten Bananen, Lebensmittel nach Wunsch uswp. Von
einer Hölle oder einem Ort der Strafe ist wenig die Rede, und deshalb ver—
urteilen sie niemand dazu, als ob sie alle das Bewußtsein hätten, ihn verdient
zu haben.“ Die Folge ist nach dem Missionär, daß die noch wilden Stämme
die Hölle auf Erden haben.
Ist ein Neukaledonier im Todeskampf, so vereinigt sich die ganze Fa—⸗
milie bei ihm, und um seine Seele zu hindern, zu schnell für das andere Leben zu
—
Ebd. 3234. 2 Missions catholiques 1887, 251. s Ebd. 275.
Annales de la propagation de la foi XXXII 438 ff.
424 Fünfter Teil. Australien und Ozeanien.
derreisen, schließt man ihm so viel wie möglich Nase und Mund. Bald aber
merkt man an der Starre der Leiche, daß der Geist trotzdem durch einen heim⸗
lichen Ausgang entwichen ist. Nun beginnt ein verzweifeltes Weinen und Klagen.
Man möchte, wenn möglich, ihn noch aufhalten, um ihn wenigstens mit einem
Abschied für immer zu begleiten. Während dieser Zeit gehlt die Seele, die
sich vom Leibe getrennt, sei es aus Anhänglichkeit an ihre leblosen Überreste
oder aus Rücksicht auf die Trauer der Verwandten, an einen nahen Ort, als
ob sie sich nur mit Bedauern entfernen könnte. Während sie dort weilt, kommt
eine Abordnung von seiten der Ahnen. Sie muß ihnen gehorchen und sofort
mit den Führern abziehen, die gekommen sind, um sie an ihren neuen Be⸗
stimmungsort zu führen. Mit großer Schnelligkeit gelangt sie in wenigen Augen⸗
blicken zu demselben, wo alle ihre Ahnen sie mit Ungeduld erwarten. Dann wird
zu Ehren des Neuangekommenen ein feierlicher Tanz veranstaltet und hierauf die
Einweihungszeremonie vorgenommen. Die Seele muß eine noch grüne Orange
in die Hand nehmen, einige Tanzgänge aufführen, und nun wird ein großes
Festessen veranstaltet. Man ladet den Toten ein, von den köstlichen Bananen
zu essen, die im neukaledonischen Elysium wachsen. Hat die Seele davon gekostet,
so ist ihr Los für immer entschieden; sie soll nicht mehr daran denken, auf die
Erde zurückzukommen; ihre neue Bestimmung ist, sich in allem: in Tänzen,
Spielen und Arbeiten, nach dem Beispiel der Ahnen zu richten, von denen sie
sich nicht mehr trennen darf.
Während bei den Toten Fest ist, feiern auch die Lebenden. Das feierlichste
Totenfest ist den großen Häuptlingen vorbehalten und heißt Nian (Kongreß). Es
ist eine Art Jahresgedächtnis, das gewöhnlich auf das zweite, dritte oder gar
auf das zehnte Jahr nach dem Tode des Häuptlings verschoben wird, weil es
zroße Vorbereitungen erheischti. Es werden für diese Gelegenheit Felder be⸗
haut und große Herbergen errichtet. Zahlreiche Stämme kommen zusammen, und
nur zu oft enden diese Festlichkeiten mit Metzeleien und Kriegen. Auch Menschen
werden gelegentlich geschlachtet, wohl als Opfer für die Toten?. Nicht selten
werden Hütten, Pflanzungen, Kokosbäume usw. bei diesen Festen zerstört; doch
kommt es oft vor, daß die Eigentümer durchblicken lassen, diese Zerstörungen seien
nicht nach ihrem Geschmack, was bei den Neukaledoniern einer Drohung gleich⸗
kommt; dann werden die Zerstörer vorsichtigerꝰ. Schon hieraus geht hervor,
daß die Eigentumsbegriffe den Neukaledoniern nicht fehlten. Dasselbe ergibt sich
auch aus der Erzählung des Missionärs Viard. Derselbe berichtet in einem
Briefe vom 27. Oktober 1845, nachdem er fast zwei Jahre auf Neukaledonien
zugebracht hatte, er sei bald bei den Neukaledoniern beliebt gewesen und habe
manche von ihnen bekehrt. Diese sind nach dem Missionär intelligent und haben
große Anlagen für den Gesang“. Er besuchte einen Häuptling, der im Kriege
begriffen war, ihn zu sich einlud und ihm sehr viele Beweise der Freund⸗
schaft und Achtung gab. Zwei Stunden von seiner Hütte entfernt empfing er
ihn und behandelte ihn auf dem Wege zur Hütte mit großer Rücksicht, zeigte
ihm seine Besitzungen und bewirtete ihn sehr gastfrei. Als der Missionär am
Annales do la propagation de la foi XXXII 441. 2 Ebd. 443.
3 Ebd. Ebd. XVIII 415.
14. Die Neuhebridener.
425
Morgen in seiner Hütte erwachte, fand er neben sich einen Korb mit den Resten
eines menschlichen Beines, das seine Leute für das Frühstück aufbewahrt hatten.
„Ich gab dem Häuptling zu verstehen, wie schrecklich es sei, sich mit Menschen—
leisch zu nähren; er antwortete mir, er wisse nichts davon, aber in Zukunft
verde er keines mehr essen. Nachdem ich meine Gebete verrichtet hatte, führte
nich der Häuptling zu einem schönen Ignamenfeld und zeigte es mir mit den
Worten: Dieses Feld gehört meinem Sohn, ich schenke es dir; nimm es an
aus Liebe zu ihm.‘ Ich nahm es mit großer Dankbarkeit an; ich wußte damals
nicht, wie nützlich uns dieses Feld noch werden sollte, als wir vier Monate
Päter im äußersten Elend waren.“*
Wie nämlich Rougeyron berichtet, waren die Missionäre vier Monate, nach—
dem Viard das Ignamenfeld geschenkt erhalten hatte, in der äußersten Not.
Die Wilden hatten selbst nichts mehr, und deshalb konnten die Missionäre auch
nichts mehr von ihnen kaufen, was sie sonst zu tun pflegten. Da erinnerte
ich Viard an das erhaltene Geschenk. Sie zweifelten zwar, ob der Häuptling
einem Worte treu geblieben sei und die Ignamen für sie aufbewahrt habe, aber
in der Not wollten sie doch die Sache untersuchen. Sie waren sehr erstaunt,
daß der Häuptling sie freundlich aufnahm und ihnen das Feld mit den gut
erhaltenen Ignamen zeigte, obwohl seine eigenen Vorräte erschöpft waren. Er
ließ die Früchte ausreißen und in die Barke der Missionäre bringen. Er gab
hnen noch großmütig Kokosnüsse. Da aber diese tapu waren, so wandte er sich
an sein kleines, sieben oder acht Monate altes Kind und bat es, das Tapu zu
heben. Man ließ das Kind ein Zeichen machen, das als Ausdruck seines
Dillens galt. Dann kehrten die Missionäre, nachdem sie den Häuptling be—
chenkt. mit reichen Vorräten heim.
„ Erwähnenswert ist, was der Missionär Viard von den Eingebornen der
leinen Insel Balabio ganz in der Nähe von Neukaledonien erzählt. Diese
zeigten ihm bei einem Besuche einen ungeheuren Felsen, an dessen Füßen sie
Blutspuren wahrzunehmen glaubten; es waren aber nur Adern, die sich auf
dem Felsen zeigten. Sie sagten mir, dieser Felsen sei der Thron ihres Gottes.
„Wenn ein Kanake stirbt“, sagen sie, „so geht seine Seele nach Balabio, um
dort gerichtet zu werden; sie wird von dem Gott gut aufgenommen,
wenn sie sich gut betragen hat, aber streng von ihm gestraft,
venn ihr Betragen schlecht gewesen. Bei diesem Felsen befindet sich ein
auer und dichter Baum, dessen Blätterwerk der Gottheit als Heiligtum
ent “8
14. Die Neuhebridener.
Die Bewohner der Inselgruppe der Neuhebriden bestehen aus einem Gemisch
don verschiedenen Völkerschaften, unter denen die Papua die Hauptzahl bilden.
Daneben sind die Malaien stark vertreten. Auch die Dialekte oder Sprachen
weichen auf den verschiedenen Inseln sehr voneinander ab; selbst auf einer und
derselben Insel. wie z. B. auf Mallikolo. Tanna und Api, gibt es verschiedene
Ebhd. 417. 2 Ebd. 404 405. 3 Ebd. 418.
126
Fünfter Teil. Australien und Ozeanien.
Sprachgebieten. Die Nahrung der Insulaner ist vornehmlich vegetabilisch, als
Getränk dienen Kokosmilch und Wasser und bei festlichen Gelegenheiten das
Kawa. Früher waren sie Anthropophagen. Die Männer gingen bis in die
neueste Zeit vielfach nackt, doch trugen sie seit jeher schon vom sechsten Jahre
an eine Bast-, Zeug- oder Muschelhülse, an die ein aus Fasern geflochtener
Strick befestigt war, der die Hüften umschloß und zwischen den Beinen durch⸗
gezogen wurde. Heute sind schon vielfach weiße und gelbe Tücher um die Hüften
im Gebrauch. Die Mädchen gehen bis zum zehnten Jahre nackt, tragen dann
einen von der Gürtelschnur herabhängenden Blätterbüschel und nach der Ver—
heiratung einen aus Kokos und Baumfasern gefertigten Schurz. Als Wohnung
dienen den Eingebornen einige Pfähle, die ein mit Palmblättern bedecktes Dach
tragen und dessen Seiten mit Blättern und Zweigen ausgepolstert sind, während
die Vorderseite neben dem Eingang rot und weiß bemalte Bretter zeigt. Die
Häuser der Häuptlinge und die Versammlungshäuser sind durchschnittlich ca 30 m
lang, 9 m breit und mit einer Umzäunung umgeben. Etwa 100 Häuser bilden
ein Dorf, in dessen Nähe sich der sog. Festplatz (Marum) befindet.
An der Spitze eines Dorfes steht ein Häuptling, der wenig Ansehen hat.
Größere Inseln haben einen Oberhäuptling. Die Beschäftigung der Männer
besteht im Jagen, Fischen und Kriegführen. Die Hochzeit wird in feierlicher
Weise begangen. Hat ein Jüngling das Herz eines Mädchens gewonnen, so
wird die Hochzeit auf dem Marum begangen. Unter Anrufung der Götter
wird das Kawa bereitet, dann mit Schmauserei und Tanz ein großes Fest
gefeiert. Damit ist die Ehe geschlossen. Die Frauen sind fast wie Sklavinnen
gehalten und müssen alle schweren Arbeiten im Hause und auf dem Felde verrichten.
Obschon Polygamie gestattet ist, haben doch nur die Häuptlinge mehrere Weiber.
Bei diesen setzt es oft Zank ab, während die gewöhnlichen Familien in großer
Eintracht leben. Auf mehreren Inseln wird im siebten bis zehnten Jahre eine
Art Beschneidung vorgenommen.
aͤber die Religion auf den Neuhebriden handelt sehr eingehend M. Eck ardt?
Wie viele andere Naturvbölker sind auch die Neuhebridener zu den religionslosen
Völkern gezählt worden. Auf Grund der Mitteilungen der christlichen Missionäre—,
die jahrelang unter ihnen geweilt haben, wissen wir jetzt genaueren Bescheid übet
die Religion der Insulaner. „Der Glaube an ein höchstes Wesen, den
Schöpfer, ist auch auf den Hebriden verbreitet, deutlich spricht sich das in
der Sage der Bewohner von Aneityum, der südlichsten Insel der Neuhebriden
aus. Vor der Einführung des Christentums, das jetzt hier völlig Wurzel gefaßt
hat, hieß der oberste Gott, der so heilig war, daß seinen Namen nur die Priester
aussprechen durften, ‚Nugerain‘. Er war der Schoͤpfer der Insel. Eines Tages
bemerkte er nämlich beim Fischfang in seinem Netze einen außergewöhnlich schweren
Begenstand, zog ihn mit Mühe empor, und statt des erwarteten Fischsegens
kam Aneityum zum Vorschein. In seiner Freude schuf er nun die Menschen,
Über das Folgende vgl. M. Eckardt in den Verhandlungen des Vereins für natut
wissenschaftliche Unterhaltung in Hamburg XIV (Oktober 1877). Vgl. Globus xxx
(1879) 175; Missions catholiques 1889, 344 ff; Annales des Misgions de l'Océam
VIII, Lyon 1891, 46 ff.
? Val. Globus XXXVIII (1880) 12 ff.
14. Die Neuhebridener.
427
das Wie ist nicht gesagt, gab ihnen Yams usw. in Hülle und Fülle und beschloß,
hnen ewiges schönes Dasein zu gewähren. Doch seine Kinder verscherzten seine
Gnade bald. Während der Abwesenheit Nugerains durchbohrten sie eines Tages
dessen große Muschelschalen, die er als Hülle stets zu benutzen pflegte, mit einem
Palmblattstengel und verbrannten dieselben dann. Zur Strafe verurteilte der
erzürnte Gott das Geschlecht der Menschen zum Sterben.“ Als Strafe Gottes
für eine Missetat ist also der Tod in die Welt gekommen.
Auf der Insel Vate haben sich zwei Götter vereinigt, die Welt zu schaffen:
„Maitititiki“ und „Tamakaia“. In Eromango ist es „Nabu“, der nach der
Schöpfung der Erde auch die Frau erschuf. Diese gebar einen Sohn, von dem
die Eromanger in direkter Linie abstammen. Ursprünglich gingen die Menschen
auf allen Vieren, die Schweine dagegen aufrecht. Das verdroß die Reptilien
und Vögel, und eine Eidechse sprang von einer Kokospalme einem Schweine
auf den Rücken, so daß dieses auf die Vorderbeine sank. Von diesem Augen⸗
blicke an gingen die Schweine auf allen vieren, die Menschen aber aufrecht.
Von dem Schöpfer und dem Schutzgotte Aniwas und Futunas, „Maisiki“, er—
zählt man, er habe vor langer Zeit ein großes Kanoe voll von Männern,
Weibern und Kindern von den Tonga nach Aniwa und Futuna geleitet und
sei dann in seine Heimat, den Ozean, zurückgekehrt. Gelegentlich besuche er
jedoch seine Getreuen, meistens in Gestalt eines schönen lockigen Mädchens, um
ie zu segnen oder zu strafen.
Der Apostolische Vikar der Neuhebriden, Douceré?, schreibt: „Man ist
erstaunt und ganz glücklich, darin (in den Sagen und Überlieferungen der In—⸗
sulaner), mitten unter unzusammenhängenden Geschichten, den Glauben an die
Unsterblichkeit der Seele und an ein Gericht nach dem Tode wiederzu—
finden, ferner den Begriff und die Übung des Opfers und des Gebetes, die
Erinnerung an ein höchstes und gutes Wesen, welches die Menschen ge—
bildet und welches — gewiß eine sonderbare Meinung bei einem Volke, das
die Polygamie übt — dem ersten Menschen nur eine Frau gegeben hat.“
.Dieser Ausspruch gilt für die Neuhebriden allgemein. Doch hat, wie es
scheint, dieses höchste Wesen auf verschiedenen Inseln verschiedene Namen. Nach
den Legenden und Mythen, die P. J. B. Suas 8. M.s mitteilt, hieß zu
Namaram auf der Pfingstinsel der allmächtige und gute Herr der Welt, Lenker
der Sonne und Schöpfer der Menschen: Tortali, in Olal auf der Insel
Ambrym: Barkolkol. Barkolkol ist allmächtig und gut, er ist der Gott des
Achtes und des Tages und der Schöpfer des Menschen. Neben ihm steht ein
ihm untergeordnetes böses Wesen, mit Namen Bugliam, das eifersüchtig ist auf
das Glück des Menschen. Durch seine List und die Schuld einer Frau kam
der Tod in die Welt. Auf die Anordnung Barkolkols werden die Beschneidung
and die Ehegesetze zurückgeführt.
Wie die genannten Missionäre berichtet auch Eckardt den Glauben an die
Unfterblichkeit. „Der Glaube an ein Jenseits ist allgemein auf allen Inseln
—
—
Ebd. 12. VBgl. Katholische Missionen 1908- 1909, 114.
Annales de Ia propagation de la foi 1911, 264 265.
Anthropos VI (1911) 903 ff; VII (1912) 38 ff.
28
Fünfter Teil. Australien und Ozeanien.
verbreitet.“ Er fügt hinzu, durchgängig fehle der Begriff des Paradieses, während
der der Hölle eine große Rolle spiele. Daß aber diese Behauptung nicht ganz
richtig ist, geht aus dem hervor, was er selbst sagt. „Auf Aneityum heißt die
Unterwelte, Imai', eingeteilt war sie in zwei Abteilungen. An einem Orte gab
es Überfluß an Yams, Brotfrucht usw., ferner ein reiches Jagdgebiet, an dem
andern wurden die Verdammten, namentlich die verabscheuungswürdigsten,
die Geizigen und die Mörder, über spitze Steine geschleppt, nebenbei Hunger
uind Durst leidend.““ Der Eromanger lebt in dem westlich belegenen Jenseits
genau so wie auf seiner Insel, nimmt auch dieselbe soziale Stellung ein. War
er z. B. ein Häuptling, so wird er auch im Schattenreiche herrschen. Dasselbe
glauben die Bewohner von Nguna, bei denen dieses Jenseits „Bokas“ heißt.
Doch hat hier der Verstorbene noch keine Ruhe. Der Ort ist gewissermaßen
ein Wartezimmer. Nach einiger Zeit stirbt er zum zweiten Male und kommt
an einen schlimmen Ort; endlich stirbt er hier zum dritten Male und nun hat
die Seele in „Mangaseasea“ Ruhe. Man hört und sieht nichts mehr von ihr.
Ein berühmter und neugieriger Zauberer soll einst eine Reise an diesen Ort
unternommen haben. Er kam nach Bokas und sah und erkannte dort zahlreiche
GBeister der Verstorbenen. Seitdem wurde er wegen seiner Zauberkraft und
Heiligkeit außerordentlich gefürchtet. — In Vate heißt die andere Welt „Caci⸗
nototo“; an ihrem Eingange sitzt Salatan, der jeden Eintretenden mit einer
Keule auf den Kopf schlägt. Ähnliche Ideen herrschen auf den andern Inseln.
Nur mit Furcht sprechen die Insulaner die Namen dieser heiligen Dinge aus.
Weit mehr als die genannten Gottheiten stehen bei den Insulanern in Ver—⸗
ehrung die Geister der Verstorbenen, dann auch Sonne und Mond, die als
Mann und Weib gelten und vor alter Zeit auf Erden gelebt haben sollen.
Später sei die Sonne zum Himmel emporgestiegen und habe dem Mond be⸗
fohlen, ihr zu folgen. Die einzige Tochter Sina ist beim Vollmond in dem⸗
selben sichtbar. Zur Feier dieses Ereignisses finden Tänze usw. um rohe Holz⸗
blöcke statt. Auf geheiligten Steinen werden Schweinefleisch, Früchte und Kawa
zeopfert, von denen die Priester zum Zeichen, daß das Opfer willkommen ge⸗
heißen sei, etwas nehmen und den reichen Rest dem Volke überlassen. Den
Geistern der Verstorbenen werden auf dem „Marum“, dem öffentlichen
Versammlungsplatz des Dorfes, besondere Bildsäulen, hohle Baumstämme, auf die
odielfach ein Gesicht eingeritzt und ein Schädel aufgelegt ist, gesetzt. Diese haben
verschiedene, 2—3 Zoll voneinander entfernte Offnungen. Durch Schlagen mit
einem Stock lassen sich auf dieser seltsamen Trommel die verschiedensten Töne
dervorbringen. Bei allen religiösen Festen, die mit Vorliebe während des Voll⸗
mondes stattfinden, begleiten „heilige Männer“ mit dieser eigenartigen Musik
die feierlichen Tänze und sonstigen Zeichen der Verehrung, die den in der
Trommel wohnenden Geistern dargebracht werden. Außer den Geistern der Ver⸗
storbenen werden noch eine Menge Spezialgottheiten verehrt. Ein Gott schützt
das Haus, ein anderer die Quellen, ein dritter die Pflanzungen, ein vierter
den Fischfang usp. Auf Nguna besitzen die „Priester“ für jeden Gott eine
entsprechende steinerne Nachbildung?. Den offiziellen Verkehr mit der Geister⸗
1Globus XXXVIII (1880) 12. 2 Ebd. 13.
14. Die Neuhebridener.
429
welt vermitteln die Priester, die vielfach zugleich Häuptlinge sind oder sog. „hei⸗
lige Männer“, denen übernatürliche Gaben zugeschrieben werden. Einige können
Regen oder Sonnenschein verursachen, Krankheiten erzeugen oder heilen, sterben
lassen, Teufel austreiben u. dgl. Die Geister können aus dem „Bokas“ nach
Velieben auf die Erde zurückkehren und die Lebenden belästigen. Um sich gegen
sie zu schützen, trägt der Eingeborne im Armring oder dem Gürtel ein bunt—
bemaltes Zweiglein eines gewissen Baumes1.
Die Einrichtung des Tapu besteht auch auf den Neuhebriden. Belegt der
Priester oder Häuptling etwas mit dem Tapu, so ist es heilig und unantastbar.
Wird das Tapu gebrochen, so wird der Betreffende mit dem Tode befstraft;
gelingt es ihm zu entkommen, so treffen ihn sicher die Götter. Das Zeichen
des Tapu ist gewöhnlich ein an einer Stange befestigter Büschel.
Das Begräbnis ist nicht überall gleich. Auf mehreren Inseln findet es in
folgender Weise statt: Der Tote wird in eine Hülle aus Baumrinde gelegt, das
kot bemalte Gesicht unbedeckt gelassen und am nächsten Tage wird die Leiche unter
Wehklagen in das 1,8—2 m etiefe Grab bzw. in eine an der Seite befindliche
Höhlung gesetzt. In Efate werden auf dem Grabe Tiere als Opfer für den
Toten geschlachtet. Man fand daselbst auch große Steinhaufen, die über den
Gräbern der verstorbenen Häuptlinge errichtet worden waren?. Auf mehreren
Inseln herrschte früher die Sitte, beim Tode eines Häuptlings dessen Weiber
zu erdrosseln, damit sie ihm auch in der andern Welt dienen könnten. Stets
drängten sich die Witwen dazu, so zu sterben, ja häufig töteten sie auch noch
Verwandte des Verstorbenen auf dieselbe Weise. Der Tote geht, wenn er
rechtschaffen gewesen, in das schöne Land im Westen, wo er Tabak raucht,
Brotfrucht, Yams und Kawa genießt. Die Geizhälse und Mörder werden,
wie schon bemerkt, in der andern Welt streng bestrafts.
Der Missionär Gautret 8. M.“ schildert in einem Briefe vom 1. August
1888, wie er zusehen mußte, daß man bei Port Olry auf Espiritu Santo
eine Witwe beim Tode ihres Mannes erdrosselte. Ein alter Häuptling war
gestorben; die Leiche wurde in Asche gehüllt, um sie für das Begräbnis auf—
zubewahren, das einige Wochen später unter feierlichen Zeremonien stattfinden
sollte. Er hinterließ eine Witwe, die ebenso alt war als er. Diese arme Witwe
wurde auf Grund des Herkommens gezwungen, sich im Jenseits wieder mit
ihrem Manne zu vereinigen; um ihr zu dieser schrecklichen Reise behilflich zu
sein, bereitete man schon einen Strick, der ihr um den Hals gelegt werden sollte.
Der Missionär unterließ nichts, um die arme Frau zu retten; aber es war um—
sonst; alles, was er erreichen konnte, war, daß ihm der neue Häuptling ver—
sbrach, es solle das letzte Mal sein, daß man etwas derartiges tue; der religiöse
Bebrauch verlange das unerbittlich. Doch gelang es dem Missionär, die Frau
kurz im Notwendigsten zu unterrichten und dann zu taufen. Am bestimmten
Tage wurde ein großes Fest gefeiert, und am Ende desselben erschien die Frau
mit einem Kranz von Blumen auf dem Kopf, das Gesicht auf der einen Seite
Ebd. 14. 2 PElkington, The savage South Seas 146.
s Vgl. Verhandlungen des Vereins für naturwissenschaftliche Unterhaltung in Ham⸗
burg BdiIV (Ottober 1877).
Annales des Missions de l'Océanie VIII 599.
430
Fünfter Teil. Australien und Ozeanien.
rot, auf der andern schwarz bemalt; um die Lenden trug sie eine Art Taschen⸗
tuch; der ganze Leib war mit Fett und Ol beschmiert; am Halse, an Armen
und Beinen war sie mit Perlen behängt. Mit den beiden auf der Brust ge⸗
kreuzten Händen hielt sie eine Keule und eine europäische Axt. Dann taufte
der Missionär die Frau und wies sie auf die bessere Welt hin, in der einem
jeden nach Gerechtigkeit vergolten wird. Nun wurde sie erdrosselt. Wenige
Tage später vernahm der Missionär, daß man bei einem benachbarten Stamme
drei Frauen auf dem Grabe eines Häuptlings in ähnlicher Weise erdrosselt habe—
Auf mehreren Inseln bestand die scheußliche Siite, sich der alten Leute durch
Lebendigbegraben zu entledigen. In Malekula (Mallikolo) hat sich dieser Brauch
dis in die neueste Zeit erhalten. Der schon erwähnte englische Reisende Elkington
jat eingehend geschildert, wie grausam es dabei hergeht. Sobald ein Mann oder
eine Frau Zeichen von Altersschwäche gab, teilte ihm (ihr) der nächstälteste Ver⸗
wvandte mit, seine (ihre) Zeit sei abgelaufen und er (sie) werde an dem und dem
Tage begraben werden. Am bestimmten Tage wurde ein Grab ausgehöhlt und
der alte Mann in Gegenwart einer großen Volksmenge zum Grabe geführt
oder, wenn er zum Gehen zu schwach war, getragen, der Länge nach in dasselbe
hineingelegt und unter Absingung von Zauberformeln mit Erde, die man mit
Händen hineinschaufelt, bis zur Höhe des Bodens zugedeckt. Dann beginnt
ein Fest, das für viele den wichtigsten Teil der Zeremonie bildet. Hier und
da hatte der begrabene Mann noch Kraft genug, die über ihn geschüttete Erde
zu entfernen und sich aus dem Grabe zu erheben. Er suchte dann am Fesi
teilzunehmen, aber er wurde von den andern als tot betrachtet, und niemand
gab ihm Nahrung. Hatte er noch Kraft genug, sich selbst Speise zu verschaffen,
so wurde er zum zweiten- oder drittenmal wieder begraben, bis er schließlich
vor Erschöpfung liegen blieb und starb. War einer so stark und zäh, daß er
sich immer wieder herausarbeitete, so wurde er schließlich erdrosselt und dann
hegraben. Denn nachdem einmal das Todesurteil über ihn ausgesprochen wurde,
muß dasselbe ausgeführt werden; er ist von da an ein toter Mann und nichts
mehr kann ihn retten. Sobald er begraben ist, wird sein Eigentum unter die
Dorfbewohner verteilt, so daß er, wenn er wieder auferstände, ein Wanderer
ohne Heim wäre, mit dem niemand mehr etwas zu tun haben wollte. Es
nuß allerdings bemerkt werden, daß die Bewohner von Malekula die wildesten
Neuhebridener sind. Da Zaubersprüche am Grabe des Unglücklichen gesungen
werden, so vermuten wir, daß dieser abscheulichen Sitte gewisse abergläubische
Ansichten zu Grunde liegen, die aber nicht näher angegeben werden.
Weil die Sitten und Gebräuche nicht auf allen Hebriden vollständig gleich
sind, lassen wir noch einige Notizen über die Insel Malo folgen, die wir dem
Berichte des Missionärs AUfred Deniau aus der Kongregalion der Maristen
entnehmen. Dieser Bericht ist deshalb sehr lehrreich, weil er uns wieder an
einem konkreten Beispiele zeigt, wie äußerst schwer es ist, die religiösen An⸗
schauungen vieler Naturvölker genau kennen zu lernen. Deniau hatte schon im
Jahre 1889, nicht lange nach seiner Ankunft auf der Insel, einen Bericht über
die religiösen Ansichten der Maloer? veröffentlicht. Aber spätere langjährigk
The savage South Seas 146. 2 Missions catholiques 1889. 332 ff.
14. Die Neuhebridener.
431
Beobachtungen überzeugten ihn, daß in seiner ersten Darstellung sich mancherlei
Ungenauigkeiten und Schiefheiten eingeschlichen hatten. Er verfaßte deshalb im
Jahre 1901 einen neuen Bericht, der den früheren in manchen Punkten richtig
iellt und dem wir die folgenden Angaben eninehmen 1.
Malo ist der Name, den die Europäer aufbrachten; die Eingebornen nennen
hre Insel A-Mabo und sich selbst Ta-Mabo (M'abo), d. h. Nachkommen des
Rabo. Mabo war der Sohn des Lote, der von einem Lande namens Ure
am. Lote erhielt eines Tages einen Besuch von zwei Weißen, die seine Frau
im Ärger in einen Stein verwandelten. Er blieb nun lange Witwer, erhielt
dann aber einen Sohn auf eine Weise, die die Eingebornen, wie sie sagen,
naͤher zu bezeichnen sich schämen. Dieser Sohn hieß Mabo (AM'abo). Infolge
don Kriegen verließen die Nachkommen Lotes Ure, zogen zuerst nach Malakka,
dann nach Sumatra und gelangten endlich nach der Insel, die sie heute be—
wohnen. Die Maloer waren alle Nachkommen des Mabo, nur ihre Sklaven
varen Äthiopier. Solange sie zahlreich waren, bewahrten sie den Kult des
höchsten Gottes Taar, den sie von ihrem Stammvater Mabo erhalten hatten.
Spater aber, als sie nur mehr gering an Zahl waren, nahmen sie die Töchter
der Athiopier zu Frauen und erlaubten diesen, die Geister und die Seelen der
Ahnen zu verehren, ja nahmen selbst diese Verehrung an, obwohl sie am Kult
es einzigen höchsten Gottes Taar festhielten. Heute hat die Verehrung der
Beister und der Seelen der Ahnen den Kult des einen höchsten Gottes fast ganz
erdrängt. Nur wenige Familien erweisen dem Taar im geheimen noch einen
dun wahrend sie öffentlich sich an der Verehrung der Geister und der Ahnen
eiligen.
Der Glaube an das Dasein eines höchsten Gottes hat sich
aber noch erhalten. Die Malder nennen ihn Taar. Er hat den Himmel,
die Erde, die Menschen und alle Dinge geschaffen. Er hat auch Geister ge—
dafen, d. h. körperlose Wesen, denen er die Sorge für diese Welt anvertraute,
a er zu erhaben ist, um sich mit derselben zu befassen. Diese Geister sind die
derren der Elemente, sie verfügen nach ihrem Willen über den Regen, die Sonne,
die Winde usw., und deshalb muß jeder zu ihnen beten. Sie haben aber nicht
ille dieselben Funktionen, jeder hak seine eigene Sphäre, in der er absoluter
derr ist; der eine hat die Sorge für dieses oder jenes Eigentum, für diese oder
ene Familie oder für einen Distrikt, einen Stamm, ein Dorf, einen Teil des
Neeres usw. Die einen wohnen auf einer kleinen Insel, die andern auf einem
Felsen, an einem heiligen Orte oder im Leibe eines Haifisches, einer roten
Schlange, in einem Baum usw. Die Maloer hören, wie sie sagen, diese Geister
uweilen, können sie aber nicht sehen außer in der Gestalt der genannten Tiere.
Sie schreiben ihnen alle Übel zu und rufen sie deshalb an, bringen ihnen Gaben
und Opfer dar.
Sie glauben an das Fortleben der Seelen der Ahnen, die sie in
wei Klaffen einteilen: die guten und die bösen. Die guten Seelen wohnen
m Himmel, von wo sie zuweilen ausgesandt werden, um ihre Verwandten
auf Erden zu mahnen, ihnen zu raten und zu helfen und sie zu belohnen.
Ebd. 1901, 809 ff.
132
Fuͤnfter Teil. Australien und Ozeanien.
Die bösen Seelen wohnen mitten in einem Feuer, in dem sie von den bösen
Geistern gequält werden, und das sie nur auf Grund besonderer Erlaubnis
berlassen, um auf Erden diejenigen zu strafen, die ihren Verwandten schaden.
Die bösen Seelen sind nur die Seelen der Feinde ihres Stammes und besonders
die Malekula. Diese Seelen erscheinen ihnen zuweilen, wie sie sagen, und richten
drohende Worte an sie. Die guten Seelen hingegen sind die Seelen ihrer Ver⸗
wandten, ihrer Freunde und ihrer Häuptlinge. Sie erscheinen ihnen mit ihrem
früheren freundlichen Gesicht, geben ihnen Ratschläge, offenbaren ihnen manches
oder tadeln sie zuweilen in Güte zu ihrem Nutzen. Zuweilen teilen sich diese
Seelen den Ihrigen mit durch Vermittlung des „heiligen Beters“; andere Male
oerstecken sie sich in einem hohlen Baum oder in einer Statue an einem bekannten
Platz und reden im geheimen zu ihnen.
Dieser Glaube hat manche gute Wirkung für die Eingebornen, so z. B.
verhindert die Furcht vor dem Geiste, der ein bestimmtes Eigentum oder eine
Familie beschützt, und ebenso die Furcht vor Krankheit wegen Übertretung eines
Verbotes oft eine böse Handlung. Der Missionär erzählt, er habe einst einen
Knaben auf einer Lüge ertappt, und als er ihn endlich zum Geständnis seines
Fehlers vermochte, habe der Kleine unter Tränen Besserung versprochen und ge
standen, Taar bestrafe die bösen Kinder, indem er ihnen einen bösen Geist
sende und sie nach dem Tode mit den Malekula ins Feuer werfe; die guten
aber belohne er, indem er ihnen durch einen guten Geist Bananen und Zucker⸗
rohr verschaffe und sie nach dem Tode zu sich in den Himmel nehme!.
Mit ihren Opfern verbinden die Maloer stets einige Anrufungen nach einem
bestimmten Ritus, und gewöhnlich bedienen sie sich hierzu der Vermittlung ihret
Priester, die „heilige Beter“ heißen. Dem höchsten Gott, Taar, bringen, wie
schon bemerkt, nur wenige Familien noch im geheimen Opfer dar und die dabei
üblichen Gebete werden nicht von einem „heiligen Beter“, sondern vom Familien⸗
haupte verrichtet. Diese Opfer bestehen in Schweinen, Ignamen, Taro usw.
und werden nicht unter die Opfernden verteilt, sondern ganz durch das Feuer
berbrannt. Die das Opfer begleitenden Gebete beweisen, daß sie von Taat
Erhörung hoffen und glauben, Leben und Tod komme von ihm. Viel zahl
reicher sind die Opfer für die Geister bei bestimmten Gelegenheiten. Handelt
es sich z. B. um eine Reise auf dem Meere, so bringt man dem „heiligen
Beter“ ein männliches Schwein, eine Igname und eine Kawawurzel und legt
sie zu seinen Füßen hin mit der Frage, ob ihr Vorhaben dem Meergeiste au⸗
genehm sei. Der Beter streckt seine Hände über die Opfer aus, nimmt eine
Kawawurzel, kaut sie und legt sie auf eine Platte und gießt etwas Wasser
darüber, um sie aufzulösen. Dann trinkt er eine Tasse Kawa, gießt eine zweite
äber die Opfer, um sie zu heiligen. Nun müssen sich alle, die an der Reise
zeilnehmen wollen, der Reihe nach ihm nähern und er gießt aus einer Tasse Kawa
auf ihre Stirne, ihre Schultern und ihre Knie. Hierauf bleibt er einige Zeit
schweigsam und gesammelt wie in Betrachtung versunken. Endlich stößt er einen
Seufzer aus und gibt das Orakel. Wenn er die Reise anrät, fügt er hinzu:
Missions catholiques 1901, 311. Nach dieser Angabe gehören also nicht bloß
Feinde der Maloer zu den bösen Geistern, sondern auch Angehörige des eigenen Slammes.
14. Die Neuhebriden.
133
„Zuvor aber geht hin und bringt am Ufer dem Meergeiste Opfer dar.“ Droht
auf der Reise eine Gefahr, zeigt sich z. B. ein Haifisch in der Nähe, so fleht
man wieder zum Meergeist und bringt ihm Opfer dar. Wird die Piroge um⸗
geworfen, so daß man sich nur durch Schwimmen reiten kann, ergreift der
oberste Häuptling einen der ins Meer Geworfenen, tötet ihn und bringt ihn
als Opfer dem Meergeiste dar mit den Worten: „Du willst ein Opfer, hier hast
du es, fordere keines mehr.“
Auch den Seelen der Ahnen werden Opfer gebracht, öffentliche durch
Vermittlung des heiligen Beters auf dem Altar des Stammes, private in den
Familien auf dem Familienaltar. Die öffentlichen Opfer bestanden früher in
zwei Fällen in Menschenopfern, nämlich bei einem Schiffbruch, wie oben bemerkt,
und im Kriege, wenn man sich der Leiche eines Feindes bemächtigen konnte.
Die Leiche wurde zuerst in der unwürdigsten Weise beschimpft, dann auf einen
Altar gelegt und den Seelen der Ahnen geopfert, um ihnen zu danken und
hre fernere Hilfe anzuflehen. Schließlich wurde sie in Stücke zerschnitten und
anter die Sieger, die Häuptlinge und die Greise der benachbarten Stämme
derteilt, die sich bei Annahme der Gabe verpflichteten, den Gebern im Falle eines
Rachekrieges Hilfe zu leisten.
Da die Maloer an unzählige Geister glauben und alle Übel ihnen zu—
schreiben, so darf es nicht wundern, daß das Zauber- und Hexenwesen bei ihnen
in hoher Blüte steht. Es gibt Zauberer, die über Wind und Regen gebieten,
olche, die reichen Fischfang oder Ernte verschaffen, und solche, die die Krank—
deiten heilen können; ihre Kunststücke sind aber stets mit Gaben und Opfern
für die Geister und abgeschiedenen Seelen verbunden; andere Zauberer verstehen
S. Krankheiten und Tod zu verursachen; auch an Wahrsagern fehlt es nicht!.
Der Charakter der Maloer ist in mancher Beziehung lobenswert. Sie sind
uvorkommend, liebenswürdig und dienstfertig; allerdings erwarten sie für ihre
Dienste ein bißchen Tabak, doch bitten sie nie um etwas. Sie sind sehr milde,
intelligent, haben lebhafte Phantasie und bilderreiche Sprache. Sie lieben das
Wohlleben und das Nichtstun; der Hunger treibt sie nicht zur Arbeit, da ihnen
die Insel ohne Arbeit die nötige Nahrung liefert. Große Fehler sind ihre Ver—
tellung, ihr Hang zur Lüge und besonders ihre Rachsucht; ein erlittenes Unrecht
ergessen sie nie, und bei günstiger Gelegenheit kommt die Rache.
In sozialer Beziehung scheiden sich die Maloer in Herren, Vornehme,
Peebejer und Habenichtse?. Eigentliche Oberhäupter mit erworbener oder erb⸗
icher Macht gibt es nicht. Die Herren haben nur einen Ehrenvorrang,
den man aber mißachten kann und oft mißachtet. Es gibt drei Klassen von
HDerren. Zur ersten und höchsten Klasse gehören die, welche 1000, zur zweiten
die, welche 300, und zur dritten die, welche 400 kleine männliche Schweine
den Seelen der Ahnen geopfert haben. Den Herren der zweiten und dritten
dlasse verweigert man zuweilen die Unterwerfung, nie aber denen der ersten
clase, weil man annimmt, daß die Seelen aller ihrer ehemaligen Häuptlinge
ind alle herrschenden Geister des Stammes in ihnen wohnen. Die verschiedenen
Klassen von Herren haben ihre besondern Abzeichen. Die Vornehmen
—
àBgl. Missions catholiques 1901, 316 332 ff. 2 Ebd. 347.
Tathrein, Die Einbeit d. sittl. Bewußtseins. LUI. 28
134
Fünfter Teil. Australien und Ozeanien.
Adeligen) sind die, welche 30 —200 kleine männliche Schweine den Ahnen ge⸗
opfert haben; auch sie werden in drei Klassen eingeteilt, je nach der Zahl der
geopferten Schweine. Die Plebejer haben einige Schweine geopfert, aber nicht
50, und sind deshalb von der Aristokratie ausgeschlossen. Die Habenichtse
endlich, die Parias, haben keine Schweine geopfert und sind deshalb selbst von
den Plebejern ausgeschieden. Ein Maloer, der lange außerhalb der Insel bei
Weißen gearbeitet hat, verliert seinen Ehrentitel, wird, wenn er heim kommt,
einer aus der Kategorie der Parias und kann sich nur durch Schweineopfer
wieder zu einer höheren Klasse emporarbeiten.
Von den Gebräuchen der Maloer seien noch folgende erwähnt. Sie haben
eine Art Taufe. Am zehnten Tage nach der Geburt tragen Vater und Mutter
das Kind an einen Fluß, tauchen es in das Wasser, um es so durch ein erstes
Bad zu reinigen, und geben ihm dann einen Namen, den es fortan tragen
muß. Dieser Name ist z. B. der Name des Großvaters, der fortan sein Be⸗
schützer sein wird und dem es sich stets anempfehlen muß. Dann wird dem
Beschützer des Kindes ein Opfer dargebracht, das man unter die anwesenden
Frauen verteilt. Beschneidung ist nicht üblich. Sonderbar ist, daß Bruder
und Schwester nie zusammen essen, miteinander reden oder in Gesellschaft zu⸗
sammen sind. Findet sich die Schwester in einer Gesellschaft und der Bruder
sommt hinzu, so muß sie davonlaufen oder, wenn das nicht möglich ist, sich
in einiger Entfernung auf die Fersen setzen und dem Bruder den Rücken zu⸗
kehren. Müssen Bruder und Schwester einmal miteinander verhandeln, so ge⸗
schieht es immer durch eine Mittelsperson. Alle Vettern und Basen nennen
sich Brüder und Schwestern, fügen aber dem Wort Bruder oder Schwester
ein Beiwort hinzu. Die Kinder zweier Brüder dürfen nie einander heiraten,
wie entfernt sie auch verwandt seien; die Kinder eines Bruders und einer
Schwester dagegen dürfen untereinander Ehen eingehen. Die Mädchen können
früh verlobt werden, selbst schon einige Tage nach der Geburt und obwohl der,
mit dem sie verlobt werden, schon 20 oder 285 Jahre alt ist. Doch folgt die
Ehe nicht immer der Verlobung. Das Mädchen wird nie um seine Einwilligung
gefragt; ohne sein Wissen verkauft es der Vater. Die Heirat ist für den Mann
nur der Kauf einer Sklavin, deren Eigentum er erwerben will. Die Frau hat
die meisten Arbeiten zu leisten und sie wird nahezu ohne Ehrenbezeigung begraben.
Fast nur die Herren haben mehrere Frauen.
Wird der Mann krank, so pflegen ihn seine Frau und seine Freunde
einige Zeit und gebrauchen außer einigen Heilmitteln verschiedene Zaubereien;
hält man ihn aber für verloren, so läßt man ihn im Stich und leistet ihm
schließlich den Dienst, seinen Tod zu beschleunigen. Ist der Verstorbene kein
Häuptling, so beweint man ihn einen Tag lang, begräbt ihn dann und totet
und ißt seine Schweine zu seiner Ehre. Seine Frau zieht in das Haus des
älteren Bruders ihres Mannes und gehört fortan ihm an. Viel feierlicher ist
das Begräbnis eines „Herrn“. Die Leiche bleibt einen Tag lang in seinem
Hause ausgestellt. Alle Leute seines Stammes sitzen um sie herum und schreien,
daß es einem das Herz zerreißen könnte. Nur drei Angestellte bleiben stehen
und haben die Aufgabe, die Beileidsbezeigungen und die Geschenke in Empfang
zu nehmen. Nach der Beerdigung bleiben alle Bewohner acht Tage beim Grabe;
15. Die Banksinsulaner.
4835
Tag und Nacht erschallen die Klagerufe und das Geheul der Männer und
Weiber. Wahrend der Zeit wird von allen fast absolutes Fasten beobachtet;
niemand spricht ein Wort, alle tragen Trauer zur Schau und pflücken die Kokos—
nüsse, die zu Tausenden an der Türe des Verstorbenen aufgehäuft werden. Am
achten Tage kommen alle befreundeten Stämme zusammen, um das Reinigungs—
mahl zu halten und die Kokosnüsse zu essen, die vor der Verteilung durch den
heiligen Beter gesegnet und mit Weihwasser besprengt werden. Am zehnten
Tage findet in Gegenwart derselben Stämme eine schreckliche Zeremonie statt.
Die Witwen des verstorbenen Herrn schreiten schweigend und traurig mit gesenkten
Augen vor. Jede von ihnen geht zu dem für sie bestimmten Galgen; der Henker
bdindet sie an den Galgen und erhebt dann die eine nach der andern zu einer
bestimmten Höhe und erdrosselt sie. Man hört keine Klage der Opfer und kein
Murren der Menge. Junge Männer holen nun die Leichen und begraben sie
neben der Leiche des Herrn. Darauf wird auf dem öffentlichen Platz ein un—
geheures Opfer dargebracht; man opfert den Seelen der Ahnen zur Ehre des
Verstorbenen alle Schweine, die er hinterlassen, ferner alle Lebensmittel, die man
hat zusammenbringen können, und verteilt alles das unter die Versammelten.
Die allgemeine Trauer dauert zwei oder sechs Monate oder ein Jahr, je nach
—WWrr—
15. Die Banksinsulaner.
„. Die Banksinseln liegen nördlich von den Neuhebriden, um den 13.0 s. Br.
über eine der Inseln der Banksgruppe, die Insel Mota, besitzen wir eingehende
und genaue Schilderungen von dem englischen Missionär Rev. Codrington,
die er im Journal der Anthropologischen Gesellschaft zu London veröffentlicht
hat. Einen ausführlichen Auszug aus diesen Berichten gibt M. Eckardt im
„Globus“2, zugleich mit Nachrichten, die er von andern erhalten hat. Mit
Recht sagt Eckardt mit Bezug auf Codrington: „Nur selten hat ein Fremder
solche Gelegenheit, in das innerste Volksleben zu dringen, als gerade der Mis—
sionär, und selbst ihm gelingt es nur in besondern Fällen, Auskunft über
religiöse und sonstige geheime Gebräuche zu erhalten; denn abgesehen von der
angenauen Kenntnis der Sprache ist die gegebene Mitteilung in den meisten
Fallen sehr lückenhaft, nicht etwa aus bösem Willen, sondern einfach, weil der
kingeborne selber den eigentlichen Sinn jener alten Gebräuche nicht kennt und
dieselben lediglich, weil es schon seine Eltern so getan, mitmacht. Die wenigen
Wissenden bewahren das Geheimnis und vererben dasselbe auf den Sohn oder
nehmen es mit ins Grab. Dazu kommt die wachsende Macht der Zivilisation,
und es ist nicht zu verwundern, daß viele Gebräuche und Einrichtungen ihres
deheimnisvollen Charakters jetzt völlig entkleidet sind und lediglich zur Be—
lustigung, könnte man sagen, dienen. Speziell ist das auch bei der Mehrzahl
der im nachfolgenden geschilderten Anschauungen und Einrichtungen der Fall,
da die Bewohner Motas zum Teil Christen, zum Teil vom Christentum beein⸗
lußt sind.
— —
1Missions catholiques 1901, 859. 2 XL (1881) 366 ff.
28*
136
Funfter Teil. Auftralien und Ozeanien.
Obwohl die Bewohner der Banksgruppe verschiedene Dialekte reden, so ver⸗
bindet doch alle ein gemeinsames Band, nämlich ihre Einteilung in zwei große
Familien, auf Mota veve, d. h. Mutter, genannt. Jeden Angehörigen der⸗
selben Familie bezeichnet man mit dem Namen sogoi und sagt von ihm: „Die
Mutter ist eine.“ Die Kinder gehören der Familie an, aus der die Mutter
tammt, die Kinder der Schwester des Mannes dagegen sind dessen nächste
Verwandte, sie setzen sozusagen seine Familie fort. Diejenigen derselben vove
nennt man: „auf einer Seite des Hauses“, diejenigen der andern: „auf der
andern Seite des Hauses“. Ein Mann muß stets eine Angehörige der andern
Seite des Hauses, d. h. der andern Familie, heiraten; zwar kommt das Weib
dann nicht direkt auf seine Seite resp. in seine veve, nähert sich jedoch der⸗
elben, und alsdann bezeichnet man ihre Stellung als „an der Türe“. Auf
Mota zergliedern sich die Familien wieder in je vier Zweige und diese wieder
in mehrere Unterabteilungen, die genau voneinander unterschieden werden. Die
inzelnen Abteilungen haben vielfach ein gemeinsames Geschlechtswappen, wie
nan es nennen könnte, oder ein Kennzeichen, meistens ein Tier. Mit diesen
Tieren wähnen sie sich in gewissem Zusammenhang. Ein solches Objekt, sei es
eine Eidechse, Schlange oder gar ein Haifisch, hat den Namen tamaniu, d.h.
Bleichheit. Man füttert übrigens das Tier nicht, verehrt es auch nicht, nur sucht
man es vor Schaden zu behüten; denn das Leben ist eng mit ihm verbunden.
Erkrankt es oder verschwindet es von seinem gewohnten Aufenthaltsort, so wird
auch ein Mensch erkranken; stirbt es, so stirbt auch ein Mensch. Bei allen Er⸗
krankungen wird daher zuerst nach dem tamaniu gesehen. Das einmal erwählte
Tier bleibt auch den Nachkommen eigentümlich. So kommt es, daß diese kurz
sagen: Wir stammen von der Eidechse usw. Es gleicht diese Auffassung dem
Totem der Indianer Nordamerikas, dem Kubong der Australier, dem Kalid der
Bewohner der Palau-Inseln usw.“
GBrundbesitz wird niemals veräußert. Stets vererbt sich das Landstück
auf die Verwandten „derselben Seite des Hauses“, d. h. auf die Kinder der
Schwester, doch erwerben in der Regel die Söhne des Verstorbenen dasselbe
durch Zahlung einer Abstandssumme an Muschelgeld, Schweinen u. dgl. Oft
gehören einzelne auf dem bepflanzten Land stehende Palmen einem Fremden,
ind es wird dann streng darauf gehalten, daß deren Ertrag ausschließlich diesem
zufalle. Erstgeburt hat keinerlei Vorzug. Sind keine männlichen Nachkommen
gorhanden, so fällt die Hinterlassenschaft den Töchtern zu. Vor dem Tode be⸗
timmt der Mann genau, was seinen Kindern zukommen soll bzw. was diese
eventuell dem rechtmäßigen Erben, d. h. den Kindern seiner Schwester, geben
müssen.
Nach der Geburt eines Kindes dürfen die Eltern weder Fleisch noch Fisch
essen, damit das Kind nicht erkranke. Der Kindermord wird allgemein geübt,
sowohl vor als nach der Geburt. Oft veranlaßt ihn eine Beleidigung der Frau
durch den Gatten, oft'auch die Eitelkeit; die Frau liebt es nämlich, möglichst
lange als Jungfrau angesehen zu werden. Ist das Kind ein Mädchen, so hat
es mehr Aussicht, am Leben zu bleiben, da es gewissermaßen die Stammhalterin
1Globus XL 366.
15. Die Banksinsulaner.
437
der Familie ist. Wird der Knabe mannbar, so verläßt er in der Nacht stets die
elterliche Hütte, um im Gamal, dem Gemeindehaus, zu schlafen. Das Mädchen
wird streng gehütet und nie allein sich selbst überlassen. Es ist daher nicht
ungewöhnlich, daß es bis zur Heirat keusch bleibt. Ehebruch gibt dem be—
leidigten Gatten das Recht, das Weib und den Verführer, wo er ihn findet,
zu töten. Wie erwähnt, darf nie eine Heirat zwischen Mitgliedern derselben
veve stattfinden; geschähe dies dennoch, so würde das Besitztum dieser Eheleute
der Rache des Volkes anheimfallen, die Pflanzungen würden zerstört, die Schweine
getötet werden. Derselbe Gebrauch herrscht auf den Fidschi-Inseln.
Jede Heirat wird durch die Verwandten zustande gebracht. Dem Vater
der Erkorenen gibt man eine Summe oder ein Geschenk als Abschlagszahlung.
Weitere Zeremonien finden nicht statt, doch wird der Hochzeitsschmaus nur selten
vergessen. Erst nach dem Fest gehört die Braut als Frau dem Manne. Im
allgemeinen nimmt der Mann zwei Frauen, doch richtet sich die Zahl nach dem
Vermögen des Mannes. Polhyandrie existiert nur selten, nie unter jungen Leuten.
Bei der Witwenschaft ist es eine Art Übereinkommen, daß zwei Witwer mit
einer Witwe leben. Im Fall der Ehescheidung muß der Vater der Frau die ihm
geleistete Abfindungssumme zurückzahlen, sobald er von einem neuen Schwieger⸗
sohne eine solche erhältꝛ1. Niemals spricht der Mann den Namen seines
Schwiegerbaters aus, vermeidet es im Verkehr, über dessen Haupt befindliche
Gegenstände herabzunehmen oder über die Beine des etwa Ruhenden zu steigen,
doch gehen beide gemeinschaftlich den Arbeiten nach. Die Schwiegermutter da—
degen wird möglichst gemieden, wie sie auch selbst es meidet, den Schwiegersohn
anzusehen. — Sterben die Eltern, so werden die etwa hinterlassenen kleinen
Kinder anderweitig adoptiert; geschieht dies in den ersten Lebensjahren, so werden
dieselben in alle Rechte der neuen Familie eingesetzt; sind sie jedoch älter, so
verden die natürlichen Bande wie auch das Erbrecht in gewohnter Weise auf⸗
recht erhalten.
Allgemein ist der Brauch, unheilbar kranke oder in hohem Alter stehende
Personen lebendig zu begraben. Dies geschieht teils aus Mitleid, um die
Kranken von ihrer Pein, die Schwachen aus ihrer Hilflosigkeit zu erlösen, teils
aber auch, weil man müde ist, dieselben zu pflegen2.
Der Glaube an eine zahlreiche Geisterwelt ist allgemein. Auf den
Vanksinseln unterscheidet man übrigens wohl die Geister oder Seelen der
Verstorbenen (tamato) von den Gespenstern, unkörperlichen Wesen, die
niemals menschliche Gestalt gehabt haben und vui heißen. Sobald die Seele
den Körper verlassen hat, beginnt sie ihre Wanderung. Anfangs entfernt sie
sich nicht weit und kann noch mit vereinten Kräften zurückgerufen werden. Die
dinterbliebenen rufen daher mit lauter Stimme den Namen des Sterbenden
oder Toten, in der Hoffnung, die Seele werde zurückkehren. Der Leichnam wird
am Todestage oder dem darauffolgenden Tage begraben. Nach fünf Tagen
beginnen die Hinterbliebenen laut zu schreien und die Muschelhörner zu be—
arbeiten, um den tamate, in den sich die Seele nunmehr verwandelt, zu ver⸗
scheuchen. Der gemeinsame Aufenthaltsort der Toten ist Panoi, zu dem
iEbd. 367. 2 Ebd.
138
Fünfter Teil. Australien und Ozeanien.
nehrere Zugänge auf den verschiedenen Inseln führen. Ob sie dort für ewige
Zeiten oder nur für kürzere Dauer bleiben, ist zweifelhaft; nach einigen kommt
die Seele nach einiger Zeit an einen andern Ort, an dem sie in verjüngter
körperlicher Gestalt weiterlebt. Zum zweitenmal alt geworden, verwandelt sie
sich in die schwarzen, runzeligen Massen, die sich an die Stämme der Bäume
jängen und die Nester der weißen Ameisen bilden. Panoi gleicht im Äußern
der Erde, es sind Wälder und Hütten dort, alles ist jedoch körperlos, besteht
gewissermaßen aus Nebel. Das Leben dort entbehrt zahlreicher Annehmlichkeiten
und ist völlig plan- und zwecklos. Die Geister verkehren miteinander, bleiben
jedoch sämtlich ledig. Im allgemeinen fürchtet man deshalb dieses Jenseits.
Ob jemand gut oder böse im Leben war, ist für seinen Aufenthalt in der
Schattenwelt gleichgültig; der Arme wird jedoch belohnt, der geizige
Reiche dagegen durch mancherlei Dinge gestraft. Er muß Kot
essen, wird über spitze Steine geschleppt usp.“ Eine besondere Bevor—⸗
zugung wird jungen Leuten zu teil, die unter schwierigen Ver—
hältnissen die Keuschheit bewahrt haben?. Die Seelen der Ver—⸗
dorbenen kehren in dunklen Nächten auf die Heimatinsel zurück, um herumzu⸗
schweifen und den Lebenden Schaden zuzufügen. Zuweilen hört man sie pfeifen
und schreien. Keiner ist sicher, daß nicht ein wandernder Geist in ihn hinein⸗
ährt. Übernatürliche Stärke und Behendigkeit verrät dies. Man ergreift dann
den Besessenen, hält ihn in den Rauch starkriechender Pflanzen und ruft die
Namen derjenigen Verstorbenen an, deren Geist man in ihm vermutet. Trifft
man den richtigen Namen, so ist der Besessene geheilt.
Die Geister, die nie Seelen waren, die Vuis, stehen auf einer höheren
Stufe. Sie sind harmlose Gespenster. Ein Eingeborner erklärte dem Missionär
Todrington den Vui mit folgenden Worten: „Er lebt, denkt, hat mehr Verstand
als ein Mensch, kennt Dinge, die geheim und unsichtbar sind, ist übernatürlich
mit Mana (geistiger Macht) ausgerüstet, hat keine Gestalt, in der er gesehen
werden könnte, und keine Seele, weil er selbst wie eine Seele ist.“ Als
Häuptling der Vuis wird Quat (Oat) sowie sein Gehilfe Marawa bezeichnet.
Quats Brüder sind sämtlich Tongaros (d. h. Gottheiten), führen jedoch einen
Beinamen. Quat war nach der Sage in Alo Sepere auf Vanua Lava ge⸗
boren. Seine Mutter war zur Zeit seiner Geburt ein Stein. Nach diesem
Erstgebornen kamen noch zwölf weitere Kinder. Über die Lebensschicksale und
Taten dieser Gottheiten wissen die Eingebornen endlose Geschichten zu erzählen.
Quat gilt als Schöpfer der Menschen. Der Mann wurde von ihm
aus Erde der morastigen Uferseite Vanua Lavas gebildet. Dann nahm er
Reiser und biegsame Gerten und flocht einen Körper mit Kopf und Gliedern.
Kaum fertig, sah er am Lächeln, daß es eine Frau seis. Ursprünglich starb
don den Menschen niemand. Alte Leute streiften einfach die Haut ab und er⸗
schienen in veriüngter Gestalt. Eine alte Frau war durch ihre Unklugheit schuld,
Eine ähnliche Anschauung haben die Bewohner der füdlichen Neuhebriden vom
Jenseits. Vgl. oben S. 428; Globus XXXVIII (1879) 12.
Aus diesen Angaben folgt, daß den Eingebornen doch nicht jede Idee einer Ver⸗
geltung von gut und böse und einer Ausgleichung im Jenseits fehli.
s Vgl. Ratzzel, Völkerkunde 12 280. Globus XL (1881) 378.
15. Die Banksinsulaner.
439
daß der Tod in die Welt kam. Nach andern war der jüngste Bruder Quats,
der Narr, schuld am Tode.
Quat lebte einst auf den Banksinseln. Später verließ er auf einem Kahn
mit den Seinigen die Insel und zog, man weiß nicht wohin, doch hofft man
stets auf seine Rückkehr. Quat und seinen Genossen wird in erster Reihe die
Macht zugeschrieben, die Elemente zu beherrschen. Ist jemand in Gefahr, so
vendet er sich sofort an den Gewaltigen. So lautet eine Bitte: „Quate! Du
und Marawa, schließet das Windloch und laßt mich einen Landungsplatz finden;
sendet mir eine sanfte Brise und leitet das Boot an einen ruhigen Ort“, und
eine andere: „Quate, Marawa! Sehet auf uns herab, besänftigt das Meer,
daß wir ruhig darübergleiten. Brecht für uns die Wellenkämme, laßt sie von
uns fortrollen und sich zum Spiegel ebnen, daß wir sicher einen Landungsplatz
rreichen!“ Auf solche Bitten hin glaubt man, daß die Gerufenen Mast und
Takelwerk fassen und aus allen Gefahren leiten würden!.
Eine besondere Art Vuis, die Nopitu-Vuis, ähneln unsern Feen, sie nehmen
gelegentlich menschliche Formen an, beschenken Redliche und Bedürftige mit Geld
und Nahrungsmitteln. Männer, denen sie ihre Gunst zugewandt, verrichten
mit ihrer Hilfe erstaunliche Taten. Ihre Anwesenheit merkt man an einem
zarten Gesang wie von Kindern. Die Orte, die man als ihren Lieblings⸗
aufenthalt kennt, sind rongo, d. h. heilig, geweiht. Alle auf solchen Plätzen sich
defindenden Steine, Bäume und Tiere sind ebenfalls rongo. Nach dem Aus—
ehen der betreffenden Objekte wird das Wesen des Geistes beurteilt. Diejenigen
Menschen, die diese Eigenschaften zu erkennen vermögen oder dies vorgeben,
gelten als Vermittler in allen Angelegenheiten, nur sie dürfen den heiligen Ort
betreten, Opfergaben entgegennehmen und dem Geiste das Anliegen vortragen.
Ein Teil des Opfers wird während des Gebetes auf den Stein gelegt, den
man mit dem Geiste verbunden glaubt. In jeder Gefahr wird neben der Hilfe
der Vuis auch die der Vorfahren und kürzlich gestorbenen Verwandten ange⸗
tufen?. Man hat ferner allerlei Zaubermittel, sowohl um sich selbst gegen
Unglück zu schützen, als auch um dem Widersacher zu schaden.
Bei Krankheiten werden die Gismana, Zauberdoktoren, herbeigerufen.
Diese wenden gegen Entgelt Beschwörungen an, saugen an dem kranken Teil,
streichen auch wohl unter Absingung einer Melodie daran herum, blasen mit
dem Munde u. dgl. Von einigen dieser Gismana glaubt man, daß ihre Seele,
ihr Atai, des Nachts den Körper verlasse, um die Seele des zuletzt Verstorbenen
u verzehren. Daß der Atai im Schlafe den Körper verlasse, um auf eigene
Faust umherzustreifen, hört man vielfach.
Die politischen Verhältnisse der Banksinseln sind ganz eigener Art.
Einen Häuptling kennt man nicht; diejenigen, die dem Fremden als solche be—
zeichnet werden, sind nur Mitglieder gewisser Rangklassen, Supwe oder Suque
genannt. Die Supwe umfaßt nur das männliche Geschlecht. Der Einfluß,
den ein jeder ausübt, richtet sich nach der Rangklasse, der er angehört. Für
jede dieser Klassen ist im Gamal, dem öffentlichen Gemeindehaus, jedes Dorfes
eine eigene, mit einem Kochofen ausgerüstete Abteilung bestimmt. Hier finden
Ebd. ⸗Ebd. 379.
440
Fünfter Teil. Australien und Ozeanien.
die gemeinsamen Versammlungen statt, in denen über die Aufnahme neuer Mit⸗
glieder beraten wird und auch die Mahlzeiten der Mitglieder eingenommen werden,
während Frauen und Kinder in ihren Hütten essen. Steigt jemand in eine
höhere Rangstufe, so muß er jedem Angehsrigen derselben eine bestimmte Summe
dezahlen. Der obersten Rangstufe gehören nur sehr wenige an, denen bedeutende
Bewalt zusteht. Sie bestimmen, wer von einer Klasse in die andere aufsteigen,
wer gänzlich ausgeschlossen werden soll. Früher war jedes Mitglied bei Geld⸗
ttrafe verpflichtet, nur im Gamal zu essen, jetzt wird das nicht mehr so genau
genommen. Unter den Frauen besteht eine ähnliche Verbindung, aber sie be—
sitzen keinen eigenen Gamal.
Das Strafrecht übt jeder auf eigene Faust aus. Glaubt sich jemand
beleidigt, so tötet er den Gegner mit einem giftigen Pfeil aus dem Hinterhalte.
Legt sich die Verwandischaft ins Mittel, so wird der Streit zuweilen unter
langen Reden und lebhaften Gesten durch eine Geldbuße beigelegt!.
Die Mitglieder der höheren Rangklassen sind in den meisten Fällen Teil—
nehmer einer Verbindung, die der Meinung des Volkes nach mit Geistern im
Verkehr steht. Alle Sitzungen derselben werden im Salogoro, einem getrennten
Platz beim Dorfe, den sonst niemand betreten darf, abgehalten. Die aufzu⸗
nehmenden Kandidaten müssen hier eine bestimmte Zahl von Tagen zubringen
und dann jedem der Glieder eine Summe Geldes zahlen. Jedem Angehörigen
des Verbandes steht es zu, das Tapu zu verhängen, d. h. dieses oder jenes
vor unberechtigten Eingriffen zu schützen. Sollen z. B. Fruchtbäume aus irgend
einem Grunde nicht ihrer Früchte beraubt, ein bestimmter Platz nicht betreten
werden, so wird auf gemeinsamen Beschluß der „Tamate“ genannten Vereinigung
von irgend einem Mitglied das Tapuzeichen, ein Blatt des Tiglibaumes, an⸗
gebracht. Die geringste Üübertretung des Verbotes wird mit Geldbuße geahndet.
Zu bestimmten Zeiten geht ein Angehöriger der Tamate aus, um die Schädel
der Gestorbenen zu sammeln, sie zu präparieren und für den Kultus zu weihen.
Eigentümliche Schreie künden Frauen und Kindern dann an, daß der Tamate
umhergehe, um Material für die bevorstehenden Zeremonien einzusammeln; die⸗
selben haben sich dann bei Todesstrafe fernzuhalten. Die männlichen Dorf⸗
hewohner müssen stets das Gewünschte hergeben2.
16. Die Fidschi⸗Insulaner.
Der Fidschi-Archipel, den die Eingebornen Viti nennen, ist eine Gruppe
von über 200 Inseln zwischen dem 15. und 25.0 südl. Br. und 177. und
175.0 östl. L. von Greenwich. Die größte Insel heißt Viti-Lepu. Die Ein⸗
wohnerzahl beläuft sich auf ca 91000. Schon Dumont d' Urvilles, der
die Inseln im Jahre 1827 erforschte, rühmt die Fidschianer als eine der
schönsten Varietäten der melanesischen Rasse. Sie sind groß, gut gewachsen und
muskulös. Am meisten fällt die rußige Hautfarbe und das krause Haar auf,
Globus XL 379. 2 Ebd. 380.
Malerische Reise um die Welt II, Leipzig 1837, 60 ff. Vgl. auch Globus X
1891) 327.
J
16. Die Fidschi⸗Insulaner.
441
das ihrem Angesicht einen wilden Ausdruck gibt. Nach dem Maristenmissionär
Deniaut, der eine Reihe von Jahren auf den Inseln lebte und im Jahre 1887
eine eingehende Schilderung der Fidschianer veröffentlichte, sind die Eingebornen
intelligent; die Bewohner der östlichen Inseln sind arbeitsam, die der westlichen,
besonders von Viti-Levu, übermäßig träge. Im allgemeinen sind sie sanft,
höflich, aber unaufrichtig und stolz.
Heute sind die Insulaner zum guten Teil Christen und etwas zivilisiert,
aber die Missionäre haben uns noch Nachrichten über die vorchristliche Zeit
hinterlassen. Die Kleidung der heidnischen Fidschianer bestand in einer Art
Gürtel, der zwischen den Beinen durchgezogen wurde. Die Frauen hüllten sich
in einen Unterrock (Liku), der vom Gürtel bis zu den Knieen reichte?. Nur die
Frauen tätowierten sich. Heute ist das Tätowieren verschwunden.
Uber ihren Ursprung wissen die Fidschianer nichts, als daß sie in großen
Doppelpirogen unter der Leitung eines Königs und großer Häuptlinge auf die
Inseln kamen. Der König hieß Degei. Wahrscheinlich kamen sie unmittelbar
don Malakka. Vor der englischen Herrschaft zerfielen die Inseln in mehrere
Königreiche, die in verschiedene Stämme geteilt waren. Jeder Stamm bestand
aus wenigstens zwölf Dörfern, an deren Spitze ebensoviele Häuptlinge standen,
die dem Oberhäuptling des ganzen Stammes unterworfen waren. Die Königs—
vürde war erblich in der königlichen Familie, aber die Frauen waren von der
Königswürde ausgeschlossen. Beim Tod des Königs folgte ihm nicht sein Sohn,
sondern der älteste Bruder. Die Söhne konnten bloß dann zur Königswürde
Jelangen, wenn sie nur noch einen einzigen Onkel hatten. Waren alle Brüder
des Königs tot, so war der älteste Sohn sein Thronerbe.
Abgesehen von den Gliedern der königlichen Familie bestanden in jedem
stöͤnigreich sechs Menschenklassen oder Matagali. Der erste Matagali
wurde von den Grundherren oder Grundeigentümern gebildet, die alle Räte des
tönigs waren und von denen jedes Familienhaupt zur Würde eines Ministers
erhoben wurde und unmittelbar auf den König folgte. Der zweite Matagali
var der der Domänenaufseher, denen die Ackersleute unterstanden. Der dritte
—X war der der Ackersleute oder Bauern, von denen einige für die Nah—
ung der königlichen Familie und die andern für den Unterhalt der königlichen
Beamten zu sorgen hatten. Der vierte Matagali bestand aus den Seeleuten
und umfaßte die eigentlichen Seeleute, welche den König und seine Familie auf
hren Seefahrten führen mußten, und aus Fischern, von denen einige die Schild—
kröten und gewisse große Fische für den König und seine Familie fingen, die
andern aber die gewöhnlichen Fische, welche für die Bauern, Zimmerleute und
alle Angestellten des Königs bestimmt waren. Der fünfte Matagali umfaßte
die Zimmerleute, die Pirogenbauer, die nur für den König nach seinen Be—
ehlen arbeiteten. Der sechste Matagali endlich bestand aus Knechten, die aus
kriegsgefangenen genommen und dem Dienste des Königs zugewiesen oder von
ihm den andern Familien geschenkt waren. Jeder Stamm hatte ein Glied der
tAnnales de la propagation de la foi LIX (1887) 34. Die Maristen wirkten
don seit Anfang der vierziger Jahre des vorigen Jahrhunderts auf den Inseln.
Ebd. 33.
442
Fünfter Teil. Australien und Ozeanien.
königlichen Familie an seiner Spitze. Jeder dieser Matagali bildete ein Dorf
»der mehrere, je nach der Zahl der Familien!.
Erst in neuerer Zeit hat man entdeckt, daß die Fidschianer ein sehr ent⸗
wickeltes eigentümliches Totemsystem besaßen. Der Maristenmissionär P. J.
de Marzan? macht darüber folgende Mitteilungen: Es gibt zwei Arten von
Totems, die Haupttotems und die Nebentotems. Die Haupttotems
Tiere oder Pflanzen) dürfen von ihren Angehörigen nicht gegessen oder zerstört
werden; sie scheinen auch mit dem Ursprung des Stammes zusammenzuhangen;
die Nebentotems dagegen dürfen unter bestimmten Bedingungen gegessen werden.
Das Haupttotem ist heute nur mehr einfach, in älteren Zeiten war es doppelt,
d. h. jeder Stamm hatte seinen Totembaum und sein Totemtier. So hatte z. B.
der Vunagumustamm den Gumu als Totembaum, den Aal (Duma) als Totem⸗
tier. Manchmal hat der Stamm seinen Namen vom Totembaum oder Totem⸗
tier, doch nicht immer. In Bezug auf das Nebentotem herrschte Verschieden⸗
heit, ein Stamm hatte vielleicht nur ein Nebentotem (z. B. die Igname), ein
anderer zwei oder gar drei.
Die Haupttotems hatten früher große Bedeutung. Sie wurden z. B. im
Kriege zu Rate gezogen und verkündeten Leben oder Tod, Erfolg oder Miß⸗
erfolg. Wenn man sich auf einen Krieg vorbereitete, so machte man ein Mahl
für den Priester (bote oder mbete) oder den Wahrsager (vontama) zurecht
oder man gab ihnen Kawa zu trinken. In der folgenden Nacht hat der Wahr⸗
sager einen Traum, in dem ihm gewöhnlich das Totem erscheint, und von der
Deutung dieses Traumes hängt es ab, ob der Krieg glücklich oder unglücklich
ausgehen wird. Für diese Haupttotems haben die Eingebornen große Ehr⸗
furcht und, wie de Marzan glaubt, eine Art Kult. Die Nebentotems darf man
war essen, aber nur unter strenger Beobachtung gewisser Zeremonien. Ein
Fremder darf von den Totems nichts essen, ja nicht einmal seinen Namen
nennen, sonst wird er geschlagen oder muß eine Buße bezahlen. Die Totems
dererben sich durch den Vater. Ob die Totems für die Heirat irgend eine
Bedeutung haben und welche, sagt de Marzan nicht.
Über die Religion der Fidschianer ist es schwer, wo nicht unmöglich,
vollständig ins klare zu kommen. Die Angaben lauten sehr verschieden, was
zum Teil daher kommt, daß fast jede Insel ihre eigenen Götter hatte. Doch
kommen alle Angaben der Missionäre darin überein, daß die Fidschianer all⸗
gemein ein höchstes, unsichtbares Wesen, den Schöpfer aller Dinge, anerkannten.
So schreibt ein Missionär: „Die Fidschianer sind mit der Idee eines Gottes
bertraut; das Dasein einer unsichtbaren, übermenschlichen Gewalt, die alles
Irdische beherrscht und auf dasselbe einen Einfluß ausübt, wird von allen voll⸗
ständig anerkannt.“s Der allgemeine Name für Gott war Kalou, ein Aus—
druck, mit dem man auch alles Große und Wunderbare bezeichnete. Der in
Fidschi am meisten bekannte und höchste Gott ist Rdengei, bon dem man aber
Annales de la propagation de la foi LIX (1887) 37-38.
Anthropos II (1907) 400 ff.
Geschichte der christlichen Missionen auf den Fidschi-Inseln, Bremen 1860, 17.
Das Buch ist ein Auszug aus der „Missionsgeschichte“ von James Calvert, der
15 Jahre auf den Fidschi⸗Inseln als Missionär zubrachte.
16. Die Fidschi-Insulaner.
443
nur unklare Ideen hatte und dem man weniger Verehrung zollte als den ihm
untergeordneten Göttern. In Rakiraki stand ein Tempel zu seinen Ehren. Von
den untergeordneten Göttern — meist neidischen, habsüchtigen und ausschweifenden
Wesen — erwähnen wir Ndandavanna, der aus dem Mittelpunkt eines großen
Steines erzeugt wurde, Rokomontu, den Sohn der Schwester Ndengeis, den
RNiesen Thangawala usw.!
„Auch nach Meinicke?, der sich auf das Zeugnis der englischen Missionäre
tützt, war Ndengei der höchste Gott, der Schöpfer und Erhalter
Aller Dinge, der im Berge Kauvandra auf Viti-Levu in Gestalt einer Schlange
ebt. Wenn er sich umdrehte, erbeble die Erde. Um die Welt kümmert er
ich nur durch Vermittlung seiner Söhne, die ihm das Vorgefallene berichten
ind den Verkehr zwischen ihm und den übrigen Göttern leiten. Diese zerfallen
nach den Missionären in vier Klassen: die allgemeinen, nationalen, Distrikts—
und Familiengötter, zu denen als eine fünfte Klasse die Götter der Unterwelt
gerechnet werden müssen. Zu den allgemeinen Göttern gehören Ndengeis Söhne,
die auf verschiedenen Inseln andere Namen führen. Zu diesen Göttern kommen
dann noch die überaus zahlreichen Kalou yalo (Seelengötter), die nach dem
Tode zu Göttern erhobenen Vornehmen, die schon oft während des Lebens sich
ils Götter betrachten, gestorben göttliche Verehrung empfangen.
Sehr abweichend von den obigen Angaben lauten die des schon genannten
b. Deniau. Er schreibts: „Die Religion der Fidschianer ist der Kult der ersten
Ahnen. Die Fidschianer erkennen ein höchstes Wesen, das dem ganzen Archipel
Jemeinsam ist. Dieser Gott war Degei, der König, von dem wir gesprochen
aben und der sein Volk nach Fidschi führte. Die Fidschianer hatten auch als
doiter zweiter Ordnung die ersten Häupter der verschiedenen Königreiche, ferner
Bötter dritter Ordnung, nämlich die Götter der Stämme oder des ersten Vaters
edes Stammes. Dann kamen die kleinen Götter, d. h. die Dorfgötter oder
er erste Vater jedes Dorfes, die Götter der Matagali oder der erste Vater
edes Matagali, die Familiengötter oder der erste Vater jeder Familie. Diese
Götter waren gut oder böse. Der Gott des Archipels, Degei, war immer gut,
benso waren aͤlle dem Archipel gemeinsamen Götter gut.“ Die andern Götter
dagegen waren ihren Königreichen, Stämmen, Matagali usw. gut, den König—
reichen, Stämmen usw. aber, mit denen jene im Kriege lagen, böse.
Da Degei oder Ndengei als der Schöpfer und Erhalter aller Dinge, auch
der Menschen, galt, kann er wohl schwerlich bloß der vergötterte Ahnherr der
Fidschianer sein.
J. Obwohl Meinecke sagt, Ndengei sei der höchste Gott der Insulaner, der
Sdopfer und Erhalter aller Dinge, fügt er“ doch in der Anmerkung bei, der
Missidnär Hunt allein erwähne einen noch über Ndengei stehenden Gott Ove,
esen Namen die späteren Missionsberichte nicht kennen. Doch erwähnt der
glische Missionär Fison diesen Gott. Nach ihm gilt Owi als der Schöpfer
der Welt und der Menschen. Neben ihm stehen verschiedene Nebengötter. unter
. 18.
2 d e des Stillen Ozeans II 37. Vgl. auch gaaut aedn De
Weltteu Australien (Das Wissen der Gegenwart Bd XI) IV, Leipzig 18ä .
Annales do la propagation de la foi LIX (1887)1 37388. a. O.
144
Fünfter Teil. Australien und Ozeanien.
denen Mainatavasara (der soeben vom Schlachten Kommende) und Batimora
(das Menschenhirn Liebende) sich durch ihre Namen charakterisieren. Auch nach
Richard Oberländer? gilt den Fidschianern als „Hauptgott Ove, der
Schöpfer aller Menschen, der im Himmel oder im Monde wohnt. Alle be—
kannten Menschenrassen stammen nach einer für die Fidschianer wenig schmeichel⸗
haften Sage von einem einzigen Paare ab. Der Erstgeborne war ein Fidschianer,
der sich aber so schlecht aufführte, daß er schwarz wurde und nur wenige Kleider
erhielt; auf diesen folgte der Tonganer, der sich schon besser aufführte und zum
dohne dafür eine hellere Gesichtsfarbe und reichlichere Kleidung bekam. —X
kam der Weiße zur Welt, der wegen seines guten Betragens von Obe mit der
lichten Farbe und mit einem Überfluß von Kleidern beschenkt wurde. Nächst
Ove ist Ndengei ... der am allgemeinsten anerkannte Gott. Vor seinem
Richterstuhle muß die Seele sofort nach dem Tode erscheinen, um gereinigt zu
werden oder ihr Urteil zu empfangen“.
Dumont d' Urvilles berichtet, nach den Fidschianern (Witiern) habe der
Gott „Onden Hi oder Onden Hei den Himmel, die Erde, alle Dinge und
alle Götter geschaffen. Man sagt auch, nach dem Tode vereinige sich die Seele
wieder mit Onden Hi“. Außerdem erwähnt er viele andere Götter und fügt
bei: „Diese Götter werden nicht durch materielle Bilder dargestellt, aber sie
haben Kapellen oder heilige Häuser, die amburo (buro) heißen und in denen
man Schweine, Bananen, Zeuge usw. darbringt. Diefe Geschenke finden bei
der Krankheit eines Verwandten oder Häuptlings statt. Bei dem Tode eines
der Ihrigen pflegen sie sich einen Finger oder eine Zehe abzuschneiden. Wenn
ein Häuptling stirbt, werden mehrere seiner Frauen auf seinem Grabe gelötet.
Angesichts dieser verschiedenen und sich teilweise widersprechenden Angaben ist
es kaum möglich, ein klares Bild von der heidnischen Religion der Fidschianer
zu gewinnen. Darin stimmen aber alle Berichte überein, daß sie ein höchstes
Wesen, den Schöpfer und Herrn aller Dinge, anerkannten.
„Die Fidschianer“, berichte Deniau“, „glaubten an die Unsterblichkeit
der Seele, die sie Yalo nannten. Nach diesem Leben wurden die Seelen
je nach ihren Werken belohnt oder bestraft, hatten sie eine schöne
Wohnung in den elhseischen Feldern oder blieben entehrt in der Hölle. Nach
den Fidschiern kamen die Seelen der Toten oft auf die Erde zurück. Die ge⸗
rechten Seelen, die mit ihren Verwandten zufrieden waren, kamen, um ihnen
gute Ratschläge zu erteilen und sie zu beschützen, die Seelen der Bösen und
Unzufriedenen kamen, um diejenigen, die sie verabscheuten, zu quälen und zu
berfolgen.“
Nach Fison muß die Seele nach dem Tode vor dem Richterthrone des
Gottes Ndengeis erscheinen, der in Schlangengestalt in einer Höhle auf Viti⸗
Levu wohnt, um daselbst sein Urteil zu erhalten. Aber auf dem Wege nach
Mbulu, diesem vitischen Hades. drohen der Seele verschiedene Gefahren. Zuerst
?
