22
Schwartz :
dass die Todesstunde nahe. Nach einem langen Leben voller Arbeit und
Sorgen sah er ruhig dem allgemeinen Menschenlos entgegen. Er hatte
in seinem Gefühl gleichsam „ausgelebt"! Nachdem er sich und alles
bestellt, sagte er zu seiner Frau: „Mutter, jetzt geht es bald zu Ende.
Nun könntest Du den Barbier holen, damit er mich noch einmal
rasiert. Sieh, jetzt kostet es einen Sechser, und wenn er es nachher
(bei der Leichenwäsche) thun soll, kostet es 2 gr. !"
Die Sache kommt in beiden Fällen fast auf dasselbe hinaus. Aber
den Tagelöhner, welcher zeitlebens jeden Groschen umgekehrt hatte, ehe
er ihn ausgab, bestimmte dem entsprechend nur dabei die Rücksicht auf
die sonst erwachsenden Mehrausgaben, während Sokrates ein ethisches
Gefühl, die Humanität gegen die armen Wäscherinnen, auf einen ähn¬
lichen Gedanken brachte.
„Ich weiss nicht, wie ich es ihm beibringen soll." Die Witwe
eines Tagelöhners in demselben Ort hatte früher bei einer verwitweten Majorin
ebendaselbst gedient, und diese bewahrte der früheren treuen Dienerin
stete Teilnahme. Oft traf sie selbige auf dem Kirchhof, wenn sie das
Grab ihres Gatten dort besuchte, und sprach mit ihr dann dies oder jenes
Wort, bei welcher Gelegenheit sie erfuhr, dass die Tagelöhnerwitwe stets
am Grabe ihres Mannes in treuem Rapport mit dem Toten blieb, ihm
alles berichtete, was zu Hause passierte, wie es mit dem kleinen Anwesen,
das sie gehabt, gehe, ob das Schwein gedeihe u. dergl. m.
So ging es ein Paar Jahre.
Da traf sie einmal die Frau ganz beklommen am Grabe ihres Mannes,
mit Thränen in den Augen, stehend. Als sie selbige fragte, was sie denn
habe, antwortete jene: „Ja, ich weiss garnicht, wie ich es ihm (dem Toten)
beibringen soll. Ich will wieder heiraten," und dabei stockte sie. Nun,
sagte die Dame, das ist doch nachgerade auch nicht schlimm, er ist ja
schon lange tot. „Das wäre auch richtig," meinte jene, „sie schäme sich
nur zu sehr, ihm zu sagen, dass sie schon in anderen Umständen sei," und
dabei brach ein Thränenstrom hervor.
Die kleinen Verhältnisse decken hier mit dem Schleier des Humors
den alten Volksglauben, der meinte, im Rapport mit den Geistern der Ver¬
storbenen bleiben zu können, und das Grab als den natürlichen Vermittlungs¬
punkt dafür fasste. In der Sache ist es aber dasselbe, als wenn Atossa
beim Aeschylos am Grabe des Darius ihm das Leid klagt, das ihr heiss-
sporniger Sohn über Persiens Volk gebracht. Die eine Scene bewegt sich
nur eben in beschränktem Lebenskreise und weckt so heutzutage, wo auch
der Glaube selbst geschwunden, fast mehr Humor, — voller Ernst war es
der Tagelölmerfrau aber auch, — während Atossas Auftreten auf der Höhe
eines nationalen Lebens in dem welterschütternden Ringen der Griechen
und Perser, zumal der Glaube damals noch das Beschwören des Schatten