Vgl. Globus XXXVII (1880) 317-318.
Ozeanien, die Inseln der Südfsee II, Leipzig 1873, 173.
Malerische Reise um die Welt II 60.
Annales de la propagation de la foi LIX (1887) 39- 40.
Wahrscheinlich der Degei, von dem Deniau spricht.
16. Die Fidschi⸗Insulaner.
445
nuß sie an einem Riesen vorbei, der mit seinem großen Steinbeil alle zu treffen
ucht, die bei ihm vorbei wollen. Die Verwundeten können aber nie nach Mbulu
Jelangen, sondern müssen ewig als böse Geister im Gebirge umherirren, während
diejenigen, welche dem Riesen entkommen, was übrigens nicht vom Verdienst,
ondern vom guten Glück abhängt, nach ihrer Freisprechung durch Ndengei
Erlaubnis erhalten, in der Nähe der Tempel sich am Geruch der Menschenopfer
zu ergötzen.
Nach beiden Darstellungen müssen die Seelen vor Ndengei oder Degei ein
Gericht bestehen, in dem nicht alle losgesprochen werden und das Los der Seelen
entschieden wird. Am schlimmsten geht es, wie Fison behauptet, den Seelen
der Unverheirateten, denn sie haben keine Aussicht, nach Mbulu zu gelangen.
An einer Stelle des Weges nämlich lauert der Gott Nangga-nangga auf die
Seelen der Unverheirateten und schleudert sie von einem Felsen herunter, so
daß sie brechen. Weil der Gott alle männlichen Geister, die ohne ihre Frauen
zu ihm kommen, für Hagestolze ansieht, ist bei allen Fidschianern die Erdrosselung
der Witwe üblich. Stirbt jedoch das Weib vor dem Manne, so schneidet dieser
seinen Bart ab und legt ihn unter die Achselhöhle der Leiche, so daß er ge⸗—
wissermaßen als Trauschein dient, bei dessen Anblick Nangga-nangga die Seele
des Weibes ruhig vorbeiläßt!. Früher war es auch üblich, beim Tode eines
däuptlings mehrere seiner Frauen zu töten.
Mehrere religiöse Gebräuche zeigen Anklänge an die christlichen Sakramente?.
dazu gehört vor allem eine Art Taufe. Das neugeborne Kind wurde in das
Wasser getaucht, bei einigen Stämmen mußte es auch durch Feuer gereinigt
werden. Man legte das Kind in einen durchlöcherten irdenen Kessel, der von
zwei Frauen dreimal durch das Feuer bewegt wurde. Oft wurden die Kinder
dor den König gebracht, der sie gewissermaßen firmte, indem er ihnen die
Hände auflegte und sie dadurch vor gewissen Krankheiten bewahrte. Auch
eine Art Kommunion und Beicht fand Deniau. Wenn man Kawa dem
dotte opferte und der Priester dieselbe im Tempel dargebracht hatte, wurde eine
Kawawurzel gebrochen, sofort gekaut und dann als Getränk unter die ver—
Aammelten Greise verteilt. Während des Opfers wurde der Bure Kalu (der
Tempel des Gottes) streng bewacht, damit kein Profaner sich nahen könne.
die Frauen durften während der Feier ihr Haus nicht verlassen und die Kinder
nicht außerhalb desselben spielen und schreien. Die öffentliche Beicht war
ei den heidnischen Fidschianern im Gebrauch. Wurde eine Piroge auf offenem
Meer von einem heftigen Sturm überrascht, so wandte sich der Anführer an
seine Leute und sagte: „Wir sind in Gefahr, unterzugehen; möge derjenige
unter uns, der einen schweren Fehler begangen, diesen sofort bekennen und be—
euen, das ist das einzige Mittel, um die Gottheit zu versöhnen und dem Tode
zu entgehen.“ Dann bekannte der Schuldige öffentlich sein Vergehen, und meistens
legte man ihm als Buße auf, zur Sühne ein Schwein oder eine bestimmte
Zahl Ignamen zu opfern, was er gleich nach der Landung tat. Selbst die
letzte Hlung fehlte nicht. Lag ein Kranker in den letzten Zügen, so wurde
Globus XXXVII 208.
Annales de la propagation de la foi LIX (1887) 40.
446
Fünfter Teil. Australien und Ozeanien.
er mit Ol gesalbt, und dann begann die Zeremonie der Klagen, der Lieder
oder Gebete!.
Die Priesterwürde war wie die Königswürde in der königlichen Familie
erblich d. h. der Priester wurde aus dieser Familie gewählt. Er wurde als eine
Art Tempel angesehen, in den die Gottheit auf den ersten Ruf einzog, um ihre
Wünsche und Befehle zu offenbaren. Er rief die Gottheit an, brachte die Opfet
dar und gab im Bure Kalu, einem mitten im Dorfe und höher als die andern
Häuser gelegenen Gebäude, die Orakel. Wurde jemand krank, so trug man
ihn in die Wohnung des Priesters, der einige Salbungen an ihm vornahm.
Dann rief er die Gottheit an, die sogleich herbeilam, was man an einem hef—⸗
tigen Zittern des Priesters wahrnahm. Dann sprach er die ihm eingegebenen
Worte; er hatte sich aber vorher über gewisse Umstände der Krankheit genau
erkundigt. Die Heilung einiger Krankheiten war übrigens dem König vor—⸗
behalten. Man brachte ihm die Patienten, er legte ihnen die Hände auf, sprach
leise einige Worte über sie, und sie wurden geheilt. Geschah dies nicht, was
aur zu oft der Fall war, so erklärte er, der Unglückliche habe sich durch irgend
ein geheimes Verbrechen der Barmherzigkeit Gottes unwürdig gemacht?.
Wenn die Eltern eines jungen Mannes diesen zu verheiraten wünschten,
so teilten sie diesen Wunsch den Eltern der Braut mit, indem sie zugleich die
durch den Gebrauch vorgeschriebenen Geschenke darbrachten. Die Ellern der
Braut äußerten bei Annahme der Geschenke nie ihre Meinung, sondern sagten
zloß, sie wollten den Familienrat zusammenrufen. In diesem wurde dann die
Angelegenheit in Abwesenheit des Mädchens besprochen und entschieden. Nahm
man den Antrag an, so verteilte man die Geschenke unter die Anwesenden und
benachrichtigte die Eltern des Bräutigams, die nun zu Ehren der Familie der
Braut ein großes Festessen veranstalteten. Wurde aber der Antrag abgelehnt,
so sandte man die Gegengeschenke zurück und entschuldigte sich angelegentlich, ja
übersandte sogar Geschenke, um den Unwillen zu besänftigen. Am Abend des
Tages, wo die Heirat vereinbart worden war, nahm der Vater seine Tochter
bei der Hand und führte sie in das Haus des Bräutigams; dort blieb sie ver⸗
suchsweise bis zur Heirat, d. h. bis man sich überzeugt hatte, ob sie arbeitsam
oder träge ist, diesen oder jenen Fehler habe. — Die Polygamie war bei den
Häuptlingen fast allgemein, bei den Leuten aus dem Volke aber seltens.
Das Begräbnis war mehr oder weniger feierlich, je nach dem Rang des
Verstorbenen. Lag ein Greis aus dem Volke seit langem krank, so bat er seinen
Sohn, ihn zu erdrosseln, um seinen Leiden ein Ende zu machen. Der Sohn
gehorchte seinem Vater aus Liebe und begrub ihn dann ohne jede Ehren—
bezeigung. Es kam aber auch vor, daß ein schlechter Sohn, der es müde war,
seinen Vater länger zu pflegen, ihn erwürgte und ohne Feierlichkeit und Be⸗—
dauern begrub. — War der Kranke reich, so wurde er einige Zeit vor dem
Tode mit parfümiertem Ol gesalbt und mit seinen schönsten Gewändern be⸗
lleidet; war er Häuptling, so wurde ihm noch ein Band von Pottfischzähnen
um den Hals gelegt und er während mehrerer Tage allen zur Verehrung aus⸗
gestellt. Dann kamen die Verwandten und Freunde in großer Zahl, um seine
Annales de la propagation de la foi LIX (1887) 41. 2 Ebd. 42. 3Ebd. 48
Zweites Kapitel. Die Mikronesier. 447
Züge zu betrachten, die Maänner vergossen Tränen und zerrissen ihre Kleider,
und die Weiber stießen laute und heftige Schreie aus. Die Mütter besonders
beweinten laut ihre Söhne, riefen sie zurück und beklagten sich über den Gott,
der ihnen dieselben entrissen hatte. Im Augenblick der Bestattung berührte jeder
mit seiner Nase die Nase des Verstorbenen als letztes Zeichen der Liebe und
Achtung für ihn. Dann wurde die Leiche ins Grab gesenkt. War der Ver—
storbene ein Häuptling, so bezeigten seine Frauen ihre Liebe dadurch, daß sie
um die Ehre stritten, erdrosselt und mit ihm begraben zu werden!. Die Ver—
vandten des Verstorbenen schnitten sich ein Glied eines Fingers ab. Deniau
hat Greise gesehen, die sich an beiden Händen zwei Finger verstümmelt hatten,
veil ihnen Verwandte gestorben waren. Darüber hinauszugehen, war verboten2.
„Die Fidschianer waren früher gefürchtete Menschenfresser; erst seit 1877
st dieser Gebrauch verschwunden. Sie fraßen aber nur die, welche an ihrer
Küste Schiffbruch litten, und die Feinde, die man im Kriege erschlagen oder zu
Gefangenen gemacht hatte. Man darf übrigens zur richtigen Beurteilung der
an den Schiffbrüchigen verübten Grausamkeiten nicht außer acht lassen, daß die
Angaben der älteren europäischen Abenteurer oft wohl übertrieben sind, sich
edenfalls zum Teil aus ihrem Verhalten erklären lassen. „Wenn die Wilden“,
chreibt Dumont d' Urvilles, „ihrerseits das ihnen angetane Unrecht angeben
önnten, so fände sich vielleicht, daß die Grausamkeiten der Insulaner nur Re—
bressalien waren. Die mit Kanonen bewaffneten Spekulanten pflegen nicht sehr
dersöhnlicher und sanfter Natur zu sein, und wenn sie die Eingebornen auch
nicht braten und verzehren, so haben sie doch kein Bedenken, mit Kartätschen
unter sie zu schießen.“ Es ist auch wahrscheinlich, wie Dumont d'Urville be—
nerkt, daß dieser gräßliche Gebrauch der Anthropophagie zum Teil auf reli—
giösem Aberglauben beruhte, denn Cook erzählt, die Leichen würden den Vriestern
übergeben und von diesen zum Mahle zugerichtet.
Nach Dumont d'Urville soll auf den Fidschi-Inseln auch die Beschneidung
m Gebrauch gewesen sein. Die Männer durften vor dem zwanzigsten Jahre
einer Frau beiwohnen. Der Selbstmord war in Viti bekannt; die von ihren
dauptlingen mißhandelten Eingebornen gingen bisweilen freiwillig in den Tod.
der Diebstahl war häufig und seine Bestrafung hing gänzlich von der Willkür
der Häuptlinge ab. Die Wahnsinnigen sollen erwürgt worden sein. Die Erb—
haft ging von den älteren Kindern auf die jüngeren über und kehrte zu den
Kindern der älteren zurück.
Zweites Kapitel.
Die Mikronesier.
Die Polynesier und Mikronesier sind wahrscheinlich malaiische Einwanderer
aus Südostasien, die sich verhältnismäßig viel später als die Melanesier und
Pabua in Ozeanien ansiedelten. Daß die Mikronesier und Polynesier früher
Ebd. 44. 2 Ebd. 45. 2 Malerische Reise um die Welt II 60.
Ebd. 60- 61.
48
Fünfter Teil. Australien und Ozeanien.
auf einer höheren Kulturstufe gestanden haben, scheint unzweideutig hervorzu⸗
gehen aus den zahlreichen viele Meter langen und breiten Terrassen und Platt⸗
formen, den gewaltigen Steinpfeilern und Steinpyramiden, die man auf vielen
Inseln findet, z. B. auf den Marianen, den Markesas, auf Tahiti, Tonga⸗
tabu usw. Die berühmtesten davon sind die Bauten auf Ponape und den Oster⸗
inseln. Geistig überragen die Polynesier und Mikronesier die Melanesier bei
weitem. Die Mikronesier stellen wahrscheinlich, wie wir schon angedeutet haben
(oben S. 1), eine Mischung aus Melanesiern und Malaien bzw. Polynesiern
dar, doch sind die Übergänge oft fast unmerklich.
Wir beginnen unsere Rundfahrt von Norden her, wo wir zuerst die Völker
antreffen, die gewöhnlich als Mikronesier bezeichnet werden: die Bewohner
der Marianen, der Karolinen, der Marshall- und Gilbertinseln.
1. Die Bewohner der Marianen.
Die Marianen (auch Ladronen oder Diebsinseln genannt) liegen östlich von
den Philippinen zwischen dem 140. und 150.0 8. S. und dem 20. und 10.0
n. Br. Sie sind die ersten ozeanischen Inseln, die der Fuß eines Europäers
betrat. Am 6. März 1521 kam Fernäo de Magalhäes (Magellan) zu den
südlichsten Eilanden der Marianen: S. Rosa und Guam. Sofort umschwärmten
die Eingebornen in ihren kleinen Kähnen die europäischen großen Schiffe. Das
Schiffsvolk nannte die Inseln Diebsinseln wegen der Frechheit, womit die oliven⸗
farbigen, nackten Eingebornen an Bord kamen und stahlen. Als es ihnen ge⸗
lungen war, sogar die Barke eines Schiffes zu stehlen, setzte Magalhäes ans
Land, brannte ihre Ortschaft nieder und plünderte ihre Vorräte an Kokosnüssen,
Yamswurzeln und Zuckerrohr. Erst anderthalb Jahrhunderte später, im Jahre
I668, landeten die ersten Glaubensboten auf den Marianen: P. Sanvitores 8.9.
mit einigen Gefährten, die uns auch die ersten zuverlässigen Nachrichten über
die Eingebornen hinterlassen haben.
Die Eingebornen, welche die Spanier im 16. und 17. Jahrhundert an⸗
trafen, waren nicht die Ureinwohner der Marianen; denn schon damals fand
man interessante alte Baureste vor, wahrscheinlich Grabdenkmäler eines Menschen⸗
schlages, der lange vor der Entdeckung auf diesen Inseln wohnte. Die Tempel⸗
ruinen auf Tinian bestehen in einer Reihe von viereckigen, nach oben sich ver⸗
jüngenden Pfeilern, 4 m hoch und 1,22 mmebreit (an der Basis), auf denen
Kapitäle in Form abgestumpfter Halbkugeln von 2m Durchmesser ruhen. Das
Ganze besteht aus einer aus Kalk und Sand gebildeten, felsenharten Masse.
Man denkt unwillkürlich an altperuanischen Einfluß!. Mit Ausnahme von
diesen alten Bauresten hat man von den Urbewohnern der Marianen keine
Spur. Gut unterrichtet dagegen sind wir über die Insulaner, welche die Mis⸗
sionäre in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts antrafen?.
Vgl. Globus X (1866) 247 f.
Bgl. Istoria della conversione alla nostra santa Fede dell' Isols Mariane, dotte
prima de' Ladroni, nella Vita ete. del P. Diego Luigi de Sanvitores, seritta
dell' idioma castigliano dal P. Francesco Garcia S. J., tradotta nell' Italiano
1. Die Bewohner der Marianen. 449
Die Bewohner der Marianen sind in Sprache, Farbe und Gebräuchen den
Philippinern verwandt. Ihre Farbe ist bräunlich, doch heller als die der Philip—
— sie sind auch etwas größer und stärker als die Tagalen und erreichen
dielfach ein sehr hohes Alter. Die Männer gehen ganz nackt, die Frauen
bedecken mit gewissen Schürzen (tifis), was die Ehrbarkeit zu verbergen sucht.
Im Essen und Trinken sind sie mäßig. Berauschende Getränke kennen sie
nicht. Ihre Beschäftigung besteht außer der Fischerei im Anbau von Reis—
seldern, Kokosnüssen, Bataten usp. Sie wohnen meist in Dörfern. Die
Ortschaften am Meeresgestade bestehen oft aus 50—150 Häusern, die im
Gebirge herum zerstreut liegenden Weiler sind oft nur aus 5—20 Häusern
zusammengesetzt. Die Häuser sind sehr reinlich, das Gerüst besteht aus Holz—
verk, und die Wände und Dachstühle fügen sie mit kunstreich geflochtenen Palm—
blättern zusammen. Jedes Haus hat seine vier Zimmer, eines dient als Schlaf—
raum, ein zweites als Küche, das dritte und vierte als Vorratskammer und
Werkstätte. Die Stelle der Türe vertritt eine über den Eingang herabhängende,
aus Palmblättern geflochtene Matte 1.
Die Sprache der Marianer, sagen die Missionäre, ist leicht auszusprechen
und zu erlernen, namentlich für einen Visaya oder Tagalen, mit denen sie viele
Wörter gemein haben. In ihrem Verkehr sind sie höflich und artig. Der ersie
Gruß beim Begegnen lautet: Ati Arinmo — Erlaube mir, die Füße zu küssen.
Beht jemand an einem Hause vorbei, so fragen die Hausbewohner, ob es ihm
gefällig sei, mit ihrer Mittagssuppe fürlieb zu nehmen. Garcia? behauptet, erst
im Jahre 1688 hätten die Spanier von dem gestrandeten Schiff Concepciön
auf den Inseln Feuer angezündet, vorher sei dasselbe unbekannt gewesen; nach
andern sollen die Marianer schon im Jahre 1521 das Feuer von den Schiffen
—X entwendet haben. Diese Angaben klingen in Anbetracht des ge—
samten Kulturzustandes der Inseln wenig wahrscheinlich, namentlich da Garcia
elbst behauptet, das Volk müsse von einer Nation abstammen, die auf einer
höheren Kulturstufe gestanden habe. Sicher ist nur, daß die Missionäre das
Feuer schon vorfanden.
Trotz ihrer Barbarei, sagt Garcia, steht der Adel bei ihnen in hoher Ach—
ung. Der Adel zerfällt wieder in drei verschiedene Grade, so daß man un—
villkürlich auf den Gedanken geführt wird, das Volk müsse von einer zivili—
serten Rasse herkommen. Möchte die Welt darüber zu Grunde gehen, nie würde
sich einer der Vornehmen oder Ritter, die Chamorri (Ciamorri) heißen, dazu
derstehen, die Tochter eines Plebejers zur Frau zu nehmen, auch wenn diese
ehr reich und er sehr arm wäre. Vor alters sollen die Verwandten den Ade—
igen getötet haben, der eine Plebejerin heiratete. Um besser den Glanz ihres
Adels zu erhalten, haben sie ihre Majorate oder erblichen unveräußerlichen
—XXXCE (Kokos- oder Platanospflanzungen); diese Güter erbt nicht der
Sehn des Verstorbenen, sondern der Bruder oder Neffe, und der Erbe nimmt
eim Besitzantritt den Namen des Gründers oder Hauptahnen der Familie
P. Ambrosio Ortiz S. J., In Napoli 1686. Das spanische Original ist im
ehre 1683 erschienen, war uns aber nicht zugänglich. Einen Auszug aus dem Werke
arcias gibt Kropf im „Welt-Bott“ BdIV, Nr 27.
Garcia sa. a. O. 177. 2 Ebd. 178.
Tathrein, Die Einheit d. sittl. Bewußtfeins. III.
40
150
Fünfter Teil. Australien und Ozeanien.
an. Sanvitores nennt nur die Adeligen Chamorris; nach Le Gobien! wurde
die Bevölkerung in drei Klassen eingeteilt: die matuas oder minatuas (die
Adeligen), die atchaots (Zwischenkaste) und die mangatchangs (das Volk,
die Plebejer). Alle drei Klassen oder Kasten waren streng gesondert?. Viel⸗
leicht hießen die Adeligen außer Chamorris auch Matuas; jedenfalls ist es un⸗
richtig, alle Marianer Chamorris zu nennen. Fragt man nach dem Ursprung
dieser Kasten, so weiß man darüber nichts Sicheres; möglicher- oder sogar
wahrscheinlicherweise sind sie auf eine Überschiebung von zwei oder mehr Kultur⸗
schichten zurückzuführen.
Die, welche von niederer Herkunft sind, dürfen in dem Hause eines Adeligen
weder essen noch trinken, ja sich demselben nicht einmal nähern. Haben sie
etwas notwendig, so müssen sie aus einiger Entfernung darum bitten s8.
Weil die ersten Spanier von den Marianern freundlich und freigebig auf⸗
genommen wurden, hielt man sie anfänglich für sehr gutmütig und redlich;
aber in der Folge zeigte sich, daß sie sehr rachsüchtig und heimtückisch waren
und manchmal jahrelang unter freundlichem Außern ihre Rachsucht verbargen,
—DDDVDD—
Ihre Kriege sind nicht sehr blutig. Sie sind ebenso schnell im Fliehen als
langsam im Angreifen. Wenn eine Gemeinde gegen die andere zu Felde zieht,
erheben sie ein ungeheures Geschrei, aber von Anführern und Ordnung ist keine
Rede. Sie liegen zwei bis drei Tage im Felde, ohne etwas anderes zu tun,
als einander zu beobachten. Werden sie handgemein, so kommt es bald zum
Frieden. Sobald zwei oder drei von einer Partei gefallen sind, erklärt sich
dieselbe für überwunden und schickt den Siegern durch eine Gesandtschaft einige
Schildkrötenschalen. Die Sieger feiern ihren Sieg mit Absingung von Spott⸗
liedern auf ihre Gegner. Ihre Waffen sind Steine und Lanzen mit vergifteten
Spitzen aus Menschenknochen. In der Handhabung dieser Waffen, die sie von
früher Jugend an üben, sind sie sehr geschickt.
Den Namen Diebe, den man ihnen deshalb gegeben, weil sie auf den
europäischen Schiffen Eisen gestohlen, verdienen die Insulaner durchaus nicht;
denn weil bei ihnen die Häuser einem jeden offen stehen, leiden sie nie einen
solchen Mangel, daß sie zum Stehlen gezwungen würden. Die Jünglinge
leben in großen Ausschweifungen, sie wohnen in den öffentlichen Häusern mit
ledigen Weibern, die sie kaufen oder mieten; es erwächst ihnen daraus kein
Nachteil für ihre Heirat. Die verheirateten Männer begnügen sich mit ihrer
einzigen Hausfrau und lassen andere in Ruhe“. Die Mörder sind sehr verab⸗
scheut. Gegen Fremde und Gäste ist man freigebig und gastfreundlich. Sie
ind nicht so barbarisch, als man erwarten sollte.
In Bezug auf politische Organisation gibt es keine eigentlichen
Obrigkeiten weder für die gesamten Inseln noch für die einzelnen Dörfer. Doch
leben die Vornehmsten wie freie Fürsten und errichten an jedem Ort eine Art
Histoire des Isles Marianes?, Paris 1701.
»Vgl. S. v. Prowazek, Die deutschen Marianen, Leipzig 1918, 31. Daselbst
weitere Literatur über die Marianen. Üüber die heutigen Marianen handelt C. Frib
Die Chamorro. Eine Geschichte und Ethnographie der Marianen, Berlin 1904.
sGarcia, Istoria della conversione usw. 179. Ebd. 181.
1. Die Bewohner der Marianen. 451
Scheinrepublik, wo man ihre Ratschläge zwar anhört, aber befolgt oder nicht,
wie man will, wenn es nicht von den Mächtigeren mit Gewalt oder gar mit
bewaffneter Hand verhindert wird.
In der Familie ist der Vater oder älteste Blutsverwandte das Haupt, hat
aber so beschränkte Gewalt, daß der Sohn, sobald er größer geworden, wenig
mehr nach dem Vater fragt. In den einzelnen Häusern führen die Frauen
das Regiment, und der Mann darf nichts wider den Willen der Frau an—
ordnen, auch nicht den Mutwillen der Kinder züchtigen; verursacht er dem Weib
den geringsten Verdruß, wird sie ihn entweder mit Stöcken schlagen oder sich
bon ihm scheiden und die Kinder folgen der Mutter, ohne sich weiter um den
eiblichen Vater zu kümmern, da der neue Ehemann der Mutter als ihr Vater gilt.
Eigentliche Gesetze gibt es nicht; jeder kann ungefähr tun, was er will.
Vegeht eine Gemeinde ein Verbrechen gegen eine andere, so wird es mit Krieg
bestraft; beleidigt eine Person eine andere, so nimmt diese Rache an dem Be—
eeidiger. Doch wird manchen alten Gebräuchen Gesetzeskraft zuerkannt; sie ver—
ehelichen sich nicht mit mehreren Frauen noch mit Blutsverwandten,
aber die Ehe ist äußerst locker, da sich Mann und Weib nach Belieben von—
mander trennen; doch kommt dem Mann das Verlassen seines Weibes sehr
euer zu stehen, indem er Hab und Gut und noch dazu seine Kinder verliert.
Dagegen können die Weiber ohne Strafe und Verlust ihre Männer verlassen.
deshalb trennen sie sich oft von ihren Männern aus Eifersucht, sobald sie Ver—
dacht an ihrer Treue haben. Bisweilen ruft die beleidigte Ehefrau die andern
Frauen des Ortes zusammen, dann gehen sie mit Lanzen bewaffnet zum Haus
des Ehebrechers, zerstören seine Felder und treiben ihn aus dem Haus. Zu—⸗
veilen rächt die Frau den Ehebruch durch vollkommene Ehescheidung. Hat die
drau einen Ehebruch begangen, so darf ihr Mann den Chebrecher töten, aber
einer saubern Ehehälfte nicht ein Haar krümmen!.
Von der Erschaffung der Welt erzählen die Marianer folgendes: Ein
Jewisser Puntan sei ein sehr scharfsinniger Mann gewesen, der viele Jahre
rgendwo in Räumen lebte, die schon vorhanden waren, bevor der Himmel
und die Erde existierten. Als er zum Sterben kam, wurde er von Mitleid
derührt, daß er die Menschen zurücklassen müsse ohne Land, wo sie wohnen,
uind ohne Lebensmittel, mit denen sie sich erhalten könnten. Er rief deshalb
eine Schwester, die wie er ohne Vater und Mutter geboren war, teilte ihr die
Wohltat mit, die er dem Menschengeschlecht zu erweisen beabfichtige, und gab
hr den Auftrag, nach seinem Tode aus seiner Brust und seinen Schultern den
dimmel und die Erde, aus seinen Augen die Sonne und den Mond, aus seinen
Augenbrauen den Regenbogen zu machen und so der Reihe nach aus andern
didern die übrigen Dinge zu ordnen. Diese Legende vom Ursprung der Welt
esingen —0—
Spur davon, daß sie dem Puntan oder seiner Schwester irgendwelchen äußeren
dult erweisen oder sie anrufen und zu ihnen ihre Zuflucht nehmen, so daß
nan daraus schließen könnte, sie behandelten sie irgendwie als göttliche Wesen.
diese und andere alte Fabeln und Taten ihrer Ahnen erzählen und besingen
—
Ebd. 182.
*
29
452
Fünfter Teil. Australien und Ozeanien.
bei ihren Festen diejenigen, die als besonders weise gelten, und sie setzen dem⸗
jenigen einen Lohn aus, der am meisten Verse hersagen kann1.
Die Marianer glauben an die Unsterblichkeit der Seele und weisen
den Seelen der Verstorbenen Hölle und Paradies an, ohne daß sie dazu eine
andere Schuld und ein anderes Verdienst fordern als den natürlichen oder ge⸗
valtsamen Tod. Stirbt einer eines gewaltsamen Todes, so sagen sie, er fahre
zur Hölle, die sie Zazarranguan oder das Haus des Chayfi, d. h. des Teufels,
nennen. Dieser unterhält dort einen großen Ofen, in welchem er die Seelen
der Verdammten glühend macht und immerdar auf dem Amboß schlägt.
Die, welche eines natürlichen Todes sterben, kommen an einen andern Ort
unter der Erde, das ihr Paradies ist, wo es Platanen, Kokosbäume, Zucker—
rohr und andere Früchte ihres Landes gibt. Einen eigentlichen religiösen Ault
scheinen die Marianer nicht zu besitzen und auch keine Priester. Doch haben sie
eine Art Wahrsager (Macanes), die Gesundheit, Regen, guten Fischfang u. dol
versprechen, und zwar vermittelst der Anrufung einiger Verstorbenen,
deren Totenschädel die Eingebornen in Körben in ihren Häusern aufbewahren—
ohne ihnen jedoch einen Altar oder geweihten Platz anzuweisen, so daß sie oft über
den Boden rollen. Sie denken auch nicht an sie, bis der Fall eintritt, daß sie mit
ihrer Hilfe etwas durch die Macanes erbitten wollen. „Es ist allerdings wahr“,
fügt Garcia bei, „daß die Marianer seit einiger Zeit den Gebeinen und Schädeln
der Toten eine gewisse Verehrung erzeigen und sie auf die Rinde der Baume
zeichnen oder auch in Holzfiguren abbilden. Vielleicht sind sie von einem heid—
nischen Chinesen dazu veranlaßt worden, der später die Eingebornen gegen die
Missionäre aufhetzte. — In diesen Anrufungen besteht der ganze Kult der
Marianer, da sie keine Tempel, keine Opfer und keine Idole besitzen.
Obwohl sie keinen eigentlichen Kult haben, sind sie sehr abergläubisch, be⸗
sonders beim Fischfang, bei welchem sie ein strenges Stillschweigen und Ent⸗
haltung von Speisen beobachten, aus Furcht vor den Anitis (den Seelen ihrer
Voreltern), welche sie dadurch besänftigen wollen, damit sie ihnen nicht etwa
den Fischfang hindern oder sie mit Träumen (auf die sie sehr achtgeben)
schrecken. Wenn jemand stirbt, setzen sie neben den Kopf des Verstorbenen
ein Körblein, damit es seine Seele statt des Leibes als Wohnung gebrauchen
könne, wenn sie im Haus verbleiben will, oder damit es, wenn sie aus der
andern Welt zurückkommt, ihr als Ruhestätte diene. Andere tragen die Leichen
ihrer Verstorbenen, mit wohlriechenden Olen gesalbt, von einem Haus der Bluts—
oerwandten zum andern herum, damit die Seele sich den besten Platz aussuche,
wo sie bleiben oder von Zeit zu Zeit hinkommen könne?.
Beim Begräbnis vergießen sie viele Tränen, halten viele Fasttage und
berursachen mit Muscheln einen großen Lärm. Die Totenklage dauert oft sech⸗
bis acht und mehr Tage. Die Trauerzeit bringen sie mit Klageliedern zu, und
während der Zeit halten sie ihre Mahlzeiten um einen Hügel herum, den sie
über oder neben dem Grabe aufwerfen und mit Blumen, Palmen und andern
kostbaren Sachen schmücken. Die Totenfeierlichkeiten sind natürlich noch bie
Garcia, Istoria della conversione usw. 182. 2Ebd. 184.
458
umständlicher, wenn es sich um einen hochgestellten Chamorro oder eine vor—
nehme Matrone handelt.
In ihren Totenliedern, besonders beim Tode eines Vornehmen, mischen sie
so fein ausgesonnene und trauervolle Klagesprüche ein, daß sie auch dem wil—
desten Barbaren zu Herzen gehen müssen. Sie sagen unter Tränen z. B., daß
ihnen das Leben fortan bitter sein werde, weil ihnen derjenige fehle, der ihr
Leben, die Sonne des Adels, der Mond in der Nacht ihrer Unwissenheit, der
Leitstern bei ihren Beratungen usw. gewesen sei. Die Grabstätten krönen sie
ntweder mit Rudern zum Zeichen, daß der Verstorbene ein kundiger Fischer,
oder mit Lanzen zum Zeichen, daß er ein mächtiger Krieger gewesen sei.
Als de Sanvitores im Jahre 1668 auf Guahan, der Hauptinsel der
Marianen, mit mehreren Gefährten landete, wurde er von den Bewohnern sehr
freundlich aufgenommen, und da er sich ihnen ganz anzupassen verstand und
ehr heiter war, gewann er bald alle Herzen. Alle nannten ihn den guten,
den großen Pater, und bald bekehrten sich viele zum Christentum. Das größte
hindernis der Bekehrung war der Adel, der auf seine Stellung so stolz war,
daß er das gewöhnliche Volk nicht für würdig hielt, getauft zu werden. Ja die
Adeligen wollten den „Pöbel“ sogar von der Christenlehre ausschließen unter
dem Vorwand, daß eine so vortreffliche Lehre nicht für schlechte und gemeine
Leute passe. Sanvitores und seine Begleiter hatten große Mühe, diese stolze An—
naßung zu überwinden. Sie stellten den Adeligen vor, daß in Sachen des Seelen⸗
heils kein Unterschied sei zwischen Adeligen und Nichtadeligen. Gott schaue nicht
uuf die Person; wie er alles erschaffen, so habe er auch für alle ohne Aus—
nahme die Sonne und den Himmel gemacht und sei für alle gestorben und
wolle alle selig machen. Deshalb habe auch er allen dieselben Geheimnisse ge—
ffenbart, die sie glauben, und dieselben Gebote gegeben, die sie beobachten, die—
elben Sakramente, die sie empfangen sollten. Wenn sich die Adeligen auszeichnen
vollten, sollten sie es tun durch bessere Beobachtung der Christenpflichten.
Als auch diese Mahnungen nichts halfen und die Missionäre von den Ade—
ligen mit Grobheit behandelt und bedroht wurden, weil sie sich der Bekehrung
des gewöhnlichen Volkes widmeten, sagte ihnen Sanvitores gerade heraus: wenn
sie von ihrem stolzen und neidischen Sinn nicht ablassen wollten, werde er keine
aus ihnen taufen, da ihnen ja die Liebe und die Demut mangelten, zwei Tu—
genden, durch die sich die Christen auszeichnen müssen. Allmählich gelang es,
die stolzen Adeligen eines Besseren zu belehren. Viele von den neubekehrten
Marianern zeichneten sich bald aus durch große Sittenreinheit und Frömmigkeit.
J.Leider entstand infolge der verleumderischen Ausstreuungen eines auf die
Inseln verschlagenen Chinesen über die Missionäre bald eine feindselige Hal—
lung der noch heidnischen Bevölkerung gegen das Christentum, dazu kamen noch
biele Kriege, ferner Streitigkeiten mit den Spaniern, die einen beträchtlichen
Teil der Bevölkerung aufrieben. Nur mit blutendem Herzen kann man lesen,
vie trotz aller heroischen Anstrengungen der Missionäre die Bevölkerung rasch
zusammenschmolz, so daß sich im Jahre 1724 die Gesamtzahl der Einwohner
auf kaum mehr als 4000 Seelen beliefn.
iVBgl. J. Kropf im „Welt-Bott“, 27. Tl, S. 78 ff.
— —
84
Fünfter Teil. Australien und Ozeanien.
—C
Südlich von den Marianen dehnt sich von den Philippinen im Westen bis
zu den Marshallinseln im Osten eine Unzahl von Inseln aus, die man unter
dem Namen der Karolinen zusammenzufassen pflegt. Diese Inselwelt zerfällt
in drei Gruppen. Die westliche, welche von vielen Geographen als selbständiger
Archipel aufgeführt wird, ist die Gruppe der Palau-oder Pelewinseln.
Die zweite Gruppe im Zentrum hat ihren Namen von der Hauptinsel Yap—
die dritte Gruppe endlich ist die der Ostkarolinen, unter denen die Insel Ponape
als die größte hervorragt. Wir betrachten hier nur die beiden letzteren Gruppen.
1. Die ersten zuverlässigen Nachrichten über die Karolinen erfahren wir aus
einem Brief, den der Jesuitenmissionär J. A. Cantoba am 20. März 1722 aus
Agadua auf der Insel Guahan! (San Juan, eine der Marianen) schrieb: Zwei
karolinische Schiffe wurden im Jahre 1721 durch Stürme an die Küste der
Marianen verschlagen. Am 19. Juni desselben Jahres stiegen 11 Männer,
7 Frauen und 6 Kinder ans Land. Sie stammten von der Insel Faraulep.
Infolge der überstandenen Strapazen und Entbehrungen befanden sie sich in
einem kläglichen Zustand. Anfangs wagten sie es nicht, den Marianern und
den Spaniern nahezukommen. Erst als die Missionäre sich ihnen freundlich
näherten und sie mit Speise und Trank erquickten, wurden sie allmählich zu⸗
traulich. P. Cantova gab sich nun mehrere Monate mit ihnen ab, erlernte ihre
Sprache und beschloß endlich, da sie großes Heimweh zeigten, sich mit ihnen
auf die Karolinen zu begeben. Hören wir, was er über ihre Sitten und ihre
Religion berichtet.
Die gewöhnlichen Männer tragen keine andern Kleider als ein Stück Zeug
um die Lenden. Ihre adeligen Obrigkeiten, die sie Tamol (Tamoles) nennen—
haben ein zu beiden Seiten gespaltenes Wams, das Schultern und Brust bedeckt
und bis zum Schienbein herabreicht. Die Weiber tragen eine Art Unterrock
aus Gras, der von dem Gürtel bis zu den Knien reicht. Die Edelleute über⸗
nalen ihren Leib mit Farben und durchbohren die Ohrlappen, welche von ihnen
mit Blumen, Kräutern, Kokoskernen und mit Glas behängt werden, „wenn sie
es haben können“. Sie sind wohlgestaltete Leute. Die meisten haben —X
Haare, dicke Nasen, große und scharfe Augen, auch ziemlich dicke Bärte. Der
Farbe nach sind einige kastanienbraun, andere haben die Farbe der Mestizen
und Mulatten.
Von der Religion der Karoliner schreibt Cantoba?, sie leben schier ohne
Kenntnis Gottes, ohne Religion (d. h. ohne Gottesverehrung, wie aus dem
Folgenden erhellt); sie glauben an gute und böse Geister, von denen sie selbst
aichts Sicheres wissen. Fragt man sie, wer Himmel, Erde und alles übrige
geschaffen habe, wissen sie nichts zu antworten, als was sie Lächerliches von
hren Ahnen gehört haben. Die ersten Bewohner des Himmels waren Sabuccus
und Italmelul, ein Mann und ein Weib, die einen Sohn, den Eluilep, und
eine Tochter, die Ligobuub, zeugten. Eluileb (— der Große Geist) habe die
mIJ. Stöckleins „Welt-Bott“, 15. Th (1729), Nr 348.
Vgl. Der Neue Welt-Bott Nr 667.
2. Die Karoliner.
455
Seele der Leteuhieul, einer jungen Uleenserinn, die in der Blüte der Jahre
gestorben sei, zur Ehe genommen, da sie aber nur einen Prinzen, den Luqguei⸗—
leng (S die Mitte des Himmels) gebar, habe er den Reschaluilang, einen tapfern
Jüngling von der Insel Lamurrei, an Kindes Statt angenommen, dessen Seele
dann auch in den Himmel gegangen sei, um sich der Gegenwart des Vaters
zu erfreuen. Diesen fabelhaften Übergang des Reschaluilang in den Himmel
hat dessen verschlagene Mutter Fagoh erdichtet, damit sie bei ihren Leuten auf
der Insel Lamurrei in größerem Ansehen stehe; zu demselben Zweck fügte sie
auch bei, ihr Sohn komme öfters vom Himmel herab, besuche sie in sichtbarer
Gestalt und rede ihr von himmlischen Geheimnissen. — Ligobuub soll glück—
licher gewesen sein als ihr Bruder Eluilep, denn sie soll von der Luft empfangen
und drei Kinder: zwei Knaben (Copurelieleel und Erigirigeis) und ein Mädchen
Ouboub) geboren haben. Da Copurelieleel die Erde ganz leer fand, soll er
sie durch seine allmächtige Stimme mit Pflanzen, Kräutern, Blumen und auch
mit Menschen, die er mit seiner Schwester Ouboub zeugte, erfüllt haben.
Zu jener ersten Zeit war der Tod den Menschen unbekannt; sie hielten
ihn für einen kurzen Schlaf. Mit der Abnahme des Mondes nahmen sie ab
und starben gleichsam, mit zunehmendem Mond aber standen sie wieder zum
deben auf; ihr Sterben war somit nur eine dreitägige sanfte Ruhe. Den wahren
Tod habe der neidische und boshafte Erigirigeis in die Welt gebracht, indem
er verordnete, daß keiner, der gestorben sei, zu diesem Leben zurückkehren solle.
Er wird deshalb Elus Melabat, bösartiger und schädlicher Geist, genannt
im Unterschied zu den Elus Melafirs, den wohltätigen Geistern. Unter
den bösen Geistern nennen sie einen Morogrog, der ein ungeschickter Tölpel war
und wegen einiger Mordtaten aus dem Himmel verstoßen wurde. Er soll das
Feuer, welches vorher unbekannt war, mit sich gebracht haben.
Die Insulaner erzählen auch, berichtet Cantova weiter, Lugueileng, der Sohn
Eluileps, habe zwei Frauen gehabt, eine himmlische und eine irdische; die erstere
gebar ihm zwei Söhne: Carrer und Melilcau, die letztere bloß einen, den Ouletol.
Als Ouletol seine Abstammung erfuhr, wagte er einen Flug in den Himmel, um
dort seinen Vater zu sehen, aber er fiel unglücklich von der Höhe auf die Erde
zurück; da zündete er einen ungeheuren Scheiterhaufen an und sprang auf
denselben, um durch den emporsteigenden Rauch in die Wolken zu dringen, und
so gelang es ihm, in das Reich seines Vaters zu kommen. Zuweilen steigen
die Himmelsgötter auf die Insel Felalu herab, um in einem Süßwasserteich
zu baden; deshalb halten die Insulaner diesen Teich in hohen Ehren, und keiner
wagt es, sich demselben zu nahen, um nicht schwer gestraft zu werden.
Sonne, Mond und Sterne halten sie für beseelte Wesen und sie meinen, es
gebe dort oben überirdische Reiche mit hellglänzenden, gleichsam himmlischen
Wesen, die ein gemeinschaftliches Leben führen, wie wir hier auf Erden.
Obwohl die Eingebornen an himmlische Personen glauben, erweisen sie ihnen
doch keine Ehre, sie haben auch keine Götzenbilder, Götzentempel, eigentliche Priester
oder Opfer; doch verehren sie einige von den Verstorbenen, welche
nach ihrer Meinung von diesem sterblichen zu einem besseren Leben übergegangen
**
1Nlee (Alie) ist der Name einer der Karolineninseln.
656
Fünfter Teil. Australien und Ozeanien.
sfind, denn sie glauben an Himmel und Hölle. Es gibt unter
ihnen Leute beiderlei Geschlechts, die vorgeben, mit Verstorbenen
in Verbindung zu stehen, und diese verkünden den Überlebenden, wer aus
den Verstorbenen zur Belohnung in den Himmel aufgenommen
und wer zur Strafe in die Hölle verstoßen sei. Die Seligen, welche
am vierten Tage den Himmel wieder verlassen und, ihren Verwandten und
Freunden unsichtbar, herumwandern, nennen sie gute Geister oder auch Fahutup,
Beschützer oder Fürsprecher. Fast jede Haushaltung hat deren einen oder mehrere,
zu denen sie in allen Nöten, Gefahren und Anliegen ihre Zu—
flucht nehmen. Um Erhörung zu finden oder zum Dank für die erhaltene
Gunst hängen sie vor dem Haus ihrer Obrigkeit einige Geschenke für den Fahu⸗
tup auf1.
Die Yaper verehren nach Cantova mit abergläubischen Zeremonien das
Krokodil, unter dessen Gestalt der Teufel über die Insulaner eine tyrannische
Herrschaft ausübt. Ihre Wahrsager und Zauberer machen ihnen weis, daß
iie mit dem Tier in vertrauter Freundschaft stehen und es in der Gewalt haben,
seinen Zorn von ihnen abzuwenden.
Die Vielweiberei ist allgemein, und wer mehrere Frauen hat, wird als
ein mächtiger Herr angesehen. Es ist aber sowohl den Männern als den Frauen
anter bestimmten Bedingungen gestattet, die Ehe aufzulösen. Wurde eine Frau
ihrem Manne untreu, so konnte dieser entweder vom Ehebrecher eine reiche Ent⸗
schädigung verlangen oder die Frau verstoßen. Eine kinderlose Witwe muß den
Bruder ihres verstorbenen Mannes heiraten.
Ihre Verstorbenen begraben sie gemeiniglich im Meer; wollen sie
aber einen Toten besonders ehren, so begraben sie ihn in einem Sarg im Innern
seines Hauses oder errichten ihm an einem entfernten Ort aus Steinen, die
man ohne Kalk zusammenfügt, eine viereckige Kapelle, in die sie eine Menge
hon Speisevorräten legen, damit sie der Seele des Verstorbenen zur Nahrung
dienen. Vor dem Begräbnis wird der Tote mit gelber, wohlriechender Farbe
hestrichen. Die Verwandten versammeln sich bei der Leiche, und dann geht ein
—DDD
des Toten Leibesgestalt, seinen Adel, seine Hurtigkeit im Tanzen, sein Glück beim
Fischen usw. preist. Alle Gegenwärtigen pflegen diesen ganzen Tag zu fasten,
halten sich aber dann in der Nacht schadlos.
Die Karoliner sind große Liebhaber von Spiel und Tanz und vom Baden.
Sie baden sich täglich dreimal, und zwar stets nach Geschlechtern getrennt und
so, daß sie sich beim Abwaschen des Leibes niemals gänzlich entblößen. Die
Tänze veranstalten sie bei Mondschein vor dem Haus ihres Tamol oder ihrer
Dorfobrigkeit. Die Weiber pflegen nicht zu tanzen.
Die Arbeit der Männer besteht im Bau der Pirogen, im Fischen und Aus⸗
säen, die der Frauen im Besorgen der Küche, im Weben und Flechten von
Kleidern und Decken. Die Männer pflegen auch die Sternkunde, soweit sie
zu Seefahrten dient. „Erfahrene Seeleute bedienen sich gewisser Himmelskugeln,
auf welcher sich die größeren Sterne aufzeichnen, und mit diesem Mittel lehren
„Welt-Bott“ Nr 667, S 138.
2. Die Karoliner.
457
fie ihre Schüler, wie sie unter Leitung dieses oder jenes Sternes diese oder
jene Landschaft erreichen können.“ Doch warfen sie auch, bevor sie ein Schiff
vbestiegen, das Los, um zu erfahren, ob die Fahrt glücklich oder unglücklich
sein werde.
Große Verehrung genießen bei den Karolinern die Tamol, die sie nicht
allein als ihre Herren, sondern auch als ihre Priester ansehen, und von denen
sie in zeitlichen und geistlichen Dingen ganz abhängen. Ihre Unterwürfigkeit
und Ehrfurcht gegen dieselben, besonders die Landesobrigkeit, ist außerordentlich.
Sie werden nie eine Reise antreten oder ein Geschäft unternehmen, ohne zuvor
dem Tamol Hände und Füße geküßt zu haben. In seiner Gegenwart neigen
sie das Haupt bis auf die Knie und bleiben stets in dieser Stellung; wenn
sie an einem Haus vorübergehen, das größer und schöner ist als die andern,
berneigen sie sich stets tief. Alle Abende kommen einige junge Leute vor diesem
Hause zusammen und singen in leisem Tone einige Lieder, bis der Tamol ent—
weder einschläft oder ihnen befiehlt, abzutreten. Den Kindern flößt man so—
zusagen mit der Muttermilch eine große Hochachtung vor diesen Herren ein, und
sede Unehrerbietigkeit gegen sie wird als eines der größten Verbrechen scharf
gestraft. Um den Untertanen Ehrfurcht einzuflößen, reden die Herren wenig mit
ihnen und erteilen ihre Befehle auf einem erhöhten Ort sitzend, waͤhrend die Unter—
gebenen auf der Erde ruhend mit aller Demut die Befehle anhören. Zu dem⸗—
selben Zweck lassen sie auch ihre Bärte lang wachsen, schmücken sich mit schönen
Mänteln, Blumen und Federn usw. Sie strafen die Untertanen unerbittlich,
nicht mit Leibesstrafen, wohl aber an ihren Gütern oder mit Verbannung
auf eine andere Insel.
Weil sie kein Eisen haben, benutzen sie Steine und Lanzen mit Fischgräten
an der Spitze. Wenn zufällig ein fremdes Schiff auf ihren Inseln etwas
Kisen hinterlaͤßt, so gehört es den Tamol, welche dasselbe zu Werkzeugen ver—
arbeiten lassen, die sie teuer ausleihen. In Privatstreitigkeiten greifen sie nie
zu den Waffen, sie schlichten dieselben dadurch, daß der Schuldige den Beleidigten
durch Geschenke besänftigt. Sonderbar ist ihre Kriegführung. Sie rücken in
drei Reihen oder Treffen aus, in der ersten stehen die Knaben, in der zweiten
die Jünglinge, in der dritten die Männer. Sobald die feindlichen Heere ein—
inder ansichtig werden, treten zwei Knaben hervor und schleudern so lange
Steine auf einander, bis der eine verwundet, getötet oder in die Flucht gejagt
wird; dann kämpfen zwei andere Knaben in derselben Weise, bis endlich die
Reihe an die Jünglinge und zuletzt an die Männer kommt.
Besonderes Lob erteilt Cantova dem Charakter der Ulee-Insulaner. „Sie
sehen freundlicher aus und sind ehrerbietiger. Sie sind heitern Gemütes, zeigen
Anstand und Bedachtsamkeit im Reden. Sie sind auch mild und haben mit
hren bedrängten Nebenmenschen ein zartes Mitleid. Eben diese Zucht, Liebe
und Ehrbarkeit läßt mich hoffen, daß sie sich dem Lichte der christlichen Wahr—
heit leicht unterwerfen und folglich der Same des Evangeliums in den Herzen
hrer Landsleute reiche Frucht hervorbringen werde.“
Über die Eigentumsverhältnisse ist in den Angaben Cantovas fast
nichts enthalten. Spätere Forschungen haben darüber mehr Klarheit gebracht.
Auf allen Karolinen besteht der Unterschied zwischen Adeligen oder Vornehmen
158
Fünfter Teil. Australien und Ozeanien.
und Sklaven oder Hörigen. Nur die ersteren haben Grundbesitz, nur aus ihrer
Mitte kann durch Abstammung oder Wahl der „König“ hervorgehen. Auch
die Vornehmen zerfallen in zwei Klassen, die Glieder des hohen Adels heißen
auf den mittleren Karolinen Tamol oder Chamol, auf den östlichen Aroch, die
des niedern Adels heißen auf den östlichen Inseln Cherijo. Das gewöhnliche
Volk heißt Armeau oder Kikeri Arakath, d. h. kleine Leute. Der Standesunter⸗
schied wird streng beobachtet; nie heiratet ein Vornehmer ein höriges Weib,
selten ein Glied des höheren Adels eine Frau von niederem Adel.
Kleine Staaten gab es auf den Inseln viele. Die Bezirke stehen unter der
Leitung des höheren Adels, der niedere besorgt die Vollstreckung der Befehle
und bildet eine Art Beamtenstand. Merkwürdigerweise haben auch die Frauen
ihre eigene Regierung und ihre Gerichte, so daß kein Mann über eine Frau
zu Gerichte sitzt. In den einzelnen Stämmen ist immer der älteste Mann aus
der ältesten Familie das politische Haupt. Stirbt er, so folgt ihm sein nächstet
Bruder, und sonst der nächste männliche Verwandte.
Das Land ist meist unter die verschiedenen kleinen Doͤrfer verkeilt, über noch
unbebauten Boden kann der Häuptling verfügen. Jeder Mann, auch der Häupt—⸗
ing, besorgt sein eigenes Feld. Gewisse Früchte und Fische sind den Vornehmen
vorbehalten. Der König erhält von manchen Dingen den Zehnten. Er hat
auch das Recht, über das Land seines Stammes zeitweilig das Puauu (Tapu,
Verbot) auszusprechen, dann dürfen die Früchte von niemand gegessen werden.
2. Die obigen Angaben Cantovas beziehen sich hauptsächlich auf die mitt⸗
leren Karolinen, besonders auf Faraulep, Ulee, Lamurrei uswp. Er spricht
allerdings auch von der Insel Yap, aber scheint sich dort nicht sehr lang
aufgehalten zu haben. Über diese Insel, die gegenwärtig der Hauptsitz der
deutschen Verwaltung ist, besitzen wir aus neuerer Zeit eingehende Nachrichten,
„esonders von dem Kaiserlichen Bezirkrhauptmann Arno Senfft!.
Die Bebölkerung von Yap (Jab) nimmt leider stark ab; über die Ursache
dieser Abnahme ist man nicht im klaren. Außer verschiedenen Krankheiten mag
der Alkoholismus dazu beigetragen haben, dem die NYaper seit längerer Zeit
eidenschaftlich ergeben sind. „Ob die Abtreibung der Frucht in größerem Um⸗
sang geübt wird“, schreibt Senfft, „konnte ich nicht ermitteln, jedenfalls suchen
aber junge Frauen die Konzeption zu verhindern; sie fürchten, daß sie nach
der Geburt an Anmut verlieren. Da sie sehr kinderlieb sind, sieht man, daß
die Eitelkeit auch unter diesen Vertreterinnen des schönen Geschlechtes die stärkere
Figenschaft ist.“
„Der Charakter der Yaper zeigt außergewöhnlich viel gute Eigenschaften;
mir ist neben den Bewohnern der Insel Nauru kein Volk bekannt, welches an
edler Gesinnung mit ihnen wetteifern könnte. Sie sind freie und stolze Natur—
nenschen; sie sind feinfühlig und besitzen einen Herzenstakt, der über jedes Lob
erhaben ist. Bei einem engen Verkehr mit ein und denselben Personen mehrere
Jahre hindurch hat sich doch kaum einer eine plumpe Vertraulichkeit gestattet.
Sie zeigten ein sehr feines Empfinden für das, was angenehm berührt, sie
stellten keine Fragen, deren Beantwortung etwas Peinliches an sich getragen
VPetermanns Geographische Mitteilungen XLIL (1903) 49 ff.
2. Die Karoliner.
459
hätte, sie hielten Unangenehmes fern und waren stets höflich, gehorsam und
bescheiden. Zu bewundern ist ihre würdige Haltung in der Häupterversammlung
und vor Gericht. Heftige Redeweise oder Beschuldigung des Gegners der Lüge
habe ich nie gehört. In dem Rechtsstreit eines Oberhäuptlings gegen einen
übelbeleumundeten Tagalen behauptete der letztere, Zahlung an ersteren geleistet
zu haben; dieser bestritt es und erklärte bei der wiederholten Behauptung, ob⸗
schon er wußte, daß der Tagale log: ‚Dann muß ich es vergessen haben.““:
Der Yaper „ist entgegenkommend, hilfbereit und duldsam gegen fremde Gewohn⸗
heiten, er ist ein ehrlicher Schuldenzahler. Es ist mir mehrmals vorgekommen,
daß er seine Schuld als größer bezeichnete wie der Gläubiger. Die in die Polizei—
truppe eingestellten jungen Männer haben sich als pflichttreu, aufrichtig und
verständnisvoll für ihre Aufgaben erwiesen; eifrig und selbstbewußt in ihrem
Dienst, blieben sie immer höflich und rücksichtsvoll gegen jedermann. Das Ver—⸗
trauen und der Gehorsam, den die Yapbevölkerung der deutschen Regierung ent—
gegenbringt, wird kaum übertroffen werden können. Es ist zuweilen geradezu
rührend, mit welcher Ergebenheit sie für ihre meist nur kleinen Vergehen die
Strafe auf sich nehmen“2.
Die Yaper zerfallen in zwei scharf getrennte Klassen: die freien (pi Uap)
und die tributären (Milingei). Die letzteren machen etwa 20 Prozent der Be—
dölkerung aus. Wie diese Teilung entstanden, wissen die Yaper selbst nicht,
es sei immer so gewesen. Die pi Uap, die herrschende Klasse, sind ein schöner,
kräftiger, selbsibewußter Menschenschlag, und von hellerer Hautfarbe. Die Mi—
lingei wohnen in Gemeinden für sich, verwalten sich politisch selbständig, haben
ihre eigenen Häupter und Rathäuser, besitzen persönliches und Gemeindeeigentum.
Sie heiraten nur unter sich; ein Milingei wird nie ein pi Uapmädchen zur
Frau erhalten. Gesellschaftlich verkehren beide Klassen nicht miteinander. Das
Recht, von den Milingei tributäre Arbeit zu verlangen, ruht auf Grundstücken,
ohne Rücksicht darauf, ob sie im Herrschaftsbereich des den Milingei übergeordneten
Oberhäuptlings liegen oder nicht. Ist ein Milingeidorf mehreren Herren tribut—
pflichtig, so hat es bei großen Arbeiten dem zu folgen, welcher zuerst gerufen
hat, bei kleineren Arbeiten teilen sich die Bewohner und arbeiten bei ihren Herren
zu gleicher Zeit. Die Leistungen sind nicht besonders drückend und werden neben
freier Verpflegung mäßig honoriert. Im Kriege haben sie ihrem Oberhäuptling
zu folgen 8.
Alls Kleidung tragen die Yaper meist nur einen schmalen Schamlatz, der
durch die Beine hindurchgezogen wird, und über diesem einen zweiten, meist
aus Hibiscusbast geflochtenen, roten Gürtel mit einem Büschel vorn und hinten.
Die Kleidung der Frauen besteht aus einem kleinen Grasrock, über den ein
größerer bis zu den Knöcheln reichender gebunden wird. Die Kinder gehen in
der frühesten Jugend vollkommen nackt; später bekommen die Knaben den
Schamlatz, dessen Enden sie weit herunterhangen lassen, die Mädchen den kleinen
Brasrock?.
Familienleben. Die Ehe kann schon vor der Pubertät der Nup—
lurienten durch deren Eltern geschlossen werden. Ein Zusammenwohnen findet
Ebd. 2 Ebd. 50. s Ebd. 1Ebd. 51.
160 Fünfter Teil. Australien und Ozeanien.
dann aber noch nicht statt. Zur Eheschließung gehört die Genehmigung der
Eltern. Wenn diese nicht selbst die Ehe stiften, hat der Jüngling nach Aus⸗
sprache mit dem erwählten Mädchen bei deren Vater anzuhalten und ihm nach
Vermögen Geschenke zu machen, die in Perlmuschelgeld oder Bananenfasern
hdestehen. Er erhält dafür ein Gegengeschenk. Auf die Reinheit der Mädchen
wird kein Wert gelegt. Das Geschenk an den Schwiegervater liefert der Bräu—⸗
tigam alsbald ab, nachdem ihm das Mädchen übergeben worden ist. Es wird
nie zurückgegeben. Die Ehe wird nicht auf bestimmte Zeit geschlossen, hält aber
häufig nicht für das ganze Leben. Besondere Feierlichkeiten sind mit der Hochzeit
nicht verknüpft. Es besteht Polygamie, aber nur in beschränktem Maße, weitaus
die meisten Männer begnügen sich mit einer Frau. Mehrere Frauen desselben
Mannes wohnen stets in verschiedenen Häusern, wenn nicht gar an verschiedenen
Plätzen. Trennen sich die Ehegatten, so bleiben die Kinder beim Vater; ist ein
Säugling vorhanden, so hat die Mutter jeden Tag zu kommen und ihn zu er—⸗
nähren. Die Ehe kann von jeder Partei und jederzeit aufgelöst werden. Die
Frau ist ihrem Gatten unterstellt, sie bewohnt ein besonderes Haus und speist
auch allein. Solange die Kinder klein sind, bleiben sie bei der Mutter, von
größeren Kindern ziehen die Knaben in das Haus des Vaters, die Mädchen
bleiben bei der Mutter oder erhalten eine eigene Hütte. Fast alle schweren
Arbeiten ruhen auf den Schultern der Frau!. Daß auf Yap auch die Prosti⸗
tution eine nicht unbekannte Erscheinung ist, versteht sich, da schon seit langem
Furopäer dort Kultur verbreiten, fast von selbst.
Politische Organisation. Yap wird von acht Oberhäuptlingen ver—⸗
waltet. Der höchste von allen ist der, welcher in Täb residiert. Diesem haben
sich alle übrigen Oberhäupter zu beugen, sofern es sich um Krieg und Frieden
handelt. Die Untertanen der einzelnen Häuptlinge sind in Gemeinden vereinigt,
an deren Spitze Vorsteher stehen, die meist von den männlichen Ortsangesessenen
gewählt und von dem Häuptling bestätigt werden. Man pflegt die Vorsteherschaft
gern in einer Familie zu belassen, so daß dem Vater der Sohn folgt. Ein
Strafrecht gegen die Dorfbewohner steht ihm nicht zu. Er hat mehr die Stellung
eines Patriarchen oder Vaters. Neben diesem gibt es einen zweiten Vorsteher,
der der Vertreter und Ratgeber der Frauen des Dorfes ist, sofern es sich um
Vertretung ihrer Gesamtinteressen Fremden gegenüber handelt. Er wird von den
Frauen gewählt und ist der Vermittler zwischen ihnen und dem Häuptling;
obrigkeitliche Befugnisse hat er nicht?.
Der Häuptling ist ein autokratischer Patriarch; er gibt die Befehle an seine
Dörfer und Untertanen und besitzt Strafrecht. Die üblichen Strafen bestehen in
Zwangsarbeit, Verbannung nach den Palau, seltener in Zahlung mit dem landes⸗
üblichen Geld und in Todesstrafe. Für gewisse Sachen hat er das Vorkaufs⸗
recht; daneben sind seine Dörfer gehalten, ihm kleine Anteile an ihren Früchten
zu geben und für ihn zu arbeiten, wofür sie jedoch bezahlt werden. Er ist
der Ratgeber der Untertanen und ihr Helfer in der Not; er besucht die Schwer⸗
kranken und verbringt, wenn möglich, die letzten Stunden mit dem Sterbenden.
Obschon wenig beschränkt in seiner Macht, ist seine Herrschaft eine durchaus
Petermanns Geographische Mitteilungen XLIX (1903) 52. 2 Ebd. 57.
— — u——
2. Die Karoliner.
461
milde, und trotzdem wird ihm allenthalben Gehorsam und Verehrung gezollt.
Der Einmischung in Familien- und Vermögensverhältnisse enthält er sich gänzlich!.
über die Religion der heutigen Karoliner (besonders der Bewohner von
Yap) schreibt der spanische Kapuziner P. Moyse? im Jahre 1889: „Die
Völker der Karolineninseln haben freilich einen schwachen Begriff von
einem Gott, dem höchsten Herrn aller Dinge, aber ihre Religion
gründet sich im allgemeinen nur auf die Furcht vor der Gottheit oder vielmehr
vor dem Prinzip des Bösen. Deshalb betrachten sie gewisse Gräten großer Fische,
die sie mit Ehrfurcht aufbewahren, als ebenso viele Halbidole. Wir haben indes
bei den Karolinern keinen eigentlichen äußeren Kult wahrgenommen.“ Auch die
deutschen Kapuziner berichten im Jahre 1907 aus Yaps: „Wohl legen sie
eine gewisse Furcht vor Geistern an den Tag, besitzen auch eine sagenhafte
Erinnerung an ein höchstes Wesen, haben aber keine Ehrfurcht vor
demselben und kennen weder eine Hoffnung auf eine höhere Belohnung noch
Furcht vor Strafe nach dem Tode. Trotzdem ihnen das Fortleben der Seele
eine ausgemachte Tatsache ist, so leben sie doch blind in den Tag hinein und
sterben ebenso.“ Das kann man leider auch in zivilisierten und christlichen
Ländern finden.
Nach P. Sixtus Walleser O. M. C.‘ weiß man im Westen der Insel
Yap von einem Gericht nach dem Tode und von einem unterirdischen Fluß,
in den die Bösen fallen, nichts. „Jedoch erzählt man, daß ein Mann von
Dugor (Dorf im Osten der Insel) etwas ähnliches geträumt (7) habe. Ohne
jeden Unterschied, ob gut oder bös, versetzt der Yapmann die Verstorbenen in
den Himmel (zarams)6. Einige meinen, wenn die Seele nicht in den Himmel
zehen wolle, könne sie in ihr Haus zurückkehren. Daneben weiß man auch zu
erzäͤhlen, daß Lug (Luk), der Geist des Todes, allmonatlich zur Zeit des Voll⸗
mondes die Welt durchziehe, um die Seelen der Hingeschiedenen zu fangen.
Diejenigen, welche er erhascht, schenkt er dem Nombu, einem andern Geist, der
sie verschlingt. Ob der Mensch bzw. die Seele etwas tun kann, um dem Netze
des Lug zu entrinnen, ob nur die Seelen der Bösen oder auch die der Guten
gefangen werden können, davon schweigt die Sage, wie auch von dem Schicksale
derienigen, welche in Nomöus Schlund gewandert sind.“
Dieses Schweigen der Sage schließt noch nicht notwendig eine dunkle Ahnung
don einer Scheidung der Guten und Bösen aus. Cantova fand auf vielen Inseln
diesen Glauben; auch ist es schwer glaublich, daß es nach der Meinung der Yaper
dom bloßen Zufall abhänge, ob er von Lug gefangen und dem Nomöu zum
Verschlingen übergeben werde oder nicht. Eine weitere Untersuchung dürfte vielleicht
Aufklärung bringen. Interessant ist immerhin, daß unter den Seelen der Dahin⸗
geschiedenen wenigstens insofern ein Unterschied obwaltet, als derjenige, welcher
es im Leben versäumte, sich die Ohrläppchen und den Nasenknorpel durchlöchern
zu lassen, nicht sogleich in das Innere der Wohnung der Seligen eintreten darf.
Ebd. 58. 2 Vgl. Missions catholiques 1889, 528.
3 Vgl. P. Müller, Bericht über die Missionen der rheinischewestfälischen Kapuziner⸗
Ordensprovinz auf den Karolinens, Marianens und Palau⸗Inseln (1908) 12.
tAnthropos VIII (1913) 612.
Der Buchstabe 3 wird wie das scharfe englische th gesprochen.
162 Fünfter Teil. Australien und Ozeanien.
Er muß unter dem Vordache kampieren, darf sich erst nach einiger Zeit un⸗
bemerkt hineinstehlen und muß sich deshalb mit einem verborgenen Winkel be⸗
gnügen!. Was aber wichtiger ist, die Yaper glauben, wie wir gleich hören
werden, an einen Gott, der die schlechten Menschen nach dem Tode straft.
P. Walleser nennt das „höchste Wesen“ der Yaper Volafaz. F. W.
Christians?, der sich lange auf den Karolinen aufgehalten hat, bringt eine
lange Liste von den Göttern der Insel Yap (Yap Gods): Yalafath ist
der Schöpfer, er wird als ein wohlwollendes, aber indolentes Wesen be⸗
rachtet; er verleiblicht sich in dem Vogel Mui-bab (Albatros). Nemegai oder
Nemegui ist seine Frau. Lug heißt der Gott der Krankheit und des Todes;
er ist ein böser und stets tätiger Gott, der in dem Orra, einem schwarzen Nacht⸗
vpogel, Wohnung nimmt. Luk-e-ling ist der Gott der Seefahrer, Kuku—
balal ist der Gott der Pflanzungen, Jlagoth, der Gott, der die guten und
friedfertigen Leute segnet und verteidigt Marapou, der Sonnengott, Urur,
der Mondgott. Sie haben auch einen Gott der Diebe und Räuber, einen Gott
der Wöchnerinnen, einen Kriegsgott, einen Regengott usp. Gora dai leng
ist der rächende Gott, der die schlechten Menschen nach dem Tode
straft. Unter seiner unterirdischen Wohnung fließt ein Strom. Nachdem er
durch Feuer gequält worden, fällt der schlechte Geist (der Geist der schlechten
Menschen) ins Wasser und wird von der Strömung in ein tiefes Loch gerissen
oder in einen Abgrund von Flammen, wo er für immer verschwindet. Außer⸗
dem gibt es noch Halbgötter und Götter der verschiedenen Distrikte.
3. Ziemlich verschieden von denen der Yaper sind die Anschauungen und
Gebräuche der Bewohner der Insel Ponape. Die Kleidung der Männer
bei der Arbeit besteht in einem etwa 1 Fuß breiten und 4 Fuß langen
Gürtel, der um die Hüften geschlungen ist, zwischen den Schenkeln hindurchgezogen
und hinten am Gürtel wieder befestigt wird, so daß er wie ein Schwanz
zerunterhängt. Die Frauen tragen einen breiten, aus Baumrinde geflochtenen
Gürtel, der bis zu den Knien herabreicht. Die Häuser sind meist gut und
solid gebaut und ruhen auf einer 4225 Fuß hohen Plattform aus Steinen.
Noch größer und schöner als die andern Gebäude ist das Rathaus, an dessen
Ende sich oft ein Schlafraum für den Häuptling und seine Familie befindet.
In der Industrie stehen die Ponapeer ziemlich hoch. Ihre Werkzeuge, Kähne,
Waffen, Hausgeräte und Schmuchksachen der verschiedenen Art verraten eine große
Kunstfertigkeit. Im Charakter sind die Bewohner von Ponape den übrigen
Karolinern sehr ähnlich. Sie haben viel von dem malaiischen Stoizismus und
sind oft apathisch, aber scharfsinnig und schlau. Wenn es darauf ankommt,
kann der Ponapeer große Energie bei der Arbeit entwickeln, dann fällt er aber
wieder seiner indolenten Trägheit anheim. In seinem Verhalten zeigt er eine
komische Mischung von Schlauheit und Naivität, von Ernsthaftigkeit und Spaß—⸗
Jaftigkeit, von leichtsinniger Schelmerei und einem gewissen rohen Gefühl für
Gerechtigkeit. Gegen Fremde ist er zurückhaltend, mißtrauisch und verschwiegen.
In der Regel ist er ehrlich Hat man einmal sein Mißtrauen überwunden und
sein Vertrauen gewonnen, ist er ein treuer Freund, höflich, außerordentlich gast⸗
Anthropos VIII (1918) 613. 2 The Caroline Islands, London 1899, 384.
2. Die Karoliner.
163
frei und in allem seinem Verhalten gerecht!. Gegen Feinde aber ist er ver—
logen, heimtückisch und schikanös. In seinem Privatleben ist er selbstlos, frugal
und sparsam. Zur Rachsucht neigt er, wie alle Ozeanier, aber er läßt sich
leicht durch Geschenke und Entschuldigungen versöhnen. Er ist ein guter Vater,
aber ein strenger und sehr exigenter Gatte. Manche von den alten Männern
ind gewandte Beobachter der Sterne, der Winde und der vorherrschenden
Strömungen. Die alten Leute sind geehrt, besonders wenn das Alter mit
Weisheit und Gewandtheit verbunden ist. Der Priester, der Ratgeber, der Arzt
und der Wahrsager stehen in hoher Achtung. Der großmütige und klug voraus—
sehende Mann wird gepriesen, der engherzige Mann und der Dieb werden ver—
achtet. Mangel an kindlicher Pietät oder natürlicher Liebe gilt als eine Schande
und zieht den Fluch der Ahnengeister in diesem und im jenseitigen
Leben nach sich. „Es ist sehr bedauerlich, daß der Charakter der Ponapeer
in der letzten Zeit sich sehr verschlechtert hat. Manche von den Eingebornen
iind diebisch, geizig und unhöflich geworden.““ Ob der Umgang mit den
ꝛuropäischen Abenteurern nicht viel dazu beigetragen hat?
Eigentümlich ist die Hochzeitsfeier. Das Mädchen wird in das Haus
des Bräutigams gebracht, setzt sich nieder und läßt sich von ihrer zukünftigen
Schwiegermutter die Schultern und den Rücken mit Kokosnußöl einreiben. Man
nennt das Keieti (Salbung). Es wird ihr dann ein Blumenkranz aufs Haupt
zelegt, und die Zeremonie schließt mit einem Festmahl. Die Ehe kann jederzeit
bon beiden Seiten gelöst werden. Die meisten Ponapeer haben nur eine Frau,
die Polygamie gilt als Vorrecht der reichen und mächtigen Häuptlinge. Der
Ehebruch wird ohne weiteren Prozeß durch eine Tracht Prügel oder durch Ehe—
scheidung bestraft. Der Austausch der Frauen zwischen Freunden und Ver—
vandten soll zuweilen vorkommen. Auch Prostituierte (Rorau) werden geduldet.
Annahme an Kindes Statt ist allgemein und begründet ein Netz von ver—⸗
wandtschaftlichen Beziehungen, in denen sich nur die Eingebornen zurecht finden.
Die Abstammung wird von der Mutter hergeleitet wie bei vielen andern
Dzeaniern. Glieder desselben Klans (tipu) dürfen einander nicht heiraten.
Die Frau muß stets aus einer fremden Abteilung genommen werden. Um seine
Frau zu erlangen, dient der Bewerber im Hause des Schwiegervaters, wie Jakob
dei Laban, aber manchmal umsonst. Tätowierung ist bei den Männern und
Frauen im Brauch, doch wird das Gesicht nie tätowiert. Wenn die Knaben
ins heiratsfähige Alter kommen, müssen sie sich einer sehr schmerzlichen Operation
anterziehen, dem sog. Lekelek (oxcisio unius testiculi)s.
Das Begräbnis findet unter vielen Zeremonien und feierlichen Leichen—
reden statt. Der Name eines Verstorbenen wird selten und nur ungern ge—
nannt, deshalb hält es sehr schwer, von den Insulanern Stammbäume zu
erhalten. Die Verehrung der Ani oder vergötterten Ahnen und eine Art
Tierverehrung oder Totemismus scheinen der Kernpunkt der ponapeischen Religion
zu sein. Jedes Dorf, jedes Tal, jeder Hügel oder jeder Fluß hat seinen Orts—
geist, jede Familie ihren Hausgeist, jeder Klan und jeder Stamm seinen be⸗
'ondern Schutzgeist. Donner, Blitz, Regen, Sturm, Wind, Fischerei, Anpflanzung,
———
Ohristians, The Caroline Islands 72. 2 Ebd. 8 Ebd. 74.
164
Funfter Teil. Australien und Ozeanien.
Krieg, Feste, Hungersnot, Geburt, Krankheit und Tod, kurz alles hat seinen
besondern Schutzpatron oder regierenden Geist. Die Einbildungskraft der Pona⸗
heer bebölkert den Sumpf, das Riff, den Berg, die hängenden Wälder in der
Wildnis des Innern mit einem ganzen Heer von Geistern, von denen einige
wohlwollend, die meisten bösartig sind.
Alle diese Ani werden in der Gestalt irgend eines besondern Vogels, Fisches
oder Baumes verehrt, von denen man annimmt, daß die Geister in ihnen
wohnen und mit denen sie identifiziert (2) werden. Daß dieser letztere Ausdruck,
dessen sich Christians bedient, nicht ganz korrekt sein kann, folgt aus dem, was
er gleich beifügt. Alle diese sichtbaren Dinge nennen sie Tan-⸗waar, wörtlich
Kanoe, Fahrzeug oder Medium (ähnlich dem Vaa oder Vaka der Polynesier
oder dem Huaca oder Vaka der Peruaner). So ist der Kastanienbaum das
Medium des Donnergottes, der blaue Sternfisch das des Regengottes, der Hai⸗
fisch das des Donnergottes, der Lukot (eine Art Eule) das Sinnbild der Fee
di-Ara-Katau, eines von den Ortsgeistern an der Ostküste.
In ihrer Mythologie reden die Insulaner von einem unterseeischen Para⸗
dies (Pachet), einem Ort ewiger Festfreude von lieblichem Anblick und voll
von süßen Wohlgerüchen. Sie haben auch einen unterirdischen Tartarus (Pue⸗
liko), der dunkel, kalt, voll Schlamm ist und von zwei grimmigen weiblichen
Bestalten, Lichar und Licher, bewacht wird. Die eine hat ein blinkendes Schwert,
die andere eine leuchtende Fackel in der Hand. Die Auffassung erinnert nach
Christians an den Yomi der Japaner und den Yama der älteren Vedas!.
Aus dieser Auffassung darf man wohl schließen, daß die Idee einer jenseitigen
Vergeltung wenigstens dunkel vorhanden ist. Die einen kommen in die Holle
Pueliko), die andern in das Paradies.
Christians gibt eine lange Liste der Götter und Göttinnen von
Ponape, die nicht weniger als 40 Namen enthält?. Licher GHerrin der Fackel)
und Lichar (Herrin des Schwertes), die Hüterinnen der Hölle, wurden schon
genannt. Erwähnt seien noch folgende. Kimai ist eine weise Frau aus alter
Zeit vom Stamme Metalanim im Maluppdistrikt, wo zuerst die Luou oder
Spangen aus Muscheln zum Schmuck verfertigt wurden. Chausstesleur ist
der Name eines alten Königs oder einer Dynastie, unter der Ponape nur ein
Reich bildete, die großen Mauern von Nan-Tauach und das Heiligtum von Pan⸗
Katara gebaut und die kleinen bewallten Inseln bei Tomum von den göttlichen
Zwillingen, den Baumeistern Ola-sipa und Olo-sopa, hergestellt wurden. Olo-sopa
wurde von bestimmten Horden aus dem Süden unter Anführung Icho-Kalakals
der als Kriegsgott verehrt wird) geschlagen, kam in den Fluten des Chapalap⸗
dusses um und verwandelte sich in einen blauen Fisch, Kital, der bis heute ein
Tapufisch ist. Kutun ist der Gott des Riffs und der kleinen Inseln in der
Lagune. Sein Totem ist der Li⸗er-puater, eine Art Fisch. Rakim ist der Gott
des Hausbaues und des Zimmermannshandwerks. Nach Dr Gulick ist er der Ur⸗
heber aller Ubel: der Krankheit, des Todes und der Hungersnot. Nach Christians
ist Ralim wahrscheinlich der Wolkengott und entspricht der klassischen Iris.
Li-kant-en-kabp, der Stachelroche (Sting-ray), ist das Totem des Tib⸗en⸗nai⸗
Ohristians, The Caroline Islands 75. 2 Ebd. 381-384.
2. Die Karoliner.
465
tammes, der Nachkommen der großen Invasion unter Icho-Kalakal. Ina-maram
ist die Mondgöttin, Nan-ul-lap ist der Priapus von Ponape und der Gott
der Feste. Er lenkt alle Ereignisse des Lebens: Geburt, Krankheit, Tod, gutes
und schlechtes Geschick. Ihm waren die Turteltauben, eine Art Papagei und
die Tepfische heilig; sie waren Chapu (Tapu?) und durften nur von den
Stammeshaäuptern gegessen werden. Luka-lapalab (Luk), der Gott der
uͤbel; er gilt auch als der Geist, der über die Fläche der Meere dahinfuhr und
den Ländern befahl, emporzusteigen, und der den Pflanzen und Bäumen Namen
gab. Er tritt also auch als wohltätiger Gott und Urheber der Erde auf.
Christians meint, alle Götter der Ponapeer seien vergötterte Ahnen, aber
er gibt keine ausreichenden Gründe dafür an, und was er über Nan⸗-ul⸗-lap und
duk berichtet, läßt sich kaum mit dieser Ansicht vereinigen.
Wir haben schon angedeutet, daß die Stämme auf Ponape in Klans ein—
geteilt sind, und wie es scheint, ihre Totems haben. So z. B. heißt ein Klan
Tipzen-Luk; sie sind die Nachkommen der schon erwähnten Invasion unter
Icho-Kalakal; sein Totem ist nach Christians der Likantenkap oder der Stachel—
roche. Die Könige und ihre Familien hatten besondere Namen und Titel. Diese
Familien der Könige und Häuptlinge bildeten den Adel. Unter ihm standen
die Maio oder freien Männer, dann kamen als eine niedrigere Schicht die
Aramach-mal oder gemeinen Leute und endlich die Litu oder Sklaven, meist
die Nachkommen von Kriegsgefangenen 1.
Zu den Adeligen wurden auch zwei religiöse Körperschaften gerechnet, die
Chaumaro oder Hohenpriester, und die Laiap oder die Priester zweiten
Ranges. Diese hatten großes Ansehen und vereinigten in sich die Funktionen
der Doktoren, Zauberer, Regenmacher und Wahrsager. Ihnen lag auch die
Deutung der Träume und Vorzeichen ob und sie hatten die gefürchtetste Gewalt
der Ria oder der Flüche und Verwünschungen. Sie ordneten das Hofzeremoniell,
die öffentlichen Feste, bestimmten die rechtzeitige Anrufung der Götter des Regens
und der Ernte, die Vertreibung der Hungersnot und aller öffentlichen und
privaten Unglücke und die Aufrechthaltung des Tapus (Charaui). Auch in den
Versammlungen nahmen sie einen Ehrenplatz ein.
Bei allen Stämmen waren die Koönige und Häuptlinge sehr geehrt und
wurden nie mit „du“ angesprochen, sondern im Plural mit „Ihr“. Trotzdem
dehen die Häuptlinge mit ihren Stammesleuten sehr familiär und freundlich
um. was bewirkt, daß alle einander sehr zugetan sind und fest zusammenhalten 2.
4. Über die Inselgruppe Hogoleu, Mac Askill, Duperreh und Tamatam
deröffentlichte der Amerikaner Morrell, der sie in den Jahren 1829 - 1830
besuchte, eine interessante Schilderung. Wir teilen hier einige Stellen daraus
mit, bemerken aber doch, daß wir die Darlegung für übertrieben halten.
Morrell schildert die Insulaner als die tätigsten, liebenswürdigsten und inter⸗
essantesten Menschen, die er je besucht habe. Nicht genug Worte kann er finden,
um ihre Geschicklichkeit, Kühnheit und Ausdauer zu loben. Von ihrer geschlecht—
lichen Sittlichkeit sagt er: Die Keuschheit und die Treue in der Ehe scheinen
diesen Völkern angeborne Gefühle zu sein, und man begreift kaum die Möglich—
Ebd. 325. 2 Ebd. 326.
TKathrein, Die Einheit d. sittl. Bewußtseins. III.
20
166
Fünfter Teil. Australien und Ozeanien.
keit, solche Pflichten zu verletzen (7d). Die Ehen sind deshalb fast immer glüd—
lich. Eine Frau spricht mit ihrem Mann nie anders als mit dem Lächeln der
Zufriedenheit. Bei allen meinen Verbindungen mit ihnen habe ich nie einen
Mann hart oder barsch mit seiner Frau sprechen hören. Die Bande der Ver—⸗
wandtschaft scheinen bei ihnen heiliger zu sein als bei den zivilisierten Ameri⸗
kanern. Sie sind treue Freunde, gute Nachbarn und bekunden grenzenlosen
Gehorsam gegen die Gesetze und Gewohnheiten, unter denen sie leben. Die
Handlungen der Ungerechtigkeit und Bedrückung sind bei ihnen kaum bekannt,
im Gegenteil find Menschlichkeit, Milde und Wohlwollen allgemeine Tugenden.
Sie kämpfen tapfer für die Sache eines Freundes, hegen aber weder Haß noch
Groll wegen einer persönlichen Beleidigung (7) 1.
„Ihre religiösen Ideen kann man in wenige Worte zusammenfassen.
Sie glauben, daß alles von einem weisen und mächtigen Wesen
erschaffen wurde, welches alles leitet und regiert und das über den Sternen
wohnt; daß dieses höhere Wesen über alle seine Kinder und belebten Geschöpfe
mit väterlicher Liebe und Sorgfalt wacht ... daß die guten Handlungen
ihm angenehm sind, die bösen aber mißfallen; daß sie später
nach ihrem Wandel in diesem Leben glücklich oder unglücklich sein werden;
daß die Guten dann auf einer Gruppe köstlicher Inseln leben werden, die noch
schöner sind als die ihrigen, während die Bösen von den Guten getrennt und
auf eine öde, felsige Insel gebracht werden, wo es weder Kokospalmen noch
Brotfruchtbäume, noch frisches Wasser, noch Fische, noch irgend eine Spur von
Pflanzen gibt. Übrigens haben diese Insulaner weder Tempel noch Kirchen
noch äußere Formen des Gottesdienstes; aber sie sagen, sie liebten das höchste
Wesen wegen seiner Güte gegen sie.“ Vielleicht sind diese religiösen Ideen noch
ein Überrest der christlichen Lehre, welche die Missionäre ihnen im 18. Jahr⸗
hundert verkündet hatten.
Von der Ehe sagt Morrell: „Den Ehebund sehen sie als eine heilige Ver—⸗
pflichtung an, und er muß im Beisein des Königs oder eines der vornehmsten
Beamten Sr Majestät geschlossen werden, der gehoͤrig bevollmächtigt und eigens
dazu abgesandt ist. Ehe ein solcher Bund geschlossen wird, ist den beiden Ge⸗
schlechtern keine Beschränkung aufgelegt, und die Mädchen können ihre Gunst⸗
bezeigungen einem jeden gewähren, ohne irgend einen Vorwurf zu erfahren oder
Reue darüber zu fühlen; sind sie aber einmal verheiratet, so wird ein Fehltritt
rine Schande. Eine Schwangere, sie mag verheiratet sein oder nicht, wird
überall geehrt und geachtet. Sie ist stolz auf ihre Fruchtbarkeit und weit ent⸗
fernt, ihren Zustand auf irgend eine Art verbergen zu wollen. Der junge Ein⸗
Jeborne, der sich eine Frau sucht, gibt gewöhnlich jener den Vorzug, welche
bereits einen so sichern Beweis ihrer Fähigkeit, eine Familie zu bilden, ge⸗
geben hat.“8
VBgl. Malerische Reisen um die Welt, verfaßt von einer Gesellschaft Reisender und
Gelehrter unter der Leitung von Dumont d'ürville. Ins Deutsche übersetzt von
Diezmann, II, Leipzig 1835-1837, 256.
2 Ebd. 256 -257. s Ebd. 257.
83. Die Palau⸗Insulaner.
467
3. Die Palau⸗Insulaner.
Die Palau-Inseln (Pelewinseln, früher auch westliche Karolinen genannt)
üüegen ungefähr in der Mitte zwischen den Philippinen und den eigentlichen
Karolinen. Die Einwohner wurden erst durch die Mannschaft der „Antilope“
bekannt, die unter Führung des Kapitäns Henry Wilson im Sommer des
Jahres 1783 an diesen Inseln Schiffbruch litt!.
Die Bemannung war bei der Landung sehr besorgt vor den noch un—
bekannten Bewohnern, sie fand aber eine sehr freundliche und hilfreiche Auf—
nahme. Zum Glück traf sie zwei Dolmetscher auf der Insel, mit deren Hilfe
sie sich den Eingebornen verständlich machen konnte. Die Männer waren ganz
nackt, die Frauen hatten vorn und hinten eine am Gürtel befestigte Schürze
als Schamhülle. Alle zeigten den Engländern großes Wohlwollen, lieferten
ihnen die nötigen Lebensmittel und halfen ihnen in jeder Weise.
An der Spitze der Insel Palau (Pelew) stand der König Abba—-Thulle,
der von allen wie ein Vater betrachtet wurde. Obwohl er keine äußeren Ab⸗
zeichen seiner königlichen Würde trug, erwies man ihm doch jede Art von
Zuvorkommenheit und Unterwürfigkeit?. Selbst die ihm untergeordneten Häupt⸗
linge (Rupacks) erwiesen ihm die größte Ehrfurcht. In dringenden Angelegen—
heiten versammelte er diese Rupacks und die andern Beamten. Die Versamm⸗
lung fand unter freiem Himmel statt. Die Befehle des Königs schienen absolut
zu sein. Täglich setzte sich der König an einen öffentlichen Platz, um die
Bitten seiner Untertanen anzuhören oder ihre Streitigkeiten zu schlichten. Die
deute schienen übrigens friedlich und wohlwollend miteinander zu verkehren.
Die zweite Person nach dem König war ein General (Raa-Kook), der Anführer
der Kriegstruppen.
An Eigentum schienen die Eingebornen nur das zu besitzen, was fie
durch Arben erworben, der Boden gehörte dem König. Doch wurden die
Häuser, die Möbel und die Kanoes als Privateigentum angesehen; dasselbe
galt von dem Boden, den man einem Mann überließ, solange er ihn bebaute.
Jede Familie hatte ein derartiges Grundstück, aus dessen Bebauung sie ihren
Unterhalt zog.
Es herrscht bei den Palau-Insulanern Vielweiberei, gewöhnlich hat aber
jeder Mann nur zwei Frauen. Während der Schwangerschaft werden die
Frauen sehr rücksichtsvoll behandelt. Als ein Engländer der Frau eines Rupacks
zu auffällig zu gefallen suchte, sagte ihm ein Eingeborner mit großer Höflich⸗
keit. er handle nicht recht. Die Ehe gilt als unbverletzlichs.
Beim Begräbnis versammeln sich die Männer um die Leiche, bevor sie
zu Grabe getragen wird, und beobachten ein ehrfürchtiges Schweigen. Sie be—
gleiten die Leiche nicht zum Grabe, mit Ausnahme von denen, die die Leiche
tragen. Die Weiber besorgen die Klage. Sie haben eigene Begräbnisstätten.
1Relation des IIes Pelew composée sur les journaux et les communications du
bapitaine Henri Wilson et quelquesuns de ses officiers, qui en aouût 1783 y ont
ait naufrage sur l'Antelope. Traduit de l'anglais, 2 Bde, Paris 1793.
2Ebd. II I4b ff. s Ebd. 189.
2
ꝓp
168
Fünfter Teil. Australien und Ozeanien.
Die Palau-Insulaner schienen keine eigenen Kultstätten zu haben und
auch keinen äußeren Kult. Da sie aber die menschlichen Pflichten so treu er⸗
füllten, so arbeitsam, so geduldig und ergeben im Unglück waren, so schlossen
die Engländer mit Recht, daß sie irgend welche Hoffnung auf ein zukünftiges
Leben hatten. Sie glauben an ein böses Wesen, das den Menschen Schaden
zufügt. Sie unternehmen nichts, ohne zuvor die Blätter einer gewissen Pflanze
zu spalten, um zu erfahren, ob das Unternehmen glücklich ausfallen werde
oder nicht.
Wenn Kapitän Wilson seine Mannschaft am Sonntag zum Gottesdienst ver⸗
sammelte und mit ihnen Gebete verrichtete, zeigten sich die Eingebornen nicht im
mindesten erstaunt, sondern schienen gut zu verstehen, daß sich die Engländet
an ein höchstes Wesen wandten, um seinen Schutz zu erlangen; sie begleiteten
die Engländer bei dieser Gelegenheit mit großer Ehrfurcht, indem sie den Wunsch
adußerten, sie nachzuahmen, und das tiefste Stillschweigen beobachteten.
Einst unterhielt sich Kapitän Wilson mit Lee-Boo, dem Sohne des Königs
Abba⸗-Thulle, den dieser ihm als Begleiter nach Europa mitgegeben hatte, und
sagte ihm, die Gebete hätten den Zweck, die Menschen besser zu machen; wenn
die Menschen gestorben und begraben seien, würden sie nach oben gehen und
dort leben (dabei zeigte er ihm das Firmament). Lee-Boo antwortete ihm
sofort, indem er die Hand erhob und die Finger bewegte: „Dasselbe auf
Palau; — die bösen Menschen auf Erden bleiben; — die guten Menschen in
den Himmel gehen, sehr schön werden.“ Er wollte damit ohne Zweifel aus—⸗
drücken, daß auch diese Insulaner an das Fortleben der Seele nach dem Tode
des Leibes glaubten.
Wilson schildert dann noch die Höflichkeit und Dienstfertigkeit der Insulaner
und ihre Freigebigkeit. Auch unter sich waren sie höflich, arbeitsam, offen und ohne
Verstellung!. Die Bescheidenheit der Frauen wird sehr gelobt. Ihre Zärtlich⸗
keit verletzte nie die Schamhaftigkeit; im allgemeinen lehnten sie jeden Verkehr
mit den Europäern ab und zeigten sich beleidigt, wenn man sich ihnen gegen⸗
über unanständige Freiheiten herausnahm.
Einem seiner Verwandten warf der König in Gegenwart der Engländer
bor, er sei undankbar und nachlässig gegen seine Mutter, er habe sehr gute
und ehrbare Frauen und behandle sie schlecht, ebenso wie alle Verwandten;
deshalb sei er auch allgemein verachtet. Dieser selbst gestand, er schäme sich seiner
Aufführung und wolle deshalb von seiner Familie fliehen und mit den Europäern
wegziehen?. Daß sie den Diebstahl selbst Fremden gegenüber als böse ansahen,
zeht daraus hervor, daß sich Raa-Kook, der General, sehr gekränkt zeigte durch
die Diebstähle, welche seine Landsleute gegen die Engländer begingen und durch
welche sie, wie er sagte, das Gastrecht verletzten 8.
Die merkwürdige Familienorganisation, die noch heute auf den Palau⸗Inseln
besteht, schildert uns der Kapuzinermissionär P. Salvator in einem Briefe
vom April 19112. Die Ehe wird meist von vornherein in der Voraussicht
WMilson, Relation des Iles Pelew usw. II 90. 2 Ebd. 81.
Ebd. 110.
Müller, Aus den Missionen der rhein.westf. Kapuziner⸗Ordensprovinz ufw .,
Jahresbericht 1911, 53 ff.
3. Die Palau⸗Insulaner.
469
eingegangen, sie gelegentlich wieder zu lösen. Es gibt wohl nicht eine einzige
Ehe, die, in den Jugendjahren geschlossen, für die ganze Lebenszeit standgehalten
hätte. Grund dieser lockern Eheberhältnisse ist außer der Unbeständigkeit des
CTharakters vor allem der Umstand, daß die Ehen selten aus Neigung, fast nur
aus Familienrücksichten oder ähnlichen Nützlichkeitserwägungen geschlossen werden.
—X
tigung beider Geschlechter. Das weibliche Geschlecht steht hier dem männlichen
unabhängig und selbständig gegenüber. Die Frauenwelt bildet gleichsam einen
Staat für sich; sie haben unter sich eigene Klubs wie die Männer und regeln
ihre Angelegenheiten selbständig und unabhängig unter sich. Sie sind sich ihrer
Unabhängigkeit und Freiheit auch wohl bewußt. . .. Sie brauchen die Männer
aicht, wohl aber brauchen umgekehrt die Männer sie zur Besorgung der Taro—
felder und des übrigen Haushaltes“. Es herrscht hier auch die weibliche Erb—
folge. Sowohl die Familien⸗ und Stammgüter wie auch die Häuptlingstitel
dererben sich nicht vom Vater auf den Sohn, sondern gehen auf die Nach—
kommenschaft seiner Schwestern über. Der Ehemann als solcher spielt da eine
danz untergeordnete Rolle. Nur in der weiblichen Linie besteht die Stärke des
Stammes, nur im weiblichen Geschlecht erhält sich die Familie in ihrer Eigenart
und Individualität; die Frauen sind die Zukunft und die Hoffnung des Landes,
fie sind die Ardalal Bälau, die Mütter von Palau. Bei dieser hohen Be⸗—
deutung des weiblichen Geschlechts ist die leichte Lösung des Ehebandes nur zu
begreiflich; keiner der beiden Ehegatten hat ein besonderes Interesse an der
stetigen Fortsetzung der ehelichen Gemeinschaft, die Frau nicht, weil ihre Kinder
als solche erbberechtigt sind und den Namen oder die Familie fortsetzen, ohne
Rücksicht darauf, wer zufällig ihr Vater ist; der Mann nicht, weil sein Eigentum
und sein etwaiger Titel nicht auf seine Kinder, sondern auf die seiner Schwestern
dererbt wird.
Die Missionäre suchen diesen lockern Eheverhältnissen entgegenzuarbeiten, be—
gegnen aber der größten Schwierigkeit wegen des scharf ausgeprägten Patriarchal⸗
ystems. Jedes Dorf besteht aus einer bestimmten Anzahl von Familien und
Familiengütern. Besitzer und Eigentümer ist der jeweilige älteste männliche
Angehörige des Stammes oder der Familie. Dieser allein verfügt über das
Familiengut, er ist das Haupt der ganzen Familie, und alle ihre Glieder,
männliche und weibliche, unterstehen ihm, alle müssen für ihn arbeiten und er—
halten dafür von ihm ihren Unterhalt und wohnen bei ihm. Was sie erwerben,
kommt zum Familiengut, und das Haupt der Familie hat das Verfügungsrecht
darüber. Privatbefitz hat das einzelne Mitglied nicht, eine Teilung des Privat—
besitzes gibt es nicht. Verheiratet sich ein Familienmitglied, so kann es keine
selbftändige Familie gründen, es bleibt dem Oberhaupt der Familie, dem Chobekul
a blai, unterstellt, muß mit seiner Frau ihm Dienste leisten und erhält dafür
von ihm für sich und seine Familie Unterhalt und Wohnung. Durch Eingehung
der Ehe werden beide Teile zwei Familienhäuptern dienstbar, der Mann außer
seinem eigenen Chobekul auch dem Chobekul der Frau und diese neben ihrem
Chobekul auch dem des Mannes. Deshalb wohnen und arbeiten auch beide
dald bei der einen bald bei der andern Familie. Bekommen sie Nachkommen⸗
schaft, so teilt diese das Los der Eltern. Daher kommt es, daß in einem
470 Fünfter Teil. Australien und Ozeanien.
Familienhause oft viele Familien beisammen wohnen und Kinder verschiedener
Familien zusammenleben. Ein eigentliches Familienleben ist unter solchen Um⸗
ständen fast unmöglich, und der Chef des Hauses beherrscht mit seiner Frau
alle Familienangelegenheiten.
Man begreift, wie schwer es einem christlichen Ehepaare in einer solchen
Lage ist, ein christliches Familienleben zu führen, wenn die übrigen, und vor
allem die tonangebenden Persönlichkeiten noch Heiden sind. Übrigens ist, wie
der Missionär hervorhebt, dieses Patriarchalsystem nicht nur ein wesentliches
Hindernis des Christentums, sondern auch jedes Fortschrittes, weil es jegliche
Initiative, jedes Interesse für individuelle Entfaltung unterbindet und ein Haupt⸗
grund der Trägheit und Arbeitsscheu des Volkes ist.
Eine Sonderbarkeit der Palau-Inseln ist das ausgebildete Geld- und Wechsel⸗
system. Das Geld besteht aus kleinen Glas- oder Steinstückchen von verschiedenen
Formen. Woher dieses Geld nach Palau kam, weiß niemand zu sagen; denn
solche Steine und Erdmassen, wie sie zur Anfertigung dieses Geldes verwendet
werden, gibt es in Palau nicht; auch kennt der Palauer die Kunst nicht,
Porzellan oder Lehm regelrecht zu brennen. Ein amerikanischer Reisender will
ein ganz ähnliches Geld bei einem Stamm auf Borneo gefunden haben. Die
Palauer selbst haben allerlei Legenden und Fabeln über den Ursprung des Geldes.
Viele erzählen, es sei von den Geistern oder Göttern, den Kalids, vom Himmel
gebracht worden. Das Geld ist ein Geschenk der Geister, die über dasselbe
wachen. Darum gilt es als heilig, das nur mit Ehrfurcht behandelt werden
darf, wenn man sich nicht der Strafe der Geister aussetzen will. Von Zeit zu
Zeit werden die größeren Gelder gewaschen und gebadet; das Waschwasser, das
gegen die bösen Kalids schützen soll, wird von der Familie getrunken. Das
Beld übt auf die Palauer eine geradezu unwiderstehliche Gewalt aus; für ein
einheimisches Geldstück tut der Palauer alles.
Reich und arm ist in Palau gleichbedeutend mit Adel und niederem Volk
in der zivilisierten Welt. Die Kluft zwischen beiden wird hier durch den Besißz
einiger Steine geschaffen, und verschafft dem Reichen Vorrechte, die sich nicht
einmal ein wenig bemittelter Häuptling anmaßen darf!.
4. Die Marshallaner.
Die Marshallinseln bilden den östlichen Teil des deutschen Südseegebietes
und bestehen aus zwei nahezu parallelen Inselreihen, von denen die östliche
Reihe Ratak, die westliche Ratik heißt. Die Inseln sind fast alle sog. Atolle
oder ringförmige Koralleninseln. Die Marshallaner erscheinen im Durchschnitt
dei schlankem Wuchs und ebenmäßiger Entwicklung mittelkräftig; die Farbe ist
meist kastanienbraun; die Augen sind groß und zeigen heitern, lebhaften und
geweckten Ausdruck. Die Ohrläppchen behängen sie vielfach mit schweren Gegen⸗
ständen, so daß sie oft fast bis auf die Schultern herabhängen. Wir schildern
hier natürlich die Insulaner, wie sie bis vor einigen Dezennien waren; denn
heute europäisieren sie sich immer mehr. Die ursprüngliche Kleidung bestand nach
1
Mäller, Aus den Missionen usw., Jahresbericht 1909, 47 —48.
4. Die Marshallaner.
471
Kotzebue und Chamisso!, die zuerst die Inseln besuchten, für die Männer in einem
Gürtel mit hängenden Fransen, mit dem sie oft eine kleine viereckige Decke in
Gestalt einer Schürze verbanden. Die Knaben gingen ganz nackt. Die Frauen
hatten zwei längere Decken, die durch Schnüre an den Hüften befestigt wurden;
die Mädchen erhielten schon früh eine kleine Schürze. Die zierliche und gut ge—
zeichnete Tätowierung ist bei beiden Geschlechtern verschieden, sonst aber bei jedem
gleich. Unter den dargestellten Zeichnungen sah Chamisso häufig die Gestalt
eines römischen Kreuzes. Die Häuptlinge tätowierten gewöhnlich nur jene Stellen,
wie Seiten, Hüften, Hals usw., welche bei den gewöhnlichen Leuten nicht
tätowiert sind.
Die Wohnungen sind noch heute armselige Hütten, in denen man kaum
stehen kann und die eigentlich nur als Schlafstellen dienen. Vier niedrige Pfosten
tragen das Dach, unter dem ein wagerecht liegendes Balkenwerk einen oberen
Raum abschließt, in welchem die Habe aufbewahrt wird und zu dem man mit
hlettern durch eine viereckige Offnung gelangt. Eine Matte dient als Bett und
ein Stück Holz als Kopfkissen.
Die Eingebornen sind, wie der Missionär H. Linckens M. 8. O.? schreibt,
in drei Klassen eingeteilt. An der Spitze stehen die Häuptlinge: Iro j (männ⸗
licher Häuptling) oder Liroj (weiblicher Häuptling), an zweiter Stelle kommen
die Buirak, d. h. die Freien oder Adeligen; zur letzten Klasse gehört das ge⸗
wöhnliche Volk oder die Kajur. Nach Karl Hagers heißen manche Kajur
deotaketak, nämlich diejenigen, welche erbliches Besitztum haben, das sich der
Häuptling nur aneignen kann, wenn er den Besitzer tötet. Die Leotaketak
önnen auch mehrere Frauen besitzen, sonst stehen sie den Kajur gleich. Die
Stellung der Kajur gleicht der der Leibeigenen im Mittelalter.
Die Häuptlinge besitzen ein sehr ausgedehntes Steuerrecht; die Hälfte
des Jahres ist die Kopraernte ihr Eigentum; fast nach Willkür verfügen sie
über alle Einnahmen ihrer Untergebenen; der geringste Wunsch eines Häuptlings
ist ein Befehl, dem kein Untergebener zu widerstehen wagt“‘. Die Häuptlings-
würde (Adel) wird nicht durch den Vater, sondern durch die Mutter vererbt.
Die Wuürde der Mutter allein ist maßgebend, so daß die Kinder eines Häupt⸗
lings einfache Buirak sind, wenn seine Frau nicht Liroj ist; dagegen sind die
Kinder einer Liroj immer Häuptlinge, auch wenn der Vater ein gewöhnlicher
Kajur ist. Ferner ist die Häuptlingswürde an einen Ort gebunden, so daß
ein Häuptling von einem Atoll auf einem andern Altoll ein einfacher Buirak
sein kann. Wo die Mutter Häuptling ist, da sind es die Kinders. Das
Vermögen geht bei der Erbschaft nicht vom Vater auf den Sohn über, sondern
dom älteren Bruder auf die jüngeren, bis alle Brüder gestorben sind, dann kommt
der Sohn des ältesten Bruders daran. Die Frauen sind von der Erbschaft
ausgeschlossen.
Die Häuptlingsfamilien werden ängstlich vor jeder Vermischung mit den
lieferen Stufen rein erhalten. Auf jedem Verstoß gegen die Rangordnung
uDumont d'Urville, Malerische Reise um die Welt usw. II 246.
2 Auf den Marjhallinseln. Herz- Jesu⸗-Missionshaus zu Hiltrup bei Münster i. W.
(ohne Jahreszahl; die Vorrede ist datiert vom 15. August 1911), I1.
s Die Marjhallinseln, Leipzig 1889, 97. Vinckens a. a. O. II. 6 Ebd.
172
Fünfter Teil. Australien und Ozeanien.
stehen harte Strafen. Den Häuptlingen wurde bis in die neueste Zeit große
Unterwürfigkeit erwiesen. Nur gesenkten Blickes und gebückt dürfen die Unter⸗
gebenen vor ihnen erscheinen, müssen sich stets in einiger Entfernung halten,
dürfen niemals stehen, wenn diese sitzen, müssen ihnen eine gewisse Art von
sungen Kokosnüssen zum Getränke überlassen.
Die Strafen, welche die Häuptlinge über ihre Untertanen verhängen, sind
seit dem Erscheinen der Missionäre milder geworden. Seltener trat die Weg—⸗
nahme von Land und Wohnung ein, häufiger die Strafe am Leben. Die
Männer tötete man durch Speere oder Steine, die sie so lange von sich ab—⸗
wehren durften, als sie Kraft dazu hatten. Diebe mußten den Tod erleiden,
die Mörder dagegen seltener. Die schuldigen Frauen wurden gewöhnlich er⸗
tränkt; sie gingen meist freiwillig in das tiefere Wasser auf dem Riff, knieten
nieder und wurden dann so lange heruntergedrückt, bis sie erstickten 1.
Wenn die Oberhäuptlinge ihre Leute zum Kriege sammeln, so berichtet
Chamisso? von seiner Zeit, stößt der Häuptling jeder Gruppe mit seinen Pirogen
zu dem Heere. Sie suchen den Feind mit überlegenen Streitkräften zu über⸗
fallen, kämpfen aber nur auf dem Lande. Die Frauen nehmen ebenfalls An⸗
teil am Kampf, nicht bloß bei Verteidigungs-, sondern auch bei Angriffskriegen.
Die Männer stellen sich mit den Schleudern, Lanzen und Stöcken in die vorderste
Reihe. Die in der zweiten Reihe stehenden Frauen schlagen die Trommel nach
dem Befehle des Häuptlings und schleudern Steine. Nach dem Kampfe dienen
sie als Vermittlerinnen zwischen beiden Teilen. Die Frauen, welche in Ge⸗
fangenschaft geraten, werden gut behandelt, die Männer nimmt man gar nicht
gefangen. Jeder Krieger nimmt den Namen des Feindes an, den er im Kampf
erschlagen hat. Ist eine Insel erobert, so werden alle Früchte geplündert, aber
man schont die Buume.
Die Ehe beruht auf der freien Einwilligung der beiden Teile und kann
aufgelöst werden, wie sie geschlossen wurde. Die Frau ist die Gefährtin des
Mannes; sie scheint ihm freiwillig und ohne Zwang als dem Oberhaupte der
Familie zu gehorchen. Bei den Ausflügen geht der Mann als der Beschützer
voraus und die Frau folgt ihm. Wenn man über eine Sache beratschlagt, so
sprechen die Männer zuerst; die Frauen nehmen, wenn man ihren Rat hören
will, an der Beratung teil, und man hört ihre Reden aufmerksam an. Die
unverheirateten Frauen sind ganz frei, wenn sie nur für ein gewisses Dekorum
sorgen. Ein junges Mädchen verlangt, daß ihr der Geliebte Geschenke mache, aber
die Verhältnisse beider Geschlechter bleiben immer in ein gewisses Dunkel gehüllt.
Zwischen zwei vertrauten Freunden gehen die Rechte so weit, daß einer dem
andern im Notfall seine Frau abtreten muß. Ein barbarischer Gebrauch ist
auch der, welcher jede Mutter nötigt, nicht mehr als drei Kinder zu nähren.
Die weiteren Kinder müssen lebendig begraben werden. Nur die Familien der
Häuptlinge sind diesem grausamen Gesetz nicht unterworfen. Chamisso meint,
der Grund dieses Gesetzes sei die Unfruchtbarkeit des Landes und der Mangel
an Lebensmitteln.
Hager, Die Marshallinseln 99.
»Dumont d' Urville, Malerische Reise um die Welt usw. II 247.
4. Die Marshallaner.
473
Die unehelichen Kinder werden ebenso wie die ehelichen aufgezogen. Können
ie gehen, so nimmt sie der Vater zu sich. Erkennt kein Mann das Kind an,
so behält es die Mutter, und wenn die Mutter stirbt, sorgt eine andere Frau
für dasselbe.
Die Leichen der Verstorbenen werden mit Stricken in die Stellung sitzender
Personen gebunden. Die Häuptlinge werden in viereckigen Gehegen begraben,
die von einer steinernen Mauer umgeben und von Palmen beschattet sind. Die
Leichen der gemeinen Leute wirft man in das Meer. Die Körper der im
Kampfe erschlagenen Feinde werden ihrem Range nach ebenso behandelt. Ein
Stab, der in die Erde geschlagen und mit ringförmigen Einschnitten bezeichnet
wird, deutet das Grab der Kinder an, denen das Gesezz nicht gestattete, zu leben.
Von der Religion der Marshallaner schreibt Chamisso!: Die Eingebornen
beten einen unsichtbaren Gott an, der im Himmel wohnt; sie bringen ihm
Opfer von Früchten unter freiem Himmel ohne Tempel und Priester. In ihrer
Sprache heißt Jagueach Gott; der Name ihres Gottes ist Anis. Wenn man
Krieg oder eine wichtige Angelegenheit unternimmt, werden feierliche Opfer dar⸗
gebracht. Ein Mann aus der Versammlung (jeder außer dem Häuptling) bringt
der Gottheit Früchte dar, indem er sie in seinen Händen hält; die Formel der
Anrufung ist: Didieu Anis mine jeo. Das versammelte Volk wiederholt die
etzteren Worte. Wenn ein Familienoberhaupt auf den Fischfang geht oder
rgend etwas Wichtiges unternimmt, bringt er in seiner Familie ein Opfer.
Auf mehreren dieser Inseln gibt es geweihte Kokospalmen, auf deren Gipfel
Anis nach der Meinung der Eingebornen gern herabsteigt. Am Fuße dieser
Bäume werden vier Bretter im Viereck aufgestellt. Indessen scheinen diese Orte
nicht besonders verboten zu sein, und die Früchte des Baumes werden wie ge—
wöhnlich gegessen.
Gerland? bezeichnete es als einen Irrtum, daß Chamisso den Namen Anis
auf einen einzigen unsichtbaren Gott im Himmel ausdehne, während dies nur
auf den Gott, der in Bigar wohnt, paßt. „Es ist merkwürdig, daß man
auf Bigar den Namen Anis nicht aussprechen noch anflehen darf, um nicht
den Zorn des blinden Gottes zu erregen, entweder weil er der mächtigere
ist, vor dem der unbedeutende Schutzgeist verschwindet, oder aber sollte hierin
etwa das Gefühl sich aussprechen, daß die Anis ... als die späteren nicht ganz
als rechtmäßige Emporkömmlinge gefühlt wurden?“ Gerland scheint also an—
zunehmen, daß die Marshallaner ursprünglich einen Gott im Himmel kannten,
aber daß dieser allmählich durch die untergeordneten Geister aus dem Gesichts—
kreise verschwand. Möglich ist das, und es scheint durch das bestätigt zu
werden, was der Missionär P. Filbrys berichtet. Ein zum Christentum be—
kehrter geweckter Marshallaner, namens Temitauva, sagte ihm: „Einen guten
Gott kennen die Heiden nicht, wenigstens haben sie keinen Namen für ihn.
Eine Ahnung von einem besseren Wesen müssen sie jedoch haben,
denn sie glauben an ein Leben nach dem Tode, das entweder
Ebd. 2 Waitz-Gerland, Anthropologie der Naturvölker V 2, 141.
3 Vgl. Monatshefte zu Ehren U. L. Fr. vom heiligsten Herzen Jesu (Hiltrup i. W.),
Jahrg. 1907, 106 ff.
474
Fünfter Teil. Australien und Ozeanien.
zlücklich oder unglücklich sein wird. Der böse Geist aber, ‚Anit, wird
berehrt oder vielmehr gefürchtet und gehaßt. Der Nauruaner stellt sich unter
ihm das Abscheulichste vor, was er sich nur denken kann. Sonderbarerweise
hat der „Ani‘ seine besondern Stunden, wo er gefährlich ist. Bei Tage schläft
er, von 8 bis 11 Uhr abends ist er sehr böse, greift aber den Menschen nur
bei Mondschein an. Im Dunkel ist er feige, und wenn der Mensch noch eine
brennende Fackel mit sich führt oder einen Hund bei sich hat, dann wagt er
ich selten an ihn heran. Am wütendsten ist er, wenn der Mond größer ist,
d. h. wenn er bei Auf- oder Untergang nahe am Horizont steht.“
Alles Böse, was den Insulanern widerfährt, schreiben sie dem „Ani“ zu.
Ein alter halbblinder Mann setzte sich einst am Abend am Feuer nieder und
schlief ein; sein Grasrock fing ein wenig Feuer, er fühlte es und schlug einige
Male mit der Hand an dem Grasrock vorbei; schließlich wachte er vollends auf,
und als er das um sich greifende Feuer sah, rief er: „Ah, du (Ani) willst
mich also absolut holen? Nun, dann brenne ruhig weiter“; er rührte sich nicht
mehr und erlag am andern Morgen seinen Brandwunden.
Die Zauberer benutzen diesen Aberglauben und leisten ihm Vorschub.
Filbry erzählt: Auf die Frage: „Hat denn jemand den Ani gesehen?“ erhielt
sich die Antwort: „O sicher, der Men muegeo (Zauberer) kennt ihn am Pfiff,
ieht ihn kommen, spricht mit ihm, und der Ani kündet ihm an, daß dieser
oder jener krank wird oder sterben muß.“ Nach Hager! besteht auf den
Marshallinseln das Amt der Zauberpriester, die er Drikanan nennt, vornehmlich
im Weissagen, ihnen erschien Ani und offenbarte die Zukunft. Während sie
mit ihm verkehrten, enthielten sie sich der Speise, gewöhnlich ein bis zwei Tage.
Man befragte sie über Krieg und Reise, Ernte, Wind, Krankheiten usw. Seinem
Schutzgeist (dem Ani) heiligte man das Kopfende des Lagers, und den ersten
Bissen jeder Mahlzeit warf man ihm zum Opfer an diese Stelle. Man glaubte,
ügt Hager bei, an ein Fortleben nach dem Tode und hoffte, nach Inseln zu
kommen, wo alles im Überfluß vorhanden sei.
Chamisso ist voll des Lobes über den Charakter der Marshallaner, er preist
die Züchtigkeit der Frauen, die Sorgfalt der Eltern für ihre Kinder und die
guten Beziehungen zwischen Häuptlingen und Untergebenen. Trotz seiner Armut
hat dieses Volk keines der Laster, welches so viele polynesische Stämme herab⸗
vürdigt. In Bezug auf die Sittlichkeit drücken sich die Missionäre allerdings
zurückhaltender aus, sie bezeichnen die Bevölkerung geradezu als sittlich tief⸗
stehend und klagen über den verderblichen Einfluß, den der amerikanische Wesley⸗
anismus auf die Wilden ausgeübt. Man hat den Eingebornen die alte
Religion genommen und ihnen dafür nichts gegeben als einen christlichen
Firnis, unter dem sich der alte Aberglaube und diel religibser Indifferentismus
hreit macht.
4
Die Marjhallinseln 102.
5. Die Gilbertiner.
175
5. Die Gilbertiner.
In allen Beziehungen schließen sich eng an die Marshallinseln die Gilbert⸗
oder Kingsmillinseln an, welche die östlichste Gruppe Mikronesiens bilden!. Auch
diese Inseln sind meist Atolle. Ihre Zahl beläuft sich auf 18, von denen 9
nördlich und 9 südlich vom AÄquator liegen. Tarawa ist die größte. In
physischer Beziehung stimmen die Gilbertiner mit den Marshallanern überein,
doch sind sie durchschnittlich kräftiger und schöner gebaut, dafür galten sie bis
in die neueste Zeit als wilder und roher denn jene. Die Tätowierung ist in
Anordnung und Zeichnung auf allen Inseln im wesentlichen gleich, dient aber
nur als Schmuck und findet sich häufiger bei Frauen als bei Männern.
Die Eingebornen werden uns von allen Missionären als friedliche und
harmlose Leute ohne die schlimmen Eigenschaften der Barbaren geschildert.
Eigentliche Anthropophagen waren sie nie. Vor Zeiten wurde im Kriege die
Leiche des besiegten Häuptlings zerstückelt und wohl auch gegessen, doch war
dieser Akt mehr eine Art Siegesweihe als eigentlicher Kannibalismus. Früher
waren sie auch dem Trunk des Karavé (gegorener Palmsaft) sehr ergeben. Sie
sind große Liebhaber des Tabaks und verbringen einen guten Teil der Zeit
auf den Matten liegend mit Rauchen und Plaudern.
Die Frauen tragen, wenn sie sie erlangen können, lange Tuniken, die vom
Hals bis zum Fuß reichen, oder sie begnügen sich mit der alten Nationaltracht,
dem sog. „Riri“, der in einem Gürtel mit kurzen Blattstreifen besteht. Die Kinder
gehen ganz nackt, dasselbe wird mehrfach auch von den Männern behauptet?, ist
Aber nicht allgemein richtig, denn nach P. Eduard Bontemps M. 8. O. trugen die
Männer auf Nonuti und Nukunau wenigstens ein Stück Tuch um die Lenden.
„Sie haben noch nicht dieselbe Auffassung vom Anstand wie wir — und ab—⸗
gesehen von einem sehr passenden Gürtel aus langen Kokosfasern, den sie nie
ablegen, tragen sie kein Bedenken, sich aller andern Kleider zu entledigen, um
bei der Arbeit nicht gehindert zu werden oder noch mehr, um die Kleider zu
schonen. Einige jedoch haben vollständigere Ideen von Bescheidenheit und geben
den andern ein gutes Beispiel.“s Manche durchbohren die Ohrlappen und stecken
das Rohr ihrer Tabakspfeife oder sonst einen ziemlich großen Gegenstand hinein.
Als Quellen für das Folgende dienten uns vor allem die treffliche Studie von
R. Parkinson, Beiträge zur Ethnologie der Gilbertinsulaner, im Internationalen
Archiv für Ethnographie II, Leiden 1889, 81ff 90 ff; ferner die Berichte der Missionäre
vom heiligsten Herzen (Issoudun), die schon über dreißig Jahre auf den Inseln wirken.
Val. Missions catholiques 1880, 554 ff; 1889. 29 ff 58 ff; 1910, 286 ff; K. Hager
a. a. O. 139 ff.
Allgemeine Missionszeitschrift 1887, 68.
Missions catholiques 1889, 59. Parkinson schreibt in seiner erwähnten Studie
S. 97): „Die Bekleidung ist selbstverständlich höchst einfach. Kinder laufen bis zu
ihrem 10. oder 11. Jahre, manchmal noch länger, nackt herum. Erwachsene Männer
wickeln eine Matte um den Körper und binden dieselbe mit einer Schnur fest. ... Die
Frauen tragen den sog. ,Ririt, d. i. eine Art Schürze, welche einen Fuß lang ist, rings
um den Körper geht und über den Hüften befestigt wird.“ Man muß also wohl an⸗
nehmen, daß die erwachsenen Männer zwar gewöhnlich eine notdürftige Kleidung trugen,
wenn auch nicht ausgeschlossen ist, daß fie sich zuweilen bei der Arbeit auch dieser Klei—
dung entledigten.
3
176
Fünfter Teil. Australien und Ozeanien.
Die Eingebornen wohnen in der Regel familienweise in getrennten Häusern
oder wenigstens in getrennten Abteilungen desselben Hauses. Außerdem gibt
es in jedem Dorf größere Gemeindehäuser, wo alle Unterkunft finden können,
auch die Fremden, und wo sie so oft zusammenkommen, als ihnen beliebt. Auf
einigen Inseln ist die Bevölkerung in drei Klassen oder Stände eingeteilt: die
Häuptlinge, die den größten Teil des Grund und Bodens und die politische
Macht besitzen, dann die freien Grundbesitzer und endlich die gemeinen Leute
ohne Grundbesizz!.
In politischer Beziehung bestanden auf einigen Inseln kleine König—
reiche und auf andern Republiken; in beiden Fällen aber regierte eigentlich der
Rat der Alten das Land. Nur die Tapfersten hatten in diesem Senat Stimme,
die Schwachen und Feigen, besonders die, welche im Krieg geflohen waren,
hatten nur zuzuhören und sich zu unterwerfen. Die Königswürde ist erblich;
der Sohn ist der Nachfolger des Königs; werden ihm jedoch keine Knaben
geboren, so ernennt er einen Adoptivsohn, der in alle Rechte des leiblichen
Sohnes eintritt. Die kleineren Landbesitzer, d. h. solche, die nur eben soviel
Land haben, daß sie darauf leben können, bilden eine eigene Klasse, Aomatta
genannt; sie haben nach Parkinson gewöhnlich keine Stimme in Regierungs⸗
angelegenheiten. Auf dem Grund und Boden der großen Landeigentümer wohnen
Leute einer eigenen Klasse, genannt „Te Torro“. Sie sind die Vasallen der
großen Landbesitzer (Te Tokker) und haben einzig und allein die Nutznießung
von dem Land, worauf sie leben. Dafür müssen sie ihrem Herrn im Kriege
Leute stellen, sie müssen ihm die gewünschte Anzahl Kokosnüsse bringen und
was er sonst zu seinem Haushalt braucht. Die niedrigste Stufe sind „Te Bei“,
auch manchmal „Kaungo“ genannt, die kein Land haben, sondern sich bei einem
zroßen Landbesitzer aufhalten, von dem sie beköstigt werden und für den sie
arbeiten; gefällt es dem Herrn, so gibt er ihnen ein Stück seines Landes, und
sie rücken dadurch in die höhere Klasse der „Te Torro“ auf. Diese beiden
Rangstufen haben in Regierungsangelegenheiten keine Stimme, sie folgen ohne
Murren ihrem Herrn; die „Tebei“ sind kaum mehr als eigentliche Sklaven.
Gewöhnlich heiraten nur Individuen derselben Klasse untereinander; selten ge⸗
lingt es dem Manne einer niederen Klasse, eine Frau aus einer höheren oder
auch aus einer niedrigeren Klasse zu erlangen.
Die Familie ist, sagt Bontemps, ziemlich gut konstituiert. Die Viel⸗
weiberei war zwar gestattet, aber unter dem gewöhnlichen Volke selten. Nur
die Reichen mit größerem Grundbesitz hatten nicht selten zwei Frauen, gewöhn⸗
lich zwei Schwestern. Überhaupt besteht die Meinung, daß wer eine Frau
nimmt, ein Recht erhält, auch deren Schwestern zu heiraten, sowie es auch als
Rechtsbrauch gilt, daß eine Witwe mit ihren Kindern an den Bruder des ver⸗
storbenen Mannes übergeht. Mißbräuche gegen das natürliche Sittengesetz über
die Ehe existieren sonst kaum. Ehebruch von seiten der Frau ist sehr selten und
wird durch Abschneiden der Nase bestraft. Töchter werden in frühester Jugend
verlobt, und zwar entscheidet der Verlobte über die Verlobung seiner jüngeren
Schwestern. Was den Familien bei den Gilbertinern schadet, ist der Brauch
Allgemeine Misfionszeitschrift 1887, 60.
5. Die Gilbertiner.
477
des Kindesaustausches, der trotz der großen Liebe der Eltern zu ihren
Kindern besteht. Um sich nämlich vorteilhafte Familienverbindungen zu ver—
schaffen und die Kinder zu bereichern und vor allem, weil die Sitte das nun
einmal fordert, treten die Eltern ihre Kinder an eine andere Familie ab und
adoptieren dafür die Kinder dieser Familie. Die Adoptivkinder werden
wie eigene Kinder erzogen, erhalten ihre Aussteuer und treten zu einem großen
Teil in den Besitz des Erbes, das so den eigenen Kindern entzogen wird.
Die Missionäre kämpften von Anfang an gegen diese Unsitte, jedoch mit ge—
ringem Erfolg.
Ehe. Die Kinder werden oft früh verlobt, manchmal schon bevor sie ge—
boren sind. Hat z. B. ein Insulaner einen Adoptivsohn, den er zu verheiraten
wünscht, so geht er zu einem andern Adoptivvater, dessen Adoptivkind erst ge—
boren werden soll, und macht ihm den Vorschlag, das zu erwartende Kind,
wenn es ein Mädchen ist, seinem Adoptivsohn zur Frau zu geben. Kommen
die Adoptivväter überein, so wird bei der Geburt des Mädchens dem Adoptiv⸗
dater des Knaben das dem Adoptivkinde bestimmte Eigentum, gewöhnlich ein
Stück Land, übergeben. Werden dem erstgebornen Mädchen später Schwestern
geboren, so werden dieselben auch als Frauen des Jünglings betrachtet; das
gilt jedoch nur für die Mädchen einer und derselben Mutter. Es ereignet sich
häufig, daß der erwachsene Jüngling eine andere Wahl trifft, das sehen aber
die Verwandten der im Stich gelassenen Braut als eine Beleidigung an; diese
sammeln nun ihre streitbaren Männer, um den ungetreuen Bräutigam oder
dessen Adoptivbater zu töten; aber auch die letzteren haben inzwischen mobil
gemacht, und durch Vermittlung einer dritten Partei wird nun in den meisten
Fallen ein Vergleich getroffen; der ungetreue Bräutigam übergibt den Verwandten
der verlassenen Braut ein Stück Land und ein Kanoe. Damit ist die Sache
erledigt. Ganz dasselbe ereignet sich, wenn die Braut ihrem Bräutigam un—
treu wird 1.
Hält man die Verlobung aufrecht, so wird, wenn die Braut etwa vierzehn
Jahre alt geworden, die Ehe feierlich geschlossen. Wohnen die jungen Leute
auf derselben Insel, so wird die Braut zu dem Hause des Bräutigams geführt,
und dort finden die Festlichkeiten statt; wohnen sie auf verschiedenen Inseln,
so holt der Bräutigam die Braut, und in ihrem Hause wird die Hochzeit ge⸗
feiert. Die Verwandten und Freunde der Brautleute bringen Geschenke und
verden dafür reichlich bewirtet. Am Abend des Hochzeitstages legt sich das
junge Paar in seiner Hütte auf eine neue Matte. Eine alte Frau bildet aus
den gekochten Früchten des Pandanusbaumes einen Kreis um sie, reicht dann
zwei von diesen Früchten dem Paar, nachdem sie vorher die Göttin Eibong um
Schutz und Kindersegen für dasselbe angerufen hat. Nachdem die zwei Früchte
—X———
weilenden Verwandten und Freunde verteilt. Über die Matte aus Kokosblättern
wird nun eine feine Matte von Pandanusblättern ausgebreitet, und die alte Frau
läßt die jungen Leute allein. Verwandte und Freunde gehen in die umliegenden
Hütten, und plötzlich ist Ruhe und Stille eingetreten. Nach einer Viertelstunde
1Parkinson, Beiträge zur Ethnologie der Gilbertinsulaner a. a. O. II 37.
478
Fünfter Teil. Australien und Ozeanien.
etwa kommt der junge Ehemann aus der Hütte, läuft zur Hütte des Adoptiv⸗
vaters und ruft laut, man möge Licht und Ol herbeischaffen; der Adoptivbater
wiederholt denselben Ruf, und aus allen Hütten eilen jetzt die Freunde mit
Fackeln und Olgefäßen in die Hütte des jungen Paares. Hier hebt der Adoptiv⸗
bater die junge Frau empor, alle gießen das mitgebrachte Ol über die Matte
und salben sich mit demselben Kopf und Körper. Damit ist die Feierlichkeit
geschlossen.
Das junge Paar lebt von nun an in der Hütte des Adoptivvaters, und
derselbe sorgt für alle Bedürfnisse, ohne jedoch immer den verdienten Dank zu
ernten. Aber er ist meist selbst schuld daran, weil er die Adoptivkinder von
frühester Kindheit an gründlich verzieht. Die Frau ist fortan vom Ehemann
unzertrennlich, sie folgt ihm überall hin: in den Krieg, zum Fischfang usw.
Nur zum Spiel und Tanz in dem großen Hause der Dorsschaft geht sie nicht
mit. Für sie ist nach der Hochzeit Spiel und Tanz in diesem Hause vorbei;
sie muß zu Hause auf ihren Gatten warten, und findet er sie bei der Heimkehr
dort nicht, so setzt es eine Tracht Prügel ab. Behandelt indes der Ehemann
die Frau schlecht, so kann ihr Adoptivdater sie zurückverlangen, und dann ist
die Ehe aufgelöst. Der Mann kann auch die Frau dem Adoptivvater zurück⸗
schicken. Geschieht dies, ehe die Frau Kinder hat, so muß der Mann ein Stück
Land und ein Kanoe hergeben, und die verstoßene Frau kann wieder heiraten.
Hat jedoch die Frau bei der Entlassung schon Kinder, so findet man die Ver⸗
stoßung ganz in der Ordnung, und es wird keine Sühne erlegt, die Frau darf
indessen nie wieder heiraten, wohl aber der Mann. Stirbt ein Ehemann, so
wird seine hinterlassene Witwe von seinem Bruder als Frau zu sich genommen,
jedenfalls darf sie dann keinen andern Mann heiraten; der Bruder sorgt auch
für ihre etwaigen Kinder.
Alte Leute, die nicht mehr arbeiten können und zu stumpf werden, um in
den allgemeinen Beratungen eine Stimme zu haben, verlieren gewissermaßen
das Recht zum Leben, man läßt sie fühlen, daß es für sie besser wäre zu
sterben; man beschleunigt zwar den Tod nicht direkt, aber behandelt sie so
schlecht, daß derselbe nicht allzu lange auf sich warten läßt. Die alten Männer,
solange sie noch rüstig sind und in den Beratungen Stimme haben, stehen je⸗
doch in großem Ansehen. Junge Leute nehmen überhaupt nicht teil an den
Beratungen, sie haben mit dem zufrieden zu sein, was die Alten beschließen.
Gebräuche bei Todesfällen. Die Begräbniszeremonien sind stets die⸗
jelben, mag der Tod ein natürlicher oder gewaltsamer sein, vorausgesetzt, daß
der Leichnam in den Händen der Verwandten ist; sonst behandelt man oft
Verstorbene nichts weniger als pietätvoll. Die Verwandten des Verstorbenen
waschen den Leichnam, salben ihn und legen ihn dann unbekleidet auf eine
Matte in der Hütte nieder. Dann beginnt die Totenklage mit Schreien und
Heulen. In der Totenklage werden die Verwandten des Verstorbenen aufgezählt,
seine Taten und Tugenden gerühmt; sie dauert drei Tage. Hat einer die Toten⸗
klage beendet, so verläßt er die Hütte, um sich draußen an den Schmausereien
und Tänzen zu beteiligen. Am dritten Tage schmückt man die Leiche. Um den
1Parkinson, Beiträge zur Ethnologie der Gilbertinsulaner, a. a. O. I 40.
5. Die Gilbertiner.
479
Hals z. B. wird eine Schnur von Menschenzähnen gelegt. War der Verstorbene
rine Person von Rang (z. B. ein König), so wird der Leichnam in Matten
gehüllt, zusammengeschnürt, dann auf die Querbalken der Hütte geschoben und
dort aufbewahrt. Gewöhnlich jedoch findet eine Beerdigung statt. Nimmt man
die Beerdigung in der Hütte vor, so gibt man der Leiche eine solche Lage, daß
der obere Teil des Schädels aus dem Grabe hervorragt; außerhalb der Hütte
wird das Grab ganz zugedeckt. Am fünften oder sechsten Tag nach der Be⸗
erdigung findet eine neue Feierlichkeit statt. Das Kopfende des Grabes wird
geöffnet und der Kopf des Toten hervörgeholt. Alle Fleischteile werden ab—
geschabt und wieder ins Grab gelegt, das für immer geschlossen wird. Der
sorgfältig gereinigte Schädel jedoch wird von nun an im Hause aufbewahrt und
ist der Gegenstand großer Verehrung und Sorgfalt; er wird auf Wanderungen
und Reisen mitgeführt, man salbt ihn mit Ol, bläst ihm Tabakrauch in die
Mundhohle, bietet ihm Essen an, spricht zu ihm und behandelt ihn wie eine
noch lebende Person1.
Erbrecht. Stirbt ein unverheirateter Insulaner, so fällt sein Eigentum
den Geschwistern zu; wenn darunter ein Bruder ist, so erhält dieser einen
größeren Anteil; wenn mehrere Brüder vorhanden sind, so der älteste derselben.
Hinterläßt der Verstorbene eine Frau mit Kindern, so geht das Eigentum auf
die Kinder über; ist darunter ein Adoptivkind, so erhält dieses einen größeren
Anteil; die Witwe hat jedoch die Nutznießung, bis die Kinder erwachsen sind.
Hinterläßt er eine Frau und keine Kinder, so wird über seine Hinterlassenschaft
verfügt, als wenn er unverheiratet gewesen wäre; die Frau wird dann gewöhn—
lich von demjenigen versorgt, dem der größte Teil der Erbschaft zufällt. Wenn
Adoptivkinder sterben, solange ihre Adoptiveltern noch am Leben sind, fällt das
ihnen bei der Geburt gegebene Stück Land an die Adoptiveltern zurück. Die
Hinterlassenschaft eines Verstorbenen besteht ausschließlich aus Land, Haus und
einem oder zwei Kanoes.
Im vorhergehenden sind schon einige Strafen erwähnt worden, so die
Strafe für gebrochenes Eheversprechen und für böswilliges Verlassen der Ehe—
hälfte. Diebstahl wird gewöhnlich durch Wegnahme eines Stückes Land
bestraft und manchmal auch mit Verweisung von der Insel. Von Zeit zu
Zeit erläßt die Regierung auch wohl Gesetze zur Aufrechthaltung der Ordnung,
z. B. das Verbot, auf eine bestimmte Zeit den Manging (Palmwein) zu trinken,
weil infolge dieses berauschenden Getränkes viele Streitigkeiten entstehen. Strafen
für Übertretung solcher Gesetze bestehen entweder in einer Anzahl Kokosnüsse
oder einer Anzahl Rollen des Kabulo (eine Art Kuchen aus der Frucht des
Pandanusbaumes). Helfen diese Strafen nicht, so nimmt man manchmal dem
Übertreter sämtliche Kokosnüsse seines Grundstückes oder sämtliche Pandanusfrüchte.
Religion. Parkinson sagt: „Von Göttern haben die Insulaner eine große
Anzahl. Es gibt keine allgemein als oberste anerkannte Gottheit; einige
Familien haben diesen, andere jenen Gott, den sie anbeten und dem sie ver—
krauen; sie erkennen zwar die andern Götter an, schreiben ihnen aber keinen
so großen Einfluß zu.“
Ebd. 48.
180
Fünfter Teil. Australien und Ozeanien.
Die Behauptung, daß die Gilbertiner keine allgemein als oberste anerkannte
Gottheit hatten, bedarf jedenfalls der Einschränkung. P. Dupuy M. 8. C., der
lange als Missionär auf den Gilbertinseln gelebt, gibt zwar zu, daß die Re⸗
ligion der Insulaner der Polytheismus war, fügt aber dann bein: „Sie nehmen
an, daß am Anfang ein einziger Gott, mit Namen Nareau, der Schöoͤpfer
der unteren Gottheiten und des Universums, dagewesen sei. Wir erweisen ihm
keinen Kult, sagen sie, weil er gut ist und uns nichts Böses zufügen kann;
wir richteten aber Gebete und Opfer an die Antis (bösen Geister), um sie zu
versöhnen und zu hindern, uns zu schaden.“
Einige Greise erinnern sich noch an die ehemalige Mythologie und Kosmo⸗
gonie. Einer von ihnen erzählte darüber dem Missionär wörtlich: Am
Anfang existierten weder Himmel noch Erde noch Menschen; alles war leer.
Nareau tat nun folgendes, als er sich daran machte, Himmel und Erde zu
erschaffen. Er ging auf seinem Himmel hin und her. Er ging nach Norden
und sprach heilige Worte. Dieses waren die heiligen Worte: „Ich herrsche,
ich herrsche über den Himmel im Norden; es gibt keinen Anti, es gibt keinen
Menschen, nur ich, Nareau, bin allein da.“ Er ging dann auch nach Süden
und sprach: „Ich herrsche, ich herrsche über den Himmel im Süden; es gibt
keinen Anti und keinen Menschen; ich, Nareau, bin allein da.“ Darauf stellte
er sich auf einen weichen Platz, der keine Festigkeit hatte, öffnete sich seine
Seite, und die Leber sprang heraus. Und er nannte sie Salzwasser, Ozean
und Erde. Als er sich die Seite geöffnet hatte, sah er Menschen unter sich. Er
lannte ihre Namen nicht, aber er hatte einen Vogel, der Tikutaumamve hieß;
diesen sandte er auf den Kopf eines der Menschen. Da riefen alle Gefährten
dieses Menschen seinen Namen: Karapinopinonikai, d. h. der, welcher den
Baum wälzt oder zieht. Nareau hörte diesen Namen und behielt ihn. Der
Vogel setzte sich dann der Reihe nach auf die Köpfe der übrigen Menschen, und
die andern nannten dann ihre Namen: Kotoro, Kotei, Karitora uswp. So
erfuhr Nareau die Namen aller Menschen, die unter ihm standen.
Diese Sage wird auch von Parkinson erwähnt, aber in anderer Form, da
sie nicht auf allen Inseln gleich lautet, und er nennt den Gott nicht Nareau,
sondern Nareua. „Nareua“ (na reua) wird auch „Rigi“ genannt. Er soll
in „Tamoa“? aus einem Stein hervorgegangen sein. Das Himmelsgewölbe
lag noch wie eine Decke über Tamoa; damit Bäume wachsen und die Menschen
and Tiere sich frei bewegen könnten, erhob es Nareua von Tamoa. Um es
rund zu formen, gebrauchte er den Aal „Rigi“, zu welchem Fisch er sich noch
heutzutage manchmal begibt und den deshalb die Insulaner nicht fangen und
essen. Als Nareua das Himmelsgewölbe vollendet, kam er auf seinen Wan⸗
derungen zu einem wüsten, mit Sand und Steinchen bedeckten Landstück; er
bepflanzte es mit Palmen und Pandanusbäumen und nannte es Taputeuwea
leine der Gilbertinseln). Hier blieb er lange und seine Wohnung war Takoronga;
hier erschuf er auch das erste Menschenbaar: einen Mann. de Babou, und
Missions catholiques 1910, 287.
Da die Gilbertiner das S nicht aussprechen können und dafür stets T gebrauchen,
ist wohl Samoa gemeint (vgl. Parkinfon, Beiträge zur Eihnologie der Gilbert—
insulaner, a. a. O. 104).
5. Die Gilbertiner.
481
eine Frau, de Ai genannt. Zu diesen sagte er: „Ich lasse euch hier zurück,
damit ihr dieses Land, das mein Eigentum ist, bewachet; ich werde wieder
'ommen, um zu sehen, was ihr tut; hütet euch aber, euch zu vermehren, denn
Kinder will ich hier nicht haben. Gehorchet ihr nicht, so fürchtet meine Strafe.“
Dann ging er fort. Das Paar hatte aber die Warnung bald vergessen, und
de Ai gebar drei Kinder: Tai (die Sonne), Namakaena (den Mond) und Deboka
di butani (das salzige Wasser). Durch den Aal „Rigi“ erfuhr Nareua, daß
man auf Taputeuweag seine Gebote übertreten hatte; er ergriff eine Keule und
zog zur Insel, um die Ungehorsamen zu töten. Aber das Paar fiel vor dem
erzürnten Gott auf die Erde und flehte, sie zu verschonen, da Tai den Tag
hell mache und Namakaena während der Nacht seine Stelle vertrete und das
dritte Kind von Fischen und andern Tieren wimmle und ihnen die Nahrung
liefere. Nareua fand die Bitte begründet, ließ das Paar leben. und begab sich
wieder fort. Es folgen dann noch allerlei absurde Abenteuer des Nareua, die
wir übergehen.
Auf Arorai wird die Legende so erzählt. Nareua erschuf zuerst Tamoa.
Das Himmelsgewölbe ruhte noch auf der Erdoberfläche, Nareua konnte es erst
erheben, nachdem er die Bekanntschaft Rigis gemacht hatte. Rigi erhob das
Gewölbe und Nareuag gab ihm die Fähigkeit, sich in einen Aal zu verwandeln,
damit er das Himmelsgewölbe rings um Tamoa mit der Wasserfläche verbinde.
Nachdem Tamoa erschaffen war, wurden nach jeder der vier Himmelsrichtungen
noch je 17 Inseln geschaffen. Eine dieser Gruppen ist die Gilbertgruppe. Die
Menschen erschuf Nareua, indem er einen Baum auf Tamoa anzündete;
die Funken und die Asche wurden nach allen Richtungen zerstreut, und daraus
entstanden Menschen. Unter dem Namen „Rigi“ wird Nareua auch heute noch
als eine der vier oberen Gottheiten verehrt und in den verschiedensten Fällen
angerufen. In ihm schimmert noch immer die Idee von dem einen höchsten
Wesen, dem Schöpfer aller Dinge, durch, welche die Insulaner bis heute dunkel
bewahrt haben. Auch der Missionär P. Ed. Bontemps M. 8. C. schreibt:
„Vor der Ankunft der Europäer hatten die Eingebornen die Idee Gottes,
den sie mit einem Namen, der vielen polynesischen Sprachen
zgemeinsam ist: ,Te Atua', nannten. Als Gesetzbuch hatten sie das
natürliche Sittengesetz. .. Sie glaubten an das Fortleben der Seelen
nach dem Tode.“
Waͤhrend aber dieser dunkel erkannte Gott keinen Kult erhielt, verehrte man
um so mehr andere, untergeordnete Gottheiten. Einige von diesen Göttern gelten
als obere und allgemeine Gottheiten, die alles regeln, ihren Anbetern Glück und
Unglück senden und deshalb in den verschiedensten Angelegenheiten angerufen
werden. Unter ihnen ragt besonders Wanigain oder Tabu-Ariki hervor, wie
ihn P. Ferd. Hartzer M. 8. O.2 nennt; Parkinson nennt ihn Tabuarik. Der
etzteres schreibt darüber: Tabuarik hat eine Zahl von Verehrern. Er wohnt
über den Sternen und erzeugt den Donner; seine Frau ist De Itii (der Blitz);
Mission de Micronésie. Rapport à la Propagande, Issoudun 1895, 13-14.
Les Iles Blanches des Mers du Sud, Paris 1900, 12.
Internationales Archiv für Ethnographie 100.
CTathrein, Die Einheit d. sittl. Bewußtseins. III.
—332
Fünfter Teil. Australien und Ozeanien.
sie zeigt ihr Angesicht in den Wolken, wenn ihr Gemahl donnert, aber kein
Sterblicher wagt es, ihr ins Angesicht zu schauen; wer das täte, würde augen⸗
blicklich mit dem Tode bestraft. Tabuarik wird sehr gefürchtet; was er durch
den Mund seiner Priester verkündet, ist Befehl und unzweifelhafte Wahrheit;
auf jeder Insel hat er seine Propheten, die aber nicht alle denselben Ruf ge⸗
nießen, weil Tabuarik nicht mit allen gleich verkehrt. Die Priester können überall
ihren Tabuarik anrufen und dessen Erscheinung erhalten, dennoch sind besondere
Häuser errichtet, wohin sie sich begeben, um mit Tabuarik zu reden. Diese
Häuser gleichen den gewöhnlichen Häusern, nur haben sie kein zweites Stock⸗
werk; außerhalb des Hauses steht ein ca 4 Fuß hoher Stein, umgeben mit einem
Kreis von kleinen Steinen; der innere Raum des Kreises ist mit feinen Steinchen
und Muscheln ausgefüllt. Der Stein wird vom Priester von Zeit zu Zeit mit
dem Herzblatt der Kokospalme umwunden. Zeitweilig wohnt Tabuarik in dem
Stein und spricht mit dem Priester, und die Insulaner gehen dorthin, um zu
hören, was der Gott gesagt hat. Kinder dürfen nicht in das Haus eintreten,
und die Erwachsenen tun es nur mit einer gewissen Scheu und vermeiden alles
laute Reden und Lärmen. Hierher bringt man auch die Opfer, die in Speisen
bestehen und rings um den Stein aufgestellt werden. Hier holt sie und ver⸗
zehrt sie der Priester im Namen seines Gottes1.
Dieses Haus ist auch eine Freistätte für Verfolgte; wer in Lebensgefahr
ist und das Haus Tabuariks erreichen kann, ist geborgen, keiner wird es wagen,
in dem Gotteshause Blut zu vergießen, er würde sofort getötet werden. Auf
einigen Inseln hat Tabuarik außer den Häusern auch noch eine kleinere oder
größere Landstrecke, die als sein besonderer Lieblingsaufenthalt gilt. Ein solcher
Ort wird in Friedenszeiten nie betreten, dort werden keine Bäume gefällt und
leine Früchte gepflückt. Zu Kriegszeiten erlaubt der Gott im Notfall das Be⸗
treten dieses Landes, aber man muß es sobald als möglich wieder verlassen.
Selbstverständlich hören hier alle Feindseligkeiten auf. Tabuarik nimmt mit⸗
unter die Gestalt eines Haifisches an, deshalb betrachten seine Verehrer den
Hai als heilig und töten ihn nie?2.
Neben Tabuarik steht ein anderer Gott, Auriäriä, der vormals ebenso
große Macht und ebenso viele Anhänger hatte als Tabuarik; aber sein Ansehen
ist sehr geschwunden, seitdem Tabuariks Priester mehr Glück im Prophezeien
hatten. Nach Parkinson soll wie Tabuarik so auch Auriäriä ehemals ein großer
Häuptling gewesen sein, den Streitigkeiten mit seinen Anverwandten zur Aus—⸗
wanderung veranlaßten. Er nahm die Hälfte seines Landeigentums auf einem
Stock über die Schulter und schritt übers Meer nach Maiana; hier ließ er
sein Land fallen, das noch jeder sehen kann: ein kahles Korallenfelsplateau,
auf dem nichts gedeiht als einige verkrüppelte Sträucher; das sind die Haare
Auriäriäs, und wehe dem, der sie abhauen wollte. — De Weia ist eine böse,
rachsüchtige Gottheit; sie tötet alle, die ihren Willen mißachten.
Außer den genannten vier höheren Göttern gibt es noch andere, untergeordnete
Götter und Göttinnen. die nur in besondern Fällen angerufen werden. Nei
Parkinson, Beiträge zur Ethnologie der Gilbertinsulaner, a. a. O. 100.
2 Ebd. 101.
1. Die Maori auf Neuseeland.
483
Libong z. B. ist die Göttin der schwangern Frauen und der Säuglinge, die
bei verschiedenen Zeremonien während der Schwangerschaft und bei der Geburt
angerufen wird, damit sie Mutter und Kind in ihren Schutz nehme; sie hat
als Priesterinnen alte Frauen, von denen man annimmt, daß sie in näherer
Verbindung mit der Gottheit stehen!.
Daß die Gilbertiner an die Unsterblichkeit der Seele glaubten, geht
schon aus dem angeführten ausdrücklichen Zeugnis der Missionäre hervor; dieser
GBlaube ergibt sich auch aus den Begräbniszeremonien und der Verehrung der
Ahnenschädel, endlich auch aus der weitverbreiteten Vorstellung, daß die Geister
der Hingeschiedenen zu den Ihrigen zurückkehrten und unter ihnen umgingen?.
über den Charakter und die Sittlichkeit der Gilbertiner urteilen die Mis—
sionäre nicht ungünstig. Ein alter Seemann aus der Bretagne, der durch einen
Sturm auf die Insel Nonuti verschlagen worden war und dort viele Jahre
unter den Eingebornen vertraut lebte, wurde einst von den Missionären gefragt,
was er von der Sittlichkeit der Insulaner halte. Die Antwort lautete: „Die
deute in den Großstädten Europas sind zehnmal schlechter.“ „Und das ist wahr“,
fügt der Missionär bestätigend hinzu. Tatsächlich wurden auch viele Gilbertiner
bald sehr eifrige und sittenreine Christen.
Drittes Kapitel.
Die Polynesier.
1. Die Maori auf Neuseelands.
Kaum ein Land ist so schnell von der europäischen Zivilisation überschwemmt
worden wie die Inselgruppe Neuseeland. Es sind noch keine 120 Jahre, seit
sich die ersten europäischen Ansiedler auf den Inseln niederließen, und heute
gehört das ganze Gebiet zu den Kulturländern. Es besitzt eine konstitutionelle
Verfassung, ein geordnetes Schulwesen, Eisenbahnen, Telegraphen, Dampf—
schiffe usp. Heute sind die Eingebornen — die Maori — schon stark zusammen—
geschmolzen, und das Verschwinden der alten Rasse durch Vermischung mit den
ausländischen Ansiedlern und durch Aussterben ist nur noch eine Frage der Zeit.
Glücklicherweise besitzen wir zahlreiche Berichte über ihren Zustand vor Einführung
des Christentums; denn heute sind sie zum größten Teil schon Christen.
Nach ihren Überlieferungen sind die Maori von Awaiki oder Awaihi ge—
lommen, worunter sehr wahrscheinlich die Sandwichsinseln (Hawaii) zu ver—
Ebd. 102.
Bgl. Allgemeine Missionszeitschrift 1887, 69: „Der Glaube an ein Fortleben nach
dem Tode ist auch diesem Volke eigen.“
Quellen: Die Berichte des Missionärs P. Servant 8. M. in den Annales de la
bpropagation de la foi XV (1848) 1ff; XVI (1844) 361 ff; ferner die Studie des
p .Sauzeau S. M. in den Missions catholiques 1888, 82 ff 89 ff. Annales des Mis-
Sions d'Océanie J (1895) 1-216 537 ff. Monfat 8S. M., Les origines de la foi
atholique dans la Nouveile-Zélande, Lyon 18906. Ferd. v. Hochstetter, Neuseeland,
1863. G. W. Rusden, History of New Zealand“, 8 Bde, Melbourne 1895. Meinicke,
Die Infeln des Stillen Ozeans J, Leipzig 1875, 311 ff.
1
184
Fünfter Teil. Australien und Ozeanien.
stehen sind. Sie haben noch die Namen der Schiffe bewahrt, mit denen sie
an ihrer heutigen Heimat gelandet sein sollen. Allgemein werden sie als über
mittelgroß und wohlgebaut geschildert. Sie scheinen sanft und friedfertig zu
sein, sind aber reizbar und unversöhnlich im Haß. Wenn sie die Leidenschaften
nicht aufregten, waren sie freundlich und gefällig, wenn auch sehr selbstbewußt
und stolz. Sie waren viel ehrlicher als die meisten andern Polynesier und
sind erst durch den Umgang mit den Europäern zum Teil verdorben worden.
An geistiger Begabung stehen sie sehr hoch, und ihre Bildungsfähigkeit haben
sie in kurzer Zeit auf das glänzendste bewiesen. Ihre Gastfreundschaft wird
von allen gelobt; in der Unterhaltung sind sie lebhaft, heiter, witzig, dabei sehr
neugierig. Als Kleidung trugen die Maori, sowohl Männer als Frauen, eine
Art Matte, die um den Leib durch einen Gürtel festgehalten wurde und bis
zur Hälfte der Beine herabreichte, außerdem einen auf den Schultern (bei den
Männern auf der rechten, bei Frauen auf der linken) hängenden Mantel.
Die Kinder blieben bis zu einem bestimmten Alter nackt. Das Bemalen und
Tätowieren des Körpers war allgemein im Gebrauch. Die Wohnungen waren
klein und niedrig und bestanden aus Pfeilern von Holz und Wänden von ge⸗
flochtenem Rohr. Die Tür war so niedrig, daß man nur kriechend ins Innere
gelangen konnte. Allgemein klagen die alten Reisenden und Missionäre über
den Schmutz, der in diesen Häusern herrschte. Etwas größere und schönere
Wohnungen hatten die Vornehmen.
Die Hauptbeschäftigung der Maori waren Ackerbau und Fischfang. Ein
hervorstechender Charakterzug war ihre Kriegslust; die verschiedenen Stämme
lagen fast immer in Fehde miteinander und die Kriegführung war roh und
grausam. Die erschlagenen Feinde wurden verzehrt und die Schädel als Tro⸗
phäen aufbewahrt. Die geringste Ursache, z. B. eine Beleidigung gegen ein
Mitglied des Stammes oder ein Diebstahl an den Feldfrüchten eines andern
Stammes, genügte, um einen blutigen Krieg zu entfachen.
Man aß aber nicht bloß die im Kriege Erschlagenen, auch Sklaven wurden
zu dem Zweck von den Herren getötet. Doch darf man deshalb die Maori
nicht als eigentliche gewohnheitsmäßige Kannibalen bezeichnen. Schon daß die
Leiche und die Ofen, in denen die Fleischstücke gebraten wurden, streng tapu
und der Inhalt eines Ofens immer zu einem Opfer für die Götter bestimmt
war, zeigt, daß es ein religiöser Gebrauch war, dem sie dabei folgten. Sklaven
schlachteten sie daher gewöhnlich nur bei Gelegenheit von Festen, bei denen
Menschenfleisch zu essen unerläßlich war. Der eigentliche Grund, warum die
Maori die Feinde verzehrten, war die Rache, da es für den größten Schimpf
galt, gekocht und verzehrt zu werden. Auch glaubten sie. der Mut der ver—⸗
zehrten Person gehe auf sie über!.
Religion. Die religiösen Vorstellungen der Maori vor ihrer Bekehrung
waren in hohem Grade verworren; dazu kommt noch, daß die Ansichten nicht
überall gleich waren. Einen der besten und ältesten Berichte über die Religion
der Maori verdanken wir dem Maristenmissionär P. Servant, dessen An—⸗
gaben später durch seine Mitarbeiter ergänzt wurden. Servant hat die Ein⸗
— — —
TJournal of the Anthropological Institute uswp. XIX 1I08.
1. Die Maori auf Neuseeland.
185
gebornen sorgfältig ausgefragt, aber sie stimmten in vielen Dingen nicht überein.
—ADDD0—
„Die Neuseeländer haben nie Tempel, Altäre oder Götzenbilder gehabt. Ihre
Skulpturen sollen nur das Andenken an ihre Eltern oder Freunde verewigen;
aber sie glauben an unsichtbare Mächte, die überall verbreitet sind und einen
Jewissen Einfluß auf ihre Leiber und ihre Seelen, auf ihre öffentlichen und
privaten Handlungen, auf ihr Schicksal und ihr Leben haben. Diese Geister
sind, wie sie meinen, oft erzürnt, und infolge dieses Glaubens leben unsere
armen Wilden in einer beständigen Furcht. Ein Donnerschlag, ein Sturm,
ein Unglücksfall, ein plötzlicher Tod, ein unerwarteter Verlust, ein unfruchtbares
Jahr find in ihren Augen ebenso viele Beweise des Zornes eines Gottes, der
die Verletzung eines Tapu, die Unterlassung eines Gebetes oder eines aber⸗
dläubischen Maorigebrauches straft. Werden sie von der Krankheit ergriffen,
die sie allmählich aufzehrt, so ist ein menschenfressender und rächender Gott in
ihren Leib eingezogen und zernagt allmählich ihre lebendigen Teile. Um sich
gegen diese bösartigen Geister zu schützen, beobachtet man genau die Tapus oder
man nimmt seine Zuflucht zu bestimmten Gebeten oder Zaubermitteln oder selbst
zu Verwünschungen; man droht ihnen sogar, sie zu töten, aufzuzehren oder zu
derbrennen.“
„Die Neuseeländer legen ihren Göttern die Bedürfnisse und Schwächen der
Menschen bei und weisen einem jeden von ihnen eine besondere Funktion zu.
Der eine herrscht über die Elemente, der andere über die Vögel und Fische.
Wiro oder der schreckliche Taniwa sind die bösen Genien der Lebenden und
der Toten.““ Taniwa lauert auf die Verletzer des Tapus, um sie zu verzehren.
Übrigens legen auch die Häuptlinge Strafen auf die Verletzung des Tapus;
dieselben bestehen in einfachen Rügen, oft in Stockschlägen oder auch in der
Konfiskation des Eigentums; sogar der Tod kann als Strafe für dieses ver⸗
meintliche Sakrileg verhängt werdens. Tawaki ist der Herr des Donners;
Mahucke hat den Hund erschaffen, er ist ein furchtsamer oder wilder Gott,
der felten die dunkeln Höhlen verläßt. Tingara oder Huro hält sich ge—
wöhnlich in der Fremde auf und besucht nur von Zeit zu Zeit Neuseeland.
Seinen Besuchen folgen immer Krankheiten und Tod; daher kommt das Vor⸗
urteil der Eingebornen, jede Berührung mit den Weißen schade ihrer Gesund⸗
heit oder ihrem Leben?.
„Im Anfang der Zeiten war die Finsternis unbekannt, es war beständig
licht und hell. Aber die Göttin Hina ließ aus Rache für eine Spötterei Kaes
die Nacht auf den Tag folgen. Sie vollbrachte noch andere Großtaten. Eines
Tages war ihre Tochler Rona ausgegangen, um im Gebüsch Holz zur Her—
richtung der Mahlzeit zu sammeln; als sie mit blutenden Füßen heimkam, geriet
sie beim Anblick des Blutes und infolge der Schmerzen in Wut und fluchte
im Zorn dem Mond, indem sie ihm zurief: „Mögest du verzehrt werden, weil
du nicht gekommen bist, um mir zu leuchten, als ich im Begriffe war, mir
die Füße zu verletzen.“ Entrüstet über diese Verwünschung warf der Mond
3
Annales de la propagation de la foi XVI (1844) 872 ff. 2 Ebd. 3738.
Ebd. XV 22. Ebd. XVI 3783.
186
Fünfter Teil. Australien und Ozeanien.
eine Angel auf Rona, zog sie zu sich hinauf und versetzte sie in seine Scheibe
mitsamt dem Küchengerät, das sie in der Hand hielt, und dem Baum, an
den sie sich anklammerte, um nicht hinaufgezogen zu werden. Da nahm die
Böttinmutter dem Monde zur Strafe die Macht, noch fernerhin Angeln auf die
Erde zu werfen.“
Unter ihren Göttern ragen als Hauptgötter drei Brüder hervor, denen sie
die Erschaffung ihrer Insel zuschreiben: Mawi, Mawipotiki und Taki. Mawi
kam vom Himmel herab und fing an auf einem Felsen zu angeln. Weil er
keine andern Angeln besaß, tötete er die beiden Kinder, die er von der Hina
hatte, und machte aus ihren Kinnbacken Angeln. Das rechte Auge des einen
Kindes wurde der Morgenstern, das des andern der Abendstern. An der Angel
zog Mawi mit Hilfe einer Taube Neuseeland aus dem Meere, und unterstützt
von seinen Brüdern bildete er nun Ebenen, Hügel, Berge, Täler und besäte
die Erde mit Bäumen und Pflanzen. Den ersten Menschen soll der Bruder
Mawis, Taki, geschaffen haben, indem er aus Schlamm seinen Leib bildete.
Nach dem Tode wurde er auf einem Spinnengewebe in den Himmel erhoben,
und sein Auge wurde der südliche Polarstern. Mawi selbst soll nach Vollendung
seines Werkes gestorben sein; aber seinen Geist nahm er nicht mit in die
Regionen der Nacht, sondern vermachte ihn dem Vogel Jeie, den man auf
der Insel während der schönen Jahreszeit sieht.
Außer den eigentlichen Göttern haben die Neuseeländer ihre Halbgötter.
„In Neuseeland erhält zu Lebzeiten niemand göttliche Ehre, aber nach dem
Tode werden alle zum Rang von Göttern zweiter Ordnung erhoben; ihre Namen,
besonders die der Häuptlinge, sind so Tapu und geheiligt, daß man sie nicht
einmal aussprechen darf, ohne sich einer schrecklichen Profanation schuldig zu
nachen. Wenn ein Häuptling stirbt, kommt sein Auge an das Firmament;
deshalb sind für die heidnischen Polynesier alle Sterne, die am Himmel leuchten,
Augen der seeländischen Häuptlinge.“!
Etwas anders als Servant stellt J. H. Kerry-Nicholls die Religion
Neuseelands nach den Angaben alter Eingeborner dar?. Außer den vergötterten
Ahnen glaubten die Maori an höhere und ursprüngliche Geister, die
sie Atuas (Götter) nannten und für allmächtig und allgegenwärtig hielten.
Jeder heilige Gegenstand galt als Wohnung eines Atua. Die Atuas konnten
Gutes und Böses in geheimnisvoller Weise bewirkens. Irawaru war der Gott
der Hunde, Eidechsen und Ratten, Papa der Gott der Erde und der Flüsse, dem
Gotte Behua wurden von den Kranken Speiseopfer dargebracht, Rangomai war
der Kriegsgott usw. Tiki soll der erste Mensch gewesen sein, der zum Rang der
Gottheit erhoben wurde. Wie es scheint, hatten die Maori einen dunkeln Begriff
von einem höheren Wesen, das sich von den andern Göttern unterschied und
die Geschicke der Menschen leitete. „Diese große Gottheit ist der
ganzen Rasse bekannt, doch ist die Überlieferung in Bezug auf seine Macht sehr
unbestimmt und fließend und bei den verschiedenen Stämmen sehr verschieden.““
tAnnales de la propagation de la foi XVI (1844) 875.
2 In der Zeitschrift The Journal of the Anthropological Institute usw. XV (1886)
187 ff.
3 Ebd. 197. 4Ebd. 200.
1. Die Maori auf Neuseeland. 487
Zun Vergleich führen wir an, was Meinicke! über die Religion der Maori
schreibt: „Es hatte sich noch die Erinnerung an gewisse allgemein gültige Gott⸗
heiten erhalten. Danach hat Rangi (der Himmel) Papa (die Erde) in eine
schöne Frau (die Tiki) verwandelt und mit ihr fünf Soöͤhne gezeugt, die alten
Götler des Volkes, nämlich Rongo, den Gott der Kumara (süßen Patate),
Tane, den Gott der Vögel, Tangaroa, den Gott der Fische, Weri, den Gott
der Winde, der in dem zwischen Rangi und seinen Söhnen ausgebrochenen
Kampf die Partei des Vaters ergriffen hatte und ihm in den Himmel gefolgt
war, und Tu, den Schöpfer der Menschen, den andere Berichte den Kriegsgott
nennen und dem im Kriege die ersten Gefangenen geopfert wurden. Außer
diesen gab es noch den Mawi (Maui), der die nach ihm benannte Nordinsel
aus dem Meere fischte, Wiro, Tawaki usw. Aber diese Gottheiten sind den
Menschen doch nur in der Erinnerung geblieben und ihr Einfluß ist größten⸗
— abstrakten
Atua (Gott), dem man alles zuschrieb, und so war in diesen Polytheismus
eine seltsame Einheit gekommen.“ Es könnte aber ebensogut sein, daß die
ursprungliche Auffassung der Maori nur einen Gott kannte und der Poly⸗
theismus später daraus entstanden ist.
Interessant ist, was der französische Reisende Ernest Michel? über die Er⸗
schaffung des Menschen berichtet: Nach den Maori besuchte ein wohltätiger Gott,
mit Namen Tiki, die Erde am Anfang ihres Daseins, bildete mit seinen Händen
aus seinem Blute und roter Erde einen Mann und hing ihn zum Trocknen
über eine Hecke. Während des Trocknens kam das Leben in ihn, und Tiki war
mit seinem Werk sehr zufrieden. Auf dieselbe Weise bildete er eine Frau.
Dieses Paar erfüllte die Erde mit seinen Nachkommen. Aber diese wurden so
böse, daß Tiki fie zu vernichten beschloß und eine Wasserflut die Erde verschlang.
Dann kam ein anderer Gott, Manui (Mawi)), der mit seinen drei Brüdern
zu fischen anfing. Einer der Brüder zog mit der aus dem Kiefer eines Ahnen
gemachten Angel einen schweren Gegenstand aus den Fluten: Neuseeland. So
begann die Welt von neuem.
Aus dem Gesagten ergibt sich zur Genüge, wie schwer es hält, einen sichern
Einblick in die allen religiösen Anschauungen der Maori zu erlangen. Nur
das folgt aus allem Angeführten mit Evidenz, die Behauptung, die Götter der
Maori seien nur die vergötterten Ahnen, ist unrichtig. In fast allen Mythen
und Sagen ist die Rede von höheren geistigen Wesen, die nicht nur schon vor
den Menschen existierten, sondern auch als Schöpfer und Bildner der Menschen
dargestellt werden. Die Ansicht, die ganze Religion der Maori sei aus dem
Ahnenkult hervorgegangen, ist unhaltbar; das geht auch daraus hervor, daß es
neben den Manen der Verstorbenen noch allerlei Geister gibt, die nie Men—
schen waren.
Wir haben gesagt, es gebe keine Götzenbilder auf Neuseeland; das bedarf
einer Einschränkung. Man hat nämlich auf den Inseln im ganzen zwei steinerne
Götzenbilder entdecktꝰ. Beide wurden nach der Überlieferung von Hawaiki, der
Die Inseln des Stillen Ozeans J 321 -3822.
Missions catholiques 1887, 287.
3 Journal of the Anthropological Institute uswp. XV (I1886) 198.
188
Fünfter Teil. Australien und Ozeanien.
sagenhaften Urheimat der Maori, bei der Einwanderung auf Kaͤhnen mit⸗
gebracht. Der eine Götze hieß Matua-a-Tonga, d. h. Vater von Tonga; er
gilt als der Stammvater der Rasse. Die Eingebornen glauben nämlich, daß
jedes lebende Ding seinen Vater oder Schöpfer habe. So ist, wie schon gesagt,
Irawaru der Vater der Hunde, Tane der Vater der Vögel usw.
Mit der Religion der Maori hängt innig zusammen die Sitte des Tabu
oder besse Tapu. Das Wort kommt vermutlich von ta, d. h. bezeichnen,
und pu, einem verstärkenden Nebenworte, so daß tapu in erster Linie „scharf
gezeichnet“ bedeutet. Erst in zweiter Linie erhielt es die Bedeutung von „den
Göttern geweiht, unantastbar, heilig“, weil man heilige Dinge, die nicht an⸗
zetastet werden sollten, auf eigentümliche Weise kennzeichnete, damit jedermann
sie als heilig und unverletzlich erkenne. Weil die Götter und Halbgöͤtter selbst
als heilig galten, wurde auch alles, was ihnen gehörte oder mit ihnen zusammen⸗
hing, als geweiht und heilig, als Tapu angesehen. Gewisse Personen und
Dinge wurden immer und überall als Tapu betrachtet: so die Häuptlinge und
Priester und alles, was mit ihnen zusammenhing, ferner kranke Personen und
besonders die Leichen und alles, was mit ihnen in Berührung kam. Andere
Dinge wurden nur für bestimmte Zeiten und Zwecke mit dem Tapu belegt
tapuiert). Nur Häuptlinge und Priester konnten solche Dinge für Tapu er⸗
klären. Die Wirkung des Tapu war z. B., daß Häuptlinge und Priester nicht
auf dem Felde arbeiten durften, weil alles, was sie anruüͤhrten, Tapu wurde—
Tapuierte Personen durften keine Speise mit den Fingern berühren, weshalb
Häuptlinge und Priester von Sklaven gefüttert werden mußten, die den Tapu—
zesetzen nicht unterstanden; wer keinen Sklaven besaß, mußte seine Speise wie
ein Hund mit dem Munde ergreifen. Die Speisen, welche tapuierte Personen
derührt hatten, durften von andern Personen nicht genossen werden. Tapuierte
Felder durften nicht betreten und bepflanzt werden usw. Dieselben Personen,
welche die zeitweiligen Tapus auferlegten, konnten sie auch wieder aufheben,
was bei verschiedenen Stämmen unter verschiedenen Zeremonien geschah. Bei
den einen wurden Gebete gesprochen und gewisse Speisen gekocht; bei andern
aß die tapuierte Person aus der Hand eines Kindes, das dann 24 Stunden
Tapu war. Jede Verletzung eines Tapus wurde entweder von den Göttern
oder von den Menschen bestraft, von jenen mit Krankheit und Tod, von diesen
durch Hinrichtung, Konfiskation der Güter oder Verbannung. Doch war es
mehr die Furcht vor den Göttern als den Menschen, welche die Beobachtung
des Tapus erzwang; denn, sagen die Maori, „Menschenaugen können getäuscht
werden, die Augen der Götter nicht“. Besonders die Häuptlinge benutzlen die
Tahus zur Befestigung ihrer Macht und auch zur Befriedigung ihrer Launen!.
Der Häuptling war in der Regel auch Priester; doch gab es außer ihm
noch eigene Priester, die einen hohen Rang einnahmen. Sie hatten über
die Beobachtung der Tapus zu wachen, man schrieb ihnen auch Wunderkräfte
zu und deshalb hatten sie großen Einfluß bei den Häuptlingen und dem Volk.
Val. Burkhardt-Grundemann, Die evangelische Mission im Indischen
Archipel?, Bielefeld und Leipzig 1880, 291 -292 (nach P. Shortland, Traditjons and
Superstitions of tho New Zealanders, London 1854).
J.
1. Die Maori auf Neuseeland.
489
Man hielt sie für fähig, Träume zu deuten, die Zukunft zu erkennen, Dämonen
auszutreiben, Krankheiten zu heilen, Regen zu verschaffen uswp. Die Erstlinge
der Früchte brachten die Maori durch die Priester den Göttern dar; dieses
Opfer hieß Mata.
Die Maori glaubten allgemein an das Fortleben der Seele nach dem
Tode. Sie setzten voraus, die Seele nehme in geistiger Weise die Gestalt an, die
der Leib in diesem Leben hatte. An die leibliche Auferstehung scheinen sie nicht
zeglaubt zu haben und auch nicht an die Wanderung der Seele in ein niedrigeres
Dasein. Sie hatten eine dunkle Vorstellung von einem Jenseits: einem Himmel
(Reéinga) und einer Unterwelt (Po), aber es ist schwer festzustellen, was sie sich
unter diesen Wohnungen des Glückes und des Wehes dachten. Ein böser Geist
namens Taipo herrscht in der Wohnung der Verdammten!. Die meisten scheinen
sich unter dem Himmel eine weite und schöne Gegend vorzustellen, zu der man
durch das Nordkap am äußersten Ende der Nordinsel gelangt. Hier sollen sich
die Geister der Verstorbenen versammeln und ihren Flug über das Meer nach
ihrer endlichen Heimat nehmen. In dieser ist es schön, herrscht Überfluß und
Friede. Hier ist kein Kriegslärm und kein Sturm, sondern steter Sonnenschein
und Frohsinn. Hierhin kommen die Priester und Häuptlinge und alle die⸗
jenigen, denen die Geister der Atuas gnädig sind.
Eingehender spricht über den Glauben der Maori an das Jenseits der
schon erwähnte Servant?. Er schreibt am 7. September 1841 aus Hokianga
auf Neuseeland: „Ich bin zur sichern Überzeugung gelangt, daß die Neu—
seeländer immer geglaubt haben, es gebe in uns eine höhere
Substanz über der Materie, und jenseits des Grabes erwarte
uns ein zukünftiges, glückliches oder unglückliches Leben. Die
Reise, welche sie die Toten machen lassen, setzt ganz klar diesen Gedanken voraus.
Sie sagen, der Tote schlage beim Verlassen dieser Welt den Tokuaiatua (Name
des Weges in das Totenreich) ein. Dieser Weg führt ihn zu einer Allee, Pirita
genannt; der Tote steigt hinauf, steigt hinab, ruht und seufzt nach dem Lichte.
Nachdem er sich wieder auf den Weg gemacht, gelangt er zu einem Hause, mit
Namen Ana; bald verläßt er dasselbe, findet einen andern Weg, der zu einem
Flusse führt, dessen Wasser ein klägliches Gemurmel hören lassen; er steigt über
den Hügel Herangi und ist nun in Reinga (Unterwelt). Jetzt verläßt er die
unteren, unter dem Meer gelegenen Regionen, entfernt den durchsichtigen Schleier,
der sich am Anfang des Weges Motatau findet, und erreicht die lichten Ebenen.
Nachdem er sich dort an den Sonnenstrahlen erwärmt, geht er wieder in die
Nacht ein, wo er der Traurigkeit, den Leiden und Krankheiten überliefert ist.
Von dort kommt er wieder in diese Welt, um seine Gebeine zu holen, und kehrt
dann nach Reinga zurück und zwar für lange Jahre. Mehrere von meinen
Neubekehrlen machten mich auf den Zusammenhang dieses Glaubens mit dem
Dogma der Auferstehung aufmerksam. Unsere armen Götzenanbeter glauben
auch, daß die wieder erstandenen Toten nach einem langen Aufenthalt in Reinga
ein zweites Mal sterben und wiederum die Nachtreise antreten; daß sie darauf
Journal of the Anthropological Institute usw. XV (1886) 200.
Annales de la propagation da la foi XV (I843) 27.
4190 Fünfter Teil. Australien und Ozeanien.
wiederum auferstehen und sterben, bis sich ihr Leib in einen gewissen Wurm
verwandelt, den sie Toke nennen und den man beim Aufwühlen der Erde oft
findet. Das Leben in Reinga ist übrigens nach ihnen dem gegenwärtigen Leben
ganz ähnlich; man hat dort dieselben Bedürfnisse, dieselben Gewohnheiten und
Beziehungen; und dieses erklärt, warum sie die Sklaven beim Tode ihres Herrn
umbringen und warum die Frauen am Grabe des Mannes Selbstmord be—
gehen, wenn sie nicht kleine Kinder haben, die noch ihre Sorge und Aufmerksam⸗
keit erfordern.“ — Sonderbar ist, daß die Maori auch ihren Hunden die
Unsterblichkeit zuerkannten und sie nach dem Tode in eine andere Welt, genannt
Waiowaowao, versetzten 1.
Ist jemand gestorben, mag er im Rang hoch oder niedrig gestanden
haben, so wird sein Leichnam Tapu und heilig. Vor dem Begräbnis wird die
Leiche ausgestellt und mit Blumen geschmückt, die Totenklage wird angestimmt
und alle trauern mehrere Tage. Um ihre Anhänglichkeit an den Toten zu be⸗
kunden, zerfleischen sich die Verwandten, Freunde und Sklaven den Leib am
Gesicht, auf der Brust und den Armen. Ist die Stunde des Begräbnisses ge⸗
kommen, so begleiten Männer und Frauen unter Trauergesängen den Leichenzug
bis zum Atamira oder Friedhof. Ist der Tote ein Häuptling, so wird der
Sarg auf ein erhöhtes, säulenartiges Mausoleum gelegt, das mit Schnitzereien
geschmückt und rot bemalt ist. Die Leichen der gewöhnlichen Insulaner werden
ain Baumästen aufgehängt. Neben das Grab des Kriegers werden seine Waffen
zingelegt, weil er sie notwendig haben soll, um in den Nachtregionen zu kämpfen.
Rach Beendigung der Leichenfeier reinigen sich alle Teilnehmer in einem nahen
Fluß?. Wenn man die Eingebornen fragt, warum sie ihre toten Verwandten
in der Luft aufhängen, antworten sie: „Wir wollen, daß sie immer unsern
Augen gegenwärtig seien und gewissermaßen noch unter uns leben; würden
wir sie in die Erde vergraben, so wären sie gehindert und sie könnten nur mit
Mühe auf den Pfaden der Nacht wandern; wenn der Krieg uns zwingt, unsere
Täler zu verlassen, nehmen wir sie leicht mit uns, denn wir können uns nicht
bon der Asche unserer Väter trennen.“s
„Die Maorination hat für ihre Toten eine unbeschreibliche Anhänglichkeit
und Achtung. Sie liebt, ehrt und betet sie fast an, selbst diejenigen, die im
Leben verachtet und gehaßt waren. Zum Altamira wählt man mit Vorliebe
einen hohen und einsamen, mit dichtbelaubten Bäumen bestandenen Platz. Der⸗
selbe unterliegt dem strengsten Tapu. Wer es wagen wuͤrde, ihn zu verletzen,
täte der Nation den größten Schimpf an und würde unbarmherzig mit dem
Tode bestraft. Und sollte er auch der menschlichen Rache entgehen, so könnte
er sich doch, sagen die Eingebornen, in dieser oder der andern Welt dem Zorn
des unerbittlichen Taniwa, des grausamen Gottes, der die Verächter des Tapu
hbestraft, nicht entziehen.““ Mehrere Stämme versammeln sich jährlich einmal
am Atamira, um die Überreste der Toten herunterzuholen und im Innern des
heiligen Haines niederzulegen. Diese Übertragung heißt Hahunga und hat für
die Fremden etwas Imposantes. Die Ordnung der Zeremonie ist folgende:
Annales de la propagation do la foi XV (1848) 28. 2 Ebd. 25.
3 Ebd. 25 -26. 4Ebd. 26.
1. Die Maori auf Neuseeland. 491
Die Vornehmen schlagen mit einer Gerte auf den Sarg und sprechen dabei
geheimnisvolle Worte; dann legt man ihn auf den Boden, ersetzt das Toten—
kleid des Verstorbenen durch andere Schmucksachen. Der erste Häuptling nimmt
ihn nun auf die Schultern und schreitet zum Platz, der zum Begräbnis be—
stimmt ist. Ihm folgt das Volk und vor ihm schreitet ein Mann, der einen
Baumzweig in der Hand trägt. Am Begräbnisplatz wird die Leiche auf einen
Blätterteppich gelegt, das Fleisch wird in einer Grube beerdigt; eine alte, ganz
von l triefende und pompös geschmückte Frau empfängt den Schädel in den
Falten ihres Mantels. Dann beginnt der Pihe oder Totengesang, es folgen
lange und laute Reden, endlich werden die Gebeine, nachdem man sie weiß und
rot bemalt hat, zusammengebunden und in ihr letztes Asyl niedergelegt. Erst
nach mehreren Tagen von Ergötzungen und gegenseitigem Austausch von Ge—
schenken trennen sich die Eingebornen.“
Am Grabe verrichteten die Priester auch Gebete und nahmen Beschwörungen
vor?. Wie es scheint, wurden die Leichen an manchen Orten nicht an den
Bäumen aufgehängt und ihre Gebeine nach ihrer Verwesung nicht auf einem
Friedhofe, sondern in Höhlen niedergelegt, die als Tapu galten8.
Bei schweren Geburten wurde ein Priester herbeigerufen; er und die Frau
mußten laut zu einem Gotte rufen. Nach der Geburt war die Frau einen
Monat lang Tapu, bis sie durch eigene Zeremonien wieder in den gewöhn—
lichen Zustand versetzt wurde. Während dieser Zeit mußte sie abgesondert leben,
um nicht andere Leute zu Tapu zu machen. Nach der Reinigungszeremonie
erhält das Kind einen Namen?. Bei einigen Stämmen scheint eine Art Taufe
stattgefunden zu haben. Der Priester nahm das Kind in seine Hände, suchte
durch bestimmte Zeichen seine Zukunft zu erkennen, tauchte es dann in das
Wasser und gab ihm einen Namens.
UÜber das Eigentum sagt Servant: „Bei unsern Wilden ist das Eigen⸗
tum bekannt wie bei den zivilisierten Nationen. Die Kinder erben alle Be—
sitzungen ihrer Väter, ohne daß die Häuptlinge sie derselben berauben könnten.
Die Eingebornen schreiben ihre Verträge nicht, aber ihr Gedächtnis bewahrt
ebensogut wie Schriften ihre Titel und selbst die kleinsten Umstände, die ihr
Recht bezeugen können. Die Sklaven besitzen nur das, was ihnen das Wohl—
wollen ihres Herrn gegeben hat. Außer dem Erbrecht kannten die Neuseeländer
auch das Recht der Eroberung, kraft dessen die Besiegten ihr Eigentum nicht
beräußern durften ohne Ermächtigung des Häuptlings und ihrer Besiegers.
Seitdem die Kriege aufgehört, kommt dieses Recht außer Gebrauch. Der Be—
sitzer eines Landes erlaubt einem befreundeten oder verbündeten Stamm leicht,
auf demselben gegen eine Abgabe zu säen und zu pflanzen; geschah es aber
ohne Ermächtigung des Eigentümers, so konnte dieser die Früchte ernten. ...
Es ist Gebrauch, daß sich die Eingebornen zum Bebauen des Landes vereinigen
und einander helfen. Sie eifern sich gegenseitig durch Singen und Schreien
1Ebd. 2 Journal of the Anthropological Institute usw. XIX (1910) 201.
Ebd. 2Ebd. 97.
Annales de la propagation de la foi XV (I843) 6.
s Vielleicht hat diese Einrichtung zur allgemeinen Behauptung verleitet: „Das Eigen⸗
tum war Gemeineigentum des ganzen Stammes“ (Hochstetter, Neuseeland 463).
,
192
Fünfter Teil. Australien und Ozeanien.
zur Arbeit an und verständigen sich miteinander über den Konsum und den
Verkauf ihrer Lebensmittel.“1
Nach E. Trege ars, der im Journal of the Anthropological Institute
einen interessanten Aufsatz über die Eingebornen Neuseelands veröffentlicht hat,
scheint Grund und Boden ursprünglich dem ganzen Stamm gehört zu haben;
aber innerhalb des allgemeinen Stammrechts hatte jeder freie Krieger be—
sondere Rechte auf einen Anteil. Er konnte das Land nicht veräußern, aber
er hatte bessere Rechte auf bestimmte Teile des Landes als andere Glieder
des Stammes, und zwar auf verschiedene Gründe hin, z. B. weil dort die
Gebeine des Vaters oder Großvaters ruhlen, oder weil seine Frau durch Ge⸗
burt ein Recht darauf besaß, oder weil der Eigentümer ihn eingeladen hatte,
darauf zu wohnen?. Hier kann es sich aber nur um abgeleitete Eigentums⸗
zitel handeln, die schon ein ursprüngliches Eigentumsrecht voraussetzen. Der
bewegliche Besitz des Mannes, seine Waffen, Schmucksachen, Kanoes usw., war
sein volles Eigentum. Frei geborne Frauen konnten auch erben, doch war das
Erbrecht der Töchter gegenüber dem der Söhne in mancher Beziehung be—⸗
schränkt. Das jüngere Kind erbte nie vor dem älteren, außer wenn irgend
eine schimpfliche Ursache gegen das Recht des letzteren vorlag, z. B. Irrsinn,
schwarzer Verrat oder ähnliches.
Der Geschlechtsverkehr unter der Jugend ist ein freier oder zügelloser. Nach
der Heirat aber ist die Frau tapu für jeden fremden Mann und würde sich
durch leichtsinnigen Wandel (Ehebruch) schwere Übel zuziehen. Ausgenommen
zwischen Brüdern und Schwestern existiert kein strenges Heiratsverbot, doch sieht
nan Ehen zwischen Geschwisterkindern nicht gern. Polygamie kommt beim ge⸗
wöhnlichen Volke nicht vor, nur die Häuptlinge sollen mehrere Frauen gehabt
haben. Die ehelichen Beziehungen sind streng, außer wenn der Mann seine
Einwilligung gibt, z. B. für einen Gast. Die Männer enthalten sich während
der Schwangerschaft und nachher, bis das Kind von der Mutterbrust entwöhnt
ists. Der Neuseeländer kann sich leicht von seiner Frau trennen und eine neue
Lebensgefährtin nehmen. Bei den Häuptlingen richtet sich die Zahl der Frauen
aach ihrer Würde, doch wird nur eine als eigentliche Frau angesehen. „Es
ist unnötig, zu bemerken“, schreibt Servant, „daß hier wie überall, wo sie
besteht, die Polygamie eine große Zahl Verbrechen im Gefolge hat. Außer den
Eifersüchteleien, den Zwisten und Streitigkeiten ist sie die gewöhnlichste Quelle
der Kindermorde und der Selbstmorde, welche im Schoße der Stämme Trauer
derbreiten.“*
Es gab zur Zeit des P. Servant drei Arten von Ehen bei den heidnischen
Eingebornen. Die erste bestand darin, daß die Häuptlinge und die Eltern nach
Beratschlagung untereinander und mit einfacher Einwilligung von Braut und
Bräutigam die Ehe abschlossen. Bei der zweiten Art wurde die Neigung der
zukünftigen Gatten zu Rate gezogen. Wenn der Neuseeländer beschlossen hat,
eine Lebensgefährtin zu nehmen, so geht er zum Mädchen seiner Wahl und
Annales da la propagation de la foi XV (I8483) 10- 11.
Journal of the Anthropological Instituto usw. XIX (1890) 106.
Ebd. 102 - 103. Annales de la propagation de la foi XV (I843) 24.
2. Die Tonganer.
493
umarmt dasselbe nach Maoriart, indem er seine Nase an die der Braut stößt,
dann weint er lange, haucht in Liedern seine zärtlichen Gesinnungen für sie
aus und bittet endlich um ihre Hand. Nun legen sich die Häuptlinge ins
Mittel, um sich zu überzeugen, daß die Einwilligung der Braut nicht die Wir⸗
kung der Furcht ist. Die dritte Heirat kommt durch Raub zustande. Wenn der
Braäͤutigam von seiten seiner Zukünftigen eine abschlägige Antwort befürchtet, so
entreißt er sie der Familie mit Gewalt. Da ihm die Angehörigen des Mädchens
die Beute streitig machen, so entspinnt sich ein Kampf zwischen dem Bräutigam
und seinen Helfern einerseits und den Verwandten des Mädchens anderseits.
Ist es dem Räuber gelungen, seine Braut den Nachsuchungen ihrer Eltern
während drei oder vier Tagen zu entziehen, so tritt zu seinen Gunsten Ver—⸗
jährung ein; die Braut ist seine rechtmäßige Frau geworden und die streitenden
Parteien legen die Waffen nieder!.
Der Mord mußte von jedem Gliede eines Stammes gerächt werden. Ein
sterbender Häuptling hinterließ oft als letztes Wort die Mahnung, einen Mord
zu rächen, und gewöhnlich bezeichnete er eine bestimmte Person, die sich dieser
Aufgabe unterziehen sollte. Solche Todesbefehle wurden als heilige Gebote an⸗
gesehen. Es konnte wohl die Blutsühne erzielt werden, indem man einen Stamm
angriff, der mit der Streitsache gar nichts zu tun hatte, gewoͤhnlich aber wurde
der Siamm oder die Familie des Mörders als Opfer der Rache ausersehen.
Eine Bezahlung als Ersatz für den Mord (eine Art Wergeld) pflegte man
nicht anzunehmen2.
Die Mäunner und Frauen aßen immer getrennt, und zwar aß jeder Mann
allein, die Frauen dagegen speisten gemeinsam. Die Kinder aßen mit den Frauen.
Das Blut von Menschen und Tieren wurde nie als Trank benutzt. — Bei ge⸗
wissen Gelegenheiten fasteten die Maori. Die einzelnen Staͤmme haͤtten ihre
Häuptlinge, deren Würde sich auf den Erstgebornen vererbte. Einen Konig gab
ez nicht. Vereinigten sich mehrere Stämme zum Kriege, so wurde der beste
Krieger zum Führer gewählt. Der älteste Sohn des ersten Häuptlings wurde
Ariki, das Haupt des Klans, und war Priester sowohl als Häuptling. Während
bei den Maͤori sonst die Mannweihe nicht in Übung war, mußte sich der erst—
geborne Sohn des Häuptlings dieser Weihe unterziehen, bei der er in die Tra⸗
ditionen und religiösen Gebräuche eingeführt wurde. Auf ihn ging die hohe
Erkenntnis der Ahnen, die Herrschaft über die mächtigsten Zaubermittel, das
Recht des Vorrangs in allen Dingen übers.
2. Die Tonganer.
Der Tonga⸗Archipel (Freundschaftsinseln) liegt östlich von den Fidschi-Inseln
wischen dem 18. bis 22.0 südl. Br. Die mittlere Inselgruppe wird von den
Hapai-Inseln gebildet. Im Norden liegt die große Insel Wawau und im Süden
die Insel Tonga, die der ganzen Gruppe den Namen gegeben hat. Heute bildet
der Archivel das Königreich Tonga (gegenwärtiger König Georg II.), das unter
Ebd. Journal of the Anthropological Institute usw. XIX (1890) 106.
3Ebd. 1121183.
194
Fünfter Teil. Australien und Ozeanien.
englischer Oberhoheit steht und etwa 26 000 Einwohner zählt. Die Eingebornen
ind den Samoanern stammverwandt. Heute sind die meisten Bewohner Christen.
Wir besitzen aber Nachrichten über sie aus einer Zeit, wo sie noch fast gar
nicht mit den Europäern in Berührung gekommen waren. Am 29. Novbember
1806 ankerte der, Portrau-Prince“ mit fast 100 Mann zu Lefuga, einer der
Hapai-Inseln; am 1. Dezember wurde die Mannschaft von den Wilden über⸗
fallen und zum größten Teil niedergemetzelt. Unter denen, welchen man das
Leben schenkte, war der junge und gebildete William Mariner. Der
König Finau interessierte sich für ihn und nahm ihn in seine Dienste. Es
gelang dem jungen Engländer bald, die Freundschaft des Königs zu gewinnen,
und er lebte nun vier volle Jahre unter den Tonganern, wie einer der Ihrigen.
Im Jahre 1810 gelang es ihm, auf einem europäischen Schiff zu entkommen.
Schon während seines Aufenthaltes auf den Tonga⸗Inseln hatte er eine Art
Tagebuch geführt. Nach seiner Rückkehr nach England veranlaßte ihn der Arzt
J. Martin, seine Erinnerungen zu veröffentlichen, und stand ihm dabei mit Rat
und Tat zur Seite. Die Frucht dieser gemeinsamen Arbeit ist das Werk An
account of the Natives of tho Tonga Islands. Wir geben zuerst einen
auf unsern Gegenstand bezüglichen Auszug aus diesem Werke und werden diese
Angaben durch die Berichte der Missionäre ergänzen.
Die Tonganer sind meist groß und muskulös. Der König Finau war
über 6 Fuß lang, sehnig und stark. Das Haupt trug er aufrecht und kühn,
seine Schultern waren breit. Er wußte sich durch sein majestätisches Auftreten
Achtung zu verschaffen?. Man unterschied auf den Inseln zur Zeit Mariners
derschiedene Gesellschaftsklassen. Zur ersten und höchsten gehörte Tu i⸗
bonga, das Haupt der Familie Fatafehi, mit seinen Verwandten. Tuitonga
Haupt der Insel Tonga) genoß eine besondere religiöse Achtung wegen seiner
vermeintlichen Abstammung von den Hauptgöttern, welche ehemals die Tonga⸗
Inseln besuchten. Dasselbe gilt, jedoch in geringerem Grade, von Veatschi. Die
Verehrung, die diesen beiden Männern gezollt wurde, war sogar größer als die
dem König erwiesene Ehre, und dieser selbst mußte ihnen beim Begegnen be⸗
sondere Ehre bezeigen. Dasselbe galt in Bezug auf einige mit ihnen verwandte
Familien. Aber sie hatten keinerlei öffentliche Gewalt. Ähnliches galt von den
Veatschi. Auch die Priester genossen hohe Verehrung, aber nur während sie
von der Gottheit inspiriert waren.
In bürgerlicher Beziehung steht an der Spitze der König (Hau) mit fast
absoluter Macht. Das Recht auf den Thron erhält er teilweise auf Grund
des Erbrechts und teilweise auf Grund der Kriegsmacht, die er gelegentlich ge—
Der volle Titel lautet: An account of the Natives of thoe Tonga Islands in the
South Pacific Ocean with an original Grammar and vocabulary of their Language.
Compiled and arranged from the extensivo communications o Mr WillIiam Mae-
riner, several years resident in those islands, by John Martin M. D. In two
volumes; second edition, with additions, London 1818. Die erste Auflage erschien
1816. Bei der zweiten Auflage konnte Martin die Angaben Mariners durch die Mit⸗
teilungen Higgins, eines seiner Schicksalsgenossen, kontrollieren und fand sie durch⸗
weg als richtig bestätigt. Die oben folgende Skizze beruht ganz auf den Angaben der
zweiten Auflage.
ꝰ An account usw. J 436 ff.
2. Die Tonganer.
195
drauchen muß, um seine Thronfolge zu sichern. — Unter dem König stehen die
Adeligen (Egis oder Häupter). Dazu gehören alle Verwandten des Tuitonga,
des Veatschi und des Königs. Sie alle, aber auch nur sie, haben das Vor—⸗
recht, das Volk vom Tapu zu befreien. Nur die Frauen pflanzen den Adel
fort, so daß ein Kind einer adeligen Mutter stets adelig bleibt, auch wenn der
Vater nicht adelig war, oder umgekehrt1.
Unter den Adeligen oder Häuptlingen stehen die Matabuls?, deren Diener,
Begleiter und Räte, die an Rang um so höher stehen, je höher der Häuptling
oder Adelige ist, bei dem sie sich befinden. Sie haben die Leitung der Zere—
monien, und ihre Stellung ist erblich — Die Söhne und Brüder der Mata—
buls heißen Muas. Kein Mua kann ein Matabul werden, solange sein Vater
oder Bruder noch lebt. Die meisten Muas betreiben ein Handwerk oder ein
Gewerbe. Die unterste Klasse der Bevölkerung sind die Tuas, die große Masse
des Volkes. Sie sind durch Geburt Bauern, besorgen aber auch das Täto—
wieren, das Kochen, das Schnitzen der Keulen usw. Unter den Tuas unter—
scheidet man wieder solche, die mit den Muas verwandt sind, und solche, die
es nicht sind. Die ersteren stehen in höheren Ehren als die letzteren 8.
Das Eigentum besteht bei den Tonganern hauptsächlich in Pflan—
zungen, Häusern und Kanoes, und das Erbrecht richtet sich nach dem Alter:
zuerst erbt der älteste Sohn, dann die älteste Tochter, dann der zweitällteste
Sohn usw.“
Alle alten Personen beiderlei Geschlechts werden wegen ihres Alters und
ihrer Erfahrung sehr hochgeschätzt; ja zu den wichtigsten moralischen und reli—
giösen Pflichten der Tonganer gehört neben der Ehrfurcht vor den Göttern und
den Häuptlingen die vor den alten Leuten, und deshalb kommt eine mutwillige
Beschimpfung alter Leute auf diesen Inseln gar nicht vors. Die Weiber werden
sehr geachtet, auch ohne Rücksicht auf ihren Rang oder ihren Adel, schon des⸗
halb, weil sie viel zum Wohlsein und häuslichen Glück des andern Geschlechts
beitragen, und wegen ihrer Schwäche gilt es als unmännlich, sie nicht zu achten.
In haͤuslichen Angelegenheiten unterstehen sie dem Manne, auch wenn sie diesem
an Adel und Rang vorgehen. Ist sie an Rang höher, so muß der Mann,
—F er von den Speisen zu sich nimmt, sich durch eine Zeremonie vom Tapu
efreien. —
Es kommt auch vor, daß die Tongafrauen fremde Kinder, selbst bei Leb—
zeiten ihrer Mütter, adoptieren. So wurde Mariner auf Anordnung Finaus
bon Mafi Habi, einer seiner Frauen, adoptiert. Er fühlte sich jener Frau zu
großem Dank verpflichtet. Sie machte ihn mit der Landessprache und den
dandessitten vertraut und sorgte in jeder Weise und bei allen Gelegenheiten mit
wahrhaft mütterlicher Zuneigung für ihn. Sie zeichnete sich durch klaren Ver⸗
stand, persönliche Schönheit, liebenswürdige und bescheidene Manieren aus.
Wenn ein junges Mädchen mit einem Adeligen von höherem Rang vermählt
oder ihm als Konkubine zugewiesen wird, so erlangt sie dadurch höhere Achtung,
Ebd. II 84.
2 So nennt fie Mariner; andere Reisende nennen sie Mata Bulais.
3Ebd. II 89. 4Ebd. 91. s Ebd. 92.
196
Fuüͤnfter Teil. Australien und Ozeanien.
als ihr sonst nach ihrem Rang gebührte. Ein Adeliger heiratet nie eine Tua,
und die Kinder einer Tua werden nie adelig.
Religion der Tonganer. Sie glauben an verschiedene überirdische, un⸗
ichtbare Wesen (Hotuas). 1. An die höheren Götter, welche Gewalt haben,
den Menschen je nach ihrem Verdienst Gutes und Böses zuzuteilen. Über ihren
Ursprung bilden sich die Insulaner keine Idee, sie scheinen sie für ewig und
unsterblich zu halten. 2. An die als göttliche Wesen gedachten Seelen der ver⸗
storbenen Adeligen oder Matabuls, die eine ähnliche Gewalt haben wie die ur⸗
sprünglichen Götter, aber in einem geringeren Grade. 3. Auch an böse Geister
(Hotua Pau) glauben sie. Diese erweisen den Menschen nie Gutes, sondern
fügen ihnen nur Böses zu, und zwar., allen ohne Unterschied und aus reiner
Bosheit. Alle die genannten Geister werden ewig leben.
Die Zahl der ursprünglichen Götter, die nicht Seelen der Ahnen sind, beläuft
sich nach Mariner auf mehrere hundert, doch sind die Namen der meisten un⸗
bekannt. Einige von ihnen haben eigene geweihte Häuser oder Tempel, die den
gewöhnlichen Häusern ähnlich, nur sorgfältiger gebaut und mit Blumen und
andern Dingen geschmückt sind.
Der höchste dieser Götter heißt Tali-y-Tubo. Er ist der Schutz⸗
gott des Königs und seiner Familie, und zugleich der Kriegsgott, der im Kriege
von der Partei des Königs angerufen wird; doch wird er auch in Friedens⸗
zeiten zuweilen zum allgemeinen Wohl und zu dem des Königs angerufen. Er
besitzt mehrere Tempel, aber keine Priester, als etwa den König selbst, den er
zuweilen inspiriert.
Ein anderer mächtiger Gott heißt Tuifua-Bolotu (Herr von ganz Bo—
lotu), er ist aber nicht der höchste Gott, wie man aus seinem Namen schließen
könnte, sondern dem Tali-y-Tubo untergeordnet. Er hat ebenfalls mehrere
Tempel und einige Priester, die er zuweilen inspiriert. — Higulio ist der
Schutzgott der Familie des Tuitonga, Tubo-Toti ist der Beschützer der Familie
Finaus und ebenso der Schutzgott bei Seereisen, der am Anfang der Reise und
während derselben von allen auf dem Schiffe angerufen wird. Tangaloa ist
der Gott der Handwerker und der Künste. Er hat einige Vriester, die alle
Zimmerleute sind.
Vor den bösen Geistern haben die Insulaner große Angst; sie schreiben ihnen
alle Widerwärtigkeiten des Lebens zu. Diese Geister haben keine Tempel und
Priester und werden nie angerufen. Die Achtung vor den Göttern ist so
zroß, daß eine Beschimpfung derselben fast unerhört ist. Die Tonganer glauben
fest, daß alles Unglück eine Strafe für irgend ein Verbrechen ist, denn die
Götter bestrafen die Verbrechen — wenigstens die schweren — mit
Krankheit oder Tod.
Mit den obigen Angaben Mariners über die Religion der Tonganer stimmen
die der ersten christlichen Missionäre nicht ganz überein. Der Missionär Grange!
schreibt in einem Briefe aus Tonga-Tabu vom Jahre 1845: „Die Eingebornen
sind keine groben Götzenanbeter, sie verehren nur Geister, von denen sie tausend
absurde Fabeln erzählen. Der größte von ihren Göttern ist Maui, der
1
Annales de la propagation de la toi XVII (1845) 5 ff.
2. Die Tonganer.
—
bor unvordenklichen Zeiten Tonga aus dem Ozean fischte. Man bewahrt noch,
wie sie sagen, die Angel auf, mit der er die Insel aus dem Meeresgrunde zog.
Aber diejenigen, die sie behüten, geben vor, der erste, der sie sehe, werde mit
dem Tode bestraft. Nur der König, das geliebte Kind Mauis, darf sie sehen.“
Vielleicht ist Maui nur ein anderer Name für Tali-y-Tubo, da bei den heid—
nischen Völkern die Hauptgötter zuweilen mehrere Namen tragen. Auch nach
den Wesleyanermissionären, die zuerst auf dem Archipel tätig waren, hieß der
erste Gott Maui, der die Inseln aus dem Meere gezogen hat!. Die, welche
er nicht niedertrat, blieben bergig. Diesem Gott wurde auch der Ursprung des
so nützlichen Baumes „Toa“ (Eisenholz) zugeschrieben, der einst bis an den
Himmel reichte und den Gott Etumatubuag instand setzte, daran hinabzusteigen.
Nach denselben Missionären hatte Maui zwei Söhne: Maui Atalonga und
Kijikiji. Dieser, der jüngere, erhielt Feuer von der Erde, lehrte die Menschen
Feuer machen und Speisen kochen. Als Maui noch auf Erden lebte, gab es
nur eine Art Mondlicht und keinen Unterschied zwischen Tag und Nacht. Jetzt
wohnt Maui unter der Erde und trägt sie auf seinen Schultern; wenn er ein⸗
nickt, entsteht Erdbeben, bei dem die Leute auf den Boden stampfen, um den
Gott aufzuwecken. Hikuleo (der Higulio Mariners), der jüngere Bruder Mauis,
ist der Gott der Geister und wohnt in Bolotu, das er regiert. Er ist ein
böser Gott, der die Menschen nach Bolotu fortholt. Damit er nicht alle Menschen
don der Erde vertilge, wird er von zweien seiner Brüder gehalten; ein Strick
ist um ihn befestigt; das eine Ende desselben hält Maui unter der Erde und
das andere Tangaloa am Himmel fest. Seine Wohnung ist voll von mensch—
lichen Geistern, die ihm dienen müssen. Diesem Gotte wurden zuweilen Menschen—
opfer dargebracht; er hatte einen Tempel. in dem alle den Göttern dargebrachten
Opfer niedergelegt wurden?.
Tangaloa (Tongaloa) wohnt in der Luft, schickt Donner und Blitz, und
beim Gewitter tötet er, wie man glaubt, einen Häuptlings. Die Insulaner
meinten, Kapitän Cook und andere seien, von Tangaloa gesandt, vom Himmel
herabgekommen. Hea-Moana-uli-uli regiert die See und wird unter der
Gestalt einer Seeschlange verehrt.
Die Tonganer betrachten Bolotu (Bulolu) als den Aufenthalt der abge—
schiedenen Geister und den Wohnort Hikuleos. Es gibt mehrere Bolotus, und
der Geist der Verstorbenen geht zu dem, wozu er nach seinem Betragen
auf Erden geeignet ist. In allen ist Überfluß an Yams und Frauen. Hier
ist auch das Vaiola oder „Lebenswasser“. Dieses befindet sich nahe bei der
Wohnung Hikuleos. Es hat die Kraft, den Toten neues Leben zu geben, die
Stummen sprechen, die Lahmen gehen, die Blinden sehen zu machen usw.,
kurz, es heilt alle Gebrechen. Es verleiht den Alten Jugend und allen. die
darin baden, die Unsterblichkeit.
Geschichte der christlichen Missionen auf den Freundschafts- oder Tonga⸗Inseln,
Bremen 1857, 45.
2 Ebd. 46.
s Nach andern englischen Missionären galt Tangaloa als der Schöpfer der Welt
(vgl. Meinicke, Die Inseln des Stillen Ozeans II 80).
Geschichte der christlichen Mifsionen usw. 47.
Cathrein, Die Einheit d. sittl. Bewußtseins. III.
39
198
Fünfter Teil. Australien und Ozeanien.
Nach Mariner wird der Ursprung der Inseln nicht Maui, sondern Tangaloa
zugeschrieben. Im Anfang, so berichtet die Sage, existierte bloß der Himmel,
das Meer und die Insel Bolotu. Als Tangaloa eines Tages im Meere fischte,
glaubte er einen großen Fisch an der Angel zu spüren. Er zog die Leine an,
und es kamen Felsenspitzen zum Vorschein. Leider brach die Leine, und es
blieben nur die Tonga-Inseln auf der Oberfläche. Auf Anordnung Tangaloas
und anderer Götter bedeckten sich die Inseln mit Bäumen, Pflanzen und Tieren,
die denen auf Bolotu ähnlich, aber unvollkommener und dem Untergang und
Tod unterworfen waren. Um die Erde auch mit vernünftigen Wesen zu be—⸗
yölkern, befahl Tangaloa seinen zwei Söhnen: „Gehet, nehmt eure Weiber mit
ꝛuch, wohnet auf Tonga, teilet das Land in zwei Hälften und lebet getrennt
boneinander.“ Sie taten, wie ihnen befohlen. Der jüngere Sohn, Vaca⸗acau,
war sehr weise, erfand die Ärte, Perlenschnüre, Kleider und Spiegel; der ältere
aber, Tubo, war träg, schlenderte müßig umher oder schlief. Er beneidete seinen
Bruder wegen seiner Werke, und da er es bald müde war, bei ihm zu betteln,
o erschlug er ihn. Da kam der Vater von Bolotu und fragte ihn zornig:
„Warum hast du deinen Bruder getötet? Konntest du nicht arbeiten wie er?
Fort mit dir, Elender! Gehe zur Familie deines Bruders und sage ihnen, sie
sollten hierher kommen.“ Als sie gekommen, gab ihnen Tongaloa den Befehl:
„Nehmet eure Kanoes und segelt nach Osten. Dort werdet ihr ein großes Land
rinden, und da sollt ihr wohnen. Eure Haut soll weiß sein wie eure Herzen,
denn diese sind rein; ihr werdet weise sein, Ärte machen, alle Reichtümer und
zroßen Kanoes besitzen.“ Zu Tubo und den Seinigen aber sprach er: „Ihr
werdet schwarz sein, denn eure Herzen sind schlecht, ihr werdet verlassen sein,
unweise bleiben in Bezug auf nützliche Dinge. Ihr werdet mit euern schlechten
Kanoes nicht in das Land eurer Brüder gehen, diese aber werden in euer Land
kommen und mit euch Handel treiben, wie es ihnen gefällt.“
Mariner forschte nach, ob diese Sage vielleicht von europäischen Missionären
jerrühre, namentlich da dieselbe sie herabwürdigt und als die Nachkommen eines
schlechten, von seinem Vater verfluchten Mannes hinstellt. Aber die ältesten
Leute versicherten ihm, das sei eine alte, auf Wahrheit beruhende Überlieferung.
Wir haben schon bemerkt, daß nach den Tonganern nur die Seelen der
höheren Klassen, nicht die der Tuas, des gewöhnlichen niedrigen Volkes, un⸗
terblich seien; doch gibt es auch Tuas, die ihre Seelen ebenso wie die der
Adeligen für unsterblich halten!. Nach der Trennung vom Leib wird die Seele
ein Gott oder Geist (Hutua), sie behält die Gestalt des Leibes und ihre früheren
Neigungen bei, hat aber einen viel helleren Verstand, so „daß sie leicht das
Bute vom Bösen, das Wahre vom Falschen, das Recht vom Unrecht unter⸗
scheiden kann“ 2. Sie hat überhaupt dieselben Eigenschaften wie die ursprüng—
lichen Götter, jedoch in einem geringeren Grade, und wohnt für immer in dem
seligen Lande Bolotu.
Die Insel Bolotu, von der schon die Rede war, liegt, wie Mariner be⸗
richtet, nordwestlich von Tonga in weiter Ferne; dort wohnen die Götter, die
Seelen der Adeligen und der Matabuls. Mariner schildert sie anders als die
Mariner, An account usw. II 128. 2 Ebd. 130.
2. Die Tonganer.
499
Missionäre, wahrscheinlich lauteten die Sagen nicht überall gleich. Sie ist wohl⸗
ausgestattet mit den schönsten Pflanzen, die immer in vollkommenem Zustand
iind und beständig die reichsten Früchte und schönsten Blumen herborbringen.
Werden die Früchie und Blumen gepflückt, so nehmen sofort andere ihre Stelle
ein. Die ganze Atmosphäre ist mit den herrlichsten Wohlgerüchen gewürzt. Auch
die schönsien Vögel finden fich dort und Schweine im Überfluß, die alle un—
tterblich sind, wenn sie nicht von den Göttern zu ihrer Nahrung getötet werden.
Wird ein Tier geschlachtet, so tritt sofort ein anderes an seine Stelle, und nur
auf diese Weise pflanzen sich dort die Tiere fort!.
In dieses Paradies kommen die Seelen der Adeligen nach dem Tode, und
zwar, wie Mariner sagt, nicht nach dem Verhältnis zu ihrem sittlichen Verdienst,
ondern nach dem ihres Ranges. Dort haben sie eine den ursprünglichen Göttern
aͤhnliche, aber geringere Macht. Auch die Seelen der Matabuls gelangen nach
Bolotu, wo sie als Diener der Götter leben; sie erlangen aber dort nicht die
Macht, die Priester zu inspirieren. Auch die Muas ziehen nach Bolotu, aber
nicht die Tuas. Diese haben zwar Seelen, aber nur solche, die mit dem Tode
untergehen?, oder, wie die wesleyanischen Missionäre berichten, die Seelen dieser
zemeinen Leute sollen nach diesem Leben keine selbstbewußte Existenz haben 8.
Daß trotzdem manche Tuas sich für unsterblich halten, haben wir schon er—
wähnt. — Die ursprünglichen Götter, die verstorbenen Häuptlinge und Adeligen
erscheinen zuweilen den Menschen, um sie zu warnen oder ihnen zu helfen. Die
ersteren kommen manchmal in Körpern von Eidechsen, Schildkröten und gewissen
Wasserschlangen, weshalb diese Tiere sehr geachtet werden “.
„Das Verdienst oder die Tugend besteht hauptsächlich in der den Göttern,
den Adeligen und alten Personen erwiesenen Ehre, ferner in
der Verteidigung der vererbten Rechte, weiter in Ehre, Ge—
rechtigkeit, Vaterlandsliebe, Freundschaft, Sanftmut, Be—
scheidenheit, in der ehelichen Treue der verheirateten Frauen,
in der gegenseitigen Liebe zwischen Eltern und Kindern, Be—
obachtung' der religiösen Gebräuche, Geduld im Leiden, Ver—
träglichkeit uswp.“s Belohnungen für die Tugend und Strafen für das
Laster gibt es nur in dieser Welt, und beide kommen unmittelbar von den Göttern.
Gewisse Handlungen, die bei zivilisierten Nationen als Verbrechen gelten,
werden von den Tonganern als gleichgültig angesehen, so die Rache, die Tötung
eines Dieners oder einer andern Person wegen Beleidigung; doch darf diese
Person nicht ein weit höherer Häuptling oder Adeliger sein. Auch Frauenraub
ist gestattet, außer wenn es sich um verheiratete Frauen handelt, die einen
hoöͤheren Rang einnehmen als der Räuber; desgleichen Diebstahl, wofern es sich
nicht um ein geheiligtes Eigentum handelt. Doch kommt Diebstahl unter den
höheren Klassen nicht vor und gilt als schimpflich. So scheint die sittliche
Tugend auf diesen Inseln auf schwacher Grundlage zu ruhen. Auch Mariner
macht sich diese Einwendung und meint, man könnte versucht sein, diese Wilden
Ebd. II 102. 2 Ebd. 99.
Geschichte der christlichen Missionen usw. 48.
Mariner a. a. O. II 99. s Ebd. 100.
27*
500
Fünfter Teil. Australien und Ozeanien.
für völlig lasterhaft zu halten. Das wäre aber ein Irrtum. „Sie glauben alle,
daß es eine höhere, übermenschliche Macht und Intelligenz gebe, welche ihr Ver—⸗
halten überwacht und auch ihre geheimsten Gedanken entdeckt, und obwohl nach
ihrer Ansicht diese Macht und Intelligenz einer Anzahl von Einzelwesen inne⸗
wohnt, so bleibt doch das Prinzip dasselbe; es ist vielleicht ebenso stark und
praktisch ebenso nützlich, als ob sie dieselbe in ihrem Hauptgotte vereint dächten.
Sie glauben fest, daß die Götter die Tugend billigen und daß
ihnen das Laster mißfällt; daß jedermann einen Schutzgott hat,
der ihn beschirmt, solange er sich so aufführt, wie er es tun
soll; tut er dies nicht, so läßt ihm dieser Unglück, Krankheit
und Tod zustoßen. Und hier finden wir den Boden, auf dem ein tugend⸗
haftes Leben bestehen kann; doch dieses genügt nicht; dem menschlichen Herzen
ist eine Kenntnis oder ein Gefühl eingepflanzt, das uns fähig macht, zuweilen,
wenn nicht immer, zu unterscheiden zwischen der Schoönheit der Selbstlosigkeit
und der garstigen Häßlichkeit dessen, was niedrig, schmutzig und selbstsüchtig ist
und die Wirkung dieses Gefühls ist einer der stärksten Charakter—
züge der Eingebornen dieser Inseln.“ Manche von den Häuptern,
die von Mariner gefragt wurden, welchen Beweggrund sie — abgesehen von
der Furcht vor Unglück in diesem Leben — hätten, um sich rechtschaffen auf—⸗
zuführen, antworteten, „das komme von dem angenehmen und glück
lichen Gefühl, das der Mensch in sich verspüre, wenn er eine
gute Tat vollbringe oder sich edel und großmütig benehme, wie
er es tun solle. Sie beantworteten diese Frage, als ob sie sich wunderten,
daß man eine solche Frage an sie stellen könne. Hiernach können wir nur an—⸗
nehmen — wenn wir nicht von Vorurteilen befangen sind — daß der Same
großer Tugenden ihren Herzen eingepflanzt ist, und es wäre un⸗
oernünftig zu meinen, es gebe nicht manche Eingeborne, in denen dieser Same
wirklich aufgeht, wächst und zu hoher Blüte gelangt.““
Mariner erzählt selbst viele Beispiele von Edelsinn und Freigebigkeit der
Eingebornen. Wenn einer von ihnen im Besitz eines andern etwas sieht, was
er gern haben möchte, so braucht er es nur zu verlangen, und es wird ihm
aller Wahrscheinlichkeit nach überlassen. Ist jemand im Begriffe zu essen, so
teilt er alles, was er hat, mit den Umstehenden. Ein anderes Verhalten würde
als schimpflich und selbstsüchtig gelten?. „Beim Mahle werden die Fremden
immer bevorzugt und die Frauen werden vor den Männern von demselben
Rang bedient, weil sie das schwächere Geschlecht sind und Anshruch auf Rüchk
sicht haben.“
Große Ehrfurcht zeigen alle Tonganer gegen die althergebrachten religiösen
Gebräuche. Die Ehrfurcht vor den Häuptlingen ist allgemein und die Grund—
lage ihres Gemeinwesens; sie gilt als heilige Pflicht, deren Vernachlässigung
von den Göttern streng bestraft wird. „Die große Ehrfurcht, welche sie alten
Leuten erweisen, ist ein sehr liebenswürdiger Zug in ihrem Charakter.“ Ohne
Rücksicht auf Weisheit werden alte Leute von den jüngeren rücksichtsvoll be⸗
AMariner, An account usw. II 141 - 142.
2 Ebd. 145.
2. Die Tonganer.
501
handelt. „Große Liebe und Ehrfurcht für die Eltern ist ein anderer hervor—
techender Zug ihres Charakters.“
„Derselbe Grundsatz der Liebe und Ehrfurcht für die Eltern und Vorgesetzten
berpflichtet jeden, seine vererbten Rechte zu sichern und zu verteidigen“, und das
gilt als religiöse Pflich und Ehrung der Ahnen, von denen man sie erhalten
hat. Infolge einer Ausdehnung dieser Gesinnung liebt der Tonganer besonders
die Insel, auf der er geboren wurde, dann aber auch alle Tonga-Inseln, da
sie ein Land bilden und eine Sprache reden.
Die Tonganer sind in mancher Beziehung ehrenwert, obwohl sie einiges tun,
was unehrendoll ist. Wollten wir diese Wilden nach den Begriffen von Tugend,
Ehre und Menschlichkeit beurteilen, die bei zivilisierten Völkern herrschen, würden
wir ihnen unrecht tun. Übrigens schreibt Mariner: „Ihre Begriffe von
Ehre und Gerechtigkeit sind von den unsern nicht sehr ver—
schieden, außer dem Grade nach, indem sie einige Dinge mehr,
andere weniger als wir für ehrenvoll halten.“ In einem Punkt
unterscheiden sie sich sehr; sie halten es nämlich allgemein für ihre Pflicht, den
Befehlen ihrer Häuptlinge zu folgen, mögen diese gut oder schlecht sein, es sei
denn, man befehle ihnen, gegen einen noch höheren Häuptling zu kämpfen.
„Diebstahl wird von den Tonganern eher für etwas Niedriges als für
ein Verbrechen gehalten; und obwohl sogar von Häuptlingen bekannt ist, daß
fie auf Schiffen sich desselben schuldig gemacht haben, so wird dies doch nicht
gebilligt. Sie enischuldigen sich mit der Größe der Versuchung. Übrigens gibt
es wenige Häuptlinge, die so etwas tun würden.“? Nach allem Angeführten
kann man sagen, daß die „Begriffe der Tonganer in Bezug auf Ehre und Ge⸗
rechtigkeit ziemlich gut bestimmt, fest und allgemein sind“, daß sie sich aber in
der Befolgung derselben sehr wankelmütig und veränderlich zeigen 8.
Die Europäer klagen die Tonganer als verräterisch und grausam an, diese
aber bezeichnen uns Europäer deshalb laut als Verleumder und Ehrabschneider.
„Keine Gewohnheit scheint den Eingebornen von Tonga lächerlicher, schlechter
und ungerechter als die Veröffentlichung der Fehler seiner Bekannten und Freunde,
denn das habe keinen vernünftigen Zweck und schade dem leidenden Teil in
ohem Grade. Eine eigentliche Verleumdung oder falsche Anklage scheint ihnen
schrecklicher zu sein als überlegter Mord; denn es ist besser, denken sie, daß
mnan das Leben eines Menschen als seinen Ruf angreife. Im ersteren Fall ver⸗
ursacht man nur seinen Tod, der doch einmal kommt, im letzteren Fall nimmt
man ihm aber das, was er sonst, genau gesprochen, nie verlieren, was er
leckenlos mit sich ins Grab nehmen würde, und was auch später mit seinem
Andenken berbunden bliebe. Und sie halten dies nicht nur für einen gerechten
und ehrenvollen Grundsatz, sondern sie handeln auch danach, so daß
Beispiele der Verleumdung und Ehrabschneidung sehr selten
sind. Anderseits sind sie ebenso frei von gemeiner Schmeichelei, und selbst
wenn ein Mann etwas wahrhaft Lobenswertes getan hat, so loben sie ihn selten
in seiner Gegenwart, damit er nicht etwa eitel und stolz werde.““
J
Ebd. II 150. 2Ebd. 158. 3 Ebd. 154.
Ebd. 154 - 155.
502
Fünfter Teil. Australien und Ozeanien.
Sie wissen auch sehr wohl zwischen wahrer und falscher Tapferkeit zu unter⸗
scheiden, und eine bescheidene Meinung von sich selbst zu haben, gilt ihnen als
eine große Tugend.
In Bezug auf die Keuschheit gilt es vor allem als eine strenge Pflicht
jeder verheirateten Frau, ihrem Manne treu zu bleiben. Die Verheiratung einer
Frau hängt oft nicht von ihrer Einwilligung ab, da sie schon jung von ihren
Eltern mit einem Manne verlobt wurde; vielleicht ein Drittel der verheirateten
Frauen wird auf diese Weise verlobt; die andern zwei Drittel heiraten mit
freier Einwilligung. Die verheiratete Frau muß, mag sie wollen oder nicht,
bei ihrem Manne bleiben, bis es diesem gefällt, sich von ihr zu scheiden. Mariner
meint, etwa zwei Drittel aller Frauen seien verheiratet und die Hälfte von diesen
bleibe beim Manne, bis der Tod sie trennt. Die Ehescheidung scheint sehr
häufig zu sein. Ehebruch von seiten der Frau kommt nach Mariner? verhältnis⸗
mäßig sehr selten vor; wozu die Furcht beitragen mag, da die Häuptlinge
ihre untreuen Frauen wohl töten und die Männer der unteren Klassen die
hrigen schwer mißhandeln.
Die Ehescheidung vollzieht sich einfach dadurch, daß der Mann die Frau
entläßt, dann ist sie frei und kann nach einigen Tagen wieder heiraten oder
die Konkubine eines Mannes werden. Eigentliche Prostitution kommt nicht
vor. — Während die Frau zur Treue verpflichtet ist, besteht für den Mann
eine solche Pflicht nicht, er kann der freien Liebe huldigen, ohne Anstoß zu er⸗
regen. Doch bleiben die meisten Männer ihren Frauen ziemlich treu, und wenn
sie eine Konkubine haben, suchen sie dieselbe ihren Frauen zu verbergen, um
sie nicht eifersüchtig und unglücklich zu machen. Das Leben der unverheirateten
Männer ist natürlich sehr frei, obwohl sie selten Attentate auf die Keuschheit
derheirateter Frauen begehen. Im Hause herrscht der Mann mit absoluter Gewalt.
Von den religiösen Festen und Gebräuchen der Insulaner heben wir
folgende hervor. Beim Inatschifest werden den Göttern in der Person des
göttlichen Häuptlings Tuitonga verschiedene Früchte und Eßwaren geopfert.
Das Fest wird jährlich einmal gefeiert, und zwar zur Zeit der Reife der Yams⸗
wurzeln. Die Erstlinge werden dargebracht, um von den Göttern Schutz zu
erlangen für die ganze Nation und besonders für das Gedeihen der Produkte
der Erde, von denen die Yams die wichtigsten sind. Ebenso wird den Göttern
gedankt für die Aussicht auf eine gute Ernte und werden sie angefleht, auch
in Zukunft ihre Freigebigkeit zu erzeigen?.
Das Fest Fukkalahi hat den Zweck, alle Insulaner von den Tapus zu
befreien. Viele Dinge, z. B. Leichen, Gräber, den Göttern geweihte Dinge,
auch manche Häuptlinge sind tapu und ihre Berührung befleckt. Wer z. B.
einen höherstehenden Häuptling berührt, ist tapu, d. h. er darf nicht mehr mit
eigenen Händen Speise zu sich nehmen, bis er sich vom Tapu befreit hat. Die
gewöhnliche Zeremonie zur Beseitigung des Tapu ist der Moi-Moi. Der Inter⸗
dizierte muß zuerst mit der inneren, dann mit der äußeren Handfläche die Fuß⸗
sohlen eines Häuptlings berühren und darauf die Hand mit Wasser äbspülen.
Wollte ein Tapuierter ohne diese Zeremonie Speisen mit der Hand zu sich
An account usw. II 160. 2 Ebd. 196 - 204.
2. Die Tonganer.
503
nehmen, so würde ihn eine Krankheit oder der Tod ereilen. Das Tau⸗-Tau⸗
fest besteht in Opfern von Yams, Kokosnüssen und andern Erdfrüchten, die
dem Gott Elo-Elo (dem Gott des Wetters) insbesondere und allen Göttern im
allgemeinen dargebracht werden, um gutes Wetter und Fruchtbarkeit zu erlangen.
Dieses Fest wird beim Beginn der Ernte gefeiert. Auch Gebete werden bei
dieser Gelegenheit an Elo-Elo und die übrigen Götter verrichtet, um ihr Wohl⸗
wollen zu sichern1.
Eine häßliche Zeremonie der Tonganer ist die Naugia, d. h. das Er—⸗
würgen von Kindern, um von den Göttern die Wiederherstellung eines kranken
Verwandten, besonders eines Häuptlings, zu erlangen. Diese Zeremonie hat
aber nach Mariner? nicht in einem Mangel an natürlicher Liebe ihren Grund,
—XD Furcht vor den Göttern.
Alle Gegenwärtigen betrachten das unschuldige Opfer mit größtem Mitleid, aber
sie glauben, ein der Gesellschaft gegenwärtig noch unnützes Leben opfern zu
müssen, um das Leben eines Häuptlings zu erhalten. Früher wurde auch die
Hauptfrau des verstorbenen Tuitonga mit diesem begraben. Zur Zeit Mariners
war aber diese Sitte schon abgeschafft. Die Tonganer haben auch den Gebrauch
der Beschneidung 8.
Eine sonderbare Sitte ist das Tutu-nima, d. h. das Abschneiden eines
Gliedes des kleinen Fingers als Opfer für die Götter, um von ihnen die Ge⸗
nesung eines höherstehenden kranken Verwandten zu erlangen. Diese Sitte ist
so sehr im Schwung, daß es kaum einen Insulaner gibt, der nicht einen oder
beide kleinen Finger verloren hätte. Bei den Begräbnissen pflegen sich die Ein—
gebornen den Kopf zu verwunden oder an verschiedenen Teilen des Leibes mit
Messern, Muschelschalen und Speeren Einschnitte in das Fleisch zu machen, um
den Verstorbenen zu ehren und die treue Anhänglichkeit an ihn zu bezeigen.
Oft sind sie infolge davon ganz mit Blut und Wunden bedeckt.
Auch der Eid bei den Schutzgöttern war im Gebrauch“‘. Wir erwähnen
noch folgendes charakteristische Gebet, das an Tali-y-Tubo in dem ihm ge—
weihten Hause gerichtet wurde, und zwar vom Priester dieses Gottes im Namen
reuiger Rebellen: „Hier siehst du die Männer, die von Tonga gekommen sind,
um von dir Vergebung für ihre Verbrechen zu erlangen. Sie haben sich empört
gegen jene Häuptlinge, die ihre Gewalt von den Göttern besitzen, aber da sie
eht bereuen, was sie getan haben, so hoffen sie, es werde dir gefallen, deinen
Schutz für die Zukunft auf sie auszudehnen.“6*
Die Tonganer halten sehr auf Reinlichkeit? und baden sich deshalb häufig.
Während des Badens tragen sie eine Art Schürze von Gnatu (eine Art ein⸗
heimisches Tuch) oder von Blättern. Nach dem Baden reiben sie den Leib mit
Sl ein und kleiden sich dann sorgfältig an. Das Kleid der Männer besteht
aus einem 5—6 Fuß langen Stück Gnatu, das um den Leib geschlungen
wird. Die Frauen tragen außer diesem Gnatu noch eine kleine, 1 Fuß breite
Matle um die Mitte des Leibes. Für eine Frau würde es als sehr unanständig
gelten, ohne diese Matte auszugehen. Kinder unter zwei Jahren bleiben zu
iEbd. II 205 -206. 2 Ebd. 209. 2 Ebd. 2532. Ebd. 169.
Ebd. 345. s Anders urteilen die Missionäre, wie wir gleich sehen werden.
5
504
Fünfter Teil. Australien und Ozeanien.
Hause nackt; wenn sie ausgehen, tragen sie ein Stück Gnatu um die Hüfte.
Nach dem Bade wird von den Männern etwas gegessen und Kawa getrunken
und geschwatzt. Gegen Mittag findet eine zweite Mahlzeit statt. Dann ist
wieder Unterhaltung oder man geht auf die Rattenjagd. Am Abend folgt die
dritte Mahlzeit, dann kommen Tänze; den Schluß des Tages bilden wieder das
Bad und das OÖlen des Leibes.
Das Geld war auf der Insel unbekannt und Mariner! hatte Mühe, den
Wilden einen Begriff davon beizubringen. Das Privateigentum bestand.
Es gab reiche Männer, die große Pflanzungen besaßen. Eigentliche Armut
war unbekannt; auch die untersten Klassen, denen die Arbeit oblag, hatten
zenug zum Leben für sich und ihre Familien?.
Zur Ergänzung des oben Gesagten fügen wir noch einige Notizen bei, die
wir einem Briefe des Missionärs Granges aus Tonga-Tabu vom Jahre 1848
entnehmen. Auch nach Grange kann man sagen, daß die Tonganer „schön,
ntelligent und immer fröhlich sind. Die ungebildeten Franzosen sind weniger
yjöflich und vor allem weniger gastfrei als sie“s“. Bei der Begegnung grüßen
sie sich immer sehr höflich und bieten einander alles an, was sie haben. Macht
man einen Besuch in einem Hause, so wird man freundlich begrüßt, man dankt
für den Besuch, wünscht dem Besucher gute Gesundheit und bewirtet ihn, indem
nan sich entschuldigt, daß man nichts Besseres anzubieten habeß. Die Haupt—
laster des Tonganers sind der Stolz, die geschlechtliche Unsittlichkeit und die
Faulheit. Er verachtet die Ausländer; nach seiner Ansicht ist kein Volk der
Erde würdig, neben einem Tongakanaken zu sitzen. Die Ausschweifung ist groß
und öffentlich. Selbst vor Kindern scheut man sich nicht. Doch respektierten
die Eingebornen die Missionäre und nahmen sich in ihrer Gegenwart in acht.
Sie arbeiten nur so viel, als unumgänglich nötig ist. Ausgenommen an Fesi⸗
tagen essen sie sehr wenig. Die Nahrung eines Mannes in Frankreich würde
hier für 10 Personen ausreichen?. Sie wollen lieber hungern als arbeiten.
„Wenn wir sie über den Ursprung ihrer Gottheiten fragen, so stammeln sie
einige Worte und brechen dann ab mit den Worten: ‚Wir wissen nichts davon,
wir tun wie unsere Väter.‘ Jedenfalls verehren sie mit ihrem Kult böse Geister,
die sie sehr fürchten, aber nicht lieben. Diese Götter sollen unsichtbar in den
großen Häuptlingen und in alten Weibern wohnen.“ Die Tonganer sind die
Sklaven von tausend abergläubischen Gebräuchen, doch verschwinden diese Ideen
bei den Jüngeren; die Alten aber halten daran fest und sagen: „Die Götter
der Missionäre sind ohne Zweifel gut, aber die unserigen sind es nicht weniger,
da sie die Ignamen, die Kokos und besonders den Kawa wachsen lassen.“
Wenn nicht wenigstens die Hälfte der Bewohner den alten Göttern treu bleibe,
sagen sie, so werden sich diese rächen und uns zu Grunde richten.
Die Tonganer machen sich eine Ehre daraus, viele Kinder zu haben, und
sie erziehen sie bis zum Alter von vier bis fünf Jahren sehr zärtlich; dann über⸗
läßt man sie sich selbst. Im Gegensatz zu Mariner behauptet Grange, daß die
AMariner, An account usw. J 287-288. 2 Ebd. 274.
Annales de la propagation de la foi XVII (1845) 5 ff. Ebd. 9.
sEbd. s Ebd. 11.
3. Die Futunier.
505
ungen Leute keine Ehrfurcht vor ihren Eltern haben. Der Kranken aber nehmen
sich die Tonganer sorgfältig an; sie tun alles, um ihre Heilung zu erlangen;
auch Gelübde und Gebete werden zu dem Zwecke angewandt. Wenn ein großer
Häuptling bettlägerig ist, schneidet man mehreren Personen Finger ab, zuweilen
werden sie sogar selbst geopfert, um die böse Gottheit zu versöhnen, welche die
Kranken lebendig verzehrt!.
Mit der groͤßten Sorgfalt werden die Toten begraben. Ist ein Ein⸗
geborner gestorben, so wird es den Nachbarn gemeldet, und sofort kommen alle
Frauen herbei, um bei der Leiche zu weinen. Die Männer weinen nie. Man
läßt die Leiche einen oder zwei Tage im Hause und errichtet während dieser
Zeit sein Grab in der Nähe der Wohnung seiner Verwandten. Das Toten⸗
haus ist schön, auf einer Erhöhung erbaut und mit Bambuspalissaden umgeben.
Im Innern der Umzäunung werden wohlriechende Sträucher und besonders
Immortellen gepflanzt. Endlich wird das Grabmal mit einem künstlichen Dach
bersehen. Für das Grab der Könige und der großen Häuptlinge sucht man
auf entfernten Inseln kolossale Steine, um dasselbe damit zu krönen. „Ich
habe einen Stein gesehen, der 24 Fuß lang, 8 Fuß breit und 18 Zoll dick
war.“ Um ihren Schmerz zu äußern, zerfleischen sich die Frauen, obwohl von
Trauer eigentlich keine Spur vorhanden ist?.
Eine regelrechte Justiz gibt es auf Tonga nicht. Der launische Wille eines
Tyrannen ist das einzige und höchste Gesetz, und er kümmert sich um die Auf—
rechterhaltung der Ordnung nur, wenn sein eigenes Interesse in Frage kommt.
„Ich habe Männer Leute töten sehen, ohne daß jemand daran gedacht hätte,
das Verbrechen zu strafen. Der König ist ein sehr gefürchteter Tyrann. Nie⸗
mand wagt es, seinem Willen zu widerstehen.“
3. Die Futunier.
Unter dem Namen Futuna (Allofatu) begreift man zwei kleine Inseln, die
nördlich von den Fidschi-Inseln unter dem 14.0 s. Br. und zwischen dem 178.
und 179.0 8. L. liegen; die Hauptinsel Futuna hat etwa 20 Stunden im
Umfang, die kleinere Insel, Alofi, beherbergt nur eine einzige Dorfschaft. Die
Insel Futuna ist im Jahre 1841 mit dem Märtyrerblut des sel. P. Chanel 8. M.
zeheiligt worden. Den Briefen und dem Tagebuch dieses großen Apostels und
den Aufzeichnungen seiner Mitarbeiter aus der Kongregation der Maristen ver⸗
danken wir es, daß wir über die Sitten und Gebräuche der Futunier, wie
sie in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts waren, ziemlich genau unter—
richtet sind s.
Die Futunier zeigen alle Merkmale der Polynesier, sie sind von schönem
Körperbau, muskulös und gut proportioniert. Die Farbe ist ein helles Kupfer⸗
braun. Sie sind intelligent und arbeitsam. Die Kleidung bestand für beide
Geschlechter aus einer Art Matte aus Blättern oder Flechtwerk, das den Körper
Ebd. 11. 2 Ebd. 18.
BVgol. ebd. XIIISXVII (1841 - 1845); ferner Nicolet, Vie du Bienheureux
Pierre Louis Chanel?, Lyon 1890.
4
306
Fünfter Teil. Australien und Ozeanien.
vom Gürtel bis zu den Knien bedeckte; nur beim Fischen begnügten sich die
Männer mit einem Gürtel. Den Körper tätowierten sie wie die Neuseeländer;
eigentümlich war ihnen eine sonderbare Nationalzeichnung, auf die sie nicht wenig
ttolz waren. Sie pflegten nämlich das Gesicht in vier gleiche Vierecke zu teilen,
zwei schwarze und zwei rote. Das war der gewöhnliche Schmuck der Männer,
hei den Frauen jedoch hatte die rote Farbe im Gesicht eine besondere Bedeutung;
sie zeigte an, daß sie von ihren Männern geschieden waren und eine neue Ver⸗
bhindung einzugehen wünschten.
Die Verteilung der Beschäftigung entspricht im allgemeinen den Kräften
und Anlagen der Familienglieder. Den Frauen liegt es ob, Muscheln zu
sammeln, die bei der Ebbe zurückbleiben, Matten zu verfertigen, worin sie sehr
geschickt sind, Siapos, eine Art Teppich, der in allen benachbarten Archipeln
herühmt ist, zu fabrizieren. Den Männern sind die Feldarbeiten, die Pflege
der Bäume, der große Fischfang — und merkwürdigerweise — die Küche vor⸗
hbehalten!. Wenn die Speisen fertig sind, versammelt man sich im Hause eines
Notablen in jedem Dorf, wohin jeder seinen Anteil mitbringt. Die Frauen
essen getrennt in einem andern Hause. Bei den öffentlichen Festessen präsidiert
der König, vor den jeder Insulaner die bereiteten Speisen hinlegt. Nach dem
gemeinsamen Gebet kaut man feierlich Kawa, um sie der Gottheit der Insel
darzubringen. Der König, als die Wohnung des Gottes, wie wir gleich er—
klären werden, führt ihm das kostbare Naß durch seine eigene Kehle zu. Die
Speisen werden dann den Dorfhäuptlingen zurückgebracht, die sie an die Familien⸗
bdäter austeilen?.
Die Wohnungen gleichen einem riesigen ausgespannten Regenschirm, der
aber anstatt auf einer Stütze im Mittelpunkt, auf vier in der Mitte angebrachten
Pfählen ruht. Die rings abfallenden Blätterdächer reichen bis 3 oder 4 Fuß
über der Erde herunter. Rings um jedes Haus geht eine Art Terrasse, die je
nach dem Reichtum der Eigentümer größer oder kleiner, stets mit Sand bedeckt
und in vollkommener Reinlichkeit erhalten wird.
Wenn die Kinder in die Jahre der Pubertät kommen, werden sie beschnitten.
Die Beschneidung hat keine religiöse Bedeutung, bildete aber einen der feierlichsten
Momente im Leben der Futunier. Die zu Beschneidenden wurden in einem
eigenen Hause vereinigt. Funf Tage nach der Operation brachten die Be⸗
schnittenen mit Essen und Trinken zu, dann wurden sie rot und schwarz bemalt
und hießen nun die im Innern des Hauses Geschmückten (Fakamaafale); nach
weiteren fünf Tagen wurden sie wieder bemalt und hießen jetzt die zum Hinaus⸗
gehen Geschmückten (Pakamaafofo). Fünfzehn Tage endlich nach der Be⸗—
schneidung wurden sie in Gegenwart der Verwandten mit der üblichen Landes⸗
tracht geschmückt und trugen jetzt den Namen Fakamaa (es ist erlaubt auszugehen);
dann folgte ein Festschmaus.
Zu großen Festlichkeiten gab auch die Heirat Anlaß. Wollte ein junger
Mann heiraten, so ließ er durch seine Eltern um die Hand des erkorenen
Mädchens anhalten und Geschenke überbringen. Die Eltern' der Braut hatten
drei Tage Bedenkzeit. Schickten sie nach Ablauf dieser Zeit Geschenke zurück,
Annales de la propagation de la foi XV (1848) 38. 2 Ebd. 33—34.
3. Die Futunier.
507
die an Wert den empfangenen gleichkamen, so galt das als abschlägige Antwort.
Willigten sie aber ein, so sandten sie nichts zurück. Dann wurden vom vierten
Tage an von den Verwandten des jungen Mannes reichlich Lebensmittel zu⸗
sammengebracht und alle Verwandten und oft auch alle Bewohner derselben
Ortschaft oder desselben Tales zu einem großen Fest eingeladen, das oft mehrere
Tage dauerte und bei dem Tänze und Spiele stattfanden. Am Ende des Festes
erhielten die Brautleute eine Art Weihe; sie malten sich das Geficht, schmückten
sich mit Blumen und den schönsten Stoffen und begaben sich zum Toe matua
Priester der Verwandten). Dieser befahl der Braut, sich an die göttliche Säule
zu setzen, und beschwor dann seinen Gott, ihr Kinder zu schenken 1.
Die Feierlichkeit des Begräbnisses richtete sich nach dem Alter, dem
Rang und dem Verdienst des Verstorbenen. Zuerst wurde die Leiche mit par—
fümiertem l gesalbt, dann wurde das Gesicht rot und schwarz bemalt, die
Brust mit einer schönen Matte bedeckt und die Leiche einen Tag lang am Ein⸗
gang der Hütte ausgesetzt. Freunde und Verwandte kamen in großer Zahl
unter Tränen und lauten Klagen. Sie zerfleischten sich das Gesicht und die
Brust mit Krallen oder Muscheln. Vor der Beerdigung berührte jeder mit
seiner Nase die Nase des Verstorbenen. Das Grab, in das die Leiche gelegt
wurde, lag meist in der Nähe des Hauses und wurde mit feinem Sande zu—
gedeckt. Vier Tage nach der Beerdigung wurde das Grab mit Steinen um—
geben, deren Größe sich nach der Würde des Toten richtete, und zehn Tage lang
wurde es am Morgen mit parfümiertem Ol begossen und am Abend mit
mehreren Matten und einem schönen Siapo zugedeckt. Gewoͤhnlich folgte dem
Begräbnis ein großes Fest, das mit Tänzen und einem Faustkampf endete.
Die vom Leibe getrennte Seele nannten die Futunier mauli (das Leben)
und sie glaubten an ihre Unsterblichkeit. Sie nahmen ein doppeltes zu⸗
künftiges Leben an, ein glückliches und ein unglückliches. Zum glücklichen Leben
gelangten nur diejenigen, welche die Götter geehrt, die Tapus respektiert, den
däupllingen gehorcht, sich verheiratet und vor allem ihr Blut auf dem Schlacht—
feld vergossen hatten. Den Himmel (lagi) stellte man sich vor als ein Land,
wo sich alles im Überfluß findet, was der Futunier liebt: Schmausereien, Spiel
und Tanz usw. Einen bevorzugten Platz im Elysium erhalten die in der Schlacht
Gefallenen. Vor dem Eintritt in den Himmel mußten jedoch ihre Seelen in
irgend ein Tier fahren und vier Tage an dem Orte umherirren, wo sie gefallen
waren. Darum stellten sich die Verwandten an diesen Platz, breiteten eine
Matte aus und wachten aufmerksam, bis ein Insekt oder ein Reptil oder
der Schatten eines darüber fliehenden Vogels auf der Matte erschien. Dann
falteten sie rasch die Matte zusammen und begruben sie neben dem Leich⸗
nam; denn in diesem Tiere saß, wie man glaubte, die Seele des toten
Kriegers2.
Ddie gewöhnlichen Toten (d. h. die, welche nicht die oben genannten Be⸗
dingungen erfüllt hatten) gingen ohne Unterschied des Alters, des Geschlechts
und des Ranges in ihr Falemate (Haus der Toten) ein. Jede Familie
oder Sippe hatte ihr eigenes Totenhaus: entweder einen hohlen Baum oder
NMicolet, Vie du Bienheureux Chanel? 251 -252. 2 Ebd. 254.
508
Fünfter Teil. Australien und Ozeanien.
einen Felsen usp. Dort wohnte ein Gott, der Atua matalua (d. h. Gott
mit zwei Augen) hieß. Nachdem die Dahingeschiedenen hier einige Zeit zu—
gebracht, starben sie ein zweites Mal und begaben sich zu einem andern Gott,
mit Namen Atua matalasi, der nur ein Auge hatte. Endlich starben sie ein
drittes Mal und gelangten nun unter die Herrschaft des Gottes Atua magugu,
der taubstumm und blind war und weder Ohren noch Mund noch Nase hatte.
Während des Aufenthalts bei diesen Göttern wurden sie stets ihnen ähnlich, so
daß sie beim ersten ihre beiden Augen behielten, beim zweiten ein Auge ein⸗
hüßten und beim dritten beide Augen und Ohren, die Nase und den Mund
verloren und so ein elendes Leben ohne jede Hoffnung auf Erlösung führten. Bei
diesen verschiedenen Göttern hatten sie als Nahrung nur Reptilien und Insekten,
wie Eidechsen, Ameisen, Tausendfüßler und Würmer. Die Ehelosen, Männer
und Frauen, mußten noch eine besondere Strafe erdulden, bevor sie in das
Haus der Toten kamen.
Die Futunier hatten keine Götzenbilder, glaubten aber an zahlreiche Geister,
die meistens übelwollend waren und fast nur aus Furcht verehrt wurden. Der
größte von allen Geistern trug den wenig schmeichelhaften Namen Faka veri
kere (der das Land schlecht macht); unter ihm stand ein ganzer Schwarm unter⸗
geordneter Geister, die Atua-Muri genannt wurden.
Dieser Glaube an die Geister beherrscht auch das ganze politische und soziale
Leben der Futunier. Der König der Insel gilt als Wohnort des obersten Gottes
und als von ihm inspiriert, deshalb ist sein Wille heilig und er ist für seine
Handlungen nicht verantworilich. Selbst seine Launen und Wutausbrüche werden
mit Verehrung aufgenommen, man hält sich im Gewissen verpflichtet, allen seinen
yrannischen Befehlen zu gehorchen. Ist aber der König sorglos oder schwach,
so wird jeder sein eigener Herr und darf tun, was er will, selbst seinen Nach⸗
bharn nach Laune umbringen, ohne eine andere Strafe befürchten zu müssen als
die Rache der Familie, deren Glied der Ermordete war!.
Wie der oberste Geist im König, so wohnen die untergeordneten Geister in
gewissen andern Individuen, Männern und Frauen, und zwar ist diese Inne⸗
wohnung in ihren Familien erblich und pflanzt sich von Geschlecht zu Geschlecht
fort. Alle Übel kommen von diesen Geistern. Ist jemand krank, so verzehrt
hn ein Geist; man sucht deshalb den Menschen auf, in dem der Geist wohnt.
Dieser läßt sich das ganze Leben des Kranken erzählen und erklärt dann feier—
lich, der Kranke werde von seinem Geist zur Strafe für diesen oder jenen
Fehler verzehrt. Das Orakel antwortete eines Tages einem mächtigen Futunier,
der Atua sei gegen sein Kind erzürnt, weil schlecht gekocht worden sei, aber
man wagte ihm nicht vorzuwerfen, daß er seine Mutter kochen ließ, um damit
seine Freunde zu bewirten?. Der fast ausschließliche Kult besteht in Versöhnungs⸗
opfern. Hat einer einen Atua, der im Verdachte steht, Krankheiten zu ver—⸗
ursachen, so werden ihm Opfer gebracht, und so wird dieser Atua für den
glücklichen Besitzer zu einem Huhn, das goldene Eier legt. Sobald jemand
lkrank wird, eilt man zur Wohnung des betreffenden Gottes, der ihn fressen
will. Um aber zu wissen, an welchen Geist man sich zu wenden habe. muß
Annales de la propagation de la foi XV (I843) 37. 2 Ebd. 39 - 40.
3. Die Futunier.
509
erst untersucht werden, in welchem Körperteil die Krankheit sitzt. Denn jeder
Gott hat verschiedene Wohnungen zur Heilung der verschiedenen Glieder. In
diese Häuser oder Häuschen bringt man Früchte, Stoffe, zuweilen auch die kost—
barsten Dinge, um durch diese Opfer den Geist zu versöhnen. Diese Gaben
werden dann die Beute einiger Individuen, die es verstehen, die Leichtgläubig—
keit der Insulaner zur eigenen Bereicherung auszunutzen 1.
Der sel. P. Chanel erzählt von einer großen heidnischen Feier, die ver⸗
anstaltet wurde, um Regen zu erlangen. Man zog auf die Spitze eines Berges,
um dem Gott, der den Regen sendet, gekochte Bananen, Taro, Fische usw. zu
opfern. Die Insulaner brachten die Nacht unter freiem Himmel zu in der
festen Überzeugung, daß ihre Wünsche erhört werden würden, und wirklich er—
schienen bald einige Wolken am Himmel. Ein schon zum Christentum bekehrter
junger Mann trat aber in der Versammlung auf und erklärte ihnen, ihre Ge—
bete seien unnütz; keiner von ihren Göttern sei imstande, Regen hervorzubringen,
das könne nur Jehovah, der wahre Gott der Christen. Man lachte ihn zwar
aus, aber tatsächlich zerstreuten sich die Wolken wieder und es fiel kein Tropfen
Regen. Das beschämte sie so, daß sie einem Missionär, der ihnen die Ohn—
macht ihrer Götzen vorhielt, antworteten: „Ja, er ist ein böser Gott, er läßt
uns in unserer Unreinlichkeit.“ Sie pflegen sich nämlich täglich zu baden, und
wenn es nicht regnet, fehlt ihnen das dazu nötige Wasser?.
Wie auf vielen andern Inseln nahm auch auf Futuna zur Zeit der An⸗
kunft der Missionäre die Bevölkerung rasch ab, und zwar aus einem doppelten
Grunde. Der erste waren die ewigen Kriege. Die Insel war beständig in
zwei Parteien geteilt, die, je nachdem sie Sieger oder Besiegte waren, Maro
oder Lava hießen. Die Besiegten gehörten mit Leib und Gut den Siegern,
sobald aber die Lava sich stark genug fühlten, kam es wieder zum Krieg mit
furchtbaren Metzeleien. Der andere Grund der Bevölkerungsabnahme war der
Kannibalismus. „Vor höchstens zwanzig Jahren“, erzählt der Missionär
Chevrons, „war die Gier nach Menschenfleisch auf einen solchen Grad ge⸗
tiegen, daß der Krieg nicht mehr hinreichte, um den nötigen Vorrat für die
gräßlichen Mahlzeiten zu liefern. Daher fing man an, im Schoße des eigenen
Stammes auf Menschen Jagd zu machen. Männer, Weiber, Kinder, Greise,
»b Freund oder Feind, wurden unterschiedslos getötet. Es kam sogar vor, daß
man Glieder der eigenen Familie hinschlachtete, und Mütter ließen die eigenen
Kinder braten, um sich damit zu sättigen.“ Einmal zählte man bei einer
Mahlzeit 14 Schlachtopfer auf der königlichen Tafel.
Auch Kindermord wurde von den Futuniern gewohnheitsmäßig begangen;
warf man ihnen dieses Verbrechen vor, so antworteten sie kaltblütig, das ist so
alte Landessitte. Die Gewohnheit, die alten Leute zu erdrosseln, bestand zwar
nicht, aber wenn dieselben lästig wurden, so unterwarf man sie unter dem Vor⸗
wand einer Krankheit einer so strengen Diät, daß sie bald vor Hunger starben.
Wievbiel Gutes aber bei aller Wildheit und Grausamkeit in diesem ver—
wahrlosten Volke steckte, zeigte sich bald nach dem Martertode des sel. P. Chanel.
Der größte Teil der Insulaner bekehrte sich und die neuen Christen bereiteten,
— — —
Ebd. XIII (1841) 378. 2 Ebd. 379. 8 Ebd. XV (I843) 41.
510
Fünfter Teil. Australien und Ozeanien.
wie P. Servant schon im Jahre 1843 berichtet!, den Missionären durch ihr
erbauliches Leben, ihren Eifer, sich unterrichten zu lassen, ihren Fleiß im Gebet
und im Empfang der heiligen Sakramente den größten Trost.
4. Die Wallisinsulaner.
Die Insel Wallis oder Uvea liegt nordwestlich von Futuna unter dem
13.0 s. Br. und dem 176.0 w. L., ungefähr im Mittelpunkt der ozeanischen
Inselwelt. Sie besteht aus einer Hauptinsel und 12—15 kleinen, ebenfalls
bevölkerten Inselchen. Zur Zeit, als der Maristenpater (spätere Bischof) Ba—
daillon dort seine apostolische Tätigkeit begann, zählte die Insel etwa 3000
Einwohner. Einem Bericht des genannten Missionärs vom Jahre 1838 ent—
nehmen wir folgende Angaben?.
Die Insulaner sind im allgemeinen auffallend groß, schön und stark. Ihre
Züge sind fast europäisch, nur ist die Farbe leicht kupferbraun. Alle Männer
tätowieren sich mit wenigen Ausnahmen; diese Operation wird gewöhnlich um
das 18. oder 20. Jahr vorgenommen und ist oft lebensgefährlich. Bei dieser
Gelegenheit werden große Festlichkeiten veranstaltet, besonders wenn die jungen
Männer adligen Familien angehören. Mit Ausnahme der Kinder unter sechs
bis sieben Jahren tragen alle wenigstens einen Gürtel mit herabhängendem
Blätterwerk, und diese spärliche Kleidung wird nur geduldet beim Fischfang
und bei der Arbeit im Walde, sonst hüllen sie den Leib stets in feingearbeitete
Matten oder eine Art Tuch aus Rindenstoff, den sie Gnatu oder Tape nennen.
Sie stehen auf einer viel höheren Kulturstufe als die Futunier und zeigen in
hren Gewerben, in der Verfertigung der Waffen und Netze, dem Bau ihrer
häuser und der Landwirtschaft ein hohes Geschick. Besonders berühmt sind ihre
schönen und kunstvollen Doppelpirogen. Diese bestehen aus zwei 50—60 Fuß
langen ausgehöhlten Baumstämmen, die in einer Entfernung von 6—7 Fuß
parallel nebeneinandergelegt und mit Balken verbunden werdens.
Die Wohnungen gleichen denen der Futunier, nur sind sie sorgfältiger ge—
arbeitet, und einige sind so groß, daß sie bis zu 300 Personen beherbergen
können. In jedem Dorf findet man eine kleine Zelle, die ausschließlich dazu
bestimmt ist, der Dorfgottheit als Herberge zu dienen, wenn sie aus der „Nacht“
Aufenthaltsort der Götter) zurückkehrt und während des Tages ausruhen will.
Diese Zelle ist ein unverletzliches Asyl für die Verbrecher. Außerdem besitzt jede
Dorfschaft ein Totenhaus, das sich gewöhnlich auf einem kleinen Erdhügel er—
hebt und mit Mauern und Hecken umgeben ist. Diese gemeinsame Begräbnis—
stätte wird stets in gutem Stand erhalten!.
Die Beschäftigung der Frauen beschränkt sich nicht auf den Haushalt, sie
haben auch die Bananenpflanzungen zu unterhalten, die der Familie die Kleider
liefern; der Mann seinerseits muß die Lebensmittel beschaffen, den Fischfang und
Annales de la propagation de la foi XVI (1844) 869.
Bgl. Annales des Missions d'Océanio I, Lyon 1895, 399 ff. Der Bericht Ba⸗
taillons wurde auch in den Annales de la propagation de la foi XIII (1841) 6ff
veröffentlicht.
Annales des Missions d'Océanio J 401. Ebd. 402.
4. Die Wallisinsulaner.
511
die ersten Arbeiten zur Bodenkultur besorgen. Als Nahrungsmittel dienen den
FEingebornen Fische, Schweine, Hühner, Ignamen und besonders die Bananen
und die Frucht des Brotbaumes. Für die Mahlzeiten haben sie keine bestimmte
Regel; bald halten sie zwei, bald drei, bald auch nur eine Mahlzeit am Tage.
Auffallend ist, daß sie an den Tagen am wenigften essen, an denen sie am
neisten arbeiten. Ihre Kraft verdanken die Insulaner, wie Bataillon meint,
der Kawa. Diese Pflanze behandeln sie mit derselben Sorgfalt wie die
Furopäer die Rebe. Jeden Morgen oder auch mehrmals am Tage versammelt
sich eine Anzahl Männer, um gemeinsam und mit großer Feierlichkeit die Kawa—
wurzel zu zerstoßen. Die Wurzel wird zuerst dem Vornehmsten in der Ver⸗
sammlung dargeboten, der sie nach dem gewöhnlichen Gruß und Dank einem
andern Vornehmen zum Zeichen der Ehre und Freundschaft anbietet; dieser
letztere prüft sie einen Augenblick, beglückwünscht den Geber und sendet sie dann
an den Vorsitzenden der Versammlung zurück. Von diesem gelangt sie in die
Hände der Gastgenossen, die sie zurechtmachen und zerkneten. Dann werden die
Wurzeln in einem Gefäß gesammelt und mit einer großen Quantität Wasser
begossen und aufgelöst. Jetzt wird der Trank unter die Anwesenden verteilt,
und zwar in der vom Tusa oder Zeremonienmeister bestimmten Ordnung.
Die Kawapflanze ist fast das einzige diesem Volke Unentbehrliche. Mit der
Kawa ehren sie ihre Gottheiten und erlangen deren Gunst; durch sie versöhnen
sie sich mit ihren Feinden, unterhalten sie die Gewogenheit des Königs und der
Häuptlinge; die Schuldigen verdanken ihr oft die Verzeihung und selbst das
Leben; sie dient auch als Talisman, um Gesundheit und verlorene Dinge
wiederzuerlangen; auch bei Bündnissen und Besuchen, bei religiösen und bürger—
lichen Vorkommnissen spielt sie eine hervorragende Rolle. Mit Maß genossen ist
fie sehr wohltuend, im Übermaß aber wirkt sie berauschend und schädlich!.
Alle Krankheiten werden von den Insulanern dem Einfluß der erzürnten
Bötter zugeschrieben, deshalb beeilen sie sich, dieselben durch Kawaopfer zu ver—
söhnen. Einige tragen auch ihre Kranken zu irgend einem Häuptling, weil sie
meinen, dessen Vermittlung mache die Gabe den Göttern angenehmer. Dieser
degnügt sich damit, etwas Ol oder Kokosmilch, die man ihm darbietet, über
die Kranken zu gießen und ihnen unter Hersagen einiger Gebete den Kopf zu
betasten; denn welcher Körperteil auch krank sei. immer muß das Heilmittel am
Kopf appliziert werden.
Religion?. Die Eingebornen verehren keine Götzenbilder. Ihre Götter
find alle reine Geister, die ehemals mit einem Leibe vereinigt waren, mit Aus⸗
nahme gewisser Hauptgötter, die nie die menschliche Natur hatten und deren
Urfprung für sie ein Geheimnis ist. Alle diese Geister bewohnen die Wolken⸗
region oder kommen aus einem entfernten Lande, das sie Porstu (Nacht der
Gebete) nennen; der allgemeine Name für ihren Olymp ist Epuri Macht).
Dort herrscht eine ähnliche hierarchische Unterordnung wie auf der Insel, d. h.
Ebd. 405.
Meinicke (Die Inseln des Stillen Ozeans II 94) behauptet, von der Religion
der Uvea (Wallis) sei uns nichts überliefert; er hat offenbar die Berichte Bataillons
nicht gekannt.
512
Fünfter Teil. Australien und Ozeanien.
alle diese Geister anerkennen einen König; die ersten nach ihm sind die Mi—
nister oder Vollstrecker seines Willens. Dem einen überträgt er die Sorge für
eine bestimmte Insel, dem andern übergibt er die Obhut über die Beobachtung
der Tapus, ein dritter entscheidet über Krieg oder Frieden, ein vierter beherrscht
die Fluten, lenkt die Winde, beschützt die Früchte usp. Die meisten bilden nur
den Hofstaat des Großen Geistes und besuchen nie unsere Erde, es sei denn
etwa, um einen Spaziergang zu machen und eine Tasse Kawa zu trinken.
Die Männer und Frauen, in die diese Götter herabsteigen, werden Taura
und Atua, Priester und Priesterinnen Gottes, genannt. Es gibt deren auf
der Insel Wallis mehr als 60, doch nimmt man auf die Priester der unteren
Geister wenig Rücksicht. Auch um diese niedern Geister selbst kümmert man
sich wenig; wenn man ihnen einige Ehre erweist, so geschieht es nur, um nicht
von ihnen bei den höheren Göttern denunziert zu werden!.
Besonders gefürchtet werden die Könige nach ihrem Tod. weil man über⸗
zeugt ist, daß sie bald zu ihren früheren Untertanen zurückkehren werden. Ein
Häuptling, den Bataillon persönlich gekannt hatte, erschien, wie man behauptete,
schon zwei Monate nach seinem Begräbnis. Ein ihm verwandter Greis, der
schon von mehreren Geistern besessen war, wurde plötzlich, während er reichliche
Kawalibationen darbrachte, von einem heftigen Zittern ergriffen; er stieß un⸗
artikulierte Laute aus, an denen man die Stimme des jüngst verstorbenen
Königs erkannte. Sofort warfen sich alle Gegenwärtigen vor dem Greise auf
den Boden, küßten seine Füße und erwarteten mit religiösem Schweigen dessen
Drakel. Und wirklich bestärkte der neue Geist die Leute in ihrem Glauben und
nannte seinen Namen; um seine Verwandten zu trösten, teilte er ihnen die
Würde mit, die er im Reiche der Nacht bekleide, ließ sich herbei, eine Tasse
Kawa zu trinken, und verschwand. Das ist ungefähr die Geschichte der meisten
Götter dieser Inseln.
Jeder Priester hat besondere Zeichen, an denen er den Geist erkennt, der
ihn ergreift. Diese Zeichen bestehen im Rufen in allen Tonarten und in Ver⸗
renkungen jeder Art. Was die Inspirierten reden, sind oft nur lächerliche
Albernheiten, unanständige Spässe oder auch Lieder und Ermahnungen, und
schließlich kommt die Bitte um Kawa. Beim Weggehen der Geister machen die
Priester und Priesterinnen wieder neue Verrenkungen, schlagen sich auf den
Kopf und die Brust und spucken in einem fort, dann ist der Priester wieder
rein gewöhnlicher Mensch und hat keinerlei Vorrechte. Was bei diesen Besessen⸗
heiten berechnender Betrug oder Täuschung der Einbildungskraft im Kawarausch
sst, läßt sich nach unserem Gewährsmann schwer sagen?.
übrigens glauben nur wenige Insulaner fest an diese Besessenheit durch
Geister, die sich der Organe eines Menschen bedienen, um sich zu offenbaren
und Opfergaben zu verlangen; die meisten zweifeln. Es gibt sogar einige, die
diese Erscheinungen offen als Betrügereien behandeln, aber aus Furcht vor dem
König und den Häuptlingen beteiligen sie sich an dem gemeinsamen Kult.
Dieser Kult besteht darin, daß man Kawa opfert, besonders im Fall einer Krank⸗
heit, daß man Kakau und Fina, die zwei allgemein bevollmächtigten Gott⸗—
4
Annales des Missions d'Océanie J 406 - 407. 2 Ebd. 408.
4. Die Wallisinsulaner.
513
heiten der Insel, anruft, daß man die Heiligtümer unterhält, die ihnen geweiht
find, und sie zuweilen mit Blumenkränzen schmückt. Einmal im Jahre wird
bon allen Insulanern ein allgemeines Fest zu ihren Ehren veranstaltet. Die
Gaben, die man darbringt, bestehen in Pflanzen und Früchten der Jahreszeit.
Im Namen des ganzen Volkes betet dann ein Insulaner mit lauter Stimme
ungefähr folgendermaßen: „Götter, die wir anrufen, höret auf, uns so böse zu
sein; wir überlassen euch die Regierung unseres Landes, machet es glücklich.
Wir vertreiben euch nicht, wie das auf andern Inseln geschehen ist, und trotz—
dem tbtet ihr uns immer. Ihr höret nicht auf, dem König! falsche Berichte
über uns zu bringen. Wann werdet ihr endlich ein solches Verhalten ein⸗
stellen?“ usw. Aus dieser wenig ehrerbietigen Sprache sieht man, bemerkt
Bataillon?, daß das Volk den Tod nur dem Zorn der Geister zuschreibt; daher
kommt auch das Verlangen, das mir mehrere Eingeborne geäußert haben, die
christliche Religion anzunehmen; denn, sagen sie, der Gott der Weißen scheint
biel sanfter und geduldiger zu sein als unsere Götter, die stets so leicht er⸗
zürnen. Sie hoffen so, für immer am Leben zu bleiben.
„Die Sitten unserer Ozeanier sind, obwohl nicht untadelig, doch im all—
— Konigs und einiger Häupt⸗
linge, die sich die Polhgamie gestatten, haben die Männer nur eine Frau,
der sie die musterhafteste Treue bewahren. Die Nichtbeachtung dieser Pflicht
wuͤrde das Leben des Schuldigen in Gefahr bringen oder wenigstens sein ganzes
Dorf der Gefahr aussetzen, von den Verwandten des Beleidigten geplündert zu
werden; denn hier wird gewöhnlich der Fehler eines einzelnen durch Bestrafung
aller seiner Nachbarn gerächt. Nicht gar selten kommt es vor, daß eine Frau,
die über ihren Mann zu klagen hat, ohne weiteren Prozeß hingeht und ihrer
Nebenbuhlerin, wenn sie niedrigen Standes ist, die Nase abbeißt. — Bei ihren
Heiraten nehmen die Insulaner keine Rücksicht auf Verschwägerung; oft heiratet
n Mann die Witwe seines Bruders, dagegen ist es unerlaubt, sich mit Bluts⸗
berwandten, in welchem Grade es auch sei, zu verheiraten. Die Glieder
einer Familie dürfen nie anders als mit einem langen Gewand bekleidet zu—
sammenkommen, und würde ein Vetter in Gegenwart seiner weiblichen Ver⸗
wandten etwas Unziemliches reden, so würden sich diese sofort zurückziehen oder
wenigstens die Unterhaltung abbrechen.“
„Wenn gute Eigenschaften uns ihre Gewohnheit, zu lügen, und ihre Neigung
zum Stehlen vergessen machen könnten, so würde ihr Charakter nur Lob ver—
dienen. Sie sind dienstfertig gegen ihre Landsleute und freigebig gegen die
Fremden; wie groß auch ihre Not ist, sie teilen doch gern mit andern, was sie
besitzen, und berauben sich selbst oft des Ihrigen, um es den Notleidenden oder
den Besuchern, anzubieten. Vielleicht treiben sie sogar diese Gefälligkeit zu weit.
Die Achtung der Kinder gegen die Eltern, der Untertanen gegen den Koͤnig
und die Häuptlinge ist ein weiterer Zug, der ihnen Ehre macht. Die Befehle
eines Vorgesetzten nehmen sie immer sitzend entgegen; wenn sie ihn anreden,
scheinen sie es zu fürchten, seinen Namen auszusprechen: begegnen sie ihm auf dem
Gemeint ist hier der König des Olymps; vgl. oben S. 511 - 512.
2 Annales des Missions d'Océanie J 409. s Ebd. 409 -410.
Cathrein. Die Einheit d. sitil. Bewußtfeins. III. 33
—514 Fünfter Teil. Australien und Ozeanien.
Wege oder sehen sie ihn in ziemlicher Entfernung vorübergehen, so setzen sie sich
sofort nieder und erheben sich erst, wenn er ihren Augen entschwunden ist. Die
Erweise ihrer Hingebung an den König nehmen noch ehrfurchtsvollere Formen
an; in seiner Gegenwart erlaubt man sich nur die Sprache, die dem Kult der
Götter geweiht ist. Untereinander sind sie von herzlicher Höflichkeit. Von ihren
dippen hört man gewöhnlich Worte der Ermutigung bei der Arbeit oder des
Dankes für die Gesundheit, deren sie sich erfreuen.“
Die öffentliche Gewalt konzentriert sich in drei Hauptfamilien, der Familie
des Königs und zweier großer Häuptlinge oder Minister, deren Würde erblich
ist. Jedes Individuum gilt für um so adeliger und einflußreicher, je näher es
mit diesen drei Stammfamilien verwandt ist; die Eingebornen kennen diese
Rangordnung sehr gut und respektieren sie. Die adeligen Frauen teilen die
Vorrechte der Männer, nur sind sie von der Königswürde ausgeschlossen, solange
männliche Nachkommen vorhanden sind?.
Bei den Festlichkeiten werden große Tänze veranstaltet, an denen aber die
Frauen nie teilnehmen; nur unter sich gestatten sie sich dieses Vergnügen, und
zwar „mit bemerkenswertem Anstand und Ernst und großer Züchtigkeit“. Der
König benutzt solche Feste, um Befehle zu erlassen und Mißbräuche zu tadeln;
hat er nichts Wichtiges zu sagen, so erzählt er dem Volke eine lustige Geschichte
oder hält einen spassigen Sermon.
Die einzigen Lehren, welche die Eltern den Kindern geben, bestehen in der
Einschärfung der Pflicht, die Tapus zu respektieren und die Götter zu fürchten,
—D
Die dauernden und der ganzen Insel gemeinsamen Tapus sind: etwas an⸗
zurühren, was dem Gebrauche des Königs und der Häuptlinge dient; in ein
Haus einzutreten, in dem Tape verfertigt wird; für die Frauen und Kinder:
zugleich mit ihren Männern und ihren Vätern zu essen. Auch die Berührung
mit einem Toten unterwirft die Hände dem Gesetze des Tapu, bis sie gewaschen
sind, was erst nach einigen Wochen geschieht. Während dieser Zeit dürfen die
davon Betroffenen nicht selbst mit den Händen Speisen zum Munde führen,
andere müssen ihnen diesen Dienst leisten. Einige Fische und die meisten Vögel
sind der ganzen Insel heilig oder Tapu. Es gibt auch Tapus, die nur für ein
Dorf oder eine Person gelten. Das sicherste Mittel, um zu bewirken, daß man
ein Feld nicht antastet, ist, es unter den Schutz des Tapu zu stellen. Es kommt
selten vor, daß ein Tapu verletzt wird, weil die Insulaner von einer solchen
Verletzung den Tod als sichere Strafe erwarten.
Wenn ein vom Volk geliebter Häuptling krank wird, so trägt man ihn
in den Tempel des Gottes, dem man die Krankheit zuschreibt. Dort veranstaltet
man Kämpfe bis aufs erste Blut, man schneidet sogar mehreren Kindern den
kleinen Finger ab, um ihn der unerbittlichen Gottheit darzubringen. Wird der
Zustand des Kranken nicht besser, so fürchtet man zwar den Gott noch mehr,
aber außerhalb des Tempels überhäuft man ihn mit Beschimpfungen, von denen
man jedoch annimmt, daß er sie nicht hörts.
Annales des Missions d'Océanie J 410 - 411. 2 Ebd. 411.
3Ebd. 413 - 414.
4. Die Wallisinsulaner.
515
Beim Tode versammeln sich die Verwandten und Freunde um die Leiche.
Ist der Tote ein Häuptling, so zerschneiden sie sich mit Muscheln die Wangen
und bedecken den Kopf mit Blut; dabei schreien und heulen sie. Vierundzwanzig
Stunden nach dem Tode schreitet man zum Begräbnis. Zuvor findet aber ein
großes Kawatrinken statt, bei dem der Verstorbene, festlich geschmückt und mit
neuen Tapetüchern umhüllt, den Vorsitz führt. Da er nicht imstande ist, selber
den Becher zu leeren, den man ihm darbietet, so wird damit die Erde zu beiden
Seiten begossen. Dann begleitet man den Leichnam in das Haus der Toten,
während einige am Meeresgestade Sand holen, ihn unter Gesang herbeibringen
und über die Leiche ausschütten. In diesem Augenblicke besonders verdoppelt
man, um den Toten zu ehren, das Schreien und Klagen, das Blut fließt reich⸗
licher und die kleinen Finger werden in großer Zahl abgeschnitten und auf den
Sarg geworfen. Dieses blutige Schauspiel wird noch entsetzlicher, wenn es sich
um die Beerdigung eines Großen handelt; dann zerfleischen sich die Männer
mit Keulen, Lanzen und Ärten den Kopf, andere beißen sich in die Arme oder
zerreißen sich die Brust oder legen glühende Kohlen auf das Fleisch. Zum
Schluß rasieren sich die Verwandten den Kopf und später von zehn zu zehn
Tagen erneuern sie dieses Trauerfest mit seinen Klagen und blutigen Szenen.
Manchmal dauert das mehr als ein halbes Jahr. Selbstverständlich spielt bei
diesen Auftritten die Menschenfurcht und die Sucht, durch Tapferkeit zu glänzen,
mindestens eine ebenso große Rolle als echte Trauer um den Toten.
Uber den Glauben der Insulaner an das Fortleben der Seele nach dem
Tode sagt zwar Bataillon nichts ausdrücklich, aber derselbe ergibt sich aus den
geschilderten Bestattungsfeierlichkeiten und auch aus dem, was wir oben über
die Wiederkehr des Geistes des verstorbenen Häuptlings berichteten. Es darf
uns deshalb auch nicht wundernehmen, daß der Missionär Chevron im Jahre
1842 aus Wallis schreiben konnte!: „Der Geist des Glaubens zeigt sich bei
unsern Neophyten besonders, wenn einer ihrer Brüder zum Sterben kommt.
Dann vereinigen sich alle Freunde und Verwandten bei ihm, um zu beten, und
hat er ausgehaucht, so rufen sie: „Er ist glücklich, er ist in den Hafen ein⸗
gelaufen; wie beneidenswert ist er!‘ Die Begräbniszeremonien blieben nach der
Bekehrung zum guten Teil dieselben wie früher, abgesehen von den unsinnigen
blutigen Auftritten. Welches aber die Jenseitsideen der Eingebornen im Heiden⸗
tum waren, hat Bataillon nicht mitgeteilt, und da bald darauf die ganze Insel
katholisch wurde, so ist es kaum noch möglich, darüber etwas Zuverlässiges zu
erfahren.“
Die Eingebornen wollen es nicht zugeben, daß sie früher gewohnheitsmäßig
dem Kannibalismus gehuldigt hätten; heute sprechen sie nur mit Abscheu davon?.
Vieles von dem, was wir über Wallis berichtet, gilt nach Bataillon auch von
den umliegenden Inseln, besonders von Tonga⸗tabu, von der die Bewohner von
Wallis abzustammen scheinen.
Ebd. 1 462. 2 Ebd. 415.
23*
516
Fuͤnfter Teil. Australien und Ozeanien.
5. Die Samoaner.
Der Samoa-Archipel (Schifferinseln), der heute größtenteils zum deutschen
Schutzgebiete gehört, liegt nordöstlich von den Fidschi-Inseln zwischen dem 13.0
und 15.0 südl. Br. und besteht aus drei großen Inseln (Savaii, Upolu und
Tutuila) und einer Anzahl kleinerer Inseln. Hier wirkten seit 1844 Maristen⸗
missionäre, besonders P. Violette, der im Dezember 1854 als Ergebnis
seiner fast zehnjährigen Beobachtungen einen ausführlichen Bericht über die Sitten
der Samoaner niederschriebꝛ.
Die Samoaner haben viel Ähnlichkeit mit den Battas auf Sumatra und
den Bewohnern der Marianen; woher sie aber auf ihre Inseln kamen, wissen
sie selbst nicht. In ihrer Religion glaubt man Spuren des Mohammedanis⸗
mus, des Brahmanismus, des Sabäismus und des Geister- oder Dämonen⸗
kultes zu finden. Eine Art von Turban, das Mondjahr, die Beschneidung,
das Fasten, welches wie das Rhamadanfasten darin besteht, daß man während
des Tages nichts und in der Nacht zweimal ißt, erinnern an den Moham⸗
medanismus. Ihre untergeordneten Gottheiten, ihr unbestimmter Glaube an
die Seelenwanderung, ihre Waschungen und Reinigungen und eine Art Pagoden
smalumalu) weisen auf den Brahmanismus hin. Die Spuren des Sabäis⸗
mus, über welche die Samoaner keine Rechenschaft zu geben wissen, finden sich
in gewissen Gebräuchen und einigen Gebeten. „Ich habe vor mir zwei Gebete,
von denen das eine das Feuer zum Rang der Geister (Genien) erhebt und das
andere beweist, daß man es zu Ehren aller Geister aufleuchten ließ, um von
ihnen irgend eine Gunst zu erlangen. Die einen wandten sich direkt an das
Feuer, und ihre Sprache beweist, daß sie es den Geistern gleichstellten, denn ein
Funke des Feuers wird alo i aßti, Tochter des Feuers, genannt. Das Wort
alo ist der religiössen Sprache Samoas entnommen. Ich habe sogar sagen
hören: O le alo o le afi. Dieser letztere Ausdruck stellt das Feuer vollkommen
wenigstens einer vornehmen Person gleich und kann sich selbst auf die Gottheit
erstrecken, da man den Sohn Gottes nur o le alo o le atua nennt. Andere
zündeten das Feuer an, um sich die Geister günstig zu stimmen, und sie baten
um Nahrung ohne Arbeit, Befreiung von Strafen, Krankheiten usp. Am
Abend beim Erscheinen des ersten Sternes verschafft sich jede Familie ein Feuer.
Eine oder selbst zwei Personen sind ausschließlich mit dieser Aufgabe betraut.“?
Von den religiösen Vorstellungen der Samoaner schreibt Meinicke?
mit Berufung auf einige englische Schriftsteller: „Sie glaubten an Götter (aitu),
deren sie zwei Klassen annahmen: die oberen ursprünglichen und die aus den
Seelen der Vornehmen nach ihrem Tode entstandenen. ... Der angesehenste
der oberen Götter war Tangaloa, der Schöpfer der Welt und der Menschen,
der im Himmel lebte, nächstdem seine Tochter Sina, die Vermittlerin zwischen
ihm und den Menschen, Mafui'e, der Erzeuger der Erdbeben, Moso und Sepo,
Kriegsgötter, Le saä, die Ceres der Samoaner, Tasma und Tilafainga, die
besondern Götter der Tätowierer usw. Alle diese Gottheiten waren für den
Vogl. Missions catholiques 1870, 71 ff.
Die Inseln des Stillen Ozeans II 116.
2 Ebd. 102- 103.
5. Die Samoaner.
517
Qultus ohne Bedeutung; die Erinnerung an sie hatte sich nur in den zahl⸗
reichen Mythen erhalten. Die übrigen Götter sind fast alle aus verstorbenen
Vornehmen hervorgegangen. Die Distriktsgötter standen den Distrikten vor usw.“
Mit Berufung auf den englischen Missionär Powel sagt Meinicke!, in Savaii
und Upolu seien u. a. Nafanua und Siuleo Distriktsgötter gewesen, in Tutuila
ursprünglich Tasma, an dessen Stelle später Tuiatua und Nafanua, ursprüng-
lich Götter von Upolu, eingeführt wurden usw.
Auch nach R. Oberländer? und F. Reineckes gilt Tangaloa den
Samoauern als der Schöpfer aller Dinge, auch der Menschen. Adolf Bastian“
berichtet die „samoanische Schöpfungssage“ in folgender Weise: „Der Gott
Tangaloa wohnte in den Weiten. Er allein war da, noch kein Himmel, noch
kein Land; er allein wandert umher in dem Weltall. Keine See war da,
keine Erde, aber da an dem Orte, wo er stand, wuchsen empor die Felsen.
Tangaloa Faatupunuu hieß er, alle Dinge find von ihm geschaffen, der Himmel
war noch nicht gemacht, noch irgend etwas sonst; aber der Felsen wuchs auf
da, wo er stand. Dann sprach Tangaloa zum Felsen: „Spalte dich!“ Dann
kam hervor Papatooto (Papa der Fels), dann Papasosolo, dann Papa—
lauaau usw. ..., und Tangaloa stand da, nach Westen blickend, und sprach zum
Fels; dann schlug er mit der rechten Hand und er spaltete ihn nach der rechten
Seite; dann kam die Erde hervor und die See und dann alles weitere.“
Ganz anders als die hier mitgeteilten Sagen lauten die Angaben des
P. Violette, der lange vor den genannten Schriftstellern nach einem fast zehn⸗
jährigen Aufenthalt auf den Samoa⸗Inseln geschrieben hat. Die Samoaner,
berichtet ers, nehmen neun Himmel an. Jeder Himmel wird von einem eigenen
Haupt regiert und zählt viele Bewohner. Tagaloalagi, der die beiden
untersten Himmel regiert und als ein Tyrann gilt, hat Gewalt über die Sonne
und eine große Anzahl von Geistern. Die Eingebornen bekennen, daß sie den
Talo (Taro?), die Ignamen, das Wasser und ihre Barken vom Himmel er⸗
halten haben, ebenso die Erde. Tagaloalagi, der ein bloßer Mensch ist, wohnte
m Himmel. Sein Reich war sehr bevölkert und unterhielt mit der Erde, die
bdom Himmel nur wenig abstand, einen regen Verkehr. Auf einer kleinen Pflanze
konnte man zum Himmel aufsteigen. Der erste Mann hieß O le Feopogia
und die erste Frau O le Uluatuma. Beide sind aus der Erde hervorgekommen.
Ihr ältester Sohn hieß O Sinaso, die Tochter O Puga, der jüngste Sohn
DuUaimai Magaimai. Von ihnen wurde die Erde bevölkert. Eine Über—
schwemmung des Meeres ertränkte alle Menschen mit Ausnahme von O Puga.
Als Tagaloalagi sie auf dem Meere schwimmen sah, zog er sie in den Himmel
hinauf und nahm sie zu seiner Frau. Sie gebar den O le Tuli, der aber
ein böser Knabe war, so daß sich die andern Kinder bei ihrem Vater beklagten
und sagten, er sei der Sohn der O Puga, die von der Erde gekommen sei.
O le Tuli fragte seine Mutter, welches ihre Heimat sei; sie antwortete: „Die
Erde.“ Er versuchte nun mehrmals. auf die Erde herabzufliegen, fand aber
Ebd. II 425. 2 Ozeanien, die Inseln der Südsee II 221.
Samoa, Berlin (ohne Jahreszahl; die Vorrede ist datiert vom Jahr 1902).
Zitiert bei Reinecke a. a. O. 105.
Missions catholiques 1870, 111 - 112.
518
Fünfter Teil. Australien und Ozeanien.
keinen Ort zum Ausruhen, bis ihm auf seine Bitten sein Vater Tagalaolagi
einen Stein herunterwarf, auf dem er stehen konnte. Andere Steine entstanden
um diesen Stein herum und er wurde von Tag zu Tag größer. Das war
die Insel Savaii. Es wird dann weiter geschildert, wie auf Bitten O le Tulis
Tagalaolagi die Felsen mit fruchtbarer Erde bedeckte und Pflanzen entstehen ließ,
aus denen O Gai Totosi, die Schwester Tagalaolagis, Menschen bildete, die
aber stumm waren, bis ihnen Tagalaolagi durch einen Geist die Gabe der
Sprache verlieh. Das waren die ersten Menschen, die nur eine Sprache redeten.
Beide waren Männer. Als aber beim Fischfang der eine den andern verletzke,
meldete das O le Tuli seinem Vater; dieser sandte wieder seine Schwester
O Gai, die den Verwundeten umformte und daraus eine Frau bildete, die sich
mit dem andern Mann vermählte und mit ihm Kinder erzeugte: der eine Sohn
hieß Malalapoto, der andere Malalave. Eines Tages trennien sich die beiden.
Malalapoto zog mit seiner Frau in ferne Länder, Malalave aber blieb mit
seiner Frau auf den von farbigen Menschen bewohnten Inseln!.
Von Tangaloa ist in diesen Mythen, wie sie Violette berichtet, niemals
die Rede; vielleicht daß Tagalaolagi nur ein anderer Name für Tangaloa
ist; jedenfalls ist aber dieser nicht der höchste Gott der Samoaner. Über die
eigentliche Religion der Eingebornen sagt Violette: „Der Ausdruck aitu
Geist, Genius) weckte im Samoaner nur die Idee eines von Natur aus bösen
Wesens, das man durch Opfer versöhnen mußte. Der bloße Name erfüllte sie
mit einem Schrecken, von dem sie selbst heute noch nicht ganz frei sind. Sie
anerkannten einen über allen geschaffenen Geistern stehenden höheren Geist,
dessen Anfang man nicht kennt. Sein Name ist Nafanua: er wohnt im
Himmel. Der ganze Archipel brachte ihm Opfer dar. Er ist der Herr über
den Sieg in der Schlacht; sobald eine Partei sich besiegt sieht, ruft sie: „Na—
fanug hat sich auf die Seite der Feinde gestellt!‘ Jeder bemüht sich, ihn durch
Bebete und Opfer auf seine Seite zu ziehen.“
Siuleo ist der Meister der Geister, Moso der erste der geschaffenen Geister;
dann kommt eine große Zahl untergeordneter Geister, unter denen jede Provinz,
jedes Dorf, jede Familie sich den ihrigen wählt. Man verpflichtet sich, ihn zu
ehren, durch Opfer und Gebetshäuser zu versöhnen usw., und erwartet dafür von
ihm Gesundheit und Schutz. Die Geister wohnen nach dem Glauben der Ein—
gebornen in einem Abgrund, der sich dort befindet, wo die Sonne untergeht. Vor
diesem Ort haben sie Schrecken. Dorthin kommen die Seelen, wenn sie beim
Tod den Leib verlassen, und werden Geister. Am Eingang dieses
G. Turner berichtet die obige Sage in anderer Fassung (vgl. Ausland 1861,
385). Anfangs, als die Erde noch mit Wasser bedeckt war, schickte Tangaloa, der
olympische Göttervater, seine Tochter in Gestalt einer Schnepfe hinab, um sich nach einem
Ruheplatz umzusehen. Sie flog umher, bis sie endlich einen Felsen über das Wasser
ragen sah. Mit dieser Nachricht kehrte sie zurück und wurde wieder ausgeschickt, um
nach dem Zustand des Trockenen umzuschauen. Mehrmals kam und ging sie, und jedes⸗
mal machte das Auftauchen des Trockenen Fortschritte. Der Göttervater sandte sie nun
mit Erde und einem kriechenden Gewächs hinab. Bei ihrem nächsten Besuch hatte die
Pflanze Wurzel gefaßt und breitete sich aus. Als sie späkter wiederkam, war die Pflanze
mit Gewürm bedeckt, und zuletzt waren die Wurmer Männer und Frauen geworden.
Man vgl. noch R.Oberländer, Ozeanien II 221.
5. Die Samoaner.
519
Abgrundes erhebt sich ein Kokosbaum; wer das Glück hat, ihn mit der Stirne
zu berühren, fällt nicht in den Abgrund!. Alle Geister hatten ihre Priester
und Priesterinnen (taulaaitu), die ihnen als Organe dienten. Man unterschied
drei Klassen solcher Priester und Priesterinnen. Die erste spielte die Rolle von
Zauberern. War z. B. jemand bestohlen worden, so ging er zu dem Priester,
um von ihm einen bösen Zauber gegen den unbekannten Übeltäter zu erlangen.
Dieser bereitete dann ein Zaubermittel und verwünschte den Missetäter: „Möge
der Dieb zu Grunde gehen!“ Oft packte die Angst den Schuldigen so, daß er
zum Zauberer lief, seine Schuld bekannte und dann sofort losgesprochen wurde.
Die zweite Klasse von Priestern entdeckte durch Wunder den Urheber einer bösen
Handlung. In voller Versammlung, ohne vorausgehende Untersuchung ging der
Priester direkt auf den Schuldigen los und bezeichnete ihn öffentlich. In andern
Fällen mußte die verdächtige Person eine Art Probe bestehen, so z. B. mußte sie
beim Becher des Häuptlings schwören. Wer ein reines Gewissen hatte, tat es
kühn, indem er den Becher berührte und seine Unschuld beteuerte. Wer sich aber
schuldig fühlte, wagte nicht, den Becher zu berühren, aus Furcht vor einem
schrecklichen Tod; er bekannte leise seinem Nachbarn die Schuld, der dies der
Versammlung mitteilte, und dann schritt man zur Verurteilung. Die Priester
endlich, welche die geheimen Ursachen der Krankheiten entdeckten, gaben ihre Ant—
worten während der Nacht. Man brachte die Kranken zu ihnen, und sie gaben
die Ursache der Krankheit und das Heilmittel an?.
Hatte eine Familie einen Todesfall zu beklagen, so suchte sie die Geister
zu besänftigen, um die übrigen Familienglieder zu retten. Waren alle ver—
fammelt, so sprach man: „Kommt, wir wollen uns als schuldige Beter vor—
stellen.“ Sie gingen dann zum Hause des Priesters, indem sie Blätter einer
Pflanze (Ifi) auf dem Kopf und ein Stück Brennholz auf den Schultern
trugen, um damit die Macht der Geister über Leben und Tod anzuerkennen.
Das Familienhaupt ergriff nun das Wort, richtete an den Priester alle für
solche Gelegenheiten vorgeschriebenen Ausdrücke der Huldigung, z. B.: „Ehre
deiner Majestät! Ehre allen deinen Begleitern! Sei gelobt und willkommen
und würdige diese Familie einiger Worte.“ Dann erwartete man tief verneigt
die Antwort des Geistes. Dieser antwortet durch den Priester, er sei erzürnt
gegen die Familie wegen ihrer Fehler. Nun folgt eine Beichte. Ein Familien⸗
glied bekennt die Fehler eines jeden Gliedes und erhält die Versicherung der
Verzeihung durch den Mund des Priesters. Sobald die Lossprechung erfolgt
ist, erhebt sich die ganze Familie und dankt dem Geist durch den Mund des
Priesters: „Dank deiner Majestät für das Leben, das du uns zugesichert hast.“8
Auch bei drohenden Epidemien machten ganze Distrikte oder Dörfer zu einem
Geiste feierliche Bittgänge, bei denen sie um Verzeihung baten und Gnade er—
flehten. Man brachte den Geistern Libationen dar und opferte ihnen Lebens—
miltel und Stoffe. Die geopferten Gegenstände galten als heilig.
Aus den Angaben des P. Violette geht hervor, daß auch bei den Samoanern
der Totemismus herrschte. Jede Familie hatte, wie schon bemerkt, ihren
besondern Schutzgeist: den einen galt die Taube als heilig, andern die Eule,
1 Missions catholiques 1870. 103. 2 Ebd. 110- 111. 3 Ebd. 111.
—320 Fünfter Teil. Australien und Ozeanien.
wieder andern der Hund, ein Fisch oder sonst ein Tier des Waldes. Die
Glieder der Familie durften das ihnen heilige Tier weder töten noch essen.
Es gab Festtage, die allen Bewohnern einer Insel gemeinsam waren, andere,
die nur von bestimmten Dörfern gefeiert wurden. An diesen Tagen war es
den Fremden verboten, durch das Dorf zu gehen, das seine Feier abhielt.
Leider waren diese Feste stets mit Trinkgelagen und Ausschweifungen begleitet!.
Die Samoaner haben auch eine dunkle Sage von einer großen Wasserflut, bei
der alle Menschen zu Grunde gingen, mit Ausnahme eines einzigen?. Auf der
Insel Upolu findet sich ein zerfallener Tempel, der Tempel der Aitu genannt,
der, von außen gemessen, 52 m im Umfang hat. Die kleinen Säulen, die
das Dach trugen, haben heute die Höhe von 2,50 m, nur mehr ein Drittel
der ursprünglichen Höhe. In der Mitte des Tempels findet sich ein Säulen⸗
stumpf von 1,25 m Höhe. Dieser Tempel soll der Sage zufolge von den
Aitus erbaut worden sein; seit unvordenklichen Zeiten ist er immer in demselben
Zustand. Daß die Aitus den Tempel erbaut, begründen die Samoaner auf
folgende Weise. Sie sagen: Die Steine sind behauen. Nun aber verstehen sich
die Samoaner nicht auf das Behauen der Steine und haben auch keine Werk—
zeuge dazu. Außerdem finden sich am Tempel große Massen von Korallen,
und es ist unmöglich, daß die Menschen eine so große Masse Korallen auf
einem so weiten und schlechten Weg vom Meere her (vier Stunden) herbei⸗
getragen haben sollen. Nur die Aitus können den Tempel gebaut haben; sie
gerieten aber beim Bauen in Streit und trennten sich, ohne den Bau zu
bollenden 8.
Nach alten Überlieferungen hatten die Samoaner einst ein einziges Ober—
haupt. Theoretisch ist ihre Regierung heute nochs‘ eine Art Wahlmonarchie,
deren Haupt von einer erblichen Aristokratie gewählt wird. Die Macht des
Königs ist gemäßigt durch die Vorrechte der Aristokratie. In Wirklichkeit aber
ist die Regierung Samoas ein Bund von Distrikten und Dörfern, von denen
jeder einen unabhängigen Häuptling hat. Die vornehmen Samoaner loben die
Regierung eines einzigen Hauptes, aber in der Praxis kümmern sie sich wenig
darum. Der Samoahäuptling muß vier große Titel (ao) in sich vereinigen,
aber die Aristokratie, die allein diese Titel in ihm vereinigen kann, hütet sich
wohl, es zu tun, und ist nur bestrebt, die Gleichheit der Häuptlinge zu er⸗
halten, die von den einzelnen Distrikten gewählt werden und ihre Titel er—
haltens. Unter den Häuptlingen der großen Distrikte gibt es andere Träger
erblicher Adelstitel, die ebenfalls das Recht haben, Krieg zu führen und ihre
AAV
zu kümmern.
Um die politische Organisation besser zu verstehen, müssen wir die Familie
(aiga) betrachten, die den samoanischen Rechtsanschauungen zu Grunde liegts.
Die Einzelfamilie, d. h. die Gemeinschaft von Eltern und Kindern, wird zwar
auch oft aiga genannt, meist aber hat dieses Wort eine weitere Bedeutung, so
Missions catholiques 1870, 111. 2 Ebd. 112. s Ebd.
D. h. um 1854. s Missions catholiques 1870, 118 - 119.
s Über das Folgende vgl. E. Schultz, Samoanisches Familien⸗, Immobiliars und
Erbrecht?, Apia 1911.
5. Die Samoaner.
521
daß es alle Blutsverwandten (Klan, Sippe), alle Adoptierten und alle der
Familiengewalt Unterstehenden umfaßt. Diese Familien im weiteren Sinn
wohnen aber nicht territorial geschlossen, sondern sind oft in Verzweigungen
über die Inseln des ganzen Archipels verteilt. Die Gesamtheit der in einem
Dorfe zusammenlebenden Familienangehörigen wird auch Familie (aiga im
engeren Sinn) genannt. Bei den mit dem Köonigsgeschlecht Tupua verwandten
Familien ist für den Begriff der Dorffamilie das Wort fuaifale gebräuchlich.
Bei den großen und mächtigen Familien zerfällt die Dorffamilie in mehrere
Finzelfamilien (aiga im engsten Sinne), deren jede unter einem Ältesten (matai)
steht; einer von diesen ist das Oberhaupt der Dorffamilie und heißt Matai
ili. Bei den geringeren Dorffamilien ist oft nur ein Matai vorhanden, so
daß Dorffamilie und Einzelfamilie zusammenfallen. Die patria potestas (pule)
des Malai erstreckte sich in alter Zeit auf Leib und Leben der ihm unterstehenden
Familiengenossen. Heute hat er nur mehr das elterliche Züchtigungsrecht; die
Familienglieder müssen ihm aber Ehrerbietung erweisen und dienen.
Die Matai sind entweder Häuptlinge (alii) oder Sprecher (tulafalo).
Die ersteren sind der Adel des Landes, die letzkeren ihre Gefolgsleute. Die
ursprüngliche Aufgabe der Tulafale bestand in der Verkündigung des Willens
der Häuptlinge bei öffentlichen Angelegenheiten, in der Pflege der Überlieferungen,
in der Beschaffung der Weiber für die Häuptlinge und in der Handhabung des
sehr verwickelten Zeremoniells. Tatsächlich sind sie aber im Laufe der Zeit zu
einer Art Beamten geworden, die nicht selten die öffentliche Macht an sich zu
ziehen wußten und stellenweise mehr Einfluß haben als die Häuptlinge oder
sich mit diesen in die Herrschaft teilen. Männliches Geschlecht ist nicht unbe—
dingtes Erfordernis für den Matai, doch erhält selten eine Frau die oberste
Familiengewalt und noch seltener führt sie den Namen Matai. Der Träger
—EDD wichtigen Angelegen⸗
heiten den Familienrat (alle durch Blutsverwandtischaft oder Adoption zur Fa—
milie gehörigen Matai und zuweilen auch die andern männlichen Glieder der
Familie) zu Rate ziehen. Gewalttätige Personen haben oft das Mitbestimmungs⸗
recht der Familie mißachtet, war aber das Maß voll, so setzte man den Tyrannen
ab und ernannte an der Hand des Stammbaumes einen neuen Herrn.
„In vermögensrechtlicher Beziehung gilt die Familie als Rechts⸗
ubjekt, der Matai als Repräsentant und Verwalter des Familienvermögens.“!
Man kann also von einer Art Familienkommunismus reden. Schultz will sogar
Reste eines ursprünglichen absoluten Kommunismus entdeckt haben. Dazu rechnet
er die Befugnisse, die einer Reisegesellschaft in dem Hause des Gastfreundes an
seinem beweglichen Eigentum zustehen, und ferner den Brauch, daß jemand,
dessen Haus dicht an der Grenze liegt, ohne weiteres von den auf dem Lande
des Naͤchbarn wachsenden Früchten nehmen darf. Aber das sind doch sehr
zweifelhafte Reste eines ursprünglichen Kommunismus, namentlich wenn man
deachtei, was Schultz selbst beifügt: „Es muß aber stets ein genügender Rechts⸗
grund ... für solche über den Rahmen der eigenen Rechtssphäre hinausgehende
Handlungen vorhanden sein, und der gebende Teil sorgt sicher dafür, daß zwar
Ebd. 18.
322
Fünfter Teil. Australien und Ozeanien.
nicht Zug um Zug, aber doch im Sinne einer Gegenseitigkeit eine Ausgleichung
des eingetretenen Vermögensunterschiedes erfolgt.“
Neben dem Kollektiveigentum der Familie besteht aber auch individuelles
Privateigentum. Wer ein fremdes Grundstück durch eigene Tätigkeit erworben,
darf frei darüber verfügen, ohne Rücksicht auf die Familie. Doch ist Familien⸗
eigentum die Regel, (indibiduelles) Privateigentum die Ausnahme. Die Grund⸗
eigentumsgemeinschaft ist das stärkste Band, das die samoanische Familie zu—
sammenhält. Der Matai sili hat das Recht und die Pflicht, jeder der ihm
untergebenen Einzelfamilien einen Teil des Familienlandes zur Bearbeitung und
Nutzung zu überweisen!.
Die Person des Matai kommt nicht nur in der Familie, sondern auch im
Dorf, in der Landschaft und darüber hinaus zur Geltung; denn die politische
Organisation baut sich auf der Familie auf. Das politische Organ des Dorfes
ist die Dorfversammlung, die aus sämtlichen Matai besteht. Doch entscheidet
nicht die Majorität, sondern die Autorität eines oder mehrerer Matai sili. Es
zjängt aber sehr von dem Charakter der jeweiligen Beteiligten ab, ob das Dorf
absolutistisch, oligarchisch oder demokratisch regiert wird. Diese Versammlung
ernennt den Dorfhäuptling auf unbegrenzte Zeit, aber das Dorf kann ihm in
gewissen Fällen die Gewalt nehmen und sie einem andern übertragen. Früher
dereinigten die Dorfhäuptlinge und noch mehr die Distriktshäuptlinge die politische
und religibse Gewalt in sich; sie waren gewissermaßen Oberpriester und wurden
zu den Kranken gerufen, um ihr Amt, das lotu (Kult) hieß, auszuüben. Die
amtlichen Verrichtungen bestanden in Reden und Gebeten?.
Den Anordnungen der Häuptlinge wurde oft getrotzt, nicht so den Be⸗
schlüssen der Gemeindeversammlung, die streng durchgeführt wurden. Wenn ein
Verbrechen oder ein Vergehen vorgekommen ist und der Schuldige zur Gemeinde
gehört, so wird die Versammlung sofort zusammengerufen. Ist der Schuldige
überführt, entweder weil das Verbrechen öffentlich und notorisch oder weil es
durch Zeugenaussagen bewiesen oder vom Angeklagten eingestanden ist, so wird
er zu einer Geldbuße verurteilt, die sofort bezahlt werden muß. Gehört der
Schuldige einem andern Dorfe an, so wird seine Gemeinde benachrichtigt, die
ihn bei kleineren Vergehen zu einer Geldbuße und bei schwereren zu einer be—
trächtlichen Entschädigung und öffentlichen Abbitte verurteilt. Eine Verweigerung
der gerechten Strafe von seiten der Gemeinde des Schuldigen würde einen Krieg
Jerbeiführens. Die nahezu vollständige Unabhängigkeit der Dörfer bewirkt, daß
der Patriotismus des Samoaners sich fast nur auf sein Dorf beschränkt; er
ist eifersüchtig auf die Ehre und den Ruhm seines Dorfes und benutzt bei den
öffentlichen Versammlungen jede Gelegenheit, um dasselbe hochzupreisen*.
Die Ratsversammlungen finden meist auf den öffentlichen Plätzen der Dörfer
statt, und zwar stets an einem verschiedenen Platz, je nachdem es sich um eine
bdürgerliche oder Kriminalsache oder einen Krieg handelt. Die Rangordnung
unter den verschiedenen Teilnehmern wird streng eingehalten. „Die Samoaner
Schultz, Samoanisches Familien-, Immobiliar- und Erbrecht 20.
AMissions catholiques 1870, 119. s Ebd.
Diese Verhältnifse haben sich natürlich seit der deutschen Herrschaft vielfach geändert.
g
5. Die Samoaner.
528
zeigen in ihren Versammlungen eine Würde, eine Verständigkeit, eine Klugheit
und Gerechtigkeit, die man von ihnen nicht erwarten sollte, wenn man sie als
einfache Privatpersonen betrachtet.“ Außerordentlich ist auch die Beredsamkeit,
welche sie bei diesen Gelegenheiten an den Tag legen.
Die Ehe wird heute meist in christlicher Form geschlossen. Nach heidnischem
Brauch mußte der Bräutigam sich bei den Eltern der Braut um diese bewerben.
Willigten sie ein, so zog sie in das Haus des Bräutigams, und damit galt
die Ehe als geschlossen. Spuren von Frauenraub als einer gesellschaftlichen
Einrichtung sind nach Schultzs nicht nachzuweisen. Gewaltsame Entführung
oder gar Notzucht ist streng verpönt und hat Vergeltungsmaßregeln gegen den
Schuldigen, seine Familie und sein Dorf zur Folge. Ist das Mädchen frei—
willig mitgegangen, ohne Einwilligung der Eltern, so versucht ihre Familie in
Güte ihre Rückkehr zu erreichen. Wenn das Pärchen, ehe es über die Dorf—
grenze gelangt ist, erreicht wird, so erhält der Verführer von den Verwandten
und Dorfgenossen eine Tracht Prügel, die Bestrafung des Mädchens wird den
Eltern überlassen. Bei der Heirat findet ein gegenseitiger Austausch von Ge—
schenken von seiten der Familien der Brautleute statt. Eigentlicher Frauenkauf
fommt nicht vor.
Bei den Samoanern herrscht Exogamie, jedoch ohne totemistische Begleit—
erscheinungen 8. Ehehindernisse sind Blutsverwandtschaft nicht nur in der ge—
raden, sondern auch in der Seitenlinie. Erst wenn der gemeinsame Ursprung
so weit zurückliegt, daß die Verwandischaft so gut wie vergessen ist, bildet diese
kein Ehehindernis mehr. Auch Verschwägerung in gerader Linie gilt als Ehe—
hindernis, ebenso Verschwägerung in der Seitenlinie zwischen dem Bruder der
Ehefrau und der Schwester des Ehemannes und ihren Abkömmlingen. Die
Ehe zwischen dem Bruder des Ehemannes und der Schwester der Ehefrau ist
nicht streng verboten, gilt aber doch als nicht schicklich. Zur Auflbsung der
Ehe genügt nach altsamoanischer Auffassung die tatsächliche Trennung nicht.
detztere erfolgt hauptsüchlich im Fall der Unfruchtbarkeit der Frau oder im Fall
des Ehebruchs, wenn dieser nicht verziehen wird. Wenn der Mann nach seinem
Stand zur Polygamie berechtigt ist, kann er nach der Trennung weiterheiraten,
im übrigen werden aber die gegenseitigen Rechte und Pflichten der Ehegatten
durch die Trennung nicht aufgehoben. Wer sich mit einer getrennten Frau ein⸗
läßt, begeht Ehebruch und hat Vergeltungsmaßregeln zu erwarten, ebenso, je
nach Lage des Falls, ein Mädchen, das einen getrennten Mann nimmt. Erst
wenn beide Ehegatten erklärt haben, daß sie einander volle Freiheit geben, ist
die Ehe endgültig gelöst.
Das samoanische Erbrecht beruht auf dem Grundsatz der Agnation. An⸗
wärter auf den Namen des verstorbenen Matai und alle damit verbundenen
Rechte und Pflichten sind zunächst die Söhne; erst wenn keine Söhne vorhanden
sind, kommen die Töchter an die Reihe. Die regelmäßige Erbfolge läßt sich
aach Schultz‘ als eine Art Seniorat bezeichnen. Hat z. B. der Familien⸗
zründer zwei Söhne 4 und B hinterlassen und den A zum Erben eingesetzt,
so erben bei As Ableben nicht dessen Kinder, sondern Beist der Erbe. Stirbt B,
1Ebd. 120. 2 A. a. O. 27. s Ebd. 31. Ebd. 39.
324 Fünfter Teil. Australien und Ozeanien.
so muß der Name an die Kinder des A zurückkehren usff. Ob die Brüder von
derselben Mutter oder von verschiedenen Müttern stammen, kommt nicht in Be—
tracht. Die Regel ist, daß der Erblasser im Testament seinen Erben ernennt.
Hat er kein Testament hinterlassen, so erfolgt die Ernennung des Nachfolgers
durch Familienbeschluß. In beiden Fällen muß die oben angegebene Erbfolge—
ydnung beobachtet werden. Unerläßliche Voraussetzung der Erbfolge ist persön—
liche Tauglichkeit des Nachfolgers. Ungeeignet sind z. B. Schwachsinnige, Ver—⸗
krüppelte und solche, die sich lieblos gegen das jeweilige Familienhaupt benehmen.
Die Hauptindustrie der Samoaner besteht im Bau ihrer Pirogen und ihrer
Häuser. Ihre Skulpturen bestehen in rohen Darstellungen von Vögeln und
kleinen Statuen an ihren Pirogen. Sehr geschickt sind sie in der Herstellung
von Geweben; aber bei allen ihren Handwerken handelt es sich nur um eine
durch Routine erworbene Geschicklichkeit; sie machen alles so, wie es ihre Väter
seit jeher gemacht haben. Die Frauen beschäftigen sich besonders mit Verfertigen
von verschiedenen farbigen Stoffen, Matten, Körben usw. Der Handel der
Samoaner untereinander beschränkt sich auf Tauschhandel; mit den Fremden
handeln sie in Schweinen, Geflügel, Talo, Ignamen usw. und erhalten dafür
Gewehre, Pulver, Ärte, Messer, Tabak usw.
Den Charakter der Samoaner schildert P. Violette in dunkeln Farben.
Der Samoaner ist stolz, hochfahrend und prahlerisch; überall sucht er mit seinem
Können zu imponieren, sich als Meister aufzuspielen, und besonders die Adeligen
schauen mit Geringschätzung auf andere herab. Stets haschen sie nach Lob
und mit geschickt gespendetem Lob kann man alles von ihnen erlangen. Dabei
sind sie ihren Häuptlingen gegenüber von kriecherischer und sklavischer Gesinnung.
Sie sind verlogen und ihr falscher und unruhiger Blick verrät ihr Inneres.
Sie verstehen es, ganze Lügengewebe zu fabrizieren und kaltblütig vorzutragen.
Deshalb unterscheiden sie auch sehr wohl das, was sie öffentlich über eine Sache
sagen, und das, was sie unter Verwandten und Freunden denken. Sie haben
ausweichende Worte und Versprechungen, und alle verstehen, wie sie gemeint
sind. Daß die Samoaner an der allgemeinen Krankheit der Wilden, an einer
hochgradigen Trägheit, ihren redlichen Anteil haben, versteht sich fast von selbst!.
Auch sind sie äußerst unbeständig und wankelmütig und vagabundieren gern
umher, was auch das Familienleben nachteilig beeinflußt. Als Violette eines
Tages von der Unauflöslichkeit der Ehe sprach, unterbrach ihn ein Greis, der
ihm aufmerksam zuhörte, und sagte: „Nie wird Samoa diese Lehre ausüben
können!“⸗
Neben den schlechten Eigenschaften haben sie auch gute, die aber allerdings
an die guten Eigenschaften der Kinder erinnern. Sie sind kriegerisch und nicht
ohne Tapferkeit, sie sind großmütig und keilen untereinander gern die Nahrung,
die sie haben; auch sind sie leicht bereit, einander bei der Arbeit zu helfen.
Ihre gewöhnlichen Beziehungen zueinander sind höflich und freundlich. Streitig—
keiten unter ihnen sind nicht häufig. Ihre Häuser haben weder Schlösser noch
Riegel und doch sind Diebstähle sehr selten; sie ergreifen leicht die Verteidigung
eines unschuldig Verfolgten, ein bißchen aus Prahlerei; sie üben die Gast—
Missions catholiques 1870, 155. 2 Ebd. 156.
5. Die Samoaner.
525
freundschaft und rühmen sich, die Fremden gut zu empfangen. Seitdem der
Handelsgeist ins Land gekommen, hat ihre Großmut und Gastfreundschaft ab⸗
genommen; die Ausländer haben diese Eigenschaften mißbraucht. — Die Sa⸗
moaner sind sehr mild gegen ihre Frauen, behandeln sie gut und aufmerksam. —
Wenn sie sich trotz der Missionäre nur langsam den Grundsätzen des Evan⸗
geliums zugänglich zeigen, so ist daran, wie Violette klagt, das schlechte Beispiel
der englischen Sträflinge schuld, welche diese Inseln besuchen. Daß es auch an
Edelsinn den Samoanern nicht fehlt, haben nicht nur Neubekehrte, sondern auch
Heiden gezeigt. Ein Häuptling, der heute Katholik ist, erzählte dem P. Violette:
In einem Kriege sagte mein Vater zu seinen Untertanen, um ihr Leben zu
erhalten: ‚Fliehet in den Wald, verberget diese meine Kinder hier; ich werde
hier in meinem Hause bleiben und den Feind erwarten, der herannaht.“ Er
blieb, wurde getötet, die Seinigen aber wurden gerettet.““
Die Werklagskleidung der Samoaner besteht aus einem Gürtel mit herab⸗
hängenden Blättern. Das Tätowieren ist im Gebrauch, aber nicht sehr kom⸗
pliziert. Die Samoaner haben auch zahlreiche verbotene Gegenstände. Diese
find doppelter Art: die Tapus und die Paias. Das Tapu ist eine Art bürger⸗
liches Interdikt, der paia dagegen ist ausschließlich religiiss. Die Tapus
wurden im allgemeinen von den Ratsversammlungen ausgesprochen, in der—
selben Weise verkündet wie die Gesetze und beruhten auf Gründen des öffent⸗
lichen Wohls. Jeder Häuptling hatte das Recht, in seinem Gebiete Tapus
zu verkünden, sogar jeder gewöhnliche Mann konnte seine Kokos, seine Früchte
für Tapu erklären. Die Samoaner benutzten so gegenseitig ihre Furcht und
ihre Vorurteile zur Erhaltung des Eigentums?. Die Paias hingegen hatten
nur einen Grund: Gewisse Personen oder Sachen waren zu heilig, um berührt
werden zu dürfen. Die Eitelkeit der adeligen Kaste hat nach Violette viel zur
Entwicklung dieses Aberglaubens beigetragen. Die Adeligen rühmten sich ihrer
Heiligkeit und jede Verwandtschaft war bemüht, ihr Ansehen durch Ehrfurchts⸗
bezeigungen gegen die heilige Person ihres Häuptlings zu erhöhen. Einige
Häuptlinge galten als so heilig, daß man sie während des Tages nicht anblicken
durfte. Heute aber verschwindet dieser Aberglaube. Das Tapu wurde in öffent⸗
licher Versammlung aufgehoben, den Paia konnte die Person beseitigen, die ihn
festgesetzt hatte. Schon zur Zeit, als Violette seinen Bericht schrieb, war der
Paia verschwunden, die Tapus aber bestanden noch.
Daß die Samoaner ähnlich wie die Tonganer ehemals dem Kannibalismus
huldigten, scheint sicher zu sein, obwohl sie es heute in Abrede stellen und als
schimpflich ansehen. Violette selbst lernte einen Eingebornen kennen, der nach
eigenem Geständnis in seiner Jugend Menschenfleisch gegessen hatte. Nach dem
Krieg verzehrten die Samoaner die Gefangenen. Sie versammelten sich um die
Züche oder den Ofen und jeder, der wollte, beteiligte sich an dem Mahle.
Die Sprache der Samoaner wird von Violette als sehr formenreich und
biegsam geschildert. Oft wissen sie durch Veränderung eines einzigen Buch—
stabens die Bedeutung eines Ausdrucks zu ändern oder zu modifizieren. Auch
J
Ebd.
Hieraus scheint zu folgen, daß auch die Tapus irgendwie religiöse Bedeutung hatten.
326
Fünfter Teil. Australien und Ozeanien.
die Poesie ist ihnen nicht fremd. Als Violette eine alte Frau hörte, die ihr
Kind beweinte, wurde er unwillkürlich an die Klagelieder des Jeremias erinnert.
Sie schien eine Art Stanzen zu singen, in denen man lebende Redefiguren und
rührende Allegorien bemerkte!.
Im Anfang der siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts entbrannte auf
den Inseln ein Bürgerkrieg, der alle Verhältnisse umstürzte und das größte
Elend zur Folge hatte. Als endlich der Friede wiederhergestellt war, wurde eine
neue Verfassung beschlossen, in der sich der christliche Einfluß entschieden geltend
machtz. Die ganze Regierung, das Gerichtswesen wird darin neugeordnet,
strenge Strafen werden gegen Mord, Diebstahl, Ehebruch, Meineid, falsches
Zeugnis, Verleumdung, Rebellion usw. erlassen. Die Polygamie wird verpönt,
ebenso das Tätowieren; die Heilighaltung des Sonntags wird vorgeschrieben usw.
Ein eigenes Verbot wird gegen Betrinken, gegen den Verkauf von Likören er⸗
lassen. Über die Trunkenheit schreibt Bischof Elloy am 24. Januar 187438:
„Vor dem Kriege war die Trunksucht etwas bei den Samoanern vollständig
Unbekanntes. Sie verabscheuten die starken geistigen Getränke und verachteten
die Matrosen und andere Europäer, die sie zuweilen betrunken sahen. Gewissen—
lose Spekulanten benutzten die Unordnung während des Bürgerkrieges, um
geistige Getränke einzuführen. Nach Wiederherstellung der Ordnung wurden
aber strenge Gesetze gegen die Trunksucht erlassen und auch durchgeführt.“ Als
sich im Distrikt von Apia ein einflußreicher Häuptling betrank, wurde er von
den andern Häuptlingen abgesetzt und gestraft.
6b. Die Tahitier.
Die Einwohner der Gesellschaftsinseln werden nach der Hauptinsel
des Archipels gewöhnlich Tahitier genannt. Schon am Anfang des 19. Jahr⸗
hunderts wurden die Insulaner fast alle von englischen Missionären zum Christen⸗
tum bekehrt; diesen Missionären verdanken wir auch die Nachrichten über die
vorchristlichen Zustände auf den Inseln:.
Dem Charakter nach schildern sie die Reisenden und Missionäre als freund—
lich, höflich und gefällig, zugleich aber als äußerst leichtsinnig, vergnügungs-
üchtig, träg und indolent. Sie sind stolz und reizbar und nicht ohne Mut.
Ihre Talente und ihre Geschicklichteit sind nicht gering. Die Hauptfehler waren
die Lust am Stehlen und Neigung zu Ausschweifungen. Die Kleidung der
Männer bestand in dem bekannten Maro, das bei den Gemeinen die einzige
Tracht war. Vornehme trugen dazu noch die Tiputa, ein langes Stück Zeug
mit einem Loch in der Mitte, den Kopf durchzustecken, das vorn und hinten
Missions catholiques 1870, 208.
Der Text dieser Verfassung findet sich in den Missions catholiques 1874, 850 ff.
Ebd. 836.
Vgl. Meinicke, Die Inseln des Stillen Ozeans II 170 ff; Meinicke stützt sich
auf die Angaben der englischen Missionäre; ferner Burkhardt-Grundemann, Die
vangelische Mission in Polynesien, Neuseeland usw.? (1881) 82 ff; Paul Huguenin,
cQRaiatéa la sacrée, in dem Bulletin do la Société Neuchateloise de Géographie XIV
(1902 - 1903).
6. Die Tahitier.
527
lang herabhing. Die Haupttracht der Frauen war das Pareu, ein Stück Zeug,
das den ganzen Leib bis zu den Beinen herab umgab und dessen Ende über
die Schulter geworfen oder über dem Arm getragen wurde. Heute sind fast
allgemein europäische Kleider im Gebrauch. Das Tätowieren war allgemein,
besonders bei den Männern. Die Hauptbeschäftigung war der Landbau und
der Fischfang.
Religion!. Die Tahitier hatten viele Götter (atua), die in zwei Klassen
zerfielen: die oberen und allgemein anerkannten und die aus den Seelen ge—
storbener Vornehmer hervorgegangenen, abgesehen von zahlreichen unbestimmten
und mythischen Gottheiten, die kein Gegenstand des Kultes gewesen zu sein
scheinen. Die Zahl der oberen Götter ist nicht sicher bekannt. ... Der
oberste von allen ist Ta'aroa oder Tangaroa, der Schöpfer aller Dinge;
außerdem werden genannt Räa, dessen Bedeutung nicht klar ist, Teiri, ein
Kriegsgott; Tane galt speziell als Schutzgott der Insel Huahine. Besonders
zeehrt war Oro, der bedeutendste Kriegsgott der Tahitier, der, obwohl auf allen
Inseln anerkannt, doch aus der Vergötterung eines Menschen hervorgegangen
und ursprünglich in Raiatea verehrt gewesen zu sein scheint; vielleicht verhält
es sich mit dem ebenfalls viel verehrten Gotte Hiro, dem Gott der Diebe, nicht
anders. Endlich kannten die Tahitier wie andere Polynesier den Maui, dem
sie Anteil an der Weltschöpfung zuschrieben, der aber auch bei ihnen mehr eine
mythologische Persönlichkeit als ein eigentlich verehrter Gott war. — Die zweite
Goͤtierklasse, die sehr zahlreich war, bezeichnete man mit dem Namen Ti'i, auch
die Oramatua gehoͤrten zu ihnen. Was das Verhältnis zwischen beiden Klassen
betraf, so nahm man an, daß es eine andere Welt gebe, in der die Götter
lebten. Es gab darüber zwei abweichende Ansichten: die eine, daß es eine Art
Paradies sei, angefüllt mit allem Wünschenswerten, die andere, wonach es die
Nacht (po) ist, in der die älteren Götter leben, die deshalb Fanaupo (die
Nachtgebornen) heißen; in diese Nacht gingen die Seelen der Vornehmen nach
dem Tode über und wurden hier von den älteren Göttern gefressen, „was
augenscheinlich auf das Aufgehen derselben in die Personen der ursprünglichen
Götter deutet“ 2.
Nach Huguenins zog die Seele nach der Trennung vom Leibe zu einer
Gruppe von Steinen am Ufer. Auf Tahiti und Murea gab es nur zwei solcher
Steine, der eine hieß Stein des Lebens, der andere Stein des Todes. Auf
Raiatea gab es drei solcher Steine. Die Seele, die als blind gedacht wurde,
berührte auf das Geratewohl einen der Steine. Berührte sie den Stein des
Todes, so wurde sie vernichtet, berührte sie dagegen den Stein des Lebens, so
begann sie ihre Wanderungen. Zuerst hielt sie sich einige Zeit in Mehani auf
und zog dann definitiv auf das kleine Inselchen Tupai oder Motuiti, im Nord⸗
westen von Borabora. Dieses Inselchen ist seit jeher unbewohnt und nur zur
Kopraernte geht man in zahlreicher Gesellschaft auf dasselbe. Von Tupai machen
die Seelen oft Besuche bei den Lebenden, um sie zu erschrecken. Außer Tupai
gab es noch einen andern Aufenthaltsort für die Seelen, eine Art Hölle, die
Meinicke a. a. O. II 178ff. Huguenin sa. a. O. 160 ff.
z Meinicke a. a. O. I I79. s A. a. O. 175.
3528 Funfter Teil. Australien und Ozeanien.
sich unter dem höchsten Berg von Raiatea befand. Dieser in ewige Nacht (po)
gehüllte Ort hieß Rohutu. Er bestand aus zwei Abteilungen; die eine hieß
Rohutu namua (der Rohutu des Anfangs) und war eine Art Reinigungsort,
in dem die Seelen, welche nicht genügende Andacht für die Verehrung der
Marae gezeigt hatten, längere Zeit gequält wurden. Dann kamen sie nach
Rohutu noanoa, wo sie unter dem Schutz des Gottes Urataetae einige Taͤnze
aufführten. An dem Tor von Rohutu namua stand der Priester oder Gott
Romatane, der die Seelen in das Paradies zulassen oder davon ausschließen
konnte. Einige von den aus Rohutu noanoa ausgeschlossenen Seelen ver—
wandelten sich in eine Art unterer und böswilliger Götter. Dem Sterbenden
wurden oft Federn von einem bestimmten Vogel an dem Mittelfinger der rechten
Hand befestigt, um zu verhindern, daß seine Seele von dem Gott in Pö Macht)
derzehrt werde. Sollte nicht vielleicht die oben erwähnte „Vernichtung“ einiger
Seelen bloß ihr Verschwinden in der Nacht (po) der Unterwelt bedeuten?
Man hatte Bilder der Götter, die oft roh in Menschenform aus Holz
geschnitzt, oft bloße Steine waren, allein diese Idole galten nicht als Darstel⸗
ungen der Götter, sondern dienten ihnen nur zeitweise als Aufenthaltsort und
erhielten bloß dann, wenn dies der Fall war, Verehrung. Nicht bloß in diese
Bilder, sondern auch in andere Dinge gingen Götter zuzeiten ein, so z. B.
in verschiedene Tiere, Muscheln und Bäume. Die Tempel, die ursprünglich
Begräbnisstätten waren, hießen Marae; es gab Marae für die ganze Bevölke—
rung eines Distrikts oder für die Familie eines Ra'atira, je nachdem der Gott,
dem sie geweiht waren, aus einem König oder einem Distriktshäuptling oder
einem Ra'atira hervorgegangen war. Der Bau der Marae, deren Trümmer
noch jetzt häufig die Bewunderung der Reisenden erregen, war stets derselbe.
Es waren viereckige Plätze, an zwei Seiten von hohen Wällen von Stein
und vorn mit einem niedrigen Zaun umschlossen; die vierte Seite bildete ein
—D
heiligste ausmachte; auf ihm standen die Altäre (kota), Tafeln auf künftlich
geschnitzten Pfeilern oft von bedeutender Größe, die man mit den Blättern
heiliger Bäume verzierte und auf denen die Priester Opfer hinlegten, dann
kleine Häuser zum Aufbewahren der Götterbilder, der heilige Fächer, mit dem
man die Fliegen von den Opfern verjagte, die Götterboote usp. Am bedeutendsten
waren die nationalen Marae, die manchmal aus mehreren, von einer gemein⸗
samen Steinmauer umschlossenen Marae bestanden. Priester (tahu'a) sorgten
für den Gottesdienst, aber nur für die nationalen Marae gab es eine besondere
Priesterklasse, deren Amt erblich war und die unter einem vom König ernannten
Oberpriester stand; es waren alles Vornehme und der Oberpriester gewöhnlich
ein naher Verwandter des Königs. Sie besaßen bedeutendes Ansehen, waren
die Bewahrer aller Kenntnisse, zugleich Arzte und besorgten die Tätowierung.
Eine ihrer Hauptfunktionen war, von ihrem Gott inspiriert zu werden und seine
Befehle zu verkunden. In den Distrikts- und Familienmarae vertrat der Distrikts-
häuptling und der Ra'atira die Stelle des Priesters!.
Meinicke, Die Inseln des Stillen Ozeans II 180.
6. Die Tahitier.
s29
Der Priester leitete den Gottesdienst (na'amore), der hauptsächlich aus
Gebeten und Opfern bestand. Die Gebete (ubu) wurden nach bestimmten
Formularen gehalten, dabei saß oder kniete der Betende auf einem Stein, warf
einen Thespesiazweig gegen den Altar, auf dem das Götterbild lag, und sprach
dann das Gebet, welches nicht nur bei religiösen Handlungen, sondern auch
bei allen wichtigen Ereignissen des Lebens gebraucht wurde. Die Opfer bestanden
in Lebensmitteln, Zeugen usw. Schweine gab man oft lebend und ließ sie
dann frei im Marae umherlaufen, auch hütete man sich, beim Schlachten die
—X
beim Fischfang brachte man Erstlingsopfer. Die geschätztesten Opfer, die nur
auf den nationalen Marae und den höchsten Göttern dargebracht werden durften,
waren Menschenopfer, die bei Krankheit oder beim Tod der Könige, im
Kriege, beim Bau eines Tempels, wo jeder Pfosten durch eine Leiche geschlagen
wurde usw., stattfanden. Man nahm dazu im Kriege Erschlagene, im Notfall
auch Menschen niederen Standes, die man hinterlistig erschlug. Bei der Opferung
aberreichte der Priester das Auge dem König, der es zu Munde führte, eine
Sitte, aus der man noch nicht auf das frühere Bestehen der Anthropophagie
schließen darf, wie oft geschehen ist; dann hing man die Leichen in einem Korbe
an einen Baum und begrub sie später im Marae. Übrigens sollen die Menschen⸗
opfer, die besonders mit dem Kult des Gottes Oro verbunden gewesen zu sein
scheinen, dort erst im 18. Jahrhundert aus den westlichen Inseln in Tahiti
eingeführt und früher dem Gott an Stelle der Leiche ein Bananenstamm dar—
geboten worden sein?.
Religiöse Feste gab es mehrere teils außergewöhnliche bei besondern
Ereignissen, teils regelmäßig wiederkehrende, wie das Paeatua alle Vierteljahre,
bei dem die Götzenbilder in feierlichem Zuge in den Marae gebracht und neu
bekleidet und gesalbt wurden, das jährlich wiederkehrende Maoa raä matahiti
Vollendung der Insel), das nach den Missionären eine Art Totenfest und mit
Gebeten für die im Jahre Gestorbenen verbunden war und von allen ohne Aus⸗
nahme, nicht wie die übrigen religiösen Handlungen nur von den Männern
gefeiert wurde. Augurien und Orakel gab es mehrere, ebenso betrieben die
Priester die Zauberei.
Das Tapu war von den Tahitiern nach allen Seiten hin anerkannt. Man
unterschied das, was heilig (rau, moa) war, dem die Kraft des Tapu bei—
wohnte, von dem, was gemein (noa) war und dem das Tapu nur auferlegt
werden konnte. Heilig war vor allem, was mit den Göttern zusammenhing,
ferner alle Vornehmen und alles, was ihnen gehörte. Was der König berührte,
var dem Gebrauch der Menschen für immer entzogen; die dem Tapu Unter⸗
worfenen waren gehindert, mit eigenen Händen Speise zu genießen. Auf alle
Dinge konnte von den Vornehmen nach Willkür das Tapu gelegt werden. Bei
der Erkrankung oder dem Tod eines Vornehmen oder bei der Niederkunft seiner
Frau wurde ein besonderes Tapu auf den ganzen Bezirk gelegt, durch Priester⸗
herolde bekannt gemacht und durch Fahnen auf den Wegen bezeichnet; nie⸗
mand durfte dann Feuer anzünden, eine Seefahrt antreten usw. Erst durch
1Ebd. II I8I.
Tathrein, Die Einheit d. sittl. Bewußtseins. III.
138
—330 Fünfter Teil. Australien und Ozeanien.
bestimmte Zeremonien konnten solche willkürlich aufgelegten Tapus wieder von
den Vornehmen entfernt werden. Die Frauen waren durch die Tapus argen
Beschränkungen unterworfen. Sie durften nicht mit den Männern zusammen
essen, selbst ihre Speisen nicht in demselben Ofen bereiten, viele Nahrungs⸗
nittel waren ihnen untersagt, sie durften niemals einen Marae betreten, an
teiner gottesdienstlichen Handlung teilnehmen. Jeder Bruch des Tapu wurde
dvon den Menschen mit dem Tode, von den Göttern durch Krankheiten und Un—
fälle bestraft.
Eigentümlich war den Tahitiern die Institution der Areoi. Es war eine
Vereinigung von Vornehmen, ohne Rücksicht auf die Staaten, denen sie an—
zehörten. Sie waren früher im höchsten Grade geachtet, jedoch in der neuesten
Zeit, in der wir die Vereinigung ohne Zweifel nur im Zustand des Verfalles
kennen gelernt haben, tat sie sich nur durch ihre grenzenlosen Ausschweifungen
und durch den unglaublichen Druck hervor, den sie, durch die Kraft des Tapu
geschützt, auf die niederen Volksklassen ausübte. Das hohe Alter der Institution
geht schon daraus hervor, daß man sie als von einem Sohne des Gottes Aro
gestiftet ansah. Die Areoi zerfielen in sieben Klassen, deren Mitglieder sich
durch den zunehmenden Grad der Heiligkeit, äußerlich durch besondere Täto⸗
wierung unterschieden; außerdem gehörten zu ihnen noch die Fanaunau, die
niederen Standes waren und ihnen als ihre Diener folgten, aber nicht, wie
alle Areoi, gehalten waren, die von ihnen erzeugten Kinder bei der Geburt zu
töten. Der Eintritt in die Gesellschaft galt für eine Folge göttlicher Inspira—
tion, die Aufnahme erfolgte bei einem Feste unter mancherlei Zeremonien und
war mit der Annahme eines neuen Namens verbunden. Die Haupttätigkeit
der Areoi bestand darin, daß sie in kleinen Gesellschaften von Insel zu Insel
zogen, Feste feierten und Tänze aufführten, wobei sie auf das luxuriöseste be—
wirtet wurden 1.
Das Begräbnis eines Vornehmen war sehr feierlich. Gleich nach dem
Tode nahm ein Priester eine Zeremonie vor, um die Ursache des Todes zu
entdecken, und dann eine andere, um die Überlebenden vor den Nachteilen zu
schützen, welche der Todesfall ihnen bringen konnte. Hierauf wurde die Leiche
in weißes Zeug gewickelt und in den für sie bestimmten Marae gebracht. Hier
errichtete man eine Art offenen Schuppen (tupapau), über den ein leichtes
Gerüst gestellt wurde, das sich hervorziehen ließ. Auf dieses Gerüst legte man
die Leiche, nachdem man vorher Eingeweide und Gehirn herausgenommen, die
Bauchhöhle mit wohlriechendem Zeuge gefüllt, alle Feuchtigkeit mit den Händen
möglichst ausgedrückt und den Körper gesalbt hatte. Damit war noch eine
besondere Zeremonie verbunden: der Priester ließ ein Loch im Tupapau graben,
ttellte einen Pfahl hinein und füllte es mit Erde, wobei er Gebete an den Gott
richtete, der mit der Seele des Toten in engere Verbindung treten sollte. Daß
damit der Tote bereits als Gott angesehen wurde, erhellt daraus, daß man ihm
neben dem Tupapau einen Altar errichtete und Opfer darbrachte. So blieb
die Leiche liegen, bis alles Fleisch verfault war, dann wurde der Schädel davon
getrennt und, in weißes Zeug gewickelt, von der Familie aufbewahrt, das Skelett
Meinicke, Die Inseln des Stillen Ozeans II 182-188.
6. Die Tahitier.
531
aber im Marae in sitzender Stellung mit heraufgezogenen Knien, die Hände
unter die Beine gelegt, begraben. Ähnlich geschah es mit Leuten niederen Standes,
nur daß sie nicht im Marae beigesetzt wurden. Trauerfeierlichkeiten mit Zer⸗
fleischen und Verletzen des Leibes kamen namentlich beim Tode des Königs vor.
Die Bevölkerung teilte sich in zwei Klassen, die Vornehmen, denen das
Tapu in verschiedenem Grade zukam, und die Gemeinen. Unter den Vornehmen
gab es wieder drei Abteilungen. An der Spitze des Staates stand das Hui ari'i
oder die königliche Familie, deren Haupt der König (Ari'i) war. Dieser wurde
mit unbegrenzter Ehrfurcht behandelt, ja geradezu den Göttern gleichgestellt und
wie sie mit Gebeten und Opfern verehrt. In der Leitung des Staates besaß
er absolute Gewalt, sein Wille war Gesetz; einige Distrikte waren sein persön⸗
liches Eigentum und standen direkt unter ihm. Jedermann mußte sich in seiner
GBegenwart den Oberkörper entblößen. Jedes Haus oder Land, das er betrat,
war infolge des ihm beiwohnenden Tapu für seinen Besitzer verloren; daher besaß
er in jedem Distrikt besondere Häuser, die für heilig galten, und bei Verände—
rung des Aufenthaltes wurde er von einem Manne auf den Schultern getragen.
Seine Würde war erblich; nach einer eigentümlichen Sitte, die nicht bloß beim
König, sondern in analoger Weise auch bei allen Vornehmen bestand, legte der
König bei der Geburt eines Sohnes die Krone nieder; diese ging auf das Kind
ͤber, in dessen Namen fortan der König den Staat regierte. Es geschah das
wvohl, um die Verlegenheiten, welche das Tapu brachte, auf einen andern zu
übertragen. Die wirkliche Regierung übernahm der junge König erst im 18.
oder 20. Jahre unter großen Feierlichkeiten, bei denen er durch die Priester
mit dem Maro ura, dem roten Gürtel, bekleidet wurde, einem Gürtel von
feinem weißen, mit roten, von den Götterbildern entnommenen Federn durch—⸗
webten Zeuge, dem bei jeder Thronbesteigung ein Stück hinzugefügt wurde und
der den König den Göttern gleichstellten.
Unter dem König stand zunächst der hohe Adel, die Ari'i, welche Ver⸗
walter der einzelnen Distriklte waren. Ihre Würde war erblich, aber eine An—
erkennung des Königs notwendig. In den Distrikten besaßen sie Ländereien
als Eigentum; alles übrige war im Besitz der Ra'atira, die als Grundeigen⸗
tümer ein wichtiges Element im Staate bildeten und im Notfall einen ent—
cheidenden Einfluß auszuuben vermochten.
Die zweite Klasse des Volkes, die Gemeinen, zerfiel wieder in zwei Ab—
leilungen: die Manghune (teils Pächter der Grundbesitzer, teils Fischer, Hand—
werker usw.) und die Teuteu, zu denen meist die Diener der höher stehenden
Klassen gehörten. Endlich gab es noch Sklaven, die aus Kriegsgefangenen
hervorgingen.
Die Ordnung der Verwaltung war sehr einfach, da der König alles nach
seinem Wohlgefallen bestimmte und Gehorsam fand. Ofter fanden Versamm⸗
lungen der Vornehmen statt, aber ganz nach der Willkür des Königs. Eine
ordentliche Gesetzgebung kannte man nicht, obschon für gewisse Vergehen, wie
Ungehorsam gegen den König, Diebstahl, Bruch des Tapu usw. bestimmte
Staten feststanden. Die Steuern wurden dem König und den Ari'i in Lebens⸗
Ebd. II 185.
4
332 Fünfter Teil. Australien und Ozeanien.
mitteln, Zeugen usw. nach bestimmter Ordnung entrichtet, die jedoch Erpressungen
nicht ausschloß. Ein Eigentumsrecht an Grund und Boden bestand für die
Vornehmen; auch die Teile des Meeres zwischen der Küste und dem Barriereriff
galten als Privateigentum, die Grenzen bestimmte man durch natürliche Gegen⸗
stände, Steine, aufgestellte Bilder der Ti'i!.
Die Tahitier lebten in Polygamie, vor allem die Vornehmen, bei denen
aber nur die vornehmste Frau als die Ehefrau, die übrigen fast als ihre
Dienerinnen galten. Die Verlobungen geschahen häufig schon früh; die wesent⸗
liche Zeremonie der Hochzeit bestand darin, daß der Bräutigam ein Stück Zeug
tapoi) auf die Braut oder Freunde der Brautleute auf beide warfen; außer—⸗
dem fand bei Vornehmen noch eine religiöse Feier im Marae statt, bei der ein
Priester beide Brautleute verband, und im Hause der Braut errichtete man einen
kleinen Altar, auf den man die Schädel der Vorfahren legte. Die Frauen
standen zwar viel tiefer als die Männer, wurden aber nicht hart behandelt.
Die Sittlichkeit lag jedoch sehr danieder. Alle Unverheirateten hatten volle
Freiheit, und auch bei Verheirateten beider Geschlechter waren Fälle von ehelicher
Untreue nur zu häufig. Die Ehen wurden auf das leichtsinnigste getrennt; bei
Vornehmen blieb jedoch die geschiedene Frau wenigstens dem Namen nach Ehe⸗
frau. Bei der Geburt eines Kindes wurden viele Zeremonien verrichtet, von
den Vornehmen im Marae. Abortus war nicht selten und Kindermord scheint
in schrecklicher Weise geübt worden zu sein. Die Kinder wurden erwürgt oder
lebendig begraben, und zwar meist von den eigenen Eltern oder den nächsten
Verwandten. Die Eltern liebten übrigens die Kinder, die sie verschonten, zärtlich
und erzogen sie durch Wort und Beispiel?.
Die Lebensart der Tahitier war sehr einfach. Die Sorge für Haus und
Boot, Fischfang und Landbau lag den Männern, die für die Wirtschaft,
Zeugbereitung usw. den Frauen ob, allein ein großer Teil der Zeit wurde von
beiden Geschlechtern den über alles geliebten Vergnügen, Spielen, Tänzen usw.
gewidmet.
7. Die Paumotu.
Die Bewohner des weitausgedehnten Paumotu-(Tuamotu)-Archipels (Ost⸗
volynesien) bieten ein besonderes Interesse wegen ihrer eigentümlichen religiösen
Anschauungen und Überlieferungen. Heute sind sie fast ausnahmslos Christen,
aber wir haben noch Nachrichten über die heidnischen Gebräuche dieser Insulaner
aus der Feder des P. Albert Montitons aus der Kongregation des heiligsten
Herzens, der während seiner langen apostolischen Tätigkeit auf diesen Inseln
sich viele Mühe gegeben hat, die alte heidnische Religion der Insulaner zu
erforschen.
Kosmogonie. Am Anfang hielten sich Himmel und Erde fest umschlungen.
In ihrer Mitte befand sich ein Volk von Riesen. Zwei derselben, Tahitofenua
(der Alte der Erde) und Ronamakaitua, sein Bruder, griffen den Maraukura
Meinicke, Die Inseln des Stillen Ozeans II 186. 2 Ebd. 187-188.
VBgl. Missions catholiques 1874, 342 ff. Die Schilderungen des Missionärs gelten
zunächst von der Insel Fangatau (auch Angatau genannt).
7. Die Paumotu.
533
an, töteten ihn, verzehrten sein Fleisch und brachten seinen Kopf Gott als
Opfer dar. Oatea, der Bruder Maraukuras, entging dem Tode, weil ihn
seine Mutter in der Achselhöhle verbarg. Groß geworden, tötete er den Mörder
seines Bruders, aß sein Fleisch und opferte Gott seinen Kopf. Er wollte
auch den jungen Tane, den Sohn des Mörders, umbringen, aber dieser entkam
durch das schlecht bewachte Sonnenloch und verbarg sich oberhalb des Firma—
menies. Als er groß und die Mörder seines Vaters alt geworden, beschloß
er, sich durch das Firmament einen Weg zu bahnen und den Mörder seines
Vaters zu bekämpfen. Zu dem Zweck sammelte er seine Leute. Einer derselben,
Tamaru, begann mit gewaltigen Steinschlägen das Himmelsgewölbe zu zer⸗
bröckeln, ein anderer, Tagaroa, zündete ein großes Feuer an, um das Gewölbe
zu erweichen. Tane selbst brach mit ungeheuern Felsen eine Bresche in das
Firmament und stürzte mit Blitzesschnelle und unter donnerndem Gekrach auf
die Erde, um seine Gegner aufzusuchen. Um sich einen größeren Kampfplatz
zu schaffen, breitete er das Firmament aus, hob es bis zu einer bestimmten
Höhe und verfolgte dann wütend den Oatea. Dieser floh lange von einem
Ende des Himmels bis zum andern, wurde aber endlich ergriffen und von
Tane aus dem Himmel gestoßen und in ein großes Feuer geworfen.
Während des Riesenkampfes zwischen Tane und Oatea hatten sich die Atiru,
mächtige himmlische Geister, zerstreut und versteckt. Tane, der jetzt nach dem
glänzenden Sieg allein über Himmel und Erde herrschte, versammelte sie und
befahl ihnen, das Firmament höher in die Lüfte zu heben. Diese verteilten
unter sich die Arbeit entsprechend ihren symbolischen Namen, so daß die Kleinen
Ruiti), die Großen (Ranui), die Kurzen, die Langen, die Krummen, die Buck—⸗
ligen usw. sich gegenseitig unterstützten, und indem sie sich aufeinander stellten,
das Firmament bis zu seiner heutigen Höhe emporhoben. Dann durchlöcherten
die Pigau den Himmel, die Tope begossen ihn, die Titi nagelten ihn fest, die
Pepe hobelten ihn, die Moho kehrten ihn, ließen aber auf Tanes Befehl einige
Späne zurück, die man jetzt in Gestalt von Wolken erblickt. Tane, der Herr
bon allen, stieg endlich zu den höchsten Himmeln hinauf, stampfte sie unter
furchtbarem Getöse mit den Füßen fest und erweckte und erfreute dadurch alle
seine Ahnen. Er befahl seinen Vasallen, die himmlischen Wohnungen, von denen
er auf diese Weise Besitz ergriffen, fest zu stützen, und er selbst errichtete auf
ꝛwigen Grundlagen seinen Thron und herrschte nun allein als souveräner Herr
über alle Dinge?.
Die Erde stand damals noch unter Wasser, aber Tefaafanau (der Brüter)
zog sie aus dem Wasser. Zuerst kam nur eine Stelle an die Oberfläche, aber
langsam vergrößerte sich die Erde bis zu ihrer heutigen Gestalt und bedeckte
sich allmählich mit Pflanzen, Sträuchern und großen Bäumen. Nachdem sich
die Erde, die Quelle und Mutter aller Dinge, vom Himmel und Wasser los⸗
gemacht hatte, gebar sie den Tag, die Nacht, die Morgenröte, die Sonne, mit
cinem Worte alle belebten und unbelebten Wesen, auch den Menschen, der nach
einigen Magamaga hieß. Doch gilt auf allen Inseln Tiki als der erste
Mensch, als der wahre polynesische Adam, der, wie der Adam der Bibel. der
1Ebd. 343.
534 Fünfter Teil. Australien und Ozeanien.
erste und der große Verbrecher war, der Mörder seiner ganzen Nachkommen⸗
schaft, noch bevor er Voter wurde. Tiki soll nach den einen von selbst aus
dem Meeressand geboren sein, nach andern ging er lebendig aus einem Kiesel
hervor. Wie er aber immer entstanden sein mag, er bildete aus einem Sand⸗
haufen Vahuone, die erste Frau, die er zu seiner Gefährtin und Gattin erkor.
Aus ihrer Verbindung entsprang eine Tochter, Hina, in die sich später ihr Vater
Tiki verliebte. Als Vahuone dieses Verhältnis entdeckt hatte, floh Hina aus
Scham in den Mond, wo man noch jetzt ihr Gesicht sieht, und Tiki gab sich
aus Verdruß selbst den Tod, der zugleich mit seiner Sünde auf seine ganze
Nachkommenschaft überging. Von Tiki und Hina wurde Maikuku geboren,
Maikuku zeugte den Tiniafu, Tiniafu zeugte den Tehurikiatu, Tehurikiatu zeugte
den Pagahuruhura, Pagahuruhura zeugte den Riro, Riro zeugte den Rii, Rii
zeugte zuerst Menschen und dann Hunde, nachdem er von Maui aus Eifersucht
darüber, daß ihn die gemeinsame Frau zu bevorzugen schien, in einen Hund
derwandelt worden war.
Dieser Maui, ein mächtiger und böser Geist, hatte dem Tekina seine Frau
weggenommen; es gelang aber Tekina, sie wieder zu erlangen; zur Rache dafür
tötete ihn Maui, schnitt ihm den Kopf ab und pflanzte ihn in den Boden;
aus diesem Kopf wurde ein Kokoßsbaum. Maui tötete auch den Mauike, der
sich geweigert hatte, im Augenblick der Geburt zum Beten zu kommen. Derselbe
Maui soll, wie man sagt, Tahiti, das auch Hawaiki heißt, aus der Tiefe des
Meeres herausgefischt haben. Er ist auch der polynesische Josue; denn er soll einst
die Sonne eingefangen haben. Seine Mutter konnte einmal die Speisen vor
Sonnenuntergang nicht gehörig fertig kochen, da stellte sich Maui an den Rand
des Loches, aus dem die Sonne jeden Morgen hervorzugehen scheint; nach ver⸗
schiedenen vergeblichen Bemühungen gelang es ihm endlich, sie zu erwischen und
eine Schnur an ihr zu befestigen, mit deren Hilfe er nun nach Belieben den
Lauf der Sonne regulieren kann.
Die Paumotumythologie redet ferner von einer Sündflut. Die Bewohner
der Insel Taiero (Taiaro?) hatten den Temahaga ermordet. Der mächtige
Geist des Erschlagenen verband sich mit dem Geist seines Großvaters, seines
Schutzgeistes, und von diesem unterstützt erregte er die heftigsten Stürme und
Regengüsse. Dann zertrümmerte er alle umliegenden Inseln und versenkte sie
ins Meer, so daß fast alle Menschen in den Wellen umkamen. Dem Wüten
dieses Geistes schreibt man die über die Inselriffe hervorragenden Felsblöcke
zu, er soll sie aus der Tiefe des Meeres emporgeschleudert haben. — Eine
Legende erzählt weiterhin von einem Riesen, der wegen eines Sakrilegs, indem
er einem Götzen die Opferspeise stahl, von einem Haifisch verschlungen wurde,
aber mit einem Haifischzahn das Tier so schrecklich peinigte, daß es vor Schmerz
auf ein Riff hinaufschoß, wo ihm der Riese den Garaus machte.
Auffallend ist besonders folgende Überlieferung. Tekurotoga, eine heilige
und bevorzugte Jungfrau, empfing und gebar durch die wunderbare Macht
Tanes ohne Verletzung der Jungfräulichkeit einen Sohn mit Namen Tukihakia.
Tane fand sie im Hause ihres Vaters Keha im Himmel, als er, von Oatea
verfolgt, in den Himmel zog. Diese jungfräuliche Mutter wird besonders auf
Fangatau verehrt, wo man sie, wie einige sagen, namentlich gegen Kopfschmerzen
7. Die Paumotu.
535
anruft!. Am klarsten und allgemeinsten ist in der Mythologie aller Inseln die
Idee des Messias, der Tama (Sohn im auszeichnenden Sinn) oder Atua
Fakaora (Gott-Erlöser) heißt und die einzige Zuflucht der schuldigen und un⸗
glücklichen Rasse Tikis bildet.
Der mächtige Maui, von dem schon die Rede war, gab sich aus Liebe zu
seiner Mutter vergeblich Mühe, den Tod aufzuhalten, den die Sünde Tikis in
die Welt gebracht hatte. Eines Tages bemerkte er, daß die Haare seiner Mutter
anfingen grau zu werden. Auf die Frage, was das bedeute, antwortete sie,
es sind die Vorboten des Greisenalters und des nahenden Todes. Maui wollte
davon nichts wissen und suchte den Tiki im Meeresgrund auf, um ihm sein
unsterbliches Herz zu entreißen und sich selbst einzufügen, aber er mußte un—
verrichteter Dinge auf die Erde und zum sterblichen Leben zurückkehren.
Tama, der Gott-Erretter, verwirklichte auf andere Weise, was Maui um—⸗
sonst zu erreichen suchte. Er heilte die Menschen, wenn sie von hohen Bäumen
herabfielen, und bewahrte sie auch vor den Bissen der Haifische. Ebenso war
es Tama, der beim Tode eines Insulaners die Seele in den Himmel (Kororupo)
geleitete. Die Seelen, die nicht durch Tama Rettung fanden, wurden unbarm—
herzig in einen schlammigen Teich geschleudert, aus dem sie nie mehr wieder—
kehrten 2.
Wie die Leute von Fangatau sagen, stieg Tama eines Tages auf ihre
Insel herab, um Tagata, den Menschen, zu holen und zu unterrichten. Nach
Fangaiau zurückgekehrt, unterrichtete Tagata seine Landsleute in dem Worte des
Heiles, und nur die, welche dieses Wort beobachteten und zu
Tama, dem Gott-Erlöser, beteten, wurden von ihren Fällen
oder den Bissen der Haifische geheilt und nach ihrem Tode in
den Himmel geführt. Auch in andern Krankheiten betete man nicht zu
Tane, dem Herrn des Lebens, sondern zu Tama. Oft machten die Seelen noch
bor ihrer Trennung vom Leibe Ausflüge in die Unterwelt. An der Pforte trafen
sie Tama, ihren Erretter, der sie in ihre Leiber zurückzuschicken suchte. Bestanden
sie aber darauf, voranzugehen, so wurden sie definitiv vom Leibe getrennt. Tama
berließ sie aber nicht, sondern begleitete sie und unterstützte sie mit seinen weisen
Ratschlägen. Vor allem empfahl er ihnen, um keinen Preis von der vergifteten
Frucht zu essen, die ihnen zwei auf ihrem Wege befindliche bose Geister, Tamaui
ind Takatau, aufdrängen würden. Sollten sie das Unglück haben, gegen diesen
Rat davon zu essen, so würden sie von Tama verlassen, die Beute von Tap—
namea und Tukihiti und von ihnen für immer in einen schrecklichen Teich ge—
worfen werden. Tukihiti hatte vier Augen: zwei vorn und zwei hinten am
Kopf, so daß ihm niemand entgehen konnte. Er war der König der Unter—⸗
welt und hatte unter sich zahlreiche böse Geister, die wie er selbst Tag und
Nacht auf großen Pirogen Jagd auf die Seelen machten 8.
Schon aus dem Gesagten ersieht man den Glauben der Insulaner an das
Fortleben der Seelen nach dem Tode. Drei verschiedene Orte dienten
den vom Leibe getrennten Seelen als Wohnung. Der erste war der Paparagi,
das Paradies, d. h. der Olymp der Götter und Halbgötter, der schönste Wohn⸗
Missions catholiques 1874, 834. 2Ebd. 855. Ebd.
536 Fünfter Teil. Australien und Ozeanien.
sitz,, der den tapfersten Kriegern und den Personen der edlen und mächtigen
Geschlechter auf Erden vorbehalten war. Dann kam die Unterwelt, genannt
Kororupo. Diese war die allgemeine Wohnung der guten Leute aus dem ge⸗
wöhnlichen Volk, welche das Wort Tamas, des Gott-Erlösers, gelernt und befolgt
hatten. Sie lebten im Überfluß und in ewiger Freude bei Tanz und Spiel.
Diese beiden Wohnorte, der Paparagi und der Kororupo, waren nicht so von—⸗
einander getrennt, daß die Seelen nicht leicht von dem einen zum andern ge—
langen konnten, besonders wenn ein Fest die Vereinigung aller Seelen nützlich
oder nötig machte. Zuweilen kamen die genannten Seelen auf die Erde zurück
und stellten sich als gute Geister oder böse Dämonen in den Dienst der Zauberer
oder Priester, indem sie dieselben in himmlischen und verborgenen Dingen unter⸗
richteten und gegen die Nachstellungen der Feinde beschützten oder aber die von
hnen bezeichneten Personen quälten und mit plötzlichem Tod bestraften.
Außer dieser höheren Klasse von Gespenstern gab es noch andere, von denen
man annahm, daß sie direkt von den Friedhöfen kämen. Die Insulaner setzten
boraus, jeder Mensch habe mehrere Seelen, von denen wenigstens eine bei der
Leiche im Grabe bleibe. Diese Grabseelen bildeten eine finstere unterirdische
Gesellschaft, die man „Te rui“ nannte und die ihre besondern Sitten, Feste,
Fischereien usw. hatien. Man fürchtete sie mehr als die andern Geister. Aber
einige kühnere Insulaner wurden allmählich mit ihnen vertraut. Von einem
Bewohner Fangataus ging die Rede, daß er jede Nacht sein Bett verlasse und
ihren festlichen Schmausereien beiwohne. Aus diesem absurden Glauben erklärt
iich der allgemeine Brauch der Insulaner, auf das Grab ihrer verstorbenen
Verwandten Nahrung hinzulegen, von der man annahm, daß sie ihnen wenig—
stens so lange nötig sei, bis sie sich an die bei den Toten gebräuchliche Lebens—
weise gewöhnt hätten. Um eine untreue Gattin zur Pflicht zurückzurufen oder
um sich an einem unbekannten oder zu mächtigen Dieb zu rächen, nahmen die
Eingebornen ihre Zuflucht zu den Toten oder den Göttern des Marae, von
dem gleich die Rede sein wird. Man trug irgend etwas, das den gestohlenen
Gegenstand berührt hatte oder der Person gehörte, über die man zu klagen
hatte, auf das Grab oder den Marae und suchte durch Zauberei und Ver—
wünschungen die Rache auf den Schuldigen herabzuziehen1.
Der dritte Aufenthaltsort der vom Leibe getrennten Seelen war der schon
erwähnte schreckliche Teich. In diesen wurden alle diejenigen Seelen geschleudert,
die wegen ihrer Gottlosigkeit Tama nicht retten konnte oder die nicht gerettet
werden wollten. Denn diese Gottlosigkeit war ungefähr das einzige Verbrechen,
das nach der Ansicht der Eingebornen den Zorn der Götter erregle; diese Götter
waren böser als sie selbst: Mörder, Wüstlinge, Diebe und Menschenfresser.
Außer Tane, dem ozeanischen Jupiter?, und Tama, seinem Sohn, enthielt
der Paumotu-Olymp noch viele untergeordnete Gottheiten, die nach Inseln und
Orten verschieden waren. Mit dem Kult dieser Götter wurde der Kult der
Missions catholiques 1874, 356.
Wir haben oben die alte Äberlieferung erwähnt, Tane habe Gott den Kopf seines
erschlagenen Feindes geopfert. Über Tane stand also noch ein anderer unbekannter Gott,
der aber im Bewußtsein der Paumotu immer mehr zurücktrat und seine Herrschaft an
Tane abgab.
7. Die Paumotu.
337
Ahnen verbunden, der öffentlich war, wesentlich in Opfern bestand und aus—
schließlich den erwachsenen Männern vorbehalten blieb, die allein den Zeremonien
des Marae beiwohnen und an den dort dargebrachten Opfern teilnehmen konnten.
Die Opferstelle (marae) bildete ein langer, aber schmaler viereckiger Haufen
aus Stücken von Sternkorallen, der 50 cm hoch und von einer doppelten Reihe
von Kieselsteinen eingerahmt war; unter letzteren befanden sich einige größere
roh behauene Steine, die in unbeholfener Weise Götterfiguren darstellten. Oft
wurden auch Götterfiguren aus Holz angebracht, d. h. man sorgte, daß ein
Holzklotz ungefähr einem großen Bauche ähnlich sehe, und setzte ihm statt eines
Kopfes einen Federbusch auf — und die Statue war fertig. In der Mitte
des Steinhaufens wurden kleine Särge angebracht, die Büschel von dem Haupt—
und Barthaar der Vorfahren und Reste von ihren Nägeln oder Zähnen ent—
hielten. Jede Familie besaß und verehrte ein solches Heiligtum. Da Frauen und
Kinder bei den Maraefesten nicht zugegen waren, so wurden zuweilen gemeinsame
Feste veranstaltet, an denen sie sich beteiligen durften. Man hielt dann eine
große Versammlung ab, bei der die kleinen Särge mit ihren Überresten eine
Hauptrolle spielten. Feierlich wurden sie herumgezeigt, und bei ihrem Anblick
löste sich alles in Wehklagen und Seufzen auf; man küßte die Schreine und
brachte sie nach dem Marae zurück, dann folgten Tänze und Spiele mit einem
Festmahl. Viel feierlicher waren die eigentlichen, den Männern vorbehaltenen
Maraefeste. Als Opfer wurden gewöhnlich Schildkröten, Goldfische, Bonite usw.
dargebracht. Alle, die am Feste teilnahmen, mußten am Vorabend die Ent⸗
haltsamkeit beobachten. Beim Opfer selbst mußten alle noch nüchtern sein und
neben den blutigen Opfern wurden auch unblutige (Kokos, Bananen usw.) dar⸗
gebracht. Waren die Opfer alle herbeigebracht, scharten sich alle Männer festlich
geziert um den Oberpriester, der Pure GBeter) oder Tahura (Erleuchteter) oder
auch Ariki (König) hieß, letzteres, weil oft der König zugleich Oberpriester war.
Der Oberpriester wandte sich nun gegen den Marae und stimmte Lieder an,
in denen die Namen der Götter genannt und diese aufgefordert wurden, zu
kommen, um ihr Opfer zu empfangen!. Auch ein Gott des Friedens und ein
Gott der Gastfreundschaft wurden dabei angerufen. Das Blut des Opfers
wurde, nachdem man ihm den Kopf abgeschlagen, in einem Gefäß gesammelt.
Nach Darbringung des Opfers wurden die Opfergaben gekocht und verzehrt.
Von den sonstigen religiösen Gebräuchen erwähnen wir noch kurz folgende.
Wurde einer Familie das erste Kind geboren, so mußte ein Tag und eine Nacht
im Beisein des Oberpriesters gebetet werden. Darauf wurde das Kind in einiger
Entfernung von der Hütte zu einem eigens errichteten und geweihten Stein ge—
tragen, dort betete der Oberpriester zu Tane, dem König des Himmels und dem
Herrn des Lebens, und empfahl ihm die Erhaltung des Kindes; dann wurden
dibationen dargebracht und ein Festmahl gehalten. Einige Tage später fand
wieder eine ähnliche Feierlichkeit statt, bei der unter Gebeten dem Kinde ein
Name beigelegt wurde?. Kamen die Knaben in das Alter der Pubertät, so
fand die Beschneidung statt, die bei den Paumotu eine wesentlich religiöse
Vgl. diese Lieder bei Montiton in den Missions catholiques 1874. 879.
2 Ebd. 491.
538 Fünfter Teil. Australien und Ozeanien.
Zeremonie war und bei der der Oberpriester wieder zu Tane betete, damit er
den jungen Mann stark und kräftig mache. Bei den Mädchen trat an die
A
Gebeten und Festlichkeiten begleitet war.
Während nach Montiton auf der Insel Takoto keine Hochzeitsfeierlichkeit
tattfand, wurde auf Fangatau die Ehe vor dem Oberpriester geschlossen, der
mit blauer Salbe die Wangen der Braut und die Stirne des Bräutigams salbte
und Gebete an Tane, den Herrn des Lebens, richtete. Die Ehe hieß „Ver⸗
einigung des Gesichtes“ und durfte nur einmal im Leben geschlossen werden,
sie war aber nichts weniger als unauflöslich, und der Mann machte sich kein
Gewissen daraus, neben der Frau noch eine Konkubine zu halten, die er aber
ohne jede Feierlichkeit zu sich nahm.
Für die Totenfeier mietete man eine Anzahl Männer, deren Aufgabe
es war, die Totenklage anzustimmen. Diese nahmen von den Verstorbenen
Haar, Bart, Nägel und Zähne und legten alles in ein Kästchen. Dann wurde
die Leiche in eine Matte gehüllt und mit Kokosblättern zugedeckt. Hierauf
erschien der Oberpriester, der bei dieser Gelegenheit weder zu Tane noch zu
Tama betete. Er wendete sich in Gegenwart der Leiche nur an Tiki, den
Stammvater der Menschen und den ersten und großen Sünder, nicht sowohl
um zu beten, als vielmehr um ihm seine Sünde ins Gedächtnis zu rufen
und ebenso die traurigen Früchte des Todes, welche diese Sünde unaufhörlich
über seine unglückliche Nachkommenschaft bringt. Ironisch sagte er ihm: „Den
deib, den du uns übermacht hast, hast du selbst von der Erde empfangen;
wenn wir ihn derselben leblos zurückgeben müssen, so kommt das daher, weil du
ihn durch die Sünde getötet, die du uns verhängnisvoll zugleich mit dem Leben
übermacht hast.“ Wer denkt da nicht an die Lehre von der Erbsünde?
Nach dem Begräbnis wurde ein Festessen gegeben, das wenigstens zwei Tage
dauerte. Am dritten Tage änderte sich auf einmal die Szene. Nach dem trau⸗
rigen und ausgelassenen Akt folgte ein wilder und grausamer. Mit Lanzen,
Sägen und Beilen bewaffnet stürzten sich die Leidtragenden aufeinander und
oersetzten sich gegenseitig Hiebe und Stiche auf den Rücken. Es galt, wer am
meisten Wunden bekommen und am gräßlichsten mit Blut überronnen sein sollte.
Diese Peinen wurden zur Sühnung des Toten, zur Stillung des Blutdurstes
seiner Seele und auch zur Versöhnung für etwa noch feindlich gesinnte Götter
ibernommen. Es war also ein Liebesdienst, den man einem verstorbenen Freund
aicht versagen durfte. Durch diesen Akt wurde der Verstorbene zugleich der
Schar der zu verehrenden Vorfahren eingereiht, und von jetzt an
stand das Kästchen mit seinen Haaren, Nägeln und Zähnen auch auf dem
Marae als Gegenstand heiliger Scheu und als schützender Talisman für seine
Hinterbliebenen 1.
Nach dem Gesagten koönnen wir es nicht als richtig anerkennen, wenn
Montiton den Paumotu ungefähr alle sittlichen Ideen abspricht. Daraus, daß
fie viele Schändlichkeiten trieben, sobald sie es ungestraft tun konnten, folgt
nicht, daß sie kein moralisches Gefühl und kein Gewissen hatten. Montiton
Missions catholiques 1874. 492.
8. Die Gambier.
539
erwähnt ja selbst die Tradition, nach der sich Hina aus Scham über ihr blut⸗
schänderisches Betragen in den Mond flüchtete, durch seine Sünde verursachte
Tiki den Tod der Nachkommenschaft; seine Sünde vererbte sich mit ihren Folgen
auf die Nachkommen; in das Paumotu-Elysium (Kororupo) gelangen nur die
guten Leute aus dem Volke (les bons plébéions), um dahin zu kommen, muß
man die Götter gefürchtet, das Wort Tamas angenommen und beobachtet haben;
ferner beteten sie oft, brachten Opfer dar, übten zu gewissen Zeiten Enthaltsam—
keit, von der sie also annahmen, sie sei den Göttern wohlgefällig usp.
Freilich, die Paumotu waren ein sehr rohes Volk. Die Kinder überließ
man, noch bevor sie zum Vernunftgebrauch kamen, sich selbst; sie mußten sich
selbsi die Nahrung suchen; die Greise und die Kranken ließ man im Stich, so
daß sie im größten Elend starben. Als Montiton einst einen solchen verlassenen
Greis in den letzten Zügen antraf, ergrimmte er über diese Grausamkeit und
brachte es dahin, daß die nächsten und am meisten schuldigen Verwandten zu
Straßenarbeiten verurteilt wurden!. Die Familie bestand. Das Haupt oder
das einflußreichste Glied derselben befestigte und heiligte seine Autorität durch
Errichtung eines Marae, die ihn zugleich zum einzigen Priester der Familie
erhob. Das Eigentumsrecht war seit unvordenklichen Zeiten auf Grund
der Besitznahme oder der Kultur anerkannt. Jeder Kokosbaum gehörte dem,
der ihn gepflanzt oder von seinen Voreltern geerbt hatte. Die Steppen und
Pandanusheiden mit ihren angrenzenden Lagunen waren Eigentum der Ein—
gebornen, die sich zuerst dort niedergelassen hatten. Obwohl aber im Prinzip
das Eigentumsrecht anerkannt war, wurde es doch in der Wirklichkeit wenig
respektiert. Wenn ein Mann starb, liefen die mächtigsten und verwegensten
Krieger herbei und plünderten, was sie konnten, ja bemächtigten sich selbst des
Grundeigentums des verstorbenen Besitzers. Auch sonst bestahlen sie sich gegen—
seitig, wo sie konnten, und nur die Furcht vor bewaffnetem Widerstand, vor
Rache oder Zauberei hielt die Diebe etwas in Schranken?.
Heute sind die Bewohner von Fangatau, Takoto und den umliegenden
Inseln alle Christen und die heidnischen Sitten und Gebräuche sind fast ganz
derschwunden.
8. Die Gambier.
Die Gambierinseln (Gambier- oder Mangarewa⸗-Archipel) liegen südlich von
den Paumotu⸗-Inseln zwischen dem 22. bis 25.0 südl. Br. und dem 130. bis
140.0 westl. L. von Greenwich. In den dreißiger Jahren des vorigen Jahr⸗
hunderts ließen sich katholische Missionäre aus der Picpusgesellschaft dort nieder
uͤnd bekehrten in wenigen Jahren den größten Teil der Bewohner zur katho—
lischen Kirche. Einer dieser Missionäre, P. Carets, hat in einem Bericht
ausführlich die Anschauungen der heidnischen Gambier geschildert.
Nach einer alten Überlieferung der Gambier hießen ihre ersten Eltern Tiki
und Ingone. Diese Überlieferung besteht auch bei andern Polynesiern. Im
Allgemeinen gilt Tiki als ein Gott. der das Land mit einer Angel aus dem
Ebd. 502. 2 Ebd. 503.
Annales de la propagation de la foi XIV (1842) 320 ff.
340 Fünfter Teil. Auftralien und Ozeanien.
Meere gezogen hat. Von ihm haben alle Götzenbilder der Eingebornen den
Namen erhalten, welches auch sonst ihre Attribute seien. Diese Götzenbilder
stellen menschliche Figuren dar und heißen Tiki. Aus Inaone hat man später
eine Göttin gemacht, die, der Gesellschaft ihres Gatten überdrüssig, von ihm
wegzog und ihm nur ein Töchterchen in der Wiege zurückließ. Sonst wissen
die Gambier über ihren Ursprung nichts. Wahrscheinlich sind die Gambier schon
in grauer Vorzeit auf die Inseln gekommen; denn es ist eine lange Zeit er⸗
forderlich, damit ein Volk seinen Ursprung völlig vergesse. In einem Tale von
Mangarewa, der größten Insel der Gambiergruppe, erzählt der Missionär, habe
ich ein Denkmal gesehen, das ein hohes Alter zu haben scheint. Es ist eine
Mauer, die lange Zeit in der Erde vergraben war und aus ungeheuern Pu-ngas
oder weichen Steinen gebaut war, die auf dem Sande inmitten der Wellen sich
bilden; sie mochte 6—7 Fuß hoch und 135—20 Fuß lang sein. Bäume,
die ebenso dick waren wie die alten Eichen in unsern Wäldern, hatten ihre
jahrhundertealten Wurzeln in die Spalten dieses Denkmals getrieben und ihr
Stamm selbst war unter einem Haufen Korallen begraben, welchem die Greise
einen von ihren Ahnen erfundenen Namen gaben!.
„Wir haben auf der Insel die Idee der Gottheit, die Erinnerung
an die Schöpfung und den Glauben an die Belohnungen und
Strafen des zukünftigen Lebens schon bestehend vorgefunden.“
Die Götter von Mangarewa waren zahllos und teilten sich in zwei entgegen—
gesetzte Klassen: die guten und die bösen Genien. Beide hatten ihre besondern
Attribute. Tiki wurde angebetet als gemeinsamer Vater des Menschengeschlechtes;
Tea hatte das Wasser, den Wind und die Sonne geschaffen; Tu war der Ur—
heber des Maiore oder Brotbaumes; Ro⸗ngo öffnete die Wolken und goß den
strömenden Regen auf die durstigen Felder; Tairi verursachte das Rollen des
Donners; Arikitenu, der König des Ozeans, wachte über die Erhaltung der
zahlreichen Fischfamilien seines Reiches und begünstigte die Netze der Fischer,
die ihn angerufen hatten. A⸗-nghi lenkte die Stürme und verursachte durch
seinen glühenden Hauch und seine alles zerstörende Wut Not; Mapitoiti, der
dösartigste aller Genien, war der Gott des Todes 8.
Annales de la propagation de la foi XIV (1842) 330 -331.
Ebd. 332. Wie der Ausdruck „die Gottheit“ zu verstehen sei, wird leider vom
Mifsionär nicht näher erklärt. Wahrscheinlich ist diese Gottheit Tangaroa.
Annales de la propagation de la foi XIV (1842) 332. Nach P. Honoré Laval,
der schon im Jahre 1834 nach den Inseln kam, anerkannten die Gambier drei ur—⸗
prüngliche Götter, die von jeher existierten: Atu⸗Motua, Atu-Moana und
Tangaroa-Mea. Tangaroa-Mea allein schuf die Welt, aber sein Werk war unvoll
ommen. Maui verbesserte sie. Nicht Tiki, der Stammvater des Menschen, sondern Mau
soll die Erde aus dem Meere gezogen haben, und zwar vermittelst eines Stabes, den er
von Terupé, seinem Großvater, dem Gott der Nacht, erhalten hatte. Tangaroa hatte
vier Frauen, mit einer derselben zeugte er den Trepasi, der sich auf den Gambierinseln
niederließ und dort einen Sohn bekam, den Tiki, den ersten Menschen (vgl. Annales
des Sacrés-Cœurs X, Paris 1894, 383 -8384). — Meinicke (Die Inseln des Stillen
Ozeans II 228) sagt: „Die heidnische Religion der Mangarewaner war die von Raro—
tonga. Sie verehrten als Hauptgötter (atua) Tangaloa, Oro, Korungo, der für den Gott
des Regens galt, Tu, einen Sohn Tangaloas; auch kannten sie Maui, der die Inseln
aus dem Meere gefischt habe; dabei bestand noch die niedere Götterklasse der Ti'i, die
3
8. Die Gambier.
541
Die Einweihung der Götzenbilder wurde mit feierlichem Zeremoniell vor⸗
genommen. Zu gewissen Zeiten bildete man sich ein, wahrscheinlich auf An—
reiben eines der Tauras (Art Priester), ein Geist sei gekommen und habe sich
unter der Rinde dieses oder jenes Baumes versteckt. Sogleich versammelte sich
das Volk und fragte die neue Gottheit: Wie heißest du? Wo wohnst du? Welche
Verehrung willst du haben? Ein neben dem geheimnisvollen Baum stehender
Priefter antwortete, indem er seiner Stimme einen besondern Klang gab, so daß
man sie für eine göttliche Stimme hielt. Dann bemächtigte sich der Menge ein
heiliger Schrecken, und man holte nun den König, der dieselben Fragen stellte
und dieselben Antworten erhielt. „Ich heiße so“, antwortete der Gott durch
den Mund des Taura; „ich will, daß du mich umhauest, mir die Form gebest,
die meinem Rang gebührt, und daß du mich ehrenvoll in deinem Hause auf⸗
stellest, wo ich die Verehrung des Volkes erhalten werde.“ Nun wurde der
Baum auf Befehl des Königs umgehauen, mit Steinärten bearbeitet und mit
harten und spitzen Muscheln geglättet. Hatte der Bildhauer seine Arbeit voll⸗
endet, so wurde die Statue aufrecht in eine Hütte gestellt, die tapu, d. h. ge⸗
Jeiligt und für Frauen interdiziert war. Der Priester kauerte vor ihr nieder,
lichtete Gebeie an sie und opferte ihr verschiedene Speisen und einige Stücke
Tape. Alle diese Opfergaben wurden auf einem großen Korallentisch vor den
Götzen hingesiellt und blieben dort, bis die Ratten sie verzehrt hatten oder sie
herfaulten. Zum Entgelt wurde der Gott angefleht, dem Volk Früchte im Über⸗
fluß zu gewähren!.
Dder Glaube an Belohnungen und Strafen im andern Leben
zildete einen Bestandteil der Religion der Gambier. Sie hatten ihre Po⸗Kino
oder Hölle, die sie sich bald als einen brennenden Ofen, bald als eine tiefe
Schlammgrube vorstellten, aus der niemand mehr herauskommen konnte, der
das Unglück hatte, an dem Abhang des schlammigen Abgrundes auszugleiten.
Ihr Po-Porotu oder Paradies war der Aufenthaltsort der guten Götter, eine
unterirdische, von einem matten, dem Mond ähnlichen Stern beleuchtete Woh⸗
nung. Beim Tod eines Insulaners feierte dessen Familie ein Tirau oder
Totenfest, das immer in eine Orgie ausartete. Das Totenfest der To⸗ngoitis
(Adeligen) zog sich mit Ergötzungen bis zum 17. Tage hin?. Ließen es die
Verwandien an der Erfüllung dieser Pflicht fehlen, so war der Schatten des
Verstorbenen dazu verurteilt, von Berg zu Berg, von Abgrund zu Abgrund
herumzuirren, bis er endlich für immer in den Schlund des Po⸗Kino hinabfiel;
vurden aber der Seele die schon beschriebenen Ehren erwiesen, so flog sie sofort
nach Po-Porotu.
Beim Begräbnis eines Häuptlings war es üblich, in Liedern seine
Tapferkeit und seine Heldentaten zu preisen. Da alle diese Feierlichkeiten einen
religiösen Charakter trugen, wurden sie immer von Priestern geleitet. Die
Zahl der letzteren war beträchtlich, und an ihrer Spitze stand ein Oberpriester,
der Tapua hieß und von dem die vriesterliche Gewalt ausging. Er allein hatte
aus verstorbenen Vornehmen hervorgegangen war.“ Er zitiert als Quelle die Reise—
beschreibungen von d'Urville. Aber bei einem kurzen Aufenthalt ist es unmöglich, eine
genaue Kenntnis der religiösen Anschauungen eines Volkes zu erlangen.
1 Annales de la propagation de la foi XIV (1842) 333. 2 Ebd. 334.
542 Fünfter Teil. Auftralien und Ozeanien.
das Recht, die Statuen der Götter zu weihen und den jedem Götzen gebührenden
ult festzusetzen. Die übrigen Priester, Tauras genannt, wachten unter seiner
Leitung über die Ausübung der religiösen Gebräuche. Sie hatten großen Ein⸗
lduß auf das Volk, und selbst der König mußte sich ihrer Autorität fügen,
sonst drohte man ihm mit dem Zorn der Götter!. Jede Gottheit hatte ihren
Priester und ihre Priesterin, die von den der Gottheit dargebrachten Gaben
'ebten. Vor dem Hause eines Priesters stand immer ein Tisch, der „Tisch der
Götter“ hieß. Wer eine Gunst von Tiki erlangen wollte, legte irgend eine
Gabe auf diesen Tisch: Früchte oder sonstige Speisen. Niemand durfte diese
den Göttern vorbehaltenen Speisen berühren. Die Götter aßen sie, glaubte man,
während der Nacht und würden unfehlbar jeden getötet haben, der es wagte,
davon zu essen. Bei der Ankunft der Missionäre wurden diese Priester sehr
aufgeregt, weil sie ihre Gaben zu verlieren fürchteten. Doch bald waren die
Opfertische umgestürzt und die Götzen verbrannt, und die meisten Priester be—
tehrten sich und wurden eifrige Christen. Der Oberpriester insbesondere, mit
Namen Matua, der Onkel des Königs Maputeo, hat am meisten zur Ein—
führung des Christentums beigetragen?.
Die Regierung der Gambier war seit unvordenklichen Zeiten die erbliche
Monarchie; es scheint, daß die Frauen immer von der Thronfolge ausgeschlossen
waren. Der König hatte das Recht, nach seinem Belieben über alle Ländereien
zu verfügen; er war absoluter Herr darüber. Der oberste Würdenträger des
Königs hieß Taura Tiaki ao oder Wächter und Diener der Regierungsgewalt.
Er bewahrte die Schlüssel zum öffentlichen Schatz, hatte die Steuern einzutreiben,
derwaltete das Gerichtswesen und verkündete dem Volk die Erlasse des Königs.
Unter diesem Premierminister standen andere Funktionäre, von denen jeder ein
besonderes Amt hatte. Der eine war mit der Sorge für den Fischfang betraut,
ein anderer wachte über die Küche des Königs. Auch einen Architekten und
eine Art Leibarzt hatte der Monarch. Kurz, man findet hier im kleinen Maß—
stab wie anderwärts einen König mit seinem Hofstaat und seinen Pagen, eine
Königin mit ihrem Gefolge und ihren Ehrendamens. Einige Wege und Sitze
sind dem König vorbehalten oder tapu zu seinen Gunsten. Es ist auch Brauch,
daß niemand in Gegenwart des Königs stehen bleibt, jeder muß sich nieder⸗
kauern oder auf seine Fersen setzen. Jeder Untertan, der sich vom König eine
Gunst erbitten oder ihm für eine Gnade danken will, muß ihm die Knie und
die Füße küssen. Andere Auszeichnungen erhält der König nicht. Die übrigen
Glieder der königlichen Familie haben ähnliche Vorrechte. Der Hauptvorteil
jedoch, den die Glieder der königlichen Familie ihrer Geburt verdanken, ist eine
sorgfältigeer Erziehung. Sie werden von der Kindheit an auserwählten
Erziehern anvertraut, welche sie nie aus den Augen verlieren und dafür sorgen,
daß sie des Ranges würdig werden, den sfie einst im Staate einnehmen sollen.
Besondere Sorgfalt wird der Erziehung des mutmaßlichen Thronfolgers zu—
gewendet. Leider muß die Schmeichelei, deren Gegenstand er ist, dem könig—
lichen Kinde eine verderbliche Richtung geben. Kaum geboren, wird es der
Annales de la propagation de la foi XIV (1842) 335.
2 Ebd. 336. 3 Ebd.
8. Die Gambier.
548
Familie entrissen und auf einen hohen Berg in eine Hütte gebracht, in der
schon seine Ahnen erzogen wurden. Hier wächst es ganz allein unter der Ob⸗
sorge der Amme und einiger Dienerinnen heran. Der Zutritt zu dieser Hütte
ist allen seinen zukünftigen Untertanen streng untersagt. Von der Höhe des
Berges zeigt man dem Prinzen die blühenden Täler, die bald sein Reich sein
werden. „Euer Volk“, sagt man ihm, „kriecht schon zu Euern Füßen. Eines
Tages werdet Ihr über sie herrschen, und sie werden Euch gehorchen. Alles,
was Eure Augen sehen, gehört Euch; Eure Macht ist ohne Grenzen wie der
Dzean, der uns umgibt. Himmel und Erde werden von Euch Gesetze erhalten.“
So wird der Thronfolger zum Stolz erzogen. Deshalb halten sich auch die
Herrscher von Mangarewa für die ersten oder vielmehr für die einzigen Monarchen
der Welt; denn sie glauben, daß das Universum am Horizont aufhört!. Wenn
die Zeit gekommen. war, wo der Prinz vom Berge herabsteigen sollte, d. h.
zwischen dem 12. und 15. Jahre, gingen ihm alle Eingebornen, Männer
und Frauen, Kinder und Greise entgegen, um den zukünftigen Herrn bei
seiner Ankunft zu begrüßen. Dieser Tag gilt als einer der schönsten Tage
der Insel.
Was die Gestalt der Eingebornen angeht, so sind sie nach dem Zeugnis
der Missionäre im allgemeinen von hohem Wuchs, muskulös und schönen Ge⸗
sichtszugen. „Man sieht hier weder Taube noch Stumme, weder Bucklige noch
Blinde“, doch haben manche nach innen gebogene Füße. Das Tätowieren war
allgemein und gab ihnen im Bund mit dem langen Bart und den wallenden
Haaren ein martialisches Aussehen. Das Christentum hat den Charakter der
Insulaner ganz umgestaltet. „Jetzt, wo die Religion das Angesicht dieser Inseln
umgeändert hat, wird man kaum mehr glauben, wie blutdürstig die Eingebornen
einst waren.““ Sie verzehrten nicht nur die Fremden, die an ihrer Küste
Schiffbruch gelitten hatten, sondern auch Eingeborne und zuweilen ihre besten
Freunde. Die blutigen Glieder des besiegten Kriegers wurden die Speise des
Siegers. Das Schlachtfeld wurde zu einem Festplatz, auf dem der siegende
Stamm sich am Fleische der Gefangenen sättigte. Selbst in Zeiten des Friedens
tamen solche Fesigelage vor. Man tötete einen Nachbarn auf der Jagd aus
dem Hinterhalt und schleppte ihn heimlich an einen stillen Ort, um ihn während
der Nacht zu verzehren. Besonders gesucht war bei diesen Kannibalen das
Fleisch der Kinder. „Wie oft haben uns“, erzählt der Missionär, „die jungen
deute mit dem Ausdruck der größten Dankbarkeit gesagt: ‚Wie unglücklich waren
wir, bevor ihr gekommen seid, um uns zu unterrichten. Jeden Augenblick
fürchteten wir, die Erwachsenen würden kommen, um uns zu ergreifen und zu
derzehren. Heute haben wir keine Furcht mehr, man denkt nur mehr daran,
uns zu lieben.““8
Auch das Privateigentum wurde in der heidnischen Zeit oft ver—
gewaltigt. Obwohl der König als Eigentümer des ganzen Landes galt, war
doch der Boden zur Nutzung unter die Einwohner verteilt. Ein Missionär
schreibt in einem Briefes: „Das Wort Eigentum wird Sie wundern, da von
Wilden die Rede ist, aber hier gibt es auch nicht einen Fingerbreit Land, das
Ebd. 338. Ebd. 889. »Ebd. Ebd. X (1838) 175.
344
Fünfter Teil. Australien und Ozeanien.
nicht seinen Herrn hätte. Selbst die unbebauten Berge und die Felsen im
Meere haben ihre Eigentümer. Die Fremden haben deshalb sehr unrecht, wenn
sie nach der Ankunft auf diesen Inseln ohne Bedenken sich aneignen, was ihnen
paßt.“ Trotzdem wurde das Eigentum, wie es scheint, wenig respektiert. War
die Zeit der Ernte gekommen und ein Krieger fand, daß sein Land für ihn
nicht ausreiche, so ging er ohne Umstände zum Besitzer des angrenzenden Feldes
und sagte ihm: „Was tust du auf meinem Boden; mit welchem Recht nimmst
du die Früchte der Bäume, die ich gepflanzt habe?“ Der Besitzer bestand natürlich
auf seinem Recht und es kam zum Streit, an dem sich bald die ganze Nachbar⸗
schaft beteiligte. Die Folge war oft eine blutige Schlägerei. Der Stärkere
behielt schließlich den Boden, den er nun auf Grund der Waffen besaß. „Seit⸗
dem sie Christen sind, haben unsere Insulaner wohl noch zuweilen Streit über
die Grenzen, aber glücklicherweise kommt es nicht mehr zu Gewalttätigkeiten, und
der Streit läßt sich im Frieden schlichten.“
Neben dem dunkeln Schatten zeigt der Charakter der Wilden auch manche
Lichtseiten. „Waren sie von Natur schmeichlerisch, betrügerisch, mißtrauisch und
träg, so gestatteten sie hinwiederum gern den Dürftigen und den Reisenden
Zutritt zu ihrem Tisch. Die Reichen teilten von ihrem Überfluß ihren weniger
degünstigten Verwandten mit. Die Freunde nahmen gern eine junge Familie
auf, deren Vater gestorben war. Annahme an Kindes Statt ist bei den Gam—
hiern etwas Gewöhnliches. Die adoptierten Kinder besaßen im Hause ihres
Wohltäters dieselben Vorrechte wie dessen eigene Kinder und waren wie diese
erbberechtigt.“ Die Tränen, welche die Eingebornen am Grabe ihrer nahen
Verwandten vergossen, und die rührenden Trauerlieder, mit denen sie von ihnen
Abschied nahmen, beweisen auch, daß sie trotz aller rohen Barbarei keineswegs
aller menschlichen Gefühle bar waren. Die Indolenz, der Haupifehler der
Gambier, läßt sich zum Teil durch die erstaunliche Fruchtbarkeit des Bodens er⸗
klären. Fast ohne Arbeit bietet ihnen das Land alles, was sie brauchen?. Die
gewöhnliche Beschäftigung der Männer ist der Fischfang und das Fischen von
Perlenmuscheln, die Frauen besorgen den Haushalt; die kleinen Mädchen holen
Wasser am Brunnen und bereiten die Speisen; die Knaben schneiden Brenn⸗
holz zusammen. Die alten Leute müssen das Kraut im Tale ausreißen.
Im Heidentum gingen die Insulaner, wie es scheint, ganz nackt, wenigstens
die meisten Männer, sie besaßen allerdings eine Art Tuch (tape), das die
Weiber aus der Rinde eines Baumes verfertigten und ganz weiß war, aber
sie müssen nur wenig Gebrauch davon gemacht haben; denn die Missionäre be⸗
klagen sich, daß die Neubekehrten zuerst bei der Taufe noch nicht anständig
bekleidet warens. Doch die Ermahnung der Missionäre genügte, um sie zu
vermögen, sich anständig zu bedecken. Infolge davon wurde viel mehr Tape
Annales de la propagation de la foi XIV (1842) 340. 2 Ebd. 341.
3 Nach den Berichten d'Uur villes (Malerische Reise usw. J 304) trugen die Männer
den Maro um die Lenden. Meinicke (Die Inseln des Stillen Ozeans II 222) sagt:
Die frühere Kleidung „bestand bei Männern aus einem Gürtel von geflochtenen Bananen⸗
blättern und bei einigen noch aus einer Matte über den Schultern; den Maro von Zeug
trugen bloß ältere Männer; Frauen hatten Gürtel von Zeug um die Scham und eine
Matte um den Oberleibhb“.
9. Die Osterinsulaner.
545
bereitet. Daß das Schamgefühl den Insulanern nicht gänzlich fehlte, zeigt
folgender Vorfall. Ein kleiner Knabe sollte getauft werden; er weigerte sich
aber herbeizukommen, weil er nackt war. „Umsonst machten wir ihm ein Zeichen,
zu kommen, die Scham hielt ihn immer zurück.“ Endlich nahm man einem
schon getauften Knaben sein Kleid, um es ihm zu geben. Sofort lief der
Knabe, dem man das Kleid genommen, voll Scham davon und hörte während
der ganzen Zeit, in der die Taufzeremonie vollzogen wurde, nicht auf zu
weinen i.
Erstaunlich ist, wie nach dem Bericht der Missionäre alle christlichen Lehren
von den Eingebornen so schnell erfaßt wurden und welches erbauliche christliche
Leben sie schon bald nach ihrer Bekehrung führten.
9. Die Osterinsulaner.
Wie weltverloren im weiten Stillen Ozean liegt unter dem 109.0 westl. L.
ind dem 27.0 südl. Br. die Osterinsel (Waihu). Sie wird von den Eingebornen
Rapanui (d. h. Groß-Rappa) genannt und ist etwa zwei Quadratmeilen groß.
Den jetzigen Namen hat sie von dem Holländer Roggewenn, der am Ostertag
1722 auf ihr landete und sie deshalb Osterinsel nannte. Durch Sklavenhandel
wurde die Insel stark entvölkert. Eine dauernde Niederlassung wurde erst im
Jahre 1862, und zwar von katholischen Missionären aus der Picpusgesellschaft
gegründet. Hören wir, was uns diese Missionäre über die Osterinsulaner zu
berichten wissen?.
Als der erste Missionär (Bruder Eyraud) auf der Insel landete, wurde er
bon einer großen Menge Männer, Weiber und Kinder, wohl 1200 an der
Zahl, umringt. Die Männer waren mit Lanzen bewaffnet, deren Spitzen
scharfe Steine bildeten. Diese Wilden, schreibt er, sind groß, stark und wohl—
gebaut. Ihr Aussehen nähert sich viel mehr dem europäischen Typus als dem
der andern Insulaner Ozeaniens. Von allen Kanaken kommen ihnen die Be—
wohner der Markesasinseln am nächstens. Ihre Farbe ist zwar noch immer
etwas dunkel, aber doch heller als die der übrigen Südseebewohner, und einige
sind fast ganz weiß. Alle bemalen sich Gesicht und Körper mit einer im Wasser
gelösten Erdart und dem Saft gewisser Pflanzen. Die Kleidung besteht in
einem Streifen Zeug um die Lenden und einem etwas größeren Stück Zeug,
das über die Schulter geworfen wird.
Annales de la propagation de la foi X (1838) 179.
Vgl. ebd. XXXVIII (1866) 44 ff 124 ff; XXXIX (1867) 250 ff; ferner die Katho⸗
lischen Missionen 1881, 7 ff 537 ff. Die Angaben der Katholischen Missionen beruhen
Jauptfächlich auf den ungedruckten Briefen des Missionärs Zumbolm (Zumbohm?). —
Rach Weule (eitfaden der Völkerkunde 1912] 69) führten 1870 die Jesuitenmissionäre
400 von den übriggebliebenen 900 Insulanern nach Mangarewa. Schade nur für diesfe
zistorische Notiz, datß die Jesuiten weder auf der Osterinsel noch auf Mangarewa je eine
Mission besessen haben. J
; Wahrscheinlich kamen die Osterinsulaner von Rarotonga (Herwey⸗Inseln). Uber
die verschiedenen überlieferungen der Osterinsulaner betreffend ihre Herkunft val. E.Caillot,.
Histoire de la Polynésie orientale, Paris 1910, 451 ff.
Katholische Missionen 1881, 8.
Cathrein, Die Einheit d. sittl. Bewußtseins. III.
J1
25
546
Fuünfter Teil. Australien und Ozeanien.
Der Missionär hatte nach seiner Ankunft große Mühe, sich der Neugierde
und der Habsucht der Wilden zu erwehren, die ihm alles wegnahmen und unter
sich verteilten. Endlich fand er etwas Ruhe, indem er den Häuptling Torometi
gewissermaßen als seinen Herrn und den Herrn seiner Habe anerkannte. Dieser
detrachtete ihn fortan als sein Eigentum und schickte ihm jeden Tag seine Portion
gekochter Kartoffeln. Der Missionär konnte sich nun ganz dem Unterricht der
Fingebornen widmen. Mit Geduld und Ausdauer brachte er es dahin, daß
biele Eingebornen, besonders Kinder, in einigen Monaten die vorzüglichsten Ge⸗—
bete und die Hauptstücke des Katechismus auswendig wußten.
Die Bewohner der Insel müssen einst auf einer höheren Kulturstufe ge—
standen haben. Zeugen dafür sind außer unterirdischen Wohnbauten, großen
Malereien und Reliefs auf Felswänden besonders die seltsamen, grotesken Stein—
statuenkolosse von 16 bis 20 m Höhe, die sich in großer Zahl auf der Insel
finden. Man weiß nicht, ob es Götzenbilder oder Denkmäler früherer Häupt⸗
linge sind. Sicher ist, daß es eine Riesenarbeit war, diese Figuren aus dem
Felsen, teilweise aus hartem Trachyt, zu meißeln und sie an ihren jetzigen Platz
zu bringen und aufzustellen. Als der Kapitän des englischen Schiffes „Topazu“
an der Osterinsel landete, um einen dieser Kolosse für das Britische Museum
abzuholen, mußte er sich mit einer verhältnismäßig kleinen Büste begnügen, und
auch so bedurfte es 800 Menschen, um die Statue zu transportieren. Wie
konnten die Eingebornen diese Riesenbilder drei bis vier Stunden weit bringen?
Die Insulaner antworteten: „Die Moai — so heißen die Steinkolosse —
ttanden einst alle am selben Platze. Da gab ihnen Make-Make (Gott) eines
Tages den Befehl, zu laufen, und sie liefen bis zu der Stelle, wo sie heute
stehen.“ Als Beweis einer früher höheren Kultur auf der Insel mag auch eine
Art Schrift gelten, die man auf Holztäfelchen fand und die der Bischof Tepano
Jaussen mit Hilfe eines Eingebornen entzifferte!. Wenn sie auch nur zur Auf—⸗
zeichnung einiger Lieder diente und den meisten Eingebornen unbekannt war,
repräsentiert sie doch wahrscheinlich eine der ältesten Schriftarten.
Die Bewohner von heute zeigen keine Lust, die Bildhauerarbeiten von ehe⸗
mals fortzusetzen. Sie frönen jahraus jahrein dem Müßiggang. Ein Tag
Arbeit gibt ihnen reichlich Kartoffeln für das ganze Jahr; so können sie ihren
Spielen und Festlichkeiten leben, die kein Ende nehmen. Der Frühling bringt
das Matavarifest, das mit Tanzen und Springen, Schmausen und Schreien
zwei Monate dauert. Das Sommerfest Paina gilt der Kartoffelernte, und
wenn die Regenzeit kommt, feiern sie den Areauti, bei dem große Hütten für
gemeinsame Gelage errichtet werden. Bei diesen Festen beschmieren sie sich mit
allen möglichen Farben. Die Weiber pflegen besonders die Ohren. Schon in
früher Jugend durchbohrt man ihnen die Ohrlappen und vergrößert die Offnung
nach und nach durch Holzstückchen. So entstehen die nach dem Begriff der
Insulaner „herrlichen“ Ohrlappen, die bis auf die Schulter herabhängen. Bei
Vgl. darüber die Schrift: L'Ile de Paques. Historique, Teriture et Répertoire
des signes des Tablettos ou Bois d'Hibiscus intelligents. Par Tepano Jaussen,
evôque d'Axiéri, premier vicairo aposstoliquo de Tahiti (Océanie), membre de la
Oongrégation des Ss-Cœurs de Picpus. Ouvrage posthume redigé par le P. IIde-
fonse Alazard, Paris 1893, 12 ff.
9. Die Osterinsulaner.
547
den Männern ist der Kopfputz die Hauptsache. Einige setzen sich einen halben
Kürbis auf oder ziehen sich den Balg eines bunten Vogels über die Ohren.
Die Angesehensten sind im Besitz eines alten Hutes, den sie von einem euro—
päischen Seefahrer eingetauscht. Der Missionär sah sogar einen Insulaner, der
ein Paar zerrissene Stiefel zu einer Kopfbedeckung zu vereinigen verstand und
dafür von allen angestaunt wurde.
Was die religiösen Begriffe der Osterinsulaner angeht, so sagt Bischof
Jaussen: „Sie haben keinen Marae (Altar), keine Idole, wohl aber einfache
Anrufungen des Make-Make, des großen Gottes.“! Nach P. Zumbolm
nennen fie unter ihren Göttern und Göttinnen ein Wesen den „großen Gott“
Etua und geben ihm den Namen „Ko-Make-Make“; er belohnt die
Guten und bestraft die Bösen, sowohl in diesem als im künf—
tigen Leben. Durch Priester und Priesterinnen — geschickte Bauchredner —
ut er den Sterblichen seinen Willen kund und fordert Opfer von Hühnern,
Pataten und Fischen — natürlich zum Besten seiner angeblichen Propheten.
Make-Make verlangt aber zuweilen noch andere Opfer. Kleine Kinder ver—
schwinden und werden von den Götzenpriestern gebraten und verzehrt — so will
ꝛs Make-Make. „Wie glücklich sind wir jetzt“, sagten später die Insulaner den
Missionären, „jetzt fürchten wir nicht mehr, daß man uns die Kinder stehle
wie früher.““ Make-Make verkündet seinen Grimm durch den Donner. Er
hat keine Frau und keinen Vater, wenigstens wußten die Kanaken nichts von
seiner Abstammung. Zehn andere Gottheiten aber sind verheiratet. Die In—
sulaner fürchten ihren obersten Gott mehr, als sie ihn verehren; vor den andern
Göttern haben sie keinen großen Respekt.
über den Ursprung und die Bestimmung des Menschen denken
sie also: Durch die Wirkung und den Willen des höchsten Gottes ist der erste
Mann und das erste Weib aus der Erde hervorgewachsen, etwa wie die Pflanzen
aus dem Boden sprossen; aber sie hatten eine unsterbliche Seele wie alle ihre
Nachkommen. Nach dem Tode gehen die Seelen der Guten in das ferne
Koona-Hiva; da finden sie schöne Kleider, deren Wert den Tugenden und
Verdiensten entspricht. Alle sind glücklich und mit ihrem Lose zufrieden. Die
Seelen der Bösen aber sitzen bei ihren Leichen und leiden Hunger und
Durst nach dem Maße ihrer Bosheit. Manchmal kommen sie auch zu ihren
Eltern und Freunden und bitten um Speise; dann muß man ihnen zu Willen
sein, um ihren Nachstellungen zu entgehen. Auch die Tapugebräuche finden sich
auf der Insel. Offentlichen Gottesdienst und gemeinsame Opfer trafen die
Missionäre nicht an, wohl aber einige Götzenbilder aus Holz. Trotz ihres
Glaubens an den Lohn der Tugend und die Strafe des Lasters fanden die
Missionäre sie sehr dem Diebstahl und der Sittenlosigkeit ergeben. Daß sie aber
dieses Verhalten für schimpflich hielten, geht daraus hervor, daß sie den Namen
u Ebd. 2. Bischof Verdier, der Nachfolger des Bischofs Jaussen, will auf der Oster⸗
insel einen Marae entdeckt haben oder wenigstens etwas, was ihm ähnlich ist (vgl. Jaussen
a. a. O. 2).
2 Katholische Missionen 1881, 11 nach den Aufzeichnungen des P. Zumbolm. Nach
Meinicke (Die Inseln des Stillen Ozeans 11 232) galt Make⸗Make als Schöpfer aller
Dinge, auch der Menschen.
2
548 Fünfter Teil. Australien und Ozeanien.
„Dieb“ als Schimpfwort gebrauchten!. Die Ehen galten nicht als unauflöslich
und die Häuptlinge hatten mehrere Weiber. Das Los der letzteren war sehr
hart; jede Mühe und Arbeit und Schläge dazu waren ihr Anteil.
Trotz anfänglicher großer Schwierigkeiten zeitigte die katholische Mission bald
die schönsten Früchte. Die Missionäre arbeiteten mit vereinten Kräften an der
zeistigen und materiellen Hebung der Insulaner. Sie konnten sich bald mit
ihnen gut verständigen, weil sie die Sprache der Gambierinseln kannten, die
mit der der Osterinsel nahe verwandt ist. Sie führten Haustiere, Kühe und
Pferde, ein, brachten Sämereien mit und hatten bald nette Häuser und schöne
Pflanzungen. Schon im Jahre 1866 schrieb der französische Kapitän Dutrou⸗
Bornier: „Ich war erstaunt, als ich sah, was die Geduld und Arbeitsamkeit
bloß zweier Männer in so wenigen Monaten zustande bringen konnte. Wo
ich nur eine armselige, Wind und Wetter offene Hütte zu treffen glaubte, fand
ich wohleingerichtete Gebäude, welche mit Mauern und Gitterwerk umschlossen
sind, eine mit Blumen geschmückte Kapelle, einen Schuppen, einen Garten und
ringsum urbares und bepflanztes Land. Die Kirche war angefüllt; ich sah
jene nämlichen Wilden, welche sonst die Fremden mit Steinwürfen empfingen,
kniend unsere schönsten Gebete verrichten.“
Schon im Jahre 1868 zählte man über 600 getaufte Insulaner. Leider
wurde die Mission durch die Habgier und Sittenlosigkeit der Europäer bald fast
ganz zu Grunde gerichtet. Im Jahre 1871 sahen sich die Missionäre genötigt,
vor der Gewalttätigkeit, den Räubereien und Schikanen einiger europäischer An⸗
fiedler und ihrer Anhänger die Insel zu räumen und die armen Insulaner
ihrem Schicksal zu überlassen ?.
Über die Begräbnisfeier auf der Osterinsel schreibt Meinickes: „Die
Leiche wird in Zeug oder in Rohr und Gras gewickelt und entweder in einer
Felsspalte versteckt oder gewöhnlicher mit dem Kopf gegen das Meer hin auf
das Papakoo gelegt, eine Terrasse am Meere von hohen, auf der Seeseite
nanchmal geweißten Steinen, die wahrscheinlich Gräber bedecken.“ In Bezug
auf die Verfassung wissen wir nur, daß die Insulaner einen König (Ariki)
hatten, dessen Würde ursprünglich erblich war; später gelang es den mächtigen
Häuptlingen, ihren Einfluß so zu steigern, daß sie die Erblichkeit abschafften und
seither bei dem Tode eines Königs dessen Nachfolger in einer Versammlung
vählten. Bei ihren Strafen vermeiden die Insulaner, Blut zu vergießen, und
ziehen das Steinigen vor. Der Grund und Boden scheint Privateigentum zu
sein, das sie durch Tapusteine bezeichnen.
10. Die Bewohner der Markesasinseln.
Der Archipel der Markesas, nördlich von den Paumotu⸗-Inseln, wird von
etwa 4000 eingebornen Polynesiern bewohnt, die mit den Tahitiern verwandt
sind, aber sich doch in mancher Hinsicht von ihnen unterscheiden. Im Charakter
gleichen fie allen Polynesiern. Sie sind freundlich, höflich und gefällig im
1Annales de la propagation de la foi XXXVIII (1866) 128.
Katholische Missionen 1881, 58 -59.
Die Inseln des Stillen Ozeans II 234.
*
2*
10. Die Bewohner der Markesasinseln. 549
Verkehr, dabei aber sehr ausschweifend, diebisch und über die Maßen ver⸗
gnügungssüchtig und träge. Sie sind ferner reizbar und rachsüchtig, aber mutig
und kriegslustig. Die Kleidung der Markesaner vor dem Eindringen europäischer
Trachten besiand für die Männer im Maro, der wohl zuweilen durch Bläaͤtter⸗
büschel ersetzt wurde. Die Frauen hatten eine etwas längere Schürze und eine
Art Maniel, der den rechten Arm freiließ. Große Sorgfalt verwandten sie auf
das Tätowieren.
Die Häuser weichen in der Bauart von allen andern polynesischen ab. Sie
liegen auf Plattformen von viereckigen Steinen von 8 bis 4 Fuß Höhe, die
man durch eine Leiter oder auf rohen Stufen ersteigt und die an allen Seiten
einige Fuß breit über das am Rande der einen längeren Seite gebaute vier—
eckige Haus reichen, das den Umständen nach 20 bis 100 Fuß lang und
3 bis 20 Fuß breit ist. Die zwei Langseiten werden durch zwei Reihen
Pfosten gebildet, auf denen lange, das Dach tragende Balken ruhen; die Pfosten
an der Hinterwand sind bis über 16 Fuß, die an der Vorderwand nur 4 Fuß
hoch, und die Zwischenräume zwischen den Pfosten bestehen an der Hinterwand
uind an den Giebeln aus senkrechten Holz- oder Bambusstangen, während die
Vorderseite offen oder zum Teil mit Matten geschlossen ist. Im hinteren Teil
des Hauses gehen zwei zugerundete Kokosstämme 4 Fuß voneinander entfernt
durch die ganze Länge und der Raum zwischen ihnen ist mit trockenem Gras
gefüllt und mit Matten bedeckt; er dient zum gemeinsamen Bett aller Haus⸗
bewohner. Die Köpfe ruhen auf dem hinteren Balken und die Füße hängen
über den vorderen herab. Die Häuser der Vornehmen sind sorgfältiger gebaut
und manchmal durch Matten in verschiedene Zimmer geteilt. Die Vornehmen
besitzen auch Häuschen, welche auf hohen Pfosten ruhen, nur für die Männer
als Eßzimmer dienen und von Frauen nicht betreten werden dürfen .
Von der Religion der Markesaner sagt Meinicke?: „Die allgemeinen
Gottheiten der Polynesier mögen ihnen wohl früher bekannt gewesen sein, und
Maui wird auch hier als der Schöpfer der Inseln betrachtet; allein keiner dieser
höheren Götter wird namentlich erwähnt, sie sind vielmehr, wie bei den Neusee—
ländern, in einen allgemeinen abstrakten Atua verschwommen.“ Diese Darstellung
st jedenfalls nicht genau. Eingehender hat der Missionär P. Amable aus der
Picpusgesellschaft die obersten Götter der Markesaner dargelegt?: „Es scheint, daß
sie zwei obere oder Hauptgötter annehmen; der erste, Tihi (Tiki?) mit Namen,
ist allmächtig; er ist es, der die Bäume blühen und die Früchte reifen läßt,
er hat auch die Fische des Meeres geschaffen und den Menschen erlaubt, davon
zu essen, mit Ausnahme von einigen, die er zu Tapu gemacht. Seine Anbeter
wissen nicht, ob er einen Anfang gehabt hat und ein Ende haben wird; sie
glauben nur, daß er ehemals mit den Bewohnern dieser Inseln gesprochen hat.
Mapuhani, der zweite Gott, soll unsern Leuten die Schweine gegeben haben,
die ihre gesuchteste Nahrung bilden. Daher kommt die Gewohnheit, den Toten
eine Anzahl dieser Haustiere darzubringen, die einen gekocht, die andern lebendig.
Man legt die ersteren neben die Leiche in einen hohlen Baumstamm, den man
Ebd. II 248 -249. 2Ebd. 251.
3 Bql. Annales de la propagation de la foi XIX (1847) 283 ff.
550
Fünfter Teil. Australien und Ozeanien.
sorgfältig mit Geweben aus Kokos zusammenbindet und am Gebälke der Hütte
aufhängt. Mapuhani, sagt man, nährt sich davon gemeinsam mit dem Toten.
Bringt man lebende Schweine dar, so bindet man sie an die Hütte, wo der
Tote ruht, und füttert sie dort, bis sich das Fleisch der Leiche von den Knochen
getrennt hat; dann läßt man sie verhungern.“
„Unsere Wilden glauben, daß die Seelen aller derer, die auf dem Archipel
sterben, sich auf der Spitze eines hohen Berges, der Kiukiu heißt, versammeln.
Sobald eine große Anzahl hier beisammen ist, öffnet sich das Meer und sie
fallen auf ein köstliches Land, das mit allen Arten von herrlichen Früchten be⸗
oflanzt und durch die stets ruhigen Gewässer eines blauen Sees verschönert ist.
Dieses Eden wird von der Göttin Upu beherrscht, welche nur denen dort zu
wohnen und im schönen See sich zu baden gestattet, die in ihrem Leben viele
Leute in ihrem Dienste gehabt, viele Schweine besessen haben und nicht böse
gewesen sind. Es scheint auch, daß, um dort zugelassen zu werden, die Etikette
fordert, keine Tätowierungen zu tragen. Die Sklaven und die Armen gehen
in ein dunkles Land, das von der Sonne nie erleuchtet wird und wo sie nur
schlammiges Wasser finden. Alle diese Seelen kehren, nachdem sie sehr lange
an einem von diesen beiden Orten verweilt haben, zurück, um einen andern Leib
zu beseelen.“!
Außer den oberen Gottheiten haben die Markesaner eine größere Anzahl
niedere, wahrscheinlich aus den Seelen vornehmer Verstorbener entstandene
GBötter, die sehr gefürchtet werden, weil sie viel Böses stiften und die Ver⸗
letzung des Tapu bestrafen. Von diesen Göttern machen sie rote Holzbilder,
die sie in den Tempeln aufbewahren oder an Häusern und Booten anbringen;
diese Götter sollen auch in Menschen eingehen. Von Priestern gibt es mehrere
Klassen: die Atua, deren Zahl gering ist und die angeblich nie von den Göttern
derlassen werden und wie sie einen Kult empfangen; die Taua, die nur zu
gewissen Zeiten von den Göttern inspiriert werden; die Tahuna, welche die
Zeremonien beim Gottesdienst besorgen, und die Un (Moa), welche bei den
Menschenopfern den Tahuna zu helfen haben2.
Die Tempel (Me'aö) sind den tahitischen Marae wenigstens der Idee nach
ähnlich und ebenfalls eigentlich Begräbnisstätten; allein sie weichen in ihrer
Bauart von ihnen ab und sind den Wohnhäusern gleich, nur haben sie eine
größere Türe, sind gewöhnlich vorn offen und nicht selten von Steinwällen um—
geben. Der Kultus besteht besonders in Gebeten und Opfern; zu den letzteren
braucht man Lebensmittel, Blumen usw., die man vor das Götzenbild legt oder
an einen Strang hängt; ebenso opfert man Menschen bei dem Tode jedes großen
Häuptlings oder vor dem Ausbruch eines Krieges und legt sie in ein Gefäß
oor das Bild, wo sie von niemand berührt werden dürfens. In einem Brief
vom Dezember 1844 schreibt P. Escoffiers: „Ein großer Häuptling ist eben
gestorben. Nach dem herrschenden Gebrauch sind Menschenopfer notwendig; es
müssen in diesem Fall sechs Nichttätowierte sein, weil der Häuptling selbst noch
1 Annales de la propagation de la foi XIX (I847) 24.
2Dumont d' Urville, Malerische Reise um die Welt J 295.
»Meinicke, Die Inseln des Stillen Ozeans II 252.
Annales de la propagation de la foi XIX (1847) 29.
10. Die Bewohner der Markesasinseln. 551
nicht tätowiert war.“ In einem weiteren Brief teilt er mit!, durch das Orakel
seien die Missionäre und die Neubekehrten als die erforderten Opfer bezeichnet
worden. Glücklicherweise wurde der Beschluß den Missionären hinterbracht, so
daß sie sich retten konnten. Escoffier fügt noch hinzu?: „In einer benachbarten
Bucht haben die Kanaken (die eingebornen Markesaner) einen jungen See—
sänder bor kaum drei Wochen getötet und verzehrt; vorgestern haben sie einen
Greis verschlungen.“ Man sieht schon hieraus, daß die Markesaner eigentliche
Kannibalen waren. „Zwei Frauen wurden jüngst erdrosselt und von den
Priestern und Häuptlingen des Volles verschlungen.“s
Das Tapu bestand auf den Markesasinseln in voller Kraft und durch⸗
drang alle Lebensverhältnisse. P. Gracia erzählt darüber in einem Brief vom
18. April 18394: „Jüngst ging ich über einen Berg, um unsern Häuptling
Pakoko, der damals mit dem Einsammeln der Früchte des Brotbaums be—
schäftigt war, einen Besuch zu machen. Da ich wußte, daß der berühmte
Tempel der Insel sich in der Nähe befand, erwirkte ich von der Priesterin, daß
mich zwei Knaben an den schrecklichen Ort führten. Der Ort scheint wirklich
für die Eingebornen schrecklich zu sein; denn nachdem wir eine tiefe, mit Ge⸗
büschen und hundertjährigen Bäumen versperrte Schlucht überschritten hatten
und den Götzentempel erblickten, wollten unsere jungen Führer nicht mehr weiter⸗
gehen, um nicht zu sterben; stets ist es die Furcht vor dem Tode, welche sie
hindert, die Tapus zu verletzen. Wir gingen also allein hinein und sahen ...
diesen Ort, wo sich der Teufel unter den schrecklichen Gestalten anbeten läßt.
Es befand sich dort eine ungeheure Statue aus Stein, die andern Idole waren
aus Holz und von allen Größen. Es befand sich ferner daselbst eine Masse
bon Opfern: Schweinsköpfe, Vögel aus Holz, Kokos, einheimische Zeuge und
selbst Kanodes. Was uns am meisten Entsetzen einflößte, waren die menschlichen
Haare und drei aufgehängte Menschenschädel. Waren es Überreste von Opfern,
Schädel der Priester oder ihrer Feinde? Wir konnten es nicht erfahren.“ Die
Wilden waren höchst erstaunt, daß die Missionäre wohlbehalten aus dem Tempel
zurückkehrten.
Die Begräbnisstätten der Vornehmen sind die schon erwähnten Tempel,
die zuweilen in der Nähe der Wohnhäuser, zuweilen an abgelegenen Orten in
dichten Hainen liegen. Die Leiche wird nach einer Art Einbalsamierung, die
der in Tahiti gebräuchlichen ähnlich ist, in weißes Zeug gewickelt. mit Kokosol
gesalbt und dann in einem bootähnlichen Kasten auf einem Gerüst in dem auf
dem Me'as stehenden Hause ausgestellt, wobei große Festlichkeiten stattfinden;
auch werden dem Toten Opfer gebracht. Nach einem Jahre findet ein zweites
Fest statt, bei dem die Knochen gesammelt und im Me'as unter Steinen be—
graben werden. Gemeine Leute begräbt man ohne eine Ausstellung s.
Das Volk zerfällt, wie fast überall in Polynesien, in zwei Klassen: die
Vornehmen, denen die Eigenschaft des Tapu innewohnt, und die Gemeinen, bei
denen das nicht der Fall ist. Früher scheinen größere Staaten bestanden zu
haben, zur Zeit der Entdeckung existierte aber eine große Zahl kleiner König⸗
1
Ebd. 33. 2 Ebd. 30. s Ebd. XII (1840) 576. x Ebd. 579 - 5380.
Meinicke a. a. O. II 253.
5
552
Fünfter Teil. Australien und Ozeanien.
reiche. Alles Grundeigentum ist einzig im Besitz der Vornehmen. Nach Dumont
d'Urville 1traf! das Tapu die besten Nahrungsmittel wie Schweine, Schildkröten,
Boniten (Tunfische) usw., welche für die Vornehmen vorbehalten waren.
In geschlechtlicher Beziehung waren die Markesaner sehr verkommen. Bis
ins 18. Jahr durften die Mädchen sich benehmen, wie sie wollten; um das
18. Jahr fand die Heirat statt; die Verlobung kam oft schon in früher Jugend
vor. Eigentliche Hochzeitszeremonien gab es nicht; der Bräutigam gab ein
Geschenk und der Schwiegervater ein Fest. Es bestand rechtlich Polygamie,
doch hatten die meisten nur eine Frau; die Ehescheidungen waren leicht und
bequem, und auch die verheirateten Frauen lebten nichts weniger als keusch.
Es werden Beispiele erzählt, daß Männer ihre Frauen und Väter ihre Töchter
den Seeleuten anboten und verkauften. Daß ihnen trotz alledem der Begriff
der Keuschheit nicht fehlte, geht aus den Bemerkungen der Missionäre hervor,
die Insulaner bewunderten sehr die Keuschheit der katholischen Priester und deren
selbstlose Liebe gegen alle ohne Unterschied 2.
Nach Meinickes benahmen sich die Markesaner gegen die Kinder zärtlich
and liebevoll; Kindermord ist bei ihnen niemals Sitte gewesen. Die Frauen
hatten die meisten Arbeiten zu verrichten, ohne dabei hart bedrückt zu sein. Die
Männer brachten den größten Teil der Zeit mit Nichtstun zu und zeigten nur
im Kriege und bei den Vergnügungen Tätigkeit. Die Markesaner hatten auch
hre Troubadoure, eine Art Dichter, die auf den Inseln herumzogen und sich durch
den Vortrag ihrer Lieder ihr Brot verdienten. — Wie Dumont d'Urville be—
richtet?, wurde auf den Inseln die Beschneidung durch einen Längenschnitt geübt.
11. Die Hawaii⸗Insulaner.
Die Hawaii- oder Sandwichinseln wurden schon im 16. Jahrhundert entdeckt,
sind aber erst durch Kapitän Cook in Europa näher bekannt geworden. Schon
m Anfang des 19. Jahrhunderts ließen sich dort protestantische Missionäre aus
den Vereinigten Staaten nieder. Von ihnen besitzen wir die ersten zuverlässigen
Nachrichten über die Sitten und die Religion der Insulaners. Im Jahre 1827
kamen auch katholische Missionäre auf die Inseln. Ihre Berichte wurden in
den Annalen der Glaubensverbreitung veröffentlichts. Eine zusammenfassende
Darstellung der Sitten und Gebräuche der Hawaiier gaben später der amerikanische
Missionär Jarves? heraus und P. Montitons. Da die Eingebornen infolge
der Berührung mit den Ausländern ihre Sitten und Gebräuche bald wesentlich
Malerische Reise um die Welt J 296.
Annales de la propagation de la foi XII (1840) 575.
Die Inseln des Stillen Ozeans II 255. * A. a. O. 1297.
Zu erwähnen ist besonders das Werk von William Ellis: Narrative of à Tour
Through Hawaii, London 1827.
*Annales do la propagation de la foi IV (1830) 2685 ff.
ANistory of tho Hawaian or Sandwich Islands. By James Jackson Jarves,
London 1848. Jarves stutzt sich vielfach auf die Angaben von Ellis. Auch Dumont
d'Urville hat mit Benutzung der Reisebeschreibungen von Freycinet eine ausführliche
Schilderung der Inseln veröffentlicht in „Malerische Reise um die Welt“ J 2830 ff.
s Missions catholiques 1880, 597 ff 625ff; 1881, 19 ff 32ff; vgl. auch noch 1890, 56 ff.
553
beränderten, müssen wir uns möglichst an die ältesten Berichte halten, um ihre
ursprünglichen Anschauungen kennen zu lernen.
Ihrer physischen Beschaffenheit und Sprache nach gehören die Eingebornen
zur malaiischen Rasse. Man muß also annehmen, sie seien aus Asien auf die
Inselgruppe gekommen. Doch ist über ihre Geschichte wenig Sicheres zu er—
fahren. Sie selbst glaubten von den Göttern abzustammen und auf den Inseln
erschaffen worden zu sein.
Zur Zeit Cooks scheinen mehrere unabhängige Könige auf der Inselgruppe
geherrscht zu haben, die in beständigen Kriegen miteinander lagen, so daß Mord,
Totschlag, Raub und Diebstahl an der Tagesordnung waren und oft Hungers—
not wütete. Im Anfang des 19. Jahrhunderts kam das Land unter die Herr⸗
schaft eines einzigen Königs, der mit absoluter Gewalt herrschte und den Frieden
herstellte.
Die ersten katholischen Missionäre entwerfen ein sehr günstiges Bild von
dem Charakter der Eingebornen, soweit sie noch nicht durch das schlechte Bei—
spiel der Ausländer, vielfach gewissenloser Abenteurer, verdorben waren. Sie
schildern dieselben als gutmütig, ehrlich, sehr höflich und außerordentlich gastfrei,
allerdings aber auch als indolent, träg und sinnlich. Das Verhältnis zwischen
Vorgesetzten und Untergebenen war ein ganz patriarchalisches:. Obwohl der
König mit fast unumschränkter Gewalt herrschte, so war er doch an das alte
Gewohnheitsrecht gebunden, welches von allen genau beobachtet wurde und das
Eigentumsrecht, die persönliche Sicherheit und den Tauschhandel regelte. Die
Abgaben und die Arbeiten, welche die abhängigen Leute den Häuptlingen oder
dem König zu leisten hatten, waren durch den Gebrauch festgesetzt. Namentlich
galten die Bestimmungen über die Bewässerung, von der dort die ganze Ernte
abhängt, als unverletzlich. Jede Pflanzung erhielt einen fest geregelten Betrag
von Wasser, je nach der Trockenheit der Jahreszeit. Im Handel wurden die
Abmachungen erst dann als gültig angesehen, wenn die Waren ausgetauscht
waren und sich beide Parteien für befriedigt erklärten?.
Unter den Eingebornen herrschte eine solche Freigebigkeit und Gastfreund⸗
schaft, daß fast Gütergemeinschaft zu bestehen schien. Selbst dem ärgsten Feind
würde man die Nahrung nicht verweigert haben, wenn er in das Haus ge—
kommen wäre. Dadurch wurde die Versuchung zum Diebstahl sehr vermindert
und dieses Laster um so gehässiger. Stahl jemand das Eigentum eines Häupt-
lings, so wurde der Schuldige zuweilen, an Händen und Füßen gebunden, in
einen abgenutzten Kahn gelegt und den Wellen überantwortet, so daß er ver—
hungern mußtes.
Obwohl die Gesetze und Gebräuche die Einzelnen gegen das gewöhnliche
Volk in ihrem Leben und Eigentum schützten, gaben sie doch keine Sicherheit
gegen die Häuptlinge, die nach Willkür herrschten. Höchstens konnte man an
den König appellieren, dessen Wille absolut war. Die Macht des Königs
gebot über Leben, Freiheit und Eigentum aller Untertanen. Er delegierte aber
seine Macht an die Gouverneure der Inseln oder größerer Distrikte, und diese
11. Die Hawaii⸗Insulaner.
1 Annales de la propagation de la foi IV (1880) 266 ff.
eJarves a. a. O. 31. s Ebd.
—554 Fünfter Teil. Australien und Ozeanien.
ernannten wieder untergeordnete Beamte. Kein Häuptling durfte den Unter⸗
tanen eines andern zur Rechenschaft ziehen oder strafen; wollte er sich Recht
verschaffen, so mußte er sich an dessen Vorgesetzten wenden 1.
Fine regelrechte Polizei gab es nicht. Die unmittelbaren Diener des Häupt⸗
lings vollstreckten seine Befehle. Diese Diener waren zahlreich und nach Rang⸗
stufen eingeteilt. Alle aßen, tranken und schliefen zusammen. Gleich nach der
Geburt erhielt der zukünftige weibliche oder männliche Häuptling seine Diener⸗
schaft zugewiesen. Die Kinder wurden Ammen anvertraut, welche sie pflegten,
his sie ihren eigenen Willen geltend machen konnten; dann durfte sich niemand
mehr ihren Launen widersetzen. Der Rang eines jeden war erblich und ver—⸗
erbte sich nach der Linie der Frauen, welche oft kraft eigenen Rechtes die Regie⸗
rungsgewalt besaßen. „Diese Gewohnheit entstand aus der großen, zwischen
bheiden Geschlechtern herrschenden Ausschweifung. Kein Kind konnte mit Sicher⸗
heit seinen Vater bezeichnen, während von seiten der Mutter kein Irrtum
möglich war.“2
Es existierten drei Stufen von Adeligen. Zur ersten gehörten die Könige
und alle Glieder der königlichen Familie; ferner die vornehmsten Räte, auch
wenn sie niedriger Herkunft waren; zur zweiten die Gouverneure oder Häupt⸗
linge großer Distrikte; zur dritten endlich die Vorsteher der Dörfer, die Priester
und gewisse Landbesitzer, die regelmäßige Abgaben bezahlten. — Den Vor—⸗
gesetzten, besonders den Priestern und Häuptlingen vom höchsten Rang, wurde
klavische Unterwerfung erzeigt. Ohne ihre Erlaubnis durfte niemand sie be—
rühren oder in ihr Haus eintreten. Wenn sie erschienen, mußten sich alle bis
zur Erde verneigen, und jede Verletzung der ihnen gesetzlich geschuldeten Ehre
wurde mit dem Tode bestraft. Das Volk war an die Scholle gebunden und
wurde mit ihr übertragen wie früher die Grundhörigen in Europa. Es hatte
keine Stimme in der Regierung. Der König zog in wichtigen Angelegenheiten
die vornehmsten Häuptlinge zu Rate, war aber nicht an ihren Rat gebunden.
Zuweilen wurden auch öffentliche Versammlungen zur Besprechung nationaler
Angelegenheiten abgehalten, bei denen die Redner und Räte, deren Amt ebenfalls
erblich war, große Beredsamkeit an den Tag legten8.
Unter den Häuptlingen wurde die größte Höflichkeit beobachtet und jeder
nach seinem Rang angeredet. Vom Volk schloß sich der Adel ganz ab. Jede
Berührung mit demselben, jeder Gebrauch derselben Gegenstände, Badeplätze usw.
galt als Befleckung des Adels. Es hat sich deshalb auch in der physischen
Konstitution eine große Verschiedenheit herausgebildet, so daß man sie bei ober—
flächlicher Betrachtung für Leute verschiedener Rassen halten könnte. Das Volk
wurde verachtet und in schmachvoller Weise bedrückt. Man hatte keine Achtung
bor seinem Leben und Eigentum. Tatsächlich gab es eigentlich nur zwei Klassen:
die eine arbeitete und die andere erntete.
Bei Prozessen wurde der Schein eines gerichtlichen Verfahrens ein⸗
gehalten. Beide Parteien wurden vor den König oder Häuptling geladen und
angehört, bevor man das Urteil sprach. Der Urteilsspruch wurde sofort aus⸗
iJarves, History of the Hawaian or Sandwich Islands 82.
Ebd. 33. s Ebd. 34.
11. Die Hawaii⸗-Insulaner.
555
geführt. Gewöhnlich wurde die Untersuchung der Fälle den Priestern über—
assen, die mehr durch abergläubische Furcht als durch Beweise die Schuldigen
ausfindig zu machen suchten. Auch besondere Gottesurteile waren im Ge—
zrauch. Eines derselben war das wai halulu, das Wasserschütteln. Eine
—AD
ein Gebet verrichtete. Der Angeschuldigte mußte beide Hände über das Wasser
halten, das der Priester genau beobachtete. Zitterte das Wasser — was
durch eine List leicht bewirkt werden konnte —, so war das Schicksal des
Opfers besiegelt. Eine große Gewalt auf den Geist der Eingebornen übte das
sog. „Zutotbeten“, dem selbst, wenn auch seltener, Häuptlinge unterworfen waren.
Zauberei und Hexerei spielten überhaupt eine große Rolle, ebenso die Wahr—
sagerei. Gewisse Leute behaupteten, aus dem Hahnenruf und Hundegebell oder
auch aus Himmelserscheinungen die Zukunft erkennen zu können.
Oft wandte man sich auch an Priester, um die Diebe zu entdecken. Der
Kläger mußte zum voraus bezahlen. Dann wurde Feuer angemacht, ein Gebet
berrichtet und dabei ein Fluch ausgestoßen: den Menschen zu töten. Gewöhnlich
hekannte dann der Dieb aus Angst seine Schuld und mußte für dieselbe eine
schwere Strafe bezahlen. Bekannte er nicht, so ließ der König durch die ganze
Insel verkünden, ein Diebstahl sei begangen worden und der Schuldige solle zu
Tode gebetet werden. So groß war der Aberglaube, daß der Schuldige oft
aus Angst krank wurde und starb!.
Bei den Hawaiiern herrschte allgemein der Glaube an ein zukünftiges
Leben, aber die Ideen über dieses Leben und besonders über Lohn und
Strafe im Jenseits waren sehr vag. In Bezug auf den Ort und die Art
der Vergeltung stimmten nicht alle Insulaner überein und findet sich in ihren
Ansichten manches Widersprechende. Einige glaubten, sagt Jarves?, die Seelen
der Verstorbenen gingen nach dem Po (dem Ort der Nacht), wo sie vernichtet
»der von den Göttern aufgezehrt würden. Andere betrachteten die Gegenden
hon Akea und Milu als die endlichen Ruhestätten. Akea und Milu waren
frühere Könige von Hawaii, die nach dem Tode hinabstiegen und drunten
Königreiche stifteten, die zum Hades von Hawaii wurden. Dort herrschte Finster—
nis, Eidechsen und Schmetterlinge waren die einzige Nahrung. Die Geister der
Verstorbenen wurden zuweilen zurückgeschickt mit Botschaften an die Lebenden,
deren Sinn von den Priestern ausgelegt und die vom Volke wie göttliche Gebote
aufgenommen wurden. Es gab in der Unterwelt zwei Götter; einer wurde der
„Augapfel der Sonne“ genannt und führte die Geister der Häuptlinge zu ihren
Herren im Himmel. Von dort kehrten sie zuweilen zur Erde zurück, um über
das Wohlergehen der noch lebenden Nachkommen zu wachen8.
Die Hawaiier glaubten an zwei Seelen im Menschen:; die eine blieb
mit der Leiche verbunden und wurde Glied des dunklen Milu, während die
andere umherirrte und die Lebenden beschützte oder quälte, je nachdem sie
auf Grund ihrer Verdienste oder Mißverdienste hienieden ein
Ebd. 36-37. s Ebd. 38.
Ebd. Montiton in den Missions catholiques 1880, 626.
Missions catholiques 1880. 626.
56 Fünfter Teil. Australien und Ozeanien.
guter oder böser Geist geworden war. Die Schmeichelei der Priester
wies den Seelen der Häuptlinge als Aufenthaltsort nach dem Tode einen
Himmel an, in den sie von Kaonohiokala, dem Augapfel der Sonne, ein⸗
geführt wurden. Dort lebten sie mächtig und glücklich weiter und kehrten zu—
weilen zurück, um ihr früheres Königreich zu regieren. Einige haben gemeint,
die Hawaiier glaubten an die Seelenwanderung; Montiton hält es für waäahr—
scheinlicher, daß sie bloß an die Vergötterung jener Toten glaubten, deren Ge—
beine sie der Göttin Pele oder gewissen als Götter verehrten Fischen vor⸗
warfen.
Sehr verschieden lauten die Angaben der Missionäre über den Gottes—
glauben der Hawaiier. Jarves behauptet, der Glaube an den „Großen Geist“,
der bei den amerikanischen Indianern so weit verbreitet ist, war bei ihnen nicht
»orhanden. Dem widerspricht aber mit aller Entschiedenheit P. A. Montiton,
der selbst längere Zeit auf Hawaii gewirkt hat und sich zugleich auf die Auf—⸗
zeichnungen des P. Marechal beruft, der 20 Jahre auf Hawaii tätig war und
bei den alten Leuten sorgfältige Erkundigungen über ihren Glauben einzog!.
Montiton schreibt: „Welches immer der Ursprung des hawaiischen Volkes ge⸗
wesen sein mag, es ist hinlänglich durch die ursprünglichen Überlieferungen be—
wiesen, daß es im Anfang eine mehr oder weniger konfuse Idee von einem
höheren Wesen gehabt hat. Dieser Gott wurde, wie der Große
Geist der amerikanischen Indianer, angebetet in seiner Eigen—
schaft als Schöpfer aller Dinge, als Belohner der Tugend und
Bestrafer des Verbrechens. Alles weist auf die Annahme hin, daß wir
hier eher Trümmer und Bruchstücke der biblischen Wahrheit vor uns haben als
natürliche Entdeckungen, die man der Intelligenz und dem Nachdenken einiger
weisen Kanaken verdankt.“ Dieser höchste Gott hieß Kane.
Montiton zitiert einen sehr alten Hymnus, den Hivahiva, der Oberpriester
des Königs Kamehameha J. (1784 -1819), bei religiösen Zeremonien sang
oder singen ließ:
„Die große Nacht war der Gemahl,
Der Tag die Gemahlin.
Aus der Nacht wurde geboren
In ihrer Vereinigung mit dem Tag
Kane, der Erzeuger der Erde.
Es war die tiefe Nacht des Chaos,
Es war die geringste Nacht,
Die große Nacht des Chaos,
Es war die große Nacht des Chaos,
welche erzeugte
Kane. den Vater der Welt.“
Der Ausdruck Kane bedeutet nach Montiton in den meisten polynesischen
Dialekten „männlich“, den Mann, der zeugt. In allen diesen Archipelen ist
Kane der Gott der Götter. In dem angeführten Lied wird er Kane Kumuonua,
d. h. Urheber, Hervorbringer oder Schöpfer der Welt, genannt; in einem andern
Liede heißt er Kane Luunoua, d. h. Kane, der sich liebt, der die Erde in seinem
Missions catholiques 1880, 597 ff.
11. Die Hawaii⸗Insulaner.
557
Schoß hervorbringt. Der Oberpriester Hivahiva behauptete, sein Priestertum
gehe auf Kane zurück, den ersten vom priesterlichen Geschlecht, und den Kumuonua⸗
lani, d. h. den himmlischen Schöpfer der Erde oder, besser, den Schöpfer der
Erde und des Himmels, oder der Menschen und der Götter. Der Texrt dieses
merkwürdigen Liedes Hivahivas ist folgender:
„Er ist das Prinzip und die Quelle aller Dinge.
Er ist der Schöpfer der Erde und des Himmels.
Er ist ein dieser Insel fremder König.
Von den äußersten Enden der Fremde
Kam darauf Kanaloa,
Fin Krieger, der Inseln suchte.“
„Ein anderes Gedicht sagt, ein zweiter Gott, Kanaloa, habe im
Verein mit Kane den ersten Menschen Kahiko (en Alten) aus
dem Lehm der Erde geschaffen. Man behauptet hier, daß beide Gott⸗
heiten von fremden Läͤndern hergekommen seien. Es ist in der Tat sehr wahr—
scheinlich, daß die ersten Bewohner der Sandwichinseln von den Inseln her⸗
kamen, die sich im Süden, in der Gegend der Nebel und der Passatwinde be—
finden, d. h. von den Gesellschaftsinseln (Tahiti), deren Bewohner Kane als
hren Nationalgott beanspruchen.“!
„Die Hawaiier hatten auch die Idee von einer Vorsehung, die die freien
Handlungen der Menschen und der Götter überwacht und richtet.“ Das beweist
eine uralle Legende, die aus der Zeit Ovaias, des zweiten Königs von Hawaii,
stammen soll und die erzählt, eines Tages sei am Himmel ein lebendiger Kopf
erschienen, der einige Zeit durch eine Wolke betrachtete, was auf Erden vor⸗
ging, und dann folgende Fragen stellte: „Wer ist unter den Königen derjenige,
der sich am besten aufführt?“ Man antwortete ihm: „Das ist Kahiko (der
Alte), einer von den Königen der Welt hier unten, ein Weiser, ein Priester,
ein Astronom; er sucht nur das Wohl seiner Völker und das Glück seiner
Staaten.“ Der Kopf fragte dann: „Welches ist der lasterhafteste bekannte
König?“ — „Das ist Ovaia, ein gottloser Fürst, dem die Kriegskunst ebenso
fremd ist wie die Wahrsagerei, dem das Glück seines Volkes und das Gedeihen
seines Reiches gleichgültig ist, der sich ganz der Ausschweifung und der Hab⸗
sucht überläßt; er bedrückt tyrannisch seine Untertanen und kümmert sich nicht
im geringsten um die Lehren und Beispiele seines vielgeliebten und betrauerten
Vaters.“ Da sprach der Kopf von der Höhe des Himmels also: „Wahrlich,
es ist nicht zu verwundern, daß ein Staat, der von einem allen Lastern er⸗
gebenen König regiert wird, schnell seinem Untergang entgegengehe.“ Dann
bderschwand der Kopf.
Ebd. 597—5598. Auch nach F. Birgham (vgl. Globus XXXVIII IISsso] 72)
waren Kane und Kanaloa, die fast immer zusammen genannt werden, die obersten
Götter und Erschaffer der Hawaiier. Die Zahl der Neben- und Untergötter ging ins
Unendliche. Kane machte den ersten Menschen, Hulihonua, aus der Erde am Meeresufer.
Sein Weib wurde aus dem Geist (aka) des Mannes erschaffen, während dieser schlief.
Nach Birgham war auch Maui auf Hawaii bekannt. Er galt als Abkömmling Kanes
und ihm verdankt nach einer andern Überlieferung die hawaiische Gruppe ihr Dasein;
er fischte die Inseln aus dem Meere. Seine Frau war Hina. Die Sage von Maui
gleicht der der Neuseeländer.
558 Fuünfter Teil. Australien und Ozeanien.
Die Eingebornen haben auch viele andere Legenden, die oft unwillkürlich
an die Mythen der klassischen Völker und nicht selten auch an die biblischen
Berichte erinnern. So erzählen fsie von gewaltigen Riesen mit übermenschlichen
Kräften, die blutige Kämpfe miteinander führten. Hier nur ein Beispiel: Kana
war ein berühmter Krieger von so kolossaler Gestalt, daß er mit einem gewöhn⸗
lichen Schritt von einer Insel auf die andere treten konnte. Als einst die
Hawaiier den König von Tahiti beleidigt hatten, wurden sie zur Strafe für
ihren Fehler des Sonnenlichtes beraubt. Da Kana es bald müde war, in der
Finsternis zu leben, lief er durch das Meer bis nach Taähiti, wo sich Kakoialii,
der Schöpfer oder bloß der Hüter der Sonne, befand. Hier erhielt er das
Tagesgestirn zurück, kam damit heim und stellte es wieder an den Platz, wo
man es heute sieht!.
Von der Sündflut zur Strafe der Menschen hatten die Hawaiier eine all⸗
zemein bekannte und so bestimmte Überlieferung, daß die protestantischen und
katholischen Missionäre zur Bezeichnung der biblischen Sündflut nur den ein⸗
heimischen Namen herüberzunehmen brauchten. Die große Flut hieß Kai-a-ka—
hina-lii, wörtlich: das Meer des großen Falles, das Meer, das die Großen und
Mächtigen ersäuft. Nach der Tradition soll sich Nuanu mit seiner Frau Lilinoe
auf dem Stamm eines Ohia, einer Art Apfelbaum, aus der Flut gerettet und
— V——
des Naunakea, des höchsten Berges des Archipels, stehen. Nuanu war ein Priester
und brachte der Gottheit Opfer dar. Er hatte nach der Überlieferung ein doppeltes
Gesicht oder einen doppelten Charakter: er war Mensch, aber auch Priester;
damit wurde angedeutet, daß er als Priester einen höheren Rang einnahm als
die gewöhnlichen Sterblichen?. Auch eine Art ägyptischen Joseph kannte die
Uberlieferung der Hawaiier. Vaikelenuiaiku war der Sohn des Taiku, er hatte
neun Brüder und eine Schwester. Die große Vorliebe, die ihm der Vater er⸗
zeigte, erregte den Haß der Brüder, die ihn in eine Grube warfen. Der älteste
Bruder aber hatte Mitleid mit ihm und empfahl ihn dringend der Obsorge des
Hohongeole, des Eigentümers der Grube. Es gelang Vaikelenuiaiku zu ent⸗
tommen, und er floh in ein Land, dessen König Kamohoalii war. Hier wurde
er in ein Gefängnis geworfen, in dem sich viele Verbrecher befanden. Er sagte
ihnen, sie sollten träumen, er werde ihnen dann die Träume deuten. In der
folgenden Nacht sahen drei Gefangene im Traum drei verschiedene Arten von
Speisen: der eine sah einen Ohiaapfel, der andere eine Banane und der dritte
ein Schwein. Ihr Geist verzehrte die betreffenden Dinge. Ein vierter Gefangener
sah im Traum einen mit dem Saft der Avba gefüllten Becher und sein Geist
eerte ihn. Vaikelenuiaiku deutete den Traum dieses letzteren günstig, den drei
ersteren aber sagte er, sie sollten sich auf den Tod vorbereiten. Bald ging die
Voraussagung in Erfüllung. Als der König Kamohoalii Kunde erhielt von
der wunderbaren Gabe der Traumdeuterei, befreite er den Vaikelenuiaiku aus
dem Gefängnis und machte ihn zu einem großen Häuptling seines Königreiches.
Jarves, History of the Hawaian or Sandwich Islands 29. Missions catho-
liques 1880, 599.
2 Missions catholiques 1880. 599.
11. Die Hawaii⸗Insulaner.
559
Die Hawaiier haben auch eine allgemeine Sage von einem Manne, der wie
Jonas von einem großen Fische verschlungen und nachher lebendig wieder ans
Ufer geworfen wurde1.
Neben Kane, dem Schöpfer, und Kanaloa, seinem Gehilfen bei der Er—
schaffung der Menschen, kannte man eine dritte mächtige Gottheit, Pele, die
Göttin der Vulkane. Sie wohnte in dem ungeheuern Krater des großen Vulkans
Kilauea; zuweilen aber zog sie auf die Schneegipfel der benachbarten Berge,
um ihre Lunge zu erfrischen und ihre Hofleute zu stärken. Dieser Zug war
stets mit Erdbeben, Donner und Blitz und Ausbrüchen des Vulkans verbunden.
Erschreckt von diesen Erscheinungen, beeilten sich die Leute der Umgebung, der
Göttin Opfer darzubringen, die meistens aus Bündeln von Nahrungsmitteln
und aus lebendigen oder toten Schweinen bestanden, die man in den Krater
warf. Außerdem gaben sie den Priestern, die allein imstande waren, den Zorn
der Göttin zu besänftigen, verschiedene Geschenke. Um die Göttin zu befriedigen,
warf man in ihren Krater auch einige Gebeine von Häuptlingen oder besonders
geliebten Kindern, die hierdurch zu Göttern erhoben wurden. Man nannte
dieses in der Landessprache aumakua kumupaa, d. h. Religion der Ahnen.
Diese vergötterten Wesen hießen allgemein Hooalii; war es ein Mädchen oder
eine Frau, so wurde sie dem Hofstaat der Göttin eingereiht und hieß Hiiaka
oder auch Unihipili. Einen Teil des Leichnams warf man ins Meer und man
nannte ihn den Haifischgott, Kekuamano?.
Während man die Gaben für die Göttin in ihren Vulkan hineinlegte, flehte
man: „O Pele, o Hiiaka, du, die im Schoße Peles weilest, o Hiiaka, die du
den Himmel brichst, o Hiiaka, die du im Augapfel der Sonne wohnst, hier ist
eine kleine Gabe, verachte sie nicht, wie gering sie auch sei.“ Nach diesem
Gebet warf man die Gebeine hinein, wobei man die eigene Genealogie hersagte:
Ich bin der Sohn von dem und der, Enkel von N. und N. usp. Um dem
Haifischgott einen andern Teil des Leichnams zu opfern, bereitete man zuerst
eine Portion Ava, die man als Libation über das Meer ausgoß, indem man
dabei sprach: „Ich bin es, der dich leben läßt, schaue auf meinen Kummer,
habe Mitleid mit mir, iß den bösen Menschen, sieh das Gute und das Böse,
das geschieht.“ In dieser Weise fuhr man mit den Anrufungen —XW—
Tote seine Vergötterung durch den Gott Haifisch zu erkennen gab, indem er sich
sozusagen auf den Schultern eines Gegenwärtigen niederließ und ihm tausend
derborgene und geheimnisvolle Dinge offenbarte. Man sah ihn nicht, aber man
hörte ihn, und von da an betete man ihn als einen Gott an und erfüllte
ängstlich alle seine Gebote.
Ob zu seiner Zeit dem Haifisch noch die alte Verehrung erwiesen wurde,
konnte Montiton nicht feststellen, wohl aber zog man noch häufig in großen
Prozessionen zum Krater der Göttin, um ihr Opfer von Speisen, Schweinen
und Menschengebeinen darzubringen und ganze Nächte ohne Unterbrechung Ge⸗
bete herzusagen und Loblieder zu singen. Unter den Pilgern waren nicht selten
Chrisien, meist Protestanten, aber auch einige Katholiken; so schwer ist es, meint
Montiton, ein tiefeingewurzeltes UÜbel auszurottens.
Ebd. 2 Ebd. 1881, 20. s Ebd.
560
Fünfter Teil. Australien und Ozeanien.
Wir übergehen die vielen andern untergeordneten Götter der Hawaiier. Es
gab männliche und weibliche Götter, Hausgötter, Meeresgötter, Götter der
Jahreszeiten, des Krieges, der Winde und der andern Naturerscheinungen.
Diese Götter besaßen Bilder und Tempel, um die Opfer der Verehrer entgegen⸗
zunehmen. Sie lebten ungefähr ebenso sinnlich und leichtfertig wie die Götter
der Griechen. Jeder wählte sich seine besondere Gottheit, je nach seinen Wünschen
und Bedürfnissen !.
Früher wurden häufig Menschenopfer dargebracht, z. B. beim Tode eines
angesehenen Häuptlings, vor einem Kriege usw. Alle Verbrecher und alle die⸗
jenigen, welche die religiösen Vorschriften übertreten hatten, wurden erschlagen
und den Göttern geopfert. Der Gebrauch des Tapu oder, wie die Hawaiier
sagten, Kapu existierte auf der Inselgruppe und diente mächtig dazu, die
despotische Herrschaft der Könige zu befestigen. Wenn der große Tapu für die
ganze Insel oder einen Distrikt verkündet wurde, durfte kein Feuer und kein
Licht mehr gesehen, kein Kanoe losgelöst werden, niemand baden, mußte man
jeden Lärm vermeiden u. dgl.?
Nach Montitons trug das Tapu auf Hawaii in seinem Ursprung ganz
religiösen Charakter. Es konnte nur von Priestern im Namen der Götter auf-⸗
erlegt werden und bestand darin, daß Menschen, Tiere und andere Dinge als
heilig, d. h. als vom gewöhnlichen Gebrauch der Menschen abgesondert und der
Gottheit in besonderer Weise gewidmet erklärt wurden. Deshalb waren die
däuptlinge und Priester, die man als Abkömmlinge der Götter ansah, tapu
und ebenso alles, was ihnen gehörte.
Die Hawaiier hatten auch zwei Asyle oder Zufluchtsstätten. Diejenigen,
welche vor einem Feinde flohen, die Totschläger, die Übertreter des Tapu, die
Diebe und selbst die gemeinsten Verbrecher, waren unverletzlich, sobald sie das
Innere dieses Heiligtums erreicht hatten. Der Gerettete begab sich sofort zum
Götzen und brachte ihm für seine Rettung ein Dankopfer dar.
Eine eigentliche Heiratszeremonie scheint nicht stattgefunden zu haben.
Nach Ellis wurden die Ehen von den Eltern abgeschlossen. Am Tag der Heirat
warf der Bräutigam in Gegenwart der Familie ein Stück Zeug über die Braut.
Dann gaben die Freunde der beiden Parteien ein Fest. Die Zahl der Frauen
hjing von der Neigung des Mannes ab sowie von seiner Fähigkeit, sie zu unter⸗
halten. Die gewöhnlichen Männer hatten nur eine Frau, sie trennten sich aber
nach Belieben von ihr. Dürfte man vom Verhalten auf die Begriffe schließen,
so müßte man sagen, die Hawaiier hatten von der Keuschheit sehr mangelhafte
Begriffe gehabt. Sie befriedigten ihre Begierden nach Wahl und ließen sich
nur durch Furcht oder Eifersucht Schranken auflegen. Die Frauen der Häupt⸗
linge wurden aber sorgfältig bewacht, um sie vor Ausschweifungen zu bewahren.
Daraus darf man wohl schließen, daß sie Ehebruch nicht als etwas Gleich—
zültiges ansahen. Abstoßend waren die Familienverbindungen. Der oberste
Häuptling war durch die Gewohnheit verpflichtet, seine nächste Verwandte, also
seine Schwester oder Nichte oder Cousine, zu heiraten. Der höchste weibliche
Jarves, History of the Hawaian or Sandwich Islands 40.
2 Ebd. 52. s Missions catholiques 1880, 625.
11. Die Hawau⸗Insulaner.
561
Häuptling hatte ein ähnliches Privileg für die Wahl der Gatten. Zuweilen
waren Vater und Sohn Männer derselben Frau!. Trotzz dieser sittlichen Ver—
kommenheit waren Beispiele der Zuneigung und Liebe nicht selten. Der Aus—
tausch der Namen galt als der stärkste Beweis der Freundschaft. Die zärtlichste
Begrüßung bestand in der Umarmung, bei der die Nasen einander berührten.
Lange Zeit glaubte man, der Kannibalismus sei auf Hawaii unbekannt
gewesen; denn als Cook die Insulaner über diesen Punkt ausfragte, zeigten sie
Scham und Abscheu dagegen; spätere Erkundigungen haben aber ergeben, daß
diese scheußliche Sitte früher dort geherrscht hatte. Nach siegreichen Schlachten
wurden die erschlagenen Feinde gebraten und verzehrt. Das galt als die glor⸗—
reichste Vollendung der Rache.
Wahnsinnige Leute wurden gelegentlich mit Achtung und Ehrfurcht behandelt,
da man annahm, sie seien von einem Gott inspiriert; meistens aber wurden sie
derachtet und verspottet ebenso wie die Krüppel oder die Blinden. Alte und
hilflose Leute wurden oft von ihren eigenen Kindern aus dem Hause geworfen
und an den Straßen hilflos ihrem Schicksal überlassen, bis der Tod sie erlöste?.
Die Eltern hatten Gewalt über Leben und Tod ihrer Kinder, ohne jemand
dafür verantwortlich zu sein. Kindertötung war mehr bei den armen Klassen
als bei den reichen üblich; die Armen töteten die Kinder meistens, um die
Kosten und Mühen der Erziehung zu vermeiden. Die Mädchen wurden häufiger
getötet als die Knaben, da sie als weniger nützlich galten. Die Tötung be—
stand oft darin, daß Kinder lebendig begraben wurden. Doch kam es zuweilen
vor, daß mitleidige Personen die Kinder noch rechtzeitig aus dem Grabe heraus—
holten, um ihnen das Leben zu retten und sie zu adoptieren. Von einer Er—
ziehung der Kinder, die man am Leben ließ, konnte kaum die Rede sein. Eine
diebkosung oder ein Schlag war der ganze Lohn und die ganze Strafe, welche
die Kinder erhielten; doch erzeigten diese den Eltern eine gewisse Achtung, und
sie hielten darauf, ihnen im Tode die Augen zuzudrücken, selbst wenn sie vom
außersten Ende des Archipels herbeieilen mußten.
Begräbnis. Die Leichen der Leute aus dem gewöhnlichen Volke wurden
so hergerichtet, daß das Gesicht auf den Knien ruhte und die Arme unter
denselben und zwischen ihnen hindurch zu liegen kamen. Kopf, Hände und
Füße wurden durch eine Schnur fest zusammengebunden; die Leiche wurde in
rohe Matten gehüllt und zwei Tage nach dem Tode begraben. Die Leichen der
Priester und unteren Häuptlinge wurden gerade gelegt und in Tücher gehüllt.
Die ersteren wurden in ihren Tempeln begraben, wo ihre Ruhestätten durch Stein—
haufen und eine rohe Holzumzäunung bezeichnet waren. Die Gebeine und zu—
weilen auch die Schädel der großen Häuptlinge, deren Ahnen schon zu den
Ehren der Gottheit erhoben waren und die selbst auch zu diesen Ehren gelangen
sollten, wurden aufbewahrt und der Rest begraben oder verbrannt. Die Reliquien
wurden in rote Tücher gehüllt und entweder zur Anbetung in den Tempeln
niedergelegt oder blieben im Besitz der nächsten Verwandten, welche sie heilig
hielten. Die Geister der Verstorbenen blieben, wie man annahm, bei den Über⸗
resten, um die Überlebenden zu überwachen und zu beschützen 8.
1 Jarves a. a. O. 80. 2 Ebd. 82. 3 Ebd. 73.
Cathrein, Die Einheit d. sittl. Bewußtseins. IIL
535*
—362 Funfter Teil. Australien und Ozeanien.
Als Grabstätten dienten gewöhnlich Höhlen, in denen man während vieler
Generationen die Leichen niederlegte. Oft wurden sie nach einer rohen Me—
thode einbalsamiert, nachdem man das Gehirn und die Eingeweide entfernt
hatte. Ihr Eigentum und die Nahrung, welche ihnen auf der Reise in die
Welt der Geister dienen sollte, wurde neben sie gelegt. Auch geschlossene, mit
hohen Steinmauern umgebene Räume wurden als Grabstätten verwendet. Jede
Familie hatte im allgemeinen einen getrennten Begräbnisplatz, obwohl zuweilen
alle Toten eines Dorfes in derselben Höhle begraben wurden. Die Eingebornen
hatten eine große Angst vor den Schatten der Toten, von denen sie annahmen,
daß sie in der Nähe der Grabstätten herumspukten und denen, welche ihnen
nahekamen, Schaden zufügten. Infolge dieser Angst wurden die Begräbnisse
nöglichst geheim und in der Nacht vorgenommen. Die Fischer glaubten bis zu
einem gewissen Grade an die Seelenwanderung und warfen ihre Toten den
Haifischen zur Nahrung hin. Sie glaubten, deren Geister würden nun diese
Fische beseelen und sie antreiben, die Leiber der Lebenden zu schonen, wenn diese
etwa in ihre Gewalt gelangen sollten.
Einige Bemerkungen über das Strafrecht entnehmen wir noch den An—⸗
gaben Montitons. Wir haben schon gesagt, daß die Eltern ihre Kinder und
die Könige und Priester ihre Untertanen oder Untergebenen nach Gutdünken köten
konnten; das galt als ihr Recht. Abgesehen von den Genannten, setzte sich jeder,
der einen andern kötete, der blutigen Wiedervergeltung aus; waren die Ver⸗
wandten des Ermordeten zu schwach, um selbst Rache nehmen zu können, so
wandten sie sich an den König, der dem Schuldigen eine leichte Geldstrafe auf—
erlegte. Obwohl alle sehr zum Diebstahl neigten, wußten sie doch sehr gut
und gestanden es auch, daß er schlecht und verboten sei. Ein Greis von 110 Jahren,
dem ein Missionär zu seinem hohen Alter ein Kompliment machte, antwortete,
Hott habe ihm dieses lange Leben geschenkt, weil er nie einem andern das Seinige
entwendet habe. Der König Kamehameha ließ die Diebe braten oder von einer
Anhöhe herunterstürzen. Die öffentliche Meinung verurteilte den Diebstahl so
hestimmt, daß das ganze Volk die Reklamationen der Schwachen, welche von
den Mächtigen ungerecht beraubt wurden, unterstützte. Es war etwas Gewöhn⸗
liches, daß der Arbeiter zum voraus bezahlt wurde; weigerte er sich hinterher,
die vereinbarte Arbeit zu leisten, so wurden nach dem Gesetz sein Eigentum ge—
blündert und die Pflanzungen verwüstet.
Die Lüge war ein sehr allgemeiner Fehler der Kanaken, sie wurde aber
trotzdem von ihnen mit dem gehässigen und verächtlichen Ausdruck vahahee
gebrandmarkt. Auch der Verrat wurde als ein Verbrechen bezeichnet und
verabscheut.
Missions catholiques 1880, 636.
Schlußergebnis.
Werfen wir jetzt am Schluß einen Rückblick auf unsere Untersuchungen, so
können wir folgende Sätze als sicheres Ergebnis hinstellen.
1. An der Einheit und Allgemeinheit des sittlichen Bewußtseins der Mensch⸗
heit, soweit die sog. natürliche Moral, die Moral des Dekalogs in
bem von uns erklaͤrten Sinn! in Betracht kommt, kann unseres Erachtens kein
vernünftiger Zweifel bestehen. Wir haben zwar nicht absolut alle Völker auf—
— Zonen, daß der
Induktionsbeweis für unsere These als vollständig erbracht angesehen werden
darf. Alle Völker, auch die in der Kultur am tiefsten stehenden, haben einen
Grundstock von sittlichen Begriffen und Grundsätzen, die einen unverlierbaren
Gemeinbesitz der Menschheit bilden. Alle unterscheiden zwischen gut und bös,
zwischen Tugend und Laster, zwischen guten und bösen Menschen. Überall wird
das Gute als erstrebenswert anerkannt und gebilligt, während das Böse, das
Laster als verabscheuungswürdig gilt. Das Gute wird gelobt und belohnt,
das Böse getadelt und gestraft. Die allgemeinen Grundsätze, daß man das
Gute tun, das Böse meiden, daß man kein Unrecht tun, daß man andern nicht
zufügen solle, was man nicht erdulden mag u. dgl., begegnen uns praktisch
uͤberall. Desgleichen sind die allgemeinen Gebote, daß man nicht ungerecht töten,
nicht ehebrechen, stehlen, falsches Zeugnis ablegen solle, in ihrer allgemeinen Form
überall bekannt. Damit steht nicht im Widerspruch, daß sie z. B. in manchen
Fällen die Tötung eines Menschen mit Unrecht für zulässig halten, wo wir mit
unserer besseren Erkenntnis sie verurteilen müssen. Das sind Verirrungen, die
sich meist aus den konkreten Verhältnissen, in denen die Wilden leben, leicht
erllären lassen. Wir haben das in der Einleitung und im Verlauf unserer
Darlegungen wiederholt gezeigt.
Sodann ist dieses wohl zu beachten: Obwohl sehr oft nicht nach den er⸗
kannten Grundsätzen gehandelt wird — was übrigens bekanntlich auch bei den
Zivilisierten der Fall ist —, stets sucht sich die Erkenntnis des Guten in der
Praxis durchzusetzen und gegen das Böse zu reagieren. Die Begriffe der Schuld
und Unschuld, des Verbrechens, der Sühne und Strafe finden sich überall.
überall sucht man sich durch Prozesse, Zeugen, Eide, Ordalien oder Zauber⸗
miltel von der Schuld des Angeklagten zu überzeugen, bevor man ihn straft.
Wicb seine Unschuld erwiesen, so bleibt er straflbs. Man hat also die Über—
Vgl. J 11ff.
26
564
Schlußergebnis.
zeugung, daß nur der Schuldige gestraft werden darf. Die Strafe ist auch
nicht für alle Vergehen gleich, das schwerere Verbrechen wird schwerer bestraft.
Fr. Ratzel! behauptet, auf den untersten Kulturstufen sei das Gute das
dem einzelnen, nicht das der ganzen Gesellschaft Wohltuende. Aber wie kommt
es denn, daß immer und überall Mord, Diebstahl, Ehebruch u. dgl. verabscheut
and gestraft werden, obwohl sie doch dem einzelnen sehr oft nützlich und vor—
teilhaft sind?
2. Ganz besonders scharf ausgeprägt ist bei allen Völkern das Recht 8—
gefühl. Auch die armseligsten Wilden haben klare Begriffe von Recht und
Unrecht, Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit, von Mein und Dein, und sind lebhaft
durchdrungen von dem Bewußtsein, daß man kein Unrecht zu leiden brauche,
aber auch kein Unrecht andern zufügen dürfe. Jeder will sein Leben, seine
Freiheit, sein Weib, seine Kinder, seinen Besitz gegen unbefugte Eingriffe anderer
gesichert wissen, aber ebenso sieht er ein, daß er diese Forderung mit Recht nur
erheben kann, wenn er andern gegenüber nach demselben Grundsatz handelt.
In diesem Rechtsgefühl wurzelt die Tatsache, daß man überall Mord und Tot⸗
schlag, wenigstens unter den Familien- oder Stammesangehörigen, schwere Körper⸗
verletzung, Ehebruch, Diebstahl, Verleumdung u. dgl. verabscheut und nach
Möglichkeit bestraft. Auch wenn die Gebote der Gerechtigkeit noch so oft ver—
letzt werden, immer reagiert dagegen nicht nur der davon Betroffene, sondern
die Genossenschaft, die Gesamtheit, und sucht dem Unrecht zu steuern. Sehr
bezeichnend in dieser Beziehung ist die Blutrache, die uns bei fast allen un—
zivilisierten Vöolkern begegnet und überall als eine gebilligte, berechtigte, vom
Bewohnheitsrecht genau geregelte Institution besteht. Sie ist nur eine auf
primitiven Kulturstufen notwendige Reaktion gegen erlittenes Unrecht. Weil die
Gesamtheit noch zu schwach und zu mangelhaft organisiert ist, sieht sich die
Familie genötigt, zur Selbsthilfe zu greifen, um sich gegen feindliche Mächte
zu behaupten?.
Wie die eigentliche Gerechtigkeit, so sind auch die ihr verwandten Tugenden
der Wahrhaftigkeit, Treue, Freigebigkeit, Gastfreundschaft,
höflichkeit, Dankbarkeit überall bekannt und werden bis zu einem ge—
wissen Grade geübt, wenn sie sich auch bei primitiven Völkern nicht immer in
derselben Weise äußern wie bei den zivilisierten. Bei den Naturvölkern wird
gewiß viel gelogen — ob viel mehr als bei den Zivilisierten, bleibt immerhin
doch fraglich —, die Lüge ist nun einmal die Waffe der Schwachen. Trotzdem
wird die Lüge, wenigstens wenn sie dem Nebenmenschen schadet, als tadelnswert
anerkannt. —X wird der Vorwurf „Lügner“, „Verleumder“ als ein Schimpf
empfunden. Wie sehr die Lüge verurteilt wird, ersehen wir aus der Auffassung
des Meineides. Der einzige Grund, warum alle Völker den Meineid als
schweres Verbrechen ansehen, liegt darin, daß man Gott oder Götter oder höhere
Mächte zum Zeugen der Unwahrheit, der Lüge anruft und überzeugt ist, eine
olche Anrufung mißfalle ihnen und werde von ihnen mit Krankheit oder Tod
gestraft. Man hält also Gott oder die Götter für Feinde der Unwahrhaftigkeit
und die Lüge für bbs. Die Dankbarkeit ist manchen Wilden abgesprochen
Völterkunde 12 50. 2 Vgl. hierüber unsere „Moralphilosophie“ II 112.
Schlußergebnis.
565
worden, aber wie wir an vielen Stellen gezeigt haben, ganz mit Unrecht. Wir
berweisen namentlich auf das, was wir bei Besprechung der Beni-Marungu
II 164) ausgeführt haben.
Ein hervorstechender Zug der wilden Völker ist ein großes Gefühl der
Zusammengehörigkeit und Solidarität unter den Genossen desselben
Stammes oder derselben Gemeinschaft gegenüber auswärtigen Feinden. Dieses
Gefühl wurzelt in der Erkenntnis der eigenen Schwäche und dem Bewußtsein,
daß man sich nur durch festen Zusammenschluß gegen die Feinde behaupten
kann. Deshalb wird von ihnen mit Recht der Tapferkeit der Krieger ein
so hoher Wert beigelegt. Sie gilt als die erste und wichtigste Tugend, die
meistens über die ganze soziale Stellung des Mannes entscheidet. Bei sehr
zielen Völkern findet der junge Mann keine Frau, solange er noch keine Be⸗—
weise kriegerischen Mutes geliefert hat. Der Feigling wird verachtet und be—
schimpft. Mit diesem Gefühl der Solidarität hängt es zusammen, daß der
Verrat oder die Mitteilung kriegerischer Geheimnisse an Feinde als scheußliches
Verbrechen gilt, das meist mit dem Tode bestraft wird. Schon aus dieser so
stark hervortretenden Bedeutung der kriegerischen Tapferkeit erklärt sich zum Teil
die ganz untergeordnete Stellung der Frau bei den meisten Naturvölkern.
3. Die Urquelle und der Ausgangspunkt der ganzen sozialen Organisation
ist die Familie, und diese begegnet uns in irgend einer Form ausnahmslos
bei allen Stämmen und Völkern. Was man von einem ursprünglichen regel⸗
losen Geschlechtsverkehr, geschlechtlichen Kommunismus u. dgl. früher behauptet
hat, gehört alles in das Reich der Fabeln.
Die Grundlage der Familie ist die Ehe, das aus sich dauernde und bindende
Verhältnis von Mann und Frau, und dieses treffen wir überall. Die leichte
Auflösbarkeit der Ehe bei den meisten Naturvölkern kann nicht hiergegen geltend
gemacht werden, wenn man nicht auch den zivilisierten Völkern die Ehe ab—
sprechen will, bei denen die Ehescheidung gesetzlich anerkannt ist. In den Ver—
einigten Staaten werden jährlich an die 60000 -70 000 Ehen geschieden. Ja
im Unterschied zu vielen Kulturvölkern gibt es nicht wenige primitive Stämme,
bei denen die Ehe als unauflöslich gilt; man vgl. z. B. I856 (Koragas),
405 (Chins), 412 (Karenen), 415 (Katchins), 443 (Weddas), 450 (Anda—
manesen), 625 (Neger am unteren Nil), 641 (Gallas), 668 (Nuba); II 113
Wasigua) usw.
Ein Hauptübel, an dem die heidnische Familie krankt, ist die Polygamie,
die bei den allermeisten Naturvölkern herrscht und welche die Frau fast not—
wendig zur Sklavin und zum Lasttier des Mannes herabdrückt. Merkwürdig
ist aber wieder, daß bei vielen sonst sehr tief stehenden Völkern, wenigstens im
Prinzip, strenge Monogamie herrscht. Man vergleiche, was wir über die
Karenen (J412), Andamanesen (J450), Nikobarer (1454), Semangs (Il 431),
Jakuns (J 437), Dajaken (J 487 498), die Nigritos, Kianganen und Tag—
banas auf den Philippinen (¶ 539 546 552), die Weddas (I448), Baduwis
I 488), die Eskimo in Alaska (II 505 507), Chichimeken (II 630 631),
Birria (III 252) usw. gesagt haben.
Eine arge Verirrung der Ehe ist die sog. Polyandrie, die uns bei einigen
wenigen Völkern begegnet, z. B. bei den Todas und den Zentralaustraliern.
566
Schlußergebnis.
Mit geschlechtlichem Kommunismus hat sie aber nichts gemein. Sie hat fast
ausnahmslos ihren Grund in besondern örtlichen Verhältnissen, namentlich im
Frauenmangel; sie ist ferner im allgemeinen auf wenige Männer beschränkt,
die nur unter genau bestimmten Voraussetzungen mit derselben Frau verkehren.
Außer dem Frauenmangel mögen aber auch wirftschaftliche Rücksichten zu dieser
Einrichtung geführt haben. Wenn der Vater stirbt oder altersschwach wird,
tritt gewöhnlich sein ältester Sohn an seine Stelle. Er verkauft die noch ledigen
Schwestern zur Ehe und erhält den Preis dafür; er muß aber auch für die
jüngeren Brüder sorgen und ihnen beim Kauf einer Frau beistehen. Das ist
yft bei armen Familien eine schwere Last. Nimmt man nun noch dazu, daß
nur wenige Frauen vorhanden und nur zu hohen Preisen zu erwerben sind, so
tonnte der ältere Bruder leicht auf den Gedanken kommen, seine Schuldigkeit
dadurch los zu werden, daß er den jüngeren Bruder nach bestimmten Regeln
an seiner Frau teilnehmen ließ. So blieb auch das Vermögen in der Familie.
Diese Polyandrie findet man keineswegs bei den verwahrlostesten Stämmen. Mit
Ausnahme der Zentralaustralier sind es Völker höherer Kultur, die diesem Laster
hquldigen, wie die Todas, die alten Guantschen auf den Kanarischen Inseln.
Die Polyandrie muß, wie Ratzel! meint, als eine Entwicklung aus zersetzten
und abnormen Verhältnissen angesehen werden. Wie wenig die Polyandrie mit
geschlechtlichem Kommunismus zu tun hat, ergibt sich auch daraus, daß sie bei
Völkern vorkommt, die den größten Abscheu haben gegen Ehen zwischen An⸗
gehörigen derselben Familie oder desselben Klans und diese Ehen als Blut—
schande betrachten.
4. Sonderbar mutet uns die Einrichtung vieler Völker an, derzufolge die
Verwandtschaft nicht nach dem Vater, sondern nach der Mutter
berechnet wird (MMutterrecht oder weibliche Linie). Der Mann tritt
bei der Ehe in die Familie der Frau, und die Familienzugehörigkeit der Kinder
wird nicht nach dem Vater, sondern nach der Mutter berechnet. Das Kind
gehört also zur Heirats- und Totemklasse der Mutter. Nicht die Angehörigen
des Vaters, sondern die der Mutter gelten als eigentliche Verwandte der Kinder.
Man hat dieses Mutterrecht als eine ursprünglich allgemeine Form der Ehe
dezeichnet; erst auf einer höheren Entwicklungsstufe treffe man das Vaterrecht
oder die Berechnung der Verwandtschaft nach dem Vater an. Diese Ansicht,
die besonders von Westermarck? gründlich bekämpft wurde, ist heute schon von
den meisten Ethnologen aufgegeben?. Nach Weule“ sucht die heutige Ethnologie
den Ursprung des Mutterrechts nicht in der Geschlechtsgenossenschaft, sondern in
dem Überwiegen des Gesellschaftstriebes in der primitiven sozialen Ordnung.
Auch tiefstehenden Völkern ist die Familie die einzig klar erkennbare Gesellschafts⸗
form. Durch natürliche Vermehrung entsteht aus ihr die Horde oder Groß—
familie, in der sich zwei natürliche Verschiedenheiten: die des Alters und des
Geschlechtes, vorfinden. Der Gesellschaftstrieb veranlaßt die Männer, auch nach
der Verheiratung fester mit den Alters- und Geschlechtsgenossen verbunden zu
Völkerkunde 12 108. 2 History of Haman Marriage, London 1891.
3 Vgl. W. Schmidt, Der Ursprung der Gottesidee 182 ff.
Leitfaden der Völkerkunde (1912) 103.
Schlußergebnis.
567
hleiben als mit der Gattin. Durch die Absonderung des Mannes wird die
Frau isoliert, sie wird gleichzeitig der Mittelpunkt der Familie, und zwar der
mutterrechtlichen. Aber wenn diese Erklärung die richtige wäre, müßte uns in
primitiver Gemeinschaft nahezu allgemein das Mutterrecht begegnen. Dem ist
aber nicht so. Das Vaterrecht ist mindestens ebenso häufig, ja noch häufiger
als das Mutterrecht.
Fine andere Erklärung scheint uns viel einfacher und näherliegend. In
primitiven Gesellschaften geht die Organisation kaum über die Bildung von
Familien (Großfamilien) hinaus. Jede solche Familie ist auf sich selbst an—
gewiesen und gezwungen, auf jede Weise für ihre Erhaltung und ihre Macht
zu sorgen. Was lag nun näher, als daß der Familienvater dem Manne, der
um seine Tochter anhielt, diese nur unter der Bedingung zur Frau gab, daß
er in die Familie der Frau eintrete, und daß die Kinder in Bezug auf Ver⸗
wandtschaft, Erbrecht usw. in der Familie der Frau blieben? Bei den Baholo—
holo gibt der Vater seine Tochter nie einem Mann, ohne die ausdrückliche Be⸗
dingung zu stellen, daß es den Kindern freistehen soll, spüter in die Familie
ihrer Mutter zurückzukehren 1. Doch wie dem immer sei, man hat kein Recht,
dieses Mutterrecht als eine allgemeine primitive Entwicklungsstufe der Familie
zu bezeichnen. Die Entstehung des Mutterrechts setzt den Bestand der Familie
schon voraus.
5. Noch mehr muß man sich hüten, das Mutterrecht mit Matriarchat
oder Gynokratie zu verwechseln. Eine solche Weiberherrschaft findet sich
nirgends. Ja gerade bei den primitivsien Stämmen ist der Familienvater sehr
oft der unumschränkte Herr. Er ist Familienvater, Richter und Regent in einer
Person. Das gilt namentlich von solchen Völkern, die nur von Jagd, Fisch⸗
fang und Sammeln wilder Früchte leben und, da die Nahrung für viele nicht
ausreichen würde, gezwungen sind, in kleinen Trupps umherzuwandern. Diese
Trupps bestehen oft nur aus einer Großfamilie, in der der Familienvater das
geborne Haupt und der geborne Anführer im Kriege ist. Obwohl aber diese
Familien sonst ganz selbständig sind, finden wir überall Ansätze zu einer
höheren politischen Organisation. Wenigstens zu Kriegszeiten vereinigen
fich die Familienhäupter oder die alten Männer insgesamt zu einem Kriegs⸗
rat, in dem ein Anführer für den Krieg gewählt wird. Oft finden solche Zu—
ammenkünfte auch bei religiösen oder andern Festen statt und werden zur Be⸗
ratung der gemeinsamen Angelegenheiten und zur Einschärfung der alten Sitten
und Gebräuche benutzt.
6. Obwohl das Verhältnis zwischen den Ehegatten und zwischen Eltern und
Kindern in den Familien der Naturvölker sehr oft nicht an die ideale Höhe
einer wahrhaft christlichen Familie heranreicht, so wäre es doch ganz unrichtig,
ihnen jedes Gefühl gegenseitiger Liebe und Anhänglichkeit abzu—
sprechen. Ja das Gefühl der Zusammengehörigkeit und gegenseitigen Solidarität
ist gewöhnlich bei Wilden sehr groß, die Familie ist ihnen eben fast ihr eins
ind alles. Die Tötung vieler Kinder, das Imstichelassen der kranken und
Vgl. oben II 174.
5368
Schlußergebnis.
altersschwachen Leute hat fast allgemein seinen Grund nicht im Mangel an Liebe,
sondern entweder in abergläubischer Furcht oder in der harten Not des Kampfes
ums Dasein.
7. Mit der Familie hängt innig zusammen das Eigentum. Wie es
kein Volk ohne Familie gibt, so auch keines ohne Privateigentum. Überall be—
stteht wenigstens an Kleidern, Waffen und Werkzeugen eigentliches Individual—
rigentum der erwachsenen Männer. Das Eigentum an der Hütte, an Bäumen
u. dgl. ist nicht Eigentum der Familie als solcher, sondern Eigentum des
Familienvaters. Deshalb besteht überall ein durch Gewohnheit geregeltes Er b⸗
recht. Nach dem Tode des Vaters geht sein Eigentum entweder an seine
Söhne oder an seine Brüder über. Außer dem eigentlichen Privateigentum
gibt es bei nahezu allen Wilden Stammeseigentum, wenigstens an Weide-,
Jagd- und Fischrevieren. Das gilt auch von den nomadisierenden oder herum⸗
schweifenden Völkern. Die Gebiete eines jeden Stammes oder einer jeden Horde
sind genau bekannt, und eine Verletzung dieses Gebietsrechts ist einer der häufigsten
Anlässe zu Kriegen zwischen verschiedenen Stämmen.
8. Alle Völker ohne jede Ausnahme haben irgend eine Religion in dem
von uns erklärten Sinne ((17 29). Diese Folgerung ergibt sich mit Evidenz
aus unsern Darlegungen. Alle glauben an überirdische, unsichtbare, persönliche
Wesen, von denen sie sich abhängig wähnen und die fie zu versöhnen oder
günstig zu stimmen suchen. Zu diesem Zweck haben sie ihre Zeremonien, Opfer,
Gebete, Feste, Zaubermittel, Fastengebote u. dgl. Allerdings geht fast überall
die religiöse Verehrung vorwiegend aus Furcht und Not hervor; aber ist dies
nicht auch bei Zivilisierten oft der Fall? „Die Not lehrt beten“, sagt das
Sprichwort. Wenn man sich aber auch die Geister vorwiegend als böse und
schädlich vorstellt, so ist das doch nicht ausschließlich der Fall. Neben den vielen
bösen Geistern kommen fast regelmäßig im Glauben der Völker eines oder mehrere
wohlwollende Wesen vor, oder wenigstens sind einige Wesen derart, daß sie,
wenn sie geehrt werden, gelegentlich auch Wohltaten erweisen.
9. Von ganz hervorragender und grundlegender Bedeutung für die richtige
Erklärung des Ursprungs und der Entwicklung der Religion ist die unleugbare
Tatsache, daß die große Mehrzahl aller Naturvölker an ein höchstes, gutes
Wesen glauben. Nach dem, was wir bei vielen hochangesehenen Ethnologen
gelesen, hatten wir erwartet, bei den tiefstehenden Naturvölkern nur Fetischismus
oder Animismus oder Totemismus oder Ahnenkult oder Naturverehrung zu
finden. Aber unsere Forschungen haben uns bis zur Evidenz überzeugt, daß
gerade die primitivsten, in der Kultur am tiefsten stehenden Stämme, die also
nach der modernen Entwicklungslehre dem Urzustand der Menschen am nächsten
stehen sollen, eine manchmal ziemlich klare Idee von einem höchsten, guten,
allbeherrschenden Wesen haben, und zwar nicht etwa bloß in einem Land,
sondern in allen Weltteilen. Man vergleiche nur unsere Ausführungen über
die sibirischen Stämme (Samojeden, Tungusen, Jakuten, Buräten, Giljaken),
ferner über die Ainos, Stiengs, Semangs, Weddas, Andamanesen, Orang⸗
Kubus, Dajaken. Dasselbe gilt von den meisten Negerstämmen Afrikas, den
Hottentotten, Pygmäen, ebenso von den Rothäuten Nordamerikas, den Eskimos
in Alaska, den Kariben, Botokuden. Guaranis, Moxos, Araukanern und sehr
Schlußergebnis.
569
vielen Völkern Australiens und Ozeaniens. Dieses höchste Wesen wird vielfach
ausdrücklich als Schöpfer der Welt und der Menschen anerkannt oder
hat wenigstens den ersten Anstoß zur Bildung der Welt in ihrer heutigen Ge—
stalt gegeben; es steht hoch über allen andern Wesen, hat von jeher existiert
und ist unsterblich; es hat seinesgleichen nicht, ist übermächtig, kennt auch die
geheimsten Gedanken der Menschen, ist Herr über Leben und Tod. Es ist
wesentlich gut und zu ihm gehen die Guten nach dem Tode. Gerade weil es
so gut ist und niemand Böses zufügt, tritt seine Verehrung ganz hinter der
der Geister zurück oder wird sehr oft fast völlig vernachlässigt.
Angesichts dieser Tatsache können wir die Behauptung Ratzels: „Es paßt
daher auf alle Religionen auf niederer Stufe das Wort Vielgötterei“, nicht
als richtig anerkennen. Der Monotheismus ist vielmehr die vorherrschende Reli—
gionsform der primitiven Völker. Dem widerspricht nicht, daß viele von den
genannten Völkern außer an ein höchstes Wesen an zahlreiche Geister glauben
und sie fast allein verehren. Denn diese Geister sind keine eigentlichen Götter,
sondern werden meist als Geschöpfe Gottes angesehen, die dem höchsten Wesen
untergeordnet sind.
10. Da so viele der primitiven Völker ein höchstes gutes Wesen anerkennen,
kann die Religion unmöglich aus Furcht entstanden sein. Denn aus Angst
kommt man doch nicht zur Vorstellung eines guten Wesens, das niemand
Schaden zufügt. Weule! will die Religion aus dem Gefühle schlechthiniger
Abhängigkeit im Sinne Schleiermachers erklären. Bei den primitiven Menschen
fühlt sich jeder inmitten der Natur verlassen, vereinsamt, umgeben von über⸗
natürlichen (7), oft unheimlichen Gewalten, die mächtiger sind als er und Einfluß
haben auf das Wohl und Wehe der Menschen. „Diesem passiven Gefühl der
Abhängigkeit als dem einen Wesenszug aller Religion entspricht nun der andere
ebenso wesentliche der altiven Reaktion: der Mensch steht unter dem Zwang,
gegen solche Beeinflussung angehen zu müssen, sich ihrer zu erwehren, sie ge⸗
gebenenfalls unschädlich zu machen, ja die fremde Kraft möglichst in seine eigenen
Dienste zu bannen, um sie zu seinem Besten zu verwenden. Dieses Handeln ist,
was wir Kultus nennen; wir finden es in irgend einer Form bei der gesamten
Menschheit; auf ihm beruhen in Wirklichkeit die Hauptunterschiede selbst unserer
höchsten Religionsformen. Insgesamt kann man dieses Fühlen und Handeln
des Primitiven etwa dem Verhalten gleichstellen, das jeder von uns betätigt
hat, wenn wir als Kinder auf den dunklen Hausboden geschickt wurden. Auch
dort war man allein, umgeben von unheimlichen Gewalten. Ganz instinktiv,
reflexartig haben selbst die Tapfersten unter uns gegen sie durch Singen, Sprechen
oder Pfeifen reagiert. Das Wesen alles religiösen Kultus ist damit treffend
gekennzeichnet.“
Wir wollen uns jetzt nicht auf eine eingehende Widerlegung dieser tief⸗
gründigen Herleitung der Religion aus bloßer kindlicher Gespensterfurcht ein—⸗
lassen. Nur darauf möchten wir hinweisen: Wie will diese Ansicht die Tat—
sache erklären, daß so viele von den primitivsten Völkern den Glauben an ein
Leitfaden der Völkerkunde 132.
570
Schlußergebnis.
höchstes Wesen haben, das der Schöpfer aller Dinge und wesentlich gut ist,
hon dem man nichts zu fürchten hat und dem man auch vielfach keinen Kult
erweist, vor dem man sich also auch nicht durch Pfeifen und Singen Mut zu
machen braucht? Und wie konnte der Unsterblichkeitsglaube entstehen, der so
innig mit der Religion aller Völker verbunden ist?
1. Dieses höchste gute Wesen, das einen ganz wesentlichen Teil der Religion
so vieler primitiven Völker bildet, kann auch nicht bloß ein vergötterter
Ahne, etwa der vergötterte Stammvater der Menschen, sein; denn er wird
dielfach ausdrücklich als der Schöpfer des ersten Menschenpaares und
üͤberhaupt aller Dinge bezeichnet. Besonders auffallend ist, daß bei sehr vielen
rohen Naturvölkern Gott als ein Wesen ohne Frau und Kinder gedacht wird.
Und selbst wenn sie dem höchsten Wesen eine Familie andichten, pflegen die
meisten Naturvölker zwei Arten von. Geistern zu unterscheiden: die einen sind
die Seelen oder Geister der Ahnen, die andern sind Geister, die nie Menschen
wvaren, längst vor den Menschen existierten, viel höhere Macht besitzen und
bielleicht bei Erschaffung der ersten Menschen mitgewirkt haben. Die Ahnen⸗
berehrung vermag auch ohne alle andern Voraussetzungen den Glauben an die
Geisterwelt gar nicht zu erklären. Sehr oft werden den verstorbenen Ahnen
aberirdische Kenntnisse und Kräfte, zuweilen geradezu göttliche Eigenschaften
heigelegt. Wie kam man zu einer solchen Auffassung? Aus sich selbst konnten
sich doch die Ahnen keine solchen Kenntnisse und Kräfte geben. Wie kamen sie
zu denselben? Man setzte eben schon eine unsichtbare Welt voraus, in der
Wesen mit höheren überirdischen Kräften walteten. Durch ihren Eintritt in
diese Welt erhielten auch die Seelen der Verstorbenen Anteil an diesen Kräften.
Der Glaube an diese unsichtbare Welt mit ihren höheren Kräften ist die Voraus—
setzung der Ahnenverehrung, nicht ihre Wirkung.
Daß die Ansichten, welche die ganze Religion aus Animismus, Fe—
tischismus und Totemismus hervborgehen lassen, nicht zu erklären ver⸗
mögen, wie die primitivsten uns bekannten Völker zur Idee eines höchsten
Wefens, des Schöpfers und Herrn aller Dinge, kamen, liegt auf der Hand.
Denn nach allen diesen Ansichten bildet der Gottesglaube eine höhere Entwick⸗
lungsstufe, die erst allmählich und verhältnismäßig spät aus dem Animismus
oder Fetischismus usw. hervorgegangen sein soll. Was noch besonders gegen
diese Ansicht spricht, ist der Umstand, daß gerade bei den primitivsten Völkern
Animismus, Ahnenverehrung, Fetischismus usw. eine ziemlich untergeordnete
Rolle spielen. Schon Andrew Lang, A. Le Roy und W. Schmidt haben nach⸗
drücklich darauf hingewiesen, und nie ist der Versuch gemacht worden, sie ernstlich
zu widerlegen.
Was den Fetischismus im besondern betrifft, so darf man ihn nicht als
eine vollständige Religion oder eine eigene getrennte Stufe religiöser
Entwicklung ansehen. Er ist nur ein Teil einer Religion und ein Aus⸗
wuchs aus andern religiösen Anschauungen. Das geht klar hervor aus dem,
was wir über Afrika, das klassische Land des Fetischismus, berichtet haben.
Wie sich aus unsern Darlegungen ergibt, haben alle Negerstämme eine mehr
oder weniger klare Vorstellung von einem höchsten Wesen, dem Schöpfer und
Herrn aller Dinge. Wir fügen hier noch das Zeugnis des englischen Missionärs
Schlußergebnis.
571
Robert Kamill Nassau! bei, der auf Grund einer vierzigjährigen Er—
fahrung in Westafrika schreibt, er könne mit voller Zuversicht die Behauptung
aufstellen, daß die Eingebornen allgemein an ein höchstes Wesen
glauben. „Unter der nur wenig verschiedenen Form von Anyambe, Anyambie,
Rjambi, Nzambi, Anzam, Nyam oder, in andern Gegenden, Ukuku, Suku usw.
aerkennen sie ein ihnen überlegenes Wesen an, von dem sie mir angaben, daß
es ihr Schöpfer und Vater sei.“ Aber dieser steht zu hoch und zu fern, er
XV0
keine Verehrung; nur in den äußersten Bedrängnissen nimmt man zu ihm seine
Zuflucht. Viele Neger glauben auch, Gott zürne den Menschen wegen be—
gangener Sünden, er habe sich in seinen Himmel zurückgezogen und die An—
gelegenheiten dieser Welt den untergeordneten Geistern überlassen. An diese
Geister, die vielfach als Vermittler zwischen dem Menschen und dem höchsten
Wesen angesehen werden, wendet sich nun der Fetischismus, der gerade dadurch
entstand, daß man Gott immer mehr vernachlässigte und die ihm gebührende
Verehrung auf untergeordnete Geister übertrug.
Doch ist nicht jede Geisterverehrung schon Fetischismus. Die Neger ver—
ehren vielfach Geister, die mit Fetischismus nichts zu tun haben. Der eigent-
liche Fetisch ist irgend ein materieller Gegenstand, der infolge verschiedener
Zeremonien des Zauberdoktors der Wohnsitz oder Aufenthaltsort eines Geistes
geworden ist und dem Willen des Besitzers dieses Gegenstandes untersteht?.
An diesen Fetisch richtet der Besitzer Gebete und Opfer; er hat aber für ihn
nur so lange Wert, als der Geist darin wohnt und wirksam ist oder er nicht
einen andern Fetisch erhält, in dem ein mächtigerer Geist seine Wohnung auf—
geschlagen hat. Der Fetisch ist deshalb auch nicht zu verwechseln mit den
Amuletten oder Talismanen, in denen keine Geister, sondern nur un—
bewußte geheimnisvolle Kräfte stecken und an die man deshalb auch keine Ge⸗
bete und Opfer richtet. Neben allem Fetischismus bleibt aber immer der Glaube
an Gott und in gewissen Umständen sogar eine eigentliche. wenn auch schwache
Gottesverehrung bestehen.
Einige wollen noch heute die Religion daraus ableiten, daß die primitiven
Menschen an die Allbeseelung glaubten und so zur Naturverehrung
geführt wurden. Der primitive Mensch, sagt man, betrachte alles nach Analogie
von sich selbst und lege allen Dingen Leben bei: dem murmelnden Quell, dem
knisternden Feuer, dem heulenden Sturm usw. Ratzels schreibt: „Agathias
sagt von den Alemannen, daß sie Bäume und Bäche, Berge und Täler ver—
ehren; wir dürfen kühnlich die Allbeseelung, die dieser Verehrung zu Grunde
liegt, für die ganze Menschheit annehmen.“ Das entspricht den Tatsachen nicht.
Wohl glauben die Wilden vielfach an zahllose Geister, die überall herumspuken
1PFetichism in West-Africa. Forty Vears' observation of native Customs and
zuperstitions, London 1904, 84. Auch J. Irle, der 34 Jahre als Missionär in Afrika
zubrachte, sagt (Die Herero [1906)] 75) von den Herero und allen Bantustämmen:
„Sie kennen den höchsten, wahren Gott, aber verehren ihre Ahnen.“
2 Ebd. 8182. Sehr eingehend handelt über den Fetischismus auch Baudin, Le
Pétichismo ou la Religion des Nègres de la Guinée, in den Missions catholiques
1884. 190 ff. 3 Völkerkunde 12 39.
372
Schlußergebnis.
und gelegentlich oder dauernd in Bäumen, Felsen, Flüssen, Bergen ihre Woh—
aung aufschlagen; aber es fällt ihnen nicht ein, alle Dinge für beseelt und
lebendig zu halten. Der Lehm, das Holz oder Stroh, mit dem sie ihre Hütten
dauen, gelten ihnen keineswegs als beseelt. Auch unterscheiden sie sehr wohl
den Fluß oder Berg von den Geistern, die darin wohnen. Sie unterscheiden
überhaupt sehr genau zwischen belebten und unbelebten Wesen, zwischen Pflanzen
aund Tieren, zwischen Tieren und Menschen. Auch bei derselben Tierart unter—
scheiden sie zwischen solchen Individuen, die von einem Geiste beseelt oder be⸗
wohnt sind, und andern, die es nicht sind!. Stellt sich ein Fetisch oder Amulett
als wirkungslos heraus, so wird es als wertlos weggeworfen, weil man die
Überzeugung gewonnen, daß keine höhere Kraft darin wohnt.
Wir übergehen die präanimistische Zaubertheorie, welche die Religion
aus dem Glauben an geheimnisvolle, unpersönliche Zauberkräfte entstehen läßt.
Die primitiven Menschen, sagt man, nahmen solche geheimnisvolle Zauberkräfte
an, die über alle Gesetze der gewöhnlichen Kausalität erhaben seien und deren
man sich durch besondere Mittel bemächtigen könne. Erst spät und allmählich
habe man die sämtlichen Zauberkräfte in einem einzigen persönlichen Wesen
hereint — und zwar unter dem Einfluß des Animismus — und sei man so
zur Idee eines höchsten persönlichen Wesens gelangt?. Aber auch diese Theorie
steht im Widerspruch mit den Tatsachen. Nirgends finden wir den bloßen
Glauben an solche unpersönliche Kräfte; gerade bei den primitivsten Völkern
tritt der Glaube an ein höchstes persönliches Wesen scharf hervor.
12. Da die Tatsachen den genannten Theorien über den Ursprung der
Religion widersprechen, helfen sich die Anhänger derselben damit, daß sie die
Entstehung der Religion zurückdatieren in eine längst ver—
zgangene Zeit, von der wir keinerlei Kunde mehr haben und in
der die Menschen in unermeßlichen Zeiträumen aus einem tierischen Zustand sich
emporgearbeitet haben sollen. Aber damit verläßt man den Boden der Tat—⸗
sachen. Ja man tritt in direkten Widerspruch nicht etwa bloß mit der christ—
mDer Missionär P. Duby C. S. Sp. erzählt (Missions catholiques 1877, 306), er sei
einst in der Nähe des Dorfes Tubabdialo am Kap Naze (Senegambien) zu einer Quelle
gegangen, um seinen Durst zu stillen. Da traten ihm eine Anzahl Frauen entgegen, die an
der Quelle beschäftigt waren, und baten ihn, er möge nicht näher kommen oder wenigstens
die Schuhe ausziehen, um den Geist der Quelle nicht zu erzürnen. „Wer ist dieser Geist“,
rragte Duby, „daß man ihn mit solcher Verehrung behandeln soll?“ — „Du weißt es
wohl, es ist eine Schlange.“ — „Eine Schlange! Ich fürchte die Schlange nicht; ich habe
schon mehr als eine Schlange getötet, und wenn diese Schlange das Unglück hat, mir
aunter die Augen zu kommen, so wird sie dasselbe Los ereilen.“ — „Aber diese hier ist
nicht eine Schlänge wie die andern Schlangen, sie ist mächtig. Glaube uns,
es wird dir ein Unglück zustoßen, nimm dich in acht, sie hört dich, sie ist da auf diesen
Hügeln.“ — „Ihr wißt aber doch, daß diese Geister dem Missionär nicht schaden können,
ihr sagt das ja selbst immer.“ — „Wohl, aber sie wird uns zürnen, wenn wir dich ge—
vähren lassen.“ Als sich der Miffionär trotzdem zur Quelle begeben wollte, brachte ihm
eine Frau eilig eine Kalebasse voll Wasser und sagte ihm in großer Angst: „Da,
rink, aber gehe ja nicht zur Quelle, sonst würde sie versiegen.“ — „Aber, noch einmal,
sagt mir doch, wer ist denn diese Schlange, vor der ihr so großen Schrecken habt?“ —
„Es ist“, antwortete ihm eine Frau, wohl die klügste von allen, „es ist Seytane“ (Satan).
Der Missionär schließt daraus, daß der Teufelsdienst die Urquelle alles Fetischismus ist.
2Schmidt, Der Ursprung der Gottesidee 404 ff.
Schlußergebnis.
578
lichen Offenbarung, sondern mit jeder gesunden Philosophie. Da die heutige
Wissenschaft die Unmöglichkeit einer Urzeugung (goneratio aequivoca) nach-
gewiesen, so müssen wir schon für die Entstehung des Lebens auf Erden eine
überirdische schöpferische Kraft annehmen. Noch viel mehr gilt das für die
Entstehung des Menschen. Schon rein philosophisch läßt sich mit Sicherheit
dartun, daß der Mensch eine geistige, unsterbliche Seele hat, die ihn durch eine
unermeßliche und unüberbrückbare Kluft von dem vernunftlosen Tiere unter—
scheidet, so daß eine allmähliche Entwicklung des Menschen aus dem Tiere aus—
zeschlossen ist. Nur eine überirdische schöpferische und intelligente Ursache
konnte den Menschen das Dasein geben. So führt uns schon die bloße Ver—
nunft zur Annahme des Gottschöpfers, der, wie allen andern Dingen, so auch
dem Menschen das Dasein gegeben hat. Vernunft und christliche Offenbarung
timmen hier zusammen.
In welchem Zustand sind nun die ersten Menschen aus der
dand des Schöpfers hervorgegangen? Vom Standpunkt der bloßen
Vernunft läßt sich wenig Sicheres darüber sagen. Gott muß wenigstens ein
erstes Menschenpaar geschaffen haben, ja die heute von der Wissenschaft fast
allgemein anerkannte Einheit des Menschengeschlechtes macht es schon rein philo—
sophisch betrachtet sehr wahrscheinlich, daß Gott nur ein einziges Menschenpaar
geschaffen hat, von dem alle Menschen auf Erden abstammen. Gott konnte
ferner die ersten Menschen nicht als Kinder auf die Erde setzen; sonst wären
fie wieder zu Grunde gegangen. Er mußte sie vielmehr in einem menschen⸗
würdigen Zustand ins Dasein einführen, so daß sie für die Selbsterhaltung
und Fortpflanzung sorgen konnten. Er mußte es ihnen auch leicht machen,
Gott, ihren Schöpfer und Herrn, ihr Endziel zu erkennen. Er mußte ihnen sein
Gesetz ins Herz schreiben, so daß sie wußten, was sie zu tun und zu meiden
hatten, um ihr Endziel zu erreichen. Das forderte seine Weisheit.
Mit diesen Resultaten stimmt die christliche Offenbarung überein. Manche
hristliche Forscher neigen zur Meinung, die ersten Menschen seien auf einer
hohen Kulturstufe gewesen, und infolge davon finden sie leicht überall Entartung
und Degradation. Aber aus den Offenbarungsquellen wissen wir über den
Kulturzustand der ersten Menschen nach ihrem Sündenfall und ihrer Verbannung
aus dem Paradiese verhältnismäßig wenig. Wir wissen, daß sie von Gott mit
Fellen bekleidet wurden, nachdem sie schon vorher selbst Feigenblätter geflochten
und sich Schürzen gemacht hatten. Sie kannten selbstverständlich auch die
Bedeutung ihres Sündenfalles und die Notwendigkeit der Sühne und Buße.
Sie kannten das natürliche Sittengesetz in seinen wesentlichsten Teilen und die
Pflicht, durch Erfüllung desselben ihr ewiges Ziel im Jenseits zu erreichen.
Sie kannten die Sprache. Zweifellos muß man annehmen, daß sie eine klare
Erkenntnis Gottes, ihres Schöpfers und Herrn, und des Endzieles aller Dinge
hatten. Endlich beseelte sie die Hoffnung auf den verheißenen Erlöser, die sie
ihren Nachkommen mitteilten. Im Schweiße ihres Angesichtes mußten sie sich
ihr Brot verdienen, und wahrscheinlich hat schon Adam selbst etwas Ackerbau
und Viehzucht getrieben; das darf man wohl daraus schließen, daß von seinen
Val. hieruber Cathrein, Die katholische Weltanschauung?! (1914) 7 ff.
574
Schlußergebnis.
Söhnen der eine Schafhirt, der andere ein Ackersmann war. Beide Söhne
hrachten Gott Opfer dar; und der eine ließ sich durch Neid zum Brudermord
verleiten und lud durch dieses Verbrechen den Fluch Gottes auf sich.
Fragt man, woher die beiden ersten Menschen ihre religiösen Kenntnisse
nach dem Sündenfall hatten, so wird man antworten müssen: Wahrscheinlich
haben sie dieselben, wenigstens zum Teil, aus der ihnen im Paradiese von
Gott gewordenen Offenbarung mitgebracht. Ihre Nachkommen aber konnten
auf doppeltem Wege zu denselben gelangen. Viele sittlichen Ideen und Grund—
sätze bildet sich jeder Mensch von selbst kraft angeborner Naturanlage, wie wir
in der Einleitung (J 12 ff) gezeigt haben. Durch Beobachtung der inneren
Erfahrung und der Ordnung und Ereignisse in der umgebenden Welt konnten
sie auch leicht, solange sie unverdorben waren, zur Erkenntnis Gottes gelangen.
Dazu kommt das unermeßliche, unstillbare Sehnen nach vollkommenem, dauern⸗
dem Glück, das sich in jeder Menschenbrust unweigerlich regt. Dieses Glück ist
aber auf Erden nirgends zu finden. Was lag da näher als der Schluß: mit
diesem Leben ist nicht alles aus, es muß ein besseres Leben im Jenseits unser
harren, das denen zu teil wird, die hienieden in der rechten Weise gelebt haben?
Daneben hatten die Menschen aber auch die Uroffenbarung, die ihnen die
Stammeltern übermittelten, und auf diesem Wege kamen sie gewiß leichter zur
tlaren Erkenntnis Gottes, des Schöpfers und Herrn aller Dinge, und zum
Glauben an die Unsterblichkeit, als durch eigenes Nachdenken. Und wir gehen
wohl nicht fehl, wenn wir den Einfluß dieser Überlieferung auf die religiöse
Entwicklung der Menschheit ziemlich hoch anschlagen.
Gewiß, alle Menschen konnten mit Hilfe der inneren und äußeren Erfahrung
leicht zum Gottesbewußtsein und Unsterblichkeitsglauben geführt werden. Ob sie
aber tatsächlich dazu gelangt wären und stets daran festgehalten hätten, wie dies
hei den meisten Naturvölkern der Fall ist, wenn ihnen nicht die Überlieferung einer
Uroffenbarung zu Hilfe gekommen wäre, das ist doch zweifelhaft. Nichts liegt
dem Naturmenschen ferner als das Spekulieren über die großen Daseinsprobleme
und überhaupt über abstrakte, überirdische Dinge. Wenn man sie fragt, warum
sie an Gott, an ein Leben nach dem Tode u. dgl. glauben, so antworten sie,
wie alle Missionäre bezeugen, fast nie mit Vernunftsgründen, sondern sagen
einfach: So haben es uns die Alten gelehrt. Gerade wegen dieses so zähen
Festhaltens an der Überlieferung kommen die Forscher zum Schluß, daß viele
Völker, z. B. manche Negerstämme, heute im wesentlichen dieselben Anschauungen
und Gebräuche haben wie vor mehreren Jahrtausenden. Alles weist auf eine
längst verflossene Zeit zurück, wo die Menschen eine klarere und reinere Er—
kenntnis dieser Wahrheiten besaßen, die dann von einem Geschlecht dem andern
uberliefert, aber allmählich verdunkelt und mit mancherlei Irrtümern vermischt
wurden. Die ethnologische Forschung bringt uns so der christlichen Lehre von
einer Uroffenbarung sehr nahe. Bestätigt wird diese Auffassung durch die vielen
Überlieferungen der Naturvölker, die oft lebhaft an die biblischen Berichte er—
nnern. Sehr verbreitet ist z. B. die Meinung, daß der Tod durch die Schuld
der Menschen in die Welt gekommen ist. Oft begegnet man auch der Ansicht,
Gott habe sich infolge der Missetaten der Menschen in den Himmel zurück
gezogen und zürne den Menschen. Die Sage von einer Sündflut. die als
Schlußergebnis.
575
Strafe für die Bosheit der Menschen eintrat und aus der nur wenige gerettet
wurden, ist fast ein Gemeingut aller Völker.
Doch wir wollen hier keine ausführlichen ethnologischen Untersuchungen über
den Ursprung des Gottesbewußtseins anstellen, sondern nur kurz auf einige
naheliegende Schlußfolgerungen hinweisen, die sich aus unsern ethnographischen
Schilderungen ergeben. Für weitere Ausführungen über die hier angedeuteten
Fragen verweisen wir auf die schon mehrerwähnten Werke von Andrew Lang,
Wilh. Schmidt, A. Le Roy, Wilh. Schneider usw.“
13. Der Glaube an ein Fortleben nach dem Tode in irgend einer
Form ist ein Gemeingut der Menschheit. Non omnis moriar ist die Über—
zeugung aller Völker. Wir haben diesen Beweis mit völlig zuverlässigen Zeug—
nissen in einer Allgemeinheit erbracht, wie unseres Wissens noch niemand vor
uns. Es gibt absolut kein einziges Volk, das keine Fortsetzung des mensch—
lichen Daseins über das Grab hinaus angenommen hat. Von drei oder vier
Stämmen wird behauptet, sie hätten keinen Glauben an die Unsterblichkeit ge⸗—
habt, aber es sind längst verschwundene Stämme, von denen uns ungefähr
nichts bekannt ist als der Name, so daß eine Kontrolle jener Behauptung un—
möglich ist. Übrigens sind es Stämme, die mitten unter Völkern gelebt haben,
aäber deren Glauben an ein jenseitiges Leben kein Zweifel möglich ist.
Bei den allermeisten Völkern besteht übrigens nicht bloß der Glaube an
irgend ein Fortleben nach dem Tode, sondern der Glaube an die Fortdauer der
Seele ohne Ende oder an die Unsterblichkeit im eigentlichen Sinn. Wenigstens
gilt dies vom Fortleben der Guten. Bei einigen wenigen Völkern scheinen aller—
dings die großen Missetäter von der Unsterblichkeit ausgeschlossen zu sein. Sie
reden von einem zweiten Tod oder einer Vernichtung, einem Untergang oder
Sichverflüchtigen der bösen Seelen. Doch ist nie ganz klar, was damit gemeint
ist. Sie denken darüber nicht nach. Wie der Gedanke an eine eigentliche
Schöpfung aus Nichts den Wilden fernliegt, so auch der Gedanke an eine
eigentliche Vernichtung im strengen Sinne des Wortes. Wenn sie von einer
Verflüchtigung oder Auflösung der Seele reden, so hängt das mit dem unklaren
Begriff des Geistes zusammen, unter dem sie sich oft nur eine Art Schatten
oder feineren Stoff denken. Daß die Seelen der Verstorbenen fortleben, das
zlauben sie, aber über das, was aus ihnen schließlich werde, denken sie wenig
oder gar nicht nach.
17. Die Behauptung Haddons, die wir im Vorwort angeführt haben und
die sich z. B. auch bei Ratzel? u. a. findet, daß erst auf höheren Entwicklungs⸗
stufen der Religion das wichtige Element der Moral zugefügt
worden sei, widerspricht den Tatsachen. Schon bei den allerprimitivsten
Völkern erscheinen Religion und Moral in unzertrennlichem Bunde. Mit Recht
sagt A. Langẽ: „Es ist unrichtig und anmaßlich, mit fast allen Anthropologen
den Bund der Moral mit der Religion bei den tiefststehenden Stämmen zu
leugnen.“
1 Die Naturvölker, 2 Tle (1885 1886); ders., Die Religion der afrikanischen
Naturvölker (1891).
2 Völkerkunde 12 49. s The Making of Roligion? 196.
—
9
4
Schlußergebnis.
Alle Völker haben wenigstens das dunkle Bewußtsein, daß sie von höheren
überirdischen Mächten abhängen, denen ihr Verhalten keineswegs gleichgültig ist;
daß sie durch gewisse Handlungen ihnen gefallen, durch andere mißfallen. Von
den Feuerländern sagt Ratzel!: „Manche Gebräuche deuten auf die Furcht vor
Strafen höherer Mächte, so gewisse Speise- und Enthaltsamkeitsregeln.“ Das
gilt ausnahmslos von allen Völkern. Sehr viele von diesen Regeln (Tapus,
totemistische Gebräuche, Heiratsverbote, Stammessatzungen u. dgl.) werden aus—
drücklich auf höhere Anordnung zurückgeführt, und ihre Verletzung zieht nach
allgemeiner Ansicht Strafen höherer Mächte nach sich: Krankheit, Hungersnot,
Tod usw.
Bei allen Völkern begegnet uns ferner ein Sühnebedürfnis. Man hat
ein dunkles Schuldbewußtsein, das zu Opfern, und zwar sehr oft zu blutigen
Opfern, Gebeten, Fasten, Enthaltung von Speisen und vom Geschlechtsverkehr
u. dgl. treibt, um dadurch die Götter oder Geister zu versöhnen und sich wieder
günstig zu stimmen. Damit hängt innig zusammen die allgemeine Annahme
einer moralischen Unreinheit, die man sich durch bestimmte, an sich
schuldlose Handlungen oder Vorkommnisse zuzieht. Bei allen Naturvölkern gilt
nach der Niederkunft die Mutter, das Kind und zuweilen auch der Vater als
anrein, und diese Unreinheit muß durch bestimmte Gebräuche und Zeremonien,
durch strenge Zurückgezogenheit, Enthaltung von Speisen, durch Waschungen
und Salbungen, oft auch durch Opfer gehoben werden. Erst wenn diese Zere—
monien erledigt sind, gelten die betreffenden Personen als rein und dürfen
wieder in die Gesellschaft eintreten. Eine Unterlassung dieser Zeremonien würde
die schwersten Strafen der Götter nach sich ziehen. Bei den Basutos in Süd—
afrika, den Sioux und Irokesen in Nordamerika bestand früher die Sitte, bei
der Geburt eines Kindes das Feuer auszulöschen und erst, wenn die Frau aus
ihrer Absonderung zurückkehrte, ein neues Feuer anzuzünden. Dieselbe Er—
scheinung begegnet uns beim Begräbnis. Alle, die den Leichnam berührt, ja
meist alle, die an der Bestattung teilgenommen haben, müssen sich durch
Waschungen, Beräucherungen, Springen über ein Feuer u. dgl. reinigen. Auch
die Opfer, die man beim Begräbnis darbringt, find vielfach Sühne- und
Reinigungsopfer, die dem Toten notwendig sind. Merkwürdig ist, daß bei vielen
Völkern ein eigentliches Sündenbekenntnis, eine Beicht besteht, durch die man
bei gewissen Gelegenheiten die Sünde aus dem Herzen schaffen will. um die
Strafen überirdischer Mächte abzuwenden.
Aus alledem geht klar hervor, daß wenigstens in diesem Leben das sittliche
Verhalten der Menschen unter einer überirdischen Sanktion steht. Dasselbe be⸗
weisen auch die Ordalien, die man bei allen Naturvölkern findet und die auf
der Überzeugung beruhen, daß höhere Mächte für den Unschuldigen eintreten,
den Schuldigen dagegen seiner Strafe überlassen. Fast allgemein besteht auch
der Reinigungseid, durch den man Gott und die Götter zum Zeugen seiner
Unschuld anruft. Die Scheu vor dem Meineid ist so groß, daß man lieber
seine Schuld bekennt; denn sonst würde man, wie man glaubt, von Gott mit
der schwersten Strafe heimgesucht werden. Auch die schon erwähnten Sagen
1Völkerkunde 12 5325.
Schlußergebnis.
577
über den Ursprung des Todes, über die Sündflut, über den Unwillen Gottes
wegen der Sünden der Menschen zeigen, daß nach der Meinung der meisten
Völker Gott dem sittlichen Verhalten der Menschen nicht gleichgültig gegenübersteht.
Wie steht es aber mit der jenseitigen Sanktion? Bei manchen Völkern ist
allerdings der Glaube an die Vergeltung im Jenseits entweder gar nicht oder
nur sehr dunkel vorhanden; wenigstens hat man bei manchen Stämmen diesen
Glauben nicht konstatieren können. Aber immerhin nimmt die große Mehr—
heit aller Völker irgend eine jenseitige Vergeltung, eine Scheidung der
Guten und Bösen nach dem Tode an. Nach der großen Mehrzahl der Völker
müssen die Menschen auf ihrem Weg ins Jenseits eine Brücke oder einen Strom
überschreiten oder an einem Ungeheuer vorbeigehen, die den Bösen Schaden
bringen u. dgl. Auffallend ist hier die Tatsache, daß es keineswegs die tiefst—
stehenden Völker sind, bei denen der Glaube an die Jenseitsvergeltung fast ganz
berdunkelt ist; nein, die allerprimitivsten Völker haben beinahe ausnahmslos eine
ziemlich klare Idee von der Verschiedenheit des Loses der Guten und Bösen im
Jenseits. Die Guten gehen zu Gott in ein Paradies, wo Überfluß ist an allem,
während die Bösen entweder für immer oder wenigstens bis nach geleisteter
Sühne von Gott verbannt und an einen Ort der Strafe verwiesen werden.
Wir erinnern hier nur an das, was wir über die Ainos, Chins, Karenen,
Katchins, Semangs, Sakais, Weddas, Andamanesen, Bataks, Orang-Kubus,
Dajaken, Mandingos, Pygmäen, Botokuden usw. berichtet haben. Es hängt
das wohl mit dem reineren Gottesbegriff zusammen, den diese primitiven Völker
bielfach bewahrt haben.
Zusatz zu BdiIII, S. 486 A. 4. Erst nach Drucklegung haben wir aus dem „Anthropos“
—
Jo hieß. Unlängst hat nämlich Elsdon Best, wie er in der Zeitschrift Man mitteilt,
von zwei hochbetagten Maori erfahren, Jo sei das höchste Wesen der Maori ge—
wesen. Seine Kenntnis und mehr noch sein Kult war der höheren Priesterschaft vor—
behalten; sein Name durfte im gewöhnlichen Leben nicht genannt werden; man nannte
ihn meist „Den da droben“. Er war ohne Anfang und Ende, hatte weder Weib noch
Kinder und galt als der Schöpfer aller Dinge. Nach dem Tode nahm er alle Menschen
zu sich in den Himmel. Von einer jenseitigen Belohnung und Bestrafung scheint keine
Rede gewesen zu sein.
Tathrein, Die Einheit d. sittl. Bewußtseins. III.
27
Alphabetisches Verzeichnis
der behandelten oder erwähnten Völker und Stämme
Religionsgemeinschaften)“
Assyrier 40 ff.
Athapasken II 511 ff.
Aukas (Aukaner) III 22.
Australier III 240 ff.
Azteken 145ff.
Ababua II 246 284ff.
Abiponer III 152 ff.
Achaguas III 31 33.
Acoquas III II.
Admiralitätsinsulaner: III
402 ff.
Aduma III 211 ff.
Astas 5337 ff.
Agariyas 802 ff.
Agypter 34 ff.
Ahantas 588 ff.
Aht II 540.
Ainos 278 ff.
Ajitas 537.
A⸗zjongo II 422 426 ff.
Akagäer II 627 ff.
Akim 588.
Aköa II 422.
Alacaluf III 220 238 ff.
Aleuten V 520 ff.
Alfuren 533.
Algonkins II 475 ff 486 ff.
Allequas II 587.
Altai, Bergnomaden des
229 ff.
Alurus 668 ff.
Andamanesen 445 ff.
Angoni II 184 ff.
Antankares II 444 449 ff.
Anyanja II 338 ff.
Apatschen II 511 596 ff 601.
Apiaca III 127 f.
Aranda (Arunta) III 8319 ff.
Araukaner III 212ff.
Arawaken 111713 15ff 26.
Araycus III 82 83.
Arikuris III 7.
Asa vgl. Wandorobbo.
Aschantis 588.
Ascholis 668 670.
Ajhluslays III 181ff.
Afsiniboins II 488 567 ff.
Bantuneger II 246 554.
Banyoro vgl. Wanyoro.
Bapuku II 197 ff.
Baris 664 ff.
Baritostämme 512 ff.
Barkinji III 256.
Barolongo II 351.
Baronga II 362 ff 8375.
Baschila II 247.
Basoga II 22ff.
Basoko II 298.
Basonge II 247 808 ff.
Basuto II 351 356 ff.
Batabwa II 167.
Bataks 460 ff.
Bateke II 246.
Batlapinen II 351.
Batwa (Batua) II 80 4832
433.
Bawenda II 360 ff.
Bawili II 230 ff.
Bayaka II 247.
Bayanzi II 246.
Baziba II 61ff.
Belepinsulaner III 415 ff.
Beni⸗Marungu II 160ff 247.
Beninneger 615 ff.
Besex V 216.
Betoyes III 82 33.
Betschuanen II 8351ff.
Zetsileo I 433 ff.
JFetfimisaraka II 488 450 ff.
giberindianer I 511 ff.
Billings II 520.
Birria III 252.
Bogotenser III 41ff.
Bondjo II 247.
Boni II 422 ff.
Bonineger III 22 23 24.
Bororos III 108 ff.
Bosyeba II 216.
Botokuden III 102ff.
Babiner II 515.
Babolo II 246.
Babuma II 246.
Babylonier 40 ff.
Badagas 389 ff.
Baduwis (Baduis) 481 ff.
Baganda IIIff.
Bagobos 548 f.
Bagoye IB 80 ff.
Bahima II 19 ff 61 ff.
Baholoholo II 171ff.
Baining III 391 ff.
Bairu (Baira) II 61 ff.
Bakerewe II 67 ff.
Bakongo II 246 209 ff.
Bakonjo II Do ff.
Bakuba II 247.
Vasna (Bakwena) II 351
—19.
Bakumbi II 77 ff.
Bakwiri II 197 199.
Bali II 197 ff.
Baloti II 247.
Balondo II 202 ff.
Baluba II 300 ff.
Balunda II 247.
Bamana vgl. Bambara.
Zamangwato II 851.
Bambara 560 566 ff.
Bambumu II 246.
Banfumu II 246.
Bangala II 246 271 ff.
Banksinsulaner III 436 ff.
Bannars 4283 ff.
Banoko II 197 ff.
Banquatse II 351.
Die Zahlen, vor denen eine römische II oder III steht, verweisen auf den zweiten
bzw. dritten Band.
38
380 Alphabetisches Verzeichnis der behandelten oder erwähnten Völker und Stämme.
Brahmanismus, Anhänger
des 56 60 ff.
Bres vgl. Karenen.
Bube II 204 ff.
Buddhisten 75 ff.
Budja II 298.
Bumali II 229f.
Bungyarlee III 268 ff.
Buraͤten 248 ff.
Buschneger in Surinam III
32 ff.
Bwaka II 247.
Cahuillos I 592 ff.
Calchaquis III 168 ff.
Campevas III 82ff.
Canoeiros III 121ff.
Carajä III 123 ff.
Carrier II 515 f.
TCaynas III 121ff.
Thambioas III 128.
Chanes III 176ff 208.
Thavantes III 123 127 129.
Therentes III 123.
Theros 308 ff.
Thibchas III 41ff.
Thichimeken II 620 ff.
Thicoraner II 468 ff.
Thileotins II 515.
Chinesen 82ff.
Chingpaw s. Katchins.
Chins 403 ff.
Chippewas II 486.
Chippewayans (Montagnais)
II 511.
Thippeways (Sauteux) IU
488.
Thiquitos III 161ff.
Chiricoa III 34.
Thiriguanos III 171 ff.
Chirus s. Naga.
Chorotis III 181 ff.
Thunupis III 186.
Tianen III 208f.
Cosrunas III 85.
Tolombier III 40 ff.
Tomachos III 588.
Coroados III IIG ff.
Coropos III IIG ff.
Cuevaner II 640.
Culinos III 82f.
Cumaner III 34ff.
Daholos II 422.
Dajaken 485 ff.
Dakota II 475 558 ff.
Darier II 646 f.
Daudai, die Eingebornen von
III 348 ff.
Denes II 511 ff.
Diagiten III 209.
Diegueños II 592 ff.
Dieri III 311ff.
Dinka 648 ff.
Doms 308 ff.
Dorobbo vgl. Wandorobbo.
Dravidastämme 286 ff.
Dschaggas vgl. Wadschaggas.
Dschains 70 ff.
Dschurs 673f.
Duala II 127 201f.
Dufaure-Insel, die Einge⸗
bornen der III 368f.
Dzandzana II 216.
Dzem II 216.
Fdues II 6Ioff.
Fkois 629 ff.
Fpuremeer III 27.
Eskimo II 488 ff.
Fuahlayi III 260ff.
Furocks (Jurocks) II 583.
Eweer 599 ff.
Fan DV 215 ff.
Fantis 588ff 594 598.
Fayajenes III 51 ff.
Feuerländer III 230 ff.
Fidschi⸗Insulaner III 440 ff.
Finnen 132ff.
Flachköpfe (Flat-Heads) II
5370 ff.
Floridaner II 461 ff.
Futunier III 5085 ff.
Galeka II 382 ff.
Halibis I127 11.
Ballas 634ff.
Hallier 124ff.
Ballinomeros II 888 ff.
Sambier III 539 ff.
Banan 588.
Bermanen 127 ff.
Bilbertiner III 475 ff.
Biljaken 263 ff.
Bobu II 247.
Boldküste, Neger an der 888ff.
Briechen, die alten 111ff.
Brönländer II 489 ff.
Buajivas III 33f.
Zuantschen 555 ff.
Buaranis III 133 ff.
Zuarayos III I188 ff.
Buatos III 167 ff.
Buaykurus III 188 ff.
Zuitotes III 49 ff.
Suma II 216.
Haidah II 338 ff.
Haitier (San Domingo) II
454 ff.
Hasenindianer II 511.
Hawaiier s. Sandwichinsu—
laner.
derero II 397 ff.
dindus 56 60 ff.
Hos 326 ff.
Sottentotten II 404 ff.
dova II 433 ff.
milliches III 214.
hpuitotes III 49 ff.
duronen II 475 ff.
Jains s. Dschains.
Jajoi (Jaoi) III 26.
Jakuns 430 437 ff.
Jakuten 2837 ff.
apaner 96 ff.
bans 492 ff.
neris III 2.
ivaros III 53 ff.
iayas 540 ff.
Alinois II 484 542 ff.
nder 56ff.
oloffs (Woloffs) 564f.
oruba 608 ff; III 129.
quitos III 60.
rokesen II 475 ff.
s8lamiten s. Mohammedaner
tatiner III 205 ff.
telmen s. Kamtschadalen.
uangs 300 ff.
Jumanas III 97 99.
Kabberas 347 ff.
Kabuis s. Naga.
affern in Kaffraria II379ff;
in Natal II 368ff.
daffitschen 142 ff.
Kailtas II 587.
Kajans 504 ff.
Ka Khiens s. Katchins.
dakongo II 246.
dalifornier (Oberkalifornier)
II 583 ff; (Niederkalifor⸗
aier) I 610 ff.
dalla-Bantru 348 ff.
dalmücken 229.
damakans III 102 ff.
dameruner II IO7 ff.
Zamilarois III 248 255.
Kamtschadalen 261ff.
Kanaaniter 48 ff.
danarier (auf den Kanarischen
Inseln) 555 ff.
Kandhs 337 ff.
Kapus 352ff.
Kapverdische Neger 564 ff.
Karaye III 66.
Karenen (Kareng, Karians)
105 ff.
Kariben in Panama II647ff;
auf den Kleinen Antillen
III Uff; in Britisch-
Guayana III 12 ff; in
Venezuela III 85; in Co⸗
sombia III 39 ff.
Katchins 413 ff.
Katscharis 293 ff.
Alphabetisches Verzeichnis der behandelten oder erwähnten Völker und Stämme. 581
Moganga II 274.
Mohammedaner 140 ff.
Moi 420 ff.
Mokobier III 146 ff.
Mongo II 246. I
Mongolen 108 ff.
Montagnais (Dene-Stamm)
II 487 517.
Monteses III 121ff.
Monumbo, die Eingebornen
von III 374 ff.
Morave II 340ff.
Mordwinen 204 ff.
Morus s. Madis.
Mosquito⸗Indianer II 63 ff.
Novimer III 199 ff.
Noxos III 198 ff.
Muiscas (Mozcas) UI 41.
Mukjarawaint III 245 247.
Mundas 321 ff.
Mundrucus III 97 101f.
Muras III 97 f.
Mussikongo II 246.
Nadawessi D 558.
saga 392 ff.
standi II 49 ff.
Narrinyeri III 244 246.
Natches II 546 ff.
Rauo (Willuro) III 311.
Navahos II 511.
Navajos II 596 ff 601.
Nechjilli II 502.
Neger in Afrika 554 560;
348 ff; in Surinam
III 32 ff; in Brasilien
III 129.
Negritos s. Astas.
seuüguineer III 348 ff.
steuhebridener III 425 ff.
Neukaledonier III 415 420ff.
deumecklenburger III 888ff.
zeupommerer III 388 ff.
teuseeländer vgl. Maori.
teyvaner III 47 ff.
Kiam⸗Niam 654 ff.
Niaser 476ff.
Nicaraguer 180 ff.
Nigritier 554.
Nikobarer 454 ff.
Niol-⸗Niol III 296 ff.
Nipiffing II 476.
Notenes III 186.
Nubas 659 ff.
Ruragen III II.
Nutka II 535.
Kavirondo II 46 ff.
Kei-Insulaner 5383 ff.
Keiländer IL 379 ff.
Kianganen 546 f.
Kikuju DV 31ff.
Kissama II 316 ff.
Klamaths II 583.
Kobeua III 92 ff.
Kochomis II 6Ioff.
Koi-Koin s. Hottentotten.
Kois 346 f.
Kolarierstämme 286.
Kols 317 ff.
Komantschen II 596 ff 601.
Konde II 188ff.
Kondhs s. Kandhs.
Kongoneger II 246 ff.
Konibos III 170.
Konjagen II 5BS ff.
Koorcher 361 ff.
Koragas (Korgas) 354 ff.
Koravas 357.
Rorjaken 258 ff.
Korwas 311 ff.
Zresch 674 ff.
Kris (Cristinaux) II 488.
Kruneger 580 ff.
Kubaner II 460 f.
Kubus s. Orang-Kubus.
ukata III 245.
Kukus 680 ff.
Qulin III 247 255.
Kunches III 214.
Kundu II 246.
Kurenti III 22.
Kurilen 272f.
Kurnais III 247.
Maji III 26.
Majumbe s. Mayombe.
Makololo M 322.
Makuschi III 19 ff..
Malakka, die Eingebornen
oon 429 ff.
Malbalas III 186.
Malemuten II 519.
Maloer III 4830 ff.
Manaziker III 192ff.
Manbanua (Mananua) 537.
Mandaner II 561 ff.
Mandingos 560 ff.
Mandschus 241ff.
Mangbetu II 312 ff.
Mangoios III 102ff.
Manos s. Karenen.
Mantaetis II 400 ff.
Manyema II I8o ff.
Manzaneros III 224.
Naori III 488 ff.
Maos, Marams s. Nagas.
Maranhas III 8I.
Naravi s. Morave.
Marcanis III 201.
Mardala III 311.
Marianer III 448 ff.
Markesaner III 5asg ff.
Marotse II 3283 329 ff.
Marrings s. Naga.
Marfhallaner III 470 ff.
Masai II 84ff.
Maschona II 323 ff.
Maskutins II 475.
Matabele II 345 ff.
Nataguayos III 186 ff.
Matakos III 186 ff.
Matankor III 402 ff.
Matuari III 22.
Mawia II 127.
Mayas 168 ff.
Mayombe II 246 266 ff.
Mbaias III 139.
Mechoacaner 156 ff.
Melanesier III 240 342 ff.
Mericienes III 52.
Mexikaner 145 ff.
Miao 282ff.
Miekins und Miesos s. Ka⸗
renen.
Mikmaks II 475 ff.
Mikronesier III 240 47 ff.
Milanos 503 ff.
Minkopies s. Andamanesen.
Miranhas III 97 99 ff.
Misayas (Mesayas) III 84.
Mischmis 287 ff.
Missangas II 227.
Mkulwe, Neger der Land—
jchaft II 137 ff.
Moanus III 402 ff.
Mobango II 298.
Modocks II 583.
Lambadis 364 ff.
Landana, Neger von II 2338ff.
Landdajaken 488 ff.
Lao⸗tse, Anhänger des 94ff.
dappen 197 ff.
darka⸗Kols s. Hos.
datuka 676 ff.
Laymones II 610ff.
dendus 677 ff.
depibos III 170.
dingayats 72ff.
dokele II 247.
dolos 278 ff.
doritja (Luritja) III 319
333 ff.
doucheux II 5611ff 13N7.
douisiana, Indianer in II
552 ff.
dukullaneger II 242 ff.
Lulua II 247.
Madagassen II 4383 ff.
Madis 687 ff.
Mafulu III 360 ff.
Mainas III 57 ff.
Odjibwas II 486 ff.
Ogluli I 502.
Okanagans II 542.
Olchonas 588 ff.
Olo⸗Uts 512 ff.
Omaquas III 62 83 ff.
382 Alphabetisches Verzeichnis der behandelten oder erwähnten Völker und Stämme.
Dna III 230 232 ff.
Dndonga II 3895.
Opatas II 618ff.
Orang-Bukit 429.
Orang⸗-Darat 429.
ODrang⸗Dusuns 512 ff.
Orang⸗Kubus 4609 ff.
Orang⸗Laut 429.
ODraug-⸗Murungs 512 ff.
Orang⸗Nadjus 512.
Orang-Utan 429.
Orekoponi III 27.
Drotschonen 248 245 ff.
Osterinsulaner III 5848 ff.
Ostjaken 222ff.
Ot-Danoms 512 ff 324 ff.
Otomis II 632 ff.
Ovakuanjama II 390.
Dvambo II 3090ff.
Palau⸗-Insulaner III 467 ff.
Paliyans 370 ff.
Pambias 676.
Pampasindianer III 224.
Panama, Ureinwohner von
I 640 ff.
Pangans s. Semangs.
Paniyans 368 ff.
Pantches (Panches) III 40 ff.
Papua III 342f 350 ff 369
371 ff.
Paraguay, Indianer in III
132ff.
Parahiyas 314 ff.
Parayans s. Parias.
Parias in Indien 374 ff.
Parkunji III 268ff.
Parnkalla III 311.
Parsis s. Perser.
Passis III 81ff.
Patagonier III 224 ff.
Pataxos III 112 ff.
Paumotu III B32 ff.
Payayasis III 78 79.
Perser 51ff.
Pevas III 62.
Pfefferküstenneger 575 ff.
Phönizier 48 ff.
Pimas II 607 ff.
Polynefier III 240 483 ff.
Pomos II B88 ff.
Ponapeer III 462ff.
Ponderas (Pends⸗d'Oreilles)
II 571 ff.
Pondo II 382ff.
Pongwe II 206 ff.
Puantsindianer II 553 555.
Pueblos II 603 ff.
Pulayas (Puliahs) 379 ff.
Puris I IIS ff.
Pwos s. Karenen.
Pygmãen in Afrika Ia421 ff;
in Neuguinea III 374.
Quiches 173 ff.
Quoireng s. Naga.
Quojas 376ff.
Ranqueles III 224ff.
Reddis s. Kapus.
Rookinsulaner III 384 ff.
Zadhs 63f.
Saimogeten III 7.
Zakais 430 434 ff.
Zakalava II 444 ff.
Salineros II 618.
Zaliva III 31 32.
alomoner III 408 ff.
Sambesivölker II 318 ff.
samoaner III 516ff.
Zamojeden 214ff.
Zan II 404 412 ff.
Zandwichinsulaner III 552ff.
Zantals 332 ff.
Zapazoi III 26.
Zapoyas III 78.
Sapurunus III 201.
Saramakaner III 22.
Schilluk 648 ff.
5choschonis II 581 ff.
Ichuaras III 53 ff.
„chwarzfüße II 516.
Zeedajaken 492 ff.
Zekanais II 515.
Selungs 427 ff.
Zemangs 430 ff.
Seres (Ceris) II 618ff.
Sgaus s. Karenen.
Shastas II 583.
Sierra⸗Leone⸗Neger 572 ff.
Siks 64ff.
Sinaloer (Cinaloer) II 624ff.
Zintoisten Echintoisten)
—100 ff.
—Sioux s. Dakota.
Ziusi III 885 ff.
-klavenindianer II 511ff.
RXklavenküstenneger 599 ff.
Slaven, die heidnischen 136ff.
Zonomas II B88 ff.
Sonorer II 618 ff.
Ztiengs 439 ff.
Zudanneger 554.
ZukII AI ff.
Zulka III 395 ff.
Zulus (Zulus) II 872 ff.
SZurikesen II 475 ff.
Zusus 575.
Tabajans 512.
Tacanas III 201ff.
Tagalen 540 ff.
Tagbanuas 549 ff.
Tahitier III 526ff.
Taita (Wataita) II 103 ff.
Tanala II 438ff.
Tanganikavölker II 141ff.
Tankhuls s. Naga.
Tapajosis III 80.
Tapuyas III 77 ff 123.
Tasmanier III 334 ff.
Tataren Sibiriens 233 ff.
Tartathi III 286ff.
Tecunas (Ticunas) III 62
32 84.
Tehamas II 388 ff.
Tehuelchen III 228 ff.
Tembu II 382 ff.
Ten'a⸗Indianer II 508 ff.
Tepeaken 159 ff.
Tharus 289 ff.
Fidni III 311.
Timoresen 528 ff.
Tinges s. Visayas.
Tinitianen 552 ff.
Tlaskalteken 160 ff.
Tlinkit II 5327 ff.
Tobas III 165 ff.
Todas 381 ff.
Tolewahs II 587.
Topeke II 298.
Tonganer III 493 ff.
Toromanus III 201.
Torresstraße-Stämme III
342 ff.
Tscheremissen 207 ff.
Tschineger 588 ff.
Licerd (Chinuk) V 535 ff
242.
Tschuktschen 253 ff.
Tschuwaschen 211ff.
Tumupacenos II 201ff.
Tungusen 241ff.
Tunjer III 41 42 ff.
Tupin⸗Ikin III 66ff.
Tupin⸗Imbas III 66 ff.
Tupis III 66 ff.
Turkana I 41ff.
Turumbu II 247.
araicu III 83.
Imauas III 84.
Araons 342 ff.
Ufiai III 402 ff.
Itawais II 475.
Varai III 205 ff.
Vedismus, Anhänger des 5f.
Vejoses III 186.
Benezolaner III 34 ff.
Virakaner III 203 ff.
Virginier II 470 ff.
Visayas 540 ff.
Wadschagga II ob ff.
Wafipa U I1Sb6 ff.
Wagenia II 247.
Wagindo II 127.
Wagiriama II 40.
Alphabetisches Verzeichnis der behandelten oder erwähnten Völker und Stämme. 583
Waguha (Baguha) s. Baholo⸗
Wahehe 11 120ff. lholo.
Wajao II 127 ff.
Wakuafi II 91.
Wallisinsulaner III 510 ff.
Walman III 382ff.
Wamakonde II 127 132 ff.
Wamakua II 127 129ff.
Wamuera II 127 1832 ff.
Wandorobbo II 59 91 ff.
Wangata II 276 ff.
Wangelima II 298.
Wangoni (Angoni) II 124 ff
184 ff.
Waniamwesi II 106ff.
Wanyoro IIIff.
Warega II 247 290 ff.
Warrau UI 183.
Warundi II 151 ff.
Wasanja II 36 ff.
Wasaramo II 11G6ff.
Wasena II 337.
Wasigua I IIO ff.
Wathi⸗Wathi III 256 ff.
Wayganna III 66.
Wayova II 168ff.
Wazimba II 247.
Weddas 442 ff.
Wiimbaio III 246.
Wiradjuri III 244 248.
Wisconsinindianer II 556 ff.
Wotjaken 202 ff.
Wotjobaluk II1 247.
Yagan II 280 336 ff.
Japer III 458 ff.
ule⸗Insulaner III 850 ff.
Juratares III 2009 ff.
—X III 60.
wergvölker Afrikas s. Pyg⸗
mäen.
Personen- und Sachregister!.
Achelis Th.67 31.
Acosta Joaquin II 43.
— Jos., 8. J. 146 ff 1860ff 193; II 630.
Acuña Cristobal de, 8. J. III 63.
Adams Alf. M., O. S. B. II 120 121 125
182 134.
Adelung J. H. II 614 616 618.
Adeodat O. M. Cap. III 220 221 222.
Alabaster Henry 79.
Alazard Ild. O. S. O. III 546.
Alberuni 61.
Alegre Fr. X., S.J. II 622 625 626 630 631.
Alexander VI., Papst III 40.
— J. E. II 421.
Alexis M. G. II 246.
Allbeseelung III 571.
Allotte, P. 8. M. III 415.
Amable, P. O. 8S. O. III 549.
Amaldolini, P. O. S. B. 403 404.
Ambrosoli, P. III 384 888.
Amundsen Roald II 502 503.
Anatoli, Archimandrit II 524 5285.
Anchieta Jos. de, 8S. J. III 33 74 76.
Anderson Ch. J. II 388.
André Ludwig, 8. J. II 555.
Animismus II 570.
Apache Antonio II 600 602.
Appert G. 381.
Appun K. F. III 12 13 15 17 18.
Arbousset T. II 400ff 416 417.
Arias Fern. III 46.
Aristoteles 1113 117.
Arlet Stanislaus, S.J. III 197.
Armentaria Nikol., O. S. Fr. III 201 202.
Arteinheit des Menschengeschlechtes 3.
Asyle (Zufluchtsstätten) 626 627; II 19 398;
II 482 510 560.
Angustinowitsch 255 2856.
Augustinus, der hl. 2 31.
Austen 76.
Avesta, das 52.
Azara Felix de 23; III 204.
Backhouse II 338.
Badin Fr. V. II 556 557.
Baegert II 610 611 613 614.
Baker Sam. White 645 676 677.
Bälz E. 97.
Bancroft H. H. 147 170 171 174; II 516
519 528 527 536 538 541 584 ff 599 ff
5313 622 6283 636 ff.
Banholzer, P., F. S. C. 651 652 653.
Baraza Cypr. III 195 199.
Barbaglia Jos., 8S. L.s 609 612 6183.
Barbot J. 565 574 578 580 588 593.
Barlow, Captain 676.
Barnum, P., 8. J. II 505.
garret, Captain II 36 37 39 40.
Zarth Herm. v. II 351 353.
Barzand (Barceno) Alonso III 134 135.
Bastian A. 80 5338; III 517.
Bastides Rodrigo de III 37 838.
Bataillon 8. M. Bischof III 510 ff.
Zaucke Florian III 146 147 1409 ff.
Baudesson, Kapitän 422.
Baudin, P., S. L. 608 609 614 615; III 571.
Baumgartner A. 36 128.
Bazin Hippolyt 566 567 571.
Beadmore Edward III 348 349 350.
Beal S. 80.
Beicht (Sündenbekenntnis) 54 72 161 169
177 183 191 391 534; II 33 36 54 140
141 277 500 518 653; III 42 72 303
369 445 519 576.
Beichtspiegel 48 391 556.
Bell Chas. N. II 636 637 638 640.
Belliere, P., M. A. II 187 188.
Benavides 11 606.
Solche Gegenstände, die ungefähr bei jedem Volke zur Sprache kommen, wie Ehe,
Familie, Eigentum, politische Organisation, Strafrecht, Begräbnis, Religion, Unsterblich—
keitsglaube u. dgl., werden hier nicht erwähnt. Wer z. B. über die Religion eines
Stammes Näheres erfahren will, braucht nur den Namen des betreffenden Volkes im
„Verzeichnis der behandelten Vöolker und Stämme“ nachzuschlagen. Die vor den Zahlen
stehenden II oder III verweisen auf den zweiten bzw. dritten Band.
2 8. L. hinter einem Namen bedeutet Seminarium Lugdunense, S. P. Seminarium
Parisiense (Seminar der auswärtigen Missionen).
Personen⸗ und Sachregister.
585
Bentley H. II 274.
Benzone Hieron. II 455 461.
Bernard Jos., 8. J. II 505 507.
Berthon, P. O. S. Sp. III 85.
Bertrand J. 63.
Best Elsdon III 577.
Beitendorf, P. III 80.
Bhattacharya 64 65 70.
Biard Peter! II 476 479 481.
Bick C. II 379 380 381.
Bieler Fr. 145.
Bigandet, Bischof 415 489.
Binetsch G. 600.
Bird Isabella 8. 273 277.
Bischoss, P., P. M. S. III 296.
Bititremieur Leo, Sch. II 268 270.
Blagden Charles Otto 430 ff.
Blar E. H. 540.
Bleek Wilh. II 375 876 408.
Blutbrüderschaft 425 532; 13 14 27 40
54 74 82 117 129 225 257 286 293 318
332 439.
Boas Fr. II 498 499 500.
Böhtlingk O. 68 69.
Bonifatius, der hl. 129.
Bonney Freder. II 268 269 270 272.
—X—
Boscand Geron., O. S. Fr. II 594.
Bouche E. 602 603.
Bouchet, P. 63.
Bourdon, Bischof 413.
Bove Giacomo III 280 231 234 ff.
Braguez O. P. 602.
Braffeur de Bourbourg 146 156 170; II 604
605 631 634.
Brebeuf Jean de II 480 483 485.
Bressani Fr. Jos. II 476 480 486.
Bridges Thomas III 231 239.
Brigham F. III 557.
Bringaud J. B., 8. P. 405 409.
Bringmann A. II 146.
Brincker 26; II 898 399.
Brinton D. G. II 592.
Brooke Charles 499 500.
Bruel G. II 230.
Brulius 196.
Brun Jos., M. A. 571.
Buch Max 202 208 204.
Bugeaud Frid., O. 8. Sp. II 34 85.
Bühler G. 66.
Burkhardt-Grundemann II 494; III 17 18
488 526.
Burnouf E. 79.
Burns M. 62.
Burrows Guy II 314.
Butaye, P.. S. J. II 265 266.
Callaway Henry II 374 375 376.
Calvert James III 442.
Tambier Emeri, P., Sch. II 271 273 274.
Camboué Paul II 436.
Tameron A. V. P. III 256 257 258 260.
Tamisa, P., S. J. 355.
Tampana Dom., O. 8. Fr. II 178.
— P. O. 8. Sp. II 238 239 241.
Tampbell John II 414 415 416.
Tanga⸗Argüelles 550 551.
Tantova J. A. III 454 455 457.
Tapello 8. V. II 507.
Tarcereri 8. V. 663.
Tardus José, O. S. Pr. III 165ff 174 186ff
191 192.
Taret, O. S8. OC. III BB9.
Täsar Julius 124 126 129.
Fafati G. 659 664 665; II 812 314.
Taftan, P., Laz. II 444 446 447.
Tastaßeda de Najera Pedro II 605 606.
Tastelnau Francis de III 127 128 145 167
170 173.
Tastillo Bernal Diaz del 146; II 460.
CTastren M. A. 132 133 199 200 218 220
323ff 227 228 241 243 245.
Tatlin G. Il 558 559 1361 563 5364 ff 574ff.
Cayzac, P., O. S. Sp. II 31 82 33 34 385.
Thabas 38.
Thalmers James und Wyatt Gill 489; UI
360 370.
Fhamisso A. v. III 472 473.
Thanel, P. der Selige, 8. M. III 508 ff.
shanterie de la Saufssaye 35 37 39 44 50
59 60.
Thantre y Herrera Jos. III 88 59 60 61 ff.
Thapaux A. II 246 253 254 255 259.
Fhappe d'Auteroche 258.
Tharlevoix Pierre Franc. 78 100 103 104;
II 4577458 476; III 183 134 136 188
163 193 194 209.
Thevron, P. S. M. II 509 515.
Chirino Pedro 540 ff.
Thomé, B. III 171 173 175 176.
Thristians F. W. III 462 463 464.
TFicero 2 118 119 122 127; II 31.
Tlasse Leon, M. A. II 80 ff.
Tlavigero Fr. Xav. 146 147; II 618.
Fodriugton, Rev. III 435 486 437.
Fojazzi Ani., Sales. III 280 281 236 238.
Tolin Franz 538 540 541 ff.
TFoll Armengo II 205 206.
TFolle, P. M. A. II 182 183 256 300 301
302 303 304 305.
Tollins David III 244.
Collogudo 170.
Tomajuncosa Ant., O. S. Fr. III 171.
Tombèes Fr. 423 540.
Tondon, P., M. A. II 22ff 27 28 30.
Took James III 335.
Cadell Colon. 453.
Caillot E. III 545.
1Auf II 479 steht irrtümlich Viard (statt Biard). Daselbst Zeile 14 von oben muß
es heißen 1616 (statt 1618).
586
Personen⸗ und Sachregister.
Cooper T. T. 287 288.
Coquilhat C. I 246 271 272.
Cordoba Petrus de, O. P. III 36.
Corroda, P., O. S. Fr. III 171.
Cors, P., O. S. Fr. III 188.
Cortez Fern. 145.
Coudreau H. III 102.
Coulbois, P., M. A. II 146 147.
Couppé, Migr III 393 394 395.
Craig 41.
Cranz Dabid II 489 491 ff.
Crawshay R. II 31.
Crevaux Jules III 28 24 25 26.
Crocker W. M. 503 504.
3 290 ff 302 304 305 ff 309 311 ff
Croonenbergh Karl II 8346 348 349.
Croothe W. 64.
Croß M. 407 412.
Cruickshank B. 595 596 ff.
Cudena Pedro III 7B.
CFunningham J. F. 668 671 673 676 678
579; M 1 11 13 16 18 20 23 28 46 59
60 65 67 181 182.
Tureau A. II 246.
Curr E. M. III 252.
Czimmermann Stephan II 340 341.
Dahlmann Jos., S. J. 79 103.
Dahmen F. 371 373.
Dall W. 512 518.
Dalton Colon 301 321 327 342 344 345.
Daniel H. A. 83.
Dankbarkeit 277 427 471 597; IIL 164 ff
188 191 200 349 369 413 426 493 518
585; III 99 280 323 336 564.
Dapper O. 560 617 618 619.
Darwin Charles III 231 288 239.
Daumas Fr. II 400 401 402.
Dautremer Jos. 412.
Davezac, P., O. S. Sp. II 211 212 213 214.
De Hertog I 256.
De Jonghe II 256.
De Laet Joh. II 468 479; II1 26 27 74 231.
Delalle, P., O. M. J. II 373.
Delgado J. J. 540.
Delhaise, Kommandant I 290 291ff 286.
Del Techo III 212.
Den Daniel Sorur Dharim 643 646.
Deniau Alfr., S. M. III 480ff 441 443 444 ff.
Dennet R. E. 608 609 611 614 615; II 281
232 388 ff.
Den Marchaie Chevalier 576 588 589 593
De Smet P. J., 8. J. II 560 ff 567 570
572 574 580 581 582.
Deußen Paul 13.
Diodor von Sizilien 125 127.
Dedrizhoffer Martin III 153 154 ff 161 226
D'Ohsson C. 105 106 107.
Douceré, Migr III 427.
Dourisboure 4283 424 426.
Dove T. III 338 342.
Droogmans H. II 246.
Dschingis⸗Khan 105 106 108.
Dubois J. A. 62 65 66 ff 348 364 375 377
379 380.
Duby, P., O. 8. Sp. III 572.
Du Chaillu P. B. I 42al.
Ddu Halde P. 82 84 282.
Ddumont deUrville 528 530; III 249 440
144 447 466 471 550.
Duncan Me Nab III 310.
Dundas K. R. II 41 42 44 45.
Dunn Edm. 495.
Dupuy M. S. O. III 480.
Du Tertre P. O. P. III23ff.
Dvorak Rud. 83 94 96.
FEckardt M. III 408ff 412 414 426 427 428
435 436 437.
Eckart Anselm III 75.
Fder Fr. Xav. III 198.
Edkins 79 80.
Fgede Hans I 489 490 491 494 ff.
Ehe, Unaufloslichkeit der III 565; Einheit
der III 565.
Ehrenreich P. III 106.
Figentum IUI 568.
Elkington E. W. und Norman Hardy III
408 412 413 415 429 430.
Fllis A. B. 595 601 606 607 608 610 ff.
— William III 552.
Elloy, Bischof VI 226.
Fmin Pafcha II 11 12 13ff 312 422.
Enderli J. 254 255 256.
Fndle Sidney 298 294.
Engels, Leutnant II 276 277 ff.
FErman A. 55 250.
Escoffier, P. O. S. C. III 550.
Ethnographie 19.
—AX—
Fvrard, P., S. J. 448 444 445.
Fyre Edward John III 272 273 ff.
Faber E. 85.
Fasten 162 170 176 543 606 646; II 388
328 629; III3 48 13 837 46 8183 91
94 156 170 174 196 198 207 208 usw.
Faure, P., S.J. 457.
Felkin R. W. 687 688 ff.
Fernandez Joh. Patr. III 161 162 163 164
192 194.
Festa E. III 53.
Fetischismus 587 603 623 684; II 209 239
253 260 269 295 298 310; II 570 f.
Feuerverehrung 53; I 547; II 310 316.
Filbry, P. M. 8. O. II, 473 474.
Finch William 572 5738.
Finicio Jak. 381.
Fischer Adolf 427 428.
fFFison, Rev. III 443 444.
— VSorimer III 241.
Flad 86.
Flinders Petrie 39.
Personen⸗ und Sachregister.
—587
Forbes H. O. 469 472 528 530 8531.
Fortleben nach dem Tode III 575.
Fourneau, Leutnant II 229.
Foy, Dr III 296.
Franklin John II 5183.
Franz Xaver, der hl. 63.
Fräßle J., 8S. O. II 298 300.
Frazer J. G. 27 402.
Fredoux F. II 355.
Fritsch G. II 412 418.
Fritz C. III 450.
Frobenius 8. II 271.
Fuentes Franc. III 62 638.
Fülleborn Friedr. II 121 125ff 132 134
—136 188.
Gagnièere, P., 8. M. III 423 424.
Ballaud, P. 595 596.
Garcia Franc. III 48 ff.
Garcilaso de la Vega 188 189 191 194.
Garson J. G. UI 235.
Gason S. III 314 318 319.
Baffö Leonardo II 647 648 ff.
Baubil Anton 87.
Gautier 421.
Bautret P., S. M. III 429.
Bay III 151.
Beheime Gesellschaften II 80 172 206 255
305 315 usw.
Georgi J. G. 197 202 204 207 209 216
227 ff 286 238ff 243 248 ff 256 262;
II 522 524.
Gerboin M. A. Bischof IIl 155 156.
Beurtjens H. M. 8. O. 534 ff.
Bewissen 87 69 88 90 92 98 102 112 114
120 604; II 137 403 usw.; III 500.
GBeyer Fr. Xav., Bischof 648 654ff 663
667 ff 671 672 674.
Bilbert, P. 549.
Bilg Adam II 619 620.
Gilhodes Ch., 8S. P. 417 418 420.
Bill Wyatt III 345 346; s. Chalmers.
Billen F. J. III 320 -338.
Biorda, P. 8. J. II 5738.
Biordano Lor., Sales. III 76.
GBiroult Ludw., M. A. II 77 78ff.
Bmelin J. G. 208 210 212 233 2385 ff.
Somara Fr. Lopez de 146 150 153 154
180 181 183 187 189 194; II 455 460
168 ff 630 635 640 646 647; IIIL 1 34
35 36 37 40.
Sorjü, P. M. A. II 21.
Bracia, P., O. S. C. II 551.
Brandidier Alfr. II 447 448.
Grange, P., 8. M. III 496 504 505.
Graviers, P., S. J. II 482.
Sregg Jos. II 601.
Breßmann H. 44.
Brey George III 289 200 ff.
Brillet, P., 8S. J. III 11.
Brimm Jakob 130.
Srimme Hub. 141.
Grosier J. B. 84.
Zrubauer Alb. 436 437.
Brundemann s. Burkhardt.
Bründler W. II 860.
Sruppe O. 111 112ff 116.
Bryse P. de 301f.
Zuevara III 134 136 151 168 169.
Suillemé, P. M. A. II 168 169 ff.
Zuillermain, Bischof II 60.
Suinnard A. III 226 227.
Suis, P., M. 8. O. III 353 855 ff.
Bumilla Jos. III 8 28 209ff.
Bynokratie III 567.
Haddon A. C. v; III 343 344 ff 575.
Haeckel E. 10 443.
häflinger O. 8. B. II 126 127.
dagen B. 469 470 471.
dager Karl UI 471 472 474 475.
Hahn C. 202 204 207 208 209.
— Theoph. II 417 418 420.
Halkin J. II 484 488 ff.
Zall C. F. II 498 499.
amberger Al., M. A. II 1837 138 ff.
Zamilton Ch. II 316 317 318.
hammurapi 44 ff.
Harakiri 99.
dardy Ed. 77.
— Spence 77 78.
dariot Thomas II 470 -474.
darlez C. de 80-86 107 108 241 242 243.
dartland Sidney II 353 373 374 375.
dartskorn 443.
dartzer Ferd. M. S. OC. III 481.
däusler, P. O. S. B. 56.
dayes, Dr 328.
hearne S. II 513 517.
Hellwald Fr.v. 4919 24 406 564 645 657
363; II 358 1391 601; II 102 103 201.
Henry J. II 566-570.
Hernandez Pablo II 133-185.
herodot 34 39 49 54.
»errera Ant. 147 156 158 160; III 36.
herrmann II 61.
Zesiod 113 115 117 118.
Hieronymus, der hl. 2 372.
Zillebrandt A. 58.
dobley C. W. II 34-36.
dochstetter Ferd. v. III 483 491.
dodgson 80.
dodson J. C. 393 ff.
Hofbauer Severin, O. S. B. II 121ff.
Hofmayr W., F. O. 8S. 648 649 650.
Hollis A. C. II 49 ff 88 89 90.
Holmberg H. J. II 520 534.
Holub Emil II 323 334.
Horner, P., O. S. Sp. II 100 107 ff 116 ff.
horsburgh 449 500.
Houston, General II 602.
Howitt A. W. III 241ff 311 312 ff.
huguenin Paul III 526.
hHumboldt Alex. v. II 540; II 91.
Hunter W. W. 300 305 321ff 326 334 337
339 342 ff.
588
Personen⸗ und Sachregister.
Huonder Ant., 8.J. II 177.
Hurel Eug., M. A. II 67 ff.
Hyades Paul III 238.
Hyazinth, P. O. M. Cap. III 50 51 52.
Labat, P. O. P. 589 602; II 2 6 7.
dabbé, P. 268 ff.
da Billiardiere J. J. H. de III 335 340 341.
dabrador Sanchez III 188 -146.
dacombe Alb., O. M. J. II 488.
dacomme, P. 8S. J. II 450 451 452.
hafitau Jos. Fr. 23; 11 476 480 -482 546;
dalemant Gabriel II 482 484.
dambert, P., S. M. III 415-420.
danda Diego de, O. 8. Fr. 163 164ff 172.
dang Andrew 22 27; II 337 418 418 471;
II 260 313 314 570 575.
— —
dange O. 34 39.
dangsdorf G. H. II 519.
daouenan, Bischof 60.
daplume, Kommandant II 315.
dafaulx E. v. 120 121 122.
das Casas Barth. de, O. P. 170; II 455
bis 458 623 635; III 10.
daval Honoré, O. S. C. III 540.
dawes J. G. III 370.
dechaptois, Bischof II 148 ff.
deger J. N. II 457.
degge J. 83 87.
de Gobien Charles III 450.
deguizano Manc. Sierra 195.
dejeune, P. O. S. Sp. 28; I1217 218 219 227.
— Paul, 8.J. II 476 479.
deigh, Rev. III 336.
de Moyne J. II 461 463 466 467.
denormant Fr. 38.
deonard Arthur Glyn 621 622 ff.
deonhardi Moritz v. III 318 319 326 328
330 -334.
de Page Renouf 36 37 38.
de Pers, P., 8. J. IT 457.
de Petit, P., 8. J. II 546 -550.
de Roy A., O. 8. Sp., Bischof 25; II 84 96
111 112 118 220 255 337 422 424 ff;
III 335 570 575.
dery Joh. III 69 70 71.
detessier Ch. 485.
devadoux, P., O. S. Sp. II 231.
dibermann, P., O. 8. Sp. III 85.
dinckens H. M. 8. O. III 471.
dindall 199.
divingstone David I1 183 318 319 -822
351 353 83854 374 404 419 420.
divinhac M. A., Bischof II 8 108.
divius 122 127.
divorno Ludwig de, O. M. Cap. III 103 - 106.
dloid III 337 338.
vodi Samuel de, O. M. Cap. III 103 106.
Lourdel Simon, M. A. II 8 108.
Low Hugh Brooke 485 489.
dozano Petrus III 138 140 171 173 181.
dubbock John (Lord Avebury) 9 451; III
314 342.
düders C. 451.
dudwig A. 57 58 59.
duzero. P., 8S. J. III 64.
Jackson, P. 492.
— William 52.
Jacobs Jul. 481.
Jacobsen J. A. II 501 507.
Jarves James J. III 552 ff 558 ff.
Jaussen Tepano, Bischof III 546 547.
Jeffrey III 837 338.
Jellinghaus Th. 322ff 333 334.
Zeremias Fr. 50.
Jette J. II 308 -510.
Ignace Etienne IIIl 129-132.
Ihering H. v. III 169 170.
Jodl Fr. 4.
Johnson James 608 610 618.
Johnston Harry 678 679; 118 10 11
19ff 29 30 47 52 60 88 424.
Jofset, P. M. A. II 156- 159.
Jouet, P. M. S. C. III 352 360.
Irle J. III 571.
Jung Karl Emil III 448.
Jungfräulichkeit 1 50 59 129 149 209;
II 156 176 485 625 659.
Junghuhn Fr. 463.
Junker Wilhelm 655 658 659; II 312.
Junod H. A. II 362-368 375.
Kahl, Missionär D 353.
- A. II 224 225.
Kant 2 4.
Kaoze Stephano II 160 -166.
Kaufmann A. 644 ff 664 666 667.
— Karl M. 115 120.
Kaulen Fr. 46.
dayser⸗Roloff 37 38.
Keller⸗Leuzinger Fr. UI 201.
Kempe, Missionär II 326.
Kennan G. 259.
sKenny, P., 8. J. III 303.
Kerry-⸗Nicholls J. H. III 486.
Klaatsch H. III 296 297 298 320 331 334.
Klingstädt 217 221.
Knabenbauer Jos. 37 115.
Kobler A. III 146.
Koch⸗Grünberg Th. III 85ff 96 97 99 113.
Koenigswald G. v. III 102 121 ff.
Kohler J. 46.
dolb Peter II 404 406 ff.
Koller A. II 242 -245.
Kopp, P. 568.
Koran, der 140 ff.
Rörner Fr. II 898 408 413 421.
Krascheninikow 258 259 261 263.
Krause Aurel II 527 ff.
Kreil A. III 153.
Kreftinin 217.
Kristen A. III 301 -303.
Kropf Jos. II 449 453.
Kugler Fr. Xav., 8S. J. 40 44.
Personen- und Sachregister.
289
Macdonald Duff. II 337.
— James II 382 383-389.
Macieowski 139.
Malan A., Sales. III 108 -114.
Man Edw. Horace 46 ff.
Manning S. III 249.
Manu, Gesetze des 66 67.
Marche A. 550 551.
Marcoy Paul III 75.
Mariner William III 494 495 496 ff.
Marquardt J. 123.
Marquette Jak. II 542 543 544 546.
Martin John III 494.
Martyr Petrus II 454-458; III 12.
Marx Karl 5.
Marzan J. de, 8. M. III 442.
Maspero G. 39.
Massaja, Kardinal 142 1483 144.
Maßmann Jos., Pa. II 201 202.
Matriarchat III 567.
Matthews M. II 377 379.
Maugham R. C. F. II 337.
Maurer Fr. 454 ff.
Mazzuconi, P. III 384.
Meier Jos., M. S. O. III 393 394 407.
Meinicke Karl E. III 413 483 487 497 511
517 526 ff 530 540 544 548.
Meißner 46.
Meldon J. A. 668.
Menschenopfer 49 50 97 125 129 137 144
148 150 157 158 160 171 177 180 183
186 189 191 337 548 549 588 611 624;
II 11 230 300 314 437 447 467; III 47
112 433 497 5329 550 559.
(Tötung von Menschen, die den Ver—
storbenen ins Jenseits begleiten sollen)
38 97 126 138 144 148 180 189 191
548 578 605 613 617 619; II 16 30
76 108 143 144 241 248 273 283 288
300 304 314 333 340 351; III 6 27 44
49 390 409 420 4835 497.
Mera, P., 8. J. III 58.
Merensky A. II 188ff 193ff 414 418 419.
Merker M. II 84ff 95 96 99 100.
Merolla Girolamo, O. M. Cap. II 250.
Metzger E. 481 -484.
Meével, P. II 103 104 105.
Meyer Ed. 34.
— Joh. Nepom., O. M. J. II 356 -359.
Michaud II 553.
Michel Ernest II 222 423 487.
Middendorf A. v. 221 240.
Mignot M. 407.
Milligan III 337 338.
M'Kinlay E. M. IUI 249.
Moffat Rob. 23.
Mohnike O. 101 103 470.
Molina Ignaz III 213 -220.
Mommsen Theod. 119 120 121 122.
Moncet, M. A. 146.
Mone T. J. 126 128 129 137 138.
Monfat, P., S. M. III 488.
Mongouioux, P., O. M. IJ. II 354.
Monier-Williams 56 60.
Monogamie II 565.
Nonteiro, P., S. J. II 329.
Nontiton Alb., C. 8. C. III 5332 ff.
MNontoya Ant. Ruiz de III 183 134 135.
Moran Patrit., Kardinal III 809 310.
Morgan Lewis 15.
Morice A. G., O. M. IJ. II 488 511-516.
Morrell III 465 466.
Morris Jastrow 40 41.
Moszkowsti 442 443.
Mouhot Henry 439 440 441.
Movers F. C. 49 50 51.
Mozio Franc. II 540.
Müller, P. O. M. Cap. III 468 470.
P, 8. V. D. 600.
F.H.197 202 211213 215 220 226 - 229.
Franz II 109 110.
Hermann, M. 8.0C. III 8395 396.
J. G. II 456.
Joh. Bern. 222 223 224 226.
Iwan v. 111.
— Max 446 453.
Murdoch J. 97 88 101.
Murr C. G. v. III 57 75.
Muset, P. II 506.
Musters Georg Chaworth III 228 -230.
Mutterrecht (weibliche Linie) III 566.
Nägelsbach K. F. 112 114.
Rassau Robert Kam. III 571.
staturverehrung III 571.
Ravarre André, Bischof III 359.
Ravarro Cipriano 552.
Reu, P., O. S. Sp. II 206 207.
Neumann K. v. 257.
Nicolet III 505 507.
Nicq IIILB.
NRieuwenhuis A. W. 504 505 ff.
Rind Seott III 281-284.
Nirwana, das 78ff.
Ritobe J. 103.
Robrega Manuel da III 71 -74.
Nordenskibld Erland III 177-186.
Nußez Cabeza de Vaca Alvar. II 463 468.
Oberländer Rich. 564 575; III 444 517 518.
Detavian, P., O. M. Cap. III 221.
Ohrwalder Jos. 648.
IAldenberg H. 77 78.
Orbigny Alcide d' 23; III 204 209 210
bis 212.
Drelli K. v. 34 39 40 44 49 50 55 83.
Ortiz Ambros III 449.
D'Sullivan H. 647.
Ovidius Naso 31.
Dviedo y Valdez Gonzalo Fern. de 146
180- 186 194; II 454 -456 459 460
340- 644:; III 3743 47 48.
Painter, Rov. 379.
Palladino 8. P. II 570 571.
Pallas P. S. 203 211 - 213 220 224 228.
590
Personen⸗ und Sachregister.
Palmer Edward III 303 -305.
Pane Roman, 0O. S. Hieron. II 454 -456.
Paque E., 8. J. II 246 254 255.
Park Mungo 560 ff.
Parker K. Vangloh III 260 -267.
Parkinson R. IIII 88-400 4083 ff 481 482.
Pastells Pablo, 8. J. 5340 5341.
Paul III., Papst 40.
Paulitschke Ph. 634.
Paulsen Fr. 4.
Pauthier-Brunet 87 ff.
Peekel G., M. S. OC. III 400 -402.
Pelleprat Pierre III2 7411.
Pellion J., 8. M. III 413 414.
Perham J. 493 499 501 502.
Perrot Nicol. I 478.
Pesch Chr. 53 102 112.
Peschel Oskar 26; II 413; III 103 231.
Peétis de la Croix 108 110.
Petitot Em. 25; II 487 500 -502 511 - 518.
Peureux, P., O. S. Sp. II 208 -210.
Pfefferkorn Ignaz II 596 -598 619 - 624.
Phillips G. 128.
Picarda, P. O. S. Sp. II 112-116.
Piecardo Angelo, O. M. Cap. II 250.
Pichot Paul, C. 8. Sp. II 449 450.
Picolo, P. II 614-616.
Picq Ardant de II 488 - 442.
Pierz Franz ID 553.
Pindar 115.
Pinto, P. S. J. II 78.
— Serpa II 421.
Piolet, P., S. J. II 433 - 487.
Pionnier J., S. M. III 422 428.
Plaisant M. 406.
Planert W. III 329.
Plinius 126.
Polding, Erzbischof III 809 310.
Polo Marco 108 111.
Polyandrie 368 557; II 502 521 5331; III
282 290 437 560 565.
Porte, P., O. M. J. II 356.
Posewitz 481 485.
Post A. H. 24.
Power Stephan II 5091.
Prescott W. H. 146 147 155 186.
Prestage, P. 8. J. II 350.
Prowazek S. v. III 4850.
Proyart 8. B. II 230 236 2387.
Pruyssenaere E. de 648.
Rechtsgefühl III 564.
Reclus Elis. 239; II 129.
Rée Paul 9.
Reeb A., O. 8. Sp. II 213 -215.
Regis, P., S. J. 282.
Rehse Herm. II 62-67.
Reina Paul II 384-388.
Reinach Lueien de 80.
Salomon 221.
Reinecke F. III 517.
Religion, Begriff der 17 29; Allgemeinheit
der III 568.
Reuter J. G. III 311 318 319.
Rexter, P., P. A. M. II 202 203.
Rhodes Alex. de 286.
Ribaud M. 273 275 276.
Ricards, Bischof II 379 380.
Richter M. II 329 -333.
P., 8. J. III 64.
Ridley William 23; III 249.
Riedels J. 5333.
Rink Henry II 489 495.
Rivers W. H. R. 381 -385.
Rivet, Dr III 53 -55.
Robinson G. A. III 339.
Rochefort C. de III 3.
Rochemonteix Camille de II 476 478 482
bis 485.
Röhr Joh. III 199.
Romano Franc., O. M. Cap. II 247.
Roquefeuil de II 540.
Roscoe John II 1-10 374.
Rosenberg H. v. 5333.
RKoß King W. 383.
Kofset C. W. 420 ff.
Koth Henry Ling 485 ff 490496; III 334
his 336 339 455.
R. 57.
Rougeyron, P. S. M. 27; III 421 422 425.
Rousset, O. M. J. II 377 378.
soufsez, P. M. A. II 76.
Rüdel, P. O. 8. B. II 133 134 136.
Rusden J. G. III 483.
Zaabye II 491.
Sadin Fr. I 259-264.
SZagoskin II 520.
—AV
Zaint⸗Guily 403. [1630 - 634.
—⸗Paul Ch. II 559 560.
Salvado Rudesindo, O. S. B. III 284 -288.
Salvatierra, P. S. J. II 610 614 618.
SZalvator, P., O. M. Cap. III 468 469.
SZalviac Martial de 142 144 634- 639.
Zanvitores Diego Luigi III 448 453.
SZarasin, Gebrüder 448.
5auzeau, P., 8. M. III 483.
Schaden M. C. 493.
Schamanentum 251 ff.
Schamhaftigkeit 172 263 269 406 427 447
459 471 477 505 523 559; II 36 245
285 290 307 310 428; III 24 28 180
237 283 393 513 544.
Ouatrefages J. 8. A. 3; M 422; II 885.
Rada Martin de 540 5343.
Radloff W. 229-231; II 541.
Raleigh Walter III 27 28.
Rangachari K. 72 74.
Rascher M., M. 8. C. III 888.
Ratzel Friedr. 3 21 92 94; II 422 592;
II 103 233 488 571 575.
Rausch, P. S. M. III 412 414.
Rawlinson G. 41.
Raymond, Missionär III 310.
Personen⸗ und Sachregister.
531
Schanz Paul 53-855.
Scheffer Joh. 198 199 ff.
Scheil Viktor, O. P. 44.
Schenk, M. A. II 185.
Scherzer Karl 173 174.
Schlangenkult 602; II 62 66; III 194 297
317 391 401 407 499.
Schleiermacher Chr., S. V. D. III 382-384.
Schmidt Leopold 112ff.
— Wilhelm, P., 8S. V. D. 19 27; 337 418
119 471; III 241 242 249 252 313 314
318 320 337 570 572 575.
Schmitz Rob. I 171-176.
Schneider W. 16; III 238.
Schoonheydt, M. A. II 183.
Schotter, P. 283 284 286.
Schrader E. 41 42.
Schreiber A. 460 ff.
Schulte J. F. 130.
Schultz E. III 320 -528.
Schurtz H. II 271.
Schwaner C. A. L. M. 512 ff.
333 Georg 644 646; II 312 313
421.
Seelenwanderung 65 71 76 78 221 312
319 587 631; II 205 284.
Segesser Phil. Anton, 8S. J. 607-609.
Seidel A. II 197 -202 360 -362.
Seidlitz N. v. 255.
Seligmann C. G. 442 647.
Sennft Arno II 458 460.
Serra Junip., O. S. Fr. II 501.
Servant, P., S. M. 483 -491.
Sibree James II 433 -437.
Siebert Otto III 311-318.
Siebold H. v. 273ff.
Simrock K. 127 128 131.
Sims R. M. II 274.
Simson A. III 57.
Skeat Walter William 430 ff.
Stottsberg Karl III 236.
Solis Anton de 146 147.
Sophokles 1 113 114.
Spencer Baldwin III 320-333.
— Herbert 4.
— St. John 488.
Spiegel Fr. 52-55.
Spieß Edm. 115.
Spieth J. 599 - 605.
Spillmann Jos. II 345-348 350 414.
Spix und v. Martius III 81-85 97-102
116-120 127 129.
Sprdat G. M. 26.
Ssmirnoff 20o2.
Staden Joh. III 66-68.
Stam N. II 1-9 29 46-49.
Stanley Henry II 421 480.
Stannus H. S. II 335 -340.
Steinen Karl von der III 118.
Steller G. W. 261 263 ff.
Stenin Peter v. 215 247.
St Hilaire Aug. III 106.
Strachan, Bischof 457.
Strachey William II 471.
Strauß und Torney V. v. 360 86 94 95.
Strecker, P. O. M. J. II 869 -372.
Strehlow C. III 820 321 326 328 -338.
Streit Rob., O. M. J. II 397 398.
Strele Anton, 8.J. III 299 -301.
Stuart H. A. 351 3583.
Suas J. B. 8. M. III 427.
Zühnebedürfnis III 576.
Sündenbock II 33.
Sundermann H. 476 ff.
A
Tachard II 404 405.
Tacitus 129.
Talazac, P. II 4438.
Talbot P. A. 629 -633.
Tapferkeit III 565.
Tapu II 896 449; III 488 usw.
Taraval, P. S. J. II 610 618.
Taufe 169 290 662; I16 26607; II 111
185 4834 445 458 491.
Taurin, Bischof 641.
Temple R. C. 452.
Terrien Ferd., Bischof III 238.
Teßman Günther II 210 211.
Theal Me Call II 413.
Thierse, P. O. S. B. III 285.
Thomas N. W. III 314.
bon Aquin 21.
Thomé, O. 8. Sp. 24.
Thomson J. II 134.
Thukydides 113.
Thurston E. 72-74 347 ff 334 ff 306 367
370 372 ff 378 381.
Tignous H. 381 3883 384.
Titcomb, Bischof 452.
Tönjes Herm. II 390 -396.
Torquemada 147.
Totem, Totemismus 198 294 851 402 485
571 647 667; M 6 28 42 49 61 130
149 150 177 219 ff 234 262 288 355
404 485 527 557 578 594 596; III 180
242 243 256 283 289 8308 312 -314 321
327 330 347 -349 389 398 403 411 486
442 464 1319, 570.
Totenbuch der Agypter 85 36.
Tovar J. de 146.
Tregears E. III 492 4938.
Trilles H., O. 8S. Sp. II 216ff 222 ff 228
256 263.
Tschudi J. J. v. III 103 104 106.
Tucker, Bischof II68.
Turner G. III 518.
Tylor Edw. B. 22.
Ungnad A. 46.
Ansterblichkeitsglaube III 575 f.
Uriarte Manuel III 58 64.
Uricoechea, Ezechiel III 43.
Vaissiere de la, P., S. J. I 483 486 452,
Valdivia Ludwig III 212.
592
Personen⸗ und Sachregister.
Valerius Maximus 125.
Valignani Alex. 99.
Vallée-Poussin 77.
Van Acker Aug., M. A. II 167 168 182.
Van Coll, P. OC. 88. R. III 14.
Van den Biesen, M. A. II 432 433.
Van den Broeck Peter 564.
Van den Plas Jos. 680 681 ff.
Van der Aa J. 378.
Van der Burgt, P. M. A. II 151-156.
Van Dongen G. J. 469 470 ff.
Van Overbergh Cyr. II 266ff 273 ff 308
bis 316.
Van Quickenborn Charles, S. J. II 557.
Vasconcellos Simon de, S.J. III 40 74- 77.
Vasquez Coronado II 632.
Veda, der 56ff.
Vedy, Dr II 287.
Veigl Franz Xaver III 57.
Vermeersch A., 8. J. II 265.
Vial Paul, 8. P. 278 ff.
Viard, P., 8. M. III 424 425.
Vierkandt A. 26.
Vieter, Bischof IJ 203 204.
Villault de Belfond 573 576 588.
Villaverde, P. O. P. 546.
Violette, P., 8. M. III 516 ff.
Viudez, P., O. S Fr. III 188.
Vogel H. W. 458f.
Völling A., O. P. M. 78.
Volpert V., 8. V. D. 89.
volz W. 472 478.
Vormann Franz, 8. V. D. III 3745381.
Wallis Budge 34 38.
Walter, P. P. M. 8S. III 297.
Wangemann II 418.
Ward Herbert II 261.
Warmow II 498.
Warneck Joh. 9 463 465 ff 479.
Watt G. 395 401.
Wehrli 418 - 416.
Wehrmeister, P. O. S. B. II 124-132.
Weiß J. B. 139.
West John II 335 -340.
Westermarck Eduard 6 15 16 30 458; III
252 253.
Weule Karl 3 19; II 128 -137; II 342 545.
Widenmann A. II 95-99 102.
Wied-Neuwied, Prinz Max zu II 564 -566;
III 103 104 107 108 119.
Wiedemann A. 35 386.
Wieger Léeon 76 80 81 89-92.
Williamson Robert W. III 360 -366.
Willmott J. 346.
Wilmot A. II 323 324 329.
Wilson Henry III 467 468.
J. Leigton 564 575 580 5381 582 ff.
— und Felkin IL 8.
Winnen, P., S. M. II 184.
Winslow E. II 475.
Wißmann H. v. II 805 306.
With Joh. II 474.
Wollaston A. F. R. III 371 -374.
Wouters A. J. II 246 253.
Wundt Wilh. 70.
xenophon 55 114.
Ximenez Fr., O. P. 173 174 175 177 179.
Zimmern H. 41 48.
Jölibat 67 72 75 77 119 149 171 177
183 184 190 398 557 607 624 659; II
363 553 628; III 46 48.
zöppritz K. 648 644.
Zorita Al. de 146; II 630.
Zumboln, P., O. 8. C. III 5345 547.
Waoddell 80.
Wahrhaftigkeit 36 37 48 44 55 59 66 6977
142 155 159 192 194 244 273 277 355
563; II 110 154 161 162 291 318 420
430 492 507; III 161 265 279 8395 564.
Waitz Theod. und G. Gerland 20 146 155
156; V 404 408 476 489 520 540 546
634; III 137 261 473.
Walleser Sixtus, O. M. Cap. III 461 462.
Humboldt-Universität zu Berlin
Universitãtsbibliothek
Zweighihliothek Philosophie und
Kulturwissenschaften
Inter den Linden 6
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Herdersche Verlagshandlung
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